Recht und Natur: Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach [1 ed.] 9783428474363, 9783428074365


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Recht und Natur: Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach [1 ed.]
 9783428474363, 9783428074365

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V. GERHARDT / W. KRAWIETZ (Hrsg.)

Recht und Natur

Schriften zur Rechtstheorie Heft 153

Recht und Natur Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach

Herausgegeben von

Volker Gerhardt und Werner Krawietz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Recht und Natur : Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach / hrsg. von Volker Gerhardt und Werner Krawietz. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 153) ISBN 3-428-07436-X NE: Gerhardt, Volker [Hrsg.]: GT

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-07436-X

Vorwort der Herausgeber Naturverhältnis und Menschenrecht im Perspektivismus Das Recht, so scheint es, ist der Gegensatz zur Natur schlechthin. Schon im vorsokratischen Denken galt es als die vom Menschen gemachte „Satzung" (thesis), die der umfänglichen Gegebenheit der Natur (physis) gegenübersteht. Es ist dies eine Opposition, aus der wir bis heute den Begriff des Rechts nicht befreien können, auch wenn wir ihn historisch, soziologisch oder philosophisch auf eine — wie auch immer bestimmte — Natur zurückzuführen versuchen. Bezeichnend ist schon, daß „Natur" in den unterschiedlichen Erklärungs- oder Begründungskonstellationen jeweils etwas anderes bedeutet. Was jeweils als „Recht" verstanden wird, kann freilich auch höchst unterschiedlich definiert sein. Aber es bleibt in allen begrifflichen Fassungen stets eine gesellschaftliche Leistung, die als solche nur kenntlich wird, indem sie in bestimmter Weise über bloße Naturgegebenheiten hinausgeht. Auch wer vermeiden möchte, hinter diesen Leistungen einen freien menschlichen Willen anzunehmen — einen Willen, zu dessen Begriff es gehört, sich unter Umständen auch gegen die Natur behaupten zu können — kann nicht umhin, im Recht eine Ordnung eigener Art anzuerkennen. Ein Rechtsgesetz ist von einem Naturgesetz sowohl durch die Bedingungen seiner Entstehung wie auch durch die Art seiner Geltung prinzipiell unterschieden. Deshalb kann man mit aller Bestimmtheit sagen, daß hier eine konstitutive Differenz besteht. Und es ist diese Differenz, durch die das Verhältnis von Natur und Recht überhaupt erst zu einem aufschlußreichen Thema wird. Denn erst im Bewußtsein des prinzipiellen Unterschieds wird es interessant, nach Gemeinsamkeiten in Herkunft und Wirkung zu fragen. Dies geschieht — von unterschiedlichen Positionen aus und mit durchaus verschiedenen Motiven — in diesem Band. Seit Jahrhunderten, der Sache nach schon seit zweieinhalb Jahrtausenden, wird die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Recht

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Vorwort

durch das Begründungsproblem dominiert. Schon den Sophisten ist klar, daß ein Recht nicht durch die Natur verursacht sein kann; seine gesetzliche Form wäre dann nämlich von der eines Naturgesetzes gar nicht zu unterscheiden. Das Recht gehörte dann auch zu den Dingen, die einfach der Fall wären. Dies hätte zur Folge, daß es auch hier nur richtige oder wahre Erkenntnisse von Rechtstatbeständen und ihren Folgen geben könnte. Ein Prozeß, in dem von einer unabhängigen Instanz über unterschiedliche Rechtsauffassungen zweier Parteien geurteilt wird, würde somit schon der Natur des Rechts widersprechen. Die Verursachungsthese ist also absurd; mit ihr hätten sich die Sophisten ihre Existenzgrundlage als Prozeßberater und Anwälte entzogen. Etwas anderes ist es mit der Begründung des Rechts durch die Natur. Denn gerade im Widerstreit juridischer Positionen kommt die Erwartung zum Ausdruck, daß sich ein gemeinsamer Rechtsgrund finden läßt, der eine Schlichtung des Streits erlaubt. Und von dieser eindeutig juristischen Prämisse aus hat man im antiken, im mittelalterlichen und dann mit besonderem Nachdruck im neuzeitlichen „Naturrecht" nach allgemein verbindlichen Gründen in der Natur gesucht. Die Suche erfolgt also aus einem rechtsimmanenten Motiv, aber sie erstreckt sich ganz zwangsläufig auf einen Bereich, der selbst nicht mehr zum Recht gehört. Denn andernfalls ließe sich nicht erwarten, daß er die mit den gegebenen rechtlichen Mitteln offenbar nicht mehr zu schlichtende Streitsache doch noch mit allgemeiner Verbindlichkeit beilegt. Das „Naturrecht" strebt somit aus der Logik seiner Fragestellung über die Grenzen des Rechts hinaus. Mit einer typischen Rechtsfigur — nämlich der „Legitimation" — wird mit dem Naturrecht der Kontext des Rechts verlassen. Diese begründungstheoretische Pointe ist in der bisherigen Naturrechtsdiskussion kaum beachtet worden. Nähme man sie ernst, müßte man um der begrifflichen Klarheit willen auf den Begriff des „Naturrechts'' ganz verzichten, denn in ihm wird offenkundig Heterogenes zusammengespannt. U m den Status von Gründen, die auch für das Recht gelten können, angemessen zum Ausdruck zu bringen, wäre es besser, von „ Vernunftrecht" zu sprechen. Ein Grund kann nämlich nur durch ein Argument gegeben werden; in Argumenten steckt aber immer eine

Vorwort

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formale Leistung, die wir normalerweise als „vernünftig" bezeichnen. Da jedoch Vernunft in dem Geruch steht, geschichtslos und erfahrungsblind zu sein, ist der Terminus des „Vernunftsrechts" starken Mißverständnissen ausgesetzt. Deshalb ist es ratsam, für die nach wie vor benötigte Legitimationsgrundlage des Rechts einen Terminus zu wählen, der von spekulativen und methodologischen Hypotheken möglichst frei ist. Dazu bietet sich der Begriff des „Menschenrechts" an. Der Mensch nämlich verfügt über Vernunft im Sinne einer Fähigkeit zu argumentieren, und er ist als Naturwesen sowie als Produkt seiner eigenen Kultur stets mehr als das Recht von ihm erfaßt. Im Menschen können daher tatsächlich Gründe gegeben sein, auf die ein Recht sich stützen kann. Doch die klassischen Fragen des Natur- und Vernunftrechts werden im vorliegenden Sammelband nur am Rande berührt. Die Legitimationsfrage ist hier nur ein Thema unter anderen. Es geht vielmehr um das Recht im Kontext einer umfassenden Naturerfahrung, die uns philosophisch zwar seit Aristoteles vertraut ist, aber im Zeichen der ökologischen Krise eine dramatische Aktualität gewonnen hat. Die meisten der Beiträge nehmen Bezug auf die am Anfang stehenden Ausführungen von Friedrich Kaulbach, der das Recht in den systematischen Zusammenhang eines auf den Menschen bezogenen Perspektivismus stellt. Der menschliche Sinn — in den die verstehende Vernunft ebenso eingeht wie die Sinnlichkeit und die Sinnesorgane — gibt auch dem Recht ein Fundament, in dem es mit der Natur verbunden ist. Geltung erlangt das Recht somit erst im Zusammenhang einer praktischen „Sinn-Notwendigkeit", die aus den wechselseitigen Ansprüchen von Individuen hervorgeht. Im Bewußtsein gemeinsamer elementarer Ziele, die von Bedürfnissen getragen und durch praktisch-logische Schlüsse verbindlich gemacht werden, kann jene „Befugnis zu zwingen" entstehen, in der nach Kant das Wesen des Rechts besteht. Rückt man diese ursprüngliche Berechtigung in den Kontext einer nicht mehr bloß logisch erschlossenen, sondern zugleich auch sinnlich-sinnvoll erfahrenen Notwendigkeit, dann wird das über das menschliche Handeln vermittelte Naturmoment im Recht erkennbar. Folglich ist nicht allein in Fragen der Begründung, sondern auch in allen Problemen der praktischen Beziehung, sei es zur Umwelt überhaupt oder zu anderen Lebewesen oder auch zum eigenen Leben und Sterben, die Natur im Recht

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Vorwort

gegenwärtig. Daß davon auch die dem Recht eingelagerte moralische Verantwortung tangiert ist, wird in einem eigenen Beitrag diskutiert. Die Beiträge dieses Bandes sind im Anschluß an ein Kolloquium mit Friedrich Kaulbach entstanden, dessen Vortrag hier im vollen Wortlaut abgedruckt wurde. Trotz seines hohen Alters hatte letzterer die Mühen der Reise nicht gescheut, um noch einmal an den Ort seines langjährigen Wirkens zurückzukehren. Wir danken der Universität Münster und dem Philosophischen Seminar, das als Gastgeber fungierte, für die freundliche Unterstützung von Vortrag und Gespräch und dem Verleger, Herrn Professor Simon, für die Aufnahme der Beiträge in diese Reihe. A m 10. Mai 1992 ist Friedrich Kaulbach, der mehr als zwei Jahrzehnte an der Universität Münster Philosophie lehrte und wegen seiner die Grenzen der Fachwissenschaften übergreifenden philosophischen Leistungen von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster mit der Verleihung des Ehrendoktors ausgezeichnet wurde, wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag verstorben. Was als Festgabe zu diesem Geburtstag gedacht war, wird nun dem ehrenden Gedenken Friedrich Kaulbachs gewidmet. Volker Gerhardt

Werner Krawietz

Inhaltsverzeichnis I. Einleitung Friedrich

Kambartel

Laudatio Friedrich Kaulbach

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II. Naturverhältnis und Recht Friedrich

Kaulbach

Menschenrecht und Naturverhältnis

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Norbert Herold

Aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit. Über den Zusammenhang von Menschenrecht und Naturverhältnis bei Kant

41

Peter Rohs

Menschenrecht, Naturverhältnis und Naturteleologie. Ein Diskussionsbeitrag

71

Fernando Inciarte

Zwischen Natur- und Vernunftrecht. Bemerkungen zu einem rechtsphilosophischen Kolloquium

81

III. Recht und Verantwortung Volker Gerhardt

Das Prinzip der Verantwortung. Zur Grundlegung einer ökologischen Ethik. Eine Entgegnung auf Hans Jonas 103 Ludwig Siep

Naturgesetz und Rechtsgesetz

133

Werner Krawietz

Risiko, Recht und normative Verantwortungsattribution in rechtsethischer Perspektive 147 Norbert Herold

Bibliographie Friedrich Kaulbach

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Ι . Einleitung

Laudatio Friedrich Kaulbach Von Friedrich Kambartel Sehr verehrter, lieber Herr Kaulbach, verehrte Frau Prorektor, Spectabiles, meine verehrten Damen und Herren! Eine Laudatio ist, zu deutsch, eine Lobrede. Wie lobt man einen Philosophen? Nun, das Übliche wäre sicher ein, notgedrungen kursorischer, Überblick über Themen, Grundgedanken, Werke, Ergebnisse (wenn es so etwas in der Philosophie gibt), Einflüsse, Wirkungen; eine Art philosophischer Geschäftsbericht also. Da wäre in diesem Falle sehr viel zu erwähnen: die Anfange mit Kaulbachs philosophischen Analysen zur mathematischen Anschauung, in der Umgebung des Neu-Kantianismus entstanden; es wäre zu würdigen Kaulbach, der Theoretiker symbolischer Bedeutung; der Natur- und Rechtsphüosoph; der an systematischen Problemen und Unterscheidungen orientierte Philosophiehistoriker; der Kritiker analytischer Ethik; der Nietzsche- Monograph; und anderes mehr; schließlich aber und vor allem der Interpret Kants und damit der akademische Lehrer, dem ich und viele in diesem Lande wohlgeführte Wanderungen und nachhaltige Orientierung im vielfaltigen und schwierigen Gelände der Kantischen Philosophie verdanken, eine Orientierung, welche sich nie spezialistisch auf bestimmte Schriften, Phasen und Probleme des Kantischen Denkens beschränkt hat. A m Ende wäre übrigens neben dem Werk des Philosophen Kaulbach auch noch dasjenige Werk zu nennen, welches der Philosoph Kaulbach selber ist, insofern es in seiner philosophischen Selbstdarstellung heißt, seine Gattin — Sie verehrte Frau Kaulbach — hätte aus ihm in all den Jahren etwas Brauchbares gemacht. So etwa müßte ein philosophischer Geschäftsbericht in unserem Falle angelegt sein. Er ließe sich in der notwendigen Kürze nicht mit dem Atem der Philosophie füllen, würde selbst zu einer Art 1*

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Friedrich Kambartel

Lobgeschäft, im primären Sinne des Wortes „Geschäft". Die Geschäfte aber, das habe ich von Ihnen seinerzeit in Münster gelernt (und leider später selbst nie genug beherzigt), die Geschäfte erledigt man am Dienstagabend, um halb zehn. Ich muß dazu sagen, daß es dem Philosophen Kaulbach, eher zu seinem Leidwesen, denke ich, in regelmäßigen Abständen zustieß, geschäftsführender Direktor des Philosophischen Seminars zu sein. Für mich, seinen Assistenten, hatte das damals die Folge, daß mir die Aufgaben eines sogenannten geschäftsführenden Assistenten zufielen. In diesem Zusammenhang gab es dann immer allerlei zu besprechen, zu entscheiden, zu formulieren, zu unterschreiben. Und Herr Kaulbach machte gleich zu Beginn freundlich und bestimmt deutlich, daß solche Dinge nur eine wenig störende Randexistenz neben dem philosophischen Nachdenken spielen durften. Konkret hieß das eben, sie sollten nach Seminar und Sprechstunde am Dienstagabend erledigt werden, und möglichst nur dann. Darin lag eine einfache Weisheit, von der ich mir, wie gesagt, selbst später oft mehr gewünscht habe. Jedenfalls sind wir beide heute mit vielen Freunden, Schülern und Kollegen wieder in Münster; wir haben Freitag, es ist Vormittag — und damit nicht die übliche Zeit für philosophische Geschäfte. Meine Lobrede kann also nur in einem lebendiggemachten Stück Ihrer Philosophie bestehen, nicht in einem Bericht über sie. Ich will diese Aufgabe so erfüllen, daß ich genau einem wesentlichen Gedanken von Friedrich Kaulbach meine Aufmerksamkeit zuwende und ihn vor den zu dieser Ehrung Versammelten, so gut es mir gelingt, erläutere. Es ist allerdings nicht irgendein Gedanke, sondern, wenn ich recht sehe, die grundlegende, unüberholte, von Kant inspirierte Einsicht, welche Kaulbachs Philosophie durch und durch bestimmt. Ich werde mich dem Gedanken von außen nähern, über eine häufige Kaulbachsche Ausdrucksweise, in der nämlich unsere jeweiligen Perspektiven der Weltorientierung, über welche uns Kant vielleicht mehr als jeder andere belehrt hat, ein Standpunkt genannt werden, oder auch, wenn mißverständliche Konnotationen des Wortes „Standpunkt" abgewehrt werden sollen, ein „Stand". Bleiben wir zunächst bei dem vertrauten Wort „Standpunkt". Sein normaler

Laudatio Friedrich Kaulbach

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Gebrauch ist für das, worauf es bei Kaulbach ankommt, etwas sperrig geworden. „Standpunkt" heißen heute häufig Orientierungsgebilde, welche als einer Argumentation nicht recht zugänglich gelten, etwa „unversöhnlich" heißen. Standpunkte können z.B. weltanschaulich oder religiös sein. Standpunkte hat man als Individuum mit einer bestimmten Orientierungsbiographie oder als Angehöriger von gesellschaftlichen Gruppen, die durch einen Standpunkt gleichsam definiert sind. Unser Vernunftgebrauch kann nun, davon geht Kaulbach mit Kant aus, in der Tat nicht auf Standpunkten innerhalb einer pluralistischen Standpunkte-Gesellschaft beruhen. Kaulbachs Gebrauch des Wortes „Standpunkt" ist daher in diesem Zusammenhang auf eine hintersinnige Weise einfacher, dem bildhaften Sinn des Wortes näher, gemeint: Standpunkt (oder Stand) im Kaulbachschen Sinne ist zunächst ganz einfach ein Ort, auf (oder an) dem wir stehen und von dem sich dann die Welt um uns herauf auf eine bestimmte Weise geordnet oder gegliedert zeigt. Was wir wahrnehmen können, ändert sich, wenn wir uns von einem Standpunkt zum anderen bewegen und in diesem Sinne die Perspektive wechseln. Wir können also insbesondere, hinreichende Beweglichkeit vorausgesetzt, den Standpunkt bestimmen, von dem aus wir unsere Umgebung betrachten. Unser Leben und insbesondere auch die Erfahrungen, welche wir in ihm machen, spielen sich also vor unseren Augen nicht so ab, wie ein unbeeinflußbarer Film für den im Kinosessel eingepferchten Zuschauer. Damit sind wir allerdings von der alltagstopischen bereits wieder auf die metaphorische Verwendungsebene des Wortes „Standpunkt" hinübergewechselt. Aber auch in dieser Betrachtung haben die Perspektiven der Weltorientierung, so scheint es, noch etwas Einseitiges und damit Relatives an sich. So empfiehlt uns der Perspektivismus die Kultivierung verschiedener Betrachtungsweisen, um über deren Gesamtheit und nicht von einem ausgezeichneten Standpunkt aus eine Annäherung an das wahre Verständnis der menschlichen Verhältnisse zu erreichen; mag der perspektivische Weg nun direkt, dialektisch oder historisch hermeneutisch verstanden sein. Jedenfalls gilt: das Wahre ist hier (allenfalls) das Ganze. — Daß die Sonne nicht wirklich im Osten aufgeht, wie wir alle wissen, ist, für sich betrachtet, ebenso

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Friedrich Kambartel

falsch wie — was wir alle sehen — daß die Sonne nämlich wirklich im Osten aufgeht. Wenn auch der Perspektivismus eine eher irreführende Lesart ist, was heißt es dann aber am Ende, in Kaulbachs Sinne einen Standpunkt der Weltorientierung einzunehmen? — Standpunkte sind bei Kaulbach zunächst umfassende Weisen, die Erscheinungen unserer Welt oder unseres Lebens in bestimmter Weise zu ordnen, sie dann auch in dieser Ordnung zu sehen und entsprechend mit ihnen umzugehen. Daran ist selbstverständich die Sprache, in und mit der sich eine solche Ordnung zugleich vollzieht und ausdrückt, notwendig beteiligt. Die apriorischen Ordnungskonstruktionen sind in diesem Sinne zugleich Weisen der Beschreibung der Welt, wie Kaulbach sich ausdrückt. Ein solcher Standpunkt der Weltorientierung im erläuterten Sinne ist etwa der Standpunkt des von Kant so genannten „Verstandes", d.h. der Beschreibung unserer Welt als naturgesetzlich geordnete empirische Erscheinungen. — Aber auch das praktische Weltverhältnis des Menschen, in dessen Perspektive wir handelnd in die Welt eingreifen, für ein Geschehen der Welt verantwortlich sein und unser Tun moralisch orientieren und beurteilen können, ist ein Standpunkt im Sinne Kaulbachs, der Standpunkt der Freiheit. Kaulbach formuliert dazu „Ich ,stelle mich' durch praktisches Denken einerseits unter die Idee der Freiheit, indem ich Stand auf dem Boden der von meiner Vernunft verfaßten Welt nehme: andererseits stelle ich diese Freiheit in der Wirklichkeit meines Standnehmens her." {Ethik und Metaphysik, 33) Betrachten wir mit Wittgenstein die Ordnung, welche wir in solchen Grundverständnissen den Gegenständen (unserer Betrachtung und unseres Umgangs) geben, die „Beschreibung", in welcher sie sich damit zeigen, unter dem Bilde einer grammatischen Ordnung, so lassen sich Kaulbachs Intentionen auch so formulieren, daß ein Standpunkt der Orientierung in der Welt gewissermaßen die Grammatik bestimmt, unter (oder in) der uns die Dinge erscheinen. Daß dies einen Grundgedanken der kritischen Philosophie Kants ausführt, ist dann natürlich für den Kundigen kaum zu übersehen. Kant bevorzugt allerdings die juristisch-politische Metaphorik und ver-

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wendet statt „Grammatik" die Worte „Verfassung" oder „Konstitution". Wir können nun interne Fragen der Grammatik oder Konstitution, welche den Beschreibungen, mit denen wir uns jeweils in der Welt orientieren, zugrunde liegt, unterscheiden von der Feststellung dessen, was in einer bestimmten Grammatik der Beschreibung als durch sie konstituierte konkrete Erscheinungen hervortritt. Mit Kant und Kaulbach hätten wir die Frage der ersten Art „transzendental" zu nennen: sie betreffen die Konstruktion und damit die Bedingungen der Möglichkeit unserer Darstellung. Die unsere Weltverständnisse tragenden und artikulierenden Beschreibungen sind also nicht schlichte Auf- und Nachzeichnungen einer (vor)gegebenen Welt; sie artikulieren stets zugleich eine transzendentale Konstruktion, einen Entwurf, welcher die Ordnung und Einheit der Beschreibung zustandebringt. Das ist das historisch und systematisch weittragende Grundmotiv von Kaulbachs Philosophie der Beschreibung. In einem bestimmten Sinne erzeugt hier die Beschreibung zugleich die Gegenstände der Beschreibung, genauer durch ihre Anlage ist von vornherein, a priori, der Rahmen dessen festgelegt, was überhaupt als Gegenstand der Beschreibung auftreten kann. Kaulbachs Überlegungen sind insoweit auf den berühmten Kantischen Satz zu beziehen, daß die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung sind. Beschreibungen müssen, daraufhat Kaulbach unermüdlich hingewiesen, die Bedingungen beachten, welche die Situation des in der Welt tätigen und erfahrenden Menschen bestimmen. Beschreibungen müssen, wenn sie nicht scheinhaft werden sollen, als Menschenwerk möglich sein. Das heißt insbesondere: wir können uns mit unseren Beschreibungen nicht gewissermaßen außerhalb unserer Welt oder unseres Lebens aufstellen; es gibt keinen Standpunkt der Weltorientierung außerhalb der menschlichen Welt, keine absolute, direkte und so ausgezeichnete Anschauung der Welt, die nicht von unseren Darstellungs- und Verständnismöglichkeiten geprägt wäre. Das vernünftige Weltverhältnis des Menschen, kurz: die Vernunft, ist nun allerdings nicht als ein besonderer Standpunkt der geschilderten Art zu verstehen — und sicher nicht, wie gesagt, als eine absolute

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Friedrich Kambartel

Weltsicht neben oder über den menschenmöglichen Perspektiven. Das hat Kaulbach gegen verschiedene Formen des philosophischen Irrtums mit Recht und Nachdruck immer wieder betont. Die Vernunft begreift Kaulbach denn auch anders, nämlich als jene Bewegung unseres Denkens, in der wir die grammatisch jeweils angemessenen Standpunkte einnehmen, uns der Grenzen der durch sie vermittelten Weltorientierung bewußt bleiben (oder in der Kritik nichtverstandener Verfassungen unseres Denkens werden) und schließlich, wenn es geboten ist, diese Grenzen zu jeweils angemesseneren Philosophien und Beschreibungen überschreiten. M i t Kaulbachs eigenen Worten zu der „von Kant gegebenen Aufgabe, unter kritischer Voraussetzung zu sagen, was eigentliche,Vernunft' ist": Sie muß „sich selbst als Inbegriff der durch endliche Standpunkte und Perspektiven markierten Bewegungen des Denkens begreifen" (Einföhrung in die Metaphysik, 114). Besonders beachtenswert erscheinen mir Kaulbachs Bemerkungen zu der Frage: „Dürfen wir über unsere Existenz verfügen wollen?" Für unsere technische Zivilisation stellt sich die menschliche Beherrschung der Natur, und allgemeiner der Lebensumstände, zugleich als eine Form der Selbstbestimmung des Menschen dar. Dies hat insbesondere drei Aspekte: Zum einen scheint es den Menschen in immer größerem Umfang zu gelingen, in die Naturverläufe einzugreifen, die Natur für menschliche Zwecke arbeiten zu lassen. — Damit geht zum anderen der Versuch einher, den unerwünschten Einfluß der Natur auf das menschliche Leben zurückzudrängen. In dem Maße, wie dies gelingt, bewahren wir uns davor, ständig an der Zufälligkeit und Widrigkeit, der bloßen Ereignishaftigkeit des Naturgeschehens in unserem Leben zu leiden. — Schließlich erhöht die Entlastung von notwendiger Arbeit, welche wir der technischen Naturbeherrschung verdanken, zugleich die Möglichkeiten des Menschen, sich selbst in den Tätigkeiten des Lebens und ihren Produkten auszudrücken (zu „verwirklichen"). Die natürlichen und gesellschaftlichen Folgen und Nebenwirkungen einer der Beherrschung der Natur verpflichteten Perspektive haben das Bewußtsein gebrochen, die technische Zivilisation sei auf einem Wege des kontinuierlichen Fortschritts begriffen, der die

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Abhängigkeit unseres Lebens von kontingenten Zuständen und Ereignissen immer weiter reduziert. Diese Gebrochenheit ist inzwischen zum Gemeingut öffentlicher Fortschrittskritik geworden und bedarf der philosophischen Erinnerung nicht mehr. Friedrich Kaulbach hat in seinen Überlegungen auf einen tieferliegenden Umstand hingewiesen: daß nämlich die Unverfügbarkeit wesentlicher Ereignisse und Bestände unseres Lebens zum „Rechtsanspruch auf eine menschliche Welt" gehört. Ich möchte einige Bemerkungen zu den ethischen Gründen einer solchen Sicht der Dinge beitragen. 1. Mit der Verfügung über die natürliche Form unseres Lebens und seine Bedingungen wüchse uns, oder denen, welche solche Verfügung ausüben, auch eine entsprechend ausgedehnte Verantwortung zu. Versetzten uns etwa Techniken der Genmanipulation in die Lage, die Eigenschaften eines Menschen zu bestimmen, und wären solche Techniken allgemein zugänglich, so könnten wir uns zu Charakter und physischen Eigenschaften nicht mehr schlicht so verhalten, daß wir von dem als wesentlich auch (natur)gegeben ausgehen, was wir sind. Kinder könnten im Blick auf ihr Aussehen, ihr (biographisch intern) unabänderliches Wesen usf. ihre Eltern oder sonst Beteiligte für Tun und Unterlassen zur Rede stellen. 2. Soweit andererseits die fundamentalen Grenzen unseres Lebens, sein Ende insbesondere, lediglich prinzipiell, aus externen Gründen (ζ. B. wegen der Größenordnung entstehender Kosten), aber nicht generell (für jedermann) handlungszugänglich gemacht werden können, fallt uns eine kaum lösbare neue Selektionsaufgabe zu. Wo die vorhandenen Ressourcen lebensrettende Maßnahmen nur für einige, nicht für alle in derselben Lage erlauben, da wird der Mensch, der Arzt vor allem, in einem bisher ungeahnten Maße Herr über Leben und Tod. 3. Warum sollten wir aber die unserem Handeln entzogene Kontingenz fundamentaler Lebensumstände nicht lediglich als ein Verhängnis, sondern als eine Qualität der menschlichen Existenz begreifen, als etwas, was diesem seine Würde gibt, wie es Kaulbach formuliert? — Ein Hauptgrund liegt, denke ich, in dem Umstände, daß wir die bisher unaufhebbaren Grenzen unseres Lebens und unserer Person

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Friedrich Kambartel

letztendlich nicht der Entscheidung anderer Menschen überantworten können: Wer seine leiblichen und persönlichen Merkmale der Wahl seiner Eltern (z.B.) „verdankt", kann aufgrund der zeitlichen Form seiner Biographie offenbar nicht den geringsten Einfluß auf diese Herstellung seiner Person nehmen. Die Festlegung der (natürlichen) Eigenschaften eines Menschen (über das für die Abwehr von Krankheit und Tod notwendige Maß hinaus) wäre daher eine Entscheidung, an welcher der Hauptbetroffene nicht beteiligt ist (werden kann). — Daß wir gegenwärtig noch unsere Natur als Grenze und Rahmen unseres Handelns weitgehend akzeptieren müssen, läßt uns andererseits zwar nicht selbst zum Produzenten der (natürlichen) Bedingungen unseres Lebens werden, aber eben auch nicht andere Menschen, denen gegenüber dann unser Anspruch auf die (uneingeschränkte) Selbstbestimmung unseres von ihnen geformten Lebens nicht mehr einzulösen wäre. 4. Noch immer sind Töten und Getötetwerden, direkt oder durch Unterlassen des rettenden Eingreifens bewirkt, schlimmer als der schlicht geschehende Tod, und in den existentiellen Dingen die Hybris eines praktisch folgenreichen Urteils über das naturbedingte Wesen und die Grenzen des menschlichen Individuums unerträglich im Vergleich mit der Unschuld des (vorhandenen oder durch weise Beschränkung künstlich neu gewonnenen) Nichtwissens und Nichtkönnens. 5. Zu dem schlichten Umstand, daß andere Menschen Leben und Sterben über uns verhängten, käme hinzu, daß die moralische Substanz der Menschheit für Entscheidungen dieser Art nicht ausreicht. Wir möchten sie auch daher durch Menschen nicht treffen lassen, sie vielmehr der nicht oder nur begrenzt erforschlichen Gegebenheit des Lebens zurechnen. Lassen Sie mich schließen mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß nicht nur die Vernunft mobil bleibt, sondern auch Sie, verehrter Herr Kaulbach, vom Standpunkte des Leibes ebenso wie von dem des Geistes betrachtet. Daß Sie also noch eine gute Weile unter uns kräftig schreiten und denken mögen, das wünschen wir Ihnen, Ihrer Gattin und uns von Herzen.

IL Naturverhältnis und Recht

Menschenrecht und Naturverhältnis Von Friedrich Kaulbach Bringt man heutzutage Moral und Menschenrecht mit dem Verhältnis des modernen Menschen zur Natur in einen Zusammenhang, dann geschieht das meist in dem Tone der Anklage gegenüber Naturwissenschaft und Technik, denen man vorwirft, durch rücksichtslose Verfolgung ihrer Fortschrittsziele das natürliche Fundament zu zerstören, auf dem wir unser Leben als Leibwesen aufbauen. Thema ist dann die Verletzung von Rechten des Menschen, wie es dasjenige auf Schutz des Lebens und der Gesundheit und, etwa im Blick auf die Gentechnik gesagt, auch auf menschliche Würde ist. Man stellt das gegen Menschenrechte wie dasjenige auf Sicherung der Lebensgrundlagen sich vergehende, der Verantwortung entbehrende Vorgehen von Wissenschaft und Technik fest. Man verurteilt vom Standpunkt des Rechts auf freie Entwicklung der menschlichen Natur aus maßlose wissenschaftliche und technische Zwecksetzungen und fordert Selbstbegrenzung des Wissenstriebes und des Willens zum technischen Fortschritt, der sich das Ziel einer unbedingten Herrschaft über die Natur gesetzt hat. Man erhebt seine Stimme für das Recht auf Leben und Überleben und brandmarkt die Gefahr für dieses durch Katastrophen, die Technik verschuldet hat. Gelegentlich ist der Appell zu einer Art Rückkehr zu einem vertrauten, freundlichen Verhältnis zur Natur zu vernehmen, durch welches verbürgt sein soll, daß Grundrechten wie denen auf Sicherung des Lebens und freier unreglementierter Entfaltung der Lebenskeime Rechnung getragen wird. Versucht man, sich zum Interpreten solcher Appelle zu machen, so kann man sagen: es gilt, sich vom Willen zur Herrschaft über die Natur und zu ihrer Unterwerfung abzuwenden, welcher der neuzeitlich-modernen Stellung des Menschen zur Natur eigentümlich ist. Die Meinung ist, daß man Frieden mit dieser Natur schließen solle, die man sich zum Feind gemacht hat. Dabei sollen mißachtete Rechte

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Friedrich K a b a

wie das auf Leben und Überleben ebenso wie auch auf das Glück eines vertrauten Verhältnisses zur Natur, auf ein ästhetisches Erlebnis der Landschaft ebenso wie auf die menschliche Stellung der Würde gesichert werden. Der in dieser Weise für das Recht des Menschen Eintretende verhält sich polemisch gegenüber der Mentalität des Verplanens der Natur, des Willens zur Macht über sie und gegenüber der mit diesem Machtwillen sich verbündenden Naturwissenschaft. Unter dieser Voraussetzung wird auch gelegentlich die Bedeutung der sogenannten Geisteswissenschaften auf die ihnen unterstellte Fähigkeit begründet, einem, wie man es sieht, von der naturwissenschaftlich-technischen Vernunft ausgeklammerten Thema gerecht zu werden: Gemeint sind die angeblich von dieser Vernunft aus dem modernen Leben verbannten Sinn- und Rechtsbezüge, zu denen auch derjenige des menschlichen Verstehens, des individuellen Weltdeutens, des inneren Kosmos der Gefühle, Affekte und Leidenschaften gehört. Joachim Ritter hat in einem an der Universität Münster 1961 gehaltenen Vortrag über die „Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Welt" die These vertreten, diesen sei die Leistung einer Kompensation für den Verlust an Sinngehalten zu übertragen, der an unserer wissenschaftlich-technischen Kultur zu beklagen sei. Dieser These wäre auch die Form zu geben, daß durch den beherrschenden Einfluß von Naturwissenschaft und Technik auf unsere Kultur die Rechte auf ein sinnerfülltes Verhältnis des Menschen zur Natur ebenso wie auch zum andern Menschen unbeachtet bleibt. Dagegen erwartet man von den Geisteswissenschaften eine Entschädigung für den Verlust an menschlichen Sinnbezügen, zu denen wesentlich auch Rechtsbezüge zu rechnen sind. Im Gegenzug gegen Vorwürfe dieser Art, welche Naturwissenschaft und Technik in ein nihilistisches Licht rücken, und gegen das Programm, den angeblich durch sie verschuldeten Rechtssinnverlust zu ersetzen, soll in den Überlegungen dieses Vortrags folgende These zur Sprache gebracht und verteidigt werden: Vom Ursprung der neuzeitlichen Begründung der Naturwissenschaft her dominiert diejenige Attitude des Menschen der Natur gegenüber, in welcher er sich zu deren Gesetzgeber, Herrscher und Gebieter machen will. Diese Attitude hat sich, so soll weiter behauptet werden, den

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Anspruch des neuzeitlichen Menschen zu eigen gemacht, durch die Einnahme der Stellung des Gebieters der Natur zugleich seine spezifische Stellung als Mensch mit dem Charakter des Selbst-Seins und der Freiheit zu begründen und dabei seine Menschenrechte zur Geltung zu bringen. Es wird auch die Rede daraufkommen, daß in der weiteren Geschichte der naturwissenschaftlich-technischen Kultur der Moderne vor allem im 19. Jahrhundert die ursprüngliche Einheit zwischen Rechtssinn und Machtwillen zerfallen ist. Mit dem Machtwillen haben sich andere, dem Rechtssinn fremde Motive verbunden, deren Ursprung in Ökonomie, Machtpolitik und Industrie zu suchen ist. Von da aus gesehen würde die in der gegenwärtigen Situation sich stellende philosophische und praktische Aufgabe darin zu sehen sein, Wege zur Wiedergewinnung dieser Einheit zu suchen und zu begehen. Statt der Naturwissenschaft den Rücken zu kehren und ausschließlich nach anderen Kulturgebieten Ausschau zu halten, wenn es darum geht, den Sinnverlust wettzumachen, sollte die ursprünglich am Menschenrecht orientierte Intention wieder zur Geltung gebracht werden, die mit dem Anspruch auf die Stellung des Gesetzgebers und Gebieters der Natur ursprünglich verbunden war. Der Anspruch des neuzeitlich modernen Menschen auf seine rechtlich-politische Selbständigkeit und Freiheit und auf seine allgemeinen Rechte ist nicht nur im politisch revolutionären Handeln und Bewirken, sondern schon in der gedanklichen Handlung des Stellungnehmens zur Natur zur Geltung gekommen. Er wird schon in der „Revolution der Denkart" wirksam, wie Kant bei Galilei und seinen Nachfolgern festgestellt hat. In ihr behauptet der moderne Mensch sein Selbst-Sein, seine politische Selbständigkeit und auch seinen menschlichen Eigenwert, seine Würde. Daß solche meist in den Bereich der praktischen Vernunft verwiesenen Ansprüche des Menschen wie der auf seine Würde, d. i. seinen absoluten Selbstwert schon in die Grund-Stellung eingehen, die bei der Begründung der neuzeitlichen Wissenschaft der Natur eingenommen wird, lassen Überlegungen Kants zu dem Geschehen erkennen, welches sich bei Galilei und seinen Nachfolgern bis zur Gegenwart ereignet. Hier wird erkennbar, daß der neuzeitliche Mensch seine humane Stellung in Kosmos und Gesellschaft, die er als diejenige der Würde, des Selbst-Seins, auch der Freiheit zur politischen Selbstgestaltung

Friedrich K a b a

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auf der Grundlage rechtlicher Selbstgesetzgebung versteht, schon als theoretisch-wissenschaftlicher Mensch durch die Attitude des Gesetzgebers und Gebieters der Natur erobert. Gemäß dieser Attitude verhält sich der Mensch als Deuter und Schöpfer der Welt der Gegenständlichkeit der Gegenstände seiner Naturerkenntnis. Er deutet sich diese Gegenstände in der Denkart und in der Sprache der Perspektive, die seinem Stand des Gesetzgebers und Gebieters der Natur angemessen ist. In dieser Perspektive und ihrer Sprache sind Kategorien wie Quantität und Relation dominierend. In dem Maße, in welchem sich in der Neuzeit die dem Willen zur Macht angemessene Perspektive der Naturdeutung durchgesetzt hat, werden diejenigen Kategorien verdrängt, die für die antik-mittelalterliche Perspektive des Geltenlassens der selbständig wachsenden, gestaltbildenden Natur charakteristisch sind. In Frage kommen Kategorien wie Morphe, Wesen, Substanz: Gegen sie hat sich mit dem Überhandnehmen der neuzeitlichen Perspektive der Naturdeutung und ihrer Sprache vor allem die Kategorie der mathematischen Funktion durchgesetzt. 1 Der Übergang zu dem Stand des schaffenden Deuters der Natur und ihres Gesetzgebers ist mit dem Anspruch des neuzeitlichen Menschen auf eine neuartige Form von Freiheit, Selbständigkeit und Würde verbunden. Als ein untrügliches Anzeigen für den engen Zusammenhang zwischen der Behauptung des Standes des Gesetzgebers der Natur, der Gebrauch der Perspektive der unter die Herrschaft der Vernunft gebrachten Natur und der beanspruchten Würdestellung des Menschen kann es angesehen werden, daß es Gründe für die wissenssoziologische These gibt, daß die Wahl der Perspektive der beherrschten Natur symptomatisch für den auf politische Selbständigkeit, auf Produktionsvermögen und auf rechtlich-gesellschaftliche Sicherung ausgehenden Geist des neuzeitlichen Bürgertums sei. Max Scheler sieht eine wichtige Wurzel der neuzeitlichen Naturwissenschaft in dem „durch Ethos und Wille begutachteten Trieb des aufstrebenden Stadtbürgertums zu nicht gelegentlicher, sondern systematischer Naturbeherrschung". 2 Auf diesen Zusammenhang trifft aiich seine Aussage zu, daß die „Ge1

Vgl. E. Cassirer , Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Berlin 1923. M. Scheler, Probleme einer Soziologie des Wissens, Gesammelte Werke, Band V I I I , Bern/München 1960, S. 112. 2

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schichte der politischen Befreiung nicht unabhängig von der Geschichte der Freiheit und Macht" sei, „die der Mensch über die Natur erwarb". 3 Es kommt mir darauf an, diese Aussage nicht so zu verstehen, als ob die politische Emanzipation der durch Naturbeherrschung gewonnenen physischen oder ökonomischen Macht zu verdanken sei. Vielmehr ist sie als ein politischer Aspekt des Stellungnehmens des naturforschenden Menschen der Neuzeit dieser Natur gegenüber zu begreifen. Vielleicht ist sogar die dominierende Stellung, welche die Naturwissenschaft bis zum heutigen Tage in der modernen Kultur einnimmt, auf die das Selbst-Sein des modernen Menschen begründende Attitude zurückzuführen. Auf die Herstellung dieses Selbstseins und der Autarkie des Menschen, die menschenrechtliche Einsprüche einschließt, durch Auseinandersetzung mit der Natur treffen die Anfangssätze zu, mit denen Friedrich Schiller den dritten seiner Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen einleitet. Die Natur, so heißt es hier, handle für den Menschen, wo er noch nicht selbst als freie Intelligenz handeln könne. „Aber eben das macht ihn zum Menschen, daß er bei dem nicht stillesteht, was die bloße Natur aus ihm machte, sondern die Fähigkeit besitzt, die Schritte, welche jene mit ihm antizipierte, durch Vernunft wieder rückwärts zu tun, das Werk der Not in ein Werk seiner freien Wahl umzuschaffen, und die physische Notwendigkeit zu einer moralischen zu erheben." Gleich die darauf folgenden Sätze stellen das Bild der Rechtsgesetzgebung und der Gesellschaftsgründung auf dem Wege der Auseinandersetzung mit Natur und Naturstand vor Augen. Der Mensch „kommt zu sich aus seinem sinnlichen Schlummer, erkennt sich als Mensch und findet sich — in dem Staate. Der Zwang der Bedürfnisse warf ihn hinein, ehe er in seiner Freiheit diesen Stand wählen konnte; die Not richtete denselben nach bloßen Naturgesetzen ein, ehe er es nach Vernunftgesetzen konnte". Er stellt sich als Mensch die Aufgabe, einen Staat seiner eigenen freien Gesetzgebung zu begründen. Vom Stand dieser Freiheit aus legt er sich ein geschichtsphilosophisches Bild zurecht, in welchem er sich als Wesen begreift, das über den Naturstand zu demjenigen des freien, selbständigen Gesellschaftsentwurfes übergeht. Bei diesem Übergang macht der Mensch seine Rechte geltend: „ A u f seine Art entsteht und 3

Ebd., Erkenntnis und Arbeit, S. 444.

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rechtfertigt sich der Versuch eines mündig gewordenen Volks, seinen Naturstaat in einen sittlichen umzuformen." Ein analoges Bild des Zusammenhanges zwischen der Selbstwerdung des neuzeitlichen Menschen und seiner Stellungnahme zur Natur, in welcher er dieser gegenüber sein Selbstsein und die ihm eigentümliche Kompetenz auch zur rechtlichen Gesetzgebung geltend macht, tritt in Kants Deutung der Wendung vor Augen, die Kopernikus herbeigeführt hat. Die epochale Bedeutung dieses Geschehens ist darin zu sehen, daß sich hierbei der Mensch von der Zumutung der Natur, ihn auf einen Stand und eine Perspektive der Betrachtung des äußeren Kosmos durch seine Geburt hier auf dieser Erde festzulegen, emanzipiert. Er stellt sich auf den Stand der Freiheit zu einer selbstgetroffenen und motivierten Moral des Standpunktes seiner Weltstellung im Kosmos. Dem entspricht auch, daß sich der neuzeitlich-moderne Mensch selbst den Stand des Gesetzgebers der allgemeinen Gesetze der Natur gibt. Er versetzt sich zugleich in den Stand der Freiheit dadurch, daß er über die Natur das Netz der gesetzlichen Notwendigkeit wirft. Der Mensch ist Gesetzgeber der allgemeinen Gesetze der Natur: Das heißt, daß er sich zum Gründer des Staates der die Natur Erkennenden und sie Behandelnden macht. Das ist Kant zufolge so zu verstehen, daß er den Gegenständen der Naturerkenntnis von vornherein allgemeine Prädikate, wie das der Größe, der Meßbarkeit, des Stehens im Ursache-Wirkungsverhältnis vorschreibt und auf diese Weise den Typus: Gegenstand über normiert und aufbaut. Als Gesetzgeber und Architekt der Natur macht er sich zu ihrem Herrn. Die Gesetze, die er ihr gibt, sind Fesseln vergleichbar, die er ihr anlegt, um sie zu einem ihm erwünschten Verhalten zu zwingen. Es handelt sich dabei nicht um Gesetze der Freiheit, welche sich etwa Bürger eines demokratischen Staates geben, sondern um Gesetze der Notwendigkeit, denen die Natur ohne ihren Willen unterworfen wird. Kant spricht diese Natur als ein „Gebiet" (ditio) an, um anzudeuten, da in ihr Gebote herrschen, die ihr der Gesetzgeber Mensch gibt. Das ist nicht die Natur, welcher die Griechen den Namen Physis gegeben haben, die sie als den Bereich der aus sich selbst heraus sich entwickelnden, wachsenden, entstehenden und vergehenden Wesen verstanden und zu der sie sich in der Attitude des

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sich Einordnens in sie verhielten. Ich spreche von der Perspektive der gefesselten Natur, von der der auf Macht über sie bedachte Mensch theoretisch und pragmatisch Gebrauch macht. 4 Der Mensch der Neuzeit schafft sich als Gesetzgeber und Architekt seine ihm gefügige Naturwelt. Die Attitude, die er der Natur gegenüber schon als ihr Theoretiker einnimmt, zeigt den Charakter des Verfügenwollens, der zugleich von dem Anspruch auf den absoluten Eigenwert, die Würde des Menschen und auf die Verwirklichung seiner Rechte durch Naturbeherrschung durchdrungen ist. An dieser Stelle drängt sich, vorläufig in Parenthese gesagt, eine Bemerkung auf, die erst an späterer Stelle ihren eigentlichen Ort finden wird. Sie betrifft die Grenzen der Fähigkeit der Machtvernunft, zugleich die Würde des Menschen und die aus ihr sich ergebenden Rechtsansprüche zu vertreten. Die Grenze dieser Einheit zwischen Machtvernunft und Rechtsvernunft ist auch dort sichtbar, wo die Folgen der technischen Fesselung der Natur dem Menschenrecht auf Schutz des Lebens und Gesundheit zuwiderlaufen, statt ihm zu dienen: z.B. in Katastrophen, die auf technische Eingriffe in die Natur zurückzuführen sind. Diese sind in der hier gebrauchten Sprache so zu deuten: Sie sind Ausdruck des Mißlingens der Fesselung der Natur. Diese führt als Natur, welche ihre Fesseln abgeworfen hat, die Katastrophe herbei. Die nun freigewordenen, ungebundenen und gewaltigen Kräfte wirken sich chaotisch und alles vernichtend aus. Hierbei zeigt sich, daß das Geschehen in einer Perspektive zu deuten ist, welche derjenigen der gefesselten Natur gegenübersteht: Es ist die Perspektive der freien Natur. In der Katastrophe zeigt diese ihre Freiheit, die sonst auch in der Weise milden und freundlichen Wachsens und Gedeihens, Geborgenwerdens und Sterbens, als „sanfte Gewalt" nach Stifters Wendung in Erscheinung tritt, jetzt in der Weise des sinnlos feindlichen Zerstörens. Soll der in dem Willen zur Herrschaft über die Natur ursprünglich angelegte Rechtssinn Geltung behalten, so darf im Hinblick auf solche Katastrophen die Perspektive der gefesselten Natur allein nicht absolute Wahrheit behaupten. Vielmehr muß immer auch Natur als freie Natur bedacht werden. Vernunft ist vor die Aufgabe gestellt, Selbstbeschränkung ihrer eigenen Gestalt der 4

2*

Ζ. B. in meinem Buch: Philosophie der Beschreibung, Köln/Graz 1968.

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Machtvernunft vorzunehmen. Gefordert ist, daß für das Recht der freien Natur Stellung genommen wird. Erst dadurch wird das Portrait der Würde erst vollständig, welches der auf Herrschaft über die Natur bedachte Mensch angefangen hat. Es ist nur eine Folge dieses Stellungnehmens für das Recht der Perspektive der freien Natur, wenn nur diejenige wissenschaftlich technischen Zwecke gewählt werden, die im Interesse von Würde und Recht des Menschen auch im Einklang mit dem Wirken der freien Natur verantwortbar sind. Der Mensch der Neuzeit vergegenwärtigt seinen Stand des Gesetzgebers und der Freiheit in der Bedeutung der Autarkie und des absoluten Selbstwertes, der Würde durch den Gebrauch der Perspektive der gefesselten Natur, und er richtet sein Handeln dieser Perspektive gemäß ein. Würde verwirklicht sich im Verhältnis zwischen den Menschen, die gemeinsam diesen Stand des Gesetzgebers der Natur einnehmen und von der Perspektive der gefesselten Natur theoretisch und praktisch Gebrauch machen. Auch die Natur des Menschen und das mit uns „geborene" Recht gilt von hier aus gesehen dem Willen zur Herrschaft über die Natur als zufallig. Es ist bezeichnend, daß in der Aufklärungszeit und besonders in Kants Rechtsphilosophie nicht die Natur, sondern die ihr Gesetze gebende Vernunft als Quelle des Rechtes aufgefaßt wurde: Der Name Vernunftrecht ist für diese Deutung passend.5 Es gehört zu dem Gebrauch der Perspektive der gefesselten Natur, daß der Gesetzgeber Mensch dieser Natur die Notwendigkeit seiner Gesetze aufprägt und daß er in ihr kein Ereignis zuläßt, welches nicht zu den Begriffen und der Sprache dieser Gesetzgebung gemäßigt ist. Solch ein Ereignis wird das Denken und Sprechen der Perspektive der gefesselten Natur als „Zufall" bezeichnen: Es fallt aus dem Netz des berechnenden und planenden Denkens heraus, durch welches die Natur gefesselt wird. Das heißt nicht, daß dieses Ereignis nicht der Rationalität einer höheren Stufe und ihrer Notwendigkeit zuzuordnen wäre. Das auf Herrschaft über die Natur bedachte Denken und Handeln scheidet aus ihr den Zufall aus und prägt ihr die Notwendig-

5 Vgl. F. Wieacker, gen 1967, S. 249f.

Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttin-

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keit seiner Gesetze auf, mit denen es ihr Fesseln anlegt. Der Gesetzgeber bedient sich dabei der Sprache der mathematischen Funktionen. M i t ihr führt er das Programm der Nezessitierung der Natur durch, welche dem Zufall im engmaschigen Netz der auf Vorhersage und Vorherbestimmung ausgerichteten Gesetzesbegriffe keinen Raum läßt: So ζ. B. im Bereich der Gentechnik dann, wenn die Wahl der Geneigenschaften der Individuen nicht der „Natur" überlassen, sondern vom Menschen entschieden wird. Führt der Wille zur Nezessitierung der Natur dann, wenn er einseitig und radikal dem Machttrieb dient, zur Mißachtung der menschlichen Würde, so ist doch nicht zu übersehen, daß er ursprünglich gerade im Widerspruch dazu der Stellung des naturwissenschaftlich-technischen Menschen der Natur gegenüber eigentümlich ist, der die Intention auf menschliche Würde und auf die Achtung vor seinem absoluten Selbstwert innewohnt. Ein charakteristischer Zug dieser Intention ist derjenige des Anspruchs auf Sicherheit der Lebensumstände, ζ. B. der Garantie der Rechtsverwirklichung, des Eigentums, der sozialen Sicherheit, des Unbehelligtseins durch Katastrophen der Natur oder Erschütterungen der gesellschaftlichen Umwelt. Hier wird aber erkennbar, daß die im Interesse der menschlichen Würde angestrebte totale Nezessitierung der Naturwelt in eine Situation umschlagen muß, die dieser Würde und der Freiheit Abbruch tut. Diese Erkenntnis ist nicht erst durch geschichtliche Erfahrung, sondern schon im Gedankenexperiment zu gewinnen. Denkt man nämlich die Intention auf Nezessitierung unbegrenzt verwirklicht, dann ergibt sich das Bild einer total unter die Notwendigkeit der Zweckrationalität gebrachten Welt, in der alle die freien, spontanen Ereignisse unterdrückt werden, zu denen auch das Leben des inneren Kosmos, der Phantasie, der Leidenschaften, der Liebe und des Hasses und alle sonstigen menschlichen Sinnbezüge gehören. Würde und Freiheit, die Fundamente der Menschenrechte, fordern die freie Entfaltung des Reichtums der menschlichen „Natur" und des inneren Kosmos der humanen Sinnbezüge. So sicher es ist, daß sie dem Charakter der Stellung des neuzeitlichen Naturwissenschaftlers zur Natur und der Intention auf Nezessitierung zugehören, so gewiß ist auch die Vernichtung von Würde als Freiheit in der Folge

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unbegrenzter Verwirklichung dieser Intention. Diese schlägt in das Gegenteil der in ihr selbst angelegten Absicht um, für das Recht des Menschen gegen die „bloße" Natur Raum zu schaffen. Durch die Erfahrung der Realität unserer gegenwärtigen Situation bestätigt sich diese gedankliche Konsequenz, wenn man an Entwürfe ungezähmter gentechnologischer Phantasie denkt. Diese Erfahrung fordert zu der Überlegung auf, daß naturwissenschaftliche und technische Vernunft im Interesse der Würde des Menschen und seiner Rechte, welches die Stellung dieser Vernunft zur Natur motiviert, eine Selbstbegrenzung zu vollziehen hat. Gefordert ist, daß ihre Absicht auf Nezessitierung der Natur einzuschränken ist, um einer Weltperspektive das Recht zu geben, in welcher der „Zufall", das durch den zweckrationalen und technischen Verstand nicht in den Griff zu bringende Ereignis anerkannt und gerechtfertigt wird. In dieser Weltperspektive ist die Rationalität einer höheren Notwendigkeit maßgebend. Sie gewährt der Natur des „äußeren" und des „inneren" Kosmos freie Entfaltung. Diese ist die Natur des aus sich heraus Herstellenden und ins Dasein Tretenden, der bildenden und gestaltenden Kräfte. In dieser Weltperspektive wird das Bild der freien Natur gezeichnet. Es liegt in der Konsequenz der im weitesten Sinne gefaßten Rechtsidee, sofern das Verhältnis zur Natur zur Debatte steht, dem Programm der Sicherheit und Notwendigkeit nicht unbegrenzte Geltung zuzugestehen, sondern ihm Grenzen zu setzen. Als Folge ergibt sich, daß jenseits dieser Grenzen das Recht auf Zufälligkeit einzuräumen ist, die in Wahrheit vom Standpunkt der menschlichen Sinnwelt aus, zu der sie gehört, als höhere Notwendigkeit anzusprechen ist. Daß in diesem freien Raum für den Menschen auch die riskante Aufgabe der Lebensexperimente mit perspektivischen Weltentwürfen, die auch Rechtsvorstellungen einschließen, als sinnvoll angenommen wird, ist dann als zur menschlichen Freiheit und Würde gehörig zu verstehen. 6 In dieser Überlegung wird deutlich, daß die Perspektive der gefesselten Natur zu begrenzen und auf diejenige der freien Natur 6

Vgl. mein Buch: Nietzsches Ideen einer Experimentalphilosophie, Köln /Wien 1980.

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abzustimmen ist. 7 In dieser hat der Zufall und seine Notwendigkeit menschlicher Sinnbezüge, von denen hier vor allem das Recht des Menschen zur Debatte steht, Raum. Die Perspektive der gefesselten Natur deutet diese als Vernunft- und sinnfremden Bereich in der Absicht, dem erkennenden und technisch pragmatisch tätigen Subjekt in ihr ein gefügiges Material zu verschaffen, dem dieses seine Verstandeskategorien aufprägen kann. Dagegen gesteht die zu ihr komplementäre und sie zugleich begrenzende Perspektive der freien Natur des Zufalls und der höheren Sinnotwendigkeit dieser Natur eigene selbständige Formungskräfte zu, deren freie Entfaltung zur menschlichen Würde gehört, welche die Verwirklichung von Sinnmöglichkeiten und Sinnotwendigkeiten fordert. Im folgenden soll zunächst der Blick auf die These zurückgelenkt werden, daß die die neuzeitliche Naturwissenschaft fundierende und für ihr Verhältnis zur Natur maßgebende Attitude dieser Natur gegenüber diejenige der Herrschaft der Vernunft über sie ist, mit der das menschliche Subjekt zugleich seine Würdestellung behaupten will. Bacon bringt dieses Naturverhalten auf eine soziologische Sprache, wenn er die Bemühungen beim Aufbau einer experimentell verfahrenden, systematisch vorgehenden Naturwissenschaft dem Willen des Menschen auf Gewinnung der Stellung des „Königs" der Natur zuordnet. 8 Er deutet den Willen zur Macht über die Natur moralisierend als „Ehrbegierde" höchsten Ranges. Dilthey sieht dementsprechend in Descartes einen maßgebenden Repräsentanten des theoretisch und praktisch gedeuteten „Idealismus der Freiheit" auch im Blick auf dessen wissenschaftliche Behandlung der Natur. „Die neue mechanische Erklärungsweise" habe sich bei ihm, der den „universalsten Ausdruck für sie fand, mit dem Idealismus der Freiheit verständigt". 9

7 Daß die Auseinandersetzung zwischen der Perspektive der gefesselten und der freien Natur die Geschichte der neueren Philosophie und im weiteren Horizonte der modernen Kultur maßgebend bestimmt hat, versuchte ich in meinem Buch: Philosophie der Beschreibung (FN 4), darzustellen. 8 F. Bacon, Novum organon, in der Übersetzung von A. Th. Brück: Neues Organ der Wissenschaften 1830, reprint Darmstadt 1962, S. 95-96. 9 W. Dilthey s gesammelte Schriften, Leipzig und Berlin 1929, 2. Band, S. 348.

