Reformfragen des deutschen Steuerrechts: Herausgegeben:Schindler, Jonathan; Schön, Wolfgang 9783662600566, 9783662600573, 3662600560

In diesem Band stellen führende Vertreter der Finanzgerichtsbarkeit, der Unternehmens- und der Beraterpraxis ihre Vorsch

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Autorenverzeichnis
Kapitel 1: Aktuelle Überlegungen zur Unternehmenssteuerreform – Aspekte aus rechtspraktischer Sicht
1.1 Einleitung
1.2 Aktuelle Ausgangslage
1.2.1 Dualismus und Trialismus
1.2.2 Belastungsvergleich
1.2.3 Verfassungsrechtliches und Ökonomisches
1.3 Das Optionsmodell – Weg 1
1.3.1 § 4a E-KStG der Fassung des Entwurfs zum Steuersenkungsgesetz
1.3.1.1 Inhalt des Entwurfs – eine Skizze
1.3.1.2 Das Schicksal des Entwurfs
1.3.1.3 Würdigung aus heutiger Sicht
1.3.1.3.1 Modelloptimierungen
1.3.1.3.2 Genetische Schwächen
1.3.1.3.3 Partielle Zielverfehlung – Reichweite der Fiktion
1.4 Reform der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG – Weg 2
1.4.1 Aktuelle Rechtslage: Kernmerkmale und Zielsetzung
1.4.2 Modernisierungsvorschläge
1.4.3 Würdigung
1.5 Erleichterung der gewinnneutralen Umwandlung – Weg 3
1.5.1 Lockerung der qualitativen Anforderungen für eine Buchwerteinbringung
1.5.2 Einwände
1.5.3 Vorzüge
1.5.4 Ergänzungen
1.6 Fazit
Literatur
Kapitel 2: Reformfragen der Abgeltungsteuer
2.1 Ausgangslage
2.2 Rechtfertigung der Abgeltungsteuer
2.2.1 Vereinfachende Systementscheidung
2.2.2 Systemimmanente Ungleichbehandlungen
2.3 Binnenfolgerichtigkeit (Unstimmigkeiten, Regelungslücken?)
2.3.1 Koalitionsvertrag
2.3.2 „Quellenverluste“ (§ 20 Abs. 2 EStG)
2.3.3 Objektives Nettoprinzip
2.3.3.1 Rechtfertigung der Einschränkungen
2.3.3.2 Insbesondere: Aktienverluste
2.4 Entschlackungspotenzial
2.4.1 § 17 EStG
2.4.2 Detailvereinfachungen
2.5 Fazit
Literatur
Kapitel 3: Reformbedarf im Bilanzsteuerrecht
3.1 Ausgangspunkt: Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz, Vorgehensweise
3.2 Bestandsaufnahme zum geltenden Bilanzsteuerrecht
3.2.1 Rechtsgrundlagen des Bilanzsteuerrechts
3.2.2 Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB: Bedeutung, Reichweite und Verfassungsfestigkeit
3.2.3 Wahlrechtsvorbehalt mit eigenständiger Steuerbilanzpolitik
3.2.4 „Sondertypen“ der Maßgeblichkeit
3.2.5 Fiskalgeprägte Maßgeblichkeitswertungen der Finanzverwaltung
3.2.6 Maßgeblichkeit und das europäische GKB-Projekt
3.2.7 Fazit: Zunehmende „Zerklüftung“ des maßgeblichkeitsgeprägten Bilanzsteuerrechts
3.3 Konzeptionelle/einzelfallbezogene Reformüberlegungen und -vorschläge zum Bilanzsteuerrecht
3.3.1 Konzeptionelle Reformüberlegungen: Pro/Contra Maßgeblichkeit; eigenes steuerliches Gewinnermittlungsgesetz?
3.3.2 Einzelfallbezogene Reformüberlegungen aus (pragmatischer) Praktikersicht
3.3.2.1 Beseitigung rein fiskalorientierter GoB-widriger Regelungen
3.3.2.2 Systematisch verbesserte Unterscheidung zwischen erster und zweiter Gewinnermittlungsstufe
3.3.2.3 Immaterielle Wirtschaftsgüter: Akuter Regelungsbedarf
3.3.2.4 Vereinheitlichter Betriebsvermögensvergleich
3.3.2.5 Schaffung realitätsnaher Diskontierungsfaktoren
3.3.2.6 Begrenzung der E-Bilanz-Taxonomie auf handelsrechtlich geforderte Gliederungstiefe
3.3.2.7 Bilanzierung bei Mitunternehmerschaften: Sind Sondervergütungen/Sonderbilanzen wirklich noch nötig?
3.3.2.8 Warten auf die GKB?
3.4 Zum Schluss: Plädoyer für ein systemorientiertes Bilanzsteuerrecht
Literatur
Kapitel 4: Zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung
4.1 Derzeitige Bedeutung der Hinzurechnungsbesteuerung
4.1.1 Voraussetzungen und Rechtsfolgen
4.1.2 Telos und Praxisrelevanz
4.1.3 Bisherige Reformüberlegungen
4.2 Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung in Umsetzung der ATAD
4.2.1 Vorgaben der ATAD
4.2.2 Kein Systemwechsel
4.2.3 Neuregelung der „Deutsch-Beherrschung“
4.2.4 Neuregelung der passiven Einkünfte
4.2.5 Neuregelung der Niedrigbesteuerung
4.2.6 Neuregelung des Cadbury-Schweppes-Tests
4.2.7 Neuregelung der Rechtsfolgen
4.2.8 Wegfall des Konzepts der nachgeschalteten Zwischengesellschaften
4.2.9 Sonderregelung für Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften
4.2.10 Erstmalige Anwendung
4.2.11 Verfahrensrecht
4.3 Kommende Bedeutung der Hinzurechnungsbesteuerung
Literatur
Kapitel 5: Verlustvorträge und Unternehmenskauf – Steuerreformerische Empfehlungen für die Zeit nach § 8c KStG a.F.
5.1 Einleitung
5.2 Status Quo: Verlustvortragsnutzung in Deutschland (Quantität und Qualität)
5.2.1 Empirie: Fiskalische Auswirkungen interperiodischen Einkünfteverrechnung
5.2.2 Mantelkauf de lege lata 2018: § 8c KStG n.F., § 8c KStG
5.3 Internationaler Rechtsvergleich: Ausgewählte Alternativregeln zum Mantelkauf
5.3.1 USA (stand alone tax capacity)
5.3.2 UK (Branchenidentität)
5.3.3 Österreich (qualitative und quantitative Kriterien wirtschaftlicher Identität)
5.3.4 § 8 Abs. 4 KStG a. F. (rein quantitative Bestimmung wirtschaftlicher Identität)
5.4 Steuerpolitische Zielsetzungen in Deutschland
5.4.1 Keine Gestaltungsanfälligkeit (Geeignetheit)
5.4.2 Keine übermäßigen Kollateralschäden (Erforderlichkeit, Angemessenheit)
5.4.3 Administrierbarkeit (Einfachheit, Vorhersehbarkeit)
5.5 Exkurs: Einzelfälle (§ 8c KStG n.F., § 8d KStG)
5.5.1 § 8c KStG: „Leere“ GmbH mit Verlustvortrag und aufgeräumter Passivseite (zeitlich gestreckter Erwerb über 5 Jahre)
5.5.2 § 8d KStG und branchen-interner Mantelkauf, z. B. Amazon und Neckermann
5.6 Konkrete steuerreformerische Empfehlungen – „Evolution statt Revolution“, „bekannt und bewährt“: Stille Reserve-Klausel und modifizierter § 8 Abs. 4 KStG a.F.
5.7 Fazit und Ausblick
Literatur
Kapitel 6: Steuervollzug und gerichtliche Kontrolle in Zeiten der Digitalisierung
6.1 Einleitung
6.2 Steuervollzug
6.2.1 Deklaration
6.2.1.1 Digitale Deklarationspflichten
6.2.1.1.1 Keine verfassungsrechtlichen Bedenken
6.2.1.1.2 § 147 Abs. 6 AO
6.2.1.1.3 Datensammlungen
6.2.1.1.4 § 146a AO
6.2.1.2 Standardisierte Datenübermittlung (E-Bilanz, etc.)
6.2.1.2.1 E-Bilanz
6.2.1.2.2 Rechtsprechung
6.2.1.2.3 Elektronische Rechnung
6.2.1.3 Zusammenfassung
6.2.2 Verifikation
6.2.2.1 Datenabgleich
6.2.2.2 Digitale Außenprüfung
6.2.2.2.1 Digitale Betriebsprüfung in der Rechtsprechung
6.2.2.2.2 Zukunft
6.2.2.2.3 Risikomanagement
6.2.2.2.4 Vollautomatische Veranlagung
6.2.3 Zusammenfassung und Zukunftsperspektiven
6.2.3.1 Digitalisierung auch für den Steuerpflichtigen
6.2.3.2 Begleitende Betriebsprüfung
6.2.3.3 Zugang zu Daten und Programmen der Finanzverwaltung
6.3 Gerichtsverfahren
6.3.1 Elektronischer Rechtsverkehr
6.3.1.1 Digitale Kommunikation
6.3.1.2 Elektronische Akte
6.3.2 Entscheidungsfindung
6.3.2.1 Recht in deutscher Sprache
6.3.2.2 Kontrolle computergestützter Rechtsanwendung
6.3.2.3 Richterassistenzsysteme
6.4 Daten als Voraussetzung der Digitalisierung
6.4.1 Datenmenge
6.4.2 Datenschutz
6.4.3 Reformbedarf im Datenschutzrecht?
Literatur
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Reformfragen des deutschen Steuerrechts: Herausgegeben:Schindler, Jonathan; Schön, Wolfgang
 9783662600566, 9783662600573, 3662600560

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MPI Studies in Tax Law and Public Finance 9

Wolfgang Schön Jonathan Schindler

(Hrsg.)

Reformfragen des deutschen Steuerrechts

MPI Studies in Tax Law and Public Finance

Weitere Bände in dieser Reihe http://www.springer.com/series/10393

MPI Studies in Tax Law and Public Finance Volume 9

Series Editors Kai A. Konrad Wolfgang Schön

Wolfgang Schön  •  Jonathan Schindler Hrsg.

Reformfragen des deutschen Steuerrechts

Hrsg. Wolfgang Schön Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen München, Deutschland

Jonathan Schindler Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen München, Deutschland

ISSN 2196-0011     ISSN 2196-002X  (electronic) MPI Studies in Tax Law and Public Finance ISBN 978-3-662-60056-6    ISBN 978-3-662-60057-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-60057-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-n b.de abrufbar. Springer © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Der Ruf nach Steuerreformen gehört zum Kernbestand jeder Diskussion über Steuerrecht und Steuerpolitik. Und doch: So einmütig das Verlangen nach einem „besseren“ Steuerrecht aus Praxis und Wissenschaft formuliert wird, so wenig herrscht Einigkeit über die Zielrichtung oder gar über die konkreten Inhalte von Steuerreformen. Dies beginnt schon bei der Frage nach der Reichweite von Neuregelungen, wo sich visionäre Konzepte großräumiger Neukodifikationen mit kleinteiligem Kurieren am Symptom abwechseln. Noch unübersichtlicher wird die Lage, wenn die materiellen Ziele definiert werden müssen: Hier werden die systematischen Meriten einer Reform und nicht zuletzt ihr Vereinfachungspotenzial nicht selten grob mit den haushaltsmäßigen Auswirkungen auf staatlicher Ebene und den Umverteilungseffekten für individuelle Haushalte abgeglichen. Oft siegt der Kompromiss – und zwar nicht als Versöhnung zwischen vertretbaren sachlichen Standpunkten, sondern als Tauziehen zwischen fiskalischen Gewinnern und Verlierern. Rücksicht auf die innere Folgerichtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung wird selten genommen, mit allen Folgen, die dies für die Kompliziertheit, die Missbrauchsanfälligkeit und die fehlende Gleichmäßigkeit der Besteuerung hat. Vor diesem Hintergrund hat das Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen im Wintersemester 2018/19 eine Vortragsreihe über „Reformfragen des deutschen Steuerrechts“ abgehalten. Führende Vertreter der Gerichtsbarkeit, aber auch der Unternehmens- und Beratungspraxis wurden eingeladen, aus ihrer Sicht bedeutsame Reformanliegen zu identifizieren und konkrete Verbesserungsvorschläge zu präsentieren. Dabei wurde ganz bewusst eine „mittlere Abstraktionsebene“ gewählt. Weder die unrealistische Großreform noch die Detailkorrektur waren angefragt. Unsere hohen Erwartungen wurden voll erfüllt. Sämtliche Vortragenden widmeten sich bedeutsamen, aber zugleich begrenzten Sachgebieten, in denen konkrete Gesetzgebungsarbeit spürbare Fortschritte für alle Beteiligten erhoffen lässt. Wir freuen uns, in diesem Band die ausgearbeiteten sechs Vorträge der Fachwelt überreichen zu dürfen – in dem ernsthaften Wunsch, dass die steuerpolitische Diskussion diese Vorschläge ernst- und aufnimmt. Es kann nicht überraschen, dass unter den Vortragsthemen dem Bereich der Unternehmensbesteuerung gleich mehrfach die Aufmerksamkeit der Verfasser gilt, V

VI

Vorwort

werden doch gerade hier vielfältige Bruchlinien des Ertragssteuerrechts deutlich, die die Finanzverwaltung ebenso herausfordern wie die betroffenen Unternehmen und ihre Berater. Einen „Klassiker“ stellt Ulrich Prinz in den Vordergrund, wenn er für die Zukunft der steuerlichen Gewinnermittlung namentlich im Hinblick auf das zunehmend erodierende Prinzip der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz Regelungsvorschläge unterbreitet. Eine andere Kernfrage der Unternehmensbesteuerung berührt die Rechtsformneutralität zwischen Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften – hierzu widmet sich Roland Wacker nicht nur einer möglichen Fortentwicklung der steuerlichen Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach §  34a EStG zu einer vollen Option zur Körperschaftsbesteuerung, sondern auch der steuerlichen Erleichterung des Rechtsformwechsels nach dem Umwandlungssteuerrecht. Nicht weniger bedeutsam ist die Frage, wie – namentlich vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben – die gegenwärtig in §§ 8c, 8d KStG festgeschriebene Steuerrechtslage zum Verlustvortrag bei Kapitalgesellschaften verbessert werden kann. Dazu bietet Christian Dorenkamp in diesem Band lesenswerte Überlegungen an. Und in die internationale Unternehmensbesteuerung greift der Beitrag von Thomas Rödder hinaus, der für die Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7–14 AStG vor dem Hintergrund der europäischen Vorgaben (sowohl durch die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten als auch durch die Umsetzungsvorgaben der ATAD-Richtlinie) und der globalen Reformdiskussion auf der Ebene der OECD das Konzept einer weltweiten Minimum-Steuer diskutiert und konkretisiert. Im Grenzbereich zwischen allgemeinem Einkommensteuerrecht und Unternehmensbesteuerung ist der Beitrag von Monika Jachmann-Michel angesiedelt, die für den Anwendungsbereich der Abgeltungssteuer ein überzeugendes Plädoyer zugunsten einer systematischen Begradigung, nicht zuletzt auch des historisch gewachsenen Nebeneinanders von § 17 EStG, § 20 EStG und § 22 Nr. 2, 23 EStG vorlegt. Die langfristigen Perspektiven der Digitalisierung für das Steuerrecht entfaltet schließlich Rudolf Mellinghoff, der die Auswirkungen datengetriebener Technologien auf den Steuervollzug und dessen gerichtliche Kontrolle einer kritischen Würdigung unterzieht. Den Verfassern dieser Beiträge ist für ihre Bereitschaft sehr herzlich zu danken, ihre Überlegungen in München mit einem kritischen Publikum diskutiert zu haben und nunmehr einer weiteren Fachöffentlichkeit vorzustellen. Die Herausgeber wünschen diesen sechs Reformkonzepten die verdiente Aufmerksamkeit des Publikums und hoffen auf interessierte Beobachtung durch die gesetzgebenden Instanzen. München,Wolfgang Schön November 2019  Jonathan Schindler

Inhaltsverzeichnis

1 Aktuelle Überlegungen zur Unternehmenssteuerreform – Aspekte aus rechtspraktischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Roland Wacker 2 Reformfragen der Abgeltungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Monika Jachmann-Michel 3 Reformbedarf im Bilanzsteuerrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Ulrich Prinz 4 Zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Thomas Rödder 5 Verlustvorträge und Unternehmenskauf – Steuerreformerische Empfehlungen für die Zeit nach § 8c KStG a.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Christian Dorenkamp 6 Steuervollzug und gerichtliche Kontrolle in Zeiten der Digitalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Rudolf Mellinghoff

VII

Autorenverzeichnis

Christian Dorenkamp  Deutsche Telekom AG, Bonn, Deutschland Monika Jachmann-Michel  Vorsitzende Richterin am Bundesfinanzhof, ­München, Deutschland Rudolf Mellinghoff  Präsident des Bundesfinanzhofs, München, Deutschland Ulrich Prinz  Partner Of Counsel, WTS, Köln, Deutschland Thomas Rödder  Partner, Flick Gocke Schaumburg, Bonn, Deutschland Roland Wacker  Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München, D ­ eutschland

IX

Kapitel 1

Aktuelle Überlegungen zur Unternehmenssteuerreform – Aspekte aus rechtspraktischer Sicht Roland Wacker

Inhaltsverzeichnis 1.1  E  inleitung  1.2  Aktuelle Ausgangslage  1.2.1  Dualismus und Trialismus  1.2.2  Belastungsvergleich  1.2.3  Verfassungsrechtliches und Ökonomisches  1.3  Das Optionsmodell – Weg 1  1.3.1  § 4a E-KStG der Fassung des Entwurfs zum Steuersenkungsgesetz  1.3.1.1  Inhalt des Entwurfs – eine Skizze  1.3.1.2  Das Schicksal des Entwurfs  1.3.1.3  Würdigung aus heutiger Sicht  1.3.1.3.1  Modelloptimierungen  1.3.1.3.2  Genetische Schwächen  1.3.1.3.3  Partielle Zielverfehlung – Reichweite der Fiktion  1.4  Reform der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG – Weg 2  1.4.1  Aktuelle Rechtslage: Kernmerkmale und Zielsetzung  1.4.2  Modernisierungsvorschläge  1.4.3  Würdigung  1.5  Erleichterung der gewinnneutralen Umwandlung – Weg 3  1.5.1  Lockerung der qualitativen Anforderungen für eine Buchwerteinbringung  1.5.2  Einwände  1.5.3  Vorzüge  1.5.4  Ergänzungen  1.6  Fazit  Literatur 

   2    4    4    5    7    8    8    8  10  11  11  12  15  16  16  18  19  24  24  25  25  26  27  28

Der Verfasser dankt Herrn RD Link (BMF), Herrn RiFG Dr. Martini (FG Rheinland-Pfalz) und Herrn RA Dr. Hübner (Stuttgart) für wertvolle Hinweise. R. Wacker (*) Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 W. Schön, J. Schindler (Hrsg.), Reformfragen des deutschen Steuerrechts, MPI Studies in Tax Law and Public Finance 9, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60057-3_1

1

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R. Wacker

1.1  Einleitung Verbände und Institute sind sich einig: Das Konjunkturklima hat sich in den letzten Monaten eingetrübt.1 Finanzminister Olaf Scholz teilt offensichtlich diese Einschätzung; nach seiner Prognose gebe es von nun an „keine unvorhergesehenen [Steuer-] Mehreinnahmen mehr.“2 Indes: Das Bild ist um die Feststellungen der Bundesregierung aus dem Dezember letzten Jahres zu ergänzen, dass Deutschland mit Rücksicht auf die Ertragsteuerbelastung der Kapitalgesellschaften Gefahr laufe, im internationalen Vergleich seine Attraktivität als unternehmerischer Standort einzubüßen und es deshalb bei den Reformoptionen keine Tabuthemen geben dürfe. Reformen müssten auch Personenunternehmen zugutekommen.3 Der Gedanke wurde ganz offensichtlich im Impulspapier der Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 30. Januar 2019 aufgegriffen, das mit dem Titel „Modernisierung des Unternehmensteuerrechts in Deutschland“ überschrieben ist.4 Es weist – in Übereinstimmung mit der Diagnose des BDI5 – darauf hin, dass die letzte große Unternehmenssteuerreform aus dem Jahre 2008 mehr als 10 Jahre zurückliege und es unter den veränderten Rahmenbedingungen der Globalisierung – insbesondere also eines Trends zur Steuersatzsenkung sowohl in den USA als auch in anderen Staaten einschließlich unserer osteuropäischen Nachbarn – darum gehe, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und den Wirtschaftsstandort Deutschland für den Mittelstand zu erhalten. Aus dem bunten Strauß – er umfasst u. a. die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags, Verbesserungen bei der Gewerbesteueranrechnung auf die Einkommensteuer sowie die Anrechnung auf die Körperschaftsteuer, Verbesserungen bei den Abschreibungsbedingungen – seien im Folgenden die strukturellen Hauptvorschläge in den Blick genommen: • die rechtsformneutrale Besteuerung nach dem Optionsmodell, d. h. das Recht der Personengesellschaften wie Kapitalgesellschaften besteuert zu werden, und • die Tarifbegünstigung für thesaurierte Gewinne von Personenunternehmen nach § 34a EStG sowohl durch eine Senkung des Steuersatzes als auch durch einen unschädlichen Zugriff auf sog. Altrücklagen zu optimieren. Auch wenn nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe beide Maßnahmen parallel verwirklicht werden sollen, bietet es sich an, sie zumindest in einem ersten Schritt isoliert zu würdigen. Dazu einige Vorbemerkungen. Die Politik nimmt mit diesen Vorschlägen offensichtlich die Rolle des Vorreiters ein. Anhaltspunkte dafür, dass die Reformanstöße von der Wissenschaft  Z. B. Bauchmüller/Hagelüken/Roßbach, Süddeutsche Zeitung v. 08.01.2019, S. 17.  O.V., Spiegel online v. 06.01.2019. 3  Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 19/6308, S. 2. 4  Das Impulspapier liegt dem Verfasser vor, ist bislang jedoch noch nicht veröffentlicht worden. 5  Riedel, Handelsblatt v. 28.12.2018, S. 10. 1 2

1  Aktuelle Überlegungen zur Unternehmenssteuerreform – Aspekte aus …

3

begleitet oder gestützt werden, sind – jedenfalls von außen betrachtet – nicht ersichtlich. ­Allerdings wurde im Schrifttum bereits eine von der Bundesregierung einzusetzende Kommission mit dem Ziel angeregt, ein Unternehmenssteuergesetzbuch vorzubereiten, in dessen Zentrum („Herzstück“) das Optionsmodell zu platzieren sei.6 Das Stichwort Unternehmenssteuergesetzbuch lenkt den Blick auf die Idee einer einheitlichen Unternehmenssteuer für alle Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform mit einer einheitlichen Gesamtbelastung einschließlich eines gemeindlichen Ertragsteueranteils. Das Impulspapier greift dies m. E. zu Recht nicht auf. Das Modell wurde im Jahre 2006 von der Stiftung Marktwirtschaft7 vorgestellt; bereits eine erste Lektüre der Vorschläge ließ erkennen, dass sie angesichts ihrer Inkonsistenzen  – d.  h. des nur unzureichend erklärten Wechselspiels von zwingenden Vorgaben und Ausnahmen8 – auch jenseits ihrer gewerbesteuerrechtlichen Achillesferse keine Chance hatten, den Weg in das Bundesgesetzblatt zu finden.9 Ihr soll deshalb auch im Rahmen dieses Beitrags nicht weiter nachgegangen werden. Schließlich zum Inhalt unseres Themas. Es geht mir nicht darum, ob – und wenn ja – mit welchen Steuersatzsenkungen und sonstigen Maßnahmen (z. B. Förderung von Forschung und Entwicklung) der Gesetzgeber auf die Herausforderungen der Globalisierung reagiert. Maßgeblich hierfür sind primär wirtschaftspolitische und – wie könnte es anders sein  – interessengeleitete Erwägungen, deren Tragfähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit sich nicht selten nur in der konkreten Phase der Entscheidungsfindung zeigt. Thema meiner Ausführungen ist vielmehr, welche Struktur unser Unternehmenssteuerrecht aufweisen sollte, damit es einerseits möglichst komplikationsfrei angewendet werden kann, andererseits aber den Gesetzgeber in die Lage versetzt, z. B. auf die eingangs genannten Herausforderungen mit zielsicheren Reformen reagieren zu können. Die Perspektive, die wir hierfür einnehmen wollen, ist auch die der Praxistauglichkeit der Reformideen. Dass es hierbei nur um meine persönliche Einschätzung geht, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sei aber – um allen Missverständnissen vorzubeugen – gleichfalls ausdrücklich vorangestellt.

 Wiese, GmbHR 2019, R4–R6.  Stiftung Marktwirtschaft, Kommission „Steuergesetzbuch“: Steuerpolitisches Programm (2006). 8  Diese betreffen vor allem den Kreis der einzubeziehenden Personen (Ausnahme für kleinere Einzelgewerbetreibende), die generelle Mehrbelastung kleinerer und mittlerer Personenunternehmen im Progressionsbereich des ESt-Tarifs, die Einräumung von Entnahmerechten i.V.m. der partiellen Rückkehr zur transparenten Besteuerung, den Verlusteinschluss aufgrund der Trennung von Unternehmens- und Unternehmersphäre i.V.m. nicht schlüssig begründbaren Ausnahmen (differenziert nach Personengesellschaften und Einzelunternehmen). 9  Gleicher Ansicht Fraedrich, Rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung durch Körperschaftsteueroption (2007), S. 4.; ähnl. Schön, DStJG 37 (2014), S. 217 (239). 6 7

4

R. Wacker

1.2  Aktuelle Ausgangslage 1.2.1  Dualismus und Trialismus Nach gängiger Leseart ist das deutsche Ertragsteuerrecht – vergleicht man die gewerbliche Personengesellschaft mit der Kapitalgesellschaft – durch einen systematischen Dualismus geprägt. Hiernach unterliegen Kapitalgesellschaften (KapGes) mit den von ihnen erzielten Einkünften als eigenständige Steuersubjekte der Körperschaftsteuer (15 %) und der Gewerbesteuer (14 % bei einem unterstellten Hebesatz von 400 %). Hiervon ist i. S. des Trennungsprinzips die Ebene der Gesellschafter zu unterscheiden. Handelt es sich um natürliche Personen, haben diese nach den Grundsätzen des Teileinkünfteverfahrens 60 % der von der KapGes ausgeschütteten Gewinne zu versteuern. Bei Beteiligung einer KapGes ist die Ausschüttung hingegen ab einer Beteiligung von 10  % (Streubesitzgrenze gem. §  8b Abs.  4 KStG) steuerfrei und löst (nur) eine 5 %igen Hinzurechnung für nichtabziehbare Betriebsausgaben (BA) aus. Ganz anders hingegen das für Personengesellschaften geltende Konzept der trans­ parenten Mitunternehmerbesteuerung. Zwar wird die Personengesellschaft auch ertragsteuerrechtlich mit Rücksicht auf die Art und die Ermittlung der Einkünfte als partiell rechtsfähig angesehen; man kann insoweit von einer Annäherung an die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit von Außenpersonengesellschaften sprechen. Nach der strukturellen Grundentscheidung des EStG (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) sind jedoch  – trotz der im wissenschaftlichen Schrifttum erhobenen prinzipiellen Einwände10 – Träger des Unternehmens und damit Subjekt der Einkunftserzielung die Mitunternehmer11 mit der Folge, dass sie – unabhängig von der Höhe ihrer Entnahmen – die auf sie entfallenden Gewinne einschließlich ihrer Sonderbetriebsvermögenserträge – nach der für sie geltenden Tarifprogression, mithin mit maximal 45 % zu versteuern haben. Nichts anderes gilt gewerbesteuerrechtlich; die insoweit bestehende Steuerschuldnerschaft der Personengesellschaft hat ausschließlich vollstreckungsrechtliche Gründe. Allerdings wird die ESt durch die Anrechnung der Gewerbesteuer nach § 35 EStG typisierend gemindert. Die GewSt wirkt damit im Rahmen dieser Typisierung für die der ESt unterworfenen natürlichen Personen wie eine ESt-Vorauszahlung.12 Das Bild ist durch die Brücke zwischen beiden Besteuerungssystemen zu ergänzen, nämlich durch den Sondertarif nach § 34a EStG für betriebliche und nicht entnommene Einkünfte. Er steht nur natürlichen, d.  h. einkommensteuerpflichtigen Personen auf individuellen Antrag ungeachtet dessen zu, ob es sich um Einzel- oder Mitunternehmer handelt; in letzterem Falle allerdings unter der zusätzlichen  Siehe grundlegend Palm, Person im Ertragsteuerrecht (2013).  Zur rechtshistorischen Begründung siehe Becker, Reichsteuergesetze, Bd. II Teil 3, § 29 EStG 1925, Bem. 41: „Einkommen aus Gewerbe [...] bezieht nur, für wes Rechnung der Betrieb geht [...]; in wes Namen der Betrieb geht, ist nicht entscheidend.“ 12  BVerfG, Urt. v. 10.04.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. II 2018, 303 Rn. 31. 10 11

1  Aktuelle Überlegungen zur Unternehmenssteuerreform – Aspekte aus …

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­ oraussetzung einer Gewinnbeteiligung von mehr als 10 % oder eines GewinnanV teils von mehr als 10.000 €. Der begünstigende Thesaurierungssatz beträgt 28,25 %; er ist betriebs- und anteilsbezogen zu gewähren. Im Falle der Entnahme des begünstigten Gewinns kommt es zur Nachversteuerung; sie ist nicht an den individuellen Tarif gebunden, sondern nach dem sog. Trennungsmodell einem starren Satz von 25 % unterworfen. Bereits diese Zahlen lassen erkennen, dass es dem Gesetzgeber nicht um eine allgemeine Gleichstellung mit der Besteuerung von KapGes ging, sondern um die Annährung der Ertragsteuerlasten für größere und ertragsstarke Personengesellschaften, die  – ebenso wie KapGes  – im internationalen Wettbewerb stehen.13 In der Gesamtschau ergibt sich mithin ein dreigeteiltes Bild (Trialismus). Dem zwingenden Trennungskonzept für KapGes stehen zum einen Mitunternehmer gegenüber, die unabhängig von ihren Entnahmen dem Regeltarif unterliegen, sowie zum anderen Mitunternehmer, die sich für das überbrückende System der Thesaurierungsbegünstigung mit nachfolgender Entnahmebesteuerung entschieden haben. Kern dieses Modells ist, dass es den nämlichen Gewinn einer zweifachen Belastung unterwirft und damit sich nicht nur in seiner Zielsetzung, sondern auch seiner Methodik dem für KapGes geltenden Trennungsprinzip nähert. Man kann dies als virtuelle Trennung bezeichnen. Eingebunden in das Einkommensteuerrecht führt es zu einer weiteren Durchbrechung des Grundsatzes der synthetischen Einkommensteuer.

1.2.2  Belastungsvergleich Nimmt man die Systeme in einen Belastungsvergleich und geht hierbei von einem Gewerbesteuerhebesatz von 400 % aus, so ergibt sich einschließlich der Gewerbesteuer und Gewerbesteueranrechnung sowie einschließlich der Belastung mit Solidaritätszuschlag (aber ohne KiSt) das in Tab. 1.1 gezeigte Bild:14 Die Zahlen geben Anlass zu einigen Anmerkungen: (1) Die Thesaurierungsbelastung liegt auch unter der Annahme, dass der Mit-/‌Unternehmer keine Steuerentnahmen tätigt, oberhalb der KSt-Belastung (Differenz rund 2,5 Prozentpunkte). Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass die Begünstigung an den Bilanzgewinn anknüpft (§ 34a Abs. 2 EStG) und dieser um die Gewerbesteuer gemindert wird. M. a. W.: außerbilanzielle Gewinnhinzurechnungen (hier: § 4 Abs. 5b EStG) sind nicht Teil der Thesaurierungsbegünstigung. (2) Hiervon abgesehen wirkt die Thesaurierungsbegünstigung grundsätzlich zielgenau, d. h. sie wird erst ab einer Ertragsteuerbelastung des Mit-/Unternehmers

13 14

 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BT-Drs. 16/4841, S. 30 ff., 40 ff.  Schmidt/Wacker, § 34a EStG Rz. 6.

Summe

Ausschüttung/‌Entnahme

Thesaurierung

45 % 42 % 30 % 45 % 42 % 30 % 45 % 42 % 30 %

ESt-Satz

Tab. 1.1 Belastungsvergleich

48,33 % (3)

18,50 %

Trennung KapGes - Abgeltungssteuer - Anteil im PV 29,83 % (1)

19,98 % 18,65 % 13,32 % 49,81 % 48,48 % 43,15 %

KapGes - 60 %-Teileinkünftev. - Anteil im BV 29,83 % (1)

47,44 % (3) 44,28 % 31,67 %

Transparenz PersGes - Regelbesteuerung - unabhängig v. Entnahmen 47,44 % 44,28 % 31,67 % (2)

48,20 % (3) 47,75 % 45,98 %

Virtuelle Trennung PersGes - Sondertarif (§ 34a) - max. (ohne Steuerentnahmen) 32,28 % (1)(4) 31,83 % 30,06 % (2) 15,92 %

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von deutlich mehr als 30 % zu erwägen sein und nimmt damit nur Beteiligungen an ertragstarken Personenunternehmen in den Blick. (3) Im Falle einer Ausschüttung ergibt sich für die Belastung mit dem ESt-­ Spitzensteuersatz eine annähernd gleich hohe Gesamtbelastung. Man könnte von partieller Rechtsformneutralität sprechen. Ob sich die Inanspruchnahme des Sondertarifs gem. § 34a EStG trotz der – im Vergleich zur Regelbesteuerung – um rd. 0,8  Prozentpunkte höheren Gesamtbelastung (einschl. Entnahme) empfiehlt, kann nach zutreffender Einschätzung der Bundesregierung nur anhand der aus der Steuerersparnis (d. h. Liquidität infolge der niedrigeren Thesaurierungsbesteuerung) erzielbaren Rendite und dem Verbleib des thesaurierten Gewinns im Unternehmen beurteilt werden.15 (4) Variiert man die Modellrechnung gemäß der Annahme, dass der Unternehmer/‌Mitunternehmer Teile des Gewinns zum Zwecke der Tilgung seiner durch den Betrieb induzierten Steuerschulden entnimmt, so unterliegen diese Beträge – ebenso wie die GewStG (s. o. zu (1)) – dem progressiven ESt-Tarif (zuzüglich Solidaritätszuschlag) und mindern damit den nach dem Sondertarif privilegierten „nicht entnommenen Gewinn“. Hierdurch erhöht sich die Ertragsteuerbelastung auf rund 38 %,16 obgleich der Nettogewinn im Unternehmen verbleibt.

1.2.3  Verfassungsrechtliches und Ökonomisches Jedenfalls nach der Rechtsprechung von BVerfG und BFH spricht alles dafür, dass die vorgenannten Regelungen – sieht man von hier nicht interessierenden Detailfragen ab – mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des GG im Einklang stehen. So enthält Art. 3 Abs. 1 GG weder ein Gebot der rechtsformneutralen Besteuerung17 noch steht unser Verfassungsrecht der Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG entgegen. Auch wenn die Vorschrift im Schrifttum zum Teil als rechtssystematisch wenig überzeugend gebrandmarkt wird, weil sie keine rechtsformneutrale Besteuerung gewährleiste, und im Übrigen als grob und – angesichts ihrer Schlichtheit – als einfach18 charakterisiert wird, lassen sich hieraus keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifel ableiten.19 Letzteres ist zugleich der grundsätzliche Befund zu § 34a EStG; insbesondere ist es dem Gesetzgeber unbenommen, die mit der Vorschrift angestrebte Annäherung der Ertragsteuerbelastung auf ertragstarke Personenunternehmen zu begrenzen.20

 Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10355, S. 2 f.  Vgl. zur exakten Berechnung z. B. Hübner, Die Besteuerung von Personengesellschaften (2018), S. 3. 17  BVerfG, Beschl. v. 24.03.2010 – 1 BvR 2130/09, FR 2000, 670. 18  Schön, StBg 2000, 1 (15 f.). 19  Schmidt/Wacker, § 35 EStG Rz. 7. 20  Siehe auch hierzu sowie zu Einzelfragen Schmidt/Wacker, § 34a EStG Rz. 12. 15 16

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Dies lässt indes unberührt, dass sich der Gesetzgeber in dem ihm vorgegebenen ver­ fassungsrechtlichen Rahmen für Lösungen entscheiden sollte, die den wirtschaftlichen Grundeinsichten möglichst zielgenau entsprechen und die Sachgesetzlichkeit der jeweiligen Regelungsmaterie hinreichend berücksichtigen. Dass es hierbei nicht nur um abstrakte – manchmal auch idealisierende – Strukturvorstellungen gehen kann, sondern auch die Erfordernisse der Praxis Berücksichtigung finden müssen, die sich dahin zusammenfassen lassen, dass die Rechtsregeln sich in einer Vielzahl von Fällen mit einem angemessenen Aufwand effizient und möglichst streitresistent bewältigen lassen, wurde bereits angemerkt und sollte keiner weiteren Begründung bedürfen

1.3  Das Optionsmodell – Weg 1 Unter dieser Vorgabe ein Blick auf den ersten Weg des erwähnten Impulspapiers zu einer strukturellen Reform des Unternehmensteuerrechts. Er besteht in der Option der Personenunternehmen, wie eine KapGes besteuert zu werden. Folge einer solchen Option wäre, dass die Personengesellschaft selbst und auch der Einzelunternehmer in eigener Person der KSt unterliegt. Die Idee ist nicht neu.21 Sie wurde – gestützt auf umfangreichere Vorarbeiten22 – mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom 15.  Februar 200023 erstmals in der Form eines konkreten Gesetzesvorschlags (§  4a  E-KStG) vorgestellt. Dies gebietet, den Blick zunächst zurückzuwenden. Dem Betrachter öffnet sich hiermit zugleich eine Geschichte des Scheiterns.

1.3.1  §  4a E-KStG der Fassung des Entwurfs zum Steuersenkungsgesetz 1.3.1.1  Inhalt des Entwurfs – eine Skizze Der Entwurf24 (im Folgenden auch: Entwurf eines Steuersenkungsgesetzes), zu dessen Zielen neben der „rechtsformneutralen Besteuerung“ und „gleichwertigen Entlastung von Personenunternehmen und KapGes“ auch die „Vereinfachung der  Zu einem historischen Rückblick s. Fraedrich (Fn. 9), S. 6 ff.  Vgl. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Administrierbarkeit der Modelle zur Unternehmensteuerreform bei Finanzverwaltung, Steuerpflichtigen und Steuerberatern (2000); Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung (1999). 23  Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 14/2683 (textidentisch mit dem Regierungsentwurf, BT-Drs. 14/3074). 24  Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung, BT-Drs. 14/2683, S. 77 f., 97 f., 120 ff. 21 22

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­ esteuerungssysteme“ gehörte, sah ein Optionsrecht für Einzelunternehmer und B Mitunternehmerschaften mit betrieblichen Einkünften (also einschl. Einkünfte aus LuF und selbstständiger Arbeit) vor, nach den Regeln einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige KapGes besteuert zu werden. Im Falle eines solchen unwiderruflich und bei Mitunternehmern einheitlich zu stellenden Antrags wurden nicht nur Personengesellschaften – ohne tatsächliche Umwandlung und damit trotz ihres zivilrechtlichen Fortbestands – als Kapitalgesellschaften behandelt, d. h. als KapGes fingiert (im Folgenden: fiktive KapGes, kurz: F-KapGes), sondern konsequenterweise auch die Gesellschafter der Personengesellschaft als fiktive Anteilseigner (F-­AE) den Inhabern von wirklichen KapGes-Anteilen gleichgestellt mit der Folge, dass entsprechend dem Trennungsprinzip neben die KSt auf die thesaurierten Gewinne im Ausschüttungsfall eine zweite abgemilderte Besteuerung hinzutreten sollte (heute: Abgeltungssteuer oder Teileinkünfteverfahren). Dementsprechend wäre auch beim Einzelunternehmen der Optionsbetrieb (Sondervermögen) als F-KapGes einzustufen und hiervon als Zuordnungsbereich für Ausschüttungen der F-KapGes sein sonstiges Vermögen zu unterscheiden gewesen. Trotz Trennung der Besteuerungsebenen sah der Entwurf die gesamtschuldnerische KSt-Haftung auch der Mitunternehmer mit der Begründung vor, dass die Durchsetzung der Steueransprüche auf der Stufe der F-KapGes nicht auf deren Vermögen beschränkt werden dürfe. Die Ausübung der Option ging zudem mit einer fiktiven Umwandlung (Umwandlung eigener Art) einher, die sich zwingend zu Buchwerten vollziehen sollte, und zwar – abweichend von den allgemeinen Grundsätzen des UmwStG – ungeachtet dessen, dass das bisherige Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers entweder in einem anderen Betriebsvermögen (z. B. im Rahmen einer Betriebsaufspaltung) fortzuführen war oder bei Übergang ins Privatvermögen die stillen Reserven zeitlich gestreckt über einen Zeitraum von zehn Jahren versteuert werden mussten. Nach dieser Reform wären nicht nur die Anteile an der F-KapGes auch für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht mehr als Mitunternehmeranteil, sondern als KapGes-Anteil anzusehen gewesen. Folge der Fiktion wäre ferner die Anerkennung von Leistungsbeziehungen zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft (Dienstleistungen, Vermietung, Darlehen etc.); sie hätten die F-­KapGes auch zur gewinnmindernden Bildung von Pensionsrückstellungen berechtigt, ohne dass dies zeitkongruent im Bereich des F-AE kompensiert worden wäre. Nicht fremdübliche Abreden hätten hingegen den Ansatz von vGA ausgelöst. Der Entwurf hat insoweit nicht nur auf die Rechtsprechung zu vGA bei Verstößen gegen den sog. formellen Fremdvergleich zurückgegriffen, sondern zudem gefordert, dass dem FA vor der tatsächlichen Durchführung des Leistungsvertrags eine hierzu getroffene schriftliche Abrede vorlegt werden müsse. Dies ist zwar vielfach auf Kritik gestoßen; jedoch dürfte diese Restriktion für Einzelunternehmen, die mit sich selbst bekanntlich keine Verträge schließen können und demgemäß das Verhältnis beider Besteuerungsstufen nur auf der Grundlage anzunehmender Vertragsbeziehungen (sog. dealings) regeln können, einen zumindest sachlich berechtigten Kern aufweisen.

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Ausführlich widmet sich der Entwurf dem Sonderaspekt, dass für die zivilrechtlich fortbestehende Personengesellschaft weiterhin personenbezogene Kapitalkonten geführt und diese häufig unterteilt (z. B. nach dem 2-Konten-Modell aufgeteilt in Beteiligungskapital und Darlehenskonto) würden, während die KapGes nur ein einheitliches Kapitalkonto kenne, das lediglich in Unterkonten (gezeichnetes Kapital, Kapitalrücklage, Gewinnrücklage, Gewinn/Verlust etc.) aufgegliedert werde. Da nach der Option die Personengesellschaft als KapGes fingiert werde, führe die Gewinngutschrift auf einem Kapitalkonto des Gesellschafters, über das er frei verfügen könne (also z. B. die Gutschrift auf seinem Darlehenskonto), zu einer Gewinnausschüttung, die – so wird man hinzufügen müssen – auch die Pflicht zum Einbehalt von KapESt auslöse. Der Gesetzentwurf weist weiterhin darauf hin, dass für steuerliche Zwecke ein einheitliches Kapitalkonto gebildet werden müsse, das aber die handelsrechtliche Behandlung (Gewinnverteilung, Kapitalkontenverzinsung) nicht berühre. U. U. – so der Entwurf beinahe sibyllinisch – könne es notwen­ dig sein, die gesellschaftsrechtlichen Regeln an die steuerlichen Wirkungen anzupassen. Die Personengesellschaft – so ein Schlagwort aus damaliger Zeit – müsse „optionsfähig gemacht werden“. Auffallend schließlich die Liberalität im Zusammenhang mit der Rückoption zur Einkommensbesteuerung. Sie war nach dem Entwurf an keine zeitliche Sperrfrist gebunden und konnte deshalb bereits nach Ablauf des ersten Options-­ Wirt­ schaftsjahres beantragt werden. Nach der Entwurfsbegründung sollte damit den „Prognoseschwierigkeiten über die künftige Ertragslage Rechnung getragen werden, die insbesondere bei kleineren Personenunternehmen vorkommen können.“25 1.3.1.2  Das Schicksal des Entwurfs Das Optionsmodell wurde im Vermittlungsverfahren zum Steuersenkungsgesetz „gestrichen“.26 Trotz des flammenden Plädoyers des damaligen Bundesfinanzminister Eichel bei den Beratungen des Bundesrats, der u. a. auf die Optionsmodelle in anderen Ländern (Frankreich, Spanien, USA), den Beratungsaufwand in Fällen einer tatsächlichen Umwandlung der PersGes in KapGes verwies und die Zielgerichtet­ heit des Optionsrechts für große Unternehmen sowie die enormen Steuerausfälle im Falle einer allgemeinen Tarifkappung ins Feld führte,27 scheiterte die Reform letztlich am Widerstand der Bundesländer. Deren Votum war nicht nur deutlich, es war vor allem wenig schmeichelhaft. Es liest sich wie eine Philippika. Beklagt w ­ urden von den Ministerpräsidenten28 die geringe Zahl der optionsgeeigneten Unterneh Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung, BT-Drs. 14/2683, S. 122. 26  Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drs. 14/3760, S. 7. 27  Bundesrat, Stenografischer Bericht der 752. Sitzung am 09.06.2000, S. 233 C ff. (insb. 237 B–238 A). 28  Bundesrat, Stenografischer Bericht der 752. Sitzung am 09.06.2000, S. 218 A ff. (Bernhard Vogel, Thüringen), 221 D ff. (Roland Koch, Hessen), 225 A ff. (Kurt Faltlhauser, Bayern), 227 C ff. (Peer Steinbrück, Nordrhein-Westfalen), 232 A (Gerhard Stratthaus, Baden-Württemberg). 25

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men (rd. 2 bis 5 %), der geringe Nutzen („keine lohnende Wahlmöglichkeit“), die geringe Akzeptanz, die enormen Personal- und Verwaltungsprobleme bei den Behörden („administrativ nicht umsetzbar“; in der Praxis ein „Monster“) sowie der hohe Aufwand für die steuerlichen Berater, der in jedem Einzelfall jährlich neu zu bewältigen sei und ein schwer überschaubares Risiko berge. 1.3.1.3  Würdigung aus heutiger Sicht Man wird hier verschiedene Aspekte auseinanderhalten müssen: 1.3.1.3.1  Modelloptimierungen Der damalige Entwurf ist sicherlich verbesserungsfähig und dies könnte auch dazu beitragen, der einen oder anderen Detailkritik die Spitze zu nehmen. In diesem Sinne wird man auch die jüngsten Positionspapiere des IDW verstehen müssen.29 1. So ließe sich erwägen, den Kreis der Optionsberechtigen auf Außenpersonengesellschaften zu beschränken, um die Besteuerung aufgrund fiktiver Rechtsbeziehungen (dealings; s. o.) auszuschließen. 2. Ebenso könnte erwogen werden, das Sonderbetriebsvermögen – auch ohne vorherige Übertragung in das Gesamthandsvermögen der PersGes – gleichfalls dem Optionsvermögen der F-KapGes zuzuschlagen und damit von vorneherein einer sofortigen Aufdeckung der stillen Reserven zu begegnen. 3. Vielleicht ließe sich Ähnliches auch für die nach §  15a EStG verrechenbaren Verlustanteile der MUer der PersGes annehmen, die nach den Vorstellungen des Entwurfs zum Steuersenkungsgesetz (s. o. Fn. 23) „untergehen“ sollten. 4. Ferner ist mit dem Optionsmodell entgegen der insoweit missverständlichen Begründung auch kein Untergang der Ergänzungsbilanzen zu verbinden; die Korrekturwerte sind vielmehr Teil des Buchwerts des mitunternehmerischen Vermögens und bestimmen damit im Bild der fiktiven Einbringung sowohl den Einbringungs- als auch den Beteiligungsansatz. 5. In einer aktualisierten Fassung des Optionsmodells würden sich sicherlich auch einige Detailfragen klären lassen, die sich aufgrund der rechtsträgerbezogenen Ausgestaltung des Wahlrechts zwangsläufig ergeben. So liegt es nahe, das Optionsrecht bei Konzernstrukturen jedem Rechtsträger eigenständig zu gewähren. In dieses Bild würde es ferner passen, die F-KapGes auch als Mitunternehmerin einer dem Transparenzprinzip unterliegenden Personengesellschaft anzusehen (z.  B.  F-KapGes & Co. KG). Als Grenzfall wird man hierbei schließlich die Frage ansehen müssen, ob der F-KapGes auch die Fähigkeit zuzusprechen ist, Organgesellschaft zu sein, obwohl sie keinen Gewinnabführungsvertrag i. S. v. § 291 AktG abschließen kann.

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 IDW, Positionspapier v. 25.08.2018; dass., Positionspapier v. 16.10.2018.

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6. Eine weitere Modellverbesserung wird man nicht zuletzt in der Einführung einer Sperrfrist für eine Rückoption sehen müssen, auch wenn hierdurch aufgrund des längeren Prognosezeitraums die Beratungssicherheit leiden könnte. Immerhin schlägt selbst das IDW eine siebenjährige Bindungsfrist vor. 1.3.1.3.2  Genetische Schwächen Auch wenn sich die Aufzählung sicherlich fortsetzen und sich hierdurch das Bild weiter aufhellen ließe, bleiben gravierende Modelleinwände: 1. Diese beginnen damit, dass sich die durch die Option ausgelöste (fiktive) Trennung der Besteuerungsebenen gegen die Grundentscheidung der transparenten Besteuerung der MUer eines Personenunternehmens stellt. Letzteres ist nicht weniger als ein tradiertes und im Kern bewährtes Fundament unseres Ertragsteuerrechts, das sich zwar nicht durchgängig auf das Kriterium der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit stützen kann, aber sachgerecht an der strukturellen Vergleichbarkeit von Einzelunternehmer und Mitunternehmer ausgerichtet ist. Auf der Grundlage des Transparenzprinzips werden beide als Unternehmensträger qualifiziert mit der Folge, dass sie in eigener Person die betrieblichen Gewinne und Verluste erzielen. Dies ist zugleich das Fundament sowohl für den personenbezogenen Verlustausgleich zwischen den verschiedenen transparenten betrieblichen und privaten Einkunftsquellen als auch für die vielfältigen Möglichkeiten gewinnneutraler Umstrukturierungen zwischen diesen (transparenten) Einkunftsquellen. Welche Wertschätzung die Praxis dieser Flexibilität entgegenbringt, zeigte die Vehemenz, mit der die Interessenvertreter der Unternehmen den „Kampf“ um die gesetzliche Reaktivierung des Mitunternehmererlasses in Gestalt des heutigen §  6 Abs.  5 EStG ausgefochten haben. Das alles muss nicht heißen, dass es keine bessere Welt geben könnte, aber auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit handelt es sich nicht nur, wie Wolfgang Schön zu Recht bemerkt hat, um ein „‚reifes‘ und […] stabiles System“.30 Vielmehr möchte es die Praxis – aus den genannten Gründen – nicht missen. 2. Option bedeutet mithin eine Abkehr von diesen Vorzügen, die F-KapGes begibt sich in ein Prokrustesbett, in dem die Verluste in der fingierten Sphäre der F-­KapGes eingeschlossen sind und das die Flexibilität gewinnneutraler Umstrukturierungen und – damit verknüpft – die Möglichkeit, auf veränderte Rahmenbedingungen des Unternehmens und/oder des Gesellschafterkreises ohne signifikante ertragsteuerrechtliche Begleitschäden reagieren zu können, erheblich behindert. 3. Angesichts dieses Befunds verbreitet auch der Hinweis, dass andere Rechtsordnungen ein Optionsrecht kennen, ein eher diffuses und fahles Licht. Ein tragfähiger Perspektivwechsel kann hieraus nur auf der Grundlage einer eingehenden 30

 Schön, StuW 2018, 201 (210).

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Analyse gewonnen werden, die notwendigerweise die jeweiligen Rahmenbedingungen des ausländischen Steuerrechts, die konkreten Antworten auf kritische Detailfragen des jeweiligen Modells sowie die Praxistauglichkeit und Vergleichbarkeit mit unserem Recht in den Blick zu nehmen hätte. Ich sehe nicht, dass dies bis heute mit hinreichender Gründlichkeit geleistet worden wäre. 4. Zurück zur konkreten Entscheidung zwischen Transparenz und optionaler Trennung. Die Vielzahl der hierbei zu berücksichtigenden und in ihren Aussagen nicht selten gegenläufigen Parameter sowie die Unsicherheit über die zukünftigen Entwicklungen auf Gesellschafts- und Gesellschafterebene lassen jedenfalls nicht durchgängig erwarten, dass im Kreis der Gesellschafter immer ein Konsens über Ausübung des Optionsrechts hergestellt werden kann. Deshalb kann es auch nicht überraschen, dass nach Bekanntwerden der Pläne zur Einführung des Optionsmodells im Jahre 2000 die Frage aufgeworfen worden ist, ob es hierfür – wie im Gesetzentwurf vorgesehen – aus Sicht des Gesellschaftsrechts mit Rücksicht auf die sog. Kernbereichslehre31 eines einstimmigen Gesellschafterbeschlusses bedarf oder ob auf der Grundlage einer entsprechenden Klausel des Gesellschaftsvertrags in Anlehnung an die Regelungen zum Formwechsel einer Personengesellschaft in eine KapGes (§ 217 UmwG) eine Dreiviertelmehrheit genügen könnte. Auch wenn man letzteren Standpunkt einnimmt, ist jedenfalls dem dissentierenden Gesellschafter ein Sonderkündigungsrecht gegen angemessene Barabfindung nach dem Ertragswert analog § 207 UmwG einzuräumen.32 5. Was das „Leben“ der F-KapGes selbst anbelangt, ist bereits angeklungen, dass die Optionsfolgen sich in nicht unwesentlichen Fragen im Querstand zum Gesellschaftsrecht befinden und schon deshalb zu nicht vernachlässigbaren Komplizierungen führen müssen.33 Hierfür ist insbesondere die Überführung der Kapitalkonten der Gesellschafter in das einheitliche Kapitalkonto der F-KapGes ein anschauliches Beispiel. Hiermit allerdings nicht genug: Das einheitliche Kapitalkonto muss zugleich die Grundlage für ein F-Einlagekonto analog §  27 KStG sein. Hieran wird zugleich deutlich, dass sämtliche Normen des Ertragsteuerrechts, die auf körperschaftsteuerpflichtige Rechtssubjekte abstellen, auf ihre Anpassung an die F-KapGes überprüft und ggf. geändert werden müssten. Darüber hinaus wird das Wahlrecht – im Vergleich zur Ausgangslage der transparenten Mitunternehmerbesteuerung – mit gravierenden gesellschafts­ vertraglichen Anpassungserfordernissen einhergehen. Letzteres betrifft nicht nur ­Vorsorgemaßnahmen gegen den Anfall von (v)GA durch Einschränkun­ gen der Gesellschafter-­Entnahmerechte. Hinzu kommt vor allem, dass überhöhte Leistungs- und Nutzungsentgelte ausnahmelos als vGA (i. V. m. dem Einbehalt von KapESt) eine Korrektur des Gewinn des F-KapGes auslösen; vor der Option, d.  h. im Rahmen der transparenten Mitunternehmerbesteue Dazu z. B. Baumbach/Hopt/Roth, § 119 HGB Rz. 35 ff.  Vgl. zu allem Seibt, DStR 2000, 825 m. w. N.; Priester, Wpg 2000, 70. 33  Gleicher Ansicht: Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10355, S. 9. 31 32

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rung, hätte es hingegen einer solchen Überprüfung der Leistungsbeziehungen anhand des Fremdvergleichs nur dann bedurft, wenn das überhöhte Entgelt die Gewinnverteilung oder den Tatbestand steuerrechtlicher Sonderbestimmungen (z. B. den Anfall verrechenbarer Verluste nach § 15a EStG) beeinflusst hätte. 6. Nimmt man das Gesagte zusammen, so kann einerseits kein Zweifel darüber bestehen, dass der hohe und zeitlich nur schwer zu begrenzende Beratungsaufwand zu den genetischen Fehlern des Optionsmodells gehört. Besonders stark muss hierbei neben der Bewältigung von Meinungsunterschieden im Gesellschafterkreis die hohe Prognoseunsicherheit veranschlagt werden. Andererseits kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Umstand, aufgrund einer schlichten Erklärung gegenüber der Finanzbehörde das Steuerregime wechseln und die Thesaurierungsbelastung signifikant senken zu können, bei manchen Gesellschaftern die Einsicht in eine sorgfältige Abwägung schwinden lässt. 7. Dem hohen Beratungsaufwand dürfte auf Seiten der Finanzbehörden ein vergleichbarer Verwaltungsmehraufwand entsprechen. Man braucht keine hellseherische Fähigkeit, um dies mit Forderungen nach einem Personalzuwachs zu verbinden. 8. Bei alldem ist die Behandlung grenzüberschreitender Sachverhalte noch nicht in den Blick genommen. Eine nicht selten geäußerte Diagnose zum Entwurf des Steuersenkungsgesetzes ging bekanntlich dahin, dass das Optionsmodell insoweit „unlösbare Probleme aufwerfe“.34 Das mag übertrieben sein. Klar ist jedoch, dass es keine Sicherheit darüber gibt, ob unsere DBA-Vertragsstaaten die Option zur Intransparenz nachvollziehen. Demgemäß erschöpft sich der durch ein Optionsmodell zugunsten der KSt-Besteuerung ausgelöste gesetzliche Anpassungsbedarf nicht nur in der Entscheidung über das Optionsrecht ausländischer Personengesellschaften  – auch solcher aus Nicht-EU/EWR Staaten35  – sowie einer hierdurch bedingten Anpassung des UmwStG.  Er setzt sich vielmehr bei den DBA-rechtlichen Fragen des Rechtstypenvergleichs und – wie nicht anders zu erwarten – positiver und negativer Qualifikationskonflikte sowie der hieran anknüpfenden Entstrickungsfragen fort. Veräußert – um ein leicht zu überschauendes Beispiel herauszugreifen – der in einem anderen DBA-Staat ansässige Gesellschafter der inländischen F-KapGes seinen Gesellschaftsanteil, so ginge aufgrund der Abkehr vom Transparenzprinzip das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik als Betriebsstättentaat gemäß einer Art. 13 Abs. 5 und 4 OECD-MA entsprechenden DBA-Verteilungsnorm (Ausnahme: Immobilienkapitalgesellschaft) verloren und wäre dem Ansässigkeitsstaat zugewiesen. ­Vollzieht dieser aber die Optionsqualifikation nicht nach und gewährt deshalb die abkommensrechtlich vereinbarte Freistellung, bleiben die Veräußerungseinkünfte – als sog. weiße Einkünfte – unbesteuert (negativer Qualifikationskonflikt). Kehrt man den Sachverhalt dahin um, dass die inländischen Gesellschafter der ausländischen

 Lauterbach, Ein neues Unternehmenssteuerrecht für Deutschland? (2008), S. 112 m. w. N.  Die Mutter-Tochter-Richtlinie (RL 2011/96/EU, ABl. L 345 v. 29.12.2011, 8) gilt nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a nur für Gesellschaften, die ohne Wahlmöglichkeit der KSt unterliegen.

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Personengesellschaft von ihrem36 Optionsrecht Gebrauch machen und unterstellt man auch hier, dass der andere DBA-Vertragsstaat an der transparenten Be­ steuerung der  – aus seiner Sicht ausländischen  – MUer nach Betriebsstättengrundsätzen festhält, so kommt es bei einer Anteilsveräußerung zur doppelten Besteuerung des nämlichen Gewinns (positiver Qualifikationskonflikt). Ob der im OECD-MA ab 2010 verankerte sog. new approach, d. h. die Qualifikationsverkettung nach Maßgabe der Beurteilung des Quellenstaats, in letzterem Sachverhalt Abhilfe schaffen kann, erscheint – jedenfalls aus deutscher Sicht – ausgeschlossen, nachdem der I. Senat des BFH37 einem solchen Abkommensverständnis eine Absage erteilt hat und nach seiner Ansicht anderes nur gelten kann, wenn eine solche Qualifikationsverkettung Eingang in den Abkommenstext selbst gefunden hat.38 Hiervon unabhängig dürfte jedenfalls kein Zweifel darüber bestehen, dass das Optionsmodell nicht nur Eingriffe in unilateralen Normen des deutschen Ertragstragrechts, sondern auch eine Vielzahl von – gründlich vorzubereitenden und rechtssicher auszugestaltenden  – DBA-­rechtlichen Anpassungen erfordert. Zudem ist kaum vorstellbar, dass dies in den Vertragsverhandlungen mit allen Vertragsstaaten Deutschlands39 mit vertretbarem Aufwand zu bewerkstelligen ist. Eine weitere Abkommensüberschreibung stünde mithin vor der Tür. Sie wäre mehr als ein Schönheitsfehler und deshalb in die Kategorie der genetischen Defizite einzureihen. 1.3.1.3.3  Partielle Zielverfehlung – Reichweite der Fiktion Nicht aus dem Blick sollte schließlich das Ziel des Reformansatzes geraten. Die Option will – wie erwähnt – der Idee einer rechtformunabhängigen Unternehmensbesteuerung zum Durchbruch verhelfen. M. a. W.: Die Rechtsform soll für die Besteuerung ein wettbewerbs- und entscheidungsneutraler Umstand sein.40 Jenseits der Frage, ob es wirklich geboten oder zumindest überzeugend ist, das Steuerrecht einem solchen Neutralitätspostulat zu unterwerfen  – andere Rechtsgebiete, wie bspw. das Mitbestimmungsrecht (s. §§ 1, 4 MitbestG), treten insoweit bekanntlich mit einem größeren Geltungsanspruch auf – oder ob es nicht mit Rücksicht auf die die jeweilige Rechtsform kennzeichnenden und begleitenden Rahmenbedingungen sinnvoll sein könnte, hier Abstufungen vorzunehmen, bleibt jedenfalls – wie bereits

36  Der Sachverhalt setzt selbstverständlich voraus, dass das Wahlrecht auch ausländischen Rechtsträgern geöffnet wird. Darüber hinaus bedarf es der Entscheidung, ob hierfür der Antrag der in Deutschland ansässigen Gesellschafter ausreicht (Dreiviertelmehrheit) oder auf sämtliche und damit auch im Ausland ansässige Gesellschafter abzustellen ist. 37  BFH, Urt. v. 11.07. 2018 – I R 44/16, DStR 2018, 2681. 38  S. dazu OECD-MA, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 (ansässige Person) und Art. 10 Abs. 3 Variante 3 (Dividenden). 39  Zum aktuellen Stand der DBA s. BMF, Schreiben v. 17.01.2019, IV B 2-S 1301/07/10017-10, 2019/0034103, BStBl. I 2019, 31. 40  Ausführlich Lauterbach (Fn. 34), S. 46 ff.

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angesprochen – festzuhalten, dass ein verfassungsrechtliches Gebot der rechtsformneutralen Besteuerung nicht besteht. Hinzu kommt vor allem die geringe Eignung des Optionsmodells, die Neutralitätsvorgabe einzulösen. Sie stellt gerade nicht die nämliche Belastung aller unternehmerischen Tätigkeiten sicher, sondern legt – programmgemäß – das Besteuerungsrecht in die Hand der Gesellschafter. Zugespitzt lässt sich formulieren: Es geht nicht um Steuerneutralität, sondern um eine Besteuerung à la carte. Nicht von ungefähr, ist die Option deshalb unter dem Blickwinkel des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in die Kritik geraten.41 In diesen Kontext wird man auch die Diskussion darüber stellen zu haben, ob die F-KapGes für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer gleichfalls wie eine KapGes zu behandeln ist. Die Frage hat mit Rücksicht auf die kaum nachvollziehbaren und m.  E. sachlich nicht zu rechtfertigenden erbschaftsteuerrechtlichen Privilegien deshalb besondere Bedeutung, weil Mitunternehmeranteile ohne Rücksicht auf die Beteiligungsquote des Mitunternehmers zum begünstigten Vermögen gehören, Kapitalgesellschaftsanteile hingegen im Grundsatz nur bei einer Betei­ ligungsquote von mehr 25  % (Ausnahmen: sog. Poolvereinbarung; Anteil gehört zum BV). Wie auch immer man zu einer erbschaftsteuerrechtlichen Gleichstellung von KapGes und F-KapGes steht,42 sicher ist der aktuelle Befund, dass einerseits auch das Erbschaftsteuerrecht kein Gebot der rechtsformunabhängigen Belastung kennt43 und es andererseits nicht in der Falllinie eines solchen Steuerneutralitätsgebots läge, an den Pforten des Erbschaftsteuerrechts halt zu machen.

1.4  R  eform der Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG – Weg 2 1.4.1  Aktuelle Rechtslage: Kernmerkmale und Zielsetzung Wie bereits erläutert, schlägt § 34a EStG – im Sinne eines dritten Besteuerungssystems – die Brücke zwischen dem für KapGes geltenden Trennungsprinzip und dem für Personengesellschaften geltenden Transparenzprinzip. Mit dem einheitlichen ESt-Sondertarif für nicht entnommene Gewinne (28,25  % zzgl. SolZ) und der

 Ausführlich Lauterbach (Fn. 34), S. 110 ff.  Der Entwurf zum Steuersenkungsgesetz (s. o. Fn. 23) ist auch in dieser Hinsicht für eine Gleichstellung eingetreten. Hierfür lässt sich mit der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/2683, 98) anführen, dass andernfalls der Anteil an einer KapGes schlechter gestellt wären als die Beteiligung an einer F-KapGes und hiergegen deshalb Bedenken bestünden, weil eine F-KapGes durch Umwandlung der ursprünglichen KapGes in eine PersGes i.V.m. der Option zugunsten der F-KapGes entstehen könnte. Demgegenüber soll nach dem IDW-Positionspapier (s. o. Fn. 29) die Fiktionswirkung auf die Ertragsteuern beschränkt bleiben. Das Impulspapier der CDU/CSU-Fraktion (s.  o.  Fn.  4) spricht sich zwar für eine „komplette rechtsformneutrale Besteuerung“ (S.  3) aus, schweigt aber zu erbschaftsteuerrechtlichen Fragen. 43  Fischer/Pahlke/Wachter/Wachter, § 13b ErbStG Rz. 130. 41 42

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gleichfalls linearen Nachversteuerung i. H. v. 25 % (SolZ) im Falle der Entnahme verfolgt der Gesetzgeber zwei Ziele: 1. Zum einen will er die ertragsteuerliche Belastung der von größeren und ertragsstarken Personengesellschaften erzielten Gewinne derjenigen von KapGes mit Rücksicht darauf annähern, dass beide auch auf ausländischen Märkten sowohl miteinander als auch mit ausländischen KapGes konkurrieren. 2. Zum anderen ist das ausdrückliche Ziel, die Eigenkapitalausstattung der Personenunternehmen sowohl im Hinblick auf ihre Investitionsfähigkeit als auch mit dem Ziel eines erhöhten Insolvenzschutzes in Krisenzeiten zu stärken.44 Die Gesetzesbegründung bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass § 34a EStG keine allgemeine Wirkung entfalten wird und die quantitativ bedeutsamere Gruppe kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) von anderen Vergünstigungen, wie z. B. der Investitionsabzugsbeträge und Sonderabschreibungen nach § 7g EStG, profitieren sollen.45 Neben dieser begrenzten Zielsetzung des §  34a EStG verdient das gleichfalls bereits angesprochene strukturelle Kernmerkmal der Vorschrift Beachtung. Die Norm durchbricht zwar – angesichts der starren Steuersätze – den Grundsatz der synthetischen Einkommensteuer. Insoweit lässt sich von einem virtuellen Trennungsprinzip sprechen. Die Begünstigung bleibt jedoch strukturell in die die ESt tragende Grundidee der Transparenz eingebunden. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass der Antrag nach § 34a EStG die Umstrukturierungsrechte des § 6 Abs. 5 EStG (Buchwerttransfers von Einzel-WG) sowie des § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG (Realteilung) unberührt lässt, sondern auch in besonderer Weise dann, wenn die thesaurierten Gewinne mit Verlusten aus anderen betrieblichen oder sonstigen Einkunftsquellen (d. h. horizontal oder vertikal) nach § 2 Abs. 3 EStG verrechnet werden. Da die Gewinne im Umfang dieser Verlustverrechnung keinen Eingang in das zu versteuernde Einkommen finden, können sie, obwohl im Unternehmen erwirtschaftet und dem Unternehmen nicht entnommen, nicht mehr nach § 34a Abs. 1 EStG begünstigt werden. Die Norm gehört m. a. W. zu den Tarifvorschriften des EStG; sie ist demgemäß auch nicht mit einer vollständigen Separierung von den anderen Einkunftsquellen des Steuerpflichtigen verbunden46 und lässt – so die zutreffende Einschätzung der Bundesregierung – die „Grundsystematik des Einkommensteuergesetzes“ unberührt.47 Hierzu gehört des Weiteren, dass das Antragsrecht für den Sondertarif auch bei Personengesellschaften nicht Gegenstand einer gemeinsamen Entscheidung aller Gesellschafter ist, sondern von jedem einkommensteuerpflichtigen Mitunternehmer (Gesellschafter) individuell ausgeübt werden kann.

 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BT-Drs. 16/4841, S. 30 ff; 62 ff.  Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BT-Drs. 16/4841, S. 31 f. 46  BFH, Urt. v. 20.0.3.2017 – X R 65/14, BStBl. II 2018, 958; Schmidt/Wacker, § 34a EStG Rz 36 m. w. N. Der Gesetzgeber ist insoweit dem Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats des Fachbereichs Steuern bei der Ernst& Young AG (BB 2005, 1653) zum sog. T-Modell nicht gefolgt. 47  Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10355, S. 8. 44 45

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Nach den Einkommensteuerstatistiken 2012 bis 2014 sowie den hierauf beruhenden Schätzungen der Bundesregierung wurden  – wie aus ihrer parlamentarischen Antwort vom 6. Dezember 2018 zu entnehmen48 – die Thesaurierungsbegünstigung in den genannten Jahren im Durchschnitt in rd. 6500 Fällen in Anspruch genommen.49 Hiermit verbunden ist ein jährliches Thesaurierungsvolumen von über 5 Mrd. Euro sowie jährliche Steuermindereinnahmen (Sondertarif i. V. m. späterer Nachversteuerung) in der Größenordnung von 0,8 bis 1,3 Mrd. Euro.

