Recht und Gerechtigkeit. Philosophisch-theologische Grundlagen der westlichen Rechtstradition 9783506795410, 9783657795413


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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Kapitel 1 Einleitung
1.1 Themenstellung
1.1.1 Einführung
1.1.2 Das frühere „Narrativ“
1.1.3 Die Erschütterung des Narrativs
1.1.3.1 Zwei Thesen, zwei Gegenthesen
1.1.3.2 Die Verbindung der Gegenthesen
1.1.4 Der philosophisch-theologische Hintergrund
1.1.4.1 Die Dualität der Foren
1.1.4.2 Das Verhältnis von Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft
1.1.4.3 Philosophisch-theologische und zeitgeschichtliche Diskussionen
1.1.4.4 Das Naturrecht
1.2 Gang der Untersuchung
Kapitel 2 Scholastische Theologie und Philosophie im rechtsgeschichtlichen Kontext
2.1 Die „Rechtswirklichkeit“ des frühen Mittelalters
2.2 Die gregorianische Reform und der Investiturstreit
2.3 Die Entstehung der Universität und der Rechtswissenschaft im 11./12. Jahrhundert
2.4 Das römische Recht und seine Rezeption
2.5 Das ius commune und die Grundlagen des kanonischen Rechts
2.6 Die scholastische Methode
Kapitel 3 Recht und Gerechtigkeit bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik
3.1 Thomas v. Aquin, die Spätscholastik und De Iustitia et Iure
3.1.1 Thomas v. Aquin, die Summa Theologiae und De Iustitia et Iure
3.1.1.1 Thomas v. Aquin
3.1.1.2 Die Summa Theologiae
3.1.1.3 Einflüsse in De Iustitia et Iure und De Lege
3.1.1.3.1 Der Einfluss der aristotelischen Tugend- und Gerechtigkeitslehre
3.1.1.3.2 Der Einfluss der stoisch-ciceronianischen Gesetzeslehre
3.1.1.3.3 Der Einfluss des römischen Rechts
3.1.1.3.4 Der Einfluss des kanonischen Rechts
3.1.1.3.5 Der Einfluss von Patristik und Frühscholastik
3.1.2 Die „Spätscholastik“, die Schule von Salamanca und Thomas v. Aquin
3.1.2.1 Überblick
3.1.2.2 Der Einfluss von Thomas v. Aquin und die „Thomas-Renaissance“
3.1.2.3 Der Einfluss des Nominalismus und der franziskanischen Theologien
3.1.2.4 Inhaltliche Orientierung und Charakterisierung
3.1.2.5 De Iustitia et Iure und De Legibus
3.2 Buße und Rechtfertigung
3.2.1 Entwicklung der Bußpraxis
3.2.1.1 Die altkirchliche öffentliche Buße
3.2.1.2 Die mittelalterliche Privatbuße
3.2.2 Die scholastische Buß- und Rechtfertigungstheologie
3.2.2.1 Sünde, Schuld und Rechtfertigung
3.2.2.1.1 Der Sündenbegriff bei Augustinus und in der Frühscholastik
3.2.2.1.2 Der Sündenbegriff bei Thomas v. Aquin
3.2.2.1.3 Schuld, Strafe (poena) und Strafwürdigkeit (reatus poenae)
3.2.2.1.4 Ewige und zeitliche Sündenstrafen
3.2.2.1.5 Rechtfertigung und Gnade
3.2.2.2 Die Buße
3.2.2.2.1 Buße und Bußsakrament
3.2.2.2.2 Die Bedeutung von Absolution und Schlüsselgewalt
3.2.2.2.3 Die Wirkungen der Buße und die satisfactio
3.2.3 Zusammenfassung
3.3 Das Gesetz
3.3.1 Einführung
3.3.2 Thomas v. Aquins Gesetzeslehre
3.3.2.1 Der Gesetzesbegriff
3.3.2.2 Die Gesetzesarten und ihr Verhältnis
3.3.2.3 Ziel, Inhalt und Reichweite des menschlichen Gesetzes
3.3.3 Duns Scotus und der Voluntarismus
3.3.4 Die Gesetzeslehre bei Suárez
3.3.4.1 Der Gesetzesbegriff bei Suárez
3.3.4.2 Die Zulässigkeit und die Begründung der menschlichen Gesetze
3.3.4.3 Ziel, Inhalt und Reichweite der menschlichen Gesetze
3.4 Die Dualität der Foren
3.4.1 Gewissensforum (forum conscientiae) und forum externum
3.4.2 Die Entwicklung der beiden Foren
3.4.2.1 Kanonistische Entwicklung
3.4.2.2 Bußtheologische Begründung
3.4.2.3 Gewissensforum (forum conscientiae) und „forum exterius“ bei Thomas v. Aquin
3.4.2.4 Das Konzil von Trient und die beiden Foren
3.4.2.5 Das Gewissen
3.4.3 Die Unterschiede der beiden Foren
3.4.3.1 Überblick
3.4.3.2 Unterschiede im Verfahren und in den Beziehungen
3.4.3.3 Unterschiede im anwendbaren Recht
3.4.3.3.1 Anwendbares Recht im Gewissensforum
3.4.3.3.2 Anwendbares Recht in foro externo
3.4.3.3.3 Reichweite des menschlichen Gesetzes und Verhältnis zum natürlichen Gesetz
3.4.3.4 Unterschiede in den Rechtsfolgen und Wirkungen
3.4.4 Zusammenfassung
3.5 Recht und Gerechtigkeit
3.5.1 Einführung
3.5.2 Thomas v. Aquins Rechtslehre und spätscholastische Entwicklungen
3.5.2.1 Recht (ius) und Gerechtigkeit (iustitia)
3.5.2.1.1 Recht und Gerechtigkeit bei Thomas v. Aquin
3.5.2.1.2 Naturrecht und positives Recht
3.5.2.2 Recht in der Spätscholastik
3.5.2.2.1 Recht als „moralische Befugnis“
3.5.2.2.2 Recht und Unrecht
3.5.2.2.3 Die Korrelation von Recht und Pflicht und der relationale Charakter des Rechts
3.5.2.2.4 Zusammenfassung
3.5.3 Die Gerechtigkeitslehre
3.5.3.1 Iustitia commutativa und iustitia distributiva
3.5.3.2 Gerechtigkeit und andere Tugenden – rechtliche und moralische Pflichten
3.6 Wille, Freiheit und Person
3.6.1 Wille, Vernunft und Freiheit
3.6.1.1 Der Begriff der Willensfreiheit
3.6.1.2 Das Verhältnis von Wille, Vernunft und Freiheit
3.6.1.3 Willensfreiheit und Person
3.6.1.4 Willensfreiheit als Grund von Gesetzes- und Rechtsfähigkeit
3.6.2 Der spätantike Hintergrund: Wille und Willensfreiheit bei Augustinus
3.6.3 Die Gnaden- und Rechtfertigungslehre, der freie Wille und Molinas Willensmetaphysik
3.6.3.1 Überblick
3.6.3.2 Willensfreiheit und Rechtfertigung bei Augustinus
3.6.3.3 Willensfreiheit und Rechtfertigung bei Thomas v. Aquin
3.6.3.4 Willensfreiheit und Rechtfertigung bei Molina
3.6.3.5 Die Bedeutung von Molinas Willensmetaphysik für das Naturrecht
3.6.4 Die Christologie, die Person und die „Metaphysik der Freiheit“
3.6.4.1 Moralisches Sein und Person
3.6.4.2 Suárez’ Beschäftigung mit der Christologie im kontroverstheologischen Kontext
3.6.4.3 Der christologische Hintergrund
3.6.4.3.1 Der spätantike Ausgangspunkt: Boethius und sein Personbegriff
3.6.4.3.2 Die Lehre vom moralischen Sein bei Alexander von Hales
3.6.4.3.3 Person und Würde
3.6.4.4 Die Lehre vom moralischen Sein bei Suárez
3.6.4.4.1 Der christologische Ausgangspunkt
3.6.4.4.2 Freiheit als Fundament des Moralischen
3.6.4.4.3 Die Bedeutung des Willens
3.6.4.4.4 Die Bedeutung der Person
3.6.4.4.5 Zusammenfassung
3.6.4.4.6 Die Kritik bei Ockham und Gabriel Vázquez
3.7 Das Naturrecht
3.7.1 Voraussetzungen und Grundlagen des Naturrechts
3.7.2 Das Naturrecht bei Thomas v. Aquin und den Spätscholastikern
3.7.2.1 Das natürliche Gesetz bei Thomas v. Aquin
3.7.2.2 Das natürliche Gesetz bei Suárez und den Spätscholastikern
3.7.2.2.1 Ursprung und Verpflichtung des natürlichen Gesetzes
3.7.2.2.2 Inhalt des natürlichen Gesetzes
3.7.2.3 Das Verhältnis des natürlichen Gesetzes zum göttlichen Gesetz
3.7.2.3.1 Überblick
3.7.2.3.2 Das Neue Gesetz und die Gnade
3.7.2.3.3 Altes Gesetz und Naturrecht
3.7.2.4 Das Verhältnis von Naturrecht und natürlichem Gesetz
3.7.2.4.1 Thomas’ Ansatz
3.7.2.4.2 Suárez’ Ansätze
3.7.3 Die Universalität des Naturrechts
3.7.4 Die Wirkungen des Naturrechts
3.7.5 Die konkrete Naturrechtsordnung
3.7.5.1 Die Verrechtlichung des Naturrechts: Von der Tugendethik zum Obligationenrecht
3.7.5.2 Die Lehre vom moralischen Sein: Vom Obligationenrecht zur „Metaphysik der Freiheit“
3.7.5.3 Zeitgeschichtliche Einflüsse
3.7.5.3.1 Die Entdeckung der Neuen Welt und der Frühkapitalismus
3.7.5.3.2 Die Entstehung des „Staates“ und der Bedeutungsverlust des kirchlichen forum externum
3.7.5.4 Der Probabilismus
3.7.5.5 Die Entstehung der Moraltheologie und die jesuitische Kasuistik
3.7.5.6 Beichtsummen und die De Iustitia et Iure-Traktate
3.7.5.7 Die Erweiterung des Naturrechts
3.7.6 Folgen für das Naturrecht
3.8 Die Naturrechtslehre der Neuzeit
3.8.1 Der theologische Hintergrund der neuzeitlichen Naturrechtslehre
3.8.1.1 Rechtfertigung und Naturrecht bei Martin Luther
3.8.1.2 Luthers Zwei-Reiche-Lehre
3.8.1.3 Luthers Rechtfertigungslehre, Buße und Gericht
3.8.1.4 Naturrecht und Zwei-Reiche-Lehre
3.8.2 Die neuzeitliche Naturrechtslehre im Überblick
3.8.3 Das Naturrecht und der Krieg
3.8.3.1 Das Naturrecht bei Grotius
3.8.3.2 Das Naturrecht bei Hobbes
3.8.4 Das Naturrecht und die praktische Philosophie
3.8.4.1 Das Naturrecht bei Pufendorf
3.8.4.1.1 Ursprung und Begründung des Naturrechts
3.8.4.1.2 Naturrecht und Moralphilosophie
3.8.4.1.3 Naturrechtstheorie bei Pufendorf
3.8.4.1.4 Zurechnung und Pflicht bei Pufendorf
3.8.4.2 Das Naturrecht bei Thomasius
3.8.4.2.1 Die Änderung des Rechts- und Gesetzesbegriffs
3.8.4.2.2 Die Differenzierung von Gesetz im weiten Sinn (lex in lata significatione) und Gesetz im engen Sinn (lex stricte)
3.8.4.2.3 Die Differenzierung von natürlichem und menschlichem Gesetz
3.8.4.2.4 Die Differenzierung von iustum und honestum/decorum
3.8.4.2.5 Die Differenzierung von Naturrecht im weiten Sinn und Naturrecht im engen Sinn
3.8.4.2.6 Das Naturrecht als Norm des positiven Rechts
3.8.4.2.7 Die Differenzierung von Recht und Moral und die beiden Foren
3.8.4.3 Das Naturrecht bei Wolff
3.8.5 Das Naturrecht als Grundlage des Zivilrechts
3.8.5.1 Die Rechtfertigungstheologie, der Jansenismus und die französische Rechtslehre
3.8.5.2 Das Naturrecht bei Domat
3.8.5.3 Das Naturrecht bei Pothier
3.8.6 Das Naturrecht in den Kodifikationen
3.8.7 Die Entwicklung des Naturrechts und die Autonomie bei Kant
Kapitel 4 Die Transformation des Rechts
4.1 Subjektive Rechte und Eigentum
4.1.1 Ius und subjektives Recht
4.1.1.1 Die Entwicklungen in der Rechtswissenschaft des Mittelalters
4.1.1.2 Die philosophisch-theologischen Entwicklungen und der Rechtsbegriff in der Spätscholastik
4.1.2 dominium und ius
4.1.2.1 dominium in den Diskussionen des Mittelalters
4.1.2.2 Der franziskanische Armutsstreit
4.1.2.3 dominium, Willensfreiheit und Freiheit
4.1.2.3.1 Einführung
4.1.2.3.2 dominium, Willensfreiheit und Person bei Thomas v. Aquin
4.1.2.3.3 Vernunft und Willensfreiheit als Voraussetzung des dominium bei Vitoria
4.1.2.3.4 Vernunft und Willensfreiheit als Fundament des dominium bei Lessius
4.1.2.3.5 Willensfreiheit als Begründung der Rechtsfähigkeit
4.1.2.3.6 dominium und Freiheit
4.1.3 Die Diskussion um den subjektiven Rechtsbegriff nach Suárez
4.1.3.1 Das Recht als Bestimmung des „Mein und Dein“ bei Lugo
4.1.3.2 Das Recht als Verpflichtungs- und Willensmacht bei Sforza Pallavicino
4.1.3.3 Das Recht als Zwangsbefugnis bei Amicus
4.1.3.4 Das Recht als Abgrenzung von Freiheitsräumen bei Pérez
4.1.4 Naturrecht und Naturrechte: Eigentum, Freiheit und die Unveränderlichkeit des Naturrechts
4.1.5 Rechte als Grenzen der Rechtsetzung
4.1.6 Rechte als Grenzen der politischen Gewalt und Widerstandsrecht
4.1.7 Rechte und Vertrag
4.1.8 Sklaverei und Rechte der Sklaven
4.1.9 Zusammenfassung
4.1.10 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen
4.2 Haftungs- und Schadensrecht
4.2.1 Einleitung
4.2.1.1 Von der Bußtheologie über die Gerechtigkeitslehre zu einem subjektiv-rechtlichen Haftungsrecht
4.2.1.2 Die heutige Rechtslage
4.2.2 Das römische Recht und die gemeinrechtliche Entwicklung
4.2.3 Restitutionslehre und Bußtheologie
4.2.4 Die Restitutionslehre bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik
4.2.4.1 Restitution als rechtliche Pflicht
4.2.4.2 Die Abgrenzung von Restitution und Strafe
4.2.4.3 Restitution und subjektive Rechte
4.2.4.3.1 Die zwei Fallgruppen
4.2.4.3.2 Subjektive Rechte als Grundlage des Haftungsrechts
4.2.4.4 restitutio ratione rei acceptae
4.2.4.5 restitutio ratione acceptionis
4.2.4.6 Die Auswirkungen der Lehre vom moralischen Sein
4.2.5 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen
4.2.6 Zusammenfassung
4.3 Vertragsrecht
4.3.1 Einleitung
4.3.2 Vertrag und Vertragsfreiheit
4.3.2.1 Das römische Recht und die gemeinrechtliche Entwicklung
4.3.2.2 Die Entwicklungen im kanonischen Recht
4.3.2.3 Die Entwicklungen bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik
4.3.2.3.1 Überblick
4.3.2.3.2 Der naturrechtliche Vertragsbegriff: Die Trennung von Ursache und (Rechts-)Wirkung
4.3.2.3.3 Die naturrechtliche Vertragslehre und der philosophische Hintergrund: Wille und Willensfreiheit
4.3.2.3.4 Von der Versprechenslehre zum Vertragsbegriff
4.3.2.3.5 Das Versprechen bei Thomas v. Aquin
4.3.2.3.6 Rechtliche Verpflichtung und Verpflichtungswille
4.3.2.3.7 Die äußere Versprechenshandlung und die Erklärung des Konsenses
4.3.2.3.8 Die Notwendigkeit der Annahme (acceptatio)
4.3.2.3.9 Vertrag: Angebot und Annahme
4.3.2.3.10 Irrtum, Furcht und Täuschung
4.3.2.4 Zusammenfassung
4.3.3 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen
4.3.4 Äquivalenz und gerechter Preis
4.3.4.1 Überblick
4.3.4.2 Gewährleistungsrecht
4.3.5 Wucher und Interesse
4.3.5.1 Quellengeschichte
4.3.5.2 Die Entwicklungen bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik
4.4 Strafrecht und Strafprozess
4.4.1 Einleitung
4.4.2 Das römische Straf- und Strafprozessrecht
4.4.2.1 Überblick
4.4.2.2 Die Entwicklungen in der Kaiserzeit
4.4.2.3 Zusammenfassung
4.4.3 Quellengeschichte und Rezeptionswege
4.4.4 Strafrecht
4.4.4.1 Die Differenzierung von Sünde (peccatum) und Straftat (crimen/delictum)
4.4.4.1.1 Kanonistik
4.4.4.1.2 Die Abgrenzung bei Thomas v. Aquin und die Unterscheidung der Strafordnungen
4.4.4.1.3 Die Dualität der Foren und die Differenzierung von Sünde und Straftat
4.4.4.2 Straflehren
4.4.4.2.1 Die Handlungs- und Zurechnungslehre bei Thomas v. Aquin
4.4.4.2.2 Die Handlungs- und Zurechnungslehre im 16. Jahrhundert
4.4.4.2.3 Vorsatz und Fahrlässigkeit
4.4.4.2.4 Unterlassung
4.4.4.2.5 Notwehr und Notstand
4.4.4.2.6 Versuch
4.4.4.3 Schuld als Voraussetzung der Strafe
4.4.4.3.1 Überblick
4.4.4.3.2 Schuld und Strafe bei Thomas v. Aquin
4.4.4.3.3 Schuld und Strafe in der Spätscholastik und in der frühneuzeitlichen Strafrechtslehre
4.4.4.4 Die Straftat
4.4.4.4.1 Merkmale der Straftat
4.4.4.4.2 Verstoß gegen das Gesetz
4.4.4.5 Strafzwecke
4.4.4.6 Strafzumessung
4.4.5 Strafgewalt, Strafmonopol und Strafprozess
4.4.5.1 Öffentliches Strafmonopol und Strafgewalt
4.4.5.2 Strafprozess
4.4.5.2.1 Vom Akkusationsprozess zum Inquisitionsprozess
4.4.5.2.2 Inquisitionsprozess
4.4.5.3 Öffentlicher Strafanspruch und Strafverfolgungspflicht
4.4.6 Strafe und Restitution
4.4.6.1 Strafe als Schuldstrafe, Restitution als Schadensausgleich
4.4.6.2 Der philosophisch-theologische Grund der Trennung von Strafe und Restitution
4.4.6.3 Zusammenfassung
4.4.7 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen
4.4.7.1 Strafrecht im Gemeinen Recht
4.4.7.2 Naturrechtliches Strafrecht
4.4.7.2.1 Das Strafrecht bei Grotius und Hobbes
4.4.7.2.2 Die Begründung der Strafbefugnis
4.4.7.2.3 Die Zurechnungslehre bei Pufendorf
Kapitel 5 Die politische Ordnung
5.1 Die politische Theorie bei Thomas v. Aquin
5.1.1 Die Begründung politischer Gewalt
5.1.2 Das Verhältnis geistlicher und weltlicher Gewalt
5.2 Die politischen Entwicklungen im 13.–16. Jahrhundert
5.2.1 Die Kanonistik und die Zwei-Gewalten-Lehre
5.2.2 Die Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser
5.2.2.1 Marsilius von Padua
5.2.2.2 Wilhelm von Ockham
5.2.3 Die Auseinandersetzung zwischen Papst und König
5.2.3.1 Philipp der Schöne, Bonifaz VIII. und das Exil von Avignon
5.2.3.2 Frankreich und die Entstehung des frühneuzeitlichen Staates: Absolutismus und Gallikanismus
5.2.4 Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers
5.3 Die politische Theorie in der Spätscholastik
5.3.1 Die Begründung der politischen Gewalt und die politische Ordnung
5.3.1.1 Die Begründung der politischen Gemeinschaft
5.3.1.2 Die Entstehung der politischen Gewalt
5.3.1.3 Die Übertragung der politischen Gewalt und die Konstituierung der politischen Ordnung
5.3.1.4 Die Bedeutung von Wille und Willensfreiheit für die politische Theorie
5.3.1.5 Die vertragliche Bindung zwischen Regierenden und politischer Gemeinschaft
5.3.2 Das Ziel politischer Gewalt und der Staatszweck
5.3.3 Souveränität des Staates und das Verhältnis zur Kirche
5.3.4 Zusammenfassung
5.4 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen
5.4.1 Hobbes
5.4.2 Pufendorf
5.4.3 Locke
5.5 Zusammenfassung
Kapitel 6 Zusammenfassung und Fazit
6.1 Zusammenfassung
6.2 Fazit
6.2.1 Das Naturrecht und die westliche Rechtstradition
6.2.2 Person und Willensfreiheit als Fundamente der Rechtsordnung
6.2.3 Die „kantische Wende“
Kurzbiographien
Primärquellen
Literaturverzeichnis
Sachregister
Personenregister
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Recht und Gerechtigkeit. Philosophisch-theologische Grundlagen der westlichen Rechtstradition
 9783506795410, 9783657795413

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Law and Religion in the Early Modern Period Recht und Religion in der Frühen Neuzeit

Law and Religion in the Early Modern Period Recht und Religion in der Frühen Neuzeit Editorial Board Herman Selderhuis (Chief Editor) Laura Beck Varela Wim Decock Tarald Rasmussen Advisory Board Johan Bastubacka Andreas Gotzmann Chloë Kennedy Dariusz Kołodziejczyk Mahmood Kooria Virpi Mäkinen Osvaldo Rodolfo Moutin Richard J. Ross Endre Sashalmi Rudolf Schlögl

VOL. 2

Stefan Frederic Thönissen

Recht und Gerechtigkeit Philosophisch-theologische Grundlagen der westlichen Rechtstradition

Der Autor: Stefan Thönissen ist Privatdozent und akademischer Rat auf Zeit an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Coverbild: Rogier van der Weyden, Erzengel Michael wiegt die Seelen, in Altarbild des Jüngsten Gerichts, Hospices de Beaune, 1446–1452 Als Ph.D.-Dissertation an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg eingereicht wurden die Kapitel 1–3 (S. 1–274). Erstgutachter: Prof. Dr. Georg Bier Zweitgutachter: Prof. Dr. Karlheinz Ruhstorfer Dekan: Prof. Dr. Ferdinand R. Prostmeier Datum der mündlichen Prüfung: 13.01.2022

D25 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2022 Brill Schöningh, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Nora Krull, Hamburg Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISSN 2629-6926 ISBN 978-3-506-79541-0 (hardback) ISBN 978-3-657-79541-3 (e-book)

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xvii Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xix Kapitel 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Themenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.1 Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.2 Das frühere „Narrativ“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.1.3 Die Erschütterung des Narrativs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.1.3.1 Zwei Thesen, zwei Gegenthesen . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.1.3.2 Die Verbindung der Gegenthesen  . . . . . . . . . . . . . . 8 1.1.4 Der philosophisch-theologische Hintergrund . . . . . . . . . . . . . 9 1.1.4.1 Die Dualität der Foren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1.4.2 Das Verhältnis von Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.1.4.3 Philosophisch-theologische und zeitgeschichtliche Diskussionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1.4.4 Das Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.2 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kapitel 2 Scholastische Theologie und Philosophie im rechtsgeschichtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.1 Die „Rechtswirklichkeit“ des frühen Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Die gregorianische Reform und der Investiturstreit . . . . . . . . . . . . 19 2.3 Die Entstehung der Universität und der Rechtswissenschaft im 11./12. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.4 Das römische Recht und seine Rezeption  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.5 Das ius commune und die Grundlagen des kanonischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.6 Die scholastische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Kapitel 3 Recht und Gerechtigkeit bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1 Thomas v. Aquin, die Spätscholastik und De Iustitia et Iure . . . . . . 29 3.1.1 Thomas v. Aquin, die Summa Theologiae und De Iustitia et Iure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1.1.1 Thomas v. Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

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Inhalt

3.1.1.2 Die Summa Theologiae  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1.1.3 Einflüsse in De Iustitia et Iure und De Lege  . . . . . . 33 3.1.1.3.1 Der Einfluss der aristotelischen Tugendund Gerechtigkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.1.1.3.2 Der Einfluss der stoisch-ciceronianischen Gesetzeslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.1.1.3.3 Der Einfluss des römischen Rechts  . . . . . . 40 3.1.1.3.4 Der Einfluss des kanonischen Rechts . . . . 43 3.1.1.3.5 Der Einfluss von Patristik und Frühscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1.2 Die „Spätscholastik“, die Schule von Salamanca und Thomas v. Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.1.2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.1.2.2 Der Einfluss von Thomas v. Aquin und die „Thomas-Renaissance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.1.2.3 Der Einfluss des Nominalismus und der franziskanischen Theologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1.2.4 Inhaltliche Orientierung und Charakterisierung . 56 3.1.2.5 De Iustitia et Iure und De Legibus . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.2 Buße und Rechtfertigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.2.1 Entwicklung der Bußpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.2.1.1 Die altkirchliche öffentliche Buße . . . . . . . . . . . . . . 60 3.2.1.2 Die mittelalterliche Privatbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.2.2 Die scholastische Buß- und Rechtfertigungstheologie  . . . . . 66 3.2.2.1 Sünde, Schuld und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . 66 3.2.2.1.1 Der Sündenbegriff bei Augustinus und in der Frühscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.2.2.1.2 Der Sündenbegriff bei Thomas v. Aquin . . 66 3.2.2.1.3 Schuld, Strafe (poena) und Strafwürdigkeit (reatus poenae) . . . . . . . . 71 3.2.2.1.4 Ewige und zeitliche Sündenstrafen . . . . . . 72 3.2.2.1.5 Rechtfertigung und Gnade . . . . . . . . . . . . . 74 3.2.2.2 Die Buße  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.2.2.2.1 Buße und Bußsakrament . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.2.2.2.2 Die Bedeutung von Absolution und Schlüsselgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.2.2.2.3 Die Wirkungen der Buße und die satisfactio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

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3.3 Das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.3.1 Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.3.2 Thomas v. Aquins Gesetzeslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.3.2.1 Der Gesetzesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.3.2.2 Die Gesetzesarten und ihr Verhältnis . . . . . . . . . . . 85 3.3.2.3 Ziel, Inhalt und Reichweite des menschlichen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.3.3 Duns Scotus und der Voluntarismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.3.4 Die Gesetzeslehre bei Suárez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.3.4.1 Der Gesetzesbegriff bei Suárez . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.3.4.2 Die Zulässigkeit und die Begründung der menschlichen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.3.4.3 Ziel, Inhalt und Reichweite der menschlichen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.4 Die Dualität der Foren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.4.1 Gewissensforum (forum conscientiae) und forum externum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.4.2 Die Entwicklung der beiden Foren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.4.2.1 Kanonistische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.4.2.2 Bußtheologische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.4.2.3 Gewissensforum ( forum conscientiae) und „forum exterius“ bei Thomas v. Aquin . . . . . . . . . . . . 105 3.4.2.4 Das Konzil von Trient und die beiden Foren  . . . . . 108 3.4.2.5 Das Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3.4.3 Die Unterschiede der beiden Foren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.4.3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.4.3.2 Unterschiede im Verfahren und in den Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3.4.3.3 Unterschiede im anwendbaren Recht . . . . . . . . . . . 117 3.4.3.3.1 Anwendbares Recht im Gewissensforum . . 117 3.4.3.3.2 Anwendbares Recht in foro externo  . . . . . 120 3.4.3.3.3 Reichweite des menschlichen Gesetzes und Verhältnis zum natürlichen Gesetz . . 122 3.4.3.4 Unterschiede in den Rechtsfolgen und Wirkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3.4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3.5 Recht und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3.5.1 Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

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3.5.2 Thomas v. Aquins Rechtslehre und spätscholastische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.5.2.1 Recht (ius) und Gerechtigkeit (iustitia)  . . . . . . . . . 129 3.5.2.1.1 Recht und Gerechtigkeit bei Thomas v. Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.5.2.1.2 Naturrecht und positives Recht  . . . . . . . . . 130 3.5.2.2 Recht in der Spätscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3.5.2.2.1 Recht als „moralische Befugnis“ . . . . . . . . . 131 3.5.2.2.2 Recht und Unrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3.5.2.2.3 Die Korrelation von Recht und Pflicht und der relationale Charakter des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.5.2.2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3.5.3 Die Gerechtigkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3.5.3.1 Iustitia commutativa und iustitia distributiva . . . . 139 3.5.3.2 Gerechtigkeit und andere Tugenden – rechtliche und moralische Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.6 Wille, Freiheit und Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.6.1 Wille, Vernunft und Freiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.6.1.1 Der Begriff der Willensfreiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3.6.1.2 Das Verhältnis von Wille, Vernunft und Freiheit . . 147 3.6.1.3 Willensfreiheit und Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3.6.1.4 Willensfreiheit als Grund von Gesetzes- und Rechtsfähigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3.6.2 Der spätantike Hintergrund: Wille und Willensfreiheit bei Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3.6.3 Die Gnaden- und Rechtfertigungslehre, der freie Wille und Molinas Willensmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3.6.3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3.6.3.2 Willensfreiheit und Rechtfertigung bei Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3.6.3.3 Willensfreiheit und Rechtfertigung bei Thomas v. Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3.6.3.4 Willensfreiheit und Rechtfertigung bei Molina . . 161 3.6.3.5 Die Bedeutung von Molinas Willensmetaphysik für das Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3.6.4 Die Christologie, die Person und die „Metaphysik der Freiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3.6.4.1 Moralisches Sein und Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3.6.4.2 Suárez’ Beschäftigung mit der Christologie im kontroverstheologischen Kontext  . . . . . . . . . . . . . . 168

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3.6.4.3 Der christologische Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . 170 3.6.4.3.1 Der spätantike Ausgangspunkt: Boethius und sein Personbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3.6.4.3.2 Die Lehre vom moralischen Sein bei Alexander von Hales . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3.6.4.3.3 Person und Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3.6.4.4 Die Lehre vom moralischen Sein bei Suárez . . . . . 173 3.6.4.4.1 Der christologische Ausgangspunkt . . . . . 173 3.6.4.4.2 Freiheit als Fundament des Moralischen . . 175 3.6.4.4.3 Die Bedeutung des Willens . . . . . . . . . . . . . 177 3.6.4.4.4 Die Bedeutung der Person . . . . . . . . . . . . . . 179 3.6.4.4.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3.6.4.4.6 Die Kritik bei Ockham und Gabriel Vázquez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3.7 Das Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3.7.1 Voraussetzungen und Grundlagen des Naturrechts . . . . . . . 186 3.7.2 Das Naturrecht bei Thomas v. Aquin und den Spätscholastikern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3.7.2.1 Das natürliche Gesetz bei Thomas v. Aquin . . . . . . 187 3.7.2.2 Das natürliche Gesetz bei Suárez und den Spätscholastikern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3.7.2.2.1 Ursprung und Verpflichtung des natürlichen Gesetzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3.7.2.2.2 Inhalt des natürlichen Gesetzes . . . . . . . . . 193 3.7.2.3 Das Verhältnis des natürlichen Gesetzes zum göttlichen Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3.7.2.3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3.7.2.3.2 Das Neue Gesetz und die Gnade  . . . . . . . . 196 3.7.2.3.3 Altes Gesetz und Naturrecht . . . . . . . . . . . . 197 3.7.2.4 Das Verhältnis von Naturrecht und natürlichem Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3.7.2.4.1 Thomas’ Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3.7.2.4.2 Suárez’ Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3.7.3 Die Universalität des Naturrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3.7.4 Die Wirkungen des Naturrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3.7.5 Die konkrete Naturrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3.7.5.1 Die Verrechtlichung des Naturrechts: Von der Tugendethik zum Obligationenrecht . . . . . . . . . . . 204 3.7.5.2 Die Lehre vom moralischen Sein: Vom Obligationenrecht zur „Metaphysik der Freiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

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3.7.5.3 Zeitgeschichtliche Einflüsse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3.7.5.3.1 Die Entdeckung der Neuen Welt und der Frühkapitalismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3.7.5.3.2 Die Entstehung des „Staates“ und der Bedeutungsverlust des kirchlichen forum externum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3.7.5.4 Der Probabilismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3.7.5.5 Die Entstehung der Moraltheologie und die jesuitische Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3.7.5.6 Beichtsummen und die De Iustitia et Iure-Traktate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3.7.5.7 Die Erweiterung des Naturrechts . . . . . . . . . . . . . . . 216 3.7.6 Folgen für das Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3.8 Die Naturrechtslehre der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3.8.1 Der theologische Hintergrund der neuzeitlichen Naturrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.8.1.1 Rechtfertigung und Naturrecht bei Martin Luther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.8.1.2 Luthers Zwei-Reiche-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3.8.1.3 Luthers Rechtfertigungslehre, Buße und Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3.8.1.4 Naturrecht und Zwei-Reiche-Lehre . . . . . . . . . . . . . 231 3.8.2 Die neuzeitliche Naturrechtslehre im Überblick . . . . . . . . . . . 233 3.8.3 Das Naturrecht und der Krieg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3.8.3.1 Das Naturrecht bei Grotius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3.8.3.2 Das Naturrecht bei Hobbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3.8.4 Das Naturrecht und die praktische Philosophie . . . . . . . . . . . 243 3.8.4.1 Das Naturrecht bei Pufendorf  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3.8.4.1.1 Ursprung und Begründung des Naturrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3.8.4.1.2 Naturrecht und Moralphilosophie  . . . . . . 244 3.8.4.1.3 Naturrechtstheorie bei Pufendorf . . . . . . . 248 3.8.4.1.4 Zurechnung und Pflicht bei Pufendorf . . . 250 3.8.4.2 Das Naturrecht bei Thomasius  . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3.8.4.2.1 Die Änderung des Rechts- und Gesetzesbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 3.8.4.2.2 Die Differenzierung von Gesetz im weiten Sinn (lex in lata significatione) und Gesetz im engen Sinn (lex stricte) . . . . . . . 252

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xi 3.8.4.2.3 Die Differenzierung von natürlichem und menschlichem Gesetz . . . . . . . . . . . . . . 253 3.8.4.2.4 Die Differenzierung von iustum und honestum/decorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3.8.4.2.5 Die Differenzierung von Naturrecht im weiten Sinn und Naturrecht im engen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 3.8.4.2.6 Das Naturrecht als Norm des positiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3.8.4.2.7 Die Differenzierung von Recht und Moral und die beiden Foren  . . . . . . . . . . . . 259 3.8.4.3 Das Naturrecht bei Wolff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3.8.5 Das Naturrecht als Grundlage des Zivilrechts  . . . . . . . . . . . . 265 3.8.5.1 Die Rechtfertigungstheologie, der Jansenismus und die französische Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . 265 3.8.5.2 Das Naturrecht bei Domat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3.8.5.3 Das Naturrecht bei Pothier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 3.8.6 Das Naturrecht in den Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3.8.7 Die Entwicklung des Naturrechts und die Autonomie bei Kant  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

Kapitel 4 Die Transformation des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 4.1 Subjektive Rechte und Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 4.1.1 Ius und subjektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 4.1.1.1 Die Entwicklungen in der Rechtswissenschaft des Mittelalters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 4.1.1.2 Die philosophisch-theologischen Entwicklungen und der Rechtsbegriff in der Spätscholastik . . . . . 280 4.1.2 dominium und ius  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 4.1.2.1 dominium in den Diskussionen des Mittelalters  . . 283 4.1.2.2 Der franziskanische Armutsstreit . . . . . . . . . . . . . . . 285 4.1.2.3 dominium, Willensfreiheit und Freiheit . . . . . . . . . 290 4.1.2.3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 4.1.2.3.2 dominium, Willensfreiheit und Person bei Thomas v. Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 4.1.2.3.3 Vernunft und Willensfreiheit als Voraussetzung des dominium bei Vitoria  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 4.1.2.3.4 Vernunft und Willensfreiheit als Fundament des dominium bei Lessius  . . 301

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4.1.2.3.5 Willensfreiheit als Begründung der Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4.1.2.3.6 dominium und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 306 4.1.3 Die Diskussion um den subjektiven Rechtsbegriff nach Suárez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 4.1.3.1 Das Recht als Bestimmung des „Mein und Dein“ bei Lugo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 4.1.3.2 Das Recht als Verpflichtungs- und Willensmacht bei Sforza Pallavicino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 4.1.3.3 Das Recht als Zwangsbefugnis bei Amicus . . . . . . . 310 4.1.3.4 Das Recht als Abgrenzung von Freiheitsräumen bei Pérez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 4.1.4 Naturrecht und Naturrechte: Eigentum, Freiheit und die Unveränderlichkeit des Naturrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 4.1.5 Rechte als Grenzen der Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 4.1.6 Rechte als Grenzen der politischen Gewalt und Widerstandsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 4.1.7 Rechte und Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 4.1.8 Sklaverei und Rechte der Sklaven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 4.1.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 4.1.10 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 4.2 Haftungs- und Schadensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 4.2.1 Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 4.2.1.1 Von der Bußtheologie über die Gerechtigkeitslehre zu einem subjektiv-rechtlichen Haftungsrecht . . 335 4.2.1.2 Die heutige Rechtslage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 4.2.2 Das römische Recht und die gemeinrechtliche Entwicklung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 4.2.3 Restitutionslehre und Bußtheologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 4.2.4 Die Restitutionslehre bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 4.2.4.1 Restitution als rechtliche Pflicht  . . . . . . . . . . . . . . . 341 4.2.4.2 Die Abgrenzung von Restitution und Strafe . . . . . 343 4.2.4.3 Restitution und subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . . 344 4.2.4.3.1 Die zwei Fallgruppen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 4.2.4.3.2 Subjektive Rechte als Grundlage des Haftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 4.2.4.4 restitutio ratione rei acceptae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 4.2.4.5 restitutio ratione acceptionis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 4.2.4.6 Die Auswirkungen der Lehre vom moralischen Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

Inhalt

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4.2.5 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 4.2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 4.3 Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 4.3.1 Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 4.3.2 Vertrag und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 4.3.2.1 Das römische Recht und die gemeinrechtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 4.3.2.2 Die Entwicklungen im kanonischen Recht . . . . . . 361 4.3.2.3 Die Entwicklungen bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 4.3.2.3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 4.3.2.3.2 Der naturrechtliche Vertragsbegriff: Die Trennung von Ursache und (Rechts-)Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 4.3.2.3.3 Die naturrechtliche Vertragslehre und der philosophische Hintergrund: Wille und Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 368 4.3.2.3.4 Von der Versprechenslehre zum Vertragsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 4.3.2.3.5 Das Versprechen bei Thomas v. Aquin  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 4.3.2.3.6 Rechtliche Verpflichtung und Verpflichtungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 4.3.2.3.7 Die äußere Versprechenshandlung und die Erklärung des Konsenses . . . . . . . . . . 381 4.3.2.3.8 Die Notwendigkeit der Annahme (acceptatio) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 4.3.2.3.9 Vertrag: Angebot und Annahme . . . . . . . 384 4.3.2.3.10 Irrtum, Furcht und Täuschung . . . . . . . . 386 4.3.2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 4.3.3 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 4.3.4 Äquivalenz und gerechter Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 4.3.4.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 4.3.4.2 Gewährleistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 4.3.5 Wucher und Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 4.3.5.1 Quellengeschichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 4.3.5.2 Die Entwicklungen bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 4.4 Strafrecht und Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 4.4.1 Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405

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Inhalt

4.4.2 Das römische Straf- und Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . 406 4.4.2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 4.4.2.2 Die Entwicklungen in der Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . 409 4.4.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 4.4.3 Quellengeschichte und Rezeptionswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 4.4.4 Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 4.4.4.1 Die Differenzierung von Sünde (peccatum) und Straftat (crimen/delictum)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 4.4.4.1.1 Kanonistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 4.4.4.1.2 Die Abgrenzung bei Thomas v. Aquin und die Unterscheidung der Strafordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 4.4.4.1.3 Die Dualität der Foren und die Differenzierung von Sünde und Straftat  . . 421 4.4.4.2 Straflehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 4.4.4.2.1 Die Handlungs- und Zurechnungslehre bei Thomas v. Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 4.4.4.2.2 Die Handlungs- und Zurechnungslehre im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 4.4.4.2.3 Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . 433 4.4.4.2.4 Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 4.4.4.2.5 Notwehr und Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 4.4.4.2.6 Versuch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 4.4.4.3 Schuld als Voraussetzung der Strafe  . . . . . . . . . . . . 439 4.4.4.3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 4.4.4.3.2 Schuld und Strafe bei Thomas v. Aquin . . . 440 4.4.4.3.3 Schuld und Strafe in der Spätscholastik und in der frühneuzeitlichen Strafrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 4.4.4.4 Die Straftat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 4.4.4.4.1 Merkmale der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 4.4.4.4.2 Verstoß gegen das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . 450 4.4.4.5 Strafzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 4.4.4.6 Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 4.4.5 Strafgewalt, Strafmonopol und Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . 455 4.4.5.1 Öffentliches Strafmonopol und Strafgewalt . . . . . 455 4.4.5.2 Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 4.4.5.2.1 Vom Akkusationsprozess zum Inquisitionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 4.4.5.2.2 Inquisitionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462

Inhalt

xv 4.4.5.3 Öffentlicher Strafanspruch und Strafverfolgungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 4.4.6 Strafe und Restitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 4.4.6.1 Strafe als Schuldstrafe, Restitution als Schadensausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 4.4.6.2 Der philosophisch-theologische Grund der Trennung von Strafe und Restitution . . . . . . . . . . . 470 4.4.6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 4.4.7 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 4.4.7.1 Strafrecht im Gemeinen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 4.4.7.2 Naturrechtliches Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 4.4.7.2.1 Das Strafrecht bei Grotius und Hobbes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 4.4.7.2.2 Die Begründung der Strafbefugnis . . . . . . 479 4.4.7.2.3 Die Zurechnungslehre bei Pufendorf . . . . 481

Kapitel 5 Die politische Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 5.1 Die politische Theorie bei Thomas v. Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 5.1.1 Die Begründung politischer Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 5.1.2 Das Verhältnis geistlicher und weltlicher Gewalt . . . . . . . . . . 485 5.2 Die politischen Entwicklungen im 13.–16. Jahrhundert . . . . . . . . . 486 5.2.1 Die Kanonistik und die Zwei-Gewalten-Lehre . . . . . . . . . . . . . 486 5.2.2 Die Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser . . . . . . 487 5.2.2.1 Marsilius von Padua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 5.2.2.2 Wilhelm von Ockham  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 5.2.3 Die Auseinandersetzung zwischen Papst und König . . . . . . . 491 5.2.3.1 Philipp der Schöne, Bonifaz VIII. und das Exil von Avignon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 5.2.3.2 Frankreich und die Entstehung des frühneuzeitlichen Staates: Absolutismus und Gallikanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 5.2.4 Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 5.3 Die politische Theorie in der Spätscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 5.3.1 Die Begründung der politischen Gewalt und die politische Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 5.3.1.1 Die Begründung der politischen Gemeinschaft . . 502 5.3.1.2 Die Entstehung der politischen Gewalt . . . . . . . . . 504 5.3.1.3 Die Übertragung der politischen Gewalt und die Konstituierung der politischen Ordnung . . . . . . . . 505

xvi

Inhalt

5.3.1.4 Die Bedeutung von Wille und Willensfreiheit für die politische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 5.3.1.5 Die vertragliche Bindung zwischen Regierenden und politischer Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 5.3.2 Das Ziel politischer Gewalt und der Staatszweck . . . . . . . . . . 511 5.3.3 Souveränität des Staates und das Verhältnis zur Kirche . . . 513 5.3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 5.4 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 5.4.1 Hobbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 5.4.2 Pufendorf  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 5.4.3 Locke  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 5.5 Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 Kapitel 6 Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 6.1 Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 6.2 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 6.2.1 Das Naturrecht und die westliche Rechtstradition  . . . . . . . . 539 6.2.2 Person und Willensfreiheit als Fundamente der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 6.2.3 Die „kantische Wende“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 Kurzbiographien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 Personenregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

Vorwort Bei der vorliegenden Schrift handelt sich um eine erweiterte Fassung einer Dissertation (Ph.D.), die im Wintersemester 2021/2022 von der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angenommen wurde. Großen Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Georg Bier, der sich nach dem überraschenden Tod von Professor Dr. Eberhard Schockenhoff, der ursprünglich die Betreuung übernommen hatte, zur Begutachtung der Dissertation bereiterklärt hat. Ebenso bedanke ich mich bei Herrn Professor Dr. Karlheinz Ruhstorfer für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank gebührt ferner meinem akademischen Lehrer Professor Dr. Alexander Bruns, LL.M. (Duke Univ.), der in vielfältiger Weise die Entstehung dieses Buchs gefördert und mir die hierfür notwendige akademische Freiheit gewährt hat. Weiter schulde ich den Herausgebern der Reihe Law and Religion in the Early Modern Period, insbesondere dem Chief Editor Herrn Professor Dr. Herman Selderhuis für die Aufnahme dieser Schrift ganz besonderen Dank. Zudem bedanke ich mich beim Erzbischöflichen Ordinariat Freiburg für die Stiftung des Bernhard-Welte-Preises, mit dem diese Dissertation durch die Theologische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ausgezeichnet worden ist. Schließlich danke ich Herrn Dr. Diethard Sawicki vom Verlag BrillSchöningh für die hervorragende Betreuung bis zur Drucklegung. An dieser Stelle möchte ich näher auf die Entstehungsgeschichte des Buches eingehen, da es durchaus überraschend erscheinen mag, dass sich ein Zivilrechtswissenschaftler mit den philosophisch-theologischen Grundlagen der Rechtsentwicklung beschäftigt. Tatsächlich ist es so, dass das Verfassen der Arbeit Ergebnis mehrerer Ereignisse und Begebenheiten ist, die ihrerseits auch wieder Einfluss auf die Schrift selbst genommen haben. Zu nennen ist hier zunächst mein Vater, Professor Dr. Wolfgang Thönissen, der entscheidenden Anteil an dieser Idee hatte und das Entstehen der Arbeit über die Jahre hinweg maßgeblich gefördert hat – ohne ihn wäre es zweifelsohne niemals zur Entstehung gekommen. Im Hinblick auf das Reformationsgedenken 1517–2017 hat mein Vater den Ablassstreit und seine mittelalterliche Vorgeschichte rekonstruiert und hierzu ein umfassendes Projekt auf den Weg gebracht. Dabei hat er herausgearbeitet, dass sich die mittelalterliche Theologie einer Sprache und Denkform bediente, die heute gemeinhin als „juristisch“ eingeordnet würde. Dies ist Ergebnis einer – um in den Worten Kurt Seelmanns zu sprechen – „Juridifizierung der Theologie“. Ohne die rechtliche Schuldlehre und ein Verständnis dieses rechtlichen Kontextes ist das Ablasswesen des ausgehenden Mittelalters nicht verständlich – so die These. Als mich mein