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Der Gedanke des Zusammenhanges zwischen Rechtsstellung des neuzeitlichen Menschen und seiner Attitude der Natur gegenüber tritt besonders im Blick auf den Begriff der Arbeit entgegen, sofern diese im Aspekt des Gesetzgebers der Natur verstanden wird. Daß dabei auch der geschichtliche Zug des Zusammenhanges zwischen Menschenrecht, Naturverhältnis und Arbeit in den Blick tritt, wird ζ. B. in dem Hegeischen Lehrstück vom Herrn und Knecht in der Phänomenologie des Geistes einsichtig. Das Bild der Arbeit, welches Hegel im Blick auf den für den Herrn tätigen Knecht zeichnet, trifft auf die geschichtliche Situation vor der bürgerlichen Revolution, aber auch noch vor der kopernikanischgalileiischen Revolution der Denkart zu, in welcher der neuzeitliche Mensch Stellung zur Natur nimmt. Das Bewußtsein des Knechtes hat diesen noch nicht zum Herrn und Gesetzgeber der Natur gemacht. Daher hat er sein Selbstsein und seine Würde mit den aus ihr folgenden Rechten noch nicht gewonnen. Er ist selbst im Grunde genommen noch ein Stück Natur. Wenn der Knecht die Naturmaterialien für die Erfüllung der täglichen Lebensbedürfnisse des Herrn zubereitet, dann geschieht das nicht in der Attitude des Gesetzgebers der Natur, in welcher er auch Rechte beanspruchen müßte, sondern in der Einstellung und Stellung eines Wesens, welches noch im Naturstand lebt und nicht den Anspruch erhebt, als Wesen der Würde geachtet und anerkannt zu werden: man denke etwa an Papageno in Mozarts Zauberflöte. Die Stellung des Knechtes ist derart, daß er sich mit dem vorzubereitenden Material der Natur handgemein macht, er ist an ihm gleich einer wirkenden Naturkraft tätig. Daher kann man sein Tätigsein nicht im neuzeitlichen Sinne eigentlich als Arbeit bezeichnen, weil er sich dem Naturmaterial gegenüber nicht in der Attitude des Selbstseins und des Gebieters der Natur verhält, sondern sich als ein Stück Natur versteht. Diese Situation kennzeichnet Hegel durch die Wendung, daß sich der Knecht mit der „Dingheit überhaupt synthesiere", wenn er sich am Naturmaterial im Auftrage des Herrn zu schaffen macht. Sein Tun ist, das will damit gesagt sein, ein mit den leiblichen Organen geleistetes Zubereiten der Sache, welches selbst zum Naturprozeß gehört; es versteht sich nicht als in der Stellung des Selbstseins der Natur gegenüber unternommenes Arbeiten. Erst wenn der Knecht

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zur Stellung des Gesetzgebers und Gebieters der Natur übergeht, gewinnt er für sich und übrigens auch für den Herrn den Stand, der es ihm erlaubt, sich als Selbstsein zu verstehen und das Recht dieses Selbst zu behaupten. Jetzt ist er erst in den Stand dessen getreten, für den Arbeit im neuzeitlichen Sinne möglich ist. Er tritt dabei als selbständiges Rechtssubjekt, als Bürger in die Arbeitssituation ein, statt sich als leiblich natürliche Kraft unter die Kräfte der Natur mischen zu müssen. Da er sich auf diese Weise den Stand der Menschenwürde verschafft, hat er sich vom Knecht zum selbständigen, vertragsfähigen und auch an der politischen Gesetzgebung teilhabenden Bürger verwandelt, der sein Dasein durch Arbeit aufbaut. Bei Hegel heißt es, daß der eigentliche Knechtstand mit einer Natur sich zu befassen habe, die ihre Selbständigkeit behält. Die Logik der Entwicklung des Naturverhältnisses aber führt zu einem „Negieren" dieser Selbständigkeit. Dieses Negieren nimmt in der Revolution des neuzeitlichen Naturverhältnisses die Gestaltung der Gesetzgebung an, durch welche die Natur gefesselt wird. Durch diese Gesetzgebung wird ihr die Selbständigkeit abgesprochen, die jetzt vom menschlichen Subjekt in Anspruch genommen wird. Das Selbstsein des Subjekts entwirft Gedankenformen, die es jetzt in der Situation des Arbeitens der unselbständig gewordenen Natur aufprägt. Im theoretischen Verhältnis wird der Gegenstand konstituiert. Diesen stellt sich auch der Arbeitende gegenüber, weil es die Rechtsintention dieses Arbeitenden fordert, das ein relativ Bleibendes, Beständiges als ein gesellschaftlich brauchbares Produkt hervorgebracht werde: „ . . .das arbeitende Bewußtsein kommt hierdurch zur Anschauung des selbständigen Seins, als seiner selbst." Auch die Analysen von Marx, in denen er zu seiner Entfremdungsthese im kapitalistischen Arbeitsverhältnis kommt, setzen den Gedanken der Verbindung zwischen neuzeitlicher Naturstellung, Rechtsstand des Menschen und Arbeitssituation voraus. Die Einheit von Rechtsstellung und Stellung zur Natur ist auch Thema Kants, wenn er sich im Blick auf das Verhältnis von Arbeit und Eigentumsrecht mit Locke auseinandersetzt. 10 Während Locke

10 Vgl. Friedrich Kaulbach, Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, S. 124f.

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das Eigentumsrecht auf Arbeit gegründet hat, kehrt Kant diese Abhängigkeit um, weil er einen anderen Begriff von Arbeit vertritt. Während Locke jede nutzbringende Tätigkeit, in der sich ein Individuum auch im Naturstande an einer Sache zu schaffen macht, als Arbeit bezeichnet, sieht Kant den gesellschaftlichen Einschlag als wesentlich für das Prinzip: Arbeit an. Seinen Ausführungen liegt die Frage zugrunde: Wie ist Arbeit möglich? Seine Antwort lautet: Als gesellschaftliche Arbeit, d. h. als eine Formierung von Sachen, der dasselbe transzendentaljuridische Grundverhältnis zwischen Personen und der Sache zugrundeliegt, wie es für den Besitz fundierend ist. Die transzendentalphilosophische Wurzel der Arbeit ist zugleich auch diejenige der Gesellschaft selbst. Kant begreift den Zusammenhang zwischen Recht auf Eigentum und Arbeit in der Weise, daß er als Voraussetzung für mögliches Arbeiten ein gesellschaftliches Rechtsverhältnis zugrundelegt, auf dessen Fundament Arbeiten als Produzieren in der Bedeutung möglich ist, daß es in einem Vertragsverhältnis geschieht. Die Stellung des Gesetzgebers der Natur ist als unlösbar mit derjenigen des Gesetzgebers der Gesellschaft verbunden zu denken: Im Rahmen dieser Gesetzgebung ist auch der neuzeitliche Arbeitsbegriff zu verstehen. Der Mensch in diesem Stande vermag seine Zwecke durch Verfügungsmacht über die Natur arbeitend zu erfüllen. Dabei nimmt sein Charakter als Gesetzgeber zugleich die Züge des Selbstgesetzgebers im Blick auf die gesellschaftliche Interaktion an. Sein Arbeiten begreift er im Rahmen des Rechtsverhältnisses, sofern er den Gebrauch seiner Freiheit auf den der anderen abstimmt: Im Interesse des Selbstseins, auf das er als Bearbeiter der Natur Anspruch macht. Als deren Gebieter reglementiert er diese und übt auf sie um der Erfüllung seiner menschlichen Zwecke willen Zwang aus. Sie ist ja im Zustand ihrer Freiheit nicht nur die gültige, heilende und freundliche Natur. Sie kann Schrecken, Angst, Tod, Verderben mit sich bringen, wenn man an ihr sinnlos zerstörendes und vernichtendes Wüten denkt. Die Wendung, die der Mensch zum Stand des Gesetzgebers und Gebieters der Natur nimmt, trägt seinem Recht Rechnung, sein Leben zu sichern und zu schützen und die Gefahr einzudämmen, die von Naturkatastrophen ausgeht, die auch ganz still und gleichsam unter der Decke vor sich gehen können, wenn man an Epidemien oder Strahlenwirkungen denkt.

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Der Gesetzgeber Mensch geht darauf aus, ungünstige Zufälle des Lebens in und mit der Natur, welche die Sicherheit der Lebensführung gefährden, zu eleminieren. Er läßt die Natur auch dann, wenn er sie in der Perspektive der freien Natur gelten läßt, nur in relativierter Weise gewähren. Wenn es in der ursprünglichen Konzeption des Menschen liegt, mit seiner Stellung als Gebieter der Natur auch den Anspruch auf Würde und die daraus folgenden Rechte unmittelbar zu verbinden, dann gilt, daß er nicht dem isolierten Machttrieb Raum gibt. Vielmehr übt er seine Machtstellung im Blick auf die Humanisierung der Natur aus, seine Machtvernunft ist von Anfang an mit Sinnvernunft verbunden. Er macht es sich zur Pflicht, seine Arbeit an der Natur in der Perspektive der Menschenrechte zu deuten und zu begreifen. Dieser Gedanke läßt die enge ursprüngliche Verbindung zwischen wissenschaftlicher Stellung zur Natur und moralisch rechtlicher Vernunft erkennen. Er stellt auch vor Augen, was man von der heute immer wieder erhobenen Forderung nach einer Kontrolle wissenschaftlich technischen Fortschritts unter moralisch rechtlichen Gesichtspunkten und im Rahmen der Verantwortung zu halten hat. Diejenigen, die sie stellen, verlangen eine Wiederherstellung der ursprünglichen Attitude des Naturforschers Mensch, ohne sich darüber meist im klaren zu sein. Schon in der der Naturwissenschaft zugrundeliegenden Attitude des Gesetzgebers sind menschenrechtliche Züge der praktischen Vernunft ursprünglich angelegt. Wenn wir heute unter dem Verlust der Einheit zwischen Machtvernunft und Sinnvernunft, die bei der Begründung der neuzeitlichen Naturwissenschaft Pate gestanden hat, leiden, dann ist unsere heutige Stellung zur Natur so zu reformieren, daß sie diese Einheit in einer neuen Weise gemäß sein wird. Diese Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Rechtswelt, Naturverhältnis und Arbeit bringen auch den Gedanken neuzeitlicher Gesellschaftsphilosophen in Erinnerung, daß die Begründung menschlicher Gesellschaft durch Überwindung des Naturstandes geschehe. Kant vor allem weist auf die innere Handlung der bei dieser Begründung und Erhaltung der Gesellschaft beteiligten Menschen hin, durch welche sie einen Über-gang über den Naturstand ihrer Befangenheit im egoistischen Interesse in den Stand gemeinsamer Selbstgesetzgebung zu leisten haben, die auch Gesetzgebung ihrer eigenen Natur ist. Durch diese innere Handlung des Überganges

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gewinnen die Beteiligten einen Stand, von dem aus sie sich gegenseitig als Mitgesetzgeber anerkennen und achten. Das gegenseitige Verhältnis der Bürger der Rechtsgesellschaft wird auf der Basis gemeinsamer Stellungnahme dem Naturstand gegenüber zum Rechtsverhältnis. Der Bürger erweist sich dann von dem Stand der Rechtsinstitution aus, die er bei dem Übergang zum gemeinsamen Willen verwirklicht hat, zugleich als Vernunft mächtig über den Stand der Natur. Sein Rechtsstand sichert ihn vor Gefahren des der Willkür Ausgesetztseins und der gewaltsamen Unterdrückung. Dem politischen Denken neuzeitlicher Philosophen entspricht es, wenn die Natur des Menschen nicht schon von sich aus als Rechtsfundament verstanden wird, sondern wenn vielmehr der Mensch erst seine rechtliche Sinngebung der an sich des Rechtssinnes entbehrenden Natur aufprägen, wenn er sie durch Rechtsvernunft fesselt und die Herrschaft der praktischen Vernunft über sie aufrichten muß. Dieser Mensch, der sein Selbstsein als Rechtswesen von seinem Stand als Gesetzgeber der Natur und als Selbstgesetzgeber behaupten will, kann Naturrecht nicht als mit unserer Natur geborenes Recht, sondern höchstens als von unserer Vernunft gesetztes Recht anerkennen, dem er die Herrschaft über die Natur verschafft. In diesem Zusammenhang soll noch einmal die Rede auf das Prinzip der Arbeit kommen. Es wurde angedeutet, daß die moderne Arbeitssituation auf den Stand zu gründen sei, den der auf Würde und Rechtsstellung Anspruch machende Mensch der Natur gegenüber einnimmt. Das moralische Pathos z.B., mit dem Kant fordert, daß der Mensch seine Natur gegebenen Anlagen nicht brachliegen lassen dürfe, sondern sie kultivieren solle, beruht auf dem Gedanken, daß natürliche Gaben nicht den Wert des Menschen, seine Würde ausmachen. Vielmehr, so ist der Gedanke, zählt hierbei nur die selbstgeleistete Arbeit und die Übung, durch die der Mensch zunächst anonyme natürliche Eigenschaften zu seinen individuellen, ihm selbst angehörenden Fähigkeiten umbildet. Er verdient im Blick auf die kultivierende Arbeit, die er an seiner Natur und mit ihr leistet, Achtung. Er hat sich in ihr und durch sie nämlich zum gesetzgebenden Bildner seiner eigenen Natur gemacht, und dadurch dieser gegenüber seine menschliche Würdestellung behauptet, er hat sich damit seine Naturanlagen zu eigen gemacht.

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Diese Leistung der Aneignung seiner selbst aber geschieht auf dem Wege über die Bearbeitung der Sachen: Der Schreiner bildet sich übend zum Könner dadurch aus, daß er Tische und Stühle produziert. Als Arbeiter im modernen Sinne bearbeitet er das Holz als Gesetzgeber der Natur, die es wachsen hat lassen und die es ihm im rohen Zustande an die Hand gibt. Er bildet im Vollzug des Bearbeitens des Gegenstandes zugleich sich selbst zum Könner aus: Er arbeitet zugleich an seiner eigenen Natur. Sein eigenes daraus resultierendes Sein verdient und findet Achtung, in der sich auch die Anerkennung seines selbstgegebenen Wertes und der darauf fußenden Rechtsansprüche ausdrückt. Wenn man vom Recht auf Arbeit spricht, dann soll hier die Aufmerksamkeit auf einen Hintersinn dieser Forderung gerichtet werden. Sie bedeutet nämlich zugleich das Recht des Anspruchs, an der Gesetzgeberstellung der Natur gegenüber teilzunehmen und aus dieser Stellung heraus gesellschaftliche Achtung und Anerkennung zu gewinnen. In diesem Zusammenhang sei eine Bemerkung zum geschichtlichen Charakter der Menschenrechte in Verbindung mit dem Arbeiterprinzip erlaubt. Dieser geschichtliche Charakter erklärt die Unmöglichkeit, Grund- und Menschenrechte in inhaltlicher Weise vollständig mit dem Anspruch absoluter und beständiger Geltung in einer Liste aufzuführen. Eine geschichtliche Erinnerung führt vor Augen, daß der antikmittelalterliche Mensch seine Freiheit und sein Selbstsein nicht auf die Gesetzgeberrolle der Natur gegenüber gegründet hat. Demgemäß hat er seinen Wert und seine Würde, sowie die darauf fußenden Rechte nicht in der Bearbeitung der Natur gesehen. Seine Verachtung der Tätigkeit, die mit der neuzeitlich modernen „Arbeit" zu vergleichen ist, kann im Blick auf die sich mit der Natur, der Physis handgemein machende Stellung erklärt werden, die demjenigen zugemutet wurde, der die immer neu anfallenden Verrichtungen zur Befriedigung der Bedürfnisse der Selbständigen und Freien zu leiten hatte. Die Verachtung galt der sklavischen Existenz. Die sklavischen Verrichtungen dürfen eigentlich nicht Arbeit im neuzeitlich modernen Sinne heißen, weil sie nicht unter der Voraussetzung des gegenüber der Natur ebenso wie in der Gesellschaft gewonnenen Selbst-Standes geschehen. Der die Erfüllung der Alltagsbedürfnisse

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in dieser Stellung, die auch keinen „Gegenstand" und keine „Produktion" kennt, verrichtende Sklave ist daher auch nicht Rechtssubjekt, sondern Sache, die verkäuflich ist. In der neuzeitlich verstandenen Arbeitssituation verhält sich der Mensch als Selbstsein der zu bearbeitenden Natur gegenüber. Dem entspricht, daß der im bürgerlichen Sinne Selbständige sein „eigener Herr" ist, wenn man ihn mit Kant kennzeichnet. Er ist Herr seiner eigenen Natur, seines Könnens und seiner Kräfte. Darauf führt er das Recht zurück, frei über diese zu verfügen. Seine von ihm selbst zur Könnerschaft herangebildeten Kräfte sind, wenn sie unter dem Aspekt verfügbarer Dinge betrachtet werden — im gesellschaftlichen Verhältnis kommt dieser Aspekt zur Geltung — sein Eigentum, er ist nach dem Ausdruck Lockes owner of himself. Dem entspricht der kantische Satz: „Der Mensch kann durch keine rechtliche Tat (weder seine eigene noch die eines anderen) aufhören, Eigner seiner Selbst zu sein, und in die Klasse des Hausviehs eintreten, das man zu allen Diensten braucht, wie man will, und es auch darin ohne seine Einwilligung erhält, solange man will." 1 1 Der Selbständige ist Gesetzgeber seiner eigenen Natur. Seine Kräfte befähigen ihn zum Produzieren von gesellschaftlich wichtigen Gütern und setzen ihn in den Stand eines vertraglichen Rechtspartners. Er braucht nicht in der Bedeutung zu dienen, daß er anderen die Gebieterrolle über seine Natur gewährt: Daher gebührt ihm auch das Recht der Teilnahme an der politischen Gesetzgebung. Selbständigkeit als politisch-rechtliches Prädikat des Bürgers bedeutet, daß er „nur durch Veräußerung dessen, was sein ist, erwerbe, nicht durch Bewilligung, die er anderen gibt, von seinen Kräften Gebrauch zu machen, folglich daß er niemandem als dem gemeinen Wesen im eigentlichen Sinne des Wortes diene". Er arbeitet als Selbständiger, wenn er seine Tätigkeit aufgrund eines Vertragsschlusses nach öffentlichem Recht leistet. Wie sich die Einheit von Rechts- und Herrschaftswille, die in der Stellung des theoretischen und technischen Menschen der Neuzeit ursprünglich maßgebend war, in der weiteren Geschichte der Neuzeit bis zum heutigen Tage aufgelöst hat, so ist auch die der Selbständigkeits- und Würdecharakter der ursprünglichen Arbeitsidee in der 11

Kants Werke V I I I , S. 293 (zitiert wird nach der Akademie Ausgabe).

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Ausbildung des industriellen Zeitalters verlorengegangen. Die Gründe dafür kennzeichnet H. Arendt in der Kennzeichnung der Arbeitssituation des modernen Menschen. Bei der Entartung dieser Situation spielt das Konsumprinzip eine maßgebende Rolle. 12 Daß der Mensch sein Selbstsein durch Arbeit bewährt, die er unter der Voraussetzung seines Gesetzgeberstandes leistet, ist auch Thema der kantischen Schrift über die bürgerliche Stellung des Philosophen, der diese durch gedankliche Arbeit behauptet: „Über einen neuerdings erhobenen Ton in der Philosophie." Der Titel schon deutet an, daß sich Kant hier gegen eine Art und Weise des philosophischen Denkens und Sprechens wendet, in welcher der Denkende sich der ihm von seiner Natur eingegebenen Inspiration überläßt und eine enthusiastische oder prophetische Sprache spricht. Er, Kant, hat die Philosophie dadurch reformiert, daß er philosophisches Denken und Sprechen unter eine Selbstgesetzgebung der Vernunft gestellt und gleichsam für eine Rechtsgesellschaft der Philosophierenden das Grundgesetz gegeben hat. Durch dieses sollen Rechtsanmaßungen und Grenzüberschreitungen der philosophischen Phantasie als gedankliches Unrecht erkennbar und der Gebrauch weltdeutender Perspektiven normiert werden. 13 Für die Denkenden und Sprechenden wird dabei eine Verpflichtung verbindlich gemacht, im Rahmen dieser Selbstgesetzgebung gedankliche Arbeit zu leisten und einer bürgerlichen Rechtsverfassung der Gesellschaft der Philosophierenden zu folgen.

12

H. Arendt, Vita activa oder vom tätigen Leben, Stuttgart 1960. Ihrer sonst geistvollen Darstellung ist gleichwohl vorzuwerfen, daß in ihr die neuzeitliche Arbeitssituation nicht im Horizont des Verhältnisses zwischen Stellung zur Natur und rechtlich politischer Selbständigkeit des Menschen begriffen wird. Dadurch kommt der spezifisch neuzeitliche Charakter der Arbeit und ihrer Situation nicht in den Blick. 13 Vgl. Friedrich Kaulbach, Philosophie als Wissenschaft, Hildesheim 1981; einschlägig ist auch z.B. mein Aufsatz: Perspektivismus und Rechtsprinzip in Kants Kritik der reinen Vernunft, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie X, 2 (1985), S. 21 f. Daß der Mensch über seinen Naturstand hinausgeht, indem er zu dem Stand der rechtlichen Freiheit über-geht, welches derjenige der Selbstbeschränkung in der Perspektive des „allgemeinen Willens" ist, wird eindrucksvoll hervorgehoben bei R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., München 1989, S. 181 f.

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In dieser Situation verantwortet der Denkend-Sprechende die Produkte seiner gedanklichen Arbeit. Er stellt sie allgemeiner Prüfung anheim. Die Überzeugungskraft seiner Argumente soll in freier Abwägung ihrer Gewichte wirken können. Das gilt für Kant auch dann, wenn philosophische Mitteilung nicht die Aufgabe hat, etwa durch Beweis objektive Wahrheiten überzeugend zu machen, sondern wenn ihre Mission „nur" darin besteht, den Angesprochenen zur Einnahme desselben gedanklichen Standes zu bewegen, den der Sprechende behauptet, und damit die Weltperspektive überzeugend zu machen, von welcher dieser Sprechende Gebrauch macht. Der Effekt kann nur in der Gewinnung einer „subjektiven Gewißheit", derjenige des „Glaubens" bestehen: Kant spricht diese philosophische Form des überzeugenden Mitteilens als „akroamatisch" an. Der akroamatisch Sprechende motiviert seinen Stand und seine Perspektive der Weltdeutung durch eine begriffliche Sprache. Der vornehme Denker jedoch führt seinen Anspruch auf Anerkennung nicht auf selbstgeleistete Erkenntnisarbeit und auf begriffliches Sprechen zurück, sondern er verläßt sich auf Eingebungen seiner Natur und er spricht eine prophetische Sprache. „So bin ich in großem Vorteil über alle die, welche sich allererst rechtfertigen müssen, um sich der Wahrheit ihrer Behauptungen berühmen zu dürfen. Ich kann daher in dem Tone eines Gebieters sprechen, der der Beschwerde überhoben ist, den Titel seines Besitzes zu beweisen (beati posidentes)." 14 Es ist jetzt an der Zeit, auf die vorhin ausgesprochene Aussage zurückzukommen, daß die ursprüngliche dem Naturverhältnis der neuzeitlichen Wissenschaft angelegte Einheit von Machtwillen und Rechtswillen verlorengegangen sei. Die extremen Möglichkeiten der gegenwärtigen Wissenschaft und Technik führen unter dieser Voraussetzung zu einer radikalen Situation, in der von einer zeitgemäßen Erneuerung dieser Einheit nicht nur die Wahrung der allgemeinen hohen Rechte des Menschen, sondern des primitivsten Rechts des Überlebenkönnens abhängt. Der Verlust ist durch Ursachen wie der bewirkt worden, daß der Macht- und Herrschaftswille das humane Wozu?, den Rechtssinn des Herrschenwollens vergessen und sich verselbständigt hat: Als reiner isolierter Machtwille in der Bedeutung des Verfügens über die Natur hat er sich mit rechtsfremden Motiven 14

Kants Werke, VIII, S. 395.

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verbunden. Fortschritt der Wissenschaft hat den Charakter des Gewinns von Machtwissen und Verfügungsmacht angenommen. Auch die zur Logik dieser Entwicklung gehörende Intention zur Ausmerzung des Zufalls hat sich als zweideutig erwiesen: Einerseits führt sie zur rechtlichen Sicherheit, andererseits spielt sie der Verplanung des Lebens in die Hand. Das führt zu der Erfahrung, daß Rechte des Menschen verletzt werden, die er auf einen planungsfreien Raum hat, welcher der des Zufalls genannt wird, der aber in Wahrheit eine höhere Notwendigkeit als diejenige bedeutet, die der Lebensnormierung eignet. Gemeint ist das Menschenrecht auf eine Welt, in welcher unplanbare Ereignisse wie Beschenktwerden vom Schicksal oder auch Leiden unter ihm, aber auch das Vermögen des Schaffens von Sinn einen Platz haben. Soll dieser Anspruch erfüllt werden, dann muß sich die Perspektive der gefesselten Grenzen setzen lassen, damit für diejenige einer frei sich entfaltenden, der Planung und dem Diktat des rechnenden Verstandes sich entziehenden Natur Raum gegeben werden kann. Dann würde die eigentliche Rechtsintention, die mit dem Anspruch des Gesetzgebers der Natur verbunden ist, wahrhaft verstanden und zur Geltung gebracht werden: Sie müßte sich dann als Selbstgesetzgebung verstehen, durch welche die Rechte der Perspektiven der gefesselten und der freien Natur abgewogen werden. Für unsere Situation scheint es wertvoll zu sein, die Erinnerung daran wachzuhalten, daß die in der Naturstellung des neuzeitlichen Menschen angelegte Würde im Sinne dieser Selbstgesetzgebung und ebenso der Abwägung der Rechte der Perspektiven und damit der Selbstbeschränkung des Menschen verstanden wird. Dieser Gesichtspunkt wäre auch bei der Auslegung des Artikels 1 Absatz 1 unseres Grundgesetzes zu bedenken. Aus den für diesen Artikel einschlägigen Rechtskommentaren geht hervor, daß die Forderung nach Achtung vor der Würde des Menschen nicht nur als besonderes Grundrechtsthema, sondern als Fundament der Grund- und Menschenrechte überhaupt anzusehen ist. 15 In ihr vergegenwärtigt sich ein allgemeiner Rechtssinn, der das System der menschenrechtlichen Inhalte 15

Vgl. Klaus Stern, Menschenwürde als Wurzel der Menschen- und Grundrechte, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Ulrich Scupin, Berlin 1983, S. 627f. 3 Recht und Natur

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fundiert: Sie ist nicht Inhalt, sondern allgemeine Rechtsperspektive, innerhalb deren mögliche besondere Rechtsnormen zu verstehen sind. Es kann hier kein Vorschlag zur Antwort auf Fragen nach den Wegen gegeben werden, auf denen die Einheit von Rechtssinn und Macht über die Natur zu finden wäre. Nur Gesichtspunkte können genannt werden, unter denen solche Vorschläge zu beurteilen sind. Zu ihnen gehört es, daß der Fortschritt von Naturwissenschaft und Technik im Aspekt der Einheit zwischen Machtvernunft und Sinnvernunft zu bejahen ist. Das heißt, daß die Ziele, auf die hin der Fortschritt des Wissens erfolgt, unter die Perspektive der Menschenwürde zu stellen sind, welche ihre Stimme für Rechte wie das auf eine dem leiblichen Leben ebenso wie der freien Entfaltung der Individualität günstige Natur erhebt. Will sich der menschenrechtliche Impuls in der Machtvernunft in unserer Zeit herstellen und entfalten, so muß diese in einer solchen Art und Weise souverän werden, daß sie keine Unterdrückung anstrebt und mit der Sinnvernunft eine neue Verbindung eingeht. Sie wird dann der freien Natur Raum geben, derjenigen, in der es den Zufall und die Entfaltung schöpferischen Vermögens sowie solcher Sinnbezüge wie Liebe, Freundschaft, Gerechtigkeit gibt. Ihr Verhalten der Natur gegenüber wird darin bestehen, gerecht zwischen den Perspektiven der gefesselten Natur einerseits und der freien Natur andererseits abzuwägen, die dem schöpferischen Vermögen ihre Gunst zuwendet. Die Selbstgesetzgebung der Vernunft, durch welche sie sich eine Beschränkung ihres Herrschaftsanspruches auferlegt, um auch den Perspektiven der freien Natur ihr Recht zu geben, ist auch im Blick auf die Rechte bedeutsam, die der Mensch unserer Tage auf ein frohes ästhetisch erfülltes Verhältnis zur Natur anzumelden hat. Damit ist das Stichwort für die unserer heutigen Erfahrung unseres Menschseins angemessene Stellung gefallen, die wir unserem Leib auch in rechtsphilosophischer Hinsicht zu geben haben. Der menschliche Leib ist nicht nur als Objekt zu deuten, auf den wir Rechte hätten oder für den wir Rechte z.B. dann in Anspruch nehmen können, wenn wir Einwirkungen von Industrie und Technik auf unsere Umwelt festzustellen haben, die gesundheitsschädlich sind. Vielmehr ist das Rechtssubjekt: Mensch zugleich auch eine

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leibliche Existenz: das heißt, daß der Leib, der wir sind, den Charakter unserer Rechts-Subjektivität ausmacht. Dieser Erkenntnis wird eine Argumentation folgender Art, die sich auch heute Gehör verschaffen will, nicht gerecht: Die bisherige Naturwissenschaft und Technik habe es an moralischem Bewußtsein, nämlich an Verantwortung fehlen lassen, die sie dem Leben gegenüber schuldig wäre. Es sei ein moralisches Gebot, künftig verantwortlich dem Leib und seinem Leben gegenüber zu verfahren. M i t solcher Argumentation wird der Kern des Problems nicht getroffen, zumal die Mentalität des Naturforschers und Technikers Mensch nur von den Wirkungen, aber nicht in ihrem Ursprung berücksichtigt und als veränderungsbedürftig erkannt wird. In solcher Argumentation wird nicht berücksichtigt, daß moderne Wissenschaft und Technik nicht nur als neutrale Instrumente in der Hand eines Willens zu begreifen sind, der verantwortlich oder unverantwortlich mit ihnen schalten kann. Vielmehr muß bedacht werden, daß in ihnen selbst eine humane Intention angelegt ist, der in der Gegenwart durch eine Korrektur unseres Verhaltens zur Natur, auch zu der Natur unseres Leibes Geltung zu verschaffen ist. A n dieser Stellung zur Natur, die zu verändern wäre, sind zwei Züge in Erinnerung zu bringen: 1. Der Mensch dokumentiert seine Würde durch den Anspruch Gesetzgeber und Architekt der Natur aufgrund seiner berechnenden, planenden, konstruierenden Vernunft zu sein. 2. Er entscheidet sich als Techniker für einzelne Zwecke deren Verwirklichung ihm wünschenswert ist: ohne auf selbständige Ansprüche des Naturganzen zu achten, setzt er gezielt Naturvorgänge in der Form isolierter Kausalreihen in Gang, mit denen einzelne gewünschte Effekte zu erreichen sind. In Hinsicht dieser beiden Charaktere des Denkens und Handelns ist eine grundsätzliche Wendung gefordert, die das Verhältnis der Natur ebenso wie den Begriff der Würde und der Menschenrechte betrifft. Was den ersten Punkt angeht, so ist der Begriff der Würde des Menschen neu zu bestimmen. Diese ist nicht auf die gesetzgebende, von der leiblichen Existenz abgelöste „Vernunft" des „Ich denke" zu begründen. Vielmehr ist die gesetzgebende, die Würdestellung des Menschen begründende Vernunft als Geschichte leiblichen DenkHandelns zu begreifen, für das die Intelligenz des Auges, des Ohres, *

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der arbeitenden Hand beispielhaft ist. Diese leibliche Intelligenz stellt sich auch in den Weltzusammenhang rechtlichen Handelns: Sie stellt Rechtsansprüche menschlichen Lebens und seiner Bedingungen im Blick auf eine lebensmäßige Natur ebenso wie auf eine seinen Rhythmen gerechtwerdende Arbeitswelt. Im Blick auf die Intelligenz des Leibes und ihre Fundierungsrolle für Recht auf eine lebensgemäße Umwelt besteht das Recht auf Herrschaft über die Natur ebenso wie auch das Recht auf Begrenzung dieser Herrschaft im Interesse des Rechtssinnes, dem diese Intelligenz als Recht auf leibgemäßes Leben zur Geltung bringt. Nicht „reine" Rechtsvernunft ist hier angesprochen: Nicht sie hat die Verantwortung für eine dem Leben dienliche Wissenschaft und Technik zu übernehmen, sondern die vom leiblichen Rechtssubjekt geleistete Gesetzgebung ist maßgebend. Sie gibt sowohl der Perspektive der gefesselten Natur wie auch derjenigen der freien Natur ihr Recht und begründet eine Welt lebensgemäßer Naturgestaltung. Die Würde des Menschen ist nicht auf die „reine" Intelligenz des Bewußtseins gegründet, sondern auf diejenige der Leibvernunft. Das auf die Gesetzgebung der leiblichen Vernunft zurückzuführende Naturverhalten wird dieser Würde und den aus ihr folgenden Rechten dadurch gerecht, daß es diesem Leib die Stellung des Gesetzgebers und Gebieters der Natur überträgt, aber in der Bedeutung, daß er diese in Freiheit setzt, den Zufall bzw. das Ereignis gelten zu lassen. Er begreift das Ereignis als Ausdruck einer höheren Notwendigkeit, als sie dem rechnenden Verstände entspricht. In dieser Notwendigkeit des Zufalls erfüllt sich das Recht des Menschen auf seine Begegnung mit dem Unberechenbaren und damit als auf Lebensgestaltung durch Phantasie und Gefühl. Die philosophische Aufgabe besteht darin, das Recht auf Leben und Würde des Menschen nicht erst im Blick auf die Verantwortung gegenüber den Wirkungen der gegenwärtig freigesetzten Naturkräfte geltend zu machen, und nicht die Wahl der Zwecke demselben Verstand zu übertragen, der die Sache der Würde und der Menschenrechte bisher in einer Weise vertreten hat, die jetzt als ungenügend gelten muß. Wenn ein Recht auf leibliches Leben und die Erhaltung der Grundlagen hierfür gefordert wird, dann ist es nicht die reine Vernunft, die sich zu dessen Anwalt macht, sondern die Vernunft des

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Leibes selbst, die jetzt als Rechtssubjekt anzusehen ist. Das Recht des leiblichen Lebens ist nicht vom Standpunkt der reinen Vernunft aus mit der Begründung zu beanspruchen, daß der Leib eine auf irgendwelche, nicht weiter erklärbare Weise die Handlungsfähigkeit des Rechtssubjektes Mensch ausmachende Bedingung ist, der gegenüber verantwortungsvoll gehandelt werden müßte. Vielmehr ist zu fordern, daß jetzt der Stand der leiblichen Vernunft und ihrer Rechte eingenommen wird, in dessen Perspektive künftig die Zwecke wissenschaftlichen Forschens und technischer Verwirklichung gewählt werden sollen. Das bedeutet, daß nicht gegen den wissenschaftlichen Fortschritt Rechte auf Leib und Leben vom rein vernünftigen Rechtssubjekt einzuklagen wären: Vielmehr ist dem Menschen als Wesen der Leibvernunft die Rolle des Rechtssubjektes zu übertragen, welches auf eine neue, dieser Vernunft gemäßen Weise die Perspektive angibt, die für wissenschaftlich technisches Handeln, für die Erörterung der Wahl der Erkenntnis und Entscheidungszwecke maßgebend ist. Das bedeutet, daß das leibliche Leben nicht als „Objekt" in Betracht kommt, „ a u f welches ein Recht besteht, wie es Rechte auf Sachen gibt. Vielmehr gebührt der Leiblichkeit der Menschen die Stellung des Rechtssubjekts und damit der Würde. Sie ist der Stand, in dessen Perspektive wissenschaftliche und technische Zielsetzungen zu prüfen und gegebenenfalls zu wählen sind. Würde und darauf aufbauende Menschenrechte auf eine von der Leibvernunft angenommene Welt sind daher nicht auf die reine, leibfremde Vernünftigkeit zu begründen, sondern sind Perspektiven, in welche das Rechtssubjekt der menschlichen Leibvernunft die in seiner Rechtswelt zu rechtfertigenden wissenschaftlichen und technischen Ziele deutet und wählt. Würde ist in dieser neuen Bedeutung dann als der absolute Wert des Gesetzgebers Mensch als eines Wesens der Leibvernunft zu betrachten, in dessen Perspektive relative Werte wie die wissenschaftlichen Zwecke in den Blick kommen. Wenn man von Verantwortung spricht, die von der Wissenschaft zu fordern sei, dann ist ihr von hier aus gesehen die Bedeutung zu geben, daß es nicht darauf ankommt im Blick auf außerwissenschaftliche moralische Maßstäbe die theoretischen und pragmatischen Zwecke zu wählen. Verantwortliches Handeln geschieht vielmehr von hier aus gesehen „aus" der Gesinnung der Würde des Leibwesens Mensch, in deren Perspektive er die Zwecke des Wissens und technischen Tuns wählt. 1 6

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Urteilt man vom Standpunkt der Leibvernunft aus, dann bietet sich von selbst der Übergang auch zu dem zweiten Punkt an, bei dem es darum geht, die Erkenntnis- und Handlungszwecke in der Perspektive der Natur im ganzen zu wählen, statt einzelne Zwecke und Ziele vom Zusammenhang des ganzen zu isolieren, wie es dem analytischen Verfahren der neuzeitlichen Wissenschaft und Technik entspricht. Wie aber ist die Situation, wenn man den Ich-Leib als die entscheidende, denkende und wollende Instanz zugrundelegt? Dieser macht von einer Perspektive des Denkens und Wollens Gebrauch, die man als die des Totalen, Ganzen zu bezeichnen hat. Das Denken der leiblichen Vernunft nämlich verfahrt nicht analytisch, das Ganze aus Teilen, die sich bei der Analyse ergeben haben, zusammensetzend, sondern es betrachtet Teile in der Perspektive des Ganzen. Es vergegenwärtigt dieses in jedem Teil so, wie der Organismus in jeder seiner Zelle als anwesend zu begreifen ist. Die Leibvernunft stellt sich der Natur nicht gegenüber, sondern sie versetzt sich in deren totalen Zusammenhang, dem sich der Leib als zugehörig begreift. Von diesem Stand aus erhebt die Leibvernunft gemäß ihrer Würde den Rechtsanspruch auf die Perspektive des Ganzen. Sie begründet ihre humane Würde nicht auf die Gebieterstellung der Natur gegenüber, aufgrund deren der Mensch aus dieser Natur alles Wünschenswerte ohne Rücksicht auf ihren Eigen-Sinn zu machen beansprucht, sondern auf die des Sich-Einstellens auf das Ganze, auf die Natur in ihrer Totalität. Dieses Ganze ist daher die Perspektive, die vom Standpunkt der Leibvernunft aus als Rechtsforderung, nicht nur als Leitfaden des Erkennens in Anspruch genommen wird. Leibvernunft verpflichtet die Wissenschaft unter Berufung auf die Menschenwürde und im Blick auf Menschenrechte dazu, jeden einzelnen wissenschaft-

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Von hier aus gesehen ist auch die bekannte Wendung Lockes vom Menschen als einem „owner of himself 4 skeptisch zu beurteilen, sofern sie auf der Meinung beruht, daß der Mensch als rein vernünftiges Rechtssubjekt als Eigentümer seines Leibes und dessen physischer Kräfte anzuerkennen sei. Denn so begriffen ist der Leib eine Sache, über die der Mensch als über sein Eigentum verfügt. In Wahrheit ist das Rechtssubjekt identisch mit seinem Ich-Leib, der nicht nur als Objekt in Frage kommt. Der Arbeitende hat auf sein Produkt nicht als reines Ich denke, sondern als Ich-Leib einen Rechtsanspruch, weil sich in diesem Produkt die Kräfte dieses Leibes als eines Rechtssubjektes vergegenwärtigen.

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liehen und technischen Zweck unter die Perspektive z.B. des Gesamtgleichgewichtes der Natur zu stellen. So werden nur diejenigen theoretischen und praktischen Maßnahmen verantwortet werden, die unter der Notwendigkeit dieses Ganzen stehen. Zu den hierzu notwendigen intellektuellen Leistungen freilich ist nicht der berechnende und einseitig dem Machtwillen dienende Verstand fähig: Hierzu ist „Vernunft" und ihre Phantasie gefordert.

Aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit Über den Zusammenhang von Menschenrecht und Naturverhältnis bei Kant Von Norbert Herold 1. Einleitung Menschenrechte werden seit jeher als Naturrechte verstanden, d.h. als Rechte, die jedem Menschen von Natur aus zukommen. Als natürliche Rechte sind sie unveräußerlich und jedem positiven Recht als Norm vorgegeben. Die Berufung auf die Natur als vor- und überrechtliche Instanz bringt allerdings eine Fülle von Interpretationsproblemen mit sich, die in einem auffalligen Gegensatz stehen zur faktischen Bedeutung der naturrechtlichen Argumentation ζ. B. in der westdeutschen Rechtsprechung und Gesetzgebung nach 1945. Auch und gerade wenn man die Notwendigkeit anerkennt, gegenüber einem in seinen Folgen fatalen Rechtspositivismus über vorpositive Kriterien von Recht und Gerechtigkeit zu verfügen, muß die Tatsache berunruhigen, daß es offensichtlich nicht oder nur sehr unzureichend gelingt, die „natürlichen" Rechte systematisch in einem allgemein akzeptablen anthropologischen, ethischen oder metaphysischen Rahmensystem zu verankern. 1 Diese Begründungsprobleme stehen in einem engen Zusammenhang mit der Vieldeutigkeit des Begriffs ,Natur' — als Folge eines spezifisch neuzeitlichen Naturverhältnisses. Was kann z.B. ,Natur der Sache' in einer Welt heißen, in der die natürlichen Gegenstände immer artifizieller und manipulierbarer werden? Was kann die Berufung auf ewige und unveränderliche Gesetze der Natur in einer Welt bedeuten, die prinzipiell als veränderlich gesehen und von 1

Vgl. R. Specht, Spanisches Naturrecht — Klassik und Gegenwart, in: Zeitschrift für philos. Forschung 41 (1987), S. 169ff.

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Physikern als Entwicklung vom Urknall zum Wärmetod gedeutet wird? Was kann die Berufung auf eine unveränderliche Natur des Menschen in einer Welt leisten, in der die Menschenbilder von Steinzeitkulturen, feudalistischen Theokratien und hochmodernen Industriekulturen kulturell und politisch unvermittelt aufeinanderprallen? Es zeigt sich nicht nur die Schwierigkeit, allgemeine Normen auf sehr unterschiedliche und sich wandelnde soziale Bedingungen hin zu konkretisieren, sondern die grundsätzliche Unmöglichkeit, in Gestalt einer Naturordnung einen verläßlichen Bezugsrahmen für menschliche Handlungsnormen und ihre rechtliche Fixierung zu gewinnen. Unter diesen Voraussetzungen könnte ein plausibler Weg darin bestehen, Naturrecht als Vernunftrecht zu interpretieren. Aber auch die Berufung auf ein allgemeines Recht, „das sich der vernünftigen Natur des Menschen erschließt", 2 wirft die Frage nach der Unveränderlichkeit bzw. Geschichtlichkeit der Vernunft auf; der Begriff ,Vernunft' ist — anders als ζ. B. in der Stoischen Logos-Philosophie oder als im 18. Jahrhundert, dem „Zeitalter der Vernunft", heute nicht nur positiv besetzt, sondern zumindest ambivalent. Weil das, was vernünftig ist, im Reich der Ideen verankert wurde, konnte Vernunft als Kritik an den bestehenden Verhältnissen und als Protagonistin einer besseren Welt dienen. In dem Maße aber, wie Vernunft historisch für die Gestaltung der faktischen Welt maßgeblich und bestimmend geworden ist, fallt die Kritik an bestehenden Verhältnissen auf die Vernunft und die in ihrem Namen erhobenen Ansprüche zurück. Reale oder subjektiv empfundene Zwänge der Gesellschaft, der Verlust oder die ständig wachsende Bedrohung der „natürlichen" Lebensbasis, die Rückständigkeit eines formalen Vernunftrechts gegenüber sozialen Veränderungen, unerfüllte moralische Ansprüche und die relative Hilflosigkeit des Rechts gegenüber unmoralischem Verhalten einzelner oder ganzer Gruppen, — all dies wird zum Einwand gegen die Forderung nach einer „Herrschaft der Vernunft". Die Berufung auf die Vernunft wird da zum Ärgernis, wo sie in dem Verdacht steht, die Widersprüchlichkeit und Unerträglichkeit der Situation, die mit ihrer Hilfe behoben werden soll, selbst herbeigeführt zu haben.3 Gerade die Erfolge der Vernunft in der 2

Ebd., S. 176.

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Neuzeit, die gesellschaftliche Disziplinierung der Individuen und die technische Beherrschung der Natur, haben die Vernunft heute weitgehend in Mißkredit gebracht und lassen angesichts der schon vorhandenen und der sich abzeichnenden Gefahren für die Menschheit daran zweifeln, ob sie das geeignete Mittel darstellt, ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen und zu sichern. In der Gegenwart steht die Vernunft unter dem Verdacht, als Technik der Naturbeherrschung die Grundlagen humanen Zusammenlebens und die natürlichen Rechte des Menschen auf Freiheit und Unversehrtheit der Person zu bedrohen oder gar zu vernichten. Die Deklaration von Menschenrechten erscheint dann nur noch als kompensatorische und mehr oder weniger hilflose Reaktion gegenüber den selbstzerstörerischen Ansprüchen einer Herrschaft der Vernunft über die Natur. Diese Diskreditierung der Vernunft ist um so fataler, als die Auslegung des Naturrechts als Vernunftrecht sich am ehesten überhaupt noch „in der Nähe einer Position, die heute noch verständlich ist", 4 bewegt. Damit überhaupt ein solches Verständnis möglich wird, ist es wichtig, die neuzeitliche Auffassung von Natur in ihrem Zusammenhang mit dem Verständnis von Vernunft, Freiheit und Menschenwürde zu klären. Als Leitfaden kann die Philosophie Kants dienen, der wie kein anderer die veränderte Stellung des Menschen zu und in der Natur thematisiert hat, der aber zugleich auch zu Recht als Vorläufer und Vertreter der Menschenrechtsidee 3

Vgl. Horkheimer I Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1971. Für die beiden Autoren besteht bekanntlich der Kern aller zivilisatorischen Aufklärung in der Verleugnung der Natur im Menschen. Bei Kant, Sade und Nietzsche als den unerbittlichen Vollendern der Aufklärung lasse sich zeigen, „wie die Unterwerfung alles Natürlichen unter das selbstherrliche Subjekt zuletzt gerade in der Herrschaft des blind Objektiven, Natürlichen gipfelt" (5) — „Die Herrschaft über die Natur reproduziert sich innerhalb der Menschheit" (99). Die Aktualität dieser Vorwürfe zeigt G. Böhme, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Frankfurt 1985, z.B. S. 11: „Zwar zeigt der Vernunftmensch ein hohes Maß an Selbstbeherrschung, Kontinuität und Berechenbarkeit des Verhaltens..., aber die Kosten sind hoch... Die Herrschaft... über die Natur ist nur möglich auf der Basis einer radikalen Distanz des Menschen von der Natur, der Verleugnung seiner Zugehörigkeit zu ihr. Die Gewalt, die der Mensch der Natur antut, tut er primär sich selbst an." 4 Specht (FN 1), S. 176.

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gilt. Die folgende Skizze versucht dabei, Friedrich Kaulbachs These von einem ursprünglichen Zusammenhang von neuzeitlichem Naturverhältnis und Rechtsdenken, von Machtvernunft und Sinnvernunft historisch und systematisch auszudeuten. Es kommt darauf an zu zeigen, daß es sich bei der von Kant hergestellten Verbindung zwischen Naturherrschaft und Achtung vor dem Menschenrecht nicht so sehr um eine Strukturanalogie von Naturgesetzen und Rechtsforderungen handelt, deren Tragfähigkeit man mit Recht bezweifeln kann, sondern um die philosophische Auslegung der modernen Kultursituation als eines „Standes der Freiheit". 2. Kants These im ,Mutmaßlichen Anfang 4 In dem Kantischen Aufsatz „Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte", der 1786 in der „Berlinischen Monatsschrift" erschien, finden sich zwei Formulierungen, die ausdrücklich den Zusammenhang herstellen zwischen dem Verhältnis des Menschen zur Natur und der Forderung, das Recht anderer Menschen zu respektieren. A n der ersten Stelle spricht Kant davon, daß der Mensch sich dank seiner Vernunft als Zweck der Natur begreift. Damit entdeckt er ein Vorrecht, „welches er, vermöge seiner Natur, über alle Tiere hatte, die er nun . . . als seinem Willen überlassene Mittel und Werkzeuge zu Erreichung seiner beliebigen Absichten ansah. Diese Vorstellung schließt (wiewohl dunkel) den Gedanken des Gegensatzes ein: daß er so etwas zu keinem Menschen sagen dürfe, sondern diesen als gleichen Teilnehmer an den Geschenken der Natur anzusehen habe.. . " 5 Kant stellt also in dieser populären Schrift eine direkte Verbindung her zwischen der Herrschaftsattitüde gegenüber der Natur und der Gleichheit aller Menschen bzw. aller vernünftigen Wesen. Indem der Mensch sich die Natur zu eigenen Zwecken dienstbar machte, war er nach Kant „in eine Gleichheit mit allen vernünftigen Wesen . . . getreten: nämlich in Ansehung des Anspruchs, selbst Zweck zu sein, von jedem anderen auch als ein solcher geschätzt, und von keinem bloß als Mittel zu anderen 5

Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, Werke in sechs Bänden (hrsg. v. W. Weischedel), Darmstadt 1964, Bd. VI, S. 91 — KantZitate werden im folgenden nach der Weischedel-Ausgabe zitiert.

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Zwecken gebraucht zu werden". 6 An einer späteren Stelle derselben Schrift zählt Kant als Anmerkung zu einer Rousseau-Interpretation Beispiele auf für den Widerstreit zwischen menschlichen Naturanlagen und der sittlichen Bestimmung, der die Menschheit im Kulturzustand bedränge. Rousseau beklage mit Recht „die Ungleichheit unter den Menschen, und zwar nicht die der Naturgaben oder der Glücksgüter, sondern des allgemeinen Menschenrechts derselben. ..". Es handelt sich also um eine Ungleichheit, „ . . . zu welcher die Natur den Menschen gewiß nicht bestimmt hatte; da sie ihm Freiheit gab, und Vernunft, diese Freiheit durch nichts anderes als ihre eigene allgemeine und zwar äußere Gesetzmäßigkeit, welche das bürgerliche Recht heißt, einzuschränken". 7 Positiv formuliert heißt das: die Natur gab dem Menschen Freiheit und Vernunft und bestimmte ihn dadurch zur Gleichheit des allgemeinen Menschenrechts. Wie verträgt sich eine solche Formulierung mit dem zuvor erhobenen Herrschaftsanspruch gegenüber der Natur? Läßt sich hinter solchen Äußerungen aus einer Schrift, deren Gedankengang Kant eher „eine bloße Lustreise" 8 genannt hat, eine systematische Verbindung zwischen menschlichem Naturverhältnis und dem Anspruch auf unverlierbare und unveräußerliche Menschenrechte aufzeigen? Es ist unübersehbar, daß Kant unterschiedliche Naturbegriffe gebraucht. A u f der einen Seite ist Natur der Bereich, in dem der Mensch sich vorfindet, von dem er sich aber distanziert und dem er erst in derartiger Gegenüberstellung Einheit, Zusammenhang und Sinn geben muß. Natur ist so verstanden der Inbegriff der Gegenstände der Erfahrung. 9 Andererseits wird von der Natur als einer Instanz gesprochen, die Zwecke verfolgt und die auch mit den Menschen bestimmte Absichten verfolgt hat und weiter verfolgt. Diese Unterschiede im Naturbegriff brauchen hier nicht mehr ausführlich behandelt zu werden. Friedrich Kaulbach hat die Veränderungen des 6

Ebd., VI, S. 91. Ebd., VI, S. 95, Anm. 8 Ebd., VI, S. 85. 9 Vgl. Friedrich Kaulbach, Philosophie als Wissenschaft. Eine Anleitung zum Studium von Kants Kritik der reinen Vernunft, Hildesheim 1981, S. 126 ff. 7

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Naturbegriffs eingehend untersucht und dabei insbesondere gezeigt, wie sich anhand der Metapher von der „Kopernikanischen Wendung" Kants Reflexion auf die veränderte Stellung des Subjekts in der Moderne durch alle Bereiche seiner Philosophie verfolgen läßt. Diese Formel steht ja bekanntlich zum einen für eine große Enttäuschung: Die sichtbare Welt und die Position des Menschen in dieser Welt, die er vorkopernikanisch als Mittelpunktstellung erfuhr und als selbstverständliche Bestätigung seiner Vorzugsstellung im Kosmos interpretierte, geben keine Auskunft mehr über die Bestimmung des Menschen. Dieser findet sich vielmehr als Randexistenz an einem winzigen Punkt inmitten unermeßlicher Weiten vor. Andererseits bedeutet Kopernikanische Wendung gleichwohl: Hinwendung zum Menschen; denn unter den neuen kosmologischen Bedingungen können Kriterien für das Handeln und Erkennen nur vom Menschen stammen. Insofern ist mit Recht daraufhingewiesen worden, daß die kopernikanische Revolution der kritischen Transzendentalphilosophie im Kern eine anthropologische Revolution ist. Es geht um eine Neubesinnung auf die Endlichkeit der menschlichen Vernunft, zugleich auch um eine Neubestimmung ihrer Leistungsfähigkeit. 1 0 Kritische Transzendentalphilosophie versteht sich insofern als begriffliche Selbstauslegung des tätigen Menschen. Ihre entscheidende Einsicht besteht in der Anerkennung der Notwendigkeit einer Disziplinierung des natürlichen Lebens. Was für das individuelle und gesellschaftliche Handeln gilt, das muß auch für die Ansprüche und den Gebrauch der Vernunft selbst durchgesetzt werden. Wie die Konflikte in der Gesellschaft ohne Disziplinierung ausufern und zerstörerisch wirken, so ist auch der Zwiespalt im Innern der Subjekte selbst unauflösbar, wenn die Notwendigkeit der Disziplinierung und der Selbstdisziplinierung übersehen und verweigert wird. Methodische Bindung als Voraussetzung systematischer Naturerkenntnis trägt diesem Zwang zur Selbstbeschränkung der Vernunft Rechnung. Die Brisanz und die Aktualität der Kantischen Überlegungen beruhen darauf, daß er die unter dem Namen ,Kopernikanische Wendung' philosophisch aufgearbeitete Distanzierungsleistung gegenüber der Natur in den Kontext der neuzeitlich-bürgerlichen 10

Vgl. Volker Gerhardt, Kants kopernikanische Wende, in: Kant-Studien 78 (1987), S. 133-152.

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Kulturproblematik stellt. Das Problem des veränderten Naturverhältnisses in der Moderne wird im Rahmen einer umfassenden Geschichts- und Handlungskonzeption als grundlegender Widerspruch in den bürgerlichen Gesellschaften thematisiert und dessen Lösung als ein moralischer Auftrag aufgefaßt. 3. Begriffliche Rekonstruktion der neuzeitlichen Kultur in vier Schritten In den schon zitierten Schriften über den „Mutmaßlichen Anfang" stellt sich Kant die Aufgabe, eine „Geschichte der ersten Entwickelung der Freiheit aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen" 11 zu versuchen. Als lockerer Leitfaden dient ihm die jahwistische Schöpfungs- und Paradiesgeschichte in den Anfangskapiteln des Buches Genesis. Kant versucht, im historischen Gewand eine begriffliche Rekonstruktion der widersprüchlichen Kultursituation der Neuzeit zu skizzieren. Vier Schritte markieren den Übergang von der fiktiven Ausgangssituation, in der das Verhalten des Menschen als vom Naturtrieb bestimmt vorgestellt wird, bis hin zum „Stand der Freiheit", in dem der Mensch seine Lebensweise mit Hilfe der Vernunft frei wählt. Auf diese Weise gelingt es ihm, in gedrängter Form die Problembereiche zum Thema zu machen, auf die sich die neuzeitliche Gesellschaftskritik bis heute konzentriert: 1. Unter dem Titel,Naturtrieb' spricht er den Bereich des Konsums an: Der Klage über die Erzeugung künstlicher Bedürfnisse, über Üppigkeit und Lüsternheit steht hier der Ruf nach dem einfachen Leben gegenüber. 2. Unter dem Titel ,Geschlechtstrieb' wird über den Bereich der Sexualität im engeren Sinne hinaus das gesellschaftlich vermittelte Verhältnis der Geschlechter angesprochen. Gegen das Idealbild ungezwungenen „natürlichen" Umgangs miteinander wird so die Frage nach dem Sinn gesellschaftlicher Konvention aufgeworfen und die These verteidigt, daß erst die „Verweigerung" Voraussetzung eines edleren Umgangs miteinander ist. Erst die „Herrschaft der Vernunft über die Antriebe" schafft die Voraussetzung für Liebe, Sinn für Schönheit, Sittsamkeit und Moral. 11

Kant (FN 5), VI, S. 85.

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3. Mit dem dritten Schritt lenkt Kant die Aufmerksamkeit auf ein verändertes Verhältnis zur Zeit. Die neuzeitlich-bürgerliche Gesellschaft ist ganz auf die Zukunft ausgerichtet. Statt eines unbeschwerten Lebens und Genießens im Augenblick hat sie sich dem Arbeitsprinzip und der Sorge für die Zukunft verschrieben. Die asketische Aufsparung des Genusses in der Gegenwart im Interesse der Sicherung und Vorsorge für die Zukunft verspricht zwar Erleichterung für das bessere Leben in der Zukunft, der auf die Zukunft gerichtete Blick ist aber zugleich immer „der unversiegendste Quell von Sorgen und Bekümmernissen." 12 4. Der letzte und entscheidende Schritt ist für Kant die Indienstnahme der Natur „zur Erreichung beliebiger Absichten". Aus der Harmonie mit der Schöpfung, aus der Betrachtung der Tiere als „Mitgenossen an der Schöpfung" ist die Vorstellung von der Natur als Mittel und Werkzeug geworden. Diese Denkweise gründet sich auf den Anspruch des Menschen, Zwecke setzen zu können und sich aufgrund dieser Fähigkeit selbst als Zweck der Natur auffassen zu dürfen. Der Gedanke der Selbstzweckhaftigkeit ist für Kant der entscheidende Schritt der „Entlassung... aus dem Mutterschoße der Natur", mit ihm begibt sich der Mensch „aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit". 13 4. Abschied von dem Ideal einer Rückkehr zur Natur Die Bedeutung der Kantischen „Lustreise" liegt aus heutiger Sicht vor allem darin, daß sie sich argumentativ mit einer an Rousseau orientierten Zivilisationskritik auseinandersetzt. Kants Skepsis richtet sich gegen eine von schwärmerischen Rousseaujüngern ausgehende Idealisierung und Verherrlichung des „natürlichen Lebens". Diese findet ihren Niederschlag ζ. B. in den Berichten der Tahitireisenden, die nicht müde werden, das paradiesische Leben in der Südsee den Zwängen der europäischen Zivilisation gegenüberzustellen. Zufriedenheit mit den Gaben einer großzügig Nahrung spendenden Natur, Ungezwungenheit im Liebesleben der Geschlechter, ein fröhliches

12 13

Ebd., VI, S. 90. Ebd., VI, S. 91/92.