1.4.2  Modernisierungsvorschläge Das Anliegen des Impulspapiers der Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-­ Bundestagsfraktion vom Januar dieses Jahres, die Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG zu verbessern, greift – sieht man von dem zusätzlich Petitum zur Senkung des Thesaurierungssatzes ab – offenkundig auf Vorschläge des Landes NRW zurück, die bereits im Juni 2018 als Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht50 und dort am 6. Juli 2018 den zuständigen Ausschüssen zur Beratung mit der Erläuterung des Finanzministers Lienenkämper zugewiesen worden sind, dass sich „auch im Bereich des allgemeinen Unternehmenssteuerrechts [...] bei genauem Hinsehen durch wenige Anpassungen viel für das Innovationsklima in unserem Land bewirken [lasse].“51 Zwar geht auch der Bundesratsantrag – ganz im Sinne der Gesetzesbegründung – davon aus, dass die Thesaurierungsbegünstigung die rechtsformbedingten Nachteile von Personengesellschaften für nicht entnommene Gewinne ausgleiche sowie die Eigenkapitalbasis dieser Unternehmen stärke und sich dieses Konzept im Grundsatz bewährt habe. Gleichwohl bedürfe es der Modernisierung und zielgenaueren Ausrichtung. In der Zusammenschau von Impulspapier – nachfolgend zu 1) – und Bundesratsantrag – nachfolgend zu 2) bis 6) – führt dies zu nicht weniger als sechs Vorschlägen: 1. Da der Anwendungsbereich von §  34a EStG auf Unternehmer beschränkt bliebe, die sich nachhaltig im Spitzensteuersatz bewegten und die Thesaurierungsbegünstigung langjährig in Anspruch nehmen,52 würde nach dem Impulspapier eine Absenkung des Thesaurierungssatzes für eine größere Zahl von Personenunternehmen Belastungsneutralität gegenüber thesaurierenden KapGes herstellen.

 Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 19/6308, S. 7 ff.  Zur Beraterpraxis s. Brähler/Guttzeit/Scholz, StuW 2012, 119: geringe Verbreitung. 50  Entschließungsantrag „Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“, BR-Drs. 310/18. 51  Bundesrat, Stenografischer Bericht der 969. Sitzung am 06.07.2018, S. 223 B. 52  Das Impulspapier (Fn. 4) spricht von „0,09 % der“ nicht näher erläuterten „potenziellen Nutzer“ (S. 7). 48 49

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2. Mit dem nämlichen Ziel – Öffnung des § 34a für KMU, die häufig geringeren Grenzsteuersätzen unterlägen und mit kaum prognostizierbaren (volatilen) Gewinnentwicklungen konfrontiert seien – schlägt NRW vor, die Nachsteuer nicht mit einem starren Satz (25 % zzgl. SolZ), sondern nach dem individuellen Steuersatz i. V. m. dem Teileinkünfteverfahren zu erheben. 3. Die auf den Begünstigungsbetrag entfallenden Ertragsteuern – gemeint also Gewerbesteuer und Einkommensteuer – sollen in den Begünstigungsbetrag einbezogen und die Nachversteuerung bei einer späteren Entnahme angepasst werden. 4. Befinden sich im Unternehmen neben sondertarifierten Gewinnen auch sog. regelbesteuerte Altrücklagen, so sei eine steuerneutrale Entnahme dieser Altrücklagen nach der gesetzlichen Verwendungsreihenfolge erst dann eröffnet, wenn zuvor die begünstigten Gewinnanteile entnommen und damit nachversteuert werden. Da in der Praxis deshalb oftmals die Altrücklagen vor erstmaliger Bildung der Thesaurierungsrücklage aus dem Betrieb entzogen worden seien und hierdurch das Ziel der Eigenkapitalstärkung konterkariert werde, solle zur Abmilderung dieses Problems ein Entnahmevolumen festgelegt werden, bis zu dem ein direkter Zugriff auf die Altrücklagen auch während der Anwendung der Thesaurierungsbegünstigung gestattet werde. 5. Da nach aktueller Rechtslage die Einbringung des Personenunternehmens in eine KapGes die Nachversteuerung der thesaurierten Gewinne auslöse und hieraus ein Umstrukturierungshindernis erwachse, solle der nachversteuerungspflichtige Betrag kraft gesetzlicher Anwendung auf die übernehmende Kapitalgesellschaft übergehen und dort den ausschüttbaren Gewinn i. S. d. § 27 KStG erhöhen. 6. Schließlich sei es geboten, die verfahrensrechtlichen Regelungen zu entschlacken und die Feststellungen nach §  34a Abs.  10 EStG (z.  B. zur Höhe von Einlagen und Entnahmen) nicht in einem gesonderten Verfahren zu treffen, sondern in das allgemeine Verfahren zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung einzubeziehen.

1.4.3  Würdigung Die Vorschläge sind – ebenso wie das Petitum zur Einführung des Optionsmodells – keineswegs neu.53 Sie haben nach meiner Einschätzung nicht an Attraktivität gewonnen und können, um das Gesamtergebnis vorwegzunehmen, deshalb nur zu einem geringen Teil befürwortet werden. 1. Der Vorschlag, den Thesaurierungssatz zu senken, kann auf verschiedenen Ebene diskutiert werden. Eine signifikante Senkung des Sondertarifs wird sicherlich eine größere Anzahl von Personenunternehmern dazu veranlassen, über die Inanspruchnahme von §  34a EStG nachzudenken. Hierbei wird aber auch zu berücksichtigen sein, dass die Thesaurierungsbegünstigung von dem durch die Thesaurierung 53

 Vgl. insbesondere Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10355.

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vermittelten Liquiditätsvorteil lebt und gerade dieses Kalkül bei der von NRW angenommenen volatilen Entwicklung der Gewinne von KMU im Falle unvorhersehbarer Entnahmen in sein Gegenteil verkehrt wird, da dann an die Stelle des – annahmegemäß bei KMU niedrigeren – Regelgrenzsteuersatzes der (ggf. abgesenkte) starre Sondertarif sowie der ebenfalls starre Nachsteuersatz tritt. Dass in der Beratung nicht selten empfohlene Gegenmittel, die Entnahme durch ein Darlehen der Personengesellschaft an ihre Gesellschafter zu ersetzen, mag in der Praxis als probat angesehen werden. Als Leitlinie einer normativen Strukturentscheidung kann ein solcher „Kunstgriff“ jedoch nicht taugen. Im Übrigen sollten Überlegungen zu einer Strukturreform nicht bei der Feineinstellung des Tarifs, sondern – jedenfalls soweit es um Steuerbegünstigungen geht – bei der Zielsetzung der jeweiligen Maßnahme beginnen. Geht man hierbei – m. E. durchaus plausibel – von der Vorgabe des Gesetzgebers aus, die Ertragsteuerbelastung für thesaurierte Gewinne von Personenunternehmen dem Besteuerungsniveau derjenigen KapGes anzugleichen, mit denen die Personenunternehmen auch und vor allem auf ausländischen Märkten im Wettbewerb stehen, so gibt es keinen Grund, den Sondersteuersatz abzusenken. Zu Recht weist die Bundesregierung in ihrer parlamentarischen Antwort vom 6. Dezember 2018 darauf hin, dass mit Rücksicht auf diese Zielgruppe, die KMU gerade nicht umfasse, die tatsächlich erreichte Fallzahl (rd. 7000) und das Thesaurierungsvolumen (rd. 5 Mrd. Euro p. a.) nicht gering sei.54 Ein Weiteres kommt m. E. hinzu: § 34a EStG ist – im trialistischen System – Sonder-, d.  h. Brückenrecht. Ungeachtet dessen, ob es sinnvoll ist, an dieser Sonderbestimmung festzuhalten, gibt es m. E. jedenfalls – nicht zuletzt angesichts der mit jeder Ausnahmebestimmungen zwangsläufig einhergehenden Komplizierungen  – keinen durchgreifenden Grund, das quantitative Gewicht dieses Brückenrechts im Gesamtsystem der deutschen Unternehmensbesteuerung zu stärken. M. a. W.: Es sollte – wenn überhaupt – ein Solitär mit exakter Zielvorgabe und hoher Zieleignung sein. Und schließlich und nicht zuletzt: Nimmt man die eingangs genannten He­ rausforderungen des internationalen Steuerwettbewerbs ernst und leitet hieraus einen steuerpolitischen Handlungsbedarf Deutschlands ab, so sollte – schon im Hinblick auf seine Signalwirkung für ausländische Investoren  – nicht das Nischenrecht des §  34a EStG gestärkt, sondern die Ertragsteuerbelastung der Kapitalgesellschaften in den Blick genommen werden. 2. Die zuletzt genannten Bedenken richten sich gleichermaßen gegen den Vorschlag, § 34a EStG für KMU dadurch zu öffnen, dass die Nachsteuer auf den entnommenen Gewinn nicht mit einem starren Tarif (25 % zzgl. SolZ), sondern nach dem individuellen ESt-Satz des Unternehmers erhoben wird.55  Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 19/6308, S. 9.  Alternativ wurde in der Diskussion auch erwogen, die entrichtete Thesaurierungsbelastung auf die ESt auf den der Nachversteuerung unterliegenden Gewinn anzurechnen. Die Bundesregierung hat dies mit Rücksicht auf anfängliche Steuerausfälle in Milliardenhöhe zurückgewiesen (siehe Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10355, S. 8).

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Hinzu tritt, dass der Effekt einer solchen Maßnahme vor allem darin bestehen wird, die Gesamtbelastung der ausgeschütteten Gewinne im Vergleich von KapGes und Personenunternehmen anzunähern. Ob hiermit aber die gewünschte sub­ stanzielle Ausweitung des Adressatenkreises der Norm einhergehen wird, erscheint vor allem deshalb fraglich, weil die Nachsteuer nach dem individuellen Steuersatz nichts an der starren Thesaurierungsbelastung ändern wird und deshalb kaum vorstellbar ist, dass die nominelle Gesamtbelastung des Personenunternehmers (Thesaurierungsbesteuerung und individuelle Nachsteuer) unter diejenige im Falle seiner Regelbesteuerung fällt. M. a. W.: auch bei geringerem individuellen ESt-Satz wird die Entscheidung für den Sondertarif durch den Liquiditätsvorteil und damit den Thesaurierungszeitraum getragen. Dass diese Abwägung im Falle niedrigerer Erträge und dem damit typischerweise verbundenen höheren Entnahmerisiko unter besonderen Unsicherheiten steht, die zudem Gegenstand einer qualifizierten Beratung des Steuerpflichtigen sein müssen, wurde bereits angesprochen. Im Übrigen wird man eine Besteuerung nach dem individuellen Steuersatz des Entnahmejahres auch unter strukturellen Gesichtspunkten dem Gesetzgeber nicht nahelegen könne. Abgesehen davon, dass der Systembruch der aperiodischen Zuordnung bereits erzielter Gewinne hierdurch verstärkt würde, ist anzunehmen, dass die Personenunternehmer auf eine solche Rechtsregel gezielt reagieren und die zunächst thesaurierten Gewinne in Jahren entnehmen werden, in denen sie ansonsten keine nennenswerte Einkünfte erzielen, um hierdurch eine möglichst geringe Nachsteuer zu erreichen.56 Auch dies kann nicht Ziel eines praxistauglichen Reformkonzepts sein. 3. Der Vorschlag, die Ertragsteuern in den nicht entnommenen Gewinn einzubeziehen und damit die hierfür verwendeten Gewinnanteile dem Sondertarif zu unterwerfen, stößt allgemein auf die Schwierigkeit, dass hiermit die Grundkonzeption der Vorschrift, nämlich nur die im Unternehmen belassenen und für betriebliche Zwecke verwendbaren Erträge zu privilegieren, verletzt wird. Der Verstoß ist im Hinblick auf eine etwaige Begünstigung der für Einkommensteuerzwecke entnommenen Gewinnanteile deshalb als schwerwiegend zu erachten, weil § 34a EStG – wie erläutert – in das Transparenzprinzip des Einkommensteuerrechts und damit in die Trennung von Einkunfts- und Privatsphäre eingebunden ist. Deshalb wird man auch in der Regelung des § 34a Abs. 4 Satz 3 EStG, nach der Entnahmen zur Tilgung bestimmter Erbschaft- und Schenkungsteuerschulden den Nachversteuerungsbetrag nicht mindern,57 eine nur punktuelle und nicht beliebig extrapolierbare Ausnahmebestimmung sehen müssen.58 Was die  Ebenso bereits Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10355, S. 7 f.  Vgl. zur umstrittenen Deutung dieser Bestimmung Schmidt/Wacker, § 34a EStG Rz. 65; Kirchhof/Reiß, § 34a EStG Rz. 74. 58  Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10355, S. 6. Die Bundesregierung weist zudem darauf hin, dass bei von ihren Gesellschaftern geführten Kapitalgesellschaften der der KSt unterliegende Gewinn um das Geschäftsführergehalt gekürzt wird und dieses beim Gesellschafter nach seinem individuellen ESt-Satz zu versteuern ist. Dem ist insoweit beizupflichten, dass die nämliche Situation sich im Hinblick auf das im Sonderbetriebsvermögen zu erfassende und anschließend entnommene Geschäftsführergehalt des MUers einstellt. 56 57

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Begünstigung der für Zwecke der Gewerbesteuer verwendeten Gewinnanteile anbelangt, ist die Situation zwar insoweit anders, als die Privatsphäre der Mitunternehmer nicht berührt wird, weil es sich bei der Gewerbesteuer – trotz des Abzugsverbots des §  4 Abs.  5b EStG  – um betrieblich veranlassten Aufwand handelt. Jedoch lässt auch dies unberührt, dass die für die Begleichung der Gewerbesteuer benötigten Mittel dem Betrieb entzogen werden.59 Zudem würde eine solche Gesetzeskorrektur  – wiederum über die Sonderbestimmung des § 34a Abs. 4 Satz 3 EStG hinausgehend – den Charakter einer Dauerregelung annehmen. 4. Dem Vorschlag, im Falle der Entnahme aus dem Personenunternehmen, die Nachsteuer durch einen Direktzugriff auf nicht begünstigte und im Unternehmen thesaurierte Gewinne (sog. Alt-Rücklagen) abzumildern, lässt sich zwar allgemein entgegenhalten, dass gerade dieser Lock-in-Effekt dem Ziel des § 34a EStG entspreche, das EK zu stärken.60 M. a. W.: Die gesetzliche vorgegebene Verwendungsreihenfolge will verhindern, dass im Unternehmen belassene regelbesteuerte Gewinne durch sondertarifierte Gewinne ersetzt werden, ohne die EK-Basis zu stärken. Allerdings reicht der Einschlusseffekt weiter: Er erfasst auch Altkapital vor der erstmaligen Inanspruchnahme des Sondertarifs – ungeachtet dessen, ob aus steuerpflichtigen Gewinnen, aus steuerfreien Gewinnen (z. B. Auslandsgewinne) oder aus Einlagen gebildet – ebenso wie regelbesteuerte Gewinne und Einlagen, die nach Inanspruchnahme des § 34a EStG nicht im Jahr des Anfalls/der Zuführung dem Unternehmen entnommen werden.61 Ob sich aber aus diesem Befund wirklich ein dringender Reformbedarf ableiten lässt, erscheint alles andere als zweifelsfrei. Abgesehen davon, dass das Gesetz in § 34a Abs. 5 EStG die Möglichkeit vorsieht, im Falle es WG-Transfers zu Buchwerten den nachversteuerungspflichtigen Betrag auf einen anderen Betrieb oder Mitunternehmeranteil zu übertragen, sind vor allem die erheblichen Komplizierungen in den Blick zu nehmen, die mit einem Zugriffsrecht der Gesellschafter auf nicht begünstigte Kapitalanteile einhergehen. Erforderlich hierfür wären die rechnerische Aufteilung des EK (d. h. die Bildung von EK-Töpfen) sowie gesetzliche Regeln zu den Verrechnungsoptionen. Zudem wird der Gesetzgeber einem Zugriffsrecht nicht nur quantitative Grenzen setzen, sondern auch Restriktionen mit dem Ziel errichten müssen, „missbräuchlichen“ Inanspruchnahmen dieses Rechts – was auch immer man hierunter in dem vorliegenden Kontext versteht – zu begegnen. Ein Vorgeschmack auf die Anforderungen, die an ein solches Regelwerk zu stellen sind, gibt der Jahresbericht 2016 des Landesrechnungshofs NRW,62 nach dem die Hauptfehlerquellen in der praktischen Handhabung des  Gleicher Ansicht: Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10355, S. 5.  In diesem Sinne Antwort der Bundesregierung, BT-Drs. 17/10355, S. 9. 61  S. im Einzelnen Schmidt/Wacker, § 34a EStG Rz. 63; Kirchhof/Reiß, § 34a EStG Rz. 70 f. 62  Landesrechnungshof NRW, Jahresbericht 2016, S. 198 ff. 59 60

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§  34a EStG neben der Ermittlung des Begünstigungsbetrags vor allem bei der Erhebung der Nachsteuer und der Feststellung des nachsteuerpflichtigen Betrags liegen. Hinzu tritt, dass – so ist zu hören – die Gestaltungsberatung nicht nur verschiedene Wege gefunden hat, die aufgezeigten Gravamina abzumildern und die Personengesellschaft für die Sondertarifierung ihrer Gesellschafter zu ertüchti­ gen. Hierzu gehören neben der Entnahme des EK vor erstmaliger In­ anspruchnahme des §  34a EStG die bereits erwähnten darlehensweisen Kapitalüberlassung an die Gesellschafter oder an Schwesterpersonen- oder Schwesterkapitalgesellschaften sowie die Aufteilung der Tätigkeiten eines Konzerns auf verschiedene Rechtsträger. Berichtet wird in diesem Zusammenhang ferner von heterogenen Konzernstrukturen, die einen Rückgriff auf den Sondertarif erübrigen. Eine solche Struktur kann bspw. darin bestehen, dass die Personengesellschaft an operativ tätigen KapGes beteiligt ist und diese ihre Gewinne entsprechend den Entnahmebedürfnissen der Personengesellschafter an die Personengesellschaft ausschütten. Ähnliche Effekte werden sich erzielen lassen, wenn die KapGes an der Personengesellschaft als MUerin beteiligt ist; deren Gewinnanteile unterliegen dann – wie erläutert – nicht dem Regime des § 34a EStG, sondern der Körperschaftsteuer i. H. v. 15 %. 5. Der Vorschlag, die Einbringung des Personenunternehmens in eine KapGes entgegen der bisherigen Rechtslage (§ 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EStG) dadurch zu erleichtern, dass der nachversteuerungspflichtige Betrag auf die übernehmende Kapitalgesellschaft übergeht und deren ausschüttbaren Gewinn (§  27  KStG) erhöht, lässt unerwähnt, dass bereits nach aktueller Rechtslage (§ 34a Abs. 6 Satz 2 EStG) die Nachsteuer auf 10 Jahre zinslos gestundet werden kann und deshalb Anlass besteht, die Frage, ob wirklich – bspw. mit Blick auf das bisher akkumulierte Nachversteuerungspotenzial – ein Bedürfnis für weitergehende Maßnahmen des Übergangsschutzes besteht, gründlich zu prüfen. Hinzu kommt, dass auch im Rahmen eines solchen Konzepts sichergestellt bleiben muss, dass die Nachsteuer sowohl im Falle der Ausschüttung als auch bei Veräußerung erhoben wird. Bezogen auf den Veräußerungsfall wird sich dies  – will man sich nicht mit einer rückwirkenden Erfassung analog §  22  UmwStG begnügen  – nur durch eine Minderung der AK gem. § 20 Abs. 3 UmwStG und damit nur unter Durchbrechung der materiell-rechtlichen Verknüpfung von tatsächlichem Einbringungswert (einschl. nach § 34a EStG begünstigtem EK) und Anschaffungskosten (sog. materielle Bindung) erreichen lassen. Zudem wird bei ausländischen Anteilseignern mit Ansässigkeit in einem DBA-Staat insoweit eine Abkommensüberschreibung im Hinblick auf Art. 13 Abs. 5 OECD-MA entsprechenden Abkommensbestimmungen in den Blick genommen werden müssen. 6. Der Anregung, die verfahrensrechtlichen Regelungen zu vereinfachen und die Feststellungen der für § 34a Abs. 10 EStG (z. B. zur Höhe von Einlagen und Entnahmen) möglichst in das allgemeine Verfahren zur gesonderten und (ggf.)

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einheitlichen Gewinnfeststellung einzubeziehen, ist beizupflichten. Da eine solche Korrektur aber nicht zentraler Baustein einer Rechtsreform sein kann, sondern in die Rubrik der laufenden Normpflege fällt, darf ich auf meine Ausführungen hierzu an anderer Stelle verweisen.63

1.5  E  rleichterung der gewinnneutralen Umwandlung – Weg 3 1.5.1  L  ockerung der qualitativen Anforderungen für eine Buchwerteinbringung Angesicht des vorstehenden Befunds, d. h. der offenkundigen Schwächen des Optionsmodells sowie den m. E. nicht überzeugenden Reformvorschlägen zu § 34a EStG, ist es naheliegend, einen dritten Weg ins Auge zu fassen. Gemeint ist hiermit, die Voraussetzungen für eine steuerneutrale Umwandlung von Unternehmen, die bisher als Personenunternehmen (Personengesellschaften oder Einzelunternehmen) geführt werden, in die Rechtsform der Kapitalgesellschaft abzuschwächen. Der Vorschlag bedingt eine tatbestandliche Korrektur des Einbringungstatbestands des § 20 UmwStG und erfasst auch den Formwechsel von einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft (§ 25 UmwStG). Kern der Erleichterung sollte der durch eine Gesetzesänderung abgesicherte und auf die Fortführung der bisherigen Buchwerte beschränkte Übergang von den bisherigen gegenständlichen Anforderungen, d. h. der begünstigten Einbringung strukturierter unternehmerischer Einheiten (Betriebe, Teilbetriebe, Mitunternehmeranteile), hin zu einem tätigkeitsbezogenen Verständnis sein. Jenseits der Grundsatzfrage, ob hiermit ein Änderung des ­Betriebsbegriffs einherginge, hätte eine solche Gesetzeskorrektur jedenfalls zur Folge, dass der Rückbehalt auch wesentlicher Betriebsgrundlagen – z. B. von Grundstücken, sei es im Gesamthands-, sei es im Sonderbetriebsvermögen – einer Buchwerteinbringung des verbleibenden Betriebsvermögens unter der Voraussetzung nicht mehr entgegenstünde, dass das eingebrachte Betriebsvermögen die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit erlaubt. Es liegt auf der Hand, dass hierdurch nicht nur das Streitpotenzial über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Buchwerteinbringung sowie zum Verhältnis von nationalem und EU-Recht gemindert würden; eine solche Sichtweise könnte darüber hinaus für sich in Anspruch nehmen, den Anforderungen einer dynamischen Wirtschaft und den hierdurch bedingten Anpassungsnotwendigkeiten besser zu entsprechen.

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 Vgl. im Einzelnen Schmidt/Wacker, § 34a EStG Rz. 99 m. w. N.

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1.5.2  Einwände Gegen den Vorschlag könnte eingewendet werden, dass er den Grundsatz der personenbezogenen Zuordnung stiller Reserven betrieblicher Wirtschaftsgüter (Subjektprinzip) durchbricht. Abgesehen davon, dass der Einwand nur in qualitativer Hinsicht (d. h. bezüglich der Grundvoraussetzungen des Buchwerttransfers) verfängt, in quantitativer Sicht aber unberücksichtigt lässt, dass die stillen Reserven der zurückbehaltenen WG nicht auf die KapGes übergehen, würde Weg 3 kein neues Kapitel unseres Ertragsteuerrechts aufschlagen, sondern lediglich einem bereits vorhandenen und keineswegs einheitlichen Gesetzesbild einen weiteren Mosaikstein hinzufügen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang vor allem an die vielfältigen Optionen des Buchwerttransfers i.  R.  v. §  6 Abs.  5 EStG und hierbei  – besonders signifikant – an den kompletten Übergang stiller Reserven zwischen den Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 EStG). Hinzu kommt, dass eine Lockerung der Anforderungen an eine Buchwerteinbringung sich insofern in die Falllinie der allgemeinen Zwecksetzung des UmwStG begibt, als dessen Regelungen insgesamt darauf zielen, die Fortsetzung der bisherigen unternehmerischen Tätigkeit in einem anderen Rechtskleid nicht mit dem Gravamen der Versteuerung stiller Reserven zu belasten.

1.5.3  Vorzüge Hiervon ausgehend wird man die Vorzüge einer solche Reform deutlich in den Blick nehmen müssen. Dies umfassen vor allem: • Weg 3 entfaltet einen „tatsächlichen Anreiz“ zur Unternehmensumwandlung und fügt sich damit nahtlos in das unser Ertragsteuerrecht kennzeichnende Konzept der rechtsformgebundenen Besteuerung ein. • Zu seinen systemgerechten Folgen des Ansatzes gehört auch, dass er nicht nur Mitunternehmerschaften und deren Gesellschafter, sondern auch Einzelunternehmer begünstigt. • Die mit dem Optionsmodell (Weg 1) verbundene Fiktion einer steuerrechtlichen Unternehmensumwandlung würde vermieden. Vermieden würden insbesondere die aufgezeigten genetischen Schwächen des Optionsansatzes, zu denen nicht zuletzt das komplizierte Nebeneinander zweier Rechtsregime sowie der erhebliche gesetzliche Anpassungsbedarf bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu rechnen sind. • Weg 3 führt weiterhin – ohne dass dies der Ausgangspunkt meiner Erwägungen gewesen wäre – zu einem Gleichklang mit der Rechtsprechung des IV. Senats des BFH, nach der im Rahmen von § 6 Abs. 3 EStG – also der unentgeltlichen Übertragung betrieblicher Einheiten  – nunmehr ebenfalls von einer

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tätigkeitsbezogenen Betrachtung auszugehen ist.64 Da keinerlei Anhalt dafür besteht, dass der BFH von dieser Sicht abrücken wird, würde die hier vorgeschlagene Reform die Möglichkeit eröffnen, verwandte Regelungsbereiche (§  6  Abs.  3 EStG einerseits und Buchwerteinbringung nach den §§  20  ff. UmwStG) tatbestandlich zu harmonisieren und auf eine einheitliche systematische Grundlage zu stellen. Allerdings sollte der Gesetzgeber nicht versäumen, bei dieser Gelegenheit die „Unebenheiten“ der neueren Rechtsprechung zu bereinigen und im Einklang mit der Grundidee liberalisierter Einbringungsvoraussetzungen unmissverständlich anordnen, dass – abweichend von der aktuellen Rechtslage – auch die zeitgleiche Entnahme des nicht eingebrachten Betriebsvermögens einer Buchwertfortführung des eingebrachten oder unentgeltlich übertragenen BV nicht entgegensteht.65 • Einen weiteren – und m. E. ganz entschiedenen – Vorzug des erleichterten Wechsels in das intransparente Besteuerungsregime der Kapitalgesellschaften wird man darin sehen müssen, dass die Diskussion um einen etwaigen Anpassungsbedarf des deutschen Ertragsteuerrechts an die Steuerreformen in anderen Ländern (z. B. USA) auf die (deutsche) Besteuerung der Kapitalgesellschaften konzentriert werden könnte. • In Letzterem könnten zugleich der Ansatzpunkt dafür gesehen werden, das Sonderrecht des § 34a EStG auslaufen zu lassen und damit zum traditionellen Dualismus des deutschen Rechts der Unternehmensbesteuerung zurückzukehren. Auch in einem solchen Szenario bliebe allerdings für eine Übergangszeitpunkt das Schicksal des nachversteuerungspflichtigen Betrags zu beantworten. Es ist – wie zur Umwandlung von Personenunternehmen in Kapitalgesellschaften erläutert – zu bewältigen (s. o. 1.4.3, Ziffer 5) und kann auch mit Rücksicht auf die begrenzte Fallzahl kein Hindernis für eine strukturelle Reform des Umwandlungssteuerrechts sein.

1.5.4  Ergänzungen Wie aus dem Vorstehenden ersichtlich, steht die Frage nach dem Schicksal des Sonderbetriebsvermögens der Gesellschafter nicht im konzeptionellen Zentrum von Weg 3. Allerdings fällt er in dieser Hinsicht auch nicht hinter Weg 1 zurück. Im Gegenteil: Das  – wenn man es überhaupt so bezeichnen sollte  – „Problem“ des Sonderbetriebsvermögens wird eingebettet in die ganz allgemeine Frage der fortdauernden steuerrechtlichen Verstrickung von Wirtschaftsgütern, die einerseits bisher zur eingebrachten betrieblichen Einheit gehört haben, andererseits aber im Zuge der Unternehmensumwandlung zurückbehalten werden sollen. Hierzu ist zu  BFH, Urt. v. 02.08.2012 – IV R 41/11, BFHE 238, 135.  Vgl. Anmerkungen Wacker, DStR 2018, 1019 und Wendt, FR 2018, 513 zu BFH, Urt. v. 29.11.2017  – I R 7/16, BFHE 260, 334 betreffend Einbringung unter schädlichem Rückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlagen. 64 65

1  Aktuelle Überlegungen zur Unternehmenssteuerreform – Aspekte aus …

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bemerken, dass die Beteiligten regelmäßig Wege finden werden, deren fortdauernde Steuerverhaftung sicherzustellen (z.  B.  Betriebsaufspaltung, Einbringung in gewerblich geprägte Personengesellschaft). Wenn hiernach überhaupt noch erforderlich, könnte erwogen werden, die Besteuerung der stillen Reserven der ins Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter zeitlich zu strecken. Eine Lockerung der Voraussetzungen für die Buchwerteinbringung und -umwandlung von Personenunternehmen in KapGes lässt selbstverständlich – ganz im Sinne der insoweit einheitlichen Sicht von Verwaltung und Rechtsprechung  – die gegenständlichen Anforderungen bei der Frage unberührt, ob Veräußerungs- oder Einbringungsgewinn der Tarifermäßigung des §  34 EStG unterfallen. Unberührt bleibt damit insbesondere die zeitraumbezogene Prüfung, ob vor der Veräußerung oder Einbringung der übertragenen wirtschaftlichen Einheit qualitativ oder quantitativ wesentliche Betriebsgrundlagen durch Buchwerttransfers entzogen worden sind. Ein letzter Aspekt sei zum Abschluss angesprochen: Reduzierte Anforderungen an eine Buchwerteinbringung werden über kurz oder lang in die Frage münden, ob hierdurch nicht weiterer Anpassungsbedarf innerhalb des UmwStG66 ausgelöst wird. Abgesehen von der selbstverständlichen Angleichung des §  24 UmwStG könnten solche Anpassungen neben der personellen Reichweite des Gesetzes (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 UmwStG) insbesondere die gegenständlichen Spaltungsvoraussetzungen des § 15 UmwStG betreffen. Indes: Es spricht nichts dagegen, unser Unternehmenssteuerrecht in der vorgeschlagenen Weise strukturell zu ändern sowie die hierfür erforderlichen Gesetzeskorrekturen auf ihre Tauglichkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu überprüfen und erst dann zu entscheiden, ob das UmwStG mehr als einer nur punktuellen Reform bedarf.

1.6  Fazit 1. Die Idee des Optionsmodells sollte nicht reaktiviert werden. 2. Eine Ausweitung des Sonderrechts für thesaurierte Gewinne gemäß § 34a EStG führt zu starken Systembrüchen, Zielverfehlungen und weiteren Komplizierungen. 3. Vorzugswürdig ist, die gewinnneutrale Umwandlung der Personenunternehmen in KapGes zu erleichtern. Kernpunkt des Konzepts ist es, die Durchlässigkeit des dualistischen Systems zu erhöhen. Es stützt sich auf eine tatsächliche Strukturentscheidung (tatsächliche Umwandlung). Die hierdurch erlangte Rechtsform der Kapitalgesellschaft bildet zugleich die rechtssichere Grundlage für das unternehmerische Handeln der Beteiligten und vermeidet alle Zweideutigkeiten der virtuellen Welt des Optionsmodells. Das Konzept ist nicht nur ohne Systembrüche in das deutsche Ertragsteuerrecht integrierbar. Es kann darüber hinaus  Weg 3 (Liberalisierung der Einbringungsvoraussetzungen) könnte auch dazu beitragen, die Diskussion um grunderwerbsteuerliche Umwandlungshindernisse, insbesondere also um die Streitfragen im Zusammenhang mit § 6a GrEStG zu entschärfen.

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den Ausgangspunkt für eine zielgenaue (d. h. um die KSt zentrierte) Reaktion des Gesetzgebers auf internationale Entwicklungen sein. Ob daneben noch Raum für eine Fortgeltung des §  34a EStG bleibt, ist diskutabel. Hiergegen könnte neben der Komplexität der Vorschrift der Umstand sprechen, dass es ihrer Brückenfunktion im Falle der Liberalisierung der Umwandlungsvoraussetzungen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr bedürfen wird.

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1  Aktuelle Überlegungen zur Unternehmenssteuerreform – Aspekte aus …

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Kapitel 2

Reformfragen der Abgeltungsteuer Monika Jachmann-Michel

Inhaltsverzeichnis 2.1  A  usgangslage  2.2  Rechtfertigung der Abgeltungsteuer  2.2.1  Vereinfachende Systementscheidung  2.2.2  Systemimmanente Ungleichbehandlungen  2.3  Binnenfolgerichtigkeit (Unstimmigkeiten, Regelungslücken?)  2.3.1  Koalitionsvertrag  2.3.2  „Quellenverluste“ (§ 20 Abs. 2 EStG)  2.3.3  Objektives Nettoprinzip  2.3.3.1  Rechtfertigung der Einschränkungen  2.3.3.2  Insbesondere: Aktienverluste  2.4  Entschlackungspotenzial  2.4.1  § 17 EStG  2.4.2  Detailvereinfachungen  2.5  Fazit  Literatur 

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2.1  Ausgangslage Viel Kritik für ein in der Praxis immer besser laufendes System, so könnte man das aktuelle Standing der geltenden Abgeltungsteuer beschreiben. Die nie verstummenden Gegner der Systemumstellung1 bekommen neuen Aufwind durch einen 1  Für Verfassungswidrigkeit: Englisch, StuW 2007, 221 (223 ff.); ders., Die Abgeltungssteuer für private Kapitalerträge (2016); ders., Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Sondersteuersatzes

M. Jachmann-Michel (*) Vorsitzende Richterin am Bundesfinanzhof, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 W. Schön, J. Schindler (Hrsg.), Reformfragen des deutschen Steuerrechts, MPI Studies in Tax Law and Public Finance 9, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60057-3_2

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f­ortschreitenden internationalen Informationsaustausch über Kapitalerträge,2 dessen tatsächliche Effizienz in der Praxis vielfach angezweifelt wird.3 Hinzu kommen rechtspolitische Reformpostulate angesichts einer veränderten internationalen Wettbewerbssituation.4 Gerechtigkeitsbedenken5 passen zum politischen Postulat einer Höherbelastung sog. Reicher, ohne dass dabei genau benannt würde, wer gegenüber wem ungerecht behandelt wird. In der Praxis ist die Abgeltungsteuer nach mittlerweile 10 Jahren seit ihrer Einführung6 jedoch angekommen. Der BFH zweifelt nicht an ihrer grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit7 und ist in einer folgerichtigen Auslegung der Einzelregelungen durchaus schon weit vorangekommen.8 Das BMF hat die Details der Rechtsanwendung in einem immer wieder angepassten Erlass9 für die Verwaltung handhabbar gemacht. Die Banken haben die für den abgeltenden Steuerabzug erforderlichen Strukturen geschaffen. Im Folgenden soll aus der nationalen Perspektive10 den zentralen Reformfragen der Abgeltungsteuer nachgegangen werden. Hintergrund dafür ist eine politische nach § 32d Abs. 1 EStG (2015); Klotz, Die Abgeltungssteuer (2017), S. 79 ff.; kritisch: Tipke, StuW 2007, 201 (209); Scheffler/Christ, Ubg 2016, 157; für Verfassungsmäßigkeit: Eckhoff, FR 2007, 989; Weber-Grellet, NJW 2008, 545. Zur Diskussion um die Abschaffung der Abgeltungsteuer weiter Hey, DStZ 2017, 632 (635 f.); Schwab, DB 2017, Heft 33, M4 f.; Dürr, BB 2017, 854 ff.; Beck, Das Grundeigentum 2017, 881; Lemmer, DSI Sonderinformation Nr. 4, November 2016; Scheffler/Christ, Ubg 2016, 157; Cropp, FR 2015, 878 ff.; Körner, DB 2015, 397 f.; Weggenmann, DB 2018, Heft 8, M4 f.; Kambeck/Nayin, ifst-Schrift 523 (2018); Stiftung Marktwirtschaft, Kurzinformation, Februar 2018; zu grundlegendem Reformbedarf s. auch die Nachweise bei Hey, in: Tipke/Lang (2018), § 8 Rn. 504 (Fn. 882). 2  Das Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten (FKAustG) v. 21.12.2015, BGBl. I 2015, 2531, wirkt seit September 2017 erstmalig; vgl. auch Bundesministerium der Finanzen, Kassenmäßige Steuereinnahmen nach Steuerarten und Gebietskörperschaften, Kalenderjahr 2017 (26.01.2018). Dazu, dass es der Abgeltungsteuer angesichts einer abnehmenden Gefahr von Vollzugsdefiziten nicht mehr bedarf auch Hey, in: Tipke/Lang (2018), § 8 Rn. 504 f., 507. Zu Forderungen nach einer Weiterentwicklung der Abgeltungsteuer und einer neuen Rechtfertigung des gespaltenen Steuersatzes auf Arbeitseinkommen einerseits und Kapitaleinkommen andererseits wegen eines fortgeschrittenen internationalen Finanzkonten-Informationsaustauschs Anzinger, in: Schön/Sternberg (2018), S. 159 (204 ff.) m. w. N. 3  Vgl. etwa Kambeck/Nayin, ifst-Schrift 523 (2018), S. 10 (12) (Schenk). 4  Stellvertretend Anzinger, in: Schön/Sternberg (2018), S. 159 (162 f.). 5  Vgl. zum Streitstand sub specie gleichheitsrechtlicher Bedenken Hey, in: Tipke/Lang (2018), § 8 Rn. 505 (Fn. 886). 6  UntStRefG 2008, BGBl. I 2007, 1912. 7  BFH, Urt. v. 28.01.2015 – VIII R 13/13, BFHE 249, 125 = BStBl. II 2015, 393; Urt. v. 29.04.2014 – VIII R 23/13, BFHE 245, 352 = BStBl. II 2014, 884 Rn. 10; Urt. v. 14.05.2014 – VIII R 31/11, BFHE 245, 531 = BStBl. II 2014, 995 Rn. 9; Urt. v. 28.01.2015 – VIII R 8/14, BFHE 249, 133 = BStBl. II 2015, 397 Rn. 14; Urt. v. 29.04.2014 – VIII R 9/13, BFHE 245, 343 = BStBl. II 2014, 986 Rn. 23; Urt. v. 29.04.2014 – VIII R 35/13, BFHE 245, 357 = BStBl. II 2014, 990 Rn. 17; Urt. v. 29.04.2014 – VIII R 44/13, BFHE 245, 361 = BStBl. II 2014, 992 Rn. 44. 8  Vgl. dazu zusammenfassend Jachmann-Michel, Die Besteuerung der Kapitaleinkünfte (2019) m. w. N. 9  BMF, Schreiben v. 18.01.2016, IV C 1-S 2252/08/10004: 017, 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85. 10  Nicht Thema der folgenden Ausführungen ist ein etwaiger Reformbedarf in der internationalen Kapitaleinkommensbesteuerung, insbesondere im Hinblick auf die unterschiedliche Behandlung

2  Reformfragen der Abgeltungsteuer

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und gesellschaftliche Lage in Deutschland, die es gebietet, bewährte Räder nicht neu zu erfinden, sondern aufzupumpen und erforderlichenfalls zu flicken.

2.2  Rechtfertigung der Abgeltungsteuer 2.2.1  Vereinfachende Systementscheidung Das BVerfG hat schon sehr früh die Grundentscheidung für einen Sondertarif für Kapitaleinkünfte als gerechtfertigt angesehen.11 Auch aktuell ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der grundsätzlich abgeltenden Quellenbesteuerung mit 25  % auszugehen. Die Abgeltungsteuer bleibt als Grund- bzw. Systementscheidung für eine Sonderbehandlung privater Kapitaleinkünfte12 – d. h. nicht innerhalb der allgemeinen Einkommensbesteuerung des EStG – gerechtfertigt. Die gleichheitsrechtlichen Anforderungen für einen solchen (partiellen) Systemwechsel13 sind niedriger als für die konsequente Fortführung eines Besteuerungssystems.14 Jedenfalls rechtfertigt das Ziel von Vereinfachung und bürokratischer Entlastung in diesem Rahmen die Abgeltungsteuer nach wie vor. Proportionalsteuersatz und Quellenabzug mit Abgeltungswirkung vereinfachen den Steuervollzug. Das Erhebungsverfahren entlastet Steuerpflichtige wie Finanzverwaltung, trifft doch die Kreditinstitute der Großteil der Erhebungskosten.15 Sub specie der Rechtfertigung durch Aspekte der Vereinfachung sind aktuell auch die mit einem erneuten Systemwechsel weg von der geltenden Abgeltungsteuer verbundenen negativen Folgen für die Praxis der Rechtsanwendung zu berücksichtigen. Die Finanzbehörden, die schon jetzt an erheblichem Personalmangel leiden, müssten das an Personal und Logistik aufbauen, was bei den Kreditinstituten überflüssig würde.16 Ggf. wäre ein zusätzlicher innerstaatlicher Informationsaustausch erforderlich, um den Anforderungen des Bundes-

von Dividenden, Dividendenkompensationszahlungen und Veräußerungsgewinnen im Rahmen von § 49 Abs. 1 EStG, die unterschiedliche Reichweite des Katalogs der inländischen Einkünfte in § 49 EStG und der ausländischen Einkünfte in § 34d EStG sowie das Auseinanderdriften der Stärkung des Quellenprinzips bei der grenzüberschreitenden Dividendenbesteuerung einerseits und des Wohnsitzprinzips bei der Zinsbesteuerung andererseits; vgl. dazu Anzinger, in: Schön/Sternberg (2018), S. 159 (165 ff., 182 f., 207 f.) m.w.N. 11  Vgl. BVerfG, Urt. v. 27.06.1991  – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 = BStBl. II 1991, 654 Rn. 144. 12  Hiergegen etwa Kambeck/Nayin, ifst-Schrift 523 (2018), S. 23 (25) (Anzinger). 13  Vgl. zur Abgrenzung von einer bloßen Ausnahmeregelung nur v. Mangoldt/Klein/Starck/Wollenschläger, GG, Art. 3 Rn. 200. 14  BVerfG, Beschl. v. 29.03.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 = BStBl. II 2017, 1082 Rn. 102 m. w. N.; Urt. v. 09.12.2008 – 2 BvL 1/07 u. a., BVerfGE 122, 210 = BGBl. I 2008, 2888 Rn. 57. 15  Lemmer, DSI Sonderinformation Nr. 4, November 2016, S. 26 f. m. w. N.; gegen eine Rechtfertigung unter dem Aspekt der Steuervereinfachung etwa Jochum, in: Brandt (2013), S. 221 (228). 16  Vgl. nur Kambeck/Nayin, ifst-Schrift 523 (2018), S. 10 ff. (Schenk).

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verfassungsgerichts an einen gleichheitsgerechten Gesetzesvollzug zu genügen.17 Das Argument, die Regelungen der §§ 20, 32d und 43 ff. EStG seien zu kompliziert, ­ eitpunkt, um Steuervereinfachung bewirken zu können,18 greift jedenfalls zu einem Z in dem die Praxis diese Regelungen zu handhaben gelernt hat, kaum noch. I. Ü. wäre Entschlackungspotenzial auszuschöpfen.19 Demgegenüber würden schon die normativen Änderungen im Bereich des Kapitalertragsteuerabzugs durch Abschaffung der Abgeltungsteuer einen ganz erheblichen Anpassungsaufwand für Normgeber, Verwaltung, Steuerpflichtige und Gerichte verursachen. Der erneute Systemwechsel stünde für ein hohes Maß an Diskontinuität. Die Rückkehr zum Status quo ante bedeutete nicht nur die Wiedereinführung der „Anlage KAP“, sondern – soll nicht eine massive Steuererhöhung drohen  – auch vollen Werbungskostenabzug, Halbeinkünfteverfahren (bei Ausweitung auf Dividenden) und Wiedereinführung der Spekulationsfrist (bei Ausweitung auf Veräußerungsgewinne). Gerade in der aktuellen Situation, in der staatliche Geldentwertung und Niedrigzinspolitik eine effektive Verzinsung privater Kapitalanlagen verhindern, kann auch nicht davon ausgegangen werden, die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit bei der Systemfindung umfasse einen niedrigen Steuersatz für private Kapitaleinkünfte nicht (mehr). Unter Leistungsfähigkeitsaspekten wird seit jeher die fehlende Inflationsbereinigung der Besteuerung von Kapitaleinkünften problematisiert, dies v.  a. im Hinblick auf langfristige Zinseinkünfte und Kapitalveräußerungsgewinne.20 Eine realitätsgerechte Inflationsbereinigung ist jedoch kaum praktikabel regelbar. Der niedrige Abgeltungsteuersatz bewirkt hier ein Stück weit21 eine typisierte Inflationsbereinigung.22

2.2.2  Systemimmanente Ungleichbehandlungen Wesentlicher Aspekt der Systementscheidung für die Schedule der Abgeltungsteuer ist die Abgrenzung ihres Anwendungsbereichs. Sie knüpft insoweit an § 20 EStG an und betrifft so das private Kapitalvermögen, d. h. weder Kapitalvermögen im Betriebsvermögen noch Beteiligungen, die einer beruflichen bzw. unternehmerischen Betätigung dienen. Diese Systementscheidung bedingt eine Ungleichbehandlung von privaten und betrieblichen Anlagen. Bei Zinsen resultiert die Ungleichbehandlung privater und betrieblicher Kapitalerträge v. a. aus dem Sondertarif. Sie ist insoweit mit ihm gerechtfertigt. Gleichheitsrechtlich bedenklicher erscheint prima facie die Ungleichbehandlung bei Dividenden und Einkünften aus der Veräußerung von nicht wesentlichen Beteiligungen  BVerfG, Urt. v. 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl. II 1991, 654 Rn. 110 ff.; Urt. v. 09.03.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94; BStBl. II 2005, 56 Rn. 63 ff. 18  Zuletzt Kube, FR 2018, 408. 19  S.u. 2.4. 20  Vgl. nur Hey, in: Tipke/Lang (2018), § 8 Rn. 506. 21  Zur Kritik vgl. die Nachweise bei Hey, in: Tipke/Lang (2018), § 8 Rn. 506 (Fn. 889). 22  Vgl. Tipke, StuW 2007, 201 (209); a. A. Englisch, StuW 2007, 221 (239 f.). 17

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an Kapitalgesellschaften, indem nur im Rahmen des Betriebsvermögens die Vorbelastung mit Körperschaftsteuer durch das Teileinkünfteverfahren pauschalierend berücksichtigt wird (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a) und d) EStG), bei entsprechenden im Privatvermögen anfallenden Einkünften indessen nicht.23 Insoweit werden ­Dividenden aus Anteilen im Privatvermögen gegenüber solchen aus Anteilen im Betriebsvermögen benachteiligt.24 Hinzu kommt der Abzug von Betriebsausgaben – § 20 Abs. 9 EStG gilt nicht.25 Diese Benachteiligung privater Anteilseigner macht aber die Systementscheidung für die Abgeltungsteuer nicht verfassungswidrig. Auch die aus einer unterschiedlichen Vorbelastung resultierenden Besteuerungsunterschiede liegen in der Konsequenz der unterschiedlichen Regelungssysteme der allgemeinen Einkommensbesteuerung einerseits und der Schedule der Abgeltungsteuer andererseits. Die grundlegende gesetzgeberische Belastungsentscheidung, dass die Gewinne einer Kapitalgesellschaft im Falle einer Ausschüttung keine andere steuerliche Leistungsfähigkeit indizieren als zuvor auf Ebene der Gesellschaft26 ist nur außerhalb der Schedule in der Weise umgesetzt, dass nach Abschaffung des Anrechnungsverfahrens zunächst im Halbeinkünfteverfahren, später im Teileinkünfteverfahren die wirtschaftliche Doppelbelastung beseitigt wurde.27 Diese Grundentscheidung wurde mit der Abgeltungsteuer für deren Anwendungsbereich jedoch aufgegeben. Die Abgeltungsteuer versteht sich nicht als Unternehmerbesteuerung, sondern als Sondersystem für nichtunternehmerische Kapitaleinkünfte. Insoweit grenzt sie sich von den unternehmerischen Einkünften ab, d. h. zunächst von solchen im Betriebsvermögen. Unternehmerisch im Sinne der Abgeltungsteuer sind aber auch Beteiligungseinkünfte, die unmittelbar aus einer unternehmerischen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft erwachsen. Liegt sie vor, wird auch eine Vorbelastung berücksichtigt  – außerhalb der Schedule. Diese Grenzziehung erfolgt typisierend durch § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG (sog. unternehmerische Beteiligung). Ist der Steuerpflichtige zu mindestens 25 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt oder nimmt er bei einer Beteiligung von mindestens 1 % durch eine berufliche Tätigkeit für die Gesellschaft maßgeblichen unternehmerischen Einfluss auf deren wirtschaftliche Tätigkeit, so  Bis zu einem persönlichen Steuersatz von 41,5 % führt das Teileinkünfteverfahren zu einer geringeren Gesamtbelastung (vgl. nur Hey, DStZ 2017, 632 (636)). Die Körperschaftsteuer beträgt gem. § 23 Abs. 1 KStG jeweils 15 %, ohne dass es darauf ankäme, ob sich die Anteile im Privatvermögen oder im Betriebsvermögen befinden. Nach Abzug der Körperschaftsteuer werden Dividenden im Privatvermögen mit 25 % belastet, so dass dem Anteilseigner bei einer Ausschüttung von 100 eine Dividende in Höhe von 75 verbleibt. Hält er die Anteile im Betriebsvermögen, verbleiben ihm bei einer Ausschüttung von 100 und einem gedachten individuellen Steuersatz von 25 % noch 85, bei einem individuellen Steuersatz von 45 % noch 73. Dies ergibt sich daraus, dass lediglich 60 % der Dividenden in die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer nach dem individuellen Steuersatz einbezogen werden. 24  Vgl. Ortmann-Babel/Zipfel, BB 2007, 1869 (1877). 25  Zu beachten ist aber, dass das Teileinkünfteverfahren auch die Aufwendungen um 40 % kürzt (§ 3c Abs. 2 EStG). 26  Dazu stv. Hey, in: Tipke/Lang (2018), § 11 Rn. 6. 27  Worgulla, FR 2013, 921 (924). 23

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kann er auf Antrag das Regime der Abgeltungsteuer verlassen; gem. § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG findet dann der Sondertarif wie auch § 3 Nr. 40 Satz 2 EStG keine Anwendung, somit aber das Teileinkünfteverfahren.28 Diese Grenzziehung des ­Geltungsbereichs der Schedule erscheint keinesfalls willkürlich, vielmehr von der Gestaltungsfreiheit gedeckt, die dem Gesetzgeber für den partiellen Systemwechsel zur Abgeltungsteuer zustand. Zwar könnte der Gesetzgeber auch darauf abstellen, dass es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung aus Anteilseignersicht bei der Kapitalgesellschaft lediglich um ein Instrument zur Erzielung von Einkünften handelt, so dass Gesellschaftsgewinne bei Gesellschaft und Anteilseigner eine einheitliche Leistungsfähigkeit indizieren und der bereits bei der Kapitalgesellschaft erfolgte steuerliche Zugriff auf diese Leistungsfähigkeit bei der Besteuerung des Anteilseigners zu berücksichtigen wäre.29 Die Einführung des Teileinkünfteverfahrens würde jedoch den Vereinfachungszweck der Abgeltungsteuer unterlaufen. Hierauf zu verzichten ist im Hinblick da­ rauf auch sachgerecht, dass es sich zivilrechtlich bei der Kapitalgesellschaft um ein rechtlich eigenständiges Gebilde handelt, das als juristische Person losgelöst von dem hinter ihr stehenden Anteilseigner existiert und agiert. Zivilrechtlich ist die Vermögenssphäre der Kapitalgesellschaft von der Vermögenssphäre des Anteilseigners getrennt – mit entsprechenden haftungsrechtlichen Vorteilen für den Anteilseigner. Angesichts dieser Abschirmung der Vermögenssphäre der Kapitalgesellschaft von der Vermögenssphäre des Anteilseigners kann in der Vermögenssphäre der Kapitalgesellschaft eine eigenständige objektive Leistungsfähigkeit entstehen, getrennt von der Leistungsfähigkeit des hinter der Kapitalgesellschaft stehenden Anteilseigners.30 Vor diesem Hintergrund lag es im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Einführung der Schedule der Abgeltungsteuer, den bereits bei der Kapitalgesellschaft erfolgten steuerlichen Zugriff bei der Besteuerung des Anteilseigners nicht in Rechnung zu stellen.31  BFH, Urt. v. 27.03.2018  – VIII R 1/15, BFHE 261, 144 = BStBl. II 2019, 56 Rn. 33; BMF, Schreiben v. 18.01.2016, IV C 1-S 2252/08/10004: 017, 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85 Rn. 142; Blümich/Werth, § 32d EStG Rn. 140. 29  Vgl. Englisch, Dividendenbesteuerung (2005), S. 128 ff.; Roderburg, Die Steuerfreiheit der Anteilsveräußerungsgewinne im neuen Körperschaftsteuersystem (2004), S. 136 ff. 30  Zur damit einhergehenden Frage der Grundrechtsträgerschaft der Kapitalgesellschaft und eines darauf gestützten Schutzes vor dem Steuerzugriff des Staates Hey, FS Herzig (2010), S. 7 (10 ff.); Jachmann, DStJG 23 (2000), S. 9 (16 ff.). 31  BVerfG, Beschl. v. 21.06.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 = BGBl. I 2006, 1857 Rn. 117; Beschl. v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 = BGBl. I 2010, 1766, Rn. 61; Pezzer, DStJG 25 (2002), S. 37 (45 f.); Wäckerlin, Betriebsausgabenabzugsbeschränkung und Halbeinkünfteverfahren (2005), S. 124 ff.; kritisch Hey, FS Herzig (2010), S. 7 (14 ff.) – Wollte man die Systementscheidung für eine unterschiedliche Besteuerung privater und betrieblicher Kapitaleinkünfte als solche nicht akzeptieren, wie etwa innerhalb der allgemeinen Einkommensbesteuerung die Unterschiede von Überschusseinkunftsarten und Gewinneinkunftsarten traditionell als – gerechtfertigte  – Systementscheidung akzeptiert werden, so würde eine Rechtfertigung jedenfalls nicht aus dem Sondertarif erwachsen. Denn der Gesetzgeber beabsichtigt mit dem Sondertarif keine pauschalierende Kompensation der Vorbelastung privater Dividenden mit Körperschaftsteuer. Vielmehr dient er der Standortförderung (vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf der Bun28

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Wollte man dem nicht folgen, würde es sich – de lege ferenda – anbieten, die körperschaftsteuerliche Vorbelastung auch bei privaten Dividenden zu berücksichtigen, insbesondere durch Einführung eines Sondertarifs von nur 15  % für private Dividenden.32 Dieser spezielle Abgeltungsteuertarif würde eine weitere Verkomplizierung der Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte vermeiden. Positiver Nebeneffekt wäre die Verringerung der aktuellen Benachteiligung der Eigenfinanzierung gegenüber der Fremdfinanzierung von Unternehmen33 und die Gleichbehandlung von inländischen Dividendenbeziehern gegenüber ausländischen Dividendenbeziehern, die im Fall eines regelmäßig bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens ebenfalls einer Besteuerung i. H. v. lediglich 15 % unterliegen (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b) OECD-MA).34

desregierung, Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BR-Drs. 220/07, 1  ff. und 49 ff.) sowie bei den Beziehern höherer Kapitaleinkünfte dem Ausgleich des Abzugsverbots für Werbungskosten (vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BR-Drs. 220/07, S. 92). Damit ist das Rechtfertigungspotential des Sondertarifs verbraucht. 32  Vgl. Kirchhof/von Beckerath, § 20 EStG Rn. 26; Englisch, StuW 2007, 221 (232); Rädler, DB 2007, 988 (990); a. A. Loos, DB 2007, 704 (705); vgl. auch Haarmann, FS Herzig (2010), S. 423 (425), der alternativ zur Einführung eines Sondertarifs für im Privatvermögen anfallende Dividenden die Einführung eines Anrechnungsverfahrens für im Inland und Ausland gezahlte Körperschaftsteuer vorschlägt. 33  Vgl. Loos, DB 2007, 704 (705). Wesentlicher Punkt der Kritik an der Abgeltungsteuer ist, dass sie die Finanzierungsentscheidungen von Unternehmen verzerre, weil die Aufnahme von Fremdkapital gegenüber der Zuführung von Eigenkapital begünstigt werde; an den Übergängen zwischen Abgeltungs- und Normalbesteuerung entstünden Gestaltungsanreize (Rose/Scholz/Zöller, StuW 2009, 232 (233 ff.)). Die kritisierte Diskriminierung von Eigenkapital folgt daraus, dass der Zinsaufwand auf Unternehmensebene weitgehend steuerlich abzugsfähig ist (vgl. aber § 8 Nr. 1 a) GewStG), hingegen Eigenkapitalkosten den zu versteuernden Gewinn nicht mindern. Dividenden und Veräußerungsgewinne unterliegen sowohl auf Unternehmensebene als auch beim Anteilseigener der Besteuerung. Im Ergebnis wird durch diese Doppelbesteuerung das Eigenkapital höher belastet als Fremdkapital. So wird der ökonomische Grundsatz der Finanzierungsneutralität der Besteuerung verletzt. Denn Finanzierungsneutralität verlangt, dass die Entscheidung, wie eine Investition finanziert werden soll, nicht von der Besteuerung, sondern allein von wirtschaftlichen Erwägungen abhängt. Eine insofern neutrale Besteuerung gilt als ökonomisch sinnvoll, weil dadurch Verzerrungen und Ineffizienzen vermieden werden (dazu Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2015/2016, S. 340; Fossen/Simmler, DIW Wochenbericht Nr. 17.2012, S. 11 ff., 12.) Um dem zu begegnen, bedarf es aber nicht der Abschaffung der Abgeltungsteuer. Nach dem Konzept einer Zinsbereinigung des Grundkapitals sollen der Steuersatz für Unternehmensgewinne an den Abgeltungsteuersatz angepasst und Dividenden und Veräußerungsgewinne auf der Unternehmensebene bis zu einer bestimmten „Normalverzinsung“ steuerfrei gestellt werden. Die Eigenkapitalkosten würden wie der Zinsaufwand den steuerlichen Gewinn mindern (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2008/2009, S. 9 ff., 228 ff.; Jahresgutachten 2011/2012, S. 220 ff.; Jahresgutachten 2015/2016, S. 339). 34  Vgl. Rädler, DB 2007, 988 (990).

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2.3  Binnenfolgerichtigkeit (Unstimmigkeiten, Regelungslücken?) Ist danach die Systementscheidung für die Abgeltungsteuer grundsätzlich gerechtfertigt, gilt es, sie innerhalb der Schedule folgerichtig umzusetzen. Geboten in diesem Sinne ist Binnenfolgerichtigkeit bei der Ausgestaltung der Abgeltungsteuer. Sie bindet allen voran den Steuergesetzgeber.

2.3.1  Koalitionsvertrag Der Koalitionsvertrag sieht die Abschaffung der Abgeltungsteuer für Zinsen vor.35 Könnte doch so der angeblich unterschiedliche Steuersatz für fundierte – 15 % Körperschaftsteuer auf Ebene der Gesellschaft plus 25 % Einkommensteuer beim Gesellschafter – und unfundierte Kapitalerträge – nur 25 % Abgeltungsteuer – beseitigt werden.36 Hier geht es um eine u. U. nicht folgerichtige Gleichbehandlung von Zinsen und Dividenden innerhalb der Abgeltungsteuer. Richtig ist, dass der Abgeltungsteuersatz von 25  % (§  32d Abs.  1 Satz  1 EStG) einheitlich für Zinsen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) wie für Beteiligungserträge (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) gilt, unabhängig davon, dass Gewinnausschüttungen auf Ebene der Kapitalgesellschaft mit Körperschaftsteuer vorbelastet sind, Zinsen aber nicht.37 Der bereits bei der Kapitalgesellschaft erfolgte steuerliche Zugriff auf das von der Kapitalgesellschaft erwirtschaftete Besteuerungssubstrat wird bei der Besteuerung des Anteilseigners nicht berücksichtigt. Diese Begünstigung von Zinsen bedeutet auch eine Benachteiligung der Eigenfinanzierung gegenüber der Fremdfinanzierung.38 Jedoch: Eine Verletzung der Binnenfolgerichtigkeit in der Schedule ist darin nicht zu sehen. Vielmehr liegt die Gleichbehandlung von Zinsen und Dividenden gerade in der Konsequenz der Systementscheidung für eine Sonderbehandlung privater Kapitaleinkünfte. Das Teileinkünfteverfahren ist kein Systembaustein der Abgeltungsteuer;39 es kommt nur zur Anwendung, wenn der Steuerpflichtige i. S. v. § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG unternehmerisch beteiligt ist und zum Teileinkünfteverfahren mit der Konsequenz optiert, dass der Sondertarif von 25 % nicht gilt. Innerhalb der Schedule ist – folgerichtig – die körperschaftsteuerliche Vorbelastung der Dividenden bei der Besteuerung des Anteilseigners nicht als Leistungsfähigkeitsminderung zu veranschlagen.40  Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 12.03.2018, S. 69, Zeile 3116.  Zur Kritik stv. Mertz, Kapitalerträge aus börsennotierten Aktien (2018), S. 181. 37  Jochum, DStZ 2010, 309 (311, 313). 38  Vgl. Jachmann, DStJG 34 (2011), S. 251 (261); Englisch, StuW 2007, 221 (232); Korn, DStR 2009, 2509 (2513). 39  S.o. 2.2.2. 40  Für die Verfassungsmäßigkeit der Gleichbehandlung von Dividenden und Zinserträgen im Rah35 36

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Die Gleichstellung von Zinsen und Dividenden im Rahmen der Abgeltungsteuer ist danach folgerichtig, die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Zinsen wäre es nicht. Hinzukämen systematische Friktionen im Hinblick auf die Berücksichtigung von Werbungskosten bei Zinserträgen, ggf. wäre der Sparer-Pauschbetrag aufzuteilen, wobei ein adäquater Aufteilungsschlüssel kaum zu finden wäre. Diese Werbungskosten müssten dann beim  – nicht abgeltenden  – Kapitalertragsteuerabzug berücksichtigt werden. Die Kreditinstitute müssten einen eigenen Berechnungskreislauf für Zinsen und Dividenden sowie ggf. die entsprechenden Veräußerungserträge installieren. Eine Verlustverrechnung zwischen beiden Arten von Kapitalerträgen wäre nicht möglich. Fiele die Abgeltungsteuer nur für Zinserträge weg, bestünde ein erheblicher Gestaltungsanreiz, Zinsen in – ggf. noch abgeltend besteuerte – Veräußerungsgewinne oder Erträge aus Termingeschäften umzuwandeln. Die Art des Finanzmarktprodukts würde wieder über die Besteuerung entscheiden. Nicht kompatibel wäre die Differenzierung zwischen Zinsen und anderen Kapitalerträgen auch mit dem neuen Investmentsteuerrecht, das eine solche Differenzierung bei Ausschüttung und Vorabpauschale nicht kennt (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 16 InvStG).

2.3.2  „Quellenverluste“ (§ 20 Abs. 2 EStG) Zentraler Systembaustein der Schedule der Abgeltungsteuer ist neben dem Sondertarif (§ 32d Abs. 1 EStG) die umfassende Steuerbarkeit des Kapitalvermögens unter Abkehr von der traditionellen quellentheoretischen Trennung von Vermögensund Ertragsebene.41 Insoweit spricht auch §  52a Abs.  10 Satz  7 Halbs.  2 EStG a.F./§ 52 Abs. 28 Satz 16 Halbs. 3 EStG n.F. davon, dass die Kapitalerträge auch dann insgesamt steuerbar sind, „wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich erscheint“. Substanzgewinne wie Substanzverluste sind steuerbar. Tatbestandlich stellt § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG in diesem Kontext der Veräußerung andere Realisierungstatbestände gleich. Jedoch werden der Forderungsausfall, der Ausfall von Finanzierungshilfen eines Gesellschafters, der Forderungsverzicht oder auch der Auflösungsverlust als wesentliche Gründe für einen realisierten Substanzverlust nicht explizit genannt. Diese nicht zu erfassen, erscheint nicht folgerichtig. Der BFH hat den Forderungsausfall als Rückzahlung zu Null anerkannt, wie er auch eine Veräußerung zu Null anerkennt.42 Diese Rechtsprechung dürfte auch auf den men der Abgeltungsteuer Intemann, DB 2007, 1658 (1660); Eckhoff, FR 2007, 989 (996 f.); Weber-Grellet, NJW 2008, 545 (549); a. A. Englisch, StuW 2007, 221 (230 f.). 41  Vgl. BT-Drs. 16/4841, S.  33, 55  ff.; 16/10189, S. 66; Kirchhof/Söhn/Mellinghoff/Jochum, § 20 EStG Rn. A 22, D/9 1; Kirchhof/von Beckerath, § 2 EStG Rn. 142; Jansen, DStR 2016, 2729 (2730); Spieker, DB 2016, 197; Weber-Grellet, DStR 2013, 1357 (1359  f.); Dinkelbach, DStR 2011, 941; Bode, DStR 2009, 1781 (1783). 42  BFH, Urt. v. 24.10.2017 – VIII R 13/15, BFHE 259, 535.