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Vorwort

Vater auf die dazugehörige Literatur verwies (Harold J. Berman, „Law and Revolution“; Stephan Kuttner, „Kanonistische Schuldlehre“; Brian Tierney, „The Idea of Natural Rights“), tat ich diesen Hinweis zunächst unbeachtet ab. Zum Fall Term 2015 nahm ich ein LL.M.-Studium an der Yale Law School in New Haven auf. Während dieser Zeit besuchte ich die Vorlesung „Comparative Law“ von Professor James Q. Whitman, der es auf großartige Weise vermochte, Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte zu verknüpfen. Interessant war, dass Professor Whitman auf dieselbe Literatur verwiesen hatte wie zuvor bereits mein Vater. Daneben blieb von meinem Jahr in den Vereinigten Staaten noch etwas Weiteres: das Bewusstsein davon, dass das „moderne“ Recht und seine Grundlagen keineswegs selbstverständlich sind. Die Kontrasterfahrung mit einem Rechtssystem, das wesentlich durch den American Legal Realism geprägt ist, hinterließ bei mir tiefen Eindruck. Von da an nahmen die Dinge ihren Lauf. In der Folge las ich Harold Bermans „Law and Revolution“, Paolo Prodis „Una storia della giustizia“, Wim Decocks „Theologians and Contract Law“, Ernst-Wolfgang Böckenfördes „Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie“, Nils Jansens „Theologie, Philosophie und Jurisprudenz in der spätscholastischen Lehre von der Restitution“ sowie viele weitere Werke der Primär- und Sekundärliteratur. Gerade weil ich während meiner gesamten juristischen Ausbildung nie von diesen Zusammenhängen gehört hatte, entschloss ich mich, dieses Buch zu schreiben und dieser bis heute nur ansatzweise bekannten Geschichte nachzugehen, die die Grundlage für das Verständnis der westlichen Rechtskultur bildet. Freiburg im Breisgau, im Juni 2022

Stefan Thönissen

Abkürzungsverzeichnis a. auch aaO am angegebenen Ort AcP Archiv für die civilistische Praxis a.E. am Ende alte Fassung a.F. bzw. beziehungsweise Cap. Kapitel C.I.C. Corpus Iuris Civilis Dig. Digesten Disp. Met. Disputationes Metaphysicae Disp. disputatio Dist. distinctio DThA Deutsche Thomas-Ausgabe Dub. Frage (dubitatio) ed. editor/editore/edition eds. editors etc. et cetera f. folgende(r), Singular ff. folgende, Plural Fn. Fußnote FS Festschrift HKK-BGB Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB Hrsg. Herausgeber Inst. Institutiones iSd im Sinne der/des iSv im Sinne von Jhd. Jahrhundert JZ Juristenzeitung Lec. lectio Lib. liber L.J. Law Journal m.Nw. mit Nachweisen m.w.N. mit weiteren Nachweisen NJW Neue Juristische Wochenschrift N. Nummer

xx

Abkürzungsverzeichnis

obi. Einwand (obiectio) Ord. ordinatio q. Frage (quaestio) qc. quaestiuncula resp. Antwort (respondeo) Rn. Randnummer S. Seite s. siehe s./ss. sequens/sequentes sectio Sec. Sentenzen (super Sententiis) Sent. Summa Theologiae STh Theologie und Philosophie. Vierteljahresschrift ThPh Traktat (tractatus) Tract. vgl. vergleiche Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische ZRG RA Abteilung

Kapitel 1

Einleitung Est autem homo dominus suorum actuum per rationem et voluntatem, unde et liberum arbitrium esse dicitur facultas voluntatis et rationis Thomas v. Aquin

1.1

Themenstellung

1.1.1 Einführung Was sind die wesentlichen Grundlagen der heutigen westlichen Rechtsordnung? In gewisser Hinsicht kann man festhalten, dass ein Grundgedanke zentrale Bedeutung für die westliche Rechtstradition1 hat: Der aus freiem Willen handelnde Mensch, der Rechte hat und für sein Handeln rechtlich verantwortlich ist. Der geltenden Rechtsordnung liegt sowohl im Straf- als auch im Zivilrecht die Vorstellung eines mit freiem Willen handelnden Menschen zugrunde, der für sein willentliches Handeln eine rechtliche Verantwortung trägt.2 Er kann durch Willenserklärungen vertragliche Verpflichtungen 1 Zum Begriff der „Westlichen Rechtstradition“ („Western Legal Tradition“) grundsätzlich Berman, Land and Revolution, p.  1 ss.; z.B.  zur  Verwendung des Begriffs s. etwa Fox/Ernst (eds.), Money in the Western Legal Tradition. 2 S. etwa Schreiber, in: Kern/Schroeder (Hrsg.), Festschrift Laufs, S. 1069 ff. („Verantwortlichkeit, Handlungsfähigkeit, Freiheit der Willensbestimmung sind bestimmende zentrale Kategorien des Rechts und der Rechtspraxis. Das gilt nicht nur für das Strafrecht, sondern für das Zivil- und auch für das Staatsrecht“; aber auch zur Diskussion, ob es überhaupt so etwas wie Willensfreiheit gibt und ob ein solches Konzept dem Recht zugrundegelegt werden darf). Zum Strafrecht s. etwa BVerfG NJW 2013, 1058, 1059; 2016, 1149, 1153: „Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zu Grunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten […]. Deshalb bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG auf dem Gebiet der Strafrechtspflege die Auffassung vom Wesen der Strafe und dem Verhältnis von Schuld und Sühne […] sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt […]. Eine solche staatliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar […]. Der Schuldgrundsatz ist somit zugleich ein zwingendes Erfordernis des Rechtsstaatsprinzips […]. Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes“. S.a. BGHSt  2, 194, 200. Zur Willensfreiheit im Strafrecht ferner auch Dreher, Die Willensfreiheit, S. 11 ff., 29, 59.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657795413_002

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Kapitel 1

eingehen, und ist rechtlich zur Erfüllung abgeschlossener Verträge verpflichtet.3 Wenn er schuldhaft einen anderen schädigt, ist er rechtlich zum Ersatz des dadurch entstandenen Schadens verpflichtet. Wenn er zu Unrecht Vermögensvorteile auf Kosten eines anderen erhält, ist er rechtlich zur Erstattung dieser Vermögensvorteile verpflichtet. Hieraus entstehen rechtliche Verpflichtungen und (subjektive) Rechte, die der einzelne (nur) im Wege der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung durchsetzen kann. Jeder Mensch hat gewisse subjektive Rechte, die ihm als Menschen zustehen und die er vor Gericht geltend machen kann. Das gesamte zwischenmenschliche Leben der Menschen unterliegt dem Recht, soweit in rechtlich relevanter Weise gehandelt wird. Von der Kompensation eines Schadens ist die Strafe zu unterscheiden.4 Es ist zwischen Zivil- und Strafverfahren, Schadensersatz und Strafe zu trennen.5 Indem der mit freiem Willen handelnde Mensch durch eine Handlung Unrecht begeht, wird er schuldig und strafwürdig. Strafe setzt Schuld voraus.6 Die begangene Straftat wird durch vom Gericht zu verhängende schuld Zum „Willen“, „Willensfreiheit“ und „freien Willen“ im Zivilrecht s. etwa Neuner, AcP 218 (2018), 1 ff., 5 ff., 11 ff. (Wille als „der Grundbegriff des Bürgerlichen Rechts“; „Die Idee einer bedingten Willensfreiheit liegt auch dem BGB zugrunde“). Zum Menschenbild im Zivilrecht und zur Privatautonomie Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 10 Rn.  2, 11, 13 (Mensch als ethisch und vernunftmäßig bestimmte Person, „die ihrer Natur und Bestimmung nach darauf angelegt ist, ihr Dasein und ihre Umwelt im Rahmen der ihr jeweils gegebenen Möglichkeiten frei und verantwortlich zu gestalten“; „Das BGB setzt […] die Willensfreiheit als selbstverständlich voraus“); s.a. Rüping, Der mündige Bürger, S. 25 ff., 64 ff., 157 ff. Zur Diskussion um die Bedeutung der Willensfreiheit für das Staats- und Verfassungsrecht (Grundrechte, Menschenwürde) Heun, JZ 2005, 853 ff. (eher zurückhaltend). 3 Näher hierzu und zum Folgenden Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 20 ff., 28 ff. 4 Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 32 f. 5 BGH NJW 1992, 3096, 3103 f. (im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit US-amerikanischer punitive damages): „Die Bestrafung und – im Rahmen des Schuldangemessenen – Abschreckung sind mögliche Ziele der Kriminalstrafe (§§ 46 ff. StGB), die als Geldstrafe an den Staat fließt, nicht des Zivilrechts. […] Regelmäßig ist allein der Ausgleich der durch den rechtswidrigen Eingriff gestörten Vermögensverhältnisse der unmittelbar Beteiligten das angemessene Ziel des über den Eingriff geführten Zivilprozesses. […] Dagegen fallen Sanktionen, die der Bestrafung und Abschreckung – also dem Schutz der Rechtsordnung im allgemeinen – dienen, nach deutscher Auffassung grundsätzlich unter das Strafmonopol des Staates“; s.a. bspw. Leipold, BGB I, § 1 Rn. 21; vgl. aber auch Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 1 ff. et passim, 248 ff. zu pönalen Elementen im Privatrecht. 6 BVerfG NJW 2016, 1149, 1152 f.: „Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz […]. Dieser den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrschende Grundsatz ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert“; dazu auch Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7 ff.

Einleitung

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angemessene Strafe sanktioniert.7 Die Strafe wird dabei nicht im Wege privater Rechtsdurchsetzung verhängt, sondern durch hoheitliche Einleitung eines Strafverfahrens unter Strafverfolgungspflicht und amtswegige Ermittlung des Sachverhalts. Der Staat verfügt über ein Straf- und Gewaltmonopol, durch das private außergerichtliche Rechtsdurchsetzung ausgeschlossen wird.8 Rechtsdurchsetzung und Bestrafung erfolgen durch gerichtliches Verfahren und Urteil. Der Richter ist an das Gesetz gebunden, das er auf den Einzelfall anwendet. Recht und Gesetz sind getrennt von Moral, die im Gegensatz zum Recht nicht mit rechtlicher Zwangswirkung ausgestattet ist. Welche historischen und ideengeschichtlichen Entwicklungen stehen hinter diesen Grundentscheidungen der Rechtsordnung? Auch wenn es scheint, dass hierauf Antworten gefunden worden sind, ergeben sich bei genauerem Hinsehen vielfältige Fragen, die den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bilden werden. So sehr die heutige Zivilrechtsordnung in ihren Begriffen, Rechtsinstituten wie in konkreten Rechtsfragen durch das römische Recht geprägt ist, so sehr divergieren doch in wesentlichen allgemeinen Grundentscheidungen der Rechtsordnung römisches und gegenwärtiges „westliches“ Zivilrecht.9 Ebenso lassen sich die wesentlichen Grundsätze und Prinzipien des Straf- und Strafprozessrechts nur sehr begrenzt mit dem römischen Recht in Verbindung bringen.10 Wenn aber das römische Recht zwar eine der Grundlagen ist, aber doch nicht wesentliche Charakteristika der westlichen Rechtstradition und der heutigen westlichen Rechtsordnungen zu begründen vermag, woher kommt dann das System des Rechts, das doch die westlichen Rechtsordnungen zutiefst und wesentlich prägt?

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BVerfG NJW 2013, 1058, 1060 („gerechter Schuldausgleich“; ferner auch „die Forderung nach materieller Gerechtigkeit“ als „eine der Leitideen des Grundgesetzes“). Vgl. BGH NJW 1992, 3096, 3103 (zu „Privatstrafen“ und zum „Bestrafungsmonopol des Staates“) sowie S. 3104: Der Staat übt das Strafmonopol „im öffentlichen Interesse in einer besonderen Verfahrensart aus, in dem einerseits die Amtsermittlung eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Sachentscheidung bieten soll und andererseits die Rechte des Beschuldigten stärker geschützt sind“. Vgl. dazu auch Gordley, The Philosophical Origins, p. 1 ss.; ferner Schermaier, in: Cardilli (u.a.), Modelli teorici e metodologici nella storia del diritto privato 3, S. 313 ff. zu den „nonroman foundations of European legal culture“. Vgl. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S.  121; ferner bereits Savigny, System, Bd. 1, § 1, S. 2.

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Kapitel 1

1.1.2 Das frühere „Narrativ“ Schaut man sich rechtshistorische Lehrbücher an, so trifft man auch heute noch regelmäßig auf folgendes „Narrativ“.11 Mit der Wiederentdeckung des römischen Rechts entsteht im 11. Jahrhundert an der Rechtsschule von Bologna eine Rechtswissenschaft, die das römische Recht zum Lehrgegenstand nimmt und zu ordnen versucht.12 Dadurch entsteht das sog. ius commune, das ausgehend von Italien in den einzelnen europäischen Ländern rezipiert werden sollte. Durch „Glossieren“ und Kommentieren des römischen Rechts wird eine Rechtsordnung entwickelt, die das Rechtsleben bestimmt, aber gleichzeitig über die Jahrhunderte immer schwerer verständlich und handhabbar wird (mos italicus). Ende des Mittelalters entwickelt sich so der humanistisch inspirierte sog. mos gallicus, der wieder zurück zu den antiken Quellen und Grundlagen des römischen Rechts gelangen und diese gleichzeitig durch einen freieren Umgang in eine neue Ordnung bringen möchte.13 Eine wesentliche Neuerung des Privatrechts tritt dann Anfang des 17. Jahrhunderts infolge des Humanismus und der Reformation ein, als der Calvinist Hugo Grotius sein Werk De Iure Belli ac Pacis („Über das Recht des Kriegs und des Friedens“) veröffentlicht und hierdurch das neuzeitliche Natur- und Vernunftrecht begründet.14 Dieses an die antike Tradition anknüpfende Naturund Vernunftrecht ist wesensmäßig säkular und damit den mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen konfessionellen Naturrechtsansätzen grundsätzlich entgegengesetzt. Durch Grotius wird das Völkerrecht begründet, und ebenso finden sich hier grundlegende Erneuerungen des Vertrags-, Haftungs- und Schadensrechts sowie ferner wesentliche Elemente des neuzeitlichen Strafrechts. Diese Naturrechtslehre wird durch die neuzeitlichen Naturrechtslehrer Pufendorf und Thomasius fortgesetzt, wobei Letzterer erstmals eine grundsätzliche Trennung von Recht und Moral einführt und damit das Recht von seinem Bezug zur Religion oder Moral befreit.15 Im 18. Jahrhundert wird schließlich 11

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Hierzu und zum Folgenden bspw. Meder, Rechtsgeschichte, S. 191 ff., 209 ff., 261 ff., 265 ff.; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn. 1225 ff., 1482 ff. Charakteristisch ist bei diesen Darstellungen, dass die Erneuerung der Rechtsordnung durch das Naturrecht mit Grotius beginnt – nur kurz wird auf die Rolle der Schule von Salamanca hingewiesen; Thomas v. Aquin findet bis heute in den meisten rechtshistorischen Werken nur ansatzweise Erwähnung, bspw. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  261 f.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 489. S. etwa Meder, Rechtsgeschichte, S. 191 ff. Vgl. zum juristischen Humanismus Meder, Rechtsgeschichte, S. 209 ff. Dazu Meder, Rechtsgeschichte, S. 265 ff.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 487 ff., 490 ff.; s.a. Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S.  17 f. m.w.N. („Begründer des neuzeitlichen säkularen Naturrechts“). Vgl. Meder, Rechtsgeschichte, S. 269, 274; Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 493 ff.

Einleitung

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der Aufklärer Christian Wolff ein naturrechtliches System erarbeiten16, das das Naturrecht als Grundlage der modernen Naturrechtskodifikationen systematisch vorbereitet und das – neben Kants Rechtsphilosophie und Savignys Historischer Rechtsschule, die sich dem „heutigen Römischen Recht“ zuwendet17 – zur Grundlage des modernen Rechts wird.18 Hierdurch wird das gemeine Recht abgelöst, und so entsteht das moderne Privatrecht. 1.1.3 Die Erschütterung des Narrativs 1.1.3.1 Zwei Thesen, zwei Gegenthesen Das so geformte Narrativ wurde indes in den vergangenen Jahrzehnten grundsätzlich erschüttert.19 Gegen die zwei Thesen – unmittelbare Kontinuität des römischen Rechts; Beginn des neuzeitlichen Naturrechts mit Grotius – haben sich zwei Gegenthesen entwickelt. Hier steht zum einen Harold Bermans These von der „Westlichen Rechtstradition“, die sich ausgehend von der sog. „Päpstlichen Revolution“ des 11. und 12. Jahrhundert sowie der Entstehung der Europäischen Universität gebildet habe.20 Ausgehend von dieser Rechtsrevolution sei etwas Neues entstanden, das zwar in seinen Begriffen und Konzepten in vielerlei Hinsicht an das römische Recht angeknüpft habe21, aber 16 17 18 19

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Dazu etwa Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 496 f. S. dazu näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 158 ff. Zur Prägung des westlichen Zivil- und Strafrechts einschließlich der Menschenrechte durch das Naturrecht s. etwa Braun, JZ 2013, 265, 267 f.; umfassend dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 249 ff. Grundsätzlich dazu bereits Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, S.  871 ff., 908 ff.; ferner Gordley, The Philosophical Foundations, p. 1 ss. Einen umfassenden Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand zur „Spätscholastik“ bieten Birr/Decock, Recht und Moral in der Scholastik der frühen Neuzeit 1500–1750, S.  73 ff.; ferner auch Duve, Einleitung, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia – Über die Gerechtigkeit. Teil 1. Francisco de Vitoria,  S. XXI, XXIII ff.; ders., in: Duve/Egío/Birr (eds.), The School of Salamanca, p. 1 ss. Berman, Law and Revolution, p. 1 ss., 85 ss. S. instruktiv insoweit auch Schermaier, ZRG RA  134 (2017), 49, 104 f.: „Das Besondere des römischen Rechts, die gedanklichen Leistungen der römischen Juristen, werden wir erst dann einigermaßen freilegen, wenn uns der Bedeutungswandel klar geworden ist, dem ihre Texte unterlagen. Die markanteste Zäsur in der Tradition der römischen Rechtstexte lag zwischen dem späten 6. und dem späten 11. Jahrhundert. Die Bedeutung dieser Diskontinuität wurde von der Romanistik bislang nicht ernst genug genommen. Als die komplexen römischen Rechtstexte in eine vollkommen andere Welt fielen, lösten sie nicht nur eine Revolution des Sprechens und Denkens über Recht aus. Sie wurden dabei selbst entscheidend verändert, viele ihrer zentralen Begriffe entkernt und mit Bedeutungen gefüllt, die das Sprechen über Recht für die nächsten Jahrhunderte festlegte. Nur wenn wir diese Revolution begreifen, wird es uns gelingen, die klassischen Texte neu zu lesen und vielleicht ein wenig besser zu entschlüsseln. Dabei werden wir

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Kapitel 1

doch substanziell hiervon verschieden gewesen sei und so eine eigenständige „Westliche Rechtstradition“ begründet habe.22 Wesentlich für diese Entwicklung seien dabei die theologischen Grundlagen gewesen, insbesondere die Entwicklungen der Bußpraxis und -theologie.23 Zum anderen hat die rechtshistorische Forschung in den vergangenen Jahrzehnten herausgearbeitet, dass von einem Neubeginn des Naturrechts bei Hugo Grotius nur noch schwerlich die Rede sein kann.24 Stattdessen ist eher von einer gewissen Kontinuität zwischen der sog. „spanischen Spätscholastik“ und dem neuzeitlichen Natur- und Vernunftrecht auszugehen.25 Zunächst einmal hat Reibstein26 darauf hingewiesen, dass das Völkerrecht bei Hugo Grotius wesentliche Vorläufer bei verschiedenen spanischen Moraltheologen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts hatte, so namentlich bei dem Dominikaner Francisco de Vitoria sowie dem Jesuiten Francisco Suárez.27 Ebenso hat Thieme im Anschluss an Kohler28 auf wesentliche Einflüsse der Spätscholastiker auf das Privatrecht bei Grotius hingewiesen. In der Folgezeit entstanden zahlreiche Monographien zu einzelnen Themen, die durch die spanischen Spätscholastiker behandelt worden sind (etwa Otte, Seelmann, Wolter, Nufer, Diesselhorst, Krause).29 Hierdurch wurden konkrete Einflüsse und Rezeptionen bei Grotius und anderen Naturrechtslehrern der Neuzeit aufgezeigt. In den vergangenen Jahrzehnten gelangten weitere Autoren der Spätscholastik in den Fokus der Wissenschaft, so insbesondere die beiden Jesuiten Molina und Lessius, dessen Werk „De Iustitia et Iure“ (1605) wesentlichen Einfluss auf das 1625 erschienene Werk seines Landsmanns Grotius haben sollte.30 Jüngst hat etwa Decock im Anschluss an Gordley, Feenstra, Duve und Schermaier

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nicht nur Neues über das römische Recht erfahren, wir werden auch unsere europäische Privatrechtsgeschichte neu erzählen: als Geschichte römischer Texttradition einerseits, aber zugleich als Geschichte von Schuld und Sünde, von Gut und Böse, von Verdammung und Erlösung, von Verantwortung und Freiheit.“ Ferner ders., in: Cardilli (u.a.), Modelli teorici e metodologici nella storia del diritto privato 3, S. 313 ff., 330 ff. Berman, Law and Revolution, p. 1 ss., 85 ss. Berman, Law and Revolution, p. 68 ss., 165 ss. S. etwa Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 109. S. Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 81 ff., 109 ff.; ferner auch Recknagel, Einheit des Denkens, S. 4 ff., 21 ff.; zur spanischen Spätscholastik bzw. „Schule von Salamanca“ s. unten umfassend S. 46 ff. S. zu den Nachweisen die Angaben im Literaturverzeichnis. Reibstein, Völkerrecht, S. 279 ff., 313 ff., 333 ff. Kohler, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 1916/17, 235 ff. Zu einem Überblick über die Spätscholastik/Schule von Salamanca sowie die Forschungslage s. Duve, in: Duve/Egío/Birr (eds.), The School of Salamanca, p. 1 ss.; Birr/Decock, Recht und Moral in der Scholastik der frühen Neuzeit 1500–1750, S. 73 ff. Dazu etwa Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXXI f.

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auf den grundlegenden Einfluss der Moraltheologen auf das Vertragsrecht der neuzeitlichen Naturrechtslehre hingewiesen und hierbei bereits eine wesentliche Rekonstruktion der Grundlagen der spätscholastischen „Rechtstheologie“31 geleistet. Ferner haben Jansen, Repgen und Sampson im Anschluss an Wolter, Nufer und Gordley neuerdings die Restitutionslehre der Spätscholastiker dargestellt und Bezüge zum neuzeitlichen Haftungs-, Schadensund Bereicherungsrecht aufgezeigt. Weiter wurde auf die Bedeutung der Spätscholastiker für die Strafrechtsentwicklung hingewiesen, so von Seelmann, Schlosser, Grunert, Maihold und Schnyder. Auch in der Rechtsphilosophie erschienen in jüngster Vergangenheit zahlreiche Veröffentlichungen (Brieskorn, Böckenförde, Bach, Stiening, Kaufmann, Bunge, Walther, Recknagel, Repgen, Schweighöfer, Spindler) zur Rechtsund Gesetzeslehre des Jesuiten Francisco Suárez und anderer Spätscholastiker, die etwa auf Grotius und Pufendorf Einfluss haben sollte. Ferner wurde auch der thomistische und spätscholastische Beitrag zur Bildung der politischen Theorie der Neuzeit aufgezeigt (Skinner, Figgis, Pagden). Daneben wird bereits seit dem 19. Jahrhundert auf die spätscholastische Prägung des frühneuzeitlichen Handels-, Wirtschafts- und Gesellschaftsrechts hingewiesen, so etwa ursprünglich von Endemann, ferner dann von Höffner, Schumpeter, Weber, Löber, Langholm32, zuletzt wiederum Decock und Alonso-Lasheras.33 Schließlich wird bereits seit mehreren Jahrzehnten die Relevanz der Spätscholastiker, die insbesondere für die Rechte der indigenen Bevölkerung Amerikas gegen die spanische Eroberung und Besatzung eintraten (Vitoria; Las Casas), für die Entstehung und Entwicklung der subjektiven Rechte und der Menschenrechte thematisiert (Villey; Tierney; Brett; Grossi; Seelmann; Schermaier; Deckers; Böckenförde; Kaufmann; Brieskorn; Bunge; Simmermacher). Dabei wurde gerade in den vergangenen Jahren herausgearbeitet, dass die rechtlichen Werke in das jeweilige philosophische und theologische Gesamtwerk der Autoren eingebettet sind.34 Begriffe, Konzepte oder Ideen, die in der Rechtslehre aufgegriffen werden, finden sich an anderer Stelle des Gesamtwerks spezifisch ausgearbeitet, sodass sich erst aus der Gesamtschau das Verständnis erarbeiten lässt (Decock, Schweighöfer, Simmermacher). An die Stelle eines Narrativs des „Bruchs“ in der Frühen Neuzeit formte sich so immer mehr 31 32 33 34

Zum Begriff der „Rechtstheologie“ vgl. Söhngen, Grundlagen einer Rechtstheologie, S. 18 ff. Langholm, The legacy of scholasticism in economic thought. S.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 4 m.w.N. (zu den mittlerweile kaum noch zu überschauenden Beiträgen zu den wirtschaftlichen Lehren der Spätscholastik). S. dazu insbesondere Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 1 ff., 14 ff.

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Kapitel 1

ein Narrativ der Kontinuität35 zwischen der spätscholastischen Naturrechtslehre des ausgehenden 16. Jahrhunderts und frühen 17. Jahrhunderts und den darauf folgenden neuzeitlichen Naturrechtslehren.36 Jüngst hat sich auch Jürgen Habermas in seiner Geschichte der Philosophie umfassend mit diesen Zusammenhängen auseinandergesetzt. Dank des wesentlichen Forschungsfortschritts der vergangenen Jahrzehnte kann nunmehr eine Art Überblick über die Einflüsse auf die verschiedenen Rechtsgebiete gegeben werden. Ein solches Panorama lässt aber notwendig die Frage nach der Herkunft und dem Grund der Naturrechtslehre der Spätscholastik erwachsen, und wirft freilich auch die Frage auf, wo die Unterschiede dieser Naturrechtslehre zur neuzeitlichen Naturrechtslehre liegen. 1.1.3.2 Die Verbindung der Gegenthesen Tatsächlich ist es die Aufgabe dieser Untersuchung zu zeigen, dass die beiden erwähnten Gegenthesen nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern in spezifischer Weise miteinander verbunden sind. Einen Hinweis, warum und inwiefern dies der Fall ist, hat bereits Harold Berman gegeben, indem er auf die Bedeutung der Bußtheologie für die rechtlichen Diskussionen verwiesen hat.37 Gerade die Bußtheologie verbindet letztlich die beiden Thesen und bildet den maßgeblichen Nexus zwischen der „Päpstlichen Revolution“ des 11. Jahrhunderts und der spanischen Spätscholastik. Entscheidend sind daher die Entwicklungen, Diskussionen und Bedingungen, unter denen sich die spanische Spätscholastik Bahn brechen konnte.38 Wie sich dabei zeigen wird, erfordert dies eine Rekonstruktion zentraler theologischer, philosophischer und rechtswissenschaftlicher Debatten des gesamten Mittelalters. Die Frage nach dem Hintergrund der spanischen Spätscholastik verweist nun zunächst auf Thomas v. Aquin (1225–1274) und seine zwischen 1265 und 1274 verfasste Summa Theologiae.39 Die maßgeblichen Werke der Spät35 36

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Vgl. grundsätzlich zu den Begriffen der Kontinuität, Rezeption und Transformation im rechtsgeschichtlichen Kontext Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  43 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 1. Kap. Rn. 10 ff. S. grundlegend Thieme, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 7 ss.; ferner Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  60 ff.; Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  6 f.; vgl. auch Duve, Einleitung, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia – Über die Gerechtigkeit. Teil 1. Francisco de Vitoria, S. XXI, XXV ff.; Recknagel, Die Einheit des Denkens, S. 4 ff., 21 ff.; Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 81 ff., 109 ff.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 8 f. Dazu Berman, Law and Revolution, p. 68 ss., 165 ss., 172 ss. Dazu unten im Einzelnen S. 46 ff. S.a. Seelmann, Thomas von Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S. 3 ff. mit dem Hinweis auf die Bedeutung von Thomas für die rechtlichen Entwicklungen.

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scholastik sind nämlich entweder Kommentare zum zweiten Teil der Summa Theologiae (so bei Vitoria [1483–1546]40) oder selbständige Traktate, die unter Auseinandersetzung mit den Traktaten De Iustitia et Iure (so Soto [1494–1560], Molina [1535–1600], Lessius [1554–1623]) und De Lege (so Suárez [1548–1617]) der Summa Theologiae eine Rechts- und Gesetzeslehre entwickeln.41 Es handelt sich bei diesen Kommentaren und Traktaten ebenso wie bei der Summa Theologiae selbst indes um keine „rechtswissenschaftlichen“, sondern in erster Linie „(moral-)theologische/philosophische“ Abhandlungen.42 1.1.4 Der philosophisch-theologische Hintergrund 1.1.4.1 Die Dualität der Foren Wieso dies der Fall ist, d.h. wieso sich (Moral-)Theologen und Philosophen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit mit dem Recht beschäftigen und was daraus folgt, wird im Folgenden erörtert.43 Unmittelbarer Hintergrund ist die Rechtfertigungs- und Bußtheologie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit und die damit in Zusammenhang stehende „Dualität der Foren“, d.h. des forum internum und des forum externum.44 Es wird in der Theologie und Philosophie des Mittelalters die Idee eines inneren „Gewissensgerichts“ ( forum conscientiae) des Menschen entwickelt, in dem das Gewissen dem Menschen anzeigt, ob er gut oder schlecht handelt und ob er dem natürlichen Gesetz als einer Anordnung der Vernunft Folge leistet – das Naturrecht bildet insoweit die für das Gewissensforum maßgebliche Rechtsordnung.45 Dieses innere „Gewissensgericht“ ist verbunden mit dem „Bußforum“ ( forum poenitentiale), in dem der Sünder vor dem Priester seine Sünden bekennt und die Schuld gegenüber Gott vergeben wird. Von diesem inneren Forum ( forum internum) wird das äußere Forum ( forum externum) unterschieden, das als „gerichtliches Forum“ ( forum iudiciale) verstanden wird und in dem Strafen verhängt und zivilrechtliche Verpflichtungen durchgesetzt werden.46 Diese Dualität von forum externum und forum internum sollte das Verhältnis von Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft grundsätzlich prägen, und nur vor diesem Hintergrund kann die Entstehung einer separaten und umfassenden 40 41 42 43 44 45 46

Dazu etwa Repgen, in: Jansen/Kästle-Lamparter (Hrsg.), Kommentare in Recht und Religion, S. 249 ff. S. etwa Decock, Theologians and Contract Law, p. 51 ss., 57 ss., 62 ss. S. dazu unten noch S. 56 ff. Dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 22 ss. Umfassend dazu Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  35 ff. et passim; Decock, Theologians and Contract Law, p. 26 s. Dazu unten S. 101 ff. Dazu unten S. 101 ff., 113 ff.

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konkreten Naturrechtsordnung und die Differenzierung von Recht und Moral nachvollzogen werden.47 Die bußtheologisch begründete Dualität der Foren steht dabei in innerem Zusammenhang mit der Rechtfertigungstheologie insgesamt, d.h. der Rechtfertigung des Menschen durch Gott, und damit vor allem mit der Frage nach dem Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher (Willens-)Freiheit, Gnade und Gesetz sowie Wille, Vernunft und Freiheit.48 Prodi hat auf diesen Zusammenhang bereits vor mehreren Jahrzehnten hingewiesen49, allerdings ohne die damit verbundenen Folgen für die konkrete Rechtsordnung darzustellen. 1.1.4.2 Das Verhältnis von Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft Es ist dabei nicht Thomas von Aquin selbst oder alleine, der diese Transformation bewirkt.50 Vielmehr sind es verschiedene Einflüsse – Aristoteles’ Tugend- und Gerechtigkeitslehre, die stoisch-ciceronianische Gesetzeslehre, römisches und kanonisches Recht, die Theologie und Philosophie der Patristik und der Früh- und Hochscholastik –, die einerseits bei Thomas zusammenlaufen und andererseits von dort wieder auseinandergehen, und so durch den Einfluss auf die Spätscholastik und deren Fortentwicklungen51 in das Naturund Vernunftrecht der Neuzeit und die weltliche Rechtswissenschaft gelangen und auf diese Weise zu einer Grundlage des „modernen“ Rechts werden.52 Die Transformation des Rechts geschieht schließlich dadurch, dass Gedanken und Konzepte der naturrechtlichen Rechtsordnung, die ursprünglich für das forum internum gilt, in das forum externum übertragen werden und so eine Grundlage der modernen (Naturrechts-)Kodifikationen bilden.53 Es zeigt sich hierbei wiederholt, dass die Theologie zunächst auf Begriffe und Konzepte der Rechtswissenschaft zurückgreift („Juridifizierung der Theologie“), und diese dann fortentwickelt, abstrahiert oder transformiert, was schließlich wiederum von der Rechtswissenschaft („Theologisierung der Jurisprudenz“) 47 48 49 50

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Dazu unten S. 186 ff. Dazu unten S. 66 ff., 155 ff. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 11 ff. et passim. Allerdings gilt weiterhin, dass Thomas v. Aquin „von der eigentlichen Jurisprudenz auch heute noch viel zu wenig in seiner Bedeutung für die Entwicklung des abendländischen Rechtsdenkens erkannt zu sein“ scheint (Trusen, Gelehrtes Recht, S. 25; ebenso Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 26 Fn. 51). Zum Verhältnis von Thomas zur Spätscholastik unten S.  46 ff.; s. aber noch sehr einschränkend zu Thomas’ Bedeutung für diese Entwicklungen und eher auf die Spätscholastik abstellend Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 107 f. S. dazu unten S. 33 ff. Dazu unten S. 265 ff.

Einleitung

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aufgegriffen wird.54 Rechtswissenschaft, Philosophie und Theologie ergänzen sich so wechselseitig, wobei insbesondere Theologie und Philosophie zum Ideengeber und Wegbereiter des neuzeitlichen Naturrechts werden.55 1.1.4.3 Philosophisch-theologische und zeitgeschichtliche Diskussionen Maßgeblich für die Rechtsentwicklung werden dabei vor allem drei wesentliche Ideen: Zunächst ein spezifisches Menschenbild, in dem die Willensfreiheit (liberum arbitrium) und das Personsein des Menschen zentrale Bedeutung gewinnen.56 Der Mensch wird hier verstanden als vernunftbegabtes Wesen, das über einen freien Willen verfügt.57 Weil der Mensch über Vernunft und Willen verfügt und „Herrschaft“ über sich selbst hat, d.h. weil er frei ist, ist der Mensch gesetzesfähig – der Mensch ist aufgrund seiner Willensfreiheit verantwortlich für sein Handeln. Und weil der Mensch frei ist, ist er auch rechtsfähig, hat Rechte und kann rechtlich handeln – der Mensch ist Person.58 Sodann die aristotelisch-thomistische Gerechtigkeitslehre; das zwischenmenschliche Handeln des Menschen unterliegt den Anforderungen der Tugend der Gerechtigkeit; die ausgleichende Gerechtigkeit zielt auf einen Ausgleich in den zwischenmenschlichen Beziehungen.59 Schließlich kommt der Bußtheologie und der damit verbundenen Dualität der Foren maßgebliche Bedeutung für die Rechtsentwicklung zu.60 Auf diese Weise werden Person, Würde, (Willens-)Freiheit, Vernunft, Wille, Gesetz, Recht, Verpflichtung, Gewissen und Forum zu Zentralbegriffen der (Natur-)Rechtslehre. Wie sich dabei zeigen wird, vollziehen sich die rechtlichen Veränderungen vor dem Hintergrund mehrerer konkreter philosophisch-theologischer und zeitgeschichtlicher Auseinandersetzungen des Mittelalters und der Frühen 54

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Grundsätzlich hierzu („Juridifizierung der Theologie“ und „Theologisierung der Jurisprudenz“) Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 8 ff., 15  ff.; s.a. ders., Thomas von Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S.  11 („Thomas stand aber auch von vornherein in den hier vorgestellten Traditionen einer Juridifizierung der Theologie“). Dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 22 ss.; Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215 ff., 218 ff.; s. ferner Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 286 („What we encounter in the sources is not a simple dependence of jurisprudence on philosophy but a persistent interplay between the two disciplines from the twelfth century onward“). S.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 3 ff., 126 ff. zur Bedeutung der Willensfreiheit für die Rechtslehre bei Molina. Dazu unten S. 145 ff. Dazu unten S. 155 ff., 167 ff. Dazu unten S. 128 ff. Dazu unten S. 60 ff., 101 ff.

12

Kapitel 1

Neuzeit: zunächst der bußtheologischen Frage, welche Bedeutung dem kirchlichen bzw. priesterlichen Wirken in Buße und Beichte zukommt und wie sich menschlicher, kirchlicher und göttlicher Bereich in der Buße sowie Buße und Strafe zueinander verhalten.61 Entscheidend ist dabei die Herausarbeitung und Verhältnisbestimmung der spezifischen Begriffe von Schuld und Strafe. Die Buß- und Rechtfertigungstheologie bildet so den Kontext für die Entwicklung einer neuen Rechtslehre, die das Recht transformiert. Ferner erlangt die philosophisch-theologische Auseinandersetzung um das Verhältnis von Vernunft und Wille, von Rationalismus und Voluntarismus wesentliche Relevanz, die sich zunächst zwischen dem Dominikaner Thomas von Aquin und den Franziskanern Duns Scotus (1265/66–1308) und Wilhelm von Ockham (1280/85–1347) abspielt.62 Es geht hier vor allem um die Frage, ob Maßstab von Gut und Schlecht allein die Vernunft oder nicht vielmehr der freie ungebundene göttliche Wille ist; ob „etwas verboten ist, weil es schlecht ist“, oder ob „etwas schlecht ist, weil es verboten ist“; ob das Naturrecht aus der vernünftigen Natur an sich oder aus einem göttlichen Willensentschluss hervorgeht63; und schließlich ob die Freiheit des Menschen im Intellekt oder im Willen liegt64. Sodann gewinnt die durch die Reformation bedingte Auseinandersetzung um die Rechtfertigungstheologie und das Verhältnis von Gnade und Freiheit zentrale Bedeutung.65 Während die vorgenannten Entwicklungen (Anthropologie, Gerechtigkeitslehre, Bußtheologie) vor allem Thomas v. Aquin und die Scholastik beschäftigen, wird in der Frühen Neuzeit die rechtfertigungsund gnadentheologische Frage nach dem Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Willensfreiheit im Hinblick auf die Rechtfertigung des Menschen maßgeblich: Kann der Mensch einen Beitrag zu seiner Erlösung leisten oder hängt diese ganz und ausschließlich von der göttlichen Gnade ab?66 Die Frage nach dem Verhältnis von Gnade und Freiheit wurde wohl zu dem zentralen philosophisch-theologischen Thema des 16. und 17. Jahrhunderts.67 In der frühneuzeitlichen Debatte um das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Willensfreiheit kommt den Jesuiten Molina, Lessius und Suárez besondere Bedeutung zu, die die Bedeutung menschlicher Freiheit

61 62 63 64 65 66 67

S. dazu unten S. 60 ff., 66 ff., 77 ff. Dazu unten S. 51 ff., 90 ff. Dazu unten S. 90 ff., 93 ff., 189 ff. Dazu unten S. 145 ff. Dazu unten S. 155 ff. Vgl. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 40 f. S. dazu unten S. 155 ff. sowie S. 224 ff.

Einleitung

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für die Rechtfertigung betonen.68 Die damit verbundene Vorstellung des menschlichen Willens (voluntas), der, weil er indeterminiert ist und sich selbst bestimmt, frei ist und deswegen die Ursache von moralischen Wirkungen sein kann, hinterlässt wesentliche Spuren in der Rechtslehre der Spätscholastiker.69 Für die Entwicklung des Person- und Rechtsbegriffs gewinnt schließlich in der Frühen Neuzeit die Christologie wesentliche Bedeutung.70 Auch dies hat einen zeitgeschichtlichen Hintergrund: Mit der posttridentinischen Kontroverstheologie wird die Christologie in ihrer Verbindung mit der sakramentalen Struktur der Kirche zum zentralen Motiv.71 Die Erörterungen um Recht und Gerechtigkeit verbinden dabei die moraltheologischen und christologischen Diskussionen.72 In diesem Kontext wird dann auch eine weitere theologische Traditionslinie relevant, die ihren Ausgangspunkt bei Alexander von Hales (1185–1245) nimmt und die Theo Kobusch als Tradition der „Metaphysik der Freiheit“73 bezeichnet hat. Indem Suárez diese Freiheitsmetaphysiktradition für seine Rechts- und Gesetzeslehre aufgreift, wird der rechtliche Diskurs in eine Metaphysik der Freiheit überführt.74 Tatsächlich ist es so, dass in Suárez’ Rechtsphilosophie die thomistische Rechts- und Gesetzeslehre, die scotistische Willenslehre und die von Alexander von Hales und Bonaventura (1217–1274) her kommende „Lehre vom moralischen Sein“75 zusammenlaufen. Es entwickelt sich so eine spezifische Rechtslehre, die sich um die Begriffe Person, Vernunft, Wille, Willensfreiheit, Würde, Gesetz und Recht konstituiert und deren Fundament die Freiheit ist.76 Suárez’ Lehre vom „moralischen Sein“ und der „Person“ und Molinas Willensmetaphysik sind hier die transformativen Innovationen.77 68 69 70 71 72

73 74

75 76 77

Dazu unten S. 155 ff. Dazu unten S. 161 ff., 167 ff. Dazu unten S. 167 ff.; grundlegend Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff., 55 ff. S. näher dazu unten S. 168 ff. Vgl. insoweit auch Pérez, De Iustitia et Iure, Prooemium, der die theologische Relevanz der Diskussion von Recht und Gerechtigkeit genau mit diesen beiden Gesichtspunkten begründet: einerseits mit der Gerechtigkeit Gottes, der göttlichen Gnade sowie den Verdiensten Christi, andererseits mit der Gewissensunterleitung. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 12, 15 ff. Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 ff. Bedeutung kommt hier neben Suárez vor allem für das Vertragsrecht Pedro de Oñate und für das Haftungsrecht Juan de Lugo zu, welche die Lehre vom moralischen Sein aufgreifen und mit deren Kategorien die Rechtsbereiche aufarbeiten. Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 ff. Dazu unten S.  145 ff., 167 ff. sowie Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  23 ff., 55 ff.; ferner zu dieser normativen Begriffsreihe auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 15 ff. Dazu unten S. 167 ff. sowie S. 173 ff.