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und sorgloses In-den-Tag-Hineinleben, Einklang mit der Natur und friedliches Zusammenleben der Menschen ohne Herrschaftsansprüche, Unterdrückung oder Ausbeutung, das sind die Züge dieses Idealbildes. 14 Kants Mißtrauen gegenüber dieser Idylle nährt sich aus zwei Quellen: der Einsicht in die Widersprüchlichkeit und Schwäche des Menschen und der Einsicht in die Unzuverlässigkeit der Natur. Es ist eine prinzipiell nicht aufhebbare Ausgangsbedingung des menschlichen Lebens, daß der Mensch als Naturwesen sich weder selbst erhalten noch die Bedingungen seiner Existenz voll verfügbar machen kann. Daher ist die Vorstellung vom Paradies auch nur ein Produkt unserer Einbildungskraft und viel zu unbestimmt, um als Handlungsziel dienen zu können. Der Wunsch nach einem goldenen Zeitalter bleibt so „leere Sehnsucht" 15 , das Paradies ist „eingebildeter Sitz der Wonne" 1 6 . Es widerspricht dem Charakter von Vernunft, einen Zustand des reinen Genusses und völliger Untätigkeit zu intendieren. Vernunft treibt den Menschen unwiderstehlich „zur Entwickelung der in ihn gelegten Fähigkeiten", und daher befällt den denkenden Menschen Überdruß und Unbehagen, wenn der Sinn des Lebens ganz im Genuß bestehen soll. Der Selbstbestimmungsanspruch der Vernunft läßt es nicht mehr zu, sich einer unzuverlässigen Natur auf Gedeih und Verderb auszuliefern. Selbst wenn diese sich zeitweilig oder in bestimmten Regionen als gnädig erweist, kann sie den Menschen doch jederzeit wieder als Kleinigkeit behandeln und vernichten. Und selbst dann, wenn es eine stets gnädige Natur gegeben haben sollte, dann müßte deren Gnade wohl vor allem darin bestanden haben, ihre Lebewesen so sehr dem Augenblick zu verhaften, daß sie den Tod nicht mehr vor sich sehen müßten — ein Glück um den Preis fehlender Zukunft und fehlender Erinnerung. Nachdem der Mensch nun einmal über Vernunft verfügt und von ihr Gebrauch gemacht hat, gibt es keine Natur mehr, die er nicht verändert und bearbeitet hätte. Die neue 14

Vgl. U. Bitterli, Die ,Wilden' und die ,Zivilisierten'. Die europäischüberseeische Begegnung, München 1976, S. 381 ff. 15 Kant (FN 5), VI, S. 100. 16 Ebd., VI, S. 92. 4 Recht und Natur

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Natur, auf die er sich besinnt, kann nur noch eine „zweite Natur" sein. Der Blick zurück auf den Zustand einer heilen Natur wird allenfalls ein Ideal zeigen, das dem Handelnden zur Orientierung dienen kann, ihn aber nicht vom Handlungszwang entlastet. Vor allem die implizierte Selbstaufgabe der Vernunft spricht gegen den nostalgischen Wunsch des Menschen, die „Mühseligkeit des Lebens" einzutauschen gegen einen Zustand, „wo er in ruhiger Untätigkeit und beständigem Frieden sein Dasein verträumen oder vertändeln könne.. . " 1 7 Die Rückkehr ins Paradies wäre ein Rückfall in den „Stand der Rohigkeit und Einfalt". 5. Sozialdisziplinierung: Vier Forderungen für ein sinnvolles Handeln in der Gesellschaft ,Stand der Freiheit' bedeutet für Kant: Herrschaft der Vernunft. Grundsätzlich hält er zwar an der Überzeugung fest, daß „alles, was von der Natur kommt, eine Anlage zu guten Zwecken enthalten muß" 1 8 , also auch die Anlagen des Menschen. Aber der Mensch würde seine Bestimmung verfehlen, wenn er die Fähigkeit, Zwecke zu setzen, nicht dazu benutzen würde, um seinen Platz in der Natur selbst zu bestimmen. Da er aus der Naturordnung herausgetreten ist, muß er sich mit Hilfe der Vernunft selbst eine neue Ordnung geben: „Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung von Gesetzen, d.i. nach Prinzipien zu handeln." 19 Von diesem Vermögen macht der Mensch unterschiedlich Gebrauch. Kant unterscheidet vier Stufen: Disziplinieren, Kultivieren, Zivilisieren, Moralisieren. Dabei handelt es sich selbstverständlich nicht um historische Schritte in der Entwicklung der Menschheit, die als Erfahrung an Naturverhältnissen abgelesen werden könnten. Es sind — wie Gerhard Funke überzeugend dargestellt hat — „vielmehr Forderungen, die gestellt werden müssen, wenn menschliches Handeln sinnvoll und nicht absurd sein soll." 2 0 Für unsere Fragestellung sind diese Schritte 17

Ebd., VI, S. 92. Kritik der reinen Vernunft, Β 775 f. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, IV, S. 41. 19 Ebd. 18

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deshalb von Bedeutung, weil sie die notwendigen Momente eines Übergangs markieren, der von dem Zustand natürlicher Verschiedenheit zu der Form von Gleichheit führt, welche die Menschen als Vernunftwesen — und zwar nur als Vernunftwesen — besitzen. Frei und gleich sind die Menschen nur — so Kants Überzeugung —, wenn sie zur Achtung für das moralische Gesetz hinfinden. Anders formuliert: Nur die Gleichheit des allgemeinen Menschenrechts, nicht die der Naturgabe oder Glücksgüter, steht ganz in ihrer Macht. 2 1 Die erste Voraussetzung dafür schafft die Disziplinierung. Kant versteht darunter „Bezähmung der Wildheit". 2 2 Es handelt sich um eine negative Leistung, die vom „Despotismus der Begierden" frei macht und verhindert, daß der einzelne „durch seine tierischen Antriebe von seiner Bestimmung, der Menschheit, abweiche". Eine derartige Disziplinierung ist die Voraussetzung für die Kultivierung, unter der Kant die „Hervorbringung der Tauglichkeit eines Wesens zu beliebigen Zwecken überhaupt" 23 versteht. In dieser Entwicklung der individuellen menschlichen Fähigkeiten sieht Kant das Ziel des Menschen als Naturwesen. Die Kultur ermöglicht es dem Menschen, seine natürlichen Anlagen aufs Höchste zu entwickeln. Da dies in der Gesellschaft geschieht, bedarf es aber der Zivilisierung; denn nur die Bereitschaft, sich als Bürger mit anderen unter Rechtsverhältnissen zusammenzufinden, kann zu einer Überwindung der Gegensätze feindlicher oder widerstreitender Anlagen führen. Zivilisierung heißt die Unterstellung des einzelnen unter allgemein geltende, bürgerliche Gesetze, durch die die Freiheit jedes einzelnen auf Bedingungen eingeschränkt wird, „unter denen sie durchgängig mit sich selbst zusammenstimmt." 24 Die Errichtung und das Bestehen einer bürgerlichen Verfassung ist nicht möglich, ohne 20

G. Funke, Kants Stichwort für unsere Aufgabe: Disziplinieren, Kultivieren, Zivilisieren, Moralisieren, in: Akten des 4. Internationalen KantKongresses Mainz 1974, Teil III, Berlin/New York 1975, S. 17. 21 Vgl. F N 7. 22 Kant, Pädagogik I X (Akad.-Ausg.) 449, zitiert nach Funke (FN 20), S. 7. 23 Kritik der Urteilskraft § 83, V, S. 554. 24 Kritik der reinen Vernunft, Β 358. 4*

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daß Zwang gegen ihre Mitglieder ausgeübt wird. In einer vollkommenen bürgerlichen Verfassung — so Kant im 5. Satz der ,Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht' — wird „Freiheit unter äußeren Gesetzen im größtmöglichen Grade mit unwiderstehlicher Gewalt verbunden angetroffen.. , " 2 5 Auf diesen Zwangscharakter kann die bürgerliche Gesellschaft nicht verzichten; denn sie bleibt in ihrem Bestand gefährdet sowohl durch eine ungebundene, von Kant „wild" oder „brutal" genannte Freiheit von innen wie durch Gewalt von außen. Solange die letzte Stufe allgemeiner Moralität nicht erreicht ist, „erduldet die menschliche Natur die härtesten Übel, unter dem betrüglichen Anschein äußerer Wohlfahrt". 2 6 Es gilt bis in die Gegenwart hinein die Klage Kants: „Wir sind in hohem Grade durch Kunst und Wissenschaft kultiviert. Wir sind zivilisiert, bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber, uns für schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel." 2 7 Ohne die Aussicht auf Moralität verliert aber die bürgerliche Gesellschaft ihre Anziehungskraft auf die Individuen, die unter der Zwiespältigkeit der Gesellschaft und unter der Widersprüchlichkeit zwischen moralischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit leiden. Ihre Zustimmung zur Gesellschaft hängt wesentlich davon ab, ob sich für die moralischen Ansprüche zumindest die Hoffnung auf eine allmähliche Verwirklichung aufrechterhalten läßt. Kant weiß offensichtlich, wie sehr sich angesichts der Übel dieser Welt Resignation aufdrängt. Um so mehr ist er um den Nachweis bemüht, daß durchaus berechtigte Gründe für die Zufriedenheit des Menschen mit seinem Los bestehen. Er legt größten Wert darauf, dem bürgerlichen Dasein positiven Wert zuzusprechen. Es gibt Mittel, dieses Los mehr und mehr zu verbessern und in der Mitarbeit an einer besseren Welt genau das zu tun, was er als die eigentliche Bestimmung des Menschen ansieht: „dem Leben durch Handlungen einen Wert zu geben." 28 Das setzt freilich voraus, daß 25

Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 5. Satz, VI, S. 39. 26 Ebd., 7. Satz, VI, S. 44. 27 Ebd., 7. Satz, VI, S. 44. 28 Mutmaßlicher Anfang VI, S. 101; vgl. F N 23, § 4, V, S. 285.

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dieses Handeln nicht generell zu Erfolglosigkeit und zum Scheitern verurteilt ist. Worauf kann sich eine solche Hoffnung stützen? 6. Praktisches Interesse an einer vernünftigen Naturabsicht Die Erfahrung zeigt alles andere als eine Welt, in der die Menschen nach Prinzipien, geschweige denn nach moralischen Prinzipien handeln. Die Menschen verfahren weder „instinktmäßig, wie Tiere", noch „wie vernünftige Weltbürger, nach einem verabredeten Plane, im ganzen", wie Kant in der ,Idee' feststellt. Entsprechend läßt eine Betrachtung der menschlichen Handlungen in der Geschichte es nicht zu, ihrem Handeln generell eine „vernünftige eigene Absicht" zu unterstellen. Kant stellt sich daher die Frage, ob „dennoch eine Geschichte nach einem bestimmten Plane der Natur möglich sei". Ein solcher Vorschlag, zumindest zu versuchen, ob man nicht „eine Naturabsicht in diesem widersinnigen Gange menschlicher Dinge entdecken könne", 2 9 ist heute befremdlich. Rechtfertigungsversuche angesichts der Übel und des Bösen in der Welt haben nach Auschwitz und Hiroshima auch in der geschichtsphilosophischen Variante des Entwicklungsgedankens ihre Überzeugungskraft verloren. 30 Theodizee-Überlegungen verdienten daher in der Tat keine weitere Aufmerksamkeit, wenn sie nur dazu dienen sollten, die Augen vor den Übeln der Welt zu verschließen oder diese wegzudisputieren. Kant ist sich aber sehr genau darüber im Klaren, daß die Widersprüchlichkeit des menschlichen Daseins theoretisch zwar analysiert und genauer bestimmt, aber nicht aufgelöst werden kann. Die Aktualität der Kantischen Denkweise liegt darin, daß er nach Wegen vernünftiger Orientierung und Selbstaufklärung sucht in einer Situation, die theoretisch nicht zu klären ist, gleichwohl aber praktisch bewältigt werden muß. Theoretisch verfügen wir nicht über den Standpunkt, der die sichere Vorhersage freier menschlicher Handlungen ermöglicht. Es wäre der Standpunkt der Vorsehung. 31 Es ist aber von 29

Vgl. F N 25, VI, S. 34. Vgl. O. Marquard, Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, Frankfurt 1973; H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz, Wien, Köln 1986, S. 195ff. 31 Vgl. Kant, Streit der Fakultäten, VI, S. 356. 30

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praktischem Interesse, den Versuch zu wagen, die Zumutbarkeit eines Vernunftstandpunktes zu erproben; denn die jeweilige Weltsicht hat Folgen für das Handeln: Aus der pessimistischen Grundeinstellung wird leicht „Sittenverderbnis", eine positive Weltsicht kann den Mut geben, in der „Selbstbesserung" einen Hebel für positive Veränderungen zu finden. 32 Gegen die Skepsis des erfahrenen Weltbeobachters, der auch da, wo sich Glanz, Wohlstand und gesitteter Umgang zeigen, noch verdecktes Elend und abgründige Bosheit sieht, setzt Kant daher die „Idee, wie der Weltlauf gehen müßte". Er weiß, daß es sich nur um eine Idee handelt. „Es ist nur ein Gedanke von dem, was ein philosophischer Kopf . . . noch aus einem anderen Standpunkt versuchen könnte." 3 3 Diese Idee ist aber nicht eine beliebige Hypothese. Sie muß erstens mit dem, was wir empirisch über den Verlauf der Geschichte wissen, in Einklang zu bringen sein. Sie sollte zweitens die Erklärung ansonsten verworrener Phänomene im Bereich menschlicher Handlungen ermöglichen und zur Prognose über zukünftige Veränderungen dienen. Schließlich eröffnet sie drittens „eine tröstende Aussicht in die Zukunft". Sie gibt also — sofern sie sich als stimmig erweist — der Menschengattung die Zuversicht, daß „ihre Bestimmung hier auf Erden kann erfüllet werden". 34 Die Nötigung zu der Idee einer planvoll verfahrenden Natur, die auch den scheinbar so chaotisch anmutenden Bereich menschlicher Handlungen einbezieht, geht von der erschreckenden und lähmenden Gegenvorstellung einer Welt aus, in der menschliches Handeln prinzipiell zum Scheitern verurteilt wäre und Vernunft sich daher selbst aufgeben müßte. In einer „zwecklos spielenden Natur" wäre dem Menschen die Grundlage des Handelns entzogen: „das trostlose Ungefähr tritt an die Stelle des Leitfadens der Vernunft". 35 Im Interesse seiner Freiheit ist der Mensch gezwungen, den Standpunkt seiner Welt- und Geschichtsbetrachtung bewußt zu wählen. 32

(FN 28), Schlußanmerkung, VI, S.98f.; vgl. F N 31, VI, S. 352; (FN 25), 9. Satz, VI, S. 49. 33 (FN 25), 9. Satz, VI, S.49f. 34 Ebd., 9. Satz, VI, S. 49. 35 Ebd., 1. Satz, VI, S. 35.

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7. Drei Standpunkte der Weltbetrachtung Kant unterscheidet im Prinzip drei Standpunkte, die der Mensch als Betrachter des Welttheaters einnehmen kann. 3 6 Der erste Standpunkt, die naive Gläubigkeit eines teleologischen Weltbildes, verbietet sich angesichts einer Natur, die von sich aus keine Auskunft über sich selbst und die Rolle und Bestimmung des Menschen gibt. Der zweite Standpunkt ist der des Empirikers, der sich keine Illusionen machen will. Seine Weltsicht zielt darauf, die Menschen so zu nehmen, wie sie nun einmal sind. So sehr Kant auch im erkenntnistheoretischen Zusammenhang betont, daß „das fruchtbare Bathos der Erfahrung" 37 das dem Menschen zugewiesene Terrain sei, so deutlich lehnt er die Berufung auf Erfahrung im geschichtsphilosophischen Zusammenhang, in dem es um die Realisierbarkeit von moralischen Normen zu tun ist, ab: „ . . .denn, was Recht sei, kann nicht Erfahrung lehren." 38 M i t Verachtung spricht er von denjenigen, die „in einem Weisheitsdünkel, mit Maulwurfsaugen" ihre Blicke ausschließlich auf die Erfahrung gerichtet halten. In Kants Sicht ist das ein völlig unangemessener Gebrauch von „Augen, welche einem Wesen zu Teil geworden, das aufrecht zu stehen und den Himmel anzuschauen gemacht war." 3 9 Was macht den Empirismus im praktischen Zusammenhang so gefahrlich, daß Kant demgegenüber die Gefahr idealistischer Schwärmerei gering einschätzt?40 Der Mensch wird in dieser Sichtweise verkürzt auf ein Naturwesen, seine Vernunft wird degradiert zu einer rein dienenden Funktion gegenüber dem Instinkt 4 1 und damit dem empirischen Interesse am eigenen Wohlbefinden. Eine solche Einstellung ist nicht nur Verrat an seiner menschlichen Verpflichtung und wird leicht zur Apologie der 36

Vgl. James Booth, Reason and History: Kant's Other Copernican Revolution, in: Kant-Studien 74 (1983), S. 56-74. 37 Prolegomena, I I I , S. 252 Anm. 38 Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein II, Werke VI, S. 164. 39 Ebd., VI, S. 129. 40 Kritik der praktischen Vernunft, IV, S. 191. 41 Vgl. ebd., IV, S. 179.

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Immoralität; sie ist auch deshalb zum Scheitern verurteilt, weil sie die Situation des Menschen in der Natur grundlegend verkennt. Er darf sich nicht, wie es ein derartiger Empirismus tut, zum Ziele setzen, was „man allein von der Natur erwarten darf'. 4 2 Die Natur aber verschont den Menschen nicht. 43 Der dritte Standpunkt ist der des heroischen Moralisten, der allen Widrigkeiten der Natur trotzt. Diesem Moralisten gehört die Achtung Kants. Als Beispiel steht ihm die Gestalt des Spinoza vor Augen, der in seiner Rechtschaffenheit unbedingt an der Verpflichtung zur Moralität festhält, ohne dabei auf Glück in dieser Welt oder Lohn in einer anderen Welt zu hoffen. 44 Kant zeichnet hier das Bild von einer Natur, die gegenüber dem moralischen Anspruch des Menschen nicht nur wenig Unterstützung verspricht, sondern die ihm geradezu jede Wirksamkeit nimmt. Er selbst wird, wie die wenigen Guten, die er vielleicht trifft, nicht nur der Bosheit anderer, sondern auch den Drangsalen der Natur, die auf Moralität nicht achtet, „unterworfen sein und es auch immer bleiben, bis ein weites Grab sie insgesamt (redlich oder unredlich, das gilt hier gleichviel) verschlingt, und sie... in den Schlund des zwecklosen Chaos der Materie zurück wirft.. . " 4 5 Eine solche Existenz heroisch anzunehmen, ist in den Augen Kants absurd. Der Zweck des moralischen Handelns, die Realisierung einer besseren Welt, wäre zum Scheitern verurteilt, und das Tun des Menschen bestünde nur noch darin, „sich selbst die hoffnungslose Bemühung aufzulegen, den Stein des Sisyphus bergan zu wälzen, um ihn wieder zurückrollen zu lassen." 40 Kant zeigt ohne Zweifel vor allem in seiner Moralphilosophie großen Respekt vor einem rigorosen Vernunftstandpunkt wie er ihn bei Spinoza oder den Stoikern findet. In dem Gefühl des Erhabenen und in unserer Bewunderung für den Heroismus von Menschen, die in ihrem Verhalten die „Unabhängigkeit vom Mechanismus der Natur" und von den Zwängen physischer Selbsterhaltung um jeden 42 43 44 45 40

(FN 23), §83, V, S. 553. Ebd.; vgl. § 82, V, S. 548/549. Ebd., § 87, V, S. 579. Ebd., §87, V, S. 579/580. (FN 31), II, Werke VI, S. 354.

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Preis sichtbar werden lassen, entdeckt und interpretiert er die Möglichkeiten des Menschen, der Überlegenheit der Vernunft gegenüber der Natur trotz aller physischen Unterlegenheit Ausdruck zu verleihen und Anerkennung zu zollen. 47 Allerdings geht sein Enthusiasmus für die sittlichen Ideen und den Anspruch unbedingter moralischer Verpflichtung nicht so weit, daß er darüber die Bedürftigkeit des Menschen leugnen würde. Einer seiner Hauptvorwürfe gegen die Stoiker gilt deren Versuch, das Glücksverlangen des leiblichen Subjektes schon im Bewußtsein der Tugend als erfüllt zu betrachten. 48 Kant weiß, daß der Mensch zwar ein vernünftiges, aber doch ein endliches Wesen ist und daß er als solches ein bedürftiges und abhängiges Wesen ist. 4 9 Diese Bedürftigkeit motiviert sein Handeln und läßt ihn von seiner Vernunft Gebrauch machen zur Selbsterhaltung und Bedürfnisbefriedigung. Kant plädiert durchaus für „vernünftige Selbstliebe". 50 Er spricht davon, daß die Vernunft geradezu einen nicht abzulehnenden Auftrag von Seiten der Sinnlichkeit habe, sich um deren Interessen zu kümmern und Glückseligkeit zu intendieren. Mit der „Achtung für ihre höhere Bestimmung" sollen die Menschen durchaus „viele Reize und Annehmlichkeiten des Lebens" und die „Aussicht auf einen fröhlichen Genuß des Lebens" verbinden dürfen, sofern diese nur nicht zum eigentlichen Ziel des Handelns gemacht werden. 51 Die Unterscheidung von Glückseligkeitsprinzip und Sittlichkeit will Kant nicht als sich ausschließenden Gegensatz verstanden wissen: „ . . .die reine praktische Vernunft will nicht, man solle die Ansprüche auf Glückseligkeit aufgeben, sondern nur, sobald von Pflicht die Rede ist, darauf gar nicht Rücksicht nehmen." Unter diesem Vorbehalt kann Kant sogar von der Pflicht reden, „für seine Glückseligkeit zu sorgen". 52 Auch wenn er diesen Satz mit Argumenten stützt, die 47

Vgl. Kants Lehre vom Erhabenen in den §§24-29 der »Kritik der Urteilskraft'; dazu F. Kaulbach, Ästhetische Welterkenntnis bei Kant, Würzburg 1984, S. 161 ff. 48 (FN 40), IV, S. 240. 49 Ebd., IV, S. 179, 238, 253, 255. 50 Ebd., IV, S. 193. 51 Ebd., IV, S. 212; vgl. S. 179. 52 Ebd., IV, S. 217.

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den möglichen Nutzen oder Nachteil des physischen Zustandes für die Moralität des Subjektes abwägen, so zeigt sich doch in solchen Sätzen, daß Kant nicht intellektualistisch denkt. Er weiß, daß die „Bestimmungsgründe des Willens, außer dem einigen reinen praktischen Vernunftgesetze (dem moralischen), insgesamt empirisch sind", 5 3 und er spricht umgekehrt davon, daß auch Vorstellungen Auswirkungen auf das Lebensgefühl des Subjektes haben. 54 Der Hinweis auf derartige Formulierungen dürfte genügend deutlich machen, daß Kant nicht ein Denker ist, der „das Andere der Vernunft" 55 nicht zur Kenntnis nimmt bzw. nur an seiner Verdrängung arbeitet. Er ist lediglich Realist genug, um die Spannungen zwischen Vernunftanspruch und Naturvoraussetzungen ehrlich auszusprechen und offen in seinem Denken auszutragen. Der Reduktionismus des skeptischen Empirikers und die heroischtrotzige Haltung eines rigorosen Moralisten verkennen jeweils einseitig die Natur des Menschen. Es kommt aber darauf an, zu einer kritischen Weltsicht zu gelangen, die der „ganzen Bestimmung des Menschen", dem „Ganzen seiner Existenz" Rechnung trägt. 56 Wie kann man aber an dem Unbedingtheitsanspruch von Moral, Pflicht und Recht festhalten und gleichzeitig auf die Möglichkeit einer schließlichen Wiedervereinigung der menschlichen Vernunft mit ihren natürlichen Voraussetzungen setzen? Was berechtigt den Menschen zu der für seine Glückseligkeit notwendigen Voraussetzung einer „Übereinstimmung der Natur zu seinem ganzen Zwecke, im gleichen zum wesentlichen Bestimmungsgrunde seines Willens"? 57 Diese Frage stellt sich um so mehr, als mit dem Fortgang der Kultur eine immer stärkere Abkehr von einer ursprünglichen Natur verbunden ist. Ein späteres Zeitalter — so prognostiziert schon Kant — wird 53

Ebd., IV, S. 218. Vgl. F N 23, Allg. Anm. nach § 29, V, S. 369. 55 Vgl. H. Böhme/ G. Böhme, Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants, Frankfurt 1983. Zur Kritik vgl. V. Gerhardt, in: Kant-Studien 76 (1985), S. 471-478. 56 Vgl. z.B. F N 40, IV, S. 255; Kants Brief an J. S. Beck vom 27. Sept. 1791, in: O. Schöndörffer (Hrsg.), Kants Briefwechsel, Hamburg 1972, S. 528. 57 (FN 40), IV, S. 255. 54

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der „Natur immer weniger nahe sein . . . und sich zuletzt . . . kaum einen Begriff von der glücklichen Vereinigung des gesetzlichen Zwanges der höchsten Kultur mit der . . . ihren eigenen Wert fühlenden freien Natur" machen. 58 U m so wichtiger ist es, auch in einer bürgerlichen Welt und im „Zeitalter der Revolutionen" Muster humanen Verhaltens zu entwickeln, die das Individuum seinen Wert „fühlen" lassen.

8. Das ästhetische Urteil als Modell einer Übereinstimmung mit der Natur In bestimmter Weise gelingt nach Kant eine solche Vermittlung von Freiheit und Natur im ästhetischen Urteil. Die ,Kritik der ästhetischen Urteilskraft' gipfelt daher in dem Gedanken des Schönen als Symbol des Sittlichguten. In der ästhetischen Erfahrung liegt insofern ein Modell dafür vor, wie wir auch über das Sittliche nachdenken können. Eine ästhetische Einstellung zur Natur läßt daher „eine Anlage zu guter moralischer Gesinnung" zumindest vermuten. 59 Ein Blick auf die von Kant behauptete Verbindung von ästhetischem Naturverhältnis und Moralität ist nicht nur systemimmanent für die Frage nach dem Zusammenhang von Naturverhältnis und Menschenrecht von Interesse. Sie verdient auch deshalb Aufmerksamkeit, weil sie für das Verständnis gegenwärtiger Bewußtseinslagen Hilfe verspricht. Was läßt z.B. die aktuellen Forderungen nach Naturschutz, Erhaltung der Artenvielfalt oder Bewahrung der Schöpfung quasi den Status einer Menschenrechtsforderung annehmen? — Das große persönliche Engagement in der stellvertretenden Parteinahme für die Belange der Natur kann nicht als sentimental, romantisch oder wirklichkeitsfremd abgetan werden, auch wenn diese Züge des neuzeitlichen Naturverhaltens nicht völlig fehlen. Es geht aber — und das kann der Blick auf Kant zeigen — um Belange des Menschen, und zwar nicht nur darum, daß hier Menschen vor den selbstzerstörerischen Folgen ihres eigenen kurzsichtigen Tuns 58 59

(FN 23), §60, V, S. 464. Ebd., § 42, V, S. 398.

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bewahrt werden sollen. Es geht auch darum, daß sich am Verhalten gegenüber der Natur die „Humanität" einer Gesellschaft und des menschlichen Daseins zu erweisen hat. Der Enthusiasmus des Greenpeace-Demonstranten entspricht so durchaus dem politischen Enthusiasmus für die Ideen der Französischen Revolution in der Kantzeit. Der Blick in die Kantische Ästhetik soll zeigen, worin die Verwandtschaft von ästhetischer und moralischer Einstellung begründet ist. Wenn wir etwas als schön bezeichnen, so sprechen wir als sinnliche Wesen, aber als solche, die frei sind; denn die Urteilskraft gibt sich, wenn sie an Gegenständen reines Wohlgefallen findet und sie als schön bezeichnet, „selbst das Gesetz" und ist nicht „einer Heteronomie der Erfahrungsgesetze unterworfen". 60 Wir können z.B. nicht annehmen, daß die Natur ihre schönen Formen für unser Wohlgefallen gebildet hat. Die Schönheit, die wir Naturgebilden zusprechen, ist insofern nicht eine Gunst, die uns die Natur erzeigt, sondern umgekehrt eine „Gunst..., womit wir die Natur aufnehmen". 61 Schönheit der Naturgebilde erweist sich als eine „subjektive Zweckmäßigkeit, welche auf dem Spiele der Einbildungskraft in ihrer Freiheit" beruht. Subjektive Zweckmäßigkeit heißt aber: Wir können Zweckmäßigkeit in der Natur nicht objektiv nachweisen, trotzdem aber die Schönheit mit Recht „der Natur und ihrem Vermögen, sich in ihrer Freiheit . . . auch ästhetisch-zweckmäßig zu bilden", zuschreiben. 62 Auf der Basis einer Art Kopernikanischer Wende auch im Bereich der Ästhetik kommt es zu einer Vermittlung von Freiheit und Natur. Ohne diese Vermittlung im einzelnen nachweisen zu können, sieht sich die Urteilskraft „auf etwas im Subjekte selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem Übersinnlichen verknüpft ist, bezogen.. . " 6 3 60 61 62 63

Ebd., §59, V, S. 461. Ebd., § 58, V, S. 457. Ebd. Ebd., § 59, V, S. 461.

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Grund dafür ist einerseits die innere Möglichkeit im Subjekt, ein solches interesseloses Wohlgefallen am schönen Gegenstand zu empfinden, andererseits die äußere Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur. Wir werden also auf einen Punkt verwiesen, in dem Freiheit und Natur als Einheit verbunden sind, 64 ohne diesen genauer fassen zu können. Entsprechend tragen wir zwar jedem ein ästhetisches Urteil als verbindlich an, aber da wir diese Verbindlichkeit nicht objektiv nachweisen können, bleibt das ästhetische Urteil insofern subjektiv. Diese Subjektivität unterscheidet das ästhetische Urteil grundlegend von dem mit Unbedingtheitsanspruch auftretenden moralischen Urteil. Inwiefern kann es gleichwohl als Modell dafür dienen, wie wir analog zum Schönen über das Sittliche reflektieren sollen und können? So erfreulich und für das Subjekt im einzelnen befriedigend die ästhetische Erfahrung auch sein mag, sie bleibt doch — als rein betrachtende Daseinsweise — „wertlos". Ihre Bedeutung liegt für Kant auf der Seite des Subjekts, in der „Kultur der Gemütskräfte"; denn die Ausbildung des Geschmacks macht „gleichsam den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse" 65 möglich. Kant weiß sehr genau, daß derjenige, der über sicheren Geschmack verfügt, deswegen noch lange kein guter Mensch sein muß. Er meint auch nicht, daß das Urteil über Schönheit in irgendeiner Weise moralischen Kategorien unterzuordnen wäre. Er ist im Gegenteil gerade derjenige, der die Eigenständigkeit und Autonomie des Ästhetischen herausgestellt und seine Unabhängigkeit von begrifflich-metaphysischen Festlegungen jeder Art verfochten hat. Der Kern seiner Rede vom Schönen als Symbol des Sittlichen und von der propädeutischen Funktion der schönen Kunst zielt auf etwas anderes: In der ästhetischen Einstellung des Subjektes sieht Kant eine Vorbedingung erfüllt, die er als Grundvoraussetzung von Kultur und Sittlichkeit begreift. Der ästhetisch Urteilende hat sich aus der Abhängigkeit von seinen Bedürfnissen und sinnlichen Interessen gelöst. Der Geschmack zeigt daher eine „erweiterte Denkungsart" an. Kant spricht von einer Art „sensus communis" und erläutert diese Erweiterung mit den drei Grundsätzen: Selbstden64 65

Ebd. Ebd., § 59, V, S. 462.

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ken — An der Stelle jedes anderen denken — Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken. 66 Geschmack ist also eine Eigenschaft, die zunächst einmal auf das gesellschaftliche Dasein des Menschen zielt. Kant definiert ihn zwar als das Vermögen, „die Mitteilbarkeit der Gefühle . . . a priori zu beurteilen", 67 indem er ihn aber der Humanität zuordnet, stellt er zugleich die gesellschaftliche und in gewisser Weise auch geschichtliche Seite des Geschmacks heraus: „Empirisch interessiert das Schöne nur in der Gesellschaft ,"68 Derjenige, der ästhetisch urteilt, tritt nicht nur den Dingen der Natur ohne Verwertungsinteressen gegenüber, er erschließt sich mit einer solchen Einstellung zugleich auch den Boden der „Humanität", die ihn von „tierischer Eingeschränktheit" abhebt und unterscheidet. Humanität meint in diesem Zusammenhang einerseits das „allgemeine Teilnehmungsgeföhl, andererseits das Vermögen, sich innigst und allgemein mitteilen zu können". 69 Über diese gesellschaftliche Bedeutung einer ästhetischen Empfindungs- und Mitteilungsfahigkeit hinaus stellt Kant die Verbindung zur Moralität her. Er zeichnet das Bild eines Menschen, der „ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur" nimmt und damit sittliches Gefühl beweist. Was fasziniert Kant an dem einsamen Betrachter z.B. einer wilden Blume oder eines Insekts, der ohne Sinnenreiz und ohne bestimmten Zweck, ohne eigenen Nutzen, vielleicht sogar Schaden in Kauf nehmend, für den Erhalt einer Naturschönheit Partei ergreift, nur „um sie zu bewundern, zu lieben, und sie nicht gerne in der Natur überhaupt vermissen zu wollen". 7 0 Ein derartiges „unmittelbares und zwar intellektuelles Interesse an der Schönheit der Natur" ist nach Kant „der Verwandtschaft nach moralisch". M i t Bedacht hat er sein Beispiel so gewählt, daß Nutzen oder Schaden für den einzelnen oder die Gesellschaft als Motiv ausscheiden. Was bleibt, ist ein Interesse der Vernunft, „daß die Ideen . . . auch objektive Realität haben". 71 Was der Anblick des gestirnten 66 67 68 69 70 71

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

§ 40, V, S. 390. § 40, V, S. 392. §41, V, S. 393. § 60, V, S. 464. § 42, V, S. 396. §42, V, S. 397/398.

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Himmels nicht mehr vermitteln kann, das versichert uns in einer Art figürlicher Sprache die Schönheit einer Natur, „die sich an ihren schönen Produkten als K u n s t . . . gleichsam absichtlich, nach gesetzmäßiger Anordnung und als Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zeigt.. , " 7 2 Die Natur stellt insofern gerade und nur in ihrer Selbständigkeit und in der freien Gestaltung ihrer Formen eine Antwort auf die Freiheit des Menschen dar; denn Zweckmäßigkeit ohne Zweck finden wir sonst nur „in uns selbst, und zwar in demjenigen, was den letzten Zweck unseres Daseins ausmacht, nämlich der moralischen Bestimmung". 73 Der Gedanke Kants ist also der: Unser Interesse am Dasein einer freien Natur kennzeichnet eine Einstellung, die der moralischen Einstellung analog ist und insofern eine „geläuterte und gründliche Denkungsart aller Menschen" 74 darstellt. Frei von unmittelbaren Zwängen riskiert und praktiziert der Kulturmensch eine Einstellung, die Natur nicht mehr nur auf die eigenen, naturhaften „Zwecke" des Selbstschutzes oder der Besitzvermehrung bezieht. Erst diese Distanz zu sich selbst läßt ihn die Übereinstimmung mit der Natur erfahren, die er in der Rolle des Gesetzgebers oder des Richters 75 nicht erreichen kann. Zur moralischen Einstellung bedarf es ebenfalls der Fähigkeit, von eigenen Bedürfnissen und von individuellen Zwecksetzungen abzusehen. Aber der moralische Anspruch gilt unbedingt, seine Forderungen müssen daher unabhängig von einem moralischem Gefühl, das stehts unzuverlässig bleibt, erhoben werden. Insofern bleibt der Konflikt zwischen Pflicht und Neigung, zwischen gesetzlichem Zwang und dem freien Gefühl in Rechnung zu stellen. Immerhin können wir uns aber eine solche Konstellation friedlichen Einklangs mit der Natur denken und als Betrachter des Schönen auch sinnlich erfahren. Der Wert eines derartigen Verhältnisses Mensch — Natur liegt also darin, daß hier eine „kultivierte Denkungsart" praktiziert wird, m.a.W. eine spezifisch menschliche Art und Weise des SichVerhaltens eingeübt und erfahren werden kann. Diese Bedeutung der ästhetischen Einstellung für die Kultur einer Gesellschaft wird auch 72 73 74 75

Ebd., §42, V, S. 398/399 Ebd., § 42, V, S. 399. Ebd., § 42, V, S. 397. Vgl. F N 24, Β, X I I I .

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nicht dadurch gemindert, daß sie nur dann möglich ist, wenn wir uns in Sicherheit gegenüber physischer Bedrohung wissen. Es stellt sich die Frage, ob wir uns eine solche zweckfreie Einstellung leisten können, eine Frage, die sich allerdings nicht nur im Verhalten gegenüber der Natur, sondern auch bei der Moral stellt. Wenn wir meinen, uns eine ästhetische Einstellung gegenüber der Natur oder eine zweckfreie moralische Einstellung in der Gesellschaft nicht leisten zu können, heißt das mit anderen Worten: Wir können uns Humanität nicht leisten. In einer Welt, die primär vom Zwang der Gesetze oder von ökonomischen Zwängen geprägt wird, kann eine „erweiterte", humane Denkungsweise gar nicht ausgebildet werden; das Bewußtsein des Menschen — als eines Wesens, „das aufrecht zu stehen und den Himmel anzuschauen gemacht" ist 7 6 — kann kein Echo mehr finden. Für das freie Individuum müssen ,Zusammenstimmung mit sich selbst' und ,Übereinstimmung mit der Natur' erfahrbar bleiben. An der Lösbarkeit dieses grundlegenden politischen Problems entscheidet sich nach ihren eigenen Ansprüchen die Legitimität der bürgerlichen Gesellschaft. Im Rahmen der Kantischen Überlegungen erweist sich also an der Fähigkeit einer Kultur, ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen und die Mittel zu ihrer wechselseitigen und allgemeinen Mitteilung zu entwickeln, die „Menschlichkeit" einer Gesellschaft. Ästhetik in diesem Sinne bleibt allerdings auch nicht Selbstzweck im Sinne eines Ästhetizismus, sondern führt unmittelbar in den umfassenderen Zusammenhang einer Kultur- und Geschichtsphilosophie, in der es um die Frage der Bestimmung der Menschheit und der Erfüllbarkeit ihres sittlichen Anspruchs unter den Bedingungen dieser Welt zu tun ist. Kants Ästhetik schließt folgerichtig mit dem Ausblick auf die schon angesprochene Frage der Vereinbarkeit von Kultur und Natur, von gesetzlichem Zwang und „der ihren eigenen Wert fühlenden freien Natur". 7 7 Die politische Dimension dieses Menschheitsproblems ist von Kant mit dem Hinweis auf die Französische Revolution angesprochen, die ihm, wie er im ,Streit der Fakultäten' formuliert, „Natur und Freiheit, nach inneren Rechtsprinzipien im Menschengeschlechte vereinigt" verheißt. 78 76 77

Vgl. F N 39. (FN 23), § 60, V, S. 464 (vgl. F N 69).

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Was sich allerdings aus der Perspektive gelingender ästhetischer Erfahrung als Versöhnungsaussicht zwischen Freiheit und Natur abzeichnet und gefühlsmäßig erfahren läßt, das bleibt unter Handlungsgesichtspunkten ein Problem. Dennoch ist die Einsicht in die Eigenart einer „ästhetischen" Einstellung gegenüber der Natur ein nicht zu unterschätzender Meilenstein auf dem Weg zu der „erweiterten Denkungsart", die dem „Stand der Freiheit" angemessen ist. 9. Zweckmäßigkeit der Natur, menschliche Zwecksetzung und der Mensch als Endzweck Kant verfolgt in der ,Kritik der Urteilskraft' das Anliegen, die formale Konzeption seiner praktischen Philosophie durch den Begriff einer historisch-praktischen Vernunft zu erweitern. 79 Der Gedanke einer autonomen Ästhetik als Vermittlung von Freiheit und Natur wird so in seiner ganzen Bedeutung erst im Zusammenhang einer umfassenderen praktischen Problemstellung verständlich, im Zusammenhang der Frage nämlich, ob wir als Voraussetzung für die Erfüllung des Sittengesetzes eine zweckmäßige Verfassung der Natur und der menschlichen Natur im besonderen voraussetzen dürfen. Diese Fragestellung gibt Kant Anlaß zu wichtigen Klarstellungen über die Rolle des Menschen in der Natur und im Verhältnis zur Natur, die er an die Begriffe Zweck, Selbstzweck und Endzweck knüpft. Sie sind deshalb in unserem Zusammenhang wichtig, weil sie geeignet sind, daß Mißverständnis einer rein instrumenteilen Rolle der Vernunft im Dienste menschlicher Naturbeherrschung zu korrigieren. Kants Thesen lassen sich in aller Knappheit folgendermaßen zusammenfassen: 1. Nur der Mensch verfügt dank seiner Vernunft über das Vermögen, Zwecke zu setzen. 2. Damit macht er sich insofern zum Herrn über die Natur, als er diese in seinen Dienst nehmen und auf sich selbst als Zweck 78

(FN 31), II, VI, S. 361. Vgl. G. Krämling, Die systembildende Rolle von Ästhetik und Kulturphilosophie bei Kant, Freiburg/München 1985. 79

5 Recht und Natur

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beziehen kann. Insofern gibt er ihr auch erst einen Wert. Denn das Dasein einer Welt ohne vernünftige Wesen würde „gar keinen Wert haben, weil in ihr kein Wesen existierte, das von einem Werte den mindesten Begriff hat". 8 0 Entsprechend darf er in der „Tauglichkeit, sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen", d. h. in der Kultur, den „letzten Zweck" der Natur sehen.81 3. Dieser letzte Zweck der Natur kann aber nicht „Endzweck" des Menschen sein. Es kommt für Kant alles darauf an, daß der Mensch sich mit seiner Zwecksetzung nicht wieder in den Dienst von Naturbedürfnissen stellt. Unabhängig von der Natur und ihren Gesetzen braucht der Mensch einen „Begriff, wozu er dann überhaupt da sei, und welchen Wert er dann selbst habe.. , " 8 2 . Dieser Endzweck findet sich in der Fähigkeit des Menschen, sein Handeln unabhängig von der Natur nach eigenen, vernünftigen, d.h. für Kant: nach moralischen Gesetzen zu bestimmen. 4. Damit ist deutlich, daß die anfangs erwähnten Kantischen Formulierungen aus dem »Mutmaßlichen Anfang' nicht einen Freibrief zur Ausbeutung der Natur mit dem einzigen Vorbehalt einer Verschonung des Menschen darstellen. Es wäre dann in der Tat nicht einzusehen, weshalb eine solche Herrschaft über die Natur sich nicht innerhalb der Menschheit reproduzieren sollte. Damit eigene Zwecksetzung gegenüber der Natur nicht doch wieder in Naturabhängigkeit führt, ist mit dem Vernunftanspruch zugleich eine rechtlich-moralische Dimension zu verbinden, aus der sich freies Handeln nicht entlassen oder herausstehlen kann, ohne sich aufzugeben. Insofern ist die Indienstnahme der Natur von dem Gedanken einer Gleichheit mit allen vernünftigen Wesen nicht zu trennen. Wenn die Tiere als dem Willen des Menschen „überlassene Mittel und Werkzeuge zur Erreichung seiner beliebigen Absichten" bezeichnet werden, so kann das nach dem Gesagten ebenfalls nicht bedeuten, daß der Umgang mt der lebendigen Natur gleichgültig oder nur von Nützlichkeitserwägungen bestimmt sein könnte. Auch dann, wenn nicht unmittelbar moralische Verpflichtungen gegenüber Personen im Spiel sind, 80 81 82

(FN 23), §87, V, S. 575. Ebd., §83, V, S. 553/554. Ebd., § 86, V, S. 567/568.

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kann über das Verhältnis zur Natur doch die Fähigkeit zu einer im engeren Sinne moralischen Einstellung wachsen oder auch verlorengehen. 10. Menschenrechte als „natürliche" Rechte im „Stand der Freiheit" Es zeigt sich, daß die ästhetischen Überlegungen über das Naturverhältnis des vernünftigen Menschen in den Zusammenhang der Geschichtsphilosophie und der praktischen Philosophie zurückführen. Die Einsicht, daß die Natur weder vernünftige Handlungsnormen für den Menschen bereitstellt noch einen verläßlichen Handlungsrahmen abgibt, zwingt dazu, die Stellung des Menschen im Naturzusammenhang und seine Bestimmung in der Welt neu zu überdenken. Der Vernunftanspruch des Menschen, der ihn nach dem Vorbild und Muster des Kopernikus seine Rolle frei wählen läßt, erweist sich dabei als unaufgebbar. Zugleich bringt der „Stand der Freiheit" aber die Konsequenz mit sich, daß die Distanz zur Natur die Frage nach einer möglichen und notwendigen Übereinstimmung von Vernunft und Natur zum Problem werden läßt. Diese Spannung schlägt sich in den Widersprüchen der bürgerlichen Gesellschaft nieder. Menschenrechte können unter diesen Voraussetzungen nicht in dem Sinne Naturrechte sein, daß gegen bestehende positive Gesetze und ihren Zwangscharakter eine „natürliche" Ordnung angerufen oder eine „natürliche" Ausgangssituation wieder eingeklagt werden könnte. Menschenrechte sind Vernunftrechte, die die Respektierung und die Chance der Realisierung des Vernunftanspruchs für alle Menschen einfordern. Als solche müssen sie auf die naturhafte Bedürftigkeit des Menschen hin interpretiert und konkretisiert werden. Dabei ist im praktischen Handlungsinteresse von einer Natur auszugehen, die dem Handelnden entgegenkommt und in der zu handeln nicht völlig sinnlos ist. Nur mit diesem kritischen Vorbehalt spricht Kant davon, daß die Natur dem Menschen Freiheit und Vernunft gab; er sieht den Kern dieses „Geschenkes" in der „Gleichheit des allgemeinen Menschenrechts". 83 Wenn Kant von 83

5*

(FN 28), VI, S. 95.

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einem „angeborenen Recht" auf Gleichheit in der gegenseitigen Einschränkung der Freiheit 84 oder von dem „natürlichen Recht der Menschen" spricht, so weiß er sehr wohl, daß er von Freiheit im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft und von dem Anspruch rechtsfähiger Subjekte als „Glieder des gemeinen Wesens"85 spricht. Dieser Anspruch kann faktisch, aber nicht rechtlich aufgegeben oder genommen werden; denn niemand kann durch eine rechtliche Tat aufhören, „Eigner seiner selbst zu sein, und in die Klasse des Hausviehes eintreten". 86 Ebensowenig darf ihm von anderen der Anspruch, sein eigener Herr zu sein, genommen oder vorenthalten werden. Die unverlierbaren Rechte, die jeder Mensch als Mitglied der Gesellschaft hat und die — als Menschenrecht — „durch Vernunft unmittelbare Achtung" abnötigen, 87 versteht Kant ganz im Sinne der zeitgenössischen Menschenrechtsdeklarationen als individuelle Persönlichkeitsrechte: als Recht, sein Glück selbst zu besorgen, 88 als Freiheit der Religion und der Feder, als Recht auf Öffentlichkeit und Aufklärung. Negativ wendet er sich damit entsprechend den historischen Gegebenheiten gegen Veränderungsverbote, Standesprivilegien und despotische Menschenverachtung. Der Kern der Menschenrechtsforderungen zielt auf die Garantie, dem einzelnen im Rahmen einer bürgerlichen Gleichheit nicht die Basis für die Realisierung von Vernunft und Freiheit zu entziehen. Hinter der Einforderung von Menschenrechten steht die von Kant geteilte Überzeugung, daß die Menschen sowohl fähig sind, nach Vernunftideen zu handeln, als auch würdig, danach behandelt zu werden. 89 Diese Erwartung aufzugeben würde bedeuten, den Stand der Freiheit aufzugeben mit der Begründung, ihr Anspruch sei mit den natürlichen Gegebenheiten nicht in Einklang zu bringen. Das kann aber nur um den Preis der Selbstaufgabe der Vernunft und der Selbstauslieferung an eine unkalkulierbare Natur geschehen. Daher die Dringlichkeit der Frage nach der Vereinbarkeit des Vernunftanspruchs mit der Natur! Als 84 85 86 87 88 89

(FN 38), VI, S. 148. Ebd., VI, S. 146. Ebd., VI, S. 149. Ebd., VI, S. 164. Ebd., VI, S. 145; vgl. F N 25, 8. Satz, VI, S. 46. (FN 38), VI, S. 164.

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leibliches und damit bedürftiges Wesen hat der Mensch ein elementares Interesse daran, die Freiheitsordnung im Einklang und im Einvernehmen mit einer Natur zu errichten, die er als „frei" in ihren Bildungen und „zweckmäßig" in ihrem Zusammenhang ansprechen kann. Eine solche Natur ist aber Entwurf der Vernunft aus praktischem Interesse. Vorstellungen von einem Eigenrecht der Natur sind zu verstehen als eine Art von vorkopernikanischer Redeweise aus dem Bedürfnis nach ursprünglicher Geborgenheit in einer den Menschen vom ständigen Handlungszwang entlastenden Welt. Demgegenüber ist festzuhalten, daß die „menschliche" Welt erst auf dem Wege der Vernunft handelnd hergestellt werden muß. Trotz einer wachsenden Entfernung der Kultur von der ursprünglichen Natur bleibt das Bedürfnis, Einvernehmen mit der Natur und der eigenen natürlichen Daseinsweise zu erleben und zu fühlen. Angesichts der Widersprüche und Zwänge der Kultursituation besteht die kopernikanische Wende in der Einsicht, daß derartige Harmonie nur unter der Voraussetzung planvollen Handelns und in einer moralisch-rechtlichen Ordnung zu erreichen ist. In Umkehrung von der Kantischen Formulierung von der „Vormundschaft der Natur" könnte man sagen: Der Mensch tritt in die Rolle eines Vormundes und Beschützers der Natur, die erst dadurch „Wert" bekommt, daß sie dem Menschen den Typus einer heilen Welt, das Bild einer gelungenen Vermittlung des Freiheitsanspruchs mit seinen eigenen Voraussetzungen vor Augen stellen kann. Die Forderungen nach einer Bewahrung der Schöpfung, nach Naturschutz als einem Schutz ursprünglicher Wildnis wie auch nach einer ökologisch ausgewogenen und ästhetisch befriedigenden Landschaft sind daher im Kern Forderungen nach Anfangsbedingungen, auf die jeder Mensch ein Recht hat, weil sie ihm erst die Realisierung seiner politisch-moralischen Bestimmung möglich machen: die freie Entfaltung der Menschen in gegenseitiger Achtung und Respektierung des gleichen Rechts aller. Die vorkopernikanische Sprechweise von einer Selbständigkeit der Natur gibt nur Sinn unter der Bedingung einer kopernikanischen Hinwendung zum Menschen.

Menschenrecht, Naturverhältnis und Naturteleologie Ein Diskussionsbeitrag Von Peter Rohs Das Ziel der Überlegungen Kaulbachs, denen dieser Diskussionsbeitrag gilt, ist es, die heutzutage überall schrankenlos herrschende „Perspektive der gefesselten Natur zu begrenzen und auf diejenige der freien Natur abzustimmen" (S. 22). Eine solche Forderung wird sicherlich vielerorts auf sympathisches Verständnis stoßen; die leidvollen Erfahrungen davon, daß diese Abstimmung ständig mißlingt, drängen sich nur allzu sehr auf. Weitaus schwieriger aber scheint es zu sein, die philosophischen Kategorien, in denen eine solche Forderung sich ausspricht, hinreichend abzusichern. Scheint es doch ζ. B. ein Leichtes zu sein, die Rede von der „freien" Natur der billigen, schönfärberischen Metaphorik zu überführen und gegen sie festzustellen, daß Natur nicht frei ist und nicht frei sein kann. Gerade Kant könnte man zum Zeugen dafür anrufen, daß Freiheit in Natur nicht möglich ist, daß es sie — wenn überhaupt — nur jenseits von Natur in einer „intelligiblen Welt" geben kann. In der Natur herrscht die ziellose und blinde Notwendigkeit; das „Bild der freien Natur" (S. 22) könnte da als romantisch im schlechten Sinne des Wortes abgetan werden — als sympathische, aber rational unbegründete Illusion. Solche Argumente liegen bequem auf der Hand; es ist deshalb anzuerkennen, daß Kaulbach sich durch sie nicht abschrecken läßt, diesem Bild der freien Natur dennoch philosophischen Grund zu geben und dann rechtsphilosophische Konsequenzen aus ihm zu ziehen. In diesem Ziel, die Idee einer freien Natur philosophisch zu verankern, möchte ich mich durchaus zu seiner Arbeit bekennen; ich glaube jedoch auf einen anderen Ort hinweisen zu sollen, an dem mir eine solche Verankerung eher möglich zu sein scheint. Gerade die kantische Theorie der Naturerfahrung scheint es unumgänglich zu machen, daß die Grenze der gefesselten Natur mit

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der von Natur selbst zusammenfällt. Umso überraschender deshalb, daß Kaulbach dennoch in ihr Ansätze zu finden meint, die über die Perspektive der gefesselten Natur hinausführen können. Er sieht sie darin, daß in diesem Konzept von Naturwissenschaft der Mensch als Gesetzgeber der Natur verstanden wird; darin sei eine „enge ursprüngliche Verbindung zwischen wissenschaftlicher Stellung zur Natur und moralisch rechtlicher Vernunft" (S. 27) zu erkennen. Von Anfang an sei hier dadurch Machtvernunft mit Sinnvernunft verbunden. Wenn wir heute unter dem Verlust dieser Einheit leiden, dann sei unsere gegenwärtige Einstellung zur Natur so zu reformieren, daß die ursprüngliche (d.h. dem Gedanken des gesetzgebenden Naturforschers entsprechende) Attitude wieder hergestellt werde (S. 27). Die Heilungskräfte gegen den Machtrausch der gewaltsam verfügenden Naturwissenschaft werden also in ihr selbst gesucht, — in dem ursprünglichen Konzept, das noch die Souveränität des gesetzgebenden Naturforschers mit der Würde des freien und vernünftigen Rechtssubjekts verknüpfen konnte. Ich frage mich aber, ob die Idee der freien Natur auf diese Weise abzusichern ist. Man könnte hier einwenden, daß so Metaphern durch andere Metaphern erklärt werden. Die Vorstellung von einer „Gesetzgebung" des Verstandes hinsichtlich der allgemeinen Naturgesetze ist ja ebenfalls metaphorisch und im wörtlichen Sinne nicht zu halten. Bei Kant ist sie an die idealistische Interpretation seiner Erkenntnistheorie gebunden, nach der die Natur zu einer Gesamtheit von „Vorstellungen des Gemütes" reduziert wird. A n diesem Idealismus kann man nicht festhalten. Auch sind die allgemeinen und besonderen Gesetze der Natur nicht in der Weise voneinander trennbar, daß man sie verschiedenen „Gesetzgebern" oder Quellen zuteilen könnte. Zweifellos sind die allgemeinen und besonderen Naturgesetze nicht einmal logisch unabhängig voneinander, — so daß, wenn die allgemeinen Gesetze dem erkennenden Gesetzgeber gehören, dies mit dem besonderen ebenfalls der Fall sein müßte. Aber selbst von diesen Schwierigkeiten abgesehen ist unklar, ob der Gedanke dieser Gesetzgebung die Idee moralischer Würde des Menschen fundieren oder gar der Idee einer Würde der Natur selbst Grund geben kann. Ihr „Konstituiertsein" durch ein freies Subjekt gäbe der Natur noch immer keinen Abglanz von Freiheit; sie bliebe gefesselte Natur.

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Im Horizont des kantischen Denkens scheint mir aber eine andere Möglichkeit zu liegen, die Perspektive der gefesselten Natur zu begrenzen: Kants Konzeption der Naturteleologie. Sie gehört freilich nicht — wie der Gedanke der Gesetzgebung — immanent zur kausal erfahrenden mathematischen Naturwissenschaft; sie steht in eigentümlicher Weise komplementär zu ihr. Die Naturteleologie ist ja nach Kant weder ein konstitutives Moment dieser Naturwissenschaft noch eine Ergänzung gleichsam auf derselben Ebene; — und doch ist sie eine Ergänzung zu ihr, und zwar eine notwendig durch die Vernunft geforderte Ergänzung. Die Naturteleologie hat nicht die Fragen zu beantworten, die die Physik noch nicht beantwortet hat, denn deren Forschungsfortschritt geht unbegrenzt weiter; und dennoch gilt in grundsätzlicher Weise, daß das physikalische Bild der Natur nicht ihr ganzes Bild sein kann; daß zur Natur etwas gehört, das sich nur teleologischem Begreifen erschließt. Wenn irgendwo es eine Möglichkeit gibt, die Idee einer freien Natur philosophisch zu verankern, dann, so meine ich, hier. Kant selbst hat freilich in seiner Rechtsphilosophie keine Folgerungen aus dieser Idee gezogen. Die Natur bleibt für Kant rechtlos und zu beliebiger Verfügung unserem Machtwillen unterworfen. Es mag faktische Grenzen unserer Verfügungsgewalt über sie geben; aber für Kant gibt es sicherlich gegen die rechtlose Natur keine rechtlichen Grenzen unseres Machtwillens, — eben weil es für Kant eine „freie" (und damit rechtlich relevante) Natur nicht gibt. Selbst das Verbot der Tierquälerei ergibt sich für Kant auf Umwegen, die deutlich machen, daß nicht die Tiere selbst einen Anspruch darauf haben, nicht gequält zu werden. Naturteleologische Gedanken erwähnt Kant in diesem Kontext nicht; er denkt nicht daran, Tierquälerei deswegen zu verbieten, weil Tiere keine „Maschinen" sind, sondern nur teleologisch voll zu begreifende Wesen. Der Dualismus zwischen Menschen, die aufgrund ihres „intelligiblen Charakters" frei sind und Rechte haben, und Tieren, die keinen intelligiblen Charakter haben und deswegen ihrem Status nach unfreie, rechtlose Gegenstände sind, bleibt unangetastet. Dabei wird in der Einleitung zur „Kritik der Urteilskraft" der Gedanke der Naturteleologie durchaus von Kant selbst in der Absicht eingeführt, über diesen Dualismus von Freiheit und Natur

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hinauszukommen. Bei Kant aber bleibt diese Absicht irgendwie abstrakt; sie tangiert sein Bild von der Natur nur unwesentlich — trotz der großartigen Worte, die er in dieser Einleitung für seine tiefen Gedanken findet. Kant sucht hier grundsätzlich Freiheit und Natur zu vermitteln, aber die Möglichkeit einer „freien Natur" (samt ihren denkbaren rechtlichen Konsequenzen) kommt nicht in den Blick. Hier sollte deswegen das Weiterdenken ansetzen. Zu Kants Ethik gehört der Gedanke, daß der Mensch Zweck an sich selbst ist und deswegen „Würde" hat, einen „absoluten Wert", nicht nur einen relativen, einen Preis. Die Respektierung dieser Würde ist durch das Grundgesetz der praktischen Vernunft, den kategorischen Imperativ geboten. Kant möchte zeigen, daß die Zwecksetzungskompetenz des freien Menschen ihn derart auszeichnet. Aber auch die Natur ist als in sich zweckmäßig zu beurteilen. Sie besitzt ein Analogon zu den frei gesetzten Zwecken von Menschen; Kant spricht von einer „Zweckmäßigkeit ohne Zweck". Diese immanente Zweckmäßigkeit der Natur — denn es geht nicht um eine äußere für den Menschen — ist mit den Funktionen der mathematischen Naturwissenschaft nicht zu beschreiben. Sie ist aber nach Kant deswegen nicht lediglich eine beliebige Fiktion, sondern eine von unserer Vernunft als notwendig geforderte Deutung der Natur. In der Durchführung dieser Konzeption sucht Kant zu zeigen, daß dieselben ontologischen Strukturen, die Freiheit ermöglichen, auch diese teleologische Verfassung der Natur möglich machen. Für Kant ist das die Transzendierung der in den Anschauungsformen Raum und Zeit sich erstreckenden Erscheinungsrealität. Freiheit ist nach Kant nur möglich, weil diese Realität nicht alle Realität erschöpft, sondern gerade deswegen, weil Raum und Zeit nur Anschauungsformen sind, eine Realität anzunehmen ist, die außerhalb ihrer liegt, — weil den Phänomena Noumena zugrundeliegen. Dieser Dualismus ist also sowohl für Freiheit wie für die immanente Teleologie der Natur die entscheidende Basis. Tiere haben zwar nicht wie der Mensch einen „intelligiblen Charakter"; sie können deswegen nicht frei und keine moralischen Subjekte sein. Aber wenn sie gleichsam gar nicht in den mundus intelligibilis hineinreichten, dann könnten sie nach Kant nur „Maschinen" sein, weil ausschließlich innerhalb der phänomenalen

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Realität etwas anderes nicht möglich ist. Man kann sagen, die immanente Zweckmäßigkeit ist für Kant das zur Natur gehörige Analogon zum intelligiblen Charakter des Menschen. Und Kant sucht nachzuweisen, daß dieses Analogon nicht nur zu einigen Wesen in der Natur gehört, sondern zur Natur als System, zur Natur als Totalität. Wenn sich nun aus dem intelligiblen Charakter des Menschen seine Würde ergibt, sein Sein als Zweck als sich, — warum sollte nicht das Analogon für die Natur Anlaß sein, ihr Analoges zuzuschreiben? Wenn die Würde des Menschen deswegen zu respektieren ist, weil er Zweck an sich ist, warum sollte nicht auch der Natur eine zu respektierende Würde zukommen, wenn sie ein System immanenter Zweckmäßigkeit ist? Gibt es also zwar keine freie Natur, so doch Strukturen von Natur, die Freiheit so sehr entsprechen, daß es mehr als romantische Spekulation wird, von dem „Bild der freien Natur" zu sprechen. Die Ähnlichkeiten könnten sogar so weit gehen, daß sie rechtsphilosophisch ergiebig werden und Natur qua Natur in unser Rechtssystem einzubeziehen verlangen. Nicht daß die Natur als solche — oder einzelne nichtmenschliche Organismen in ihr — als förmliche Rechtspersonen angesehen werden könnten; aber jener Abglanz einer im Intelligiblen fundierten Freiheit, den die ebenfalls im Intelligiblen fundierte immanente Zweckmäßigkeit der Natur darstellt, könnte der Natur eine Würde zuzuweisen nicht nur erlauben, sondern sogar gebieterisch verlangen, die sie aus der Perspektive der kausal verfahrenen Naturwissenschaft nicht haben kann. Wie die Würde des Menschen auf seiner Freiheit beruht, so die der Natur auf ihrer teleologischen Verfaßtheit. Mir scheint dabei wichtig, daß die teleologische Betrachtung der Natur zur naturwissenschaftlichen komplementär ist und sich nicht einfach aus ihr ergibt, und daß sie — während diese eindimensional die Natur als reines Phänomen erfaßt — wesentlich jene Zweidimensionalität umgreift, die Kant mit den Ausdrücken „Phänomena — Noumena" umschreibt. Denn für die kantische Theorie ist ja ein entscheidender Zug, daß immanente Zweckmäßigkeit (wie auch Freiheit) etwas ist, das in der eindimensional reduzierten, bloß phänomenalen Natur unmöglich ist.