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Ausfall von Finanzierungshilfen eines Gesellschafters anzuwenden sein,43 wohl auch auf einen Forderungsverzicht.44 Beim Auflösungsverlust dürfte aber die Grenze des Wortlauts erreicht sein; man könnte allenfalls an eine Verfassungsmäßigkeit herstellende Analogie denken.45 Die Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 2 EStG enthält keine expliziten Aussagen zum Auflösungsverlust bzw. dem Verlust aus der Aus­ buchung wertlos gewordener Anteile. Die o.  g. gesetzgeberische Intention, mit § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG eine vollständige steuerliche Erfassung aller Wertzuwächse in Zusammenhang mit Kapitalanlagen zu erreichen, greift aber auch hier. Wenn mit der Abgeltungsteuer Vermögenszuwächse bei Kapitaleinkünften umfassend besteuert werden sollten, mussten folgerichtig auch Vermögenseinbußen umfassend berücksichtigt werden.46 Sind weiter Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern, so ist derjenige, der einen Totalausfall seiner steuerverstrickten Kapitalanlage in Gestalt eines Auflösungsverlusts endgültig erleidet, in seiner Leistungsfähigkeit genauso beeinträchtigt, wie derjenige, der für seine wertlose Kapitalanlage noch ein Entgelt von 1 € erlangen kann.47 Es wäre ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Besteuerung erforderlich. Hier sollte der Gesetzgeber endlich nachbessern, auch wenn sich der Rechtsanwender manchmal des Eindrucks nicht erwehren kann, dass der deutsche Fiskus nichts mehr liebt, als Gewinne zu besteuern und vor den negativen Ergebnissen gleicher Art die Augen zu verschließen.48

2.3.3  Objektives Nettoprinzip 2.3.3.1  Rechtfertigung der Einschränkungen Das objektive Nettoprinzip ist systemtragend für die Einkommensbesteuerung und insoweit jedenfalls über das Gebot der Folgerichtigkeit gem. Art. 3 GG verfassungsrechtlich geschützt.49 § 20 EStG schränkt es wesentlich ein. Der ­Abgeltungsteuersatz von nur  Dazu stv. Jachmann-Michel (Fn. 8), S. 28 ff. m. w. N.  Dazu stv. Jachmann-Michel (Fn. 8), S. 39 ff. m. w. N. 45  Dazu stv. Jachmann-Michel (Fn. 8), S. 37 ff. m. w. N.; Kellersmann, FR 2012, 57; a. A. Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff/Jochum, § 20 EStG Rn. D/9 23. 46  Schmidt/Weber-Grellet, § 20 EStG Rn. 148; Herrmann/Heuer/Raupach/Buge, § 20 EStG Rn. 531; Frotscher/Geurts/Moritz/Strohm, §  20 EStG (n.F.) Rn.  268  ff.; Schmitt-Homann, BB 2010, 351 (353). 47  Vgl. auch Schmitt-Homann, BB 2010, 351 (353 f.); Kirchhof/von Beckerath, § 20 EStG Rn. 144; Bode, DStR 2009, 1781 (1783). 48  Beleg hierfür ist der Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (BT-Drs. 19/13436), womit die Rechtsprechung des BFH zur umfassenden Steuerbarkeit auch von Substanzverlusten im Rahmen von § 20 Abs. 2 EStG ausgehebelt werden soll. 49  BVerfG, Urt. v. 09.12.2008 – 2 BvL 1/07 u. a., BVerfGE 122, 210 = BGBl. I 2008, 2888 Rn. 63 m. w. N.; zur typusprägenden Eigenschaft des objektiven Nettoprinzips für die Einkommensteuer Wernsmann, StuW 2018, 100 (107); für eine verfassungsunmittelbare Verankerung des objektiven Nettoprinzips auch Jachmann, Nachhaltige Entwicklung und Steuern (2003), S. 104 m. w. N. 43 44

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25 % (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG) ist gekoppelt an einen Ausschluss des Abzugs der tatsächlichen Werbungskosten (§ 20 Abs. 9 EStG). An dessen Stelle tritt der Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 801 € bzw. 1602 € bei Ehegatten.50 Gem. § 20 Abs. 6 EStG dürfen Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt. Verluste aus der Veräußerung von Aktien dürfen nur mit Gewinnen aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden.51 Diese Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips stehen aber nicht für eine Systementscheidung gegen seine Geltung im Rahmen der Abgeltungsteuer. Beleg hierfür sind die Ausprägungen des objektiven Nettoprinzips in § 20 EStG. So spricht § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG von Minderung der Einnahmen aus Stillhalterprämien um die im Glattstellungsgeschäft gezahlten Prämien. § 20 Abs. 4 EStG definiert den Gewinn als Unterschied zwischen den Einnahmen nach Abzug der unmittelbaren Aufwendungen und den Anschaffungskosten. § 20 Abs. 6 EStG ist als Ausnahmeregelung formuliert. § 20 Abs. 9 EStG gewährt den Abzug des Sparer-Pauschbetrags „als Werbungskosten“. Die Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips sind also innerhalb der Schedule zu rechtfertigen. Die erforderliche Rechtfertigung des Abzugsverbots für tatsächliche Werbungskosten (§ 20 Abs. 9 Satz 1 EStG) gelingt. Für Bezieher niedriger Kapitaleinkünfte handelt es sich um die Typisierung der realen Werbungskosten im Sparer-­ Pauschbetrag i. H. v. 801 €, für Bezieher höherer Kapitaleinkünfte um die Typisierung des Abzugs realer Werbungskosten im Sondertarif von 25 %.52 Der Gesetzgeber ist grundsätzlich berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, ohne wegen der damit im Einzelfall verbundenen Härten gegen die Belastungsgleichheit zu verstoßen.53 Zusätzliche Typisierungsspielräume können sich aus der Verfolgung verfassungsrechtlich anzuerkennender und von der gesetzgeberischen Entscheidung umfasster wirtschaftspolitischer  Demgegenüber ist ein Abzug des Sparer-Pauschbetrags gem. § 20 Abs. 9 EStG von Einkünften aus Kapitalvermögen, die gem. § 32d Abs. 2 EStG tariflich besteuert werden, ausgeschlossen (vgl. BFH, Urt. v. 30.11.2016 – VIII R 11/14, BFHE 256, 455 = BStBl. II 2017, 443). 51  Für Altverluste aus Aktienveräußerungen, die nach der Rechtslage vor der Abgeltungsteuer solche aus einem Veräußerungsgeschäft nach § 22 Nr. 2 EStG i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG a. F. waren, sah § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG i. d. F. des UntStRefG 2008 die Verrechenbarkeit mit Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. v. § 20 Abs. 2 EStG für einen Übergangszeitraum bis 2013 vor. Diese Verrechnung bedarf einer Veranlagung und ist nach §§ 20 Abs. 6 Satz 1, 23 Abs. 3 Satz 9 und 10 EStG i. d. F. des UntStRefG 2008 zwingend, wenn keine Ausgleichsmöglichkeit der Altverluste mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. d. § 23 EStG besteht. Vgl. dazu BFH, Urt. v. 09.08.2016 – VIII R 27/14, BFHE 255, 51 = BStBl. II 2017, 821 sowie BFH, Urt. v. 29.08.2017 – VIII R 23/15, BFHE 259, 336 = DStR 2017, 2604 = BFH/NV 2018, 104. 52  Vgl. nur Strohm, Abgeltungsteuer – Systematische Darstellung und ausgewählte Zweifelsfragen (2010), S. 181 ff.; Wernsmann, in: Brandt (2008), S. 107 (108 ff.); Eckhoff, FR 2007, 989 (997) f.; Musil, FR 2010, 149 (152) ff.; Weber-Grellet, NJW 2008, 545 (548 f.); a. A. Englisch, StuW 2007, 221 (238 f.); Jochum, DStZ 2010, 309 (312 ff.). 53  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.03.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 = BStBl. II 2017, 1082 Rn. 107 f. m. w. N. 50

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Förderungs- und Lenkungsziele ergeben.54 Gerade die Typisierung der Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen durch Einräumung eines Freibetrags und Absenkung des Steuertarifs hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil zur Zinsbesteuerung anerkannt.55 Voraussetzung für eine gleichheitsgerechte Typisierung ist aber, dass der Gesetzgeber realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legt56 und die Typisierung zur Vereinfachung der Besteuerung geeignet, erforderlich und angemessen ist.57 Im Sinne dieser Grundsätze dürfte insoweit eine hinreichend realitätsgerechte Regelung vorliegen, als bei der überwiegenden Zahl der Kleinanleger kaum mehr als 801 € an Werbungskosten im Kalenderjahr anfallen dürften,58 während bei der kleinen Gruppe von Spitzeninvestoren in Kapitalvermögen die Auswirkungen des Abzugsverbots für Werbungskosten durch die Absenkung des Steuertarifs von bis zu 45 % auf 25 % hinreichend ausgeglichen sein dürften.59 Insbesondere die Fremdfinanzierung von Kapitalanlagen dürfte nicht mit einer solchen Häufigkeit und einem solchen Umfang zu veranschlagen sein, dass sie als typischer Fall bei der Typisierung der Werbungskosten in jedem Fall zu berücksichtigen wäre;60 dies gilt jedenfalls im Hinblick darauf, dass § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG die Geltendmachung von Finanzierungskosten ermöglicht, wenn eine Beteiligung nicht zur Kapitalanlage, sondern für eine unternehmerische Tätigkeit/Berufstätigkeit erworben wird. Demgegenüber kommt dem Werbungskostenabzugsverbot für die Vereinfachungsfunktion der Abgeltungsteuer eine zentrale Bedeutung zu, indem es die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag erst ermöglicht.61 Das allgemeine Verlustverrechnungsverbot gem. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ist inso­ weit folgerichtig, als der Sondertarif für Gewinne wie Verluste in gleicher Weise gelten muss.62 Ist nämlich die gesetzgeberische Grundentscheidung für einen

 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.06.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (189 ff.); kritisch Englisch, StuW 2007, 221 (227). 55  Vgl. BVerfG, Urt. v. 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (282 f.); mittelbar bestätigt durch BVerfG, Urt. v. 09.03.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 (112 ff.). 56  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.01.2005  – 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164 (180  f.); Beschl. v. 16.03.2005 – 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268 (280 f.); Beschl. v. 21.06.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (182 f.). 57  Vgl. Jachmann, in: Brandt (2006), S. 59 (84 f.). 58  Frotscher/Moritz/Strohm, § 20 EStG Rn. 410; Wernsmann, StuW 2018, 100 (107 f.); Philipowski, DStR 2009, 353 (356); Eckhoff, FR 2007, 989 (997  f.); Musil, FR 2010, 149 (154); a.  A. Englisch, StuW 2007, 221 (239); Wenzel, DStR 2009, 1182 (1183 f.). 59  Frotscher/Moritz/Strohm, § 20 EStG Rn. 369; Wernsmann, StuW 2018, 100 (107 f.); Axer, Stbg 2007, 201 (202); Philipowski, DStR 2009, 353 (356); Strunk, Stbg 2007, 101 (103); a. A. Roser/ Will/Mendel, FR 2008, 953 (956 f.). 60  Vgl. auch Eckhoff, FR 2007, 989 (998); Englisch, StuW 2007, 221 (227 f.); Musil, FR 2010, 149 (154). 61  Vgl. auch Eckhoff, FR 2007, 989 (997 f.); Musil, FR 2010, 149 (152); Weber-Grellet, NJW 2008, 545 (548 f.). 62  Ausführlich zur Verfassungsmäßigkeit des Verlustverrechnungsverbots i. S. d. § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 EStG Strohm (Fn. 52), S. 204 ff. 54

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Sondertarif für die Einkünfte aus Kapitalvermögen als solche gerechtfertigt, dann erfordert deren folgerichtige Umsetzung, dass dieser Sondertarif nicht nur für Gewinne, sondern auch für Verluste aus Kapitalvermögen gilt.63 Die Verrechnung proportional niedrig besteuerter Verluste aus Kapitalvermögen mit progressiv hoch besteuerten Gewinnen aus anderen Einkunftsarten wäre gerade nicht folgerichtig.64 Die Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten aus Kapitalvermögen wäre zwar nicht nur durch einen vollständigen Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs, sondern etwa auch durch eine Steuergutschrift erreichbar.65 Dies erforderte aber die Veranlagung der Einkünfte aus Kapitalvermögen; das zentrale Vereinfachungsziel der Abgeltungsteuer würde verfehlt.66 Dies zu vermeiden, liegt jedenfalls im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. Die im Rahmen der Abgeltungsteuer gerechtfertigten Ausnahmen vom objektiven Nettoprinzip  – abgeltende Berücksichtigung von Werbungskosten durch den Sparerpauschbetrag und Verlustverrechnung nur innerhalb der Kapitaleinkünfte67 – korrespondieren mit der abgeltenden Besteuerung. Dies bedeutet aber nicht, dass bei jeglicher in § 32d EStG vorgesehenen Veranlagung ein Abzug realer Werbungskosten sowie eine vertikale Verlustverrechnung gleichheitsrechtlich geboten wären.68 Vielmehr ist auf den Grund der Veranlagung abzustellen. Dient die Veranlagung der Korrektur etwaiger Fehler im Kapitalertragsteuerabzugsverfahren, kann dafür kein anderer Maßstab gelten als eben in diesem Verfahren. 2.3.3.2  Insbesondere: Aktienverluste Fragwürdig erscheint das spezielle Verlustverrechnungsverbot für Aktien gem. § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG, verfahrensrechtlich nachvollzogen im sog. Verlustverrechnungstopf für Aktien (§ 43a Abs. 3 Satz 2 EStG). Die Beschränkung der Verrechnung inner­halb der Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ist folgerichtig, da der Sondertarif für Gewinne wie Verluste in gleicher Weise gelten muss. Ob gleiches aber für das Verbot gilt, Verluste aus der Veräußerung aus Aktien mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen auszugleichen (§ 20 Abs. 6 Satz 4 Halbs. 1 EStG), mag bezweifelt werden. Hier geht es um die ggf. nicht folgerichtige Schlechterstellung von Aktienverlusten gegenüber anderen, ebenfalls dem Sondertarif unterliegenden Verlusten aus Kapitalvermögen.69  Vgl. Englisch, ifst-Schrift 432 (2005), S. 152; Jachmann, (Fn. 49), 137.  Vgl. Herrmann/Heuer/Raupach/Intemann, § 20 EStG Rn. 8; Englisch, StuW 2007, 221 (236); Jochum, DStZ 2010, 309 (311 f.); Loos, DStZ 2010, 78 (79). 65  Kritisch Kirchhof/Söhn/Mellinghoff/Jochum, § 20 EStG Rn. H 31 ff. m. w. N.; Englisch, StuW 2007, 221 (236 f.) 66  Vgl. Strohm (Fn. 52), S. 216 f. 67  Entsprechendes gilt für die Typisierung der Kirchensteuerlast ohne Sonderausgabenabzug gem. §§ 32d Abs. 1 Sätze 3-5, 10 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 EStG. 68  So Hey, in: Tipke/Lang (2018), § 8 Rn. 506. 69  Vgl. auch Kirchhof/Söhn/Mellinghoff/Jochum, § 20 EStG Rn. H 52 ff. m. w. N.; Englisch, StuW 63 64

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Das gesetzgeberische Ziel der „Verhinderung von durch Spekulationsgeschäfte bedingten abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken“70 ist eine rein fiskalische Motivation.71 Wollte man dennoch eine Gefährdung der öffentlichen Haushalte durch Spekulationsgeschäfte als Regelungsgrund anerkennen, müssten jedenfalls Veräußerungsverluste aus Aktien und solche aus indirekten Anlagen, z. B. Aktienfonds oder Aktienzertifikaten gleich behandelt werden.72 Die Rechtfertigung der Beschränkung des Verlustausgleichs bei privaten Veräußerungsgeschäften i.  S.  v. § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG gem. § 23 Abs. 3 Satz 7 ff. EStG73 dürfte prima facie nicht übertragbar sein, da sie darauf aufbaut, dass private Veräußerungsgeschäfte nur innerhalb der sog. Spekulationsfrist steuerbar sind. So verhält es sich bei Aktiengeschäften, die unter § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG fallen, nicht. Es handelt sich auch nicht um eine Typisierungsregel.74 Im Kontext der speziellen Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktien wirkt die ausschließliche Gewährung eines Verlustvortrags für Aktienkursverluste (§  20 Abs.  6 Satz  4 i. V. m. Satz  2 EStG) als besonders schwerwiegende Einschränkung des objektiven Nettoprinzips,75 wenngleich der Ausschluss von Verlustrückträgen auch bei einer Besteuerung von Kapitalerträgen aus börsennotierten Aktien grundsätzlich gerechtfertigt sein kann.76 Eine zusätzliche Dimension erlangt diese Benachteiligung von Aktienverlusten innerhalb der Schedule der Abgeltungsteuer dadurch, dass Verluste aus Aktienveräußerungen nicht mit anderen positiven Erträgen aus Aktien i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, insbesondere Dividenden verrechnet werden dürfen. Dabei werden die Interdependenzen beider Formen von Erträgen aus Aktien verkannt. So kann ein Aktionär, der Aktien unmittelbar nach der Ausschüttung veräußert, den aufgrund der Ausschüttung eintretenden Kursverlust nicht mit einer noch bezogenen Dividende verrechnen.77 Entsprechend verhält es sich bei Ausschüttung einer Sachdividende durch Übertragung von Aktien der Gesellschaft auf die Gesellschafter. Sie führt zu einem Abfluss von Vermögen auf Ebene der Gesellschaft und damit typischerweise zu einem entsprechenden Kursrückgang der Hauptaktie. Die Sachdividende ist in voller Höhe zu versteuern. Der Kursverlust der Hauptaktien kann aber nicht mit dem Zufluss aus der Sachdividende saldiert werden. Die Ausschüttung der Aktien

2007, 221 (236); Klotz (Fn. 1), S. 158 ff. m. w. N. zum Streitstand. Nicht thematisiert in BFH, Urt. v. 09.05.2017 – VIII R 54/14, BFHE 258, 111 = BStBl. II 2018, 262. 70  BT-Drs. 16/5491, S. 19. 71  Stv. dazu BVerfG, Beschl. v. 29.03.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 Rn. 121; Jachmann, DStJG 34 (2011), S. 251 (264 f.); Englisch, StuW 2007, 221 (237 f.); Hey, in: Tipke/Lang (2018), § 8 Rn. 500, 506; Jochum, DStZ 2010, 309 (313 f.); Herrmann/Heuer/Raupach/Buge, § 20 EStG Rn. 620. 72  Vgl. auch Wernsmann, StuW 2018, 100 (109). 73  BFH, Urt. v. 18.10.2006 – IX R 28/05, BFHE 215, 202 = BStBl. II 2007, 259 Rn. 14 ff. 74  Jüngst Mertz (Fn. 36), S. 184. 75  Mertz (Fn. 36), S. 185. 76  Röder, Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht (2010), S. 267, 272 f. 77  Vgl. auch Mertz (Fn. 36), S. 178.

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Abb. 2.1  Vergleich § 17/§ 20 EStG

führt zu einem nur formalen Kapitalertrag, dessen Kehrseite  – der gleichhohe Kursverlust der Hauptaktie – steuerlich unberücksichtigt bleibt. Die Sonderbehandlung der Aktienverluste bzw. der Aktientopf wären zu streichen – ein erhebliches Vereinfachungspotenzial.

2.4  Entschlackungspotenzial 2.4.1  § 17 EStG § 17 EStG ist ein Dinosaurier, der jedenfalls nach Einführung des MoMiG78 aussterben sollte. Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen ab 1 % i. S. d. § 17 EStG unterfallen nicht dem Abgeltungsteuersystem, obwohl es sich um private Kapitalanlagen handelt, die lediglich via gesetzlicher Fiktion zu gewerblichen werden. Die Folge sind wesentliche Belastungsunterscheide (Abb. 2.1). Schlüssige Gründe für dieses allein an die Beteiligungshöhe von 1 % anknüpfende unterschiedliche Regelungsregime fehlen.79 Die Gewerblichkeit folgt hier allein aus der normativen Anordnung ohne materielle Substanz. Insoweit ist der

 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026. 79  Vgl. Strohm, jM 2019, 116 (119 ff.) m. w. N. 78

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Regelungsbereich der Abgeltungsteuer nicht folgerichtig definiert. § 17 EStG wäre in § 20 Abs. 2, 4 EStG zu integrieren. Den Weg in diese Richtung weist auch die neue Sichtweise des BFH zur Behandlung ausgefallener Finanzierungshilfen eines Gesellschafters als nachträgliche Anschaffungskosten,80 die die Einbeziehung schuldrechtlicher Beziehungen zwischen Gesellschaft und wesentlich beteiligtem Gesellschafter beendet. Damit entfällt ein zentraler Unterschied in der Besteuerung von wesentlich beteiligtem Gesellschafter gem. § 17 EStG und unwesentlich beteiligtem Gesellschafter gem. § 20 Abs. 4 EStG. Bei beiden sind ausgefallene Finanzierungshilfen nach § 20 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen.81 Die Streichung von § 17 EStG bedeutete eine ganz erhebliche Vereinfachung. Der Regeln zum Vorliegen einer Beteiligung von mindestens 1 % in § 17 Abs. 6 EStG sowie der Regelung einer unentgeltlichen Rechtsnachfolge in eine wesentliche Beteiligung (§ 17 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 5 f. EStG) bedürfte es nicht mehr, ebensowenig der Missbrauchsregel des § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG. Ersatzlos entfallen könnte etwa auch § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach die verdeckte Einlage von Anteilen deren Veräußerung gleichsteht; dasselbe gilt gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG. Soweit § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG die Auflösung einer Kapitalgesellschaft, die Kapitalherabsetzung und die Ausschüttung oder Zurückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto einer Veräußerung gleichstellt, wäre § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ohnehin entsprechend zu ergänzen. Gleiches muss gelten, soweit in § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG die Verlagerung des Sitzes oder Orts der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft einer Veräußerung gleichgestellt wird und eine entsprechende Regelung für § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG fehlt. Die Regelung der Entstrickungsfälle in § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG wäre ggf. in § 20 EStG zu integrieren. Was den Besteuerungsumfang angeht, erfolgt die Ermittlung des Veräußerungsgewinns gem. § 20 Abs. 4 Satz  1 EStG nach dem Zuflussprinzip, die Gewinnermittlung gem. §  17 Abs.  2 Satz  1 EStG aber nach dem Stichtagsprinzip. Zwingende Gründe für das Stichtagsprinzip bestünden nicht, würde auch die Beteiligung ab 1 % unter § 20 Abs. 2, 4 EStG fallen. Befinden sich Anteile i.  S. d. §  17 EStG in Sammelverwahrung, sind die Anschaffungskosten nach R 17 Abs. 5 Satz 3 EStH nach Durchschnittswerten zu bestimmen. Für Anteile i.  S.  d. §  20 EStG ist in §  20 Abs.  4 Satz  7 EStG die sog. FiFo-­Methode angeordnet. Auch diese Differenzierung entfiele mit § 17 EStG. Bei wesentlichen Beteiligungen i. S. d. § 17 EStG gilt nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c, § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG das Teileinkünfte- und Teilabzugsverfahren. Für unwesentliche Beteiligungen i. S. d. § 20 EStG ist dieses nach § 3 Nr. 40 Satz 2 EStG ausgeschlossen. Hier geht es um die Abgrenzung des Regelungsbereichs der Abgeltungsteuer vom unternehmerischen Bereich. Dafür ist die 1 %-Grenze untauglich.  BFH, Urt. v. 11.07.2017 – IX R 36/15, BFHE 258, 427; dazu Kahlert, DStR 2017, 2305; Förster/ von Cölln, DB 2017, 2886; Ratschow, GmbHR 2017, 1204; Fuhrmann, NWB 2017, 4003; Ott, StuB 2018, 15; Schießl, StuB 2017, 765. 81  Dazu BFH, Urt. v. 24.10.2017 – VIII R 13/15, BFHE 259, 540 = BStBl. II 2018, 189; Jachmann-Michel (Fn. 8), S. 28 ff. m. w. N. 80

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Die Option zum Teileinkünfteverfahren gem. § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG ist der schlüssige Weg. § 17 EStG sollte insoweit wiederum einfach entfallen. Die Sonderregeln für die Gewinnermittlung bei Kapitalmaßnahmen i. S.  d. § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG gelten nur für unwesentliche Beteiligungen i. S. d. § 20 EStG und finden bei wesentlichen Beteiligungen i. S. v. § 17 EStG keine Anwendung (§ 20 Abs. 8 Satz 2 EStG). Mit Wegfall von § 17 EStG wäre auch diese Unstimmigkeit behoben. Verluste aus wesentlichen Beteiligungen i. S. d. § 17 EStG können frei verrechnet werden. Etwas anderes gilt nur in den Fällen des § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG. Bei unwesentlichen Beteiligungen i.  S.  d. §  20 EStG bestehen die Beschränkungen i. S. d. § 20 Abs. 6 Satz 1 und 4 EStG. Auch insoweit fehlt es an einem sachlichen Grund. Es sollte nur § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG gelten. Für wesentliche Beteiligungen sieht § 17 Abs. 3 EStG einen relativ großzügigen Freibetrag vor. Steuerpflichtigen mit unwesentlichen Beteiligungen i. S. d. § 20 EStG steht nur der Sparer-Pauschbetrag i. H. v. 801 Euro zu. Auch dies erscheint wenig stimmig. Eine ebenso unnötige Verkomplizierung bedeutet es, dass zwar gem. § 43 Abs. 4 EStG auch in den Fällen des § 17 EStG ein Kapitalertragsteuerabzug vorzunehmen ist,82 aber ohne Abgeltungswirkung. Die Berücksichtigung ausländischer Quellensteuern richtet sich im Fall von wesentlichen Beteiligungen i. S. d. § 17 EStG nach § 34c EStG. Bei unwesentlichen Beteiligungen i. S. d. § 20 EStG findet § 32d Abs. 5 EStG Anwendung – eine unnötige Verkomplizierung. Veräußerungsgewinne i. S. v. § 17 EStG sind gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) EStG beschränkt steuerpflichtig, wenn die veräußerten Anteile zu einer inländischen Kapitalgesellschaft gehören oder ein (bestimmter) Umwandlungs- oder Entstrickungsvorgang stattgefunden hat. Für Fälle des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht eine beschränkte Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. d) EStG nur bei Tafelgeschäften. Insoweit könnte § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) EStG auf § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG übertragen werden oder entfallen. Auch könnte § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) bzw. Nr. 5 Buchst. d) EStG selbstständig die Beteiligungshöhe bestimmen. Das besondere Verlustverrechnungsverbot für Auslandsverluste in §  2a Abs.  1 Satz  1 Nr. 4 und Nr. 7 Buchst. c) EStG könnte bei Streichung von § 17 EStG ggf. entfallen, da Verluste aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft i. S. d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG bereits der Verlustverrechnungsbeschränkung nach § 20 Abs. 6 EStG unterliegen.83 Zu denken wäre auch daran, dass § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 7 Buchst. c) EStG die Beteiligungshöhe selbstständig regeln.  Bei beschränkt Steuerpflichtigen i. S. d. § 1 Abs. 4 EStG soll nach Ansicht der Finanzverwaltung bei Einkünften i.S.d. § 17 EStG kein Steuerabzug erfolgen (vgl. BMF, Schreiben v. 18.01.2016, IV C 1-S 2252/08/10004: 017, 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85 Rn. 315); zu den notwendigen Korrekturen im Rahmen des Veranlagungsverfahrens, falls Einkünfte i. S. d. § 17 EStG dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterlegen haben, vgl. BMF, Schreiben v. 16.12.2014, IV C 1  – S 2252/14/10001: 001, BStBl. I 2015, 24. 83  § 2a EStG begrenzt die Verlustabzugsbeschränkung auf Drittländer (§ 2a Abs. 2a EStG). Durch eine Integration in § 20 Abs. 6 EStG könnten inländische Gewinne aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG 82

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De lege lata kann nur eine Beteiligung i. S. v. § 17 EStG nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG ein wesentliches wirtschaftliches Interesse im Inland und damit eine erweiterte beschränkte Steuerpflicht nach § 2 AStG begründen. Mit der Streichung von §  17 EStG wäre die relevante Beteiligungsgrenze für den Eintritt einer erweitert beschränkten Steuerpflicht in § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG eigenständig zu regeln, ggf. anzuheben. Entsprechendes gilt, soweit eine Wegzugsbesteuerung i. S. v. § 6 AStG derzeit nur bei einer wesentlichen Beteiligung i. S. v. § 17 EStG in Betracht kommt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG).

2.4.2  Detailvereinfachungen Kompliziert machen die geltende Abgeltungsteuer die diversen Ausnahmen, die in die Veranlagung führen. Sie können lediglich insoweit nicht entfallen, als sie den Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer – typisch private Kapitalerträge – gegenüber dem unternehmerischen Bereich abstecken, so § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG für die unternehmerische Beteiligung sowie § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG für die Gesellschafterfremdfinanzierung. Etwas anderes gilt für speziell zu rechtfertigende Ausnahmen vom Binnensystem der Abgeltungsteuer. Zu nennen ist hier insbesondere die sog. Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG. Sie kommt insbesondere Steuerpflichtigen zu Gute, deren persönlicher Steuersatz unter dem Abgeltungsteuersatz liegt. Erforderlich wäre dies in der Schedule nicht. Dies gilt erst recht, soweit über einen Antrag auf Günstigerprüfung negative Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem Sondertarif unterliegen, mit positiven tariflich besteuerten Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden können.84 Die Ausnahmeregelungen für nahestehende Personen in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG sollen Missbrauchsgestaltungen durch Ausnutzung der Steuersatzspreizung zwischen individuellem (Spitzen-)Steuersatz und dem Abgeltungsteuertarif verhindern,85 dies vor dem Hintergrund der mit der Abgeltungsteuer e­ inhergehenden Bevorzugung von Fremd- gegenüber Eigenkapital.86 Die Finanzierungsneutralität unterneh-

mit Verlusten aus wesentlichen Beteiligungen an Drittstaaten-Kapitalgesellschaften ausgeglichen werden. U. U. greift die Verlustabzugsbeschränkung in § 20 Abs. 6 EStG zu kurz. Im Verhältnis des § 2a EStG zu anderen Verlustausgleichsbeschränkungen geht der weiterreichende Ausschluss vor (vgl. Kirchhof/Gosch, § 2a EStG Rn. 9 unter Hinweis auf BFH, Urt. v. 26.11.1997 – I R 63/97, BFH/NV 1998, 680). Eine (bisherige) „Schlechterstellung“ der Drittstaatenverluste gegenüber solchen, die aus EU-Staaten und dem Inland resultieren, würde ggf. mit Wegfall von § 2a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und 7 Buchst. c) EStG ebenfalls entfallen. 84  Dazu BFH, Urt. v. 30.11.2016 – VIII R 11/14, BFHE 256, 455 = BStBl. II 2017, 443. 85  Vgl. stv. Kichhof/Pfirrmann, § 32d EStG Rn. 10 unter Hinweis auf BT-Drs. 16/4841, S. 60. 86  Vgl. Hey, in: Tipke/Lang (2018), § 8 Rn. 506.

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merischer Entscheidungen soll gewahrt werden.87 Richtig ist, dass es – wirtschaftlich betrachtet – bei Darlehensgestaltungen i. S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG an dem typischerweise zwischen fremden Dritten bestehenden Interessengegensatz fehlt.88 Auch liegt es nahe, dass bei den Konstellationen des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG das wirtschaftspolitische Lenkungsziel, durch die Einführung eines Abgeltungsteuersatzes die Standortattraktivität Deutschlands im internationalen Wettbewerb für private Anleger zu erhöhen, typischerweise verfehlt wird.89 Zu fragen ist jedoch, ob demgegenüber der Vereinfachungseffekt der Abgeltungsteuer nicht höher zu gewichten wäre. Der allgemeine Trend in der Gesetzgebung zur Missbrauchsregelung erscheint mir jedenfalls bedenklich. Im Interesse der Verfahrensvereinfachung sollte de lege ferenda eine Drittanfechtung90 ausgeschlossen und der Weg über die Antragsveranlagung gem. § 32d Abs. 4 EStG zur Kontrolle des Kapitalertragsteuerabzugs verpflichtend ausgestaltet werden. Art. 19 Abs. 4 GG würde damit ausreichend Rechnung getragen.

2.5  Fazit Die Abgeltungsteuer ist als Schedule jedenfalls aus Praktikabilitäts- bzw. Vereinfachungsgründen gerechtfertigt. Der Kritik, sie sei zu kompliziert, wäre – soweit sie nach 10 Jahren praktischer Anwendung noch greift – durch eine Entschlackung der Abgeltungsteuer von unnötigen Ausnahmen und einer Einbeziehung auch von Beteiligungen von mindestens 1 % unter Aufhebung von § 17 EStG zu begegnen. Gerechtigkeitsargumente mit dem Tenor einer Benachteiligung von Kleinverdienern greifen nicht. Zum einen ist das Teileinkünfteverfahren vielfach günstiger als die Bruttobesteuerung via Abgeltungsteuer, zum anderen bedarf der Arbeitslohn keiner Inflationsbereinigung. „Aufgrund der unterschiedlichen Systematik, der Versagung des Werbungskostenabzugs über den Sparer-Pauschbetrag hinaus und der steuerlichen Vorbelastung von Unternehmensgewinnen ist der Abgeltungssteuersatz nur bedingt mit dem progressiven Einkommensteuertarif vergleichbar. Das sachlich unrichtige, aber eingängige (Neid-)Argument, Kapitalerträge dürfen nicht geringer besteuert werden, wird dennoch weiter verbreitet werden.“91  § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG soll erreichen, dass unternehmerische Entscheidungen über die Finanzierungsstruktur eines Unternehmens steuerlich unverzerrt bleiben; vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 60. 88  Vgl. FG Niedersachsen, Urt. v. 12.04.2012  – 14  K 335/10, juris  – nachgehend BFH, Urt. v. 29.04.2014  – VIII R 23/13, BFHE 245, 352 = BStBl. II 2014, 884; FG Niedersachen, Urt. v. 18.06.2012 – 15 K 417/10, EFG 2012, 2009 – nachgehend BFH, Urt. v. 29.04.2014 – VIII R 9/13, BFHE 245, 343 = BStBl. II 2014, 986. 89  Vgl. BFH, Urt. v. 29.04.2014 – VIII R 23/13, BStBl. II 2014, 884 und BT-Drs. 16/4841, S. 60. 90  Dazu BFH, Urt. v. 20.11.2018 – VIII R 45/15, BFHE 263, 175. 91  Stiftung Marktwirtschaft, Kurzinformation, Februar 2018, S. 1 unten. 87

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Kapitel 3

Reformbedarf im Bilanzsteuerrecht Ulrich Prinz

Inhaltsverzeichnis 3.1  A  usgangspunkt: Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz, Vorgehensweise  3.2  Bestandsaufnahme zum geltenden Bilanzsteuerrecht  3.2.1  Rechtsgrundlagen des Bilanzsteuerrechts  3.2.2  Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB: Bedeutung, Reichweite und Verfassungsfestigkeit  3.2.3  Wahlrechtsvorbehalt mit eigenständiger Steuerbilanzpolitik  3.2.4  „Sondertypen“ der Maßgeblichkeit  3.2.5  Fiskalgeprägte Maßgeblichkeitswertungen der Finanzverwaltung  3.2.6  Maßgeblichkeit und das europäische GKB-Projekt  3.2.7  Fazit: Zunehmende „Zerklüftung“ des maßgeblichkeitsgeprägten Bilanzsteuerrechts  3.3  Konzeptionelle/einzelfallbezogene Reformüberlegungen und -vorschläge zum Bilanzsteuerrecht  3.3.1  Konzeptionelle Reformüberlegungen: Pro/Contra Maßgeblichkeit; eigenes steuerliches Gewinnermittlungsgesetz?  3.3.2  Einzelfallbezogene Reformüberlegungen aus (pragmatischer) Praktikersicht  3.3.2.1  Beseitigung rein fiskalorientierter GoB-widriger Regelungen  3.3.2.2  Systematisch verbesserte Unterscheidung zwischen erster und zweiter Gewinnermittlungsstufe  3.3.2.3  Immaterielle Wirtschaftsgüter: Akuter Regelungsbedarf 

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Es handelt sich um die Schriftfassung eines Vortrags am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München, vom 19.12.2018. Die Überlegungen beruhen auf meinen Beiträgen in Prinz/Kanzler, HdB Bilanzsteuerrecht (2018), Rn. 331–479 sowie StuB 2019, 1 ff. U. Prinz (*) Partner Of Counsel, WTS, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 W. Schön, J. Schindler (Hrsg.), Reformfragen des deutschen Steuerrechts, MPI Studies in Tax Law and Public Finance 9, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60057-3_3

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U. Prinz

3.3.2.4  V  ereinheitlichter Betriebsvermögensvergleich   82 3.3.2.5  Schaffung realitätsnaher Diskontierungsfaktoren   83 3.3.2.6  Begrenzung der E-Bilanz-Taxonomie auf handelsrechtlich geforderte Gliederungstiefe   84 3.3.2.7  Bilanzierung bei Mitunternehmerschaften: Sind Sondervergütungen/Sonderbilanzen wirklich noch nötig?   85 3.3.2.8  Warten auf die GKB?   87 3.4  Zum Schluss: Plädoyer für ein systemorientiertes Bilanzsteuerrecht   88 Literatur ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 89

3.1  A  usgangspunkt: Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz, Vorgehensweise Die steuerliche Gewinnermittlung für buchführende Gewerbetreibende beruht im Ausgangspunkt auf der Anwendung handelsrechtlicher Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB), § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG. Dies wird als Maßgeblichkeitsprinzip bezeichnet und inkorporiert handelsrechtliche Rechnungslegungsgrundsätze in das Bilanzsteuerrecht. Es gibt Gegner, es gibt Befürworter der Maßgeblichkeit. Die Diskussion wird seit langem – vor allem in der Steuerwissenschaft, phasenweise aber auch in der Steuerpolitik  – geführt. Fakt ist: Seit dem BilMoG vom 25.05.2009 besteht ein steuerlicher Wahlrechtsvorbehalt, der losgelöst vom Handelsbilanzrecht ausgeübt werden kann. Darüber hinaus existieren seit vielen Jahren etliche steuerbilanzielle Ausnahmeregelungen und Sonderbestimmungen, die einen „Gleichklang“ von Handels- und Steuerbilanz verhindern. Man denke an das steuerbilanzielle Verbot des Ansatzes von Drohverlustrückstellungen, die seit Ende 2013 geltenden Abwehrregelungen zur Hebung stiller Lasten (§ 4 f, § 5 Abs. 7 EStG) oder die Bewertungsbesonderheiten für Rückstellungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG). Seitdem sind Einheitsbilanzen im Wesentlichen nur noch bei kleineren Unternehmen möglich. Der steuerbilanziell unter Leistungsfähigkeitsaspekten zu ermittelnde „wahre Gewinn“ weicht deshalb zunehmend vom gläubigergeschützten und durch das Vorsichtsprinzip geprägten ausschüttungsfähigen Jahresüberschuss ab. Der Fiskus als „stiller Teilhaber“ des Unternehmens wird in Teilen anders behandelt als deren Gesellschafter. Der Beitrag nimmt in einem ersten Teil eine Bestandsaufnahme zum geltenden Bilanzsteuerrecht vor. In einem zweiten Teil werden dann konzeptionelle und einzelfallbezogene Reformüberlegungen und -vorschläge zum Bilanzsteuerrecht erarbeitet. Leitmaxime der Reformierungsüberlegungen ist: Bilanzsteuerrecht setzt auf dem betrieblichen Rechnungswesen auf, gehört zum „Steueralltag“ der Unternehmen und bedarf einfacher, flexibler und möglichst rechtssicher anwendbarer Regeln! Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer für ein systemorientiertes Bilanzsteuerrecht.

3  Reformbedarf im Bilanzsteuerrecht

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3.2  Bestandsaufnahme zum geltenden Bilanzsteuerrecht 3.2.1  Rechtsgrundlagen des Bilanzsteuerrechts Kein eigenständiges kodifiziertes BilStRecht: Das geltende Bilanzsteuerrecht ist durch eine „Mehrschichtenstruktur“1 unabhängig voneinander bestehender Rechtsbereiche gekennzeichnet, die sich in den vergangenen Jahrzehnten evolutorisch entwickelt hat, ohne den erforderlichen Systemüberlegungen dabei ausreichend Raum zu geben. Schicht 1 umfasst das Handelsbilanzrecht (§§ 238–289f HGB). Es wirkt über die GoB in vielfältiger Form in das Steuerbilanzrecht hinein. Kennzeichnend für das Handelsbilanzrecht ist eine Zweckvielfalt: Dies ist zum einen die Informationsfunktion des Jahresabschlusses (Bilanz, G+V, Anhang), zum anderen seine Ausschüttungsbegrenzungs- und Kapitalerhaltungsfunktion. Die Zweckvielfalt der Handelsbilanz dokumentiert sich bei Kapitalgesellschaften und haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften im true and fair view-Gebot des §  264 Abs.  2 HGB. Dort wird als eine Art „Grundsatz der Bilanzwahrheit“ postuliert, dass der Jahresabschluss unter Beachtung der GoB „ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage“ des Unternehmens vermitteln soll.2 Nicht zuletzt durch das BilMoG wurde die Informationsfunktion des Jahresabschlusses im Hinblick auf die angelsächsisch geprägten IFRS (International Financial Reporting Standards) gestärkt. Zur Wahrung ausreichenden Gläubigerschutzes wurden in diesem Zusammenhang einzelfallbezogen außerbilanziell wirkende Ausschüttungs- und Abführungssperren eingeführt (§ 268 Abs. 8 HGB, § 301 AktG sowie § 253 Abs. 6 HGB), die in Teilen nicht ganz harmonisiert erscheinen (keine Abführungssperre für § 253 Abs. 6 HGB). Im Handelsbilanzrecht differenziert der Gesetzgeber schließlich hinsichtlich der Informationsdichte des Jahresabschlusses nach Rechtsform, Größe und Branche. Prägend für das Handelsbilanzrecht sind die heute im Wesentlichen kodifizierten handelsrechtlichen GoB (insbes. § 252 HGB), die man insbesondere nach Gewinnanspruchs-GoB, Informations-­GoB sowie Ausweis-GoB unterscheiden kann. Nicht kodifizierte GoB bestehen nur noch vereinzelt (etwa das Verbot zum Ausweis schwebender Geschäfte). Schicht 2 umfasst das originäre Bilanzsteuerrecht, das als Teil des Unternehmensteuerrechts in den §§ 4–7i EStG kodifiziert ist. Ein eigenes Gewinnermittlungsgesetz besteht derzeit nicht. Es gibt zwei steuergesetzliche Formen des Betriebsvermögensvergleichs: Zum einen § 4 Abs. 1 EStG mit der originären Steuerbilanz als Grundform, zum anderen § 5 Abs. 1 EStG mit der derivativen Steuerbilanz und der Verknüpfung mit dem Handelsbilanzrecht über die Maßgeblichkeit sowie dem steuergesetzlichen

 Vgl. zu einem dreischichtigen Strukturschema grundlegend Beisse, FS Moxter (1994), S. 3 (11–13): Reines Handelsbilanzrecht, deckungsgleiches Handels- und Steuerbilanzrecht, reines Steuerbilanzrecht. Ergänzend Beisse, BB 1980, 637 ff.; Beisse, StuW 1984, 1 ff. 2  Zum Einblicksgebot des §  264 Abs.  2 HGB ausführlich Stöber, in: Hachmeister/Kahle/Mock/ Schüppen, § 264 HGB Rz. 24 ff. 1

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Wahlrechtsvorbehalt. Darüber hinaus bestehen diverse steuerliche Ansatz- und Bewertungsvorbehalte (z. B. § 5 Abs. 6, § 6 EStG). Einen Sonderfall der Gewinnermittlung kodifiziert §  4 Abs.  3 EStG mit einer Betriebseinnahmen/Betriebsausgaben-Überschussrechnung. Davon sind insbesondere nicht buchführende Freiberufler betroffen. Der Totalgewinn bei § 4 Abs. 3 EStG einerseits und §§ 4, 5 EStG andererseits muss über die Gesamtlebensdauer der steuerrelevanten unternehmerischen Tätigkeit identisch sein; die abschnittsbezogene Steuerlast natürlich nicht. Im Übrigen befreit § 241a HGB kleinere Einzelkaufleute von der Buchführungspflicht (bis zu 600.000 Euro Umsatzerlöse, 60.000 Euro Jahresüberschuss). Insoweit gilt für Besteuerungszwecke ebenfalls die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. Schicht 3 schließlich umfasst die abgabenrechtlich kodifizierte Führung von Büchern und Aufzeichnungen für Besteuerungszwecke (§§  140–148 AO). Vor allem §  141 AO regelt eine eigenständige steuerliche Buchführungspflicht für bestimmte Steuerpflichtige, die in weiten Teilen auf die im HGB kodifizierten GoB verweist. Insoweit gelten handelsrechtliche GoB auch bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG, was konzeptionell Fragen nach der Sinnhaftigkeit zweier BV-Vergleiche aufwirft. Strukturmerkmale des BilStRechts: Mit Blick auf die Rechtsgrundlagen des Bilanzsteuerrechts sind zwei weitere Aspekte wichtig: „Bilanz im Rechtssinne“ als Ausgangspunkt der Maßgeblichkeit: Der steuerbilanzielle Betriebsvermögensvergleich strebt eine periodengerechte Ergebnisermittlung für Gewinnermittler nach objektivierbaren Realisationsgrundsätzen – also unabhängig von reinen Zahlungsvorgängen – auf Basis einer kaufmännischen Rechnungslegung an. Dies gilt für beide Formen des Betriebsvermögensvergleichs. Trotz seiner betriebswirtschaftlichen Grundlagen im Rechnungswesen fußt der maßgeblichkeitsgeprägte stichtagsbezogene Betriebsvermögensvergleich stets auf einer „Bilanz im Rechtssinne“.3 Betriebswirtschaftliche Erfolgsmessungskonzepte haben deshalb nur insoweit im Bilanzsteuerrecht Bedeutung, als sie in einzelnen Normen ihren Ausdruck finden (etwa Ansätze zur dynamischen Erfolgsermittlung bei den Rechnungsabgrenzungsposten gem. § 5 Abs. 5 EStG). Die Bilanz im Rechtssinne muss – neben dem imparitätisch ausgestalteten Realisationsprinzip als tragendem Periodisierungsgrundsatz – Objektivierungsnotwendigkeiten beachten und realitätsnahe kaufmännische Vorsicht in ausgewogener Form bei sachgerechter Ausrichtung an wirtschaftlichen Leistungsfähigkeitsüberlegungen berücksichtigen. Als „Steuerbilanz“ wird dabei eine den steuerlichen Vorschriften entsprechende Bilanz bezeichnet (§ 60 Abs. 2 Satz 2 EStDV). Eine gesetzliche Verpflichtung zur Erstellung einer solchen Steuerbilanz besteht aber nicht. Vielmehr kann der Steuerpflichtige gem. § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV auch eine der Steuererklärung beigefügte Handelsbilanz (einschließlich Gewinn- und Verlustrechnung) mit steuerlichen Korrekturen einreichen. Insoweit spricht man von einer sog. Anpassungs- oder Übergangsrechnung. Wegen der mittlerweile zahlreichen Abweichungen zwischen ­Handels- und Steuerbilanz und der elektronischen Übermittlungsverpflichtung gem. § 5b Abs. 1 EStG sind in der Praxis vermehrt eigenständige Steuerbilanzen anzutreffen. Im Übrigen wird der Steuerbilanzbegriff vom Gesetzgeber auch in anderen Vorschriften verwendet, etwa in § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG zur Ermittlung des steuerlichen 3  BFH, Urt. v. 17.07.1974 – I R 194/72, BStBl. II 1974, 684: „Die Bilanz im Rechtssinne ist keine Kostenrechnung“. Dazu auch Döllerer, JbFSt 1979/1980, 195.

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Einlagekontos oder in § 14 Abs. 4 KStG zu den Ausgleichsposten bei Organschaft. Als Ausfluss des Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit hat die Steuerbilanzermittlung zum Ziel, den „wahren steuerlichen Gewinn“ zu ermitteln. Dies schließt allerdings steuerliche Wahlrechte nicht aus und zwar zum einen unter Subventionsaspekten (etwa § 6b EStG), zum anderen wegen Unschärfen bei der Beurteilung von Tatsachen- und Rechtsfragen. Zweistufige Gewinnermittlung als systematischer Ausgangspunkt: Ohne dass es in § 4 Abs. 1 oder § 5 Abs. 1 EStG unmittelbar erwähnt wird, ist die steuerliche Gewinnermittlung für beide Formen des Betriebsvermögensvergleichs zweistufig aufgebaut. Dies entspricht mittlerweile allgemeinen Erkenntnissen in Rechtsprechung und Literatur, dient der Klarheit bei der Gewinnermittlung, ist dessen ungeachtet aber noch immer nicht unstreitig.4 Der Begriff „Gewinnermittlung“ ist dabei unscharf und schließt „Verlustermittlung“ ein. Privat veranlasste Entnahmen/Einlagen werden dabei gedanklich zu Recht der zweiten Gewinnermittlungsstufe zugeordnet, auch wenn sie per buchungstechnischer Automatik über Privatkonten ergebnisneutral behandelt und über das jeweilige Kapitalkonto abgeschlossen werden. Die auf der ersten Gewinnermittlungsstufe erfolgende Unterschiedsbetragsermittlung kann theoretisch auch ohne „doppelte Buchführung“ erfolgen; die Neutralisierung der „Privatvorgänge“ findet insoweit außerbilanziell statt. Schematisch betrachtet sieht die zweistufige Gewinnermittlung wie in Abb. 3.1 gezeigt aus. Es ist wichtig zu erkennen, dass der Maßgeblichkeitsgrundsatz mit dem Rückgriff auf die handelsrechtlichen GoB nur auf der ersten Stufe der steuerlichen Gewinnermittlung seine Wirkung entfaltet.

3.2.2  M  aßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB: Bedeutung, Reichweite und Verfassungsfestigkeit Das Maßgeblichkeitsprinzip mit seiner traditionellen Bezugnahme auf die „handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung“ ist in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG als Rechtsgrundlage verankert.5 4  Vgl. vor allem Wassermeyer, DB 2010, 1959; Prinz, DStJG 34 (2011), S. 135 (144–146). Kritisch allerdings Bareis, DB 2010, 2637 sowie Briese, Ubg 2019, 26 und ders., DStR 2016, 2126. Vgl. auch Nöcker, StuB 2019, 9, der darauf hinweist, dass im EStG 1934 für die Durchführung des BV-Vergleichs keine Buchführung vorausgesetzt wurde. 5  Zu Grundlagen und Systematik der Maßgeblichkeit vgl. eingehend Prinz, in: Prinz/Kanzler, HdB Bilanzsteuerrecht (2018), Rn. 331–479; Prinz, StuB 2019, 1; vgl. ergänzend auch Müller-Gatermann, Ubg 2019, 19 mit einem instruktiven Überblick zur Historie des Maßgeblichkeitsgrundsatzes; Wendt, FS Kirchhof (2013), S. 1961; Kahle, DB Beilage Nr. 4/2014, 1; Scheffler, Der Konzern 2016, 482; Hüttemann, DStZ 2011, 507; v. Wolfersdorff, Steuerbilanzielle Gewinnermittlung (2014), S. 26 ff.; Krumm, FS BFH (2018), S. 1457 ff.; P. Kirchhof, FS Hommelhoff (2012), S. 527 (535); Hennrichs, in: Tipke/Lang (2018), § 9 Rz. 40–124. Anders akzentuiert mit großer Skepsis gegenüber dem „übermäßigen Vorsichtsprinzip“ des Handelsbilanzrechts Weber-Grellet, BB 2018, 2347; ders., DB 2016, 1279.

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Abb. 3.1  Schema der steuerlichen Gewinnermittlung „Bei Gewerbetreibenden, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder die ohne eine solche Verpflichtung Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, ist für den Schluss des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen (§ 4 Absatz 1 Satz 1), das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist, es sei denn, im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts wird oder wurde ein anderer Ansatz gewählt.“

Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung für buchführende Gewerbetreibende  – Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften  – nach Maßgabe eines stichtagsbezogenen Betriebsvermögensvergleichs soll damit „vereinfacht“ die Handelsbilanz (= Einzelabschluss, nicht Konzernabschluss) sein unter Beachtung einer Vielzahl gesetzlicher und rechtsprechungsseitiger steuerlicher Besonderheiten, die dem Grundsatz der Maßgeblichkeit vorgehen und innerhalb oder außerhalb der Steuerbilanz zur Anwendung gebracht werden.6 Spätestens seit Abschaffung der sog. Umkehrmaßgeblichkeit durch das BilMoG vom 25.05.2009 haben sich Handels- und Steuerbilanz eigenständig weiterentwickelt. Normcharakter handelsrechtlicher GoB: Materielle Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB meint konkret die Befolgung der handelsrechtlichen Vorgaben kodifizierter und nicht kodifizierter Art bei Ansatz und Bewertung sämtlicher 6  Zu den Durchbrechungen der Maßgeblichkeit siehe beispielhaft den steuerlichen Wahlrechtsvorbehalt (§ 5 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 EStG), das Verbot zum Ansatz von Drohverlustrückstellungen (§  5 Abs.  4a EStG) sowie die Regelungen zu entgeltlichen Schuldübernahmen bei Übertrager/ Übernehmer (§§ 4 f, 5 Abs. 7 EStG).

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Bilanzposten.7 Dabei haben die handelsrechtlichen GoB Rechtsnormcharakter – die GoB-Enumeration in § 252 Abs. 1 HGB verdeutlicht dies – und strahlen unmittelbar in das Steuerbilanzrecht hinein. Die GoB sind keine bloßen Rechtstatsachen. Imparitätisch wirkendes Realisationsprinzip, Vorsichtsprinzip und der Anschaffungs-/Herstellungskostengrundsatz sind deshalb auch im Steuerbilanzrecht prägend. Aus steuersystematischer Sicht ist erstaunlich, dass der Steuergesetzgeber bislang auf eigenständige Gewinnermittlungsgrundsätze verzichtet und stattdessen Handelsbilanzrecht für ein zentrales steuerliches Anliegen nutzbar macht. Dies erhöht zwar auf der einen Seite die steuergesetzliche Anpassungsflexibilität der kaufmännischen Rechnungslegung auf moderne Wirtschaftsphänomene (etwa bei der Abbildung von Derivaten oder Mehrkomponentengeschäften), schafft auf der anderen Seite aber gleichzeitig ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit. Im Übrigen bedeutet Maßgeblichkeit nicht, dass die konkreten Ansätze und Werte der Handelsbilanz in das Steuerbilanzrecht zu übernehmen sind. Nur die handelsrechtlichen GoB sind maßgeblich. Darüber hinaus haben „Ausweis-GoB“ nur in Sonderfällen Bedeutung. Die IFRS sind keine GoB und sind deshalb für Steuerbilanzfragen ohne Relevanz. Nur „deutsche“ GoB sind für das Steuerbilanzrecht anwendbar. Zweck/Teleologie der Maßgeblichkeit: Historisch betrachtet ist der Maßgeblichkeitsgrundsatz Ende des 19. Jahrhunderts unter Praktikabilitäts- und Vereinfachungsgesichtspunkten entstanden. Hintergrund war: Der Kaufmann habe ohnehin Rechnung zu legen, also eine Handelsbilanz aufzustellen, die gleichzeitig auch Basis für die Besteuerung sein sollte (kaufmännische Einheitsbilanz; Vermeidung mehrerer Bilanzen).8 Die Maßgeblichkeit blickt deshalb auf eine lange erfahrungsgestützte Tradition zurück. Systematisch begründet wurde das Maßgeblichkeitsprinzip vor allem durch die „stille Teilhaberthese“ von Döllerer,9 wonach sich Fiskus und Anteilseigner gleichermaßen auf den Zugriff nach einem vorsichtig ermittelten, ausschüttungsfähigen Jahresgewinn beschränken sollten. Dies würde eine weitgehend deckungsgleiche Ausschüttungsbemessungs- und Besteuerungsfunktion der Einheits­ bilanz erfordern. „Maßgeblichkeit“ soll dadurch – neben Vereinfachung und Praktikabilität  – vor einem übermäßigen fiskalischen Zugriff schützen, indem die im Interessenwiderstreit austarierten handelsrechtlichen GoB denkbare „steuerliche Willkür“ begrenzen. Dies sind die beiden traditionellen Begründungsstränge der Maßgeblichkeit. Aus aktueller Sicht muss man allerdings feststellen: Die Schutzfunktion der handelsrechtlichen GoB vor fiskalischen Eingriffen im Ertragsteuerrecht ist wegen der zwischenzeitlich zahlreichen gesetzlichen Durchbrechungen der Maßgeblichkeit, der durch das BilMoG abgeschafften Umkehrmaßgeblichkeit sowie der rein  Vgl. etwa Kirchhof/Crezelius, § 5 EStG Rz. 1.  Vgl. Müller-Gatermann, Ubg 2019, 19; Ballwieser, FS Spindler (2011), S. 577 (580); Ballwieser, in: Kahle/Overesch/Ruf/Spengel (2017), S. 103–116; zur Rechtsentwicklung auch Ballwieser, DB 2018, 1; Hennrichs, in: Tipke/Lang (2018), § 9 Rz. 40–52; Meyering/Gröne, StuW 2018, 28; v. Wolfersdorff (Fn 5). 9  Vgl. vor allem Döllerer, BB 1971, 1333. 7 8

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steuerlich ausgerichteten Auslegungskompetenz des BFH rechtlich und faktisch stark eingeschränkt. Schon seit dem Großen Senatsbeschluss vom 03.02.196910 führen handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte zu steuerbilanziellen Aktivierungsgeboten, handelsrechtliche Passivierungswahlrechte ziehen dagegen steuerbilanzielle Passivierungsverbote nach sich. Der Steuerbilanzgewinn wurde insoweit schon seit langem „viel strenger“ als das ausschüttungsfähige Handelsbilanzergebnis ermittelt. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um mehrheitsbeteiligte oder minderheitsbeteiligte Gesellschafter handelt. Auch wenn die vom Großen Senat im Jahre 1969 bezeichneten handelsbilanziellen Wahlrechte in den meisten Fällen heute nicht mehr bestehen, findet der Programmansatz des Großen Senats nach wie vor in einschlägigen Verwaltungserlassen seinen Niederschlag.11 Die abnehmende Bedeutung der Maßgeblichkeit wird auch verstärkt durch zunehmende Korrekturen auf der zweiten (außerbilanziellen) Gewinnermittlungsstufe. Insoweit bieten die handelsrechtlichen GoB aktuell allenfalls eine Art „Restschutz“ vor übermäßigem Fiskalismus im Steuerbilanzrecht. Des Weiteren ist Döllerers These trotz ihres im Grundsatz „sehr klugen Ausgangspunkts“ zwischenzeitlich stark umstritten, da der „wahre“, unter Leistungsfähigkeitsaspekten besteuerungswürdige Gewinn von einem durch den Anteilseigner geforderten Ausschüttungsanspruch abweichen kann und selbst bei gleichermaßen im Handels- wie im Steuerbilanzrecht geltenden GoB die höchstrichterliche BFH-Rechtsprechung mitunter Rechtsauslegungen vornimmt, die unter Vorsichts- und Gläubigerschutzaspekten problematisch sind. Eine Reihe neuerer BFH-Judikate zum Rückstellungsbereich verdeutlichen dies. Hinzu kommt: Der Schutz vor fiskalischen Eingriffen obliegt nicht dem einfach-recht­ lichen Maßgeblichkeitsprinzip, sondern vielmehr dem Verfassungsrecht und ist primär auf Kapitalgesellschaften, weniger auf Personenunternehmen ausgerichtet. Insoweit hat die Schutzfunktion der Maßgeblichkeit als traditionelle Rechtfertigung mittlerweile stark an Bedeutung und Überzeugungskraft verloren. Dessen ungeachtet ist aber zu konstatieren, dass sowohl Handels- wie auch Steuerbilanz auf einem einheitlichen Buchführungswerk aufbauen müssen und insoweit naturgemäß jedenfalls im Grundsatz immer eine enge Ausgangsbasis gemeinsam bestehen bleiben wird. Rechtsqualität der Maßgeblichkeit: Das BVerfG hat in seinem sog. Jubiläumsrückstellungsbeschluss vom 12.05.2009 herausgestellt, dass das Maßgeblichkeitsprinzip keinen Verfassungsrang hat.12 Dies unter drei Aspekten: 1. Der maßgeblichkeitsgeprägte Betriebsvermögensvergleich verdankt seine Existenz Gründen der Praktikabilität und nicht „primär Überlegungen zur gerechten Verteilung von Steuerlasten“.

 Vgl. BFH GrS, Beschl. v. 03.02.1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 291.  So etwa im BMF-Schreiben v. 12.03.2010, IV C 6-S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, 239 Rz. 4. 12  Vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.05.2009 – 2 BvL 1/10, BStBl. II 2009, 685. Kritisch dazu etwa Hey, DStR 2009, 2561 (2564–2568); Hennrichs, FS Lang (2010), S. 237 ff.; Schulze-Osterloh, FS Lang (2010), S. 255 ff.; Hüttemann, FS Spindler (2011), S. 627 ff.; Prinz, DB 2016, 9 (11 f.). 10 11

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2. Das Maßgeblichkeitsprinzip verkörpert eine „entwicklungsoffene Leitlinie“ und ist nicht etwa „als eine strikte, einmal getroffene Belastungsgrundentscheidung des Gesetzgebers“ zu verstehen. 3. Die Zulässigkeit/Unzulässigkeit von Rückstellungen betrifft nur das Wann, nicht das Ob der Besteuerung. Ungeachtet seiner „Meilensteinfunktion“ hat das Judikat des BVerfG in Steuerrechtskreisen deutliche Kritik erfahren, da es weder steuersystematisch noch folgerichtig sei. Denn gerade bei einem auf periodengerechte Ergebnisermittlung ausgerichteten steuerlichen Rechenwerk müssen Bestandseffekte und Zufluss-/ Abflusskriterien hinsichtlich der sachgerechten Erfassung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit folgerichtig auseinandergehalten werden. Einer Vermischung der Kriterien vor allem auf der Passivseite der Bilanz hätte das BVerfG vielmehr „einen Riegel vorschieben“ sollen. Meines Erachtens sollte die Erfassung eines besteuerungswürdigen Gewinns nach Maßgabe eines bilanziellen Betriebsvermögensvergleichs unter Berücksichtigung eines einheitlichen abschnittsbezogenen Zeit­ moments erfolgen. Für die Praxis gilt es dessen ungeachtet aber festzuhalten: Verfassungszweifel an bilanzsteuerlichen Einzelfragen werden sich vermutlich auch zukünftig nur schwerlich, allenfalls in vom Willkürverbot betroffenen Kon­ stellationen durchsetzen lassen (etwa beim marktunüblichen Festzins von 6 % bei Pensionsrückstellungen in Niedrigzinszeiten).

3.2.3  W  ahlrechtsvorbehalt mit eigenständiger Steuerbilanzpolitik Der Gesetzgeber hat den steuerlichen Wahlrechtsvorbehalt des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halb­ satz 2 EStG, der tatbestandsvoraussetzend an bestimmte Dokumentationspflichten geknüpft ist, im Zuge des BilMoG vom 25.05.2009 mit Wirkung ab dem Jahre 2010 neu eingeführt und damit die davor geltende sog. Umkehrmaßgeblichkeit abgeschafft. Danach kann die „Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts“ unabhängig von der Handelsbilanz erfolgen, wobei allerdings „revidierte Wahlrechtsausübungen“ an die Voraussetzungen der Bilanzänderungen gem. § 4 Abs. 2 EStG geknüpft sind. Der steuerliche Wahlrechtsvorbehalt bietet erhebliches Gestaltungspotenzial, da er insoweit die Handels- von der Steuerbilanz entkoppelt und eine eigenständige und unabhängig vom Stetigkeitsgebot erlaubte Steuerbilanzpolitik befördert. Begriff „steuerliche Wahlrechte“: Der steuerliche Wahlrechtsbegriff, der in § 5 Abs. 1 EStG selbst nicht definiert ist, erstreckt sich im Kern auf sog. Subventionswahlrechte, wie etwa die nur noch steuerbilanziell mögliche § 6b-Rücklage oder Investitionsabzugsbeträge/Sonderabschreibungen gem. § 7g EStG. Nach Meinung der Finanzverwaltung im Schreiben vom 12.03.201013 sind aber auch andere Wahlrechte – wie etwa die Möglichkeit einer Teilwertabschreibung aufgrund dauernder 13

 BMF v. 12.03.2010, IV C 6-S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, 239.

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Wertminderung im Anlage- und Umlaufvermögen, das Lifo-Verfahren usw. – gemeint. § 6a EStG zur Pensionsrückstellung gehört ausdrücklich nicht zu den steuerlichen Wahlrechten. Dieses in der Literatur teils umstrittene Wahlrechtsverständnis des BMF wurde kürzlich durch den Gesetzgeber für den Sonderfall des Sanierungsertrags im „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“ vom 27.06.2017 konkret in Gestalt des § 3a Abs. 1 EStG bestätigt. Danach sind – vereinfacht gesagt – Sanierungserträge unter einer Reihe von Rahmenbedingungen nur dann steuerfrei zu stellen, sofern „steuerliche Wahlrechte“ im Sanierungsjahr und im Folgejahr im zu sanierenden Unternehmen gewinnmindernd ausgeübt werden. Im Ergebnis dürfte sich damit der Streit um den Begriff „steuerliche Wahlrechte“ weitgehend erledigt haben. Vor allem hinsichtlich des Wahlrechts zur Teilwertabschreibung fragt man sich nach dem steuersystematischen Hintergrund: Dieser dürfte zum einen darin bestehen, dass der Steuerpflichtige selbst ohnehin für steuermindernde Tatsachen die Beweislast trägt, die er im Hinblick auf den Nachweis der Wertminderung erbringen oder nicht erbringen kann. Zum zweiten dürfte die systematische Berechtigung für ein Wahlrecht auch darin liegen, dass „erzwungene“ Teilwertabschreibungen durchaus in Verlustsituationen zu Verzerrungen in einer abschnittsbezogenen Leistungsfähigkeitsbesteuerung führen können (etwa im Hinblick auf § 8c KStG). Unter diesem Aspekt erscheint mir die von der Finanzverwaltung zugelassene Wahlrechtsausübung durchaus nachvollziehbar. Die Möglichkeit zur Wahlrechtsausübung bedeutet auf der einen Seite ein aus Sicht der Unternehmen optimierbares Auseinanderdriften von Handels- und Steuerbilanz. Auf der anderen Seite kann aber auch  – soweit es die steuergesetzlichen Normen erlauben – ein Gleichklang von Handels- und Steuerbilanz erreicht werden. Vor allem bei kleineren Unternehmen sind deshalb Einheitsbilanzen in Grenzen auch weiterhin möglich. So kann etwa die Sofortabschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter gem. § 6 Abs. 2 EStG, deren Obergrenze ab 2018 auf EUR 800,00 (netto) erhöht wurde, unter GoB-Aspekten und pragmatischen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen im Gleichklang von Handels- und Steuerbilanz angesetzt werden. Ähnliches gilt für den Sammelposten gem. § 6 Abs. 2a EStG, der eine steuergesetzliche Spezialregelung verkörpert, wahlweise aber auch in die Handelsbilanz übernehmbar ist, soweit der „true and fair view“ des Jahresabschlusses dadurch keine Einschränkung erfährt.14 Eigenständige Steuerbilanzpolitik: Der an bestimmte, im Rechnungswesen zu erfüllende Dokumentationspflichten geknüpfte steuerliche Wahlrechtsvorbehalt macht eigenständige, steuerbilanzpolitische Überlegungen erforderlich, führt aber nicht stets zwingend zu Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz. Die Erfassung von Steuerlatenzen gem. §  274 HGB im Tax Accounting kann Folge von Abwei­ chungen sein (zu einer größenabhängigen Erleichterung s. § 274a Nr. 4 HGB). Das Tax Accounting erfüllt damit eine Art „Scharnierfunktion“ zwischen Handels- und Steuerbilanz. Vor allem bei kleineren und mittelständischen Unternehmen dürften  Vgl. zum Ganzen HFA, IDW life 2017, 848; Prinz, StbJb 2017/2018, 381 (387); Bauer, Ubg 2017, 529 (532); Schubert/Andrejewski/Hoscher, in: Beck’scher Bilanzkommentar (2017), § 253 HGB Rz. 275; kritisch allerdings Schmidt/Kulosa, § 6 EStG Rz. 608.

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die inhaltlichen Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz aber meist überschaubar sein. Schließlich ist auch für die Praxis wichtig, dass die Aufzeichnungspflichten, die vom BMF im Schreiben vom 12.03.2010 in Rz. 19–23 näher konkretisiert sind, nicht für Sonderbetriebsvermögen und Umwandlungsvorgänge gelten.

3.2.4  „Sondertypen“ der Maßgeblichkeit Neben dem Grundkonzept der Maßgeblichkeit mit dem steuerlichen Wahlrechtsvorbehalt haben sich in den letzten Jahren diverse steuergesetzliche Sonderausprägungen der Maßgeblichkeit in etwas „versteckter Form“ herausgebildet. Jeder Sondertypus hat seine eigene Historie, die „für sich genommen“ manches an Systemverwerfungen rechtfertigen mag. Dessen ungeachtet entsteht dadurch letztlich aber ein zunehmend „verwaschenes Maßgeblichkeitsgesamtbild“. Zu nennen sind insbesondere: Sondertypus 1: Konkrete Maßgeblichkeit bei Bewertungseinheiten (§  5 Abs.  1a Satz  2, Abs.  4a Satz  2 EStG). Zur Beseitigung schwer verständlicher imparitäti­scher Wirkungen auf Aktiv- und Passivseite der Steuerbilanz bei Grundgeschäften und gegenläufigen Sicherungsgeschäften im Hedge Accounting sind nach § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG die „Ergebnisse der in der handelsrechtlichen Rechnungslegung zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken gebildeten Bewertungseinheiten“ für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich. Bei negativen Überhängen aus einer Bewertungseinheit sind ausnahmsweise Drohverlustrückstellungen zulässig. Damit rekurriert das Steuerbilanzrecht auf den vom Handelsrechtsgesetzgeber erst später geschaffenen § 254 HGB, der aber abweichend sowie breiter formuliert ist und etwa auch warenbezogene Termingeschäfte zur Bildung von Bewertungseinheiten zulässt. Die Details der Anwendungsvoraussetzungen steuerlicher Bewertungseinheiten sind streitig.15 Vor allem ist auch die Frage außerbilanzieller Korrekturen auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung (etwa im Hinblick auf § 8b Abs. 2, 3 KStG, § 3c Abs. 2 EStG) unklar. Die Fragen haben zwischenzeitlich zunehmende Bedeutung in der Betriebsprüfungspraxis. Klar ist: Nur bei Bildung einer handelsbilanziellen Bewertungseinheit ist ein „steuerliches Netting“ überhaupt möglich. Hinreichend für die steuerliche Anerkennung der Bewertungseinheit ist eine parallele handelsrechtliche Handhabung aber nicht, da der steuergesetzliche Wortlaut von den handelsrechtlichen Vorgaben abweicht. Unter Vereinfachungsinteresse und im Hinblick auf Systemkonformität wäre ein Gleichklang zwischen handels- und steuerbilanziellen Bewertungseinheiten sicher vorzugswürdig. Sondertypus 2: Deckungsgleiche Wahlrechtsausübung der Aktivierung von allgemeinen Verwaltungskosten im Herstellungsbereich (§ 6 Abs. 1 Nr. 1b Satz 2 EStG). Der seit dem BilMoG vom 25.05.2009 entstandene Streit um die steuerbilanzielle Herstellungskostenuntergrenze wurde durch Einführung des §  6 Abs.  1 Nr.  1b EStG im „Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ vom  Zu Anwendungshinweisen in der Rechtsprechung vgl. BFH, Urt. v. 02.12.2015  – I R 83/13, BStBl. II 2016, 831. Als Überblick auch Meinert, DStR 2017, 1401 (1447).

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18.07.2016 rückwirkend beseitigt.16 Das ist zu begrüßen. Steuersystematisch fällt allerdings auf: Für die Definition des allgemeinen Herstellungskostenbegriffs im Steuerbilanzrecht wird nach wie vor auf § 255 Abs. 2 HGB als Anwendungsbereich handelsrechtlicher GoB zurückgegriffen. Nur die Sonderregelung für allgemeine Verwaltungskosten hat Eingang in die Bewertungsnorm des §  6 EStG gefunden. Deshalb ist die steuergesetzliche Kodifikation im Herstellungskostenbereich „Stückwerk“. Darüber hinaus fordert § 6 Abs. 1 Nr. 1b Satz 2 EStG die Ausübung des Herstellungskostenwahlrechts im Gleichklang von Handels- und Steuerbilanz. Dadurch soll eine allein steuerlich motivierte Nutzung dieses Bewertungswahlrechts verhindert werden. Dies ist zwar nachvollziehbar, allerdings ist der Gesetzgeber damit – jedenfalls für diesen Einzelfall – wieder zu einer Art „umgekehrter Maßgeblichkeit“ zurückgekehrt. Das systembezogene Spannungsverhältnis zum steuerlichen Wahlrechtsvorbehalt des § 5 Abs. 1 EStG ist offensichtlich. Eigentlich hätte sich der Gesetzgeber konsequent zu einem eigenständig ausübbaren, steuerbilanziellen Einbeziehungswahlrecht auch für allgemeine Verwaltungskosten im Hinblick auf deren doch sehr ferne Herstellungsnähe bekennen müssen. Sondertypus 3: Anwendung des Lifo-Verfahrens im Vorratsvermögen, soweit dies den handelsrechtlichen GoB entspricht (§ 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG). Im Grundsatz erkennt die Finanzverwaltung die Lifo-Methode zur Bewertung gleichartiger Wirtschaftsgüter des Vorratsvermögens als eigenständiges steuerliches Wahlrecht bei Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG an, welches unabhängig von der Handelsbilanz (§  256 HGB) und auch einer Einzelbewertung nach IFRS-Grund­ sätzen ausgeübt werden kann.17 Allerdings besteht ein ausdrücklicher steuergesetzlicher GoB-Entsprechensvorbehalt. Dadurch wird beispielsweise eine Lifo-­ Bewertung bei verderblichen Waren mit Haltbarkeitsdauer bis zu einem Jahr zu Recht ausgeschlossen. Dieser ausdrückliche GoB-Entsprechensvorbehalt dürfte letztlich eigentlich überflüssig sein, da die Einhaltung der GoB ohnehin über den Maßgeblichkeitsgrundsatz vorausgesetzt wird. Der GoB-Zusatz in § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG sollte deshalb bei nächster Gelegenheit vom Gesetzgeber gestrichen werden. Andere Bewertungsvereinfachungsverfahren  – wie etwa die Fifo- oder Hifo-Methode – sind steuerlich unzulässig.