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Kapitel 1

Schließlich gewinnen zwei zeitgeschichtliche Entwicklungen Bedeutung: zunächst der im 14. Jahrhundert virulent werdende Armutsstreit, der durch die Franziskaner und den mit ihrer Form der Christusnachfolge verbundenen Eigentumsverzicht hervorgerufen wird. Haben die Franziskaner tatsächlich keine (Eigentums-)Rechte? Was ist ein Recht? Was ist die moralische und rechtliche Qualität des Eigentums? Kann man auf sämtliche Rechte verzichten? Wie ist das Verhältnis von Faktischem (faktische Nutzung) und Rechtlichem (Nutzungsrecht)?78 Sodann wird im 16. Jahrhundert die Entdeckung und Eroberung der „Neuen Welt“ zum Anlass der grundlegenden Frage nach den Rechten der indigenen Bevölkerung, die vor allem Francisco de Vitoria beschäftigt: Wer hat welche Rechte?79 Gibt es Rechte, die jedem Menschen von Natur aus zustehen? Dürfen, und, falls ja, unter welchen Voraussetzungen, Rechte Menschen entzogen werden? 1.1.4.4 Das Naturrecht Die naturrechtlichen Debatten lassen sich nur vor diesem philosophischtheologischen Hintergrund verstehen. Obwohl das Naturrecht vor einem spezifischen philosophisch-theologischen Hintergrund zu verstehen ist, wird sich indes zeigen, dass das Naturrecht selbst kein „theologisches“ Recht im Sinne eines „Offenbarungsrechts“ ist.80 Das vernunftbegründete Naturrecht ist seinem Anspruch nach universal und rational, d.h. ohne Glaubenswahrheit vermittelbar. Besonders deutlich zeigt sich dies in den objektivistischen Naturrechtsansätzen, die das Naturrecht von einem göttlichen Willensakt und damit von Gott selbst unabhängig machen und alleine mit der vernünftigen Natur an sich begründen; das natürliche Gesetz ist danach die „natürliche Vernunft an sich“ (ipsa naturalis ratio; rationalis natura ex se).81 Aufgrunddessen ist auch nachvollziehbar, dass eine Strömung innerhalb des Naturrechts so weit gehen konnte zu sagen, dass das Naturrecht auch dann existieren würde, wenn es Gott überhaupt nicht gäbe.82 78 79 80 81 82

Dazu unten S. 285 ff. Dazu unten S. 298 ff. Dazu unten S. 189 ff. So Gabriel Vázquez, Comm. I–II, Disp. 150 Cap. 3 N. 23; dazu etwa Mandrella, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 129, 137 ss.; zur Auseinandersetzung mit dieser Position Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 1 ff. S. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 3 zu dieser Auffassung („licet Deus non esset […], si in homine esset idem dictamen rectae rationis dictantis u.g. malum esse mentiri, illud habiturum eamdem rationem legis quam nunc habet, quia esset lex ostensiva malitiae, quae in obiecto ab intrinseco existit“); unter Rekurs auf Gregor von Rimini, In Sec., Dist. 34 q. 1 art. 2 Secundum Correlarium, Fol. 121 („nam si per impossibile ratio divina sive deus non esset“); s.a. insoweit zu Gabriel Vázquez und Gregor von Rimini Mandrella, in:

Einleitung

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Verschiedene, mit der thomistischen Tradition verbundene Entwicklungslinien leisten letztlich einen wesentlichen Beitrag zur Transformation und Formung der westlichen Rechtstradition und bilden, so die These, eine wesentliche Grundlage der modernen westlichen Rechtsordnungen. Thomas wird so, neben dem Nominalismus und den franziskanischen Theologien des Mittelalters (Bonaventura, Alexander von Hales, Duns Scotus, Ockham), die die Spätscholastiker wesentlich beeinflussen sollten und auf die ebenfalls eingegangen wird, zu einem Kanalisierungs- und Ausgangspunkt, der die westliche Rechtstradition maßgeblich formen und prägen sollte. Es ist Thomas, der das Koordinatensystem schafft, innerhalb dessen sich auch die Spätscholastiker und die Naturrechtslehrer der Neuzeit bewegen. Der Kontext der Fragen ändert sich zwar, aber die Fragen und Antworten bleiben in wesentlichen Punkten gleich.83 1.2

Gang der Untersuchung

Nach einem kurzen Überblick über den zeit- und rechtsgeschichtlichen Kontext der Summa Theologiae (Kapitel  2) wird auf Inhalt und System der von Thomas und den Spätscholastikern entwickelten Lehre eingegangen, welche aristotelische Philosophie und Tugendethik, stoisch-ciceronianische Gesetzeslehre, Elemente des römischen und kanonischen Rechts sowie Theologie und Philosophie der Patristik und der Scholastik integriert (Kapitel  3). Vor dem Hintergrund der Buß- und Rechtfertigungstheologie werden sodann die thomasische Gesetzeslehre und die damit verbundene Differenzierung zwischen menschlichem Gesetz und Naturrecht dargestellt. Durch das Zusammenspiel von thomasischer Bußtheologie und Gesetzeslehre erhellt sich anschließend die Entstehung und Entwicklung der beiden Foren. Hiernach wird auf die aristotelisch geprägte Gerechtigkeitslehre bei Thomas sowie die Entwicklung der Kategorien Person, Wille, Willensfreiheit und Recht eingegangen, um dann einen näheren Blick auf die Entwicklung des Naturrechts bei Thomas und den Spätscholastikern zu werfen und zu diskutieren,

83

Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 129, 131 ss. Vgl. zu dieser Diskussion noch unten S. 189 ff. sowie zu Grotius, der dies insoweit aufgreift, S. 237 f. Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 265 („Das profane Vernunftrecht der Neuzeit, neben dem Corpus Iuris die stärkste Potenz der neueren Rechtsentwicklung überhaupt, trägt in sich zunächst das ganze Erbe des antiken und des augustinischthomistischen Naturrechts; seine Fragestellungen sind nur aus dieser Tradition verständlich.“).

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Kapitel 1

inwieweit die dort entstandene konkrete Naturrechtsordnung zur Grundlage des „neuzeitlichen“ Naturrechts wurde. Im anschließenden Kapitel  4 wird konkret auf die Veränderungen eingegangen, die in den verschiedenen Rechtsgebieten (subjektive Rechte; Haftungs- und Schadensrecht; Vertragsrecht; Straf- und Strafprozessrecht) durch die thomasisch-spätscholastische Tradition bedingt sind, wobei besonderer Fokus auf die philosophisch-theologischen Gründe der jeweiligen Veränderungen gelegt wird. Anschließend wird auf die politische Theorie bei Thomas und den Spätscholastikern im zeitgeschichtlichen Kontext eingegangen (Kapitel 5). Schließlich (Kapitel 6) wird der Blick nochmals auf die Frage des Narrativs gerichtet. Zum Schluss sollen hier noch drei (Warn-)Hinweise erfolgen: wenn auf den ideengeschichtlichen Einfluss von Thomas v. Aquin hingewiesen wird, dann bedeutet dies nicht, dass er der alleinige Urheber von Ideen und Konzepten gewesen wäre – es zeigt sich gerade, dass verschiedene Einflüsse bei Thomas und den Spätscholastikern zusammenlaufen. Gleichwohl wird auf Thomas rekurriert, weil ihm in der Ideen- und Wirkungsgeschichte eine besondere Bedeutung zukommt – hierauf wird im Einzelnen hingewiesen. Wenn ferner auf die Theologie und Lehren Thomas’ und der Spätscholastiker rekurriert wird, dann ist wesentlich zu vergegenwärtigen, dass dies nicht – zumindest nicht zwangsläufig und insbesondere auch vor dem Konzil von Trient – die Position der (katholischen) Kirche gewesen ist. Es zeigen sich vielmehr verschiedene Positionen und Auseinandersetzungen zwischen Thomismus und anderen Denkformen (insbesondere franziskanischen oder auch kanonistischen) – hierauf wird im Einzelnen einzugehen sein.84 Erst mit dem Konzil von Trient macht sich die katholische Kirche wesentliche thomistische Positionen zu Eigen, 1567 wird Thomas zum „Kirchenlehrer“ erhoben.85 Schließlich sollen die folgenden Ausführungen nicht implizieren, die einzig richtige Thomasinterpretation bereitzuhalten. Thomas und das Naturrecht wurden in der Geschichte ganz unterschiedlich verstanden, interpretiert

84

85

Wenn etwa die Entwicklung der beiden Foren dargestellt wird, dann wird hier eine Idee, die maßgeblich von Thomas entwickelt wird, erst mehrere Jahrhunderte später, nämlich im 16. Jahrhundert durch die Reformen des Konzils von Trient wirkmächtig und „offiziell“ aufgegriffen. S. bspw. Grabmann, Die Geschichte der katholischen Theologie, S. 161 ff.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 174, 187 (zur Bußtheologie); Willems, Soteriologie, S. 36 f.; s.a. Seelmann, Thomas von Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S. 3.

Einleitung

17

und gelesen.86 Zu unterscheiden ist etwa die zeitgeschichtliche Rezeption des 13. und 14. Jahrhunderts von der Thomas-Renaissance des 16. und 17. Jahrhunderts und der Neu-Scholastik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.87 Dem rechtsphilosophischen und rechtshistorischen Ansatz dieser Arbeit geschuldet, wird Thomas hier vor allem aus rechtlicher bzw. „rechtstheologischer“ Perspektive betrachtet – und damit vor allem so, wie ihn die Spätscholastiker des 16. und 17. Jahrhunderts gelesen haben.

86 87

S. umfassend zu einer Verortung der Naturrechtsansätze aus heutiger Perspektive Schockenhoff, Naturrecht und Menschenwürde, S. 11 ff., 20 ff., 148 ff. Vgl. auch Schockenhoff, Naturrecht und Menschenwürde, S. 38, wonach im Hinblick auf die spanische Spätscholastik die „Geschichte des naturrechtlichen Denkens im 16. und 17. Jahrhundert“ „oft als Fehlentwicklung und als Verfallsgeschichte des mittelalterlichen Naturrechts gedeutet worden“ ist.

Kapitel 2

Scholastische Theologie und Philosophie im rechtsgeschichtlichen Kontext 2.1

Die „Rechtswirklichkeit“ des frühen Mittelalters

Bevor man sich der rechtlichen Situation des 13. Jahrhunderts zuwendet, die den Hintergrund bei Thomas bilden sollte1, ist zunächst ein Blick auf das zu werfen, was zuvor bestanden hatte und ab Ende des 11. Jahrhunderts zunehmend abgelöst wurde.2 Das römische Recht, das bereits mit Ende der sog. klassischen Periode ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. seine Blütezeit hinter sich gelassen hatte und zunehmend „vulgarisiert“ wurde, war mit dem Zusammenfall des römischen Reiches weitgehend aus der Rechtspraxis Westeuropas verschwunden.3 Es lebte von dort an vor allem in der Osthälfte des Römischen Reichs fort. Unter der „oströmischen Rechtsschule“ entwickelt sich dort eine Renaissance des klassischen römischen Rechts, das so im oströmischen Reich im 6. Jahrhundert zu neuer Blüte gelangt.4 In dieser Entwicklung steht das Gesetzgebungswerk des oströmischen Kaisers Justinian. Im Jahr  528 n. Chr. gibt er dem Juristen Tribonian den Auftrag, eine umfassende Kompilation der Quellen des klassischen römischen Rechts sowie der Gesetze der Kaiserzeit zu erstellen, die später als Corpus Iuris Civilis bezeichnet werden sollte.5 Zur gleichen Zeit ist im Westen des vormaligen Imperium Romanum das römische Zeitalter bereits weitgehend beendet. Nach Untergang und Auflösung des westlichen Teils des römischen Reichs im 5.-7. Jahrhundert ist Europa von germanisch bzw. keltisch geprägten Stämmen besiedelt.6 Durch 1 Vgl. Seelmann, Thomas von Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S. 11 („Thomas stand aber auch von vornherein in den hier vorgestellten Traditionen einer Juridifizierung der Theologie“); Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 84, wonach die bei Thomas v. Aquin entwickelte Rechtsphilosophie letztlich eine Reaktion „auf die Ausdifferenzierung des Rechtsystems im Anschluss an die päpstliche Revolution“ ist. 2 S. hierzu und zum Folgenden Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, § 2; s. auch grundsätzlich zu den zeitgeschichtlichen Voraussetzungen für Thomas Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  222 ff.; Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 3 ff. 3 Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn.  1 ff.; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 1 Rn. 10 ff., 25. 4 Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 53 ff. 5 Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 56 ff. 6 Hierzu Berman, Law and Revolution, p.  49 ss.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 6 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 27 ff., 33 ff. © Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657795413_003

Scholastische Theologie und Philosophie

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die Völkerwanderung sind germanische Stämme in die Provinzen und nach Italien eingefallen. Das römische Recht gerät, soweit es zuvor die Rechtspraxis nach der Vulgarisierung überhaupt noch prägte, weitgehend in Vergessenheit und wird in Ansätzen von der kirchlichen Rechtspraxis bewahrt. „Stammesrechte“ (die sog. „Leges“) treten zunehmend an die Stelle des römischen Rechts, wobei hierbei durchaus Elemente des römischen Rechts aufgegriffen werden.7 Mischformen bildet etwa die westgotische „Lex Romana Visigothorum“, die Elemente des römischen Rechts mit germanischen Rechtstraditionen verbindet.8 Es verbreiten sich Gesetze, die im Wesentlichen katalogartige Vorschriften (Kompositionensystem) für Sach- oder Geldbußen bei Totschlag, Körperverletzung oder Sachverlust enthalten, welche an die Stelle von Privatrache und Fehde treten sollen („Gewere“, „Wergelder“).9 Es bildet sich so ein Stammesrecht heraus, das stark mit Elementen der Fehde, Privatrache, Sippe und Stammesgesellschaft verknüpft ist.10 Zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten gibt es keine gerichtliche Organisation, sondern Volksversammlungen („Things“), in denen der Angeklagte zur Entkräftigung der Anschuldigung einen Reinigungseid schwören und Eidhelfer vorbringen kann, die seinen guten Leumund bezeugen sollen.11 Kann so der Streit nicht gelöst werden, werden Streitigkeiten entweder durch gerichtliche Zweikämpfe oder durch sog. Gottesurteile („Ordale“) entschieden.12 2.2

Die gregorianische Reform und der Investiturstreit

Dies ist im Wesentlichen die Situation des frühen 11. Jahrhunderts in weiten Teilen Europas.13 Die gesellschaftliche Organisation der feudalen Agrargesellschaften ist vor allem lokal.14 Es gibt grundsätzlich keine „staatlichen“ Strukturen, sondern lokale auf persönlichen oder familiären Beziehungen

7 8 9 10 11 12 13 14

Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 9 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 38 ff.; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 1 Rn. 25. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 18. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn.  25 (zum langobardischen „Edictum Rothari“); Berman, Law and Revolution, p. 54 s. Berman, Law and Revolution, p. 52 ss., 57 ss. Berman, Law and Revolution, p. 57 ss.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22a; Berman, Law and Revolution, p. 57 ss. Hierzu und zum Folgenden Berman, Law and Revolution, p. 49 ss., 76 ss., 333 ss., 357 ss. Berman, Law and Revolution, p. 51.

20

Kapitel 2

beruhende Machtbeziehungen; die Geltung des Rechts richtet sich nach der personalen Zugehörigkeit zu einem Stammes- oder Familienverband.15 Vor diesem Hintergrund entfaltet sich im 11. Jahrhundert eine Entwicklung, die als „Päpstliche Revolution“ bezeichnet wird.16 Bestimmend ist dabei eine Bewegung, die ihren Ausgangspunkt in der burgundischen Benediktinerabtei Cluny genommen hat („Cluniazensische Reform“).17 Mit dieser benediktinischen Reformbewegung ist Papst Gregor VII. verbunden, der 1073 zum Papst gewählt wird.18 Anliegen dieser Reform ist die geistliche Erneuerung und Reform der Kirche.19 Insoweit zielt die Reform auf eine Entweltlichung des sich in einem schlechten Zustand befindlichen Klerus (Simonie, Abhängigkeit von den weltlichen Machthabern, mangelnde Bildung) durch institutionelle und organisatorische Reformen.20 Diese betreffen die Organisation der Kirche, die Ausbildung des Klerus, die rechtliche Verfassung und die Verwaltung der Kirche sowie das Verhältnis zu den weltlichen Mächten.21 Unter anderem bedingt durch die karolingischen Reformen des 8. und 9. Jahrhunderts, durch die Karl der Große entsprechend dem „Caesaropapismus“ des spätrömischen Reiches die Kirche, Bischöfe und Priester in die Organisation seines Reiches eingebunden und mit weltlichen Funktionen ausgestattet hatte, waren Kleriker und Bischöfe in weiten Teilen des ehemaligen Frankenreichs im 11. Jahrhundert mit weltlichen Funktionen und Aufgaben betraut bzw. von den weltlichen Machthabern abhängig.22 Bischöfe wurden regelmäßig von den Kaisern bzw. Königen eingesetzt.23 Vor diesem Hintergrund entwickelt sich der Investiturstreit zwischen Papst Gregor VII. und König Heinrich IV. Im „Dictatus 15 16 17 18 19 20 21 22 23

Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 97 f.; ferner Berman, Law and Revolution, p. 51. Hierzu grundlegend Berman, Law and Revolution, p. 85 ss.; zum Begriff bereits RosenstockHuessy, Die europäischen Revolutionen, S. 131 ff. Hierzu und zum Folgenden Berman, Law and Revolution, p. 88 ss., 94 ss.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  224; Hoffmann, Von Cluny zum Investiturstreit, S. 165 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 654 ff. Berman, Law and Revolution, p.  87 ss.; dazu auch Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 414 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 654 ff. Berman, Law and Revolution, p.  87 ss.; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 414 ff. Berman, Law and Revolution, p. 87 ss. Berman, Law and Revolution, p. 87 ss.; s.a. Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 404. Berman, Law and Revolution, p.  88, 91; näher zur karolingischen Zeit Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 368 ff.; s. ferner auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 650 ff.; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 25. Berman, Law and Revolution, p. 88, 92; s.a. Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 404.

Scholastische Theologie und Philosophie

21

Papae“ (1075) fordert Gregor VII. u.a. das Ernennungsrecht der Bischöfe durch den Papst.24 Ebenso wie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (Konkordat von Worms, 1122) finden in kurzer zeitlicher Abfolge ähnliche Auseinandersetzungen in Frankreich und England statt, in denen sich die Kirche ebenfalls das Recht der Bischofsernennung sowie die organisatorische Hoheit über die Kirche und die Geistlichen erstreitet.25 Hierdurch erreicht die Kirche eine gewisse Unabhängigkeit und institutionelle Selbständigkeit von den weltlichen Mächten.26 Die religiös-politische Einheitswelt des frühen Mittelalters wird zugunsten einer Dualität von „Weltlichem“ und „Geistlichem“ aufgebrochen.27 Die organisatorisch-institutionelle Selbständigkeit der Kirche festigt sich im Laufe des Mittelalters durch ein europaweites hierarchisch organisiertes Rechts-, Verwaltungs- und Justizwesen, an dessen Spitze der Papst steht.28 2.3

Die Entstehung der Universität und der Rechtswissenschaft im 11./12. Jahrhundert

Das  11. Jahrhundert erlebt die Gründung von zahlreichen Städten und das Entstehen überregionalen Handels.29 Ende des 11. Jahrhunderts bildet sich die Rechtsschule von Bologna (1088 [?]), welche den Ausgangspunkt der Entwicklung zur europäischen Universität bildet.30 In kurzer zeitlicher Folge

24 25 26 27 28 29 30

Berman, Law and Revolution, p.  95 s.; näher dazu Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 417 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 658 ff. Berman, Law and Revolution, p.  87, 98 s.; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 507 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 662 f. Dazu auch Böckenförde, Der säkularisierte Staat, S.  46 ff.; ders., Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 224; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 660 ff. Böckenförde, Der säkularisierte Staat, S. 46 f., 48; ders., Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 224; Berman, Law and Revolution, p. 99; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 660 f. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  224 f.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 36a; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 460 ff.; ferner Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 660 ff. S.  etwa  Berman, Law and Revolution, p.  333 ss., 357 ss.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3. Kap. Rn. 10 f. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3. Kap. Rn.  8; Berman, Law and Revolution, p. 120 ss.; s. ferner Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 37 ff.; zur Entstehung der Europäischen Universität grundsätzlich Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 1 ff.; Rexroth, Fröhliche Scholastik, S. 20 ff. et passim.

22

Kapitel 2

entstehen neben Bologna auch in Paris31 und Oxford, ferner in Salamanca an verschiedenen europäischen Orten im 12. und 13. Jahrhundert Universitäten, die sich durch ihre institutionelle Verselbständigung, durch die verschiedenen Fakultäten und ihre wissenschaftliche Methodik auszeichnen und insoweit gegenüber den bisherigen Unterrichtsorten etwas Neues bilden.32 Mit der Gründung der Rechtsschule von Bologna beginnt zugleich die „Wiedergeburt“ des römischen Rechts.33 Die „Wiedergeburt“ des römischen Rechts im Mittelalter verdankt sich dabei vor allem einer dreifachen Entwicklung: So wurde römisches Recht über die Zeit der Völkerwanderung und des Untergangs Roms durch die Kirche bewahrt, die in ihrer Struktur und Verfassung die römische Rechtskultur und Teile des Rechts integriert hatte und deren rechtliche Verfassung maßgeblich hierdurch geprägt war („Die Kirche lebt mit dem römischen Recht“ – ecclesia vivit iure romano).34 Daneben lebte das vulgarisierte römische Recht auch in gewissem Umfang in den germanischen „Leges“ fort.35 Schließlich wurden im 11. und 12. Jahrhundert Abschriften des justinianischen Gesetzgebungswerks wiedergefunden, die den Lehr- und Arbeitsgegenstand der Rechtsschule von Bologna bildeten, was die Verwissenschaftlichung des Rechts, d.h. die Rechtswissenschaft begründete.36 Neben den rechtswissenschaftlichen Fakultäten bilden sich an den entstehenden Universitäten theologische Fakultäten, ferner werden medizinische Fakultäten eingerichtet; dem Studium an den Fakultäten ist ein Studium der artes liberales (freie Künste) an der Artistenfakultät vorgeschaltet.37 Es entsteht so die europäische Universität, an die Juristen aus ganz Europa kommen, um an den entstehenden rechtswissenschaftlichen Fakultäten (bspw. Bologna, Padua, Neapel; Montpellier, Toulouse; Salamanca) im Recht ausgebildet zu werden und anschließend in ihren Heimatregionen als gelehrte Juristen arbeiten zu können; die ersten Universitäten und juristischen Fakultäten im 31 32 33 34 35 36 37

Zur Bedeutung der Universität und insbesondere der Universität von Paris für Thomas v. Aquin Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 10 ff. S. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 1 ff. Zur Entstehung der europäischen Rechtswissenschaft Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, § 3; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3. Kap. Rn. 8 ff., 17 ff. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 36; Zimmermann, The Law of Obligations, p. ix; umfassend zu dieser Prägung der Kirche durch das römische Recht Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 159 ff., 607 ff. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3. Kap. Rn. 1. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3. Kap. Rn. 2 ff. S.a. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 2 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3. Kap. Rn. 12 f.; Zimmermann, The Law of Obligations, p. ix.

Scholastische Theologie und Philosophie

23

Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bilden sich Ende des 14. Jahrhunderts (Prag, Wien, Heidelberg, Köln).38 2.4

Das römische Recht und seine Rezeption

Wohl Ende des 11. Jahrhunderts findet eine Digestenhandschrift des Gesetzgebungswerks Justinians (die sog. Littera Pisana) Verbreitung, deren Abschrift Gegenstand der Bearbeitung durch die Rechtsschule von Bologna wurde.39 Was die Juristen des Mittelalters vorfanden, war dabei die bereits erwähnte Kompilation von juristischen Quellen zum römischen Recht, die im 6. Jahrhundert unter dem christlichen oströmischen Kaiser Justinian zusammengestellt worden ist.40 Dieses Gesetzgebungswerk Justinians wird von den sog. Glossatoren der Bologneser Rechtsschule kommentiert, die römischen Rechtsquellen werden dabei geordnet und entsprechend der scholastischen Methode analysiert und gelehrt.41 Das später sog. Corpus Iuris Civilis, das sich aus den Digesten (Sammlung von Rechtstexten vor allem der klassischen römischen Juristen), den Institutionen (eine Art Einführungslehrbuch) und dem Codex (Sammlung kaiserlicher Gesetze) zusammensetzt42, wird zum Vorlesungsund Studiengegenstand in der Ausbildung einer neuen Profession, der Juristen. Accursius (1185–1260/63) verfasst um 1234/35 die sog. glossa ordinaria, die die Standardglosse zum römischen Recht bildet.43 Auf die Glossatoren folgen später die sog. Kommentatoren (so insbesondere die Italiener Bartolus [1313/14–1357] und Baldus [1327–1400]), die einen breiteren Zugang zu den Rechtsquellen pflegen, dabei auch die Rechtspraxis berücksichtigen und so wesentlich zur Ordnung des Rechts beitragen.44 Die Rechtswissenschaftler, die sich mit dem ius civile beschäftigen, werden als Legisten bezeichnet.45

38 39 40 41 42 43 44 45

Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 59 f. Hierzu und zum Folgenden Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, § 3; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3. Kap. Rn. 6 (wobei sich im 11. Jahrhundert verschiedene Abschriften des Corpus Iuris Civilis in Westeuropa im Umlauf befinden). S.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 3. Kap. Rn. 23 ff. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 4. Kap. Rn. 1 ff., 5 ff. Dazu etwa Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 1 Rn. 20. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 4. Kap. Rn. 7 f. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 4. Kap. Rn. 10 ff., 15 ff., 32 ff. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 4. Kap. Rn. 1.

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Kapitel 2

Neben dem auf dem römischen Recht beruhenden ius civile bildet sich eine weitere Rechtsmaterie, das kanonische Recht (ius canonicum).46 Um ca. 1140/42 n. Chr. hat der Mönch Gratian47 in Bologna eine Zusammenstellung von Rechtsquellen der Kirche erarbeitet, die sog. canones, die sich vor allem aus kirchlichen Überlieferungen der Spätantike und des frühen Mittelalters sowie römischen Rechtstexten zusammensetzen.48 Aus diesem Decretum Gratiani entwickelt sich durch die weitere gesetzgeberische Tätigkeit der Päpste im Mittelalter, die in die Rechtssammlungen miteinbezogen wird, und die Arbeiten der Kanonisten das später sog. Corpus Iuris Canonici.49 Es enthält vielfältige Quellen aus der Patristik, dem Frühmittelalter, Gesetze und Entscheidungen der Päpste, Grundlage ist ferner das römische Recht.50 Das Decretum Gratiani und die danach entstehenden kirchlichen Gesetzessammlungen werden von den Dekretisten und später den Dekretalisten glossiert und kommentiert, und sind so Gegenstand der kanonistischen Rechtswissenschaft, die auf diese Weise zu einer eigenständigen Disziplin neben der Theologie wird.51 Ausgehend hiervon bildet sich eine eigene rechtliche Tradition, die neben dem kirchlichen Organisationsrecht weitere Rechtsgebiete wie das Ehe-, Verfahrens- oder kirchliche Strafrecht zum Gegenstand hat.52 Kanonisches Recht und ius civile bilden zusammen mit den partikularrechtlichen Bestimmungen der einzelnen europäischen Gebiete das sog. ius commune, das gemeine Recht.53 Das ius commune besteht so aus ius civile und ius canonicum, beides ergänzt sich und steht in wechselseitigem Verhältnis

46 47 48 49 50 51 52 53

Dazu auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit,  § 4; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 36 ff.; s.a. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 665 ff. Umstritten ist indes die Historizität der Person Gratians, s. dazu m.Nw. zum aktuellen Forschungsstand Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 554 ff. Hierzu etwa Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 37 ff.; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 541 ff. Grundsätzlich auch Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  276 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 37 ff.; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 600 ff., 667. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S.  307, 309 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 29 ff. Dazu grundsätzlich auch Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 276 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn.  40 ff.; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 579 ff., 669 ff. S. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 40. S. dazu auch Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 307 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 1. Kap. Rn. 3, 6.

Scholastische Theologie und Philosophie

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zueinander.54 Neben den Legisten, die das ius civile behandeln, werden auch Kanonisten an den Universitäten ausgebildet.55 Die früheren Verfahren nach dem germanischen Stammesrecht werden zunehmend durch den „gelehrten“, aus Elementen des römischen Prozessrechts entstandenen romanisch-kanonischen Prozess ersetzt.56 Dass dieser gelehrte Prozess bereits im 13. Jahrhundert vorherrschendes Verfahren wird, hängt auch mit dem von Papst Innozenz III. einberufenen IV. Laterankonzil (1215) zusammen.57 Bis dahin hielten sich zur Streitlösung Verfahren aus germanischen Traditionen, insbesondere die erwähnten „Gottesurteile“, bei denen zur Streitentscheidung entweder Wasser- oder Feuerproben durchgeführt wurden. Insofern, als man diese Entscheidungen als „Gottesurteile“ wertete, war grundsätzlich die Teilnahme von Priestern erforderlich.58 Canon 18 des IV. Laterankonzils verbietet Priestern die Segnung von gerichtlichen Zweikämpfen und Ordalien, wie dies bereits mehrere Päpste des 11./12. Jahrhunderts getan hatten, und fördert damit die Verbreitung des gelehrten Prozesses und der gelehrten Rechtswissenschaft in Europa.59 2.5

Das ius commune und die Grundlagen des kanonischen Rechts

Dabei stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von ius civile und ius canonicum, und damit verbunden die Frage nach der gerichtlichen Zuständigkeit kirchlicher Gerichte.60 Die lateinische Kirche etabliert im 12./13. Jahrhundert eine

54 55 56 57 58 59

60

Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 1 ff., 6. Grundsätzlich zum Einfluss des kanonischen Rechts auf die Rechtsentwicklung Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 233 ff. S.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 4. Kap. Rn. 25 ff. Zur kanonistischen Wissenschaft an den Europäischen Universitäten s.a. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 2 ff. Zum romanisch-kanonischen Prozess s. Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, S. 1 ff.; ders., Ein geschichtlicher Abriss, S. 11 ff. S. Berman, Law and Revolution, p. 251; Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 6. Berman, Law and Revolution, p.  57 ss., 251; Kéry, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 241, 272 m. Nw. Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 6; Berman, Law and Revolution, p. 251; s.a. Kéry, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 241, 271 ff., 276 ff. (zum strafrechtlichen Verbot von Gottesurteilen und gerichtlichen Zweikämpfen im Liber Extra [1234]); Whitman, The Origins of Reasonable Doubt, p. 52 ss. Hierzu insbesondere Wolter, Ius canonicum in iure civili, S. 25 ff.

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Kapitel 2

europaweite Gerichtsorganisation.61 Am Bischofssitz werden grundsätzlich rechtlich ausgebildete Kleriker bzw. Kanonisten als Richter (Offiziale) tätig und wenden hierbei im gelehrten Prozess das sich bildende ius canonicum sowie subsidiär das römische Recht an.62 Appelationen richten sich an den Papst (bzw. die römischen Gerichte, vor allem die später sog. Rota Romana63) als obersten Richter, es bildet sich so eine hierarchisch organisierte Gerichtsordnung heraus.64 Den kirchlichen Gerichten kommen dabei unterschiedliche durch die Person (ratione personae) oder durch die Sache begründete (ratione materiae) Zuständigkeiten zu.65 Den Kernbereich bildet zwar die Ordnung der Rechtsverhältnisse der Kirche, d.h. das Amts-, Organisations- und Sakramentenrecht, allerdings finden sich darüber wesentlich hinaus gehende Zuständigkeiten.66 Zu den durch Person begründeten Zuständigkeiten gehört vor allem die ausschließliche Zuständigkeit für Kleriker (insbesondere Disziplinar- und Strafgewalt), daneben die konkurrierende Zuständigkeit für Reisende, Studierende, Kaufleute und Kreuzfahrer sowie Personen, die ohne das kirchliche Forum keinen Zugang zu Gericht haben würden (sog. personae miserabiles [Arme, Witwen, Waisen]).67 Zu den sachlichen Zuständigkeiten gehören die ausschließliche Zuständigkeit in Bezug auf kirchliches Eigentum und kirchliche Güter, über Glaubensdelikte (Straftaten mit Religionsbezug) sowie die Ehegerichtsbarkeit.68 Als konkurrierende Zuständigkeit tritt daneben die 61 62 63 64 65 66 67 68

Dazu grundsätzlich Trusen, Gelehrtes Recht, S.  343 ff.; s.a. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 336 ff., 370 f.; ferner Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 611 ff.; 2. Hauptteil Rn. 162. Trusen, Gelehrtes Recht, S.  349 ff., 363 f.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  370 f.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 4. Kap. Rn. 27; Merzbacher, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 129 (1959), S. 369, 372 f., 377 ff. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  324; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 63 ff. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  336 ff.; vgl. auch Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 611 ff., 683. Hierzu und zum Folgenden Trusen, Gelehrtes Recht, S. 359 ff.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 433 ff.; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 2. Hauptteil Rn. 105 ff.; s.a. Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 155. Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 155; s.a. Kéry, in: Schlosser/ Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S.  241, 259 ff. (zu strafrechtlichen Zuständigkeiten). Trusen, Gelehrtes Recht, S. 359 ff.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 434; Merzbacher, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 129 (1959), S. 369, 375; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 2. Hauptteil Rn. 106. Trusen, Gelehrtes Recht, S.  361 f.; s.a. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  431 ff.; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 2. Hauptteil Rn. 106.

Scholastische Theologie und Philosophie

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Jurisdiktion über mit Eid verstärkte Verträge, Erbrecht und Streitigkeiten mit Bezug zum Wucher, ferner die durch Zuständigkeitsvereinbarung begründete Zuständigkeit.69 Kirchliches ( forum ecclesiale) und weltliches Forum ( forum saeculare) haben unterschiedliche, sich teilweise auch überschneidende Zuständigkeiten, es entwickelt sich eine gewisse Dualität der Foren.70 Es bildet sich so auch eine Abgrenzung kirchlichen und weltlichen materiellen Rechts.71 Das kanonische Recht wird ausgehend von den Grundlagen des römischen Rechts sowie den kirchlichen Quellen für die diversen Rechtsmaterien, die der kirchlichen Gerichtsbarkeit unterfallen, zunächst casuistisch und praktisch ausgebildet, sodann wird es aber zunehmend systematisiert und durch die sog. Dekretisten und später die Dekretalisten wissenschaftlich aufbereitet.72 Aufbauend auf den Werken der Kanonisten (bspw. Bernhard von Pavia; Johannes Teutonicus; Huguccio; Raymund von Peñaforte; Hostiensis)73 werden die Päpste auch als Gesetzgeber tätig, wobei päpstliche Entscheidungen zu streitigen Rechtsfragen oder Streitsachen (sog. „Dekretalen“) maßgeblich zur Rechtsentwicklung beitragen.74 Anknüpfend an das Decretum Gratiani werden im 13. Jahrhundert mehrere Gesetzgebungswerke erlassen, die zunächst vor allem Gesetzessammlungen sind, später aber einen stärkeren „Kodifikationscharakter“ tragen, so 1234 der Liber Extra und 1298 der Liber Sextus.75 Besondere Bedeutung gewinnen dabei die „Juristenpäpste“ Innozenz III., Gregor IX. oder Bonifaz VIII.76 Auf diese Weise erreicht das kanonische Recht im 69 70 71

72

73 74 75

76

Trusen, Gelehrtes Recht, S. 362 f.; s.a. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 433 ff. Wolter, Ius canonicum in iure civili, S.  25 ff., 37 ff.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 433 ff.; Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 155 f.; vgl. auch Trusen, Gelehrtes Recht, S. 364 ff. Zu dieser sog. „Bereichslehre“ Wolter, Ius canonicum in iure civili, S.  43 ff.; Trusen, Gelehrtes Recht, S.  363 f.; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 3 ff. zur „Statutentheorie“; vgl. auch Oestmann, in: Jansen/Oestmann (Hrsg.), Gewohnheit, Gebot, Gesetz, S. 99 ff., 111 ff. Zur wissenschaftlichen Entwicklung zwischen dem Decretum Gratiani und dem Liber Extra (1234) s. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre,  S. VI ff.; grundsätzlich auch Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 276 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 40 ff.; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 585 ff., 621 ff., 669 ff. Zu diesen s. Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 586 ff., 632 ff., 672. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 283 ff., 287 ff., 331 ff. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  276 ff., 287 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn.  43 ff., 49; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 636 ff., 648 ff.; Kéry, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 241 ff. (zum Strafrecht im Liber Extra); Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. VI, XIII (zum Liber Extra). Vgl. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  283 ff., 287 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn.  43 ff.; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 627 ff., 639 ff., 648 ff.

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Kapitel 2

13. Jahrhundert, also in jener Zeit, in der Thomas seine Summa Theologiae verfasst, seine „Blütezeit“, die auch als die Periode des klassischen kanonischen Rechts bezeichnet wird.77 2.6

Die scholastische Methode

Wesentlich für die mittelalterliche Theologie und Rechtswissenschaft ist dabei die „Scholastik“ als Methodik.78 In der scholastischen Konkordanzmethode geht es um die Auflösung einer Streitfrage bzw. von sich scheinbar widersprechenden Aussagen durch die Abwägung von Argumenten pro et contra.79 Es werden konkrete Fragen aufgeworfen, deren Lösung unter Bezug auf normative Grundlagen, d.h. autoritative bzw. normative Texte, gefunden wird, indem diese Texte in einen Ausgleich zueinander gebracht werden. Hierbei werden nach Darstellung der Frage die verschiedenen Meinungen mit Darstellung der jeweiligen Argumente aufgeführt, und sodann durch einen logischen Schluss (Syllogismus) eine Lösung (solutio, responsio, corpus articuli) unter Ablehnung der Gegenmeinung herbeigeführt.80 Diese auch als „sic-etnon“ bezeichnete Methode geht ursprünglich auf Peter Abaelard (1079–1142) und Ivo von Chartres (1040–1115) zurück.81 Gratian greift in seinem Decretum ebenso wie Thomas v. Aquin auf die scholastische Methode zurück.82 Neben diesem Ursprung hat insbesondere die von Aristoteles übernommene Logik maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung und Verbreitung der scholastischen Methode, die sich an den neu entstehenden Universitäten ausbreitet und in der Theologie und Rechtswissenschaft zur vorherrschenden Methodik wird.83

77

78 79 80 81 82 83

S. dazu auch Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S.  131 ff.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  271 ff., 290; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 37; Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 675 ff. Zur „Scholastik“ und Thomas s. Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 56 ff. Grabmann, Einführung, S.  64 f.; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 33 f., 35; 4. Kap. Rn. 1 ff. Grabmann, Einführung, S. 67. Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 59 f., 64; Grabmann, Einführung, S. 65 f.; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 44 (unter Verweis auf Vorläufer vor Abaelard); Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 529. Grabmann, Einführung, S. 65; Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 60 ff. Grabmann, Einführung, S.  66; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 35, Kap. 4 Rn. 1 ff.

Kapitel 3

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik 3.1

Thomas v. Aquin, die Spätscholastik und De Iustitia et Iure

3.1.1 Thomas v. Aquin, die Summa Theologiae und De Iustitia et Iure 3.1.1.1 Thomas v. Aquin 1225 als Sohn eines süditalienischen Grafen geboren, absolviert Thomas von 1239 bis 1244 an der erst kurz zuvor von Kaiser Friedrich II. gegründeten Universität von Neapel das studium generale.1 Nachdem er gegen den Willen seiner Familie 1244 in den noch jungen Dominikanerorden eintritt, gelangt er 1245 nach Paris, wo er beim Dominikaner Albertus Magnus (1200–1280) Unterricht erhält. Nach einem Studienaufenthalt in Köln (1248–1252) wirkt Thomas von 1252 bis 1259 wieder in Paris zunächst als Bakkalaureus und von 1256 an als Magister der Theologie an der Universität.2 1259 kehrt er nach Italien zurück, und ist dort in verschiedenen Ämtern tätig, wobei er sich immer wieder für längere Zeit auch am päpstlichen Hof aufhält.3 Zwischen 1265 und 1271 entstehen dabei die ersten beiden Teile der Summa Theologiae.4 Nach einem weiteren Aufenthalt in Paris (1268–1272) und in Neapel stirbt Thomas 1274, bevor er den dritten Teil der Summa vollenden kann.5 3.1.1.2 Die Summa Theologiae Der Begriff der Summa Theologiae meint grundsätzlich die Gesamtdarstellung der Theologie.6 Thomas hat eine Vielzahl anderer Werke verfasst, die sich vielfältigen spezifischen Fragen widmen, allerdings ist die Summa Theologiae eine

1 Zum Leben von Thomas v. Aquin z.B. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 228 f.; Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 3 ff.; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S.  249; Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 45 ff. 2 Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 4; Grabmann, Einführung, S. 14. 3 Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 4 f.; Grabmann, Einführung, S. 15 f. 4 Grabmann, Einführung, S. 17 f. 5 Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 5; Grabmann, Einführung, S. 21. 6 Grabmann, Einführung, S. 3; s.a. Speer, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 1, 15 ff.; Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 336 ff.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657795413_004

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Kapitel 3

Art Gesamtwerk der thomasischen Theologie.7 Gegenstand der Summa ist nach Thomas alles, was sich auf die christliche Religion bezieht.8 Thomas kreiert somit ein theologisches Lehrgebäude, das spekulative Dogmatik ebenso wie konkrete Moraltheologie, Aspekte des kanonischen Rechts sowie Grundlagen der Liturgie und der Glaubenswissenschaft im Allgemeinen umfasst.9 Wesentlich und charakteristisch für Thomas ist dabei, dass er die Theologie und Philosophie mit der Methodik und wesentlichen Elementen der aristotelischen Philosophie durchdringt und erfasst.10 Thomas ist nicht so sehr innovativer als vielmehr systematisierender Autor, der verschiedene Einflüsse in sein eigenes System integriert.11 Die Summa Theologiae ist in drei Teile eingeteilt.12 Im ersten Teil (Prima Pars), der sich auf Gott und die Schöpfung bezieht, werden Gottes Wesen, die Schöpfung und Erhaltung der Welt sowie die Erschaffung und das Wesen des Menschen behandelt. Im zweiten Teil (Secunda Pars), um den es hier vor allem gehen wird, wendet sich Thomas sodann dem Ziel und dem Handeln des Menschen zu. Der Mensch wird dabei als ein mit freiem Willen (liberum arbitrium) ausgestattetes, selbstbestimmtes und vernunftbegabtes Wesen begriffen, das zwar auf ein letztes Ziel hingeordnet ist, sich aber auch von diesem Ziel entfernen kann.13 Im ersten Teil dieses zweiten Teils (Prima Secundae) werden zunächst das Ziel (q. 1–5) und dann das Handeln des Menschen als Mittel zur Erreichung des Ziels dargestellt.14 Letztes Ziel des menschlichen Lebens ist dabei die Glückseligkeit (beatitudo), wobei Thomas 7

8 9 10 11 12 13

14

Grabmann, Einführung, S. 27; vgl. Speer, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 1, 16, 18, 21; wenngleich die Summa selbst der Unterrichtung der Anfänger in der Theologie dienen soll, s. Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 336 sowie Thomas v. Aquin, STh, Prooemium. Thomas v. Aquin, STh, Prooemium; Grabmann, Einführung, S. 58. Grabmann, Einführung, S. 58 f. Grabmann, Einführung, S. 59; s.a. Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, S. 73 ff., 102 ff. Vgl. zur Frage, inwieweit Thomas etwas „Neues“ schafft, auch Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, S. 2 ff., 29, 187 ff.; s.a. Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 18 („thomasische Synthese“). Zum Aufbau Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S.  351 ff.; Grabmann, Einführung, S. 149 ff.; Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, S. 17 ff.; Speer, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 1, 10 ff. S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, Prooemium; q. 1 Prooemium; q. 1,1 resp.; Grabmann, Einführung, S. 155; s.a. die Deutung, wonach dem Plan der Summa ein exitus-reditus-Schema zugrunde liegt (Prima Pars als Ausgang, Gott als Ursprung; Secunda Pars als Rückkehr, Gott als Ziel) Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 343 ff. S.  Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S.  70 f.; Grabmann, Einführung, S. 156.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

31

die vollkommene Glückseligkeit (perfecta beatitudo) in der „Gottesschau“ sieht.15 Es gibt nun Mittel, die zu diesem Ziel hinführen, nämlich gute Handlungen.16 Thomas erörtert so, was menschliches Handeln ist und was die Prinzipien dieses Handelns sind.17 Das menschliche Handeln (q. 6–21) und die menschlichen Leidenschaften (q. 22–48) werden behandelt, um dann auf die Prinzipien menschlicher Handlungen (q. 49–70) einzugehen. Innerhalb der Prinzipien unterscheidet Thomas „innere“ und „äußere“ Prinzipien, wobei der Mensch „die inneren Prinzipien“ durch innere Erfahrung erkennt, wohingegen „die äußeren Prinzipien“ den Handlungen selbst äußerlich sind.18 „Innere Prinzipien“ für gute Handlungen sind dabei die Tugenden (q. 55–70), dem entgegengesetzt sind die Laster bzw. Sünden als negative Kehrseite dieser Prinzipien (De Peccato; q. 71–89).19 „Äußeres Prinzip“ für gute Handlungen ist demgegenüber Gott, der den Menschen durch das Gesetz und die Gnade „zum Guten führt“.20 Auf die Abhandlung über die Sünde folgt so der Traktat über das Gesetz (De Lege, q. 90–105) sowie anschließend über den Neuen Bund und die Gnade (q. 106–114), in dem es vor allem um die Rechtfertigung des Menschen durch Gott geht.21 Die Prima Secundae ist in gewisser Weise ein allgemeiner Teil, auf den dann die Secunda Secundae als besonderer Teil folgt.22 Während in der Prima Secundae im allgemeinen die Mittel aufgeführt werden, die zum Ziel hinführen, wendet sich Thomas in der Secunda Secundae diesen Mitteln im Speziellen zu.23 In der Secunda Secundae werden die einzelnen Tugenden behandelt, 15 16 17 18

19 20 21 22 23

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1 Prooemium; q. 2 Prooemium; q. 3,8 resp.; zur Glückseligkeit als Ziel des menschlichen Lebens bei Thomas s. Schockenhoff, Bonum hominis, S. 95 ff., 103 ff.; Todescan, Lex, natura, beatitudo, p. 28 ss. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 6 Prooemium; Grabmann, Einführung, S. 155. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 6 Prooemium; Grabmann, Einführung, S. 157. Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S.  262 f. (mit Verweis auf Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 112,5 ad prim.); Grabmann, Einführung, S. 159; Wittmann, Die Ethik des hl. Thomas von Aquins, S. 318; s.a. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 71 (innere Prinzipien als dem Menschen innerliche Tätigkeitsvorprägungen bzw. Neigungen). Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 263; Grabmann, Einführung, S. 160; Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 70 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90 Prooemium; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 263; Grabmann, Einführung, S. 161. S.a. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 68 insoweit zur Stellung des Gnadentraktates. Thomas v. Aquin, STh, II–II, Prooemium; Grabmann, Einführung, S.  155 ff.; Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 18. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 73; Grabmann, Einführung, S. 155.