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Man kann sich also nicht einfach an die Naturwissenschaft selbst halten, wenn die Perspektive der gefesselten Natur begrenzt und auf diejenige der freien Natur abgestimmt werden soll. Hier ist eine Betrachtungsweise gefordert, die zu der der Naturwissenschaft komplementär ist, deswegen aber nicht schlechterdings unvernünftig. Der bloße Physiker wird kein „Bild einer freien Natur" sehen können, auch wenn er glaubt, der Natur ihre Gesetze vorzuschreiben. Diese spekulativen Überlegungen sind nun allerdings mit der Hypothek belastet, daß die zahlreichen herangezogenen metaphysischen Theoreme Kants kaum als befriedigend ausgewiesen gelten können. Die vertraute Metaphysikkritik wird das meiste der Sinnlosigkeit verdächtigen und als „Philosophen-Lyrik" beiseite tun. Als „Stachel für die faule Vernunft" wäre diese Kritik sogar sehr zu begrüßen, denn daß noch viel zu tun bleibt, ehe eine solche Konzeption als etabliert gelten könnte, ist offenbar. Daß dies aber unmöglich wäre, daß einem Irrlicht nachliefe, wer daran arbeitet, halte ich aber trotz allem für ganz und gar nicht ausgemacht. Ich halte diesen Weg, das von Kaulbach anvisierte Ziel — die Wiedergewinnung der Einheit zwischen Rechtssinn und Machtwillen, der Abstimmung von gefesselter und freier Natur — zu erreichen, sogar für chancenreicher als den, der in den Überlegungen von Kaulbach selbst zum Ausdruck kommt. Die „Perspektive der freien Natur" wird von ihm eingeführt (S. 19) gerade am Fall der Katastrophen, bei denen unsere Versuche zur Fesselung der Natur mißlingen. Im Hinblick auf solche Katastrophen wird festgestellt, daß die Perspektive der gefesselten Natur nicht alleine die absolute Wahrheit behaupten dürfe (S. 19). Den Technokraten wird diese Ansicht kaum überzeugen. Für ihn wird jede Katastrophe nur Anlaß sein, die Anstrengungen für die Fesselung der Natur zu verstärken. Überschwemmungen verlangen nach besserer, stärkerer Wassertechnik; Aids verpflichtet zur Intensivierung der Virusforschung usw. Argumente für die Perspektive einer freien Natur können sich von daher kaum ergeben, weil die Sicherung unserer Existenz gegen die bedrohende Natur ja in der Tat nur durch Technik, durch Machtvernunft möglich ist. Die Perspektive der freien Natur macht einen Perspektivenwechsel an anderer Stelle erforderlich. Dies gilt auch für den Fall, daß die Katastrophen selbst aus

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technischen Maßnahmen hervorgehen: die Sicherung der Technik ist selbst zunächst einmal ein technisches Problem, keines, das über die technische Vernunft hinausweist. Ein zerplatzender Dampfkessel ist eine Herausforderung für den Ingenieur, nicht eine für die Sinnvernunft. So bleibe ich auch skeptisch, wenn Kaulbach davon spricht (S. 27), daß die Machtvernunft des Menschen von Anfang an mit der Sinnvernunft verbunden gewesen sei. Für die umfassende gesellschaftliche Realität dürfte eine solche Aussage nur schwer historisch zu bestätigen sein. Kaulbach nimmt seine Belege vor allem aus der Position des naturforschenden Menschen als „Gesetzgebers" der Natur. Er sagt, in dieser der Naturwissenschaft zugrundeliegenden Attitude des Gesetzgebers seien menschenrechtliche Züge der praktischen Vernunft ursprünglich angelegt. (S. 27). Ich habe schon angedeutet, daß ich das theoretische Recht dieser Metapher des „Gesetzgebers" für recht bedenklich halte. Wie dem auch sei, — die freie Natur kann, so meine ich, nicht für diesen „gesetzgebenden" kausalwissenschaftlich vorgehenden Forscher in den Blick kommen, sondern nur aus einer Perspektive, die zu dieser komplementär ist und nicht ausschließlich der eindimensional reduzierten Natur gilt, — aus der der „teleologischen Urteilskraft". Allein aus ihr kann etwas von dem Unterschied, den Kant moralphilosophisch als den von „Preis" und „Würde" faßt, in die Natur hinüberstrahlen. Zum Schluß seines Aufsatzes plädiert Kaulbach für die wiederzuerlangende Einheit zwischen Machtvernunft und Sinnvernunft an die leibliche Verfassung des Menschen. Er sagt ζ. B.: „Die Würde des Menschen ist nicht auf die ,reine' Intelligenz des Bewußtseins gegründet, sondern auf diejenige der Leibvernunft." (S. 36) Für das Recht der freien Natur könne nur die „Vernunft des Leibes selbst" als Rechtssubjekt fungieren. Diese Konzeption entspricht zweifellos der heute vielfach und mit guten Gründen vertretenen Skepsis gegen die Vorstellung eines „reinen Subjektes" überhaupt. Für Strawson hat der Begriff der „Person", die immer auch leibliche Eigenschaften hat und haben muß, unbedingten Vorzug vor dem des (nur dem inneren Sinn zugänglichen) Subjektes.

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Aber gerade auch diese Konzeption scheint mir letztlich nur naturteleologisch einzulösen zu sein. Das Problem der Einheit von Leib und Seele, von Materiellem und Mentalem ist eines der schwierigsten, grundlegendsten von Philosophie überhaupt; mir scheint die Annahme nicht unbegründet zu sein, daß jeder erfolgversprechende Lösungsversuch sich derjenigen Kategorien bedienen muß, die Kant für die Vermittlung von Natur und Freiheit vorgesehen hatte. Der Begriff des „Leibes", gar der der „Leibvernunft" sind teleologische Begriffe, die aus der Perspektive des reinen „Gesetzgebers", aus der der mathematischen Naturwissenschaft nicht möglich sind. Kaulbach schreibt dieser Leibvernunft die Perspektive des Totalen und Ganzen zu; er sagt: „Die Leibvernunft stellt sich der Natur nicht gegenüber, sondern sie versetzt sich in deren totalen Zusammenhang, dem sich der Leib als zugehörig begreift. Von diesem Stand aus erhebt die Leibvernunft gemäß ihrer Würde den Rechtsanspruch auf die Perspektive des Ganzen." (S. 38) Auch dieser faszinierende und attraktive Gedanke scheint mir die Einbettung in das Kategoriensystem der teleologischen Urteilskraft nicht entbehren zu können. Vermutlich ist „Totalität" eo ipso eine teleologische Kategorie und für den mathematischen Naturforscher wie nicht vorhanden, — eine Kategorie also, die nicht einem einmal gewesenen Verständnis von Naturwissenschaft angehört, sondern einer zu dieser komplementären Denkart. Von einer philosophischen Fundierung dieser Denkart aber scheinen wir — trotz der noch bei weitem nicht ausgeschöpften Einsichten Kants in seiner dritten Kritik — noch weit entfernt zu sein. Überlegungen in diese Richtung kommen denn auch vorerst nicht darüber hinaus, Mutmaßungen zu sein. Ein Technokrat, der hiebund stichfeste Argumente verlangt, kann sie leicht beiseite schieben. Aber das bedeutet keine endgültige Entscheidung gegen sie. Vergleichbares gilt hinsichtlich der rechtsphilosophischen Konsequenzen. Das traditionelle Konzept der reinen Vernunft hat sich — etwa über Universalisierungsregeln — als rechtsphilosophisch einigermaßen brauchbar erwiesen. Zwar gibt es auch da beträchtliche Schwierigkeiten, aber immerhin sind hier geregelte Verfahren der Konkretisierung, der Fundierung spezieller Rechtssätze in Sicht. Wie

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steht es dagegen mit dem Konzept der „Leibvernunft"? Hat es den Erweis einer vergleichbaren Leistungsfähigkeit erbracht, oder bleibt man hier darauf beschränkt, ohnehin plausiblen Ratschlägen einen informellen Überbau zu liefern? Kann die Perspektive des Totalen und Ganzen, die wohl nicht auf klare Weise in Universalisierungsregeln zu fassen ist, in geregelter Weise zu besonderen Rechtssätzen führen, oder muß sie sich in allgemeinen und vagen Eindrücken erschöpfen? Die Hypotheken auf die Zukunft scheinen auch hier noch recht beträchtlich zu sein.

Zwischen Natur- und Vernunftrecht Bemerkungen zu einem rechtsphilosophischen Kolloquium Von Fernando Inciarte Kaulbach sucht die Bändigung der zuletzt entfesselten „Fesselung der Natur" ausschließlich auf der Linie der Vernunft — bei deren Fähigkeit zur Selbstbegrenzung. Die Grenzen (Kriterien) müssen der Vernunft selbst in einem Selbstgesetzgebungsverfahren entspringen. Die Vernunft müsse Alleingebieterin bleiben gegenüber der Natur als ihrem Herrschaftsgebiet. In dieser querelle des anciens et des modernes schlägt sich K. also ganz auf die Seite der Modernen. Die für die theoretische wie für die praktische Vernunft (vielleicht nicht in gleicher Weise, aber doch gleichermaßen) gültige kopernikanische Wende in ihrer kantischen Interpretation bedeute: freie Wahl des Standpunktes für die Beurteilung der Vernunft. Dementsprechend müsse diese — um der Menschenwürde willen — Eigentümerin der Natur bleiben, gleichzeitig aber (und darin liege die eigentliche Lösung) Eigentümerin ihrer selbst sein. Die Vernunft müsse m. a. W. weiterhin über sich selbst verfügen und nur dadurch könne sie über die Natur in verantwortlicher Weise verfügen. Entsprechend sei das neuzeitliche Naturrecht (nach dem Vorschlag Wieackers) eher „Vernunftrecht" zu nennen. M.E. ist dieser terminologische Vorschlag vollkommen sachgerecht, indiziert aber zugleich, weshalb der Versuch zum Scheitern verurteilt ist. Sonst spricht man in bezug auf das neuzeitliche Naturrecht wenigstens von Vernunftnaturrecht. Hinsichtlich des anstehenden Problems und seiner neuzeitlich modernen Lösung ist dieser Titel aber in der Tat irreführend. Die Natur spielt dabei tatsächlich keine Rolle. K. macht es deutlich und insofern indirekt auch deutlicher, weshalb der Versuch scheitern muß. Muß man die Grenzen (Kriterien) dann etwa in der Natur, womöglich in der Natur allein suchen? Letzteres wohl nicht. Es hat 6 Recht und Natur

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tatsächlich ein echtes Vernunftnaturrecht gegeben, nur war dieses im Zusammenhang unseres Problems gerade nicht das neuzeitliche, schon viel eher das klassische. Aber auch wenn es so wäre — ist das klassische Naturrecht nicht schon längst erledigt? Macht es sich nicht selber eines naturalistischen anstatt eines — wenn schon — rationalistischen Fehlschlusses schuldig? Naturalistisch statt rationalistisch ist zweifelsohne das zur kantischen entgegengesetzte Verhältnis der Vernunft zur Natur. A u f diesem anderen Extrem des Spektrums steht aber nicht das klassische Vernunftnaturrecht, sondern Hume. Nach Hume ist die Vernunft ohnmächtig gegenüber der Natur. Sie ist nur die Dienerin der Leidenschaften, sie stellt sich immer nämlich in den Dienst der jeweils stärksten. M i t anderen Worten: Sie ist überhaupt nicht praktisch, nicht bestimmend, nicht wirksam. Und wenn Hume dem naturalistischen Fehlschluß nicht verfällt, vielmehr ihn der Sache nach denunziert, so nur, weil es für ihn kein Sollen gibt; es gibt nur Natur. Wäre dieses zu Kant entgegengesetzte Extrem richtig, dann wäre eine über das Faktisch-Gewohnte hinausgehende Moral, eine Ethik, die mehr vorschreibt, als was man ohnehin schon tut und die mehr ist als eine science des moeurs, nicht möglich. Kant reagierte darauf und ging in das andere Extrem: Die Vernunft ist unmittelbar praktisch; und wenn es ein Sollen, eine Ethik geben soll, so darf nur die Vernunft (als freier Wille) ausschlaggebend sein. Einziges Kriterium ist dann die Verallgemeinerungsfähigkeit der Regel, die Gesetzlichkeit der Maxime als Produkt einer Selbstgesetzgebung der Vernunft. Der Haken ist: Damit können alle Standpunkte gerechtfertigt werden, wenn sie nur frei gewählt sind. Was bei Kant noch verborgen bleibt, das tritt bei K.s Erweiterung des kopernikanischen Gesichtspunktes, nämlich der frei gewählten oder frei zu wählenden Perspektive auf die praktische Vernunft offen zutage. Gewiß, Kant selbst würde es vor solchen Konsequenzen eher gegraust haben. Die zu befürchtende Angleichung von theoretischer und praktischer Vernunft unter diesem Gesichtspunkt (von Siep während der Diskussion kritisiert) müßte ja zur Relativierung von Welt und Moral führen: „es gibt keinen absoluten Standpunkt". Aber ich sehe nicht, wie man sie von den Kantischen Grundlagen her tatsächlich vermeiden könnte.

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Kant hat noch in einer Denkatmosphäre gelebt, die — bedingt durch die spätmittelalterliche de potentia Dei absoluta- sowie durch die Kompossibilitätsspekulation — der Vervielfältigung möglicher Welten freien Lauf ließ. Gewiß wollte er der Proliferation von Welten oder Perspektiven wenigstens im ethischen Bereich ein Ende setzen: Die physische Welt sollte danach nur relativ auf uns als besonders beschaffene Vernunftwesen, das moralische Gesetz dagegen für Vernunftwesen überhaupt und so nicht relativ auf uns, sondern absolut gelten. Die Frage ist nur, ob dieses Vorhaben auf der Grundlage einer der Natur entgegengesetzten Vernunft gelingen kann. Nur eine andere Art, den hier zutage tretenden durchgängigen Perspektivismus auszudrücken, ist die folgende: Wenn man nur die Lebensweise, der man sich dann verschreibt, frei gewählt habe, dann dürfe man sich ihr verschreiben, ja dann müsse man es tun — wenigstens solange man an derselben Maxime festhält, d.h. wenigstens solange man nicht (wiederum frei) seinen Standpunkt ändert. Kann man hier überhaupt mehr als eine notwendige Bedingung für Menschenwürde, die wiederum nur eine notwendige Bedingung für Moralität ist, erblicken? Eichmanns Berufung auf den kategorischen Imperativ war gewiß eine große Unverschämtheit, aber die Auflösung von Ethik und Moral, die etwa in Hares Beispiel vom „fanatischen" Nazi sichtbar wird, konnte sehr wohl unter philosophischer Anknüpfung an Kant erfolgen: Wer sich als Ziel seines Lebens die Ausrottung der Juden vorgenommen hat, dürfe dann nur nicht davor zurückweichen, wenn er nachträglich sein eigenes Jüdischsein entdecken sollte. Sonst würde man gegen die Verallgemeinerungsregel als Selbstgesetzgebung verstoßen. U m mit diesem Brocken in Gestalt von Hares „ fanatischem' Nazi" (man beachte die Anführungsstriche!) fertig zu werden, bedürfte es zumindest sehr viel zusätzlicher Interpretationskunst: des Gegenteils dessen also, was Kant immerhin für die Moral selbst fordert. (Es würde mich sehr wundern, wenn Rohs vorsichtige Distanzierung vom 18. Jhdt. und wohl explizit auch von Kant während der Diskussion nicht auch etwas damit zu tun hätte. Nur würde ich nach dem, was zum klassischen „Vernunftnaturrecht" noch zu sagen ist, die Notwendigkeit nicht sehen, mit Jonas oder wem immer nach etwas grundsätzlich Neuem Ausschau zu halten.) Jedenfalls sind bei Hare die Bedingun6*

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gen gegeben, die von Kant her zu fordern sind: freie Wahl, worauf K. den Akzent legte, und Folgerichtigkeit. Das Resultat kann aber offenbar daneben gehen. Was fehlt ist m. E. gerade die Berufung auf die Natur, die im Zusammenhang der Bestimmung der Moralität bei Kant, Hare und K. umgegangen wird. Die Angst vor dem „naturalistischen Fehlschluß" ist nicht nur aus dem bereits erwähnten Grunde (Humes Aufhebung des Sollens) ungerechtfertigt, auch nicht allein deshalb, weil man es vor und nach der „kopernikanischen" Wende (die Anführungsstriche wegen Fellmanns Einlassungen) mit einem völlig anderen Naturbegriff zu tun gehabt habe: vorher teleologisch und d. h. sinnerfüllt, danach mechanistisch und d.h. nur zur Machtausübung reizend („Sinn- und Machtvernunft"). Letzteres stimmt zwar. (Nebenbei bemerkt, ist bereits bei Duns Scotus die kantische Unterscheidung von Natur als reiner Fremdbestimmung und Wille — bei Kant qua praktischer Vernunft — als reiner Selbstbestimmung voll ausgebildet und in eins damit das „Naturrecht" als reines Vernunft- und Willensrecht verstanden. Ich komme noch darauf zurück. Krawietz' Dreiteilung in Natur-, Vernunft- und Willensrecht während der Diskussion muß m. E. entsprechend modifiziert werden, damit das echte Vernunftnaturrecht seinen Platz finden kann). Also, es stimmt zwar, daß — teleologische Abstrusitäten vulgärstoischer Herkunft einmal abgerechnet — das echte, das klassische Vernunftnaturrecht nicht erst auf ein Sollen zu schließen braucht, daß es dieses erst später so genannte Sollen vielmehr als bereits in der Natur angelegt (und so nicht als Sollen!) fand. Aber deshalb war es nicht schon naturalistisch; es überantwortete die Moral nicht einfach der Natur, hob sie somit nicht wie später Hume auf. Das klassische Naturrecht (also das echte Naturvernunft- oder Vernunftnaturrecht) braucht weder von Sein aufs Sollen zu schließen noch ist es einfach biologistisch, wie es oft genug mißverstanden wird. U m dies einzusehen, muß man allerdings präzisieren, was dabei unter Natur verstanden wurde: zunächst nichts anderes als die Antriebsseite des Menschen, was K. so treffend als „inneren Kosmos" im Menschen bezeichnete. Zwischenzeitlich, namentlich bei Thomas von Aquin, war in dem Zusammenhang die Rede von den natürlichen Tendenzen des Menschen als Lebewesen (Selbsterhaltungstendenz),

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als Sinnenwesen (Begattungs-, Fortpflanzungs-, Aufzuchts- usw. Tendenz) und als Vernunftwesen (Wissensdrang usw.). Dahinter stecken gewiß die stoischen hormai, aber hinter diesen steckt wiederum nichts anderes als die aristotelische orexis. Ihr sagte Kant allerdings den Kampf an: Sie haben in der Ethik nichts zu suchen. Und darin wird sein größtes Verdienst gesehen. (Um beim genius loci weiterhin zu bleiben, erinnere ich an Prauss). Hat sich diese Kampfansage gelohnt? Die Schwierigkeiten Kants mit dem principium executionis sind notorisch und haben damit viel zu tun. Aber die Ausmerzung der natürlichen Antriebsseite des Menschen zugunsten eines entnaturalisierten, weil reine Vernunft gewordenen Willens macht nicht nur die Hauptfrage der zweiten Kritik (wie Vernunft unmittelbar, nämlich allein auf sich gestellt, praktisch werden könne) zu einem aussichtslosen Unterfangen. Die Auswirkungen auf das principium dijudicationis dürften nicht weniger gravierend sein. Denn die reine Vernunft ist inhaltslos und daher an sich rein instrumental. Doch zur praktischen Selbstmächtigkeit der Vernunft ist die einzige Alternative nicht ihre naturalistischinstrumentalistische Ohnmach à la Hume. Wenn man hingegen die Natur (als unorganisches, als organisches und als rationales Streben oder Wille) sogar als Maßstab der Moralität im Sinne des principium dijudicantionis anerkennt, heißt das nicht schon, die Vernunft habe jeweils nur vor dem stärksten Antrieb zu kapitulieren und sich von diesem nur einspannen zu lassen. Das vernunftorientierte Geschäft der Güterabwägung in seiner Unvermeidlichkeit spricht entschieden dagegen. Denn in dessen Ausübung kommt es oft genug zur Unterdrückung des stärksten und Bevorzugung des schwächsten Antriebs. Schon allein dies läßt das Etikett,Naturalismus' für diese Sichtweise als unzureichend erscheinen und macht dessen (genitivus objectivus) Vorwurf zunichte. Es bleibt aber auch hier dabei, daß die Vernunft als solche inhaltslos ist, daß sie (und nicht die Natur als vermeintliches bloßes Material zur Pflichterfüllung: Fichte in der Nachfolge Kants) tabula rasa ist und daß deshalb die Funktion der Grenzsetzung letztlich (d. h. also die Funktion der Zielsetzung!) der Natur zukommen muß. Damit komme ich zu dem Problem der letzten Begrenzungen und damit der absoluten Verbote: Solche würde es nicht geben, wenn die

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ratio allein maßgeblich wäre. Denn dann würde bei der objektiven Bestimmung der Moralität — wie viele Moraltheologen heutzutage wollen — die Güterabwägung alleiniges Prinzip sein. Zwar wird gegen die Verankerung der Moral in der (zunächst menschlichen) Natur eingewendet: Was naturgemäß und was naturwidrig sei, sei so schwer zu bestimmen, daß dabei am Ende nur Leerformeln herauskommen. Merkwürdig ist aber, daß die Aussagen der Gegenseite (etwa des katholischen Lehramtes) umgekehrt so konkret sind, daß sie begreiflicherweise oft genug Unmut erregen. Aus dem weiten Spektrum greife ich das Problem der Offenhaltung der Kontingenz auf, die während des Kolloquiums im Zusammenhang mit Kambartels Stichwort „Ereignishaftigkeit" angesprochen wurde (bei welcher Gelegenheit auch die Auffassung der katholischen Kirche von Kambartel selbst gestreift wurde). Die Sorge ist, daß eine zunehmende Rationalisierung zur totalen Verplanung führen könnte. Wie nun die katholische Kirche darauf besteht, daß die Möglichkeit der Fruchtbarkeit beim Sexualakt nicht künstlich ausgeschlossen wird, so besteht sie ebenso darauf, daß die Zeugung eines Menschen nicht in das bei genügender technischer Perfektion absolut kontrollierende Belieben anderer Menschen, und seien diese auch die rechtlichen Eltern, gestellt wird. Deren Wille darf weder die natürliche Möglichkeit ausschließen noch die Notwendigkeit der Existenz eines neuen Menschen bestimmen. Daher auch das moralische Verbot der künstlichen Insemination. Eine derart totale Abhängigkeit an seinem Ursprung würde gegen die Würde eines jeden neuen Menschen verstoßen, ihn zu einem echten Gechöpf von anderen (Eltern oder Nichteltern) machen und vom Ursprung her zu deren Eigentum degradieren. Die ursprüngliche Kontingenz eines jeden Menschen, seine zweiseitige Möglichkeit, zu sein oder nicht zu sein, dürfe nicht von anderer Menschen Hand und Wille angetastet werden. Man kann sich über diese These streiten, Leerformelhaftigkeit darf man ihr jedenfalls nicht vorwerfen. Von daher ist auch hier die Reaktion des Unmuts zumindest verständlich. Und ebenso wenig kann man bestreiten, daß dabei auf dem Prinzip der Kontingenz aus Beachtung der und Achtung vor einer Tendenz bestanden wird, die unter normalen Umständen tatsächlich in der Natur selbst angelegt

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ist — der Tendenz zur Fruchtbarkeit oder Nichtfruchtbarkeit jedes einzelnen Sexualaktes. Auf die These selbst kommt es mir nicht an, sondern auf das, was sich aus diesem und ähnlichen Beispielen zeigt, auf das Verfahren also: wie die Beachtung der Natur doch zum principium dijudicationis gerade nicht leerformelhaft beitragen könnte. Der soeben erwähnte Fall der künstlichen Insemination geht, wie auch der umgekehrte der künstlichen Verhütung, sehr ins Detail. Daher das Kontroverse daran. Nicht kontrovers hingegen dürfte — soweit in der Philosophie irgend etwas nicht kontrovers sein kann — eher eine allgemeine Formulierung sein wie etwa: Aus der natürlichen Tendenz zur Reproduktion ergibt sich das moralische Verbot irgendwelcher sexuellen Praktiken — so wie aus der natürlichen Tendenz zur Selbsterhaltung das Verbot der Tötung von Unschuldigen und aus derjenigen zum Wissen etwas das Lügen- und (mittelbar) das Folterverbot. Nichtsdestoweniger ist die Natur nicht alleiniges Kriterium. Der Titel „Vernunftnaturrecht" eignet nicht nur deshalb dem klassischen eher als dem neuzeitlichen Naturrecht, weil es nach jenem die genannte Funktionsteilung gibt: Natur als Kriterium für Abgrenzungen im Extremfall (unbedingte Verbote) und Vernunft als Prinzip der Güterabwägung bei weniger grundsätzlichen Sachverhalten als etwa Leben und Tod. Die Maßgeblichkeit der Vernunft bleibt nach dem klassischen Naturrecht auch in einer anderen Hinsicht gewahrt, insofern nämlich, als die natürlichen Tendenzen erst dann als moralisch gelten können, wenn sie in Verbindung mit dem Bereich der wählenden Vernunft treten, d. h. wenn der Mensch ihnen sowohl nachgeben wie widerstehen kann. In diesem Sinne gilt das Aristotelische Axiom ,natura ad unum, ratio ad opposita': für das Verdauen können wir nichts, des Essens dagegen können wir uns (nach Maßgabe einer Güterabwägung) enthalten oder nicht, genau so wie wir mehr oder weniger essen können. Die natürlichen Tendenzen sind an sich alle gut, aber vormoralisch gut. Erst die ratio bringt sie überhaupt in die Dimension der Moralität als Unterschied von Gut und Böse. Auch insofern besteht in dieser Konzeption keinerlei Naturalismus. Bezeichnend ist, daß gerade bei seiner Auslegung des Aristotelischen Diktums ,natura ad unum, ratio ad opposita' Duns Scotus (in den Quaestiones subtilissimae zu Aristoteles' Metaphysik Buch IX, Kap. 2) zu seiner folgenschweren Umdeutung im Sinne der

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Natur als Fremdbestimmung und des Willens (für Scotus das einzig rationale Vermögen) als Selbstbestimmung gelangte. In diesem Zusammenhang darf ich noch auf weitere Punkte der Diskussion eingehen. Selbstverständlich hat auch das neuzeitliche Naturrecht Anrecht auf den Titel „Vernunftoatarrecht". Aber nur in einer Hinsicht, die Anfragen von juristischer Seite (Krawietz und Petev) m. E. zusätzlich beleuchten kann. Das Naturhafte an dem neuzeitlichen Vernunftrecht betrifft nämlich nur den vorgesellschaftlichen Stand des Menschen. In diesem Zusammenhang wurde von einer ausschließlichen Orientierung an den Menschenrechten gewarnt, bei der ja weite vergesellschaftete und sogar staatliche Räume als rechtlos erscheinen müßten (Krawietz) — abgesehen davon, daß man die soziale Dimension der Menschen für die Bestimmung der Menschenwürde belanglos wäre (Petev). Hingewiesen wurde dabei auf die Unzulänglichkeiten, die damit verbunden sind, sich nur mit den erst zu Beginn der Neuzeit, wenn auch unter anderen Namen, aufkommenden subjektiven Rechten abzugeben — unter Aussparung der objektiven Rechte, bei denen erst die Rede von Pflichten unentbehrlich, weil nicht durch die von Rechten durchgängig ersetzbar ist. Das ist gerade der Zusammenhang, in dem die Rolle des für das Aufkommen des Rationalismus wesentlichen Voluntarismus eines Duns Scotus und anderer entscheidend wurde. Gegen Ende der Diskussion wurde (von mir unbekannter Seite) sogar die Frage gestellt, ob nicht umgekehrt die neuzeitliche Entwicklung zum Teil auch zu einer Entwürdigung des Menschen geführt habe. Nun, zumindest in ihrem frühen Verständnis hat die Theorie der subjektiven Rechte dazu geführt: beispielsweise zur (rationalen) Rechtfertigung der Sklaverei und des Absolutismus. Daran zeigt sich die Ambivalenz des von K. nur positiv beleuchteten Eigentümergedankens: der Mensch als Eigentümer seiner selbst und der Natur. Tatsächlich ging die Wende zu den individualistischen subjektiven Rechten so vor sich, daß die Modernen vom 14. Jhdt. etwa bis zu der Summa Silvestrina im 16. Jahrhundert, wo die Entwicklung vollendet erscheint, jus und dominium, Recht und Eigentum oder Herrschaft miteinander in eins setzten. In diesem Sinne hätten Kinder, sofern sie keinerlei Herrschafts- oder Eigentumsrechte ausüben und vor allem sofern sie nicht über sich selbst verfügen können, keinerlei Rechte. Auch hier wirkte

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sich die rationalistisch-voluntaristische Wende mit ihrer Betonung der unbegrenzten Selbstbestimmung wie ein Kahlschlag aus, die aus der Natur eine tabula rasa machte. Auch abgesehen von dem unter der Bezeichnung „possessive Individualism" bekannten Komplex wurde die Gefahr insofern akut, als selbst die Freiheit als Eigentum betrachtet werden konnte, über die der Mensch selbst frei verfügt. Nicht erst Hobbes und Locke konnten so Absolutismus und Sklaverei rechtfertigen. Die direkt scotistischen Wurzeln dieser Entwicklung sind schon bei Molina und Suarez gut zu verfolgen, wie Q. Skinner und R. Tuck in unserer Zeit gezeigt haben. Da Vernunft und Wille selbstreflexiv sind, sieht man nicht, wo allein auf sie gestützt der Prozeß gestoppt werden könnte, der alles — also auch die eigene Freiheit — zu einem Eigentum macht, das zur Disposition gestellt werden kann — vorausgesetzt, es geschehe auf Grund eines Aktes der Selbstbestimmung, und sei es auch zu deren Aufhebung. Noch ein politischer Aspekt sei (im Zusammenhang mit Petevs Ausführungen [s. oben]) zuletzt erwähnt. Der Streit um Natur und Vernunft ist eng verquickt mit der Zweiheit Praxis/Technik bzw. Politik/instrumenteile Vernunft. Die Wurzeln dieses Streites reichen tief hinab in der Geschichte. Was das Naturrecht angeht, so ist der Streit zwischen Sokrates und der Sophistik dafür entscheidend gewesen. Man darf ja nicht vergessen, daß die Sophistik eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste, Urquelle des Naturrechtsgedankens ist. Und Aristoteles vollzog hier, hinter Plato zurückgehend, eine in unserem Zusammenhang signifikante Wiederannäherung an die Sophistik, vor allem an Protagoras, ohne sich freilich mit diesem völlig zu identifizieren. Das Problem, das sich schon damals stellte, war dasjenige der Sicherung des menschlichen Lebens angesichts dessen radikaler Ungesichertheit. Zwei Lösungsversuche boten sich an: entweder nach einer reinen Technik zu suchen — eine Art social engeneering —, die mit der Ungesichertheit ein für allemal Schluß macht, oder aber sich mit dieser im Prinzip abzufinden und nur noch ad hocVerbesserungen anzustreben. Beide Positionen werden vorgeführt in Piatos Protagoras: die erste repräsentiert durch den noch jungen Sokrates, die zweite eben durch Protagoras selbst. Man kann nicht nur, man muß hier den Streit um Natur oder Vernunft vorgebildet

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sehen. Protagoras plädiert — wie später Aristoteles — für eine naturgegebene Gesellschaftlichkeit des Menschen. Die politische Kunst versucht es nicht bloß, anderweitig zu ihrem Menschsein gelangten Lebewesen zu höheren Zielen zu verhelfen oder auch nur beim Überleben zu helfen. Vielmehr ist sie dazu da, das Menschsein allererst zu ermöglichen. Gesellschaftlichkeit ist kein im Prinzip entbehrliches Mittel, das der Mensch erfindet, um davon unabhängig gegebene Ziele zu erreichen. Diese Konzeption findet ihren Ausdruck im Mythos des Prometheus: durch die politische (Zeus-)Gabe der Gerechtigkeit werden die Menschen erst zu Menschen. Fortan geht es nicht zuletzt darum, sich innerhalb der politischen Gemeinschaft so gut es geht zu arrangieren. Sokrates dagegen verlangt hier noch (zu Beginn der Politeia erscheinen die Rollen von Sokrates und der Sophistik [Staatsvertragstheorie] vertauscht) nach einer Technik, die dem Zusammenleben jede Naturwüchsigkeit nimmt und den Staat als reines Kunstprodukt konstruiert. Man nimmt sich ihn vor, um durch genau berechnete Glücksmaximierung den menschlichen Gefahrdungen möglichst aus dem Wege zu gehen. Als instrumentelle Vernunft ist diese Technik von vornherein der Natur entwachsen. Blicken wir von da aus wieder auf die Modernen, so ist zu sagen: Der Sokrates des Protagoras ist ein Vorläufer des Utilitarismus. Nun hat Kant den Utilitarismus gewiß verworfen. Doch in der künstlichen, naturenthobenen Auffassung von Vernunft waren beide Gegenspieler miteinander und mit dem Sokrates des Protagoras-Dialogs einig. Was Kant am Utilitarismus verwarf, war lediglich die Verlegung der Bewertungsmaßstäbe in den Erfolg, in das also, was im Mittelalter enventus sequens genannt und von der finis operis et operantis deutlich abgehoben wurde. Die Folgen der Tat, die ja vielfach nicht vorauszusehen, geschweige zu beabsichtigen oder gar zu berechnen sind, sollen nicht das Kriterium abgeben. Aber auch bei Kant bleibt es dabei, daß, was zählt, schließlich der Zweck, der beabsichtigte Zweck, die Gesinnung als objektive Maxime, und d.h. als letzter Zweck ist. Auch bei ihm bleibt es m. a. W. letztlich bei einer Zwecksetzung, die nicht deshalb, weil sie frei genannt wird, weniger künstlich ist. Von da aus wundert es nicht, wie leicht Kantianismus und Utilitarismus (etwa gerade bei Hare) eine (evtl. unheilige) Ehe eingehen konnten.

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Die Alternative dazu ist nicht eine Gesellschaftlichkeit und Staatlichkeit, die deshalb, weil sie als naturgegeben konzipiert ist, unbedingt unfrei zu nennen wäre. Wenn das Ziel — ein gerechtes Gemeinwesen — nicht künstlich ersonnen, auch nicht einmal frei gewählt, sondern naturentsprechend angestrebt wird, so zwingt es deshalb nicht von vornherein zur Unfreiheit, weil bei dieser Konzeption die Mittel, in deren Wahl die Freiheit nunmehr gesehen wird, von dem Ziel selbst, anders als bei jedem Kunstprodukt, nicht zu trennen sind. Daß ich beim Singen oder Tanzen nicht unbedingt etwas anderes als das Singen oder das Tanzen selbst beabsichtige, bedeutet zweierlei: 1. daß diese Tätigkeit nicht etwas jenseits ihrer selbst erreichen zu suchen braucht; 2. daß sie selbst kein Ziel jenseits der Handlungen darstellt, durch die sie konstituiert ist. Dieses Ineinander von Mitteln und Zielen ist, was Aristoteles im Unterschied zur Kunst Praxis nannte und dieser ihre Natürlichkeit verleiht. Denn die Natur hat das Prinzip der Bewegung in ihr selbst, sie geht nicht wie die Kunst auf Zielsuche außerhalb ihrer selbst, sie vollzieht sich gleichsam in Kreisen — meinetwegen in Spiralen. Man könnte hier von einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck(-setzung) sprechen. Wer nur auf die Vernunft setzt, muß in allem eine Absicht sehen. Aber das wahrhaft gute Leben ist absichtslos. Und das gilt sogar bereits für das Leben der Vernunft. Erkennen ist grundsätzlich nicht Selbstsuche, sondern — wie man im Anschluß an Aristoteles definierte — (nicht passive) Aufnahme fremder Formen als fremder. Selbsterkenntnis ist — unsokratisch! — immer ein abgeleitetes Phänomen, ein Epiphänomen. Daher die (wie spätestens bei der Vollendung des Deutschen Idealismus durch den späten Schelling deutlich) unüberwindbaren Schwierigkeiten jeder auf dem Prinzip des Selbstbewußtseins gegründeten Philosophie. So vollbringt auch ein gutes Leben die Erfordernisse der Natur, ohne daß es darum zu wissen braucht. Folgerichtigerweise setzt der späte Schelling Seligkeit mit Selbstvergessenheit gleich — was die Gegenposition als Selbsttäuschung oder gar Selbstauflösung mißverstehen muß. In diesem Sinne ist das gute Leben, das Glück, nicht instrumentalisierbar. Demgegenüber stellt die Instrumentalisierung die ständige Gefahr jeder nur auf Vernunft und Zwecksetzung gegründeten Auffassung von gutem Leben dar. Ist dieses (das letzte Ziel, die Lebensweise, der man sich verschreibt) bewußt zu wählen, muß es mir als ein von mir

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abgelöstes Ziel, das ich mir vornehmen kann, entgegentreten. Man könnte hier einwenden, Kant habe klar zwischen Klugheitsregeln und Sittlichkeitsforderungen unterschieden. Aber ich habe schon erwähnt, daß bei ihm die Gesinnung immer mit Absichten zusammenhängt. Die unbeabsichtigten Folgen (eventus sequentes) zählen zwar nicht dazu. Aber die Vorherrschaft des rationalen Zweckbegriffs, der ja im Gegensatz zur unbeabsichtigten Teleologie der Natur steht, läßt die Tür zum bekämpften Utilitarismus einen Spalt breit offen. Nicht von ungefähr nähert sich Kant erst in der Kritik der Urteilskraft wieder Aristotelischen Positionen und trägt erst dort einem volleren Begriff von Natur Rechnung. Jedenfalls ist für das klassische Naturrecht die Absicht oder bewußte Zwecksetzung nicht konstitutiv für die Naturteleologie. Ich darf in dem Zusammenhang noch auf einen Punkt eingehen, der erst in K. Cramers Kant-Vortrag ausdrücklich angesprochen wurde, aber schon im Hintergrund von Vortrag und Kolloquium K.s deutlich spürbar war. Es handelt sich um die Befürchtung, ohne die Selbstwahl des Standpunktes (des obersten Zieles, der Lebensweise) könne das Menschenleben nur noch in vorgeschriebene Einförmigkeit verfallen. M i t einem modischen Wort gesagt: Es ist eine postmoderne Befürchtung. Zwar gilt Kant als der Repräsentant der Moderne. Aber K.s Deutung wäre geeignet, hier manche Brücke zu schlagen. Jedenfalls könnte sie sich von einer solchen Befürchtung nähren. Denn was kann einleuchtender sein, als daß ein allen Menschen von Natur aus vorgegebenes Ziel ihr Leben in unerträglicher Weise uniformieren müßte? Ein weiterer — typisch kantischer — Einwand ist, daß die Ansetzung des Glücks als natürliches letztes Ziel, wie von der klassischen Metaphysik seit Plato und Aristoteles postuliert, im Widerspruch zu den Tatsachen steht. Denn Tatsache ist, daß die Menschen jeweils etwas anderes als ihr Glück empfinden. Also sei die klassische Konzeption des Naturrechts nicht nur unerläßlich uniformierend, sondern — zum Glück — außerdem noch unmöglich durchführbar. Schließlich widerspreche es auch den Tatsachen, daß das Glück ein von Natur gegebenes Ziel sei, von dem man nicht abweichen könne. Dazu nur drei Bemerkungen: 1. Die Gleichförmigkeitsbefürchtung ist nur unter der Voraussetzung einer instrumentellen Zweck-Mittel-Beziehung zutreffend. In dem Augenblick, wo die Mittel als konstituieren-

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de Bestandteile des Zieles betrachtet werden — und dies ist zwingend für die Moral: das Ziel heiligt nicht die Mittel — gestaltet sich das Ziel (die Lebensweise) ebenso vielfältig wie die Wege, die zu seiner Erreichung jeweils gewählt werden mögen. Es gibt unter diesen Umständen kein Verfahren, das man von außen her (im voraus) angeben kann, worin das Ziel (das Glück) für einen Menschen bestehen mag — so wie es umgekehrt doch eine Zeichnung eines technischen Geräts gibt, das man zu bauen beabsichtigt, eine Zeichnung, an die man sich im Fertigungsprozeß möglichst getreu halten muß. 2. Man kann Glück hedonistisch-utilitaristisch verstehen. Dann freilich liegt es jeweils in etwas anderem, darin, was man gerade als Glück empfindet oder für solches hält. Kant hat gewiß mit einem solchen schwachen Begriff von Glück operiert, aber nicht das klassische Naturrecht, für das Glück vielmehr die (wie gesagt, jeweils verschiedene) Verwirklichung einer objektiven Ordnung ist, die weder in jedem Fall subjektiv als Glück empfunden noch als solches erkannt zu werden braucht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie sich erst durch die Tat — durch gute Handlungen — dem Empfindungsund Erkenntnisvermögen erschließt. M.a.W., auch hier muß man mit der Möglichkeit eines Gefalles zwischen Sein und Schein, Wesen und Erscheinung, Natur und (Ausübung der) Vernunft rechnen. 3. Daß das Glück kein von Natur gegebenes Ziel sei, von dem man nicht abweichen könne, kann man auf zweierlei Weisen interpretieren: entweder so, daß man das Ziel (das Glück) nicht verfehlen könne, oder so, daß man dieses Ziel unentwegt anstrebe. Im ersten Sinne ist die Aussage anstößig (weil deterministisch) und außerdem eindeutig falsch (da man oft genug das Glück verfehlt). So ist sie aber von den Vertretern der Eudämonie-Ethik nie behauptet worden. Wohl ist sie von ihnen im zweiten Sinne behauptet worden, aber zum Anstoß besteht dabei dann kein Anlaß mehr. Und so verstanden hat die These eindeutig Vorzüge vor der Gegenthese Kants. Zuletzt, wie gesagt, den Vorzug, daß man dann nicht mehr gezwungen ist, einen so schwachen Glücksbegriff wie Kant anzusetzen. Wenn — mit Anspielung ad personam — in diesem Zusammenhang Franz I. zitiert wurde („Mein Bruder Karl will dasselbe wie ich", nämlich Pavia), dann kann das nur heißen: Was nach Konsens aussieht (alle wollen das Glück), ist in Wirklichkeit Dissens (jeder will etwas anderes); es gibt keine gemeinsame Natur, von deren Erfüllung

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wir (wenigstens bewußt) nicht abweichen könnten; auf diesem Wege kommt es nicht zu universalen Prinzipien der Praxis, vielmehr müssen wir diese bewußt und frei selbst setzen, und das Allgemeine liegt lediglich in der Form der Selbstwahl. Darauf sei mit einem Bild geantwortet. Nach der Symbolforschung fungieren Kreis- und Rechtecksformen für die Überwindung des Bösen durch dessen Integration, Dreiecksformen dagegen für Überwindung durch Ausschluß. Die Postmoderne (aber auch schon die Moderne) repräsentiert die erste, die Klassik die zweite Lösung. Inhaltlicher Pluralismus und allenfalls (in der Moderne) formaler Singularismus können im Bild des Würfels symbolisiert werden. Jede Zweck-Mittel-Hierarchie endet in einem letzten Zweck. Bis dahin kann man im Prinzip jederzeit vom rechten Mittel abweichen, wenn nur das höhere Ziel es verlangt. In den unteren und mittleren Lagen ist es unbedenklich. Das ist der Bereich der Technik. Bedenklich ist es ganz oben. Da gibt es zwei Möglichkeiten: entweder auf eine Pluralität von letzten Zielen (selbstgewählten Lebensweisen) auszuweichen und so das Abweichen vom rechten Mittel (Handlungsweise) unbegrenzt fortzusetzen oder aber an einem einzigen (naturgegebenen) letzten Ziel festhalten. Die erste Lösung entspricht dem Bild des Würfels, die zweite dem der Pyramide. Der Nachteil des Würfels ethisch gesehen ist die Beliebigkeit. M i t der Pyramide dagegen kann man nicht würfeln. Der Nachteil scheint hier nicht die Gleichgültigkeit, sondern — wie gesagt — vielmehr die Gleichförmigkeit zu sein. Aber es sieht nur so aus. Nichts spricht nämlich dagegen, daß die Basis der Pyramide ebenso vielfältig ist wie die des Würfels. Doch die Vielfalt — symbolisiert durch die Rechteckigkeit — überträgt sich nicht nur auf die mittleren Lagen, sondern auch auf die Spitze der Pyramide. Jedenfalls im Bereich der Moral. Denn da darf es nicht zur technischen Abkoppelung von Mitteln und Zielen kommen. Die Spitze ist — wenn man so will — ein virtuelles Quadrat. Nur die Beliebigkeit jeglicher Handlungsweise durch Integration (was durch die Perspektivenwahl jederzeit gewährleistet wäre) ist da ausgeschlossen. Ausgeschlossen etwa die Haltung, die dichterisch in einem der Sonette an Orpheus (vergleichbar Hares ^fanatischer' Nazi") zum Ausdruck kommt: „ . . . Aber auch das ist im Recht./Fern von dem Schauenden sei jeglicher Hauch des Bedauerns, / . . . Töten ist eine Gestalt unseres wandernden Trauerns

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. . A n s t a t t Gleichförmigkeit bedeutet die Verengung der Pyramide gegen die Spitze nur den Ausschluß von Handlungsweisen, die, weil sie contra naturam sind, unter Berufung auf kein über- oder nebengeordnetes letztes Ziel, unter keinen Umständen also, gewählt werden dürfen; sie bedeuten m.a.W. die Grenzen der sonst, außerhalb solcher Extremfalle, durch die Vernunft vorzunehmenden Güterabwägung: ratio ad diversa — natura ad unum. Noch einmal: Muß jeder seinen Standpunkt im Leben selbst wählen, um der Uniformierung zu entgehen? Die klassische Naturrechtslehre würde diese Frage, wie gesagt, verneinen. Sie würde die These als Voluntarismus, der für sie immer im Geruch des Arbiträren gestanden hat, ablehnen. Für sie ist so etwas wie Wahl ursprünglich in der Vernunft beheimatet: radix libertatis in intellectu constituta est. Die ursprüngliche Freiheit kommt nicht dem Willen, sondern dem Verstand zu. Womit gesagt ist, daß dieser kein natürliches Vermögen, kein Stück Natur ist. Anders als bei Kant, aber schon anders als bei Duns Scotus. In der klassischen Naturrechtslehre behält das Axiom natura ad unum, ratio ad opposita noch seine ursprüngliche Bedeutung. „ A d unum" bedeutet noch nicht die Fremdbestimmung der Natur ebensowenig wie „ad opposita" die Selbstbestimmung des Willens. M. a. W.: das erste — das ad unum — besagt noch nicht, daß die grundsätzliche Unbestimmtheit oder Kontingenz der Schöpfung jeweils durch eine fremde Macht, und sei es die Macht der eigenen Natur, überwunden werden muß; ebensowenig wie das zweite — das ad opposita — schon besagt, daß die Unentschiedenheit aus eigener Machtvollkommenheit des Willens überwunden werden kann. Das klingt für uns heute so, als ob damit nicht nur die Vielfalt des Lebens und der zulässigen Lebensentscheidungen, sondern bereits die menschliche Freiheit als Bedingungen ihrer Möglichkeit über Bord gehen müßten. Aber dieser Eindruck ist wiederum nur durch unsere geschichtliche Perspektive als moderne oder postmoderne Menschen bedingt. Uns geht es schwer ein, daß der Verstand frei sein kann. In der Tat liegt hier der entscheidende Unterschied. Wohl auch der springende Punkt bei der klassischen Auffassung: ohne Freiheit keine (geistige) Erkenntnis, keine Wahrheit. Warum dies? Geistige Erkenntnis, Wahrheit heißt (bei Erfüllung der Adäquatheitsbedingung), die Dinge (im weitesten Sinne) so aufzunehmen,

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aufzufassen, wie sie sind. Würden wir dabei durch irgendetwas gezwungen sein, und sei es von unserer Natur, von der Natur unserer Vernunft, würden wir die Dinge nicht einfach erkennen, weil (und wie) sie sind, sondern aus irgendeinem anderen Grund. „Grund" heißt hier Ursache. Geistige Erkenntnis darf aber nicht verursacht sein. Wir dürfen dabei nicht affiziert sein, weder durch uns selbst noch durch die Dinge. Verursachung oder Affektion (Passivität) sind höchstens vorbereitende, meinetwegen notwendige Bedingungen der Erkenntnis. Dazu zählt die Sinnlichkeit mit ihren Organen und dazu zählt selbstverständlich auch das Gehirn. Aber die Erkenntnis selbst darf — das sagte schon Aristoteles sogar in bezug auf den sog. passiven Intellekt ausdrücklich — nichts von Passivität an sich haben. Wenn sie nicht frei, und zwar vollkommen frei, erfolgt, dann ist sie keine Erkenntnis; dann erkennt man nicht einzig und allein, weil und wie die Dinge sind, sondern aus irgendeinem anderen Grund, ζ. B. weil wir so sind wie wir sind oder weil die Dinge auf uns so wirken, wie sie wirken. Damit wird die Wirklichkeit verfälscht. Es kommt weder zur Erkenntnis noch zur Wahrheit. Die andere Seite der Medaille, d. h. der Erkenntnis als Freiheit, ist, daß, da Erkenntnis durch nichts erzwungen werden darf, sondern nur als rein aktive Handlung, als freier Akt, denkbar ist, nirgends geschrieben steht, durch keinen genetischen oder sonstigen Code garantiert ist, daß Erkenntnis im Einzelfall gelingen, vielmehr als daß sie (durch irgendwelche natürlichen Ursachen, also durch Affektion oder Selbstaffektion) vereitelt werden soll. Bei einem unendlichen Wesen mag es anders sein. Bei uns ist es so, daß Erkenntnis, was immer eben freie Erkenntnis heißt, die Möglichkeit von Nichterkenntnis, von Falschheit einschließt, auch das steckt im Teilaxiom ratio ad opposita. Und so ist es nur folgerichtig, wenn Aristoteles bemerkte, der Verstand (und zwar schon der sog. passive Verstand) sei medemia physis. Nun dürfte klar sein, daß diese Konzeption der kantischen diametral entgegengesetzt ist. Bei Kant erscheint der Verstand (als verschieden von der Vernunft qua Wille (wie schon bei Scotus) als Natur und daher die Erkenntnis als erzwungen, als erzwungen nämlich (trotz Β 167 f.) durch den transzendentalen Apparat des Subjekts. Unter diesen Umständen kann man dem Verstand Sponta-

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neität zugestehen. Es ist ja sein Apparat, seine Natur, die in Aktion tritt. Eine freie Aktivität im Aristotelischen Sinne muß man ihm dagegen absprechen. Und es ist auch nur folgerichtig, wenn Kant (wie schon Scotus) die Freiheit anderweitig suchte. An diesem Befund ändert es wenig, wenn am Ende der zweiten Fassung der transzendentalen Deduktion der Naturalismus abgewehrt wird. Die Abwehr kann nur gelingen bei Annahme der Identität von theoretischer und praktischer Vernunft. Daran ändert auch wenig, wenn — wie nach den Erfahrungen mit abweichenden physikalischen (und mathematischen) Konzeptionen gegenüber Newton (und Euklid) — die kantische transzendentale Deduktion der Kategorien heutzutage vielfach aufgelockert wird. Es ändert sich m.a. W. wenig, wenn das Begriffsschema, das unseren Erkenntnissen ihre Notwendigkeit im selben Maße verleiht, wie es ihnen die Freiheit nimmt, nicht mehr als ein für allemal feststehend, sondern als beweglich und von Lebensform zu Lebensform veränderlich aufgefaßt wird. Diese Vielfalt und Veränderlichkeit führt im besten Fall zu nichts mehr als zu einer (letztlich willkürlichen) Wahl des Standpunktes im Leben, zu der sog. Grundoption etwa à la Hare. Daß die Erkenntnis, weil nicht erzwingbar, durch keine Naturmacht garantiert werden kann, daß sie stets die Möglichkeit des Scheiterns einschließt, erklärt auch, weshalb man grundsätzlich den Ort verfehlen kann, in dem jeweils das letzte Ziel zu finden ist; zugleich aber auch, weshalb Glück in dieser Konzeption nicht, wie bei Kant, mit dem jeweils unfehlbaren Glücksempfinden oder Lustgefühl in eins gesetzt werden kann. Glück will danach vielmehr erkannt und d. h. entdeckt sein. Es kann ebensowenig im Belieben des Subjekts stehen wie die Lebensweise, der man sich dann auch noch so konsequent verschreiben mag. Unter den vielen ungewohnten Dingen, die die klassische Naturrechtskonzeption uns zumutet, ist nicht die geringste die, daß bei ihr Erkennen primär nicht als Selbsterkenntnis und Freiheit letztlich als Freiheit von sich selbst erscheinen. Auch das ist aber nur so lange ungewöhnlich, wie man in der (diesmal spezifisch neuzeitlichen) Perspektive der Bewußtseinsphilosophie befangen bleibt. Bewußtseinsphänomene sind prinzipiell immer erzwingbar. Der Standpunkt des Bewußtseins sichert einen ab gegen Täuschungen der Sinne, der 7 Recht und Natur

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Träume und der bösen Geister. Der Preis ist ihre grundsätzliche Manipulierbarkeit. Diese Manipulierbarkeit ist nur ein anderer Aspekt des Subjektivismus. Vorstellungen (cogitationes) sind nur in dem Maße unbezweifelbar, wie ihre Inhalte keinerlei Objektivität oder Erkenntniswert (bzw. nur realitas objectiva sed non formalis) aufweisen. Man hat Vorstellungen nicht deshalb, weil die Dinge so sind, wie sie sind, sondern aus irgendwelchen anderen Gründen, aus irgendwelchen (Fremd-)Ursachen. Man begreift, daß Kant aus dem Subjektivismus der Vorstellungen u.d.h. aus dem empiristischen Naturalismus, zu dem der Bewußtseinsstandpunkt des Cartesius über die Briten geführt hatte, auszubrechen versuchte, um dem Erkenntnis- und Wahrheitsbegriff seinen Sinn wiederzugeben, einen Sinn der sich mit keinem Naturalismus verträgt. Die Freiheit wurde allerdings von ihm weiterhin draußen gelassen und mußte, wie gesagt, auf anderen Wegen gesucht werden. Auf jedem Fall nicht auf dem Wege über die Erkenntnis dessen, was jeweils als die Natur oder das Natürliche zu gelten hat. Die ethischen Engpässe, in die dieser Ausbruchversuch führte, konnten m.E. kaum folgerichtiger zum Vorschein kommen als in K.s Vortrag. Jedenfalls habe ich mich bemüht, dies zu zeigen. Das bedeutet nicht, die Alternative, die ich auch anzudeuten versuchte, sei selber problemlos. Wie Kant so schön sagte: Wenn man „in der Philosophie, eine geraume Zeit hindurch gestritten hat, [hat] niemals eine Wortstreitigkeit zum Grunde gelegen, sondern immer eine wahrhafte Streitigkeit über Sachen". Das heißt, daß man sich lange wird darüber noch streiten müssen. Geht es um die Natur des Menschen, zumal um seine natürliche Vernunft, so kann man zu dieser Natürlichkeit getrost die Institutionen rechnen (Krawietz) und selbstverständlich nicht nur seine biologische Ausstattung. Eine andere Frage ist, wie weit diese Institutionen, voran die politischen Institutionen, seine Freiheit hemmen oder fördern. Daß sie beides tun, steht fest. Ob allerdings mehr das eine oder das andere, kann nicht prinzipiell gesagt werden, auch wenn bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung für das Fördern stehen sollte. Was Kant selbst angeht, so müßten seine ethischen Auffassungen, von denen allein hier die Rede war, allerdings getrennt werden von seinen rechtlichen, auf die vieles, was hier gesagt wurde, (v. a. über die

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Aufhebung der Selbstbestimmung), gewiß nicht zutrifft. Und selbstverständlich ist auch längst nicht alles Negative auf die kopernikanische Wende zurückzuführen. Auch in der Antike hat es etwa Sklaverei gegeben. Sie wurde sogar mit Argumenten gestützt, die vorgaben, aus der Natur der Menschen geschöpft zu sein. Aber meine Ausführungen wollten im Anschluß an die Diskussion des Jubilarsvortrags nur einige Entwicklungen aufzeigen, die eine so betonte Bevorzugung der Moderne bedenklich erscheinen lassen könnten. Wie der Kollege Fellmann überhaupt (Selbstironie abgerechnet), so möchte ich mich zumindest im ethischen Bereich als einen unverbesserlichen Ptolemäer bezeichnen, für den die Wahl des Standpunktes nicht durchgängig sein kann. Daß mir Friedrich Kaulbach zu diesem Selbstverständnis verholfen hat, ist nur eine der vielen Einsichten, die ich ihm verdanke. Aber in diesem Beitrag wollte ich — angesichts des Anlasses vielleicht nicht sehr höflich — nur Kritik üben. So habe ich von Diskussionsbeiträgen abgesehen, die mehr auf K.s Linie lagen. Sans la liberté de critiquer, il n'y a pas d'éloge flatteur. Und an Großzügigkeit meinen Irrtümern gegenüber, von der diese Kritik gewiß nicht frei sein wird, hat es mein verehrter Kollege in den gemeinsamen münsterischen Jahren nie fehlen lassen.