3.2.5  F  iskalgeprägte Maßgeblichkeitswertungen der Finanzverwaltung In jüngerer Zeit ist in der Besteuerungsrealität zu beobachten, dass die Maßgeblichkeit von der Finanzverwaltung im Wege der Auslegung steuergesetzlicher Normen mitunter vornehmlich im Fiskalinteresse genutzt wird. Daraus entstehen unter Leis Die Rechtsentwicklung und die Details sind nachgezeichnet bei Prinz, StbJb 2016/2017, 343 (346–351). 17  Vgl. BMF, Schreiben v. 12.05.2015, IV C 6-S 2174/07/10001:002, BStBl. I 2015, 462. Ergänzend dazu Prinz, StbJb 2014/2015, 365 (376–382); Weinzierl/Risse/Möller, StuB 2016, 172. 16

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tungsfähigkeitsaspekten problematische Mehrsteuern. Der Steuerpflichtige ist insoweit auf Rechtsschutz durch die Gerichte angewiesen, was aber Geduld erfordert und letztlich einen unsicheren Ausgang hat. Zwei Beispiele dazu. Maßgeblichkeit und Rückstellungsbewertung: „Hohe Wellen“ geschlagen hat bei betroffenen Unternehmen die von der Finanzverwaltung in R 6.11 Abs. 3 EStR 2012 nachzulesende „Entdeckung“ einer handelsbilanziellen Rückstellungsobergrenze bei einer „eigentlich“ über diesen Werten liegenden steuerbilanziellen Rückstellung. Der Kern der Verwaltungsanweisung lautet: „Mit Ausnahme der Pensionsrückstellungen darf die Höhe der Rückstellung in der Steuerbilanz den zulässigen Ansatz in der Handelsbilanz nicht überschreiten“. Die Maßgeblichkeit entfaltet insoweit nach Meinung der Finanzverwaltung eine „Kappungswirkung“ im Steuerbilanzrecht. Die im Normalfall sicher ungewöhnliche Höherbewertung von Rückstellungen in der Steuerbilanz im Vergleich zur Handelsbilanz resultiert aus unterschiedlichen Abzinsungsmethoden, die vor allem bei der Bewertung von Sachleistungsverpflichtungen relevant werden. Während Rückstellungen handelsbilanziell mit dem nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrag anzusetzen sind und mit einem laufzeitadäquaten, durchschnittlichen Marktzins bei mehr als einjähriger Restlaufzeit bis zur Inanspruchnahme abgezinst werden müssen (§ 253 Abs. 2 HGB), fordert der Steuergesetzgeber zwar eine Abzinsung von langfristigen Rückstellungen mit 5,5 %, verkürzt aber den Abzinsungszeitraum bis zum Beginn der Erfüllung. Trotz unterschiedlicher Bewertungsmethodik kann im Saldo deshalb die rein steuerbilanzielle Bewertung der Rückstellung über dem entsprechenden Handelsbilanzwert liegen. Das Maßgeblichkeitsverständnis der Finanzverwaltung wirkt insoweit fiskal begrenzend. Die Finanzverwaltung leitet ihr Rechtsergebnis aus der in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG zu findenden Eingangsformulierung „höchstens insbesondere“ ab und lässt aus Billigkeitsüberlegungen für Altkonstellationen eine 15-jährige Streckung des einmaligen Auflösungsgewinns über einen Rücklagesonderposten zu. Das FG Rheinland-Pfalz stützt nun in einem jüngeren Urteil vom 07.12.201618 für die Bewertung von Rekultivierungsrückstellungen an Abbaugrundstücken die Sichtweise der Finanzverwaltung, lässt allerdings Revision beim BFH zu (Aktenzeichen: XI R 46/17). Zur Begründung seines Rechtsergebnisses zieht das FG Rheinland-Pfalz die BFH-Entscheidung vom 11.10.201219 zu einer Aufbewahrungsrückstellung für Geschäftsunterlagen heran, wo nach dem Einleitungssatz der Vorschrift unmissverständlich „sein nicht abschließender Charakter“ entnommen werden kann. Allerdings ist meines Erachtens bei der Einordnung der BFH-Entscheidung zu berücksichtigen, dass sich das Gericht seinerzeit mit der Frage zeitlich vor der BilMoG-Änderung 2009 befasst hat. Eine Neuakzentuierung der Beurteilung durch den BFH ist deshalb durchaus denkbar. Ungeachtet dessen stellt die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung meines Erachtens eine klare Fehlinterpretation der Maßgeblichkeit dar. Denn bei einer umfassend ausgestalteten Bewertungsnorm, wie sie § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG darstellt, ist für  Vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 07.12.2016 – 1 K 1912/14, EFG 2017, 693. Kritisch dazu Marx, StuB 2017, 449; Hennrichs, NZG 2017, 618 (620); Prinz, WPg 2017, 1316 (1322). 19  Vgl. BFH, Urt. v. 11.10.2012 – I R 66/11, BStBl. II 2013, 676. 18

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fiskalmotivierte „Lückenauslegung“ durch Maßgeblichkeitsüberlegungen kein Raum. „Höchstens insbesondere“ lässt sich auch so verstehen, dass die allgemeinen steuerlichen Bewertungsregeln vor allem für Verbindlichkeiten (§  6 Abs.  1 Nr.  3 EStG) überlagernd gelten sollen. Handels- und steuerbilanzielle Rückstellungsbewertungen folgen völlig unterschiedlichen Bewertungssystemen, die eine Maßgeblichkeitsobergrenze mittels Handelsbilanz in keiner Weise einsichtig machen. Auch der offensichtlich billigkeitsgeleiteten Übergangsregelung zur Abmilderung von „Steuerbelastungshärten“ fehlt es an einer konkreten gesetzlichen Grundlage für das Wahlrecht. Ob der BFH diesen verwaltungskritischen Überlegungen aber letztlich folgen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls verdeutlicht R 6.11 Abs. 3 EStR 2012 die problematische konkrete Wirkkraft der Maßgeblichkeit in „unheilvoller Weise“. Maßgeblichkeit und Genussrechte als Finanzierungsform: Ein weiteres Beispiel „fiskalgesteuerter Maßgeblichkeitsbeurteilung“ lässt sich bei der bilanziellen Behandlung von Genussrechtskapital beobachten.20 Derartige Genussrechte sind durch schuldrechtliche Verträge in sehr differenzierter Form eigen- oder fremdkapitalähnlich ausgestaltbar. Laut IDW-HFA 1/1994 ist ein handelsbilanzieller Eigenkapitalausweis beim Emittenten möglich, sofern kumulativ Nachrangigkeit der Genussrechtskapitalüberlassung, Erfolgsabhängigkeit der Vergütung sowie Verlustteilnahme bis zur vollen Höhe und schließlich Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung gegeben sind. Dessen ungeachtet erfolgt nach Meinung des IDW stets – und zwar auch bei einem Eigenkapitalausweis – eine „Bedienung des Genussrechts“ als Aufwand der Gesellschaft, keine Gewinnverwendung. Die Eigenkapitalqualifikation des Genussrechts dient daher reinen Ausweiszwecken. Die Hybridität von Genussrechtskapital wird in der „Sanierungspraxis“ häufig dazu genutzt, im Rahmen eines debt mezzanine swaps eine bilanzielle Überschuldung durch „Eigenkapitalschaffung“ zu vermeiden, ohne den steuerlichen Abzug der Vergütung als Betriebsausgabe zu gefährden, sofern nicht der Anwendungsbereich des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe eröffnet ist (Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös). Durch bundesweit abge­ stimmte Verfügung vom 12.05.201621 hatte die OFD Nordrhein-Westfalen dem überraschend einen „Riegel“ vorgeschoben, was in Sanierungskreisen „große Aufregung“ nach sich gezogen hat. Verkürzt gesagt sollte bei einem handelsbilanziellen Ausweis des Genussrechtskapitals als Eigenkapital „via Maßgeblichkeit“ ein Betriebsausgabenabzug der Vergütung ausgeschlossen sein; die Finanzverwaltung hat dies auf § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG gestützt. Nur wenn Genussrechtskapital als Verbindlichkeit in der Handelsbilanz passiviert ist, sollte die Spezialregelung des § 8 Abs. 3

 Vgl. als Überblick v. Wolfersdorff, Eigenkapital, in: Prinz/Kanzler, HdB Bilanzsteuerrecht (2018), Rz. 5103; Prinz, FS Crezelius (2018), S. 351 (360–362). Zu weiteren Details auch Hennrichs/Schlotter, DB 2016, 2072; Helios, RDF 2018, 267; Droscha/Holle, FR 2019, 6. Zu Genussrechten aus Empfängersicht vgl. FG Baden-Württemberg, Urt. v. 22.05.2017  – 10  K 1859/15, DStRE 2018, 1156 (Az. beim BFH: I R 44/17). Dazu auch Bolik, StuB 2019, 86. 21  Vgl. OFD NRW, Verfügung v. 12.05.2016, S 2742 – 2016/0009 – St 131, GmbHR 2016, 1338 m. Anm. Briese. Vgl. auch Grützner, StuB 2016, 654. 20

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Satz 2 KStG „ins Spiel“ kommen. Die Maßgeblichkeit wurde insofern von der Finanzverwaltung als eine Art „Steuerfalle“ für missliebige Gestaltungen eingesetzt. Nicht zuletzt durch die vehemente Kritik an dieser Rechtsauffassung in einschlägigen Kreisen hat die OFD Nordrhein-Westfalen – wiederum in Abstimmung mit den Vertretern der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder  – zwischenzeitlich „ein Einsehen“ und die Verfügung vom 12.05.2016 kürzlich aufgehoben.22 In der Steuerbilanz bleibt es deshalb auch bei debt mezzanine swaps im Grundsatz beim Fremdkapitalausweis und beim Betriebsausgabenabzug, vorbehaltlich des Anwendungsbereichs von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Ungeachtet dessen muss jeder Einzelfall natürlich separat geprüft werden. Dieser „Schwenk der Finanzverwaltung“ ist aus Sicht der Praxis sehr zu begrüßen und zeugt vom Willen der Finanzverwaltung zu einer „vernünftigen Maßgeblichkeitsanwendung“. Die mittlerweile bestehenden systematischen Bruchstellen im Bilanzsteuerrecht werden allerdings auch an dieser Stelle sehr deutlich.

3.2.6  Maßgeblichkeit und das europäische GKB-Projekt Die Fortgeltung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes mit seinen steuergesetzlichen, rechtsprechungs- und verwaltungsseitigen Einschränkungen und Ausnahmen dürfte in absehbarer Zukunft entscheidend auch von europäischen Impulssetzungen im Steuerbilanzrecht abhängen.23 Dies vor folgendem Hintergrund: Seit mehr als einem Jahrzehnt befasst sich die EU-Kommission mit durchaus „wechselnder Begeisterung“ mit der Projektion eines harmonisierten europäischen Konzernsteuerrechts (einschließlich Gewinnermittlung). Die zunächst sehr ambitionierten Richtlinien­ entwürfe zu einer „gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB)“ v. 16.03.2011 haben sich zwischenzeitlich als deutlich zu anspruchsvoll für ein nur einstimmig zu bewältigendes Harmonisierungskonzept herausgestellt. Als Schlussfolgerung daraus hat die Europäische Kommission im Juni 2015 einen „Schwenk“ in Richtung einer „Two-Step-Strategie“ vorgenommen und das Gesamtprojekt in zwei aufeinander aufbauende Teile „gespalten“. In einem ersten Schritt sollen die Gewinnermittlungsvorschriften in der EU/EWR angeglichen werden (Gemeinsame Körperschaftsteuer Bemessungsgrundlage (GKB, CCTB) Projekt) und erst in einem späteren zweiten Schritt soll dann die europaweite Konsolidierung umgesetzt werden. Im Rahmen des GKB-Projekts muss dabei das prinzipienbasierte kontinentaleuropäische Bilanzrecht zukünftig mit der mehr

 Vgl. FinMin. NRW, Erlass v. 18.07.2018, 000036-V B 1/ S 2741 -91-V B 4, DB 2018, 1762; OFD NRW, Verfügung v. 19.07.2018, S 2742 – 2016/0009 – St 131. Zur Einordnung v. Wolfersdorff, StuB 2018, 801. 23  Zu einer Einordnung der europäischen Entwicklungstrends zu einer GKB/GKKB vgl. Prinz, FS Crezelius, (2018), S. 351 (369 f.); Velte/Mock, StuW 2017, 126; Velte/Mock, FR 2018, 1081 sowie 1125; Scheffler/Köstler, ifst-Schrift 518 (2017), S. 217; Herzig, FS Gosch (2016), S. 151 ff.; Kahle, in: Prinz/Kanzler, HdB Bilanzsteuerrecht (2018) Rz. 3076. 22

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case-law-orientierten angelsächsischen Rechnungslegungstradition praxisverwendbar zusammengeführt werden. Ein solches europäisches Bilanzsteuerrecht wird dabei sicherlich nicht auf die handelsrechtlichen GoB deutscher Tradition zurückgreifen können. Möglicherweise könnte deshalb die Umsetzung des GKB-Projekts das definitive Ende unserer tradierten Maßgeblichkeit jedenfalls für Körperschaften „einläuten“. Sicherlich werden dann aus deutscher Sicht auch Personenunternehmen und die Gewerbesteuer einbezogen werden müssen. Dies dürfte letztlich auch den zunehmenden Einfluss der IFRS als weltweite Bilanzierungsstandards kapitalmarktorientierter Unternehmen im Hinblick auf die HGB-Bilanzierung Rechnung tragen. Die Emanzipation der Handelsbilanz gegenüber der Steuerbilanz dürfte auch dieser EU/EWR-weite Trend befördern. Natürlich wird auch ein prinzipienbasiertes und harmonisiertes europäisches Gewinnermittlungsrecht auf kaufmännischen Grundlagen der Rechnungslegung wie dem Realisationsprinzip, der Anschaffungskostenermittlung sowie einem Bedarf an Rückstellungen Rechnung tragen müssen. Die maßgeblichkeitsprägenden handelsrechtlichen GoB werden dabei aber sicherlich nicht in vollem Umfang den europäischen Rechtsrahmen definieren können. Zudem wird die GKB nach heutigem Verständnis stärker auf ein G+V-orientiertes Gewinnermittlungskonzept abstellen, wobei aber Bestandsveränderungen im Vorratsvermögen und Abschreibungen auf Basis historischer Anschaffungs- oder Herstellungskosten erhalten bleiben. Einer „einfachen Orientierung“ an bloßen Zahlungsvorgängen wird auch das GKB-­ Projekt wegen der Notwendigkeit zur Abbildung komplexen Unternehmensgeschehens sicherlich nicht folgen können. Letztlich dürfte die Weiterverfolgung des europäischen Bilanzprojekts auch eine vertiefte unionsweite Diskussion über Bilanzierungsprinzipien für Besteuerungszwecke auslösen, die sich „jenseits von Maßgeblichkeitsüberlegungen“ bewegen dürfte. Letztlich wird die durch das GKB-Projekt zu erwartende „Rechtsverdichtung“ von Bilanzierungs- und Bewertungsprinzipien „europäischer Couleur“ zur Folge haben, dass die für die Rechnungslegung zwingend erforderlichen unbestimmten Rechtsbegriffe europäisch zu definieren sind und deshalb durchaus vom überkommenen jeweiligen Nationalstaatsverständnis abweichen werden.24 Zusammengefasst: Die europäische Öffnung zu einer GKB als harmonisiertes Gewinnermittlungsrecht für EU/EWR-weit tätige Unternehmen wird sich konzeptionell nur unabhängig von der deutschen Handelsbilanz implementieren lassen. Sobald die GKB mittel- oder langfristig tatsächlich realisiert werden sollte, dürfte für die Verknüpfung mit den handelsrechtlichen GoB deutscher Prägung kaum mehr Raum verbleiben. Dies betrifft auch die zweite Stufe der Gewinnermittlung mit den außerbilanziellen Korrekturen, so dass etwa die Berichtigungsvorschrift des § 1 AStG und die Kriterien verdeckter Gewinnausschüttung/verdeckter Einlage zukünftig einen europäischen Rechtsrahmen bekommen könnten.

 Vgl. zu den Implikationen des europäischen GKB-Richtlinienentwurfs aus Oktober 2016 für die steuerliche Gewinnermittlung Velte/Mock, StuB 2019, 22.

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3.2.7  F  azit: Zunehmende „Zerklüftung“ des maßgeblichkeitsgeprägten Bilanzsteuerrechts Die evolutorische Fortschreibung des Bilanzsteuerrechts über viele Jahre verdeutlicht eine Vielzahl anlassbezogener punktueller Eingriffe in die GoB-Grundstruktur der Maßgeblichkeit, ohne dass ein neues Gesamtkonzept für das Bilanzsteuerrecht sichtbar wird. Insoweit kann man von einer zunehmenden „Zerklüftung“ des Bilanzsteuerrechts sprechen. Aspekte dabei sind: Die Praxis bemüht sich um das „richtige“ Maßgeblichkeitsverständnis spätestens seit seiner Neujustierung durch das BilMoG vom 25.05.2009. Dies betrifft vor allem den Umgang mit steuerlichen Wahlrechten, die Handhabung der handelsbilanziell vorgeprägten Bewertungseinheiten und die „Maßgeblichkeitskappung“ bei Rückstellungen. Die Digitalisierung schreitet auch im Steuerbilanzrecht voran mit Folgen für E-Bilanzen, system- und verprobungsorientierte Betriebsprüfungen und Risikomanagementsysteme der Finanzverwaltung, Tax Compliance-Projekte und die Schnittstellen von Handels- und Steuerbilanz im Tax Accounting. Immaterielle Wirtschaftsgüter bei vernetzten Wertschöpfungsketten erlangen darüber hinaus zunehmende Steuerrelevanz, die von § 5 Abs. 2 EStG nur sehr bruchstückhaft geregelt werden. Das unionsrechtliche Projekt der GKB soll zwar Leithinweise auch für das nationale Bilanzsteuerrecht geben, sein unionsrechtliches Schicksal ist aber weiter offen, auch im Hinblick auf die deutsch-französische Initiative zur Harmonisierung des Unternehmensteuerrechts. Schließlich ist ein eigenständiges steuerliches „Gewinnermittlungsgesetz“ derzeit in weiter Ferne. Die Bilanzsteuerrechtsdiskussion befasst sich vielmehr vornehmlich mit Einzelfragen aus dem Unternehmensalltag. Die Bestandsaufnahme macht insgesamt sehr deutlich, dass eine konzeptionelle Neuorientierung im Bilanzsteuerrecht dringend erforderlich ist. Nur so sind in der Praxis verlässliche Lösungen bei der steuerlichen Abbildung von Geschäftsvorfällen und einschlägigen Ansatz- und Bewertungsthemen zu erreichen.

3.3  Konzeptionelle/einzelfallbezogene Reformüberlegungen und -vorschläge zum Bilanzsteuerrecht 3.3.1  K  onzeptionelle Reformüberlegungen: Pro/Contra Maßgeblichkeit; eigenes steuerliches Gewinnermittlungsgesetz? Handels- und Steuerbilanzinteressen im Widerstreit: Nähert man sich Reform­ überlegungen zum Bilanzsteuerrecht konzeptionell, so müssen stets zwei Aspekte gemeinsam im Blick behalten werden:

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Wahrung der Handelsbilanzinteressen: Die Verknüpfung der Handelsbilanz über die materielle Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB mit Besteuerungszwecken stellt im Ergebnis ein „Entwicklungshemmnis“ für die Wahrung eigenständiger Handelsbilanz­ interessen dar. Dies betrifft zum einen die Öffnung für internationale Entwicklungen, die das Bilanzsteuerrecht unter Leistungsfähigkeitsaspekten in vielerlei Hinsicht nicht mitmachen kann. Zum anderen prägen zunehmend rein steuerbilanzielle Wertungen handelsrechtliche GoB, was im Handelsbilanzrecht auf Schwierigkeiten stößt. Das gläubigerschützende Vorsichtsprinzip als Ergänzung zur Informationsfunktion des Jahresabschlusses verlangt mitunter andere Bilanzierungs- und Bewertungsakzente als ein primär steuerorientiertes Rechenwerk mit eingeschränkten Verlustnutzungsmöglichkeiten (etwa im Hinblick auf vorsichtsgeprägte Rückstellungsbildung). Hinzu kommt: Die entscheidenden Akteure im Handelsbilanzrecht sind die Gesellschafter mit ihren Informations- und Ausschüttungsinteressen, die Abschlussprüfer für Jahresabschlüsse, das IDW als privater Standardsetzer mit hoher Relevanz für die Praxis der Abschlussprüfung, die Banken als Kreditgeber sowie diverse anderweitige Kontrollinstanzen wie Aufsichtsräte, die deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung usw. Vereinzelt nimmt auch die Rechtsprechung des EuGH Einfluss auf das richtlinienbasierte Handelsbilanzrecht (z. B. bei der phasengleichen Ergebnisvereinnahmung in der Rechtssache Tomberger).25 Für das nicht harmonisierte Bilanzsteuerrecht dagegen fehlt es – abgesehen von der Durchsetzung der europäischen Grundfreiheiten auch im Ertragsteuerrecht – an der Auslegungskompetenz des EuGH. Wahrung der Steuerbilanzinteressen: Das Steuerbilanzrecht muss allein darauf ausgerichtet sein, einen mit möglichst hoher Rechtssicherheit am Leistungsfähigkeitsprinzip ausgerichteten „besteuerungswürdigen“ Gewinn/Verlust eines Unternehmens zu ermitteln, der zudem gleichheitssatzkonform in das gesamte ertragsteuerliche Einkunftsermittlungssystem „eingepasst“ sein muss. Für die Praxis sind dabei konkret zunehmend eigenständige Steuerregeln zu beachten, die die handelsrechtlichen GoB in den Hintergrund verdrängt haben. Steuerbilanzielle Rechtsfragen lassen sich aktuell nur noch selten allein auf Basis handelsrechtlicher GoB lösen. Abweichend zum Handelsbilanzrecht sind die entscheidenden Akteure im Steuerbilanzrecht die Finanzverwaltung mit ihrer Betriebsprüfung sowie vor allem die höchstrichterliche Rechtsprechung des BFH.  Vor allem die Rechtsprechung muss dabei steuerteleologischen Auslegungsgrundsätzen folgen, um zu ausreichender Rechtsklarheit für Steuerzwecke zu gelangen. Im Ergebnis müssen beide Rechenwerke auch im Zuge einer Reformierung des Bilanzsteuerrechts ausreichend Raum für eigenständige Wertungen und Interessen haben. Stärken/Schwächen der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB: Das Maßgeblichkeitsprinzip blickt auf eine langjährige Tradition zurück und hatte in seiner geschichtlichen Entwicklung stets vehemente Befürworter wie Gegner.26 Der „Streit“  Vgl. EuGH, Urt. v. 27.06.1996 – C-234/94, Slg. 1996, I-3133.  Vgl. etwa Wehrheim/Fross, DStR 2010, 1348; Hüttemann, DStZ 2011, 507; Moxter, BB 1997, 195; Ballwieser, DB 2018, 1; Kahle, StuW 2001, 126; Scheffler, Der Konzern 2016, 482; Marx, BB 2011, 1003; Moxter/Engel-Ciric, BB 2014, 489.

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um die Sinnhaftigkeit der Maßgeblichkeit im Bilanzsteuerrecht ist gerade in jüngerer Zeit wegen der zunehmenden Anzahl von systemproblematischen Sonderregelungen neu entfacht. Häufig sind die Auffassungen im Ausgangspunkt sehr diametral, bewegen sich dann aber in der einen oder anderen Richtung, nicht zuletzt wegen der kaufmännischen Buchführung als gemeinsame Grundlage beider Rechenwerke, aufeinander zu. So bezeichnet etwa Weber-Grellet den Maßgeblichkeitsgrundsatz als „Geburtsfehler des EStG“, relativiert dann aber an späterer Stelle seine Forderung nach einem selbstständigen Steuerbilanzrecht.27 Auch wird verschiedentlich vor einem zu schnellen „Abschied von der Maßgeblichkeit“ gewarnt. So wird in einer Forschungsarbeit der Abteilung Rechnungslegung und Steuern (Prof. Dr. Schön) am Max-Planck-Institut im Jahre 2005 zur Untersuchung der steuerlichen Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa ausgeführt: „Dabei zeigt sich, dass von einem ‚Abschied‘ von der steuerlichen Maßgeblichkeit keine Rede sein muss, wenn die deutsche Gesetzgebung eine kluge Auswahl und Feinjustierung gegenüber den Vorgaben von HGB und IAS/IFRS trifft. Auch ausländische Rechte streben einer stärkeren Maßgeblichkeit des Handelsbilanzrechts für das Steuerrecht zu. Letztendlich ist die europaweite Akzeptanz der IAS/IFRS ab 01.01.2005 die einzige realistische Grundlage einer Harmonisierung der steuerlichen Bemessungsgrundlage in Europa, die somit ebenfalls an handelsbilanzielle Vorgaben anknüpfen muss.“28

Zwar hat sich zwischenzeitlich die „Begeisterung“ für die Rechnungslegungsgüte von IAS/IFRS spätestens seit der Finanzkrise 2008 vor allem im Hinblick auf das Fair-Value-Konzept und die Volatilität der Ergebnisse deutlich relativiert. Die Grunderkenntnis der Analyse des Max-Planck-Instituts gilt aber auch heute. Das Maßgeblichkeitsprinzip ist im Ergebnis also „seit Jahr und Tag“ umstritten. Zu Ende diskutiert ist die Frage nach der „Sinnhaftigkeit der Maßgeblichkeit“ deshalb sicher nicht. Fasst man einmal die Argumente der Befürworter und Gegner der Maßgeblichkeit zusammen, so lässt sich konstatieren: Pro Maßgeblichkeit sind im Wesentlichen zu nennen: • Einheit des Rechnungswesens mit „Einheitsbilanz“; • Vereinfachungsaspekte und Praktikabilitätserfordernisse, nicht zuletzt im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung; • Schutz durch handelsrechtliche GoB vor „Fiskalwillkür“; • strukturähnliche Ausschüttungs- und Besteuerungsfunktion, die im Grundsatz gemeinsamer Regeln bedarf. Contra Maßgeblichkeit sind vor allem zu nennen: • Bedeutungsverlust der Maßgeblichkeit durch zunehmende steuergesetzliche Sonderregeln; • rein steuerteleologische GoB-Interpretation durch die Rechtsprechung,29 die von Bedürfnissen im Handelsbilanzrecht mitunter abweicht;  Weber-Grellet, DB 2016, 1279 (1283); ergänzend auch Weber-Grellet, BB 2018, 2347.  Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa (2005), V. 29  Programmatisch ist insoweit BFH GrS, Beschl. v. 31.01.2013 – GrS 1/10, BStBl. II 2013, 317 zur 27 28

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• steuerliche Wertungen als „Hemmschuh“ für internationale Entwicklungen im Handelsbilanzrecht; • zweistufig ausgestaltete Gewinnermittlung, wobei die Maßgeblichkeit nur auf der ersten Gewinnermittlungsstufe wirkt; • „Infizierung“ handelsrechtlicher GoB durch internationale Rechnungslegung für Steuerzwecke; • handelsrechtlicher Gläubigerschutz/Kapitalerhaltung steht mitunter im Widerspruch zum Leistungsfähigkeitsprinzip. Kleine Lösung für Reformierungsüberlegungen: Die Bestandsaufnahme zum geltenden Bilanzsteuerrecht macht sehr deutlich, dass zumindest als kleine Lösung nach Art einer „vermittelnden Position“ zumindest eine „Fortentwicklung der Maßgeblichkeit“ erforderlich ist. Versteht man den Rechtsverweis auf die handelsrechtlichen GoB als Kernbestand der steuerbilanziellen Gewinnermittlung im Sinne einer „bloßen Regelungstechnik“, so ist der Inhalt bilanzsteuerlicher Rechtsprinzipien entscheidend. Dadurch wird die Frage, ob das Bilanzsteuerrecht als Bestandteil des EStG verbleiben sollte, oder ein eigenes Gewinnermittlungsgesetz notwendig erscheint, eher zweitrangig. Auch sollte klar sein, dass wegen der „Einheit des Rechnungswesens“ – also des breiten gemeinsamen Kernbestands an Buchführungs- und Bilanzierungsregeln für Alltagsfragen der Rechnungslegung – stets Verbindungen zwischen Handels- und Steuerbilanz zwingend verbleiben müssen. Allerdings muss deren steuerbilanzielle Bedeutung für den Rechtsanwender klar sein. Insoweit könnten die handelsrechtlichen GoB bei steuergesetzlich stärker definierten Bilanzierungsinhalten subsidiäre Bedeutung behalten. Verfolgt man einen solchen rechtspragmatischen Lösungsansatz zur Reformierung des Bilanzsteuerrechts, erscheinen mir zwei Aspekte wichtig: Erstens muss sich die Handelsbilanz im Informations- und Ausschüttungsinte­ resse behutsam weiterentwickeln. Verwerfungen im Handelsbilanzrecht, die aus steuerlichen Regelungsinhalten stammen, sind zu vermeiden. Aus diesem Grund erscheint mir die Abschaffung der Umkehrmaßgeblichkeit und die Beseitigung etlicher handelsrechtlicher Wahlrechte (bspw. die Aufwandsrückstellungen gem. § 249 Abs. 2 HGB) durch das BilMoG richtig. Auch sollte der „Kompromiss“ zwischen Informationsinteressen und Kapitalerhaltungsbedürfnissen durch ein besser strukturiertes Instrumentarium von Ausschüttungs- und Abführungssperren Rechnung getragen werden. Die derzeit handelsbilanziell insoweit diffuse Rechtslage – so verweist etwa § 301 AktG nur auf § 268 Abs. 8 HGB, nicht dagegen auf § 253 Abs.  6 HGB  – sollte besser harmonisiert und systematisch strukturiert werden. Auch könnte ich mir handelsrechtliche Sonderregelungen für „kleine Unternehmen“ mit der Zulässigkeit einer „Einheitsbilanz“ vorstellen, da sich insoweit die Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz ohnehin in Grenzen halten werden. Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs hinsichtlich bilanzieller Rechtsfragen. In Rz. 74 des Beschlusses heißt es: „Spezielle steuerrechtliche Vorschriften sind dabei auch dann eigenständig auszulegen und anzuwenden, wenn sie im Handelsrecht eine Entsprechung finden (…) und zwar unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs, in dem sie im Steuerrecht stehen (…).“

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Zweitens muss ein steuerorientiertes Rechenwerk mit Bestandsvergleich objektivierbaren und praktikablen Leistungsfähigkeitsaspekten folgen, die mit deutlich mehr Regelungsdichte selbst steuergesetzlich zu definieren sind. Insbesondere der Wirtschaftsgutbegriff, die Abgrenzung Betriebsvermögen/Privatvermögen, das imparitätisch ausgestaltete Realisationsprinzip sowie die Anschaffungs-/Herstellungskosten als Bewertungsobergrenze sollten als Grundlagen in das EStG Eingang finden. Auch ist eine folgerichtige Ausgestaltung des Betriebsvermögensvergleichs notwendig, damit keine „Vermischung“ von Zahlungs- und Bestandsgrößen erfolgt. Vielmehr muss eine verursachungsgerechte Periodisierung von Aufwendungen/Erträgen systematisch vorgesehen werden. Gegebenenfalls sind missbrauchsgeleitete Ausnahmen auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe anzusiedeln. Eine solchermaßen stärkere Kodifikation von steuerlichen Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätzen lässt dann auch Raum für steuerteleologisch ausgerichtete Rechtsprechung, ohne dass insoweit Spannungen zum Informationsinteresse und zum Gläubigerschutz der Bilanzadressaten entstehen. Ein Cashflow-Konzept kommt aus meiner Sicht, zumindest für mittlere und große Unternehmen, nicht in Betracht. Es würde zu stark von „Zufälligkeiten“ abhängen, die gerade in Zeiten nur begrenzter Verlustabzugsmöglichkeiten hochproblematisch sind. Im Übrigen scheint mir eine „Kräftigung der Einheitsbilanz“ nach österreichischem Vorbild jedenfalls für Deutschland nicht der richtige Weg zu sein.30 Dies könnte dann erneut zu den bereits beseitigten „Verzerrungen“ sowohl in der Handelsbilanz als auch in der Steuerbilanz führen. Nur dort, wo tatsächlich Zweckidentität zwischen Handels- und Steuerbilanz besteht, erscheint mir dies sinnvoll. Große Lösung für Reformierungsüberlegungen: Eigenes steuerliches Gewinnermittlungsgesetz? Seit langem wird in Steuerpolitik und Wissenschaft die Frage diskutiert, ob es nicht im Interesse der Rechtsklarheit besser wäre, statt der mittlerweile doch in vielfältiger Hinsicht ausgehöhlten Maßgeblichkeit ein eigenes steuerliches Gewinnermittlungsgesetz außerhalb des EStG zu schaffen. Dies hätte den Vorteil durchkodifizierter eigenständiger steuerlicher Rechtsgrundlagen. Dem stünde allerdings der Nachteil gegenüber, dass die Verbindungen zur Handelsbilanz weitgehend gekappt werden und sich beide Rechtsgebiete trotz gemeinsamer Rechnungslegungsgrundlagen weiter auseinanderentwickeln. Im Regierungsentwurf zum BilMoG vom 25.05.2009 hat der Steuergesetzgeber eine Art „Prüfungsauftrag“ für ein eigenes steuerliches Gewinnermittlungsgesetz erwähnt, ohne dass dies seitdem in der steuerpolitischen Diskussion weiterverfolgt wurde: „Daher wird zu analysieren sein, ob zur Wahrung einer nach der individuellen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Besteuerung und auch im Hinblick auf die Bestrebungen zur Schaffung einer einheitlichen konsolidierten körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage auf EU-Ebene eine eigenständige steuerliche Gewinnermittlung notwendig ist und erforderlichenfalls wie sie zu konzipieren ist.“31

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 Vgl. insbes. Sopp/Richter/Meyering, StuW 2017, 234; kritisch dazu Prinz, StuB 2017, 689 (690).  Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts, BT-Drs. 16/10067, S. 34.

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Dieser Prüfauftrag im Regierungsentwurf aus dem Jahre 2009 ist sicherlich sehr offen formuliert. Darüber hinaus macht er deutlich, welche Bedeutung das europäische GKB/GKKB-Projekt für deutsche bilanzsteuerliche Entwicklungen hat. Neu ist ein solches „Nachdenken“ in der Steuerpolitik über ein eigenes Gewinnermittlungsgesetz aber sicherlich nicht. Zur Erinnerung: Bereits das Gutachten der Steuerreformkommission 1971 enthält den Entwurf eines eigenen Bilanzsteuerrechts.32 Diese Überlegungen der Steuerreformkommission wurden dann im Referentenentwurf eines Einkommensteuerreformgesetzes 1974 von der Bundesregierung aufgegriffen, letztlich aber nicht umgesetzt, weil die Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB im Steuerbilanzrecht jedenfalls nach damaliger Mehrheitsmeinung besser für die Rechtssicherheit der Unternehmen Sorge tragen würde.33 Auch hat eine Arbeitsgruppe (Leitung: Prof. Dr. Herzig) der Stiftung Marktwirtschaft 2006 und erneut 2013 den ausformulierten Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Gewinnermittlung (StGEG) konzipiert und der Öffentlichkeit vorgestellt. Auch dieser Gesetzesentwurf ist allerdings von der Steuerpolitik bislang nicht aufgegriffen worden. Offensichtlich scheint die Zeit für ein solches Gewinnermittlungsgesetz noch nicht reif zu sein. Ungeachtet dessen sollten Wissenschaft, Richterschaft und Praxis bei der „Erdenkung“ eines prinzipiengeleiteten, eigenständigen und kodifizierten Steuerbilanzrechts mitwirken. Ziel muss dabei ein besteuerungswürdiger, vorsichtig ermittelter Gewinn sein, der vor „fiskalischer Willkür“ geschützt ist. In einem solchen eigenständigen steuerlichen Rechenwerk haben meines Erachtens auch steuerliche Wahlrechte ihren Platz, und zwar nicht nur aus Subventionsgründen sowie vereinfachungsbedingt, sondern immer dort, wo unsichere Wertentwicklungen Spielräume erfordern. Denn bilanzielle Abbildungen beinhalten auch bei sehr klaren Rechtsgrundlagen stets Ansatz-, Auswahl- und Bewertungsermessen. In solchen Situationen erscheinen mir Wahlrechte auch steuergeeignet, zumal sie im „Totalgewinn“ eines betrieblichen Engagements meist neutral wirken werden.34 Zusammengefasst: Aus konzeptioneller Perspektive sollte der Steuergesetzgeber eingehend prüfen, ob ein eigenständig kodifiziertes Gewinnermittlungsgesetz, welches die wesentlichen handelsrechtlichen GoB für Steuerzwecke aufnimmt, definiert und zielgerichtet zuschneidet, dem derzeitigen Zustand „subsidiärer, verwaschener Maßgeblichkeit“ vorzuziehen ist. Der Kerninhalt eines solchen „Gewinnermittlungsgesetzes“ wird im Ergebnis große Ähnlichkeit zu den tradierten, klassischen „Gewinn­ anspruchs-GoB“ aufweisen. Die höchstrichterliche Finanzrechtsprechung könnte sich dann ausschließlich auf die Auslegung des steuerlichen Gewinnermittlungsrechts konzentrieren, ohne Handelsbilanzinteresse mit in den Blick nehmen zu müssen. Die „Einheit“ einer Bilanzrechtsordnung würde damit auf längere Sicht aber wohl „ad acta“ gelegt.

 Vgl. dazu BMF, Gutachten der Steuerreformkommission (1971), Abschn. 5 Gewinnermittlung.  Vgl. Herrmann/Heuer/Raupach/Anzinger, § 5 EStG Rz. 2 und 152. 34  Vgl. dazu auch Prinz, DStJG 34 (2011), S. 135 (182 f.) 32 33

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3.3.2  E  inzelfallbezogene Reformüberlegungen aus (pragmatischer) Praktikersicht 3.3.2.1  Beseitigung rein fiskalorientierter GoB-widriger Regelungen Der Steuergesetzgeber hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Sonderregelungen in das Bilanzsteuerrecht eingefügt, die ganz überwiegend fiskalorientiert wirken und aus meiner Sicht nicht mit einer sachgerechten Abwehr von Gestaltungsmissbräuchen gerechtfertigt werden können. Die Finanzverwaltung hat diesen „Fiskaltrend“ mitunter durch mir etwas engherzig erscheinende Auslegungen verstärkt (etwa die handelsbilanzielle Rückstellungskappung durch R 6.11 Abs. 3 EStR 2012). Derartige GoB-widrige Rechtsnormen sollten im Rahmen einer Reformierung des Bilanzsteuerrechts in Richtung mehr Systemorientierung beseitigt werden. Zur Verdeutlichung einige Beispiele dazu: Verbot der Drohverlustrückstellung: Gem. § 5 Abs. 4a EStG dürfen Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften für steuerbilanzielle Zwecke und abweichend zum Handelsbilanzrecht (§ 249 Abs. 1 S. 1 HGB) – mit Ausnahme einer Abbildung im Rahmen einer Bewertungseinheit – nicht gebildet werden. Das Rückstellungsverbot wurde eingeführt durch das Gesetz zur Fortsetzung der UntStRef vom 29.10.1997. Meines Erachtens handelt es sich um eine systemwidrige Fiskalzwecknorm, die den Grundsätzen sachgerechter abschnittsbezogener steuer­ bilanzieller Leistungsfähigkeitsbemessung aus folgenden Gründen widerspricht: Drohverlustrückstellungen repräsentieren einen vor dem Bilanzstichtag verursachten Verpflichtungsüberhang aus schwebenden Geschäften, der sich aus konkreten objektivierbaren Anhaltspunkten ergeben muss und nur den negativen Saldo aus zukünftigen Aufwendungen und Erträgen erfassen darf. Absehbare Verluste werden aufgrund des Imparitätsprinzips in der Handelsbilanz verursachungsgerecht erfasst, realisiert sind sie noch nicht. Hier liegt zwar ein systembedingter Unterschied zu Verbindlichkeitsrückstellungen, die auch steuerbilanziell über den Maßgeblichkeitsgrundsatz zulässig sind. Allerdings beruhen beide handelsbilanziellen Pflichtrückstellungsarten auf objektivierbaren Außenverpflichtungen, die e­ iner vor dem Stichtag wirtschaftlich verursachten Lastentragung Ausdruck geben.35 Ein steuerbilanziell relevantes Unterscheidungsmerkmal für die Zulässigkeit von Verbindlichkeitsrückstellungen und die Unzulässigkeit von Drohverlustrückstellungen ist deshalb in einer Steuerrealität mit vielfältigen Verlustabzugsverboten (etwa § 8c KStG, der Mindestbesteuerung gem. § 10d Abs. 2 EStG) nicht erkennbar. Der Zeitpunkt der Aufwandsentstehung kann deshalb unmittelbar Einfluss auf deren steuerliche Wirkung erhalten. Aufwandsentstehung auf der einen Seite und Zahlungswirksamkeit auf der anderen Seite sind gerade im Bilanzsteuerrecht wichtige Grundkategorien, die einheitlich und folgerichtig eingehalten werden müssen. Schließlich gehört nicht nur das Realisationsprinzip (für Verbindlichkeitsrückstellungen), sondern auch der Im-

 Vgl. Moxter, Bilanzrechtsprechung (2007), S. 157; s. auch Hennrichs, in: Tipke/Lang (2018), § 9 Rz. 188: Drohverlustrückstellungen als Unterfall der Verbindlichkeitsrückstellungen.

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paritätsgrundsatz (für Drohverlustrückstellungen und Teilwertabschreibungen auf der Aktivseite) zu den Leitmaximen sachgerechter steuerlicher Gewinnermittlung. Ohne Zulässigkeit einer Drohverlustrückstellung erscheint die Steuerbemessungsgrundlage unter periodenorientierten Verursachungsaspekten als zu hoch. Unter systematischen Gesichtspunkten sollte deshalb die Drohverlustrückstellung vom Steuergesetzgeber im Rahmen der Reformierung des Bilanzsteuerrechts wieder eingeführt werden. Ausdrücklich entschieden hat das Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungskonformität des §  5 Abs.  4a EStG allerdings bislang noch nicht. Dessen ungeachtet sollte der Steuergesetzgeber aber im „Systeminteresse“ tätig werden.36 In diesem Zusammenhang könnte der Gesetzgeber auch erwägen, eine praxisgerechte subsumtionsfähige Definition für den Ansatz von Verbindlichkeitsrückstellungen zu schaffen. Fiktive Erwerbsgewinnbesteuerung bei entgeltlichen Schuldübertragungen gem. § 5 Abs. 7 EStG: Der Steuergesetzgeber hat im AIFM-StAnpG vom 18.12.2013 die Vorschriften der §§ 4 f, 5 Abs. 7 EStG für bestimmte Formen entgeltlicher Schuld­ übernahme geschaffen, um die Realisation stiller Lasten steuerbilanziell einzugrenzen. In der Praxis betroffen sind vor allem Gestaltungen betrieblicher Altersversorgung. Auf der einen Seite muss eine steuerbilanziell realisierte stille Last beim Übertrager abzugsbegrenzend auf typisierte 15 Jahre außerbilanziell verteilt werden. Auf der anderen Seite erzwingt der Steuergesetzgeber beim Übernehmer wegen Rückkehr zur „alten“ stille Lasten verursachenden Passivierungsnorm am nächsten Bilanzstichtag einen Erwerbsgewinn, der trotz rein vermögensumschichtenden Anschaffungsgeschäfts entsteht, allerdings wahlweise unter Billigkeitsaspekten über eine gewinnmindernde Rücklage zeitlich auf 15 Jahre gestreckt werden kann. Insbesondere § 5 Abs. 7 EStG stellt mit seiner steuerbilanziellen Wirkung einen „Grundsatz ordnungswidriger Bilanzierung“ dar, da das Gebot erfolgsneutraler Anschaffungsbilanzierung sachwidrig selbst für „drittüblich ausgestaltete Vorgänge“ eingeschränkt wird. § 5 Abs. 7 EStG ist letztlich Folgereaktion, vor allem auf die steuersystematischen Schwachstellen des § 6a EStG sowie das Verbot von Drohverlustrückstellungen gem. § 5 Abs. 4a EStG. Aus handelsbilanzieller Perspektive entsteht ein solcher Erwerbsgewinn bei entgeltlicher Übertragung von Altersversorgungsverpflichtungen in fremdüblich ausgestalteten Konstellationen dagegen zutreffender Weise nicht. 3.3.2.2  S  ystematisch verbesserte Unterscheidung zwischen erster und zweiter Gewinnermittlungsstufe Für Reformierungsüberlegungen im Steuerbilanzrecht sollte der Gesetzgeber prüfen, ob die beiden in § 4 Abs. 1 EStG nur verdeckt angelegten Stufen der Gewinnermittlung – nämlich Stufe 1 mit der Steuerbilanz als Basis für die „Unterschiedsbe Vgl. zum Ganzen auch Prinz/Hörhammer, StbJb 2012/2013, 307 (311–314) in Auseinandersetzung mit den Gegenthesen von Hörhammer zur Rechtfertigung des Passivierungsverbots für Drohverlustrückstellungen.

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tragsermittlung“, Stufe 2 mit den außerbilanziellen Gewinnkorrekturen –, die auch für Zwecke des § 5 Abs. 1 EStG gelten, klarer und einsichtiger systematisiert werden sollten. Dies umfasst zwei Aspekte: Zum einen könnte der Gesetzgeber beide Gewinnermittlungsstufen mit steuergesetzlicher Eigenständigkeit versehen und als äußere Ordnung der Systematisierung jeweils in eigenen Normgruppen steuergesetzlich bündeln. Derzeit sind insoweit unterschiedliche Vorgehensweisen zu erkennen. Während etwa in § 14 Abs. 4 KStG für innerorganschaftlich begründete Mehr- und Minderabführungen aktive oder passive Ausgleichsposten ausdrücklich in der Steuerbilanz des Organträgers vorgesehen sind, fehlt es etwa bei dem entstrickungsbedingten Ausgleichsposten nach § 4g EStG an einer ausdrücklichen Regelung. Die Aufwandsverteilung bei entgeltlichen Schuldübertragungen gem. § 4 f EStG erfolgt außerbilanziell, die rücklagebezogenen Sonderposten gem. § 5 Abs. 7 EStG finden sich in der Steuerbilanz. Dies alles führt in der Praxis zu Rechtsstreit mit durchaus materiellrechtlichen Wirkungen. Denn die Grundsätze des formellen Bilanzenzusammenhangs und der Bilanzberichtigung greifen nur im Rahmen der ersten Gewinnermittlungsstufe. Auf Stufe 2 der Gewinnermittlung gelten dagegen lediglich die verfahrensrechtlichen Korrekturbegrenzungen der Abgabenordnung (§ 4 Abs. 2 EStG). Insoweit wäre eine ausdrückliche Trennung beider Gewinnermittlungsstufen im Interesse der Rechtssicherheit für die Unternehmen ratsam. Zum zweiten könnte der Gesetzgeber „teleologische Leitlinien“ für Korrekturen auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe festlegen, was den Vorteil einer klareren Auslegung der jeweiligen Rechtsnormen haben dürfte, aber nur in gebotenen Einzelfällen restriktiv vom Gesetzgeber vor allem zur Missbrauchsabwehr genutzt werden darf.37 Als Leitlinien kommen etwa in Betracht: gebotene Missbrauchsabwehr losgelöst von steuerbilanziellen Grundsätzen, Aufwendungsverteilung in qualifiziertem Fiskalinteresse, Korrekturen bei grenzüberschreitenden Vorgängen sowie zeitliche Verschiebungen bei Aufwands- und Ertragsentstehungen. Sämtliche Maßnahmen auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe lassen die Systemgrundsätze des Bilanzsteuerrechts mit seinen aufwands- und ertragsorientierten Periodisierungserfordernissen unberührt. Des Weiteren würde die Verlagerung rein fiskalorientierter Sonderregelungen auf die zweite Stufe der Gewinnermittlung deutlich mehr Raum im Steuerbilanzrecht für die enge, formelle und inhaltliche Verknüpfung mit der Handelsbilanz schaffen. So lässt beispielsweise die außerbilanziell wirkende Zinsschranke mit der abschnittsbezogenen Kappung des Nettozinsaufwands, der Nutzung von Zinsvorträgen oder freien EBITDA-Potenzial die auf dem Realisationsprinzip beruhende Zinsaufwands- und Zinsertragserfassung im steuerbilanziellen Kontext unberührt. Die vereinzelt in der Literatur zu findende „Idee“, die Zinsschrankenwirkungen mittels aktiver/passiver Ausgleichsposten in der Steuerbilanz zu erfassen mit der Folge einer „Verfälschung“ steuerbilanzieller Inhalte, wäre dann entbehrlich.38 Auch die „Nicht-Betriebsausgabe“ Gewerbesteuer wäre dann pro­ 37  Vgl. auch Krumm, FS BFH (2018), S. 1457 (1461–1463); Kanzler, in: Prinz/Kanzler, HdB Bilanzsteuerrecht (2018) Rz. 164. 38  Vgl. etwa Briese, DStR 2016, 2126 (2132); Briese, Ubg 2019, 26 (27).

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blemlos als steuerbilanzieller Aufwand auszuweisen und würde erst auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung außerbilanziell korrigiert. Des Weiteren könnte durch ausdrückliche Kodifikation eine Lösung für die Frage gefunden werden, warum und in welchem Umfang steuerbilanziell gebildete Bewertungseinheiten (§  5 Abs.  1a S.  2 EStG) außerbilanziell in die Komponente nicht abziehbare Aufwendungen/ steuerfreie Erträge „zerlegt“ werden müssen (bspw. beim Hedging von Wertpapieren). Meines Erachtens ist dies erst nach Auflösung der Bewertungseinheit oder hinsichtlich ihres ineffektiven Sicherungsteils zulässig, da ansonsten der Zweck der Bildung von Bewertungseinheiten nicht erfüllt werden könnte.39 Die ausdrückliche Schaffung einer zweiten Gewinnermittlungsstufe losgelöst von den steuerbilanziellen Grundprinzipien würde somit zu deutlich mehr Struktur und Rechtssicherheit im Steuerbilanzrecht beitragen. 3.3.2.3  Immaterielle Wirtschaftsgüter: Akuter Regelungsbedarf In einer modernen, arbeitsteilig ausgestalteten und dadurch intensiv vernetzten Wirtschaft (Stichwort: Industrie 4.0) gewinnen immaterielle Vermögenswerte – wie etwa Patente, Markenrechte, Zulassungen, Konzessionen oder schlichtes „Know­ how“ – zunehmend an Bedeutung. Deshalb sind Fragen zum Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 EStG als steuergesetzliche Sonderregelung abweichend zum Aktivierungswahlrecht des §  248 Abs.  2 HGB mit einer eigenständigen Bewertungs­ norm für Abgrenzung und Definition von Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen von steigender Relevanz. Bei erworbenen immateriellen Vermögensgegenständen/Wirtschaftsgütern besteht im Handels- und im Steuerbilanzrecht weitgehend Klarheit: Sie sind mit ihren Anschaffungskosten zu aktivieren und in der Folgebewertung planmäßig bzw. außerplanmäßig (bei voraussichtlich dauernder Wertminderung) abzuschreiben. Handels- und Steuerbilanz „funktionieren“ insoweit ähnlich, auch wenn die Tatbestände „voraussichtlich dauernder Wertminderung“ und beizulegender Wert/Teilwert theoretische Unterscheidungen zulassen. Bei Erwerbs- und Veräußerungsvorgängen zwischen verbundenen Unternehmen stellen sich ggf. Fremdvergleichsfragen. Insoweit muss eine ordnungsmäßige Wertbestimmung (ggf. in Gestalt einer steuerorientierten „Purchase Price Allocation“) und Dokumentation erfolgen. Bei eigenerstellten „Intangibles“ ist dagegen vieles ungeklärt. Schon vor Jahren wurden sie zu Recht von Moxter, einem „Altmeister des Bilanzrechts“, als „ewige Sorgenkinder“ bezeichnet.40 Das eingeschränkte handelsbilanzielle Aktivierungswahlrecht für die insoweit angefallenen Entwicklungskosten ist als Kompromisslösung des Gesetzgebers im BilMoG vom 25.05.2009 zu sehen und greift auf IFRS-Wurzeln zurück.  Vgl. Prinz, DStJG 34 (2011), S.  135 (159). Ausführlich auch Meinert, DStR 2017, 1447  ff.; Hennrichs/Hörhammer, StbJb 2016/2017, 327  ff. Zu Anwendungshinweisen in der Rechtsprechung vgl. BFH, Urt. v. 02.12.2015 – I R 83/13, BStBl. II 2016, 831: Bilanzierung von mittels Credit Linked Notes (CLN) gesicherten Darlehensforderungen. 40  Vgl. Moxter, BB 1979, 1102. 39

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Seine Wahrnehmung im Handelsbilanzrecht ist mit einer Ausschüttungs- und Abführungssperre in Organschaftsfällen mit Gewinnabführungsverträgen verbunden. Damit ist dem Gläubigerschutz Genüge getan. Letztlich müssen die Aufwendungen für die Entwicklung eines immateriellen Vermögensgegenstands von den Forschungsaufwendungen abgrenzbar sein; für Letztere besteht ein Einbeziehungsverbot in die Herstellungskosten. Steuerbilanziell gilt dieses eingeschränkte Aktivierungswahlrecht für selbst erstellte immaterielle Werte dagegen nicht. Insoweit besteht ein Aktivierungsverbot gem. §  5 Abs.  2 EStG.  Dabei werden die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 EStG dreistufig geprüft. Zum ersten muss ein selbstständig bewertbares immaterielles Wirtschaftsgut vorliegen. Zum zweiten muss dieses dem Anlagevermögen zuzuordnen sein und schließlich kommt eine Aktivierung nur bei einem „entgeltlichen Erwerb“ in Betracht. Fehlt es an einem solchen Markttesterfordernis, gebietet das Steuerbilanzrecht entsprechend dem Vorsichtsprinzip einen unmittelbaren Betriebsausgabenabzug. Allerdings entstehen in der Praxis zunehmend Unterscheidungsprobleme zwischen selbst erstellten und angeschafften immateriellen Wirtschaftsgütern. Dies gilt beispielsweise bei Entwicklungskosten in der Automobilindustrie aufgrund eng miteinander verbundener Wertschöpfungsketten. Steuerbilanziell dürfte letztlich die Frage der Risikotragung entscheidend sein. Trägt der Entwickler der dem Anlagevermögen zuzuordnenden Materialgüter den Aufwand, greift das Aktivierungsverbot gem. § 5 Abs. 2 EStG ein.41 Trägt dagegen sein Vertragspartner die Risiken, erfolgt ein entgeltlicher Erwerb. Im Hinblick auf die Reformierung des Bilanzsteuerrechts erscheinen eigene steuergesetzliche Bilanzierungs- und Bewertungsregeln für immaterielle Wirtschaftsgüter sinnvoll. Das Aktivierungsverbot für selbst erstellte Immaterialgüter dokumentiert den Wunsch des Steuergesetzgebers nach einer vorsichtig bemessenen Leistungsfähigkeitsbesteuerung. Der Reformgesetzgeber im Bilanzsteuerrecht sollte neben den Grundsatzfragen immaterieller Wirtschaftsgüter zwei konkrete Regelungsbereiche weiter in den Blick nehmen: Ausweitung der GWG-Regelung auf kleinere immaterielle Wirtschaftsgüter: Die Sofortabschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter gem. § 6 Abs. 2 EStG gilt nur für „abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens“, die zu einer selbstständigen Nutzung fähig sind. Der sachliche Anwendungsbereich ist also weder Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens, noch den immateriellen Wirtschaftsgütern eröffnet. Allerdings sieht R 5.5 Abs. 1 EStR 2012 vor, dass zum einen „Trivialprogramme“ abnutzbare, bewegliche und selbstständig nutzbare Wirtschaftsgüter sind und in den GWG-Grenzen liegende „Computerprogramme“ entsprechend zu behandeln sind. Eine Einbeziehung von immateriellen Wirtschaftsgütern in breiter Front ist damit aber nicht verbunden. Vielmehr dürfte bei Trivialprogrammen und entsprechenden Computerprogrammen nach der Vorstellung der Finanzverwaltung die Körperlichkeit der Software auf Datenträgern gegenüber ihrem „geistigen Wert“ im Vordergrund stehen. Der Gesetzgeber sollte in diesem Zusammenhang prüfen, ob eine ausdrückliche  Vgl. Prinz, StbJb 2016/2017, 343 (355–362); Prinz/Otto, DStR 2017, 275 (277); Anzinger/Linn, StbJb 2017/2018, 353 (380).

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Erstreckung von § 6 Abs. 2 EStG auch auf kleinere immaterielle Wirtschaftsgüter zur Stützung der „Digitalisierung in der Wirtschaft“ Sinn macht.42 Nach geltendem Recht erscheint eine solche Ausweitung des Anwendungsbereichs im Wege der Auslegung kaum möglich. Sofern Poolabschreibungen gem. § 6 Abs. 2a EStG nicht vom Gesetzgeber im Vereinfachungsinteresse abgeschafft werden, sollte auch insoweit eine Erstreckung auf entsprechende immaterielle Wirtschaftsgüter erfolgen. Steuerregeln für Bitcoins, Token und ICOs: Die Blockchain-Technologie mit der virtuellen Währung „Bitcoin“ (= digitales Tauschmittel) oder anderweitige Kryptowährungen finden vor allem in der innovativen Startup- und Venture Capital-Szene mit internetbasierten Geschäftsmodellen vermehrt Verbreitung. Auch sog. ICOs (Initial Coin Offerings) als Gestaltungsform eines virtuellen Börsengangs mit der Ausgabe sog. Token an Investoren stellen mittlerweile ein bedeutendes international eingesetztes Finanzierungsinstrument – eine Art „Crowdfunding“ – dar. Derartige Steuerfragen rund um Kryptowährungen müssen auch im Bilanzsteuerrecht angemessen geregelt werden. Unser prinizipienbasiertes Bilanzrecht hält zwar auch für solche neuartigen technologischen Entwicklungen tragfähige Lösungen bereit, bedarf dessen ungeachtet aber möglicherweise einiger neuer Normierungen. Dies gilt etwa im Hinblick auf die Bilanzierung der Ausgabe unterschiedlicher Tokentypen (Currency Token, Utility Token sowie Security Token) im Rahmen virtueller Börsengänge. Der Steuergesetzgeber sollte deshalb Regeln für diesen Bereich in Betracht ziehen und prüfen.43 3.3.2.4  Vereinheitlichter Betriebsvermögensvergleich Der bilanzielle Betriebsvermögensvergleich als Grundform steuerlicher Gewinnermittlung sieht traditionell zwei Alternativen vor: § 4 Abs. 1 EStG enthält den stichtagsbezogen ausgerichteten „allgemeinen Betriebsvermögensvergleich“ und wird von freiwillig buchführenden Freiberuflern i. S. d. § 18 EStG, bestimmten buchführenden Land- und Forstwirten und inländischen Betriebsstätten von Steuerausländern genutzt. Die Bilanzierungsgrundlagen für den Sonderbetriebsbereich bei Personengesellschaften (Sonderbilanz, Sonder-­ G+V) ergeben sich ebenfalls aus § 4 Abs. 1 EStG. Auch für ausländische Betriebsstätten und ausländische Personengesellschaften von Steuerinländern kommt die Gewinnermittlung nach §  4 Abs.  1 EStG zur Anwendung, wobei ergänzend die DBA-Regelungen heranzuziehen sind. Im Ergebnis ist der Betriebsvermögensvergleich gem. § 4 Abs. 1 EStG also deutlich stärker rein steuerrechtlich vorgeprägt als § 5 Abs. 1 EStG mit der „ausdrücklichen“ Maßgeblichkeit. § 5 Abs. 1 EStG kodifiziert einen speziellen Betriebsvermögensvergleich vor allem für buchführungspflichtige Gewerbetreibende, also Personenhandelsgesellschaften  Zu einer entsprechenden Beschlussvorlage der FDP-Fraktion an den Deutschen Bundestag wegen verbesserter Abschreibung für digitale Wirtschaftsgüter vgl. BT-Drs. 19/959. 43  Vgl. m. w. N. Prinz, StbJb 2018/2019, 646 ff.; Gerlach/Oser, DB 2018, 1541; Richter/Augel, FR 2017, 937. 42

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und Kapitalgesellschaften, und nimmt Bezug auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz gilt sowohl für die Bilanzierung dem Grunde nach als auch der Höhe nach. Insbesondere § 5 Abs. 6 EStG enthält allerdings einen ausdrücklichen steuerrechtlichen Bewertungsvorbehalt. Beide Methoden des bilanziellen Betriebsvermögensvergleichs stehen in sachlicher Wechselbeziehung und sind durch ein „Verweisungsgeflecht“ gekennzeichnet. Sie setzen gleichermaßen eine weitgehend deckungsgleiche, ordnungsmäßige Buchführung und steuerbilanzielle Abschlusserstellung voraus. Praktische Unterschiede zwischen den beiden Formen des Betriebsvermögensvergleichs bestehen kaum noch.44 Schließlich geht es beiden Rechenwerken um die abschnittsbezogene Ermittlung eines „besteuerungswürdigen betrieblichen Reinvermögenszuwachses“. Bei einer Reformierung des Bilanzsteuerrechts sollte der Gesetzgeber deshalb im Hinblick auf die weitgehende Ermittlungsidentität der beiden Rechenwerke prüfen, ob eine Integration und Vereinheitlichung zu einem steuerbilanziellen Betriebsvermögensvergleich für gewerbliche, freiberufliche und land- und forstwirtschaftliche Bestandsermittlungsrechnungen Sinn macht. Vor allem die §§ 4, 5 und § 6 EStG könnten dann zu einem Normenkomplex zusammengefasst werden, der den BV-Vergleich mit seinen Bilanzierungs- und Bewertungsregeln einheitlich steuergesetzlich regelt. Dies würde deutlich zur Vereinfachung der Regelungen beitragen. Der Wahlrechtsvorbehalt könnte bei fehlender oder nur subsidiärer Bezugnahme auf die Handelsbilanz entfallen. In diesem Zusammenhang könnte der Gesetzgeber auch prüfen, ob stets eine formelle Steuerbilanz mit mehrperiodiger Entwicklung statt einer Handelsbilanz mit steuerlichen Zusätzen und Anmerkungen der Vorzug gegeben werden sollte. 3.3.2.5  Schaffung realitätsnaher Diskontierungsfaktoren Vor allem auf der Passivseite der Steuerbilanz ist durch marktferne Festzinssätze in dauerhafter Niedrigzinsphase die strukturelle Bildung stiller Lasten festzustellen. Insoweit führt das Steuerbilanzrecht zu einer Unterdotierung von gewissen/ungewissen Verbindlichkeiten, die unter Leistungsfähigkeitsgesichtspunkten eine Besteuerung von „Scheingewinnen“ nach sich zieht. Zwei Regelungsbereiche sind insoweit hervorzuheben: Dies sind zum einen die Pensionsrückstellungen gem. § 6a EStG, die als „Baustein betrieblicher Altersversorgung“ wegen des marktfernen Festzinssatzes von 6 % zwischenzeitlich nicht mehr die wirklichen Lasten des Unternehmens aus der Pensionszusage abbilden. Es ist ein Normenkontrollverfahren zur Prüfung des 6 %-Diskontierungsfaktors im Hinblick auf seine typisierend realitätsgerechte Bemessung beim Bundesverfassungsgericht anhängig.45 Der Handelsbilanzgesetzgeber hat stattdessen  Vgl. auch Herrmann/Heuer/Raupach/Kanzler, Vor §§ 4–7 EStG Rz. 24.  FG Köln, Vorlagebeschl. v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, DStR 2017, 2792, anhängig beim BVerfG mit Az.: 2  BvL 22/17. Zur Diskussion vgl. Eilers/Bleifeld, Ubg 2018, 65; Geberth/Sedemund, DStR 2018, 217; Hey, FR 2016, 485; Prinz/Keller, DB 2016, 1033.

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mit Wirkung ab 2016 (wahlweise 2015) § 253 Abs. 2, 6 HGB der Rückstellungsbewertung für Altersversorgungsverpflichtungen angepasst, indem er die Durchschnittsbildung des laufzeitadäquaten Zinssatzes von sieben auf zehn Jahre verlängert hat und zudem eine Ausschüttungssperre vorsieht. Zum anderen ist der 5,5 % Festzins bei längerfristigen unverzinslichen Verbindlichkeiten/Verbindlichkeitsrückstellungen zu nennen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG), der ebenfalls zur strukturellen Bildung stiller Lasten führt. Dies wird verstärkt dadurch, dass steuerbilanziell eine Stichtagsbewertung erfolgt (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe f EStG), während die Bewertung im Handelsbilanzrecht auf Erfüllungsbeträgen aufsetzt.46 Die Abwehrvorschriften der §§ 4 f, 5 Abs. 7 EStG bei entgeltlichen Schuldübertragungen sind letztlich Folge der strukturellen Bildung stiller Lasten auf der Passivseite der Steuerbilanz. Aus diesem Grund sollte der Steuergesetzgeber bei Reformierung des Bilanzsteuerrechts die Schaffung realitätsnaher Diskontierungsfaktoren anstreben, die sich in einem sachgerechten, fiskalisch vertretbaren Korridor „nach unten“, aber auch „nach oben“ bewegen können. Der derzeit wegen der Niedrigzins­ periode überhöhte besteuerungswürdige Gewinn würde dann sachgerecht reduziert. Statt der Kodifikation von Festzinssätzen sollte eine „atmende“, marktwirtschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragende Zinshöhe definiert werden. Wegen der erheblichen fiskalischen Bedeutung des 6  % Festzinssatzes im betrieblichen Altersversorgungsbereich könnten fiskalnotwendige Übergangsregelungen zur Ver­ teilung des Einmalaufwands auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe vorgesehen werden. 3.3.2.6  B  egrenzung der E-Bilanz-Taxonomie auf handelsrechtlich geforderte Gliederungstiefe § 5b EStG ist Rechtsgrundlage für die elektronische Übermittlung von Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen. Es handelt sich um eine Verfahrensvorschrift, die die Steuererklärungspflichten von Gewinnermittlern ergänzt (§ 25 Abs. 3, 4 EStG, § 31 Abs. 1a KStG, § 14a GewStG), aber durchaus erhebliche materielle Wirkungen im Bilanzsteuerrecht entfaltet. Die Regelung wurde eingeführt durch das Steuerbürokratieabbaugesetz vom 20.12.2008 und wird für Wirtschaftsjahre ab 2011 angewandt. Zur Festlegung des Mindestumfangs an zu ermittelnden Daten besteht eine Ermächtigungsgrundlage für die Finanzverwaltung gem. § 51 Abs. 4 Nr. 1b EStG, die durch eine E-Bilanz-Taxonomie mit verschiedenen Entwicklungsständen ausgefüllt wird. Bei der „Steuertaxonomie“ handelt es sich um einen formalen Ordnungsrahmen, der die Bilanzinhalte in standardisierter Form abfragt und zu einer verdeckten Ausweitung von Berichtspflichten führen kann. In ihrer Gliederungstiefe geht die aktuelle E-Bilanz-Taxonomie beispielsweise im Bereich der Kapitalkonten, den Ergänzungs- und Sonderbilanzen  Zu ernsthaften Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von 5,5 % für die Abzin­ sung von Verbindlichkeiten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG im Rahmen eines AdV-Verfahrens vgl. FG Hamburg, Beschl. v. 31.01.2019 – 2 V 112/18, juris.