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Kapitel 3

zunächst die göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe, anschließend die sittlichen Tugenden (Kardinaltugenden) Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maßhaltung.24 Innerhalb der Darstellung der Tugenden unterscheidet Thomas zwischen der Tugend selbst, den Unterarten dieser Tugend sowie potentiellen Teilen der Tugend, die hinzutreten können (Sekundärtugenden).25 So behandelt Thomas etwa zunächst Recht (ius) und Gerechtigkeit (iustitia), die Ungerechtigkeit (iniustitia) sowie die Rechtsprechung (iudicium), was die allgemeine Lehre der Gerechtigkeit darstellt (q.  57–60).26 Anschließend wendet sich Thomas den Unterarten der Gerechtigkeit, nämlich der ausgleichenden (iustitia commutativa) und der zuteilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva) zu (q. 61), um dann auf die Restitution (q. 62) sowie die einzelnen Sünden einzugehen, die diesen entgegengesetzt sind.27 Hieraus ergeben sich dann affirmative oder negative Gebote (q. 62–78).28 Dies ist der Traktat, der als De Iustitia et Iure überschrieben ist und auch für die weitere Rechtsentwicklung besonders relevant werden sollte.29 Danach wendet sich Thomas den mit der Gerechtigkeit verwandten (Sekundär-)Tugenden zu, so u.a. der Religion, der Pietät gegenüber den Eltern, der Wahrheit, der Freundschaft und der Freigebigkeit.30 Im dritten Teil, der unvollendet geblieben ist, geht Thomas schließlich näher auf Christus sowie die Sakramente ein. Für dieses Buch werden vor allem der Traktat „Über die Gerechtigkeit und das Recht“ (De Iustitia et Iure) und, damit verbunden, die Traktate „Über das Gesetz“ (De Lege) sowie „Über die Sünde“ (De Peccato), ferner aber auch generell die Prima Secundae relevant. Während sich in De Lege eher Spuren der stoischciceronianischen bzw. augustinischen Gesetzeslehre zeigen, ist De Iustitia et Iure, insbesondere in der allgemeinen Gerechtigkeitslehre, aristotelisch geprägt.31 Indem Thomas beide Traditionen mit der Theologie zusammenführt und inhaltlich erweitert, entsteht letztlich eine neue Rechts-, Gerechtigkeitsund Gesetzeslehre.32 24 25 26 27 28 29 30 31 32

Grabmann, Einführung, S. 164 ff. Grabmann, Einführung, S. 166 ff.; s.a. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57 Prooemium; q. 61 Prooemium; q. 80 Prooemium. Grabmann, Einführung, S. 168; s.a. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57 Prooemium. Grabmann, Einführung, S. 168; s.a. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 63 Prooemium. Grabmann, Einführung, S.  163; s.a. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57 Prooemium. S.  ferner  Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 79 Prooemium zum „Wesensbestandteil“ der Gerechtigkeit, nämlich „Gutes zu tun und Schlechtes zu unterlassen“. Dazu unten S. 128 ff. Grabmann, Einführung, S. 168. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 250 f., 252 f. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 252 f., 271 f.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Zwischen der Sünden- und Gesetzeslehre der Prima Secundae und der Tugendlehre der Secunda Secundae, insbesondere der dortigen Gerechtigkeitslehre, besteht ein spezifischer Zusammenhang.33 Sünde ist „eine schlechte menschliche Handlung“ (actus malus humanus), wobei dies einschließt, dass die Handlung gegen die menschliche Vernunft (humana ratio) und das ewige Gesetz (lex aeterna) ist.34 Tugend ist dagegen auf gute Handlungen (actus bonus) gerichtet, sodass die Sünde der Tugend entgegengesetzt ist.35 Indem Tugendhandlungen zum natürlichen Gesetz gehören (lex naturalis), welches „durch die Vernunft geschaffen“ ist (per rationem constitutum), und dieses natürliche Gesetz als obersten Grundsatz enthält, „das Gute zu tun und das Böse zu unterlassen“36, werden Gesetzes-, Tugend- und Gerechtigkeitslehre sowie Sünden-, Buß- und Rechtfertigungstheologie miteinander verknüpft und bilden so eine spezifische zusammengehörende Ordnung. Thomas verknüpft somit verschiedene zuvor weitgehend unabhängige Traditionen und Ansätze – aristotelische Tugend- und Gerechtigkeitslehre, stoischciceronianische Gesetzeslehre, patristische und scholastische Rechtfertigungslehre und Bußtheologie – und fügt sie zu einer Ordnung zusammen.37 3.1.1.3 Einflüsse in De Iustitia et Iure und De Lege 3.1.1.3.1 Der Einfluss der aristotelischen Tugend- und Gerechtigkeitslehre Thomas greift sowohl in seiner Philosophie als auch in der Theologie wesentlich auf Methodik, Begriffe und Inhalte von Aristoteles38 zurück.39 Auch Thomas’ Tugend- und Gerechtigkeitslehre ist daher in einem hohen Maße an der Nikomachischen Ethik von Aristoteles orientiert.40 Nach Aristoteles ist 33 34 35 36 37 38 39

40

S.a. Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 18 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 250 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,1 resp.; q. 94,2 resp.; q. 94,3 resp. Vgl. auch zur „Synthese“ von aristotelischer Tugendlehre und stoisch-augustinischer Gesetzeslehre Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 252 f. Zur Rechtsphilosophie und Gerechtigkeitslehre bei Aristoteles s. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 108 ff.; zur Rezeption der aristotelischen Gerechtigkeitslehre im Mittelalter Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 14 ff., 30 ff. Zum Einfluss von Aristoteles Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 25 ff.; Grabmann, Einführung, S. 28 f.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 25 ff., 30 ff.; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  230 f., 251; generell zum Einfluss von Aristoteles auf die Summa Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, S. 65 ff.; s. ferner auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 676 ff., 694 ff. S.  Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  251 ff., 254 ff.; Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 38 ff.; Wittreck, Geld als Instrument

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Kapitel 3

Ziel des menschlichen Handelns die Glückseligkeit als oberstes Gut.41 Er fragt, wie der Mensch zu diesem Ziel der Glückseligkeit gelangen kann. Aristoteles sieht den Weg dorthin in einem tugendhaften Leben.42 Er unterscheidet hierbei zwischen intellektuellen (wie etwa Weisheit, Verstand, Klugheit) und ethischen (wie etwa Freigebigkeit, Mäßigkeit) Tugenden, wobei die Gerechtigkeit zu den letzteren gehört.43 Gerechtigkeit ist dabei die Tugend, die das zwischenmenschliche Verhältnis betrifft und auf einen anderen Menschen und die „Polis“, d.h. den „Stadtstaat“ bzw. das Gemeinwesen bezogen ist.44 Gerechtigkeit ist nach Aristoteles eine zweifache; sie meint zum einen die Wahrung der Gesetze (allgemeine Gerechtigkeit), zum anderen die Einhaltung der „bürgerlichen Gleichheit“ (besondere Gerechtigkeit).45 Diese zweite Form bezieht sich einerseits auf die Verteilung von Gütern des Gemeinwesens an den Einzelnen, andererseits auf die Beziehungen zwischen den Menschen, wobei diese Beziehungen entweder „freiwillige“ (Kauf etc.) oder „unfreiwillige“ (Diebstahl etc.) sind.46 Hinsichtlich der Verteilung von Gütern bedeutet Ungerechtigkeit dabei Ungleichheit, wohingegen Gerechtigkeit auf das Gleiche zielt, wobei das Gleiche das Mittlere bzw. das Proportionale ist.47 Bei der Gerechtigkeit, die die freiwilligen Beziehungen zwischen den Menschen betrifft, ist auch eine Gleichheit gemeint, aber keine „proportionale“, sondern eine „arithmetische“, die als Regelung die Mitte zwischen Gewinn und Verlust anstrebt und insofern Zuviel und Zuwenig verhindert.48 Aufgabe des Richters als Mittler ist es, einen Ausgleich herzustellen.49 Aristoteles unterscheidet folglich zwischen verteilender und ausgleichender Gerechtigkeit, was auch

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der Gerechtigkeit, S. 67; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 724 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 25 ff., 43 ff., 155 ff. Aristoteles, Nikomachische Ethik, I, 1095a, 2.; 1097b; s. zur Ethik bei Aristoteles Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 25 ff., 43 ff. Aristoteles, Nikomachische Ethik, I, 1098a; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 115; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 690. Aristoteles, Nikomachische Ethik, I, 1103a; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 115; Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 41. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1129b f.; hierzu und zum Folgenden auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  116 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 53 ff. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1129a, 1130b; s. dazu auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 53 ff., 56 f. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1130b, 1131a. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1131a, 1131b. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1132a. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1132a.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Thomas später aufgreifen wird.50 Die Gerechtigkeit steht dabei in Zusammenhang mit dem Recht innerhalb eines Gemeinwesens (Polis).51 Polisrecht52 ist entweder „Naturrecht“ oder positives Recht.53 Während nach Aristoteles Naturrecht überall über die gleiche Gesetzeskraft verfügt und grundsätzlich unveränderlich ist, beruht das positive Recht auf Anordnung oder Übereinkunft.54 Thomas greift diese aristotelische Tugend- und Gerechtigkeitslehre auf, verändert sie aber zugleich wesentlich.55 Während die aristotelische Gerechtigkeitslehre als Tugendlehre konzipiert ist und damit als Handlungsanleitung dem Menschen den Weg zur innerweltlichen Glückseligkeit zeigen soll, wird sie in der Summa Theologiae darüber hinausgehend auch in einen anderen Zusammenhang gestellt.56 Glückseligkeit (beatitudo) als letztes Ziel (ultimus finis) des menschlichen Lebens ist bei Thomas nicht rein innerweltlich zu verstehen, sondern letztlich auf Gott bezogen, indem die „vollkommene Glückseligkeit“ (perfecta beatitudo) die „Gottesschau“ (visio divinae essentiae) 50 51 52 53 54 55

56

Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  117, 254 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 53, 138 ff. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1134a; vgl. Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 57 ff. D.h. das innerhalb der Polis geltende Recht, s. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 110 f. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1134b. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1134b; s.a. Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 58. S. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 230 f., 250 ff., 254 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 15, 16 ff. Vgl. auch zu den grundsätzlichen Unterschieden von Thomas und Aristoteles im Hinblick auf die Gesamtkonzeption der Summa Theologiae Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, S. 65 ff., 75 ff.; ferner Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 724 ff. Zum grundsätzlich anderen Naturrechtsbegriff bei Thomas – während Aristoteles das Recht in der Polis in positives und Naturrecht unterteilt und beide Arten denselben Wirkungsbereich haben, erhält das Naturrecht bei Thomas seine spezifische Bedeutung durch die Dualität der Foren, durch die das Naturrecht einem eigenen Forum zugeordnet wird und dadurch einen grundsätzlich anderen Wirkbereich erhält – s. unten S. 117 ff. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist das Konzept der menschlichen Willensfreiheit bei Thomas, das auf Augustinus zurückgeht und mit der Rechtfertigungstheologie in Zusammenhang steht, s. dazu unten noch S. 145 ff.; zur Verbindung der Gerechtigkeitslehre mit der Gesetzeslehre im Anschluss an Cicero und Augustinus s. sogleich. Vgl. Speer, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 141, 161 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 230 f., 268; Forschner, Über das Glück des Menschen, S.  20, 81 ff., 85 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd.  1, S.  724 f.; Ott, Eschatologie, S. 193 f.; Papadis, Die Rezeption, S. 75 ff.; grundsätzlich auch Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, S. 71 f., 72 ff., 75 ff.

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Kapitel 3

im ewigen Leben ist.57 Zwar gibt es nach Thomas auch eine innerweltliche Glückseligkeit, er spricht insoweit von der „doppelten Glückseligkeit“ (duplex beatitudo): die innerweltliche Glückseligkeit in diesem Leben (in hac vita) ist indes wegen der Vorläufigkeit des Guten unvollkommen (beatitudo imperfecta), während erst die Gottesschau (visio Dei) die vollkommene Glückseligkeit (beatitudo perfecta) ist.58 Handlungen sind daher darauf hin zu beurteilen, ob sie den Menschen zu diesem letzten Ziel der Glückseligkeit bringen oder davon wegführen.59 „Letztes Ziel“ ist es damit nicht, „tugendhaft zu leben, sondern durch das tugendgemäße Leben zum Genuss des Göttlichen zu kommen“.60 Wie sich zeigen wird, wird dadurch aber auch die Tugend- und Gerechtigkeitslehre grundsätzlich transformiert. Insoweit wird sie bei Thomas in gewisser Hinsicht verrechtlicht61, indem nämlich Handlungen gegen die Tugend bzw. die Gerechtigkeit „Rechtsfolgen“ haben: Gegen die Tugend handeln, d.h. schlecht handeln, ist Sünde.62 Sünde hat dabei verschiedene Wirkungen, insbesondere auch Schuld (culpa) und Strafwürdigkeit (reatus poenae), worauf noch einzugehen sein wird.63 Handlungen gegen die Tugenden ziehen daher „Rechtsfolgen“ im Verhältnis zu Gott nach sich. Während bei Aristoteles tugendhaftes Handeln zur innerweltlichen Glückseligkeit führt, 57

58 59 60 61

62 63

S.  Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 3,2 resp., ad prim., ad quart.; q. 3,8 resp.; Speer, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 141, 150 ff., 161 f.; Grabmann, Einführung, S. 157; Ott, Eschatologie, S.  193 f.; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 268; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 724 f., 747 ff.; vgl. auch Schockenhoff, Bonum hominis, S. 32 ff., 37 ff., 46 ff., 95 ff. (zum Verhältnis von Thomas und Aristoteles hinsichtlich des Ziels des menschlichen Lebens). Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 4,5 resp.; q. 5,3 resp. („Bona autem praesentis vitae transitoria sunt“); q. 3,3 resp., ad prim.; s. dazu auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 39. Grabmann, Einführung, S. 157; Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1 Prooemium. Thomas v. Aquin, De Regno, Lib. I Cap. 15; s.a. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 236 Fn. 320. Vgl., wenngleich unter einem anderen Aspekt, Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 15, 16 ff. (durch Verbindung mit dem Naturrecht Veränderung der aristotelischen Tugend- und Gerechtigkeitslehre zu einer „universalistischen Form von Normativität menschlichen sittlichen Handelns“; „Vermittlung aristotelischer Tugendethik mit einer universalen Normativitätskonzeption unter dem Topos des Naturrechts qua Vernunftrecht“); s.a. generell zur „Juridifizierung der Theologie“ im Mittelalter sowie bei Thomas Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  8 ff.; ders., Thomas von Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S. 1, 11 ff. Vgl. ferner zum normativen und theologischen Kontext der Handlungslehre und Ethik bei Thomas Mertens, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 168, 169 f. S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,1 resp. Zu den Wirkungen der Sünde (de effectibus peccati) Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 85–89, insbesondere q. 87 (reatus poenae); Grabmann, Einführung, S. 161. S.a. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 18 Prooemium; q. 21,2 resp.; q. 21,3 resp.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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im Übrigen aber keine (Rechts-)Folgen hat64, hat die Tugend bei Thomas im Anschluss an Cicero Gesetzes- und damit Verpflichtungskraft.65 Die Tugendund Gerechtigkeitslehre wird eingebunden in die Rechtfertigungslehre, die den Menschen zur ewigen Glückseligkeit bei Gott führen soll.66 Damit wird die Sünden-, Buß- und Rechtfertigungstheologie zum notwendigen Bindeglied von aristotelischer Gerechtigkeitslehre und stoisch-ciceronianischer bzw. augustinischer Gesetzeslehre, wodurch sich eine neue Ordnung bildet. Mit dieser „Verrechtlichung“ ist noch ein anderer Unterschied verbunden, der sich bei Thomas im Vergleich zur Gerechtigkeitslehre bei Aristoteles zeigt. Aristoteles bestimmt Wesen und Grundzüge der Gerechtigkeit, ohne aber in größerem Umfang konkrete Schlussfolgerungen daraus auf einzelne Tatbestände zu ziehen. Aristoteles’ Gerechtigkeitslehre entspricht in ihrer Reichweite insoweit etwa dem „allgemeinen“ Teil von Thomas’ Gerechtigkeitslehre.67 Thomas geht aber darüber hinaus, und behandelt in einem besonderen Teil einzelne Tatbestände und Handlungen gegen die Gerechtigkeit (Totschlag; Diebstahl und Raub; ungerechte Handlungen bei der Rechtsprechung und im Prozess; Ehrdelikte etc.).68 In der Folge entsteht etwas, das man als konkretes Naturrecht bezeichnen könnte.69 3.1.1.3.2 Der Einfluss der stoisch-ciceronianischen Gesetzeslehre Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu Aristoteles ist bei Thomas die Verbindung der Tugend- und Gerechtigkeitslehre mit der Gesetzeslehre, die Thomas im Abschnitt De Lege entwickelt.70 Dabei orientiert sich Thomas

64 65 66

67 68 69 70

„Lob“ und „Tadel“ sind bei Aristoteles die Konsequenzen für (un-)tugendhafte Handlungen, s. Aristoteles, Nikomachische Ethik, III, 1109b. Dazu sogleich noch S. 37 ff. S.a. Hödl, in: Zimmermann (Hrsg.), Thomas von Aquin, S.  23, 27 ff. („Die theologische Synthese von Tugendlehre, Gesetzesverständnis und Gnadentheologie ist das geschichtliche Verdienst des Thomas von Aquin“); ferner Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 724 f.; vgl. auch grundsätzlich zu den durch das Christentum veränderten Rahmenbedingungen der Rechts- und Gesetzeslehre Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 177 ff. S. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57–60: „Das Recht“; „Die Gerechtigkeit“; „Die Ungerechtigkeit“; „Die Rechtsprechung“; q. 61: „Die Teile der Gerechtigkeit“. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 64 ff.; vgl. Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 167 ff. („Kodifikation“, „thomasisches Strafgesetzbuch“). S. dazu unten umfassend S. 204 ff. Vgl. Wittmann, Die Ethik des hl. Thomas von Aquins, S. 318; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 230 f., 233 ff., 250 f.; Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 55 ff. (zum Einfluss des Stoizismus); ferner auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 750.

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wesentlich an der stoisch-ciceronianischen Lehre vom ewigen Gesetz71, wie sie von den spätantiken Kirchenlehrern (vor allem Augustinus72) aufgegriffen, in die christliche Theologie eingebunden und so fortentwickelt wird.73 Thomas kombiniert dabei beides und bringt es in einen inneren Zusammenhang. Die stoische Philosophie74 erhält Eingang in das römische Recht vor allem über Cicero und sein in Dialogform verfasstes Werk De Legibus.75 Cicero beschäftigt sich mit der Natur des Rechts und der Gesetze im allgemeinen, und ordnet das römische ius civile seiner Zeit im Hinblick darauf ein.76 Gesetz ist danach „die höchste Vernunft, die in der Natur ist und gebietet, was zu tun ist und das Gegenteil verbietet“.77 Die Vernunft, die den Menschen von den anderen Lebewesen abgrenzt, verbindet dabei den Menschen mit Gott, und damit verbindet auch das Gesetz, soweit es der Vernunft folgt, den Menschen mit Gott.78 Jeder Mensch hat etwas Göttliches in sich.79 Recht, Gesetz, Vernunft und Natur sind folglich miteinander verbunden, sodass allen Menschen das Recht gegeben ist.80 Grundlage des Rechts ist nicht eine Meinung, sondern die Natur.81 Das Gesetz ist die Regel dessen, was Recht und Unrecht ist.82 Die Natur ist der Maßstab von Recht und Unrecht bzw. sittlich Gutem und Schlechtem, wobei die Tugend nun das sittlich Gute und damit wiederum die vollkommene Vernunft ist.83 Das Recht, das sittlich Gute, die Gerechtigkeit und 71 72 73

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Hierzu Scattola, Das Naturrecht vor dem Naturrecht, S. 22 ff. Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Thomas’ und Ciceros Lehre vom ewigen Gesetz s. Schmeisser, in: Bach/ Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 73, 86 f. Zur Entwicklung der Gesetzeslehre bei Augustinus s. Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 203 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 70 f.; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn. 17 f. Zu den Einflüssen s. Wittmann, Die Ethik des hl. Thomas von Aquins, S. 318 ff.; Reimer, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  37, 38 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 230 f., 233 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 18, 68 ff. Hierzu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 131 ff., 138 ff. Dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  149 ff., 160 ff.; s.a. Nickel (Hrsg.), De Legibus, Einführung, S. 286 f. Cicero, De Legibus, I, V, 17; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 160 ff.; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn. 15; Kaser, Ius gentium, S. 54 ff. Cicero, De Legibus, I, VI, 18; II, IV, 8. Cicero, De Legibus, I, VII,22 f. Cicero, De Legibus, I, XXII, 59. Cicero, De Legibus, I, XII, 33. Cicero, De Legibus, I, X, 28. Cicero, De Legibus, I, VI, 19. Cicero, De Legibus, I, XVI,44 f.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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die übrigen Tugenden sind dabei „um ihrer selbst willen zu erstreben“.84 Nach der Tugend ist „wie nach einem Gesetz zu leben“.85 Dem Recht liegt damit als einziges Gesetz „die richtige Vernunft im Hinblick auf Ge- und Verbieten“ (lex est recta ratio imperandi atque prohibendi) zugrunde86, wobei dieses Gesetz „etwas Ewiges“ ist und „die ganze Welt regiert“.87 Von diesem höchsten ewigen Gesetz ist das geschriebene Gesetz zu unterscheiden, das nach Gründung des Gemeinwesens abgefasst wurde und dessen Grundlage das ewige Gesetz ist.88 Weiter erörtert Cicero die aus der römischen Tradition hergeleiteten Sakralgesetze sowie Gesetze über die staatlichen Institutionen seiner Zeit im Hinblick auf dieses wahre, ewige Gesetz.89 Cicero versteht und entwickelt das wahre bzw. ewige Gesetz somit nicht als separate, umfassende Naturrechtsordnung, aus der sich Normen ableiten ließen, sondern integriert die historisch gewachsenen römischen Gesetze in dieses Naturgesetz bzw. rechtfertigt und misst sie hieran.90 Das positive geschriebene Recht ist nach Cicero nur dann wirkliches Recht, wenn es aus der natürlichen Vernunft des Menschen hervorgeht bzw. dieser entspricht.91 Es bildet sich hier keine umfassende oder konkrete Naturrechtsordnung, sondern die Idee eines ewigen Gesetzes, das die Grundlage allen Rechts bildet und somit zur Legitimierung und Stabilisierung der konkreten politischen und rechtlichen Ordnung in Ciceros Zeit beitragen soll.92 Dieser Gedanke eines wahren natürlichen Gesetzes, das Grundlage allen Rechts ist, und dessen Abgrenzung vom positiven, menschlichen Gesetz werden schließlich auch bei Thomas wirkmächtig, wenngleich es bei Thomas in einen anderen Zusammenhang gestellt wird.93

84 85 86 87 88 89 90 91 92

93

Cicero, De Legibus, I, XVIII, 48. Cicero, De Legibus, I, XXI, 56. Cicero, De Legibus, I, XV, 42. Cicero, De Legibus, II, IV, 8. Cicero, De Legibus, I, VI, 19. Nickel (Hrsg.), De Legibus, Einführung, S. 289 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 165; s.a. Cicero, De Legibus, II, VII–IX, 18 ff.; III, III–IV, 6 ff. Nickel (Hrsg.), De Legibus, Einführung, S. 290 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 163; vgl. Cicero, De Legibus, II, X, 23; III, V, 12. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 163. Nickel (Hrsg.), De Legibus, Einführung, S. 290; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 160 f., 163, 165; vgl. aber auch zur Stoa, wo durchaus ansatzweise der Gedanke einer eigenen, dem positiven Recht gegenübergestellten Rechtsordnung zutage tritt, Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 139 f., 163. S. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 139 f. (insoweit allerdings für die stoische Gesetzeslehre), 163 ff., 233 ff.

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Kapitel 3

3.1.1.3.3 Der Einfluss des römischen Rechts Soweit Thomas Gerechtigkeit, Recht und Gesetz behandelt, zeigen sich auch zahlreiche Einflüsse und Verweise auf das römische Recht.94 So findet sich etwa die Überschrift des Traktats De Iustitia et Iure als entsprechender Titel im Corpus Iuris Civilis.95 Auch im klassischen römischen Recht werden, vermittelt unter anderem durch den Einfluss Ciceros, die aristotelische und stoische Idee des Naturrechts sowie der Zusammenhang von Recht und Gerechtigkeit aufgegriffen.96 Nach der Definition Ulpians, die auch Thomas aufgreift97, ist Gerechtigkeit (iustitia) dabei „der feststehende und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zuzuteilen“ (constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi).98 Jurisprudenz ist „die Kenntnis des Gerechten und Ungerechten“ (iusti atque iniusti scientia).99 Grundsätze des Rechts (iuris praecepta) sind danach „ehrenhaft leben, den anderen nicht verletzen, jedem das Seine zuteilen“ (honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere).100 Das Recht wird dabei grundsätzlich in öffentliches (ius publicum) und privates Recht (ius privatum) eingeteilt.101 Ius publicum ist, „was sich auf das römische Gemeinwesen bezieht“, ius privatum „das, was sich auf den Nutzen der Einzelnen bezieht“.102 Das ius privatum ist zusammengesetzt aus dem Naturrecht (ius naturale), dem bürgerlichen Recht (ius civile), das zwischen Römern gilt, sowie dem Völkergemeinrecht (ius gentium), das für alle Menschen, d.h. auch für den Rechtsverkehr zwischen Römern und den sog. Peregrinen (Personen anderer Nationalität) gilt.103 Ius civile und ius gentium unterscheiden sich folglich dahingehend, dass Völker entweder durch eigenes Recht und Sitten regiert werden – dann ius civile als eigenes Recht einer bestimmten Bürgerschaft (civitas) –, oder durch Recht, das alle Völker gebrauchen – dann 94

95 96 97 98 99 100 101 102 103

Hierzu, auch zur Frage, inwieweit Thomas mit dem römischen Recht vertraut ist, Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 69 ff.; Mayer-Maly, in: Ankum (u.a.) (eds.), Mélanges Felix Wubbe, p. 345 ss.; Aubert, Le Droit Romain dans l’Oeuvre de Saint Thomas, p. 19 ss., 24 ss.; Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 62 f.; ferner Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 747 ff. S. Dig. 1,1 und Inst. I,1. Kaser, Ius gentium, S. 54 ff., 66 f.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rn. 17; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, § 22 Rn. 22 f. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,1; Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 77. Dig. 1,1,10. Inst. I,1. Inst. I,1. Inst. I,1. Inst. I,1; dazu auch Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rn. 4. Inst. I,1; dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rn. 8 ff.; Kaser, Ius gentium, S. 66 ff.

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ius gentium als Recht, das für die gesamte Menschheit gilt.104 Ius naturale ist nach der Definition Ulpians „das, was die Natur alle Lebewesen gelehrt hat“ (ius naturale est, quod natura omnia animalia docuit), und ist nicht nur den Menschen, sondern allen Lebewesen eigen.105 Zu den Rechtsquellen des römischen Rechts gehören dabei u.a. die lex (erlassen durch das römische Volk [populus romanus] auf Anfrage von Senat oder Konsul); die magistratum edicta (Edikte der Magistrate) sowie die responsa prudentium (Gutachten von Rechtsgelehrten, denen vom Kaiser das sog. ius respondendi verliehen worden ist und die damit Recht setzen dürfen [iura condere]106).107 Recht wird folglich nur teilweise durch Gesetz geschaffen, die römische Gesetzgebung entwickelt nur einen begrenzten Teil des römischen (Privat-)Rechts.108 Wesentlich für die Aus- und Fortbildung des Rechts ist hingegen das von den Juristen entwickelte Recht (Juristenrecht)109 sowie das vor allem von den Prätoren geschaffene sog. Honorarrecht (ius honorarium), das im prätorischen Edikt die wesentlichen Klagearten des römischen Rechts enthält.110 Die Grundbegriffe – Recht (ius), Gesetz (lex), Gerechtigkeit (iustitia), Naturrecht (ius naturale) –, die Thomas verwendet und auch in Auseinandersetzung mit den klassischen Juristen des römischen Rechts entwickelt, finden sich insoweit auch im römischen Recht, worauf Thomas in seiner Rechts- und Gesetzeslehre an zahlreichen Stellen zurückgreift.111 Weder die Institutionen noch die Digesten erläutern indes, wie das Verhältnis vom Naturrecht (ius naturale) zum Völker- (ius gentium) und zum bürgerlichen Recht (ius civile) ist, insbesondere welches Recht gilt, wenn Regelungen konfligieren bzw. ob und woher dem ius naturale Geltung zukommt.112 Zwar werden bestimmte Rechtssätze 104 Inst. I,2. 105 D. 1,1,1,3 (= Inst. I,2 pr.); dazu Kaser, Ius gentium, S. 70 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rn. 18; s.a. Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 69 (zu Thomas’ Präferenz für Ulpian). 106 Dazu auch Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 4 ff., 20. 107 Inst. I,2; s.a. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 4 ff., 10. 108 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 10. 109 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 3 ff. 110 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 11 f., 14 ff.; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, § 22 Rn. 24 ff., 36 ff. 111 S. bspw. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 92,2; II–II, q. 57,1; s.a. Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S.  69 f.; Aubert, Le Droit Romain dans l’Oeuvre de Saint Thomas, p. 24 ss., 88 ss. 112 Vgl. Kaser, Ius gentium, S.  57 ff., 64 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 3 Rn  17; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht,  § 27; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, § 22 Rn. 22 f.

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und -institute dem Naturrecht zugeordnet oder naturrechtlich begründet.113 Allerdings findet sich weder eine systematische Rechtsquellenlehre114 noch könnte man von einer eigenständigen Naturrechtslehre im römischen Recht sprechen.115 Nicht allgemein geklärt ist somit Inhalt, Funktion und Reichweite des ius naturale, d.h. welche Regelungen des Rechts diesem unterfallen oder entnommen sind und was seine Wirkung ist.116 Verschiedene Rechtsquellen, die historisch gewachsen sind, stehen nebeneinander.117 Durch die Aufnahme des Naturrechts (ius naturale) haben die klassischen Juristen des römischen Rechts, vor allem Ulpian, die stoisch-ciceronianische Naturrechtslehre in gewisser Weise aufgenommen, ohne dass aber hierdurch das römische Recht selbst wesentlich umgestaltet worden wäre.118 Ähnlich dem Naturrechtsansatz Ciceros wird hier also keine aus allgemeinen Prinzipien und Schlussfolgerungen zusammengesetzte Naturrechtsordnung entwickelt, sondern das konkrete geltende bzw. historische gewachsene Rechts teilweise als Ausprägung des Naturrechts verstanden oder naturrechtlich begründet.119 113 S.  etwa  Kaser, Ius gentium, S.  57, 59 ff., 64 f.; zu den verschiedenen Anwendungsfällen des Naturrechts Weigand, Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten, S.  64 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rn. 17; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn. 16; Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 70 („Vielmehr wird die Natur selbst als normbildender Faktor verstanden und zugleich als Motiv für die Bildung von positiviertem und nichtpositiviertem Recht“). 114 Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, § 9 Rn. 12 („Eine in diesem Sinne folgerichtig durchgebildete Rechtsquellenlehre hat jedoch selbst die entwickelte römische Rechtswissenschaft der klassischen Zeit nicht gekannt“),  § 22 Rn.  2; vgl. Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 1; Schulze, Die Naturalobligation, S. 74 ff. (zur Frage, ob das ius naturale eine eigenständige Rechtsquelle war). 115 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 3 Rn.  17 („Systematisch ausgeformt ist dieses Naturrecht nach alldem nicht“); Kaser, Ius gentium, S.  58 („Das ius naturale ist nach alldem von Haus aus kein juristischer Systembegriff, weil es auf keinem rechtsdogmatischen Kriterium beruht“); Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn. 16 („kein geschlossenes philosophisches Naturrechtssystem“); Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S.  70; s. ferner auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 260. 116 Vgl. Weigand, Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten, S. 8 ff.; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rn. 17; Kaser, Ius gentium, S. 58, 64 („Das ius naturale ist keine Rechtsentstehungsquelle“). 117 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 1. 118 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rn. 17; Kaser, Ius gentium, S. 57 ff., 64 f. 119 S.a. Kaser, Ius gentium, S.  64 („Vielmehr nennt ius naturale die Natur als einen normbildenden Faktor und zugleich als Motiv für die Rechtsbildung, das für geschriebenes wie für ungeschriebenes Recht in Betracht kommt“).

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Dieser Ansatz ist in gewisser Hinsicht für das römische Recht insgesamt charakteristisch. Das von den Juristen der klassischen Periode geschaffene römische Recht, das sich in den Digesten und Institutionen des Corpus Iuris Civilis findet, ist vor allem Fallrecht und hat sich als solches kasuistisch und vom Prozess her entwickelt.120 Einerseits bildet sich so eine umfassende, geschlossene und pragmatische Rechtsordnung, die konkrete Rechtsfragen löst und auch Elemente einer Systematisierung sowie zahlreiche allgemeine Rechtsinstitute (Eigentum, Besitz, Verträge etc.) enthält; andererseits handelt es sich aber um keine als System geordnete Rechtsordnung, die ausgehend von allgemeinen Prinzipien Schlussfolgerungen auf Einzelfälle entwickelt.121 Auf die Unterschiede zum thomistischen Denken und zum Naturrechtsansatz der Spätscholastik ist daher später noch einzugehen.122 3.1.1.3.4 Der Einfluss des kanonischen Rechts Neben dem römischen Recht zeigen sich bei Thomas wesentliche Einflüsse des kanonischen Rechts.123 So greift er zahlreiche Rechtsinstitute und Grundsätze des kanonischen Rechts auf, überträgt sie in sein System und entwickelt diese fort, so Elemente der kanonistischen Straf-, Schuld-, Handlungs- und Zurechnungslehren sowie Inhalte des kanonischen Prozessrechts.124 Auf diese Weise beteiligt sich Thomas auch an zahlreichen kontroversen kanonistischen Diskussionen des 13. Jahrhunderts. 3.1.1.3.5 Der Einfluss von Patristik und Frühscholastik Ganz wesentlich ist schließlich der Einfluss der patristischen und scholastischen Theologie und Philosophie auf Thomas generell sowie die hier relevant werdenden Traktate.125 Dabei spielen zum einen die spätantiken Kirchenlehrer

120 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 2 Rn.  3, 5, 28; vgl. dazu auch Bürge, Römisches Privatrecht, S. 1 ff. („Das Recht als Prozess betrachtet“). 121 Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 1, 28; HKK-BGB/Duve, §§ 1–14 Rn. 4. 122 Dazu unten noch S. 46 ff., 203 ff. 123 Vgl. auch Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 71 ff. (zum Naturrecht in der Kanonstik); Aubert, Le Droit Romain dans l’Oeuvre de Saint Thomas, p. 25 (zur Bedeutung des kanonischen Rechts für die prozessrechtlichen Erörterungen bei Thomas), 59 ss. 124 Dazu unten noch S. 339 ff. et passim. 125 S. hierzu noch unten im Einzelnen die Nachweise; s. ferner zur Patristik Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 67 f.

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Augustinus126, Boethius127 und Isidor von Sevilla128 eine besondere Rolle für die Entwicklung der Traktate De Lege und De Iustitia et Iure, wobei diese ihrerseits an die stoisch-ciceronianische Gesetzeslehre129 anknüpften.130 Vor allem Augustinus, der neben dem Neuen Testament und Aristoteles die Hauptautorität bei Thomas bildet131, ist im hier relevanten Zusammenhang auch für die Anthropologie (Willensbegriff)132, die Rechtfertigungs- und Gnadentheologie (Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Willensfreiheit)133 und das Sündenverständnis134 bei Thomas und der Scholastik insgesamt von maßgeblicher Bedeutung. Zum anderen greift Thomas auch auf zahlreiche scholastische Theologen zurück, so etwa auf seinen Lehrer Albertus Magnus, der eine eigenständige Gerechtigkeits- und Naturrechtslehre entwickelt.135 Zu nennen sind weiterhin die Frühscholastiker Anselm von Canterbury (1033–1109) und Peter Abaelard.136 Anselm von Canterbury präformiert im Anschluss an Augustinus die grundsätzliche rechtfertigungstheologische Ausrichtung der scholastischen Theologie.137 In seinem Werk Cur Deus homo fragt Anselm nach dem Grund für die 126 Zur Rechtsphilosophie bei Augustinus s. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 201 ff.; zum Einfluss der augustinischen Tradition s. Chenu, Das Werk des hl. Thomas von Aquin, S. 46 ff. 127 Zu Boethius s. unten noch S. 170 f. sowie den Nachweis etwa in Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp. 128 Zu Isidor s. im Einzelnen die Nachweise in Thomas’ Traktaten „De Lege“ und „De Iustitia et Iure“ sowie unten noch S. 129, 313. 129 S. dazu zuvor S. 37 ff. sowie unten noch S. 84 ff. 130 Zur Beeinflussung von „De Lege“ durch Augustinus s. Marschler, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 27. 131 Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, S. 51 ff., 102 ff. 132 Dazu unten noch S.  145 ff. sowie Schermaier, in: Pichonnaz (éd.), Autour du droit des contrats, S. 49, 55, 73 ff. (zur Bedeutung von Augustinus für den Willensbegriff im rechtlichen Kontext). 133 Dazu etwa Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae, S. 51 f. 134 Dazu unten noch S. 66 ff. 135 S. dazu umfassend (zur Gerechtigkeits-, Gesetzes- und Naturrechtslehre bei Albertus Magnus und zum Einfluss auf Thomas v. Aquin) Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 18, 38 ff., 80 ff. et passim; zur Person s. die Kurzbiographie unten auf S. 517. 136 S. dazu auch Berman, Law and Revolution, p.  131 s., 140 ss., 174 ss.; zur Bedeutung der beiden für die Entwicklungen im Kontext der Buß- und Rechtfertigungstheologie auch Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 26 ss.; zur Beeinflussung der Naturrechtslehre bei Thomas durch Abaelard s. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 748. Zu den Personen s. die Kurzbiographie unten auf S. 549. 137 S. Berman, Law and Revolution, p. 174 ss.; Seelmann, Thomas v. Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S. 9 f. Zu Anselm und seiner „Satisfaktionstheorie“ sowie deren

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Menschwerdung Gottes.138 Weil die Menschen durch den Sündenfall Adams mit der Ursünde belastet sind, war es für die Versöhnung der Menschen mit Gott notwendig, dass Gott selbst Mensch (deus-homo139) wurde und so die Menschen rettete.140 Denn um gerettet zu werden, bedarf der Mensch der Vergebung von Sünde und Schuld.141 Damit der Sünder mit Gott versöhnt wird und zur Glückseligkeit gelangt, muss er für seine begangene Sünde einen „Preis“ bezahlen – er muss Genugtuung (satisfactio) leisten, damit er von seinen Sünden befreit und so wieder ganz mit Gott versöhnt wird.142 Weil die Sünde infolge der Unendlichkeit Gottes selbst „unendlich“ war, konnte nur Gott selbst dies erreichen, indem er Mensch wurde und ohne Sünde freiwillig sein Leben als Opfer hingab.143 Durch den Opfertod Christi als Genugtuung, der infolge der göttlichen Natur Christi ein unendlich hoher Wert zukommt, wurden Sünde und Schuld überwunden; dadurch wurde die Rechtfertigung der Menschen möglich, indem sie durch die Taufe am Opfer Christi teilhaben und so von der Ursünde befreit werden.144 Es ist dieser in rechtlichen Kategorien gedachte Zusammenhang von Schuld, Sünde, Strafe, Versöhnung und Rechtfertigung, vor dessen Hintergrund die Buß- und Rechtfertigungstheologie der Scholastik zu verstehen ist.145 In diesem Kontext entwickelt sich ein eigenständiger Begriff von Gerechtigkeit, der neben den aristotelischen Gerechtigkeitsbegriff tritt.146 Peter Abaelard beeinflusst die Sündentheologie147 und prägt ebenso wie Anselm von Canterbury maßgeblich die Themensetzung, vor deren Hintergrund

138 139 140 141 142 143 144 145 146 147

Einfluss auf die Scholastik s. Ruhstorfer, in: ders. (Hrsg.), Christologie, S.  219 ff., ferner S. 222 ff. (dort zu Thomas von Aquin). S.  Anselm v. Canterbury, Cur Deus homo, Lib. I q. 1; Ruhstorfer, in: ders. (Hrsg.), Christologie, S. 220. Anselm v. Canterbury, Cur Deus homo, Lib. II q. 7. Anselm v. Canterbury, Cur Deus homo, Lib. I q. 5; q. 25; Lib. II q. 6; q. 7; q. 16; q. 18. Anselm v. Canterbury, Cur Deus homo, Lib. I q. 10. S.  Anselm v. Canterbury, Cur Deus homo, Lib. I q.11 ff.; q. 19; q. 24; Berman, Law and Revolution, p. 182 s.; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 26 s.; Ruhstorfer, in: ders. (Hrsg.), Christologie, S. 220 f. Anselm v. Canterbury, Cur Deus homo, Lib. I q. 25; Lib. II q. 6; q. 14; q. 15; dazu auch Ruhstorfer, in: ders. (Hrsg.), Christologie, S. 221 f. Anselm v. Canterbury, Cur Deus homo, Lib. I q. 25; Lib. II q.14; q. 16; q. 19; s.a. Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p.  26; Ruhstorfer, in: ders. (Hrsg.), Christologie, S. 221 f. S. dazu unten S. 66 ff.; vgl. auch Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 26 s. Vgl. zu den verschiedenen Gerechtigkeitsbegriffen insoweit auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 67 ff., 105 ff. S. dazu unten noch S. 66 f.

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die scholastischen Diskussionen des 13. Jhd. zu sehen sind.148 Im Übrigen werden neben Verweisen auf das Alte Testament auch zahlreiche Stellen des Neuen Testamentes, hierbei insbesondere auch der Apostel Paulus149 relevant.150 So bilden Gerechtigkeit, Gesetz und Gericht auch zentrale Begriffe des Alten und Neuen Testamentes, die die Theologie von Beginn an prägen.151 Die „Spätscholastik“, die Schule von Salamanca und Thomas v. Aquin 3.1.2.1 Überblick Für den Einfluss der Summa Theologiae auf die Rechtsentwicklungen152 wird nun eine Denkrichtung bzw. Gruppe von Autoren entscheidend: die sog. (spanische) Spätscholastik, die Schule von Salamanca.153 Unter diesen Bezeichnungen wird gemeinhin eine Gruppe von Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts zusammengefasst, die einen Bezug zu Thomas, nach Spanien und zur Universität von Salamanca haben.154 3.1.2

148 Umfassend zu Abaelard und seiner Wirkung Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S.  32 ff.; ferner Berman, Law and Revolution, p.  131 s., 187 ss.; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 27 s. 149 Bspw. Reimer, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 37, 39. 150 S.a. Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 61 ff. 151 Vgl. Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S.  63 ff. (zu Recht und Gerechtigkeit im Neuen Testament). S. ferner Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 747 ff. zur Verortung der Gesetzesthematik bei Thomas im Kontext des Alten Testaments. 152 Unabhängig von dieser über die Spätscholastik und das 16. Jahrhundert vermittelten Rezeption wurde Thomas bereits in der Rechtswissenschaft des 14. Jahrhunderts rezipiert (Bartolus, Baldus), s. dazu bspw. Pifferi, Generalia Delictorum, p.  241 s. m. Nw. (zur Schuldlehre). 153 Ferner wird auch der Begriff der „Barockscholastik“ verwendet, s. Brieskorn, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  105, 111, oder, insbesondere im romanischen Sprachraum, von „Zweiter Scholastik“ („seconda scolastica“) gesprochen, s. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn.  25; Grossi (ed.), La Seconda Scolastica; Pagden, Spanish Imperialism, p. 16; s.a. Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 128, 130 zur Terminologie. 154 Grundsätzlich dazu und zum Folgenden Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  7 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  4 ff.; Bergfeld, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, S. 999, 1016 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S.  339 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p.  15 s., 21 ss.; Duve, in: Duve/Egío/Birr (eds.), The School of Salamanca, p.  1 ss.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 38 ff.; Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 128 ss.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn.  25 ff.; Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, S. 871 ff.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 147 ss., 155 ss., 207 ss.

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Allerdings erweisen sich die Begriffe bereits im Ansatz als problematisch.155 Weder ist die Spätscholastik rein spanisch – so wird gemeinhin auch der aus Antwerpen stammende, in Rom ausgebildete und in Löwen lehrende Jesuit Leonardus Lessius zur Spätscholastik gerechnet156 –, noch ist die Spätscholastik eine methodische Richtung, wie der Begriff „Scholastik“ insinuiert.157 Vielmehr findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Werktypen vereint: Kommentare zur Summa Theologiae (Vitoria; Gabriel Vázquez), aus Kommentaren zur Summa entstandene eigenständige Traktate (Soto, Molina, Lessius, Suárez) oder Sammlungen von Rechtsgutachten und sonstige Abhandlungen, die wiederum in gewisser Weise an der Summa Theologiae orientiert sind (Covarruvias).158 Auch bilden die Autoren keine einheitliche „Denkschule“, die bestimmten Grundgedanken verpflichtet gewesen wäre.159 Ebenso sind nicht alle Vertreter der Schule von Salamanca in Salamanca als Studenten oder Professoren.160 Schließlich gibt es auch weder eine inhaltliche – Vertreter waren sowohl weltliche Juristen (Fernando Vázquez de Menchaca), Kanonisten (Martin Azpilcueta, „Dr. Navarrus“; Diego Covarruvias)161 als auch Theologen162 155 S.a. Decock, Theologians and Contract Law, p.  15; Duve, in: Duve/Egío/Birr (eds.), The School of Salamanca, p. 1, 5 ss., ferner p. 21 ss. zur Frage, ob die Autoren eine „Schule“ bildeten; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 42 ff. 156 Wobei aber auch Antwerpen und Löwen zu den spanischen Niederlanden gehörten; s. Decock, Theologians and Contract Law, p.  17 s., 61 ss.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 8 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 42 f.; s.a. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 7 („iberische Spätscholastik“); zu Lessius s. ferner Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXII ff. Insbesondere für die Zeit ab der Wende zum 17. Jhd. spielte das Collegio Romano der Jesuiten in Rom eine besondere Rolle – am Collegio Romano studierten oder lehrten die hier relevant werdenden Jesuiten Francisco Suárez, Gabriel Vázquez, Leonardus Lessius, Juan de Lugo, Robert Bellarmin und Antonio Pérez, s. dazu auch Priesching, Sklaverei im Urteil der Jesuiten, S. 17 ff. 157 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4, 10 f.; vgl. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 43 ff. 158 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 51 ss., 57 ss.; Duve, in: Duve/Egío/Birr (eds.), The School of Salamanca, p. 1, 14 ss.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 66 ff., 68 ff.; s.a. grundsätzlich zu den Werken der Spätscholastik Bergfeld, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, S. 999, 1024 ff. 159 S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  4; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 47 f.; s. aber auch Scattola, Krieg des Wissens, S. 34 f., 41 ff. 160 So etwa Lessius, der in Rom und Löwen studiert bzw. gewirkt hat, oder Gabriel Vázquez, der in Alcalá und Rom wirkte. 161 Hierzu Decock, Theologians and Contract Law, p. 40 ss., 56 s. 162 Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 128, 129; wenngleich die Moraltheologie im Vordergrund steht, s. Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 10.