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III. Recht und Verantwortung

Das Prinzip der Verantwortung Zur Grundlegung einer ökologischen Ethik Eine Entgegnung auf Hans Jonas Von Volker Gerhardt Wer in philosophischer Absicht über moralische Fragen spricht, steht bei den einen im Geruch, über Dinge zu reden, die er nicht versteht, und bei den anderen in dem Verdacht, Probleme zu verhandeln, die es überhaupt nicht gibt. Moralische Phänomene sind nicht von dieser — physischen — Welt. Es ist aussichtslos zu hoffen, man könne bei entsprechend gründlicher Suche außer auf die zahllosen physischen auch nur auf eine einzige moralische „Tatsache" stoßen. Wer sagt, er wisse einfach nicht, was „Schuld", „Pflicht" oder „Versprechen" bedeutet, dem ist deshalb auch durch Erklärung nicht beizukommen. Da kann man nur abwarten, bis er diese oder ähnliche Ausdrücke verwendet, um ihn in flagranti zu überführen, daß er mit ihnen offenbar doch einen Sinn verbindet. Dieses Sinnverstehen moralischer Begriffe hat seinen Ort im moralischen Bewußtsein. Das Problem des moralischen Bewußtseins besteht nun nicht allein darin, daß man darauf nicht zeigen kann wie auf eine lange Nase, auch keineswegs bloß darin, daß es nur Bewußtsein von etwas ist, sondern daß es nur ein reines Selbstverhältnis ist, in dem sich das Bewußtsein als Ursache von Wirkungen lediglich vorstellt. Wer zugibt, daß er ein moralisches Bewußtsein hat, der gesteht damit zugleich ein, daß er sich für wichtig genug hält zu meinen, es komme in irgendeiner Weise auf ihn an. Als moralisches Subjekt präsentiert er sich aber nicht nur als Urheber seiner Taten, sondern er hat darüber hinaus den Anspruch, sich in diesen Taten selbst zu verwirklichen. Anders als bei einem produzierten Gut, das sich in den Zusammenhang äußerer Bedingungen einzufügen hat, liegt das Kriterium der moralischen Tat allein im Willen ihres Urhebers. Ganz gleichgültig, woher das Subjekt seine

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Kriterien zu beziehen glaubt, und gleichgültig auch, ob wir das Ziel moralischen Handelns mit der Antike als „Autarkie" oder mit der Moderne als „Autonomie" bezeichnen: Die Selbstaufwertung des auf Selbstverwirklichung ausgehenden Subjekts ist unverkennbar, und sie beeindruckt sogar jene, die darin nichts als eine Illusion zu erkennen vermögen. Ich denke hier an Nietzsche.1 Neben der Moral gibt es noch ein anderes bevorzugtes Medium menschlicher Selbstauszeichnung. Das ist die eigene Gegenwart. Auch dies hängt mit Bedingungen und Motiven des Handelns zusammen. Man muß natürlich die eigene Gegenwart wichtig nehmen, wenn es auf die eigene Tat in irgendeiner Weise ankommen soll. Entsprechend hebt man die epochale Besonderheit der eigenen Zeit hervor, wobei man mit dem unerhört Neuartigen der gegenwärtigen Lage zugleich die beispiellosen Schwierigkeiten betont, unter solchen Bedingungen überhaupt noch sinnvoll handeln zu können. Diese Besonderheit hat die Neuzeit mit Vorliebe gepflegt. Es gehört ganz offenbar zum Selbstbewußtsein der Moderne, eine Zeit der Krise und der gewaltigen Umbrüche zu sein.2 Das Bedürfnis nach Revolution hat bereits das ganze 18. Jahrhundert stimuliert, und es hat — trotz der verbreiteten politischen Vorbehalte gegenüber revolutionären Erwartungen — bis heute nicht nachgelassen. Ich brauche nur auf die in immer kürzeren Abständen folgenden wissenschaftlich-technischen Revolutionen zu verweisen. Glaubt man den Auguren des Zeitgeistes, dann haben wir die elektronische Revolution auch schon hinter uns und die nächste, die genetische Revolution, steht unmittelbar bevor. Für die einen liegt in diesem schnellen Wechsel der Wechsel eine permanente Herausforderung; der Mensch, kaum von der Aufklärung zum Herrn seiner selbst deklariert und kurz darauf zum „Subjekt der Geschichte" avanciert, 1

F. Nietzsche, Götzen-Dämmerung, Streifzüge eines Unzeitgemäßen 38: „Mein Begriff von Freiheit" (Kritische Studienausgabe (KSA), hrsg. v. G. Colli/M. Montinari, München 1980, S. 6,139f.), vgl. dazu: V. Gerhardt, Die Perspektive des Perspektivismus, in: Gedenkband für Mazzino Montinari, Nietzsche-Studien 19, S. 145-175. 2 R. Koselleck, Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg/München 1959; H. Lübbe, Liberalismus und Zivilisationsdynamik, in: Neue Züricher Zeitung v. 7. 9. 1988, S. 23.

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soll nunmehr bereits zum „Subjekt der Evolution" aufsteigen, um damit schließlich für die Natur als ganze verantwortlich zu werden. 3 Für die anderen ist nun nichts mehr möglich; in der neuen Unübersichtlichkeit der Postmoderne ist alles unvergleichlich und somit letztlich alles gleich, weil die einzige Instanz, die im Unterschiedslosen wenigstens noch Unterschiede setzen könnte, das handelnde Subjekt, der Sehnsucht nach dem „Anderen der Vernunft" als erstes zum Opfer fällt. 4 Angesichts der ständigen Selbstüberbietung krisenhaft-revolutionärer Zustände ist es allein schon aus methodischen Gründen anzuraten, weniger auf das jeweils Neue als auf die noch verbliebenen Bestände zu blicken. Wenn überall der radikale Bruch mit dem Vergangenen gesucht wird, empfiehlt es sich, die Kontinuität etwas stärker zu betonen.5 Zur Entlastung gegenüber dem von seiner eigenen Krisenhaftigkeit überzeugten Zeitgeist kann man ja darauf hinweisen, daß sich in der Suche nach traditionellen Elementen natürlich auch der Blick für das wirklich Neue schärft. Eine Neuheit dieses Jahrhunderts aber dürfte schon jetzt über allen Zweifel erhaben sein: die ungeheure Ausweitung der menschlichen Handlungsmacht. Der Mensch, das „arbeitende Tier", wie er noch im 19. Jahrhundert hieß, hat es durch Wissenschaft und Technik dazu gebracht, daß nunmehr die Natur in ungeahntem Ausmaß für ihn arbeitet. Durch Ausnutzung der Mechanik hat der Mensch seine Körperkraft vervielfacht, mit der Elektrizität hat er sich völlig neue Kraftquellen erschlossen, und mit der Kernkraft ist es ihm gelungen, bislang unverfügbare, die Materie selbst bindende Energien freizuset3

E. Eppler, Mensch, Technik, Natur — Müssen wir anders leben, um zu überleben?, in: Th. Meyer/S. Miller (Hrsg.), Zukunftsethik und Industriegesellschaft, München 1986, S. 106ff. 4 G. u. H. Böhme, Das Andere der Vernunft, Frankfurt 1983; vgl. dazu die Rezension v. Verf. i. d. Kant-Studien 76, 1985, S. 471-478. 5 Ich nehme hier eine Empfehlung Joachim Ritters auf, die unter den Bedingungen der Selbstbedrohung der menschlichen Zivilisation besondere Aktualität bekommt. Vgl.: J. Ritter, Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft, in: Subjektivität, Frankfurt 1974, S. 105-141. Vgl. dazu: R. Spaemann, Technische Eingriffe in die Natur als Problem einer politischen Ethik, in: D. Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, Stuttgart 1980, S. 180-206.

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zen und — wenngleich mit hohem Risiko — in seinen Dienst zu stellen. Mit Hilfe der modernen Elektronik ist er inzwischen dabei, auch seine geistigen Kräfte zu potenzieren, was ihn natürlich auch zunehmend in Stand setzt, seine Lebensbedingungen kurzfristig zu manipulieren. A m deutlichsten wird die Macht der neuen Techniken an dem exponentiellen Anstieg der militärischen Zerstörungsmittel. M i t einem Schlag könnte der Mensch das Gesicht unseres Erdballs bis zur Unkenntlichkeit verändern. Es kann also kein Zweifel sein, daß hier eine neue Situation entstanden ist. Wenn man nun davon ausgeht, daß moralisches Handeln sich in irgendeiner Weise auf die Handlungsmöglichkeiten des Menschen bezieht, wenn es z. B. nur stimmt, daß „Sollen" von „Können" nicht unabhängig ist, dann kann die neue anthropostrategische Machtlage auch nicht ohne Konsequenzen für unser moralisches Problemniveau bleiben. Es ist also fast eine Selbstverständlichkeit, daß man in dieser offenkundig neuen Situation nach der Gültigkeit ethischer Verhaltensregeln fragt, und von der Philosophie wird man vor allen Dingen erwarten, daß sie nicht nur nach neuen Regeln, sondern primär nach Gründen für mögliche neue Regeln sucht. Dieser Rückgang auf das Begründungsproblem liegt dann besonders nahe, wenn man die Risiken der neuen geopolitischen Dimension des Handelns bereits aus den Prämissen bisheriger Ethik erklärt. Es konnte, so ist eine weit verbreitete These,6 zu der bedrohlichen Destabilisierung eines bewährten Gleichgewichts nur kommen, weil die herrschende Moral das Verhältnis des Menschen zur Natur bereits ins Widernatürliche verkehrt hat. M i t der moralischen Autonomisierung des neuzeitlichen Subjekts sei nicht allein das einigende Band mit der Natur zerrissen, sondern viel schlimmer: die verhängnisvolle Opposition des Menschen zu den lebendigen Kräften werde geradezu als vernünftig ausgezeichnet. Die spätestens unter neuzeitlichen Bedingungen aufgekommene Moral habe die Ausbeutung der Natur legitimiert und in Verbindung mit den neuen Technologien eine Art Kriegszustand mit

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Entsprechende Schuldzuweisungen an die Adresse der klassischen Ethiken finden sich u.a. bei G. Böhme, R. zur Lippe und vor allem bei H. Jonas.

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der natürlichen Umwelt herbeigeführt. Wenn endlich wieder „Frieden mit der Natur" gestiftet werden solle, dann müßten auch neue moralische Prinzipien, und d. h. alternative Begründungen für alternatives Handeln entwickelt werden. 7 Der umfassendste Versuch einer grundlegenden Revision moralischer Prinzipien stammt von dem angesehenen Theologie- und Philosophiehistoriker Hans Jonas, der 1933 aus Deutschland vertrieben wurde, durch seine Studien über das frühchristliche Freiheitsproblem sowie über die spätantike Gnosis weltweit Anerkennung gewonnen hat und der seit den sechziger Jahren mit beachtlichen Essays zur philosophischen Anthropologie und zum Verhältnis von Biologie und Ethik hervorgetreten ist. 8 Unter dem Titel „Das Prinzip Verantwortung" hat er 1979 den „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation" — so der Untertitel — vorgelegt. 9 Den Ausgangspunkt seines Entwurfs habe ich bereits skizziert: Angesichts der technologisch potenzierten Handlungsmacht des Menschen ist das natürliche Gleichgewicht der Biosphäre gestört. Die Selbstregeneration der lebendigen Ressourcen ist gefährdet, folglich kann nicht länger von der Unerschöpflichkeit der umgebenden Natur ausgegangen werden. Diese Unerschöpflichkeit aber, so Jonas, sei die stillschweigende Prämisse aller bisherigen Ethik. Von Aristoteles bis Kant habe man blind auf die Natur vertraut und sich so von der Sorge um die künftigen Generationen entlastet. Als bloße „Nächsten-Ethik" (26) 10 sei die traditionelle Moralphilosophie auf die Zeitgenossenschaft, auf die Anwesenheit des Mitmenschen beschränkt gewesen und habe sich gegen die Spätfolgen des Handelns durch Neutralisierung von Natur und Technik immunisiert (22). Die Anthropozentrik und Gegenwartsfixierung der überlieferten Moral 7 K.M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur, München 1984; ders. (Hrsg.), Frieden mit der Natur, Freiburg 1979. 8 H. Jonas, Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie, Göttingen 1973. 9 H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt 1980; vgl. auch: ders., Macht oder Ohnmacht der Subjektivität?, Frankfurt 1981. 10 Die Ziffern im Text bezeichnen die Seiten in H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, (FN 9).

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seien aber für den Bestand der Menschheit bislang nicht bedrohlich geworden, denn der „kurze Arm menschlicher Macht verlangte keinen langen Arm vorhersagenden Wissens". (25) Das habe sich nun grundlegend geändert. Die durch den Menschen ausgelöste Gefährdung der Natur verlange jetzt, daß der Mensch sich zu ihrem Anwalt mache und seine moralische Zuständigkeit für die Zukunft akzeptiere. Die Treuhänderschaft für das künftige Leben aber werde durch die Gegenwartsfixierung und durch die Anthropozentrik aller überlieferten Ethik nicht mehr gedeckt. Deshalb brauche man dringend ein neues Prinzip, und das ist das „Prinzip Verantwortung", das Jonas nicht nur dem Prinzip der Freiheit und Selbständigkeit tradierter Normenbegründung gegenüberstellt, sondern das auch dem Bloch'schen „Prinzip Hoffnung" den Boden entziehen soll. 11 Wesentlich an diesem „Prinzip Verantwortung" ist, daß es sich nicht allein auf die Verantwortlichkeit des Handelnden gründen läßt, sondern abhängig ist von dem Wert der verantworteten Sache. Verantwortung könne letztlich nur für etwas übernommen werden, das wertvoll in sich selbst sei. Zwar komme es auch auf die Handlungsfähigkeit des Subjekts an (173), primär aber sei die „Seinswürdigkeit" des Verantworteten: „Das Erste ist das Seinsollen des Objekts, das Zweite das Tunsollen des zur Sachwaltung berufenen Subjekts." (175) Verantwortung also entsteht, wie Jonas wenig später wiederholt hat, zwischen „zwei ontologischen Polen": der „menschlichen Freiheit" einerseits und der „Werthaftigkeit des Seins" andererseits. 12 Der aus der Werthaftigkeit des Seins stammende 11 Jonas' Einwände gegen E. Bloch halte ich für weitgehend zutreffend. Der „anthropologische Irrtum" des utopischen Denkens wird überzeugend aufgezeigt, indem deutlich gemacht wird, daß der Utopismus das „subjektive nunc stans des mystischen Augenblicks in das bleibend Objektive eines öffentlichen Zustandes umgesetzt denkt" (S. 384). Aber die Kritik an der Utopie trifft auch noch Jonas' eigenen Ansatz, wenn es heißt, im utopischen Denken werde das „Allerpersönlichste und Flüchtigste in das Allgemeine und Konsolidierte" umgesetzt. Denn eben diesen Fehler macht auch Jonas, indem er von der persönlichen Erfahrung wertvollen Daseins auf den Wert des Daseins überhaupt schließt. 12

H. Jonas, Prinzip Verantwortung — Zur Grundlegung einer Zukunftsethik, in: Th. Meyer/S. Miller (Hrsg.), Zukunftsethik, (FN 3), S. 3-14; siehe dazu auch Jonas' Rede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels 1987.

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Sollensanspruch wird dabei aus der „Ur-Verantwortung" der elterlichen Fürsorge abgeleitet, die jeder — als Kind — zuerst an sich selbst erfahre (185). So wie im bloßen Dasein des Kindes der Imperativ zu seiner Erhaltung liege, so stelle auch die Existenz, das Faktum der Menschheit einen Wert dar, der uns nötigt, für deren Sicherung zu sorgen. Dieser Primat des Seins ist der systematische Springpunkt, von dem aus Jonas sich von aller bisherigen Ethik abzusetzen versucht. Er widerspricht ausdrücklich dem Basissatz der neuzeitlichen Ethik, nämlich der Trennung von Sein und Sollen (153 ff.), und geht bewußt über die von Kant formulierte Ausgangsbedingung personaler Ethik, die Autonomie des einzelnen, hinweg. Die moralische Selbständigkeit des Subjekts wird zugunsten der ethischen Eigenqualität des Seins aufgegeben, was dann, sehr konsequent, in einer Reihe einzelner Forderungen zutagetritt: an dem Vorrang des Wissens vor dem Gewissen (61 ff.; 222ff.), an der Geringschätzung des einzelnen Subjekts im Vergleich mit den politischen Institutionen (184 ff.) und in dem Eingeständnis, daß notfalls das Dasein des Menschen Priorität vor seiner Freiheit haben müsse (249). 13 Naturgemäß haben die praktisch-politischen Vorschläge, die Hans Jonas nahelegt, die größte öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Doch auch die Mehrzahl der philosophischen Rezensenten hat sich auf Bemerkungen zur Praktikabilität und möglichen Akzeptanz der vorgeschlagenen Ethik beschränkt. 14 In allen Urteilen wirkt 13 „Damit kehren wir zum Schluß noch einmal zum Problem der Freiheit in jeder von heute gesehenen Zukunftsethik zurück. Zu den Opfern, die sie uns auferlegen wird, gehören unvermeidlich auch Verzichte auf Freiheit, die nötig werden in Proportionen zum Anwachsen unserer Macht und ihrer Risiken der Selbstzerstörung. Die Kontrollen, die solche Macht in so wenig verläßlichen Händen wie den unseren erfordert, können wir nicht umhin, der Willkür auch im Individuellen strengere Grenzen zu setzen; und zusammen mit den nicht mehr statthaften Libertinagen eines ungehemmten Kapitalismus und seiner Konsumexzesse können auch manche uns teure Freiheiten, persönliche und kommunale, der sich verschärfenden condition humaine zum Opfer fallen. Gewiß wird zur Frage, wieviel wir uns von ihrem Luxus noch leisten können, und mit steigender Krise erscheint das Gespenst der Tyrannei. Als rettende Zuflucht müßten wir selbst sie hinnehmen (sie!), denn sie ist immer noch besser als der Untergang." H. Jonas, Prinzip Verantwortung (FN 12), S. 13.

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der Eindruck nach, den das hohe moralische Pathos des Autors bei seinen Lesern hinterläßt. Wir sind inzwischen so sehr von dem Bewußtsein zivilisatorischer Selbstgefährdung durchdrungen, fühlen uns so tief in der Schuld der an uns leidenden Kreatur, daß wir schon die eindringliche Aufforderung, unsere Verantwortung ernstzunehmen, bereitwillig als erstes Zeichen einer Wende deuten. Der gute Wille, der aus Jonas' Opus magnum spricht, macht nachsichtig gegenüber den fundamentalistischen Optionen dieser Schrift. So jedenfalls erkläre ich mir das weitgehende Schweigen zur philosophischen Grundthese des Buches, derzufolge Verantwortung gegenüber der Natur von der traditionellen Ethik her nicht zu begründen sei. Die Einwände, die mittlerweile von Günter Patzig und Lothar Schäfer entwickelt worden sind, haben offenbar wenig Eindruck hinterlassen.15 Ich respektiere die Gründe, die zur onto-theologischen Auszeichnung des Seins führen, teile die Sorge, die Hans Jonas bewegt, schätze im übrigen das Werk dieses Autors wegen seiner Klarheit und Zielstrebigkeit, freue mich auch, daß er den Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels erhalten hat und möchte ihm doch in seiner systematischen These diametral widersprechen, nicht zuletzt, weil ich glaube, daß er mit seinem Vorschlag das am weitesten verfehlt, worauf es ihm angeblich am meisten ankommt, 14

Dies gilt ζ. B. für alle Rezensionen in den deutschsprachigen philosophischen Zeitschriften. 15 G. Patzig, Ökologische Ethik — innerhalb der Grenzen bloßer Vernunft, Göttingen 1983; L. Schäfer, Selbstbestimmung und Naturverhältnis des Menschen (unveröffentlichtes Typoskript). In diesem Zusammenhang ist auch auf die wichtigen und in vielem klärenden Beiträge von D. Birnbacher aufmerksam zu machen. Genannt seien nur: Sind wir für die Natur verantwortlich?, in: D. Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, Stuttgart 1980; Verantwortung für zukünftige Generationen, Stuttgart 1988. Zu erwähnen sind ferner die Arbeiten von J. Passmore, Man's Responsibility for Nature, London 1974, und H. Lenk, Herausforderung der Ethik durch technologische Macht: Zur moralischen Problematik des technischen Fortschritts, in: Zur Sozialphilosophie der Technik, Frankfurt 1982, S. 198-248; ders., Technisierung der Ersten und der Zweiten Natur? Zum Mythos der Machbarkeit der Natur, in: ebd. S. 249-296. Verwiesen sei ferner auf R. Maurer, Ökologische Ethik?, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 7 (1982), S. 17-39.

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nämlich das „Prinzip Verantwortung". Gerade wenn man seiner Intention, das moralische Bewußtsein auch für die ökologischen Probleme sensibel zu machen, zustimmt, wird man das „Prinzip Verantwortung" gegen diesen Autor zu verteidigen haben. Dies will ich im folgenden versuchen. Der selbstbewußte Auftritt der neuzeitlichen Wissenschaft, der wir die skizzierte Ausweitung unserer Handlungsmacht verdanken, ist von Anfang an mit einer Enttäuschung verbunden: Der experimentell ermittelte Kausalzusammenhang der Natur erlaubt uns zwar, die Naturkräfte in unseren Dienst zu stellen, aber er lehrt uns nicht mehr, wie wir uns verhalten sollen. Die Astronomie des 17. Jahrhunderts ließ an der kosmologischen Randlage der Erde keinen Zweifel mehr, und im 18. Jahrhundert wurde man sich darüber klar, daß sogar das Sternenmeer der Milchstraße, in dem unser Sonnensystem zusammen mit Milliarden anderer unermeßlich weit entfernter Sonnen um einen imaginären Mittelpunkt kreist, aus großer Entfernung auch nur wie ein kleiner Stern erscheint. Gleichzeitig begann man zu ahnen, daß sich unter dem Mikroskop noch einmal Unendlichkeiten auftun würden, wie sie das Fernrohr am Himmel eröffnet hatte. In dieser Natur fand der Mensch kein Ebenbild mehr, und Gott, sofern man mit dem Wort überhaupt noch einen Sinn verband, wurde der Name für den unbegreiflichen Ursprung eines unbegreiflichen Ganzen. Als dann am 1. November 1755 das Erdbeben von Lissabon der Weltöffentlichkeit auch die Feindlichkeit der Natur gegenüber der Zivilisation demonstrierte, waren alle philosophischen Versuche, die Notwendigkeit und Überlegenheit eines bestimmten Daseins zu begründen, der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Erde, so faßte es der Locke- und Hume-Schüler Lawrence Sterne für das gebildete Publikum zusammen, ist ein gemeiner, schmutziger Planet, der aus den Abfallen der übrigen stammt und auf dem man alles, je nach Standpunkt, anders beurteilen kann. 1 6 16

Laurence Sterne, Tristram Shandy, I. Buch, 5. Kapitel: „Ich wollte, ich wäre auf dem Mond geboren oder auf einem Planeten . . . , denn es hätte mir wohl auf keinem schlechter ergehen können . . . als auf unserem gemeinen, schmutzigen Planeten, von dem ich wahrhaftig glaube, daß er, mit Respekt

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Der gegenwärtige Stand unserer Naturerkenntnis, ganz gleich ob wir die Astrophysik oder die Ethologie zum Maßstab nehmen, gibt uns auch heute keinen Anlaß, über unsere Stellung zur Natur als ganzer anders als Lawrence Sterne und seine Zeitgenossen zu reden. Wir haben lediglich ein paar Gründe mehr, uns die Zufälligkeit, Kurzfristigkeit und Verletzbarkeit der Natur vor Augen zu führen, die als dünne Haut unseren Planeten umspannt. Und es hilft uns gar nichts, wenn wir uns, um unter solchen Bedingungen doch noch eine auf verbindliche Wertungen abzielende Ethik begründen zu können, mit Hans Jonas in die Idylle eines unmittelbaren Naturerlebens zurückziehen. Im lebensweltlichen Nahbereich der Naturerfahrung, wie etwa in der Mutter-Kind-Beziehung, kann ein Ereignis noch Aufforderungscharakter haben und uns direkt zu Reaktionen veranlassen. Doch diesen Nahbereich haben wir, nach Jonas' eigener Voraussetzung, längst überschritten. Gerade durch die Ausweitung unserer Handlungsmacht haben wir unsere Erde als kosmologisches Abseits oder ökologische Nische relativiert. Wollen wir also den Riickzug in eine instinktanaloge Selbstverständlichkeit vermeiden, genügt uns weder ein bloßes Sympathiegefühl, was ja auch Jonas offenbar zu wenig ist, noch, wie er es empfiehlt, ein wider besseres Wissen angenommener Glaube, der dann unser Wissen steuern soll, reicht also weder ein ethischer Emotionalismus noch der von Jonas angebotene lebensweltliche Fiktionalismus, dann müssen wir anders ansetzen. Meine simple Empfehlung ist, nirgendwo anders anzusetzen als eben beim „Prinzip der Verantwortung". Tatsache ist, daß die Natur weder als ganze noch in einem einzelnen ihrer Wesen uns einen an sich bestehenden Zweck oder Sinn verrät. Alles ist sinnvoll nur in Relation zu Zwecken, die wiederum nur relativ zu den sie fördernden Mitteln und natürlich relativ zu anderen zu vermelden, von den Abfällen der übrigen fabriziert wurde; nicht daß der Planet nicht an sich gut genug wäre, wenn man nur mit einem großen Titel oder einem großen Vermögen darauf geboren ist, oder es einem auf irgendeine Weise gelingt, ein öffentliches Amt, eine Würde ohne Machtstellung zu erringen, was mein Fall nun nicht war; und deshalb redet auch ein jeder von dem Markte, wie er eben Geschäfte darauf gemacht hat, und gerade aus diesem Grunde behaupte ich noch einmal, daß es eine der niederträchtigsten Welten ist, die je gemacht wurden . . . "

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Zwecken sind. Die durchgängige Relativität der Zwecke schließt die Relativität aller Wert- und Sinnbehauptungen ein. Folglich läßt sich auch kein absoluter Wert des menschlichen Daseins ermitteln. Es mag sein, daß die Existenz des Menschen in größeren Funktionszusammenhängen einen Sinn ergibt; vielleicht ist der Mensch, wie Nietzsche vermutet, das Salz der Erde; aber wer, um im Bild zu bleiben, schmeckt die Erde ab? Vielleicht haben auch Pope's Gänse recht, die glauben, daß der Mensch dazu geschaffen ist, ihnen das Futter hinzustreuen? Aber von alledem wissen wir nichts! Vermutlich können wir davon allein schon deshalb nichts wissen, weil „Sinn" nur vorkommt, wo gehandelt wird, und wo gehandelt wird, da sind auch wir. Es ist der Mensch, der einen Sinn in die Welt hineinlegt. Es ist die alle unsere Erkenntnis- und Handlungsakte organisierende Sinnkonstitution, die zu kategorialen Differenzierungen führt und letztlich auch die transzendentale Frage unumgänglich macht. „ A n sich" bestehende Sinnerwartungen geben an sich selbst keinen Sinn. Folglich ist in begrifflicher Perspektive über den „Sinn des Seins" oder den „Wert des Seins" nichts objektiv Verbindliches auszumachen. Der Sinn eines Ereignisses oder einer Handlung ergibt sich nur im Horizont unserer Ansprüche und Erwartungen. „Welt" ist nichts, das einen Sinn hat, sondern etwas, dem wir, nicht zuletzt durch eben diesen Begriff, einen Sinn geben. Natürlich bleibt es uns unbenommen, an einen höchsten Zweck zu glauben, und gewiß war der Glaube nie tröstlicher als in einer Welt, die dem Erkennenden ihren Sinn nicht preisgibt. Aber wenn es um Wissen, oder auch nur um verläßliche, intersubjektiv verbindliche Handlungsregeln geht, so haben wir uns einzugestehen, daß jedes Dasein gleichermaßen wertlos ist. Wer die nihilistische Ruchlosigkeit, die sich solchen Aussagen beigesellt, nicht schätzt, dem kann versichert werden, daß diese Einsicht längst gewonnen war, bevor der Nihilismus sich damit wichtig machte. 17 Tatsache ist ferner, daß wir ungefragt, ohne unseren Willen, d.h. ohne selbst einen Zweck vorzugeben, in diese Natur hineingeboren werden. Man sagt auch, der Mensch sei ins Leben, ins Dasein 17

Zum Beleg könnte man auf die eben zitierte Passage von Laurence Sterne, auf den Skeptizismus des 18. Jahrhunderts, den romantischen Nihilismus oder auf den Pessimismus Schopenhauers verweisen. 8 Recht und Natur

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geworfen — etwa so wie von einem Spieler die Würfel hingeworfen werden. 18 So problematisch eine solche Redewendung mit Rücksicht auf die menschlichen, die gesellschaftlichen Umstände unserer Geburt auch sein mag: Die Zufälligkeit unseres individuellen Daseins ist damit gut getroffen. Es fällt zumindest nicht schwer, den Lebensfaden so anzusehen, als sei er aus lauter Zufällen zusammengedreht und dann willkürlich in den Flickenteppich der Geschichte eingewebt.19 Alles kann, wie wir nicht erst seit Schopenhauer wissen, sinnlos erscheinen. Und wenn irgendwo Sinn sein soll, dann muß er, wie gesagt, unseren Erwartungen und Ansprüchen korrespondieren. Es gehört zu den gleichermaßen niederschmetternden wie befreienden Einsichten der Neuzeit, daß es letztlich immer der Mensch selbst ist, der den maßgebenden Zweck vorzugeben hat. Diese Zwecksetzung durch den Menschen scheint vermessen und — sie ist es vielleicht auch. Aber abgesehen davon, daß wir keine Instanz erkennen können, die uns die Anmaßung zum Vorwurf machen könnte, ist sie uns von klein an vertraut; ja ohne sie könnten wir nicht leben — zumindest nicht: menschlich leben. Noch bevor ein Kind ohne fremde Hilfe stehen und laufen kann, machen sich Eigensinn und Trotz bemerkbar. Kaum lernt es sprechen, da behauptet es auch den eigenen Willen. Und mit dem Willen meldet sich der Anspruch, zumindest über sich selbst, nach Möglichkeit aber auch über andere verfügen zu können. Noch bevor der Mensch erwachsen ist, entsteht aus diesem Anspruch das Verlangen, sein eigenes Leben zu fuhren. Der Mensch will sein eigener Herr sein. Er will über sich selbst bestimmen. In der Entwicklung eines jeden einzelnen zeigt sich, wie früh eigener Sinn und eigener Wille sich regen und wie mit der Entfaltung der körperlichen und geistigen Kräfte auch der Anspruch auf Selbständigkeit entsteht. Wer ohne fremde Hilfe stehen kann, der will auch eines Tages selbständig sein; wer aufrecht gehen kann, von dem wird man auch bald Aufrichtigkeit erwarten; wer sprechen und sein Wort machen kann, der wird auch lernen müssen, sein Wort zu halten. Selbständigkeit, Aufrichtigkeit und Verantwortlichkeit treten beinahe 18

Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, §§ 29 u. 37; vgl. dazu ferner: H. Arendt, Vita activa, München 1981, S. 15 f. 19 R. Wollheim, The Thread of Life, Cambridge (Mass.) 1984, S. 130ff.

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automatisch als Konsequenz individueller Selbstbehauptung hervor, und sind letztlich die anspruchsvollen Grundbegriffe einer jeden Moral. Das Verlangen, sein eigenes Leben zu führen, ist uns so vertraut wie das Wollen selbst. Aber welche Ahnungslosigkeit und Vermessenheit liegt nicht darin, das ursprünglich fremde, von uns anfänglich nicht gewollte und uns in seinen Bedingungen und Zwecken ziemlich unbekannte Leben zu unserer ureigensten Angelegenheit zu machen und es damit unserer Zwecksetzung zu unterstellen? Noch ehe wir uns klarmachen können, wie wenig wir über das Leben wissen, haben wir es uns angeeignet und verfügen darüber wie über uns selbst, nein: als über uns selbst. Die größten Ungereimtheiten des Lebens hindern uns nicht, uns mit ihm in eins zu setzen, es zu „verinnerlichen", und es uns so anzueignen, daß es zum Begriff für Eigenes schlechthin werden kann. Es lohnt sich sehr, über diese sich bedenkenlos vollziehende individuelle Einvernahme des Lebens nachzudenken, darüber, daß wir es uns immer schon angeeignet haben, ehe uns bewußt werden kann, wie fremd uns dieses ursprünglich Eigene eigentlich ist. Wir können im Nachdenken zumindest erkennen, mit wie wenig Wissen wir gerade in den wichtigen Dingen auskommen und wie fremd uns eben das sein kann, was wir als unser Eigenstes ansehen. Es ist eine erstaunliche Tatsache, daß der Mensch den Anspruch hat, sein eigenes Leben führen zu wollen, es an eigenen Vorstellungen messen und es in eigener Verantwortung leiten zu wollen. U m es in ein Paradox zu fassen: Der Mensch ist wahrhaftig so unverantwortlich, sein Leben, diesen wenig bekannten Teil eines unbekannten Ganzen, zu verantworten. Er nimmt sich ständig Verantwortung heraus. Was es eigentlich ist, das da beansprucht, sein Leben zu steuern, dürfte nicht leicht zu sagen sein. Wenn wir uns diesem uns selbst so gewissen Verfügungszentrum, das wir „Willen" nennen, mit analytischen Fragen nähern, erweist es sich als so flüchtig, wie das „Ich" oder die „Seele". Gleichwohl zeigt es sich unzweideutig sowohl im bornierten Eigensinn wie in der wohlüberlegten Tat, im Befehl nicht weniger als im Gehorsam. Der Wille tritt in allen Leistungen des Bestimmens und wohl auch des Begreif ens hervor als eine Instanz, die Ziele vorgibt, als, wie es bei Kant heißt, „Vermögen der Zwecke". 8*

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Doch wie immer wir diese uns offenbar notwendig eingebildete Steuerungsinstanz auch nennen, und so sehr wir im Nachdenken auch daran zweifeln, ob sie überhaupt etwas vermag: Spätestens wenn wir uns anderen verständlich machen wollen, artikuliert sich das bestimmende Moment als „Wille" und behauptet sich als Organ der Lebensführung. Im Wollen setzt sich der Mensch in ein Verhältnis zu seinem Leben. Hier beansprucht er die Zurechenbarkeit irgendeines Geschehens zu sich selbst als sein eigenes Tun. Hier entspringt die Zuständigkeit für das eigene Wohl und schließlich auch die Verantwortlichkeit für das eigene Selbst. Zurechenbar kann alles sein, was wir unter dem Titel des Willens hätten tatsächlich tun oder unterlassen können. Zuständig können wir für alles sein, wovon wir nach Lage der Dinge glauben können, daß es in unserer Macht steht. Unser Wort werden wir ernsthaft nur dann jemandem geben, wenn wir meinen, daß wir auch tatsächlich dafür einstehen können. Überall dort, wo wir annehmen können, im Bezug auf diesen Willen, Ursache von Wirkungen zu sein, da glauben wir unter Umständen diese Wirkungen verantworten zu können, ganz unabhängig davon, was den Wirkungen wirklich zugrundeliegt und was tatsächlich daraus folgt. Auch dort, wo wir nach bestem Wissen und Gewissen handeln, müßten wir, bei peinlicher Befragung, zugestehen, daß wir den eigentlichen Wirkungszusammenhang nicht kennen und auch nicht wissen, was letztlich aus unseren Taten wird. Strenggenommen wissen wir nie, was wir tun. Da wir aber auf das Tun nicht verzichten können, sofern wir unser Leben führen wollen, nehmen wir die Unkenntnis in Kauf. Natürlich können wir uns in unserem Handeln auf zahlreiche Kenntnisse verlassen. Wir vertrauen auf den gesetzmäßigen Gang der Natur — in uns und außer uns; wir haben unsere speziellen Erfahrungen mit uns und unseresgleichen und wissen in der Regel einzuschätzen, welche Primär- und Sekundäreffekte eintreten, sobald wir dieses oder jenes tun. Aber nur wenn zu diesem Vertrauen in die relative Konstanz natürlicher und sozialer Bedingungen auch noch das Vertrauen in uns selbst hinzukommt, daß wir nämlich etwas bewirken können und daß wir uns in dieser Wirkung nicht fremd werden, nur dann können wir tatsächlich handeln.

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Dieser unumgängliche Rekurs auf uns selbst macht uns erneut die ganze Anmaßung bewußt, die Kühnheit oder zumindest Keckheit, die in jeder Handlung steckt. Wir legen uns darin auf eine prinzipiell ungewisse Zukunft fest. Nur unter dem Eintritt einer Reihe externer und interner Bedingungen, über die wir letztlich nicht verfügen, können wir erfolgreich handeln und unser Wort tatsächlich halten. Handeln ist somit ein ungeheuer voraussetzungsvolles Unternehmen, bei dem das Wissen von Naturbedingungen keineswegs die entscheidende Rolle spielt. Wenn es hier überhaupt eine ausschlaggebende Bedingung gibt, dann liegt sie in unserem Anspruch, Urheber unserer Taten zu sein. Daß wir überhaupt in der Lage sind, einen Willen zu äußern, daß wir überhaupt den Anspruch haben, unser eigener Herr zu sein und damit über uns selbst zu verfügen, ist die notwendige Bedingung unseres personalen Handelns. Ganz gleich, ob wir es faktisch können oder nicht: Wir legen Wert auf unsere Selbstbestimmung und begreifen uns eben darin als handlungsfähige Subjekte. Der Anspruch auf Selbstbestimmung erscheint, logisch betrachtet, zirkulär. Wer will hier über wen verfügen? Wie kann einer zugleich Herrscher und Beherrscher sein? — Es ist leicht zu sehen, daß wir im Fall praktischer Selbstbestimmung auf eben die Schwierigkeiten stoßen, die sich schon im theoretischen Selbstverständnis ergeben: Wie kann ich auf mich selbst reflektieren? Wie ist es möglich, uno actu Subjekt wie Objekt der Betrachtung zu sein? Ich hoffe, es wird mir nicht als Oberflächlichkeit ausgelegt, wenn ich diese Fragen hier gar nicht erst zu beantworten versuche, und mich mit der Feststellung begnüge, daß uns die Selbstbezüglichkeit nicht nur gelegentlich möglich ist, sondern daß sie offenbar zu den elementaren Funktionen unseres Bewußtseins gehört. Es gibt Gründe, in ihr sogar die konstituierende Leistung des Bewußtseins zu erkennen, von der nicht allein der Begriff des Bewußtseins abhängt, sondern auch der des Wissens überhaupt. 20 Im Hinblick auf das praktische Selbstverhältnis, so wie es im Anspruch auf Selbstbestimmung zum Ausdruck kommt, beschränke ich mich auf die Feststel-

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D. Henrich, Identität und Objektivität, Heidelberg 1974; zur Diskussion des ganzen Zusammenhangs Frank, Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis, Stuttgart 1991.

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lung, daß es mindestens ebenso gut verbürgt ist, wie die reflexive Beziehung auf uns selbst. Die nicht erst seit Kant und Fichte, sondern bereits seit Piaton bestehende Vermutung, die theoretische Selbstbeziehung sei vielleicht nur eine Form praktischer Selbstbestimmung, lasse ich auf sich beruhen. Für unsere Zwecke reicht die Einsicht, daß wir uns ohne Anspruch auf einen eigenen Willen nicht bewußt verhalten können. Handeln ist ohne selbstbewußtes Wollen nicht möglich; folglich gehört der Anspruch auf Selbstbestimmung zu den Elementarbedingungen menschlichen Daseins. Denn wo nicht gehandelt wird, fehlt die Voraussetzung für spezifisch menschliches Leben. Wir wissen bekanntlich bis heute nicht sicher, was „Handeln" eigentlich ist. Aber es läßt sich doch zumindest sagen, daß die Spontaneität, mit der sich ein Subjekt selbst zum Urheber macht, zu den unverzichtbaren Merkmalen gehört. 21 In jedem Fall werden Gründe angeeignet und als Motive des eigenen Tuns (oder Unterlassens) verabsolutiert. Ich sage bewußt: verabsolutiert. Denn mit dem Motiv, das als Beweggrund eines Willens figuriert, wird in der stets unabgeschlossenen, unendlichen Reihe der Naturursachen ein Anfang gesetzt, der in eine letztlich unabgeschlossene, unendliche Reihe von Naturwirkungen einen in sich abgeschlossenen Sinn hineinlegt. Die Verabsolutierung einer Ursache zum Bestimmungsgrund, zum entscheidenden Motiv meines Handelns korrespondiert der Spontaneität, mit der sich ein Subjekt selbst als Urheber seiner Taten präsentiert. 22 „Handlung" ist schon in seiner physikalischen Bedeutung als „actio" ein Begriff, der es erlaubt, aus dem unendlich breiten, unendlich tiefen und ungeheuer flüssigen Strom des natürlichen Geschehens bestimmte Einheiten, nämlich Ursache-Wirkungs-Einheiten, herauszugreifen und mit Bezug auf einen gedachten Träger, „Substanz" genannt, zu verknüpfen. 23 21

Vgl. zum folgenden v. Verf.: Selbstbestimmung. Über Ursprung und Ziel moralischen Handelns, in: Metaphysik nach Kant? Akten des Stuttgarter Hegel-Kongresses 1987, hrsg. v. D. Henrich/R.-P. Horstmann, Stuttgart 1988, S. 671-688. 22 G. Prauss, Kant über Freiheit als Autonomie, Frankfurt 1983. 23 Dazu: V. Gerhardt, Handlung als Verhältnis von Ursache und Wirkung, in: G. Prauss (Hrsg.), Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, Frankfurt 1986, S. 98-131.

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Eben diese Leistung bleibt auch bei der Übertragung des Begriffs auf spezifisch menschliche Geschehensvollzüge erhalten: Der äußere Betrachter verknüpft Ereignisse durch Beziehung auf eine Substanz im anderen und deutet das Verknüpfte als „Handlung" dieses Anderen, der damit die Qualität einer „Person" gewinnt. Die dem erdeuteten Zusammenhang unterstellte personale Substanz nennt man nach neuzeitlicher Sprachregelung „Subjekt", ohne damit die Behauptung zu verbinden, daß es dieses Subjekt in einem mit natürlichen Gegenständen vergleichbaren Sinn gibt. Gleichwohl erscheint die Zusammenfassung tatsächlicher oder möglicher Ereignisfolgen zu einer Handlung — nach Maßgabe eines ursprünglich gesetzten und als Grund angenommenen Motivs und unter Annahme eines sich mit dem zureichenden Grund selbst einen Zweck setzenden Subjekts — als ganz natürlicher Vorgang. Denn in der Selbstbetrachtung erfahrt sich das menschliche Wesen stets selbst bereits als motiviertes Subjekt, und indem es sich handelnd Zwecke setzt, greift es aus dem breiten, tiefen und schnell fließenden Strom des Erlebens Absichten heraus, die es als Motiv oder Zweck, nach Analogie der Ursache-Wirkungs-Relation, auf die intendierten Effekte bezieht. Handlungen sind demnach Verhaltensweisen, zu denen sich ein menschliches Subjekt selbst bestimmt. Die spontane Selbstbestimmung kann, nach allem, was wir wissen, als Grundelement des Handelns angesehen werden; es schließt sowohl die Freiheit wie die Absichtlichkeit ein und ist zugleich Bedingung für die oft als Kriterium genannte Zurechenbarkeit. Bereits im Anspruch auf Selbstbestimmung, wie er für jedes Handeln kennzeichnend ist, liegt das Verlangen des Menschen, sein eigener Herr zu sein. 24 Wenn Kant sagt, der Mensch sei das Tier, das „einen Herrn nöthig hat", 2 5 dann ist damit zunächst nur gesagt, daß ein handelndes Wesen 24

Wie alt diese Einsicht ist, belegen die u. a. von Aristoteles an prominenter Stelle zitierten Zeilen aus Hesiods Erga: Der ist von allen der Beste, der selber jegliches findet. Aber auch jener ist tüchtig, der guter Lehre Gehör gibt.Wer aber selbst nichts erkennt, noch fremden Zuspruch bedächtig bei sich erwägt, der ist wohl unnütz unter den Menschen." Hesiod, Erga, S. 293, 295-297; vgl. Aristoteles, Nichomarchische Ethik 1095 b. 25 I. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, Werke, Akademie-Ausgabe 8, 23.

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einer bestimmenden Instanz bedarf; wo kein verfügender Wille ist, da kann auch nicht gehandelt werden. Somit ist es die Handlungsstruktur selbst, aus der die Funktion der Verfügung nach Analogie eines herrschaftlichen Willens folgt. Es folgt aber auch, daß als „Herr" letztlich nur das Subjekt selbst in Frage kommt, eben das Subjekt der Handlung, die ohne bestimmenden Herrn, ohne einen „Souverän", wie es bei Nietzsche heißt, 26 nicht gedacht werden kann. Der Mensch ist demnach das Tier, das einen Herrn nötig hat, weil es zu eigenem Handeln gezwungen ist; denn der Instinkt, die „Stimme Gottes", wie Kant an anderer Stelle sagt, leitet es nicht mehr. 27 Dieses Defizit seiner Natur kann der Mensch nur beheben, wenn er sich als Herr seiner selbst begreift. Und dies tut er bereits, indem er handelt. Der Anspruch auf Selbstherrschaft ist damit weder Ausdruck einer autoritären Gesinnung noch einer selbstherrlichen Anmaßung; er ist zunächst nur Folge eines Mangels, Ausweg aus einer Not, in die uns die Natur versetzt. Wir tun freilich gut daran, aus der Not eine Tugend zu machen und die an uns selbst erfahrene Offenheit der Natur selbstbewußt als unsere Chance zu nutzen. Das hier als Herr seiner selbst apostrophierte Subjekt der Handlung ist das „Selbst", also das, als was sich jeder begreift, sofern er über Gründe und Ziele reflektiert. Das Selbst figuriert nicht erst in der philosophischen Analyse als ein begriffliches Konstrukt, sondern jeder ist sich darin selbst stets nie mehr als ein Begriff seiner selbst. Das Ich des handelnden Subjekts, so konkret es sich auch fassen mag, ist immer nur eine konzeptuelle Größe. 2* Und die tritt als solche nur hervor, wenn es gilt, eine Handlung zu begründen. Das aber heißt, das Selbst kann seine Funktion als Träger von Handlungen nur erfüllen, sofern es als Träger von Einsichten fungiert, die es mit seinem begrifflichen Gehalt verknüpft.

26

F. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral II, 2 (Kritische Studienausgabe, 5, 293 f.). 27 I. Kant, Über den muthmaßlichen Anfang der Menschengeschichte, Werke, Akademie-Ausgabe 8, 111. 28 Die Unerläßlichkeit eines Selbstbegrififs zeigt sich in der Unverzichtbarkeit eines Begriffs der Seele. Sie wird besonders deutlich in Kants Begriff der „Person" oder in Schopenhauers Begriff des „Charakters".

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Dieses Beziehungsgeflecht ist komplizierter als es nach der knappen Umschreibung klingt. Doch der Zugang zu dem verwickelten Sachverhalt läßt sich relativ leicht eröffnen, indem man sich vergegenwärtigt, wie jeweils das Ich eingebracht wird, wenn es um die Planung oder Rechtfertigung einer Handlung geht: Wer sich an einer politischen Demonstration beteiligt, begreift sich als einen informierten Bürger, der angesichts der von ihm als bedrohlich eingeschätzten Situation die symbolische Darstellung politischer Forderungen für geboten hält. Wer für einen Wettkampf trainiert, begreift sich als Sportler, der in seiner Disziplin Aussichten auf einen Sieg oder wenigstens auf die angestrebte Teilnahme hat. Wer seinem Nachbarn hilft, ist sich bewußt, daß er selbst Nachbar ist, der unter den gegebenen Umständen die Hilfeleistung nicht verweigern kann. Und selbst wer sich nur ein Butterbrot schmiert, einen Apfel stiehlt oder zu einer Notlüge Zuflucht nimmt, hat einen Begriff von sich und von der Situation: Er begreift sich als bedürftiges Wesen, das durch reflexive Erfassung der Situation sowie durch zielorientierten Mitteleinsatz ein rationales Schema einsetzt, in dem es als begrifflich bestimmtes Ich selbst eine Funktion wahrnimmt. Im Vollzug dieses Schemas, also in der Handlung, bestimmt sich das Ich auch praktisch zu dem, was der unterlegte Begriff erfaßt: Es realisiert sich als bedürftiges Wesen oder als hilfsbereiter Nachbar, als konsequent trainierender Sportler oder als engagierter Staatsbürger. Wie man sieht, begreift sich das die Handlung tragende Subjekt je nach Lage durchaus unterschiedlich, und es erfaßt sich dabei in der Regel ziemlich konkret. Es hat jeweils einen mehr oder weniger bestimmten Begriff von sich, einen Begriff, zu dem es sich in der Handlung — eigentlich schon im Willensakt — auch praktisch bestimmt. Man kann diesen Akt praktischer Selbstbestimmung als Selbstverwirklichung kennzeichnen,29 denn im Handeln sucht sich das Subjekt als eben das zu realisieren, als was es sich in der Einstellung auf die Situation begreift. Bei aller Konkretion im Selbstbegriff des handelnden Subjekts bleibt aber stets auch etwas Allgemeines gegenwärtig: Das Ich versteht sich in seinen vielfaltigen Konzeptionen von sich selbst 29

Vgl. G. Prauss. (FN 22).

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immer auch als einsichtiges Wesen. Damit ist nicht mehr gemeint, als daß ein Subjekt seine Motive — zumindest vor sich selbst — für Gründe hält, durch die es sich in seinen Entscheidungen — zumindest subjektiv — für hinreichend motiviert oder gar für gerechtfertigt halten kann. Das handlungsbegleitende Bewußtsein verknüpft die Erkenntnis der Situation sowohl mit den Absichten wie auch mit der hier bestimmenden Selbstauffassung des Ichs und bringt so den Charakter von Allgemeinheit und Mittelbarkeit in das Handlungsschema hinein. Da auch das Bewußtsein an das konkret handelnde Subjekt gebunden ist, bestimmt sich das Subjekt immer auch als einsichtiges Wesen. Ein Moment der Vernunft ist somit jedem Handlungsgeschehen immanent. Gesetzt, man fragt in der Absicht einer philosophischen Grundlegung nach dem letztlich entscheidenden Bestimmungsgrund unserer Entscheidung, stößt man natürlich auf diese von jedem Handlungssubjekt beanspruchte Fähigkeit zur Einsicht. Von ihr muß es letztlich abhängen, was wir zu tun haben, denn der Bestimmungsgrad einer Handlung erfüllt die Bedingungen der Rationalität: Er ist prinzipiell einsichtig, weil er bereits auf einem Urteil beruht, durch das wir uns einen schlüssigen Anfang, einen zureichenden Grund, ermitteln. Deshalb ist es nur konsequent, wenn Piaton die „Weisheit" als die höchste handlungsleitende Tugend ansieht, und wenn Kant, trotz aller Betonung der Naturabhängigkeit des Menschen, das moralische Subjekt als „vernünftiges Wesen" apostrophiert. Die Einsichtsfahigkeit in Situationen und Motive ist bei jedem Begriff unserer Selbst unterstellt. Und wenn uns ein mehr oder weniger konkretes Verständnis unserer Selbst, etwa als Nachbar, als Sportler oder als Staatsbürger, nicht mehr sicher leitet, müssen wir letztlich auf den allgemeinen Selbstbegriff, auf unser Selbstverständnis als einsichtiges Wesen zurückgehen, um uns von dieser äußersten Position aus auch praktisch zu bestimmen. Doch diese Selbstbestimmung aus reiner praktischer Vernunft ist in konkreten Lebenslagen vergleichsweise selten. In der Regel ist die Vernunft nur das Mittel, mit dessen Hilfe wir aus der Einschätzung der Lage, aus der Vergegenwärtigung unserer Interessen sowie aus der Vergewisserung unserer Rolle den Schluß auf den bestimmenden Zweck ermitteln. Die Vernunft (als das „Vermögen zu schließen") 30

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bringt die Einsichten zu eben der Konsequenz, die uns das Handlungsziel vorstellt. In der Mehrzahl der Fälle kann sie dabei an Erfahrung sowie an technische und soziale Normen anknüpfen. Wo bloße technische Kenntnisse nicht ausreichen, genügt meist die Erinnerung an die Rolle, in der wir hier gefordert sind, um zu erkennen, was zu tun ist. Als Nachbar, Sportler oder Staatsbürger weiß ich normalerweise schon, was von mir erwartet wird. Dies ist das zweite Feld der von Hegel mit Recht betonten Sittlichkeit, in der unsere Vernunft die vorgegebenen Ziele nur übernimmt, um sie, je nach Lage der Dinge, mit unseren Selbstansprüchen zu verknüpfen. Aber es gibt Situationen, wo wir nicht sicher sind, als was wir uns eigentlich zu verstehen haben: Als loyaler Staatsbürger oder als hilfsbereiter Nachbar, wenn das Gesetz uns auffordert, den jüdischen Mitbürger zu denunzieren? Als bloß an einem fairen Wettkampf interessierten Sportler oder als Anwalt der Menschenrechte, wenn der Austragungsort in Südafrika liegt? Bloß als bedürftiges Subjekt, wenn der Verzicht auf eine Mahlzeit die Not eines anderen lindern kann? In solchen Fällen sind wir gänzlich auf unsere Einsichtsfahigkeit verwiesen. Uns wird bewußt, daß die Vernunft nicht bloß als Mittel, sondern auch als Grund unserer Selbstbestimmung fungiert. Denn angesichts der Entscheidung zwischen dem Selbstverständnis als loyaler Staatsbürger oder als mitmenschlicher Nachbar begreifen wir uns bereits als ganz auf unsere Vernünftigkeit gestellte Wesen. Was nicht etwa heißt, daß wir ganz und gar Vernunft sind). Gesagt ist nur, daß uns zu einer mit unserem Selbstverständnis kompatiblen Entscheidung nichts anderes bleibt als eben unsere Vernunft. Nur die vernünftige Überlegung kann mir einen Begriff davon vermitteln, ob jeder andere in meiner Lage zu der gleichen Entscheidung kommen würde wie ich. Und indem ich so reflektiere, begreife ich mich als ein „vernünftiges Wesen", wie Kant das moralische Subjekt nennt. 31

30

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β 355 (Akademie-Ausgabe, 3, 237 f.): Kant zitiert hier eine Tradition des formalen Vernunftgebrauchs, in der es ausreichte, die Vernunft als das Vermögen „mittelbar zu schließen" zu definieren. Er geht in seinem Verständnis der Vernunft als „Vermögen der Principien" über dieses formale Verständnis hinaus, ohne es freilich aufzuheben. Die Bedingung, einen logisch korrekten Schluß zu vollziehen, bleibt mit den Leistungen der Vernunft notwendig verbunden.

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In der Tat stoßen wir hier auf den Kern der moralischen Frage, die sich immer dann vor uns auftut, wenn die vorgegebenen Handlungsziele ihre Selbstverständlichkeit verlieren und ein Subjekt ganz auf sich selbst verwiesen ist. Verlangt es auch dann noch von sich, aus einsichtigen Gründen zu handeln, dann begreift es sich selbst als ein Wesen, das sich in seinem Selbstverständnis nur am Kriterium der Vernunft messen lassen möchte. Auf diese Weise setzt es sich in seinem Begründungsanspruch in eins mit der Vernunft, ohne damit selbst ausschließlich Vernunft zu sein. Die einzige Instanz, die demnach das selbständig handelnde Wesen über sich anerkennt, ist seine eigene Vernunft. Die Analyse der im Anspruch auf Selbstbestimmung angelegten Momente bestätigt die dem neuzeitlichen Denken zugrundeliegende Prämisse, daß als Herr des Menschen nur eine Autorität infragekommt, die menschlichen Ursprungs ist: Der Mensch in seiner natürlichen Gestalt ist niemals Autorität genug; bloße physische Überlegenheit hatte noch nie legitimierende Kraft, und Wissen allein reicht unter den skizzierten Voraussetzungen ebenfalls nicht aus. Da auch die Berufung auf einen göttlichen Auftrag keine allgemeine Anerkennung mehr findet und der Tradition als solcher keine normative Kraft zugestanden wird, bleibt als regierende Instanz nurmehr die Vernunft des Menschen übrig. Als vernünftiges Wesen wird der Mensch zum Herrn seiner selbst, und nur solange dieser Selbstbegriff gewahrt bleibt, kann er sich den als vernünftig erkannten selbstgeschaffenen Institutionen anvertrauen. M i t diesem anmaßend erscheinenden Anspruch, das sei noch einmal betont, macht der Mensch aus der Not seiner Natur nur die Tugend seiner Selbständigkeit. Und man sollte nicht vergessen, auf wie vieles das vernünftige Subjekt — trotz des hochgesteckten Selbstanspruchs — nach wie vor blind vertraut: Sein Leben, sein Leib, seine eigene Natur sind ihm so vorgegeben wie die Realität der Außenwelt. Wenn es auch nur die Chance eines Eingriffs in das eine oder andere haben will, hat es alles dies vorab erst einmal anzuerkennen.