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bei Personengesellschaften usw. deutlich über die handelsrechtlichen Gliederungserfordernisse und kontenmäßigen Untergliederungen hinaus. Insoweit entsteht eine neue Form umgekehrter Maßgeblichkeit, da der handelsrechtliche Gliederungsrahmen durch die EDV-technischen Erfordernisse einer E-Bilanz rechtsformunabhängig vereinheitlicht und ausgeweitet wird. Vor allem die für Einzelunternehmen und „normale“ Personengesellschaften bestehenden Gestaltungsfreiheiten beim Ausweis der Bilanzposten wird damit in verdeckter Form eingeschränkt. Der Gesetzgeber sollte bei Reformierung des Bilanzsteuerrechts deshalb prüfen, ob eine Begrenzung der ausufernden E-Bilanz-Taxonomie erforderlich ist und sich insoweit stärker an der handelsrechtlich geforderten Gliederungstiefe der jeweiligen Unternehmen orientieren. Dies liegt auch in direktem Interesse einer Verstärkung der „Harmonie“ zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz. Nur insoweit wird die Buchführung „multiverwendbar“.47 3.3.2.7  B  ilanzierung bei Mitunternehmerschaften: Sind Sondervergütungen/Sonderbilanzen wirklich noch nötig? Die Mitunternehmerbesteuerung in Deutschland ist vom Transparenzprinzip geprägt. Rechtsgrundlage dafür ist § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Dem jeweiligen Personengesellschafter muss dabei ertragsteuerlich eine Mitunternehmerstellung zukommen, die als Typusbegriff Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative bei Würdigung des Gesamtbilds der Verhältnisse erfordert. In der Einheit der Personengesellschaft wird der Tatbestand der im Regelfall gewerblichen Einkunftserzielung mit einheitlicher Einkunftsermittlung erfüllt; die Versteuerung der Gewinnanteile erfolgt jedoch nach Maßgabe der getroffenen Gewinnverteilungsabreden beim einzelnen Mitunternehmer. Anders als bei Körperschaften kommt der Mitunternehmerschaft daher keine Steuersubjekteigenschaft zu. Als Folge daraus gibt es neben der Gesamthandsbilanz, die über die Maßgeblichkeit mit der Handelsbilanz der Personengesellschaft verknüpft ist, positive und negative Ergänzungsbilanzen für dem jeweiligen Mitunternehmer zugerechnete Mehr- und Minderwerte an gesamthänderisch gebundenen Wirtschaftsgütern und darüber hinaus sog. Sonderbilanzen. Darin werden im jeweiligen Eigentum eines Mitunternehmers stehende Wirtschaftsgüter, die der Mitunternehmerschaft zur Verfügung gestellt werden oder die Mitunternehmerstellung stärken (sog. Sonderbetriebsvermögen I und II), erfasst. Dies sind beispielsweise Grundstücke und Patente, die der Mitunternehmer der Personengesellschaft zur Verfügung stellt oder auch die von ihm gehaltenen Anteile an der Komplementär-GmbH oder Verbindlichkeiten zur Finanzierung seiner Einlage. Gesamthandsbilanz, Ergänzungsbilanzen und Sonderbilanzen werden über ein zweistufiges Verfahren zu einer „Gesamtbilanz der

 Vgl. dazu eingehender Prinz, DStJG 34 (2011), 135 (147–149); Prinz, StuB 2017, 91 (92). S. ergänzend auch Goldshteyn/Purer, StBp 2014, 61; Ley, DStR 2019, 72. Siehe auch in diesem Band Mellinghoff, 6.2.1.2.1

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Mitunternehmerschaft“ zusammengeführt. Damit ist das gesamte Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft erfasst. Im Übrigen wird der Mitunternehmeranteil selbst ebenfalls transparent behandelt, verkörpert also – abweichend zum Handelsbilanzrecht – kein eigenständiges Wirtschaftsgut, sondern vielmehr die quotalen Anteile des jeweiligen Mitunter­ nehmers an den im Gesamthandsvermögen befindlichen positiven/negativen Wirtschaftsgütern (Spiegelbildmethode). Steuerpolitisch dürfte insoweit deutliches Vereinfachungspotenzial bestehen, sofern der „Mitunternehmeranteil“ als eigenständig abschreibungsfähiges Wirtschaftsgut behandelt wird. Die differenzierten Allokationsfragen bei Erwerb von Mitunternehmeranteilen mit ergänzungsbilanziellen Mehr- und Minderwerten wären dann – ohne signifikante Belastungserhöhungen im Vergleich zum Status Quo – deutlich einfacher mittels sachgerechter durchschnittlicher Nutzungsdauerbestimmung zu handhaben. Die unikate Komplexität der Mitunternehmerbesteuerung, die in anderen Jurisdiktionen weitgehend unbekannt ist und deshalb gerade in grenzüberschreitenden Fällen doppelbesteuerungsrechtliche Verwerfungen nach sich ziehen kann,48 gründet – neben den gewerblich geprägten Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) – vor allem auf den Rechtsinstituten der Sonderbilanz mit positivem und negativem Sonderbetriebsvermögen und den entsprechenden Sondervergütungen. Letztere sind Vergütungen, die der Gesellschafter von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft oder für die Hingabe von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern bezogen hat. Derartige Sondervergütungen können auch in mittelbarer Form bei mehrstufigen Mitunternehmerschaften entstehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG). Hintergrund dieser vom Gesetzgeber vor Jahrzehnten eingeführten Regelungen ist die beabsichtigte Gleichbehandlung von Personengesellschaften mit Einzelunternehmern sowie der Gewährleistung der gewerbesteuerlichen Erfassung derartiger Vermögenswerte und Vergütungen. Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, ob die zentralen Besonderheiten der Mitunternehmerbesteuerung wirklich noch benötigt werden, zumal die Personengesellschaft mittlerweile im Gesellschaftsrecht als Gesamthandsgemeinschaft weitestgehend mit einer Körperschaft gleichbehandelt wird. Vor allem unter zwei Aspekten sollte der Steuergesetzgeber prüfen, ob Sondervergütungen und Sonderbilanzen tatsächlich noch erforderlich sind: Sofern es sich bei den Mitunternehmern einer Personengesellschaft selbst um eine Kapitalgesellschaft handelt, besteht insoweit ohnehin eine eigene Bilanzierungspflicht. Von einer Mitunternehmerkapitalgesellschaft der Personengesellschaft zur Verfügung gestellte Wirtschaftsgüter und bezogene Vergütungen werden deshalb ohnehin als gewerbliche Einkünfte bilanzsteuerlich erfasst. Sonderbilanzen und Sondervergütungen sind deshalb bei Mitunternehmerkapitalgesellschaften nicht nötig. Allerdings müssen dabei mögliche Hebesatzunterschiede verschiedener Gemeindekompetenzen und Verlustkonstellationen in Kauf genommen werden.

 Deshalb hat der deutsche Steuergesetzgeber im Rahmen von Abwehrmaßnahmen etwa die Regelungen des § 4i EStG, § 50i EStG oder § 50d Abs. 10 EStG eingeführt. Vgl. dazu Prinz, FR 2018, 973.

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Sofern es sich bei dem Mitunternehmer einer Personengesellschaft um eine natürliche Person handelt, so erfolgt seit vielen Jahren eine typisierte Anrechnung der Gewerbesteuer gem. § 35 EStG auf dessen Einkommensteuer, so dass die entsprechende Gewerbesteuerbelastung – abgesehen von sog. Anrechnungsüberhängen – weitgehend neutralisiert wird. Bei Lichte betrachtet bedarf es daher der Gewährleistung einer gewerbesteuerlichen Erfassung von Sondervergütungen in Anbetracht des § 35 EStG nicht mehr. Hinzu kommt, dass zwischenzeitlich auch das Privatvermögen  – im Kapitalvermögensbereich über die Abgeltungsteuer und §  17 EStG komplett, im Bereich des Grundbesitzes während einer 10-Jahres-Phase – weitreichend steuerlich erfasst wird. Eine „nicht steuerbare Privatsphäre“, die über die Rechtskategorie des Sonderbetriebsvermögens eingegrenzt werden soll, existiert im aktuell geltenden Steuerrecht nicht mehr. Vor allem die Abschaffung der Sonderbilanzen mit positivem und negativem Sonderbetriebsvermögen würde das Bilanzsteuerrecht der Mitunternehmerschaften erheblich vereinfachen. Dies gilt unter nationalen wie auch internationalen Aspekten gleichermaßen. Allerdings müsste der Steuergesetzgeber vor allem im Interesse des deutschen Mittelstands dafür sorgen, dass die bei den Personengesellschaften in der Praxis sehr geschätzten und benötigten Gestaltungsflexibilitäten insbesondere im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 EStG sowie des § 6b EStG erhalten bleiben. Hinzu kommt, dass eine solche Abschaffung der Sonderbilanzen aus Gründen des Bestandsschutzes längerfristiger Übergangsregelungen bedarf. 3.3.2.8  Warten auf die GKB? Ohne Zweifel befördert die europäische GKB-Diskussion ein „Nachdenken“ über prinzipienbasierte europäische Bilanzierungs- und Bewertungsregeln. Die angelsächsische Rechnungslegungstradition mit weitgehend fallorientierten Lösungen und der kontinentaleuropäisch geprägte prinzipienbasierte Rechnungslegungsansatz müssen dabei – unabhängig vom Brexit und anderweitigen politischen Eingriffen  – zu einem „europaweiten Steuerbilanzrecht“ zusammengeführt werden. Die „deutschen“ handelsrechtlichen GoB werden in diesem europaweiten Bilanzierungsgebäude sicherlich ihren Platz haben, letztlich aber in lediglich relativierter Ausprägung. Die von der EU-Kommission jeweils in Aussicht genommenen Zeit­ rahmen für die Umsetzung und Etablierung der verschiedenen GKKB-­Fassun­ gen haben sich bislang aber nicht als realisierbar erwiesen. Deshalb sollte der deutsche Gesetzgeber mit seinen Überlegungen zur Fortentwicklung des nationalen Bilanzsteuerrechts nicht auf politische Erfolge bei der GKB „warten“. Vielmehr sollte das deutsche Reformierungsprogramm zum Bilanzsteuerrecht eigenständig umgesetzt werden. Allerdings sind dabei die europäischen Entwicklungen in der GKB-Diskussion durchaus zu berücksichtigen und in den Blick zu nehmen, um deutsche „Insellösungen“ soweit es geht zu vermeiden. Die Sonderrolle der Mitunternehmerschaftsbesteuerung mit ihren vielzähligen nationalen Bilanzierungsbesonderheiten sollten dabei zuvorderst in Angriff genommen werden. Eventuell würde dies auch europaweite Diskussionen im GKB-Bereich erleichtern.

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3.4  Z  um Schluss: Plädoyer für ein systemorientiertes Bilanzsteuerrecht Unabhängig davon, welche konkreten Maßnahmen der Steuergesetzgeber in den nächsten Jahren im Steuerbilanzrecht in Angriff nehmen wird, sollte seine Leitschnur eine verbesserte Systemorientierung sein. Dabei sollte der vor allem durch das BilMoG vom 25.05.2009 eingeschlagene Weg der Entkoppelung von Handels- und Steuerbilanz fortgesetzt werden. Denn im Großen und Ganzen hat sich die Entkoppelung sowohl für die Handelsbilanz als auch für die Steuerbilanz als praktikabel erwiesen. Eine Orientierung am österreichischen Weg einer verstärkten Maßgeblichkeit wäre aus meiner Sicht ein Rückschritt, da steuerbilanzielle Wertungen in einer zunehmenden Zahl von Fällen nur begrenzt auf das Handelsbilanzrecht übertragbar sind. Nur bei kleineren Unternehmen dürften Einheitsbilanzen derzeit noch begrenzt möglich sein. Man muss allerdings auch sehen, dass das Steuerbilanzrecht im „heutigen Stadium“ die Maßgeblichkeitsverknüpfung benötigt. Ohne Rückgriff auf die handelsrechtlichen GoB wäre unser derzeitiges Steuerbilanzrecht „nicht lebensfähig“. Allerdings ist das derzeit im Steuerbilanzrecht vorzufindende Zusammenspiel von maßgeblichkeitsprägenden handelsrechtlichen GoB, steuergesetzlichen Ausnahme- und Sonderregelungen im Vergleich zur Handelsbilanz, dem steuerlichen Wahlrechtsvorbehalt sowie den verschiedenen Sondertypen der Maßgeblichkeit für die Praxis hochgradig verwirrend. Die Maßgeblichkeit und ihr heutiges Verständnis hat konzeptionelle Grenzen erreicht. Deshalb ist eine systemorientierte Fortentwicklung des Bilanzsteuerrechts erforderlich. Die Bestandsaufnahme hat dies ganz deutlich gemacht. Dabei sind zwei Wege denkbar: Kleine Lösung: Das Bilanzsteuerrecht behält seinen Platz im unternehmensteuerlichen Teil des EStG, erfährt aber eine deutlich erhöhte Regelungsdichte mit der Kodifikation von steuerbilanzrechtlichen Prinzipien sowie der Beseitigung fiskalorientierter Sonderregelungen mit GoB-Widrigkeit. Reformüberlegungen dafür wurden für verschiedene Bereiche dargestellt. Das Realisationsprinzip, der steuerliche Anschaffungs- und Herstellungskostenbegriff sowie weitere systemtragende Bilanzierungsund Bewertungsgrundsätze für Rückstellungen sollten eigenständig kodifiziert werden. Dies erscheint auch hinsichtlich des Wirtschaftsgutbegriffs sowie der Abgrenzung Betriebsvermögen/Privatvermögen (einschl. Willkürung) sinnvoll. In einer solchen verdichteten einkommensteuerlichen Kodifikation bilanzsteuerlicher Grundsätze wird Raum für die Anwendung handelsrechtlicher GoB bleiben, aber mit deutlich geringerem Einfluss. Steuerliche Spezialwertungen etwa mit Aufwandsverteilungen oder anderweitigen fiskalorientierten Wertungen könnten verdichtet in einer zweiten Gewinnermittlungsstufe außerhalb der Systemgrundsätze der bilanzsteuerlichen Gewinnermittlung erfolgen. Der einheitliche Grundbestand kaufmännischer Rechnungslegungsgrundsätze bleibt dann – soweit wie möglich – in Handels- und Steuerbilanz gleichermaßen wirksam. Beide Rechenwerke können sich aber – bei Erhalt einer gemeinsamen Basis entsprechend der Erfordernisse der jeweiligen Rechtsgebiete (Leistungsfähigkeitsbesteuerung einerseits, Information der Bilanzadressaten und Gläubigerschutz andererseits) – eigenständig fortentwickeln.

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Große Lösung: Insoweit ist ein eigenständiges Gewinnermittlungsgesetz mit „durchkodifizierten“ steuerbilanzrechtlichen Grundlagen denkbar. Dabei muss es sich an den Grundsätzen leistungsfähigkeitsorientierter Bilanzierung und Bewertung orientieren und umfassende Regeln für die praxiserforderlichen Bilanzierungsund Bewertungsnotwendigkeiten enthalten. In vielerlei Hinsicht dürfte ein solches eigenständiges Gewinnermittlungsgesetz den heutigen ausschüttungsorientierten GoB in handelsrechtlicher Kodifikation entsprechen. Allerdings muss die Zeit reif sein für eine solche eigenständige Kodifikationsgrundlage für Steuerbilanzen, da die Verbindung zur Handelsbilanz insoweit deutlich weiter als bei einer kleinen Lösung „gekappt“ wird. Einheitliche GoB wird es dann nur noch begrenzt geben können, da beide Rechenwerke in Abhängigkeit von den unterschiedlich betroffenen Interessengruppen kurz- und längerfristig eigene Wege gehen werden. Der betriebliche Aufwand für die Erstellung jeweils völlig eigenständiger Handels- und Steuerbilanzen wird in der Praxis vermutlich deutlich steigen. Beide Lösungen sollten bei ihrer Konzeption auch die Entwicklungen im europäischen Bilanzrecht im Auge behalten. Ein steuergesetzliches „Abwarten“ auf die Realisation des GKB-Projekts in Europa erscheint aber in Anbetracht der Unsicherheiten hinsichtlich der Realisationschancen nicht erwägenswert. Schließlich werden für beide Anpassungsmaßnahmen im Bilanzsteuerrecht Übergangsregelungen erforderlich werden und zwar sowohl aus der Sicht des Fiskus zum Schutz vor Fiskaleinbrüchen als auch aus der Sicht betroffener Unternehmen, um zu stark disruptive Veränderungen im zu versteuernden Ergebnis zu vermeiden.

Literatur Anzinger, Heribert M./Linn, Alexander, Praxisfragen immaterieller Wirtschaftsgüter, in: Rödder, Thomas/Hüttemann, Rainer (Hrsg.), Steuerberater-Jahrbuch 2017/2018, Köln 2018, S. 353–380. Ballwieser, Wolfgang, Fragwürdige Bilanzen – 1948, heute und in Zukunft?, DB 2018, 1–8. Ballwieser, Wolfgang, Möglichkeiten und Grenzen der Erstellung einer Einheitsbilanz – Zur Rolle und Entwicklung des Maßgeblichkeitsprinzips, in: Mellinghoff, Rudolf/Schön, Wolfgang/Viskorf, Hermann-Ulrich (Hrsg.), Steuerrecht im Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Spindler zum 65 Geburtstag, Köln 2011, S. 577–594. Ballwieser, Wolfgang, Steuerliche Gewinnermittlung: Ein Plädoyer für die Maßgeblichkeit, in: Kahle, Holger/Overesch, Michael/Ruf, Martin/Spengel, Christoph (Hrsg.), Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, 2017, S. 103–116. Bareis, Peter, Ordnungsmäßige Buchführung für vGA anstelle „außerbilanzieller Korrekturen“, DB 2010, 2637–2643. Bauer, Ludwig, Wie profitieren Unternehmer von der Anhebung der GWG-Wertgrenzen? – Auswirkungen neuer GWG-Wertgrenzen auf Rechnungslegung, Steuerbelastung und sonstige Pflichten, Ubg 2017, 529–536. Beisse, Heinrich, Handelsbilanzrecht in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, BB 1980, 637–646. Beisse, Heinrich, Zum neuen Bild das Bilanzrechtssystems, in: Ballwieser, Wolfgang/Böcking, Hans-Joachim/Drukarczyk, Jochen/Schmidt, Reinhard (Hrsg.), Bilanzrecht und Kapital-

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3  Reformbedarf im Bilanzsteuerrecht

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U. Prinz

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3  Reformbedarf im Bilanzsteuerrecht

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Kapitel 4

Zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung Thomas Rödder

Inhaltsverzeichnis 4.1  D  erzeitige Bedeutung der Hinzurechnungsbesteuerung  4.1.1  Voraussetzungen und Rechtsfolgen  4.1.2  Telos und Praxisrelevanz  4.1.3  Bisherige Reformüberlegungen  4.2  Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung in Umsetzung der ATAD  4.2.1  Vorgaben der ATAD  4.2.2  Kein Systemwechsel  4.2.3  Neuregelung der „Deutsch-Beherrschung“  4.2.4  Neuregelung der passiven Einkünfte  4.2.5  Neuregelung der Niedrigbesteuerung  4.2.6  Neuregelung des Cadbury-Schweppes-Tests  4.2.7  Neuregelung der Rechtsfolgen  4.2.8  Wegfall des Konzepts der nachgeschalteten Zwischengesellschaften  4.2.9  Sonderregelung für Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften  4.2.10  Erstmalige Anwendung  4.2.11  Verfahrensrecht  4.3  Kommende Bedeutung der Hinzurechnungsbesteuerung  Literatur 

   96    96    96    97    98    98    99  100  103  108  110  113  117  119  120  121  123  125

T. Rödder (*) Partner, Flick Gocke Schaumburg, Bonn, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 W. Schön, J. Schindler (Hrsg.), Reformfragen des deutschen Steuerrechts, MPI Studies in Tax Law and Public Finance 9, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60057-3_4

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4.1  Derzeitige Bedeutung der Hinzurechnungsbesteuerung 4.1.1  Voraussetzungen und Rechtsfolgen Die Hinzurechnungsbesteuerung setzt voraus, dass unbeschränkt Steuerpflichtige in ausreichendem Umfang (grds. mit mehr als 50 %)1 an einer ausländischen Gesellschaft2 beteiligt sind, dass die ausländische Gesellschaft Einkünfte aus passivem Erwerb erzielt und dass diese Einkünfte im Ausland einer niedrigen Besteuerung unterliegen (25 %-Grenze). Außerdem darf kein sog. Cadbury-Schweppes-Schutz gegeben sein. Sind die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung erfüllt, sind die passiven Einkünfte gem. § 7 Abs. 1 AStG bei jedem der unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der ausländischen Gesellschaft entfällt. Sie sind gem. § 10 Abs. 1 AStG als sog. Hinzurechnungsbetrag anzusetzen. Dieser unterfällt der ESt bzw. KSt und – nach einer entsprechenden Gesetzesänderung jedenfalls so gewollt – der GewSt. Die ausländische Steuer ist nach h. M. nur auf die ESt und KSt anrechenbar (soweit sie nicht den Hinzurechnungsbetrag kürzt). Bei ausländischen Steuerbelastungen über 15 % führt das bei Kapitalgesellschaften zu Anrechnungsüberhängen. Eine Beteiligung am Nennkapital i. S. d. § 7 Abs. 1 AStG ist grds. nur eine unmittelbare Beteiligung.3 Die bei der Prüfung der Beteiligungsvoraussetzung einbezogene mittelbare Beteiligung über eine ausländische Kapitalgesellschaft führt daher nicht direkt zu einer Hinzurechnung, sondern wird im Rahmen der Zurechnung nach §  14 AStG berücksichtigt (sog. nachgeschaltete Zwischengesellschaften).

4.1.2  Telos und Praxisrelevanz Die Hinzurechnungsbesteuerung durchbricht die Abschirmwirkung einer ausländischen Kapitalgesellschaft und führt unabhängig von einer Ausschüttung zur Besteuerung bestimmter von der ausländischen Gesellschaft erzielter Einkünfte beim deutschen Gesellschafter.4 Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass Gewinnausschüttungen ausländischer Kapitalgesellschaften aufgrund § 8b Abs. 1 KStG bei inländischen Kapitalgesellschaften grds. zu 95  % und bei inländischen  Sonderregelung für Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter.   Praktisch relevant ist die ausländische Kapitalgesellschaft. Ausländische Betriebsstätten (§ 20 AStG) werden in diesem Beitrag nicht behandelt. 3  Oder eine Beteiligung über Personengesellschaften. 4  Einkünfteerzielungssubjekt ist dabei die ausländische Gesellschaft. 1 2

4  Zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung

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­Einkommensteuerpflichtigen grds. zu 40  % steuerfrei sind.5 Zweck der Hinzurechnungsbesteuerung ist deshalb nicht (wie noch zu Zeiten des Anrechnungsverfahrens) eine erzwungene vorweggenommene Dividendenbesteuerung.6 Es geht vielmehr vor allem um die Beseitigung von Steuervorteilen aus „nicht gewollten“ Einkünfteverlagerungen ins niedrig besteuernde Ausland.7 Die Wahrnehmung der Bedeutung der Hinzurechnungsbesteuerung ist in praxi sehr unterschiedlich. Z.  T. wird sie von den betroffenen Steuerpflichtigen als ein enormes Problem empfunden. Z.  T. wird wegen der Konzentration nur auf Standardfälle von einem teilweisen Vollzugsdefizit gesprochen und wird die Hinzurechnungsbesteuerung jedenfalls innerhalb der EU/EWR wegen des Cadbury Schwep­ pes-­Schutzes als ein eher „zahnloser Tiger“ empfunden (wobei insoweit allerdings eine klare Verschärfungstendenz in praxi festzustellen ist).8 Die Hinzurechnungsbesteuerung ist abzugrenzen von der Prüfung des Orts der Geschäftsleitung der ausländischen Kapitalgesellschaft9 und der „Arm’s length-­ Kontrolle“ der konzerninternen Geschäftsbeziehungen mit der ausländischen Kapitalgesellschaft.10

4.1.3  Bisherige Reformüberlegungen Die bisherigen Reformüberlegungen konzentrieren sich vor allem auf folgende Aspekte: • Verbesserung des überholten Systems der Abgrenzung aktiver von passiven Einkünften mit vielen Unklarheiten (z. B. schädliche Mitwirkungstatbestände, Verständnis § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG und § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG, neue Geschäftsmodelle). • Absenkung der zu hohen Niedrigbesteuerungsgrenze. • Notwendigkeit des Ausschlusses von Anrechnungsüberhängen (GewSt-Problem bei Kapitalgesellschaften).

 Überdies Hinweis auf die ggf. greifende Abgeltungssteuer und § 8 Nr. 5 GewStG.  Wenn auch Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG fingiert werden. 7  Teilweise wird zusätzlich vertreten, dass die Herstellung einer angemessenen Vorbelastung von aus ausländischen Kapitalgesellschaften stammenden Dividendeneinkünften jedenfalls für die von den §§ 7 ff. AStG erfassten Fälle hinzutritt. 8  Substanzanforderungen abhängig von der Art der Tätigkeit und dem Umfang der Einkünfte, segmentierte Betrachtung etc. 9  Bzw. des Vorliegens einer inländischen Betriebsstätte. 10  Dazu z. B. jüngst BFH, Urt. v. 13.06.2018 – I R 94/15, DStR 2018, 2251. 5 6

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4.2  N  euregelung der Hinzurechnungsbesteuerung in Umsetzung der ATAD11 4.2.1  Vorgaben der ATAD Die Vorschriften der ATAD12 betreffen u.  a. die Hinzurechnungsbesteuerung. Sie waren insoweit eigentlich bis zum 31.12.2018 umzusetzen und spätestens ab dem 01.01.2019 anzuwenden. Diese Frist wurde in Deutschland aber nicht eingehalten. Angestrebt wird mit der ATAD ein „Mindestschutzniveau“ (vgl. Art. 3 ATAD). Die ATAD enthält dementsprechend eine Vorgabe von Mindeststandards für die Frage, unter welchen Voraussetzungen niedrig bzw. nicht besteuerte Einkünfte eines beherrschten ausländischen Unternehmens in die steuerliche Bemessungsgrundlage des beherrschenden Unternehmens einbezogen werden müssen (Art. 7 und 8 ATAD): • Beherrschendes Unternehmen ist ein Körperschaftsteuersubjekt, das in einem Mitgliedstaat unbeschränkt oder aufgrund einer Betriebsstätte beschränkt steuerpflichtig ist. • Dieser Steuerpflichtige hält selbst oder zusammen mit Unternehmen, die mit ihm verbunden sind, an einem anderen (beherrschten) Unternehmen unmittelbar und/ oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte, des Kapitals oder der Gewinnberechtigung. • Die tatsächlich entrichtete Steuer des beherrschten Unternehmens unterschreitet die Steuer, die im Mitgliedstaat des beherrschenden Unternehmens angefallen wäre, um mehr als die Hälfte. • Das beherrschte Unternehmen erzielt die in der Richtlinie aufgezählten (nicht ausgeschütteten) „passiven“ Einkünfte, insbesondere Zinsen, Dividenden, Lizenzgebühren, Einkünfte aus finanziellen Tätigkeiten und Einkünfte aus „Abrechnungsunternehmen“ mit nur geringem wirtschaftlichen Mehrwert (An- und Verkauf von Waren sowie Erbringung von Dienstleistungen von oder an verbundene Unternehmen). Alternativ ist eine Hinzurechnungsbesteuerung auf Grund Missbrauchs geregelt. • Die Hinzurechnung unterbleibt, wenn das beherrschte Unternehmen in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR ansässig ist und nachweisen kann, dass es, gestützt auf entsprechende personelle und sachliche Mittel, eine wesentliche

11  Ausgewähltes Schrifttum: Linn, IStR 2016, 645; Oppel, IStR 2016, 797; Rautenstrauch/Suttner, BB 2016, 2391; Schnitger/Nitschke/Gebhardt, IStR 2016, 960; Kahlenberg/Prusko, IStR 2017, 304; Schönfeld, IStR 2017, 721; Quilitzsch/Engelen, FR 2018, 293; Böhmer/Gebhardt/Krüger, IWB 2018, 849; Wassermeyer, IStR 2018, 744; Kraft, IWB 2019, 104; Haase, DStR 2019, 827. 12  Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates v. 12.07.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes, ABl. L 193 v. 19.07.2016, 1 (sog. Anti-Tax-Avoidance-Directive , kurz: ATAD). Auch Hinweis auf die Richt­ linie (EU) 2017/952 des Rates v. 29.05.2017 zur Änderung des Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern, ABl. L 144 v. 07.06.2017, 1 (sog. ATAD II-Richtlinie).

4  Zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung

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wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Bei Drittstaatentöchtern haben die Mitgliedstaaten fakultativ die Möglichkeit, diesen Nachweis zuzulassen. Auch Hinweis auf den sog. 1/3-Escape.13 • Rechtsfolge ist der Einbezug in der Steuerbemessungsgrundlage des beherrschenden Unternehmens nach nationalen Steuervorschriften. Auch die Steueranrechnung erfolgt nach nationalen Vorschriften. • Eine spätere Ausschüttung von Gewinnen oder eine Veräußerung der Beteiligung am beherrschten Unternehmen führt beim beherrschenden Unternehmen zum Abzug der bereits der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfenen Einkünfte zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung.

4.2.2  Kein Systemwechsel Hält man sich die Vorgaben der ATAD für die Hinzurechnungsbesteuerung vor Augen, stellt sich zunächst die Frage, ob ein Systemwechsel geboten ist. Denn die ATAD hat erkennbar ein Anrechnungs- und nicht ein (Dividenden-)Freistellungssystem vor Augen (Gegenstand der Hinzurechnung sollen nicht ausgeschüttete passive Einkünfte inkl. von Ausschüttungserträgen sein). Nach hier vertretener Auffassung ist indes ein solcher Systemwechsel nicht geboten. Die Vorgaben der ATAD sind „mit Verstand“ in die deutsche Unternehmensbesteuerungsystematik hinein zu transportieren und zu integrieren.14 Umsetzungsessentialia sind nach hier vertretener Auffassung: • Übernahme des Kontrollkonzepts. Vorsehen einer Sonderregelung für Finanzprodukte. • Einführung eines Katalogs passiver Einkünfte in Anlehnung an die ATAD (ohne Beteiligungseinkünfte). Abschaffung des heutigen Katalogs aktiver Einkünfte. • Nichterfassung oder komplette Freistellung von Beteiligungserträgen und Erhalt des § 14 AStG. • Deutliche Erhöhung der Freigrenze (Vorbild Zinsschranke?) oder Einfügung einer anderen großzügigen quantitativen Escape-Rule. • Absenkung der Niedrigbesteuerungsgrenze auf die Höhe des Körperschaftsteuersatzes, derzeit also 15 % (damit auch Vermeidung von Anrechnungsüberhängen bei Kaptalgesellschaften). Sonst wird die Hinzurechnungsbesteuerung wegen der weltweiten Absenkungstendenz bei der Unternehmenssteuerbelastung zum Regel-Unternehmenssteuerrecht (wäre also keine Missbrauchsbekämpfungsnorm mehr).

 Danach besteht ein Mitgliedstaatenwahlrecht, von einer Hinzurechnungsbesteuerung abzusehen, wenn weniger als 1/3 der Einkünfte des beherrschten Unternehmens passiv sind. 14  Wobei sich dann naturgemäß im Einzelfall die Frage nach einer richtlinienwidrigen Umsetzung und deren Rechtsfolgen stellen kann. 13

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• Erstreckung der Cadbury Schweppes-Ausnahme auch auf Drittstaatentöchter? Nach hier vertretener Auffassung ist eine gewisse Zurückhaltung insoweit nachvollziehbar. Die aktuelle Entscheidung des EuGH v. 26.02.201915 hat die Frage noch nicht wirklich geklärt.16 • Überprüfung des Hochschleusungsumfangs der Steuerbelastung von Hinzurechnungsbeträgen (Zusammenhang mit der Gesamthöhe der Unternehmenssteuerbelastung; Sonderfragen bei ESt-Pflichtigen). • Vermeidung kumulativer Hinzurechnungsbesteuerungen. Das hier vertretene Grundverständnis, dass die Vorgaben der ATAD für die Hinzurechnungsbesteuerung keinen grundlegenden Systemwechsel bei der Hinzurechnungsbesteuerung sowie ggf. sogar der Unternehmensbesteuerung insgesamt erforderlich machen, wird offensichtlich auch von der deutschen Finanzverwaltung geteilt. Weniger Übereinstimmung besteht allerdings in der Einschätzung der gebotenen Umsetzungsessentialia. Zwar liegt noch kein offizieller Entwurf zur Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung in Umsetzung der ATAD vor. Es ist aber ein interner Gesetzesentwurf des BMF zur Reform der Hinzurechnungsbesteuerung vom 19.12.2018 (AStG-E) bekannt geworden, der dankenswerterweise nachstehend der Detailanalyse zugrunde gelegt und an den jeweiligen Diskussionspunkten zur besseren Nachvollziehbarkeit auch wörtlich wiedergegeben werden darf.

4.2.3  Neuregelung der „Deutsch-Beherrschung“17 De lege lata erfordert § 7 Abs. 2 AStG das Vorliegen einer sog. „Inländerbeherrschung“, d. h. einer Beteiligung von unbeschränkt Steuerpflichtigen an der ausländischen (Zwischen-)‌Gesellschaft zu kumulativ mehr als 50 %. Eine Kontrolle durch den unbeschränkt Steuerpflichtigen ist nicht erforderlich, denn die in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen müssen keine einander nahestehenden Personen sein. Infolgedessen kann es auch zu einer rein zufälligen Inlandsbeherrschung kommen. Nach Art. 7 Abs. 1 ATAD setzt die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung voraus, dass der Steuerpflichtige entweder alleine oder zusammen mit verbundenen Unternehmen das ausländische Unternehmen beherrscht. Dabei sind gem. Art.  7 Abs.  1 Satz  1 Buchst.  a ATAD die Anteile/Stimmrechte/Gewinnansprüche verbundener Unternehmen zu berücksichtigen, um das Vorliegen einer Beherrschung zu prüfen. Ob die verbundenen Unternehmen im In- oder Ausland ansässig sind, ist irrelevant. Einen Überblick über die unterschiedlichen Voraussetzungen gibt Tab. 4.1.

 EuGH, Urt. v. 26.02.2019 – C-135/17, DStR 2019, 489.  S. aber auch die Ausführungen in BFH, Urt. v. 13.06.2018 – I R 94/15, DStR 2018, 2251. 17  Nachstehendes in Anlehnung an die Ausführungen von Ditz bei der Jahresarbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht in Wiesbaden am 27.05.2019. 15 16

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Tab. 4.1  Vergleich der Voraussetzungen der Inländerbeherrschung Voraussetzungen nach dem AStG § 7 Abs. 2 AStG • Inländerbeherrschung, wenn Inländer in der Summe (ggf. rein zufällig) allein oder zusammen zu mehr als 50 % an der ausländischen Gesellschaft beteiligt sind • Sonderregelung für Zwischen einkünfte mit Kapitalanlagecharakter

Voraussetzungen nach der ATAD Art. 7 Abs. 1 lit. a) ATAD • Wenn „der Steuerpflichtige selbst oder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte oder … unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % des Kapitals hält oder … Anspruch auf mehr als 50 % der Gewinne dieses Unternehmens hat.“

Konsequenzen für das AStG • Mglw. kein Regelungsbedarf aufgrund von Art. 3 ATAD • Aber auch denkbar, dass Regelung der ATAD ein echtes aliud zu der aktuellen Regelung im AStG und daher Neuregelung der Beherrschung erforderlich ist

Der AStG-E vom 19.12.2018 gibt das bisherige Konzept der Inländerbeherrschung auf und folgt dem System der ATAD. Infolgedessen sind de lege ferenda die Einkünfte der Zwischengesellschaft steuerpflichtig, wenn der (unbeschränkt oder beschränkt)18 Steuerpflichtige die Gesellschaft „beherrscht“. Gemäß §  7 Abs.  2 AStG-­E liegt eine Beherrschung vor, wenn dem Steuerpflichtigen allein oder zusammen mit nahestehenden Personen (dies ist neu!) am Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft mehr als die Hälfte der Stimmrechte oder mehr als die Hälfte der Anteile am Nennkapital unmittelbar oder mittelbar zuzurechnen sind oder unmittelbar oder mittelbar ein Anspruch auf mehr als die Hälfte des Gewinns oder des Liquidationserlöses dieser Gesellschaft zusteht.19 Sind bspw. an der ausländischen Zwischengesellschaft D die unverbundenen deutschen A mit 20  % und B mit 40  % beteiligt und die ausländische C, die 100 %-Mutter von B ist, auch mit 40 % an D beteiligt, so liegt de lege lata in diesem Fall eine „Inländerbeherrschung“ i. S. d. § 7 Abs. 2 AStG vor (A + B = 60 %) und es kommt zu einer Hinzurechnungsbesteuerung in Bezug auf die Gesamtbeteiligung i. H. v. 60 %, d. h. bei A (20 %) und B (40 %). Nach dem neuen Konzept der „Kontrolle“ durch verbundene Unternehmen (Art. 2 Abs. 4 ATAD) bzw. nahestehende Personen (§ 1 Abs. 2 AStG) liegt ebenfalls eine Beherrschung vor (B + C = 80 %). Die Hinzurechnungsbesteuerung greift jedoch nur bei B in Bezug auf seine Beteiligung von 40 % an D. Während de lege lata nur durch nachgeordnete Gesellschaften vermittelte Beteiligungen berücksichtigt werden,20 sind zukünftig – der ATAD entsprechend – auch Beteiligungen von Schwester- oder Muttergesellschaften bei der Ermittlung der Beherrschung zu berücksichtigen. In § 7 Abs. 3 AStG-E wird dazu die nahestehende  Auch dies ist neu.  Die alternative Anknüpfung an die drei Bezugsgrößen soll Umgehungen vermeiden und deckt – der ATAD folgend – die wesentlichen Tatbestände ausländischen Gesellschaftsrechts ab. Insofern können sich allerdings Abgrenzungsprobleme und mehrfache Hinzurechnungsbesteuerungszugriffe ergeben. 20  Vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 AStG. 18 19

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Person unter Verweis auf § 1 Abs. 2 AStG definiert. Die Definition der nahestehenden Person i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG ist weiter gefasst als diejenige des verbundenen Unternehmens gem. Art. 2 Abs. 4 ATAD. Ferner bezieht sich die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung weiterhin auch auf natürliche Personen, während die ATAD grds. nur körperschaftsteuerpflichtige Subjekte erfasst.21 Während sich bislang die Hinzurechnungsbesteuerung nur auf unbeschränkt Steuerpflichtige bezieht, soll sie de lege ferenda auch auf beschränkt Steuerpflichtige anzuwenden sein, soweit die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnen ist,22 durch die eine Tätigkeit i. S. d. § 15 Abs. 2 EStG ausgeübt wird. Dabei ist gemäß § 7 Abs. 4 AStG-E bei Beteiligungen an einer Personengesellschaft bei den Gesellschaftern grundsätzlich von nahestehenden Personen auszugehen. Sind bspw. fünf im Ausland ansässige Mitunternehmer mit jeweils 20 % an einer deutschen gewerblich tätigen GmbH & Co. KG beteiligt, die (steuerlich zuzuordnende) Anteile an einer ausländischen Zwischengesellschaft hält, so sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 AStG-E die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung erfüllt. Bei den Personengesellschaftern wird gemäß § 7 Abs. 4 AStG-E unterstellt, dass nahestehende Personen vorliegen. Z. T. anders als bisher sind auch mittelbare Beteiligungen relevant, aber nur, soweit bei einer die Beteiligung vermittelnden Person hinsichtlich der Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft nicht schon eine Hinzurechnungsbesteuerung nach dem AStG oder einer vergleichbaren ausländischen Regelung erfolgt ist und die danach hinzugerechneten Einkünfte dadurch insgesamt keiner niedrigen Besteuerung mehr unterliegen. S. dazu auch unten 4.2.8. „§ 7 AStG-E Beteiligung an ausländischer Zwischengesellschaft [Auszug] (1) 1Beherrscht ein unbeschränkt Steuerpflichtiger eine Körperschaft …, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Inland hat … (ausländische Gesellschaft), sind die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, bei dem unbeschränkt Steuerpflichtigen entsprechend seiner unmittelbaren und mittelbaren Beteiligung am Nennkapital steuerpflichtig. 2Mittelbare Beteiligungen sind für die Steuerpflicht nach Satz 1 unbeachtlich, soweit bei einer die Beteiligung vermittelnden Person hinsichtlich der Beteiligung an dieser ausländischen Gesellschaft eine Hinzurechnungsbesteuerung nach diesem Gesetz oder einer vergleichbaren ausländischen Regelung erfolgt ist und die danach hinzugerechneten Einkünfte dadurch insgesamt keiner niedrigen Besteuerung im Sinne des § 8 Absatz 5 unterliegen. … 4Die Sätze 1 bis 3 sind auch auf einen beschränkt Steuerpflichtigen anzuwenden, soweit die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar einer inländischen Betriebsstatte des Steuerpflichtigen zuzuordnen ist, durch die eine Tätigkeit im Sinne des § 15 Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes ausgeübt wird. (2) Eine Beherrschung im Sinne des Absatzes 1 liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen allein oder zusammen mit ihm nahestehenden Personen am Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft, in dem diese die Einkünfte nach Absatz 1 erzielt hat (maßgebendes Wirtschaftsjahr), mehr als die Hälfte der Stimmrechte oder mehr als die Hälfte der Anteile am Nennkapital unmittelbar oder mittelbar zuzurechnen sind oder unmittelbar oder mittelbar ein Anspruch auf mehr als die Hälfte des Gewinns oder des Liquidationserlöses dieser Gesellschaft zusteht. 21 22

 Vgl. Art. 1 Abs. 1 ATAD.  Unilateral und abkommensrechtlich stellen sich insoweit die üblichen Fragen.

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(3) 1Für Zwecke der §§ 7 bis 12 ist eine Person dem Steuerpflichtigen unter den Voraussetzungen des § 1 Absatz 2 nahestehend. 2Dies gilt auch bei Stimmrechten von mindestens einem Viertel oder einem Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns. (4) 1Unbeschadet des Absatzes 3 gelten Personen als dem Steuerpflichtigen nahestehend, wenn sie mit ihm in Bezug auf die Zwischengesellschaft durch abgestimmtes Verhalten zusammenwirken. 2Bei den unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschaftern einer Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft, die an einer Zwischengesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, wird ein Zusammenwirken durch abgestimmtes Verhalten widerlegbar unterstellt.“

4.2.4  Neuregelung der passiven Einkünfte23 Art. 7 Abs. 2 Buchst. a) ATAD definiert den folgenden Katalog passiver Einkünfte. Die in dieser Vorschrift nicht genannten Einkünfte sind infolgedessen von einer Hinzurechnungsbesteuerung ausgeschlossen. Im Einzelnen werden folgende passive Einkünfte aufgezählt:24 • • • • •

Zinsen oder sonstige Einkünfte aus Finanzanlagevermögen; Lizenzgebühren oder sonstige Einkünfte aus geistigem Eigentum; Dividenden und Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen; Einkünfte aus Finanzierungsleasing; Einkünfte aus Tätigkeiten von Versicherungen und Banken und aus anderen finanziellen Tätigkeiten; • Einkünfte von Abrechnungsunternehmen, die Einkünfte aus dem Verkauf von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen erzielen, die von verbundenen Unternehmen erworben oder an diese verkauft werden, und keinen oder nur geringen wirtschaftlichen Mehrwert bringen. Alternativ enthält Art.  7 Abs.  2 Buchst.  b) ATAD einen sog. „Principal Purpose Test“. Danach sind die nicht ausgeschütteten Einkünfte des Unternehmens oder der Betriebsstätte aus unangemessenen Gestaltungen, deren wesentlicher Zweck darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Eine Gestaltung oder eine Abfolge von Gestaltungen gilt als unangemessen, sofern das Unternehmen oder die Betriebsstätte nicht selbst Eigentümer der Vermögenswerte wäre oder die Risiken, aus denen sein/ihre gesamten Einkünfte oder Teile davon erzielt werden, nicht eingegangen wäre, wenn es nicht von einer Gesellschaft beherrscht würde, deren Entscheidungsträger die für diese Vermögenswerte und Risiken relevanten Aufgaben ausführen, die für die Erzielung der Einkünfte des beherrschten Unternehmens ausschlaggebend sind. Da diese Variante der Hinzurechnungsbesteuerung in Deutschland offensichtlich nicht in Betracht gezogen wird, bleibt sie nachstehend unberücksichtigt (Tab. 4.2).

23  Nachstehendes in Anlehnung an die Ausführungen von Ditz bei der Jahresarbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht in Wiesbaden am 27.05.2019. 24  Wobei die ATAD, wie erwähnt, eigentlich deren Nicht-Ausschüttung voraussetzt.

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Tab. 4.2  Vergleich der von der Hinzurechnungsbesteuerung erfassten Einkünfte Voraussetzungen nach dem AStG • Nicht aktive Einkünfte nach § 8 Abs. 1 AStG • Gewinnausschüttungen stets aktiv, § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG • Veräußerungsgewinne grds. ebenfalls aktiv, § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG • Auch ansonsten Katalog aktiver Einkünfte

Voraussetzungen nach der ATAD • Passive Einkünfte nach Art. 7 Abs. 2 ATAD • „Dividenden und Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen“ sind passiv, Art. 7 Abs. 2 lit. a) iii) ATAD • Auch ansonsten Katalog passiver Einkünfte • Generell ist Nichtausschüttung der passiven Einkünfte vorausgesetzt.

Konsequenzen für das AStG • Auslegung der ATAD, dass Dividenden und Veräußerungsgewinne angesichts des deutschen Freistellungssystems weiterhin als aktiv einzustufen sind, zulässig? Unzutreffendes Systemverständnis in der ATAD? • Anderenfalls wären weitreichende Konsequenzen zu befürchten. Wenn HZB, Anwendung § 8b KStG bei Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags? • Ansonsten Argumentation gegen Mindestübernahme ATAD-Katalog schwer möglich. Damit keine Ausnahme mehr für Kapitalaufnahmegesellschaften oder Lizenzeinnahmen mit Erfüllung Nexus-Anforderungen oder Low Risk Distributor ohne schädliche Mitwirkung?

Der AStG-E vom 19.12.2018 hält an der bisherigen konzeptionellen Ausgestaltung des § 8 Abs. 1 AStG fest und definiert einen Katalog von aktiven Einkünften. Auf deren Nichtausschüttung kommt es nicht an. Es besteht daher (weiterhin) ein systematischer Unterschied zu Art. 7 Abs. 2 Buchst. a) ATAD, der die passiven Einkünfte definiert und deren Nichtausschüttung voraussetzt. Es bleibt dabei, dass nicht in § 8 Abs. 1 AStG genannte Einkunftsarten immer passiv sind. Im Einzelnen ergeben sich de lege ferenda wesentliche Änderungen. So ist für niedrigbesteuerte Konzernfinanzierungsgesellschaften de lege lata die Aktivität gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG zu prüfen. Dies setzt den Nachweis des Steuerpflichtigen voraus, dass u. a. das Kapital ausschließlich aus ausländischen Kapitalmärkten und nicht bei einer ihm oder der ausländischen Gesellschaft nahestehenden Person aufgenommen wurde. § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG soll zukünftig entfallen. Verfügt die Finanzierungsgesellschaft über eine Banklizenz, können sich aktive Einkünfte auch gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG ergeben. Dies setzt de lege lata einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Betrieb und das Nichtüberwiegen von Geschäften mit dem Steuerpflichtigen oder ihm nahestehenden Personen voraus. De lege ferenda erwirtschaftet sie, wenn ihre Einkünfte zu mehr als einem Drittel aus Geschäften mit dem Steuerpflichtigen oder ihm nahestehenden Personen stammen, passive Einkünfte. Entlastend kann dann nur wirken, wenn der Substanztest gemäß § 8 Abs. 2 AStG-E erfüllt wird. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG-E ist der Handel zwar weiterhin grundsätzlich aktiv. Dies gilt aber nicht, wenn der Steuerpflichtige oder ihm nahestehende Personen der ausländischen Gesellschaft die Verfügungsmacht an den gehandelten Gütern oder

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Waren verschafft oder die ausländische Gesellschaft dem Steuerpflichtigen oder ihm nahestehenden Personen die Verfügungsmacht an den gehandelten Gütern oder Waren verschafft. Konzerninterne Einkaufs- und Vertriebsgesellschaften erwirtschaften infolgedessen grundsätzlich passive Einkünfte. Sie sind nur dann „entlastet“, wenn sie den Substanztest des § 8 Abs. 2 AStG-E erfüllen. Dieser ist gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 AStG-E in Bezug auf § 8 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AStG-E auch für Drittstaatenfälle anwendbar. Der derzeitige Verweis in § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG auf die weiteren Voraussetzungen aktiver Einkünfte, nämlich einer Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr, dem Vorhandensein eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs sowie die fehlende Mitwirkung des Steuerpflichtigen oder einer ihm nahestehenden Person, soll entfallen. Mit der grundsätzlichen Einordnung gruppeninterner Einkaufs- und Vertriebsgesellschaften als passiv geht der Gesetzentwurf zu weit. Zwar definiert Art. 7 Abs. 2 Buchst. a) vi) ATAD die Einkünfte von Abrechnungsunternehmen ebenfalls als passiv. Damit sind jedoch reine „Durchhandelsgesellschaften“ gemeint, die keine oder nur eine geringe wirtschaftliche Wertschöpfung erbringen. Dies ist indessen bei konzerninternen Einkaufs- und Vertriebsgesellschaften üblicherweise nicht der Fall. Die Rechtslage ist auch deswegen verfahrensrechtlich verschärft, weil gemäß §  18 Abs.  3 Satz  2 AStG-E eine Feststellungserklärung abzugeben ist, wenn der Sub­stanztest gemäß § 8 Abs. 2 AStG-E geltend gemacht wird. Bedeutet dies, dass zukünftig für alle Einkaufs- und Vertriebsgesellschaften im Konzern eine Feststellungserklärung abzugeben ist, wenn nicht die Niedrigbesteuerungsgrenze deutlich abgesenkt wird? Die Änderungen in § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG-E korrespondieren mit denjenigen in § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG-E. D. h., die Erbringung von Dienstleistungen ist grundsätzlich aktiv, jedoch nicht, wenn sie von dem Steuerpflichtigen oder einer ihm nahestehenden Person an die ausländische Gesellschaft erbracht wird (Buchst. a)) oder die Dienstleistung von der ausländischen Gesellschaft an den Steuerpflichtigen oder an ihm nahestehende Personen erbracht wird (Buchst. b)). Vor allem die letztgenannte Alternative ist sehr praxisrelevant, betrifft sie doch alle gruppeninternen Dienstleistungsgesellschaften (z.  B. gruppeninterne Auftragsforschung und -entwicklung, Shared Service Center). Hier wird grundsätzlich zukünftig von einer Passivität auszugehen sein, die nur über den Substanztest des §  8 Abs.  2 AStG-E vermieden werden kann (während es de lege lata auf die schädliche Mitwirkung ankommt). Der Substanztest ist gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 AStG-E in Bezug auf § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG-E auch in Drittstaatenfällen anwendbar. Er entbindet jedoch nicht gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 AStG-E von der Abgabe einer Feststellungserklärung (s. o.). Nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG-E ist die Lizenzierung von Rechten und anderen immateriellen Wirtschaftsgütern (Buchst. a)), die Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme des Nachweises einer Freistellung nach einem DBA bei einem unmittelbaren Bezug der Einkünfte (Buchst. b)) sowie die Vermietung oder Verpachtung von beweglichen Sachen (Buchst. c)) passiv. Auch insoweit wird über die Vorgaben der ATAD (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a) ii) hinausgegangen, wonach nur Lizenzgebühren oder sonstige Einkünfte aus geistigem Eigentum passiv sein sollen. Der Gesetzesentwurf lehnt sich auch insoweit an die bisherige Rechtslage

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an, verzichtet jedoch de lege ferenda auf die Voraussetzungen der Verwertung eigener Ergebnisse aus einer Forschungs- oder Entwicklungstätigkeit, die ohne schädliche Mitwirkung entwickelt wurden. Die Unschädlichkeit kann in diesem Bereich zukünftig durch die Erfüllung des Substanztestes gemäß § 8 Abs. 2 AStG-E erreicht werden, wobei eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit nur vorliegt, soweit die Gesellschaft die Ergebnisse eigener Forschungs- oder Entwicklungsarbeit verwertet (so explizit § 8 Abs. 2 Satz 6 AStG-E). Auch dieser Substanztest ist in Drittstaatenfällen anwendbar.25 Fraglich ist, was passiert, wenn die ausländische F&E-Tätigkeit eingestellt wird, die Ergebnisse jedoch auf der bisherigen Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft basieren. Entgegen den Vorgaben des Art. 7 Abs. 2 Buchst. a) i) ATAD werden Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG-E weiterhin grds. als aktiv eingeordnet. Der deutsche Gesetzgeber verfolgt damit (weiterhin) das Ziel, passive Einkünfte im Wege der Hinzurechnungsbesteuerung „an der eigentlichen Wurzel“ der Einkunftsquelle zu erfassen. Die grds. Einordnung von Gewinnausschüttungen als aktiv ist zu begrüßen, da sie systemkonform ist und auch das Problem einer Doppelbesteuerung im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung (passive Einkunftsquelle einerseits sowie Gewinnausschüttung andererseits) vermieden wird. In diesem Zusammenhang muss man auch sehen, dass de lege ferenda § 14 AStG entfällt (s. dazu auch unter 4.2.8). Das bedeutet auch, dass die „Umwandlung“ eigent­ lich passiver Einkünfte einer Untergesellschaft aufgrund eines unmittelbaren Zusammenhangs mit einer aktiven Tätigkeit einer Obergesellschaft zukünftig ausscheidet. Es besteht daher nicht mehr die Möglichkeit, passive Einkünfte einer Untergesellschaft funktional den aktiven Einkünften einer Obergesellschaft zuzuordnen. Gewinnausschüttungen qualifizieren als passiv, wenn sie das Einkommen der leistenden Körperschaft gemindert haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a) AStG-E), oder wenn es sich um Ausschüttungen handelt, die beim Empfänger Bezüge nach § 8b Abs. 4 KStG sein würden, wenn dieser im Geltungsbereich dieses Gesetzes mit diesen Bezügen steuerpflichtig wäre (§ 8 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b) AStG-E), oder um Ausschüttungen, die beim Steuerpflichtigen nach § 3 Nr. 40 Satz 2 EStG oder nach § 8b Abs. 7 KStG der Besteuerung unterlägen, wenn er diese Ausschüttungen erzielt hätte. Korrespondierend zu den Regelungen für Gewinnausschüttungen in § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG-E sieht § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG-E vor, dass Veräußerungsgewinne aus Anteilen an einer Gesellschaft grds. aktiv sind. Dies gilt jedoch nicht für Veräußerungsgewinne, die beim Steuerpflichtigen nach § 3 Nr. 40 Satz 3 EStG oder nach § 8b Abs. 7 KStG der Besteuerung unterlägen, wenn er die Veräußerungsgewinne erzielt hätte.

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 Vgl. § 8 Abs. 3 Satz 2 AStG-E.

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Abschließend regelt § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG-E, dass auch Einkünfte aus Umwandlungen grundsätzlich aktiv sind. Dies gilt nicht, soweit die Einkünfte aus der Übertragung von Wirtschaftsgütern beruhen, die nicht der Erzielung von Einkünften i. S. d Nrn. 1 bis 8 des § 8 Abs. 1 AStG-E dienen, es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass die Umwandlung im Inland ungeachtet des §  1 Abs.  2 und  4 UmwStG zu Buchwerten hätte erfolgen können und im Ausland tatsächlich zu Buchwerten erfolgt ist. „§ 8 AStG-E Einkünfte von Zwischengesellschaften26 [Auszug] (1) Eine ausländische Gesellschaft ist Zwischengesellschaft für Einkünfte, einschließlich Veräußerungsgewinnen, die einer niedrigen Besteuerung im Sinne des Absatzes 5 unterliegen und nicht stammen aus: 1. der Land- und Forstwirtschaft, 2. der Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Montage von Sachen, der Erzeugung von Energie sowie dem Aufsuchen und der Gewinnung von Bodenschätzen, 3. dem Betrieb von Versicherungsunternehmen, Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen, sei es denn, diese Einkünfte stammen zu mehr als einem Drittel aus Geschäften mit dem Steuerpflichtigen oder ihm nahestehenden Personen; die Nummern 7 und 8 bleiben unberührt, 4. dem Handel, soweit nicht a) der Steuerpflichtige oder ihm nahestehende Personen der ausländischen Gesellschaft die Verfügungsmacht an den gehandelten Gütern oder Waren verschaffen oder b) die ausländische Gesellschaft dem Steuerpflichtigen oder ihm nahestehenden Personen die Verfügungsmacht an den gehandelten Gütern oder Waren verschafft, 5. Dienstleistungen, soweit nicht a) die Dienstleistung von dem Steuerpflichtigen oder ihm nahestehenden Personen an die ausländische Gesellschaft erbracht wird oder b) die Dienstleistung von der ausländischen Gesellschaft an den Steuerpflichtigen oder an ihm nahestehende Personen erbracht wird 6. der Vermietung und Verpachtung, ausgenommen a) die Überlassung der Nutzung von Rechten, Planen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen,  b) die Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken, es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass die Einkünfte daraus nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerbefreit waren, wenn sie von ihm unmittelbar bezogen worden wären, und c) die Vermietung oder Verpachtung von beweglichen Sachen,

 § 9 Freigrenze bei gemischten Einkünften: Für die Anwendung des § 7 Absatz 1 sind Einkünfte eines maßgebenden Wirtschaftsjahres im Sinne des § 7 Absatz 2, für die eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, außer Ansatz zu lassen, wenn die Einkünfte nicht mehr als 10 Prozent der gesamten Einkünfte der ausländischen Gesellschaft betragen, vorausgesetzt, dass die bei einem Steuerpflichtigen hiernach außer Ansatz zu lassenden Beträge insgesamt 80.000 Euro nicht übersteigen. § 17 Sachverhaltsaufklärung: (2) Ist für die Ermittlung der Einkünfte, für die eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, eine Schätzung nach § 162 der Abgabenordnung vorzunehmen, so ist mangels anderer geeigneter Anhaltspunkte bei der Schätzung als Anhaltspunkt von mindestens 20 Prozent des gemeinen Werts der von den unbeschränkt Steuerpflichtigen gehaltenen Anteile auszugehen; Zinsen und Nutzungsentgelte, die die Gesellschaft für überlassene Wirtschaftsgüter an die unbeschränkt Steuerpflichtigen zahlt, sind abzuziehen.

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7. Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften (§ 20 Absatz 1 Nummer 1 des Einkommensteuergesetzes), ausgenommen a) Ausschüttungen, soweit diese das Einkommen der leistenden Körperschaft gemindert haben, b) Ausschüttungen, die beim Empfänger Bezuge nach § 8b Absatz 4 des Körperschaftsteuergesetzes sein würden, wenn dieser im Geltungsbereich dieses Gesetzes mit diesen Bezügen steuerpflichtig wäre, und c) Ausschüttungen, die beim Steuerpflichtigen nach § 3 Nummer 40 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes oder nach §  8b Absatz 7 des Körperschaftsteuergesetzes der Besteuerung unterlägen, wenn er die Ausschüttungen erzielt hatte, 8. der Veräußerung eines Anteils an einer anderen Gesellschaft sowie aus deren Auflösung oder der Herabsetzung ihres Kapitals, ausgenommen Veräußerungsgewinne, die beim Steuerpflichtigen nach § 3 Nummer 40 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes oder nach § 8b Absatz 7 des Körperschaftsteuergesetzes der Besteuerung unterlägen, wenn er die Veräußerungsgewinne erzielt hätte, 9. Umwandlungen; dies gilt nicht, soweit die Einkünfte aus der Übertragung von Wirtschaftsgütern beruhen, die nicht der Erzielung von Einkünften im Sinne der Nummern 1 bis 8 dienen, es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass die Umwandlung im Inland ungeachtet des § 1 Absatz 2 und 4 des Umwandlungssteuergesetzes zu Buchwerten hätte erfolgen können und im Ausland tatsächlich zu Buchwerten erfolgt ist.“

4.2.5  Neuregelung der Niedrigbesteuerung Nach § 8 Abs. 3 AStG liegt de lege lata eine niedrige Besteuerung vor, wenn die in Frage stehenden passiven Einkünfte der ausländischen Gesellschaft einer Belastung mit Ertragsteuern von weniger als 25 % unterliegen. Dabei erfolgt die Prüfung der niedrigen Besteuerung nicht allein anhand des ausländischen Steuersatzes, sondern anhand einer Berechnung der tatsächlichen Belastung.27 Hierbei sind die Einkünfte grundsätzlich nach den Regelungen des deutschen Steuerrechts zu ermitteln. Bloße zeitliche Verschiebungen aufgrund von im Ausland üblichen Abschreibungssätzen oder ähnlichen Regelungen, die sich in überschaubarer Zeit ausgleichen, können dabei unberücksichtigt bleiben. Auch eine Minderung der Steuerbelastung aufgrund eines Verlustausgleichs mit anderen Einkünften oder eines Verlustvortrags führt nicht zu einer niedrigen Besteuerung (§ 8 Abs. 3 Satz 1 AStG bezeichnet eine Niedrigbesteuerung als unschädlich, die auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht). Auch die z. B. von einem Betriebsstättenstaat erhobenen Ertragsteuern können in die Prüfung der niedrigen Besteuerung einbezogen werden. Nicht völlig klar ist, ob die Ertragsteuern bei der ausländischen Gesellschaft selbst erhoben werden müssen oder ob bspw. in Fällen einer Organschaftsbesteuerung o. Ä. im Ausland die auf die Einkünfte einer Gesellschaft entfallenden Steuern des Organträgers mit zu berücksichtigen sind. Letzteres ist naturgemäß die einzig vernünftige Betrachtung.28  Die Prüfung der tatsächlichen Belastung führt bspw. dazu, dass auch Steuervergünstigungen in ansonsten hoch besteuernden Ländern zu einer niedrigen Besteuerung i. S. d. § 8 Abs. 3 AStG führen können. 28  Allerdings sind die Probleme der Prüfung der Niedrigbesteuerung in Fällen ausländischer Konzernbesteuerungssysteme noch nicht wirklich gelöst. Probleme sind auch denkbar, wenn die Qua27

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Tab. 4.3  Vergleich der Voraussetzungen der Niedrigbesteuerung Voraussetzungen nach dem AStG • Niedrigbesteuerung bei weniger als 25 %, § 8 Abs. 3 AStG • Steuersatz: nur bezogen auf passive Einkünfte • Stammhaus und BSt einheitlich

Voraussetzungen nach der ATAD • Niedrigbesteuerung erst, wenn die ausländische Steuerbelastung einen niedrigeren Wert als 50 % der inländischen KSt ausmacht • Steuersatz: bezogen auf aktive und passive Einkünfte (KSt auf „Gewinne“ des Unternehmens) • Stammhaus und BSt gesondert

Konsequenzen für das AStG • ATAD legt nur Mindestschutzniveau fest – strengere Regelungen weiterhin möglich • Absenkung ist aber denkbar

Mit Blick auf das sog. Malta-Modell sind überdies ausschüttungsbedingte Steuererstattungen an den Gesellschafter bei der Ermittlung der Steuerbelastung der Gesellschaft mit zu berücksichtigen. Die ATAD sieht in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) für die Niedrigbesteuerung folgende Regelung vor: „Die von dem Unternehmen […] tatsächlich entrichtete Körperschaftsteuer auf seine bzw. ihre Gewinne ist niedriger als die Differenz zwischen der Körperschaftsteuer, die nach der geltenden Körperschaftsteuerregelung im Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen für das Unternehmen […] erhoben worden wäre, und der von dem Unternehmen […] tatsächlich entrichteten Körperschaftsteuer auf seine […] Gewinne.“29

Damit stellen sich Status Quo, Vorgaben der ATAD und die möglichen Konsequenzen für die Neuregelung im Überblick wie in Tab. 4.3 gezeigt dar: Bei der Neuregelung geht es dementsprechend vor allem um die Höhe der neuen Niedrigbesteuerungsgrenze. Ansonsten liegen Unterschiede nur im Detail. Der AStG-­E lässt hingegen genau die Frage der Niedrigbesteuerungsgrenze offen. Und er bleibt im Übrigen weitestgehend bei der derzeitigen Gesetzesfassung. Damit sieht der AStG-E auch eine Klärung der angedeuteten zahlreichen Zweifelsfragen zur Frage der Ermittlung der Steuerbelastung in der ausländischen Tochterkapitalgesellschaft nicht vor. „§ 8 AStG-E Einkünfte von Zwischengesellschaften [Auszug] (5) 1Eine niedrige Besteuerung liegt vor, wenn die nach Maßgabe des § 10 Absatz 3 ermittelten Einkünfte, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als [25] Prozent unterliegen, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht. 2In die Belastungsberechnung sind Ansprüche einzubeziehen, die der Staat oder das Gebiet der ausländischen Gesellschaft im Fall einer Gewinnausschüttung der ausländischen Gesellschaft dem Steuerpflichtigen oder einer anderen Gesellschaft, an der der Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, gewährt. 3Einkünfte unterliegen im Sinne des Satzes 1 auch dann einer

lifikation von Sachverhalten nach ausländischem Steuerrecht von derjenigen nach deutschem Steuerrecht abweicht. 29  Für die Zwecke der Ermittlung der Steuerbelastung „wird die Betriebstätte eines beherrschten ausländischen Unternehmens, die im Steuergebiet des beherrschten ausländischen Unternehmens nicht der Steuer unterliegt oder steuerbefreit ist, nicht berücksichtigt.“

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T. Rödder Belastung durch Ertragsteuern von weniger als [25] Prozent, wenn Ertragsteuern von mindestens [25] Prozent zwar rechtlich geschuldet, jedoch nicht tatsächlich erhoben werden.“

Richtig wäre die Absenkung der Niedrigbesteuerungsgrenze auf die Höhe des Körperschaftsteuersatzes, derzeit also 15 % (damit auch Vermeidung von Anrechnungsüberhängen). Sonst wird die Hinzurechnungsbesteuerung wegen der weltweiten Absenkungstendenz bei der Unternehmenssteuerbelastung zum Regel-­Unter­ nehmenssteuerrecht (wäre also keine Missbrauchsbekämpfungsnorm mehr).

4.2.6  Neuregelung des Cadbury-Schweppes-Tests Der Cadbury-Schweppes-Tests ist derzeit in § 8 Abs. 2 AStG geregelt (Tab. 4.4). Die Vorschrift lautet: 30 „Ungeachtet des Absatzes 1 ist eine Gesellschaft, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-­ Abkommens hat, nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die unbeschränkt ­Steuerpflichtige, die im Sinne des § 7 Absatz 2 oder Absatz 6 an der Gesellschaft beteiligt sind, nachweisen, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht. Weitere Voraussetzung ist, dass zwischen der Bundesrepublik

Tab. 4.4  Vergleich der Anforderungen an den Substanznachweis Voraussetzungen nach dem AStG • Substanznachweis nach § 8 Abs. 2 AStG • „Tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“ • Praxis oft: Mehr als ein Briefkasten, aber zunehmend Anforderung in Relation zu Art und Umfang der Tätigkeit und „Sphärenbetrachtung“ • Rspr: Ursprünglich auch mehr als ein Briefkasten, aber Verschärfungstendenz (BFH I R 94/15 v. 13.06.2018)

Voraussetzungen nach der ATAD • Substanznachweis nach Art. 7 Abs. 2 lit. a) Unterabs. 2 ATAD • „substantive economic activity“ = wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit • Konkretisierung der Tätigkeit in Bezug auf „Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten“ • Wahlrecht der nationalen Gesetzgeber, die Substanz-ausnahme auch für Drittstaaten-­ gesellschaften anzuwenden

Konsequenzen für das AStG • Der deutsche Gesetzgeber muss den Mindeststandard der Richtlinie umsetzen, ohne jedoch gegen Primärrecht zu verstoßen • Soweit die Richtlinie selbst gegen Primärrecht verstößt, kann der EuGH die Nichtigkeit der Richtlinienbestimmung feststellen • Verstärkung Tendenz zur Verschärfung Anforderungen • Stark unterschiedliches Verständnis in den Mitgliedstaaten?

 Nachstehendes in Anlehnung an die Ausführungen von Hendricks bei der Jahresarbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht in Wiesbaden am 27.05.2019.

30

4  Zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung

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Deutschland und diesem Staat auf Grund der Amtshilferichtlinie gemäß § 2 Absatz 2 des EU-Amtshilfegesetzes oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen. Satz 1 gilt nicht für die der Gesellschaft nach § 14 zuzurechnenden Einkünfte einer Untergesellschaft, die weder Sitz noch Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat. Das gilt auch für Zwischeneinkünfte, die einer Betriebsstätte der Gesellschaft außerhalb der Europäischen Union oder der Vertragsstaaten des EWR-Abkommens zuzurechnen sind. Der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft sind nur Einkünfte der Gesellschaft zuzuordnen, die durch diese Tätigkeit erzielt werden und dies nur insoweit, als der Fremdvergleichsgrundsatz (§ 1) beachtet worden ist.“

Art. 7 Abs. 2 lit. a) Unterabsatz 2 ATAD lautet:31 „[…] findet keine Anwendung, wenn das beherrschte ausländische Unternehmen, gestützt auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wie durch relevante Fakten und Umstände nachgewiesen.“

Art. 7 Abs. 2 lit. a) Unterabsatz 3 ATAD lautet: „Ist das beherrschte ausländische Unternehmen in einem Drittland ansässig oder belegen, dass keine Vertragspartei des EWR-Abkommens ist, so können die Mitgliedstaaten beschließen, Unterabsatz 2 nicht anzuwenden.“

Im AStG-E ist der Cadbury-Schweppes-Tests nun in den §  8 Abs.  2, Abs.  3 und Abs. 4 geregelt: „§ 8 AStG-E Einkünfte von Zwischengesellschaften [Auszug] (2) 1Ungeachtet des Absatzes 1 ist eine ausländische Gesellschaft für Einkünfte, für die nachgewiesen wird, dass die Gesellschaft in dem Staat in dem sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. 2Dies setzt den Einsatz der für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen sachlichen und personellen Ausstattung in diesem Staat voraus. 3Die Tätigkeit muss durch hinreichend qualifiziertes Personal selbstständig und eigenverantwortlich ausgeübt werden. 4Der wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft sind nur Einkünfte der Gesellschaft zuzuordnen, die durch diese Tätigkeit erzielt werden und dies nur insoweit, als der Fremdvergleichsgrundsatz (§ 1) beachtet worden ist. 5Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht, wenn die Gesellschaft ihre wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend durch Dritte besorgen lässt. 6Eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit liegt in den Fällen des Absatze 1 Nummer 6 Buchstabe a nur vor, soweit die Gesellschaft die Ergebnisse eigener Forschung- oder Entwicklungsarbeit verwertet. (3) 1Absatz 2 gilt nur, wenn die ausländische Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat. 2 Satz 1 gilt nicht für Einkünfte aus unter Absatz 1 Nr. 4, 5 und 6 Buchstabe a oder c fallenden Tätigkeiten. (4) Die Absätze 2 und 3 gelten nicht, wenn der Staat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustausches keine Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind.“

Insoweit ist es von Bedeutung, dass § 8 Abs. 2 AStG-E für den Gegenbeweis eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit fordert (statt einer tatsächlichen wirtschaftli31

 Auch Hinweis auf den sog. 1/3-Escape.