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(Vitoria; Soto; Molina; Gabriel Vázquez; Lessius) – noch eine durch einen Orden begründete Eingrenzung163 (Vitoria und Soto als Dominikaner; Lessius, Molina, Suárez, Lugo, Oñate und Gabriel Vázquez als Jesuiten; Fernando Vázquez als Laie).164 Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie sich in ihren theologischen wie auch juristischen Werken vor allem mit dem Naturrecht auseinandersetzen165 und dabei maßgeblich durch Thomas v. Aquin und seine Summa Theologiae, und vor allem durch deren Secunda Pars, beeinflusst sind.166 Die Summa Theologiae und die thomasische Naturrechtslehre bilden den gedanklichen Referenz- und Ausgangspunkt der Spätscholastiker und insoweit rechtfertigt sich die einheitliche Betrachtung der verschiedenen Autoren. Die Spätscholastik ist insoweit spanisch, als ihre Vertreter im sog. „Goldenen Zeitalters Spaniens“ (Siglo d’Oro) wirken, in dem Spanien zu einer führenden politischen und militärischen Macht in Europa aufgestiegen ist.167 Nicht nur die Entdeckung und Eroberung Amerikas sind hierfür maßgeblich, auch in Europa gehören etwa große Teile Italiens, so das Herzogtum Mailand und Neapel, und die Niederlande zu Spanien.168 Die Entwicklung ist auch durch mehrere politische und zeitgeschichtliche Faktoren bedingt169: das Auf-

163 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p.  49 ss., 55 ss.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 39 f.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 158 s. 164 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4; Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 339 f. Zum Zusammenwirken von Juristen und Theologen in der Schule von Salamanca bspw. Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215, 218 ff.; zu den Mitgliedern Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 162 ss. 165 Dies als prägendes Element ansehend Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 48 f. 166 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  13; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 64 ff.; Pagden, Spanish Imperialism, p. 16; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 21; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn.  33 ff.; ferner umfassend dazu Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 207 ss.; s.a. Duve, in: Duve/Egío/Birr (eds.), The School of Salamanca, p. 1, 14 ss.; Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 128, 130, 135. 167 Grundsätzlich zum zeitgeschichtlichen Kontext Specht, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S.  3 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 338 ff.; Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  105 ff.; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 15 ff.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 38 f.; Pace, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 274, 275 ss.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn. 26 ff.; Todescan, Lex, natura, beatitudo, p. 15 s. 168 Hierzu auch Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 7; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 42 f. 169 Dazu auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 86.

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kommen des neuzeitlichen souveränen bzw. absolutistischen Staates170; die wirtschaftlichen Veränderungen hin zu einer frühkapitalisitischen Gesellschaft durch einen zunehmend internationalen Handel171; die Entdeckung und Eroberung Amerikas, was eine rechtliche Erörterung des Umgangs mit dem neuen Kontinent und den dort lebenden Menschen erforderlich macht172; die spanische Kirchenreform173, die Reformation Luthers und Calvins174 sowie die Gegenreformation und das Konzil von Trient (1545–1563), an dem mehrere Spätscholastiker teilnahmen (Soto; Covarruvias; Fernando Vázquez).175 3.1.2.2 Der Einfluss von Thomas v. Aquin und die „Thomas-Renaissance“ Zunächst ist den Gründen dieser spanischen „Thomas-Renaissance“ im 16. Jahrhundert nachzugehen.176 Bis ins 16. Jahrhundert sind die sog. Sentenzen des Petrus Lombardus Vorlesungsgegenstand des theologischen Studiums an den Universitäten in Europa.177 Weiter ist Ende des Mittelalters nicht Thomas’ scholastische Theologie, sondern vielmehr der vom Franziskaner Wilhelm von Ockham (1288–1347)178 geprägte Nominalismus die vorherrschende

170 Bach/Brieskorn/Stiening, in: dies. (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. XIII, XVI  f. (zum Machiavellismus); Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 105, 107; vgl. auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 147 ff., 197 ff., 240 ff. 171 Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 17 f. 172 Hierzu etwa Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215, 225 ff.; ders., Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  15 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 342 f. 173 Ein wesentlicher Faktor ist die kirchliche Reform in Spanien Ende des 15./Anfang des 16. Jahrhunderts (neue Formen der Liturgie und Frömmigkeit, Übersetzung der Bibel ins Spanische); zur spanischen Kirchenreform Ende des 15. Jhd./Anfang des 16. Jhd. s. etwa Bataillon, Erasme et l’Espagne, p. 1 ss. et passim. 174 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 343; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 16 f. 175 Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4 f., 7 f. 176 Hierzu und zum Folgenden Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 20 ff., 24 ff.; ders., Thomas v. Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S.  4 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p.  31 ss.; Decock, Theologians and Contract Law, p.  49 ss.; ferner aus theologischer Perspektive Grabmann, Die Geschichte der katholischen Theologie, S.  151 ff.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 207 ss. 177 S. etwa Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 20. 178 Zu Ockham s. etwa Beckmann, Wilhelm von Ockham, S.  19 ff. et passim; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 295 ff., 300 ff.; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 256 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 805 ff.

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theologische Richtung.179 An zahlreichen Universitäten bilden nominalistische Lehrstühle die Mehrzahl an den theologischen Fakultäten.180 Auch erlangt der auf den Franziskaner Johannes Duns Scotus zurückgeführte Scotismus bzw. Voluntarismus wesentlichen Einfluss im späten Mittelalter.181 Der Thomismus gewinnt indes ab dem Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhundert erneut Einfluss.182 Äußerer Grund ist unter anderem das Erscheinen neuer Summa-Kommentare, etwa des Dominikaners Thomas de Vio Cajetan (1469–1534)183.184 Weiter werden an der Universität von Paris und zuvor bereits Köln185 die Sentenzen des Petrus Lombardus durch die Summa Theologiae Thomas v. Aquins als maßgebliches Werk für das Theologiestudium ersetzt.186 Verantwortlich hierfür ist u.a. der flämische Dominikaner Pieter Crockaert (1450–1514), der selbst ebenfalls einen Summa-Kommentar verfasst hat und in Paris lehrt, wo er 1509 die Summa zur Vorlesungsgrundlage macht.187 Der spanische Dominikaner Francisco de Vitoria studiert zu dieser Zeit in Paris.188 Während seiner Lehrtätigkeit an der Universität von Salamanca verwendet nun auch Francisco de Vitoria die Summa Theologiae als Grundlage seiner Vorlesungen.189 Ausgehend von dieser Entwicklung ersetzt die Summa Theologiae

179 Dazu sogleich näher S. 51 ff. 180 Zu Paris etwa Vereecke, Conscience morale, p.  14; ferner Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 14, 19, 22 ss., 59. 181 Dazu unten noch S. 90 ff.; s.a. Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 13 s. 182 S. Decock, Theologians and Contract Law, p. 51 m.w.N. zur Verbreitung des Thomismus in Spanien bereits Ende des 15. Jahrhunderts, d.h. bereits vor Vitoria; s.a. Seelmann, Thomas v. Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S. 4 ff. (zu den Gründen der ThomasRenaissance); Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 58 ss. 183 Grabmann, Einführung, S. 42; s.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 12 f.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 61 s. 184 Decock, Theologians and Contract Law, p.  50 s. (ferner auch etwa Antoninus v. Florenz [1389–1459]). 185 Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 436 f. 186 Zu diesem „Lehrbuchwechsel“ Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215, 216 f. 187 Grabmann, Einführung, S.  42; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  10; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  20; Decock, Theologians and Contract Law, p. 50; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 58 s., 62 s. 188 Grabmann, Einführung, S.  42; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  10; Decock, Theologians and Contract Law, p. 51; Duve, in: Duve/Egío/Birr (eds.), The School of Salamanca, p. 1, 14; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 58. 189 Stüben (Hrsg.), De iustitia – Über die Gerechtigkeit. Teil 1. Francisco de Vitoria, S. XXXI ff.; Grabmann, Einführung, S. 42; Duve, in: Duve/Egío/Birr (eds.), The School of Salamanca, p. 1, 14; Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 128, 135; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 63.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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von Thomas v. Aquin auch an anderen Universitäten die Sentenzen des Petrus Lombardus.190 3.1.2.3

Der Einfluss des Nominalismus und der franziskanischen Theologien Der Einfluss der Summa Theologiae in Spanien ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Nominalismus als die andere große Ausrichtung der Theologie des Mittelalters, der die Scholastik im ausgehenden Mittelalter als führende Ausrichtung verdrängt hat, in Spanien nur bedingt Verbreitung gefunden hat.191 Gleichwohl zeigen sich auch im Wirken der spanischen Spätscholastiker wesentliche Einflüsse des Scotismus bzw. Nominalismus192, der im 14. Jahrhundert weithin als die via moderna angesehen wurde und auch an den Universitäten im 15. Jahrhundert teilweise vorherrschend gewesen ist.193 In gewisser Weise ist der Nominalismus dabei eine Sammelbezeichnung für verschiedene Strömungen und Ansichten der Philosophie und Theologie des Mittelalters.194 Einer der wesentlichen Faktoren des Nominalismus ist der sog. Universalienstreit und die Frage, ob Zusammenfassungen (Universalien) von Einzeldingen real existieren oder nur Bezeichnungen hierfür sind.195 Die Nominalisten vertreten hierbei die Position, dass nur Einzeldinge existieren und Universalien nur verstandesmäßig erzeugt werden, da sie grundsätzlich

190 Decock, Theologians and Contract Law, p. 50. 191 Grabmann, Einführung, S.  42 f.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 34 ss.; s. aber auch umfassend zu den scotistischen und nominalistischen Einflüssen in Spanien Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 41 ss., 46 ss. 192 S.  Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  24 ff.; s.a. Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 105, 108 f.; Pace, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 274, 277; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 209 ss.; zu nominalistischen bzw. scotistischen Einflüssen bei Molina Schweighöfer, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 311 ff. (mit Beispielen); zum voluntaristischen Einfluss auf die spanische Spätscholastik Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215, 217 f. 193 Zum Nominalismus im Überblick Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 427 ff., 434 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 36; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 14, 22 ss. 194 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 34; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 303 kritisch zur Frage, was „Nominalismus“ überhaupt ist. 195 Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 427 f.; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 421 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p.  34; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 303 ff.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 19.

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bloße Bezeichnungen sind.196 Sein und Denken werden dadurch getrennt, Begriffe werden zunehmend vom Bezug zum Sein gelöst, da keine Allgemeinheiten existieren, sondern nur Einzeldinge und die Zusammenfassung in Begriffen nur aus dem Denken des Menschen resultiert.197 Aus dieser philosophischen Grundposition heraus, die besonderen Fokus auf formale Logik und Erkenntnistheorie legt, wenden sich die Nominalisten vor allem dem Konkreten, der äußeren Wirklichkeit und den Einzeldingen zu und betonen eher das erkennende Subjekt, was in gewissem Gegensatz zum Objektivismus und Universalismus der Hochscholastik und bei Thomas steht.198 Sie entwickeln hieraus einen ausgeprägten Bezug zu konkreten Problemuntersuchungen und damit auch zu rechtlich-ethischen Fragestellungen.199 Gerade der weniger rationalistisch-universalistisch, sondern eher erfahrungsorientierte Zugang führte bereits bis zum 15./16. Jahrhundert dazu, dass Nominalisten weitgehende Lehren zu praktischen rechtlichen oder wirtschaftlichen Themen entwickelt hatten.200 Im Gegensatz zum Thomismus sowie zur Scholastik, die sich an den positiven Quellen der Schrift sowie der Patristik orientieren, treten bei den Nominalisten ein eher kritischer Zugang zur Offenbarung und eine stärkere Neigung einerseits zur abstrakten Spekulation, andererseits zur angewandten praktischen Philosophie.201 Theologisch wird somit nicht so sehr auf die christlichen Offenbarungsquellen und den darin den Menschen offenbarten Heilsweg, den Gott den Menschen in seiner potentia Dei ordinata gezeigt hat, Bezug genommen, sondern eher die Allmacht Gottes und die damit verbundene außerordentliche Kompetenz Gottes (potentia Dei absoluta) betont.202 Zur 196 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 303 f.; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S.  421; Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 427 f., 430; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 34. 197 Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 428; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 805 f. 198 Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 427; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 305; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 785. 199 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 35; Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 427. 200 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 35 s. 201 Grabmann, Einführung, S. 43; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 34 ss.; Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 427, 428 f. 202 Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  428 f., 430 f.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 20; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 300 f.; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 423 ff., 490; s. ferner auch Ruhstorfer, in: ders. (Hrsg.), Christologie, S. 234 f.

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Bestimmung, dass „etwas gut ist“, genügt alleine Gottes Wille (voluntas Dei), dessen alleinige Grenze die Widerspruchsfreiheit ist und der so nicht an das gebunden ist, was die Vernunft als gut erkennt.203 Eine Handlung ist nur dann „schlecht, wenn sie von Gott verboten wird“ (nullum esse actum malum, nisi quatenus a Deo prohibitus est); und sie „kann nur dann gut werden, wenn dies von Gott angeordnet wird“204 – hierin zeigt sich etwa ein wesentlicher Unterschied des Naturrechtsverständnisses bei Ockham zur thomistischen Position.205 Damit verbunden ist einerseits eine Betonung der Freiheit des Menschen, aber andererseits der Freiheit Gottes sowie der Allmacht und Ungebundenheit von Gottes Willen.206 Auf die Spätscholastik übt vor allem die dem Konkreten, dem RechtlichEthischen und der Praxis zugewandte Seite des Nominalismus Einfluss aus.207 Die Spätscholastiker befassen sich auch hauptsächlich mit der Secunda Pars der Summa Theologiae, die sich mit dem Menschen, d.h. seinem Handeln, der Sünde, dem Gesetz, der Gerechtigkeit sowie den anderen Tugenden beschäftigt; sie ist auf das Leben und Handeln des Menschen bezogen und insoweit wesentlich konkreter als die spekulativ-abstrakte Theologie der Prima Pars.208 Gerade für die Themen, mit denen sich die Spätscholastiker konfrontiert sehen – frühkapitalistische Handelswelt, Eroberung Lateinamerikas –, bieten Nominalisten des 14. und 15. Jahrhunderts (Gabriel Biel209; ferner aber auch der Thomist Cajetan) bereits eine breite Wissensbasis an, die die Spätscholastiker mit der thomistischen Tradition verbinden sollten.210 Obwohl der Nominalismus einen anderen methodologischen Ansatz hat, ist er dennoch 203 Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 424; Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  430 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 301 f. 204 So die Umschreibung der ockhamistischen Position bei Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 4. 205 S. dazu unten noch S. 191. 206 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  300 f., 339 f.; Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  431; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 423 ff., 490. 207 Hamilton, Political Thought, p.  171 (diese Zuwendung zur Moraltheologie als wesentliche Auswirkung des nominalistischen Einflusses); Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 35; vgl. Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 64. 208 Vgl. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 21; Stüben (Hrsg.), De iustitia – Über die Gerechtigkeit. Teil 1. Francisco de Vitoria, S. XXXII. 209 So etwa sein Geldtraktat „Tractatus de potestate et utilitate monetarum“, dazu Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 489 f.; zu Biel auch Kötz, in: Fox/Ernst (eds.), Money in the Western Legal Tradition, p. 71 ss. 210 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 36, 145, 147; s.a. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 40 f.

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nicht in Lehrpositionen grundsätzlich dem Thomismus entgegengesetzt, und bietet so wesentliche Anknüpfungspunkte für die weitere Entwicklung der thomistischen Lehre.211 Bedeutender Vertreter bzw. Begründer des Nominalismus ist der Franzis­ kaner Wilhelm von Ockham (1285–1347/49), wobei umstritten ist, ob Ockham selbst überhaupt „Nominalist“ war.212 Jedenfalls setzen sich die Spätscholastiker direkt mit den Positionen Ockhams auseinander.213 Neben dem Nominalismus wird die Spätscholastik aber auch generell durch „franziskanische“ Theologien des Mittelalters beeinflusst.214 So finden sich weitere geistesgeschichtliche Strömungen verschiedener Franziskaner, die wirkmächtig werden sollten.215 In der Gesetzeslehre sowie in der Anthropologie der Spätscholastiker, insbesondere in der zentralen Frage, ob die Freiheit im Intellekt oder im Willen liegt, zeigen sich etwa starke Einflüsse des Franziskaners Duns Scotus.216 Für die Entwicklung des Rechtsbegriffs kommt neben den Franziskanern Duns Scotus und Ockham auch dem Franziskaner Bonaventura217 Bedeutung zu.218 Schließlich ist auf die Tradition der „Lehre vom moralischen Sein“ hinzuweisen, die in der Christologie ihren Ausgangspunkt nimmt, neben Bonaventura vor allem 211 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 36. 212 Zu Ockhams Philosophie und Theologie etwa Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  300 ff., 303 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 805 ff.; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 417 ff.; Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 427, 429 f.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 34. 213 So z.B. bei der Frage nach dem Naturrechtsverständnis, s. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 4, 20; Cap. 15 N. 4 sowie unten S. 191. 214 Vgl. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  24 ff. zu scotistischen Einflüssen; dazu auch Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 13 s., 41 ss. 215 S.a. zum theologischen Verhältnis von franziskanischer und dominikanischer Theologie, wobei beide Orden Anfang des 13. Jahrhunderts gegründet wurden, Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 55 ff. 216 Vgl. Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S.  215, 217 f.; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  339 f.; zum Einfluss von Duns Scotus auf Molina Anfray, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 325 ss.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 130 ff. S. dazu unten S. 145 ff. 217 Zu Bonaventuras Rechtslehre s.a. Varkemaa, Conrad Summenhart’s theory of individual rights, p. 15 ss.; generell zu Bonaventura und zur franziskanischen Schule Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 265 ff., 275 ff. Ferner zur Bedeutung von Bonaventura für die Lehre vom „moralischen Sein“ Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 39 ff. 218 Vgl. auch Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 152 ss. zum franziskanischen Einfluss auf die Entwicklung des Rechtsbegriffs, der dann auch die Spätscholastik beeinflusst.

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mit dem Franziskaner Alexander von Hales verbunden ist und schließlich im 16. Jahrhundert von Francisco Suárez rezipiert wird.219 Dieser tritt wiederum die nominalistische Kritik Ockhams entgegen, was ebenfalls in der spanischen Spätscholastik Rezeption findet.220 Die Franziskaner entwickeln auf diese Weise verschiedene alternative Denkformen zum Thomismus, die über das Mittelalter hinaus bis in die Frühe Neuzeit wirkmächtig sein sollten.221 Die Spätscholastiker setzen sich daneben mit zahlreichen weiteren Autoren des späten Mittelalters auseinander: dem Theologen und einflussreichen Kanzler der Pariser Sorbonne Jean Gerson222; den Thomas-Kommentatoren bzw. Theologen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts Antoninus von Florenz223, Conrad Summenhart224 und Thomas de Vio Cajetan225, ferner spielen die mittelalterliche Rechtswissenschaft (Bartolus, Baldus) und Kanonistik eine wichtige Rolle226. Schließlich zeigen sich auch Einflüsse des frühneuzeitlichen Humanismus.227 Es wird sich herausstellen, dass die meisten Diskussionen und Entwicklungen des 16. und 17. Jahrhundert auf ganz verschiedene Diskussionen und Auseinandersetzungen des Mittelalters zurückgreifen.228 Somit stellt die Spätscholastik keine bloße Fortsetzung des Werkes von Thomas v. Aquin dar,

219 S. grundlegend dazu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff.; ferner unten S. 167 ff. 220 S. dazu unten S. 184 f. 221 Vgl. Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 275 ff.; ferner Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 13 s. 222 Zu diesem etwa Varkemaa, Conrad Summenhart’s theory of individual rights, p. 44 ss.; Vereecke, Conscience morale, p. 9 ss.; ferner Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 483 ff.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 11, 23. 223 Zu Antoninus von Florenz Varkemaa, Conrad Summenhart’s theory of individual rights, p. 55 ss. 224 Zu Summenhart umfassend Varkemaa, Conrad Summenhart’s theory of individual rights, p. 4 ss., 63 ss.; zu Summenharts Einfluss etwa Decock, Contract Law, p. 54. 225 Zu Cajetan auch Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  29, 56; vgl. auch Trusen, Gelehrtes Recht, S. 40 f. zur wissenschaftlichen Kontinuität der Spätscholastik (im Hinblick auf Summenhart). 226 S. bspw. die Verweise auf Bartolus und Baldus bei Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 4 N. 9 ff.; Cap. 8 N. 4; Cap. 9 N. 2; Cap. 14 N. 2; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 1; ferner Decock, Contract Law, p. 18 s. Fn. 66 (zu den bei Lessius relevant werdenden Theologen und Juristen). 227 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 10; umfassend dazu aus theologischer Perspektive Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 74 ss., 243 ss. 228 Vgl. Kaufmann, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 9, 10 ss., 29; umfassend dazu aus theologischer Perspektive Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 22 ss. et passim, 207 ss.

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vielmehr begegnet der Thomismus selbst bei den Spätscholastikern in ganz unterschiedlichen Ausprägungen und Formen.229 3.1.2.4 Inhaltliche Orientierung und Charakterisierung Neben der Summa Theologiae sowie Ideen und Doktrinen scholastischer, nominalistischer und scotistischer Theologie und Philosophie knüpfen die spanischen Spätscholastiker insbesondere an das römische ius commune230 und das kanonische Recht231 an, und entwickeln ausgehend hiervon rechtliche Lehren durch Verallgemeinerung, Systematisierung und Konkretisierung fort, unter Anpassung an die neue Zeit und Aufgreifen empirischer Erkenntnisse oder durch Anwendung auf neue Rechtsgebiete.232 Die Lehren der Spätscholastiker zielen auf die Beantwortung praktischer Rechtsfragen, die durch die neue Zeit und die neuen Herausforderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik entstanden waren.233 So finden sich unter den Spätscholastikern auch Juristen, die im weltlichem Dienste tätig sind (Covarruvias; Fernando Vázquez234). Durch die Kombination von Theologie, kanonischem und welt229 Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 20 ff., 24 ff.; s.a. z.B. Spindler, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, 37 ff., 64 ff.; zum Verhältnis Molinas zu Thomas s. etwa Cessario, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 291 ss. („eclectic Thomist“); Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xi, xxxv; zu den verschiedenen Richtungen im 16. Jahrhundert, auch zum freieren eklektizistischen Umgang der Jesuiten mit Thomas s. Grabmann, Die Geschichte der katholischen Theologie, S. 162 ff., 168 ff.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 209 ss. 230 Decock, Theologians and Contract Law, p.  28 ss.; s.a. Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 82, 83 ff. zu dieser – im Vergleich zu Thomas v. Aquin nochmals stärkeren – rechtlichen Prägung der spanischen Spätscholastik. 231 Decock, Theologians and Contract Law, p.  37 ss. Zum Verhältnis von Spanischer Spätscholastik und kanonischem Recht auch Landau, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 403 ff. 232 S. beispielhaft zu diesen theologisch-juristischen Entwicklungsprozessen Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215, 219 ff.; zu den Einflüssen auch Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 6 f., 12; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 20 ff., 24 ff. 233 Vgl. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 15 ff.; Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 158 ff.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 491 ss.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXV f. 234 Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 57. Dabei sind die Juristen unter den Spätscholastikern nicht unmittelbar an das römische Recht gebunden, da dieses in Spanien im Gegensatz zu dem im „Heiligen Römischen Reich“ geltenden ius commune keine direkte Anwendung findet (zur Frage der subsidiären Geltung in Spanien Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 8 N. 5; Decock, Theologians and Contract Law, p. 35 ss.) und nur indirekt durch

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lichem Recht werden die Spätscholastiker Mittler zwischen Theologie, Kanonistik und weltlichem Recht.235 Es entfaltet sich so eine wissenschaftliche Diskussion, die Theologie, Rechtswissenschaft und Philosophie in spezifischer Weise aufgreift, integriert und fortentwickelt.236 Im Gegensatz zur Kanonistik sind die Theologen unter den Spätscholastikern nicht auf die Gebiete des kanonischen Rechts beschränkt, sondern entwickeln das „Naturrecht“ als eine umfassende, alle Lebensbereiche betreffende Moraltheologie und -philosophie, die konkrete Handlungsanleitungen für die Menschen entfaltet.237 Dieses Naturrecht bildet dabei den normativen Rahmen des sog. forum internum bzw. forum conscientiae als eines inneren Gewissensgerichts, in dem der einzelne sein Handeln auf Übereinstimmung mit dem Naturrecht überprüft und das in engem Zusammenhang mit dem Bußforum ( forum poenitentiale) steht – hierauf wird später im Einzelnen einzugehen sein.238 Hierin liegt in gewisser Weise auch die Begründung eines neuen Rechtsdenkens, das nicht an die römisch-rechtlichen Quellen und deren Förmlichkeiten und Typisierungen gebunden war, sondern einem neuen naturrechtlichen Denken den Weg bereiten konnte.239 Die Spätscholastiker setzen sich mit Fragen, die eigentlich dem weltlichen Recht zugewiesen erscheinen, auseinander, die Normordnung des Naturrechts gilt ferner universal.240

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die spanischen Gesetze (u.a. Siete Partidas [1265]; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 33 ss.) rezipiert worden ist (Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 18 f.; ders., in: Willoweit [Hrsg.], Die Begründung des Rechts, S. 215, 225; Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, S. 875 f.). S.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 40. S.  etwa  Bach/Brieskorn/Stiening, in: dies. (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. XIII, XVII ff. (zu Suárez); Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  6 ff.; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 15 ff., 28 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p.  22 ss., 28 ss., 40 ss.; ferner bereits Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, S. 874 ff. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  4 f.; Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 158 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 26 s., 45, 69 ss., 143 ss.; vgl. auch Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 28 ff. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 5 f., 9; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXIX; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 28 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 143 ss. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  18 f., 22; Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 163 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 146. Dazu auch Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 164 f.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 19 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 7; s.a.

58

Kapitel 3

Wesentlich ist die praktische Anwendung ihrer Lehren im Gewissensforum ( forum conscientiae; forum internum).241 Diese Moraltheologie wird häufig als „Rechtstheologie“ charakterisiert, bzw. dahingehend beschrieben, dass „unter der Flagge der Moraltheologie in Wahrheit Jurisprudenz getrieben wird“.242 Nachdem zuvor im Mittelalter die Theologie „juridifiziert“ wurde, wird nun die Rechtswissenschaft „theologisiert“.243 Das Naturrecht, das als umfassende Gerechtigkeitslehre entworfen wurde, entwickelt sich so zu einem umfassenden ausdifferenzierten Normsystem.244 Damit laufen hier verschiedene Entwicklungslinien und Disziplinen zusammen: römisches, kanonisches und spanisches Recht, thomistische, scotistische und nominalistische Theologie und Philosophie, und das alles in praktischer Anwendung auf eine neue Zeit, die die Entdeckung eines neuen Kontinents, die Entstehung des „Staates“ und die Reformation erlebt. 3.1.2.5 De Iustitia et Iure und De Legibus Besondere Bedeutung für die weitere Entwicklung245 nehmen dabei Vitorias Thomas-Kommentare, die De Iustitia et Iure-Traktate des Dominikaners Soto (erschienen 1553)246 sowie der Jesuiten Molina (erschienen zwischen 1593– 1609)247 und Lessius (erschienen 1605)248 ein, die an dem gleichnamigen

241 242 243

244 245 246 247 248

Decock, Theologians and Contract Law, p. 143 s.; Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 128, 132 s.; zur Universalität des Naturrechts unten S. 201 f. Decock, Theologians and Contract Law, p. 27; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXIX f. S. Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, S. 877; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 57. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  8 ff., 15 ff. („Juridifizierung der Theologie“ und „Theologisierung der Jurisprudenz“); Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 6 f. S. auch zum Verhältnis von Rechtswissenschaft und Theologie Lutterbeck, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 53 ff. S. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4, 8. S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  16 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 57 ss., 61 ss. Dazu Decock, Theologians and Contract Law, p.  53; Grimm, Friede und Ruhe, S.  34  f.; Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p.  128, 130; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 489 ss. Hierzu etwa Costello, The Political Philosophy of Luis de Molina, p. 16 ss.; Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xi, xxviii ss. Hierzu etwa Decock, Theologians and Contract Law, p. 17 s., 63 s., 65 s.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXVI ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Traktat der Summa Theologiae orientiert sind, ferner der De Legibus-Traktat Suarez’ (erschienen 1612), der an dem Traktat De Lege in der Summa orientiert ist.249 Grundlage ihrer Werke bilden regelmäßig die Vorlesungen, die etwa Vitoria, Suárez, Lessius und Molina über die entsprechenden Traktate der Summa Theologiae gehalten haben.250 Daneben findet sich eine Vielzahl weiterer Autoren und Werke der Schule von Salamanca, so insbesondere die Kanonisten Martin Azpilcueta („Doctor Navarrus“), Diego Covarruvias und der Laie Fernando Vázquez, ferner der Theologe Gabriel Vázquez.251 Die Werke erscheinen dabei zwischen der Mitte des 16. Jahrhunderts und Anfang des 17. Jahrhunderts, und werden bis ins 18. Jahrhundert in vielen Auflagen europaweit gedruckt und verlegt (Venedig; Antwerpen; Lyon; Frankfurt am Main; Mainz; Köln; Genf; Brüssel; London; Löwen).252 Diese Entwicklung findet in gewisser Hinsicht einen Abschluss mit Francisco Suárez’ De Legibus (1612)253, wenngleich auch danach etwa die Werke der unter Beeinflussung von Suárez’ Lehren stehenden Autoren (Juan de Lugo; Antonio Pérez; Pedro de Oñate) weite Beachtung finden.254

249 Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  21; Decock, Theologians and Contract Law, p. 57 s. 250 Zu Vitoria Stüben (Hrsg.), De iustitia – Über die Gerechtigkeit. Teil  1. Francisco de Vitoria,  S.  XXXI ff.; zu Suárez Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S.  242; zu Molina Costello, The Political Philosophy of Luis de Molina, p. 8 s., 16; ferner auch Scattola, Krieg des Wissens, S. 25 f. 251 S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  16 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 40 ss., 56 s. 252 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 106 f.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXVIII; ders., Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  17 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p.  62 (zu Lessius); Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xi, xxix (zu Molina); Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Liber Tertius, Teil 1, Einführung, S. XXV (zu Suárez). 253 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 253. 254 S. insofern auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 66 ss.; in dieser Untersuchung soll gezeigt werden, dass gerade unter Rekurs auf Suárez’ Lehre in der Folgezeit zahlreiche rechtliche Transformationen Platz griffen, insofern wird auch auf Juan de Lugo, Pedro de Oñate, Vincenzo Filliucci sowie Antonio Pérez eingegangen.

60 3.2

Kapitel 3

Buße und Rechtfertigung

Die thomasischen und spätscholastischen Lehren zu Recht, Gesetz und Gerechtigkeit entwickeln sich vor einem bestimmten philosophischtheologischen Hintergrund, nämlich der Rechtfertigungs- und Bußtheologie der Scholastik. Dies zeigt sich auch darin, dass Thomas in der Summa Theologiae unmittelbar vor dem Gesetzestraktat die „Sünde“ behandelt und beide Traktate in engem Zusammenhang miteinander stehen.1 Ferner folgt die Erörterung der Rechtfertigung des Sünders unmittelbar nach dem Gesetzestraktat.2 Zunächst ist dieser buß- und rechtfertigungstheologische Hintergrund darzustellen, bevor auf die rechtlichen Aspekte eingegangen wird. 3.2.1 Entwicklung der Bußpraxis 3.2.1.1 Die altkirchliche öffentliche Buße Die kirchliche Bußpraxis unterlag von der Spätantike bis zum Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit verschiedenen Entwicklungen, die im Folgenden nachgezeichnet werden sollen. Vergebung der Sünden, Umkehr und Buße bilden eine Kernbotschaft des Neuen Testaments.3 Maßgeblich für die Entwicklung werden Mt 18,18 („Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein“ – die später sog. Schlüsselgewalt)4 und Joh 20,23 („Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“).5

1 Vgl. etwa DThA/Pesch, Die Sünde, I–II, 71–89, S. 701 ff. Der Traktat über die Sünde umfasst I–II, q. 71–89, darauf folgt der Gesetzestraktat in den q. 90–105. Der Aufbau der folgenden Abschnitte orientiert sich in gewisser Weise an der Gliederung der Summa: Zunächst Sünde und Bußtheologie, wobei aber das Sakrament der Buße erst ganz zum Schluss der Summa (III, q. 84–90) behandelt wird, sodann das Gesetz; erst in der Secunda Secundae finden sich dann die Ausführungen zu Recht und Gerechtigkeit (II–II, q. 57–79). Das Naturrecht wird hier zum Schluss behandelt, weil sich sein Inhalt und seine Bedeutung nur vor dem Hintergrund der anderen Bereiche verstehen lassen und weil sich darin der Übergang der thomistischen Tradition zur Neuzeit zeigt. 2 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113; d.h. im Traktat über den Neuen Bund und die Gnade (I–II, q. 106–114); s.a. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 68 ff. zum Ort der Gnaden- und Rechtfertigungslehre in der Summa. 3 Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 3 f.; s.a. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 47 ff. 4 S.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 550 zur wesentlichen Bedeutung dieses Wortes für die Rechtsgeschichte. 5 Zur biblischen Begründung Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  3 ff.; s.a. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 84,3 ad tert.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

61

Von diesem Ausgangspunkt entwickelt sich die Buße der urchristlichen und altkirchlichen Gemeinden.6 Dabei wird grundsätzlich zwischen Taufe und Buße unterschieden. Vergebung der (Ur-)Sünde erfolgt durch die Taufe, aber auch nach der Taufe kann dem Menschen für seine begangenen Sünden erneut vergeben werden.7 Während durch die Taufe die Ursünde vergeben wird, ohne dass eine Bußleistung erforderlich wäre, ist in der altkirchlichen Praxis anerkannt, dass ein Getaufter, der nach der Taufe wieder gesündigt hat, zur Überwindung der Sünde ein Bußverfahren durchgehen muss, um mit Gott versöhnt zu werden und in die kirchliche Gemeinschaft wieder aufgenommen zu werden.8 Das öffentliche Bußverfahren greift dabei bei schweren Sünden ein, es gibt daneben grundsätzlich keine private Buße.9 Wesentlich für die altkirchliche „kanonische“ Buße sind die Akte der Exkommunikation und Rekonziliation.10 Das Verfahren ist zweigeteilt in Bekenntnis- und Rekonziliationsverfahren.11 Die Buße wird grundsätzlich durch den Sünder mit der Bitte um Buße, die das Bekenntnis der Sünde enthält, eingeleitet.12 Zur Einleitung des Bußverfahrens bekennt der Pönitent, d.h. der Büßende, seine Sünden und bittet um seine Wiedereingliederung in die Gemeinde.13 Mit der Buße ist der Ausschluss des Pönitenten aus der kirchlichen Gemeinschaft, d.h. insbesondere von der Eucharistie, verbunden (Exkommunikation).14 Für den aus der kirchlichen Gemeinschaft Ausgeschlossenen wird die Ableistung von Bußwerken erforderlich, um wieder in die kirchliche Gemeinschaft eingegliedert zu werden (Rekonziliation). Diese Bußwerke werden ihm durch den Bischof entsprechend der Sünde15 auferlegt (Gebet, Fasten, Almosen etc. für bestimmte Bußzeiten, die von der Schwere

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Hierzu und zum Folgenden Poschmann, Buße und letzte Ölung, S.  4 ff. et passim; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 29 ff. et passim. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S.  3 f.; zur Taufe als Umkehr zur Vergebung der Sünden s.a. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 49 ff., 52 f. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 10 ff. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S.  44, 63; Martimort/Gy, Handbuch der Liturgiewissenschaft,  S.  103 f. Nur bei kleinen Sünden gibt es eine private subjektive Buße, s. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 44 f.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 71. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 17, 45; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 71. Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 71, 113. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 45 f.; andernfalls durch die kirchliche correptio bzw. Verhängung der Exkommunikation (Ausschluss von der Eucharistie). Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 45; s.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 74. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 46. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 49.

62

Kapitel 3

der Sünden abhängig sind16).17 Neben diesen privaten Bußübungen finden sich auch öffentliche Zeichen der Buße (Bußtracht, besonderer Platz in der Kirche).18 Erst nach Ableistung dieser Bußwerke wird der Sünder wieder in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen (Rekonziliation) und kann an der Eucharistie teilnehmen.19 Die Ableistung dieser Bußleistung dient dabei der Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft, zugleich aber auch der Vergebung der Sünden durch Gott.20 Ziel der Buße ist letztlich die Vergebung der Schuld bei Gott.21 Hier zeigen sich zwei Gesichtspunkte des altkirchlichen öffentlichen Bußverfahrens: einmal die subjektive Versöhnung mit Gott, zum anderen die Wiedereingliederung in die kirchliche Gemeinschaft als objektivkirchliches ekklesiologisches Element.22 Ein besonderes Problem stellte dar, dass die Buße, die lebenslange Bußwerke vorsehen konnte, für unwiederholbar gehalten wurde, d.h. nur einmal im Leben zur Verfügung stand und dann schließlich auf die Vorbereitung auf den Tod verschoben wurde.23 Daneben, d.h. außerhalb des kirchlichen Bußverfahrens wird die Exkommunikation auch als kirchliches Straf- bzw. Disziplinarmittel bei schweren Sünden angewendet.24 Mit dem Zerfall des römischen Reichs und der weltlichen Autoritäten fällt den Bischöfen als den verbliebenen Trägern öffentlicher Funktionen die Aufgabe zu, durch Strafen die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.25 Neben die kanonische Buße tritt daher insbesondere in

16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 49 f. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 46; Martimort/Gy, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 104 f. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S.  46; Martimort/Gy, Handbuch der Liturgie­ wissenschaft, S. 105. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S.  13, 50; Martimort/Gy, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 104, 106 ff. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 68. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 68. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 68; Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 84; s.a. Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 116 ff. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 54 ff. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 61 f.; Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 116 ff., 119 ff.; Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 15 f. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  31 f.; Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 16 f.; vgl. auch Waldstein, in: Medicus/Seiler (Hrsg.), FS Kaser, 533 ff. (zur Bedeutung bischöflicher Gerichtsbarkeit in der Spätantike); Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 139 ff., 255 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

63

der karolingischen Zeit auch eine Strafverhängung durch kirchliche Autoritäten, weltliche und kirchliche Strafen bzw. Bußen treten hier nebeneinander.26 3.2.1.2 Die mittelalterliche Privatbuße Mit der Mission durch die iro-schottischen Mönche beginnend ab dem 6. Jahrhundert geht die altkirchliche öffentliche Bußpraxis im Mittelalter zunehmend verloren.27 Sie wird ersetzt im Wege einer Entwicklung, an deren Ende die private Ohrenbeichte steht.28 Aus der öffentlichen Buße wird eine private Buße, in der Bekenntnis- und Rekonziliationsverfahren zusammengelegt sind und eine Lossprechung von den Sünden (Absolution) vor Erbringung der Bußwerke erfolgt.29 Die altkirchliche öffentliche Bußpraxis konnte sich von Beginn an in der keltischen Kirche nicht durchsetzen. Es entwickelt sich hier eine private Bußpraxis, die sich ohne Beteiligung der Gemeinde am Bußverfahren vollzieht.30 Notwendig ist die Mitwirkung eines Priesters, bei dem der Pönitent die Beichte ablegt, Voraussetzung ist Reue, Bekenntnis, Genugtuung durch Ableistung der Bußwerke und Rekonziliation.31 Die Buße ist wiederholbar und auch bei kleinen Sünden anwendbar.32 Wohl unter germanisch-rechtlichem Einfluss entstehen Bußbücher, die in Ähnlichkeit zu dem im weltlichen Recht geltenden Kompositionensystem Tarife für bestimmte Sünden enthalten.33 26

27

28 29 30

31 32 33

Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 17 ff.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 90 (allerdings auch mit dem Hinweis, dass sich ab dem 6. Jhd. kirchliche Buße und Exkommunikationsverfahren zunehmend trennen); Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 124 ff. Hierzu und zum Folgenden Poschmann, Buße und letzte Ölung, S.  65 ff. et passim; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 93 ff. et passim; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 3 ff., 49 ff.; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S.  158 ff.; ferner auch Schmoeckel, Kanonisches Recht, 1. Hauptteil Rn. 288 ff. Zur Beichte als neuer Grundform, die die altkirchliche kanonische Buße ersetzt, Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 134, 158 ff.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 50; Martimort/Gy, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 110 f. Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 113. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S.  66; Trusen, Gelehrtes Recht, S.  3 f.; zu den Gründen sowie zur Interiorisierung der Buße s. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 161 f., 172 ff. (u.a. Schwinden des Gemeindebewusstseins, hohe Bedeutung des Mönchstums, religiöse Vorstellungen). Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 101; Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 68 f. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 69, 74. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 66; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 101; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 4; ferner auch Berman, Law and Revolution, p. 68 ss.; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 23 ss.; zu den späteren Beichtsummen s. unten noch S. 214 ff.

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Kapitel 3

Zunächst im klösterlichen Bereich eingesetzt34 und dann übertragen auf sämtliche Gläubige, werden den Sündern im Rahmen einer nunmehr privaten Buße entsprechend dieser Tarife bestimmte Bußwerke für einen Zeitraum auferlegt (typischerweise Fasten und Almosen).35 Die Bußbücher enthalten dabei kasuistisch für bestimmte Sünden feste Tarife.36 Die jeweiligen Bußwerke können entsprechend dem Gedanken des „Wergeldes“ durch andere Werke ersetzt werden.37 Die Buße wird durch Ableistung der entsprechenden Bußauflagen geleistet. Erst nach Ableistung der Bußwerke erfolgt die Rekonziliation, wobei sich hier bereits einige Ausnahmen entwickeln (nach einem Teil der Bußwerke, bei lässlichen Sünden bereits vor den Bußwerken).38 Der Bußleistung kommt also neben der Beichte wesentliche Bedeutung zu.39 All dies findet nicht mehr vor der Gemeinde in der Öffentlichkeit statt, sondern vor dem Priester, der die Rolle eines Richters (iudex sacerdos) einnimmt.40 Diese Bußpraxis der keltischen bzw. irischen Kirche wird durch die Mission der iroschottischen Mönche im 7. und 8. Jahrhundert auf das europäische Festland übertragen.41 In der weiteren Entwicklung wird nun die Reihenfolge der Buße geändert, u.a. wohl weil die alte Rekonziliation ein zweimaliges Erscheinen des Pönitenten vor dem Priester erforderlich gemacht hat.42 Folgten ursprünglich auf Reue und Bekenntnis die Bußleistungen und erst dann die Rekonziliation, so wird nunmehr im 11. Jahrhundert die Rekonziliation vor die Ableistung der Bußwerke gelegt. Auf Bekenntnis und Reue folgt die Lossprechung von den Sünden durch den Priester (Absolution), anschließend sind die Bußwerke

34 35 36 37 38 39 40 41 42

Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 69; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 163. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 163, 165, („Tarifbuße“); Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 67. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 4; Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 66 f.; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 165, 168; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 25. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 67 f. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 76 f.; s.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 101. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 68 f., 75. Zu dieser Verrechtlichung des Bußverständnisses Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 68 f., 78; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 5; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 94, 101. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 69 ff.; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 166 ff. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  101; Martimort/Gy, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 110 f.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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(Satisfaktion) abzuleisten, auf die indes kein priesterlicher Akt mehr folgt.43 Eine nachfolgende Rekonziliation ist nicht mehr notwendig, sondern fällt mit der Beichte zusammen.44 Mit der Zusammenlegung von Beichte und Rekonziliation entfällt auch die Exkommunikation.45 Der Gedanke der kirchlichen Schlüsselgewalt (ligare et solvere) wird verstärkt betont, der Priester „löst“ den Pönitenten von der Sünde und von der damit verbundenen Wirkung für das Jenseits, der Begriff der Absolution kommt auf.46 Der Pönitent wird durch den Priester von den Sünden losgesprochen, bevor die Bußwerke geleistet worden sind.47 Die öffentliche „kanonische“ Buße (poenitentia publica bzw. poenitentia solemnis48), die zunächst noch parallel existiert, deren Bedeutung aber zurückgeht, verschwindet bis zum 13. Jahrhunderts zunehmend, auch wenn sich Formen öffentlicher Buße örtlich bis in die Frühe Neuzeit erhalten.49 In gewisser Weise markiert das IV. Laterankonzil 1215 einen Endpunkt dieser Entwicklung, als die jährliche Beichte im Anschluss an vorige Entwicklungen50 zur Pflicht jedes Gläubigen gemacht wird und damit eine Pflicht zur Beichte aller schweren Sünden geschaffen wird, die Voraussetzung des Eintritts in die Kirche sowie eines christlichen Begräbnisses ist.51

43

44 45 46 47 48 49

50 51

Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 83; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 113; Martimort/Gy, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S.  110 f.; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 171 f. Damit verbunden ist eine Abwertung der Satisfaktion, die vorher üblichen, teils jahrelangen Bußauflagen werden bedeutend gemildert (s. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 174). Poschmann, Buße und letzte Ölung, S.  77 ff., 83; ders., Der Ablass im Licht der Bussgeschichte, S. 23 f., 38; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 171. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 98; Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 78. Poschmann, Buße und letzte Ölung, S.  78; s.a. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 172 („Ego te absolvo“). Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 113. Dazu Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 80 ff. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  112 f.; Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 72, 82; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 129 f., 134 ff.; s. aus der neueren Forschung Neumann, Öffentliche Sünder in der Kirche des späten Mittelalters, S.  13 ff., 26 ff., 169 ff. mit dem Nachweis, dass Formen öffentlicher Buße bis ins 15./16. Jahrhundert regional fortbestanden haben. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 10 f., 50 ff.; Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 74; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 174 f. S.  Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S.  175; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 125; Goering, in: Hartmann/Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p. 379, 391 s.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 10 f.; Ohst, Pflichtbeichte, S. 33; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 31 ss.