31

I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Vorrede (Werke, Akademie-Ausgabe 4, 389 f.).

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Die in jedem menschlichen Handeln angelegten Ansprüche auf Selbstbestimmung und Selbständigkeit, auf Freiheit und Zurechenbarkeit sowie auf Einsicht und vernünftige Begründbarkeit führen, sobald wir mehr als bloß eine Handlung ins Auge fassen, auf den Begriff der Verantwortung. Gesetzt, jemand hat seinem Nachbarn einen Dienst erwiesen, dann wird er, bei aller Bescheidenheit, Wert darauf legen, daß nicht ein anderer den Dank dafür erntet. Diese Zurechnung impliziert bereits, daß er die geleistete Hilfe verantwortet — zum Beispiel einem Dritten gegenüber, der bezweifelt, ob die nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft nötig oder nützlich war. Entsprechendes gilt, wenn sich jemand auf einen Wettkampf vorbereitet, an einer Demonstration teilnimmt oder — um einmal ein ganz anderes Beispiel zu nehmen — wenn er einen Baum fällt oder sich ein Tier anschafft. Wem daran liegt, daß seine Leistung anerkannt und sein Verdienst ihm angerechnet wird, wer also Wert darauf legt, auch nach der Tat als Täter zu gelten, der hat sich bereits auf seine Verantwortung eingestellt, und er hat sie konsequenterweise auch dann zu tragen, wenn die Folgen nachteilig für ihn sind. Sobald ein Subjekt mehr als nur eine Handlung ins Auge faßt, sobald es sich in einem Handlungskontext ernstnimmt, in dem es immer auch mit anderen Subjekten steht, übernimmt es mit dem Anspruch auf Selbstbestimmung auch die Verantwortung für die eigene Tat. Das Verlangen, sein eigener Herr zu sein, kann jemand ernsthaft nur dann vertreten, wenn er auch bereit ist, die Verantwortung für sein Tun — und damit letztlich für sich selbst — zu tragen. Verantwortung ist gewiß ein komplexes Phänomen, dessen Genese wir uns nur im sozialen Zusammenhang — als Verantwortung vor dem anderen — denken können und dessen Geltung stets den Bezug auf ein verantwortetes Gut voraussetzt. 32 Die sachliche und logische Bedingung der Verantwortung aber liegt allein im Subjekt, dem es mit seinem Anspruch auf Selbstbestimmung ernst ist. Wo ich nicht nur 32 Aus der weitläufigen Literatur über Verantwortung seien nur folgende Titel genannt: W. Weischedel, Das Wesen der Verantwortung, 2. Aufl. Frankfurt 1958; G. Picht, Der Begriff der Verantwortung, in: Wahrheit, Vernunft, Verantwortung, Stuttgart 1969; R. Ingarden, Über die Verantwortung, Stuttgart 1970.

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weiß, daß es auf mich ankommt, sondern wo ich meine Zuständigkeit auch will, wo es mir also etwas bedeutet, daß nicht ein anderer für mich entscheidet, sondern daß ich selbst bestimme, da handle ich, wie es ganz richtig heißt, in eigener Verantwortung. Selbstbestimmung und Selbstverantwortung gehen unmittelbar ineinander über, sobald das Subjekt nicht nur die einzelne Entscheidung sieht, sondern einen größeren Zusammenhang bedenkt, in den es mit dem Interesse am eigenen Erfolg auch ein Interesse an der eigenen Identität einbringt. Letztlich ist dies der Zusammenhang unseres eigenen Lebens, in dem wir notgedrungen die Erfahrung machen, daß wir verletzbar und sterblich, daß unsere Kräfte begrenzt und unsere Ausgangspunkte verschieden sind, und es eben deshalb auf uns ankommt. Im Erfahrungszusammenhang des Lebens wird so aus dem Prinzip der Selbstbestimmung das Prinzip der Selbstverantwortung. Als selbstverantwortliche Subjekte suchen wir die Verbindung unserer vielfältigen Handlungen nach Maßgabe unseres Begriffs von uns selbst zu garantieren. Wir geben unseren diversen sozialen Rollen nicht nur in sich ein einheitliches Verständnis, sondern machen auch, wenn möglich, die Rollen untereinander kompatibel. Nur unter dem Prinzip der Verantwortung für uns selbst dürfte es gelingen, unter den heterogenen Anforderungen der Lebenswelt ein stimmiges Selbstverständnis auszubilden, das uns erlaubt, nicht nur als Nachbar, Sportler und Staatsbürger, nicht nur als Wissenschaftler, Verkehrsteilnehmer und Familienvater, sondern auch bloß als Mensch ein vernünftiges Wesen zu sein. Das Prinzip der Verantwortung stiftet aber nicht nur Einheit in mir! Durch den impliziten Rekurs auf die faktischen Handlungen und ihre Folgen verpflichtet es mich auch auf den realen Zusammenhang der empirischen Welt. Man hat nicht nur auszugehen von dem, was ist, hat sich nicht nur zu kümmern um das, was einen betrifft, sondern hat auch für das einzustehen, was man bewirkt. Natürlich richtet sich dies nach dem Grad unserer Einsicht und dem Stand sozialer Erwartungen. Wie weit wir den Rahmen der Verantwortung stecken, hängt von zahlreichen natürlichen, gesellschaftlichen und geistigen Konditionen ab, die historisch keineswegs festgeschrieben sind. Aber daß wir überhaupt sinnvoll von Verantwortung sprechen können, liegt in

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unserer Fähigkeit zur Selbstverantwortung begründet. Wer die Verantwortung für sich selbst ablehnt, der kann auch für anderes und vor anderen keine Verantwortung übernehmen. Der Wert einer Sache kann nur dann Verantwortung begründen, wenn ich mir selbst etwas wert bin; die Verbindlichkeit gegenüber einer anderen Person folgt daraus, daß sie meinesgleichen ist. Folglich entspringt die Verantwortlichkeit vor allem dem ernsthaften Wollen eines Menschen, der selbständig und selbstbestimmt handeln will. So also sind im Konzept der selbständigen Lebensführung auch die begrifflichen Momente der Verantwortung gegenwärtig, die ja darauf beruhen, daß ein zurechnungsfähiges Subjekt sich vor einer von ihm anerkannten Instanz für ein Gut oder für eine begangene Tat verantwortet. Verantwortliches Subjekt und Rechenschaft fordernde Instanz wirken bereits im Individuum zusammen und zwar aufgrund der reflexiven Struktur des Ich und der im Anspruch auf Führung des eigenen Lebens notwendig liegenden Distanz zu diesem Leben. Das Selbst kann — nach Maßgabe seiner eigenen, prinzipiell auf Einsichtigkeit angelegten Ansprüche — die eigene Tat (mitsamt den vorhersehbaren Folgen) beurteilen und auf sich beziehen. Die interne Reflexionsstruktur des Subjekts erlaubt daher die Aussage, daß jemand sich selbst verantwortlich macht. Ohne diese Fähigkeit gäbe es keine Möglichkeit, sich ein Verdienst oder eine Schuld zuzusprechen. Ganz gleich wie die soziale Rollenverteilung bei der Ausbildung von Verantwortlichkeit im Entwicklungsprozeß des Menschen ausgesehen haben mag: Es gibt nicht nur einen guten Sinn zu sagen, daß ich — und zwar: vor mir selbst — für mein Leben verantwortlich bin, sondern man hat die weitergehende Feststellung zu treffen, daß jede Verantwortung, gerade auch die gegenüber anderen, auf Selbstverantwortung beruht. Und nur sofern ich für mich selbst verantwortlich sein kann, bin ich auch in der Lage, vor anderen für etwas Verantwortung zu übernehmen. Damit zeigt sich die Verantwortung in der Tat als ein „Prinzip", nämlich als Ausgangspunkt unseres Lebens nach eigenen Vorstellungen, als die Bedingung dafür, daß unser individueller Lebenswille nicht als Willkür oder bloßer Eigensinn erscheint, sondern sich in einzelnen Zielsetzungen, vielleicht sogar im Ganzen, mit Gründen ausstatten kann. Insofern ist Verantwortung gleich ursprünglich mit

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unserer Selbständigkeit. Die Verantwortung ist im Anspruch auf Selbständigkeit angelegt, und sie fundiert jeden ernsthaften Versuch, das eigene Leben zu führen. Es wird oft übersehen, daß ethische Fragen sich stets erst mit Blick auf den ganzen Lebenszusammenhang stellen. Bevor Sokrates auf das Problem des gerechten Handelns eingeht, betont er, daß nicht „von etwas Gemeinem die Rede ist, sondern davon, auf welche Weise man leben soll". 3 3 Die Praxiskonzeption des Aristoteles ist davon beherrscht, daß man erst am Ende eines Lebens von Glück und Gelingen sprechen kann. 3 4 In der ganzen Antike gilt die Seele als „consilium vitae regimenque", 35 also als Organ einer bewußten Lebensführung. Und für den exemplarischen Vertreter der neuzeitlichen Ethik, Immanuel Kant, hebt die moralische Frage damit an, daß der Mensch in sich das Vermögen entdeckt, „sich selbst eine Lebensweise auszuwählen". Heute sind es gerade Vertreter der analytischen Philosophie, die an den lebensumspannenden Sinn ethischer Fragen erinnern. 36 Damit ist natürlich nicht gemeint, daß sich ethische Probleme nur im Rahmen eines umfassenden Lebensplans ergeben. Gekennzeichnet ist lediglich die prinzipielle Reichweite und vor allem der Ernst der moralischen Frage, die, um es noch einmal zu betonen, nur entsteht, weil unser kurzes, gefährdetes Leben sich nicht von selber führt, sondern von uns, nach Maßgabe unseres Wissens und unseres Selbstverständnisses, geführt werden muß. Diese Bedingung hat bereits die antike Ethik mit ihrer Betonung der Autarkie des sittlich handelnden Menschen ins Bewußtsein gerückt. Unter den verschärften methodologischen Anforderungen der Moderne ist daraus die Autonomie des moralischen Subjekts geworden. In ihr wird die Selbstbestimmung des Handelnden auf den äußersten Begriff einer Selbstgesetzgebung durch Vernunft gebracht. 33

Vgl. dazu den Schlußmythos in Piatons Politela, wo davon erzählt wird, daß die zum Wiedereintritt in das irdische Leben versammelten Seelen ihren künftigen Lebensgrundriß (bion paradeigmata) selbst auszuwählen haben (Politeia 617 d-618 b). 34 Aristoteles, Nikomachische Ethik, I. Buch, 6. Kapitel (1098 a 19). 35 Lukrez, De rerum natura, III. Buch, S. 95. 36 Th. Nagel, Mortal Questions, Cambridge (Mass.) 1979; B. Williams, Ethics and Limits of Philosophy, Cambridge (Mass.) 1985; R. Wollheim (FN 19).

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Wenn meine Überlegungen zum handlungsinternen Prinzip der Selbstverantwortung richtig sind, dann liegen antike und moderne Ethik weniger weit auseinander als man gemeinhin meint. Beide setzen auf die Eigenständigkeit eines vernunftbegabten Selbst, einer „Seele", die in der Lage ist, aus einsichtigen Gründen für sich selbst zu sorgen. Die neuzeitliche Ethik setzt dabei nur entschiedener an. Sie radikalisiert den Anspruch auf Selbständigkeit und Selbstbestimmung und verweist in letzter Instanz allein auf die Vernunft, die an sich selbst über kein substantielles Wissen mehr verfügt. In der Sache muß damit kein Verlust verbunden sein, denn die Vernunft kann zureichend als Vermögen verstanden werden, das seinen Inhalt allein im Bezug auf etwas anderes gewinnt. In der Form aber ist damit auf unüberbietbare Weise zum Ausdruck gebracht, daß der Mensch in seinen letzten moralischen Entscheidungen allein auf sich selbst gestellt ist: In der Autonomie der praktischen Vernunft ist das handelnde Subjekt ganz auf sich und seine Kräfte verwiesen. Zur Bewältigung seines Lebens im Zeichen vernünftiger Einsicht bleibt ihm nichts als das Prinzip der Selbstverantwortung. Angenommen, diese Analyse trifft zu, dann ergibt sich daraus für die von Hans Jonas und vielen anderen gesuchte ökologische Ethik eine einfache, und wie ich finde, ermutigende Konsequenz: Die Begründung des Prinzips der Verantwortung gelingt auch ohne den von Jonas empfohlenen Bruch mit der Tradition. Es ist kein Paradigmenwechsel im Begründungsanspruch und noch nicht einmal eine „neue Ethik" nötig. U m unsere Verantwortung auch gegenüber der Natur zu begründen, reicht es völlig aus, auf die Prämissen der klassischen Theorie zurückzugehen. Denn das Prinzip der Verantwortung ist bereits in der Autarkiethese der Antike leitend, und in der Autonomiekonzeption der Moderne ist es auf unübersehbare Weise exponiert. In beiden Fällen ist es überdies nachvollziehbar begründet, und es schließt, wie die Betonung des Lebenszusammenhangs kenntlich macht, die Verantwortung für die Natur keineswegs aus. Wenn es richtig ist, daß die ethischen Fragen dem Anspruch auf Lebensführung entstammen, dann gehört auch die Verantwortung gegenüber den Lebensbedingungen — soweit sie unserem Einfluß zugänglich ist — hinzu. Auch die Zukunftsorientierung ist nicht neu, schließlich ist sie ein Strukturmerkmal von Handlungen überhaupt. 9 Recht und Natur

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Die Sorge für das eigene Leben schließt das der kommenden Generation nicht aus, und die Mitmenschlichkeit im natürlichen und sozialen Verband ist eines der großen Themen der alteuropäischen Moralphilosophie. Die prinzipiellen Vorleistungen für eine Ethik der technologischen Zivilisation, wie Jonas sie fordert, sind also längst erbracht. Man täte deshalb gut daran, sich auf die dringend benötigten neuen Maßgaben für individuelles und institutionelles Handeln in der modernen Welt zu konzentrieren, statt die Zeit damit zu vergeuden, das alternative Handeln auch noch alternativ zu begründen. Ich verzichte, wie gesagt, auf eine Kritik an Jonas' Begründungsversuch und muß hier verständlicherweise auch die Skizze der Problembereiche beiseite lassen, in denen uns heute neue ethische Forderungen entstehen. A m Ende möchte ich aber wenigstens andeuten, daß auch das klassische Prinzip der Verantwortung geeignet ist, unseren Umgang mit der Natur zu regulieren: Selbstbestimmung und Selbstverantwortung setzen den aufrechten Gang und den freien Stand voraus, der es erlaubt, jedem offen in die Augen zu blicken, und das gegebene Wort auch zu halten. Diese Metaphorik rückt die Bedingungen ins Bild, auf denen die Autonomie des Menschen beruht: Bodenständigkeit, Gleichgewicht, Offenheit und Verantwortlichkeit. Schon dieser schlichte Hinweis zeigt, daß Selbstbestimmung und Selbstverantwortung nicht mit Selbstschöpfung und borniertem Eigensinn verwechselt werden dürfen. Sie sind vielmehr prinzipiell auf die Anerkennung anderer selbständiger Subjekte bezogen; sie verlangen Anerkennung und fordern sie heraus. Verantwortliches Handeln ist überdies auf das Einvernehmen mit den lebendigen Kräften unseres Leibes angewiesen. Da der „Leitfaden des Leibes", auf den zu achten Nietzsche mit Recht empfiehlt, uns nicht automatisch durchs Leben zieht, haben wir uns an unserer Leiblichkeit so selbstverständlich wie möglich und so bewußt wie nötig zu orientieren. Gelingen kann dies nur im Gleichgewicht mit der umgebenden Natur. 3 7 37

Die systematischen Grundlagen für diese Konzeption finden sich in den Arbeiten von Friedrich Kaulbach. Stellvertretend sei hier nur sein abschließendes systematisches Werk genannt: Philosophie des Perspektivismus, Teil I, Tübingen 1990.

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Auch wenn letztlich wir selbst es sind, die über Zwecke und Werte befinden, auch wenn wir, ohne einen Rückhalt an der Werthaftigkeit des Seins, alles nach unserem Bild auslegen, brauchen wir uns nicht als Usurpatoren der Erde zu fühlen, und wir brauchen uns schon gar nicht so zu benehmen. Gerade die autonome Ethik der Neuzeit könnte den Menschen lehren, über die Natur zu herrschen wie über sich selbst. Was spricht dagegen, daß der Mensch seine Selbständigkeit im Gleichgewicht der Kräfte sucht? Was spricht dagegen, daß der letztlich nur sich selbst verantwortliche Mensch seine Erde gestaltet wie seinen eigenen Garten? Von der klassischen Ethik her jedenfalls gar nichts, und die autonome praktische Vernunft könnte dem Menschen sogar gebieten, sich die verfügbare Natur zu seiner Kultur zu machen. Was einzig dagegen spricht, ist die Befürchtung, daß der Mensch seiner eigenen Vernunft womöglich nicht gewachsen ist.

Naturgesetz und Rechtsgesetz Von Ludwig Siep Friedrich Kaulbach hat in seinem Aufsatz „Menschenrecht und Naturverhältnis" eine interessante und provokative These aufgestellt. Er verteidigt den „Herrschaftsanspruch" der neuzeitlichen Rationalität über die Natur gegen die geläufig gewordene Kritik, indem er in ihm eine Grundlage der neuzeitlichen Theorie der Menschenrechte erblickt. Diese „Einheit zwischen Machtwillen und Rechtssinn" sei im 19. Jahrhundert zerfallen und müsse — auch durch Begrenzung des Machtwillens — wiederhergestellt werden. Ich stimme sowohl seiner positiven Bewertung der neuzeitlichen Naturwissenschaft wie der rechtlichen Autonomie des Individuums zu. Es fällt mir aber schwer, zwischen Wissen von der Natur, Gesetzgebung und Herrschaft über die Natur und rechtlicher Autonomie den von ihm behaupteten engen Zusammenhang zu sehen. Ich bezweifele sogar, daß „vom Ursprung der neuzeitlichen Naturwissenschaft her" die „Attitüde des Herrschenwollens über die Natur" eindeutig dominiert hat. Das möchte ich hier aber nicht erörtern. Ich beschränke mich vielmehr auf die Frage, ob der Standpunkt des Gesetzgebers der Natur wesentlich für die neuzeitliche Rechtsphilosophie und ihre Begründung der Autonomie des Individuums ist. Meine Skepsis bezüglich dieser These möchte ich in zwei Einwänden artikulieren, einem historischen und einem eher systematischen zum Verhältnis von Naturgesetz und Rechtsgesetz. Ich hoffe, mit diesen Einwänden zumindest möglichen Mißverständnissen der Thesen Kaulbachs begegnen zu können — vorausgesetzt, ich habe sie selber nicht ganz mißverstanden. Der historische Einwand lautet: Kants theoretische und praktische Philosophie sind nicht kennzeichnend für die Anfange neuzeitlicher Naturerkenntnis und neuzeitlichen Rechtsdenkens. Kant reagiert vielmehr auf eine Schwierigkeit, die die neuzeitliche Philosophie der Natur und des Staates seit den Anfangen beunruhigt. Der kantische Versuch, den Menschen als Gesetzgeber sowohl der

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Natur wie der sozialen Welt zu verstehen, soll diese Schwierigkeit überwinden. Er bringt aber neue Probleme mit sich (I). Auf diese Probleme zielt der systematische Einwand. Sie liegen zum einen in der Angleichung des Rechtsgesetzes an einen bestimmten Typus von Naturgesetz: das Rechtsgesetz soll bis zu Kant und den frühen Idealisten „mechanisch" wirksam sein, die Rechtsordnung soll eine „zweite Natur" sein. Zum anderen in der Reduktion der Natur auf den „Untertan" vernünftiger Gesetzgebung, rechtsphilosophisch auf Sachen, die unbeschränkt dem Willen von Rechtspersonen unterworfen werden können (II). I. Ich gestatte mir in diesem kurzen Beitrag den Stil einer vereinfachenden Skizze. Für Friedrich Kaulbach beruhen die in den modernen Rechtsordnungen verankerten Personrechte auf dem Selbstverständnis des neuzeitlichen Subjekts als Gesetzgeber und als Bezähmer der Natur durch eigene Arbeit. Das scheint mir eine interessante Synthese kantischer und lockescher 1 Gedanken zu sein, die man aber nicht ohne weiteres in den Beginn des neuzeitlichen Rechtsdenkens zurückverfolgen kann. Für das Rechtsdenken der frühen Neuzeit scheint mir die entscheidende Funktion der Naturerkenntnis nicht das Bewußtsein der Selbständigkeit des Subjekts zu sein, das der Natur Gesetze vorschreibt. Vielmehr liegt diese Funktion zunächst darin, daß die Natur nicht mehr als „Spielwiese" eines voluntaristischen göttlichen Herrschers erscheint, sondern als geordnet durch vom Menschen einsehbare und nachkonstruierbare strikte Gesetze.2 1

Von Locke stammt der Gedanke, daß die Bebauung und Verbesserung der Natur Eigentumsansprüche an Land und beweglichen Objekten legitimiert. Zuletzt begründet und zugleich begrenzt sind sie aber durch den umfassenden Anspruch auf „property" im Sinne von Leib, Leben, Gesundheit und Bewegungsfreiheit. Kant „braucht" die transzendentale „Gesetzgeber-Theorie" für die Widerlegung des Determinismus und als eine Evidenz für die Spontaneität des endlichen Vernunft- und Verstandeswesen. Eine direkte Zurückführung des moralischen oder rechtsphilosophischen Autonomiebegriffs — oder gar bestimmter Rechte der Individuen — auf die Fähigkeit der Gesetzgebung für die äußere Natur unternimmt er nach meiner Auffassung nicht.

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Der „Typ" solcher Gesetze mußte auch als vorbildlich für eine gerechte Gesetzgebung unter Menschen erscheinen. Zugleich macht die an der mechanistischen Naturbetrachtung orientierte Sozialphilosophie aber eine irritierende Entdeckung: die Menschenwelt unter bloßen Naturgesetzen ist das Chaos eines zerstörerischen Naturzustandes (Hobbes und Spinoza). Die göttliche Ordnung der Natur macht — so könnte man paradox formulieren — die soziale Welt zur Hölle. Sie legt für jedes Individuum mit gesetzlicher Notwendigkeit das Streben nach Selbsterhaltung und Affektbefriedigung fest. Da dies aber nur auf Kosten anderer Individuen zu erreichen ist — sei es, weil diese selber „Objekte" des Affektes sind oder weil die Güter knapp sind — kommt es notwendig zu dauernden „Kollisionen". Die „private" Vernunft eines jeden kann durch ihr „Sicherheitskalkül" den Zustand ständiger Gewaltbereitschaft (status belli) nicht entschärfen. Erst über „naturwüchsige", noch keineswegs gesetzmäßige und gerechte Herrschaftsformen oder über kontingente Ereignisse wie die Erfahrung lebensbedrohender Konflikte kann eine affektive Balance — bei Hobbes zwischen Todesfurcht einerseits, Ehr-, Genußund Machtstreben andererseits — erreicht werden. In diesem (relativen) Schweigen der Affekte wird die Stimme der allen gemeinsamen natürlichen Vernunft als Gewissen hörbar, das Gesetze dauerhafter kollektiver Sicherheit „diktieren" kann (dictamina rectae rationis). Erst in der künstlichen Ordnung eines Staates mit Gesetzgebungsund Gewaltmonopol kann aber der Widerstreit zwischen Affekt und Vernunft sowie der zwischen den Interessen und Selbsterhaltungsstrategien der Individuen überwunden werden. Warum die strenge und „gerechte" Ordnung der Natur, die der Mensch zwar erkennen kann, der er aber ohne die Chance einer freien „Standpunktnahme" unterworfen ist, gerade in der natürlichen Form menschlichen Zusammenlebens nicht wirksam ist bzw. nicht zu einer guten und gerechten Ordnung der Menschenwelt führt, hat das neuzeitliche 2

Aus einer kantischen Perspektive kann man gewiß auch im „Konstruktivismus" eines Galilei oder Hobbes bereits die Gesetzgebung der Subjektivität am Werk sehen. Hobbes selber verstand das Verhältnis von Verstand oder Vernunft und Natur aber nicht so. Schon bei der Definition der ersten Prinzipien der Erkenntnis beziehen wir uns auf Sachverhalte, die nur in einer Gegenstandserfahrung gegeben sind (vgl. dazu W. Rod, Thomas Hobbes; in: O. Höffe [Hrsg.], Klassiker der Philosophie, Bd. 1, 2 München 1984, S. 289).

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Naturrecht lange beschäftigt. Immer wieder versucht man das Problem mit Theologumena zu lösen: entweder damit, daß diese Unordnung nur in unserer beschränkten Perspektive so erscheint, „sub specie Dei" aber vielleicht doch eine Wohlordnung ist (Spinoza),3 oder damit, daß dem Menschen eine unfertige Natur übergeben ist, damit er sie durch Erkenntnis, Arbeit, Natur- und Menschenverbesserung (Staat, Erziehung) vollende (Locke). 4 Etwas skeptischer ist die Lösung Rousseaus, daß der Mensch durch sein zugleich unfertiges und entwicklungsfähiges Wesen zu „übernatürlicher" Vervollkommnung, aber zugleich zum Verlust jeder natürlichen Balance und Harmonie bestimmt ist. Theologiefrei ist auch Kants geschichtsphilosophische Antwort nicht: Der Mensch muß sich sein Verdienst und seine Würde aus freien Stücken erwerben — Krieg und natürliche Laster sind nur vorläufige Mittel der göttlichen Naturordnung, die menschlichen Fähigkeiten zu entwickeln und zugleich dem vernünftigen Willen „herkulische" Aufgaben zu stellen. Zentral für Kants Lösung ist aber, da kann man Kaulbach nicht widersprechen, daß der Mensch nicht Gesetzgeber der sozialen Welt sein kann, wenn er in der Ordnung der materiellen Welt nur Objekt, nur Untertan wäre. Die Objektivität und Ordnung der seiner Erkenntnis zugänglichen Natur beruht auf einer Gesetzgebung, an der er als Verstandes- und Vernunftwesen „aktiv" partizipiert und der er als Sinnenwesen zugleich unterworfen ist. Weder diese Gesetzgebung noch die der praktischen Vernunft, die sich selber an Vernunftwesen unangesehen ihrer natürlichen „Ausstattung" richtet, ist freilich durch eine beliebige Standpunktwahl zu erkennen bzw. zu 3

Vgl. Baruch de Spinoza, Theologisch-Politischer Traktat. Übers, v. C. Gebhardt u. G. Gawlick, Hamburg 1976, S. 234: „ I n Wahrheit ist aber, was die Vernunft für schlecht erklärt, nicht schlecht in Hinblick auf die Ordnung und Gesetze der gesamten Natur, sondern einzig und allein in Hinblick auf die Gesetze unserer Natur" (16. Kapitel). 4 Für Locke ist freilich der ursprüngliche Zustand gar nicht chaotisch. Das wird er erst durch die Zunahme von Habsucht und Herrschsucht, die nach der Einführung des Geldes möglich ist. Dieses — durch universale Verbreitung nachträglich gebilligte — zufällige Ereignis ist zwar der Ursprung vieler Übel, zeigt aber auch die Instabilität des Naturzustandes und die ungenutzten Möglichkeiten einer zivilisatorischen Verbesserung von Natur und Menschenwelt.

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„geben": Es gibt nur jeweils einen möglichen Standpunkt, von dem aus sie erkennbar ist bzw. von dem aus man sich als Mitgesetzgeber betrachten kann. Er verlangt von jedem, sich zugleich den strengen Gesetzen unterworfen zu wissen, die in der praktischen Vernunft nicht nur für alle Menschen, sondern sogar für alle Vernunftwesen gelten. Freiheit heißt zwar, wie bei Rosseau, zugleich Souverän (Mitgesetzgeber) und Untertan zu sein — aber nicht schon dadurch, daß jeder in einer gesetzgebenden Versammlung seinen individuellen Begriff der volonté générale bzw. des bien commun zum Ausdruck bringt. Die „empirischen" Gesetzgebungsakte einer konkreten Versammlung sind vielmehr nur insoweit Akte der volonté générale, wie sie als Annäherung an die Idee des richtigen Rechts verstanden werden können. Diese Idee erlaubt eine „Darstellung... in einer reinen Anschauung a priori nach Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem Gesetz der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung" 5 . Zu dieser Analogie der mechanischen Kräfteverhältnisse tritt noch die Analogie der Geometrie, wenn es darum geht, die Grenzen der berechtigten individuellen Freiheitsräume gegeneinander abzustecken: „Das Rechte (rectum) wird als das Gerade teils dem Krummen, teils dem Schiefen entgegengesetzt... nach welcher Analogie auch die Rechtslehre das Seine einem jeden (mit mathematischer Genauigkeit) bestimmt wissen will." (ebd., S. 233). Kant schließt daher die Billigkeit und das Notrecht aus der philosophischen Rechtslehre aus (Anhang zur Einl. I, II). Die Orientierung des Rechtsgesetzes an den Gesetzen der Mechanik hat in der Rechtsphilosophie der Aufklärung und der Frühphase des deutschen Idealismus auch dazu geführt, die staatliche Sanktion des Rechts als einen Mechanismus aufzufassen, der mit naturgesetzlicher Notwendigkeit jeden Rechtsbruch ahnden bzw. — so in Fichtes Naturrecht von 1796 — sogar im Vorhinein unmöglich machen muß. 5

Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, Erster Teil, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1797), Einleitung in die Rechtslehre § E, Akademie-Ausgabe Bd. VII, S. 232. — Ich zitiere im Text Kant nach der „Akademie-Textausgabe" (Unveränderter Abdruck von „Kants gesammelten Schriften, hrsg. v. der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften"), Berlin 1968, mit römischer Bandzahl und Seitenzahl.

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Das hat natürlich Folgen für den staatlichen Kontroll- und Sanktions„apparat". Daß dieses Verständnis zeitlos gültiger, mechanisch wirkender und jede Rechtsprechung exakt berechenbar machender Rechtsgesetze problematisch und heute kaum noch plausibel ist, sei hier nur angedeutet. Ein weiteres Problem der kantischen Rechtslehre liegt darin, daß in der „zweiten Natur" des mechanisch wirksamen Rechts die erste Natur nur als Sache im römisch-rechtlichen Sinne vorkommt. 6 „Ein jedes Objekt der freien Willkür, welches selbst der Freiheit ermangelt, heißt (daher) Sache." (VI, 223). Gewiß heißt „Willkür" bei Kant nicht im Sinne unseres Sprachgebrauches Mutwillen. Aber die Grenzen des willentlichen Umganges mit Sachen können prinzipiell nur in den Gesetzen liegen, die Personen, d. h. Vernunftwesen, die in „Wert" und „Würde" unendlich über allen Sachen stehen,7 für sich selbst und andere Personen geben. „Sachgerechtigkeit" ergibt sich für Kant nicht aus dem Umgang mit Natur, sondern aus den Maßen einer reinen praktischen Vernunft, die in ihren obersten Prinzipien von jedem theoretischen oder praktischen Bezug auf Natur frei ist. Ohne jetzt auf die Fragen einzugehen, ob man der Natur als ganzer oder einzelnen natürlichen Wesen mit bestimmten Eigenschaften Rechte übertragen kann, die nur ein menschlicher „Anwalt" geltend machen kann, sei nur auf die mögliche Ambivalenz eines Standpunktes hingewiesen, auf dem der Mensch als theoretischer und praktischer Gesetzgeber außer und über aller Natur steht. Für Friedrich Kaulbach konvergieren die Standpunkte des theoretischen (Natur-) und praktischen (Rechts-)Gesetzgebers darin, daß beide die Selbständigkeit und Autonomie des Menschen — auch des Individuums in 6

Vgl. D. Liebs, Römisches Recht, Göttingen 1975, S. 149: „Der römische Eigentümer darf mit seiner Sache grundsätzlich alles machen, was man mit ihr überhaupt machen kann." 7 Vgl. dazu den Anfang von Kants „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht": „Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen. Dadurch ist er eine Person und vermöge der Einheit des Bewußtseins bei allen Veränderungen, die ihm zustoßen mögen, eine und dieselbe Person, d.i. ein von Sachen, dergleichen die vernunftlosen Tiere sind, mit denen man nach Belieben schalten und walten kann, durch Rang und Würde ganz unterschiedenes Wesen..." (VII, 127).

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der Gesellschaft — bedingen und begründen. Ob das überzeugt, sollen im folgenden einige grundsätzlichere Überlegungen prüfen. Sie können auch den geistesgeschichtlichen Prozeß, den Kaulbach so positiv sieht, in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen. II. Wird die Autonomie des Individuums als Mitglied eines rechtlich geordneten Gemeinwesens dadurch begründet oder zumindest gestärkt, daß der Mensch seine Vernunft als gesetzgeberisch in bezug auf die — dadurch „für uns" erst konstituierte—Natur ebenso wie in bezug auf die Menschenwelt weiß? Um diese Frage zu erörtern, mag es gut sein, sich einige „triviale" Unterschiede zwischen Natur- und Rechtsgesetz klarzumachen. Dabei gehe ich freilich von einem zeitgenössischen Verständnis von Rechtsgesetzen aus. 1. Das Rechtsgesetz ist ein Gesetz für Gleiche, nicht für „natürlicherweise" Ungleiche. Läßt man die besonderen Probleme der Mündigkeit und der Geschäftsfähigkeit von Kranken, der bürgerlichen „Ehrenrechte" von Strafgefangenen etc. einmal beiseite, dann gilt vor dem Recht jedes menschlichen Individuums gleich. Das ist gegenüber den natürlichen Ungleichheiten eine „normative Fiktion". 2. Das Rechtsgesetz wendet sich an „Objekte", die sich zugleich als Subjekte zu ihm verhalten, es befolgen können oder nicht, es verstehen und beurteilen und in bestimmten Verfahren seine Änderung versuchen können. Es hängt in seiner Wirkung und seinem Gehalt vom Willen der ihm „Unterworfenen" ab. 3. Rechtsgesetze können nicht nur als „falsch" bzw. ungerecht erkannt und in einem von dieser Erkenntnis unterschiedlichen „autorisierten" Willensakt außer kraft gesetzt bzw. ersetzt werden. Sie können auch durch individuelle (richterliche oder verwaltungsmäßige) Entscheidungen fortgebildet oder konkretisiert oder durch gesetzgeberische Entscheidungen teilweise verändert („novelliert") werden. Solche Entscheidungen sind Resultate von Erfahrungen mit ihrer Anwendung oder Resultate eines sich ändernden individuellen und kollektiven Selbstverständnisses. 4. Die gerechte Ordnung eines Gemeinwesens hängt auch von der Möglichkeit ab, Billigkeits- und Gerechtigkeitsüberlegungen gegen

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geltende Gesetze oder als Ausnahmen von ihnen zur Geltung zu bringen — freilich durch selber autorisierte Kompetenzen und Verfahren (Begnadigungsrecht, Verzicht auf Strafverfolgung, Normenkontrollverfahren, höchstrichterliche Entscheidungen etc.). Zum Recht gehören — jedenfalls nach einer Tendenz der modernen Rechtswissenschaft — nicht nur Regeln und „Subsumtionsverfahren", sondern auch Prinzipien, die als „Optimierungsgebote" zu verstehen sind. 8 Sie können in der Gesetzgebung und Rechtsprechung unterschiedlich ausgelegt und gewichtet werden. Von diesem Verständnis der Rechtsgesetze aus erscheint es zweifelhaft, ob die Analogie zwischen Rechtsgesetz und Naturgesetz, aber auch zwischen den Regeln einer Rechtsgemeinschaft und einer Gemeinschaft von Naturforschern, so eng ist wie Kaulbach vorschlägt. Ich bin bei meinen historischen Überlegungen auf die Regeln der Forschergemeinschaft, in der Kaulbach ein Vorbild demokratischer Rechtsgemeinschaft sieht, nicht eingegangen. Hier nur eine Zwischenbemerkung dazu, bevor ich auf die Differenz und die Wechselwirkung zwischen Natur- und Rechtsgesetzgebung zurückkomme. Die Regeln der Naturforschung, die Logik und Mathematik, die Methoden des Experimentierens und Argumentierens, setzen zwar wie das Rechtsgesetz die prinzipielle Gleichheit der Forschenden voraus, sie sind aber zweckrational an Erkenntnisgewinn gebunden und daher von Prozessen der Willensübereinstimmung durch Verträge, gemeinsame Gesetzgebung, Akzeptanz von Gesetzen etc. weitgehend unabhängig — ganz davon abgesehen, daß „Wahrheit" weder der neuzeitlichen Naturwissenschaft noch der Philosophie vor Peirce primär als dasjenige galt, worüber eine ideale Forschergemeinschaft übereinstimmen würde. Kants Gesetzgebung für die Philosophie hat daher auch nichts „rechtsstaatliches", sie ist von keinem Vertrag und keiner „empirischen" Zustimmung abhängig, sie legt keine gesetzesoder verfassungsändernden Verfahren und Mehrheiten fest. Auch die „Verfahrensordnung" und die Beweismittel für die Rechtsprechung sind durch die transzendentalphilosophischen Begriffe von Vernunft 8

Vgl. R. Dworkin , Taking Rights Seriously, London 21978 (dt. Bürgerrechte ernstgenommen, Frankfurt 1984) und R. Alexy, Theorie der Grundrechte, Frankfurt 1986, vor allem S. 75ff.

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und Verstand, Wahrheit, Erfahrung etc. schon festgelegt: Auf dem Richterstuhl der Vernunft sitzt für jeden Angeklagten und Zweifler kein anderer als — Kant. Wie immer es aber auch mit dem „quis judicabit?" in einer Gelehrtenrepublik bestellt sein mag: Daß die Regeln für eine Gemeinschaft von Forschern, die sich qua Vernunftwesen als Gesetzgeber der Natur betrachten, und für eine, die das nicht tut, verschieden sein müßten, erscheint mir nicht einsichtig. Es sei denn unter der zweifelhaften kantischen Prämisse, wer nicht Transzendentalphilosoph ist, könne nur strenger Determinist sein. Auch unabhängig vom Spezialfall der Forschergemeinschaft läßt sich die Frage stellen, ob der Standpunkt des Naturgesetzgebers eine Voraussetzung der Autonomie des Menschen in der sozialen Welt ist oder sie zumindest befördert. Dabei darf der Begriff „der Mensch" nicht verdecken, daß es in der sozialen Welt um die Autonomie von Individuen geht — und zwar nicht primär gegenüber der Natur, sondern gegenüber anderen Individuen und Gruppen. Ich möchte hier auf drei Probleme hinsichtlich des von Kaulbach konstatierten Zusammenhangs von Natur- und Rechtsgesetzgebung mit individueller Autonomie hinweisen: a) Das Problem einer zu großen Angleichung von Rechtsgesetzen an Naturgesetze einer mechanistischen Naturauffassung, b) das Problem der Herauslösung des Menschen als Gesetzgeber aus der Natur und c) das Problem des Verhältnisses von Gesetzgebung, Naturbeherrschung, Arbeit und Autonomie. Dazu hier nun einige Erläuterungen. a) Daß unser Verständnis von Rechtsgesetzen nicht mehr dem Typ eines unveränderlichen, eine mathematisch genaue Berechnung und Vorhersage jedes einzelnen Ursache-Wirkungsverhältnisses ermöglichenden Naturgesetzes entspricht, erscheint mir kaum zu bezweifeln. Die oben unter 3. und 4. genannten Züge des Rechts bereiten aber einem Verständnis von Rechtsgesetzen, wie es das neuzeitliche Naturrecht von Hobbes bis Fichte entwickelt hat, erhebliche Schwierigkeiten. Sie gehen auf eine zu starke Anpassung des Rechtsgesetzes an einen bestimmten Typ von Naturgesetz zurück. Man könnte sich

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fragen, ob der gegenwärtige Begriff des Naturgesetzes nicht umgekehrt eher am Typ des modernen Rechtsgesetzes orientiert ist: die Gesetzeshypothese, die ständig durch neue Erfahrungen revidierbar bzw. „novellierbar" ist. Dabei gibt es — jedenfalls nach der „holistischen" Wissenschaftstheorie 9 — unterschiedliche Grade der „Stabilität" von Gesetzen und Prinzipien je nach der Entfernung vom „Kern" einer Theorie. Man wird allerdings zugeben, daß selbst der erfahrungsnahe „Rand" einer naturwissenschaftlichen Theorie noch veränderungsresistenter ist als die meisten Rechtsgesetze. b) Kaulbach akzeptiert die seit Scheler verbreitete Deutung der modernen Naturwissenschaft als „Herrschaftswissen". Er sieht darin aber keine despotische Herrschaft, sondern eine Herrschaft des „Gesetzgebers" und daher eine Einheit von „Macht-" und „Sinnvernunft". Der Sinn dieses Wissens liege nicht primär in seinen Ergebnissen, sondern vor allem seinem „Standpunkt". Kaulbach unterschätzt nicht die Bedeutung der technischen Befreiung von Naturzwängen oder die Auflösung alter Autoritäten durch das neue Wissen von der Weltordnung. Wichtiger sei aber das „Gesetzgeber"bzw. Autonomiebewußtsein, das der neuzeitlichen Wissenschaft zugrunde liege. Diese These ist ungewöhnlich und Kaulbach verteidigt sie mit viel Überzeugungskraft. Meine philosophiegeschichtlichen Bedenken habe ich schon vorgebracht. Ob „mentalitätsgeschichtlich" ein solcher Zusammenhang zwischen moderner Naturwissenschaft und Autonomiebewußtsein besteht, kann ich nicht entscheiden. Die Frage ist aber auch systematisch interessant, ob angesichts der prinzipiellen Differenzen zwischen einer Gesetzgebung für die Natur und für menschliche Rechtssubjekte der bloße „Gesetzgeber"-standpunkt dem richtigen Verhalten zur Natur und zur Autonomie des Individuums förderlich ist. Die Gesetzgebung für die Natur macht diese ja nur für uns erkennbar — als „objektiven", gesetzmäßigen Zusammenhang von Objekten und Ereignissen, die gerade als solcher auch technisch beeinflußbar ist. Damit ist aber keineswegs sichergestellt, daß man im

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Vgl. etwa W. V. O. Quine, Zwei Dogmen des Empirismus (Two Dogmas of Empiricism), übers, v. J. Sinnreich, in: J. Sinnreich, Zur Philosophie der idealen Sprache, München 1972, S. 167-194, vor allem S. 190ff.

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Handeln der Natur „gerecht" wird, nicht einmal unter dem Gesichtspunkt menschlicher Interessen. Für den Gesetzgeber der Natur gibt es keine Rechtsansprüche der „Untergebenen". Daher kann sie auch einer Gesetzgebung für Menschen nicht als Vorbild dienen. So, wie der Standpunkt des Atawrgesetzgebers keine günstige Perspektive für die Rechte autonomer Individuen ist, so ist der Standpunkt des itec/ztagesetzgebers keine günstige Perspektive für die adäquate Behandlung der Natur. Er verdeckt, daß Natur oder Naturwesen nie im vollen Sinne „Mitgesetzgeber" sein können. Eine Gesetzgebung der menschlichen Vernunft für die dadurch erst „konstituierte" Natur ist monologisch. Er kann ferner verdecken, daß Gesetze und Ereignisse in der sozialen Welt durch Verträge und gemeinsame Willensakte „erschaffen" und verändert werden können. Die soziale Welt, ihre Normen, Institutionen, Verfahren, Bräuche, ist in einem ganz anderen Sinne menschliches Produkt als die Natur. Und schließlich gerät auch die Einbindung der sozialen Welt in die Natur leicht aus dem Blick, wenn wir uns der Natur gegenüber in einer prinzipiell gleichen Rolle sehen wie gegenüber der Welt des Rechts. Die Probleme der „Herrschafts-Perspektive" auf die Natur haben wir in der Gegenwart deutlich erfahren. Gewiß können wir nicht zu einem Naturrecht zurückkehren, das die „faktische", aber teleologisch interpretierte Natur zum Vorbild für soziale Normen macht. Aber die Würde des Menschen könnte auch auf seiner richtigen Stellung innerhalb der Natur, statt auf seiner „unendlichen" Erhabenheit über sie beruhen. Worin ein „richtiges" Verhältnis des Menschen zur Natur besteht, wird freilich nicht für alle Zeiten festliegen — es muß in jeder historischen Situation neu „gefunden" werden. Die Autonomie der Individuen kann aber nicht der einzige Maßstab dafür sein. Philosophiehistorisch sei noch angemerkt, daß Kant selber außer dem theoretischen und rechtsphilosophischen „Standpunkt" gegenüber der Natur selbstverständlich noch einen — in den späten Schriften zunehmend entwickelten — anderen Standpunkt, den einer teleologischen Naturbetrachtung, kennt. So ambivalent dieser Standpunkt aber erkenntnistheoretisch ist, so folgenlos scheint er mir bei Kant für das praktische Verhalten des Menschen zur Natur zu

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bleiben. Auch der Deutsche Idealismus hat trotz seiner ausdrücklichen Anknüpfung an eine solche Naturbetrachtung grundsätzlich andere Konsequenzen für den praktischen Umgang des Menschen mit der Natur nicht gezogen — allenfalls ansatzweise für den Umgang mit der „inneren Natur". Noch bei Hegel bleibt für den gesellschaftlichen Umgang mit der Natur das Person-Sache-Verhältnis maßgebend. c) Zwischen der Standpunktnahme des Natur- und Rechtsgesetzgebers, der Bezähmung der äußeren und inneren Natur durch die Arbeit sowie dem Rechtsanspruch des Individuums auf Anerkennung seiner Selbstverfügung einschließlich der vertragsrechtlichen Regelung der Arbeitsverhältnisse stellt Kaulbach eine enge Verbindung her. Es ist aber fraglich, ob diese Verbindung eine notwendige Grundlage der rechtlichen Autonomie des Individuums darstellt — und ob sie den Erfahrungen der Gegenwart entspricht. Weder der Zusammenhang zwischen Arbeit und Selbstkultivierung oder sogar -moralisierung noch der zwischen Gesetzgebungs-, Arbeits- und Rechtssubjekt kann als ein notwendiger betrachtet werden. Naturbeherrschung und Selbsterhaltung durch Arbeit verlangt zwar Kenntnis der Naturgesetze, aber nicht das Bewußtsein, an einer gesetzgebenden Vernunft zu partizipieren. Der Wille, jedes Individuum unangesehen seiner natürlichen Fähigkeiten — auch denen zur Selbsterhaltung durch körperliche oder geistige Arbeit — als Subjekt prinzipiell gleicher Rechte zu betrachten, ist ebenfalls unabhängig von einer transzendentalphilosophischen Naturerklärung. Das Recht, in Arbeitsverhältnisse nur als ein Vertragspartner einzugehen, der seine Arbeitskraft, zeitlich und auf bestimmte Leistungen begrenzt, zur Verfügung stellt, wird ebenfalls auf das Personsein jedes menschlichen Individuums begründet. Für das ist zwar nach Kant die Fähigkeit und der Anspruch auf „Mitgesetzgebung" konstitutiv, 10 aber rechtlich relevant ist nur die Mitgesetzgebung im Bereich des interpersonalen Handelns. 10 „Person ist dasjenige Subject, dessen Handlung einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen . . . woraus dann folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst giebt, unterworfen

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Ich will damit keine These über die Rolle des bürgerlichen Selbstbewußtseins bei der Durchsetzung des modernen Rechtsstaates aufstellen. Es ist sicherlich auch plausibel, daß zwischen der Bezähmung der Natur, der Freiheit von Not und Mühsal, der Beruhigung der Affekte, dem auf Arbeit gegründeten Selbstbewußtsein und der Bereitschaft, für eigene Rechte einzutreten und andere anzuerkennen, erfahrbare Zusammenhänge bestehen.11 Aber diese Zusammenhänge sind weder begrifflich noch anthropologisch noch historisch notwendig. Historisch erfahrbar ist auch, daß die kollektive Naturbeherrschung durch Technik und Industrie von der Notwendigkeit der Begrenzung von Bedürfnissen und der Kultivierung von Affekten freisetzen, daß sie Grenzen der „Schonung" von Natur aufheben und die „Habsucht" von Individuen und Gruppen steigern kann. Auch Kaulbach plädiert für eine Selbstbegrenzung des „rechnenden Verstandes". Ob aber der Standpunkt des Gesetzgebers besonders geeignet ist, die Maße zu erkennen, in denen sowohl die äußere wie die innere Natur ihre eigenen Möglichkeiten — auch neue, erst noch zu entdeckende — entwickeln kann, erscheint mir zweifelhaft. Unzweifelhaft ist aber das Recht der Person auf Mitgesetzgebung in der sozialen Welt eine Entdeckung, deren „Überholung" wir nicht wollen können.

ist." (Methaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Einleitung in die Metaphysik der Sitten IV. VI, 223). — Ob mit diesem Recht jeder Person auf Mitgesetzgebung Kants Beschränkung der aktiven Bürgerrechte — also das Recht der tatsächlichen Beteiligung an der staatlichen Gesetzgebung — auf wirtschaftliche Selbständigkeit zusammenpaßt, ist auch in der Kant-Forschung umstritten. Jedenfalls hat Kant das Privatrecht — Eigentums- und Vertragsrecht — sowie die Schutzrechte jedes Staatsbürgers nicht von dessen eigener Arbeit abhängig gemacht oder darauf zurückgeführt. 11 Gewiß wird auch im neuzeitlichen Naturrecht — vor allem in der angelsächsisch-calvinistischen Tradition — ein solcher Zusammenhang behauptet. Aber während etwa bei Hobbes erst der Rechtszustand zivilisatorische Arbeit möglich macht, ist für Locke wertsteigernde Arbeit einer der Ursprünge des status civilis. 10 Recht und Natur

Risiko, Recht und normative Verantwortungsattribution in rechtsethischer Perspektive Von Werner Krawietz

Wenn Autoabgase für das Waldsterben verantwortlich gemacht werden, wenn neue Techniken wegen ihrer negativen Begleiterscheinungen — über ein bislang noch als vertretbar angesehenes Ausmaß hinausgehend — die Umwelt belasten, wenn Großtechnologien, wie Raffinerien, Großraumflughäfen oder Kernkraftwerke, zu Risiken und Gefahren führen, die sich kaum noch domestizieren lassen, weil jeder auch noch so rational bezweckte und geplante Ablauf entgleisen kann, dann ist es angebracht, die Maßstäbe selbst zu überprüfen, nach denen menschliche Verantwortung üblicherweise bemessen wird. Wer in einem Wald von möglichen Ursachen und Wirkungen die Ursache sucht, die eine bestimmte, von ihm als riskant oder gar schädlich eingestufte Wirkung nach sich zu ziehen vermag oder schon bewirkt hat, muß bei seinen Risikoanalysen nicht nur Ursachen und Wirkungen auswählen, die miteinander korrelieren. Er muß auch die ausgewählten Ursachen und deren Wirkungen den möglichen Trägern von Verantwortung zurechnen. Risikoforschung hat es somit nicht nur mit der Suche nach Ursachen und Wirkungen zu tun, sondern auch mit der Suche nach ihren jeweiligen Urhebern, die zur Verantwortung gezogen werden sollen. Mögliche Verantwortungsträger können jedoch nicht nur Einzelpersonen sein, sondern auch Organisationen, die für die Herbeiführung bestimmter Risiken und Gefahren einzustehen haben. Ohne die generelle und individuelle Attribution von Verantwortung für etwaige Risiken, Gefahren oder drohende/eingetretene Schäden, die durch menschliches Handeln bewirkt werden, ließe sich der Aufbau sozialer Ordnungen, insbesondere derjenige von politischen Systemen und staatlich organisierten Rechtssystemen, praktisch gar nicht bewältigen.1 Gewöhnlich sind die von uns im 10*

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Alltagsleben zu beobachtenden Ursachen und Wirkungen auch einer normativen Beurteilung zugängliche, schon bewertete (oder noch zu bewertende) Ursachen und Wirkungen. Infolgedessen benötigt der Mensch, hier verstanden als Gattungswesen, für ihn und seinesgleichen verbindliche Maßstäbe, wie gegenwärtig schon eingetretene bzw. künftig erst entstehende, aber auf menschliches Handeln zurückführbare Ursachen und Wirkungen zu bewerten sind. Risikoforschung ist nicht möglich ohne Risiko evaluation. Letztere darf jedoch nicht mißverstanden werden als eine rein kognitive, vermeintlich auf bloße Erkenntnis bedachte und angelegte Erforschung riskanter Sozialbeziehungen, die keinerlei normative Stellungnahmen enthielte. Vielmehr bedarf alle Risikoforschung der laufenden Analyse sämtlicher Fakten und Normen, die für die Beurteilung von Risiken und Gefahren menschlichen Handelns im praktischen Lebenszusammenhang Relevanz besitzen.2 Nur auf dieser Grundlage kann eine sozialadäquate Verantwortungsattribution ins Werk gesetzt und mit Mitteln des Rechts institutionell auf Dauer gestellt werden. Die Suche nach den Richtschnuren angemessener Verantwortungsattribution wird somit dadurch bestimmt und geprägt, daß bei der normativen Regulierung menschlichen Verhaltens sowohl eine kausale Verantwortungszurechnung im Sinne einer Korrelation von früheren Ursachen und späteren Wirkungen erfolgt, als auch eine genuin normative Verantwortungszurechnung, durch die Normen richtigen Verhaltens, hier zugleich verstanden als rechtliche Mittel zur Verwirklichung bezweckter Wirkungen, aufgestellt werden. Ihre 1

Zur Unterscheidung von Handeln als Praxis und Handeln als Bewirken: F. Kaulbach, Einführung in die Philosophie des Handelns, Darmstadt 1982, S. 8ff., 12ff., 56ff. 2 Eingehend zum Risikobegriff: U. Di Fabio , Entscheidungsprobleme in der Risikoverwaltung. Ist der Umgang mit Risiken rechtlich operationalisierbar? In: Natur und Recht. Zeitschrift für das gesamte Recht zum Schutze der natürlichen Lebensgrundlagen der Umwelt 13 (1991), S. 353-359,354ff.; U. Diederichsen, Risikobewältigung durch Jurisprudenz, in: M. Schüz (Hrsg.), Risiko und Wagnis. Die Herausforderung der industriellen Gesellschaft, Pfullingen 1990, Bd. 1, S. 150-171. Vgl. ferner: M. Schüz, Werte und Wertwandel in der Risiko-Beurteilung, in: ders. (Hrsg.), Risiko und Wagnis, ebd., Bd. 2, S. 217-242, 221 ff., 230ff.

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kommunikative Funktion als Richtschnur und Programm menschlichen Sozialverhaltens vermögen sie dadurch zu entfalten, daß sie, informations- und kommunikationstheoretisch betrachtet, durch Normsätze symbolisch präsent gehalten, in die konditionierte Sollform rechtlicher Wenn-Dann-Beziehungen gebracht sowie miteinander verknüpft und vernetzt werden. Infolgedessen haben Rechtsnormen, insbesondere Gesetzesnormen, nicht nur eine am Verhältnis von Ursache und Wirkung orientierte, sondern zugleich normative Wirkungsstruktur, deren Gebotsform das Eintreten vorab disponierter Verhaltensweisen bezweckt und zu bewirken vermag. Auch sind alle derartigen kausalen Überlegungen typischerweise eingebaut in eine normative Konditionalstruktur derart, daß auf das Eintreten gewisser Wenns stets gewisse Danns folgen sollen. Beide Arten der Attribution von Verantwortung bauen somit aufeinander auf und setzen sich wechselseitig voraus. Rechtstechnisch gesehen, werden sie im Aufbau gesetzlicher Tatbestände so eng miteinander verknüpft und verwoben, daß auf dieser einheitlichen — freilich noch immer generellen und abstrakten, von den Umständen des Einzelfalls absehenden — Rechtsgrundlage im Anschluß daran auch eine individuelle und konkrete Verantwortungszuteilung durchgeführt werden kann. Dies geschieht im Wege juristischen Entscheidens. Von dem Zusammenspiel genereller und individueller Verantwortungsattribution wird im folgenden noch sehr eingehend die Rede sein. Ganz unabhängig von den obigen, bereits etablierten Formen normativer Verantwortungsattribution, die in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft auf allen Ebenen des sozialen Zusammenlebens institutionell fest verankert sind, wird mit Blick auf die ökologischen Risiken und Gefahren, denen alles menschliche Leben zunehmend ausgesetzt erscheint, gegenwärtig erneut die Frage aufgeworfen, ob nicht durch die den Menschen umgebende Natur bzw. durch die ihm selbst eigene Vernunftnatur seinen möglichen / wirklichen Aktivitäten zugleich Grenzen gezogen werden, deren Überschreitung von ihm zu verantworten ist. Derartige Grenzbestimmungen, deren Beachtung einer heute weit verbreiteten Auffassung zufolge dem Menschen (sei es der einzelnen Individualperson, sei es der Menschheit als Gattung!) obliegt, könnten — einmal vorausgesetzt, aber nicht zugestanden, sie wären als solche für jedermann klar erkennbar! — geeignet erscheinen, im Dienste

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normativer Verantwortungsattribution diejenigen Maßstäbe und Kriterien abzugeben, deren auch die individuell angemessene, konkrete Verantwortungszuteilung so dringend bedarf. Die unbelebte und belebte Natur als solche bzw. die Vernunftnatur des Menschen werden hier selbst als Maßstäbe angesehen, die jeder Rechtsordnung iwrgeordnet erscheinen in dem Sinne, daß alles Recht sich an ihnen zu orientieren habe. Dies soll — nach der hier vorausgesetzten, aber vom Verfasser nicht geteilten rechts ethischen Auffassung! — auch und gerade für die praktische Risikoorientierung und die rechtliche Verantwortungsattribution gelten. Vom Standpunkt eines normentheoretischen Skeptizismus aus betrachtet, der den Geltungsgrund allen Rechts hingegen weder in der den Menschen umgebenden Natur als solcher noch in einer präsupponierten Vernunftnatur des Menschen zu erblicken vermag, gerät eine derartige normative Verantwortungsattribution jedoch in Gefahr, durch Selbstapriorisierung in ein neues Natur- oder Vernunftrechtsdenken abzugleiten, das die geschichtlich-gesellschaftlich bedingte, institutionelle Gesetztheit und politisch-kulturelle Systemabhängigkeit allen Rechts ignoriert bzw. letzterem nur Nachrang einräumt gegenüber einem — rechtsethisch postulierten und hypostasierten — Vernunftnaturrecht. Es erscheint daher angebracht, die außerordentlich vielschichtigen Zusammenhänge, die zwischen Natur, Vernunft und Recht nun einmal bestehen, zunächst im Rahmen einer Fallstudie zu erörtern. Die praktischen Dimensionen des Falls vermögen besser als abstrakte Erörterungen zu verdeutlichen, um was es bei der Attribution rechtlicher Verantwortung in Wirklichkeit geht. Allzu gern wird hier der Eindruck erweckt, daß die Natur der Sache Recht, mit der wir es zu tun haben, eine Sache der Natur sei, deren — vermeintlich ohne jedes menschliche Zutun entstandene und gegebene — Eigenart als solche erkannt werden könne und gegenüber dem vom Staat gesetzten oder doch abgeleiteten Recht einen rechts maßstäblichen Wert besitze. Demgegenüber wird im folgenden der Nachweis zu führen sein, daß auch das Bemühen um eine ökologisch reflektierte Rechtsauffassung — entgegen den Versuchen einer neuen Rechtsethik, die sich natur- oder vernunftrechtlich zu begründen trachtet — nicht zu einer anderen Auffassung von Begriff und Wesen des Rechts zu führen vermag.