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T. Rödder

chen Tätigkeit) und dazu formuliert, dass dies den Einsatz der für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen sachlichen und personellen Ausstattung in diesem Staat voraussetzt. Die Tätigkeit muss durch hinreichend qualifiziertes Personal selbstständig und eigenverantwortlich ausgeübt werden. Dies könnte die in praxi festzustellende Tendenz, die Substanzanforderungen abhängig von Art und Umfang der Tätigkeit (und deren Ergebnis) zu definieren, befördern. Bedeutsam ist weiterhin, dass wohl die segmentierende Betrachtung festgeschrieben werden soll. Während die Richtlinie für die eigene wirtschaftliche Tätigkeit nicht auf die betroffenen Einkünfte, sondern auf die Gesamttätigkeit abzustellen scheint (vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. a) Unterabs. 2 ATAD: „wenn“), ist § 8 Abs. 2 AStG-E einkünftebezogen ausgestaltet („für Einkünfte, für die nachgewiesen wird“). Mit Rücksicht darauf, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten lediglich einen Mindeststandard setzt (vgl. Art. 3 ATAD I), scheint eine über die Richtlinie hinausgehende Regelung  – z.  B. durch eine segmentierende Hinzurechnungsbesteuerung  – aus sekundärrechtlicher Sicht zulässig. Diese darf jedoch nicht so weit gehen, dass Primärrecht (d.  h. vorliegend Grundfreiheiten) verletzt wird.32 Während eigene Forschungs- oder Entwicklungsarbeit bislang im Rahmen der Definition passiver Einkünfte von Bedeutung war (vgl. §  8 Abs.  1 Nr.  6 AStG), macht § 8 Abs. 2 Satz 6 AStG-E eigene Forschungs- oder Entwicklungsarbeit zur Voraussetzung für den Gegenbeweis. Aus der Richtlinie lässt sich dies nicht (jedenfalls nicht unmittelbar) ableiten. Auch aus der Rechtsprechung scheint dieses Merkmal nur schwer ableitbar. So macht der BFH in seinem Urteil vom 13.06.201833 den Gegenbeweis in Bezug auf die fraglichen Lizenzen nicht von eigener Forschung oder Entwicklung abhängig. Art. 7 Abs. 2 lit. a) Unterabs. 2 ATAD/§ 8 Abs. 2 AStG-E fordern (eigenes) Personal. Ein Gegenbeweis scheidet aus, wenn die Gesellschaft ihre wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit durch Dritte erbringt. Hier stellt sich die Frage, ab wann eine Mehrfachanstellung problematisch wird. Wie ist die Grenze zu ziehen? Nach der aktuellen Gesetzesfassung (§ 8 Abs. 2 AStG) ist ein funktionierender Auskunftsaustausch positive Voraussetzung für den Gegenbeweis („Weitere Vo­ raussetzung ist …“). Gerade in Fällen, in denen der Sachverhalt zwischen den Beteiligten unstreitig ist, macht es keinen Sinn, die Möglichkeit des Gegenbeweises vom Auskunftsverhalten des anderen Staates abhängig zu machen. Die Formulierung in § 8 Abs. 4 AStG-E ist in diesem Punkt vorzugswürdig, da hier deutlicher zum Ausdruck kommt, dass das Ausbleiben erforderlicher Informationen schädlich ist („keine Auskünfte erteilt, die zur Durchführung der Besteuerung erforderlich sind“).

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 Dies verneinend Wacker, IStR 2018, 887.  BFH, Urt. v. 13.06.2018 – I R 94/15, DStR 2018, 2251.

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4.2.7  Neuregelung der Rechtsfolgen Die passiven Einkünfte sind de lege lata gem. § 7 Abs. 1 AStG bei jedem der unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der ausländischen Gesellschaft entfällt.34 Sie sind gem. § 10 Abs. 1 AStG als sog. Hinzurechnungsbetrag anzusetzen. Die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte sind gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG in entsprechender Anwendung des deutschen Steuerrechts zu ermitteln.35 § 8b KStG ist dabei allerdings nicht anzuwenden. Nach § 10 Abs. 1 AStG sind die passiven Einkünfte nach Abzug der Steuern, die zu Lasten der ausländischen Gesellschaft von diesen Einkünften erhoben worden sind, anzusetzen. Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann diese Steuer gem. § 12 Abs. 1 AStG jedoch unter gleichzeitiger Erhöhung des Hinzurechnungsbetrags um diese Steuer auf die Körperschaftsteuer oder Einkommensteuer angerechnet werden, die auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt. Der Hinzurechnungsbetrag gehört nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG zu den Einkünften im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wobei für die Einkünftequalifikation das Subsidiaritätsprinzip gilt (§ 10 Abs. 2 Satz 2 AStG). Der Hinzurechnungsbetrag ist eine Art Einkünfteerhöhungsbetrag und kann durch Verlustausgleich etc. mit anderen Einkünften verrechnet werden. Er gilt gem. §  10 Abs.  2 Satz  1 AStG unmittelbar nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs der ausländischen Gesellschaft als zugeflossen.36 Die 95  %ige Steuerbefreiung für Gewinnausschüttungen (§ 8 b Abs. 1 KStG) ist gem. § 10 Abs. 2 Satz 3 AStG auf den Hinzurechnungsbetrag nicht anzuwenden.37 Der Hinzurechnungsbetrag, der die schädlichen niedrigbesteuerten Einkünfte der ausländischen Zwischengesellschaft abbildet, unterliegt nach h. M. nicht nur der Körperschaftsteuer oder Einkommensteuer, sondern auch der Gewerbesteuer (s.  den neuen §  7 Abs.  1 Satz  7 GewStG).38 Dies kann vor allem bei der unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft39 deshalb zu nicht nachvollziehbaren Belastungswirkungen führen, weil nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 AStG eine Anrechnung der von der ausländischen Zwischengesellschaft gezahlten Steuer auf die Gewerbesteuer der unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft nicht in

 Zum „Verlustvortrag“ negativer passiver Einkünfte § 10 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 5 und 6 AStG. 35  Dies korrespondiert mit der grundsätzlichen Anwendung deutschen Steuerrechts bei der Prüfung, ob eine Niedrigbesteuerung vorliegt. 36  Der Hinzurechnungsbetrag erhöht den Gewinn des inländischen Gesellschafters für das Wirtschaftsjahr, das nach dem Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahrs der ausländischen Gesellschaft endet (§ 10 Abs. 2 Satz 2 AStG). 37  Gleiches gilt ggf. für § 3 Nr. 40 EStG und § 32 d EStG. 38  Wenn nicht unverändert eine Kürzung des Hinzurechnungsbetrags nach § 9 Nr. 7 GewStG möglich sein sollte. 39  Bei Einkommensteuerpflichtigen Hinweis auf § 35 EStG. 34

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Betracht kommt; die Anrechnung kann vielmehr nur auf die Körperschaftsteuer erfolgen.40,41 Die der Hinzurechnungsbesteuerung ggf. später nachfolgende tatsächliche Ausschüttung ist nach § 8 b Abs. 1 KStG zu 95 % steuerfrei. Doppelbesteuerungskonsequenzen können sich allerdings wegen der Einschränkungen des § 8 b KStG und wegen § 8 Nr. 5 GewStG ergeben. Für Einkommensteuerpflichtige regelt § 3 Nr. 41 EStG eine besondere Befreiung von der Hinzurechnungsbesteuerung nachfolgenden Ausschüttungen. Die ATAD regelt dazu Folgendes: „[Art. 7] (2) Wird ein Unternehmen […] als beherrschtes ausländisches Unternehmen […] behandelt, so wird im Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen Folgendes in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen: a) die nicht ausgeschütteten Einkünfte des Unternehmens … [Art. 8] (1) […] so werden die in die Steuerbemessungsgrundlage des Steuerpflichtigen einzubeziehenden Einkünfte nach den Körperschaftsteuervorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Steuerpflichtige steuerlich ansässig oder belegen ist, berechnet. Verluste des Unternehmens […] werden nicht in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen, sondern können gemäß nationalem Recht vorgetragen und in den nachfolgenden Steuerzeiträumen berücksichtigt werden. (3) Die in die Steuerbemessungsgrundlage einzubeziehenden Einkünfte werden anteilig zu der vom Steuerpflichtigen an dem Unternehmen gehaltenen Beteiligung […] berechnet. (4) Die Einkünfte werden in den Steuerzeitraum des Steuerpflichtigen einbezogen, in dem das Steuerjahr des Unternehmens endet. (5) Schüttet das Unternehmen an den Steuerpflichtigen Gewinne aus und werden diese ausgeschütteten Gewinne in die steuerpflichtigen Einkünfte des Steuerpflichtigen einbezogen, so werden die Einkünfte, die zuvor gemäß Artikel 7 in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen waren, bei der Berechnung des Betrags der auf die ausgeschütteten Gewinne zu erhebenden Steuer von der Bemessungsgrundlage abgezogen, um eine Doppelbesteuerung auszuschließen. (6) Veräußert der Steuerpflichtige seine Beteiligung an dem Unternehmen … und wurde ein Teil der Erlöse aus der Veräußerung zuvor gemäß Artikel 7 in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen, so wird dieser Betrag bei der Berechnung des Betrags der auf diese Erlöse zu erhebenden Steuer von der Bemessungsgrundlage abgezogen, um eine Doppelbesteuerung auszuschließen. (7) Der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen lässt einen Abzug der von dem Unternehmen … entrichteten Steuer von der Steuerschuld des Steuerpflichtigen in dem Land seines Steuersitzes … zu. Der Abzug wird nach den nationalen Rechtsvorschriften berechnet.“

 Auch sonst entspricht dies der h. M. bei der Anrechnung ausländischer Steuern.  Beispiel: Das Steuerbelastungsniveau bei der ausländischen Tochterkapitalgesellschaft beläuft sich auf 24 %, das bei der deutschen Mutterkapitalgesellschaft auf 30 %. Auf 100 Punkte passive Einkünfte entfällt folgende Gesamtbelastung (der SolZ wird vernachlässigt): Belastung im Ausland 24; Belastung im Inland: Hinzurechnungsbetrag 100, Steuerbelastung 30, Anrechnung 15, verbleiben 15; Gesamtbelastung 39.

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Die ATAD führt dazu, dass eine Hinzurechnungsbesteuerung in allen EU-Staaten obligatorisch ist. Mithin sind folgende Konsequenzen für das AStG denkbar: • Systemwechsel bei der Hinzurechnungsbesteuerung nötig?42 • Anrechnung ausländischer Steuern auch auf die Gewerbesteuer? Sondersteuersatz für Hinzurechnungsbetrag? Vorbelastungsabhängige quotale Erfassung des Hinzurechnungsbetrags? • Reaktion auf kumulative Hinzurechnungsbesteuerung? Tatsächlich lehnt sich der AStG-E, was die Rechtsfolgen der Hinzurechnungsbesteuerung betrifft, zwar weitgehend an die bisherige Regelung an, enthält aber auch eine Vielzahl von neuen Aspekten. Die wichtigsten sind (andere Detailneuerungen werden hier nicht gesondert hervorgehoben): • Versuch der Beseitigung des Problems der Anrechnungsüberhänge: § 12 Abs. 3 Sätze 2 ff. AStG-E enthält dazu folgende Formulierung: Übersteigen die ausländischen Steuern die auf den Hinzurechnungsbetrag entfallende Körperschaftsteuer (Anrechnungsüberhang), teilt das zuständige Betriebsfinanzamt der für die Gewerbesteuerfestsetzung zuständigen Stelle den Anrechnungsüberhang und den Steuermessbetrag, der auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt, mit. 3Die für die Gewerbesteuerfestsetzung zuständige Stelle rechnet den Anrechnungsüberhang auf die von ihr nach § 16 Absatz 1 des Gewerbesteuergesetzes festgesetzte Steuer an, soweit sie auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt; hierdurch darf es zu keiner Erstattung kommen. Die für die Zerlegung des Steuermessbetrags geltenden Vorschriften des Gewerbesteuergesetzes sind auf den Anrechnungsüberhang entsprechend anzuwenden. 2

Allerdings ist diese Passage in eckige Klammern gesetzt, also offensichtlich noch offen. Alternativ dazu ist dem Vernehmen nach in der Finanzverwaltung auch die Idee eines Sondersteuersatzes auf den Hinzurechnungsbetrag mit voller Anrechnung der ausländischen Steuer auf die daraus resultierende ausländische Steuer erörtert worden.43 • Beseitigung kumulativer Hinzurechnungssteuer-Belastungen: § 7 Abs. 1 Satz 2 AStG-E regelt schon, dass mittelbare Beteiligungen für die Hinzurechnungsbesteuerung unbeachtlich sind, soweit bei einer die Beteiligung vermittelnden Person hinsichtlich der Beteiligung an dieser ausländischen Gesellschaft eine Hinzurechnungsbesteuerung nach diesem Gesetz oder einer vergleichbaren ausländischen Regelung erfolgt ist und die danach hinzugerechneten Einkünfte dadurch insgesamt keiner niedrigen Besteuerung unterliegen. Überdies regelt §  12 Abs.  2 AStG-E Folgendes: Auf Antrag des Steuerpflichtigen wird auf seine Einkommen- oder Körperschaftsteuer, die auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt,  S. dazu schon w.o. unter 4.2.2.  Wobei sich dann u. a. die Frage stellen würde, ob eine Schedule außerdem der normalen Verlustberechnung resultiert (soll dem Vernehmen nach vermieden werden).

42 43

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auch die anteilige Steuer angerechnet, die im Staat einer die Beteiligung an der Zwischengesellschaft vermittelnden Gesellschaft oder Betriebsstätte im Wege einer der Hinzurechnungsbesteuerung vergleichbaren Besteuerung tatsächlich erhoben worden ist. • Verallgemeinerung und Ausweitung, aber auch deutliche Verengung des in § 3 Nr. 41 EStG enthaltenen Grundgedankens in § 11 AStG-E. „§ 10 AStG-E Hinzurechnungsbetrag [Auszug] (1) 1Die nach § 7 Absatz 1 steuerpflichtigen Einkünfte sind bei dem Steuerpflichtigen als Hinzurechnungsbetrag anzusetzen. 2Ergibt sich ein negativer Betrag, so entfallt die Hinzurechnung. (2) 1Der Hinzurechnungsbetrag gehört zu den Einkünften im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 1 des Einkommensteuergesetzes und gilt in dem Veranlagungszeitraum als zugeflossen, in dem das maßgebende Wirtschaftsjahr der ausländischen Gesellschaft endet. 2Gehören Anteile an der ausländischen Gesellschaft zu einem Betriebsvermögen, so gehört der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb … und erhöht den nach dem Einkommen- oder Körperschaftsteuergesetz ermittelten Gewinn des Betriebs für das Wirtschaftsjahr, in dem das Wirtschaftsjahr der ausländischen Gesellschaft endet. 3Sind dem Steuerpflichtigen die Anteile an der ausländischen Gesellschaft mittelbar zuzurechnen, gilt Satz 2 nur, soweit die Anteile an der unmittelbar gehaltenen vermittelnden Beteiligung zu einem Betriebsvermögen gehören. Auf den Hinzurechnungsbetrag sind § 3 Nummer 40 Satz 1 Buchstabe d, § 32d des Einkommensteuergesetzes und § 8b Absatz 1 des Körperschaftsteuergesetzes nicht anzuwenden.  (3) 1Die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte sind in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln. 2Alle Einkünfte, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, sind als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln; ihre Ermittlung hat gemäß § 4 Absatz 1 des Einkommensteu­ ergesetzes zu erfolgen. … 4Steuerliche Vergünstigungen, die an die unbeschränkte Steu­ erpflicht oder an das Bestehen eines inländischen Betriebs oder einer inländischen Betriebsstätte anknüpfen, und die Vorschriften des Umwandlungssteuergesetzes bleiben unberücksichtigt. 5Verluste, die bei Einkünften entstanden sind, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, können in entsprechender Anwendung des § 10d des Einkommensteuergesetzes, soweit sie die nach §  9 außer Ansatz zu lassenden Einkünfte übersteigen, abgezogen werden. 6Ein Verlustrücktrag ist nicht zulässig. (4) Bei der Ermittlung der Einkünfte, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, dürfen nur solche Betriebsausgaben abgezogen werden, die mit diesen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. (5) 1Soweit in Anwendung des Absatzes 3 Wirtschaftsgüter erstmals zu bewerten sind, sind sie mit den Werten anzusetzen, die sich ergeben würden, wenn seit Übernahme der Wirtschaftsgüter durch die ausländische Gesellschaft die Vorschriften des deutschen Steuerrechts angewendet worden wären. 2ln den Fällen des § 8 Absatz 1 Nummer 9 sind bei der übernehmenden Gesellschaft die auf sie übergegangenen Wirtschaftsgüter mit dem von der übertragenden Gesellschaft angesetzten Wert zu übernehmen.“ „§ 12 AStG-E Steueranrechnung [Auszug] (1) 1Auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer des Steuerpflichtigen, die auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt, werden die Steuern vom Einkommen angerechnet, die zu Lasten der ausländischen Gesellschaft auf die dem Hinzurechnungsbetrag unterliegenden Einkünfte tatsachlich erhoben worden sind. 2ln den Fällen des § 8 Absatz 5 Satz 2 sind die Steuern um die dort bezeichneten Ansprüche des Steuerpflichtigen oder einer anderen Gesellschaft, an der der Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, zu kürzen. (2) Auf Antrag des Steuerpflichtigen wird auf seine Einkommen- oder Körperschaftsteuer, die auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt, auch die anteilige Steuer angerechnet,

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die im Staat einer die Beteiligung an der Zwischengesellschaft vermittelnden Gesellschaft oder Betriebsstätte im Wege einer der Hinzurechnungsbesteuerung vergleichbaren Besteuerung tatsächlich erhoben worden ist. (3) 1Bei der Anrechnung sind die Vorschriften des § 34c Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes und des § 26 Absatz 1 und 2 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes auf den Gesamtbetrag der Anrechnungsbeträge nach den Absätzen 1 und 2 entsprechend anzuwenden. [2Übersteigen die ausländischen Steuern die auf den Hinzurechnungsbetrag entfallende Körperschaftsteuer (Anrechnungsüberhang), teilt das zuständige Betriebsfinanzamt der für die Gewerbesteuerfestsetzung zuständigen Stelle den Anrechnungsüberhang und den Steuermessbetrag, der auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt, mit. 3Die für die Gewerbesteuerfestsetzung zuständige Stelle rechnet den Anrechnungsüberhang auf die von ihr nach § 16 Absatz 1 des Gewerbesteuergesetzes festgesetzte Steuer an, soweit sie auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt; hierdurch darf es zu keiner Erstattung kommen. Die für die Zerlegung des Steuermessbetrags geltenden Vorschriften des Gewerbesteuergesetzes sind auf den Anrechnungsüberhang entsprechend anzuwenden.]“ „§ 11 AStG-E Kürzungsbetrag bei Gewinnausschüttung [Auszug] (1) 1Erhält der Steuerpflichtige aus der Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft, für die Hinzurechnungsbeträge nach § 10 Absatz 2 bei ihm der Einkommensteuer oder der Körperschaftsteuer unterlegen haben, Bezüge im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 1 des Einkommensteuergesetzes … kann bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte des Ausschüttungsjahrs auf Antrag ein Kürzungsbetrag abgezogen werden. 2Entsprechendes gilt für Bezüge des Steuerpflichtigen im Sinne des Satzes 1 von Gesellschaften, die an der Zwischengesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind. (2) 1Der Kürzungsbetrag entspricht dem Betrag, der als Bezug im Sinne der unter Absatz 1 bezeichneten Vorschriften bei dem Steuerpflichtigen steuerpflichtig ist. 2Er ist begrenzt auf den Betrag, der als Bezug im Sinne der unter Absatz 1 bezeichneten Vorschriften bei dem Steuerpflichtigen steuerpflichtig wäre, wenn das auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellte Hinzurechnungskorrekturvolumen zuzüglich des im laufenden Veranlagungszeitraum zu besteuernden Hinzurechnungsbetrags in vollem Umfang ausgeschüttet würde. (4) Die vorstehenden Regelungen gelten auch für Gewinne des Steuerpflichtigen aus der Veräußerung von Anteilen an der ausländischen Gesellschaft oder an einer Gesellschaft, die an der ausländischen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, sowie aus deren Auflösung oder aus der Herabsetzung ihres Kapitals. (5) Wenn Hinzurechnungsbeträge nach §  10 Absatz 2 der Gewerbesteuer unterlegen haben, mindert der abzuziehende Kürzungsbetrag im Sinne des Absatzes 2 auch den Gewerbeertrag, soweit dieser durch die Bezüge im Sinne der unter Absatz 1 bezeichneten Vorschriften oder die in Absatz 4 bezeichneten Gewinne erhöht ist.“

4.2.8  W  egfall des Konzepts der nachgeschalteten Zwischengesellschaften De lege lata ist nach der „normalen“ Beteiligungsvoraussetzung für die Hinzurechnungsbesteuerung grds. eine unmittelbare Beteiligung des unbeschränkt Steuerpflichtigen an der ausländischen Kapitalgesellschaft erforderlich. Nur die mittelbare Beteiligung über ausländische Kapitalgesellschaften44 wie auch über in- oder 44

 Inländische Kapitalgesellschaften unterliegen selbst der Hinzurechnungsbesteuerung.

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ausländische Personengesellschaften wird gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 AStG anhand der durchgerechneten anteiligen Beteiligungsquote bei der Prüfung der Beteiligungsvoraussetzung berücksichtigt. Im Fall nachgeschalteter Gesellschaften nach § 14 AStG erfolgt die Hinzurechnungsbesteuerung hinsichtlich der passiven Einkünfte der Untergesellschaft dabei de lege lata nicht direkt, sondern zweistufig (bzw. mehrstufig bei weiteren nachgeschalteten Gesellschaften gem. § 14 Abs. 3 AStG). Die Einkünfte einer Untergesellschaft, die nicht aus aktiven Tätigkeiten i. S. d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 AStG stammen und die niedrig besteuert sind, werden der Obergesellschaft zu dem Teil zugerechnet, der auf ihre Beteiligung am Nennkapital der Untergesellschaft entfällt.45 Die Zurechnung nach §  14 AStG geht der Hinzurechnung logisch voran. Der Hinzurechnungsbetrag der ausländischen (Ober-)Gesellschaft enthält somit auch diese Einkünfte. Die Zurechnung der passiven Einkünfte der Untergesellschaft erfolgt am Ende des Wirtschaftsjahres der Untergesellschaft und kann auch einen negativen Betrag umfassen. Die Qualifikation von Ausschüttungserträgen als aktive Einkünfte nach § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG verhindert wirtschaftlich eine doppelte Erfassung passiver Einkünfte in nachgeschalteten Zwischengesellschaften im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung (bei Anteilsveräußerungen unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG). Nach dem AStG-E scheint nun jede mittelbare Beteiligung auch im Inland grds. zu einer relevanten Deutschbeherrschung führen zu können. Nur, soweit bei einer die Beteiligung vermittelnden Person hinsichtlich der Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft eine Hinzurechnungsbesteuerung nach dem AStG oder einer vergleichbaren ausländischen Regelung erfolgt ist und die danach hinzugerechneten Einkünfte dadurch insgesamt keiner niedrigen Besteuerung unterliegen, sind mittelbare Beteiligungen für die Deutschbeherrschung und die daraus resultierende Hinzurechnungsbesteuerungspflicht unbeachtlich. Dann liegt im Ergebnis keine relevante mittelbare Beteiligung mehr vor. Außerdem soll das Konzept der nachgeschalteten Zwischengesellschaften komplett entfallen (und damit auch die insoweit bisher geregelte besondere Variante der funktionalen Betrachtungsweise; s. dazu schon unter 4.2.4).46 Es soll auch bei einer  Wesentliche Ausnahme von der Zurechnung der passiven Einkünfte nach §  14 AStG gem. § 14 Abs. 1 S. 1 AStG letzter Halbsatz: Die Zurechnung unterbleibt, soweit nachgewiesen wird, dass die Zwischeneinkünfte der Untergesellschaft aus Tätigkeiten oder Gegenständen stammen, die mit einer unter § 8 Abs. 1 Nr. 1–6 AStG fallenden eigenen Tätigkeit der ausländischen Obergesellschaft in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Es handelt sich um eine besondere Ausprägung der funktionalen Betrachtungsweise. Von dieser sind allerdings alle Einkünfte i. S. d. § 7 Abs. 6a AStG ausgenommen (§ 14 Abs. 1 Satz 2 AStG). 46  Auch eine Gewinn- und Verlustverrechnung zwischen passiven Einkünften der nachgeschalteten Zwischengesellschaft und der eigentlichen Zwischengesellschaft wird dann nicht mehr möglich sein. 45

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nachgeschalteten Zwischengesellschaft zu einer „normalen“ Hinzurechnungsbesteuerung aufgrund mittelbarer Beteiligung kommen. Einer Mehrfacherfassung soll einerseits durch die weiterhin vorgesehene grds. Qualifikation von Beteiligungseinkünften als aktive Einkünfte sowie durch eine Berücksichtigung kumulativer Hinzurechnungsbesteuerungen Rechnung getragen werden (s. dazu auch schon unter 4.2.7.).

4.2.9  S  onderregelung für Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften47 § 7 Abs. 6 AStG erweitert de lege lata für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter gemäß § 7 Abs. 6a AStG den Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung auf unbeschränkt Steuerpflichtige, die an der Zwischengesellschaft zu mindestens einem Prozent beteiligt ist. Es erfolgt keine „Zusammenrechnung“ von Beteiligungen mehrerer Steuerpflichtiger, sondern es kommt nur auf den inländischen Steuerpflichtigen an, der die maßgebliche Beteiligung hält. Er muss selbst die Beteiligungsquote erfüllen. Diese kann sogar weniger als ein Prozent betragen, wenn die ausländische Gesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich Bruttoerträge erzielt, die Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter zugrunde liegen, es sei denn, dass mit der Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet (§ 7 Abs. 6 Satz 3 AStG). Die ATAD sieht eine solche Sonderregelung für Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften nicht vor, gleichwohl enthält der Gesetzesentwurf vom 19.12.2018 in § 13 AStG-E eine § 7 Abs. 6 AStG vergleichbare Regelung.48 Der Gesetzgeber folgt damit nicht der Forderung, die Sonderregelung – aufgrund der fehlenden Vorgabe in der ATAD – abzuschaffen. Die Definition der Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter wurde in §  13 Abs.  2 AStG-E aufgenommen. Sie entspricht ganz wesentlich der bisherigen Definition in § 7 Abs. 6a AStG. „§ 13 AStG-E Beteiligung an Kapitalanlagegesellschaften [Auszug] (1) 1Ist ein unbeschränkt Steuerpflichtiger unmittelbar oder mittelbar an einer ausländischen Gesellschaft beteiligt und bestehen die Einkünfte der Gesellschaft aus Einkünften mit Kapitalanlagecharakter, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen (§  8 Absatz 5), sind diese Einkünfte bei dem unbeschränkt Steuerpflichtigen entsprechend seiner unmittelbaren und mittelbaren Beteiligung am Nennkapital dieser Gesellschaft steuerpflichtig, wenn die Voraussetzungen des § 7 Absatz 1 Satz 1 im Übrigen nicht erfüllt sind. 2§ 7 Absatz 1 Satz 2, 3 und Absatz 5 gilt entsprechend. 3Satz 1 ist nicht anzuwenden wenn die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter nicht mehr als 10 Prozent der gesamten Einkünfte, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, betragen und die bei einer Zwischenge47  Nachstehendes in Anlehnung an die Ausführungen von Ditz bei der Jahresarbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht in Wiesbaden am 27.05.2019 48  Konkurrenzfragen zum InvStG werden in diesem Beitrag nicht behandelt.

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sellschaft oder bei einem Steuerpflichtigen hiernach außer Ansatz zu lassenden Beträge insgesamt 80.000 Euro nicht übersteigen. 4Satz 1 gilt bei einer Beteiligung von weniger als 1 Prozent nur, wenn die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft ausschließlich oder nahezu ausschließlich aus Einkünften mit Kapitalanlagecharakter bestehen und mit der Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft kein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet. (2) Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter sind Einkünfte, einschließlich Veräußerungsgewinnen, die aus dem Halten, der Verwaltung, der Werterhaltung oder der Werterhöhung von Zahlungsmitteln, Forderungen, Wertpapieren, Beteiligungen (ausgenommen Einkünfte im Sinne des § 8 Absatz 1 Nummer 7 und 8) oder ähnlichen Vermögenswerten stammen, es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass sie aus einer Tätigkeit stammen, die einer unter § 8 Absatz 1 Nummer 1 bis 6 fallenden eigenen Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft dient. (4) § 8 Absatz 2 bis 5 sowie die §§ 10 bis 12 gelten entsprechend.“

4.2.10  Erstmalige Anwendung „§ 21 AStG-E Anwendungsvorschriften [Auszug] (25) 1§ 7 bis [20] in der Fassung des Artikels … .des Gesetzes vom .... 2019 (BGBl. I S. …..) ist erstmals anzuwenden/ 1. für die Einkommen- und Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum 2020, 2. für die Gewerbesteuer für den Erhebungszeitraum, für den Zwischeneinkünfte hinzuzurechnen sind, die in einem Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft oder der Betriebsstätte entstanden sind, das nach dem 31. Dezember 2019 beginnt.“49

Eine rückwirkende Anwendung der Vorschriften ist nach aktuellem Stand nicht vorgesehen.50

49 2  „ Verluste, die für Veranlagungszeiträume oder Erhebungszeitraume vor dem 1. Januar 2020 bei Einkünften entstanden sind, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, können in entsprechender Anwendung des § 10d des Einkommensteuergesetzes, soweit sie die nach § 9 außer Ansatz zu lassenden Einkünfte übersteigen, abgezogen werden. 3Für Steuern der ausländischen Gesellschaft für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1. Januar 2020 enden, gelten § 10 Absatz 1 Satz 2, § 10 Absatz 3 Satz 6 und § 12 Absatz 1 in der Fassung […] fort. 4Als Anfangsbestand des Hinzurechnungskorrekturvolumens zum 31. Dezember 2019, wird die Summe der Hinzurechnungsbeträge erfasst, die gemäß § 10 Absatz 2 in den bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassungen in den Veranlagungszeiträumen 2013 bis 2019 der Besteuerung unterlegen haben, soweit sie nicht bereits nach § 3 Nummer 41 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung berücksichtigt worden sind. 5Soweit Verluste im Sinne von Satz 2 oder Hinzurechnungsbeträge im Sinne von Satz 4 durch Anwendung des § 14 in der bis 31. Dezember 2019 geltenden Fassung einer anderen Gesellschaft zugerechnet worden und noch nicht verrechnet worden sind, können sie auf bis zum 31. Mai 2021 zu stellenden Antrag denjenigen nachgeordneten Zwischengesellschaften im Sinne des § 14 in der bis 31. Dezember 2019 geltenden Fassung zugeordnet werden, durch deren Tätigkeit sie wirtschaftlich verursacht sind; bei mehreren Steuerpflichtigen ist der Antrag einheitlich zu stellen.“ 50  Besondere Fragen können sich insoweit allerdings bei abweichendem Wirtschaftsjahr ergeben.

4  Zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung

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4.2.11  Verfahrensrecht51 Der Entwurf des AStG sieht diverse Änderungen des Verfahrensrechts vor. Mit der geplanten Streichung von § 14 AStG soll das bisherige mehrstufige Feststellungsverfahren in den Fällen nachgeschalteter Zwischengesellschaften abgeschafft werden.52 Stattdessen sollen die notwendigen Feststellungen in einem einzigen Hinzurechnungsbescheid gebündelt werden (Abschaffung der bisherigen Zurechnungsbescheide). Geplant ist ein bündelnder einheitlicher Hinzurechnungsbescheid, in dem auch die Besteuerungsgrundlagen aus mittelbaren Beteiligungen zu erfassen sind. Auch § 18 AStG-E definiert die festzustellenden Besteuerungsgrundalgen nicht abschließend („insbesondere“). Festzustellen sind insbesondere der Hinzurechnungsbetrag, die anrechenbaren Steuern, der Anrechnungsüberhang sowie der Steuermessbetrag, der auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt, darüber hinaus noch der Kürzungsbetrag sowie das sog. Hinzurechnungskorrekturvolumen (dazu § 11 AStG-­E). Die Feststellung der nach § 3 Nr. 41 EStG steuerfreien tatsächlichen Ausschüttungen ist nicht mehr vorgesehen.53 „§ 18 AStG-E Gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (1) 1Die Besteuerungsgrundlagen für die Anwendung der §§ 7 bis 13, insbesondere der Hinzurechnungsbetrag (§  10), die anrechenbaren Steuern [, der Anrechnungsüberhang und der Steuermessbetrag, der auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt] (§  12), der Kürzungsbetrag, das Hinzurechnungskorrekturvolumen (§ 11) und der Verlustvortrag werden gesondert festgestellt. 2Ist ein Steuerpflichtiger an der ausländischen Gesellschaft über andere vermittelnde Gesellschaften beteiligt, so ist auch festzustellen, wie sich das Hinzurechnungskorrekturvolumen für Zwecke des §  11 Absatz 1 Satz 2 auf die vermittelnden Gesellschaften aufteilt. 3Sind an der ausländischen Gesellschaft mehrere Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar beteiligt, so wird die gesonderte Feststellung ihnen gegenüber einheitlich vorgenommen; dabei ist auch festzustellen, wie sich die Besteuerungsgrundlagen auf die einzelnen Beteiligten verteilen. 4Die Vorschriften der Abgabenordnung, mit Ausnahme des § 180 Abs. 3, und der Finanzgerichtsordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sind entsprechend anzuwenden.

 Nachstehendes in Anlehnung an die Ausführungen von Hendricks bei der Jahresarbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht in Wiesbaden am 27.05.2019. 52  Vgl. zuletzt auch BFH, Urt. v. 13.06.2018 – I R 94/15, DStR 2018, 2251, zum Grundlagen-Folgebescheid-Verhältnis im mehrstufigen Feststellungsverfahren. 53  Die Erklärung ist nach § 18 Abs. 3 Satz 1 AStG-E „nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck“ abzugeben. Da das Gesetz hinsichtlich des Umfangs der Erklärung auf den „amtlich vorgeschriebenen“ Vordruck verweist, stellt sich die Frage, wie dieser Vordruck ausgestaltet sein darf, wenn der Steuerpflichtige (voraussichtlich) den Gegenbeweis im Sinne von § 8 Abs. 2 bis Abs. 4 AStG-E erbringen kann. Wenn der Steuerpflichtige davon ausgehen darf, dass er den Gegenbeweis erbringen kann, sollte der „amtliche Vordruck“ sich darauf beschränken, die Voraussetzungen des Gegenbeweises abzufragen. Würde der Vordruck den Steuerpflichtigen dazu verpflichten, die Einkünfte der Zwischengesellschaft(en) nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln und zu deklarieren, wäre dies mit einem unnötigen und damit unverhältnismäßigen administrativen Aufwand verbunden. Unverhältnismäßige Deklarationspflichten stellen eine Beeinträchtigung von Grundfreiheiten dar, die einer Rechtfertigung bedürfen. Allerdings steht dem entgegen, dass die Zwischeneinkünfte schon nach deutschem Recht zu ermitteln sind, um deren Niedrigbesteuerung testen zu können. 51

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(2) 1Für die gesonderte Feststellung ist das Finanzamt zuständig, das bei dem Steuerpflichtigen für die Ermittlung der aus der unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung bezogenen Einkünfte örtlich zuständig ist. 2Ist die gesonderte Feststellung gegenüber mehreren Personen einheitlich vorzunehmen, so ist das Finanzamt zuständig, das nach Satz 1 für den Beteiligten zuständig ist, dem die höchste Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft zuzurechnen ist. 3Lässt sich das zuständige Finanzamt nach den Sätzen 1 und 2 nicht feststellen, so ist das Finanzamt zuständig, das zuerst mit der Sache befasst wird. [4Sind an der ausländischen Gesellschaft mehrere Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar beteiligt, so ist für die Feststellung des beim einzelnen Gesellschafter anfallenden Anrechnungsüberhangs dessen jeweils nach §  20 der Abgabenordnung zuständiges Finanzamt zuständig.] (3) 1Jeder der an der ausländischen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligten Steuerpflichtigen hat eine Erklärung zur gesonderten Feststellung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben. 2Dies gilt auch, wenn nach § 8 Abs. 2 geltend gemacht wird, dass eine Hinzurechnung unterbleibt. 3Diese Verpflichtung kann durch die Abgabe einer gemeinsamen Erklärung erfüllt werden. 4Die Erklärung ist von dem Steuerpflichtigen oder von den in § 34 der Abgabenordnung bezeichneten Personen eigenhändig zu unterschreiben. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Einkünfte und Vermögen im Sinne des § 15 entsprechend. (5) Eine Außenprüfung zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen ist bei jedem Steuerpflichtigen zulässig.“

Nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 AStG-E kann die Behörde die Vorlage einer „Darstellung der Beteiligungsverhältnisse sowie der Steuererklärungen und Steuerbescheide“ verlangen. „§ 17 AStG-E Sachverhaltsaufklärung (1) Zur Anwendung der Vorschriften der §§ 5 und 7 bis 15 haben Steuerpflichtige für sich selbst und im Zusammenwirken mit anderen die dafür notwendigen Auskünfte zu erteilen. Auf Verlangen sind insbesondere 1. die Geschäftsbeziehungen zu offenbaren, die zwischen der Gesellschaft und einem so beteiligten Steuerpflichtigen oder einer einem solchen im Sinne des § 7 Absatz 3 oder 4 nahestehenden Person bestehen, 2. die für die Anwendung der §§ 7 bis 15 sachdienlichen Unterlagen einschließlich der Bilanzen und der Erfolgsrechnungen, eine Darstellung der Beteiligungsverhältnisse sowie der Steuererklärungen und Steuerbescheide vorzulegen. Auf Verlangen sind diese Unterlagen mit dem im Staat der Geschäftsleitung oder des Sitzes vorgeschriebenen oder üblichen Prüfungsvermerk einer behördlich anerkannten Wirtschaftsprüfungsstelle oder vergleichbaren Stelle vorzulegen. (2) Ist für die Ermittlung der Einkünfte, für die eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, eine Schätzung nach § 162 der Abgabenordnung vorzunehmen, so ist mangels anderer geeigneter Anhaltspunkte bei der Schätzung als Anhaltspunkt von mindestens 20 Prozent des gemeinen Werts der von den unbeschränkt Steuerpflichtigen gehaltenen Anteile auszugehen; Zinsen und Nutzungsentgelte, die die Gesellschaft für überlassene Wirtschaftsgüter an die unbeschränkt Steuerpflichtigen zahlt, sind abzuziehen.“

Durch die geplante Änderung macht das Gesetz deutlich, dass es die Darstellung der Beteiligungsverhältnisse sowie ausländische Steuererklärungen und Steuerbescheide zu den vorzulegenden „sachdienlichen Unterlagen“ gehören. Wegen der Maßgeblichkeit der deutschen Gewinnermittlungsvorschriften wurde in der Praxis häufiger streitig diskutiert, ob ausländische Steuererklärungen und Steuerbescheide überhaut sachdienlich sind. Durch die geplante Fassung des Gesetzes dürfte sich die Diskussion erübrigen.

4  Zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung

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4.3  Kommende Bedeutung der Hinzurechnungsbesteuerung54 Entscheidend für die kommende Bedeutung der Hinzurechnungsbesteuerung ist vor allem die Festlegung der Niedrigbesteuerungsgrenze. Bei nicht ausreichender Absenkung wird die Hinzurechnungsbesteuerung wegen der weltweiten Absenkungstendenz bei der Unternehmenssteuerbelastung zum Regel-­Unternehmenssteuerrecht (wäre also keine Missbrauchsbekämpfungsnorm mehr). Weiter entscheidend ist, wie eng oder weit die aktiven Einkünfte vor allem (aber nicht nur) bei Dienstleistungen oder Handel bestimmt werden. Zentral wird die Beantwortung der Frage nach den Voraussetzungen des Cadbury Schweppes-Schutzes sein. Ist „wesentliche“ wirtschaftliche Tätigkeit eine schärfere Anforderung als bisher? Sind Segmentbetrachtung und Verständnis der Substanzanforderungen abhängig von Art und Umfang der Tätigkeit und deren Ergebnis geboten? Muss der Cadbury Schweppes-Schutz wegen seiner primärrechtlichen Verankerung nicht in allen Mitgliedstaaten vergleichbar verstanden werden? Jedenfalls aber wird die im AStG-E angelegte Technik zu einer deutlichen Steigerung der mit der Hinzurechnungsbesteuerung verbundenen Erklärungspflichten führen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob wir eine sog. Hinzurechnungsbesteuerung II bekommen. Bundesfinanzminister Scholz schlug am 18.10.2018 zur Si­ cherung eines weltweiten Mindeststeuerniveaus im global tätigen Konzern eine Ausweitung der Hinzurechnungsbesteuerung auf alle Gewinne ausländischer Tochtergesellschaften, die niedrig besteuert sind, vor. Die Idee lehnt sich offensichtlich an die Einführung der GILTI-Rules in der US-Steuerreform an und hat inzwischen auf OECD-Ebene ein fortgeschrittenes Diskussionslevel erreicht, ist also ernst zu nehmen.55,56,57 Das sog. Inclusive Framework on BEPS, das in Weiterführung des sog. BEPSProjekts von der OECD und den G 20 Staaten 2012 zur Bekämpfung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung initiiert wurde und sich u. a. der Frage der weltweiten Absicherung und Verteilung von Besteuerungsrechten widmet, hat dazu am 23.01.2019 ein steuerpolitisches Papier58 veröffentlicht, welches eine ef­  Ausgewähltes Schrifttum: Kreienbaum, IStR 2019, 121; Wünnemann, IStR 2019, 134.  Sie wird in Deutschland in der steuerpolitischen Diskussion z. T. mit der Forderung nach Absenkung der Unternehmensteuerbelastung verknüpft. 56  Durch GILTI soll die Gewinnverlagerung mittels Verschiebung immaterieller Vermögenswerte aus den USA ins Ausland verhindert werden. Berechnung: In den USA steuerlich nicht berücksichtigtes (Auslands-)Einkommen ./. 10 % × QBAI∗ (Routinerendite materieller WGs des ausl. verbundenen Unternehmens (CFC); ∗QBAI = Qualified Business Assets Investment) = abgeleiteter Auslandsgewinn aus immateriellen Wirtschaftsgütern. Reduzierung der Bemessungsgrundlage um 50 % (ab 2026 um 37,5 %). Anwendung KSt-Satz auf reduzierte Bemessungsgrundlage. Ausländische Steuern können zu 80 % angerechnet werden. 57  Für die Recherche der nachfolgenden Ausführungen gebührt Frau Rechtsanwältin Scheerer Dank. 58  OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy as approved by the Inclusive Framework on BEPS on 23 January 2019 – Policy Note. 54 55

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fektive Mindestbesteuerung der Einkünfte verbundener Unternehmen und die internationale Verteilung von Besteuerungsrechten an Unternehmensgewinnen betrifft59 und Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im März dieses Jahres war. Den Vorschlag einer international abgestimmten Mindestbesteuerung haben Deutschland und Frankreich gemeinsam eingebracht, da sie der Ansicht sind, dass die bisher vereinbarten Maßnahmen keine ausreichende Lösung für die Probleme der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung darstellen.60 Dabei geht es zwar eigentlich um die digitale Wirtschaft, da das Risiko einer Verlagerung von Unternehmensgewinnen im Kontext von immateriellen Wirtschaftsgütern besonders hoch sei.61 Jedoch umfasst der vorgeschlagene Anwendungsbereich der Regelungen zur Sicherung einer effektiven Mindestbesteuerung alle verbundenen Unternehmen und nicht nur Unternehmen der „digitale Wirtschaft“. Alle grenzüberschreitend tätigen Unternehmen sollen einer gewissen Mindestbesteuerung unterliegen.62 Konkret soll, wenn ein gewisses Mindestbesteuerungsniveau unterschritten wird und somit der Staat der Tochtergesellschaft sein primäres Besteuerungsrecht nicht ausreichend ausgeübt hat, ein subsidiäres Besteuerungsrecht des Sitzstaats der Muttergesellschaft bestehen.63 Das soll durch eine Ausweitung der nationalen Hinzurechnungsbesteuerung erfolgen. Niedrigbesteuerte Gewinne der ausländischen Tochtergesellschaft sollen dem Gewinn der Muttergesellschaft hinzugerechnet werden. Die Folge der Hinzurechnungsbesteuerung soll unabhängig von Aktivität, Substanz oder Art der Einkünfte eintreten. Entscheidend soll allein das Unterschreiten eines bestimmten effektiven Mindestbesteuerungsniveaus sein.64 Es wird vorgeschlagen, dass eine Hinzurechnung ab einer signifikanten (es werden beispielshaft 25 % genannt) unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an dieser ausländischen Gesellschaft greift. Die Höhe der hinzuzurechnenden Einkünfte soll nach nationalem Recht ermittelt werden, und eine Anrechnung für jede zugrunde liegende gezahlte Steuer soll ermöglicht werden.65

 OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy as approved by the Inclusive Framework on BEPS on 23 January 2019 – Policy Note, Rn. 1.2; OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the economy – Public Consultation Document, Rn. 88. 60  OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy as approved by the Inclusive Framework on BEPS on 23 January 2019 – Policy Note, Rn. 89. 61  OECD. Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the economy – Public Consultation Document, Rn. 89. 62  OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy  – Policy Note, Rn.  1.1; OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the economy  – Public Consultation Document, Rn. 91. 63  OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy  – Policy Note, Rn. 1.2; OECD, Public Consultation Document, Rn. 80. 64  OECD. Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the economy – Public Consultation Document, Rn. 92. 65  OECD. Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the economy – Public Consultation Document, Rn. 96. 59

4  Zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung

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Die vorgeschlagene Regelung beinhaltet jedoch anders als GILTI keine weltweite Verrechnung im Konzern.66 Es bleibt abzuwarten, ob es sich dabei um eine bewusste und endgültige Entscheidung des Inclusive Framework on BEPS handelt. Offen sind überdies vor allem die Höhe des effektiven Mindeststeuersatzes und die Frage, ob die hinzuzurechnenden Einkünfte auf dem Steuerniveau des Sitzstaats der Muttergesellschaft (höheres Steuerniveau) oder durch eine Schedulenbesteuerung (niedrigeres Mindeststeuerniveau) besteuert werden sollen.67,68 Es bleibt abzuwarten, ob es einen Konsens für eine solche internationale Lösung geben wird. Angestrebt ist eine Klärung in 2020.

Literatur Böhmer, Julian/Gebhardt, Ronald/Krüger, Sebastian, Hinzurechnungsbesteuerung nach der Anti-­ Tax-­Avoidance-Directive, IWB 2018, 849–859. Haase, Florian, Die neue Hinzurechnungsbesteuerung, DStR 2019, 827–835. Kahlenberg, Christian/Prusko, Anselm, Die Weiterentwicklung der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung durch die BEPS-RL. Substanzanforderungen, unangemessene Gestaltungen und Doppelbesteuerung, IStR 2017, 304–311. Kraft, Gerhard, Legislatorische Handlungsnotwendigkeiten im Kontext der Hinzurechnungsbesteuerung, IWB 2019, 104–113. Kreienbaum, Martin, Fortschritte bei der Digitalbesteuerung – Zweisäulenstrategie in der Diskussion, IStR 2019, 121–123. Linn, Alexander, Die Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie der EU  – Anpassungsbedarf in der Hinzurechnungsbesteuerung? IStR 2016, 645–652. OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the economy – Public Consultation Document, online abrufbar unter: https://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-document-addressing-the-tax-challenges-of-the-digitalisation-of-the-economy.pdf (zuletzt geprüft am 03.06.2019). OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy as approved by the Inclusive Framework on BEPS on 23 January 2019 – Policy Note, online abrufbar unter: https://www.oecd.org/tax/beps/policy-note-beps-inclusive-framework-addressing-tax-challenges-‌digitali‌sa‌t‌i‌o‌n‌.‌pdf‌ (zuletzt geprüft am 03.06.2019). Oppel, Florian, BEPS in Europa: (Schein-) Harmonisierung der Missbrauchsabwehr durch neue Richtlinie 2016/1164 mit Nebenwirkungen, IStR 2016, 797–803. Quilitzsch, Carsten/Engelen, Christian, Reformbedarf und Reformüberlegungen zur Hinzurechnungsbesteuerung, FR 2018, 293–299. Rautenstrauch, Gabriele/Suttner, Johannes, Die EU Anti-BEPS-Richtlinie: Überblick und künftige Anpassungsnotwendigkeit im deutschen Recht, BB 2016, 2391–2396.

 OECD. Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the economy – Public Consultation Document, Rn. 98. 67  OECD. Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the economy – Public Consultation Document, Rn. 100. 68  Hinsichtlich des Inbound-Falls ist u. a. eine Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs wie bei der US Base Erosion and Anti-Abuse Tax (BEAT) geplant. Bei Unterschreiten des Mindestbesteuerungsniveaus soll der Betriebsausgabenabzug versagt werden. 66

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Schnitger, Arne/Nitschke, Dirk/Gebhardt, Ronald, Anmerkungen zu den Vorgaben für die Hinzurechnungsbesteuerung nach der sog „Anti-BEPS-Richtlinie“. Systematische Würdigung der Implikationen für den deutschen Rechtskreis, IStR 2016, 960–975. Schönfeld, Jens, Hinzurechnungsbesteuerung und Anti-Tax-Avoidance-Directive, IStR 2017, 721–729. Wacker, Roland, Anmerkung zu BFH, Urteil v. 13.06.2018 – I R 94/15, IStR 2018, 887–888. Wassermeyer, Franz, Der Reformbedarf bei der Hinzurechnungsbesteuerung auf der Grundlage der BFH-Rechtsprechung, IStR 2018, 744–747. Wünnemann, Monika, Herausforderungen der Besteuerung der digitalen Wirtschaft im Jahr 2019, IStR 2019, 134–140.

Kapitel 5

Verlustvorträge und Unternehmenskauf – Steuerreformerische Empfehlungen für die Zeit nach § 8c KStG a.F. Christian Dorenkamp

Inhaltsverzeichnis 5.1  E  inleitung  5.2  Status Quo: Verlustvortragsnutzung in Deutschland (Quantität und Qualität)  5.2.1  Empirie: Fiskalische Auswirkungen interperiodischen Einkünfteverrechnung  5.2.2  Mantelkauf de lege lata 2018: § 8c KStG n.F., § 8c KStG  5.3  Internationaler Rechtsvergleich: Ausgewählte Alternativregeln zum Mantelkauf  5.3.1  USA (stand alone tax capacity)  5.3.2  UK (Branchenidentität)  5.3.3  Österreich (qualitative und quantitative Kriterien wirtschaftlicher Identität)  5.3.4  § 8 Abs. 4 KStG a. F. (rein quantitative Bestimmung wirtschaftlicher Identität)  5.4  Steuerpolitische Zielsetzungen in Deutschland  5.4.1  Keine Gestaltungsanfälligkeit (Geeignetheit)  5.4.2  Keine übermäßigen Kollateralschäden (Erforderlichkeit, Angemessenheit)  5.4.3  Administrierbarkeit (Einfachheit, Vorhersehbarkeit)  5.5  Exkurs: Einzelfälle (§ 8c KStG n.F., § 8d KStG)  5.5.1  § 8c KStG: „Leere“ GmbH mit Verlustvortrag und aufgeräumter Passivseite (zeitlich gestreckter Erwerb über 5 Jahre)  5.5.2  § 8d KStG und branchen-interner Mantelkauf, z. B. Amazon und Neckermann  5.6  Konkrete steuerreformerische Empfehlungen – „Evolution statt Revolution“, „bekannt und bewährt“: Stille Reserve-Klausel und modifizierter § 8 Abs. 4 KStG a.F.  5.7  Fazit und Ausblick  Literatur 

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C. Dorenkamp (*) Deutsche Telekom AG, Bonn, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 W. Schön, J. Schindler (Hrsg.), Reformfragen des deutschen Steuerrechts, MPI Studies in Tax Law and Public Finance 9, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60057-3_5

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5.1  Einleitung Der Beschluss des BVerfG v. 29. März 20171 zur Mantelkaufvorschrift, die in Deutschland seit der Unternehmenssteuerreform 2008 gilt bzw. besser: gelten sollte, war ein „Paukenschlag:“2 Nach vielen Jahren verfassungsgerichtlicher Zurückhaltung in Abgabenangelegenheiten3 entschied das BVerfG, § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG und damit der ratierliche Untergang von Verlustvorträgen beim Erwerb von Kapitalgesellschaftsanteilen zwischen 25  % und 50  % sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und deshalb auch rückwirkend, d. h. seit dem Veranlagungszeitraum 2008 nicht anzuwenden, falls der Gesetzgeber nicht heilend eine gleichheitssatzkonforme Neuregelung schaffe. Womöglich auch vor dem Hintergrund, dass eine rückwirkende verfassungsrechtliche Heilung durch den Gesetzgeber keinesfalls trivial sein dürfte  – soll der Erhalt von Verlustvorträgen trotz schädlichem Anteilseignerwechsel an Tatbestandsmerkmale der wirtschaftlichen Identität geknüpft werden, die zum Zeitpunkt der Tatbestandverwirklichung vor bis zu 10 Jahren niemand kennen konnte?4 –, verzichtete der Gesetzgeber bereits auf den Versuch einer rückwirkenden Heilung und schaffte stattdessen § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG a.F. im Ergebnis schlicht insgesamt ab, d. h. sogar ex tunc.5 Fraglich ist, ob hiermit dem steuerreformpolitischen Impetus der BVerfG-­ Entscheidung vom 29. März 2017 und insbesondere auch den berechtigten Interessen des M&A-Steuerstandorts Deutschland zu Fortbestand oder Untergang von Verlustvorträgen bei Unternehmenskäufen bereits Genüge getan ist. Dies dürfte aus zwei Gründen zu verneinen sein. Zum einen steht eine weitere Entscheidung des BVerfG an, die das Schicksal von § 8c KStG insgesamt besiegeln könnte, nämlich den (vollständigen) Untergang von Verlustvorträgen bei einem Anteilserwerb von mehr als 50 %, § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG a.F.6 Zum anderen dürften ganz erhebliche Zweifel daran bestehen, dass das Regelungskonglomerat aus § 8c KStG n.F. und  2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1080.  Suchanek, FR 2017, 587. 3  Als Beispiel des vom BVerfG in Fragen gleichmäßiger Steuerlastenausteilung geübten „judicial self-restraint“ sei ebenso die Abweisung der Richtervorlage zur Gleichheitssatzwidrigkeit der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Finanzierungsaufwand (§  8 Nr.  1 GewStG) genannt (BVerfG, Beschl. v. 15.02.2016 – 1 BvL 8/12, BStBl. II 2016, 557) wie der Umstand erwähnt, dass als gleichheitssatzwidrig erkannte Steuernormen regelmäßig für eine Übergangsfrist als weiter anwendbar erklärt werden, wodurch „gesetzgeberisches Grenzverhalten“ gefördert wird (faktisch keine fiskalischen Konsequenzen von Steuergesetzen, die den allgemeinen Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 1 GG verletzen). 4  Vgl. skeptisch bereits z. B. Dorenkamp, FR 2018, 83 (84 f.); ebenso auch für § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG Röder, FR 2018, 52 (58 f.): „Versuch einer rückwirkenden Korrektur unangemessen und unnötig“. 5  Vgl. Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (vormals genannt Jahressteuergesetz 2018) v. 18.12.2018, BGBl. I 2018, 2338. 6  Az. BVerfG 2 BvL 19/17 (Richtervorlage FG Hamburg, Beschl. v. 29.08.2017 – 2 K 245/17, EFG 2017, 1906). 1 2

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§  8d KStG die steuerpolitischen Ziele, die mit einer Reform der Mantelkaufvorschrift verfolgt werden sollten, auch nur näherungsweise erfüllt, zumal § 8d KStG, von manchen vielleicht als „Reparaturvorschrift“ zu §  8c KStG angesehen, dem Vernehmen nach in der betrieblichen Praxis außerhalb des Wagniskapitalbeteiligungsbereichs kaum Relevanz aufweist, d. h. wegen zahlreicher Unzulänglichkeiten schlicht nicht angewendet wird.7 Vor diesem Hintergrund ist eine Reform der deutschen Mantelkaufvorschriften womöglich alsbald aktueller denn je, gerade auch weil für eine etwaige rückwirkende Heilung von § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG, d. h. des gänzlichen Untergangs von Verlustvorträgen bei einem mehrheitlichen schädlichen Anteilseignerwechsel, die Chancen kaum besser stehen dürften als für jene von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, die der Gesetzgeber mit der vorbehaltlos rückwirkenden Abschaffung dieser Vorschrift in beeindruckender Klarheit erst gar nicht versucht hat. Zu dieser Diskussion, die mit der BVerfG-Entscheidung zu § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG erheblich an Intensität gewinnen dürfte, versuchen die nachfolgenden Ausführungen einen Beitrag zu leisten. Zunächst wird der gegenwärtige Status Quo dargestellt, nämlich sowohl die betragsmäßige Dimension des Abzugs von Verlustvorträgen als auch der derzeitige Rechtsrahmen aufgezeigt, der für Verlustvorträge in Unternehmenskaufkonstellationen gilt. Es folgt ein Blick über die Grenze, um aus alternativen Regelungskonzepten Anregungen für das Inland zu generieren. Nachdem sodann steuerpolitische Zielsetzungen aufgezeigt werden, die für eine Regelung von Mantelkäufen in Deutschland sachgerecht erscheinen, wird in einem Exkurs unter Würdigung exemplarischer Einzelfälle untersucht, ob § 8c KStG n.F. und § 8d KStG als geeignet erscheinen, die Zielsetzungen der Steuerpolitik auch in angemessener Weise zu verwirklichen. Weil dies nicht der Fall ist, werden im Folgenden steuerpolitische Empfehlungen unterbreitet, die sich mit „Evolution statt Revolution“ bzw. „bekannt und bewährt“ beschreiben lassen. Diesen konkreten Vorschlägen liegt nicht zuletzt die Schlussfolgerung zugrunde, dass sich die wirtschaftliche Identität für Mantelkaufzwecke sachgerechter quantitativ denn qualitativ bestimmen lässt. Einer modifizierten Version des § 8 Abs. 4 KStG a.F. wird damit der Vorzug gegenüber einem Regelungskonzept ähnlich § 8d KStG eingeräumt, allerdings unter Fortführung von „bekannten und bewährten“ § 8c KStG-Komponenten wie Mittelbarkeitsbetrachtung oder Stille-Reserve-Klausel, so auch das Fazit und der Ausblick, die diese Untersuchung abschließen.

 Vgl. z. B. Rödder/Schumacher, Ubg 2018, 5 (6): keine „Rettung“ in „99 %“ des § 8c KStG-Anwendungsbereichs; ebenso z.  B. Kessler/Egelhof/Probst, DStR 2017 1289 (1296); Fertig, Ubg 2019, 521 (528) sowie zahlreiche weitere Nachweise zum „engen Korsett“ des § 8d KStG bzw. dessen Charakterisierung als „Totgeburt“ in Röder, DStR 2017, 1737 (1740, dort Fn.  26 sowie 1742, dort Fn. 48) bzw. zusammenfassend Suchanek/Rüsch, GmbHR 2018, 57 (59) sowie Herrmann/Heuer/Raupach/Suchanek/Rüsch, § 8d KStG Rz. 3: „Faktisch können nur junge und nicht organschaftlich eingebundene Unternehmen von der Vorschrift profitieren.“

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5.2  S  tatus Quo: Verlustvortragsnutzung in Deutschland (Quantität und Qualität) 5.2.1  E  mpirie: Fiskalische Auswirkungen interperiodischen Einkünfteverrechnung Die steuerpolitische Diskussion um eine sachgerechte Mantelkaufregelung kann nicht losgelöst gesehen werden von der Wahrnehmung der interperiodischen Einkünfteverrechnung in der finanzpolitischen Öffentlichkeit, d. h. dem Diskurs über den Ausgleich gegenwärtiger positiver Einkünfte mit negativen Einkünften der Vergangenheit insgesamt. So schwingt „gefühlt“ bei Finanzpolitikern stets die Besorgnis mit, eine zu „laxe“ Mantelkaufregelung berge die Gefahr der Mobilisierung von „Verlustbergen“ in Höhe von vielen Hundert Milliarden und somit womöglich mehrerer Jahre ohne Unternehmenssteueraufkommen.8 In der Tat ist der Bestand der ertragsteuerlichen Verlustvorträge weiterhin sehr hoch. Ausweislich der letzten verfügbaren Steuerstatistiken (für den Veranlagungszeitraum 2012) belaufen sich die körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge auf rd. 600 Mrd. €.9 Zwar ist dieser Betrag seit den Nuller Jahren dieses Jahrtausends nicht mehr weiter angestiegen, sondern sogar – trotz Finanzkrise – in der Zwischenzeit etwas gesunken. Dennoch könnten vereinfachende Dreisatzrechnungen zu dem (Fehl-)Schluss verleiten, ein Verzicht auf sämtliche Beschränkungen der interperiodischen Einkünfteverrechnung, insbesondere also die Abschaffung der 40  %igen Mindestgewinnbesteuerung des § 10d Abs. 2 EStG und der Mantelkaufvorschrift des § 8c KStG, würden über einen gewissen Zeitraum ein Körperschaft- und Gewerbesteueraufkommen nahe Null nach sich ziehen. Dass entsprechende Schlussfolgerungen abwegig wären, zeigt insbesondere ein Blick auf den tatsächlichen Verlustabzug, d. h. die Geltendmachung von Verlustvorträgen, der in den Steuerstatistiken ebenfalls auf den Euro genau ausgewiesen ist. Hierbei handelt es sich mit 23 Mrd. € um weniger als 5 % des Bestands der Verlustvorträge, und der Umfang eines Zwanzigstels würde auch dann nicht überschritten, wenn § 10d Abs. 2 EStG ersatzlos abgeschafft würde (Steigerung des Verlustabzugs von derzeit 23 Mrd. € auf maximal 30 Mrd. €).10 8  Vgl. z. B. Röder, FR 2018, 52 (61): „Allein die Befürchtung, dass sich hierdurch die aufgelaufenen körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge […] zu Lasten des Aufkommens der Körperschaftsteuer mobilisieren ließen, machte jede Überlegung in diese Richtung [einer völligen Freigabe von Mantelkaufgestaltungen] zu einer politischen Totgeburt.“ Ähnlich Holle/Weiß, DB 2018, 3008 (3010): „600 Mrd. Totschlagsargument“. 9  Vgl. Statistisches Bundesamt, Jährliche Körperschaftsteuerstatistik 2012, S. 19 (603 Mrd. € Verlustvortrag Körperschaftsteuer); Fachserie 14 Reihe 10.2 Finanzen und Steuern: Gewerbesteuer 2012, 14 (637 Mrd. € Verlustvortrag Gewerbesteuer). 10  Vgl. zu entsprechenden Berechnungen für Steuerstatistiken bis 2004 Dorenkamp, ifst-Schrift 461 (2010), S. 42 f.: Wenn die Hälfte des gegenwärtigen Verlustabzugs von 23 Mrd. € (vgl. hierzu auch Nachweis in Fn. 11) auf Beträge oberhalb der de-minimis-Grenze von 1 Mio. € entfällt, bis zu der Verlustvorträge vollumfänglich abgezogen werden können, verbleiben knapp 11,5 Mrd. € für

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Besteuerungspraktische Erklärung dieses – steuerpolitisch beruhigenden – Befunds des im Vergleich zum Gesamtbestand mit nur 5 % lediglich geringfügigen Abzugs von Verlustvorträgen, der sich auch auf nur 10 % des Gesamtbetrags der laufenden Einkünfte eines Veranlagungszeitraums beläuft,11 dürfte insbesondere der Umstand sein, dass vergleichsweise wenig „Gewinnfälle“ existieren, die über Verlustvorträge verfügen, d. h. ein sehr erheblicher Teil der Verlustvorträge bei „Verlustfällen“ allokiert ist, nämlich Steuerpflichtigen mit nicht lediglich negativen Einkünften in der Vergangenheit, die die Verlustvorträge der Gegenwart darstellen, sondern auch negativen laufenden Einkünften. Etwaige Vermutungen, dass weniger strikte Mantelkaufregelungen an diesem Umstand Grundsätzliches ändern würden, d. h. unvermittelt Hunderte von Milliarden Euro zum tatsächlichen Verlustabzug zur Verfügung stünden, erscheinen zwar angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit eher unrealistisch (Besteuerungswelt vor und während § 8 Abs. 4 KStG a.F. und nach Einführung von § 8c KStG). In Einzelfällen mag eine Mobilisierung von Altverlustvorträgen aber selbstredend gelingen, insbesondere wenn jegliche Mantelkaufbeschränkungen ersatzlos entfallen würden.

5.2.2  Mantelkauf de lege lata 2018: § 8c KStG n.F., § 8c KStG Auch wenn der grundsätzliche Systemwechsel bei der deutschen Mantelkaufbestimmung vor über 10 Jahren erfolgte, nämlich indem § 8 Abs. 4 KStG a.F., wonach Verlustvorträge nur bei einem Mehrheitserwerb und einer hiermit zusammenhängenden Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens entfielen (Änderung der wirtschaftlichen Identität einer Kapitalgesellschaft), durch §  8c KStG in seiner ursprünglichen Fassung ersetzt wurde, wonach allein ein mehrheitlicher Anteilseignerwechsel den Untergang sämtlicher Verlustvorträge bewirkte (und Verlustvorträge bei einem Anteilseignerwechsel zwischen 25  % und 50  % ratierlich unter­ gingen), hat dieser Regelungskomplex auch nach der Unternehmenssteuerreform 2008 erhebliche Änderungen erfahren, nicht zuletzt bereits ein Jahr später durch Einfügung der Stille-Reserve-Klausel des §  8c Abs.  1 Satz 5 KStG (und der Konzernklausel des  §  8c Abs.  1 Satz  4 KStG) durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz.12 Im Wesentlichen stellt sich das Mantelkaufrecht in Deutschland somit nunmehr wie folgt dar: den auf 60 % limitierten Bereich der Verlustverrechnung. Selbst wenn aber jeder der Steuerpflichtigen in diesem Bereich genügend Verlustvorträge hätte, um seine positiven Gesamtbetrag der Einkünfte gänzlich auszugleichen, wären maximal weitere  7,7 Mrd.  € Verlustabzug möglich (=  40  %/60  % ∗ 11,5  Mrd.  €), die das gesamte interperiodische Verrechnungsvolumen auf rd. 30 Mrd. € (statt steuerstatistisch ausgewiesenen 23 Mrd. €) ansteigen lassen würden. 11  Der Gesamtbetrag der Einkünfte im Veranlagungszeitraum 2012 betrug 214 Mrd. €, der Anteil des Verlustabzugs von 23  Mrd.  € somit 10,7  % hieran, vgl. Statistisches Bundesamt, Jährliche Körperschaftsteuerstatistik 2012, S. 20. 12  Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums v. 22.12.2009, BGBl. I 2009, 3950.

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• Anteilseignerwechsel bis 50 % innerhalb von 5 Jahren sind verlustvortragsunschädlich. • Sowohl mittelbare wie unmittelbare Anteilswechsel können schädlich sein und werden erwerberbezogen gewürdigt (implizite Börsenklausel, jeweils anders noch § 8 Abs. 4 KStG a.F. – nur unmittelbare Anteilseignerwechsel schädlich, keine Börsenklausel). • Verlustvorträge bis zur Höhe der steuerpflichtigen stillen Reserven sind stets abzugsfähig (Verlustnutzung insoweit aus eigener Kraft, d. h. ohne neue Einkunftsquellen möglich – „tax capacity“ der Verlustvortragsgesellschaft), § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG. • Übernahmen zum Zwecke der Unternehmenssanierung sind im Grundsatz nicht verlustvortragsschädlich (nunmehr EuGH-seitige bestätigte Beihilferechtskonformität),13 § 8c Abs. 1a KStG. • Unternehmensübernahmen bei Fortführung desselben Geschäftsbetriebs sind unschädlich (sog. Private Equity- bzw. Wagniskapitalbeteiligungsausnahme), § 8d KStG. Das ursprünglich sehr restriktive Regime des §  8c KStG, der gemeinhin auch schlicht als „Verlustvernichtungsvorschrift“ bezeichnet wurde,14 ist in der Zwischenzeit also deutlich aufgeweicht worden bzw. in vielerlei Hinsicht  – in einer steuerpflichtigen-freundlichen Weise  – „ausgefranst“, und zwar wohl jeweils mit der Zielsetzung, den Anwendungsbereich der Mantelkaufvorschrift auf wirkliche Missbrauchsfälle, d. h. den allein verlustvortragsmotivierten Unternehmenserwerb zurückzuschneiden. Sollte nach dem Willen des Gesetzgebers der Unternehmenssteuerreform 2008 jeder Anteilseignerwechsel von mehr als 25 % verlustvortragsschädlich sein  – ein nicht nur im Nachhinein wahrlich absurdes Konzept15 –, ist dies mittlerweile nur noch für (i) Mehrheitserwerbe von Kapitalgesellschaften der Fall, bei denen idealtypisch16 (ii) die eigene „tax capacity“ zur Nutzung der  EuGH, Urt. v. 28.06.2018 – C-203/16 P, juris.  Vgl. z. B. FG Hamburg, Vorlagebeschl. v. 04.04.2011 – 2 K 33/10, DStR 2011, 1172 („teloslose und mechanisch wirkende Verlustvernichtungsvorschrift“). Joachim Lang formuliert noch drastischer, spricht von einem „Verenden“ von Verlustvorträgen „auf der Schlachtbank des § 8c KStG“, ders., GmbHR 2012, 57 (62); ähnlich Drüen/Schmitz, Ubg 2011, 921 („Verlustabtötungsnorm“), Nachweise zu weiteren ähnlichen „Etikettierungen“ Tiedchen, StuW 2019, 173 (176). 15  Vgl. zu Nachweisen einer Fundamentalkritik an § 8c KStG bereits unmittelbar nach Inkrafttreten z. B. Fn. 14. 16  Die einzelnen Ausnahmetatbestände zum Verlustvortragsuntergang gemäß §  8c Abs.  1 Satz  1 KStG sind teilweise allerdings in sich unschlüssig bzw. unvollständig. Insbesondere wird für Zwecke der Stille Reserve-Klausel sachwidrigerweise (so z.  B. bereits Eisgruber/Schaden, Ubg 2010, 73 (84)) das steuerpflichtige Betriebsvermögen von Organgesellschaften außer Betracht gelassen, obgleich Verlustvorträge, die bei einem Anteilseignerwechsel bedroht sind, abgesehen von dem Sonderfall vororganschaftlicher Verlustvorträge, ausschließlich beim Organträger sein können und stille Reserven der Organgesellschaft genau hier der Besteuerung unterliegen. Infolgedessen läuft die Stille-Reserve-Klausel unglücklicherweise in der Besteuerungsrealität faktisch leer, die eben nicht von „Ein-Gesellschaftskonzernen“, sondern infolge des Prinzips der Arbeitsteilung bzw. der Spezialisierungsvorteile auch innerhalb eines Konzerns von Unternehmensverbünden geprägt ist, die in ertragsteuerlichen Organschaften zusammengefasst sind. 13 14

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­ erlustvorträge nicht ausreicht (Stille Reserve-Klausel, § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG), V (iii) keine rein gruppeninterne Umhängung vorliegt (Konzernklausel, § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG), (iv) die Übernahme zudem nicht zu Sanierungszwecken erfolgt (Sanierungsklausel, § 8c Abs. 1a KStG) und (iv) kein sog. Eingeschäftsbetrieb vorliegt, der fortgeführt wird (Wagniskapitalausnahme, § 8d KStG).