66

Kapitel 3

3.2.2 Die scholastische Buß- und Rechtfertigungstheologie Die theologische Bußlehre erhält die wesentliche Formung durch die scholastische Theologie des 12./13. Jahrhunderts, die die Änderungen der Bußpraxis theoretisch nachvollzieht.52 Hierbei spielt auch Thomas v. Aquin eine entscheidende Rolle. 3.2.2.1 Sünde, Schuld und Rechtfertigung 3.2.2.1.1 Der Sündenbegriff bei Augustinus und in der Frühscholastik Grundlegend ist zunächst das Sündenverständnis.53 Nach frühscholastischem Verständnis (12. Jahrhundert) werden vor allem zwei eher objektive Ansätze zur Bestimmung der Sünde (peccatum) verwendet, die ihre Wurzeln bei Augustinus haben.54 Zum einen wird Sünde positivistisch als Verstoß gegen das göttliche Gesetz, insbesondere den Dekalog, verstanden, entsprechend der augustinischen Definition: „Sünde ist das, was gesagt, getan oder begehrt wird gegen das ewige Gesetz“ (Peccatum est dictum vel factum vel concupitum contra legem aeternam).55 Zum anderen ist Sünde (peccatum) naturrechtlich betrachtet eine ungeordnete Handlung (actus inordinatus), die sich von Gott abund dem Menschlichen zuwendet (aversio a Deo et conversio ad creaturam).56 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die vorgegebene Ordnung durch die Abkehr von Gott und die Hinwendung zu den zeitlichen Dingen gestört wird. Peter Abaelard vertritt einen stärker subjektiv geprägten Sündenbegriff, der maßgeblich auf den Willen bzw. die Intention des Handelnden abstellt, d.h. Sünde wird verstanden als freie und bewusste Zustimmung zu etwas von Gott als schlecht Eingeordnetem.57 3.2.2.1.2 Der Sündenbegriff bei Thomas v. Aquin Bei Thomas v. Aquin laufen die verschiedenen Entwicklungslinien zusammen, der versucht, die verschiedenen begrifflichen Ansätze zu einem Sündenbegriff 52 53 54 55 56

57

Dazu und zum Folgenden Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  114 ff. et passim; Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 83 ff. Dazu Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 126 ff. Hierzu sowie zum Folgenden Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 126 ff. Augustinus, Contra faustum, XXII, N. 27; ferner auch ders., De libero arbitrio, Lib. I, 14 ff.; s.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 127. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 126 f. m.Nw.; s.a. Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 116 („avertitur a divinis vereque manentibus et ad mutabilia atque incerta convertitur“); Lib. II, 200 („aversio ab incommutabili bono et conversio ad mutabilia bona“). Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  127 f.; s.a. Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 27.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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zusammenzufügen.58 Nach Thomas ist die Sünde „eine schlechte menschliche Tat“ (actus humanus malus).59 Dies beinhaltet zwei Elemente, einmal, dass es eine menschliche Tat ist, zum anderen dass sie schlecht ist. Eine menschliche Tat (actus humanus) setzt nach Thomas zunächst voraus, dass sie willentlich ist (voluntarius).60 Der Mensch ist nämlich „Herr seiner Handlungen“ (dominus suorum actuum) „durch die Vernunft und den Willen“ (per rationem et voluntatem), der freie Wille (liberum arbitrium) ist die „Fähigkeit von Willen und Vernunft“ ( facultas voluntatis et rationis).61 Menschliche Taten sind daher solche, die „aus dem überlegten Willen hervorgehen“ (ex voluntate deliberata procedunt).62 „Objekt des Willens […] ist ein Ziel“ ( finis), weshalb „alle menschlichen Handlungen wegen eines Ziels“ erfolgen.63 Da „der Mensch das Ziel seines Handelns erkennt und sich selbst bewegt“, sind seine Handlungen willentlich.64 Das „Eigentliche moralischer Handlungen“ besteht demnach im Willentlichen; der Wille ist als Urheber aller willentlichen Handlungen auch „Urheber der Sünde“.65 Der Wille (voluntas) bestimmt folglich die sittliche Einordnung des Aktes, der Wille liegt der Sünde zugrunde (prima causa peccati est in voluntate).66 Mit diesem Verständnis der menschlichen Handlung hängt auch das Verständnis der Schuld (culpa) zusammen. Eine schuldhafte Handlung (actus culpabilis) ist eine solche schlechte Handlung, „die dem Handelnden zugerechnet wird“ (quod imputatur agenti).67 Schuld haben (culpari) bedeutet „jemandem die Schlechtigkeit seines Handelns zurechnen“ (imputari alicui malatiam sui actus).68 Zurechnung (imputatio)69 setzt voraus, dass die Handlung „in der Macht des Handelnden steht, d.h. dass er Herrschaft über seine 58 59 60 61 62 63 64

65 66 67 68 69

Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 128. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 resp.; q. 6,1 resp.; zur Handlungs- und Zurechnungslehre bei Thomas s. ausführlich Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 6,1 resp.; s.a. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 ad sec.: Willentlich (voluntarium) ist eine Handlung nicht nur wegen der Rückführung auf einen Willensakt (actus voluntatis), sondern weil die Vornahme oder Unterlassung der Handlung in der Macht (in potestate) des Handelnden steht. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 74,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 ad sec.; q. 74,1 resp.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 128; vgl. auch Augustinus, De libero arbitrio, Lib. II, 199 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. Zur Verwendung des Substantivs imputatio und insbesondere des Verbs imputare Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 18 ff., 23 ff.

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Kapitel 3

Handlung hat“ (dominium sui actus).70 Dies ist wiederum bei allen willentlichen Handlungen der Fall, weil „der Mensch durch seinen Willen Herrschaft über seine Handlung hat“ (per voluntatem homo dominium sui actus habet).71 Die Willensfreiheit ist also der Grund, dass „jemandem etwas entweder als Schuld oder als Verdienst zugerechnet wird und so entweder als Strafe oder als Belohnung vergolten wird“ (ei imputetur aliquid ad culpam vel ad meritum, et reddatur ei aliquid ut poena vel praemium).72 Nur das Schlechte in willentlichen Handlungen (in solis actibus voluntariis) hat die „Bewandtnis der Schuld“ (ratio culpae).73 Zurechnung und Schuld setzen also die Willensfreiheit des Menschen voraus.74 Schlecht ist eine menschliche Tat nach Thomas insoweit, „als ihr die erforderliche Angemessenheit (commensuratio) fehlt“, wobei Angemessenheit eine Regel (regula) voraussetzt.75 Diese Regel hat nun eine doppelte Gestalt: zum einen, „soweit sie dem Menschen eigentlich und innerlich ist, ist dies die menschliche Vernunft“ (humana ratio); zum anderen ist sie „das ewige Gesetz (lex aeterna), das gleichsam die Vernunft Gottes ist“.76 Thomas unterscheidet insoweit zwischen ewigem und natürlichem Gesetz (lex naturalis).77 Er charakterisiert das Verhältnis zwischen beiden folgendermaßen: Gesetz ist eine „Regel und Richtmaß“, und „Regel und Richtmaß“ können nach Thomas einerseits „in dem sein, der regelt und misst“, andererseits „in dem, was geregelt und gemessen wird“.78 Soweit die Welt nun durch die „göttliche Vorhersehung“ geleitet wird, ist das ewige Gesetz auch „Regel und Richtmaß“.79 70 71 72 73 74

75 76 77 78 79

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint.; dazu auch Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 31. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 21,2 resp.; dazu auch Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 31. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint. („quia creatura rationalis habet per liberum arbitrium dominium sui actus, ut dictum est, speciali quodam modo subditur divinae providentiae; ut scilicet ei imputetur aliquid ad culpam vel ad meritum, et reddatur ei aliquid ut poena vel praemium“). Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 resp.; Thomas verweist hier nun auf den Gesetzestraktat, d.h. auf den dortigen Begriff vom ewigen und natürlichen Gesetz, s.a. DThA/ Pesch, Die Sünde, I–II, 71–89, S. 701 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,2 resp.; hierzu auch Metz, in: Walther/Brieskorn/ Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 23 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 144 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,2 resp. In Anknüpfung an die stoisch-ciceronianische bzw. augustinische Gesetzeslehre (s. dazu oben bereits S.  37 ff.; grundsätzlich auch

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Das natürliche Gesetz ist demgegenüber in dem, das gemessen und geregelt wird, nämlich in der vernunftbegabten Kreatur (creatura rationalis), d.h. dem Menschen, der durch Einsicht und Vernunft am ewigen Gesetz teilhat.80 Gegenstand des natürlichen Gesetzes ist dabei die Unterscheidung zwischen dem, „was gut und böse ist“ (quid sit bonum et malum), wobei diese Unterscheidung durch das „Licht der natürlichen Vernunft“ (lumen rationis naturalis) erreicht wird.81 Da dieses „Licht der natürlichen Vernunft […] eine Einstrahlung des göttlichen Lichts“ im Menschen ist, ist das natürliche Gesetz „die Teilhabe am ewigen Gesetz in der vernunftbegabten Kreatur“ (participatio legis aeternae in rationali creatura).82 Dabei „ist es das Gute (bonum) des Menschen, der Vernunft zu entsprechen“.83 Der Vernunft zu entsprechen, entspricht dabei auch „der Natur des Menschen, insoweit er Mensch ist“.84 Denn der Mensch erlangt seine konkrete Bestimmtheit als Mensch durch die Vernunft.85 Daraus folgt, dass das, „was gegen die Ordnung der Vernunft ist, auch gegen die Ordnung der Natur des Menschen ist, insoweit er Mensch ist“.86 Tugend bedeutet, dass „man sich angemessen entsprechend der Art seiner Natur verhält“, und „als Folge daraus ergibt sich, dass Tugend eine Gutheit“ (bonitas) und der Schlechtheit entgegengesetzt ist.87 Deshalb ist die Tugend auf die gute Handlung (actus bonus) ausgerichtet.88 Insoweit als „die Sünde dem entgegengesetzt ist,

80 81 82 83 84 85 86 87 88

Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  140 f., 161 ff., 203 ff.; zum ewigen Gesetz bei Augustinus s. etwa Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 40 ff., 48 ff.) versteht Thomas daher unter dem ewigen Gesetz „den Plan der Regierung der Dinge, der in Gott als dem Herrscher des Weltalls existiert“ (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,1 resp.; hierzu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 234 f.). Thomas vergleicht diesen Plan Gottes als Urheber aller Dinge mit dem Entwurf eines Künstlers für ein Kunstwerk (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 93,1 resp.). Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,2 resp., ad tert.; zum natürlichen Gesetz auch Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  17, 24 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 235 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,2 resp.; zur „Teilhabe“ näher Bormann, Natur als Horizont sittlicher Praxis, S. 198 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,2 resp.; vgl. Mertens, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 168, 191 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,1 resp.

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Kapitel 3

auf das die Tugend ausgerichtet ist“, nämlich die gute Handlung, ist die Sünde eine „ungeordnete Handlung“ (actus inordinatus).89 Hier ergibt sich nun auch der Bezug zum natürlichen Gesetz bzw. zum Naturrecht.90 Das natürliche Gesetz ist „etwas durch die Vernunft Aufgestelltes“ (aliquid per rationem constitutum; opus rationis) und „im natürlichen Urteilsvermögen der menschlichen Vernunft enthalten“ (continetur in naturali iudicatorio rationis humanae).91 Das, was die praktische Vernunft (ratio practica) als gut (bona humana) bewertet, „gehört“ daher auch „zu den Geboten des natürlichen Gesetzes“ (praecepta legis naturae), d.h. hiernach bestimmt sich, was zu tun und was zu unterlassen ist.92 Deshalb ist auch der „oberste Grundsatz“ des Naturgesetzes, „das Gute zu tun und das Böse zu meiden“.93 Was schlecht (malum) und damit Sünde ist, bestimmt sich daher nach dem natürlichen Gesetz.94 Zugleich ist Sünde, da die Tugend eine Gutheit ist95 und Akte der Tugenden (actus virtutum) unter das Naturgesetz fallen96, auch eine Handlung gegen eine Tugend.97 Tugend ist „das innere Prinzip menschlicher Handlungen“ (principium intrinsecum humanorum actuum), das (natürliche) Gesetz hingegen „das äußere Prinzip“ (principium exterius).98 Damit ist auch das Handeln gegen die Tugend der Gerechtigkeit Sünde, und sogar grundsätzlich Todsünde.99 Von hierher erklärt sich der Zusammenhang von Sünde, Tugend und natürlichem Gesetz: Weil das natürliche Gesetz Tugendakte vorschreibt, da sie gut sind – das natürliche Gesetz gebietet das Gute zu

89 90

91 92 93 94 95 96 97 98 99

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,1 resp. Vgl. dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  237 f.; Bormann, Natur als Horizont sittlicher Praxis, S. 242 ff.; s. ferner Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend,  S.  153 ff. zum Verhältnis von Tugend, Naturrecht und natürlichem Gesetz. Thomas v. Aquin, I–II, q. 94,1 resp.; q. 71,6 ad quart. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp.; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 238. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp.; q. 71,6 resp., ad quart.; daneben kann aber auch Handeln gegen das menschliche Gesetz Sünde sein, s. dazu noch ausführlich unten S. 117 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,3 resp.; näher dazu Bormann, Natur als Horizont sittlicher Praxis, S. 242 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,1 resp.; q. 71,4 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 49 Prooemium; q. 90 Prooemium; sowie Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 262 f.; Grabmann, Einführung, S. 160 f. S. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 59,4 resp.

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tun und das Böse zu meiden100 –, sind Handlungen gegen die Tugend Sünde, da sie schlecht sind. 3.2.2.1.3 Schuld, Strafe (poena) und Strafwürdigkeit (reatus poenae) Weiter beschäftigt sich Thomas mit den Wirkungen der Sünde. Wie gezeigt, erfolgt jede menschliche Handlung „wegen eines Ziels“ (propter finem).101 Die Sünde ist dabei „eine ungeordnete Handlung“ (actus inordinatus), indem sie nicht die Ordnung erfüllt – sie widerspricht dem ewigen Gesetz und der menschliche Vernunft –, sondern sich vom Ziel abwendet (aversio a fine).102 Sünde ist daher grundsätzlich Negation der Ordnung, die durch die aus Freiheit erfolgende Entscheidung des Menschen herbeigeführt wird.103 Indem die Sünde ein actus inordinatus ist und damit eine Ordnung verletzt (contra aliquem ordinem agit), gilt nach Thomas, dass durch die Ordnung eine Verletzung der Ordnung „unterdrückt wird“.104 Bei dieser „Unterdrückung“ bzw. „Rekompensation“ handelt es sich um Strafe (poena).105 Die Strafe ist Folge der „Sünde, insoweit diese aufgrund ihrer Fehlausrichtung schlecht ist“.106 Grund der Strafe ist, dass die „Unordnung der Schuld“ (inordinatio culpae) nur durch eine Strafe ausgeglichen werden kann und durch diese Kompensation die „Ordnung der Gerechtigkeit“ (ordo iustitiae) wiederhergestellt wird.107 Nach Thomas „ist es also gerecht, dass, wer seinem Willen mehr nachgegeben hat, als er durfte, gegen seinen Willen (contra voluntatem) etwas erleidet“: durch die Strafe wird ein Ausgleich der Gerechtigkeit (aequalitas iustitiae) geschaffen.108 Strafe ist dabei etwas gegen den Willen (De ratione autem poenae est quod sit contra voluntatem) – im Gegensatz zur Sünde, die „aus dem Willen hervorgeht“ (egreditur a voluntate) und deshalb „die Bewandtnis der Schuld hat“ (habet rationem culpae).109 Wirkung der Sünde ist damit die Strafwürdigkeit (reatus poenae).110 Die Strafe „ist selbst nicht direkt Wirkung der Sünde“, aber die Sünde schafft die Voraussetzung der Strafe, indem der Sünder durch die Sünde strafwürdig wird 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 resp. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,1 resp.; q. 71,6 resp., ad tert., ad quart. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 128. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp.; q. 87,6 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 ad prim. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp.; II–II, q. 108,4 resp.; I–II, q. 87,6 resp. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp.; ferner II–II, q. 108,4 resp.; I–II, q. 87,6 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,2 resp. unter Verweis auf I, q. 48,5. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp., ad sec.

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Kapitel 3

(reus poenae).111 Abzugrenzen von dieser Strafwürdigkeit (reatus poenae) ist die Schuld (culpa; reatus culpae). Schuld und Strafe (culpa – poena) werden unterschieden.112 Während die Schuld „gemäß dem Willen“ (secundum voluntatem) erfolgt und das Schlechte bezeichnet, das man tut (in agendo; malum quod agimus; malum actionis), erfolgt die Strafe „gegen den Willen“ (contra voluntatem) und bezeichnet das Schlechte, das man erleidet (in patiendo; malum quod patimur; malum agentis).113 Zugleich gilt, dass „die Schuld die Ursache der Strafwürdigkeit ist“ (culpa est causa reatus poenae).114 Die Strafe muss ferner der Schuld entsprechen, die Strafe muss also schuldangemessen sein (poena proportionatur culpae).115 3.2.2.1.4 Ewige und zeitliche Sündenstrafen Innerhalb der Strafen für Sünden wird zwischen ewigen (poena aeterna) und zeitlichen Sündenstrafen (poena temporalis) unterschieden, die jeweils nach dem Tod im kommenden Leben stehen.116 Begründet wird diese Unterscheidung bei Thomas folgendermaßen: Da Grund der Strafe die Verletzung der Ordnung ist, bleibt auch die Strafwürdigkeit als Wirkung der Sünde solange, wie die Ursache besteht.117 Sünden als Handlungen gegen die Ordnung (actus inordinatus) haben zwei Elemente: zum einen die „Abkehr (aversio) vom unwandelbaren Gut, das grenzenlos ist“, zum anderen die „Hinwendung (conversio) zu einem vergänglichen Gut“.118 Diese Unterscheidung hat auch Folgen für die Strafe. Da die Abwendung vom ewigen Gut grenzenlos (infinita) ist und die Strafe der Sünde entspricht, ist auch die Strafe grenzenlos.119 Die Hinwendung zum vergänglichen Gut ist dagegen begrenzt ( finita), da auch das vergängliche Gut ebenso wie die Hinwendung zu diesem begrenzt ist – entsprechend ist auch die Strafe begrenzt.120 Damit verdient auch nicht jede Sünde die ewige Strafe.121 Nur dann, wenn „die Sünde irreparabel der Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit widerstreitet“ 111 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 ad sec. („non est effectus peccati directe, sed solum dispositive“). 112 Thomas v. Aquin, De malo, q. 1,4 resp.; STh, I, q. 48,5. 113 Thomas v. Aquin, De malo, q. 1,4 resp.; STh, I, q. 48,5. 114 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 obi. 1; s.a. Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 2; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 149 m.Nw. zu Suárez. 115 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,5 obi. 1; q. 87,4 resp., ad. tert. 116 S. etwa Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,3, 4 u. 5; III, q. 86,4. 117 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,3 resp. 118 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,4 resp. 119 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,4 resp. 120 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,4 resp. 121 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,5 resp., ad prim.

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(irreparabiliter repugnat ordini divinae iustitiae), indem sie dem letzten Ziel (ultimus finis) entgegengesetzt ist, ist ewige Strafwürdigkeit (reatus poenae aeternae) die Folge.122 Unterschieden werden daher Todsünde (peccatum mortale) und lässliche Sünde (peccatum veniale).123 Während die Todsünde durch die Abwendung von Gott als dem letzten Ziel eine irreparable Fehlausrichtung herbeiführt, bewirkt die lässliche Sünde unter Wahrung der Ausrichtung nur eine Fehlausrichtung im Hinblick auf das letzte Ziel und ist damit reparabel.124 Während Todsünden also ewige Strafen herbeiführen, indem sie dem letzten Ziel irreparabel entgegengesetzt sind, entsteht bei lässlichen Sünden grundsätzlich keine ewige Strafe, sondern nur zeitliche Strafe.125 Die zeitlichen Sündenstrafen (poena temporalis), die von Gott auferlegt werden, werden dabei nach dem Tod (in alia vita) im purgatorium (Reinigungsort; Fegefeuer) verbüßt.126 Hier dient die Strafe der Reinigung des Sünders, der nicht der ewigen Strafe verfallen ist, sondern gerettet und auferstehen wird, allerdings erst nach Ableistung der zeitlichen Sündenstrafen.127 Schließlich wird am Weltende das allgemeine Letzte Gericht stattfinden, in dem Verdienste und Sünden untersucht werden und die Guten gerettet und die Bösen gerichtet werden.128 Dagegen vollzieht sich die ewige Strafe (poena aeterna) als Feuerstrafe in der Hölle (in inferno), diese ewige Strafe „ist nicht auf Reinigung gerichtet“.129 Die ewige Sündenstrafe ist folglich die ewige Verdammung bei Gott (poena damni; damnatio aeterna).130

122 123 124 125 126

127 128

129 130

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,5 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 72,5 resp.; s.a. I–II, q. 88. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 88,1 resp.; q. 72,5 resp.; q. 87,5 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 72,5 resp.; q. 87,5 resp.; q. 88,1 resp. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, III, Supplementum, q. 69,2; q. 69,7; q. 91; q. 92; q. 97,1 ad sec.; s. dazu auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 3. Zum Fegefeuer bei Thomas v. Aquin Ott, Eschatologie, S. 99 f.; s.a. etwa Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 11. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, III, Supplementum, q. 69,2 resp.; q. 69,7 resp.; q. 97,1 ad sec.; s.a. DThA/Pesch, Die Sünde, I–II, 71–89, S. 642. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, III, Supplementum, q. 88,1 resp.; q. 89,6 resp.; q. 89,7 resp.; Ott, Eschatologie, S. 143. S. ferner Thomas v. Aquin, STh, III, Supplementum, q. 69,2 resp., wonach Seelen, die nicht von einer Schuldverstrickung (reatus) zurückgehalten würden, sofort nach dem Tod in den Himmel gelangen sollen. Thomas v. Aquin, STh, III, Supplementum q. 97,1 resp., ad sec.; q. 69,2 resp.; q. 69,7 resp.; DThA/Pesch, Die Sünde, I–II, 71–89, S. 641 f.; Ott, Eschatologie, S. 170 f. S. Thomas v. Aquin, STh I–II, q. 87,4 resp.; q. 109,7 resp.; III, Supplementum, q. 97,1 resp.; q. 99,1 resp.

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3.2.2.1.5 Rechtfertigung und Gnade Die Wirkungen der Sünde sind allerdings nicht irreversibel. Vielmehr werden hier die Rechtfertigungslehre, die göttliche Gnade und die Buße relevant.131 Thomas behandelt die Gnaden- und Rechtfertigungslehre direkt nach seinem Gesetzestraktat und thematisiert dort das Verhältnis von göttlicher Gnade (gratia) und menschlichem freien Willen (liberum arbitrium).132 Wirkung der wirkenden Gnade (gratia operans)133 ist dabei die Rechtfertigung des Sünders (iustificatio impii).134 Rechtfertigung (iustificatio; „Gerechtmachung“) ist nach Thomas eine Bewegung zur Gerechtigkeit (motum ad iustitiam).135 Durch die Rechtfertigung wird der Sünder vom Zustand der Ungerechtigkeit in den Zustand der Gerechtigkeit versetzt.136 Rechtfertigung des Sünders bedeutet danach Nachlass der Sünden und der Schuld (remissio peccati; remissio culpae).137 Wenn Thomas hier nun von Gerechtigkeit spricht, dann ist zu berücksichtigen, dass dieser Begriff der Gerechtigkeit etwas anderes meint als die Tugend der Gerechtigkeit138; diese Art von Gerechtigkeit steht in Zusammenhang mit der Rechtfertigung und folgt aus der Gnade.139 131 S.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 135 f.; grundlegend zu Rechtfertigung und Gnade bei Thomas und zu ihrem Verhältnis Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 64 ff., 96 f. (die Lehre von der Gnade ist danach der „Ort“ der Rechtfertigungslehre). 132 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113; zur systematischen Stellung des „Gnadentraktates der Summa“ s.a. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 68 ff. 133 Dazu Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 111,2 resp.: Thomas unterscheidet wirkende Gnade von der mitwirkenden Gnade (gratia cooperans). Während bei der wirkenden Gnade die Wirkung nicht dem bewegten, sondern dem Bewegenden zugerechnet wird, wird bei der mitwirkenden Gnade die Wirkung sowohl Gott wie der eigenen Seele zugerechnet, da sich der Verstand zugleich selbst „bewegt und bewegt wird“; s.a. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 91. 134 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113 Prooemium. 135 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,1 resp.; dazu auch Wippel, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S.  246, 263 ff. Thomas unterscheidet dabei zwischen wirkender Gnade (gratia operans), deren Wirkung die Rechtfertigung des Sünders (iustificatio impii) ist, und mitwirkender Gnade (gratia cooperans), deren Wirkung das Verdienst (meritum) des Sünders ist. 136 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,1 resp. 137 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,2; q. 113,1 resp.; q. 113,6 ad prim. Obwohl Rechtfertigung Vergebung der Sünde meint, ergibt sich die Notwendigkeit des Begriffs der „Rechtfertigung“ daraus, dass Rechtfertigung das Ziel der Bewegung bezeichnet, s. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 97 f. 138 Dazu unten S. 139 ff. 139 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,1 resp.: Insofern ist zwischen zwei Arten der Gerechtigkeit zu unterscheiden, nämlich zwischen der Tugend der Gerechtigkeit, die „eine richtige Ordnung im Handeln des Menschen“ meint (s. dazu unten S. 139 ff.), und der Gerechtigkeit, die eine „Richtigkeit der Ordnung in der inneren Verfassung des Menschen“ meint

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Die Notwendigkeit der Gnade ergibt sich daraus, dass „keine natürliche Kreatur ausreichender Grund einer Handlung ist, die das ewige Leben (vita aeterna) verdient, wenn nicht eine übernatürliche Gabe, nämlich die Gnade hinzukommt“140 – „ohne Gnade kann sich der Mensch nicht das ewige Leben verdienen“.141 Wer sich durch die Sünde vom ewigen Leben ausgeschlossen hat, kann sich selbst das ewige Leben nicht verdienen.142 Er bedarf der Vergebung der Sünde, die durch die Gnade bewirkt wird.143 Gott rechtfertigt damit den Sünder, indem er ihn zur Gerechtigkeit führt.144 Wie lässt sich das aber mit der menschlichen Natur vereinbaren? Seiner Natur nach verfügt der Mensch nämlich über einen freien Willen (liberum arbitrium).145 Über diesen freien Willen verfügt der Mensch, damit er „sich zu Gott hinwenden“ und Gott ihn glückselig machen kann.146 Rechtfertigung geschieht daher nicht ohne den freien Willen des Menschen147; Gott rechtfertigt den Menschen nicht ohne den Menschen (Deus non sine nobis nos iustificat).148 Gott gewährt die rechtfertigende Gnade, indem er „den freien Willen zur Annahme des Geschenks der Gnade bei denen bewegt, die zu (vgl. grundsätzlich auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 104 ff., 107 ff., 125 [bei Albertus Magnus], 155 ff. zu den verschiedenen Begriffen der Gerechtigkeit). Auf die Gerechtigkeit im letzteren Sinn bezieht sich die Rechtfertigung des Sünders (vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,12 resp.). Damit verbunden unterscheidet Thomas auch im Hinblick auf den Ursprung zwei Arten der Gerechtigkeit, nämlich die erworbene (acquisita – die Tugend der Gerechtigkeit [dazu Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,1 resp.]) und die eingegossene (infusa) (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,12 resp.). Während „die erworbene aus den Werken der Gerechtigkeit heraus bewirkt wird“, folgt die eingegossene aus der göttlichen Gnade (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,12 resp.). Diese eingegossene ist nach Thomas dabei die „wahre Gerechtigkeit“. Diese könne der Mensch nicht durch eigene Handlungen, d.h. auch nicht durch die Befolgung der Sittengebote erreichen (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,12 resp.). Diese eingegossene Gerechtigkeit wird ebenso wie die eingegossene Gnade durch Christus und den Neuen Bund begründet und ist von der anderen Gerechtigkeit grundsätzlich verschieden (vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,12 resp.; q. 106,2 resp.; q. 109,5 resp.; q. 110,3 resp.). 140 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 114,2 resp. 141 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 109,5 resp.; 114,2 resp.; s.a. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 80 ff. zur Notwendigkeit der Gnade. 142 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 114,2 resp. („nullus in statu peccati existens potest vitam aeternam mereri, nisi prius Deo reconcilietur, dimisso peccato, quod fit per gratiam“); q. 109,7 resp. 143 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 114,2 resp.; q. 109,7 resp. 144 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,3 resp. 145 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,3 resp. 146 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 5,5 ad prim.; s.a. Speer, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 141, 166. 147 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,3 resp. 148 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 111,2 ad sec.

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dieser Bewegung fähig sind“.149 Hierbei ist auch der Glaube ( fides) erforderlich, da zur Rechtfertigung eine Umkehrung (conversio) des Verstandes (mens) auf Gott hin erforderlich ist; der Glaube ist es, der diese Umkehr auf Gott bewirkt.150 Damit ergeben sich nach Thomas vier Voraussetzungen für die Rechtfertigung des Sünders: „die Eingießung der Gnade, die Bewegung des freien Willens zu Gott durch den Glauben, die Bewegung des freien Willens von der Sünde weg und der Nachlass der Schuld“.151 Zur Rechtfertigung des Sünders gehören damit „nicht nur die Eingießung der Gnade und der Nachlass der Schuld“, sondern auch die Hinwendung des freien Willens zu Gott und die Abkehr des freien Willens von der Sünde durch den Vollzug der Buße (poenitentia).152 Die Vergebung der Schuld wird – insoweit hinsichtlich der Ursünde (peccatum originale) – durch die Taufe153 und – hinsichtlich der begangenen Sünde – durch die Buße (poenitentia) bewirkt.154 Hiermit erschließt sich also der Zusammenhang von Rechtfertigung, Gerechtigkeit, Gnade, Schuld, Sünde, freiem Willen und Buße. Rechtfertigung, d.h. Vergebung der Schuld geschieht durch die wirkende Gnade Gottes, der „Mensch kann sich nicht“ selbst ohne die göttliche Gnade „das ewige Leben verdienen“.155 Der Mensch wird folglich auch nicht durch das Gesetz rechtfertigt.156 Die rechtfertigende Gnade Gottes rechtfertigt den Menschen dabei jedoch nicht ohne den Menschen, vielmehr spielt für die Rechtfertigung auch der freie Wille (liberum arbitrium) des Menschen eine Rolle.157 Die Bedeutung des freien Willens ist dabei insgesamt zentral bei Thomas und den Spätscholastikern, die Willensfreiheit ist ein Schlüsselbegriff der Philosophie und Theologie und wird so auch erheblich die Rechtslehre beeinflussen, wie später noch zu zeigen sein wird.158 Auf das Verhältnis von göttlicher Gnade 149 150 151 152 153

154 155 156 157 158

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,3 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,4 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,6 resp. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,6 ad prim. Wirkung der Taufe ist dabei jedoch nicht nur die Aufhebung des peccatum originale, sondern die Aufhebung jeder Sünde, s. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 69,1 resp.; „so wie die Ursünde nicht wiederholbar ist, ist auch die Taufe nicht wiederholbar“, s. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 66,9 resp. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,6 resp., ad prim.; s.a. Duns Scotus, Ord. IV Dist. 14 q. 4 N. 6 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 109,5 resp.; q. 114,2 resp. S.a. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,12 resp. Vgl. dazu aber auch Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S.  96 ff., 99 ff., wonach der Akt des freien Willens bei Thomas selbst „kein Beitrag“ des Menschen zu seiner Rechtfertigung ist. S. dazu unten S. 145 ff.

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und menschlichem freien Willen und die Auseinandersetzung um den sog. Molinismus ist daher später noch näher einzugehen.159 3.2.2.2 Die Buße 3.2.2.2.1 Buße und Bußsakrament Vergebung der Schuld (remissio culpae) erfolgt durch die Buße (poenitentia).160 Bestandteile der Buße sind die Reue (contritio) und die Beichte des Sünders (confessio), darauf folgt die Absolution (absolutio) durch den Priester, schließlich die Genugtuung (satisfactio) als Ableistung der durch den Priester auferlegten Bußwerke (Gebete, Fasten, Almosen etc.).161 „[J]ede Sünde kann“ dabei „durch die Buße in diesem Leben getilgt werden“, weil der Mensch, der über einen freien Willen verfügt, sich zwischen Gut und Böse zu entscheiden (liberum arbitrium flexibile est ad bonum et malum), auch immer zur Reue fähig ist.162 Thomas unterscheidet hier nun zwischen der Tugend der Buße (virtus poenitentiae) und dem Bußsakrament163 (sacramentum poenitentiae).164 Die Tugend der Buße ist unbedingt notwendig für die Sündenvergebung, da nämlich die durch die Gnade Gottes bewirkte Vergebung voraussetzt, dass derjenige, dessen Wille sich von Gott abgewendet hat, sich wieder zu Gott willentlich hinwendet.165 Die Buße ist dabei grundsätzlich heilsnotwendig nach begangener Sünde, da die Befreiung von der Sünde für das Seelenheil des Sünders erforderlich ist.166 Dies geschieht nun im Sakrament der Buße, „in dem die Kraft des Leidens Christi“ zusammen mit der priesterlichen Absolution und „dem Werk des Pönitenten wirkt“.167 159 S. dazu unten S. 155 ff. 160 S. etwa Thomas v. Aquin, STh III, q. 86 (de effectu poenitentiae – Über die Wirkung der Buße). 161 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 84,3 resp.; q. 90,2 resp. (nur die Akte des Pönitenten, d.h. contritio, confessio und satisfactio sind Teile der materia des Sakraments; s.a. gleich noch); vgl. Duns Scotus, Ord. IV Dist. 16 q. 1 N. 1 ff., 5 f., 7 f.; s.a. Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 145; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 176 f. (Dreiteilung des Bußsakramentes in contritio, confessio und satisfactio; die absolutio gehört hingegen nicht zum Sakrament). 162 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,1 resp. 163 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 84,1 resp. zum sakramentalen Charakter der Buße. Zur Auseinandersetzung, ob Reue (contritio) auch außerhalb des Bußsakramentes Sündenvergebung bewirken kann, s. Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 134 (zu Thomas), 138 (zu Duns Scotus); s. ferner Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,2 resp. 164 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,2 resp.; s.a. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 176. 165 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,2 resp. 166 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 84,5 resp. 167 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 84,5 resp.; q. 86,2 resp.; q. 86,6 resp.

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3.2.2.2.2 Die Bedeutung von Absolution und Schlüsselgewalt Diskutiert wird unter scholastischen Theologen im 12./13. Jahrhundert, welche Bedeutung der priesterlichen Lossprechung von den Sünden, d.h. der Absolution (Ego te absolvo) in der Buße zukommt168; d.h. ob im Bußsakrament die priesterliche Lossprechung (absolutio) die Sündenvergebung bewirkt oder ob nicht die Buße bzw. Reue des Pönitenten (contritio) selbst die Sündenvergebung herbeiführt, da nämlich Vergebung der Sünden durch die Gnade Gottes gewährt wird.169 Es stellt sich damit die Frage, wie das Verhältnis von priesterlicher Absolution und subjektiver Reue (contritio) ist170 und welche Rolle die sog. Schlüsselgewalt spielt, die die von Gott dem Priester verliehene Binde- und Lösegewalt ist171. Wenn nämlich der Nachlass der Sündenschuld durch die Buße des Pönitenten aufgrund der Gnade Gottes erfolgt, erscheint der priesterliche Akt der Absolution rein deklaratorische Wirkung zu haben, und ist folglich nicht konstitutiv für die Sündenvergebung.172 Nach der im 13. Jahrhundert vorherrschend gewordenen scholastischen Meinung, u.a. bei Thomas, sollte schließlich die priesterliche Absolution (absolutio) im Rahmen des Bußsakraments als Teil der Schlüsselgewalt aufgefasst werden.173 Der sakramentale Vollzug des Bußsakraments wird durch die Schlüsselgewalt (ex virtute clavium) bewirkt.174 Die Akte des Pönitenten bilden nach Thomas die Materie (materia) des Bußsakraments, während die priesterliche Absolution die Form ( forma) der Buße bildet.175 Beide zusammen, das subjektive Tun des Pönitenten und das sakramentale Handeln der Kirche176, bilden die „Zeichen“ des Bußsakraments und damit eine Einheit, welche die Wirkung der Sündenvergebung hervorbringt.177 Der „Nachlass der Schuld ist so Wirkung“ der Tugend der Buße, d.h. der Akte des Pönitenten (contritio und confessio), allerdings wird diese hauptsächlich (principalius)

168 Zu dieser Diskussion der Frühscholastik Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 129 ff. 169 Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 131 f.; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 177; hierzu auch Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,2 resp.; q. 86,6 resp. 170 Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 131. 171 Dazu Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 122 ff.; insbesondere zu den Entwicklungen der frühen Scholastik Hödl, Schlüsselgewalt, S. 374 ff., 380 ff. 172 Vgl. Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 131 ff. 173 Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 124. 174 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,6 resp.; s.a. Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 124, 133 f. 175 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 84,3 resp.; q. 86,6 resp.; q. 84,1 ad sec., ad tert.; s.a. Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 147; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 178 f. 176 Vorgrimler, Buße und letzte Ölung, S. 137. 177 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,6 resp.; s.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 147.

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durch das Sakrament und damit die Schlüsselgewalt bewirkt.178 Die Lösungsformel Ego te absolvo wirkt daher nicht nur deklarativ (significative), sondern auch effektiv (efficative) kraft der Schlüsselgewalt.179 Vergebung der Sünden wird in der Reue (contritio) aufgrund des Sakraments bewirkt.180 Der Priester ist damit in der Beichte Richter (officium iudiciarum, iudex ordinarius), das Bußsakrament gewinnt „richterlichen Charakter“ und ist insoweit ein Rechtsakt (sacramentum iudiciale vel iudicium sacramentale181).182 Die Beichte ist grundsätzlich Einzelbeichte, nicht Generalbeichte, in der die Sünden bestimmt sein müssen.183 Das Bußsakrament ist gleichzeitig individuell und persönlich.184 Der Priester muss die Schuld erkennen (cognoscere in causa), die Reue (contritio) des Pönitenten bewerten und bei Vorliegen der Voraussetzungen die Absolution erteilen (sententiare vel pro condemnatione rei (si indignus est), vel pro eius absolutione (si dignus est)), wobei hierbei die Schlüsselgewalt (potestas clavis [ordinis]) grundlegend ist.185 Hinsichtlich der Schlüsselgewalt wird weiter unterschieden: Während jeder Priester aufgrund der Weihe die sog. Weihegewalt (potestas clavis ordinis) hat, die im Sakrament die Sündenvergebung bewirkt, hat nicht jeder Priester die Jurisdiktions- bzw. Rechtsprechungsgewalt (potestas clavis iurisdictionis), die erstens für die Vergebung von Todsünden und zweitens für die Aufhebung der Exkommunikation erforderlich ist.186 Die Exkommunikation hat sich dabei 178 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,6 resp.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 147; s.a. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 178 f. 179 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 84,3 ad quint., resp., ad tert. („verba sacerdotis in hoc sacramento instrumentaliter operantur“); vgl. Duns Scotus, Ord. IV Dist. 14 q. 4 N. 3; s.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 133 f.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 55. 180 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 134. 181 Duns Scotus, Ord. IV Dist. 14 q. 4 N. 4; s.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 137; vgl. aber auch Thomas v. Aquin, STh, III, q. 90,2 resp., der einen richterlichen Charakter eher zurückweist, indem er auf den Unterschied von vindikativer Gerechtigkeit und Buße verweist. Insgesamt trägt bei Duns Scotus die sakramentale Buße deutlicher justiziellen Charakter, als dies bei Thomas der Fall ist (s.a. Duns Scotus, Ord. IV Dist. 14 q. 4 N. 4: „doctrina de sacramento poenitentiae assimilatur vel subalternatur doctrinae de iudiciis“); s.a. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 178, wonach bei Duns Scotus „die Bedeutsamkeit der Absolution, die nach ihm wie bei Thomas eine instrumentaldispositive Tätigkeit auf die Reue des Pönitenten ausübt, noch weiter gesteigert ist, da sie allein das Wesen des Bußsakraments ausmacht“. 182 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  124 ff.; Trusen, Gelehrtes Recht, S.  55; ferner Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 28 s. 183 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 126. 184 Vgl. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 154. 185 Duns Scotus, Ord. IV Dist. 14 q. 4 N. 3 (die absolutio ist sententia definitiva absolvens reum); Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 137. 186 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 136; s.a. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 52 ff.

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bereits aus dem Bußverfahren entfernt und wurde als Teil der Jurisdiktionsgewalt (iurisdictio) Gegenstand des kirchenrechtlichen Disziplinar- und Strafverfahrens.187 Der ursprünglich prägende ekklesiale Aspekt der Buße, d.h. die Wiedereingliederung des Pönitenten in die Kirche und die Möglichkeit der Teilnahme an den Sakramenten, gerät dabei insgesamt in den Hintergrund. Bestimmend ist eine individualistische Sicht, wonach „die Sündenvergebung ein Geschehen zwischen Gott und dem einzelnen unter Vermittlung der Kirche“ ist, es geht also um die „Versöhnung des einzelnen Gläubigen mit Gott“.188 3.2.2.2.3 Die Wirkungen der Buße und die satisfactio Schließlich ist die Genugtuung (satisfactio; poena satisfactoria), d.h. die Bußleistungen, die dem Pönitenten vom Priester auferlegt werden (Gebete, Fasten, Almosen), Bestandteil der Buße.189 Allerdings werden diese Bußleistungen entsprechend der frühmittelalterlichen Entwicklung erst nach der priesterlichen Lossprechung (absolutio) abgeleistet.190 Während also nach der altkirchlichen Buße die Ableistung der Bußwerke selbst Teil der Sündenvergebung war und vor dem Abschluss des Bußverfahrens zu erfolgen hatte, ist die satisfactio nach scholastischem Verständnis nicht mehr Voraussetzung der Sündenvergebung, sondern folgt dieser nach – denn die Vergebung der Schuld wird bereits durch Reue (contritio), Bekenntnis (confessio) und Absolution (absolutio) bewirkt, nur der Vorsatz (propositum), die satisfactio zu leisten, ist daher erforderlich191.192 Folglich hat sich die Bedeutung der satisfactio verändert, da sie nicht mehr Voraussetzung der Vergebung der Schuld ist. Gleichwohl wird an der Stellung der satisfactio nach der Absolution festgehalten.193 Damit stellt sich mit besonderem Nachdruck die Frage nach der Bedeutung der satisfactio.194 187 Vgl. Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  180, 196 f.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 98; Poschmann, Buße und letzte Ölung, S. 78; Hödl, Schlüsselgewalt, S. 387 f. S. dazu auch unten noch S. 105 ff. 188 Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S.  177 f., 180; s.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 148 f. 189 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 90,2 resp.; Duns Scotus, Ord. IV Dist. 15 q. 1 N. 11; s.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149 f.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 242 ff.; ferner dazu Goering, in: Hartmann/Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p. 379, 401 ss. 190 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149; s.a. Duns Scotus, Ord. IV Dist. 16 q. 1 N. 7. 191 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 ad tert.; q. 86,6 resp.; III Supplementum, q. 5,2 ad prim.; s.a. DThA/Neunheuser, Das Sakrament der Buße, S. 425 f. 192 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149; vgl. auch Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,6 resp.; 90,2 resp.; ders., Sent. Lib. IV dist. 18 q. 1,3 qc. 2 resp. (contritio). 193 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149. 194 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149; s.a. Duns Scotus, Ord. IV Dist. 15 q. 1 N. 3 ff.; Dist. 16 q. 1 N. 7.

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Wie gezeigt, unterscheidet die Bußtheologie den reatus poenae und die culpa, d.h. die durch die Sünde verwirkte Strafwürdigkeit und die Schuld.195 Wirkung des Bußsakraments ist zunächst die Vergebung der Sündenschuld (remissio culpae).196 Auch wenn die Schuld mit der Buße nachgelassen ist, kann gleichwohl noch eine Strafwürdigkeit (reatus poenae) verbleiben.197 Insoweit ist aber zwischen den zeitlichen (poena temporalis) und den ewigen Sündenstrafen (poena aeterna) zu unterscheiden.198 Todsünde ist, wie erläutert199, die „Abwendung vom ewigen Gut“ und die „Hinwendung zu einem vergänglichen Gut“.200 Wegen der „Abwendung vom ewigen Gut“ entsteht nach Thomas eine ewige Strafe, dagegen folgt auf die „Hinwendung zu einem vergänglichen Gut“ eine zeitliche Strafe.201 Wird durch die Buße die Schuld vergeben, entfällt auch die Strafwürdigkeit (reatus poenae) für ewige Strafen, die für die Abwendung von Gott entstehen.202 Denn der Nachlass der Schuld durch die Gnade führt dazu, dass auch „die Abkehr der Seele von Gott“ verschwindet, da die Rechtfertigung des Sünders gerade dadurch geschieht, dass sich der Sünder in der Buße wieder Gott zuwendet.203 Buße führt also zum Nachlass der Schuld und zur Aufhebung der Verfallenheit an die ewige Strafe (reatus poenae aeternae) als Folge der „wirkenden“ Gnade Gottes.204 Dagegen kann die zeitliche Strafe, die aus der Hinwendung zu einem zeitlichen Gut resultiert, noch teilweise verbleiben.205 „[N]icht bereits durch den ersten Bußakt“, sondern erst nach Ableistung aller Bußakte einschließlich der satisfactio entfällt nach Thomas auch die Strafwürdigkeit hinsichtlich der zeitlichen Sündenstrafen (reatus poenae temporalis).206

195 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 122. 196 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,6 resp.; q. 86,4 resp.; zu den Wirkungen des Bußsakraments Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 134, 150 f. 197 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149 f. 198 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149 f. 199 S. dazu oben S. 72 f. 200 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp. 201 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp. 202 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149 f. 203 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp., ad prim.; vgl. auch Duns Scotus, Ord. IV Dist. 14 q. 1 N. 18. 204 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp., ad sec. 205 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp., ad prim.; ders., Sent. Lib. IV dist. 18 q. 1,3 qc. 2 resp.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149 f.; s. aber auch Poschmann, Der Ablass im Licht der Bussgeschichte, S. 39 f. zur Auffassung, dass durch die Absolution die ewige Sündenstrafe in eine zeitliche Sündenstrafe umgewandelt wird; vgl. auch Duns Scotus, Ord. IV Dist. 16 q. 1 N. 7. 206 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 ad tert., obi. 3; s.a. DThA/Neunheuser, Das Sakrament der Buße, S. 425 f.