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I. Erlaubtes Risiko und rechtswidrige Gefahr als nonnative Sicherheitsstandards rechtlicher Risikoanalyse

Im Jahre 1988 ereignete sich in der Nordsee ein großes Robbensterben. Die deutsche Öffentlichkeit — laufend informiert durch die Medien — war über das Sterben der Tiere sehr erregt; täglich wurden mehr Kadaver an die Strände gespült. Auch in den übrigen Anrainerstaaten machte sich öffentliche Empörung über das Tiersterben breit. Wie immer bei derartigen Anlässen wurden in der Öffentlichkeit vor allem drei Fragen gestellt und lebhaft diskutiert: Was ist Ursache des Robbensterbens und wer trägt die Schuld daran? Wer hat die Verantwortung für die eingetretenen Schäden und die hierdurch ausgelösten Folgeprobleme zu tragen? Wer hat überhaupt für die gegenwärtige /künftige Abwehr derartiger Risiken und Gefahren einzustehen? Die hiermit nur angedeutete Problematik einer zunächst nach Maßgabe des geltenden Rechts vorzunehmenden Attribution der Verantwortung för das Tiersterben wurde im obigen Falle noch dadurch verschärft, daß es in den Anrainerstaaten der Nordsee seit jeher zur ständigen, aber mit Mitteln des Rechts kontrollierten Praxis gehört, riskante und nicht ungefährliche Abfallstoffe jenseits der Staatsgrenzen auf Hoher See zu verbrennen und sie sodann zu verklappen, d. h. die anfallenden Überreste ins Meer zu leiten. Wirtschaftsunternehmen, die ihre Abfalle auf diese Weise beseitigen wollen, bedürfen hierfür nach geltendem Recht einer behördlichen Erlaubnis. Üblicherweise werden derartige Genehmigungen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen durch den jeweiligen Anrainerstaat erteilt. Nach deutschem Recht wird die Bundesrepublik Deutschland dabei vertreten durch den Bundesminister für Verkehr bzw. durch das Deutsche Hydrographische Institut. Beide sind an der Erteilung von Genehmigungen beteiligt. Angesichts des ohnehin schon bestehenden hohen Grades an Meeresverschmutzung wirft der obige Fall eine Reihe von Fragen auf, die mit Blick auf die normative Attribution von Verantwortung Relevanz besitzen. War Ursache des Robbensterbens die allgemeine Verschmutzung der Nordsee oder ein — tiermedizinisch nicht hinreichend identifizierter — Krankheitserreger? Oder war es die Verbrennung bzw. Einleitung der Abfallstoffe in die Hohe See, deren

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faktische Auswirkungen die Erkrankung der Robben auslösten und das Robbensterben verursachten? Wer wäre somit, rechtlich gesehen, verantwortlich, und wem wäre gegebenenfalls wegen Verletzung seiner Rechtspflichten ein Vorwurf zu machen? Sind die Wirtschaftsunternehmen verantwortlich, die die allgemeine Meeresverschmutzung herbeigeführt haben bzw. diejenigen, die die Abfallstoffe auf Hoher See verbrennen bzw. einleiten ließen? Oder sind diejenigen verantwortlich, die die Genehmigung dafür erteilt haben und, falls ja, wer von ihnen? Das Deutsche Hydrographische Institut, der Verkehrsminister oder die Bundesrepublik Deutschland? Tragen vielleicht sie alle die Schuld und trifft sie alle anteilig die Verantwortung? Und falls ja, in welchem Verhältnis? Trifft die Schuld, wenn sie nicht ganz klar und eindeutig an Personen oder Organisationen festgemacht werden kann, vielleicht die Anrainerstaaten der Nordsee insgesamt oder gar den Menschen schlechthin in seinem Verhältnis zu den Tieren? Geht es unter Umständen sogar global um die Verantwortung der Menschheit im Verhältnis zu ihrer Umwelt? Und stehen wir heute angesichts der autodestruktiven Kapazität des Menschen, die das Überleben der ganzen Gattung zu riskieren und zu gefährden vermag, möglicherweise vor der Notwendigkeit, völlig neue Maßstäbe der Verantwortungsattribution zu entwickeln? Auch Naturschutz-, Tierschutz- und Umweltschutzverbände ergriffen Partei zugunsten der noch überlebenden, aber in ihrem Bestände gefährdeten Robben. Sie nutzten die Gelegenheit, um unter Bezugnahme auf das Tiersterben in der Nordsee medienwirksam öffentliche Schuldzuweisungen auszusprechen. Einige dieser Vereinigungen erkannten und ergriffen ferner die sich bietende Chance, den Staat bzw. die Wirtschaftsunternehmen, die mit staatlicher Erlaubnis auf Hoher See Abfallstoffe verbrannt und in das Meer geleitet hatten, gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen. Da die überlebenden Robben — aus leicht einsehbaren Gründen — nicht in der Lage waren, vor Gericht zu erscheinen, waren einige dieser Verbände auf die Idee gekommen, anstelle der Robben selbst die etwaigen Rechte dieser Tiere in einem Verfahren vor Gericht anhängig zu machen. Sie taten dies, ohne von den Robben darum gebeten worden zu sein, „in Geschäftsführung ohne Auftrag", wie es im deutschen Recht heißt. In dem vor dem Verwaltungsgericht Hamburg stattfindenden Verfahren, das sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtete,

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beantragten die oben genannten Verbände (i) den Seehunden die Fähigkeit zuzusprechen, am Verfahren beteiligt zu sein und (ii) die vorgenannten Verbände als Vertreter für die Prozeßführung zu bestellen. Ich werde auf das Problem der treuhänderischen Rechtsstellung von Umweltschutzverbänden im Prozeß später noch kurz zu sprechen kommen. Beigeladen wurden in dem Verfahren eine Reihe von Wirtschaftsunternehmen, die mit staatlicher Erlaubnis Abfallstoffe in die Nordsee eingeleitet hatten. Den beteiligten Verbänden ging es hier (iii) — und erst damit sind wir bei dem in der modernen Rechtsethik höchst umstrittenen, zentralen Problem normativer Verantwortungsattribution — vor allem um die Klärung der Frage, a) ob die Seehunde in der Nordsee als zur Natur gehörige Lebewesen überhaupt eigene Rechte besitzen können und b) wer — gegebenenfalls — für die Verletzung dieser Rechte verantwortlich gemacht werden kann. Die verbreitete Auffassung, daß die Natur, insbesondere die Tiere, Eigenrechte haben, die ihnen als ihr Proprium zustehen, steht in diametralem Gegensatz zu den dem deutschen Recht zugrunde liegenden Strukturprinzipien. Danach ist alles Recht von Menschen für Menschen gemacht und kann demzufolge nicht Tieren, sondern letzten Endes nur natürlichen Personen zustehen. Die Verbände hofften jedoch, das staatliche, aber unabhängige Gericht, das bekanntlich — einmal angerufen — unter Entscheidungszwang steht, in diesem Falle dazu zu bringen, gegenüber dem Staat, gegen den sich die Klage richtete, und entgegen den Strukturprinzipien der staatlichen Rechtsordnung rechtlich Stellung zu beziehen. Das Gericht sollte auf diesem Wege veranlaßt werden, in der Frage nach der ökologischen Verantwortlichkeit des Menschen für die Natur bzw. für die Tiere rechtlich Partei zu ergreifen und in ihrem Sinne unter Zuerkennung von Eigenrechten, unter Umständen im Wege analoger Rechtsbildung, verbindlich zu entscheiden. Kein Zweifel, daß von einer derartigen richterlichen Entscheidung, wäre sie erst einmal gefallt, eine nicht unbeträchtliche Signalwirkung ausginge. In der Tat ist — einmal abgesehen von den rechtlichen Subtilitäten, mit denen berufsmäßige Entscheider gewöhnlich ihre juristische Entscheidungsarbeit beginnen — die wohl wichtigste Überlegung, zu der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg im Robben-

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fall vom 22. September 19883 Anlaß bietet, die Frage nach dem Begriff des Rechts, der hier vorausgesetzt wird, und demzufolge auch nach der Eigenart der rechtlichen Verantwortlichkeit, um die es hier geht. Können und dürfen im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland den Seehunden in der Nordsee eigene Rechte zugeschrieben werden? Gehört die Beachtung dieser „Rechte" von Tieren zu den Pflichten und der rechtlichen Verantwortlichkeit der Unternehmen oder gar des Staates und seiner Behörden? Benötigen wir vielleicht — angesichts der Gefahren, die aus der technologischen Entwicklung der modernen Gesellschaft resultieren — einen ganz neuen, ökologischen Rechtsbegriff, der sich an bestimmten moralischen oder vernünftigen Postulaten zu orientieren hat? Muß vielleicht gar der gesamte Modus der Zuschreibung und Attribution rechtlicher Verantwortung selbst geändert werden? Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als ob ein ökologischer Rechtsbegriff, der auch der Natur oder doch zumindest den Tieren, die zur belebten Natur gehören, eigene Rechte einräumt, gar nicht so neu wäre. Das römische Recht scheint das zu beweisen. Zumindest berufen sich Umweltschützer, wenn sie überhaupt rechtlich versiert sind, gern auf Ulpian D. 1.1.1.3., wo es heißt: lus istud non humani generis proprium, sed omnium animalium commune est. Danach scheint Recht nicht nur dem Menschen, sondern allen Lebewesen zuzukommen. Dies könnte auch Konsequenzen bezüglich der rechtlichen Verantwortlichkeit des Menschen für die Natur haben. Welche Schwierigkeiten die normative Verantwortungsattribution bereitet, wird vor allem deutlich, wenn man bedenkt, daß dabei höchst unterschiedliche Kriterien und Faktoren in Betracht zu ziehen sind. Offensichtlich können und müssen bei der Zuschreibung rechtlicher Verantwortung sowohl rechtliche als auch andere Gründe in Rechnung gestellt werden. Genau an dieser Stelle kommt eine weitere Erwägung zum Zuge. Wenn bei der Verantwortungsattribution auch andere, nämlich nicht rechtliche Kriterien und Faktoren in Rechnung zu stellen sind, können und dürfen dies auch moralische bzw. ethische oder sonstige vernünftige Gründe sein? Und wenn Rechtsethik Ethik ist (und nicht Rechtl): Ist eine, wie auch immer beschaffene Vernunft3

Der Beschluß des VG Hamburg ist abgedruckt in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 7 (1988), S. 1058-1061.

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moral, ein Vernunftnaturrecht oder eine derartige Rechtsethik überhaupt zuständig, wenn es um die normativ richtige Verantwortungsattribution geht? Oder maßt Rechtsethik, wenn sie sich hier zu Wort meldet, sich dabei ein Urteil an, das ihr in Sachen Recht gar nicht zusteht? Angesichts der Tatsache, daß die Technik Risiken und Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit des Menschen, aber auch für die von ihm geschaffenen Sachgüter und für seine Umwelt verursacht, erwächst der Rechtsordnung unter dem Aspekt der Risikovorsorge und Gefahrenabwehr hieraus die Aufgabe, rechtliche Regelsysteme zu schaffen und institutionell auf Dauer zu stellen, die in der Lage sind, die für alles menschliche Zusammenleben unerläßliche Sicherheit zu gewährleisten. Während die Technik früherer Epochen dem Menschen jedoch vor allem als Mittel zum Schutz gegen die Kräfte einer von ihm als bedrohlich und gefahrlich erlebten Natur diente, so wie ihn beispielsweise der Blitzableiter auf dem Dach seines Hauses vor Blitzschlag und Feuersbrunst schützte, erscheint heute die moderne Technik selbst, die — vor allem in ihrer Verbindung mit der industriellen Produktion und den sie ermöglichenden Naturwissenschaften — tief in die Lebensverhältnisse ganzer Generationen einzugreifen vermag, als Quelle von Risiken und Gefahren, die es mit Mitteln des Rechts abzuwehren gilt. Will man auf diese Technik und ihre Errungenschaften nicht schlechthin verzichten, weil dies die Lebensgrundlagen der modernen Gesellschaft zu verlassen und aufzugeben hieße, so erscheint es rechtlich ausgeschlossen, eine absolute Risikofreiheit und perfekte Sicherheit auch nur postulieren zu wollen, da beides rechtlich nicht garantiert werden könnte. Eine völlige Risikofreiheit kann es in der modernen Gesellschaft ebensowenig geben wie eine hundertprozentige Sicherheit. Die Rechtsordnung muß infolgedessen zwischen Risiko und Gefahr unterscheiden, die vermeidbaren Risiken kontrollieren, um Störungen zu verhindern, und die unvermeidbaren Risiken nach Möglichkeit auf ein vertretbares Maß begrenzen. Differenziert man zwischen Risiko und Gefahr 4 , so kann mit Risiko die vertretbar 4

Nicht überzeugend und praktisch wenig brauchbar ist die von: N. Luhmann, Soziologie des Risikos, Berlin 1991, S. 24ff., 30ff., 111 ff. getroffene Unterscheidung zwischen Risiko und Gefahr. Nach seiner

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geringe und deshalb rechtlich erlaubte Gefährdung, mit Gefahr hingegen die übermäßig riskante und deshalb rechtswidrige, zur Abwehr und zum Eingriff legitimierende Störung bezeichnet werden. Von Gefahr muß immer dann die Rede sein, wenn die mit dem Betreiben einer technischen Anlage, einer Großtechnologie oder der Emission von Schadstoffen einhergehenden Risiken zu einer Sachlage führen können, die bei ungehindertem Ereignisablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen Schaden nach sich ziehen würde. Risiko wie Gefahr werden somit bemessen nach Maßgabe der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Schäden, die Leib, Leben und Gesundheit des Menschen, aber auch sonstigen mit Mitteln des Rechts geschützten bzw. zu schützenden Sachgütern drohen. Die zentrale Problematik des Rechts besteht nach allem darin, die Grenze zu ermitteln und zu fixieren, die zwischen dem noch erlaubten Risiko und der schon rechtswidrigen Gefahr des Schadenseintritts verläuft. Eine genaue Bestimmung oder gar Definition der am Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientierten Gefahrenschwelle bereitet Schwierigkeiten nicht nur wegen der mangelnden Voraussehbarkeit, sondern vor allem wegen der schlechthin fehlenden Überschaubarkeit aller möglichen Folgen einer zweckorientierten Handlung. Die nach Maßgabe des jeweils geltenden Rechts zu bestimmenden Risiken und Gefahren eines Einsatzes der modernen Technik machen somit allenthalben gesetzliche Maßstäbe erforderlich, die als Sicherheitsstandards fungieren und damit eine normative Verantwortungsattribution ermöglichen. II. Technische Risiken, Risikomanagement und rechtsethische Dimension der Risikobewertung

Risikoanalysen sind ein Instrument der Sicherheitsbeurteilung und damit eine praktische Entscheidungshilfe, wenn es um den Einsatz Auffassung soll es darauf ankommen, ob mit Bezug auf künftige Schäden letztere (i) als Folge der Entscheidung oder (ii) nicht als Folge der Entscheidung, sondern als extern veranlaßt angesehen und zugerechnet werden. Im ersteren Fall soll von Risiko, im letzteren Falle von Gefahr gesprochen werden. Luhmanns Unterscheidung verkennt, daß die im Rahmen des rechtlichen Risikomanagements mit Mitteln des geltenden Rechts.traktierten Risiken auch extern bzw. die Gefahren auch intern veranlaßt sein können.

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moderner Technik und neuer Technologien geht sowie um ihre Bewertung und um die Bewertung möglicher Alternativen. Ganz offensichtlich vermögen Risiko-Auswirkungs-Studien zur Versachlichung der politisch-rechtlichen Entscheidungsprozesse beizutragen. Jedoch geht es bei der Beurteilung und Bewertung von Risiken nicht nur um die Erfassung und Erkenntnis risikorelevanter Ereignisse und möglicher Gefahrenquellen, sondern auch und vor allem um die Bewertung aller derartigen Risikoaussagen. Während die Risikoaòschätzung in erster Linie eine wissenschaftlich technische Aufgabe ist, die von Risikoanalytikern wahrgenommen wird, d. h. von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern, die eine Abschätzung der objektiven Risiken vornehmen, fließen in die Risikobewertung (unter Einschluß derjenigen von Alternativen) auch subjektive Einschätzungen und normativ gestützte Erwartungen ein, die mit Blick auf etwaige Risiken und Gefahren — sei es von Einzelnen, sei es von gesellschaftlichen Gruppierungen — gehegt werden. Auch ist die Öffentlichkeit sehr stark an Schutzmaßnahmen interessiert, die von ihr als unerläßlich bewertet werden, um mit den unvermeidbaren Risiken leben zu können. Die Bewertung der bereits bekannten oder erst zu ermittelnden Risiken spielt in politisch-rechtlichen wie in unternehmerischen Entscheidungsprozessen eine wichtige Rolle. Sie hat es vor allem mit der gesellschaftlichen und rechtlichen Akzeptanz technischer Projekte, moderner Großtechnologien pp. zu tun. Die letzten Endes zu treffende Risikoentscheidung ist nach allem stets eine normativwertende Entscheidung. Sie setzt unter Umständen Risikovergleiche mit ähnlichen Projekten voraus. Auch ist zu untersuchen, ob die Vermeidung bzw. der Verzicht auf das Eingehen des Risikos an einer bestimmten Stelle nicht bloß zur Verschiebung und Verlagerung des Risikos an eine andere Stelle führt. Ferner ist zu prüfen, ob nicht Sicherheitsanforderungen, die ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Vertretbarkeit festgesetzt werden, eben deswegen gerade diejenigen rechtlich geschützten Lebensgüter gefährden, zu deren Schutz sie aufgestellt wurden. Die im Einzelfall gebotene und angemessene technische Sicherheit und mit ihr die Grenze des rechtlich erlaubten Risikos verdanken sich somit nicht allein den hierfür geltenden rechtlichen Regelungen und den ihnen zugrunde liegenden Rechtsprinzipien, die in der legislatorischen Risikoentscheidung, d. h. im gesetzgeberischen Entscheidungs-

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Programm ihren verbindlichen Ausdruck finden. Maßstäbe der Risikoentscheidung, die vom Gesetzgeber zu treffen ist, sind nicht nur die Größe der drohenden Risiken und Gefahren, sondern auch der Rang der mit Mitteln des Rechts geschützten Rechtsgüter sowie die Abwägung von Risiko, Kosten und Nutzen. Wie immer auch die gesetzgeberische Festlegung der jeweiligen Sicherheitsstandards aussehen mag, so kann die zu treffende Risikoentscheidung—wegen der mangelnden Möglichkeit absoluter Risikofreiheit — nicht umhin, das gesetzgeberische Jurisdiktionsprogramm in mehr oder weniger großem Abstand von der nicht erreichbaren absoluten Sicherheit zu etablieren. Sie muß infolgedessen die — wenn auch nur entfernte — Möglichkeit eines Schadens für Leib, Leben und Gesundheit, aber auch für Sachgüter und für die Umwelt selbst in Kauf nehmen, bleibt also selbst stets mit Risiken und unter Umständen Gefahren behaftet. Ob letzten Endes nur ein vertretbar geringes Risiko vorliegt oder schon eine Gefahr im Rechtssinne, bei deren Vorliegen die zuständigen Behörden aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung zum Einschreiten befugt oder gar verpflichtet sind, ist somit keine Frage des bloßen Gesetzesvollzugs. Vielmehr geht es im Grenzbereich zwischen Risiko und Gefahr stets darum, die normative Regelungsaufgabe zu bewältigen, die der Gesetzgeber den Behörden und Gerichten durch die Verwendung von Generalklauseln und unbestimmten Gesetzesund Rechtsbegriffen praktisch aufgenötigt hat. Auch geht es bei diesem Risikomanagement nicht nur um die rechtliche Regulierung des Umgangs mit Risiken und Gefahren, insbesondere nicht nur um die Abwehr bereits eingetretener Gefahren bzw. um die Abwicklung von schon eingetretenen Schäden, sondern vor allem um die Schadensvorsorge und Schadensverhütung. Wegen des Fehlens von hinreichend individualisierten konkreten Kontroll- und Entscheidungsmaßstäben müssen Behörden und Gerichte die normativen Regelungsdefizite ausgleichen, indem sie sich von Fall zu Fall um die Bestimmung der Grenze zwischen Risiko und Gefahr bemühen. Dies geschieht unter Abwägung und Bewertung aller rechtlich einschlägigen Maßstäbe und Kriterien. Risikoentscheidung und Risikobewertung sind somit stets ein Zusammenspiel von technisch-wissenschaftlichen Analysen mit der politisch-rechtlichen EntscheidungsVerantwortung. Auch obliegt die Bewertungskompetenz, die bei jeder Risikobewertung immer schon

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vorausgesetzt werden muß, im staatlich organisierten Rechtssystem der modernen Gesellschaft nie einem staatlichen Entscheidungs- und Verantwortungsträger allein. Die im Rahmen rechtlicher Risikoanalysen zu betätigende Bewertungskompetenz ist stets geteilt zumindest in dem Sinne, daß sie dem Gesetzgeber und den gesetzesvollziehenden Organen zusteht. Die normative Einschätzung, welche Risiken noch hingenommen werden können und welche von Seiten des Staates mit Mitteln des Rechts zu bekämpfen sind, obliegt dem Gesetzgeber sowie dem Rechtsanwender nach Maßgabe des Gesetzes. Die ständig wachsende Vielzahl und Vielfalt der Sicherheitsanforderungen und jeweils gegebenen Randbedingungen macht zugleich eine immer individuellere und flexiblere, möglichst situationsgerechte Ausgestaltung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen erforderlich, bei der auch gesteigerte Anforderungen an die wirtschaftliche Vertretbarkeit der zu treffenden Vorkehrungen und an ihren zu erwartenden Nutzen gestellt werden. Sicherheitskriterien, Zielvorgaben und Sicherheitsziele werden angesichts einer zunehmend sensiblen Öffentlichkeit auf einer höheren Ebene gegenüber den rein technischen Anwendungsfragen normativ-institutionell verselbständigt, wie beim Umweltschutz als Staatsaufgabe deutlich wird. Auch wenn viele Einzelne einem relativ niedrigen individuellen Risiko ausgesetzt sein mögen, kann — wie ein Vergleich der Risikobewertung aus der Sicht des Einzelnen mit der Bewertung des kollektiven Risikos zeigt — das aus einer Risikosituation oder aus riskanten Aktivitäten erwachsende Ausmaß einer Gefährdung der Allgemeinheit insgesamt ungleich größer und von ganz anderer Beschaffenheit sein, wie der Fall einer Nuklearkatastrophe verdeutlicht. Die moderne Risikoforschung kann und darf sich infolgedessen nicht auf Risikoanalysen beschränken, in denen die Voraussetzungen und Folgen wirklicher/möglicher technischer Unfälle unter dem Gesichtspunkt einer rein technischen Risikokontrolle, Gefahrenabwehr und Schadensvorsorge behandelt werden. Es geht im Zeitalter moderner Großtechnologien heute nicht mehr allein um technische Risiken und Gefahren im engeren Sinne, sondern — weit darüber hinausgehend — auch um ihre politischen, moralischen und rechtlichen Implikationen, sowie die gesellschaftlichen Voraussetzungen riskanter Aktivitäten, die in den Bereich normativer Risikound Verantwortungsattribution gerückt sind.

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All dies macht es möglich und nötig, umfassende Strategien der Risikobewältigung zu entwickeln mit dem Ziel, eine laufende Risikokontrolle zu etablieren. Diese hat sich nicht nur an Risikomessungen und Grenzwerten zu orientieren, sondern muß zur Ausarbeitung und Evaluation von gesundheitlichen, politischen und sozialen Zielen und Prioritäten beitragen. Sie steht ferner im Dienste des Risikoschutzes durch Festlegung bestimmter Sicherheitsstandards und der Gefahrenvorsorge nach Maßgabe von Vorsorgegrenzwerten. Auf diese Weise erscheint es denkbar und praktikabel, ein umfassendes Risikomanagement als nationale Aufgabe zu betreiben. Der Staat selbst wird nun als verpflichtet angesehen, ein Netzwerk von gesetzlichen Regelungen zu schaffen, deren Beachtung hinreichende Sicherheit gewährleistet. Praktisch bedeutet dies, daß etwaige technische Risiken rechtlich nicht zugelassen werden dürfen, sofern sie nicht hinreichend beherrschbar sind und Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit der Menschen nach sich ziehen. Auch wird vom Staat erwartet, nicht bloße Risikoabwehr zu betreiben, sondern auch eine sehr weitgehende Gefahren- und Schadensvorsorge mit dem Ziel, das technische Gesamtrisiko tunlichst zu vermindern und damit die nationale Risikobilanz nach Möglichkeit zu verbessern.

III. Begriff und Arten rechtlicher Verantwortungsattribution

Nicht von ungefähr werden das Wort und der Begriff Verantwortung zuerst und bevorzugt verwendet in den Vorstellungskontexten der christlichen Religion und im Bereich des Rechts, vor allem im Zusammenhang mit der Gerichtspraxis. In beiden Bereichen geht es um die Begründung, Rechtfertigung, Verteidigung und Erklärung menschlichen Handelns vor einer himmlischen oder irdischen Instanz und Autorität. Ganz in diesem Sinne setzt Verantwortung beispielsweise den Ruf Gottes an Adam, den Menschen voraus: „Wo bist du?" {Gen 3,9) oder die an Kain adressierte Frage „Wo ist dein Bruder Abel?" {Gen 4,9). Beide Anrufe bringen in expressiver, eine normative Erwartung zum Ausdruck bringender Weise die Verantwortung des Menschen vor Gott zum Ausdruck. 5 Zugleich beziehen sie sich aber 5 Dazu und zum folgenden: E. WürthweinjO. Stuttgart 1982, S. 9ff., 14f.

Merk, Verantwortung,

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auch auf die Verantwortung des Menschen gegenüber dem Mitmenschen. Auf die Frage nach seinem Bruder Abel antwortet Kain in charakteristischer, seine Ver-Antwortung ablehnender Weise: „Bin ich der Hüter meines Bruders?" Das deutsche Wort „verantworten" taucht augenscheinlich zuerst im Mittelhochdeutschen auf. 6 Jedoch ist das, was mit Verantwortung der Sache nach gemeint ist, selbstverständlich sehr viel älter. Das zeigt nicht nur die Begriffsgeschichte von Verantwortung, sondern auch diejenige ihrer terminologischen Vorläufer. Zu denken ist dabei im Hinblick auf Verantwortung vor allem an das Wort und den Begriff Imputation (lat. imputatio: Anrechnung, Zurechnung) 7 und an dessen angelsächsische sonstige Entsprechungen (engl./amerik. responsibility ).8 Ich kann und brauche darauf nicht näher eingehen, da es mir hier nur um eine kursorische Charakteristik der wesentlichen Elemente des Verantwortungsbegriffs geht. Die soeben skizzierten Vorstellungen brauchten nur noch säkularisiert, d.h. ihres religiös-normativen Gehalts entkleidet zu werden, um zum Recht und zur Problematik rechtlicher Verantwortung zu gelangen. 1. Das Wort und der Begriff Verantwortung gehören offensichtlich zu jenen umgangssprachlichen Ausdrücken, die Wittgenstein gelegentlich als Familienbegriffe bezeichnet hat. Das heißt mit anderen Worten: Was mit Verantwortung und rechtlicher Verantwortlichkeit gemeint ist, kann in gegenständlicher, normativ-inhaltlicher Hinsicht praktisch so unterschiedlich sein, daß man weitere, eindeutigere Teilbegriffe zur näheren Kennzeichnung heranziehen muß. a) Es muß auffallen, daß im alltäglichen Sprachgebrauch gewöhnlich nicht global von Verantwortlichkeit und Verantwortung gespro6

M. Forschner, Verantwortung, in: Staatslexikon in 5 Bänden, hrsg. von der Görres- Gesellschaft, 7., völlig neu bearbeitete Auflage, Freiburg i. Br. 1989, Sp. 589-593, 590. 7 So schon: J. G. Darjes, Institutiones Iurisprudentiae Universalis, Jena 1740, Pars Generalis, §225, der zutreffend zwei Schritte der Zurechnung unterscheidet, nämlich (i) die imputatio iuris und (ii) die imputatio facti. 8 Hierzu vor allem: L. Freund , Responsibility — Definitions, Distinctions, and Applications in Various Contexts, in: C. J. Friedrich (Ed.), Responsibility, New York 1960, S. 28-42. 11 Recht und Natur

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chen wird. Die Eigenart der Verantwortung wird vielmehr fast immer in begrifflicher Hinsicht durch differenzierende Zusätze charakterisiert. Man spricht nicht von Verantwortung schlechthin, sondern von religiöser, politischer, wirtschaftlicher, sozialer, pädagogischer, moralischer oder rechtlicher Verantwortung usf. b) Hinzu kommt, daß alle nicht rechtlichen Verantwortlichkeiten mit Mitteln des Rechts reguliert und auf diese Weise noch einmal in ihrem Inhalt modifiziert und konditioniert werden können. So kann man beispielsweise die nach Auffassung praktischer Pädagogik oder der Erziehungswissenschaften zu beachtende pädagogische Autonomie und eigenständige Verantwortlichkeit des Erziehers in den mit Mitteln des staatlichen Rechts institutionell auf Dauer gestellten schulischen Einrichtungen einer teils engeren, teils weiteren Verantwortlichkeit unterwerfen. Rechtlich gesehen, besteht infolgedessen die pädagogische Autonomie und Eigenverantwortlichkeit des Lehrers nur im Rahmen seiner praktischen, mit Mitteln des Rechts institutionalisierten Verantwortlichkeit, der durch die Verfassung, die Schulgesetze und das Beamtenrecht gezogen wird, und darüber hinaus nur insoweit, als das geltende Recht hierfür im übrigen noch Raum läßt. c) Im Hinblick auf das normativ-praktische religiöse bzw. rechtliche Syndrom der Attribution und Zuschreibung von Verantwortung lassen sich gewöhnlich drei Aspekte unterscheiden. Von Verantwortung und Verantwortlichkeit des Menschen sprechen wir im folgenden immer dann, wenn (i) jemand sich aufgrund und nach Maßgabe normativer Verhaltenserwartungen oder gewohnheitsmäßiger Regeln in verpflichtender Weise angerufen oder besser: zur Ordnung gerufen sieht. Dies geschieht (ii) in einer individuell-konkreten, durch den Anruf herausgehobenen Situation, auf die er — orientiert an seinem normativen Regelwissen und seinem vorhandenen, gewöhnlich freilich unzureichenden Faktenwissen mit Blick auf die situativen Umstände und konkreten Bedingungen seines Verhaltens — antwortet. Er tut dies, weil er sich (iii) in dieser Situation vor einer äußeren oder inneren Instanz verantwortlich weiß, das heißt sich als verpflichtet begreift in dem Sinne, daß er für sein (vergangenes, gegenwärtiges oder künftiges) Tun oder Unterlassen, gemessen an den ihn verpflichtenden Regeln, einzustehen hat. Eine derartige Verantwortlichkeit besteht unbeschadet dessen, daß für den Fall des Verstoßes oder

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Zuwiderhandelns gegen derartige Ansprüche dem Handelnden zusätzlich Sanktionen (ζ. B. Verlust des ewigen Seelenheils, staatlicher Zwang, insbes. Strafen, Belohnungen) angedroht bzw. in Aussicht gestellt sein können, die ihn gleichfalls in seinem Verhalten motivieren mögen. 9 Der nicht bloß formale, sondern auch substantiate Verbindlichkeitsanspruch rechtlicher Verantwortlichkeit gilt unabhängig von der Möglichkeit, ihn erforderlichenfalls auch zwangsweise durchsetzen zu können. 2. Dem Begriff der Verantwortung kommt nach allem im Bereich praktischen Handelns, aber auch der praktischen Handlungswissenschaften unter Einschluß der Philosophie eine zentrale Stellung zu. Ich kann und muß mich hier jedoch mit einer ganz knappen Charakteristik der rechtlichen Verantwortung begnügen. Ich verzichte dabei auf die zeitraubende Erörterung von Beispielen und auf das Zitieren von Rechtsvorschriften. Dem Juristen würden sie ohnehin nichts bringen, den Nichtjuristen noch mehr langweilen als ich es schon tue. Ich begnüge mich stattdessen mit einer stark vereinfachenden Typologie der rechtlichen Verantwortung, die für das Verständnis meiner im folgenden anzustellenden Überlegungen ausreichen dürfte. Im Gegensatz zu herkömmlichen Unterscheidungen, die gewöhnlich von zwei Arten oder Typen der Verantwortungszuteilung, nämlich einerseits von Haftung, andererseits von Schuld und Strafe ausgehen, wird hier der Versuch unternommen, zu einer weiteren Differenzierung der möglichen Arten rechtlicher Verantwortungsattribution zu gelangen. Als grundlegende Typen der Verantwortung, wie sie in rechtssprachlich fixierten und positivierten Rechtssystemen üblicherweise Verwendung finden, lassen sich vor allem drei Arten der Verantwortungszuschreibung unterscheiden. 10 Sie werden von mir 9

Daß Erzwingbarkeit und Sanktionsdrohungen nicht Begriffsmerkmale, sondern sekundäre Begleiterscheinungen sind, belegt: W. Krawietz, Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm? Konzeptionen und Begriffe des Rechts in der modernen Rechtstheorie, in: O. Weinberger j Krawietz (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, Wien 1988, S. 315-369. 10 Zu den diversen „Arten" oder „Typen" einer Verantwortungszuschreibung: H. Lenk, Über Verantwortungsbegriffe und das Verantwortungspro1*

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nicht exemplarisch belegt, sondern typmäßig angeführt und umschrieben. Sie finden sich in dieser oder jener Rechtsform gewöhnlich im Privatrecht, Strafrecht und Öffentlichen Recht. Zu ihnen gehören die Bestimmung der Haftung sowie die Bestimmungen über Schuld und Strafe sowie die Verantwortung für einen kontrollierbaren Lebensbereich. Diese Typen der rechtlichen Beurteilung, Zurechnung oder Zuschreibung von Handlungen durch Rechtsregeln besitzen in den verschiedenen Bereichen des Rechts eine ganz unterschiedliche Relevanz. Infolgedessen können die einschlägigen Rechtsbegriffe, hier verstanden als die in der jeweiligen Rechts- und Gesetzessprache formulierten Worte und Begriffe des geltenden Rechts, in diversen Rechtsordnungen durch positive Bestimmungen sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. a) Die Rechtsordnung schreibt unter bestimmten Bedingungen gewissen Personen Haftung vor, d. h. sie legt ihnen rechtliche Verantwortung dafür auf, daß etwas geschehen oder nicht geschehen soll. Auch bestimmt sie die aus der Haftung resultierenden Rechtsfolgen. Haftung bedeutet also das persönliche Einstehenmüssen für etwas, was als Rechtspflicht gesetzt ist, insbesondere das Einstehenmüssen für eingetretene Schäden oder für sonstige Folgen rechtswidrigen Verhaltens. Zu denken ist hier beispielsweise an die Produzentenhaftung, bei der in erster Linie der Erzeuger eines Produkts (und nicht derjenige, der es vertreibt!) einzustehen hat für Schäden bzw. etwaige Folgen, die durch die Mangelhaftigkeit eines Erzeugnisses, etwa eines Autos, verursacht werden. (Vergleiche hierzu das am 1.1.1990 in Kraft getretene Produkthaftungsgesetz, das eine vom Tatbestand des Verschuldens losgelöste Haftung begründet.) Die Haftung kann somit — auch ohne Verschulden des Schädigers — wegen der Gefährlichkeit bestimmter Unternehmungen als sogenannte Gefährdungshaftung ausgestaltet sein, d. h. als Haftpflicht für Schäden, die aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen, Eisenbahnen, Bergwerksanlagen u. a. m. resultieren. blem in der Technik, in: ders.j G. Ropohl (Hrsg.), Technik und Ethik, Stuttgart 1987, S. 112-148, 115ff. M . E. zu eng ist die von O. Weinberger, Norm und Institution, Wien 1988, S. 152ff., 157 f. konzipierte „Typologie der rechtlichen Verantwortung", die nur zwei „grundlegende Typen" der Verantwortungszuschreibung unterscheidet, nämlich die „Haftung" sowie „Schuld und Strafe", die beide von der „Kausalität im Recht" abgegrenzt werden.

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b) Etwas anders ist die Sachlage bei der rechtlichen Zuschreibung oder Zurechnung von Schuld und Strafe. Schuld kann rechtstheoretisch bestimmt werden als Vorwerfbarkeit der Verletzung von Rechtspflichten durch ein menschliches Handeln. So ist beispielsweise nicht das explodierende Schießpulver verantwortlich' dafür, daß die Kugel aus dem Lauf des Gewehrs geschleudert bzw. das von ihr getroffene Opfer verletzt wird, sondern der Schütze, der den Abzug des Gewehrs betätigt. Eine Person ist schuld an etwas, wenn sie die bestehende rechtliche Pflicht nicht erfüllt hat und diese Pflichtverletzung dem Handelnden als Person zugerechnet werden kann. 1 1 Die Feststellung, daß jemand an etwas schuld ist, ist immer ein rechtlicher Vorwurf, der deshalb erhoben wird, weil jemand etwas getan bzw. nicht getan oder nicht geleistet hat, wozu er von Rechts wegen verpflichtet war, oder weil er die vorgeschriebene Sorgfalt nicht aufgewendet hat, um das Eintreten unerwünschter Handlungsfolgen zu verhindern, obwohl er hierzu verpflichtet war. Schuld ist somit stets ein Vorwurf gegenüber handlungsfähigen Subjekten oder Personen. 12 Die Vorwerfbarkeit wird daher ausgeschlossen durch Umstände, die die Möglichkeit zu handeln ausschließen (ζ. B. höhere Gewalt). In diesem Sinne gibt es Schuld nicht nur im Bereich des Strafrechts 13, sondern auch in jenem des Bürgerlichen Rechts (z.B. Verschulden als Vorbedingung der Schadensersatzpflicht). Die Strafrechtssystematik definiert demgegenüber Typen von Unrechtshandlungen bzw. Typen der Schuld, so daß die strafrechtliche Verantwort-

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So schon — mit schwerlich zu überbietender Klarheit —: /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, zit. nach der von Wilhelm Weischedel herausgegebenen sechsbändigen Werkausgabe (WW): Reprografischer Nachdruck der Ausgabe: Darmstadt 1956ff., Bd. IV, 1966, Einleitung IV, S. 329: „Tat heißt eine Handlung, sofern sie unter Gesetzen der Verbindlichkeit steht... Der Handelnde wird durch einen solchen Akt als Urheber der Wirkung betrachtet, und diese, zusamt der Handlung selbst, können ihm zugerechnet werden, wenn man vorher das Gesetz kennt, kraft welches auf ihnen eine Verbindlichkeit ruht." 12

Kant, WW, Bd. IV, S. 329: „Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind." 13 Zu letzterem: Jan C. Joerden, Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs: Relationen und ihre Verkettungen, Berlin 1988, S. 30ff., 33 f.

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lichkeit als subjektorientiertes 1 4 oder personorientiertes 1 5 , v o m Gesetzgeber verfügtes Einstehenmüssen für pönalisierte Unrechtshandlungen erscheint. Dabei bewegt sich die Typologie der strafrechtlichen Schuld (d. h. der Schuldformen) i m Prinzip zwischen Vorsatz u n d Fahrlässigkeit. c) Eine dritte A r t der Verantwortungszuschreibung kann, wie Zippelius i n seiner kürzlich erschienenen Untersuchung über „ V a rianten u n d Gründe rechtlicher Verantwortlichkeit" darlegt, in einem vor allem i m Öffentlichen Recht sehr verbreiteten „Zurechnungsschema" erblickt werden. Hierdurch w i r d die pauschale Verantwortung für einen kontrollierbaren Lebensbereich ohne Rücksicht auf ein konkret nachweisbares schuldhaftes Verhalten auferlegt. 1 6 Dieses Zurechnungsschema spielt eine wichtige Rolle bei der öffentlichrechtlichen Verantwortlichkeit, insbesondere bei der „Polizeipflich-

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Zur Subjektorientiertheit der rechtlichen Verantwortungszurechnung, die im Subjekt — anders als die Moral bzw. die Ethik — nicht etwa den Menschen oder den handelnden Akteur, sondern nur den normativen Zurechnungspunkt för Rechte und Pflichten erblickt, gehört somit nicht notwendig auch die Handlungsfähigkeit in dem Sinne, daß das Subjekt auch in der Lage sein müßte, durch eigene Handlungen in Erscheinung zu treten, wie das Beispiel des ungeborenen Kindes (nasciturus) zeigt. 15

Auf die schwierige Problematik, ob neben der Einzelperson sogen. Kollektivsubjekte bzw. Kollektivpersonen — abgesehen von der Verantwortlichkeit der einzelnen Mitglieder derselben für ihren individuellen Handlungsbeitrag! — auch als Kollektiv zur Verantwortung gezogen werden können, kann hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. hierzu: G. H. v. Wright , Norm und Handlung. Eine logische Untersuchung, Königstein 1979, S. 49f., der zwischen (i) individuellen und (ii) kollektiven Handelnden unterscheidet und mit Grund die Frage aufwirft, „ob Akte, die kollektiven Handelnden zugeschrieben werden, nicht als »logische Konstruktionen 4 von Akten gewisser individueller Handelnder angesehen werden könnten". Eingehend zur rechtsbegrifflichen Semantik körperschaftlicher Personenmehrheiten und einer Kollektivverantwortlichkeit unter den geschichtlichgesellschaftlichen Bedingungen von Romanistik, Kanonistik und Publizistik sowie im geltenden Recht: W. Krametz, Körperschaft, in: J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel-Stuttgart 1976, Bd. 4, Sp. 1101-1134. 16 R. Zippelius, Varianten und Gründe rechtlicher Verantwortlichkeit, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 14 (1989), S. 257-266, 261 f.

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tigkeit" für eine Störung oder Gefahr, die von einer Sache ausgeht. Demzufolge ist nicht nur polizeipflichtig, wer eine abzuwehrende Störung oder Gefahr verursacht hat (sogen. Handlungs- oder Verhaltenshaftung), sondern auch der Eigentümer und — neben ihm — der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über die Sache, wenn die Gefahr oder Störung von einer Sache ausgeht (sogen. Zustandshaftung). Beide sind verantwortlich wegen der tatsächlichen und / oder rechtlichen Möglichkeit, auf die gefahrbringende Sache einzuwirken. Diese Verantwortlichkeit für eine gefahrbringende Sache und insoweit auch für einen kontrollierbaren Lebensbereich begegnet uns auch sonst im politischen System, ζ. B. als politische Verantwortung des Ministers für sein Ressort im Rahmen des jeweiligen Aufgaben- und Kompetenzbereichs. 17 Zu denken ist hier ferner an den weiten Bereich des Tätigwerdens staatlicher, aber auch sonstiger Organisationen und ihre Verantwortlichkeit für ihr Organisationshandeln sowie für die von ihnen überwachten Lebensbereiche. Ich werde auf diesen Typus einer pauschalierenden Verantwortungszuschreibung noch zurückkommen. 3. Verantwortlichkeit im Rechtssinne setzt nach allem jedenfalls die Geltung von praktischen Prinzipien, Gesetzen oder Regeln voraus. Sie sagen dem Verantwortlichen — bezogen auf ein in Geltung stehendes Rechtssystem — welche Handlungen (oder — bei Rechtspflicht zum Tätigwerden — welche Unterlassungen) ihm verboten, geboten oder erlaubt sind. Auch geben sie der Instanz, vor der er sich zu verantworten hat, einen Maßstab zur Beurteilung der Handlungen des Verantwortlichen. a) Die generelle Geltung derartiger Rechtsregeln basiert in staatlich organisierten Rechtssystemen auf originären, autoritativ gesetzten Akten einer Verfassungsgebung, auf denen sodann eine vielfaltige rechtliche Verantwortlichkeiten stiftende Regelsetzung aufbaut. Dies wird vor allem deutlich in den feierlichen Gründungsakten moderner Staaten. So heißt es beispielsweise in der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, das Deutsche Volk (in den damaligen Bundesländern) habe „kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt" dieses Grundgesetz beschlossen „im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen". 17

Zippelius, ebd., S. 262f.

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b) Im modernen institutionellen Flächenstaat kann mit den Mitteln bürokratischer Organisation auch die fortlaufende gesetzgeberische Produktion von Rechtsregeln institutionell auf Dauer gestellt werden dadurch, daß von Verfassungs wegen auch das Normieren normiert wird. Auf diese Weise kann sich die einmal etablierte Rechtsordnung auf allen Ebenen politisch-rechtlichen Entscheidens fortlaufend selbst produzieren und reproduzieren, zum Beispiel im Wege der Gesetzgebung (durch Bund und Länder), der Rechtsverordnungsgebung oder durch (ermächtigte) vertragliche Rechtserzeugung. 18 Sie kann dabei im Wege der Zuschreibung von Pflichten und Rechten fortlaufend neue rechtliche Verantwortlichkeiten schaffen, die dann von Verfassungs und Rechts wegen im Rahmen der jeweiligen Gesetze gelten. Zugleich vermag sie auf diesem Wege auch, sich den gewandelten politischen, wirtschaftlichen und sonstigen gesellschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Ferner kann sie durch verbindliches Setzen normativer Prämissen künftigen Verhaltens auch die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung in einzelnen Sozialbereichen mit Mitteln des Rechts beeinflussen, indem sie auch hierfür genauer umschriebene Verantwortlichkeiten fixiert. c) Wer auch immer versucht, nach Maßgabe des Rechts sein Tun oder Lassen vor sich selbst oder vor anderen zu verantworten oder andere zur Verantwortung zu ziehen, bezieht sich gewöhnlich — sei es explizit oder häufig auch nur implizit! — auf die Geltung von bereits etablierten praktischen Grundsätzen und Regeln. 19 Sie werden und brauchen nicht immer als expressis verbis schon formulierte normative Sätze vorliegen, müssen aber doch zumindest als solche durch die Rechtspraxis oder die Rechtswissenschaft formulierbar sein. Durch derartige Normsätze werden die rechtlichen Orientierungen sprachlich-symbolisch präsent gehalten. Sie können in der weitgehend versprachlichten, sozialen Kommunikation des Rechts als verbindliche, zustimmungsfahige und gegebenenfalls zustimmungspflichtige normative Informationen Geltung, Verbindlichkeit und Befolgung 18

W. Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. llOf., 139f. W. Krawietz. OdiS positive Recht und seine Funktion. Kategoriale und methodologische Überlegungen zu einer funktionalen Rechtstheorie, Berlin 1967, S. 46f., 78ff., 172ff. 19

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beanspruchen und ermöglichen damit überhaupt erst die gesellschaftsweit etablierte Praxis des Sichverantwortens, die wir im Alltags- und Rechtsleben üblicherweise als mehr oder weniger selbstverständlich erleben und die wir durch unser eigenes Tun verwirklichen, handelnd zu beeinflussen suchen und fortentwickeln. Die Fähigkeit des Menschen zur praktischen Identifikation und Erkenntnis von Rechtsvorschriften, zum wissentlichen und willentlichen Umgang mit derartigen Regeln und zu ihrer Beziehung auf sein eigenes wie auf fremdes Verhalten konstituiert allererst das, was wir gewöhnlich als persönliche Verantwortlichkeit bezeichnen. 4. Im folgenden wird davon ausgegangen, daß Verantwortung in jedem Einzelfalle (i) durch die schon institutionalisierte normative Zurechnung eines derartigen Handelns mittels praktischer Rechtsregeln und Rechtsprinzipien (imputatio iuris) sowie (ii) durch Identifikation und Zurechnung als faktisches individuelles Handeln (imputatio facti) begründet wird. Am klarsten hat Kant in seiner Einleitung in die Metaphysik der Sitten (WW, Bd. IV, S. 334) dargelegt, worum es bei der moralischen wie bei rechtlichen Attribution von Verantwortung geht. Kant spricht hier nicht von Verantwortlichkeit, sondern benutzt den älteren Ausdruck für Zurechnung, nämlich Imputation (lat. imputatio). Er unterscheidet ganz eindeutig zwischen der moralischen, bloß beurteilenden Zurechnung (imputatio diiudicatoria) und der mit Verbindlichkeit ausgestatteten, rechtskräftigen Zurechnung (imputatio valida oder iudiciaria), die durch praktische Entscheidung, insbesondere durch den Richter vorgenommen wird. Rechtliche Verantwortung wird somit in jedem Einzelfalle begründet erstens durch die schon institutionalisierte Zurechnung eines Handelns mittels praktischer Rechtsprinzipien und Rechtsregeln (imputatio iuris) und zweitens durch Identifikation und Zurechnung eines derartigen individuellen Handelns auf eine verantwortliche Person (iimputatio facti). „Zurechnung (imputatio)... ist das Urteil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann Tat (factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen wird." a) Wir können menschliche Handlungen unter Einschluß der eigenen nicht—wie andere tatsächliche Ereignisse aufgrund kausaler Gesetze! — in allen Einzelheiten vorhersehen. Wir können sie demzufolge mit Mitteln der Wissenschaft auch nur annäherungswei-

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se prognostizieren. Die das konkrete juristische Entscheidungshandeln bestimmenden normativen und faktischen Determinanten lassen sich durch Beobachtung niemals restlos aufklären oder gar antezipieren. Handlungen und Entscheidungen können auch nicht, wie etwa Naturereignisse, ausschließlich als eine erkennbare Kette von Zuständen des handelnden Subjekts und seiner Umwelt angesehen und beschrieben werden. 20 Wir können aber versuchen, diese Handlungen und ihre Orientierung an vorfabrizierten Rechtsregeln und sonstigen Informationen als systemische, d. h. als systemabhängige und systembedingte Aktivitäten zu verstehen und zu rekonstruieren. Wir verstehen eine Handlung, wenn es uns gelingt, zu beobachten, zu begreifen und zu beschreiben, von welchen normativen und faktischen Sachinformationen und Beweggründen (Motiven, Zielen und Zwecken) der Handelnde ausgeht und welche Handlungsmöglichkeiten ihm als Aktionszentrum in seiner Umwelt zur Verfügung stehen. Jedoch bedarf es hierfür einer normativrealistischen, d. h. handlungs- und sozialadäquaten institutionenbzw. systemtheoretischen Deutung. Jedes Verstehen einer Handlung basiert somit auf einer Institutionen- und systemtheoretischen Rekonstruktion der Informationsverarbeitungs- und Kommunikationsprozesse, die die Handlung bestimmen. b) Im vorstehenden Zusammenhang besteht jedoch kein Anlaß, in dem Meinungsstreit zwischen Determinismus und Indeterminismus Stellung zu nehmen und auf die Gretchenfrage nach der Freiheit des Einzelnen einzugehen. Das hier vorausgesetzte Verantwortungskonzept erscheint im Rahmen eines deterministischen wie eines indeterministischen Weltbildes vertretbar, so daß diese Problematik hier keiner weiteren Vertiefung bedarf. Ganz offensichtlich erleben wir uns nämlich als frei, wenn und weil wir den Eindruck haben, daß uns Handlungsmöglichkeiten offenstehen. 21 Dies gilt auch und gerade für die verantwortungsbewußte moralische oder rechtliche Kommu20 So aber: Joerden, Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs, S. 15 ff., 87ff., 144ff., 162f., dessen Begriff der „Verkettung" bzw. der „Kettenstrukturen" die Verantwortungszurechnung auf individuelle und kollektive Handelnde zu stark vereinfacht. 21 Zur normativen und faktischen Existenz derartiger Gestaltungsspielräume: A. Aarnio, Wegen Recht und Billigkeit, Berlin 1988, S. 48f.

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nikation, die — einmal verstanden — immer noch angenommen oder abgelehnt werden kann. Es ist insoweit eine Erfahrungstatsache, daß unser Tun und Lassen von unseren selektiven Entscheidungen abhängig, also in gewisser Weise ,frei' ist. Alle derartigen Entscheidungen basieren aber auf unserem sehr weitgehend schon institutionalisierten praktischen Wissen und das heißt: auch auf Meinungen über Tatsachen, auf zweckorientierten Einstellungen und auf Normen richtigen Entscheidens. c) Im Prozeß des an Grundsätzen, Rechtsregeln und sonstigen praktischen Informationen orientierten Entscheidens kommen immer auch die Verhaltensdispositionen und Eigenschaften der Person zur Geltung, d. h. ihre ganz persönlichen Ziele, ihre Zwecke und ihre Werte, ihre persönlichen Präferenzen und Interessen, ihre durchaus eigenständige Bewertung von Handlungsalternativen, die ihr zur Verfügung stehenden theoretischen Informationen, aber auch Erfahrungen und Vorverständnisse und sonstige internalisierte soziale Normen, wie beispielsweise diejenigen einer öffentlichen oder sozialen Moral. Ändern sich einzelne dieser Faktoren, dann kann sich auch der Inhalt der Entscheidungen und demzufolge auch das Handeln ändern. Jede deutende Erklärung des Handelns besteht im Auffinden und in einer ins Detail gehenden Identifikation dieser Faktoren, die einer Institutionen- und system theoretischen Rekonstruktion bedürfen. Aber nur unter der Voraussetzung einer Determination des Entscheidens durch äußere Faktoren, wie beispielsweise durch die objektive Situation, gesellschaftliche Einflüsse, vor allem aber durch bestehende Institutionen, Organisationen und soziale Systeme sowie durch innere Faktoren (Absichten, Zielvorstellungen, Werteinstellungen, Wissen), kann das Handeln zureichend analysiert, rekonstruiert und verstanden werden. aa) Eine Institutionen- u n d systemtheoretische Deutung vermag

zu zeigen, daß und in welchem Ausmaß die ,Person' auch unter der Geltung und den verpflichtenden Ansprüchen der Regelsysteme des Rechts gewisse Handlungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume besitzt, also ein handlungsfähiges ,Subjekt' darstellt, das sich in Abhängigkeit von praktischen und theoretischen Informationen nach internalisierten Normen, Werten, Zwecken, Interessen und sonstigen Präferenzen entscheiden und gemäß diesen Entscheidungen Handlungen realisieren kann. Institutionen- und systemtheore-

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tisch betrachtet, erweist sich somit der Handelnde als eine selektiv wirksam werdende, durch eben diese Eigenselektivität charakterisierte Schaltstelle der Verhaltenssteuerung, die — paradox formuliert — den handlungssteuernden, mit Mitteln des Rechts strukturierten Prozeß, durch den sie gelenkt werden soll und auch tatsächlich gelenkt wird, zugleich selbst leitet und mitbestimmt, indem sie durchaus eigen- und selbständig auf Informationen, Normen, soziale Ziele, Zwecke und Werte sowie sonstige Motivationen (Belohnung, Zwang, Strafe) reagiert. Es erscheint daher zumindest,nicht unvernünftig' und jedenfalls rational, in erster Linie den Handelnden selbst als Träger der Verantwortung heranzuziehen, um vor allem ihm eventuelle Haftung, Schuld oder Strafe zuzurechnen oder ihm im Rahmen seines Aufgaben- und Kompetenzbereichs die Verantwortung für weitere, von ihm kontrollierte Lebensbereiche aufzuerlegen. bb) Die Charakteristik der menschlichen Person als eines handlungsfähigen Subjekts stellt sich freilich bei näherem Zusehen, d. h. für den wissenschaftlichen Beobachter, selbst als ein für Zurechnungszwecke geschaffenes, institutionell etabliertes Wahrnehmungsmuster undZurechnungskonstrukt dar. 2 2 Es bietet als solches zugleich eine Grundlage dafür, die konkrete Zurechnung von Rechten und Pflichten zu ermöglichen und praktikabel zu machen. Auch läßt es Verantwortung als praktisch sinnvoll erscheinen, selbst wenn ein derartiges Handeln vollauf determiniert sein sollte. Wenn nämlich das individuelle menschliche Handeln durch Informationen, d. h. durch praktisches Wissen und Normen beeinflußt werden kann, dann erscheint es auch, Institutionen- und systemtheoretisch gedeutet, durchaus sinnvoll, einer Person, hier verstanden als individuellkonkrete Einzelperson, Handlungspflichten aufzuerlegen und nach Maßgabe sozialer, im Rechtssystem erzeugter, institutionell auf Dauer gestellter Rechtsregeln Verantwortung zuzuschreiben. Die personale Verantwortungsattribution bedarf freilich noch von Fall zu Fall der fortlaufenden Anpassung und Ergänzung durch höchstpersönliche situationsgerechte Zurechnungsakte. 22

Noch immer grundlegend in der kritischen Auseinandersetzung mit dem tradierten deutschen Rechtsdenken seit Rudolph von Ihering und Max Weber: H. Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 1 (1970), S. 37-89, 69f., 80ff., 86f.