5.3  Internationaler Rechtsvergleich: Ausgewählte Alternativregeln zum Mantelkauf Nach einer Beschreibung der gegenwärtigen Mantelkaufrechtslage in Deutschland soll nachfolgend ein Blick über die Grenzen geworfen werden, und zwar ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber im Sinne eines Hayek`schen „Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren“17 auf der Suche nach Denkanstößen für ein möglichst sachgerechtes Regelungssystem hierzulande. Ausgewählt wurden hierfür (i) die US-­ Steuerrechtsordnung, in der ein stand alone-Konzept verwirklicht ist, d. h. Verlustvorträge einen mehrheitlichen Anteilseignerwechsel nur unbeschadet überstehen, soweit die Zielgesellschaft diese Verlustvorträge auch selbst hätte nutzen können, (ii) die UK-Regelung, wonach es auf eine im Wesentlichen unveränderte Fortführung des Geschäfts der Verlustvortragsgesellschaft ankommt, d. h. ein Branchenwechsel sanktioniert wird, (iii) das Nachbarland Österreich, in dem eine sowohl qualitative als auch quantitative Bestimmung der wirtschaftlichen Identität vorgenommen wird (Relevanz sowohl der Art und Weise der Geschäftstätigkeit als auch des Umfangs des Betriebsvermögens), deren Wahrung Voraussetzung des Erhalts der Verlustvorträge im Anschluss an einen Mehrheitserwerb ist, und letztlich (iv) die herkömmliche deutsche Regelung vor § 8c KStG (§ 8 Abs. 4 KStG a.F.), bei der allein ein quantitatives Kriterium die wirtschaftliche Identität determinierte, nämlich die im Zusammenhang mit einem mehrheitlichen Anteilseignerwechsel vorgenommene Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens.

5.3.1  USA (stand alone tax capacity) Gemäß § 382 Internal Revenue Code können die Verlustvorträge einer mehrheitlich (durch 5 %-Anteilseigner)18 erworbenen Kapitalgesellschaft nur zeitlich gestreckt genutzt werden. Maßstab ist hierbei das Produkt aus dem Verkehrswert der  Vgl. Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (1968) (Systemwettbewerb zur Suche nach bester Idee). 18  Hierbei handelt es sich ebenso wie bei der Erwerberbezogenheit des § 8c KStG um eine implizite Börsenklausel, d. h. tagtägliche Massengeschäfte an der Börse durch eine Vielzahl von Kleininvestoren an der Börse bleiben (anders als noch bei § 8 Abs. 4 KStG a. F.) sachgerechterweise außer Betracht, können bei einer Minderheits- bzw. Mini-Beteiligung doch nicht sinnvollerweise neue Einkunftsquellen in die Verlustgesellschaft eingelegt werden. 17

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­ apitalgesellschaft, der sich vom Kaufpreis des Anteilserwerbs ableitet, und der K Rendite einer risikofreien Kapitalanlage. Steuersystematische Ratio dieser Bestimmung ist, dass für den Unternehmenskauf alternativ zum Share Deal (Erwerb der Kapitalgesellschaftsanteile, der den schädlichen Anteilseignerwechsel erst begründet hat) auch die Transaktionsform eines Asset Deal hätte gewählt werden können, bei dem sämtliche Wirtschaftsgüter der Zielgesellschaft durch den Käufer direkt, d. h. ohne den Rechtsmantel der Kapitalgesellschaft erworben worden wären. Dann aber wäre es der „leeren“ Zielgesellschaft möglich gewesen, von dem Veräußerungserlös z. B. Treasuries zu erwerben, d. h. Schuldverschreibungen des US-Staats, deren mündelsichere Zinserträge nach und nach die Verlustvorträge aufgebraucht hätten – gleichlaufend mit dem Verlustabzug, den § 382 IRC nunmehr der Kapitalgesellschaft im Eigentum des neuen Anteilseigners erlaubt. Unterstrichen wird dieses „stand alone“-Konzept, bei dem eine Zielgesellschaft berechtigt ist, ihre Verlustvorträge bei einem mehrheitlichen Anteilseignerwechsel in der Höhe zu nutzen wie sie aus eigener Kraft und damit ohne neue Einkunftsquellen hierzu in der Lage gewesen wäre („tax capacity“), durch die sog. „build-in gain“-Regelung. Hiernach können Verlustvorträge in den ersten fünf Jahren nach dem Mehrheitserwerb in unbegrenzter Höhe, d. h. nicht limitiert auf das Produkt aus Unternehmenswert und Rendite von US-Staatsanleihen, genutzt werden, soweit stille Reserven im Betriebsvermögen der Zielgesellschaft vorhanden waren – wären die entsprechenden Wirtschaftsgüter verkauft worden, hätte ebendieser Verlustabzug stattgefunden. Gerade auch dieser Aspekt der US-Mantelkaufregelung zeigt die Ähnlichkeit mit der deutschen Stille Reserven-Klausel des § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG auf. Jeweils geht es darum, die eigene Verlustvortragsnutzungskapazität der Gesellschaft vor Zuführung etwaiger neuer Einkunftsquellen zu ermitteln und von nachteiligen Konsequenzen eines Anteilseignerwechsels auszunehmen. Denn insoweit ist der Mehrheitserwerb typischerweise nicht rein steuermotiviert, wäre er doch zur Nutzung der Verlustvorträge überhaupt nicht erforderlich gewesen.

5.3.2  UK (Branchenidentität) Das Vereinigte Königreich verfolgt einen gänzlich anderen Ansatz. Hier kommt es nicht auf die eigene „tax capacity“ der Zielgesellschaft an, sondern auf deren konkrete Geschäftstätigkeit – und den Umstand, ob diese im Wesentlichen unverändert fortgeführt wird. So können Verlustvorträge ausweislich der einschlägigen UK-­ Steuerbestimmungen nicht länger genutzt werden, wenn innerhalb von drei Jahren nach einem mehrheitlichen Anteilserwerb ein „bedeutender Wechsel in der Natur oder Durchführung eines von der Kapitalgesellschaft betriebenen Gewerbes“19  Vgl. zu dieser Übersetzung der sog. „Condition A“ sowie ausführlich dem UK-Mantelkaufkonzept insgesamt Hohmann, Beschränkung des subjektbezogenen Verlusttransfers im Kapitalgesellschaftsteuerrecht (2017), S. 567 f.

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­erfolgt (major change in the nature or conduct of a trade carried on by the company). Maßgebend sind Art und Weise, in der das Geschäft bislang betrieben wurde; auch wesentliche Veränderungen in der Kundschaft, den Vertriebsstellen oder bedienten Märkten können schädlich sein, ebenso Wechsel im Hinblick auf Örtlichkeiten oder Belegschaft, in bzw. mit der das Geschäft betrieben wird, oder Veränderungen der Einkaufs- bzw. Preissetzungsstrategie.20 In gewisser Weise dürfte §  8d KStG als eine Ausprägung des UK-­ Rege­ lungskonzepts zu begreifen sein, soll es doch auch nach dieser vergleichsweise neuen deutschen Vorschrift, soweit sie wegen des Ausschlusses aller Organträger sowie Mitunternehmer in der Besteuerungspraxis denn überhaupt Anwendung findet,21 darauf ankommen, dass die Zielgesellschaft drei Jahre vor dem potenziell verlustvortragsschädlichen Mehrheitserwerb „ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhält“ und diesen anschließend weder einstellt noch „einer andersartigen Zweckbestimmung“ zuführt oder einen zusätzlichen Geschäftsbetrieb aufnimmt (sog. Eingeschäftsbetriebsgesellschaft). Hierbei soll sich der Geschäftsbetrieb „nach qualitativen Merkmalen in einer Gesamtbetrachtung“ bestimmen, wofür ausweislich des Gesetzeswortlauts „insbesondere die angebotenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kunden- und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte und die Qualifikation der Arbeitnehmer“ relevant sind.

5.3.3  Ö  sterreich (qualitative und quantitative Kriterien wirtschaftlicher Identität) Die österreichische Regelung, ebenso wie die deutsche Vorgängerbestimmung von § 8c KStG in § 8 Abs. 4 des (österreichischen) Körperschaftsteuergesetzes kodifiziert (§ 8 Abs. 4 Nr. 2 öKStG), stellt für einen Untergang der Verlustvorträge bei einem mehrheitlichen Anteilseignerwechsel insbesondere auf eine „wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Struktur“ ab.22 Diese hängt sowohl von dem Unternehmensgegenstand, also dessen Wechsel oder wesentlicher Erweiterung, als auch dem Betriebsvermögen ab, enthält also gleichermaßen eine qualitative wie eine quantitative Komponente.

 Hohmann (Fn. 19), S. 567 f.  Vgl. § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 2; Abs. 2 Nr. 4 u. 5 KStG (kritisch zum Ausschluss von Organschaften als dem in Deutschland dominanten Besteuerungsregime auch bei der Stille Reserven-Klausel des § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG bereits Fn. 16). 22  Vgl. auch hierzu ausführlich Hohmann (Fn. 19), S. 485 ff. Auf die Darstellung der ebenfalls maßgeblichen Änderung der organisatorischen Struktur sei hier verzichtet, da diese Voraussetzung durch die vergleichsweise unproblematische Besetzung von Geschäftsführungsposten etc. in der Besteuerungspraxis wenig problematisch sein dürfte. 20 21

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Somit gehen nach der österreichischen Mantelkaufbestimmung Verlustvorträge auch dann unter, wenn die Zielgesellschaft zwar nicht die Industrie wechselt, d. h. ihr Betätigungsfeld fortführt, dies aber mit einer „signifikanten Vergrößerung des Ausmaßes des Betriebsvermögens“ erfolgt, „da ansonsten die Regelung des § 8 IV Ziffer 2 Buchst. c Satz 1 öKStG durch einen Handel mit Verlustmänteln aus derselben Branche umgangen werden könnte“.23 Insoweit lässt sich der österreichische Ansatz als eine Kombination der UK-­ Regelung und der bis zur Unternehmenssteuerreform 2008 in Deutschland geltenden Mantelkaufbestimmung des § 8 Abs. 4 KStG verstehen, die der nachfolgende Abschnitt adressiert.

5.3.4  §  8 Abs. 4 KStG a. F. (rein quantitative Bestimmung wirtschaftlicher Identität) Ein Blick auf § 8 Abs. 4 KStG a. F. schaut zwar nicht über die Grenze, aber in die Steuervergangenheit und hat somit ebenfalls rechtsvergleichenden Charakter. Die Vorgängervorschrift von §  8c KStG steht hierbei für den Typus Mantelkaufvorschrift, der im Falle mehrheitlicher Anteilseignerwechsel die Beantwortung der Frage nach dem Fortbestand der wirtschaftlichen Identität (und damit die zukünftige Nutzbarkeit der Verlustvorträge) an rein quantitative und somit vergleichsweise einfach zu bestimmende Kriterien knüpft („Zählen, Messen, Wiegen“).24 Verlustvorträge konnten hiernach abgesehen von Spezialbestimmungen für Sanierungs- oder Geschäftseinstellungskonstellationen im Grundsatz weiter genutzt werden, wenn der Zielgesellschaft im Zusammenhang mit dem mehrheitlichen Anteilseignerwechsel nicht überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt wurde, d.  h. von außen (dem neuen Eigentümer) stammende Einkunftsquellen die alten überwogen.25 Zwar führte auch diese quantitative Herangehensweise, die steuersystematisch nichts anderes als eine Nichtbeanstandungsgrenze für Verlagerungen von Einkunftsquellen in einer überschaubaren Größenordnung darstellt, nämlich in Höhe eines Werts, der regelmäßig zumindest ungefähr dem Kaufpreis entsprechen dürfte, der für die Anteile der Zielgesellschaft geleistet wurde, zu einigen Auslegungsfragen und damit Rechtsstreitigkeiten, z. B. hinsichtlich einer Beschränkung auf das

 Hohmann (Fn. 19), S. 485 ff. m. w. N.  Vgl. ausführlich zur Historie und Entwicklung von §  8 Abs.  4 KStG a.F. Hohmann (Fn.  19), S. 68–127, insbesondere 78 ff. 25  Insbesondere wurden bei diesem Vergleich zwischen zugeführtem neuen und bisherigen Betriebsvermögen der Verlustvortragsgesellschaft sachgerechterweise  – und abweichend von dem insoweit deutlich zu engen, weil die steuerliche Einheit von Organgesellschaft und Organträger missachtenden Verständnis der Finanzverwaltung im Hinblick auf die Stille Reserven-Klausel des § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG – auch die Wirtschaftsgüter der Organgesellschaften einbezogen, vgl. BMF, Schreiben v. 16.04.1999, IV C 6-S 2745-12/99, BStBl. I 1999, 455 (Tz. 9 Satz 2). 23 24

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Aktivvermögen sowie Zuführungen von außen, d. h. die Ausgrenzung innenfinanzierter Investitionen oder reiner Aktivtauschvorgänge. Im Lichte der weitaus „gröberen“ Nachfolgeregelung muten die damaligen Diskussionen allerdings ­vergleichsweise harmlos an26 bzw. sollten sich bei einer „Wiederauflage“ des § 8 Abs. 4 KStG a. F. einer befriedigenden gesetzgeberischen Lösung zuführen lassen (ebenso wie z. B. das Mittelbarkeits- und erwerberbezogene Verständnis des § 8c KStG sowie dessen Stille Reserve-Klausel modifizierend übernommen werden sollten).

5.4  Steuerpolitische Zielsetzungen in Deutschland Eine Mantelkaufvorschrift nicht nur, aber auch in Deutschland sollte drei Kriterien genügen.27 Zunächst hat sie sich als geeignet zu erweisen, „besenreine“ Mantelkäufe zu vermeiden, d. h. insbesondere den Erwerb „leerer“ Kapitalgesellschaften mit hohen Verlustvorträgen, die anschließend durch Einbringung neuer Einkunftsquellen faktisch von einem (wirtschaftlich) anderen Steuerpflichtigen genutzt werden können. Zugleich darf die Verfolgung dieses gesetzgeberischen Ziels, das auch in Anbetracht der grundsätzlich unbegrenzten Lebensdauer von Kapitalgesellschaften zu verstehen ist, keine übermäßigen Kollateralschäden verursachen, die sich insbesondere in Gestalt der Behinderung „normaler“, d. h. nicht rein steuermotivierter Transaktionen zeigen können28 (Einschränkung des Markts für Unternehmenskäufe, die nicht erforderlich ist, d. h. Existenz weniger einschneidender Maßnahmen oder unverhältnismäßige Behinderung des M&A-Markts gegenüber Fiskaleffekt, sog. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Schließlich sind die Anforderungen der Besteuerungspraxis zu berücksichtigen, die als Massenfallrecht der Eingriffsverwaltung in besonderer Weise auf einfache oder zumindest nicht überbordend komplexe und damit letztlich vorhersehbare Steuerrechtsnormen angewiesen ist (Verwaltungspraktikabilität).

 So wohl auch Tiedchen, StuW 2019, 173 (175), die § 8 Abs. 4 KStG a.F. ebenfalls – auch im Nachgang – keine besonders hohe Streitanfälligkeit zuschreiben möchte: „Sicher, § 8 Abs. 4 KStG warf Auslegungsfragen auf, aber welche steuerrechtliche Vorschrift tut dies nicht? Gestritten wurde z. B. darum, was als aktives Betriebsvermögen i. S. d. Vorschrift anzusehen ist, was als relevanter Geschäftsbetrieb zu verstehen ist und ob zwischen der Zuführung neuen Betriebsvermögens und der Anteilsübertragung ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang bestehen muss. […] Hohmann stellt denn auch fest, dass § 8c KStG hinsichtlich der Streitanfälligkeit der Vorgängervorschrift kaum nachstehe.“ 27  So z. B. auch Röder, FR 2018, 52 (61) (Unterbindung Handel mit steuerlichen Verlustvorträgen, möglichst keine Behinderung legitimer Investitionen, leichte Administrierbart / hohes Maß an Vorhersehbarkeit). 28  Vgl. z. B. Röder, FR 2018, 53 (57) zu § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG: „magere[r] fiskalische[r] Ertrag um den Preis erheblicher wirtschaftspolitischer Kollateralschäden“. 26

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5.4.1  Keine Gestaltungsanfälligkeit (Geeignetheit) Der Begriff „Mantelkauf“ beschreibt eine ausschließlich steuermotivierte Transaktion, bei der steuerliche Verlustvorträge in Ummantelung einer Kapitalgesellschaft erworben werden, die im Übrigen „leer“ ist, d. h. nicht länger über eine Geschäftstätigkeit, andere Vermögenswerte o. a. verfügt. Einziges „asset“ dieser Kapitalgesellschaft sind ihre steuerlichen Verlustvorträge, woher denn auch die Bezeichnung „Verlustmantel“ stammt.29 Können die Verlustvorträge  – z.  B. infolge umfassender Mantelkaufvorschriften – nicht anderweitig monetarisiert werden, würde eine solche Gesellschaft liquidiert. Sie existiert also lediglich fort, damit ihre Verlustvorträge durch jemand (wirtschaftlich) anderen genutzt werden können, üblicherweise den neuen Gesellschafter, der zusätzliche Einkunftsquellen in die Gesellschaft transferiert, z. B. im Wege einer Einbringung/Ausgliederung eines Teilbetriebs gemäß § 20 UmwStG, der Einbringung einer zinsbringenden Darlehensforderung oder eines qualifizierten Anteilstauschs gemäß §  21 UmwStG mit anschließender Begründung einer Organschaft zwischen der Verlustvortrags-/Mantelgesellschaft (Organträger) und den mehrheitsvermittelnden Anteilen als profitablem Einlageobjekt (Organgesellschaft). Aus steuersystematischer Sicht ließe sich zunächst der Vorteil der Rechtsform der Kapitalgesellschaft, der aus der faktischen Transferierbarkeit körperschaftsteuerlicher Verlustvorträge durch Mantelkaufgestaltungen resultiert, gegenüber Personengesellschaften oder Einzelunternehmern, bei denen die Verlustvorträge unauflöslich an die natürliche Person des Unternehmers geknüpft sind, nur schwerlich rechtfertigen, gerade auch nach der Rechtsprechung des Großen BFH-Senats zur Unvererbbarkeit einkommensteuerlicher Verlustvorträge30 (Gebot der Rechtsformneutralität der Besteuerung). Zudem sieht es das System der Einkommensbesteuerung eben nicht vor, dass der Staat sich im Sinne einer „negativen Einkommensteuer“ an Verlusten direkt in Gestalt eines Liquiditätstransfers beteiligt, und genau so würde eine Verkaufbarkeit von Verlustvorträgen über Mantelkaufgestaltungen wirken: Irgendein Käufer würde sich stets finden, bedürfte es hierzu nichts weiter als einer profitablen Einkunftsquelle an anderer Stelle.31 Schließlich wären die fiskalischen Interessen der Steuergläubiger betroffen, wenn jede Insolvenz nicht länger nur Verlustvorträge zur Folge hätte, die in Ermangelung künftiger positiver Einkünfte faktisch ins Leere liefen, sondern Steuermindereinnahmen an gänzlich

 Definitorisch vgl. z. B. Tiedchen, StuW 2019, 173: „Als Mantelkauf bezeichnet man den Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die nicht mehr wirtschaftlich tätig ist und über kein nennenswertes Betriebsvermögen, wohl aber über steuerliche Verlustvorträge verfügt, die sie selbst nicht mehr verwerten kann.“ 30  Vgl. BFH GrS, Beschl. v. 17.12.2007 – GrS 2/04, juris (Erbe kann nicht ausgenutzten Verlustabzug des Erblassers nach § 10d EStG nicht bei eigener ESt-Veranlagung geltend machen). 31  Dem Vernehmen nach wurden vor der Einführung von § 8 Abs. 4 KStG a. F. Verlustmäntel in Gestalt leerer GmbHs auch im Anzeigenteil von überregionalen Wirtschaftszeitungen regelmäßig annonciert, d. h. fand insoweit ein regelrechter Handel statt. 29

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anderer Stelle hervorrufen würden, letztlich zugunsten des Alteigentümers bzw. der Masseverbindlichkeiten mit entsprechenden Aufkommensverlusten. Insgesamt erscheint es nicht sachgerecht, die eigene Steuerlast schlicht dadurch zu reduzieren, dass steuerliche Verluste anderer Steuerpflichtiger käuflich erworben werden. Vor diesem Hintergrund ist auch kein Land ersichtlich, dass den Erwerb reiner Verlustmäntel uneingeschränkt zulassen würde, zumal hier letztlich sachgerechterweise auch die allgemeine Missbrauchsvermeidungsvorschrift im Sinne eines § 42 AO aktiviert werden könnte. Denn welcher außersteuerliche Grund ist für den Erwerb eines reinen Verlustmantels und der anschließenden Einbringung einer Einkunftsquelle in diese Verlustmantelgesellschaft denkbar, die per  definitionem über nichts anderes als steuerliche Verlustvorträge verfügt?

5.4.2  K  eine übermäßigen Kollateralschäden (Erforderlichkeit, Angemessenheit) So nachvollziehbar das gesetzgeberische Interesse an einer Unterbindung des Handels mit Verlustmänteln ist, so dringlich ist es steuersystematisch auch vor dem Hintergrund des anderenfalls ja faktisch nicht länger existenten körperschaftsteuerlichen Trennungsprinzips als einem der Grundpfeiler der Besteuerung von Kapitalgesellschaften in Deutschland und weltweit, nicht jedwede Änderung des Gesellschafterbestands auf die Besteuerung der Kapitalgesellschaft durchschlagen zu lassen.32 Hierzu dient zunächst die Beschränkung (nunmehr auch von § 8c KStG n. F.) auf mehrheitliche Anteilserwerbe. Auch Mehrheitserwerbe können aber selbst­ redend – und insoweit dem ursprünglichen Regelungskonzept des § 8c KStG widersprechend – nicht ausnahmslos als steuerlich motiviert angesehen und deshalb mit dem Untergang sämtlicher Verlustvorträge sanktioniert werden. Beispielhaft erwähnt sei der 51 %ige Erwerb einer börsennotierten Kapitalgesellschaft z. B. durch einen Private Equity-Investor, bei dem bereits die Existenz der Minderheiten eine Verlagerung von Einkunftsquellen verhindert, würde nämlich der Mehrheitserwerber nahezu den hälftigen Wert der neuen Einkunftsquelle „wegschenken“. Auch in Fällen vollumfänglicher Beteiligungswechsel, d.  h. der 100  %-Übernahme einer Kapitalgesellschaft wird sich aber häufig eine Steuermotivation bzw. ein ungerechtfertigter Steuervorteil ausschließen lassen. Dies gilt insbesondere, wenn die Zielgesellschaft auch ohne neue Einkunftsquellen in der Lage wäre, ihre Verlustvorträge zu nutzen, d.  h. über insoweit ausreichend stille Reserven in ihrem steuerpflichtigen Betriebsvermögen verfügt. Warum sollten die Verlustvorträge dieser Gesellschaft nur infolge eines Gesellschafterwechsels verloren gehen, wenn diese ebenso bei unverändertem Gesellschafter-Status Quo hätten fruchtbar gemacht werden können?

32   Vgl. zum Trennungsprinzip z.  B. grundlegend rundlegend Tipke, Steuerrechtsordnung II (2013), S. 1173 sowie BVerfG, Urt. v. 24.01.1962 – 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331 (340).

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Das Spannungsverhältnis zwischen einer möglichst umfassenden Verhinderung unerwünschter Mantelkäufe und der Nichtbeeinträchtigung von bona fides-­M&A-­ Aktivitäten liegt auf der Hand. Je strikter man an der einen Stelle ist, z. B. um auch sämtliche Eventualitäten abzudecken bzw. fiskalische Restrisiken auszuschließen, desto höher fallen die Kollateralschäden aus, und – umgekehrt – je weniger „normale“ Unternehmenskäufe behindert werden sollen, desto eher wird es möglich sein, Mantelkaufgestaltungen und damit den interpersonellen Transfer von Verlustvorträgen erfolgreich umzusetzen. Insoweit sind die jeweiligen Interessen in „praktischer Konkordanz“ zu einem sachgerechten, schonenden Ausgleich zu bringen, ohne dass hierfür unbedingt ein „Königsweg“ ersichtlich wäre. Jedenfalls aber sollten  – dies zeigen bereits die vorstehenden Überlegungen  – Verlustvorträge unbedingt ungeachtet jeglicher Anteilseignerwechsel insoweit erhalten bleiben, als sie von der Verlustvortragsgesellschaft ohnehin hätten genutzt werden können (eigene „tax capacity“). Auch darüber hinaus bedarf es aber konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Erwerber es letztlich auch wirklich auf die Verlustvorträge – und nicht auf das Unternehmen selbst – „abgesehen“ hat, z. B. indem Kaufobjekt eine Kapitalgesellschaft mit bereits eingestelltem Geschäftsbetrieb ist, an der folglich kein außersteuerliches Interesse bestehen kann, oder die Verlustnutzung signifikant beschleunigt bzw. eben erst ermöglicht wird, nämlich durch die Erschließung von Einkunftsquellen (üblicherweise durch Einlagen, d. h. neues Betriebsvermögen), die der Zielgesellschaft ohne Hilfe des neuen Gesellschafters nicht offen gestanden hätten.

5.4.3  Administrierbarkeit (Einfachheit, Vorhersehbarkeit) Zudem sollte eine Mantelkaufregelung einfach administrierbar sein, d. h. im Massenfallrecht der Eingriffsverwaltung und damit der Besteuerungswirklichkeit so geringe Praktikabilitätsprobleme aufweisen wie möglich. Üblicherweise ist hierfür auch ein hohes Maß an Bestimmtheit hilfreich, um die Vorhersehbarkeit der Anwendung der Bestimmung zu gewährleisten (Rechtssicherheit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 3 GG). Unbestimmte Rechtsbegriffe sind diesbezüglich regelmäßig kritischer zu beurteilen als Tatbestandsmerkmale, die sich infolge ihrer numerischen Ableitbarkeit vergleichsweise einfach auslegen lassen. Fraglich erscheint, ob es aber infolge der Nähe einer Mantelkaufregelung zur allgemeinen Missbrauchsvorschrift des §  42 AO sachgerecht ist, einen gewissen Grad an Unschärfe zu konservieren, z. B. im Hinblick auf einen Zusammenhang, in dem ein Mehrheitserwerb und die anschließende Verlustvortragsnutzung zu stehen hat, um steuerschädlich zu sein. Dafür spricht, dass sich dies abschreckend auf sog. „Grenzverhalten“ der Steuerpflichtigen in Sachen Mantelkaufgestaltungen auswirken dürfte, d.  h. das „Austesten“ des konkreten Anwendungsbereichs von Missbrauchsvermeidungsvorschriften. Dagegen lässt sich allerdings anführen, dass der Steuerpflichtige aus Planungszwecken Gewissheit darüber benötigt, ob die Verlustvorträge einer Zielgesellschaft bei einem bestimmten Verhalten fortbestehen

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oder nicht, handelt es sich hierbei doch regelmäßig um eine sehr wesentliche Frage, nämlich die der Voll- oder Nichtbesteuerung gegenwärtiger oder künftiger positiver Einkünfte. In Anbetracht des Umstands, dass das deutsche Steuerrecht ohnehin über eine allgemeine Missbrauchsvorschrift verfügt und ein letzter Grad an Unsicherheit in der Tatbestandsauslegung stets existieren dürfte, der von den Finanzgerichten im Sinne einer teleologischen Auslegung „genutzt“ werden könnte, um wirkliche „Ausreißer“ einzufangen, dürfte ein im Übrigen möglichst bestimmter Gesetzesbefehl auch beim Mantelkauf vorzugswürdig sein, um seine Besteuerungspraktikabilität zu gewährleisten. Auch hier existiert aber vermutlich kein „Schwarz“ oder „Weiß“, sondern dürfte die Wahrheit „in der Mitte liegen“, d.  h. eine Mantelkaufregelung eine gewisse Unschärfe vertragen.

5.5  Exkurs: Einzelfälle (§ 8c KStG n.F., § 8d KStG) Sollten die gegenwärtigen Fassungen von § 8c KStG (nach der rückwirkenden Abschaffung der Schädlichkeit von Anteilseignerwechseln zwischen 25 % und 50 % gemäß Abs. 1 Satz 1 a.F. und der EU-beihilferechtlichen „Rehabilitierung“ der Sanierungsklausel des Abs. 1a) und § 8d KStG den im vorstehenden Abschnitt formulierten steuerpolitischen Zielsetzungen genügen, würde sich die Unterbreitung von Reformvorschlägen erübrigen. Dass dem nicht so ist, soll dieser Abschnitt in einem Exkurs mit zwei Fallgestaltungen zeigen, nämlich der Möglichkeit, trotz § 8c KStG über einen zeitlich gestreckten Erwerb einfach an „fremde“ Verlustvorträge zu gelangen, und dem „Branchen-Privileg“ des §  8d KStG, mit dessen Nutzung z. B. Amazon u. U. in der Lage wäre, hohe Verlustvorträge von anderen Versandhandelshäusern zu übernehmen, die in den vergangenen Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind (z. B. Neckermann).

5.5.1  §  8c KStG: „Leere“ GmbH mit Verlustvortrag und aufgeräumter Passivseite (zeitlich gestreckter Erwerb über 5 Jahre) § 8 Abs. 4 KStG a.F. verfügte über zwei Sicherungsmechanismen, um den Erwerb einer „leeren“ GmbH allein wegen ihrer steuerlichen Verlustvorträge zu verhindern, die in § 8c KStG jeweils nicht vorgesehen sind. Zum einen setzte der Abzug von Verlustvorträgen nach einem mehrheitlichen Anteilseignerwechsel voraus, dass die Geschäftstätigkeit der Verlustgesellschaft nicht eingestellt worden war.33 Dieses

33  Vgl. hierzu z. B. BFH, Urt. v. 05.06.2003 – I R 38/01, BStBl. II 2003, 822 (Einstellung der Geschäftstätigkeit bei einer wirtschaftlichen Beendigung der werbenden Tätigkeit).

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Kriterium wurde, auch wenn es im Kontext des § 8 Abs. 4 KStG a.F. wegen äußerst geringer Anforderungen der BFH-Rechtsprechung an einen „Restgeschäftsbetrieb“ bzw. „Geschäftsbetrieb auf Sparflamme“ wohl weitgehend leer lief,34 auch in § 8d KStG übernommen, wobei diese Vorschrift aber lediglich auf Antrag des Steuerpflichtigen Anwendung findet, d. h. einen Verlustvortragsübergang nach § 8c KStG nicht hindert (sondern stattdessen einen Verlustvortrag „retten“ soll, der wegen § 8c KStG gerade nicht übergehen würde) und somit kein Korrektiv gegen einen zu „laxen“ § 8c KStG sein kann. Zum anderen gewährleistete das Schädlichkeitskriterium der Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens, dass in eine „leere“ GmbH auch keine nennenswerten Einkunftsquellen eingelegt werden konnten: War das Restvermögen der Verlustvortragsgesellschaft verschwindend gering, dann galt dies auch für neue Einkunftsquellen, die zur künftigen Nutzung der Verlustvorträge unverzichtbar waren und vom neuen Eigentümer verlustvortragsunschädlich eingelegt werden konnten (nahezu kein Spielraum insoweit bei einer „leeren“ GmbH). Der § 8c KStG-Gesetzgeber meinte, auch ohne diese zweite „Verteidigungslinie“ auskommen zu können, wohl weil er auf den rigoros weit geschnittenen Anwendungsbereich dieser Unternehmenssteuerreform 2008-Vorschrift vertraute, die jegliche Anteilseignerwechsel innerhalb von fünf Jahren erfasste, d. h. auch solche unter 50 %, nämlich bereits ab 25 %, und ohne jedwede weitere Voraussetzung wie die Einlage neuer Einkunftsquellen. Steuerpflichtige „mit langem Atem“ hatten deshalb bereits bislang  – und im Gegensatz zum Regime der Vorgängernorm des § 8 Abs. 4 KStG a.F., unter dem dies so nicht darstellbar gewesen wäre – die Möglichkeit, sich Verlustvorträge von Kapitalgesellschaften zu sichern, die ihren Geschäftsbetrieb längst eingestellt hatten und über keine nennenswerten Vermögensgegenstände verfügten. Wären alle fünf Jahre ein Viertel der Anteile verkauft worden, hätten im 16. Jahr 100 % der Anteile § 8c KStG-unschädlich erworben und sodann Einkunftsquellen in unbegrenzter Höhe eingelegt werden können (Teilbetriebsausgliederungen, Einbringung zinsbringender Forderungen oder mehrheitsvermittelnder Anteile an profitablen Organgesellschaftsbeteiligungen).35 Durch die ersatzlose Abschaffung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG ist die Zeitdauer, die für die Monetarisierung fremder Verlustvorträge erforderlich ist, nun ganz erheblich verkürzt worden. So kann jeder Steuerpflichtige, der an Kapitalgesellschaften mit hohen Verlustvorträgen interessiert ist (und welcher ist dies nicht), im ersten Jahr 50 % der Anteile an einer Verlustvortragsgesellschaft erwerben und im sechsten Jahr die verbleibenden 50 %. Dem Alleingesellschafter steht es dann offen, unverzüglich und unbegrenzt (!) neue Einkunftsquellen einzulegen und die Verlustvorträge entsprechend von anderen positiven Einkünften abzuziehen.

 Vgl. z. B. Ernst, ifst-Schrift Nr. 470 (2011), S. 72.  Vgl. zu dieser augenscheinlichen Gestaltungsmöglichkeit bereits Dorenkamp, FR 2018, 83 (84, dort Fn. 5).

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Insbesondere stehen einer solchen Verlustvortragsnutzungsstrategie auch keine kautelarjuristischen Hindernisse im Wege. Gut beraten würde man für die ersten 50 % keinen oder einen nur sehr geringen Kaufpreis vereinbaren und den eigentlichen Werttransfer erst im sechsten Jahr leisten. So haben die ersten 50 % einer ansonsten leeren GmbH keinen Wert für irgendwen, können Einkunftsquellen sinnvollerweise doch erst nach dem Erwerb der noch fünf Jahre beim Alteigentümer verbleibenden weiteren 50 % eingelegt werden, da anderenfalls der Alteigentümer der bislang leeren GmbH an diesen neuen Einkunftsquellen beteiligt würde. Als sehr problematisch wird sich in der weit überwiegenden Anzahl der insolvenznahen Kapitalgesellschaftsfälle, die sich naturgemäß besonders für einen interpersonellen Transfer von Verlustvorträgen eignen (hohe Verlustvorträge infolge wirtschaftlicher Erfolgslosigkeit, keine eigenen Einkunftsquellen), aber zugegebenermaßen das „Aufräumen“ der Passivseite gestalten. Solange die insolvenznahe Verlustvortragsgesellschaft über unbeglichene Außenstände verfügt, ist das Einlegen neuer Einkunftsquellen unattraktiv, würden diese doch Bestandteil der Insolvenzmasse bzw. anderweitig der Befriedigung der Gläubiger dienen. Verzichten diese aber auf die Begleichung der Altverbindlichkeiten, entsteht in der Verlustvortragsgesellschaft ein Verzichts- bzw. Sanierungsgewinn, der außerhalb der engen Grenzen der Steuerbefreiung des § 3a EStG zu einem steuerpflichtigem Einkommen der Schuldner-Gesellschaft führt, das gemäß § 10d Abs. 2 EStG oberhalb von 1 Mio.  € auch nur zu 60  % mit Verlustvorträgen verrechnet werden kann (sog. Mindestgewinnbesteuerung), d. h. trotz u. U. weitaus höherer Verlustvorträge eine Steuerzahlung auslöst, der sich kein verständiger Investor aussetzen wird. Bei rein eigenkapitalfinanzierten Investitionsvorhaben, die wirtschaftlich gescheitert sind (regelmäßig mit der Folge hoher steuerlicher Verlustvorträge), fehlt es allerdings an dieser Restriktion, die potenziell von der Passivseite der Bilanz ausgehen kann (keine Außenstände, die entweder zu begleichen oder im Falle eines Gläubigerverzichts zu besteuern wären). Vor diesem Hintergrund erscheint die Regelung des § 8c KStG in seiner gegenwärtigen Fassung aus Sicht des Fiskus regelrecht fahrlässig, zumal auch eine (rückwirkende) Erkennung von § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG als gleichheitssatzwidrig durch das BVerfG nicht ausgeschlossen scheint36 – dann entfiele rückwirkend für die Vergangenheit sogar die Notwendigkeit einer Streckung des Erwerbs über 5 Jahre und einen Tag.

 Vgl. jüngst Tiedchen, StuW 2019, 173 (178): „Es spricht viel dafür, dass diese Regelung ebenfalls keinen Bestand haben wird.“ Ebenso z. B. Röder, FR 2018, 52 (58), Rödder/Schumacher, Ubg 2018, 5 (6), Gosch, GmbHR 2017, 697 (697) sowie Ernst/Roth, Ubg 2017, 366 (377) zu großen (und wohl sehr berechtigten Zweifeln) an der Gleichheitssatzkonformität von § 8c Abs. 1 Satz  2 KStG, dem weiterhin jede Komponente einer Veränderung der wirtschaftlichen Identität fehlt und der damit z.  B. auch den mehrheitlichen Erwerb einer börsennotierten Kapitalgesellschaft ohne jedwede nachfolgende Veränderung der Geschäftstätigkeit oder des Betriebsvermögens der Zielgesellschaft sanktionieren würde.

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5.5.2  §  8d KStG und branchen-interner Mantelkauf, z. B. Amazon und Neckermann §  8d KStG privilegiert Unternehmensübernahmen, denen kein Branchenwechsel der Zielgesellschaft folgt. Diese „Einbetonierung“ in Sachen Geschäftsbetriebskontinuität soll zum einen vermeiden, dass Sanierungsbemühungen konterkariert werden. Quantitative Beschränkungen der Zuführung neuen Betriebsvermögens sieht § 8d KStG nämlich anders als z. B. § 8 Abs. 4 KStG a. F. nicht vor, solange sich lediglich der Geschäftsbetrieb nicht verändert, der steuersystematisch ungerechtfertigte Vorwurf einer „Übersanierung“ kann im Rahmen von §  8d KStG also sinnvollerweise nicht erhoben werden, wodurch wirtschaftlich wünschenswerte Sanierungsbemühungen zweifelsohne unterstützt werden (§ 8d KStG als Sanierungsausnahme).37 Fraglich erscheint allerdings, ob dieser Sanierungsaspekt die Privilegierung der Fortführung desselben Geschäftsbetriebs auch dann noch rechtfertigen kann, wenn die EU-beihilfenrechtliche Unbedenklichkeit der gesondert für Sanierungsfälle geschaffenen Vorschrift des §  8c Abs.  1 KStG inzwischen in der EuGH-Rechtsprechung verbürgt und deshalb ein „Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung des Geschäftsbetriebs der Körperschaft unbeachtlich“ ist, und zwar infolge der uneingeschränkten Anwendbarkeit nunmehr von §  8c Abs.  1a KStG auch in der Besteuerungspraxis. Zum anderen folgt der Telos von §  8d KStG der Ratio  – insoweit der UK-­ Konzeption folgend –, dass eine brancheninterne Übernahme von Kapitalgesellschaftsanteilen per se weniger missbrauchsverdächtig sei als ein Anteilseignerwechsel, deren Anschlussinvestitionen einer Diversifikationsstrategie folgen. Selbst wenn dem gelegentlich oder auch häufig so sein sollte, erscheint dieser Maßstab recht grob. Warum ist es unbedingt besser, dass sich, von Sanierungsbemühungen abgesehen, die bereits von § 8c Abs. 1a KStG „goutiert“ werden, z. B. Amazon die Altverlustvorträge aus dem Neckermann-Versandhandel einverleiben würde als dass hier beispielsweise GE der steuermotivierte (Mantelkauf-)Investor wäre?38 Die Grenzen für brancheninterne Mantelkäufe verlaufen infolge von § 8d KStG weitaus weniger restriktiv als für diversifizierende Investoren oder Mischkonzerne, ohne dass die Branchenzugehörigkeit des Kapitalgesellschaftserwerbers im Einzelfall aussagekräftig im Hinblick auf das Ausmaß der Steuermotivation sein dürfte, von der Zukunftsfestigkeit der Folgeinvestitionen ganz abgesehen. Ergänzt sei, dass dem Vernehmen nach §  8d KStG in der Besteuerungspraxis außerhalb der Private Equity- bzw. Wagniskapitalbeteiligungsbranche, auf deren vergleichsweise abgegrenzten Investitionsobjekte die „Väter“ dieser Vorschrift

 Vgl. z. B. Röder, FR 2018, 52 (62); Röder, DStR 2017, 1737 (1740 f.).  Vgl. zum Unternehmensschicksal der ehemaligen Versandhandelsgröße Neckermann z. B. Ott/ Wilmroth, Süddeutsche Zeitung v. 26.04.2018, S. 19: „Neckermann, einst eines der größten Versandhäuser Europas, kämpfte vor sechs Jahren ums Überleben, versuchte verzweifelt den Wandel zum reinen Online-Händler, der Katalog sollte abgeschafft werden.“

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wohl fokussiert waren, nicht in nennenswerter Weise angewendet wird.39 Dies erscheint auch bereits vor dem Hintergrund plausibel, dass sämtliche Organträger und Mitunternehmer, d. h. Beteiligte an Personengesellschafter vom persönlichen Anwendungsbereich der Norm explizit ausgeschlossen sind – und damit wohl der ganz große Teil der deutschen Wirtschaft einschließlich des etwas größeren Mittelstands, dessen Unternehmensverbünde ebenfalls regelmäßig über Organschaften verbunden sind, um steuerliche Ergebnisinseln in der (inländischen) Unternehmensgruppe zu vermeiden. Im Lichte dessen dürfte es für viele befremdlich wirken, wenn im Ergebnis womöglich die Vorschrift des § 8d KStG, die nur in ganz kleinen Randbereichen der deutschen Wirtschaft Anwendung findet, die Unzulänglichkeiten von § 8c KStG in der Betrachtung des BVerfG heilen sollte, d. h. die anstehende Entscheidung zu § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG aus diesem Grunde anders ausfallen sollte als die bereits ergangene zu § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG.

5.6  K  onkrete steuerreformerische Empfehlungen – „Evolution statt Revolution“, „bekannt und bewährt“: Stille ReserveKlausel und modifizierter § 8 Abs. 4 KStG a.F. „Alte Steuern sind gute Steuern.“ Dieser Leitsatz, der dem französischen Finanzwissenschaftler Canard zugeschrieben wird, der vor rd. 250 Jahren lebte, kann zwar womöglich keine Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen und hat letztlich wohl eher eine polit-ökonomische sowie anreiztheoretische Begründung denn eine steuerjuristische.40 Aus steuerjuristischer Sicht aber hat das Festhalten an Regelungen, die bereits einem Rechtsanwendungspraxistest unterzogen worden sind, ebenfalls einen Mehrwert, nämlich ein Weniger an Rechtsunsicherheit und einen Erfahrungsschatz, auf den bei Gesetzesauslegung und Rechtsbefolgung zurückgegriffen werden kann (Vorhersehbarkeit im Massenfallrecht der Eingriffsverwaltung). Schließlich dürften Finanzpolitiker gerade bei dem Thema Verlustverrechnung angesichts der öffentlichen Berichterstattung über „Verlustberge in Höhe von vielen Hundert Milliarden“ tendenziell geneigt sein, den Leitsatz „keine Experimente“ bzw. „bekannt und bewährt“ zur Richtschnur ihres Abstimmungsverhaltens zu machen (Realisierungswahrscheinlichkeit von Steuerreformvorhaben).41 Zusammenfassend erscheint es auch im Sinne einer Kontinuität der hiesigen Rechtstradition ratsam, die bewährten Aspekte von § 8c KStG und § 8 Abs. 4 KStG a.  F. miteinander zu kombinieren und zudem gerne auch die Vorschrift des §  8d KStG fortzuführen, die infolge ihres sehr eingeschränkten Anwendungsbereichs (keine Organträger, keine Mitunternehmer, nur Eingeschäftsbetriebsgesell Vgl. zahlreiche Nachweise hierzu in Fn. 7 (keine Anwendbarkeit in „99 %“ der § 8c KStG-Problemfälle etc.). 40  Vgl. z. B. hierzu Bach, Wirtschaftsdienst 1994, 151. 41  Vgl. z. B. Röder, FR 2018, 52 (61): „Hoffnungen auf einen ‚großen Wurf‘, eine ‚Grundsanierung‘ oder einen ‚Neustart‘ bei genauerer Betrachtung trügerisch“. 39

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schaften)42 zwar nicht viel nutzen mag, aber eben auch nicht schadet. Insbesondere wird hierbei einem im Wesentlichen rein quantitativen Ansatz, der neben eine angemessen weit ausgelegten Stille Reserve-Klausel des § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG als Kernvoraussetzung der auch künftigen Nutzbarkeit von Verlustvorträgen definiert, dass im Zusammenhang mit einem schädlichen Anteilseignerwechsel kein überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt wird (Ansatz von § 8 Abs. 4 KStG a. F.), der Vorzug gegenüber einer auch qualitativen Bestimmung der Kontinuität der wirtschaftlichen Identität der Zielgesellschaft gegeben, weil es so etwas wie einen abgrenzbaren „Unternehmensgegenstand“43 (so z. B. § 8 Abs. 4 Ziffer 2 öKStG) bei „jungen und organschaftlich nicht eingebundenen Unternehmen“ zwar geben mag, ein solcher in einer auch nur mittelgroßen Unternehmensgruppe mit einer Vielzahl unternehmerischer Tätigkeiten aber bereits kaum rechtssicher abgrenzbar sein und zudem die wirtschaftspolitische Gefahr bergen dürfte, gegenwärtige Unternehmensstrukturen trotz sich beständig ändernder Kundenbedürfnisse „einzubetonieren“. Gehört z.  B. die Eigenproduktion von Fernsehsendungen (im Sinne eines Triple Play-Angebots von Festnetz, Mobilfunk und TV) zum Telekommunikationsgeschäft, könnte ein Automobilhersteller verlustvortragsunschädlich jedwede anderweitige Mobilitätsdienstleistungen erbringen? Doch was ist überhaupt der Unternehmensgegenstand eines Mischkonzerns wie Siemens, der mit vielen Hunderttausend Mitarbeitern früher u. a. Handys und Kühlschränke herstellte und zugleich auf der ganzen Welt Großanlagen baute und in der Zukunft womöglich insbesondere in der Medizintechnik Gewinne erwirtschaftet, die sich stetig wandelnden Unternehmenssparten letztlich aber in einem Organkreis zusammenführt? Konkret könnte sich ein künftiges Mantelkauf-Regime im Sinne eines „Evolution statt Revolution“- bzw. „bekannt und bewährt“-Ansatzes, das sowohl rein steuermotivierte „Verlustvortragserwerbe“ weitgehend unterbinden als auch Kollateralschäden bei außersteuerlich begründeten Unternehmenskäufen vermeiden sollte und infolge der quantitativen Herangehensweise zugleich besteuerungspraktikabel wäre, beispielsweise wie folgt gestalten, siehe auch Abb. 5.1 (mit „−“ bzw. „+“ als Symbole für entweder bestehenden oder nicht bestehenden gesetzgeberischen Änderungsbedarf): • Der mehrheitliche Anteilseignerwechsel als schädliche „change of control“-Grenze sowohl von § 8 Abs. 4 KStG a. F. sowie § 8c KStG n. F. wird fortgeführt. • Auch mittelbare Anteilseignerwechsel können potenziell verlustvortragsschädlich sein, vgl. § 8c KStG (anders BFH-Rechtsprechung zu § 8 Abs. 4 KStG a.F.). Ausdruck des „ultimate parent“-Ansatzes ist auch die Konzernklausel des § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG. • An dem erwerberbezogenen Konzept des § 8c KStG ist ebenso festzuhalten (implizite Börsenklausel), anders auch insoweit noch § 8 Abs. 4 KStG a.F.

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 Vgl. Fn. 7.  Vgl. z. B. § 8 Abs. 4 Ziffer 2 öKStG oder wohl auch Tiedchen, StuW 2019, 173 (181 a. E.).

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Abb. 5.1  Reformbedarf bei den Regelungen zum Verlustvortrag

• Die Stille Reserve-Klausel des § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG, die ebenfalls kein Äquivalent in § 8 Abs. 4 KStG a.F. hatte, ist als Ausdruck der „stand alone tax capacity“-Konzepts, das z. B. auch der US-steuerrechtlichen Regelung des § 382 IRC zugrunde liegt, unbedingt fortzuführen, lassen sich hierdurch rein steuermotivierte Anteilskäufe doch besonders trennscharf von bona fides-M&A-­Trans­ aktionen abgrenzen. Allerdings ist die Bestimmung sachgerechterweise dahingehend auszulegen bzw. tatbestandmäßig zu ergänzen, dass auch stille Reserven im steuerpflichtigen Betriebsvermögen von Organgesellschaften einbezogen werden (Organschaft als steuerliche Einheit).44 Schließlich werden Gewinne der Organgesellschaft aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern ausnahmslos beim Organträger versteuert, der als letztliches Steuersubjekt auch allein über nennenswerte Verlustvorträge verfügen kann. • Die nunmehr vom EuGH als beihilferechtlich unbedenklich erkannte Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG, die in ähnlicher Weise auch in § 8 Abs. 4 KStG enthalten war, sollte ebenfalls beibehalten werden, auch um insoweit „Druck“ von § 8d KStG wegen des sehr schmalen Anwendungsbereichs dieser Vorschrift zu nehmen. • Zusätzlich zum mehrheitlichen Anteilseignerwechsel sollte der Untergang von Verlustvorträgen von einer Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens abhängen45 (kumulatives Tatbestandsmerkmal), wobei der v­ erlustvortragsschädliche Zusammenhang zwischen Mehrheitserwerb und Einlage neuer Einkunftsquellen nicht zu eng, sondern z. B. in einer „insbesondere“ bzw. Regelbeispiel-­Logik zu  Vgl. hierzu Fn. 16 sowie aus ebenso aus jüngerer Zeit Sommer/Sediqi, FR 2018, 67 (72) und bereits z. B. Schneider/Sommer, FR 2014, 537; Adrian/Weiler, BB 2014, 1303. 45  So im Ergebnis wohl auch Rödder/Schumacher, Ubg 2018, 5 (7), eher auf Eigenkapital statt Aktiva abstellend. 44

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definieren und von Verwaltung (u.  U. auch verbindlich verauskunftbar) und Rechtsprechung weiter auszuprägen wäre. –– Erst wenn sich auch die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft (statt nur die Anteilseignerschaft) ändert, ist es angezeigt, von einer steuerlichen Motivation des Anteilserwerbs auszugehen und entsprechend zu sanktionieren (soweit nicht die eigene „tax capacity“ der Ziel- bzw. Verlustvortragsgesellschaft reicht, vgl. Stille Reserve-Klausel, § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG). –– In der Folge wäre die Mantelkaufvorschrift auch verfassungsrechtlich abgesichert (Eliminierung des fiskalischen Risikos einer Unvereinbarkeitserklärung auch von § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG, vermutlich ebenfalls nicht rückwirkend heilbar). –– Schließlich würde der Ersatz der starren 5-Jahres-Frist um das quantitative Kriterium überwiegende Betriebsvermögenszuführung (im Zusammenhang mit dem mehrheitlichen Anteilserwerb) das (vermutlich nicht gerade niedrige) Missbrauchspotenzial aus zeitlich gestreckten Erwerben adressieren, das derzeit gerade infolge der ersatzlosen Abschaffung von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG besteht (Unschädlichkeit von zwei 50  %-Erwerben innerhalb von 5 Jahren und einem Tag, einfache Monetisierbarkeit von Verlustvortragsgesellschaften mit aufgeräumter Passivseite, z. B. bei rein eigenkapitalfinanzierten defizitären Investitionen). Eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich des auch bereits in § 8 Abs. 4 KStG a. F. verwendeten Begriffs „Zusammenhang“ ist hierbei hinzunehmen bzw. sogar zu begrüßen, um insoweit Grenzverhalten der Steuerpflichtigen zu entmutigen (Aufgriff von „Ausreißern“ durch Finanzverwaltung und Rechtsprechung). • §  8d KStG ist unverändert als Parallelregelung gerade für die Private  Equitybzw. Wagniskapitalbeteiligungsbranche fortzuführen, die besonders von „change of control“-Tatbeständen betroffen sein mag (regelmäßige Finanzierungsrunden etc.). Sollte man den Anwendungsbereich erweitern wollen („Goodie“ des Erhalts von Verlustvorträgen auch über die eigene tax capacity der Verlustgesellschaft hinaus, die bereits in der Stille Reserve-Klausel reflektiert ist, selbst bei Zuführung überwiegend neuer Einkunftsquellen vom neuen Mehrheitseigentümer – erst dann wäre die neue Mantelkaufvorschrift im Gegensatz zu der gegenwärtigen Regelung des § 8c KStG ja überhaupt tatbestandsmäßig –, die im Übrigen eine gewisse Steuermotivierung indiziert), wäre zunächst die Ausgrenzung von Organträgern und Mitunternehmern zu beenden und sodann z. B. im Wege eines BMF-Schreiben auf ein weites Geschäftsbetriebsverständnis hinzuwirken. • Neben den Mantelkaufregelungen der §§ 8c, 8d KStG ist die Mindestgewinnbesteuerung des § 10d Abs. 2 EStG reformbedürftig. Sie entfaltet steuersystematisch unvertretbare und anreiztheoretisch schädliche Belastungswirkungen und sollte ratierlich abgeschafft werden, z. B. zunächst für Neuverluste oder in Höhe von 5 %-Punkten p.a.

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–– Auch angesichts der Rechtsprechung des Großen BFH-Senats zur Unvererbbarkeit einkommensteuerlicher Verlustvorträge und der Dominanz der vielen Hundert Milliarden Verlustvorträge im öffentlichkeitswirksamen finanzpolitischen Diskurs mag es angezeigt scheinen, begleitend die Nutzbarkeit von Verlustvorträge durch Kapitalgesellschaften auf einen Zeitraum von 30 Jahren zu begrenzen (Ratio eines fiktiven Erbfalls der Körperschaft alle 30 Jahre). –– Hierfür spricht auch, dass nach einer Übergangszeit von weiteren 10 Jahren dann auch etwaige Verluste aus Beteiligungsabschreibungen verfristet wären (letztmalig im Veranlagungszeitraum 2000) und ein weiteres Jahrzehnt später dies auch für die finanzkrisenbedingten negativen Einkünfte gelten würde.

5.7  Fazit und Ausblick Auch wenn dies aus  fiskalischer Risikovorsorgesicht  wenig  nachvollziehbar  ist, wird sich der Gesetzgeber realistischerweise mit einer etwaigen Neuregelung der Mantelkaufvorschriften ernsthaft erst wieder nach der BVerfG-Entscheidung zu § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG a. F. befassen (Richtervorlage zum Untergang von Verlustvorträgen aufgrund eines mehrheitlichen Anteilseignerwechsels ohne jedwede Änderung der wirtschaftlichen Identität der Gesellschaft). Entweder zwingt Karlsruhe Berlin zum Handeln oder die Minsterialbürokratie kann den Gesetzgeber zumindest auf gesicherter verfassungsrechtlicher Basis beraten. Ratsamerweise würden im Rahmen eines „Evolution statt Revolution“-Ansatzes die „bekannten und bewährten“ Komponenten von § 8c KStG n. F. einerseits und § 8 Abs. 4 KStG a. F. miteinander kombiniert. Neben dem Festhalten an dem Mittelbarkeits- und erwerberbezogenen Konzept sowie der Stille Reserve-Klausel des § 8c KStG hieße dies insbesondere, die starre 5-Jahres-Frist, die insbesondere nach der Abschaffung von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG zu missbrauchsverdächtigen Gestaltungen geradezu einlädt (über fünf Jahre gestreckter Erwerb einer eigenkapitalfinanzierten Insolvenzgesellschaft), durch das kumulative Tatbestandsmerkmal „Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens“ zu ersetzen, das, wenn in Zusammenhang mit einem Mehrheitserwerb erfolgt, bereits in § 8 Abs. 4 KStG a. F. eine veränderte wirtschaftlichen Identität mit der Folge des Untergangs der Verlustvorträge indizierte. Wird diese Weichenstellung in Richtung einer quantitativen Bestimmung missbrauchsverdächtiger Gestaltungen erst einmal unternommen, spricht sicherlich nichts gegen eine Fortgeltung gewisser Bereichsausnahmen für den Sanierungs- sowie Private Equity- bzw. Wagniskapitalbeteiligungsbereich im Hinblick gerade auf junge Unternehmen (§§ 8c Abs. 1a, 8d KStG), solange ein wie auch immer definierter Geschäftsbetrieb oder Unternehmensgegenstand keine darüber hinausgehende Bedeutung erlangt, der bereits in mittelgroßen Unternehmensverbünden kaum rechtssicher handzuhaben oder wirtschaftspolitisch sinnvoll zu bestimmen sein dürfte. Insgesamt wäre mit einem solchen Regelungskonzept, das auf den steuerwissenschaftlichen Erkenntnissen und besteuerungspraktischen Erfahrungen im In- und

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Ausland aufbauen könnte, ein ausgewogener Ausgleich der gesetzgeberischen Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen auf der einen Seite sowie der Minimierung von Kollateralschäden auf der anderen Seite erzielt, und zwar unter Einhaltung der Nebenbedingung Verwaltungspraktikabilität, und den berechtigten Interessen des Fiskus. Ebenso würde dem M&A-Steuerstandort Deutschland ein großer Dienst erwiesen. Hierfür müsste der deutsche Gesetzgeber weder alles Vorhandene achtlos über Bord werfen noch das Rad neu erfinden, sondern lediglich bereits existente Puzzle-Teile der Gegenwart und Vergangenheit neu zusammensetzen.

Literatur Adrian, Gerrit/Weiler, Dennis, Unterjähriger Beteiligungserwerb, Konzernklausel und Stille-­ Reserven-­Klausel, BB 2014, 1303–1312. Bach, Stefan, Warum sind alte Steuern gute Steuern? – Canard`sche Steuerregel und neue Theorieansätze, Wirtschaftsdienst 1994, 151–156. Dorenkamp, Christian, Mantelkaufsvorschrift in einer Welt nach § 8c KStG, FR 2018, 83–87. Dorenkamp, Christian, Systemgerechte Neuordnung der Verlustverrechnung – Haushaltsverträglicher Ausstieg aus der Mindestbesteuerung, ifst-Schrift 461, Düsseldorf 2010. Drüen, Klaus-Dieter/Schmitz, Stefan, Verfassungskonforme Auslegung des § 8c KStG in Altfällen, Ubg 2011, 921–928. Eisgruber, Thomas/Schaden, Michael, Vom Sinn und Zweck des § 8c KStG – Ein Beitrag zur Auslegung der Norm, Ubg 2010, 73–84. Ernst, Markus, Neuordnung der Verlustnutzung nach Anteilseignerwechsel – Reformbedarf und haushaltspolitische Bedeutung des § 8c KStG, ifst-Schrift 470, Düsseldorf 2011. Ernst, Markus/Roth, Hans-Peter, Der Vorhang zu und alle Fragen offen – Zur (Un-)Vereinbarkeit von § 8c KStG mit Verfassungsrecht nach der „Paukenschlag“-Entscheidung des BVerfG, Ubg 2017, 366–377. Fertig, Andreas, Verlustabzug bei Körperschaften (§§ 8c, 8d KStG) – viel Lärm um nichts? Ubg 2019, 521–530. Gosch, Dietmar, Nur ein paar Worte zu den Verlustabzugsbeschränkungen des § 8c KStG nach dem BVerfG-Verdikt, GmbHR 2017, 695–700. von Hayek, Friedrich August, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Kiel 1968. Herrmann, Carl/Heuer, Gerhard/Raupach, Arndt, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz. Kommentar, Loseblatt, Köln, Stand: Mai 2019. (zitiert: Hermann/Heuer/Raupach/Bearbeiter) Hohmann, Carsten, Beschränkung des subjektbezogenen Verlusttransfers im Kapitalgesellschaftsteuerrecht, Teilband II, Berlin 2017. Holle, Florian/Weiß, Martin, Körperschaftsteuerliche Verlustverrechnung  – Änderung des § 8c KStG im „Jahressteuergesetz 2018“, DB 2018, 3008–3011. Kessler, Wolfgang/Egelhof, Julian/Probst, Dominik, Auswirkungen des BVerfG-Beschlusses v. 29.3.2017 auf § 8c Abs. 1 S. 1 KStG iVm § 8d KStG und § 8c Abs. 1 S. 2 KStG, DStR 2017, 1289–1297. Lang, Joachim, Verfassungswidrigkeit des § 8c KStG – eine Bestandsaufnahme, GmbHR 2012, 57–63. Ott, Klaus/Wilmroth, Jan, Teures Nachspiel, Süddeutsche Zeitung v. 27.04.2018, S. 19. Rödder, Thomas/Schumacher, Andreas, Auch der Begriff des schädlichen Beteiligungserwerbs muss nach dem Beschluss des BVerfG in § 8c KStG neu geregelt werden, Ubg 2018, 5–9. Röder, Erik, Der neue § 8d KStG und die Fortführung des Geschäftsbetriebs: Verlustnutzung mit unternehmerischer Entwicklung vereinbar – auch in Sanierungsfällen, DStR 2017, 1737–1743.

5  Verlustvorträge und Unternehmenskauf – Steuerreformerische Empfehlungen für …

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Röder, Erik, Weiterentwicklung der Regelungen zur Verhinderung von Mantelkaufgestaltungen nach der Entscheidung des BVerfG zu § 8c KStG FR 2018, 52–64. Schneider, Norbert/Sommer, Ulrike, Der Entwurf des neuen BMF-Schreibens zu § 8c KStG, FR 2014, 537–544. Sommer, Ulrike/Sediqi, Emran, Ausgewählte Aspekte des aktualisierten BMF-Schreibens zu § 8c KStG, FR 2018, 67–75. Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 10.2, Finanzen und Steuern: Gewerbesteuer 2012, Wiesbaden 2017, online abrufbar unter:  https://www.destatis.de/GPStatistik/servlets/ MCRFileNodeServlet/DEHeft_derivate_00032427/2141020127004.pdf (zuletzt geprüft am 05.06.2019). Statistisches Bundesamt, Jährliche Körperschaftsteuerstatistik 2012, Wiesbaden 2016, online abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Unternehmenssteuern/Publikationen/Downloads-Koerperschaftsteuern/koerperschaftsteuerstatistik-jahr-5799701127004. pdf?__blob=publicationFile&v=5 (zuletzt geprüft am 05.06.2019). Suchanek, Markus, Anmerkung zu BVerfG, Beschluss v. 29.03.2017  – 2 BvL 6/11, FR 2017, 587–590. Suchanek, Markus/Rüsch, Gary, Zweifelsfragen bei § 8d KStG, GmbHR 2018, 57–63. Tiedchen, Susanne, Der Verlustabzug bei Kapitalgesellschaften nach der Entscheidung des BVerfG zu § 8c KStG, StuW 2019, 173–181. Tipke, Klaus, Die Steuerrechtsordnung, Band 2, 2. Auflage, Köln 2003.

Kapitel 6

Steuervollzug und gerichtliche Kontrolle in Zeiten der Digitalisierung Rudolf Mellinghoff

Inhaltsverzeichnis 6.1  E  inleitung  6.2  Steuervollzug  6.2.1  Deklaration  6.2.1.1  Digitale Deklarationspflichten  6.2.1.1.1  Keine verfassungsrechtlichen Bedenken  6.2.1.1.2  § 147 Abs. 6 AO  6.2.1.1.3  Datensammlungen  6.2.1.1.4  § 146a AO  6.2.1.2  Standardisierte Datenübermittlung (E-Bilanz, etc.)  6.2.1.2.1  E-Bilanz  6.2.1.2.2  Rechtsprechung  6.2.1.2.3  Elektronische Rechnung  6.2.1.3  Zusammenfassung  6.2.2  Verifikation  6.2.2.1  Datenabgleich  6.2.2.2  Digitale Außenprüfung  6.2.2.2.1  Digitale Betriebsprüfung in der Rechtsprechung  6.2.2.2.2  Zukunft  6.2.2.2.3  Risikomanagement  6.2.2.2.4  Vollautomatische Veranlagung  6.2.3  Zusammenfassung und Zukunftsperspektiven  6.2.3.1  Digitalisierung auch für den Steuerpflichtigen  6.2.3.2  Begleitende Betriebsprüfung  6.2.3.3  Zugang zu Daten und Programmen der Finanzverwaltung  6.3  Gerichtsverfahren  6.3.1  Elektronischer Rechtsverkehr  6.3.1.1  Digitale Kommunikation  6.3.1.2  Elektronische Akte 

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R. Mellinghoff (*) Präsident des Bundesfinanzhofs, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 W. Schön, J. Schindler (Hrsg.), Reformfragen des deutschen Steuerrechts, MPI Studies in Tax Law and Public Finance 9, https://doi.org/10.1007/978-3-662-60057-3_6

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154 6.3.2  Entscheidungsfindung  6.3.2.1  Recht in deutscher Sprache  6.3.2.2  Kontrolle computergestützter Rechtsanwendung  6.3.2.3  Richterassistenzsysteme  6.4  Daten als Voraussetzung der Digitalisierung  6.4.1  Datenmenge  6.4.2  Datenschutz  6.4.3  Reformbedarf im Datenschutzrecht?  Literatur 

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6.1  Einleitung In einer Vortragsreihe „Reformfragen des deutschen Steuerrechts“ darf das Thema der Digitalisierung nicht fehlen. Zwar ist das Thema der elektronischen Datenverarbeitung nicht neu, und viele Fragen die uns heute im Zusammenhang mit der Digitalisierung beschäftigen sind bereits in den 1970er-Jahren erörtert worden.1 So befasste sich schon 1970 der Deutsche Juristentag mit den Problemen der Datenverarbeitung in Recht und Verwaltung, und im Bundesministerium der Justiz wurde eine Arbeitsgruppe für Datenverarbeitung eingerichtet.2 Aber erst in jüngerer Zeit ermöglichen die technischen Voraussetzungen eine erfolgversprechende Digitalisierung im Steuerrecht. Die Hardware wird immer kleiner und leistungsfähiger. Riesige Datenmengen können mithilfe moderner Computer verarbeitet werden. Internet, große Netzwerke und Cloud Computing ermöglichen jederzeit den Zugriff auf die Daten an jedem Ort der Erde. Big Data, machine und deep learning, matching, data minig, Blockchain, künstliche Intelligenz, smart contracts, predictive analysis, Steuer-Bots oder mapping sind Begriffe, die Einzug in die moderne Rechtswissenschaft halten. Die Digitalisierung spielt im Steuerrecht eine immer größere Rolle. Wie immer ist die Privatwirtschaft der Vorreiter dieser Entwicklung. Die Steuerabteilungen vieler großer Unternehmen widmen sich dem digitalen Daten- und Prozessmanagment. Alle großen Beratungsgesellschaften setzen auf die digitale Transformation, arbeiten an digitalen Innovationen und richten spezielle Teams aus Juristen und Technologieexperten für die Entwicklung eigener Softwaremodelle und die Beratung digitaler Produkte ein.3 Der Markt an Legal Tech Unternehmen wächst von Jahr zu Jahr. Dagegen nehmen sich die Veränderungen im staatlichen Bereich eher bescheiden aus. Zwar müssen die Deklarationspflichten heute schon weitgehend digital erfüllt

1  Raisch, JZ 1970, 433 m. w. N.; vgl. auch Fiedler/Barthel/Voogd, Untersuchungen zur Formalisierung im Recht als Beitrag zur Grundlagenforschung juristischer Datenverarbeitung (UFORED), Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen Nr. 3180, 1984. 2  Kritisch dazu Rave, KJ 1970, 470 m. w. N. 3  Vgl. z. B.: o.V., Tax Technology Innovation, https://www2.deloitte.com/de/de/pages/tax/articles/ tax-tech‌no‌logy-innovation.html (zuletzt geprüft am 09.06.2019); o.V., Künstliche Intelligenz im Steuerbereich, https://www.wts.‌c‌o‌m‌/‌de-de/insights/kuenstliche-intelligenz-steuer (zuletzt geprüft am 09.06.2019); Anger, Handelsblatt v. 04.06.2012, S. 12.

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werden und in der Betriebsprüfung arbeitet man mit digitalen Programmen. Große Innovationssprünge sind bisher jedoch noch nicht erkennbar. Auch in der Justiz geht es zunächst um den elektronischen Rechtsverkehr und die elektronische Akte, die jedoch schwerpunktmäßig nur die bisherige papiergestützte Akte durch elektronische Versionen ersetzen soll. Im Folgenden sollen weniger die Visionen und Prognosen behandelt werden. Vielmehr geht es zunächst darum, den aktuellen und absehbaren Stand der Digitalisierung in der Steuerverwaltung und der Justiz in den Blick zu nehmen.

6.2  Steuervollzug Die Digitalisierung hat schon seit einigen Jahren Einzug in den Steuervollzug gehalten. Begonnen hat es mit den digitalen Deklarationsverpflichtungen. Gegenwärtig steht die digitale Außenprüfung im Mittelpunkt des Interesses. Im Besteuerungsmodernisierungsgesetz4 sind weitere Schritte des digitalen Steuervollzugs wie das Risikomanagement, der voll automatisierte Steuerbescheid oder die Bekanntgabe von elektronischen Verwaltungsakten mittels Datenabruf geregelt worden. Die Digitalisierung birgt aber weiteres Potenzial in der Zukunft.