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So wird also davon ausgegangen, dass durch Reue, Bekenntnis und Absolution die Schuld vergeben wird und die Strafwürdigkeit hinsichtlich der ewigen Sündenstrafe aufgehoben wird.207 Damit wird aber noch nicht notwendig auch die Strafwürdigkeit für sämtliche zeitlichen Sündenstrafen aufgehoben.208 Die vom Beichtvater als Bußauflage verhängte satisfactio dient der Tilgung bzw. dem Nachlass der zeitlichen Sündenstrafen, ferner wirkt sie als Heilmittel (medicina) gegen die Sünde.209 Die satisfactio ist allerdings keine eigentliche Strafe (poena rationem poenae), sondern etwas Willentliches (voluntaria).210 Denn die Buße erfolgt willentlich aufgrund des Willens des Sünders, sie unterscheidet sich daher von der vindikativen Gerechtigkeit (iustitia vindicativa), da sie nicht so sehr dem Ausgleich der Gerechtigkeit als vielmehr der „Wiederherstellung der Freundschaft“ mit Gott dient.211 Die satisfactio zielt somit als Kompensation bzw. Wiedergutmachung auf die Tilgung der zeitlichen Sündenstrafen, die andernfalls im purgatorium abzuleisten wären212, wobei sich der Umfang der Tilgung an der geleisteten satisfactio orientiert.213 207 Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 150. 208 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,4 resp.; ders., Sent. Lib. IV dist. 18 q. 1,3 qc. 2 resp. 209 Thomas v. Aquin, Sent. Lib. IV dist. 18 q. 1 Prooemium; q. 1,3 qc. 2 ad prim., ad tert.; qc. 4; s.a. DThA/Neunheuser, Das Sakrament der Buße, S. 425 f.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 149 f.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 158 ff. 210 S. dazu Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  159 f.: Thomas unterscheidet zwischen der eigentlichen Strafe (poena simpliciter; poena rationem poenae) und der poena satisfactoria. Die poena satisfactoria ist dabei freiwillig („Poena quidem satisfactoria est quodammodo voluntaria“) und insofern gar keine eigentliche Strafe, da Strafe etwas Unfreiwilliges ist („De ratione autem poenae sit quod est contra voluntatem“, q. 87,2 resp.). Folglich wird auch die sakramentale satisfactio nicht als Strafe verstanden (s. dazu auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715). Zur Freiwilligkeit der Buße und Satisfaktion vgl. auch Duns Scotus, Ord. IV Dist. 14 q. 1 N. 10 ff. (punitio voluntaria); Dist. 15 q. 1 N. 3 ff. 211 Thomas v. Aquin, STh, III, q. 90,2 resp. („Nam in vindicativa iustitia fit recompensatio secundum arbitrium iudicis, non secundum voluntatem offendentis vel offensi, sed in poenitentia fit recompensatio offensae secundum voluntatem peccantis“; „reconciliatio amicitiae“); q. 85,3 resp.; s.a. Duns Scotus, Ord. IV Dist. 15 q. 1 N. 3 („satisfactio est voluntaria redditio aequivalentis alias indebiti“), N. 11 (voluntarie assumpta). 212 Vgl. Thomas v. Aquin, Sent. Lib. IV dist. 18 q. 1,3 qc. 2 resp.; dazu auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 3; s.a. Goering, in: Hartmann/Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p. 379, 404. 213 S.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 150. In diesem Zusammenhang erlangt der durch die Kirche gewährte Ablass (indulgentia) Bedeutung. Auch dieser bezieht sich nach scholastischem Verständnis auf die zeitlichen Sündenstrafen (Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 203; umfassend zur Geschichte des Ablasses Poschmann, Der Ablass

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3.2.3 Zusammenfassung Auf diese Weise entwickelt sich aus der antiken öffentlichen Buße, die neben der Sündenvergebung als wesentliches Element einen ekklesialen Aspekt (Exkommunikation – Rekonziliation) enthält, die Privatbuße, die einen subjektiv-persönlichen Bereich kennzeichnet, der die Beziehung zwischen Gott und dem einzelnen Menschen betrifft und auf die Vergebung der Schuld zielt.214 Vor diesem Hintergrund entfaltet sich die scholastische Bußtheologie, die die Buße als „gerichtlichen“ Ort ( forum poenitentiale – Bußforum) versteht.215 Sünde, Handlung, Gesetz, Vernunft, Schuld, Strafe, Wille, Willensfreiheit, Gnade, Rechtfertigung und Gerechtigkeit sind in diesem Kontext die Zentralbegriffe, um die herum sich die Theologie entfaltet. Insgesamt werden die scholastische, d.h. insbesondere thomasische Buß- und Rechtfertigungslehre durch das Konzil von Trient bestätigt bzw. gedeckt, ohne dass aber eine Schulmeinung selbst dogmatisiert worden wäre216 – der Kontext bleibt also auch für die Spätscholastiker weitgehend unverändert.

im Licht der Bussgeschichte, S. 1 ff.). Ablass ist „der Erlass einer zeitlichen Strafe vor Gott für Sünden, die hinsichtlich der Schuld […] schon vergeben sind“ (Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 203). Beim Ablass geht es folglich nicht um die Vergebung der Schuld, sondern um den Erlass der durch die Sünde verwirkten zeitlichen Sündenstrafen (Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 203). Diskutiert wird hierbei, wie der Ablass auf die zeitlichen Sündenstrafen wirken kann, d.h. ob die Schlüsselgewalt der Kirche so weit geht, dass sie nicht nur für die Lebenden, sondern auch für bereits Verstorbene über die zeitlichen Sündenstrafen, die von Gott her kommen, verfügen und insoweit über den kirchlichen Verdienstschatz im Wege eines Jurisdiktionsaktes disponieren kann (im Einzelnen dazu Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 206 ff., 208 f.; s.a. Poschmann, Der Ablass im Licht der Bussgeschichte, S. 83 ff., 88, 107 f., 110). Es geht hier also um die Frage der Reichweite der Jurisdiktion und der Schlüsselgewalt der Kirche, die bei Luther später zum Ablassstreit führen sollte (s. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  210; umfassend zum Ablassstreit und seiner Vorgeschichte Dieter/Thönissen [Hrsg.], Der Ablassstreit, Bd. I/1). 214 Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S.  177 f., 180; s.a. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 148 f.; Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 186, 190, 198, 225, 241. 215 Dazu ausführlich unten S. 101 ff. 216 Inhalt und Dekrete des Konzils von Trient und das Verhältnis zu den einzelnen thomistischen bzw. scotistischen Strömungen können hier nicht im Einzelnen nachvollzogen werden; vgl. insoweit Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  187; Poschmann, Buße und Krankensalbung, S. 105 ff.; Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 174, 176 ff., 208 f.; s.a. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 182 („Festschreibung der mittelalterlichen Praxis und Theologie des Bußverfahrens“).

84 3.3

Kapitel 3

Das Gesetz

3.3.1 Einführung Vor dem Hintergrund dieser Rechtfertigungs- und Bußtheologie lassen sich die Erörterungen Thomas’ und der Spätscholastiker um Recht, Gerechtigkeit und Gesetz verstehen. Sünde ist eine schlechte menschliche Handlung, d.h. eine aus dem Willen des Menschen hervorgehende Handlung gegen das Gesetz; insoweit sie aus dem Willen hervorgeht und zugerechnet werden kann, begründet die Sünde die Schuld; Wirkung der Schuld ist die Strafwürdigkeit; in der Buße wird die Schuld vergeben und die Strafwürdigkeit aufgehoben.1 Aber hieran schließt sich sogleich eine Reihe weiterer Fragen an: Wenn Sünde eine Handlung gegen das natürliche bzw. ewige Gesetz ist, was ist ein Gesetz? Welche anderen Gesetzesarten gibt es (menschliches Gesetz) und wie ist deren Verhältnis (3.3)? Wie ist das Verhältnis von Buße und (weltlichem) Gericht (3.4)? Wie ist das Verhältnis von Gesetz und Recht, und welche Rolle spielt die Gerechtigkeit (3.5)? Schließlich: Wieso sind Gesetz und Recht für den Menschen überhaupt relevant (3.6)? Und was ist Ursprung, Bedeutung und Inhalt von Naturrecht und natürlichem Gesetz (3.7)? Damit sind die Themen der kommenden Abschnitte angesprochen. Ausgangspunkt der Darstellung ist dabei jeweils Thomas v. Aquin. Besondere Bedeutung wird hinsichtlich des Gesetzes dem Traktat De Legibus ac Deo Legislatore von Francisco Suárez, hinsichtlich Recht und Gerechtigkeit den Traktaten De Iustitia et Iure von Molina und Lessius zugemessen. 3.3.2 Thomas v. Aquins Gesetzeslehre 3.3.2.1 Der Gesetzesbegriff Im Traktat De Lege2 entwickelt Thomas einen allgemeinen Gesetzesbegriff (lex), der zwar sämtliche Gesetzesformen, d.h. menschliches (lex humana), natürliches (lex naturalis), göttliches (lex divina) und ewiges Gesetz (lex aeterna) umfasst, dabei aber am Begriff des positiven menschlichen Gesetzes orientiert ist.3 Nach Thomas ist das Gesetz eine „Anordnung der Vernunft im Hinblick auf das Gemeinwohl, erlassen und öffentlich bekanntgegeben 1 S. dazu oben S. 60 ff. m.Nw. 2 Hierzu etwa Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs,  S.  17 ff.; Reimer, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 37 ff.; Wieland, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 223 ff. 3 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  243 f.; Metz, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  17, 19 f.; zur Gesetzeslehre bei Thomas v. Aquin s. auch Wittmann, Die Ethik des hl. Thomas von Aquin, S. 318 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 747 ff.

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von dem, der die Sorge für die Gemeinschaft innehat“ (rationis ordinatio ad bonum commune, ab eo qui curam communitatis habet, promulgata).4 Da das Gesetz die „Ausrichtung auf das Gemeinwohl“ betrifft5, steht die Zuständigkeit für den Erlass von Gesetzen nach Thomas entweder allen zusammen (tota multitudo) oder „der öffentlichen Person zu, die die Sorge für alle trägt“.6 Damit hat nicht eine Einzelperson Gesetzgebungszuständigkeit und Zwangsgewalt (vis coactiva), sondern nur die Gesamtheit oder die öffentliche Person.7 Ein Gesetz ist grundsätzlich „Regel und Maßstab von Handlungen“ (regula et mensura actuum); da die Vernunft (ratio) als erster Grund menschlicher Handlungen (primum principium actuum humanorum)8 Regel und Maßstab menschlicher Handlungen ist, „ist das Gesetz etwas, was zur Vernunft gehört“ – nach Thomas wird also die Vernünftigkeit zum bestimmenden Merkmal des Gesetzes.9 Allgemein ist es nach Thomas im Anschluss an Aristoteles „Wirkung eines Gesetzes“, die Menschen „gut zu machen“.10 3.3.2.2 Die Gesetzesarten und ihr Verhältnis Nach Thomas gibt es das ewige Gesetz (lex aeterna), das natürliche Gesetz (lex naturalis), das menschliche Gesetz (lex humana) sowie das göttliche Gesetz (lex divina).11 Auf das Verhältnis von natürlichem und ewigem Gesetz wurde bereits eingegangen.12 Weiter klärt Thomas nun das Verhältnis von ewigem und natürlichem Gesetz zum menschlichen Gesetz.13

4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,4 resp.; s.a. Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 21 ff. Dazu auch Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,2 resp. sowie Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  244 f.; Bormann, Natur als Horizont sittlicher Praxis, S. 196 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,3 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,3 ad sec.; s.a. II–II, q. 66,8 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 ad tert. sowie oben S. 68 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,1 resp. Zur Vernunft als Gesetzeskriterium Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 233; Bormann, Natur als Horizont sittlicher Praxis, S. 194 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 92,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91; zu den Gesetzesarten und ihrem Verhältnis auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 144 ff. Siehe dazu oben S. 68 f.; Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,2 resp. Dazu auch Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 26 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 144 ff.; ferner zur sog. Leges-Hierarchie Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  233  ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd.  1, S.  748 f. Vgl. insoweit auch Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 41 ff., 48 ff.

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Kapitel 3

Soweit das Gesetz „die Anordnung der praktischen Vernunft“ (dictamen practicae rationis) ist, gilt, dass die Vernunft aus Grundsätzen zu Schlussfolgerungen gelangt.14 Ausgehend von den allgemeinen Grundsätzen, d.h. den Geboten des natürlichen Gesetzes, werden durch die menschliche Vernunft konkrete Weisungen getroffen.15 Bei den menschlichen Gesetzen handelt es sich dabei um diese das Einzelne regelnden Weisungen und Regelungen.16 Allerdings ist dies nicht so zu verstehen, dass die menschlichen Gesetze nur „Ableitungen“ vom ewigen oder natürlichen Gesetz wären.17 Was das menschliche Gesetz mit dem ewigen Gesetz verbindet, ist die Vernunft, da auch das menschliche Gesetz eine Anordnung der Vernunft sein muss.18 Alle anderen Gesetzesarten „leiten sich insoweit vom ewigen Gesetz ab, als sie an der rechtgeleiteten Vernunft (ratio recta) teilhaben“.19 Auch dem menschlichen Gesetz kommt insoweit Gesetzescharakter (rationem legis) zu, als es „gemäß der rechtgeleiteten Vernunft ist“.20 Das natürliche Gesetz (lex naturalis) besteht nach Thomas zunächst aus den allgemeinen Prinzipien (principia communia) des Naturgesetzes, die nicht beweisbar und natürlich bekannt sind.21 Sodann können aus diesen Prinzipien des Naturgesetzes Schlussfolgerungen (conclusiones) abgeleitet werden.22 Ferner kann das Naturgesetz durch nähere Bestimmungen (determinationes) konkretisiert werden.23 Vor diesem Hintergrund kann nach Thomas das positive vom Menschen gemachte Gesetz (lex humanitus posita) in zweifacher Weise vom natürlichen abgeleitet sein24: Soweit es die Schlussfolgerungen (conclusiones) normiert, sind diese nicht nur im menschlichen Gesetz enthalten, „sondern haben ihre Gesetzeskraft auch vom natürlichen Gesetz“ (Beispiel von Thomas: das Verhältnis von „nicht töten“ [non esse occidendum]

14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,3 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,3 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,3 resp. S.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 242, 246. Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 24, 26; s.a. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 93,3 ad sec. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 93,3 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 93,3 ad sec.; s.a. Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 24. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,3 resp.; q. 94,4 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,3 resp.; q. 94,4 resp.; q. 95,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp.; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 240. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp.; dazu auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 150 f.

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zu „niemandem etwas Schlechtes zufügen“ [nulli esse malum faciendum]).25 Soweit das menschliche Gesetz aber Konkretisierungen (determinationes) trifft (Beispiel von Thomas: dass der, der sündigt, bestraft wird, folgt aus dem Naturgesetz; die Bestimmung der Strafe sei aber determinatio), erhält es seine Gesetzeskraft nur aus sich selbst heraus.26 Das menschliche Gesetz hat also einen eigenständigen Bereich, in dem es Regelungen trifft.27 Auch wenn damit das menschliche Gesetz in einem bestimmten Verhältnis zum natürlichen Gesetz steht, betont Thomas, dass es Gesetzeskraft aus sich selbst heraus erhält. Auch soweit das menschliche Gesetz Schlussfolgerungen des Naturrechts normiert, ist es nicht das natürliche Gesetz und wird damit selbst auch nicht im Wege der Schlussfolgerung abgeleitet, sondern kann solche Schlussfolgerungen aus sich selbst heraus regeln.28 Das menschliche Gesetz ist damit selbständiges Gesetz, und insoweit auf das ewige und natürliche Gesetz zurückbezogen, als es „gemäß der Vernunft ist“.29 Das Verhältnis von natürlichem (lex naturalis) und menschlichem Gesetz (lex humana) betrachtet Thomas unter verschiedenen Gesichtspunkten.30 Problematisch wird das Verhältnis insbesondere, wenn das positive menschliche Recht in Widerspruch zum natürlichen Gesetz steht.31 Allgemein argumentiert Thomas in Anlehnung an Cicero32, dass ein dem natürlichen Gesetz widersprechendes menschliches Gesetz „nicht mehr Gesetz, sondern Zerstörung des Gesetzes“ (legis corruptio) sei.33 Denn das menschliche Gesetz hat insoweit Gesetzeskraft (virtus legis), als es gerecht ist, was voraussetzt, dass es „gemäß der Regel der Vernunft ist“.34 Das bedeutet aber nicht, dass das naturgesetzwidrige menschliche Gesetz zwangsläufig „nichtig“ wäre. Wie sich zeigen wird, ist zwischen den Foren, dem „Gewissensforum“ ( forum conscientiae; forum internum) und dem sog. „forum 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp.; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 242. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp.; s.a. Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 151. S. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 245 ff.; Metz, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 29. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 242. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  240, 242; vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp. Dazu Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp.; 96,4 resp.; II–II, q. 60,5 ad prim.; s.a. Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 150. S. hierzu oben bereits S. 37 ff.; ferner auch Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 33, 50. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp.

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Kapitel 3

externum“ zu unterscheiden – hierauf ist später noch einzugehen.35 Neben dem natürlichen und dem menschlichen Gesetz ist nach Thomas schließlich auch ein göttliches Gesetz „notwendig“, da der Mensch für ein Ziel bestimmt ist, das sein Können überragt, nämlich das Ziel der ewigen Glückseligkeit, und das daher „übernatürlich“ ist.36 Damit geht das göttliche Gesetz in seinem Ziel über das natürliche und das menschliche Gesetz hinaus.37 Auf das Verhältnis von natürlichem und göttlichem Gesetz ist ebenfalls später noch genauer einzugehen.38 3.3.2.3 Ziel, Inhalt und Reichweite des menschlichen Gesetzes In besonderer Weise zeigt sich die Unterschiedlichkeit von menschlichem Gesetz (lex humana) und natürlichem bzw. göttlichem Gesetz (lex naturalis, lex divina) durch den verschiedenen Inhalt, die Reichweite, den Gegenstand sowie das jeweilige Ziel, hinsichtlich derer Thomas diese unterscheidet.39 Das menschliche Gesetz darf nach Thomas nämlich nicht sämtliche Laster40 verbieten, da das Gesetz einer Vielzahl von Menschen gegeben wird und die Menschen nicht vollkommen sind41; „andernfalls würden die Unvollkommenen, die nicht in der Lage sind, diese Gebote zu ertragen, in schlimmere Übel verfallen“.42 Das menschliche Gesetz verbietet daher nur solche Vergehen, „deren sich die Mehrheit enthalten kann“, sowie insbesondere diejenigen, „die zum Schaden anderer gehen und ohne deren Verbot die menschliche Gesellschaft nicht erhalten werden kann“ (Mord, Diebstahl und Ähnliches).43 Das menschliche Gesetz kann und darf daher nicht alles verbieten, was das natürliche oder göttliche Gesetz verbietet.44 Gleichzeitig darf das menschliche Gesetz auch nicht sämtliche tugendhaften Handlungen gebieten.45

35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

45

Dazu unten S. 101 ff.; vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp. Dazu unten S. 195 ff. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 245 ff. Laster ist das Gegenteil von Tugend, s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 ad sec. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 ad tert.; q. 91,4 resp.; q. 93,3 ad tert.; 96,3 ad prim.; s.a. bereits Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 41. S. ferner Gabriel Vázquez, Comm. I–II, q. 96,3 observatio, der anknüpfend an Thomas dies damit begründet, dass das menschliche Gesetz über das Verbot hinaus Zwangskraft (coactionem & vim) besitze und insoweit Strafen verhänge. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,3 resp., ad prim.

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Das menschliche Gesetz zielt nämlich auf zeitliche Ruhe in der Gesellschaft (temporalis tranquillitas civitatis).46 Dieses Ziel wird erreicht, indem das menschliche Gesetz solche äußeren Akte (exteriores actus) verbietet, die „den friedlichen Zustand der Gesellschaft stören können“ (pacificum statum civitatis).47 Demgegenüber ist es „das Ziel des göttlichen Gesetzes, den Menschen zum Ziel der ewigen Seligkeit hinzuführen“ (perducere hominem ad finem felicitatis aeternae), indem es „den Menschen geeignet macht für die Teilnahme an der ewigen Seligkeit“.48 Die Erreichung dieses Ziel wird jedoch durch jede Sünde gefährdet, d.h. sowohl äußere als auch innere Akte.49 Damit weicht nach Thomas das menschliche Gesetz vom natürlichen bzw. göttlichen50 Gesetz nicht nur in der Reichweite und im Ziel, sondern auch im Gegenstand ab: So bezieht sich das menschliche Gesetz nur auf die äußeren, hingegen nicht auf die inneren Akte.51 Grund ist, dass sich das menschliche Gesetz nur auf die menschliche Gemeinschaft und die Beziehung der Menschen untereinander beziehen kann; Menschen kommunizieren aber nur durch äußere Handlungen, und nur diese äußeren Handlungen unterliegen der Ordnung der Gerechtigkeit, welche die zwischenmenschlichen Beziehungen regelt, und damit dem menschlichen Gesetz.52 Auch das Urteil des Menschen kann sich nur auf äußere Handlungen, nicht aber auf innere Motive des Willens beziehen, sodass das menschliche Gesetz Strafen nur für äußere Handlungen durch Urteil verhängen darf.53 Zwar kann das menschliche Gesetz Handlungen aller Tugenden vorschreiben, aber nur insoweit, als diese auf das Ziel des menschlichen Gesetzes, nämlich das Gemeinwohl (bonum commune) hingeordnet sind.54 Da sich das menschliche Gesetz nur auf die bürgerliche Gemeinschaft und damit auf äußere 46

47 48 49 50 51 52 53 54

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp.; s.a. q. 96,3 resp. („cives informantur ut commune bonum iutitiae et pacis conservent“); vgl. dazu auch Cicero, De Legibus, II, V, 11; s. aber auch Schockenhoff, ThPh  76 (2001), 338, 353, wonach Thomas „den Auftrag politischer Herrschaft nicht allein in der Garantie äußerer Sicherheit und in der Aufrechterhaltung eines gesellschaftlichen Friedenszustandes“ sieht, sondern „die weltliche Gewalt dem Bürger auch darin“ dient, „daß sie ihn in seiner individuellen Lebensführung unterstützt und zur Erlangung seiner eigenen Lebensziele anleitet“. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp. S.a. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 93,3 ad tert. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; q. 98,1 resp.; q. 100,2 resp.; q. 100,9 resp.; s.a. Schockenhoff, ThPh 76 (2001), 338, 359. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,9 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,3 resp.; s.a. Schockenhoff, ThPh  76 (2001), 338, 353, wonach sich die politische Ordnung bei Thomas „durchaus als eine Tugend- und

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Kapitel 3

bzw. zwischenmenschliche Handlungen bezieht, trifft es daher grundsätzlich „nur Regelungen hinsichtlich der Tugendakte der Gerechtigkeit, hinsichtlich der anderen Tugenden dagegen nur insoweit, als die anderen Tugenden den Charakter der Gerechtigkeit annehmen“ (lex humana non proponit praecepta nisi de actibus iustitiae; et si praecipiat actus aliarum virtutum, hoc non est nisi inquantum assumunt rationem iustitiae)55 – auch dies im Gegensatz zum natürlichen Gesetz, das Gebote hinsichtlich aller Tugendakte aufstellt.56 Damit zeigt sich ein Verständnis des menschlichen Gesetzes, dem ein selbständiger Bereich zugewiesen ist und das vom natürlichen Gesetz in Inhalt, Ziel, Gegenstand und Reichweite grundsätzlich verschieden ist.57 Aufgabe des menschlichen Gesetzes ist es daher nicht, den Menschen zu vervollkommnen, sondern Frieden und zeitliche Ruhe in der Gesellschaft sicherzustellen.58 Hiermit drängt sich freilich die Frage auf, was der Grund für diese Unterschiede ist und warum sich Thomas überhaupt mit dem menschlichen Gesetz beschäftigt. Eine Antwort auf diese Frage findet sich in der Quaestio I–II, q. 96,4, in der Thomas erörtert, ob das menschliche Gesetz im Gewissensforum verpflichtet (utrum lex humana imponat homini necessitatem in foro conscientiae?).59 Ein wesentlicher Grund für diese Differenzen und die Beschäftigung mit dem menschlichen Gesetz liegt damit in der Dualität von Gewissensforum ( forum conscientiae) und forum externum. Hierauf wird später einzugehen sein.60 3.3.3 Duns Scotus und der Voluntarismus Bevor auf die Entwicklungen von Gesetz, Recht und Gerechtigkeit in der spanischen Spätscholastik eingegangen wird, muss zunächst noch eine weitere Denkrichtung behandelt werden, die in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zum Thomismus stand, nämlich dem sog. Voluntarismus.61 Der Voluntarismus

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Wahrheitsordnung charakterisieren“ lasse, „auch wenn Thomas um die Grenzen weiß, die dieser Zielsetzung aufgrund der fragmentarischen Natur des menschlichen Rechts gesetzt sind“. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,2 resp. Korrespondierend mit dem menschlichen Gesetz bezieht sich auch die Tugend der Gerechtigkeit nur auf äußere Handlungen, da auch sie sich nur auf das zwischenmenschliche Verhältnis bezieht, s. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,8 resp. sowie unten S. 139 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,3 resp. („omnes actus virtutum sunt de lege naturali“); q. 100,2 resp. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 242 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp.; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 245, 247. Dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 249 f. Dazu unten S. 101 ff., 117 ff. Dazu etwa Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 273 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn. 21 ff.

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wird dabei mit dem Franziskaner Johannes Duns Scotus (1265/66–1308) verbunden, wobei aber zunehmend umstritten ist, inwieweit Duns Scotus tatsächlich „voluntaristisch“ einzuordnen ist.62 Wie gezeigt, ist Thomas’ Gesetzeslehre rationalistisch geprägt, indem die Vernunft wesentliches Merkmal des (natürlichen) Gesetzes ist.63 Durch die Verbindung von Aristotelismus und Theologie und deren Einbindung in eine Vernunftordnung besteht bei Thomas freilich die Tendenz, dass die Bedeutung der göttlichen Offenbarung und die Freiheit Gottes in gewisser Weise in den Hintergrund treten.64 Gottes Wille und Macht scheinen durch naturhafte Notwendigkeiten, die sich aus dem ewigen Gesetz ergeben (Necessitarismus), beschränkt zu werden.65 Duns Scotus betont demgegenüber stärker den Willen des Gesetzgebers, d.h. ganz konkret zunächst den Willen Gottes als Gesetzgeber.66 Hintergrund ist dabei die voluntaristische Vorstellung vom grundsätzlichen Vorrang des Willens vor der Vernunft bzw. dem Intellekt.67 Der Wille, der frei ist und sich selbst bestimmt, und die Natur, die notwendig und willensunabhängig ist und der Vernunft und Intellekt zugeordnet werden, werden gegenübergestellt.68 Während etwa nach Thomas das natürliche Gesetz etwas verbietet, weil es schlecht ist69, betont Duns Scotus den eigenständigen und freien Willen Gottes als Gesetzgeber. Damit ist „etwas gut […], weil es von Gott gewollt ist“; aber gleichzeitig gilt, dass etwas „von Gott gewollt ist, weil es gut ist“.70 Maßstab der Gerechtigkeit und des Bösen und Guten und folglich des Naturrechts ist zwar 62

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S. dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 273 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 783 ff.; Honnefelder, Johannes Duns Scotus, S. 28 ff.; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 356 ff.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  5 f.; Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes, S. 66 ff. S. dazu zuvor S. 84 ff. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 273 ff. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 277 f.; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn. 22. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 274 ff., 278 ff.; Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 49; s.a. Duns Scotus, Ord. I Dist. 44 q. 1 N. 2 („leges aliquae generales, recte dictantes, praefixae sunt a voluntate divina“). Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 274, 280 ff.; s.a. Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S.  356 f.; Honnefelder, Johannes Duns Scotus, S. 24 ff., 28 ff.; W. Thönissen, Catholica 75 (2021), 63, 72 f. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 279; vgl. Duns Scotus, Lect. II Dist. 25 N. 69 ff.; s.a. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 790 f., 792; Kaufmann, in: Busche (Hrsg.), Departure for Modern Europe, S. 167, 169 f. S. dazu oben S. 68 ff. So Honnefelder, Johannes Duns Scotus, S. 31: Nach dieser Interpretation ist Duns Scotus’ Ansatz gerade nicht strikt voluntaristisch; s.a. Duns Scotus, Ord. III Dist. 19 q. 1 N. 9 („Omne aliud a Deo, ideo est bonum, quia a Deo volitum, et non e converso“).

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Kapitel 3

nicht die Vernunft, sondern der Wille Gottes; der Wille Gottes ist aber in seiner Güte und Liebe auch vernünftig.71 Soweit sich Gott für die Schaffung dieser Welt durch einen letztlich kontingenten Willensentschluss entschieden hat72, wirkt auch für das durch Vernunft erkennbare natürliche Gesetz der Wille Gottes.73 Gleichzeitig verliert das ewige Gesetz (lex aeterna) seine Bedeutung, da dieses nicht mehr als selbständiges Prinzip erfasst wird, sondern vielmehr Gott als der ewige Gesetzgeber (legislator aeternus) betont wird.74 So wie beim natürlichen Gesetz das Moment des Willens des Gesetzgebers betont wird, legt Duns Scotus auch beim positiven menschlichen Gesetz besonderen Fokus auf den Willensentschluss des Gesetzgebers, der die Verbindlichkeit des Gesetzes begründet.75 Ebenso wird auch in der Anthropologie und im Handeln des Menschen der Wille (voluntas) zentral, der indeterminiert (indeterminata) ist und sich selbst bestimmt (se determinare).76 Auch wenn Wille und Intellekt als Teilursachen zusammen die Willenshandlung (actus voluntatis) hervorbringen77, kommt die Entscheidungsfreiheit selbst dem Willen zu (libertas in voluntate), der aufgrunddessen der Hauptgrund der Willenshandlung (causa principalior) ist.78 Der Wille ist frei, wohingegen sich die Vernunft naturnotwendig verhält und die Handlungsgründe zwar erkennt, aber nicht selbst Handlungen wählt.79 71

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Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  279 f.; s.a. Honnefelder, Johannes Duns Scotus, S. 31 ff.; Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  49; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn.  22; vgl. auch Duns Scotus, Ord. III Dist. 32 q. 1 N. 6; Dist. 37 q. 1 N. 8; Ord. IV Dist. 17 q. 1 N. 3; Dist. 46 q. 1 N. 7; s. aber auch die Interpretation bei Spindler, Theorie des natürlichen Gesetzes, S. 66 ff., 85 ff. S. dazu auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 784. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  285, 288; Honnefelder, Johannes Duns Scotus, S. 31 f. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 284. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 290 f.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 5 f. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 280; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S.  356 f.; Spindler, Theorie des natürlichen Gesetzes, S. 75 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 794; s.a. Duns Scotus, Ord. I Dist. 8 p. 2 q. 1 N. 23: „Ita et voluntas nostra est indeterminata hoc modo, virtualiter, indeterminatione potentiae activae ad utrumque contradictoriorum et ex se potest determinari ad hoc vel illud“; ders., Lect. II Dist. 25 N. 1 ff., 69 ff. Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S.  356 sowie Duns Scotus, Lect. II Dist.  25 N.  69 ff. („tam voluntas quam obiectum concurrunt ad causandum actum volendi“; „cum voluntate in ratione causae effectivae concurrit intellectus – actu intelligens obiectum – ad causandum actum volendi“). Duns Scotus, Lect. II Dist. 25 N. 73 f. Dazu Honnefelder, Johannes Duns Scotus, S. 24 f.; Kaufmann, in: Busche (Hrsg.), Departure for Modern Europe, S. 167, 169 f.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Der Wille folgt daher nicht der Vernunft, da er sein Ziel selbst bestimmt und nicht durch die Vernunft bestimmt ist; aber die Vernunft ist der Maßstab des guten Handelns, sodass nur dann moralisch gehandelt wird, wenn der Wille die Handlung der Vernunfterkenntnis angleicht.80 Gerade diese scotistische Verschiebung, wonach die Freiheit dem Willen zukommt, wird von der Spätscholastik übernommen und dadurch auch für das Recht wirkmächtig.81 3.3.4 Die Gesetzeslehre bei Suárez Der Einfluss dieser scotistischen Gesetzeslehre zeigt sich bei verschiedenen Vertretern der spanischen Spätscholastik, insbesondere auch bei Suárez.82 Mit Suárez’ Tractatus De Legibus ac Deo Legislatore (1612)83 erreicht die Diskussion um Recht, Gesetz und Gerechtigkeit in der Spätscholastik in gewisser Weise einen Höhepunkt.84 In Auseinandersetzung mit Thomas’ De Lege als Ausgangspunkt85 erörtert er das Wesen, die Voraussetzungen und die Wirkungen des Gesetzes. Suárez bietet ein systematisches Panorama und eine Synthese der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rechts-, Gesetzes- und Staatstheorie, wodurch er thomistische, scotistische und ockhamistische Lehren in ein eigenes Lehrgebäude integriert.86 Diese Abhandlung bildet bis ins

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Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  280 f.; Honnefelder, Johannes Duns Scotus, S. 32 f.; vgl. auch Duns Scotus, Lect. II Dist. 25 N. 73 f.; ders., Ord. III Dist. 36 q. 1 N. 14 ff. S. dazu unten S. 145 ff. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 339 f., 346 ff., 380 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 88; umfassend zur Gesetzeslehre bei Suárez Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 1 ff. et passim; vgl. auch Altwicker, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 125 ff.; Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 105, 112 f., 117 f. Hierzu etwa Bach/Brieskorn/Stiening, in: dies. (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. XIII ff. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 253; mit Verweis auf die bislang noch nicht erfolgte Aufarbeitung der Rezeptionsgeschichte Bach/Brieskorn/Stiening, in: dies. (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. XIII Fn. 2. S.a. Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs,  S.  105, 112 ff.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  27. Zum Verhältnis von Thomas’ und Suárez’ Gesetzeslehre s. Schmeisser, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 73 ff. (insbesondere zu lex aeterna und lex naturalis); Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 136, 137 ff. Bach/Brieskorn/Stiening, in: dies. (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. XIII; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  8 f.; s.a. Pace, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 274, 277, 278 s. zu den Einflüssen.

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Kapitel 3

18. Jahrhundert einen Referenzpunkt der Gesetzes- und Rechtstheorie und wird etwa auf Grotius, Hobbes oder Pufendorf wesentlichen Einfluss ausüben.87 3.3.4.1 Der Gesetzesbegriff bei Suárez Auch Suárez verwendet wie Thomas einen allgemeinen Gesetzesbegriff, der stark am Begriff der menschlichen Gesetze orientiert ist.88 In Auseinandersetzung mit Thomas definiert Suárez Gesetz (lex) so als „allgemeines Gebot, das gerecht, beständig und angemessen verkündet ist“ (commune praeceptum, iustum ac stabile sufficienter promulgatum).89 Gegenüber Thomas90 betont Suárez die Verpflichtung (obligatio) eines Gesetzes als dessen wesentliche Wirkung, worin sich in gewisser Weise der Einfluss des Voluntarismus zeigen dürfte.91 Damit verbunden ist nämlich die stärkere Betonung des Willens des Gesetzgebers als maßgebliches Moment der Gesetzgebung und eigentlicher Grund der Verpflichtungswirkung, während bei Thomas noch die Vernunft (ordinatio rationis) im Vordergrund steht – das Gesetz setzt sich nach Suárez aus einem Willens- und Verstandesakt (actus voluntatis & intellectus; actus rationis & voluntatis) zusammen, wobei dem Willen die Verpflichtungskraft zukommt (vis obligandi quae proprie est in voluntate).92 Wesentliche und not87

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S. dazu unten noch im Einzelnen  S.  220 ff.; vgl. auch Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S.  4 ff., 21 ff. et passim; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn. 43; zur philosophischen Bedeutung auch Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 10 ff.; ferner Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 91 ff. Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Liber III, Teil 1, Einleitung, S. XV; dies., in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 3 f.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 88; hierzu und zum Gesetzesbegriff bei Suárez Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 381; Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  105, 115 ff.; Schmeisser, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 73, 74 f.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  199 ff.; Stiening, in: Bach/ Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 97, 101 f.; Kaufmann, in: Bach/ Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 155, 157 ff.; Stiening, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 341, 346 ff. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 12 N. 5; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 381. S. aber auch Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,4 resp. („quod lex virtutem obligandi obtineat, quod est proprium legis“); dazu auch Reimer, in: Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 37, 41 f. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 1, 4; Cap. 5 N. 20, 23 f.; Altwicker, in: Walther/Brieskorn/ Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  125, 126 ff.; Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 105, 117 f. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 20 ff., 15; Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  105, 118 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  381; Marschler, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.),

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wendige Wirkung des Gesetzes ist daher die Begründung einer Verpflichtung (obligatio), d.h. der moralischen „Notwendigkeit zu handeln oder nicht zu handeln“ (necessitas operandi vel non operandi); das Gesetz ist der Grund der Verpflichtung (lex est propria ratio obligationis).93 Das Gesetz ist damit „der Befehl (imperium), der aus dem wirkenden Verpflichtungswillen (voluntas efficax obligandi) desjenigen hervorgeht, der über die entsprechende Gewalt verfügt“.94 Abgregrenzt wird das Gesetz vom Ratschlag (consilium) insoweit, als es von einer höheren Instanz kommt und der Ratschlag keine Verpflichtung herbeiführt.95 Ebenso ist Gesetz nur die Verpflichtung, die einer Gesamtheit auferlegt wird, hingegen ist die einer privaten Person auferlegte Verpflichtung kein Gesetz.96 Aufgrunddessen ordnet Suárez das ewige Gesetz als solches auch nur als Gesetz in einem indirekten Sinn ein, da dieses keine eigene Verpflichtung begründet.97

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„Auctoritas Omnium Legum“, S.  27, 49; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  97, 117 f.; ders., in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S.  341, 352 ff. Umfassend zum Willen in Suárez’ Gesetzestheorie und zu seiner via media, nach der das Gesetz ein Akt von Intellekt und Willen (actus intellectus & voluntatis) ist, Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 119 ff., 129 ff. Zum Zusammenhang von Wille und Verpflichtungskraft (vis obligandi) s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 15. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 20, 24; Cap. 14 N. 1, 4; Cap. 17 N. 3; s.a. Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 97, 105 f.; Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 105, 118 f. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap.  14 N.  4. Zur Frage, wieso gerade dem Willen die Verpflichtungskraft zukommt, s. unten S. 177 ff. Mit der Gesetzgebungsgewalt des menschlichen Gesetzes ist ferner auch die Zwangsgewalt (vis coerciva) unmittelbar verbunden, die Gesetzgebungsgewalt ist zwingende Gewalt (potestas legislativa est etiam coactiva), s. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 13 N. 2, 5; Cap. 1 N. 9. Allerdings ist die Zwangsgewalt nicht Grund der Gesetzeskraft von Gesetzen, s. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 117 ff. Zur Zwangswirkung (vis cogendi) des Gesetzes s. ferner Suárez, De Legibus, Lib. I Cap.  8 N.  2; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 97, 110 ff. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 12 N. 4; Cap. 14 N. 10; Cap. 17 N. 4; s.a. Brieskorn, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  105, 118; Hespe, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 39, 44. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 12. Gleichzeitig soll jede wirkliche Verpflichtung aus dem Gesetz oder dem Recht entstehen (Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 12). Auch bei der aus Verträgen oder Versprechen folgenden Verpflichtung ist das Fundament ( fundamentum seu proxima materia) der Verpflichtung die menschliche Handlung, der Grund (ratio, causa) hingegen ist das Recht (Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 13). Vielmehr kommt diesem Verpflichtungswirkung nur mittelbar durch die anderen Gesetze zu, s. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 4 N. 10; Cap. 1 N. 11; s.a. Walther, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  135, 142 f. Auf die

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3.3.4.2 Die Zulässigkeit und die Begründung der menschlichen Gesetze Auch wenn Thomas vertritt, dass das menschliche Gesetz aus sich selbst heraus Gesetzeskraft hat, lässt er letztlich offen, woher diese Gesetzeskraft resultiert.98 Bei Thomas findet sich der aristotelische Gedanke einer naturhaften Begründung staatlicher und politischer Gewalt, die der politischen Ordnung selbst wesenhaft immanent ist.99 Demgegenüber diskutiert Suárez ausdrücklich die Zulässigkeit menschlicher bzw. weltlicher Gesetze (lex humana, lex civilis)100, die Menschen Verpflichtungen auflegen, vor dem Hintergrund, dass „der Mensch von Natur aus frei und niemandem außer dem Schöpfer unterworfen ist“ (homo natura sua liber est et nulli subiectus nisi creatori tantum).101 Weil also der Mensch von Natur aus frei ist, scheinen die menschliche Herrschaft und damit das menschliche Gesetz der natürlichen Ordnung zu widersprechen.102 Ausgangspunkt der Gesetzeslehre von Suárez ist insoweit die natürliche Freiheit des Menschen, die durch die Gesetzgebungsgewalt eingeschränkt wird.103 Diese Einschränkung der Freiheit bedarf der Rechtfertigung und Legitimation.104 Die Rechtfertigung zur Einschränkung der natürlichen Freiheit sieht Suárez darin, dass eine staatliche Herrschaft sowohl der Gerechtigkeit als auch

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Wirkungen und die Verpflichtung des natürlichen Gesetzes bei Suárez ist später noch einzugehen (hierzu unten S. 189 ff.). Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 95,2 resp. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 267 f., 315. S.  Suárez, De Legibus, Lib. III Prooemium  N.  2: Suárez unterscheidet innerhalb des menschlichen Gesetzes zwischen weltlichem bzw. bürgerlichem Gesetz (lex civilis) und kirchlichem Gesetz (lex canonica). Beide seien positive menschliche Gesetze und im Hinblick auf eine Bürgerschaft, einen Staat bzw. eine Gemeinschaft gemacht, wobei dies beim kirchlichen Gesetz die „Kirche Christi“ sei. Während aber das weltliche Recht rein natürlich hinsichtlich seines Ursprungs und der Gesetzgebungsgewalt (per potestatem homini connaturalem) sei, werde das kirchliche Gesetz von Menschen aufgrund einer übernatürlichen Gewalt (per potestatem supernaturalem) gegeben. Die folgenden Ausführungen zum menschlichen Gesetz beziehen sich ebenso wie der Liber III von Suárez auf das weltliche Gesetz. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 1. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 1. S.  Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  195, 197 ff.; vgl. Bach, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 233, 242 ff., 250 ff. Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Liber Tertius, Teil 1, Einführung, S. XVI f.; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  195, 198; Bach, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 233, 243 f. In diesem Ausgangspunkt zeigt sich eine deutliche Bezugnahme auf Ockham sowie andere Spätscholastiker (Vitoria), s. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 316, 357 f., 388 f.; vgl. auch Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 449 f.

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der menschlichen Natur entspricht105, was er in Anlehnung an Aristoteles u.a. mit der Geselligkeit des Menschen (animal sociale) begründet.106 Diese staatliche Macht hat vor allem auch die Befugnis, Gesetze zu erlassen.107 Entsprechend dem voluntaristischem Ansatz erhält das menschliche Gesetz dabei „seine Gesetzeskraft und Wirksamkeit unmittelbar vom Willen des menschlichen Gesetzgebers“ (a voluntate hominis legislatoris habet proxime haec lex suam virtutem & efficaciam).108 Mit dieser Begründung menschlicher Gesetze ist noch ein weiterer Aspekt verbunden: Durch das menschliche Gesetz werden alle Personen, die Teil der politischen Gemeinschaft sind, verpflichtet, es gibt insofern keinen Unterschied zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft.109 Alle Menschen sind folglich „den menschlichen Gesetzen unterworfen“, soweit sie Adressaten des Gesetzes sind.110 Hierin liegt die grundsätzliche Annahme der Gleichheit vor dem Gesetz sowie der Allgemeinheit der Gesetze.111 3.3.4.3 Ziel, Inhalt und Reichweite der menschlichen Gesetze Ähnlich wie Thomas sieht Suárez das Ziel weltlicher Gesetze im „Frieden und dem zeitlichen Glück des Staates“.112 Er wendet sich hierdurch ausdrücklich gegen die Auffassung, die das Ziel der weltlichen Macht bzw. weltlicher Gesetze (potestas civilis et ius civile) „nicht nur im äußeren Frieden und der Gerechtigkeit des Staates, sondern auch im wahren und inneren Glück des 105 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 2. 106 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 3; dazu auch Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  195, 198 f.; Bach, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 233, 250. S. unten noch näher zur Begründung der politischen Gewalt S. 502 ff. 107 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 6. 108 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  4 N.  8. Die Gesetzeskraft des menschlichen Gesetzes soll nur mittelbar im Sinne einer Zweitursache vom ewigen Gesetz, aber direkt vom Menschen als Gesetzgeber kommen, der selbst causa per se für das Gesetz und seine Gesetzeswirkung ist; s. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 4 N. 8; hierzu auch Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 195, 206 f. 109 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 31 N. 6. 110 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  31 N.  5 („unusquisque obligatur legibus ad se pertinentibus: nullus vero est, qui ad aliquas leges humanas servandas non teneatur, si in terris recognoscit superiorem. Et ita omnes quidam subiiciuntur humanis legibus“). 111 Vgl. Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  195, 226; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 89. 112 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 7; Cap. 12 N. 3; Cap. 13 N. 3 („ad exteriorem pacem et honestatem communitatis humanae“); dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 390 f.; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  195, 209 ff.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S.  118 ff., 124 f.; ferner Grimm, Frieden und Ruhe des Gemeinwesens bei Domingo de Soto, S. 74 ff. (zu pax und tranquillitas bei Soto).