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IV. Autopoiese des Rechts versus ökologischer Rechtsbegriff und Eigenrecht der Natur

Angesichts des ständig wachsenden Aktions-, Kontroll- und Verantwortungsbereichs staatlicher Entscheidungsträger, insbesondere desjenigen des staatlichen Gesetzgebers, der bestrebt ist, im Wege der normativen Autopoiese, d. h. der institutionell auf Dauer gestellten, laufenden Produktion, Reproduktion und Anpassung des Rechts an die sich wandelnden Umweltgegebenheiten, durch geeignete rechtsnormative Vorkehrungen auch die bestehenden Verantwortlichkeiten des Menschen (Aufgaben, Kompetenzen, Pflichten und Rechte des Menschen) gegenüber der Natur zu fixieren, fragt es sich, ob nicht das Konzept rechtlicher Verantwortung von Staat und Bürgern selbst einer grundlegenden Revision bedarf. Ist vielleicht im Rechtsdenken selbst ein Umdenken aller grundlegenden Vorstellungen und Begriffe erforderlich, das auch den Begriff des Rechts, was immer man darunter verstehen mag, in einem noch näher zu präzisierenden ökologischen Sinne als reformbedürftig erscheinen läßt? Hat nicht der Staat oder hat nicht die Gesellschaft — zumindest in moralischer bzw. rechtsethischer Hinsicht — heute eine gesteigerte Verantwortlichkeit gegenüber der Natur, insbesondere gegenüber den nicht menschlichen Lebewesen? Und zeitigt all dies auch Konsequenzen für den rechtlichen Verantwortungsbegriff? Wenn ich künftig von Verantwortung oder gesteigerter Verantwortlichkeit rede, meine ich nicht nur die Verantwortung des Menschen für eine umweltverträgliche Verwertung des Mülls, wie im eingangs geschilderten Robben-Fall. Ich denke vor allem an das Postulat einer umweltgerechten Bewirtschaftung und verantwortungsbewußten Kultivierung unserer wichtigsten Nahrungsquellen. Hierzu gehören vor allem das Wasser, die Nutzpflanzen und eine artgerechte Tierhaltung einschließlich der Massentierhaltung. Sind wir nicht vor allem gegenüber den Tieren, von denen einige Schmerz empfinden können wie wir und so etwas wie ein Bewußtsein besitzen, verantwortlich dafür, daß sie nicht länger unter tierquälerischen Bedingungen in factory farms gehalten werden? Ich denke ferner an den rechtlichen Schutz des Grundstocks unserer gesamten Ökologie, der großen maritimen und der letzten terrestrischen Biotope und Ökosysteme. Hauptsächlich denke ich aber an das Problem der

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Entsorgung der radioaktiven Abfalle und der Aufarbeitung abbaufahiger Kunststoffe.

nicht

1. In seinem vielbeachteten Werk „Das Prinzip Verantwortung" hat Hans Jonas den Versuch unternommen, eine neue „Ethik für die technologische Zivilisation" zu entwerfen. 23 Dieses Werk beschäftigte seither die deutsche Öffentlichkeit und hat bis auf den heutigen Tag zu lebhaften Auseinandersetzungen in einer Reihe von Wissenschaften geführt, insbesondere in normativen Disziplinen, wie Pädagogik, Ökonomie und Jurisprudenz, aber auch in der praktischen Philosophie. Dem Autor geht es um eine „neue Auffassung von Rechten und Pflichten, für die keine frühere Ethik und Metaphysik auch nur Prinzipien, geschweige denn die Doktrin bietet". a) Jonas unterscheidet zwischen dem technischen Wissen und dem prognostischen Wissen. Seine Diagnose geht aus von der „Tatsache", daß gegenwärtig, in ständig steigendem Maße „das vorhersagende Wissen hinter dem technischen Wissen, das unserem Handeln die Macht gibt, zurückbleibt". Dies führe zu einer wachsenden Kluft zwischen der „Macht des Tuns" und der mangelnden „Kraft des Vorherwissens". Deshalb fordert Jonas eine ganz „neue Auffassung von Rechten und Pflichten", für die die bisherige Ethik weder geeignete Prinzipien noch brauchbare Regeln bereithalte. b) Die Verantwortung des Wissens hat für ihn vor allem deswegen ganz „neue Dimensionen" angenommen, weil die moderne Technik „Handlungen von so neuer Größenordnung, mit so neuartigen Objekten und so neuartigen Folgen eingeführt (hat), daß der Rahmen früherer Ethik sie nicht mehr fassen kann". 2 4 Zu denken ist hier vor allem an die Auswirkungen der Verwendung von Kernenergie, aber auch an den wachsenden Grad und das Ausmaß irreparabler Umweltschäden. Im Zentrum der Überlegungen von Jonas steht erstens das Verhältnis von Technologie, Macht und Wissen des Menschen und zweitens die Rolle, die das menschliche Wissen heute bei der Bestimmung der Verantwortlichkeit des Menschen spielt, d.h.

23

Dazu und zum folgenden: H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M. 1979, S. 28 f., 57 f., 172ff. 2 Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. f . , 2 f .

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die vermeintlich „neue Rolle des Wissens in der Moral" und, wie ich hinzufügen möchte, auch im Recht. c) Nach Auffassung von Jonas muß das prognostische Wissen „dem kausalen Ausmaß unseres Handelns größengleich sein". Gestützt auf diesen vermeintlich kausalen und daher erkennbaren Maßstab plädiert er für eine neue, erweiterte Verantwortlichkeit und eine neue Ethik des technischen, global relevanten „kollektiven Tuns, in dem Täter, Tat und Wirkung nicht mehr dieselben sind wie in der Nahsphäre". Ich kann mich im folgenden nicht mit dem gesamten Werk und der in ihm enthaltenen „Theorie der Verantwortung" kritisch auseinandersetzen. Ich beschränke meine Kritik auf drei Punkte, die mir wichtig erscheinen, nämlich (i) auf die von Jonas versuchte Erweiterung des Verantwortungsbegriffs, (ii) auf die von Jonas betriebene Ausweitung des Verantwortungssubjekts, d. h. des Trägers der Verantwortung, und (iii) auf seine These vom sogen. Eigenrecht der Natur. 2. Die von Jonas hier vorgenommene Erweiterung und Umdeutung des Verantwortungsbegriffs im Sinne einer „Funktion von Macht und Wissen" erscheint mir höchst problematisch. Jonas meint nämlich falschlich, die Verantwortung werde nach traditioneller Auffassung in moralischer wie in rechtlicher Hinsicht als „kausale Zurechnung begangener Taten" angesehen. Dies trifft schon deswegen nicht zu, weil es sich dabei, wie ich eingangs bereits dargelegt habe, hauptsächlich um einen normativen Zurechnungsprozeß handelt, in den gewisse Kausalitätsüberlegungen — wenn überhaupt — nur in sehr abgeschwächter Form Eingang finden. a) Dies wurde schon in den tradierten Imputationslehren hervorgehoben, in denen im Anschluß an Kant zwischen causa naturalis und causa moralis unterschieden wird. So ist — ganz im Sinne dieser älteren Verantwortungstheorien — beispielsweise der Brand, der ein Haus zerstört, die natürliche Ursache der Zerstörung (causa naturalis), während der Brandstifter, der das Feuer gelegt hat, als moralische Ursache des Brandes fungiert, indem er durch seine Handlung (causa moralis) eine notwendige Bedingung für die Zurechenbarkeit von Verantwortung setzt. Zwar ist hier noch von der causa bzw. der Kausalität die Rede, doch macht Kant unmißverständlich deutlich, daß es bei der Verantwortungsattribution um höchst selektiv verfah-

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rende, vor allem normative und evaluative geht.

Zuschreibungsprozesse

b) Es trifft auch nicht zu, daß es sich bei den von Jonas herangezogenen Beispielen aus dem Zivilrecht (Haftpflicht) und dem Strafrecht (Schuld) stets um Verantwortung für „getane Taten" handelt, die sich einer „ex-post-facto-Rechnung für das Getane" verdanken, während die von ihm propagierte „Determinierung des Zu-Tuenden" einen „ganz anderen Begriff von Verantwortung" beinhalte. 25 Aus der Sicht des Handelnden (und nicht aus der zeitlich später ansetzenden, retrospektiven Betrachtung des Richters oder eines wissenschaftlichen Beobachters!) betrachtet, ist die gewöhnliche Orientierung des Handelnden (!) am Zivil- oder Strafrecht, die ex ante eine Haftung bzw. ein Delikt zu vermeiden sucht oder in Kauf nimmt, stets eine prospektive Determinierung des zu Tuenden und keine ex-post-facto-Rechnung, so daß Jonas, ohne dies selbst zu bemerken, hier falschlich die rechtlich relevanten Perspektiven vertauscht. In recht durchsichtiger Weise wird dabei die vom Handelnden hier und jetzt anzustellende prospektive Betrachtung des anzuwendenden Rechts, auf die es bei der Selbstbeurteilung des selbstmächtigen und selbstverantwortlichen Handelns durch das Handlungssubjekt doch ganz entscheidend ankommt, durch die retrospektive Betrachtung von Jonas ersetzt, die zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen und erst ex post facto angestellt wird, d. h. nachdem gehandelt worden ist. Dieses Verwechselungsspiel der Perspektiven, das die Systemabhängigkeit allen Handelns und Zurechnens ignoriert, die differente Zurechnung des Handelns bzw. der nachträglichen Beurteilung des Handelns auf die unterschiedlichen Systemreferenzen unterschlägt und die diversen Systemreferenzen (Handelnder, Beobachter, Beobachter des Beobachters!) vertauscht, ohne dies selbst zu bemerken, ist nicht neu, sondern nur unrichtig. c) Es handelt sich somit bei der Bestimmung menschlicher Verantwortlichkeit nach wie vor im wesentlichen um normative Verfahren der Verantwortungstfttr/6«i/ö«, die hauptsächlich durch die Prinzipien und Regeln des jeweils schon geltenden Rechts bestimmt werden. Gänzlich andere als diese Prinzipien und Regeln, die vom jeweiligen Rechtssystem abhängig sind, stehen nicht zur Verfügung 25

Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 171 f., 172f.

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und werden auch von Jonas nicht namhaft gemacht. Was Wissenschaft zur praktischen Verantwortungsattribution beitragen kann, ist eine sorgfältige Risikoforschung, d. h. eine Analyse der Voraussetzungen, Risiken und Folgen technologischer Aktivitäten sowie der Evaluation und Verteilung von Verhaltens lasten, insbesondere von Pflichten und Rechten, die aber von Prinzipien und Regeln abhängig bleibt, wie sie im Rechtssystem bereits gelten. Jonas erweitert den Verantwortungsbegriff auch nicht wirklich, sondern er verfälscht ihn nur, ohne grundsätzlich andere Möglichkeiten der Verantwortungsattribution aufzuzeigen. Seine Argumentation gibt somit nichts her für die von ihm postulierte Verantwortungsenmterwwg. 3. Auch für die von Jonas mehr behauptete als begründete, neue Perspektive eines global relevanten „kollektiven Tuns", in dem „Täter, Tat und Wirkung nicht mehr dieselben sind wie in der Nahsphäre", bleibt er den Beweis der Richtigkeit seiner Behauptung schuldig. Mit der begrifflichen Ausweitung der Verantwortlichkeit auf ein Abstraktum (,der Mensch' oder gar ,die Menschheit'!) ist wenig bzw. gar nichts gewonnen. Auch die von Jonas propagierte „kollektive Tat" bzw. der „kollektive Täter" führen ja nicht zu einer gänzlich neuen Form der Verantwortungszurechnung. Das Gegenteil ist der Fall! a) Gerade wenn es um die Verantwortungszurechnung und Verfolgung von Handlungen geht, die in bestehende Organisationen eingebettet sind oder um das Handeln der Organisation als solcher, wie dies gewöhnlich bei sogenannten A^//efcin;subjekten 26 der Fall ist, erscheint wegen der îunkûonshierarchischen Organisationsstrukturen eine sorgfältige individuelle Verantwortungs^a/taHg nach Organisations-, Aufsichts- und Kontrollpflichten vonnöten. Nur so können Risiken verantwortungsbewußt getragen werden. Verantwortung wird in Großunternehmen wie in der Staatsbürokratie nicht nur topdown, sondern auch bottom-up ausgeübt. 26

Sehr kritisch gegenüber der Annahme von Kollektivsubjekten: H. Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, S. 80f. Er bezeichnet „kollektiv institutionalisierte Rechte und Interessen" zwar als „eins der auffälligsten Kennzeichen unserer Sozialstruktur", will sie aber m. E. mit Grund „auf den Hauptnenner ,Organisation 4 bringen". Vgl. ferner: U. John, Die organisierte Rechtsperson. System und Probleme der Personifikation im Zivilrecht, Berlin 1977. 12 Recht und Natur

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b) Der von Hart hierzu vorgeschlagene Begriff der Rollenverantwortung (role-responsibility) kann hier weiterhelfen, auch im Rahmen vor* Organisationen, in denen es um die arbeitsteilige Handhabung und Verkettung von Rollen-Verantwortlichkeiten geht. Der von Jonas konzipierte Verantwortungsbegriff und seine ,neue' Ethik erscheinen demgegenüber weder geeignet noch in der Lage, den etablierten Verantwortungsbegriff zu ersetzen. Indem Jonas pauschal von dem Menschen bzw. der Menschheit als globalen Zurechnungskonstrukten redet, ignoriert er nicht nur die vielfältigen sozialen Systemabhängigkeiten des Handelns, sondern er unterschlägt dabei auch die praktisch sich bietenden Möglichkeiten einer differenzierten Zurechnung des menschlichen Handelns auf unterschiedliche Systemreferenzen. Der Perspektivismus Kaulbachs kommt der sich hier bietenden Problemsicht schon recht nahe. Eine Institutionen- und systemtheoretische Rekonstruktion der tatsächlich wirksamen, kollektiv institutionalisierten Rechte und Interessen, die von Organisationen tatsächlich wahrgenommen werden, könnte hier weiterführen. 4. Was schließlich die von Jonas propagierte These vom angeblichen Eigenrecht der Natur, insbesondere die hiermit verknüpfte These vom Eigenrecht der tierischen Lebewesen angeht, so handelt es sich dabei um einen höchst fragwürdigen Versuch, der unbelebten Natur selbst oder einem nicht menschlichen Lebewesen, insbesondere den Tieren wesenseigene, twrpositive, von jeder menschlichen Rechtsetzung unabhängige, bloß moralische Rechte zuzuschreiben, die als solche kognitiv gar nicht erkennbar sind. Die Problematik dieses Vorgehens wird deutlich, wenn Jonas die Frage aufwirft, ob „der Zustand der außermenschlichen Natur, die Biosphäre als ganzes und in ihren Teilen, die jetzt unserer Macht unterworfen ist", nicht so etwas wie „einen moralischen Anspruch an uns hat — nicht nur um unsretwillen, sondern auch um ihrer selbst willen und aus eigenem Recht". Augenscheinlich geht für Jonas von der bedrohten „Fülle der Lebenswelt" ein freilich „stummer Appell um Schonung ihrer Integrität" aus. Infolgedessen will er holistisch die „Natur als eine menschliche Verantwortlichkeit" begreifen, in der seiner Auffassung nach eine „ A r t von Verpflichtung" wirksam ist. Er erblickt darin ein „Novum, über das ethische Theorie nachsinnen muß". 2 7 2

Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 7, 2 .

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a) Mir erscheint dieser Rekurs auf die Natur, die uns angeblich lehrt, daß eine gesteigerte, gänzlich andere als die bisherige Verantwortlichkeit des Menschen in der Natur selbst und aus deren „eigenem Recht" existiert, wenig plausibel. Ebensowenig vermag ich zu erkennen, daß wir qua Vernunft in der Lage wären, eine derartige Verantwortung und Verpflichtung als uns von außen vorgegeben oder flw/gegeben zu erkennen. Man muß den Eindruck gewinnen, daß die Positionen, die Jonas in seiner,neuen' Theorie der Verantwortung mit Bezug auf das Eigenrecht der Natur einnimmt, nicht neu sind, sondern alt, denn sie sind in hohem Grade naturrechtsverdächtig und basieren auf naturalistischen Fehlschlüssen. Es gibt rechtlich wie rechtswissenschaftlich betrachtet, von Natur weder einen moralischen noch einen rechtlichen Anspruch, den diese „aus eigenem Recht" geltend machen könnte, wie Jonas uns glauben machen will. Dem ist auch vom Standpunkt einer Ontologie oder eine Epistemologie des Rechts, rechtstheoretisch und rechtsphilosophisch betrachtet, nichts hinzuzufügen. Jonas Versuch einer Erweiterung des rechtlichen Verantwortungsbegriffs erscheint daher insgesamt als mißglückt. b) Auch wenn man von der These der Rechtlosigkeit der Natur und der nichtmenschlichen Lebewesen ausgeht, bedeutet dies bekanntlich noch lange nicht, daß die unbelebte Natur bzw. die Tiere rechtlich schutzlos ausgehen müßten. Die Verantwortungsattribution wird damit nur auf den mühseligen Weg einer am jeweiligen technologischen Entwicklungsstand orientierten Risikoforschung und auf den Weg einer Kooperation aller beteiligten Wissenschaften verwiesen, die zur verantwortungsbewußten Evaluation und zum Management derartiger Risiken beitragen können. Daß ein derartiges Risikomanagement in nationaler wie in internationaler Perspektive noch viel zu wünschen übrig läßt, soll hier gar nicht bestritten werden, steht aber auf einem ganz anderen Blatt. Die normativen und sozialen Mechanismen rechtlicher Verantwortungsattribution sind gesellschaftsweit längst institutionalisiert und müssen nur bedient und genutzt werden. 5. Ich komme damit abschließend zu dem Begriff des Rechts, von dem bei der Verantwortungsattribution jetzt und künftig auch im Bereich der Risikoforschung, der Evaluation von Risiken und des Risk Management auszugehen ist. 12*

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a) Seit der ökologischen Wende wird auch im deutschen Rechtsdenken zunehmend die Forderung nach einem ökologisch orientierten Rechtsbegriff vertreten. Da nach kontinentaleuropäischer, insbesondere nach deutscher Rechtsauffassung subjektive Rechte nur auf Grund und nach Maßgabe des objektiven Rechts, d.h. im Wege staatlicher Gesetzgebung und Regelung, eingeräumt werden können, fragt es sich, welchen i?ec/tòcharakter denn die sogen. Eigenrechte der Natur, insbesondere diejenigen nicht menschlicher Lebewesen besitzen könnten und sollten? Wäre ihre Anerkennung als Recht nicht, so muß man sich doch fragen, ein Rückfall des Rechtsdenkens, der — wie ein deutscher Verfassungsrechtler 28 es formuliert hat — auf eine „Remythisierung der Natur" hinausliefe? b) Gleichwohl wird immer wieder von engagierten Ökologen und Umweltschützern gefragt, ob denn wirklich nur die Menschen Rechte haben können. Immer wieder wird postuliert, daß auch die Tiere, wie beispielsweise die Robben, Fische und Vögel eigene Rechte haben oder doch zumindest haben sollten. Hier dürfte es nützlich und erhellend sein, rechtsvergleichend einen Blick auf andere Rechtssysteme zu werfen, die gleichfalls mit diesem basalen Strukturproblem normativer Kommunikation, insbesondere der Rechtskommunikation, zu tun haben. In diesem Zusammenhang ist daraufhinzuweisen, daß auch das Common Law und das US-amerikanische Rechtsdenken von der Rechtlosigkeit der natürlichen Umwelt des Menschen („rightlessness of the natural environment") ausgeht. Standardfall für diese Rechtsauffassung ist die Entscheidung des US Supreme Court vom 19. April 1972 in Sachen Sierra Club versus Morton. 29 Hier ging es um die Landschaft des kalifornischen Mineral King Valley, die in ein Skigebiet verwandelt werden sollte. Umweltschützer und Bürgerinitiativen warfen daher die Frage auf, ob nicht auch Flüsse, Täler und Bäume, die dieser Umwandlung zum Opfer fallen sollten, ,eigene

28

H. Hofmann, Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts, in: Juristen- Zeitung 43 (1988), S. 265-278, 277 f. 29 Vgl. hierzu die Entscheidung des Supreme Court v. 19.4.1972, Sierra Club v. Morton, Supreme Court Reporter, Bd. 92 A, S. 1361 ff. Hierzu vor allem: Ch. D. Stone, Should Trees Have Standing? — Toward Legal Rights for Natural Objects, in: Southern California Law Review 45 (1972), S. 450501.

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Rechte' besitzen. Berühmt wurde dieses Urteil — trotz seiner Ablehnung von Eigenrechten der Natur — durch ein abweichendes Sondervotum (dissenting vote) des Richters Douglas, der einen der Gründe für die fortschreitende Zerstörung der Natur in der fehlenden Rechtssubjektivität von Tälern, Flüssen, Seen und Bäumen erblickte. 30 c) Das Zentralproblem, um das es auch hier ging und geht, ist allein die Frage, ob „the rightlessness of the natural environment can and should change". Wenn man allerdings den Tälern, Bergen und Flüssen Rechte einräumen wollte, müßten sie dann nicht auch Pflichten haben können und wegen Verletzung dieser Verpflichtungen zur Verantwortung gezogen werden können? Ist also, um ein Beispiel zu nennen, der Rhein selbst verantwortlich, wenn er über die Ufer tritt? Oder sind die Berge verantwortlich, aus denen er kommt und in denen es zuvor geregnet hatte oder Schmelzwasser vermehrt auftrat? Oder ist der hydrologische Zyklus verantwortlich, d.h. die Natur 3 1 selbst? Spätestens hier wird deutlich, daß alle einschlägigen Vorstellungen mancher Umweltschützer, Moral- und Rechtsphilosophen, aber auch mancher Juristen an der praktischen und theoretischen Notwendigkeit scheitern, daß wir — zusammen mit unseren Mitmenschen — nicht unmittelbar mit der Natur und den Tieren kommunizieren können, sondern nur über sie. Auf diese informationellen und kommunikativen Erfordernisse muß auch der Aufbau von Rechtsordnungen Rücksicht nehmen. V. Rechtliche Verantwortlichkeit des Menschen für Natur und Umwelt

U m zu zeigen, wohin die Berufung auf ein Recht der Natur, also auf ein naturwüchsiges, d. h. ohne jedes menschliche Zutun entstande30

Hierzu das abweichende Sondervotum des Richters Douglas, in: Supreme Court Reporter, Bd. 92 A, S. 1369-1375. 31 Vgl. ferner G. Stutzin, Die Natur der Rechte und die Rechte der Natur, in: RECHTSTHEORIE 11 (1980), S. 344-355; K. Bosselmann, Eigene Rechte für die Natur? Ansätze einer ökologischen Rechtsauffassung, in: Kritische Justiz 19 (1986), S. 1-22; G. Uebersohn, Schrecken und Komik der juristischen Tierverehrung. Eine Kritik der Bosselmann'schen Wende, in: Kritische Justiz 19 (1986), S. 342-347; P. Tiedemann, Natur als Rechtssubjekt, in: RECHTSTHEORIE 20 (1989), S. 522-536.

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nes Recht bzw. auf eine Vernunftnatur und demzufolge auf ein Vernunftnaturrecht führen können, die allen menschlichen und tierischen Lebewesen als deren Proprium vermeintlich eigen sind, sei hier auf einen — zugegebenermaßen etwas drastischen — Fall hingewiesen, den der französische Rechtsphilosoph Michel Villey in der zweiten Auflage seiner 1984 erschienenen „Philosophie du Droit" mitteilt. In Frankreich wurde im 16. Jahrhundert einem Hahn der Prozeß gemacht, weil er — den Gesetzen Gottes und der Natur zuwider — ein Ei gelegt hatte, was die Natur (lex naturae, lex naturalis) doch den Hühnern vorbehalten hat. 3 2 Der Hahn wurde zum Tode verurteilt, weil er durch das Legen des Eis in erkennbarer Weise nicht nur gegen das von Gott verfügte „Gesetz der Natur", sondern auch gegen den Willen und gegen das vernünftige Gebot seines Schöpfers (lex divina) verstoßen und als Hahn seiner eigenen Vernunftnatur zuwidergehandelt hatte. 1. Spätestens damit kommen wir an den Punkt, wo sich die Frage stellt, ob die Annahme von legal rights for natural objects überhaupt mit der Positivität des Rechts vereinbar ist, letztere hier verstanden im Sinne einer normativen Handlungs- und Kommunikationstheorie, der Institutionentheorie des Rechts und der soziologischen Theorie sozialer Systeme. Würde es sich bei der Anerkennung von legal rights for natural objects nicht um einen Rückfall auf ein längst überwundenes Niveau der Evolution des Rechts handeln, nämlich um den Rückfall auf ein Naturrecht bzw. auf ein Vernunftnaturrecht, das nach heute vorherrschender Auffassung nicht als Recht angesehen werden kann, weder im objektiven noch im subjektiven Sinne? a) Hier hilft auch nicht, wie manche Umweltschützer und sympathisierende Wissenschaftler meinen, eine Berufung auf die Rechtsgeschichte und auf die eingangs erwähnte Ulpiansche Formel des römischen Rechts, wonach Recht (ius) non humani generis proprium, sed omnium animalium commune est. Wie ein Blick in die Digesten 33 beweist, ist hier nicht vom geltenden Recht, sondern, wie der voraufgehende Satz zeigt, nur vom ius naturale die Rede. Dort heißt 32

M. Villey, Philosophie du Droit, Bd. II: Les Moyens du Droit, 2. Aufl., Paris 1984, S. 183 f. 33 Ulpian D. 1.1.1.3.

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es nämlich: lus naturale est quod natura omnia ammalia docuit. Positiv geltendes Recht ist dies nichtl Schon Friedrich Carl von Savigny 34 hat deshalb geraten, „die Vorstellungsweise des Ulpian als eine Curiosität auf sich beruhen zu lassen". Damit sind alle in der Öffentlichkeit geäußerten, bisweilen auch durch Bürgerinitiativen und Wissenschaftler unterstützten Wünsche und Bestrebungen einer Änderung bei der Verantwortungsattribution auf den Weg der Positivität des Rechts verwiesen. b) Eine Antwort auf die Frage, ob bzw. wem gegenüber und wofür jemand von Rechts wegen verantwortlich ist, kann nach allem nicht unter Umgehung der hierfür bereitstehenden, institutionell auf Dauer gestellten, politisch-rechtlichen Entscheidungsverfahren gefunden werden. Auch geht es nicht an, diese mit Mitteln des Rechts etablierten, konditionierten und kontrollierten praktischen juristischen Entscheidungsverfahren durch gänzlich unabhängig davon gewonnene, in nicht institutionalisierten Prozeduren durch bloß vernünftiges Denken gewonnene Erkenntnisse einer Universalmoral ersetzen zu wollen. Die Berufung auf eine derartige Universalmoral oder eine rein vernünftige, aber erfahrungsfeindliche Diskursethik scheitert daran, daß die Bezugnahme auf allgemeine, notwendig abstrakt bleibende Regeln und Prinzipien der Vernunft keine ausreichende Grundlage für die Zuschreibung rechtlicher Verantwortlichkeit bieten kann. Über den Bestand und das Ausmaß rechtlicher Verantwortlichkeit kann nur von Fall zu Fall und nur unter Bezugnahme auf ein —jeweils schon vorausgesetztes bzw. vorauszusetzendes, geschichtlich-gesellschaftlich bedingtes, bestimmtes und geprägtes — Rechtssystem entschieden werden, dessen Regeln und Prinzipien auch die erforderlichen normativen Bestimmungen über die Verantwortungsattribution enthalten, wie im einzelnen dargelegt wurde. 2. Auf der Grundlage der hier skizzierten Konzeption rechtlicher Verantwortung können auch die meisten der von Jonas geschilderten Probleme einer adäquaten politisch-administrativen Behandlung und Lösung innerhalb des staatlich organisierten Rechtssystems oder auf gemeinschafts- oder völkerrechtlicher Ebene zugeführt werden.

** System des heutigen Römischen Rechts, Berlin 1840, Bd. 1, S. 413 ff.

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Dies gilt auch für den Bereich eines gemeinschaftlichen, insbesondere des organisierten systemischen Handelns, das die Dimension der Einzelverantwortung für menschliches Handeln zu transzendieren scheint. a) Es erscheint nicht angebracht, unter Berufung auf einen ökologischen Begriff des Rechts bloß moralische Postulate oder vielleicht sogar vernünftige Forderungen, die durch politisch-rechtliche Entscheidungen des demokratischen Gesetzgebers aber nicht oder noch nicht gedeckt sind, als vermeintlich geltendes Recht auszugeben. Dies liefe praktisch darauf hinaus, die für die Produktion von Recht institutionalisierten Lebensformen politisch-rechtlichen Entscheidens zu umgehen. Hier gilt noch immer, was schon Puchta 35 in seinem „Cursus der Institutionen" um die Mitte des vorigen Jhdts. gesagt hat: „Die Philosophen, welche das Recht aus der Vernunft ableiten, bleiben außerhalb ihres Gegenstandes. Sie kommen gar nicht oder nur durch einen Sprung zum Recht." b) Wie dargelegt, wird damit die Zuschreibung rechtlicher Verantwortung ausnahmslos auf den Weg politisch-rechtlichen Entscheidens verwiesen, durch den auch die Formen, Arten und Typen rechtlicher Verantwortungsattribution, wie Schuld, Strafe, Haftung usf., festgelegt werden. Andere als diese mit Mitteln des Rechts sozial etablierten Lebensformen der Verantwortungszuschreibung stehen bislang nicht zur Verfügung und sind auch nicht erkennbar. Über die jeweiligen normativen Inhalte der Verantwortungszuschreibung muß von Fall zu Fall in den bereits institutionalisierten Verfahren entschieden werden. 3. Nach allem ist eine gänzlich neue Dimension praktischer Verantwortung, die eine Revision des rechtlichen Verantwortungsbegriffs nahezulegen oder gar zu erzwingen vermöchte, nicht zu erkennen. a) Die bislang ungeahnte Größe und das Ausmaß der drohenden Risiken, Gefahren und Schäden ändern nichts an der Tatsache, daß andere als die unter den Bedingungen der Positivität des Rechts operierenden, institutionell auf Dauer gestellten, politisch-rechtlichen Entscheidungs- und Problemlösungsmechanismen in unserem 35

G. F. Puchta, Cursus der Institutionen, 5. Aufl., Leipzig 1856, S. 4ff.

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demokratisch verfaßten Gemeinwesen bis dato nicht zur Verfügung stehen. Ihre Möglichkeiten sind, auch was die von Jonas und mir skizzierten, rechtspolitisch ungelösten Probleme angeht, bislang bei weitem nicht ausgeschöpft, sondern müssen nur genutzt werden, anstatt die anstehenden Sachfragen zu moralisieren. b) Es erscheint mir deshalb, ohne daß ich das hier angemessen diskutieren kann, auch nicht angebracht, das Recht durch Moral oder ethisch begründete Maßhalteappelle ersetzen zu wollen, wie Jonas dies auch neuerdings versucht. 36 Das staatlich organisierte Rechtssystem ist, wie ich in anderem Zusammenhang dargelegt habe, nicht nur eine selbstselektive, sondern auch eine selbstsubstitutive Ordnung, in der fortlaufend altes Recht durch neues Recht substituiert werden kann, wenn die bisherigen normativen Problem- und Konfliktlösungen sich als unzureichend erweisen. 37 Daß bei allen rechtspolitischen Reformvorhaben auch die einschlägig befaßten Wissenschaften sehr viel stärker als bisher zu Rate gezogen werden könnten und sollten, als die bislang etablierten politisch- rechtlichen Entscheidungsmechanismen praktisch notwendig machen, ist hier nicht der entscheidende Punkt. Entgegen verbreiteten Klagen über eine vermeintlich zu weit getriebene Verrechtlichung unserer Gesellschaftsordnung stehen wir insoweit, wenn nicht alles trügt, gegenwärtig noch ganz am Anfang. c) Entgegen einer auch in Deutschland verbreiteten, aber rein akademischen Auffassung, das „Recht der nichtmenschlichen Natur" als ein „allmählich werdendes Recht" zu begreifen, das „nur stückweise, Schritt für Schritt aus der ethischen Sphäre in die rechtliche" transformiert werden könne, hat das Verwaltungsgericht Hamburg 38 sich eindeutig gegen alle „auf naturrechtliche Thesen gestützten Rechtsansichten" gewandt: „Sie scheitern, weil sie dem geschriebenen abschließenden Recht — wie dargelegt — widersprechen." Da die getroffene Regelung „abschließend" ist, besteht mangels „Regelungslücke" auch nicht etwa die Möglichkeit einer 36 H. Jonas, Warum wir heute eine Ethik der Selbstbeschränkung brauchen, in: E. Ströker (Hrsg.), Ethik der Wissenschaften? Philosophische Fragen, München 1984, S. 75-86, 83 ff. 37 Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 139ff., 150f., 172ff. 38 Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 7 (1988), S. 1059.

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Ergänzung, Analogie oder Rechtsfortbildung durch den Richter. Eine „gesetzliche Regelungslücke", die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 34, 269 (292)) das „Einfallstor für eine dem Richter erlaubte Rechtsfortbildung" abgeben könnte, sei „nicht zu erkennen". 39 „Für eine Ergänzung dieser Regelung auf dem Wege über eine richterliche Rechtsfortbildung ist kein Raum", da die getroffene Regelung „nach Wortlaut und Sinn abschließend" ist. 4. Kommen wir zum Schluß und zurück zum Robben-Fall, den das V G Hamburg durch Beschluß vom 22. September 1988 entschieden hat. a) Das V G hat den von Natur- und Umweltschutzverbänden gestellten Antrag, die Seehunde in der Nordsee in einem Verwaltungsstreitverfahren als „Beteiligte" zuzulassen, verworfen mit der Begründung, den Seehunden fehle die Fähigkeit zur Beteiligung an einem Verwaltungsstreitverfahren („Beteiligtenfahigkeit"), weil sie Tiere und nicht „natürliche Personen" sind. 40 Den tragenden Grund seiner Entscheidung erblickte das Gericht darin, „daß die Rechtsordnung die Rechtsfähigkeit und damit die Befähigung, Träger von Rechten zu sein, nur dem Menschen zuordnet". Die normative Erweiterung der Verantwortung und damit des rechtlichen Verantwortungsbegriffs hat das VG Hamburg gleichfalls abgelehnt mit der Begründung, „daß es der deutschen Rechtsordnung auch sonst fremd ist, die Personen-Eigenart, und damit die Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben, auf Tiere zu übertragen". b) Vor dem Hintergrund der hier angestellten Erwägungen erscheint es mir durchaus verständlich, daß heute der Gedanke einer Verantwortlichkeit des Menschen für das Tier, verstanden als Mitgeschöpf des Menschen, nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch manchen Juristen bewegt. U m sogen. Eigenrechte von Tieren geht es aber nur dann, wenn die Frage in Erwägung gezogen wird, ob die „Seehunde in der Nordsee" eigene Rechtssubjektivität besitzen, d.h. als nicht menschliche Lebewesen gleichwohl eigenständige, gleichsam personale Träger von Rechten sein können und sollten. Die Rechtsprechung hat dies — meines Erachtens mit Grund — eindeutig verneint. 39 40

VG Hamburg, ebd., S. 1058. Ebd., S. 1058f.

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c) Die Anerkennung einer rechtlichen, dem Grundsatz nach zu billigenden Verantwortlichkeit des Menschen för das Tier, die auch vom staatlichen Gesetzgeber, beispielsweise im Tierschutz, durchaus gesehen wird, kann und braucht keineswegs zu einer Übertragung von Rechten auf Tiere, Pflanzen und Sachgüter zu führen, da diesen nun einmal die Rechtssubjektivität fehlt und aus informationellen und kommunikativen Gründen versagt bleiben muß. Infolgedessen hat auch der staatliche Gesetzgeber, wie die praktische Zielsetzung von §1 des Tierschutzgesetzes ganz unmißverständlich deutlich macht und das VG Hamburg sehr treffend ausführt, den „Schutz des Tieres als eines Mitgeschöpfes nur als sittliche Pflicht des Menschen, nicht aber als Recht dieses Geschöpfes selbst ausgeformtDabei muß und sollte es auch bleiben. 5. Die Möglichkeiten einer rechtsimmanenten, sehr viel stärker als bisher betriebenen Verwissenschaftlichung und Rationalisierung der Rechts- und Gesellschaftsordnung unter Beteiligung der hierfür zuständigen Fachdisziplinen sind heute bei weitem nicht ausgeschöpft. Sie reichen noch weit über das hinaus, was Max Weber in seiner Theorie und Soziologie des Rechts beschrieben hat, letztere hier verstanden als deutende Beschreibung, Analyse und Erkenntnis der geschichtlich-gesellschaftlichen Bedingungen der Positivität des Rechts, an die sich auch die moderne Handlungs-, Institutionen- und Systemtheorie des Rechts anschließt. Auch könnte und sollte man die praktische Kontrolle technischer Entwicklungen als vordringliche Aufgabe der politischen, mit Mitteln des Rechts hierfür besser ausgestatteten Institutionen und Organisationen begreifen, um der bereits wirksamen politisch-rechtlichen Verantwortungsverteilung und Verantwortungsattribution in ihrem Diskurs mit den übrigen gesellschaftlichen Kräften ein stärkeres Gewicht und mehr Effektivität zu verschaffen. Der praktische juristische Diskurs, wo immer und wie immer er geführt wird, ist — verstanden als Bestandteil eines öffentlichen, nach den Prinzipien und Regeln des jeweils geltenden Rechts wirklich ablaufenden Verfahrens —jedenfalls keine Prozedur, die in ihrer primär rechtsnormativen Funktion der moralischen oder ethischen Überzeugungs- und Urteilsbildung dient, auch wenn letztere sekundär tatsächlich hieran anknüpfen mögen. Wer rechtliche Verantwortung ernst nimmt, muß auch erkennen, daß sie nun einmal mehr und etwas anderes ist als eine bloß moralische oder ethische Kategorie!

Bibliographie Friedrich Kaulbach Von Norbert Herold Übersicht

I. Selbständige Veröffentlichungen II. Herausgegebene Werke III. Veröffentlichungen in Zeitschriften, Sammelwerken, Lexika

I. Selbständige Veröffentlichungen

1. Zur Logik und Kategorienlehre der mathematischen Gegenstände. (Zur Ganzheit des theoretischen Gegenstandes, mit besonderem Hinblick auf das mathematische Existenzproblem.) Diss. phil. Erlangen: Buchdruckerei Karl Döres 1937. 160 S. 2. Das sittliche Sein und das Sollen. Eine Einführung in die Ethik. Braunschweig 1948 (Schriftenreihe der Kant-Hochschule Braunschweig, Heft 2). 3. Philosophische Grundlegung zu einer wissenschaftlichen Symbolik. Meisenheim/Glan: Anton Hain 1954. 201 S. (Monographien zur philosophischen Forschung 14). Habilitationsschrift TH Braunschweig 4. Die Metaphysik des Raumes bei Leibniz und Kant. Köln: Kölner Universitätsverlag 1960. 152 S. (Kantstudien. Erg. Heft 79). 5. Der philosophische Begriff der Bewegung. Studien zu Aristoteles, Leibniz und Kant. Köln, Graz: Böhlau Verlag 1965. X, 247 S. (Münstersche Forschungen 16). 6. Philosophie der Beschreibung. Köln, Graz: Böhlau Verlag 1968. V I I I , 488 S. 7. Immanuel Kant. Berlin: Walter de Gruyter 1969. 345 S. — 2., durchgesehene und ergänzte Auflage 1982. 356 S. (Sammlung Göschen 2221). Übersetzung ins Japanische von Kogaku Arifuku.

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Bibliographie Friedrich Kaulbach

8. Einführung in die Metaphysik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972. 244 S. — 2. Auflage 1979. — 3. Auflage 1982. — 4. Auflage 1989. 9. Ethik und Metaethik. Darstellung und Kritik metaethischer Argumente. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1974. X I V , 233 S. (Impulse der Forschung 14). Übersetzung ins Japanische von Kogaku Arifuku. 10. Das Prinzip Handlung in der Philosophie Kants. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1978. X I , 338 S. 11. Kant. Von Friedrich Kaulbach und Volker Gerhardt. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1979. 181 S. (Erträge der Forschung 105). 12. Nietzsches Idee einer Experimentalphilosophie. Köln, Wien: Böhlau Verlag 1980. X I I , 301 S. 13. Philosophie als Wissenschaft. Eine Anleitung zum Studium von Kants ,Kritik der reinen Vernunft 4 in Vorlesungen. Hildesheim: Gerstenberg Verlag 1981. 253 S. 14. Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode. Würzburg: Königshausen und Neumann 1982. 255 S. Sammlung früherer Aufsätze. Erstveröffentlichung von: Die rechtsphilosophische Version der transzendentalen Deduktion. 15. Einführung in die Philosophie des Handelns. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1982. X I I , 178 S. Übersetzung ins Japanische von Kogaku Arifuku. 16. Ästhetische Welterkenntnis bei Kant. Würzburg: Königshausen und Neumann 1984. 271 S. 17. Sprachen der ewigen Wiederkunft. Die Denksituationen des Philosophen Nietzsche und ihre Sprachstile. Würzburg: Königshausen und Neumann 1985. 75 S. (Nietzsche in der Diskussion). 18. Immanuel Kants »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten4. Interpretation und Kommentar. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1988. X, 235 S. 19. Philosophie des Perspektivismus. 1. Teil: Wahrheit und Perspektive bei Kant, Hegel und Nietzsche. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1990. X, 333 S.

Bibliographie Friedrich Kaulbach II. Herausgegebene Werke

20. Kritik und Metaphysik. Studien. Heinz Heimsoeth zum 80. Geburtstag. Hrsg. von Friedrich Kaulbach und Joachim Ritter. Berlin: Walter de Gruyter 1966. 395 S. 21. Gottlob Frege, Nachgelassene Schriften Bd. 1. Hrsg. von Hans Hermes, Friedrich Kambartel und Friedrich Kaulbach. Hamburg: F. Meiner 1969. X L I , 322 S. 22. Nicolaus Copernicus zum 500. Geburtstage. Hrsg. von Friedrich Kaulbach, Udo Wilhelm Bargenda und Jürgen Blühdorn. Köln, Wien: Böhlau 1973. XV, 270 S. 23. Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Friedrich Kaulbach und Werner Krawietz. Berlin: Duncker & Humblot 1978. L X V I I I , 839 S. 24. Zur Philosophie der mathematischen Erkenntnis. Hrsg. von Egon Börger, Donatella Barnocchi und Friedrich Kaulbach. Würzburg: Königshausen und Neumann 1981. 159 S. III. Veröffentlichungen in Zeitschriften, Sammelwerken, Lexika

25. Studien zur Kritik des Glaubens. In: Festschrift zu Ehren von Rudolf Laun. Ges. und hrsg. von Gustav Carl Sternmarck. Hamburg: Toth 1948, S. 205-215. 26. Das Vorbild in der sittlichen Erziehung. In: Bildung und Erziehung 6 (1953), S. 15-20. 27. Sprache und Wissenschaft. In: Théorie de la connaissance. Linguistique. Theory of Knowledge. Linguistics. Neuchâtel 1955. (Actes du 2 i è m e Congrès international de l'Union internationale de Philosophie des Sciences. Zürich 1954, 2, III, S. 160-167). 28. Sprache und menschliche Begegnung. In: Schweizerische Lehrerzeitung vom 18.11.1955. 29. Realitätswissen und Realitätsglauben. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 9 (1955), S. 236-239. 30. Konkretes Denken und Dialektik. Bemerkungen zu der Neuauflage der Hegelmonographie Hermann Glockners. In: Kant-Studien 47 (1955/56), S. 397-408. 31. Zum Problem des Realraumes. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 10 (1956), S. 393-410.

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Bibliographie Friedrich Kaulbach

32. Die Anschauung in der klassischen und modernen Physik. In: Philosop h a Naturalis 5 (1958), S. 66-95. 33. Die Idee des Fundamentes in der Pädagogik. In: Bildung und Erziehung 11 (1958), S. 449-464. 34. Kants Beweis des „Daseins der Gegenstände im Raum ausser mir". In: Kant-Studien 50 (1858/59), S. 323-347. 35. Geist und Raum. In: Wissenschaft und Weltbild (Wien) 12 (1959), S. 525-533. 36. Die Gesprächsgesinnung. In: Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung 14 (1959), S. 16-19. 37. Schleiermachers Theorie des Gesprächs. In: Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung 14 (1959), S. 123-132. 38. Das Raumproblem bei Kant und in der modernen Physik. In: Philosophia Naturalis 6 (1960), S. 349-363. 39. Der philosophische Begriff der Erfahrung. In: Studium Generale 14 (1961), S. 527-538. 40. Der Begriff des Standpunktes im Zusammenhang des Kantischen Denkens. In: Archiv für Philosophie 12 (1962), S. 14-45. 41. Atom und Individuum. Studien zu Heimsoeths Abhandlung „Atom, Seele, Monade". In: Zeitschrift für philosophische Forschung 17 (1963), S. 3-41. 42. Das Prinzip der Bewegung in der Philosophie Kants. Rudolf Zocher in Verehrung gewidmet. In: Kant-Studien 54 (1963), S. 3-16. 43. Leibbewußtsein und Welterfahrung beim frühen und späten Kant. In: Kant-Studien 54 (1963), S. 464-490. 44. Die Kantische Lehre von Ding und Sein in der Interpretation Heideggers. Zu M . Heidegger: ,Die Frage nach dem Ding' und ,Kants These über das Sein4. In: Kant-Studien 55 (1964), S. 194-220. 45. Schema, Bild und Modell nach den Voraussetzungen des Kantischen Denkens. In: Studium Generale 18 (1965), S. 464-479. Wieder abgedruckt in: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Hrsg. von Gerold Prauss. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1973, S. 105-129. 46. Der Zusammenhang zwischen Naturphilosophie und Geschichtsphilosophie bei Kant (Kongreßbericht des II. Internationalen Kantkongresses. Köln 1965). In: Kant-Studien 56 (1965), S. 430-451.

Bibliographie Friedrich Kaulbach 47. Weltorientierung, Weltkenntnis und pragmatische Vernunft bei Kant. In: Kritik und Metaphysik. Studien. Heinz Heimsoeth zum 80. Geburtstag. Hrsg. von Friedrich Kaulbach und Joachim Ritter. Berlin 1966, S. 60-75. 48. Subjektivität, Fundament der Erkenntnis und lebendiger Spiegel bei Leibniz, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 20 (1966), S. 471 495. 49. Der Begriff des Charakters in der Philosophie von Leibniz. In: KantStudien 57 (1966), S. 126-141. 50. Le Labyrinthe du continu. In: Archives de Philosophie 29 (1966), S. 507-535. 51. Philosophisches und mathematisches Kontinuum. Ein Ergebnis manchen Gesprächs mit Hermann Glockner. In: Rationalität, Phänomenalität, Individualität. Festgabe für Hermann und Marie Glockner. Hrsg. von Wolfgang Ritzel. Bonn: Bouvier 1966, S. 125-147. 52. Die Entwicklung des Synthesis-Gedankens bei Kant. R. Zocher zum 80. Geburtstag gewidmet. In: Studien zu Kants philosophischer Entwicklung. M i t Beiträgen von Martial Gueroult, Friedrich Kaulbach u.a. Hildesheim: Olms 1967 (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie 6), S. 56-92. 53. Philosophie und einzelne Wissenschaft bei Leibniz. In: Philosophia Naturalis 10 (1968), S. 169-185. 54. Phänomenologie der Wahrnehmung. In: Theologische Revue 64 (1968), S. 86-94. 55. Kants Theorie der Dialektik. Zu Heinz Heimsoeth: Transzendentale Dialektik. In: Kant-Studien 59 (1968), S. 240-250. 56. Schleiermachers Idee der Dialektik. In: Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie 10 (1968), S. 225-260. 57. Das Labyrinth der Freiheit. In: Akten des Internationalen LeibnizKongresses. Hannover, 14.-19. November 1966. Bd. 1: Metaphysik — Monadenlehre. Wiesbaden: Steiner 1969 (Studia Leibnitiana. Supplementa 1), S. 47-68. 58. Kant und das Problem der Geisteswissenschaften. In: I l Pensiero. Rivista quadrimestrale di filosofia 14 (1969), S. 5-34. 59. Leibniz' Begriff der Philosophie. In: Systemprinzip und Vielheit der Wissenschaften. Vortrage an der Westf. Wilhelms-Universität Münster aus Anlaß des 250. Todestages von Gottfried Wilhelm Leibniz. Hrsg. 13 Recht und Natur

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Bibliographie Friedrich Kaulbach von Udo Wilhelm Bargenda und Jürgen Blühdorn. Wiesbaden: Steiner 1969 (Studia Leibnitiana. Sonderheft 1), S. 126-144.

60. Wahrheit, Wirklichkeit und Perspektive. In: Philosophische Perspektiven 1 (1969), S. 247-290. 61. Der neue Ansatz und die geometrische Erkenntnisquelle. Einleitung zu: Gottlob Frege, Nachgelassene Schriften Bd. 1. Hrsg. von Hans Hermes, Friedrich Kambartel und Friedrich Kaulbach. Hamburg: F. Meiner 1969, S. X X V - X X X I I I . 62. Theorie und Praxis in der Philosophie Kants. In: Philosophische Perspektiven 2 (1970), S. 168-185. 63. Moral und Recht in der Philosophie Kants. In: Recht und Ethik. Zum Problem ihrer Beziehung im 19. Jahrh. Hrsg. von Jürgen Blühdorn und Joachim Ritter. Frankfurt/M.: Klostermann 1970, S. 43-58. Diskussion S. 59-76. Auch in: Nr. 14 ders., Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, S. 135-167. 64. Das Prinzip der Kontinuität bei Leibniz. In: Das Problem der Kontinuität. Mainzer Universitätsgespräche, Sommersemester 1966. Hrsg. von Peter Schneider und Otto Saame. Mainz 1970, S. 5-15. 65. Das anthropologische Interesse in Ernst Machs Positivismus. In: Positivismus im 19. Jahrhundert. Beiträge zu seiner geschichtlichen und systematischen Bedeutung. Hrsg. von Jürgen Blühdorn und Joachim Ritter. Frankfurt/M.: Klostermann 1971 (Studien zur Philosophie und Literatur des 19. Jh. 16), S. 39-55. Diskussion S. 56-79. 66. Kants transzendentale Theorie der Beschreibung. In: Der Methodenund Theorienpluralismus in den Wissenschaften. Vorträge und Diskussionen des 5. wiss. theor. Kolloquiums 1969 und des 6. wiss. theor. Kolloquiums 1970. Hrsg. von Alwin Diemer. Meisenheim/Glan: Hain 1971 (Studien zur Wissenschaftstheorie 6), S. 27-39. 67. Art. Aggregat. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter. Bd. 1. Basel: Schwabe & Co. 1971, Sp. 102. 68. Art. Anschauung. Ebd., Sp. 340-347. 69. Art. Architektonik, architektonisch. Ebd., Sp. 502-504. 70. Art. Außen/innen, Außenwelt/Innenwelt. Ebd., Sp. 679-683. 71. Art. Beschreibung II. Ebd., Sp. 842-846. 72. Art. Bewegung I. Ebd., Sp. 864-869.

Bibliographie Friedrich Kaulbach

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73. Art. Bewegung III. Ebd., Sp. 871-879. 74. Hegels Stellung zu den Einzelwissenschaften. In: Weltaspekte der Philosophie. Rudolph Berlinger zum 26. Oktober 1972. Hrsg. von Werner Beierwaltes und Wiebke Schräder. Amsterdam: Rodopi 1972, S. 181-206. 75. Naturrecht und Erfahrungsbegriff im Zeichen der Anwendung der Kantischen Rechtsphilosophie; dargestellt an den Thesen von P. J. A. Feuerbach. In: Rehabilitierung der praktischen Philosophie. Bd. I: Geschichte — Probleme — Aufgaben. Hrsg. von Manfred Riedel. Freiburg/Br.: Rombach 1972, S. 297-321. Auch in: Nr. 14 ders., Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, S. 219-243. 76. Sprache, Stand der praktischen Vernunft und Handeln. (Durch Druckfehler: Stand der Sprache, praktische Vernunft und Handeln.) In: Zeitschrift für philosophische Forschung 26 (1972), S. 493-519. 77. Art. Durchdringung. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter. Bd. II. Basel: Schwabe & Co. 1972, Sp. 300301. 78. Art. Einfachheit, einfach/zusammengesetzt. Ebd., Sp. 384-388. 79. Das Copernicanische Prinzip bei Leibniz. In: Akten des II. Internationalen Leibniz-Kongresses. Hannover, 17.-22. Juli 1972. Bd. I. Wiesbaden: Steiner 1973 (Studia Leibnitiana. Supplementa 12), S. 95-103. 80. Das Copernicanische Prinzip und die philosophische Sprache bei Leibniz. Zur 500. Wiederkehr des Geburtstages von Nicolaus Copernicus am 19. 2. 1973. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 27 (1973), S. 333-347. 81. £)ie Copernicanische Denkfigur bei Kant. In: Kant-Studien 64 (1973), S. 30-48. 82. Die Copernicanische Wende als philosophisches Prinzip, nachgewiesen bei Kant und Nietzsche. In: Nicolaus Copernicus zum 500. Geburtstage. Hrsg. von Friedrich Kaulbach, Udo Wilhelm Bargenda und Jürgen Blühdorn. Köln, Wien: Böhlau 1973, S. 26-62. 83. Dialektik und Theorie der philosophischen Methode bei Kant. Zum Kant-Kommentar von H. Heimsoeth. In: Kant-Studien 64 (1973), S. 395-410. 84. Der Begriff der Freiheit in Kants Rechtsphilosophie. Joachim Ritter zum 70. Geburtstag. In: Philosophische Perspektiven 5 (1973), S. 7891. 13*

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Bibliographie Friedrich Kaulbach Auch in: Nr. 14 der s., Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, S. 75-87.

85. Art. Ganzes/Teil I. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter. Bd. III. Basel: Schwabe & Co. 1974, Sp. 3-5. 86. Art. Ganzes/Teil IV. Ebd., Sp. 13-17. 87. Art. Geist, Laplacescher. Ebd., Sp. 206. 88. Art. Größe I. Ebd., Sp. 878-879. 89. Art. Größe. Ebd., Sp. 880-882. 90. Welchen Nutzen gibt Kant der Geschichtsphilosophie? Gerhard Funke zum 60. Geburtstag. In: Kant-Studien 66 (1975), S. 65-84. 91. Kants Theorie des Handelns. In: Akten des 4. Internationalen KantKongresses. Mainz, 6.-10. April 1974. Teil III: Vorträge. Hrsg. von Gerhard Funke. Berlin, New York: de Gruyter 1975, S. 67-83. 92. Kants Theorie des Handelns. In: Perspektiven der Philosophie 1 (1975), S. 21-55. Erweiterte Fassung des Beitrags zum Kant-Kongreß 1974. Wieder abgedruckt in: Handlungstheorien interdisziplinär. Bd. II: Handlungserklärungen und philosophische Handlungsinterpretation. Zweiter Halbband. Hrsg. von Hans Lenk. München: Fink 1979, S. 643-670. 93. Der Herrschaftsanspruch der Vernunft in Recht und Moral bei Kant. In: Kant-Studien 67 (1976), S. 390-408. Auch in: Nr. 14 ders., Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, S. 55-74. 94. Kants Metaphysik der Natur. Weltidee und Prinzip der Handlung bei Kant. Hermann Glockner zum 80. Geburtstag. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 30 (1976), S. 329-349. 95. Die Frage nach dem Gewissen im Aspekt analytischer Philosophie. In: Das Gewissen in der Diskussion. Hrsg. von Jürgen Blühdorn. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976, S. 317-342. 96. Art. Individuum und Atom. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. IV. Schwabe & Co. 1976, Sp. 299-300. 97. Art. Intussuszeption. Ebd., Sp. 544. 98. Art. Kontiguität II. Ebd., Sp. 1027. 99. Art. Kraft II. Ebd., Sp. 1180-1184.

Bibliographie Friedrich Kaulbach 100. Rez. Aron Gurwitsch, Leibniz-Philosophie des Panlogismus. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 58 (1976), S. 286-291. 101. Die Dialektik von Vernunft und Natur bei Kant. Erich Heintel zum 65. Geburtstag. In: Wiener Jahrbuch für Philosophie X (1977), S. 51-72. 102. Analytische und transzendentale Begründung der Geschichtsschreibung. Rudolph Berlinger zum 26. Oktober 1977 gewidmet. In: Perspektiven der Philosophie 3 (1977), S. 59-79. 103. Friedrich Kaulbach. In: Philosophie in Selbstdarstellungen. Hrsg. von Ludwig J. Pongratz. Hamburg: Meiner 1977, S. 189-235. 104. Heinz Heimsoeth. A d memoriam. In: Studi Internazionali di Filosofia (Turin) 9 (1977), S. 3-12. 105. Die Legitimation der Metaphysik auf der Grundlage des Kantischen Denkens. In: Metaphysik. Hrsg. von Georg Jânoska und Frank Kauz. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1977, S. 442-478. 106. Rez. Materialien zu Kants ,KrV. Hrsg. von Joachim Kopper und Rudolf Malter. In: Kant-Studien 68 (1977), S. 367-369. 107. Subjektlogik und Prädikatlogik. In: Vernünftiges Denken. Gedenkschrift für W. Kamiah. Hrsg. von Jürgen Mittelstraß und Manfred Riedel. Berlin, New York: de Gruyter 1978, S. 23-51. 108. Das transzendental-juridische Grundverhältnis im Vernunft begriff Kants und der Bezug zwischen Recht und Gesellschaft. In: Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Friedrich Kaulbach und Werner Krawietz. Berlin 1978, S. 263-286. Auch in: Nr. 14 ders., Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, S. 111-134. 109. Rechtsphilosophie und Rechtstheorie in Kants Rechtsmetaphysik. In: Philosophische Elemente der Tradition des politischen Denkens. Hrsg. von Erich Heintel. Wien, München: Oldenbourg 1979, S. 145-172. Auch in: Nr. 14 ders., Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, S. 191-217. 110. Plädoyer für ein transzendental-philosophisches Programm im Kontext der gegenwärtigen Rechtsphilosophie. In: RECHTSTHEORIE 10 (1979), S. 49-69. Auch in: Nr. 14 ders., Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, S. 89-109.

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111. Recht und Moral in der rechtsphilosophischen Situation der Gegenwart. Hans Kiefner zum 50. Geburtstag. In: RECHTSTHEORIE 10 (1979), S. 409-429. Auch in: Nr. 14 ders., Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, Würzburg 1982, S. 169-189. 112. Nietzsche und der monadologische Gedanke. In: Nietzsche-Studien 8 (1979), S. 127-156. 113. Das perspektivische Wirklichkeitsprinzip in Ε. T. A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann". In: Perspektiven der Philosophie 6 (1980), S. 187-211. 114. Die Rolle der Philosophie in der Situation des Menschen der Gegenwart. In: Akademische Festreden zum Jubiläum 1980 der W W U Münster. Münster: Aschendorff 1980, S. 55-70. 115. Art. Leib, Körper II. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. V. Basel: Schwabe & Co. 1980, Sp. 178-185. 116. Kants Idee der transzendentalen Dialektik. In: Konzepte der Dialektik. Hrsg. von Werner Becker und Wilhelm K. Essler. Frankfurt/M.: Klostermann 1981, S. 5-25. 117. Moralisches Sein und Sollen: Praktische Vernunft und Geschichte. Ein Dialog und seine Auswertung. In: Erfahrungsbezogene Ethik. Festschrift für Johannes Messner zum 90. Geburtstag. Hrsg. von Valentin Zsifkovits und Rudolf Weiler. Berlin: Duncker & Humblot 1981, S. 89103. 118. Philosophische und informa tionstheoretische Erkenntnistheorie. In: Zur Philosophie der mathematischen Erkenntnis. Hrsg. von Egon Börger, Donatella Barnocchi und Friedrich Kaulbach. Würzburg 1981, S. 137-157. 119. Die transzendentale Konstellation und der Weltbezug des Ich bei Kant. In: Revue internationale de Philosophie 35 (1981), S. 236-254. 120. Die Tugend der Gerechtigkeit und das philosophische Erkennen. In: Perspektiven der Philosophie 7 (1981), S. 103-117. Auch in: Nietzsche — kontrovers /. Hrsg. von Rudolph Berlinger und Wiebke Schräder. Würzburg: Königshausen & Neumann 1981, S. 59- 76. 121. Kants transzendentale Logik. Zwischen Subjektlogik und Prädikatlogik (Originalbeitrag 1976). In: Zur Kantforschung der Gegenwart. Hrsg. von Peter Heintel und Ludwig Nagl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1981, S. 122-145.

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