6.2.1  Deklaration 6.2.1.1  Digitale Deklarationspflichten 6.2.1.1.1  Keine verfassungsrechtlichen Bedenken Die digitalen Deklarationspflichten sind schon früh geregelt worden. Seit 2005 mussten zunächst Steueranmeldungen und seit 2011 zahlreiche Steuererklärungen digital übermittelt werden. Anfangs stießen diese Pflichten auf Skepsis und Ablehnung; es wurden auch verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Unter Hinweis auf die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung haben die Gerichte entsprechende Rechtsbehelfe zurückgewiesen.5 Heute ist die elektronische Steuererklärung selbstverständlich. Zwar besteht für Steuerpflichtige, die ausschließlich Überschusseinkünfte erzielen, gegenwärtig noch keine Pflicht zur Abgabe elektronischer Steuererklärungen. Unabhängig davon werden schon heute etwa 75 % aller Einkommensteuererklärungen elektronisch abgegeben; im unternehmerischen Bereich beträgt der Anteil 97  %.6 Wenn der  Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens v. 18.07.2016 (BGBl. I 2016, 1679).  BFH, Urt. v. 14.03.2012 – XI R 33/09, BStBl. II 2012, 477; Beschl. v. 15.12.2015 – V B 102/15, BFH/NV 2016, 373; Beschl. v. 14.2.2017 – VIII B 43/16, BFH/NV 2017, 729. 6  Zahlen auf https://blog.elster.de/wordpress/daten-und-fakten/ (Stand 02/2019). 4 5

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Gesetzgeber die Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen weiter ausdehnen sollte, dürften hiergegen keine verfassungsmäßigen Bedenken bestehen, solange es eine Befreiungsmöglichkeit gibt, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. 6.2.1.1.2  § 147 Abs. 6 AO Der Datenzugriff des Finanzamts auf die Daten des Steuerpflichtigen im Rahmen der Außenprüfung ist in § 147 Abs. 6 AO geregelt. Diese Vorschrift ermöglicht nicht nur den unmittelbaren Zugriff auf das Datenverarbeitungssystem selbst, sondern auch den mittelbaren Datenzugriff bei dem Steuerpflichtigen nach Vorgaben des Prüfers und die Überlassung der Daten auf einem Datenträger. Außerdem ermöglicht § 147 Abs. 6 Satz 3 AO den Zugriff auf Daten des Steuerpflichtigen, die sich bei einem Dritten (z. B. Steuerberater) befinden.7 Dieser Datenzugriff erlaubt keinen beliebigen Zugriff der Finanzverwaltung. Vielmehr ist die Einsichtnahme und damit der Anspruch auf Datenüberlassung auf den Gegenstand der Außenprüfung und die aufbewahrungspflichtigen Unterlagen beschränkt.8 Zwar ist umstritten, ob die Finanzverwaltung den Zugriff auf freiwillig gefertigte Einzelaufzeichnungen in der Datenverarbeitung hat, denn grundsätzlich hat der Steuerpflichtige den Zugriff nur auf solche Daten zu gewähren, die unter § 147 Abs. 1 AO fallen, nicht aber auf sonstige Daten, die bei ihm vorhanden sind.9 Auf der anderen Seite ist der Steuerpflichtige nicht berechtigt, gegenüber der Außenprüfung bestimmte Einzelkonten (z.  B.  Drohverlustrückstellungen, nicht abziehbare Betriebsausgaben, organschaftliche Steuerumlagen) zu sperren, die aus seiner Sicht nur das handelsrechtliche Ergebnis, nicht aber die steuerliche Bemessungsgrundlage beeinflussen.10 Letztendlich dürfte die Frage in Zukunft keine große Rolle mehr spielen, denn über kurz oder lang werden die Daten in vernetzten Systemen kaum noch zu trennen sein. Werden steuerrelevante und nicht steuerrelevante Daten ununterscheidbar vermengt, kann der Steuerpflichtige den Zugriff auf die Daten nicht verweigern.11 6.2.1.1.3  Datensammlungen Neben der Datenerhebung beim Steuerpflichtigen ermächtigt die Abgabenordnung gem. § 88a AO zur Anlage umfangreicher Datensammlungen und nach § 88b AO zu einem Datenaustausch zwischen den Finanzbehörden des Bundes und der Länder. § 88a AO enthält eine Ermächtigung, vorhandene Daten auch für Zwecke zukünfti Peters, DB 2018, 2846.  Tipke/Kruse/Drüen, § 147 AO Rn. 69a, 71. 9  BFH, Urt. v. 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452; für einen weitergehenden Zugriff: Klein/Rätke, § 147 AO Rn. 62. 10  BFH, Beschl. v. 26.09.2007 – I B 53/07 u. 54/07, BStBl. II 2008, 415. 11  BFH, Urt. v. 16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519. 7 8

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ger Besteuerungsverfahren zu verarbeiten. Erkenntnisse aus Prüfungen oder aufgrund anderer steuerlicher Verfahren dürften auf diese Weise insbesondere zur Gewinnung von Vergleichswerten gesammelt und verwendet werden. Die Verpflichtungen zu den elektronischen Deklarationspflichten, die immer weiter zunehmende Nutzung der elektronischen Steuererklärung (ELSTER) und die aus dem Ausland übermittelten Finanzkonten-Daten bilden die wesentliche Grundlage für die Datensammlungen der Finanzverwaltung.12 Damit schafft sich die Finanzverwaltung jedenfalls im unternehmerischen Bereich und bei den Kapitalkonten eine relativ umfassende Datengrundlage für die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens. 6.2.1.1.4  § 146a AO Wie schwer sich der Gesetzgeber aber im Bereich des Ermittlungsverfahrens mit Reaktionen auf Missständen durch die Digitalisierung tut, zeigt das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen,13 das insbesondere § 146a AO in die Abgabenordnung einführte. Damit hat der Gesetzgeber auf die technischen Möglichkeiten reagiert, digitale Aufzeichnungen von steuerlich relevanten Geschäftsvorfällen insbesondere in bargeldintensiven Branchen, z. B. durch Einsatz entsprechender Software (sog. Phantomware oder Zapper), zu manipulieren.14 Nunmehr soll mit den Anforderungen an neue zertifizierte technische Sicherheitseinrichtungen sichergestellt werden, dass sämtliche digitale Grundaufzeichnungen protokolliert werden und nicht nachträglich manipuliert werden können. Der Gesetzgeber hat sich für eine „technologieneutrale“ Lösung entschieden,15 die teilweise als kompliziert und schwierig zu administrieren angesehen wird. Ein wesentlicher Mangel besteht jedoch darin, dass zahlreiche Steuerpflichtige von dieser Vorschrift nicht erfasst sind, weil Voraussetzung für den Anwendungsbereich ist, dass überhaupt aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfälle vorliegen. Insbesondere bei Steuerpflichtigen, die den Gewinn durch Einnahmen-­ Über­ schussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, ist § 146a AO häufig nicht anwendbar. Ebenfalls nicht anwendbar ist die Ordnungsvorschrift für den gleichfalls sehr manipulationsanfälligen Einsatz von Taxametern oder Geld- und Warenspielgeräten.16 Schließlich können weiterhin sog. offene Ladenkassen verwendet werden, weil § 146a AO nicht dazu verpflichtet, elektronische Aufzeichnungssysteme einzusetzen.

 Tipke/Kruse/Seer, § 88a AO Rn. 5.  Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen v. 22.12.2016 (BGBl. I 2016, 3152). 14  Dazu Becker, DB 2016, 1090. 15  Vgl. Tipke/Kruse/Drüen, § 146a AO Rn. 2. 16  Vgl. Tipke/Kruse/Drüen, § 146a AO Rn. 1. 12 13

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6.2.1.2  Standardisierte Datenübermittlung (E-Bilanz, etc.) Die vorhandenen Daten müssen strukturiert vorliegen, um sie für den Besteuerungsvollzug effizient nutzen zu können. Eine Strukturierung der Daten ist uns aus der E-Bilanz, dem Common Reporting Standard oder dem Rechnungsformat für die elektronische Rechnung bekannt. Die Standardisierung im Zusammenhang mit den Steuererklärungspflichten dient der weiteren digitale Bearbeitung, der Vergleichbarkeit von wirtschaftlichen Vorgängen und der elektronischen Überprüfung von Steuererklärungen durch die Finanzverwaltung. Insbesondere ermöglicht diese Strukturierung routinemäßige maschinelle Abgleiche und Plausibilitätsprüfungen. Das bedeutet, dass in steuerlichen Massenverfahren eine wesentlich höhere Kontrolldichte erreicht werden kann als durch eine rein personelle Bearbeitung der Gewinnermittlungen. 6.2.1.2.1  E-Bilanz Besonders intensiv diskutiert wird die E-Bilanz, bei der die Steuerpflichtigen Daten elektronisch nach einem amtlichen Datenschema – der sogenannten Taxonomie – zu übermitteln haben. Der Umfang dieser Taxonomien geht sowohl über die Gliederungsschemata der §§  266, 275 HGB als auch über die bisher in Papier-­ Jahresabschlüssen übliche Untergliederungstiefe weit hinaus.17 Als Rechtsgrundlage für die Taxonomie soll § 51 Abs. 4 Nr. 1b EStG dienen, bei dem es sich aber nicht um eine auf Art. 80 GG gestützte Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Rechtsverordnung handelt. Deshalb ist die Rechtsgrundlage für die vom BMF geforderte Taxonomie nach wie vor nicht gesichert.18 6.2.1.2.2  Rechtsprechung Der Bundesfinanzhof hat zwar bisher nicht konkret zur Strukturierung digitaler Daten entschieden, aber die Standardisierung im Zusammenhang mit der Verkennzifferung der Steuererklärungsvordrucke grundsätzlich gebilligt. Die maschinelle Prüfung von Steuererklärungen bietet sowohl quantitative als auch qualitative Vorteile.19 Gleichzeitig betont der Bundesfinanzhof in seiner Rechtsprechung aber auch, dass der Steuerpflichtige nicht schutzlos gestellt sei. Denn die Grenze der Verhältnismäßigkeit ist überschritten, soweit unzumutbare oder unter keinem steuerlichen Gesichtspunkt erforderliche Fragen gestellt werden.20

 Goldshteyn/Purer, StBp 2011, 185; Graf Kerssenbrock/Kirch, Stbg 2015, 486. Siehe ferner in diesem Band Prinz, 3.3.2.6. 18  Seer, FR 2012, 1000. 19  BFH, Urt. v. 16.11.2011 – X R 18/09, BStBl. II 2012, 129. 20  BFH, Urt. v. 16.11.2011 – X R 18/09, BStBl. II 2012, 129 Rz. 77. 17

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Damit zieht der Bundesfinanzhof eine deutliche Grenze für eine eventuell zu weitgehende Datenerhebung im digitalen Besteuerungsverfahren. Die vom Steuerpflichtigen geforderten Daten müssen der steuerlichen Gewinnermittlung dienen. Soweit die Daten für die Steuererhebung nicht erforderlich sind, ist die Anforderung dieser Daten unverhältnismäßig. Darüber hinaus darf die vom Steuerpflichtigen geforderte einheitliche Systematisierung der angeforderten Daten nicht unzumutbar sein. Diese beiden Anforderungen dienen dazu, der Finanzverwaltung Grenzen für den Umfang der Datenerhebung aufzuzeigen. Die E-Bilanz bereitet daher keine Probleme, soweit sie zur Übermittlung strukturierter Daten verpflichtet. Die Bedenken richten sich eher gegen die äußerst umfangreiche Taxonomien, die möglicherweise keine hinreichende gesetzliche Grundlage hat und die Frage aufwirft, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.21 Generell erscheint das Problem einer vorgegebenen Datenstrukturierung heut immer weniger relevant zu sein. Es gibt bereits mächtige Softwareprogramme, die in der Lage sind, unstrukturierte Daten auszulesen und in Datenstrukturen zu überführen. In diesem Fall ist es nicht mehr erforderlich, dass die Daten der Finanzverwaltung in strukturierter Form übermittelt werden. Allerdings würde dies einen weitreichenden Zugriff auf Unternehmensdaten voraussetzen, der nach geltender Rechtslage nicht unproblematisch ist, weil der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, der Finanzverwaltung einen umfassenden Datenzugriff auf alle Unternehmensdaten zu gewähren. 6.2.1.2.3  Elektronische Rechnung Ein weiterer Schritt in Richtung der Digitalisierung der Besteuerung ist die elektronische Rechnung. Insbesondere im Umsatzsteuerrecht besteht ein großes Bedürfnis für die elektronische Rechnungstellung.22 Der Gesetzgeber hat seit 2011  in §  14 Abs.  1 UStG die elektronische Rechnung der klassischen Papierrechnung gleichgestellt, um so die Vorteile digitaler Rechnungen nutzen zu können. Früher musste der Empfänger noch die Echtheit und Unversehrtheit der Rechnung gegenüber dem Finanzamt durch ein qualifiziertes digitales Zertifikat nachweisen. Inzwischen gibt es mit ZUGFeRD (Akronym für: Zentraler User Guide des Forums elektronische Rechnung Deutschland) eine Spezifikation für das gleichnamige Format elektronischer Rechnungen. Das in Zusammenarbeit mit Verbänden, Ministerien und Unternehmen entwickelte Format der digitalen Rechnung basiert auf einem Standard, der von dem europäischen Standardisierungsgremium entwickelt wurde und das für den internationalen Datenverkehr verwendet werden kann.23 Deutschland schöpft das Potenzial einer elektronischen Rechnung im Bereich des Steuervollzugs bisher nicht aus. Andere Länder wie Italien sind hier Vorreiter. Seit 2017 ist es in Italien bereits möglich, Rechnungen im sog. „­ Clearance-­Verfahren“  Kulosa, FS BFH (2018), S. 1831 (1842 m. w. N.).  Groß/Heinrichshofen, UVR 2018, 236; Matheis, UVR 2016, 317. 23  Vgl. Engel-Flechsig, DB Beilage Nr. 4/2016, 28. 21 22

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über eine zentrale Plattform der Finanzverwaltung an den jeweiligen Rechnungsempfänger zu übermitteln. Seit Anfang 2019 verpflichtet Italien die Unternehmen, Rechnungen flächendeckend elektronisch auszustellen und über das offizielle Austauschsystem „Sistema di Interscambio“ (SdI) zu versenden.24 Voraussetzung hierfür war die Berechtigung Italiens, abweichend von Art. 232 MWStSystRL nur noch elektronische Rechnungen zu akzeptieren. Hierfür hat der Europäische Rat der Italienischen Republik mit Beschluss vom 16.04.201825 den Weg frei gemacht. Für kleinere Unternehmen soll die Möglichkeit geschaffen werden, die entsprechenden Rechnungsdaten kostenlos über eine Weboberfläche einzugeben und abzurufen. Größere Unternehmen sollen hingegen über ihr ERP-System die Möglichkeit erhalten, eine direkte Anbindung an SdI zu implementieren, um auf diese Weise Rechnungen und die korrespondierenden Rückmeldungen automatisch zu verarbeiten.26 Da Steuerhinterziehung und Betrug im Bereich der Mehrwertsteuer in Europa bis heute nicht wirksam bekämpft werden konnten, wird die Evaluierung der verpflichtenden elektronischen Rechnung über ein Portal der Finanzverwaltung von besonderem Interesse sein. Sollte sich zeigen, dass diese Regelung ein Erfolg ist, darf mit einer Einführung zumindest auf europäischer Ebene gerechnet werden. 6.2.1.3  Zusammenfassung Betrachtet man die digitalen Deklarationspflichten und die Datenermittlung der Finanzverwaltung, zeigt sich ein durchwachsenes Bild. Lediglich in Teilbereichen werden die Voraussetzungen für einen weitgehend digitalen Steuervollzug geschaffen. Es gibt noch zahlreiche Lücken in der digitalen Datenerhebung bei den Steuerpflichtigen. In der geltenden Abgabenordnung fehlt es darüber hinaus an Regelungen, die der Finanzverwaltung explizit den Einsatz neuartiger digitaler Programme ermöglichen. §  88a und §  88b AO liefern zwar eine Ermächtigung zur Anlegung von Datensammlungen, auf die auch länderübergreifend zurückgegriffen werden kann. Angesprochen wird in § 88a AO aber nur die Gewinnung von Vergleichswerten und die allgemeine Verwendung im Besteuerungsverfahren. Der Einsatz

 Groß/Heinrichshofen, UVR 2018, 236; vgl. Kraeusel, UVR 2018, 225.  Durchführungsbeschluss (EU) 2018/593 des Rates v. 16. April 2018 zur Ermächtigung der Italienischen Republik, eine von den Artikeln 218 und 232 der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem abweichende Sondermaßnahme einzuführen, ABl L99 v. 19.04.2018, 14. 26  Auch Spanien hat 2017 ein „System zur unmittelbaren Übermittlung von Informationen – SII“ („Sistema de Suministro Inmediato de Informacion“) eingeführt, wonach der spanische Fiskus Unternehmen dazu verpflichtet, bestimmte umsatzsteuerrelevante Angaben zu Aus- und Eingangsrechnungen zeitnah an das Finanzamt zu übermitteln. 24

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von künstlicher Intelligenz, machine learning, profiling und ähnliche Verwendungsmöglichkeiten sind davon nicht umfasst.

6.2.2  Verifikation 6.2.2.1  Datenabgleich Die Digitalisierung ist zwar mit einer erheblichen Vereinfachung für die Finanzverwaltung und auch mit Erleichterungen für den Steuerpflichtigen verbunden. Die bisherige Rechtsprechung zeigt aber auch, dass die Datenübermittlung fehleranfällig ist, einer regelmäßigen Überprüfung bedarf und die Korrektur von Steuerbescheiden geregelt werden muss. In zahlreichen jüngeren Entscheidungen zu den Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO und der Berichtigungsvorschrift des § 129 AO geht es um die Fehlerkorrektur von fehlerhafter Dateneingabe, unrichtiger Datenübernahme oder unzutreffendem Datenabgleich. Die Verfahren betreffen die Berichtigungsmöglichkeit des § 129 AO bei Abweichen des erklärten Arbeitslohns von dem elektronisch beigestellten Arbeitslohn,27 die manuelle Erfassung der Steuererklärung nach gescheiterter elektronischer Übermittlung (ELSTER),28 Fehler bei der Einrichtung eines Datenverarbeitungsprogramms29 oder die fehlerhafte Eingabe in ein digitales Steuerverwaltungsformular.30 Dabei können sich die Fehler sowohl zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auswirken. So kann sich eine fehlerhafte Eintragung des Steuerpflichtigen auch zu seinen Gunsten auswirken, wenn er seiner Erklärung eine zutreffende Lohnsteuerbescheinigung in Papier beifügt.31 Das Finanzamt ist generell verpflichtet, bei einer Papiererklärung den elektronisch übermittelten und der Steuererklärung beigestellten Arbeitslohn mit dem vom Steuerpflichtigen in der Einkommensteuererklärung erklärten Arbeitslohn abzugleichen.32 Da insbesondere die in zahlreichen Regelungen geregelte Datenübermittlung durch Dritte33 mit Fehlern behaftet sein kann, sind durch das Besteuerungsmodernisierungsgesetz die verfahrensrechtlichen Pflichten der mitteilungspflichtigen

 BFH, Urt. v. 16.01.2018 – VI R 41/16, BStBl. II 2018, 378.  BFH, Beschl. v. 04.03.2016 – IX B 113/15, BFH/NV 2016, 892. 29  BFH, Beschl. v. 29.07.2003 – VII B 384/02, juris. 30  BFH, Urt. v. 26.10.2016 – X R 1/14, BFH/NV 2017, 257. 31  FG Hamburg, Gerichtsbescheid v. 04.10.2018 – 3 K 69/18, juris. 32  BFH, Urt. v. 16.01.2018 – VI R 41/16, BStBl. II 2018, 378. 33  Die Einzelsteuergesetze enthalten zahlreiche Verpflichtungen zur Datenübermittlung durch Dritte: z. B. § 10 Abs. 2a i.V.m. Abs. 2 EStG (Vorsorgeaufwendungen), § 10 Abs. 4b EStG (Steuerfreie Zuschüsse zu Vorsorgeaufwendungen), § 10a Abs. 5 i. V. m. Abs. 2a EStG (Altersvorsorgebeiträge), § 22a Abs. 1 EStG (Rentenbezugsmitteilungen), § 32b Abs. 3 EStG (Lohnersatzleistungen) oder § 50 EStDV (Zuwendungsbestätigung). 27 28

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Dritten in § 93c AO vereinheitlicht worden.34 Diese Regelung ist daher ein wesentlicher Baustein für die Verwirklichung eines vollelektronischen Steuerveranlagungsverfahrens.35 Zwar erleichtert die Übernahme von Daten Dritter die Arbeit der ­Finanzverwaltung, weil automatisch abgeglichen werden kann, ob die Angaben des Steuerpflichtigen zutreffen. Allerdings besteht eben auch das Risiko der Übernahme unzutreffender Daten. Aus diesem Grund sind nunmehr auch weitere Haftungs-, Korrektur- und Verjährungsvorschriften in die Abgabenordnung eingefügt worden.36 Insgesamt ist auch in Zukunft die Übernahme falscher Daten bei der digitalen Besteuerung, der stets auch das Handeln von Menschen zugrunde liegt, nicht zu unterschätzen. Auch in der Digitalisierung sind es vielfach menschliche Unzulänglichkeiten, die zu einer fehlerhaften Besteuerung führen. Datenabgleich und menschliche Kontrolle bleiben daher notwendiger Bestandteil des Besteuerungsverfahrens. 6.2.2.2  Digitale Außenprüfung Bei der digitalen Außenprüfung handelt es sich um einen besonders sensiblen Bereich des digitalen Gesetzesvollzugs. Dies liegt zum einen daran, dass die Finanzverwaltung durch den Datenzugriff auf die digitale Buchführung einen nahezu vollständigen Einblick in die Unternehmen erhält. Die enormen Datenmengen ermöglichen aber nicht nur eine umfassende und vertiefte Prüfung, sondern in zahlreichen Wirtschaftsbereichen vergleichende Prüfungen und Kontrollen, die wesentlich effektiver sind als die bisherigen Verfahren. 6.2.2.2.1  Digitale Betriebsprüfung in der Rechtsprechung Die digitale Außenprüfung wird heute überwiegend in Form einer Datenanalyse mit Hilfe von Softwareprogrammen durchgeführt. Mit Hilfe dieser Programme ist es möglich, große Datenbestände innerhalb kürzester Zeit aufzubereiten und zu analysieren. Ein Teil der Prüfroutinen ist öffentlich zugänglich,37 nicht aber sämtliche von der Finanzverwaltung eingesetzten Prüfroutinen. Auch Wirtschaftsprüfungs-, Steuerberatungs- und Rechtsberatungsgesellschaften bieten heute an, ihre Mandanten

 Seer, StuW 2015, 315 (326).  Tipke/Kruse/Seer, § 93c AO Rz. 1. 36  Z. B. Anpassung der elektronischen Kommunikation und Datenübermittlung (§§ 87a ff. AO); ein Haftungstatbestand für Dritte bei Datenübermittlungen an die Finanzbehörden (§  72a AO), eine Ablaufhemmung bei Drittdatenübermittlung (§ 171 Abs. 10a AO), eine Korrekturnorm für Steuerbescheide bei Datenübermittlung durch Dritte (§  175b AO) und eine Berechtigung zur Außenprüfung bei einer Datenübermittlung durch Dritte (§ 203a AO). 37  Die Finanzverwaltung benutzt das Programm IDEA in Verbindung mit AIS Tax Audit der Firma audicon (https://audicon.net/software/idea-solutions/idea/). 34 35

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anhand vordefinierter Prüfroutinen auf Betriebsprüfungen vorzubereiten und diese zu simulieren. Für die gerichtliche Kontrolle ist derzeit der Einsatz mathematisch-statistischer Methoden in der Außenprüfung von besonderer Bedeutung. Insbesondere die Summarische Risikoprüfung sorgt gegenwärtig für Diskussionen. Schon die zutreffende Beschreibung dieser Prüfungsmethode scheint Schwierigkeiten zu bereiten. Vehemente Verfechter dieser Prüfungsmethode werfen anderen Autoren vor, dass die Summarische Risikoprüfung häufig unkorrekt beschrieben und entscheidende Merkmale offensichtlich nicht gesehen werden.38 Gegenüber derartigen Vorwürfen verwehren sich Richter des Bundesfinanzhofs mit dem Hinweis, es seien durchaus Methodenkenntnisse vorhanden.39 Die Rechtsprechung und insbesondere der Bundesfinanzhof haben bisher nur wenige Entscheidungen zu dieser Art der digitalen Außenprüfung getroffen. Dabei sind eine ganze Reihe von Themen aufgezeigt worden, die den streitgegenständlichen Zeitreihenvergleich als problematisch erscheinen lassen.40 Denn die Methode führt auch bei einer formell und materiell ordnungsgemäßen Buchführung denklogisch immer zu einem Mehrergebnis gegenüber der Buchführung, weil sie in erheblichem Umfang durch mathematische Hebelwirkungen beeinflusst wird.41 Der Bundesfinanzhof hat gegenüber der Summarischen Risikoprüfung generell rechtsstaatlichen Bedenken erhoben. Die Ergebnisse dieser Art der Prüfung seien für die Steuerpflichtigen, ihre Berater und die Finanzgerichte wegen der dabei anfallenden umfangreichen Datenmengen nur beschränkt überprüfbar. In vielen Fällen lege der Außenprüfer noch nicht einmal das vollständige Zahlenwerk vor, auf das er sich stützt; insbesondere rechnerische Zwischenschritte werden dem Berater oder dem Gericht häufig nicht übermittelt. Zwar sieht der Bundesfinanzhof durchaus das Bedürfnis der Finanzverwaltung, sich auch moderner digitaler Prüfungsmethoden zu bedienen und verwirft daher den Zeitreihenvergleich nicht als grundsätzlich ungeeignete Prüfungsmethode. Allerdings schränkt er deren Anwendung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Form einer „Drei-Stufen-Theorie“ ein: 1. Bei einer formell ordnungsgemäßen Buchführung, die allenfalls geringfügige Mängel aufweist und die Richtigkeitsvermutung des § 158 AO genießt, kann der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit grundsätzlich nicht allein aufgrund des Ergebnisses eines Zeitreihenvergleichs geführt werden. 2. Können bei einer formell nicht ordnungsgemäßen Buchführung materielle Unrichtigkeiten nicht konkret nachgewiesen werden, sind andere Schätzungsmethoden, die die individuellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen berücksichtigen, vorrangig heranzuziehen. 3. Nur wenn solche Schätzungsmethoden nicht sinnvoll einsetzbar sind oder dem Steuerpflichtigen ohne die  Mehret/Wähnert, DStR 2018, 314.  Kulosa, FR 2017, 501. 40  BFH, Urt. v. 25.03.2015 – X R 19/14, BFH/NV 2016, 4; Urt. v. 25.03.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. 41  BFH, Urt. v. 25.03.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. 38 39

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Summarische Risikoprüfung schwerwiegende Mängel nachgewiesen werden können, können die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs Grundlage für eine Schätzung sein.42 Unabhängig davon, ob die im Urteil des Bundesfinanzhofs zum Zeitreihenvergleich hervorgehobenen Probleme nur die dort konkret behandelte Zeitreihenanalyse betreffen,43 bleiben bei allen Formen der Summarischen Risikoprüfung die rechtsstaatlichen Bedenken, die sich aus dem spezifischen Gefährdungspotenzial ergeben, dass jedes komplexe Zahlenwerk in sich trägt. Der Steuerpflichtige und sein Berater kann die ihm präsentierten Ergebnisse nur schwer hinterfragen, so dass es zu den vom Bundesfinanzhof angesprochenen Defiziten in rechtsstaatlicher Hinsicht kommen kann.44 Die mit dem Herrschaftswissen verbundene Vormachtstellung der Finanzverwaltung kann sich zu einer dominanten Verhandlungsmacht entwickeln, die den Steuerpflichtigen auch angesichts des strafrechtlichen Ahndungsrisikos zu ungerechtfertigten Zugeständnissen veranlasst, zumal allgemein bekannt ist, dass Betriebsprüfer intern an ihren Mehrergebnissen gemessen werden.45 Umso wichtiger ist es, dass die Steuerpflichtigen, ihre Berater und anschließend die Finanzgerichte die technisch korrekte Umsetzung der komplexen mathematisch-statistischen Prüfungsmethoden nachvollziehen und kontrollieren können.46 Sowohl der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz des fairen Verfahrens als auch die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes erfordern verfahrensrechtliche Absicherungen, die es dem Steuerpflichtigen ermöglichen, sich tatsächlich und rechtlich mit den von der Finanzverwaltung angewandten Maßnahmen im Allgemeinen und im konkreten Einzelfall auseinanderzusetzen. 6.2.2.2.2  Zukunft Zukünftig wird damit zu rechnen sein, dass die Finanzverwaltung, welche insbesondere mit der Einführung der E-Bilanz die Digitalisierung vorangetrieben hat, den Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) im Bereich von Massendaten in Angriff nimmt. So gab die Hessische Finanzverwaltung im September letzten Jahres bekannt, am Finanzamt Kassel II-Hofgeismar eine Forschungsstelle zur Anwendung Künstlicher Intelligenz einzurichten. Ein Forschungsvorhaben mehrerer Wissenschaftler und IT-Spezialisten der Hessischen Finanzverwaltung soll dort der Frage nachgehen, wie Künstliche Intelligenz eingesetzt werden kann, um große Datenmengen auszuwerten. Konkret sollen zum Ausbau der Digitalen Steuerfahndung die Stellen in der IT-Forensik verdoppelt und über zwei Millionen Euro etwa

 Vgl. auch Tipke/Kruse/Seer, § 158 AO Rz. 20; Kulosa, FS BFH (2018), S. 1831 (1847 f.).  So Mehret/Wähnert, DStR 2018, 314. 44  Krumm, DB 2017, 1105 (1109 f.). 45  Krumm, DB 2017, 1105 (1110); vgl auch Bleschick, DStR 2017, 353 f. 46  Bleschick, DStR 2018, 1050. 42 43

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für noch schnellere Netzwerkrechner und leistungsstarke forensische Software ausgegeben werden. Dieser Schritt könnte ein Vorbild für die gesamte Finanzverwaltung sein. Allerdings setzt dies erheblich mehr Investitionen in hoch qualifiziertes Personal und in entsprechende Ausstattung voraus. Zwar werden in anderen Finanzverwaltungen erste Abteilungen zur systematischen Analyse von Massendaten aufgebaut. Einen flächendeckenden Einsatz von KI-Methoden, unter anderem zur Erkennung von Anomalien in Massendaten für steuerliche Zwecke, gibt es hingegen nicht. Ein Grund hierfür könnte sein, dass zum Teil noch keine ausreichend konkrete Vorstellung von den Möglichkeiten eines Einsatzes der Schlüsseltechnologie KI in der Steuerverwaltung besteht.47 Ein anderer Grund mag sicher darin liegen, dass die Personalgewinnung in diesem Bereich für die Finanzverwaltung eine große Herausforderung darstellt.

6.2.2.2.3  Risikomanagement Ein wesentlicher Baustein des digitalen Besteuerungsverfahrens ist das elektronische Risikomanagement, das der Gesetzgeber im Besteuerungsmodernisierungsgesetz in § 88 Abs. 5 AO geregelt hat. Zwar hat es schon bisher eine selektive Prüfung von Steuerfällen der Finanzverwaltung anhand von Kennzahlen gegeben.48 Ein elektronisches Risikomanagementsystem erweitert jedoch die Möglichkeiten der Finanzverwaltung, sich auf diejenigen Fälle zu konzentrieren, die nach ihrer Auffassung vertieft geprüft werden müssen. Ziele des elektronischen Risikomanagements sind die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug, die Optimierung der Fallbearbeitung bei begrenzter personeller Kapazität der Finanzverwaltung und die Förderung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch bundeseinheitlich abgestimmte Vorgaben.49 Dies erfordert, dass ein elektronisches Risikomanagementsystem risikoarme und risikobehaftete Steuerfälle mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auseinanderhalten muss, um nur diejenigen Fälle auszusteuern, die einer personellen Ermittlung und Prüfung durch Amtsträger zuzuführen sind.50 Die konkrete Ausgestaltung liegt in den Händen der obersten Finanzbehörde. Der Gesetzesvorbehalt erfordert nicht, dass der Gesetzgeber die Einzelheiten und Art und Weise der Ausgestaltung des Risikomanagementsystems im Gesetz regelt.51 Um dem Untersuchungsgrundsatz Rechnung zu tragen, hat das elektronische Risikomanagementsystem mehrere Anforderungen zu erfüllen. Es erfordert eine

 Vgl. auch die anschauliche „Typologie“ durch Prof. Dr. Fettke im Hinblick auf die Rezeption der KI in der Steuerberatungsbranche, siehe Buba, KI in der Steuerberatung, https://www.stb-web.de/ news/article.php/id/18981 (zuletzt geprüft am 09.06.2019). 48  Zaumseil, NJW 2016, 2769 (2772). 49  BT-Drucks. 18/7457, S. 69. 50  Gosch/Roser, § 88 AO Rn. 57. 51  Tipke/Kruse/Seer, § 88 AO Rn. 69; a.A. Baldauf, DStR 2016, 833 (836). 47

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hinreichende Zufallsauswahl von Fällen, die umfassend geprüft werden müssen (§ 88 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AO). Es muss gewährleistet sein, dass die vom elektronischen Risikomanagementsystem ausgesteuerten Fälle personell von einem Amtsträger überprüft werden (§ 88 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AO), und dass Amtsträger unabhängig von der Aussteuerung Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können (§ 88 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 AO). Außerdem bedürfen die Risikomanagementsysteme einer regelmäßigen Überprüfung auf ihre Zielerfüllung (§ 88 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AO). Schließlich schreibt § 88 Abs. 5 Satz 4 AO vor, dass Einzelheiten des Risikomanagementsystems nicht veröffentlicht werden dürfen, soweit die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährdet sein könnte. Diese Geheimhaltungspflicht wird durch das In-Camera-Verfahren gem. §  86 FGO vor den Finanzgerichten flankiert. Das elektronische Risikomanagementsystem wirft eine Reihe von Fragen auf, die von der Finanzgerichtsbarkeit zu klären sind. So stellt sich die Frage, ob das Veröffentlichungsverbot in Verbindung mit dem In-Camera-Verfahren für den Steuerpflichtigen einen hinreichend effektiven Rechtsschutz gewährleistet.52 In der Praxis ist eine längere Geheimhaltung ohnehin kaum zu gewährleisten. Sowohl unautorisierte Veröffentlichungen als auch die systematische Auswertung von Fallaufgriffen durch große Beratungsgesellschaften und Lohnsteuerhilfevereine können zu einem gleichheitswidrigem „Herrschaftswissen“ einzelner Steuerpflichtiger und Gruppen mit entsprechenden Vermeidungsstrategien führen.53 Außerdem gilt der Geheimnisvorbehalt nur insoweit, als die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung ernsthaft gefährdet ist.54 Daher entspricht es dem kooperativen Steuervollzug, wenn zumindest die Art der Aussteuerungskriterien, wie z. B. die prüfungsbedürftigen Einkunftsarten, die Höhe der Betriebsausgaben, Unternehmensstrukturen und -größen oder die Struktur der Wirtschaftsgüter veröffentlicht werden.55 Auch muss sichergestellt sein, dass die Einstellungen im Risikomanagementsystem durch die Festlegung von Risikowertgrenzen nicht dazu führt, dass sich das Besteuerungsverfahren vom materiellen Steuerrecht entkoppelt und zum sog. code law führt.56 Außerdem dürfte nicht jede Art von möglichen Parametern im Rahmen des Risikomanagements zulässig sein. So ist es problematisch, wenn persönliche Eigenschaften und Kriterien der Steuerpflichtigen oder ihrer Berater, wie Pünktlichkeit der Abgabe der Steuererklärung, Fristverlängerungsanträge, die Häufigkeit von Rechtsmitteln, der Beruf oder gar Wohnort im Risikomanagement berücksichtigt werden. Verfassungswidrig wäre es jedenfalls, wenn an die Differenzierungskriterien des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, wie z. B. Religionszugehörigkeit oder Geschlecht

 Braun Binder, DStZ 2016, 526 (531).  Gosch/Roser, § 88 AO Rn. 66. 54  Tipke/Kruse/Seer, § 88 AO Rn. 58 und 82. 55  Tipke/Kruse/Seer, § 88 AO Rn. 82. 56  Vgl. Ahrendt, NJW 2017, 537. 52 53

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angeknüpft würde. Insoweit könnte auch das Recht der betroffenen Personen auf informationelle Selbstbestimmung betroffen sein.57 Dagegen ist derzeit nicht mit einem selbstlernenden Risikomanagementsystem zu rechnen, das die Steuersachverhalte anhand von selbstlernenden Algorithmen autonom überprüft und aussteuert. Dafür sind bei dem derzeitigen Stand der Technik und der Digitalisierung in der Finanzverwaltung die Voraussetzungen nicht ­gegeben, denn neben einer ersten „Lernphase“ würde dies eine Rückkopplung anhand von ausgesteuerten Fällen ebenso voraussetzen wie eine umfassende und kontinuierliche Pflege des Systems.58 Daher dürfte sich die Risikoprüfung gegenwärtig darauf beschränken, ob die vom Steuerpflichtigen in seiner Steuererklärung angegebenen Beträge und Werte im Rahmen bestimmter Prüfparameter liegen und ob bestimmte Sachverhaltsalternativen vorliegen, die typischerweise prüfungsrelevant sind. 6.2.2.2.4  Vollautomatische Veranlagung Der ausschließlich automationsgestützte Steuerbescheid nach § 155 Abs. 4 AO steht in engem Zusammenhang mit dem Risikomanagementsystem, denn nur eine begleitende Risikoanalyse der Steuererklärung durch die Finanzverwaltung entspricht dem Leitbild der Steuerveranlagung. Im Gegensatz dazu steht die Selbstveranlagung, die zu einer anderweitigen Zuordnung von Fehlerquellen bei der Abgabe der Steuererklärung führen und Auswirkungen auf die steuerstrafrechtliche Beurteilung haben könnte. § 155 Abs. 4 AO erlaubt den Finanzbehörden, auf der Grundlage der im EDV-System der Finanzverwaltung vorhandenen Daten – ohne weitere personelle Bearbeitung – einen vollautomatischen Steuerbescheid zu erlassen. Die Neuregelung führt daher nicht zu einer grundlegenden Veränderungen des Besteuerungsverfahrens, denn schon bisher wurden die Steuerbescheide in standardisierten Fällen so vorbereitet, dass die abschließende Zeichnung durch den Sachbearbeiter kaum mehr als ein Formalakt war.59 Allerdings ermöglicht der vollständig automationsgestützten Steuerbescheids den wirtschaftlich-zweckmäßigen und risikoorientierten Einsatz der knappen Personalressourcen in der Finanzverwaltung.60 Umstritten ist, ob der vollständig automationsgestützte Steuerbescheid den Anforderungen an die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung genügt. Teilweise wird die Gefahr eines strukturellen Vollzugsdefizits und damit ein Verfassungsverstoß gesehen.61 Es wird aber auch darauf verwiesen, dass die neue

 Braun Binder, DStZ 2016, 526 (532).  Maier, JZ 2017, 614 (615 f.). 59  Klein/Rüsken, § 155 AO Rn. 50a. 60  Tipke/Kruse/Seer, § 155 AO Rn. 43. 61  Maier, JZ 2017, 614 (616). 57 58

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Form der Veranlagung der verbesserten Verwirklichung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung dient.62 Diese Frage lässt sich nicht losgelöst von der Beurteilung des elektronischen Risikomanagementsystems und den anderen Voraussetzungen des automationsgestützten Steuerbescheids beurteilen. Erste und wesentliche Voraussetzung für den vollständig automationsgestützten Steuerbescheid ist ein recht- und verfassungsmäßiges Risikomanagementsystem. § 155 Abs. 4 AO steht weiter unter der Voraussetzung, dass kein Anlass besteht, den Einzelfall durch einen Amtsträger zu bearbeiten. Ein solcher Anlass besteht nach § 155 Abs. 4 Satz 3 AO insbesondere, wenn der Steuerpflichtige in einem sog. qualifizierten Freitextfeld Angaben macht. Damit steht dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit offen, die Prüfung seines Steuerfalles durch einen Amtsträger zu beantragen.63 Auch soweit ein Ermessensspielraum besteht oder ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, dürfte in der Regel ein Anlass für eine Prüfung durch einen Amtsträger bestehen.64

6.2.3  Zusammenfassung und Zukunftsperspektiven Fasst man die Ergebnisse der Digitalisierung im Besteuerungsverfahren zusammen, so kann man feststellen, dass es in vielen Bereichen Fortschritte gibt, wir aber noch weit davon entfernt sind, die Möglichkeiten der Digitalisierung auszuschöpfen. Jedoch lassen sich bereits heute einige Forderungen formulieren, die zeitnah umgesetzt werden könnten. Weitere zukünftige Entwicklungen müssen mit großer Sorgfalt begleitet werden. 6.2.3.1  Digitalisierung auch für den Steuerpflichtigen Die gegenwärtige Digitalisierung im Besteuerungsverfahren ist sehr stark von den Belangen der Finanzverwaltung geprägt. Zwar wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet, seine Steuererklärung digital abzugeben. Dies ist aber gleichzeitig mit bestimmten Vorgaben der Finanzverwaltung für den Umfang und die Strukturierung der Daten verbunden. Außerdem regelt die Abgabenordnung einen weitgehenden Zugriff auf die Daten des Steuerpflichtigen, die Zulieferung von Daten Dritter im Besteuerungsverfahren, die Überlassung von Datenträgern und ermöglicht so eine umfassende digitale Überprüfung der von den Steuerpflichtigen übermittelten Steuerdaten. So wichtig diese Befugnisse der Finanzverwaltung für die Herstellung der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung sind, so wenig sind bisher gegenläufige Ansprüche des Steuerpflichtigen in die Abgabenordnung aufgenommen  Tipke/Kruse/Seer, § 155 AO Rn. 43.  Zaumseil, NJW 2016, 2769 (2772). 64  Vgl. aber Helbich, DStR 2017, 574; krit. auch Braun Binder, DStZ 2016, 526 (529). 62 63

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worden. Zwar ist die elektronische Übermittlung eines Steuerverwaltungsaktes in §§ 87a, 122 AO geregelt worden. Ein Anspruch auf die elektronische Übermittlung besteht aber nicht. Dies gilt nicht nur für die elektronische Übermittlung eines Steuerbescheids, sondern insbesondere auch im Bereich der digitalen Betriebsprüfung. In diesem Bereich würde es die Zusammenarbeit von Steuerpflichtigen und Beratern auf der einen Seite und der Finanzverwaltung auf der anderen Seite erleichtern, wenn die Daten gegenseitig umfassend digital ausgetauscht werden könnten, damit Steuerpflichtige etwaige Änderungen in ihren digitalen Systemen überprüfen können. 6.2.3.2  Begleitende Betriebsprüfung Das geltende Besteuerungsverfahren ist sehr stark von der nachträglichen Kontrolle unternehmerischen Handelns und die Abgabenordnung von einer vergangenheitsbezogenen Betriebsprüfung geprägt. Die Digitalisierung ermöglicht hier neue Wege, die in eine laufende, begleitende Prüfung münden könnten. Andere Länder sind hier weiter als Deutschland. Bereits im Jahr 2011 startete Österreich das Projekt „Horizontal Monitoring“, das bestimmten Unternehmen eine begleitende Kontrolle und eine zeitnahe Erledigung von steuerlichen Fragen durch abgabenrechtlich vorgesehene Auskunftsmöglichkeiten gewährte. Die positive Evaluation führte dazu, dass Österreich durch sein Jahressteuergesetz 201865 das verfahrensrechtliche Instrument der begleitenden Kontrolle gesetzlich verankert hat. Seit Anfang 2019 haben (größere) Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf die Aufnahme in die begleitende Kontrolle, die durch laufende Würdigung steuerlicher Themen in regelmäßig stattfindenden Sitzungen die von allen Beteiligten erwünschte Planungssicherheit bietet.66 Auch in Deutschland wird eine veranlagungsbegleitende Betriebsprüfung seit einigen Jahren gefordert.67 Die geltenden Rechtsgrundlagen und der Stand der Digitalisierung stehen in Deutschland gegenwärtig der Einführung eines Pilotverfahrens nicht entgegen.68 Wenn eine solche begleitende Betriebsprüfung eingeführt wird, müsste gleichzeitig sichergestellt werden, dass die Finanzgerichte in Zweifelsfragen rasch für endgültige Rechtssicherheit sorgen können. 6.2.3.3  Zugang zu Daten und Programmen der Finanzverwaltung Bereits das geltende Verfahrensrecht ermöglicht der Finanzverwaltung den Aufbau von Datensammlungen (§ 88a AO). Im Rahmen der digitalen Betriebsprüfung verwendet die Finanzverwaltung komplexe mathematisch-statistischen Prüfungsme öBGBl. I 2018, 62.  Ausführlich Macho/Oertel, ISR 2019, 232. 67  Vgl. Seer, FR 2012, 1000 (1001). 68  Macho/Oertel, ISR 2019, 232 (238). 65 66

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thoden und Prüfroutinen. Auch die Taxonomie in der E-Bilanz und weitere strukturierte Daten sind darauf angelegt, diese zur Grundlage von besteuerungsrelevanten Entscheidungen zu machen. Im Rahmen des Besteuerungsverfahren erfordert der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz des fairen Verfahrens und die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, dem Steuerpflichtigen die angewandten Maßnahmen und Datengrundlagen im Allgemeinen und in seinem konkreten Einzelfall zugänglich zu machen, damit er sich am Maßstab des geltenden Rechts damit auseinandersetzen kann. Darüber hinaus würde es einem kooperativen Steuervollzug entsprechen, wenn nicht nur der Steuerpflichtige, sondern auch die Finanzverwaltung die wesentlichen Informationen offenlegt, die sie der Besteuerung zugrunde legt. Dies würde nicht nur diejenigen Programme umfassen, mit denen das geltende Steuerrecht in Zahlen umgesetzt wird. Vielmehr würde dies auch die Programme und Daten im Rahmen der digitalen Betriebsprüfung umfassen, damit der Steuerpflichtige prüfen kann, ob dieser Prüfung zutreffende Vergleichsdaten oder andere Annahmen zugrunde gelegt werden, die für seine Besteuerung von Bedeutung sind. In diesem Zusammenhang müsste dann auch geklärt werden, ob bestimmte Vorgehensweisen der Finanzverwaltung, wie z. B. das Profiling im Steuervollzug,69 zulässig und mit höherrangigem Recht vereinbar sind.

6.3  Gerichtsverfahren Auch im Bereich der Gerichtsbarkeit hat die Digitalisierung Einzug gehalten.70

6.3.1  Elektronischer Rechtsverkehr Der Gesetzgeber hat den elektronischen Rechtsverkehr durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 201371 und das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz vom 5. Juli 201772 geregelt. 6.3.1.1  Digitale Kommunikation Seit dem 1. Januar 2018 ist der elektronische Rechtsverkehr mit den Gerichten allgemein eröffnet. Seither können nach § 52a Abs. 1 FGO vorbereitende Schriftsätze  Dazu Ehrke-Rabel, FR 2019, 45 ff.  Ausführlich zur Entwicklung der Digitalisierung im Gerichtsverfahren: Mellinghoff, FS BFH (2018), 421 (437 ff.). 71  BGBl. I 2013, 3786. 72  BGBl. I 2017, 2208. 69 70

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und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter als elektronische Dokumente eingereicht werden.73 Ab dem 1. Januar 2022 ist der elektronische Rechtsverkehr verpflichtend: Rechtsanwälte, Behörden und vertretungsberechtigte Personen dürfen vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen nur noch als elektronische Dokumente übermitteln.74 Der elektronische Rechtsverkehr setzt einheitliche technische Standards und eine bestimmte elektronische Kommunikationsumgebung voraus. Dies betrifft zum einen die Voraussetzung, dass vorbereitende und bestimmende Schriftsätze nur mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden können.75 Hinzu kommt, dass im elektronischen Rechtsverkehr nur bestimmte Dateiformate genutzt werden können. Die erheblichen Pro­ bleme bei der Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) belegen die Schwierigkeiten bei der elektronischen Kommunikation zwischen Rechtssuchenden und Gerichten.76 Insgesamt erweist sich die Einhaltung der Vorgaben für den elektronischen Rechtsverkehr derzeit als eher kompliziert und aufwändig. Dies dürfte auch dazu führen, dass eine hohe Zahl der elektronisch eingereichten Dokumente noch nicht den Übermittlungs- und Formvorschriften entsprechen. Mit der Zeit ist jedoch davon auszugehen, dass weitere sichere Übermittlungswege geschaffen werden und sich die elektronische Kommunikation zwischen Gerichten und Beraterschaft durchsetzen wird. Spätestens bis zum 1. Januar 2022 müssen sich aber alle professionellen Verfahrensbeteiligten mit der Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs auskennen.

6.3.1.2  Elektronische Akte Wesentlicher Bestandteil der Digitalisierung des Gerichtsverfahrens ist die elektronische Gerichtsakte. In der Justiz muss in allen Verfahrensarten die elektronische Akte bis 2026 eingeführt sein.77 Zwar können die Akten bei den Gerichten noch bis zu dem jeweils von Bund oder Land angeordneten Zeitpunkt in Papierform geführt werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht faktisch ein Zwang zur Einführung der elektronischen Akte ab dem 1. Januar 2022 besteht, wenn die Beteiligten des Rechtsstreits durch das ERV-Gesetz grundsätzlich verpflichtet werden, auf elektronischem Wege mit den Gerichten zu kommunizieren. Dabei können unterschiedliche Zeitpunkte

 Art. 26 Abs. 1 ERV-G i. V. m. § 52a Abs. 1 FGO.  Art. 26 ERV-G i. V. m. § 52d Abs. 1 FGO. 75  Ausführlich Gosch/Schmieszek, § 52a FGO Rn. 12. 76  Kulow, BRAK-Mitt 2019, 2–8. 77  E-Akte-Gesetz v. 05.07.2017, BGBl. I 2017, 2208. 73 74

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bei der Einführung der elektronischen Gerichtsakte zu Medienbrüchen führen, wenn teilweise elektronische Dateien und teilweise Papierdokumente vorliegen. In diesem Fall sollen Hybridakten dadurch vermieden werden, dass grundsätzlich Dokumente, die nicht der jeweiligen Aktenführung entsprechen, eingescannt oder aber ausgedruckt werden.78 Für die elektronische Aktenführung ist der Datenaustausch zwischen der Finanzverwaltung und der Finanzgerichtsbarkeit von wesentlicher Bedeutung. Innerhalb des KONSENS79-Verbundes der Finanzverwaltung wird derzeit das Projekt KoDaG (Koordination des Datenaustauschs mit der Gerichtsbarkeit) vorangetrieben, das zunächst die Entgegennahme von elektronischen Schriftsätzen der Finanzgerichte einschließlich des elektronischen Empfangsbekenntnisses ermöglicht und in einem zweiten Schritt den elektronischen Austausch der Schriftsätze zwischen Finanzämtern und Finanzgerichten vorsieht. Fallakten sollen erst Anfang 2026 in der Form von pdf-Akten elektronisch übermittelt werden. Bisher ist nicht vorgesehen, dass die Finanzgerichte Zugriffsrechte auf die bei den Finanzämtern vorhandenen Daten des Steuerpflichtigen erhalten. Unabhängig davon, dass damit die Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung nicht ausgeschöpft werden, stellt sich die Frage, ob die Finanzgerichtsbarkeit damit die Vorgänge bei der Finanzverwaltung vollständig überprüfen kann. Die elektronische Gerichtsakte wird weitreichende Auswirkungen auf die Arbeitsabläufe in der Justiz haben. Insbesondere in der Anfangszeit kann es dabei zu Umstellungsschwierigkeiten kommen.80 Wegen der hochsensiblen personenbezogenen Daten, die in der Finanzgerichtsbarkeit regelmäßig dem Steuergeheimnis unterliegen, bedarf die IT-Struktur in den Gerichten besonderer Sicherheitsvorkehrungen, die zu Einschränkungen auf den Zugriff dieser Dateien von außen führen kann. Insgesamt dürfte die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs die Arbeitsabläufe in der Gerichtsbarkeit vereinfachen und beschleunigen. Dabei können auch die Vorteile der Digitalisierung genutzt werden, indem umfangreiche Sachverhalte und Vorgänge leichter und komfortabler geordnet und bearbeitet werden können. Lesezeichen, Annotationen, Markierungen und Suchfunktionen unterstützen das bisherige Arbeiten. Die elektronische Gerichtsakte steht zudem mehreren Bearbeitern gleichzeitig zur Verfügung und ermöglicht so eine flexible Arbeitsweise in einem Spruchkörper. Schließlich ermöglicht die elektronische Gerichtsakte eine erhöhte Mobilität, denn die elektronische Akte kann sowohl am häuslichen Arbeitsplatz als auch bei auswärtigen Terminen genutzt werden.81 Die bisherigen Anwendungen beschränken sich im wesentlichen darauf, die bisherige Papierakte in einem Dokumentmanagementsystem (DMS) in digitaler Form zur Verfügung zu stellen. Hiermit sind aber die Möglichkeiten der Digitalisierung bei weitem nicht ausgeschöpft. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass ein digitales Zugriffsrecht auf vorhandene Datenbestände mit Hilfe von Berechtigungen  Gosch/Schmieszek, § 52b FGO Rn. 5.  KONSENS = Koordinierte neue Software-Entwicklung der Steuerverwaltung. 80  Gundlach, DRiZ 2015, 96. 81  Köbler, DRiZ 2013, 76. 78 79

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weitere Erkenntnismöglichkeiten bietet. Es stellt sich auch die Frage, ob zukünftig Akten in einer Dokumenten-Cloud den Beteiligten eines Verfahrens zeitgleich zur Verfügung stehen können, in die weitere Daten hochgeladen werden können. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Insgesamt setzen diese Zukunftsszenarien aber hinreichend sichere Datensysteme und einheitliche Justizstandards bei der digitalen Bearbeitung voraus.

6.3.2  Entscheidungsfindung In Zukunft wird es aber vor allem darum gehen, die Rechtsanwendung durch die Datenverarbeitung zu überprüfen. 6.3.2.1  Recht in deutscher Sprache Die Digitalisierung im Recht setzt voraus, dass die jeweiligen Tatbestände in Rechen- und Computerprogramme umgesetzt werden. Bereits heute verwendet die Finanzverwaltung Programme, in denen die gesetzlichen Tatbestände in einem Rechenprogramm angewendet werden müssen. Die Frage, ob und inwieweit die Digitalisierung Auswirkungen auf die Ausgestaltung des geltenden Rechts hat, ist schon in den 1970er-Jahren des vorigen Jahrhunderts diskutiert worden. Im BMI wurden „Grundsätze für die Gestaltung automationsgeeigneter Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ erlassen, die davon ausgingen, dass die Vorteile der elektronischen Datenverarbeitung nur dann sinnvoll und wirtschaftlich genutzt werden könnten, wenn die zugrunde liegenden Vorschriften den Anforderungen der Automation entsprechen.82 Dabei wurde von einer verstärkten Systematisierung, Typisierung, Pauschalierung und Berechenbarkeit bei gleichzeitiger Reduzierung von Differenzierungen, Verzicht auf Ermessenstatbestände und Vermeidung unbestimmter Rechtsbegriffe ausgegangen.83 Heute wird hervorgehoben, dass die Digitalisierung die Durchsetzung des Gebots der Folgerichtigkeit erleichtert, die Geltungskontrolle einzelner Regelungen ermöglicht und das Zusammenwirken verschiedener Rechtsquellen zu erkennen und abzugleichen vermag.84 Eine Vereinfachung des Rechts erscheint damit auch unter den Voraussetzungen der Digitalisierung wünschenswert. Gleichzeitig bleibt es jedoch dabei, dass ein

 „Grundsätze für die Gestaltung automationsgeeigneter Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ des Bundes v. 22.11.1973, GMBl. 1973, 555; zur Fortentwicklung und Problematik: BT-Drs. 7/3480 (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur automationsgerechten Gesetzgebung). 83  Vgl. H. Schneider, Gesetzgebung (2002), S. 75. 84  P. Kirchhof, DStR 2018, 497; zur Erarbeitung von Gesetzentwürfen mit digitaler Unterstützung: Breidenbach/Schmid, Gesetzgebung und Digitalisierung  – Digitale Instrumente der Erarbeitung von Gesetzentwürfen, in: Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, S. 170 ff. 82

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Gesetz in deutscher Sprache verfasst werden muss.85 Das Gesetz ist die grundlegende Handlungsform des Parlaments, das in der traditionellen Gewaltenteilung die Verwaltung anleitet und den Gerichten einen Maßstab für die Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts gibt. Nur die menschliche Sprache, nicht aber ein Algorithmus ist den Parlamentariern unmittelbar zugänglich, ermöglicht den politischen Kompromiss und die Berücksichtigung materieller Gerechtigkeit. Die jedermann verständliche Sprache ist damit die maßgebliche Handlungsform, die dem Demokratieprinzip entspricht.86 Damit ist es unvereinbar, wenn das Parlament lediglich einen Algorithmus beschließt, der dann für die Steuerpflichtigen maßgeblich ist. 6.3.2.2  Kontrolle computergestützter Rechtsanwendung Auch das in deutscher Sprache verabschiedete Gesetz wird aber in Computerprogrammen umgesetzt und digital angewendet. Damit stellt sich die Frage der Kon­ trolle der digitalen Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts durch die Finanzgerichte. Dabei wird sich in vielen Fällen wenig ändern, wenn z. B. in einem Computerprogramm lediglich die strukturiert eingegebenen Daten berechnet werden müssen. In diesen Fällen geht eine menschliche Entscheidung der Zuordnung und Eingabe von Daten in ein Rechenprogramm voraus. Vielfach entziehen sich Rechtsfragen auch der Digitalisierung, wenn es um Fragen der Verhältnismäßigkeit, eines Beurteilungsspielraums oder um Wertungsfragen wie bei der Abgrenzung der Berufsvon der Privatsphäre oder dem Veranlassungsprinzip geht. Die Kontrolle digitaler Anwendung von Gesetzen ist vor allem dann von Bedeutung, wenn komplexe und komplizierte Rechtsvorschriften des bindenden Rechts durch einen Programmierer umgesetzt werden. So sind zum Beispiel bei der Regelung der Zinsschranke zahlreiche Entscheidungen und Wertungen schon bei der Programmierung der Vorschrift vorzunehmen. In diesen Fällen lassen sich die einzelnen Schritte in einem Computerprogramm im Nachhinein nicht ohne weiteres überprüfen und nachvollziehen. Der Steuerpflichtige und sein Berater bleiben vielmehr auf eine Ergebniskontrolle beschränkt. Dabei hat der Rechtsanwender vom geschriebenen Gesetz auszugehen und dieses mit Hilfe herkömmlicher Auslegungsmethoden auf den konkreten Fall anzuwenden. Die Digitalisierung entbindet nicht von der Maßgeblichkeit des in deutscher Sprache geschriebenen Rechts, das in dieser Form Verbindlichkeit beansprucht und der elektronischen Umsetzung Grenzen setzt. Erreicht das Gesetz eine Komplexität, dass es nicht mehr auf der Grundlage des sprachlichen Anwendungsbefehls ausgelegt und nachvollzogen werden kann, kann nicht auf die Vollziehbarkeit durch ein Rechenprogramm verwiesen werden. Vielmehr stellt sich in solchen Fällen die Frage der Auslegungsfähigkeit und der Bestimmtheit einer Norm. Die Steuer steht unter Gesetzesvorbehalt und nicht unter einem Computervorbehalt. 85 86

 Vgl. ausführlich Mellinghoff, DStJG 42 (2019), S. 287–312.  Kube, VVDStRL 78 (2019), S. 289 ff.

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6.3.2.3  Richterassistenzsysteme In Zeiten der Digitalisierung werden auch Richterassistenzsysteme eine zunehmende Rolle spielen. Bereits heute stützen sich die Rechtsanwender ganz wesentlich auf juristische Datenbanken, in denen die Rechtsprechung, Rechtsvorschriften, Bücher, Kommentare, Zeitschriften und weitere juristischer Fachinformationen digital zur Verfügung stehen. Damit wird nicht nur der Gang in die Bibliothek in vielen Fällen entbehrlich. Juristische Datenbanken stellen die Informationen zeitnah zur Verfügung, ermöglichen die gezielte Suche nach bestimmten Suchkriterien und erlauben einen Zugriff von überall her. Teilweise enthalten diese Datenbanken auch Arbeitshilfen, wie z. B. Formulare oder Vordrucke. Neben kostenpflichtigen juristischen Datenbanken besteht außerdem die Möglichkeit, auf freie juristische Inhalte im Internet zuzugreifen. Mit Hilfe von Computerprogrammen können heute große Mengen an Dokumenten gesichtet, Risiken identifiziert und Entscheidungsvorschläge gemacht werden. Auch die sog. Legal Robots, die in der Lage sind, im Zeitpunkt ihrer Nutzung eine selbstständige rechtliche Beurteilung zu treffen oder selbstständig über den Inhalt eines rechtlichen Dokuments zu entscheiden, werden im Steuerrecht diskutiert.87 Weitere Richterassistenzsysteme sind denkbar und teilweise schon verfügbar. So gibt es für den Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit ein Richter-Tool mit zahlreichen für den Gerichtsalltag nützlichen Funktionen.88 Diese iOS-App ermöglicht unter anderem Fristenberechnungen, enthält einen Prozesskostenrechner, weist auf Urteilsabsetzungsfristen hin, ermöglicht die Berechnung der Unterbrechung der Hauptverhandlung, enthält eine Unterstützung für die Strafrahmenbestimmung oder ermöglicht die Berechnung des Vorwegvollzugs bei der Unterbringung in der Maßregel. Ähnliche Hilfsmittel sind auch im Steuerrecht denkbar. In anderen Bereich breiten sich Anwendungen aus, die darauf ausgerichtet sind, den Richter zu ersetzen. Die Online-Streitbeilegung (Online Dispute Resolution – ODR)89 ist ein erster Schritt.90 Schon seit einigen Jahren gibt es Legal-Tech-Portale, in denen online Entschädigungen durchgesetzt oder Rechtsrat eingeholt werden kann.91 Die Einsatzmöglichkeiten derartiger Plattformen sind jedoch begrenzt, denn sie funktionieren nur bei einfach gelagerten Fällen, in denen es um eindeutig kalkulierbare Variablen geht. Komplexe Fallgestaltungen oder umstrittene Rechtsfragen lassen sich mit Hilfe dieser Portale bisher nicht lösen. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Justizminister bei der diesjährigen Justizministerkonferenz die

 Vgl. Mellinghoff, FS BFH (2018), S. 421.  https://www.janforth.de/richter-tools/ (zuletzt geprüft am 11.06.2019) 89  Dazu kritisch: Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8. 90  Vgl. J. Wagner, Legal Tech und Legal Robots (2018), S. 20. 91  Z. B. Fluggasthelfer-Portale wie Flugrecht.de, FairPlane oder Flightright; aber auch Geblitzt.de, Mineko oder SmartLaw. 87 88

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Legal-­Tech-­Portale befürworten, weil sie einen niedrigschwelligen Zugang zum Recht ­schaffen.92 In absehbarer Zukunft ist schließlich auch mit dem Einsatz von „Predictive Analysis“ zu rechnen. Mit Hilfe digitaler Tools könnte dann frühzeitig abgeklärt werden, ob ein Rechtsstreit zum Erfolg führt. So bietet Lexis-Nexis mehrere Tools an, die dem Nutzer die Rechtsfindung erleichtern. Für das Programm „Context“ wird wie folgt geworben: „What if you knew the exact language your judge would cite when ruling on your motion? Extract persuasive language from court opinions, challenges and motions–the language your judge relies on most often. Only Context analyzes 100 motion types and examines millions of case-law documents to reveal powerfully persuasive language relevant to your case.“93

Der Bereich Legal-Tech entwickelt sich mit großer Geschwindigkeit, und es lässt sich heute nur ansatzweise absehen, was im Bereich der Digitalisierung des Steuerrechts noch auf uns zukommt.

6.4  Daten als Voraussetzung der Digitalisierung Damit komme ich zu einem letzten Punkt und zu einer Grundvoraussetzung einer effektiven Digitalisierung im Steuerbereich kommen.

6.4.1  Datenmenge Voraussetzung jeder Digitalisierung sind Daten. Zwar lassen sich auch geringe Mengen von Daten verarbeiten und analysieren. Die moderne Digitalisierung, die Aufarbeitung von Informationen, die Verarbeitung, die Speicherung und die Weiterverwendung setzen jedoch große Datenmengen voraus. Gerade die zukünftigen und teilweise schon heute genutzten digitalen Dienste und Möglichkeiten, wie künstliche Intelligenz, deep learning oder predictive analysis sind ohne hinreichend große und verlässliche Datenmengen, die zur Grundlage der Vernetzung und Automatisierung gemacht werden, nicht denkbar. Big Data gilt als zwingende Voraussetzung für moderne Technologie-Anwendungen. Auf der Münchner Steuerfachtagung dieses Jahres wurden die Vorzüge eines „Tax Data Lake“, in dem alle steuerlich relevanten Datenquellen gesammelt werden, hervorgehoben. Als Beispiel wurde die Identifizierung einer Betriebsstätte genannt. Dies sei in hohem Maße fehleranfällig, weil es sein kann, dass sich ein 92  Lorenz, Rechtsdienstleistung nur vom Anwalt, https://www.lto.de/recht/juristen/b/legal-tech-justizministerkonferenz-rechtsdienstleistungen-anwaelten-vorbehalten-erfolgshonorar/ (zuletzt geprüft am 11.06.2019). 93  https://www.lexisnexis.com/en-us/products/lexis-analytics.page (zuletzt geprüft am 11.06.2019).

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Projekt verlängert, ein weiterer Beschäftigter aus einem anderen Land dort mitarbeitet oder dass es zu Projekterweiterungen kommt. In einem gut gespeisten „Tax Data Lake“ befänden sich alle Informationen, die zur Entdeckung und Klassifizierung einer Betriebsstätte notwendig sind. Ein intelligenter Algorithmus zeige an, wenn eine oder mehrere Personen ein bestimmtes Land besuchten – dank Daten aus der Reisestelle oder dem Zeiterfassungssystem. Oder der Besuch werde als Projekt und nicht als einfache Besprechung erkannt – dank Daten aus dem SAP PS Modul in Verbindung mit der Buchung von Reisekosten auf dieses Kostenelement. Oder mehrere Personen aus unterschiedlichen Ländern hätten zusammengerechnet mehr als 90 Tage in dem Land gearbeitet – was sich dank Daten aus dem Tax Data Lake ermitteln ließe. Wird eine solche Betriebsstätte erkannt, gebe es einen Red Flag Report und jeder der dort aufgeführten Punkte wird einzeln dokumentiert abgearbeitet. Der Steuervollzug scheint damit bestens für die Digitalisierung geeignet. Auch die Finanzverwaltung kann auf umfangreiche Daten der Steuerpflichtigen zurückgreifen. Neue Dimensionen erreicht die Datensammlung der Finanzverwaltung durch den internationalen Informationsaustausch, das Country-by-Country-­ Re­ porting und den Datenzugriff in der Betriebsprüfung. Es gibt wohl kaum einen Verwaltungsbereich in der Bundesrepublik Deutschland, der über ein so weit gefächertes Informationssystem verfügt. Diese enormen Datenmengen stellen die Finanzverwaltung jedoch vor zwei besondere Herausforderungen: den Datenschutz und die Datensicherheit. Für die Datensicherheit müssen staatliche Stellen sorgen. Dies hat angesichts der bekannten Vorfälle, in denen in Datenbestände staatlicher Stellen aber auch von Privaten eingebrochen wurde, allerhöchste Priorität.

6.4.2  Datenschutz Aber auch der Datenschutz wirkt sich auf die Effektivität und Validität der Digitalisierung in der Besteuerung aus. Die noch heute geltende Konzeption des Datenschutzes geht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor über 35 Jahren zurück, die das Bundesverfassungsgericht 1983 im Volkszählungsurteil aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG entwickelt hat.94 Kern des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist die Befugnis jedes Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu bestimmen, ob und inwieweit die eigenen persönlichen Daten preisgegeben und verwendet werden. Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Diese Konzeption des Datenschutzrechts als Abwehrrecht hat das Bundesverfassungsgericht in seinem BKA-Urteil aus dem Jahr 201695 zusammengefasst, in der es die Interessen des 94 95

 BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u. a., BVerfGE 65, 1.  BVerfG, Urt. v. 20.04.2016 – 1 BvR 966/09, BVerfGE 141, 220.

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Staates auf der einen Seite dem Schutz der Privatsphäre des Steuerpflichtigen auf der anderen Seite gegenübergestellt hat. Generell stellt das Bundesverfassungsgericht hohe Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle. Hierzu gehören Benachrichtigungspflichten an die Betroffenen nach Durchführung der Maßnahmen, richterliche Kontrollbefugnisse, eine regelmäßige aufsichtliche Kontrolle sowie Berichtspflichten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit. Schließlich müssen die Befugnisse des Staates Daten zu erheben mit Löschungspflichten flankiert sein. Auch der europäische Datenschutz geht von dieser Perspektive aus. Die Datenschutzgrundverordnung regelt zugunsten der von der Datenerhebung betroffenen Person unter anderem die Transparenz und Modalitäten, Informationspflicht und Recht auf Auskunft zu personenbezogenen Daten, Berichtigung und Löschung, das „Recht auf Vergessenwerden“ und Widerspruchsrechte.96

6.4.3  Reformbedarf im Datenschutzrecht? Datensparsamkeit und möglichst frühzeitige Datenlöschung stehen in einem Spannungsverhältnis zu den Wünschen der Programmierer, die für zukunftsgerichtete Digitalisierungsprojekte auf große Datenmengen angewiesen sind. Eine Konzeption des Datenschutzrechts, das die Verwendung der Daten, deren Vernetzung und deren Auswertung einschränkt, verhindert zugleich auch die Ansammlung großer Datenmengen. Große Datenmengen sind jedoch die Voraussetzung für einen verlässlichen und effizienten Einsatz der Digitalisierung. Der frühere Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig hat jüngst darauf verwiesen, dass das Datenschutzrecht reformbedürftig sei.97 Hierzu schlägt er vor, dass es dem Datenschutz nicht mehr um eine Verhinderung informationellen Verkehrs gehen darf, sondern um dessen Ermöglichung. Hierzu gehöre eine konstitutive Einwilligung zu einer fremden Datennutzung. Es solle ermöglicht werden, Verträge über die Datennutzung zu schließen. Diese sollten ergänzt werden durch eine Kompensation für Rechtsverletzungen, Vergütungsansprüche, Schadensersatzpflichten sowie entsprechende Unterlassungsansprüche. Für die Digitalisierung im Steuerrecht wird es darauf ankommen, ob einerseits das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach verfassungsrechtlichen und europäischen Maßstäben gewahrt werden kann und andererseits hinreichend große Datenmengen (anonymisiert) zur Verfügung stehen, um Anwendungen der Künstlichen Intelligenz oder des Maschinenlernens, die in der Regel auf Big-Data-­ Analysen aufbauen, weiter entwickeln zu können. Gelingt dies nicht, müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, ob das geltende Datenschutzrecht fortentwickelt werden kann oder muss. Es könnte aber auch

96 97

 Myßen/Kraus, FR 2019, 58; Richter/Welling, FR 2019, 67.  Schmidt-Jortzig, NdsVBl. 2018, 1.

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sein, dass dann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das europäisch verankerte Datenschutzrecht der Digitalisierung im Steuerrecht Grenzen setzt.

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