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Menschen“, d.h. in der „übernatürlichen Glückseligkeit des zukünftigen Lebens“, verortet.113 Nach Suárez ist demgegenüber Ziel der weltlichen Macht im Anschluss an Thomas und Aristoteles, dass die Menschen „in Frieden und Gerechtigkeit leben“ (in pace et iustitia vivant) und über die Güter verfügen, die zur Erhaltung und Gestaltung des Lebens erforderlich sind – Gerechtigkeit und Frieden (pax & iustitia) sind also das Ziel der weltlichen Gesetze.114 Daraus folgt nach Suárez, dass die weltliche Macht „nicht die eigentliche geistliche Glückseligkeit der Menschen in diesem Leben anstreben“ und daher auch „keine Gesetze in geistlichen Angelegenheiten erlassen“ darf.115 Nach dieser Klärung des Ziels weltlicher Gesetze beschäftigt sich Suárez mit dem möglichen Inhalt des weltlichen Rechts.116 Obwohl nach Suárez die 113 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 1 ff., 4. Damit ist nach Suárez Ziel der menschlichen Gesetzgebungsgewalt weder die Glückseligkeit des zukünftigen Lebens noch die natürliche Glückseligkeit des gegenwärtigen Lebens einzelner Personen (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 6 f.). Vielmehr sei Ziel die natürliche Glückseligkeit der vollkommenen menschlichen Gemeinschaft und der einzelnen Menschen, soweit sie Teil dieser Gemeinschaft sind (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 7). 114 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 7; Lib. I Cap. 3 N. 19 f.; dazu auch Hüning, in: Bach/ Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S.  73, 75 ff., 78. Suárez begründet dies damit, dass die politische Gewalt nicht bei den einzelnen Menschen, sondern in der politischen Gemeinschaft liege, die einen mystischen Körper (corpus mysticum) bilde und deren Aufgabe sich nur auf das irdische gegenwärtige Leben (pro hac vita) beziehe (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 7). Da Zweck des politischen Körpers bzw. der politischen Gewalt nur das Wohl der gesamten Gemeinschaft sei, beziehe sie sich auch nur insoweit auf das Wohl des Einzelnen, als es auf das Wohl der gesamten Gemeinschaft bezogen sei (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 7). Das, was zum privaten Glück ( felicitas privata) gehöre und keinen Bezug zum Gemeinwohl habe, sei daher nicht Gegenstand der weltlichen Macht und der weltlichen Gesetze (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 7, 8). Problematisch ist vor diesem Hintergrund freilich, dass die weltliche Macht Häretiker bestraft und Verbrechen gegen die Religion verbietet (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 10). Diesem Einwand begegnet Suárez u.a. damit, dass ebenjene Vergehen den Frieden und die Erhaltung der politischen Macht selbst beträfen und insofern die weltliche Macht auch entsprechende Gesetze erlassen dürfe (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 10). 115 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 6, 9. 116 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 1 ff. (materia); dazu auch Hüning, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S.  73, 78 ff. Suárez unterscheidet hier drei Ansichten hinsichtlich der möglichen inhaltlichen Reichweite von weltlichen Gesetzen (ius civile): erstens dass die weltlichen Gesetze auf den politischen Zustand (statum policiticum) und die Erhaltung des Staates (conservatio et augmentum) abzielen würden und dass sie, sofern sie für dieses Ziel nützlich sind, erlassen werden könnten unabhängig davon, ob sie Gutes oder Schlechtes zum Inhalt haben. Zweitens dass weltliche Gesetze nur Akte der Tugend der Gerechtigkeit anordnen bzw. entsprechende Laster verbieten könnten. Drittens dass weltliche Gesetze Akte aller Tugenden, d.h. auch beispielsweise hinsichtlich der Mäßigung, Tapferkeit oder Dankbarkeit (bspw. Armut der

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weltlichen Gesetze Akte sämtlicher moralischer Tugenden (d.h. auch beispielsweise hinsichtlich der Tugend der Mäßigung und Tapferkeit, bspw. Armut der Bürger abwenden, Verteidigung des Gemeinwesens, Almosen geben) vorschreiben bzw. entsprechende Laster verbieten können117, schränkt Suárez die mögliche Reichweite ein. Ebenso wie bei Thomas dürfen die weltlichen Gesetze nicht sämtliche Akte einzelner oder aller Tugenden vorschreiben – Inhalt und Reichweite von menschlichem und natürlichem Gesetz unterscheiden sich also notwendig.118 Auch würden die weltlichen Gesetze nicht einmal sämtliche Akte der Gerechtigkeit vorschreiben.119 Denn der Maßstab des menschlichen Gesetzes ergibt sich aus seinem Ziel (mensura autem potestatis ex fine illius sumenda est), das sich wie gesehen auf den Frieden und die Gerechtigkeit bezieht.120 Die menschlichen Gesetze dürfen daher ebenso wie bei Thomas „nicht sämtliche Laster verbieten“.121 Das Gesetz muss sich „der menschlichen Gesellschaft entsprechend ihrer natürlichen Bedingung“ anpassen.122 Auch die menschliche Zwangsgewalt (potestas coactiva civilis) ist folglich durch die conditio humana beschränkt.123 Gleichzeitig ist der mögliche Inhalt des menschlichen Gesetzes auch nicht durch das natürliche oder göttliche Gesetz beschränkt oder vorgegeben, das

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Bürger abwenden, Verteidigung des Gemeinwesens, Almosen geben) anordnen bzw. verbieten könnten. Suárez lehnt die erste Ansicht ab, die er Machiavelli zuschreibt. Folge dieser Ansicht sei, dass Gesetze nur im Hinblick auf die Nützlichkeit zur Erhaltung des Staates erlassen würden und vollständig ohne Bezug darauf, ob etwas gut oder schlecht ist. Nach Suárez dürfen Gesetze jedoch nur entweder Gutes vorschreiben oder aber Böses verbieten bzw. nicht gebieten (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 4, 19 [zum Unterschied vom Gebot/Verbot guter und schlechter Handlungen; s.a. N. 6]; s.a. Lib. I Cap. 13 N.  3, 6 f.; dazu auch Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], „Auctoritas Omnium Legum“, S. 195, 217 ff.). Gegen die zweite Ansicht argumentiert Suárez, dass Ziel der weltlichen Macht „das wahre echte Glück der politischen Gemeinschaft“ sei und deshalb das menschliche Gesetz Regelungen auf dem Gebiet sämtlicher moralischer Tugenden (so etwa die Tugend der Tapferkeit: Verteidigung des Gemeinwesens) erlassen dürfe (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 7 f.). Vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 12 Dub. 12 N. 76 (Almosen). Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 7 ff.; dazu auch Hüning, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 73, 78 ff., 83 ff. Einschränkend aber für die weniger notwendigenden Tugenden, auch wenn Suárez dies nicht ausschließen will, s. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  12 N.  10 – grundsätzlich sollen die Kardinaltugenden zu einer guten Regierung des Staates ausreichen. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 11 f. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 12. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 11. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 12. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 12. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 12.

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Kapitel 3

menschliche Gesetz besteht nicht nur in der Konkretisierung oder näheren Bestimmung des natürlichen Gesetzes, da andernfalls gerade das Wesen der weltlichen Gesetzgebungsmacht verkehrt würde.124 Bedingung und Grenze des menschlichen Gesetzes ist damit nur, dass eine Tugendhandlung dann Gegenstand eines menschlichen Gesetzes sein darf, wenn „diese wegen des guten Ziels des Gesetzes moralisch notwendig und dem Gemeinwohl dienlich ist sowie der Gemeinschaft der Menschen und ihrer durchschnittlichen Fähigkeit angemessen ist“.125 Vergehen dürfen folglich nur dann „durch ein weltliches Gesetz verboten werden“, wenn sie „der menschlichen Gemeinschaft schädlich sind“ und ihr Verbot bzw. ihre Bestrafung dem Staat „von moralischem Nutzen“ ist.126 Wohlgemerkt geht es hier um den möglichen Inhalt und die Grenzen der Rechtsetzung, dagegen wird hierdurch nicht ein Mindestinhalt menschlicher Gesetze vorgegeben. Anknüpfend an Thomas differenziert Suárez weiter zwischen inneren und äußeren Akten und hält insoweit fest, dass weltliche Gesetze rein innere Handlungen127 nicht direkt vorschreiben dürfen.128 Er begründet dies damit, dass erstens die weltliche Macht keine Zwangsgewalt über innere Vorgänge hat und zweitens sich nur auf den äußeren Frieden in der Gesellschaft bezieht.129 Wie Thomas130 beschränkt Suárez damit die Reichweite und das Ziel menschlicher Gesetze auf innerweltliche Zielsetzungen, nämlich Frieden und Gerechtigkeit in der Gesellschaft – menschliches und natürliches Gesetz unterscheiden sich notwendig in Gegenstand, Inhalt, Ziel und Reichweite.131 124 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 13 ff.; dazu auch Hüning, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 73, 86 ff. Hierin zeigt sich durchaus eine Akzentverschiebung gegenüber Thomas, da das inhaltliche Verhältnis zwischen natürlichem und menschlichem Gesetz, das Thomas noch im Sinne einer Normierung von Ableitungen oder Konkretisierungen versteht, gelockert wird. Suárez betont stärker die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der menschlichen Gesetzgebungsmacht vom natürlichen Gesetz auch in den Inhalten. Sieht man das auch im Kontext der eigenständigen naturrechtlichen Herleitung der menschlichen Gesetzgebungsmacht, gewinnt das menschliche Gesetz eine grundsätzliche Selbständigkeit. 125 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 16. 126 S. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 16. 127 Anders bei Vorbereitungsakten für Verbrechen, die bereits nach außen getreten sind, d.h. dem Versuch (conatus); diese dürfen (milder) bestraft werden, Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 13 N. 2. 128 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 13 N. 2; Cap. 11 N. 8. 129 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 13 N. 2, 3. 130 S.a. Schockenhoff, ThPh 76 (2001), 338, 360, wonach sich der „Aufgabenbereich der weltlichen Macht“ bei Thomas „auf das Irdische“ beschränkt. 131 Vgl. Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  195, 209 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

3.4

101

Die Dualität der Foren

3.4.1 Gewissensforum (forum conscientiae) und forum externum Thomas und die Spätscholastiker unterscheiden also menschliches und natürliches Gesetz in Entstehung, Begründung, Inhalt, Gegenstand, Ziel und Reichweite. Bislang noch unbeantwortet ist aber die Frage, wieso sich Thomas und die Spätscholastiker überhaupt mit dem menschlichen Gesetz beschäftigen1 und worin die Gründe für die Unterschiedlichkeit der Gesetzesarten liegen. In der thomasischen Bußtheologie und im Sündenverständnis wurde doch deutlich, dass hier eigentlich das natürliche Gesetz entscheidend ist für die Beurteilung der Frage, ob menschliche Handlungen gut oder schlecht sind.2 Worin liegt also die philosophisch-theologische Relevanz des menschlichen Gesetzes und wie ist das Verhältnis von natürlichem und menschlichem Gesetz, von Buße und Strafe, von Bußforum und Gericht?3 Die Klärung dieser Fragen ergibt sich aus der Dualität von Gewissensforum ( forum conscientiae) und forum externum, wie im Folgenden gezeigt wird.4 Hintergrund ist die bereits erörterte Buße (poenitentia). Das Bußforum ( forum poenitentiale) steht in Zusammenhang mit einem inneren Forum ( forum internum) bzw. Gewissensforum ( forum conscientiae) des Menschen und wird als solches in Verfahren, Voraussetzungen, Gegenstand und Wirkungen von dem äußeren, weltlichen Gericht ( forum externum, forum contentiosum, forum iudiciale, forum fori) abgegrenzt.5 Gerade hierin zeigt sich eine spezifische Eigenschaft, die die Naturrechtstradition maßgeblich prägen sollte: die Dualität der Foren.6

1 S. dazu auch Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187, 188 f. 2 S.a. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 3 N. 18 f., wonach sich die relative Notwendigkeit (necessitas respectiva) menschlicher Gesetze nur im Hinblick auf den Staat und das Zusammenleben der Menschen in der Gemeinschaft ergebe. 3 Umfassend dazu Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 35 ff., 56 ff., 82 ff., 137 ff., 238 ff.; s.a. Stiening, in: Zehetner (Hrsg.), Menschenrechte und Metaphysik, S.  129 ff. zur theologischen Bedeutung des menschlichen Gesetzes bei Suárez; Repgen, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187, 188 f. 4 Dazu grundsätzlich Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  169 ff., 190 ff.; Goering, in: Hartmann/Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p. 379 ss.; s.a. Trusen, Gelehrtes Recht, S.  3 ff., 47 ff., 86; vgl. auch Maihold, in: Germann/Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S. 51 ff. 5 Zu den Begriffen s. unten S. 105 ff. die Nachweise. 6 Hierzu etwa Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 35 ff. („Dualismus des Forums“).

102

Kapitel 3

3.4.2 Die Entwicklung der beiden Foren Die Entwicklung zu den beiden Foren vollzieht sich vor allem in der Bußtheologie, und zwar im Hinblick auf die bereits angesprochene bußtheologische Frage, welche Bedeutung dem priesterlichen Handeln im Bußsakrament zukommt.7 Diese bußtheologische Diskussion knüpft ihrerseits wiederum an bestimmte kanonistische Entwicklungen an.8 Es bildet sich so nun in den bußtheologischen Diskussionen des Mittelalters die Unterscheidung zwischen dem Gewissens- ( forum conscientiae) und dem Bußforum ( forum poenitentiale) einerseits und der äußeren Rechtsprechung des forum externum andererseits, die nach heutigem Verständnis eine Differenzierung zwischen einem ethischen und einem rechtlichen Bereich ist.9 3.4.2.1 Kanonistische Entwicklung Die erste Entwicklungslinie vollzieht sich dabei im kanonischen Recht.10 Der forum-Begriff ist selbst dem römischen Recht entnommen, wo er ausgehend von der Bedeutung „Marktplatz“ auch als Gerichtsplatz oder Gericht verwendet wird.11 Bereits im Decretum Gratiani taucht der forum-Begriff mehrfach auf.12 Bei den Dekretisten gewinnt die forum-Abgrenzung dabei einerseits materiellrechtlich hinsichtlich der Statutenkollision von ius canonicum und ius civile Bedeutung, d.h. im Hinblick auf die Frage, welches Recht anwendbar ist, andererseits verfahrensrechtlich im Hinblick auf die Frage, ob weltliches oder kirchliches Gericht zuständig ist.13 Hier entsteht dann die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen forum saeculare (weltliches Gericht) und forum ecclesiasticum (kirchliches Gericht)14, die auch Eingang ins Dekretalenrecht und den Liber Extra findet (de foro competenti).15 Für die weitere Entwicklung wird bedeutend, dass das kirchliche Strafrecht nur auf nach außen tretende Taten Anwendung findet, es entwickelt sich der Grundsatz, dass „die Kirche nicht über Verborgenes urteilt“ („Ecclesia

7 8 9 10 11 12 13 14 15

S. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 169 ff., 186 ff. Dazu auch Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 149 ff., 159 ff., 187 ff. Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  186 („Es stehen sich also Gewissensbereich im eigentlich ethischen Sinne und Rechtsbereich gegenüber“). Dazu Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 149 ff. Dazu ausführlich Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 23 ff.; s.a. Suárez, Lib. III Cap. 21 N. 2. S. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 155 ff. m.Nw. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 160 ff. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 163. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 165 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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de occultis non iudicat“).16 Dies unterscheidet sich von der Buße, hinsichtlich derer Sünde auch in Gedanken begangen werden kann. Hier bildet sich die Vorstellung eines „forum exterius“, das wohl aus der kanonistischen Tradition des „Ecclesia de occultis non iudicat“ herrührt und sich als äußeres Forum nur auf äußere Handlungen ( facta exteriora) bezieht, wohingegen in der Buße auch innere Handlungen Gegenstand sind.17 Das kirchliche Strafwesen trennt sich so zunehmend von der Buße, indem Strafe dem öffentlichen Verfahren (iudicium manifestum), Buße dagegen dem geheimen Verfahren (iudicium occultum) zugeordnet wird.18 Damit bilden sich zwar verschiedene Ansatzpunkte zur Abgrenzung der Buße von der kirchlichen Strafgewalt in der Kanonistik, ohne dass dies aber zu einer grundlegenden dogmatischen Ausdifferenzierung geführt hätte. Bußtheologische Begründung 3.4.2.2 Anknüpfend an diese kanonistischen Differenzierungen des 12. und 13. Jahrhunderts vollzieht sich die entscheidende Entwicklung in der Bußtheologie und insbesondere bei Thomas.19 Die Abgrenzung von forum internum und forum externum geschieht dabei vor dem zuvor geschilderten theologischen Hintergrund der Buße, wobei vor allem zwei Fragen Anlass für Diskussionen geben.20 Zum einen erschien problematisch, dass im Rahmen der Buße mit den Bußleistungen eine Art „Strafe“ durch den Beichtvater verhängt wird (neben satisfactio auch als poena satisfactoria bezeichnet), die sich aus dem spätantiken und frühmittelalterlichen Beichtsystem erhalten hatte.21 Die Bußtheologen versuchten nun zu klären, in welchem Verhältnis diese „Strafe“ zu den Strafen des eigentlichen kirchlichen Strafrechts steht und was die Rechtsprechungsgewalt ist, aufgrund derer die poenae satisfactoriae dem Pönitenten bzw. die sonstigen Strafen des kirchlichen Strafrechts auferlegt werden konnten.22 Hieran anknüpfend bildet sich ansatzweise eine Abgrenzung des Bußforum ( forum poenitentiale) vom äußeren gerichtlichen Forum ( forum iudiciale), und zwar 16 17 18 19 20 21 22

Dazu Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  19 f. m.Nw.; Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 187, 192. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 192. So Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 29 (zu Bernhard von Pavia); s.a. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 180, 202 Fn. 46. Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  176 ff., 186 ff., 190 ff.; dazu auch Trusen, Gelehrtes Recht, S. 55 f. Zur Buße s. oben bereits S. 60 ff., 66 ff., 77 ff. Vgl. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 177. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 177 ff.

104

Kapitel 3

im Hinblick auf die kirchlichen Strafarten.23 Es wird begrifflich unterschieden zwischen der poena satisfactoria, die auf das Fegefeuer (purgatorium) bezogen ist (satisfactio [Genugtuung]; ad evasionem purgatorii [zur Vermeidung des Fegefeuers]) und der gerichtlichen Strafe (poena iudiciaria), die als irdische Strafe verstanden wird (ad ecclesiam pertineat ipsum puniri).24 Zum anderen musste die Rolle des Priesters im Bußsakrament bestimmt werden, d.h. es ging um die bereits angesprochene Frage, ob der Priester im Rahmen der Schlüsselgewalt die Sünden vergibt oder ob nicht die Sündenvergebung durch die Gnade Gottes erfolgt (utrum sacerdos dimittat peccata).25 Das Augustinuswort „Nemo dimittit peccata, nisi solus Deus“ („Niemand außer Gott vergibt Sünden“) und eine Textstelle von Ambrosius („Certum est quod Ecclesiae utrumque licet, ligare et solvere“ – „Es ist sicher, dass es der Kirche erlaubt ist, zu binden und zu lösen“) werden für die gegensätzlichen Positionen angeführt.26 Bußtheologisch wird hierfür zunächst eine zweifache Differenzierung eingeführt, nämlich zwischen dem „eigentlichen Herrschaftsbereich Gottes“ (archanum propitiationis Dei) als dem Bereich Gottes und dem forum poenitentiale als dem kirchlichen Bußforum, um das Wirken in der Buße zu erklären.27 Während hierdurch betont wird, dass die Sündenvergebung aufgrund der Reue durch die Gnade Gottes herbeigeführt wird, bleibt aber noch unklar, worin die Bedeutung der priesterlichen Absolution und des kirchlichen Bereichs für die Sündenvergebung gegenüber dem göttlichen Wirken besteht.28 Eher scheint der kirchliche Bereich hier auf die frühere Bedeutung der Aufhebung der Exkommunikation hinzudeuten, die Gegenstand der öffentlichen Buße war, und für die Sündenvergebung selbst nur deklaratorische Wirkung zu haben.29 Jedenfalls erhält dadurch der juristische Forum-Begriff Eingang in die Bußtheologie in Gestalt des Bußforums.30

23 24 25 26 27 28 29 30

Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 176, 180 ff. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 177 m.Nw.; zur Trennung der poena satisfactoria von der eigentlichen Strafe (poena rationem poenae) bei Thomas s. oben bereits S. 82. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 171 m.Nw. Jeweils zitiert nach Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 171 f. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 172, 174. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 172 f. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 172 f. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 169 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

105

3.4.2.3

Gewissensforum (forum conscientiae) und „forum exterius“ bei Thomas v. Aquin Die verschiedenen kanonischen und theologischen Entwicklungen laufen bei Thomas zusammen.31 Bei Thomas wird das Begriffspaar forum conscientiae ( forum poenitentiale) – forum exterius ( forum iudiciale, forum contentiosus) erstmals in seiner spezifischen Bedeutung als Trennung eines ethisch-inneren Gewissensbereichs und eines äußeren Rechtsbereichs verwendet.32 Thomas erreicht dies, indem er das Gewissensforum ( forum conscientiae) mit dem „eigentlichen Herrschaftsbereich Gottes“ (archanum propitiationis Dei/forum Dei), d.h. das Gewissensurteil mit dem Urteil Gottes („das göttliche Urteil, das das Urteil des Gewissens ist“ – iudicium divinum, quod est iudicium conscientiae) verbindet und diesem das äußere Forum gegenüberstellt.33 Hintergrund sind die Entwicklungen der Bußtheologie: Indem geklärt war, dass die priesterliche Absolution aufgrund der Schlüsselgewalt Wirkung für die Sündenvergebung hat, war auch geklärt, welche Bedeutung das priesterliche Wirken im Bußsakrament hat.34 Der priesterliche Akt der Absolution bewirkt effektiv (effective) kraft der Schlüsselgewalt die Sündenvergebung.35 Der ekklesiale Aspekt der altkirchlichen Buße (Wiedereingliederung in die Kirche [reconciliatio] nach der Exkommunikation) war gleichzeitig in den Hintergrund getreten.36 Die nach der Absolution zu erfüllenden Bußauflagen der satisfactio sind keine „eigentlichen Strafen“ (poena rationem poenae), sondern dienen als freiwillige Leistung (voluntaria) der Tilgung der gegenüber Gott bestehenden zeitlichen Sündenstrafen (reatus poenae temporalis).37 Die öffentliche Buße mit ihrer Doppelwirkung der Sündenvergebung und der Wiedereingliederung in die Kirche war durch die sakramentale Privatbuße, die auf Vergebung der Schuld und Aufhebung der Sündenstrafe zielt, zunehmend abgelöst worden.38 31 32 33 34 35 36

37 38

Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 186 ff., 190 ff.; s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4; II–II, q. 89,7 ad tert.; ders., Sent. Lib. IV Dist. 18 q. 2,2 qc. 1 resp. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 186, 190. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 obi. 1; s.a. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 186. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 193 ff. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 84,3 ad tert., ad quint. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 148 f.; vgl. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 194 f., 198 f., 212 f. (zu Suárez): Thomas selbst erwähnt zwar noch die Rekonziliationswirkung der Buße, wobei aber deren Stellung und Beziehung zur Sündenvergebung selbst unklar ist. Der ekklesiologisch-rechtliche Aspekt der Rekonziliation ist damit nicht gänzlich entfallen, wohl aber in den Hintergrund getreten. S. dazu oben S. 80 ff. sowie Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.; q. 87,2 resp.; ders., Sent. Lib. IV dist. 18 q. 1 Prooemium; q. 1,3 qc. 2 ad prim., ad tert.; qc. 4. Vgl. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 193.

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Kapitel 3

Durch die Klärung der Wirkung der priesterlichen Lossprechung (absolutio) im Bußsakrament, der für die Sündenvergebung aufgrund der Schlüsselgewalt Wirkung zukommt, gelingt es nun, das Verhältnis von kirchlichem und göttlichem Bereich in der Buße zu klären.39 Im Bußforum wird so durch den Priester kraft der Schlüsselgewalt die Schuld gegenüber Gott vergeben; das kirchliche Bußforum wird somit mit dem göttlichen Forum verbunden, und als solches vom rechtlichen Bereich des äußeren gerichtlichen Forums ( forum iudiciale) abgegrenzt.40 Vom Gewissens- und Bußforum, in dem die Schuld gegenüber Gott vergeben wird, getrennt ist die Exkommunikation als kirchliche Strafe, die dem forum exterius zugeordnet wird (excommunicatio ad forum exterius pertinet) – die Exkommunikation ist also nicht mehr, wie in der altkirchlichen Buße, Teil der Buße, sondern wird getrennt hiervon einem äußeren Forum zugeordnet.41 Ebenso erreicht Thomas durch die Differenzierung von unfreiwilliger eigentlicher Strafe (poena rationem poenae) und freiwilliger Satisfaktionsstrafe (poena satisfactoria)42, d.h. durch eine Differenzierung nach Strafarten, die Klärung des Verhältnisses von Strafe und Bußauflage und somit die Abgrenzung von forum externum und Bußforum entsprechend der jeweiligen Sanktionen. Die satisfactio hat eine rein bußtheologische Zielsetzung, indem sie der Tilgung der zeitlichen Sündenstrafen dient.43 Von daher ergibt sich die Notwendigkeit, das kirchliche und weltliche Wirken außerhalb des Bußforums von diesem abzugrenzen – was durch die Unterscheidung der beiden Foren erreicht wird.44 Im Gewissensforum geht es also um die Rechtsbeziehung zwischen dem Menschen und Gott (in foro conscientiae causa agitur inter hominem et Deum), im äußeren Forum dagegen um die Rechtsbeziehungen zwischen den Menschen (in foro autem exterioris iudicii causa agitur hominis ad hominem).45 Daher „gehört die Lossprechung oder Bindung“ – hinsichtlich der Sünden –, „die einen Menschen auf Gott hin verpflichtet, zum Bußforum“ (absolutio vel ligatio quae unum hominem obligat quo ad Deum tantum, pertinet ad forum poenitentiae), dagegen „das, was den Menschen in seiner Beziehung zu anderen Menschen verpflichtet, zum äußeren öffentlichen Gerichtsforum“ 39 40 41 42 43 44 45

Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 194 ff.; s.a. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 55 f. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 189 f., 191 ff., 194 f., 198. Thomas v. Aquin, Sent. Lib. IV Dist.  18 q. 2,2 qc. 1 resp.; vgl. auch Duns Scotus, Ord. IV Dist. 14 q. 4 N. 4 (duplex forum); Dist. 18–19 q. 1–2 N. 15 ff.; s. dazu auch oben bereits S. 60 ff. S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.; III, q. 90,2 resp.; q. 85,3 resp.; vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 2 ff. S. dazu oben S. 80 ff. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 194; vgl. dazu auch Trusen, Gelehrtes Recht, S. 55 f. Thomas v. Aquin, Sent. Lib. IV Dist. 18 q. 2,2 qc. 1 resp.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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(sed illa quae hominem obligat in comparatione ad alios homines, ad forum publicum exterioris iudicii pertinet).46 Beide Foren unterscheiden sich also nicht nur durch die unterschiedlichen Wirkungen, sondern auch durch die jeweiligen Rechtsbeziehungen (Mensch – Gott; Mensch – Mensch). Damit in Zusammenhang steht auch, dass die kirchliche Leitungsgewalt (iurisdictio), die sich vor allem auf die kirchliche Strafgewalt bezieht, zunehmend von der Schlüsselgewalt (potestas clavis), die vor allem im Bußforum (in foro poenitentiali) wirkt47, abgegrenzt wird.48 Während das kirchliche Wirken im Bußforum, d.h. die Schlüsselgewalt eher als Ausfluss der kirchlichen Weihegewalt (potestas ordinis) gesehen wird, wird die iurisdictio auf das kirchliche Disziplinar- und Strafrecht bezogen.49 Allerdings sieht auch Thomas beim forum poenitentiale eine Wirkung der kirchlichen Leitungsgewalt (iurisdictio).50 Insofern unterscheiden sich forum internum und forum externum zwar nicht grundsätzlich hinsichtlich der darin wirkenden Gewalt, wohl aber hinsichtlich des Wirkungsbereiches.51 Auch kann im forum poenitentiale nur ein geweihter Priester mit entsprechender Vollmacht wirken, wohingegen bei der Rechtsprechung (iurisdictio) im forum externum grundsätzlich jeder beauftragt werden kann – damit bestehen auch personale Unterschiede.52 Es zeigt sich hier ein Prozess, der von der öffentlichen Buße der Spätantike mit der Exkommunikationswirkung zu einer Trennung von Buße (poenitentia) und Strafe (poena) hinführt.53 Über die Zeit entwickelt sich daher aus der 46 47 48 49 50

51 52 53

Thomas v. Aquin, Sent. Lib. IV Dist. 18 q. 2,2 qc. 1 resp. S.a. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 172, 209 (mit Verweis auf Suárez). Zu dieser Diskussion Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  180 ff.; vgl. auch Thomas v. Aquin, Sent. Lib. IV Dist. 18 q. 2,2 qc. 1 resp. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 196 f. Vgl. Thomas v. Aquin, Sent. Lib. IV Dist. 18 q. 2,2 qc. 1 ad sec. (auch die Gemeindepriester haben Jurisdiktion, allerdings nur für das forum conscientiae, nicht für das forum iudiciale; deswegen können sie nicht exkommunizieren, wohl aber im Bußforum absolvieren); s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. V Disp. 2 N. 3 a.E.; Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 197 f.; s.a. aaO, S. 209 ff. (zu Suárez, der ebenfalls davon ausgeht, dass potestas ordinis und iurisdictio zur Sündenvergebung notwendig sind); Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 136 (im Bußsakrament wirkt sowohl die clavis iurisdictionis als auch die clavis ordinis, die Schlüsselgewalt ist sowohl mit der Weihegewalt als auch mit der Jurisdiktionsgewalt verbunden). Gerade diese Frage nach der Bedeutung der iurisdictio im Bußsakrament sollte problematisch bleiben. So Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  54; vgl. Trusen, Gelehrtes Recht, S.  52; Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 196 ff., 211 f. Vgl. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 227 Fn. 10; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 26 f., 52 ff., 349 f. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 178 ff., 187 ff., 198 f., 241; s.a. Kéry, in: Kesper-Biermann/ Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13 ff.

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Kapitel 3

öffentlichen Buße, die sowohl Sündenvergebung als auch Strafelemente hinsichtlich der kirchlichen Gemeinschaft enthält, eine Trennung einerseits der Privatbuße, die auf Vergebung der Sünden und Nachlass der Schuld gerichtet ist und damit einen subjektiv-persönlichen ethischen Bereich kennzeichnet, der die Beziehung zwischen Gott und den Menschen betrifft, andererseits eines selbständigen kirchlichen oder weltlichen Gerichtsforums, das einen äußeren Rechtsbereich kennzeichnet und damit die Beziehung unter den Menschen betrifft.54 Der eigentliche Grund für die Herausbildung der Dualität von forum internum und forum externum sind insofern die Entwicklungen der Bußtheologie. 3.4.2.4 Das Konzil von Trient und die beiden Foren Am Ende dieser Entwicklung, die mit den nachtridentinischen Entwicklungen des 16. Jahrhunderts55 einen vorläufigen Abschluss gefunden hat, steht das Begriffspaar forum internum56 (conscientiae, poenitentiale) – forum externum (contentiosus, exterior, forum fori), das einen inneren Gewissensbereich, in dem Sünden und Schuld gegenüber Gott Gegenstand sind, vom äußeren Jurisdiktionsbereich der Kirche und des Staates abgrenzt.57 Der Begriff des forum externum umfasst dabei die kirchliche ( forum ecclesiasticum) und die weltliche Gerichtsbarkeit ( forum saeculare, forum civile).58 Die Differenzierung wird im Konzil von Trient selbst aufgegriffen.59 Das Konzil verstärkt dabei die

54 55

56

57 58 59

Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 186, 190, 198, 225, 241; dazu auch Trusen, Gelehrtes Recht, S. 55 f.; vgl. auch zur Buße Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 177 f., 180. Bemerkenswert ist dabei, dass die thomasische Differenzierung eigentlich erst mit dem Konzil von Trient und den post-tridentinischen Entwicklungen wirkmächtig wird und in der vor-tridentinischen Zeit keine große Rolle spielte, s. Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  200 ff. Auch hierin dürfte eine Auswirkung der Thomas-Renaissance des 16. Jhd. zu sehen sein. Der Begriff forum internum, der bei Thomas selbst noch keine Verwendung findet, taucht erst in den post-tridentinischen Entwicklungen auf, s. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 191, 203, 205; bspw. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 6 N. 71. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 198 f., 199 f., 205 ff.; zum Konzil von Trient in diesem Kontext s.a. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  195 ff., 207 ff.; zum Gewissensforum auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 69 ss. S. etwa Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 200, 214 f.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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vorangegangenen Entwicklungen und vergrößert durch die Betonung des Bußsakraments60 auch die Bedeutung des forum internum.61 So heißt es etwa bei Covarruvias, der selbst am Konzil von Trient teilnahm, in einer auch bei anderen Autoren gebräuchlichen Formulierung, dass das innere Gewissensforum ( forum interius conscientiae) der Buße und Wiedergutmachung der Verletzung Gottes (ad poenitentiam & satisfactionem divinae offensae) diene, wohingegen das forum exterius auf öffentliche Vergeltung des Staates (ad publicam vindictam & reipublicae satisfactionem) ziele.62 Ähnlich differenziert Suárez zwischen den beiden Foren (duplex forus, internus & externus).63 Das innere Forum wird danach als Gewissensforum ( forum conscientiae) bezeichnet, „weil es im Verstand des Menschen selbst ausgeübt wird, wo das Gewissen sitzt“.64 Dieses Gewissensforum ist nun mit dem forum Dei identisch65, und wird dem forum externum gegenübergestellt, das wiederum in forum civile und forum ecclesiasticum unterteilt ist.66 Die kirchliche Rechtsprechungsgewalt unterscheidet sich folglich in die Jurisdiktion des inneren Bußforums (iurisdictio fori interni poenitentiae) und die Jurisdiktion des äußeren kirchlichen Forums (iurisdictio externi fori ecclesiastici); im inneren Bußforum wirken die Priester als „Richter im göttlichen und geheimen Forum, das im Sakrament der Buße ausgeübt wird“ (iudices in quodam divino & secreto foro, quod in sacramento poenitentiae exercetur).67 Damit unterscheidet Suárez zwischen kirchlichem forum exterior bzw. contentiosus, dessen Gegenstand die Leitung der Kirche durch Urteile und Strafen (ad gubernandum Ecclesiam in exteriori foro per judicia, poenas etc.) ist und zu dem die 60 61 62 63 64 65 66 67

Zum Einfluss des Tridentinum auf das Bußsakrament siehe oben bereits S. 83 sowie unten noch S. 207 ff. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  207 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 55. Covarruvias, Variarum Resolutionum, Tom. II Lib. II Cap. 10 N. 3; dazu Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 205. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2. S.a. Stiening, in: Zehetner (Hrsg.), Menschenrechte und Metaphysik, S.  129, 138 ( forum conscientiae als „innerweltliches forum Dei“); Bach/Brieskorn/Stiening, in: dies. (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 3, 8. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2 – Suárez spricht hier nun ausdrücklich von forum Dei; zuvor hatte man sich mit diesem Begriff noch schwer getan, Thomas spricht von iudicium divinum, zuvor sprach man von archanum propitiationis Dei, s. dazu oben S. 104 f. Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 6 N. 2 („Potestas iurisdictionis autem subdistinguitur in iurisdictionem fori interni poenitentiae, & externi fori ecclesiastici. Prior proxime constituit sacerdotes superiores & iudices in quodam divino & secreto foro, quod in sacramento poenitentiae exercetur“).

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Kapitel 3

Zwangsgewalt (vis coerciva) gehört, und dem forum internum et poenitentialem, das sich auf die sakramentale Absolution (absolutionem sacramentalem) und „nur auf das Gewissen und das innere Seelenheil“ (solum ad conscientiam et internum bonum animarum) bezieht.68 Bei Valerus (gest. 1625), der sich eingängig mit der Abgrenzung der beiden Fora beschäftigte (Differentiae inter utrumque fora)69, wird ähnlich differenziert: das äußere Forum ( forus iudicialis, seu contentiosus, & forus exterior, seu hominum)70 umfasst die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit (iurisdictionem civilem & criminalem); das anwendbare Recht bilden die weltlichen Gesetze (leges & iura Iuris Caesarei, seu Municipalis).71 Demgegenüber bezieht sich das innere Forum („Forus […] interior & Forus Dei & conscientiae“) auf die Beichtväter (Confessarios), bezeichnet damit also das sakramentale Bußforum ( forus animae in iudicio poenitentiali sacramenti Confessionis).72 Während das forum externum Vermögensstreitigkeiten, hingegen nicht das Seelenheil (salus animae) zum Gegenstand hat, geht es im forum internum um

68 69 70 71 72

Suárez, De censuris, Disp.  1 Sect.  2 N.  2; dazu auch Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 211. Hierzu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 71 ss. Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 7. Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 1; zu Valerus s.a. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 206 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 71 ss. Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N.  1 f. Hierbei differenziert er indes weiter, denn das forum internum umfasse nicht nur das forus animae in iudicio poenitentiali sacramenti confessionis, sondern auch einen extra-sakramentalen Bereich (extra Sacramentum; s. Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 2; vgl. Suárez, De Legibus, Lib. VIII Cap. 6 N. 14 f.; dazu auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  243 ff.). In diesem extra-sakramentalen Bereich, der vom sakramentalen forum poenitentiae verschieden ist, gehe es vor allem um Dispense von weiherechtlichen Hindernissen (irregularitates et suspensiones) sowie die sog. Reservatsfälle (Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 2; s.a. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 204, der die Entstehung dieses extra-sakramentalen forum internum der Dispensationspraxis der Bischöfe zuschreibt). Es gibt insofern auch einen extra-sakramentalen Bereich, der gleichwohl zum forum internum gehört. Das forum internum wird somit zum Oberbegriff zur Erfassung des sakramentalen Bußforums sowie des extra-sakramentalen Bereichs (Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 205). Unklarheiten verbleiben insofern, als die sog. Pönitenziare, die im forum internum eingesetzt werden, auch mit Zuständigkeiten ausgestattet werden, die zum forum externum zu gehören scheinen, so etwa bei der Erteilung von Dispensen (siehe Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 214 f.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 227 f., 244). Klärung kommt hier zwar durch Pius V., doch gleichwohl verbleiben in diesem extra-sakramentalen Bereich des forum internum Unklarheiten der Abgrenzung (Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  214; s.a. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 227 f.).

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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die Rettung der Seele vor der Sünde (servare animam a peccato).73 Ähnliche Abgrenzungen finden sich auch etwa beim Strafrechtslehrer Deciani.74 3.4.2.5 Das Gewissen Indem forum externum und forum internum getrennt werden und forum internum als Gewissensforum ( forum conscientiae) verstanden, in dieser Funktion mit dem göttlichen Forum ( forum Dei) identifiziert und mit dem Bußforum ( forum poenitentiale75) verknüpft wird, stellt sich die Frage, was das Gewissen ist. Das Gewissen (conscientia) grenzen die Scholastiker dabei von der sog. synderesis ab.76 Gewissen ist nach Thomas eine Handlung (actus), nämlich die Anwendung der Erkenntnis bzw. des Wissens auf das, was man tut: erstens als Erkenntnis dessen, was man getan hat oder nicht, zweitens als „Urteil“ hinsichtlich dessen, was getan werden muss oder nicht, und drittens als „Urteil“ hinsichtlich dessen, ob das, was getan worden ist, gut oder schlecht war (insofern dann als „entschuldigen“ oder „anklagen“).77 Gewissen ist danach eine „Anordnung der Vernunft“ (dictamen rationis).78 Demgegenüber ist die synderesis keine Handlung, sondern ein „Habitus“, da sie nämlich das „Gesetz unseres Verstandes“ (lex intellectus nostri) ist, das die Gebote des Naturgesetzes (praecepta legis naturalis) enthält.79 Gewissen in dieser Bedeutung ist dabei in Anknüpfung an Ansätze der Stoa80 und Patristik Resultat einer Entwicklung der scholastischen Philosophie und Theologie.81 73 74 75

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Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 4. S. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 12 N. 3; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 71. Zum Verhältnis von forum conscientiae und forum poenitentiale s.a. Suárez, De Legibus, Lib. VIII Cap.  6 N.  14 f.; ferner Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187, 189 Fn. 10 zur Verknüpfung von Gewissensforum und Beichte. S. grundsätzlich zum Gewissen und zu dessen Entstehung Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Sp. 574 ff.; s.a. Bunke/Mihaylova, in: Bunke/Mihaylova (Hrsg.), Gewissen,  S.  9, 11 ff.; Schockenhoff, Wie gewiß ist das Gewissen?, S.  103 ff.; vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 256 ff.; zur Synderesis auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 85, 88 f. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 79,13 resp.; I–II, q. 19,5 resp.; s.a. Suárez, De bonitate, Disp. 12 Sec. 2 N. 1; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 257 f.; Schoenenberger, Das Gewissen nach der Lehre des hl. Thomas von Aquin, S. 67 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 19,5 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 79,12 resp.; I–II, q. 94,1 ad sec.; zur Synderesis bei Thomas auch Schoenenberger, Das Gewissen nach der Lehre des hl. Thomas von Aquin, S. 49 ff. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  143, 256 f. (zu Vorläufern des Gewissens in der stoischen Philosophie). Vgl. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Sp. 581 ff.

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Kapitel 3

An Thomas anknüpfend ist daher nach Suárez das Gewissen ein Wirken der Vernunft (conscientia opus rationis), „da es aufzeigt, ob der Mensch gut oder schlecht handelt“, indem er „der natürlichen Anordnung der rechten Vernunft (dictamen naturale rectae rationis) folgt“.82 Diese Anordnung der Vernunft hat im Menschen Gesetzeskraft (vim legis) und ist nun das natürliche Gesetz (hoc dictamen est lex naturalis).83 Leistet der Mensch dieser Anordnung Folge, so ist er „sich selbst Gesetz (homo, qui illo ducitur, esse sibi lex), da er in sich das Gesetz geschrieben hat, mittels der Anordnung der natürlichen Vernunft“.84 Das natürliche Gesetz gibt dem Willen des Menschen vor, „was nach dem Naturrecht getan werden muss“ (lex ipsa naturalis, quae humanae voluntati praecipit vel prohibet quod agendum est ex naturali iure).85 Damit bindet bzw. zwingt das natürliche Gesetz, das sich im Menschen (in homine), nämlich in der Vernunft (in ratione) befindet, den Willen des Menschen.86 Die Wirkungen (effectus) des natürlichen Gesetzes folgen nun aus der Anordnung der Vernunft (dictamen rationis), da diese „die Regel des Gewissens (regula conscientiae) ist, welche Handlungen anklagt oder billigt“.87 Gleichzeitig unterscheiden sich natürliches Gesetz und Gewissen: Während das natürliche Gesetz „eine allgemein aufgestellte Regel für das Handeln“ (regula generaliter constituta circa agenda) ist, bezieht sich das Gewissen auf etwas Konkretes (dictamen practicum in particulari) – es geht um die Anwendung des Gesetzes auf eine konkrete Handlung.88 Das Gewissen erzeugt auf diese Weise die Verpflichtung (conscientia obligationem inducit),

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Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 10; s. ferner Suárez, De bonitate, Disp. 12 Sec. 1 N. 5 („actuale et practicum judicium intellectus discernentis de rebus agendis inter bonum et malum“); zum Gewissen bei Suárez s.a. Grunert, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S.  156, 163 ff.; Schweighöfer, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S.  135, 145 ff.; ders., Die Begründung der normativen Kraft, S. 190 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 10. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 10. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 9. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 12. Ein irrendes Gewissen (conscientia erronea) soll es insoweit geben, als nicht ein wahres, sondern nur ein vermutetes Gesetz anwendet werde, s. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 15. S.a. insoweit zum Gewissen bei Suárez Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 94 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 12. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 15 (ferner unterscheiden sich beide dadurch, dass sich das Gesetz nur mit künftigen Handlungen beschäftige, wohingegen sich das Gewissen auch mit in der Vergangenheit liegenden Handlungen auseinandersetze); s.a. Grunert, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 155, 163 f.; Schmeisser, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 73, 81.

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allerdings nicht als Grund durch sich selbst (causa per se), sondern durch die Anwendung des Gesetzes (applicans legem).89 Hieran anknüpfend erhellt sich auch die Bedeutung des forum internum und erschließt sich die Verknüpfung von Gewissensforum, forum poenitentiale und forum Dei. Das forum internum ist nach Suárez das forum conscientiae.90 Das Gewissensforum ist gleichzeitig auch das Forum Gottes ( forum conscientiae est forum Dei).91 Das Gewissen (conscientia) zeigt dem Menschen auf, ob seine Handlungen gut oder schlecht sind, d.h. ob er der Anordnung der natürlichen Vernunft Folge leistet oder Folge geleistet hat. Stellt das Gewissen fest, dass der Mensch gegen das natürliche Gesetz gehandelt hat, besteht die Möglichkeit, im Bußforum ( forum poenitentiale) Nachlass der Schuld und Aufhebung der Strafwürdigkeit hinsichtlich Strafen, die im kommenden Leben im forum Dei verhängt werden, zu erlangen. So erklärt sich der Zusammenhang von forum conscientiae, forum poenitentiale und forum Dei, der Resultat der bußtheologischen Entwicklung ist.92 Es findet insoweit eine „Verrechtlichung des Gewissens“ statt.93 3.4.3 Die Unterschiede der beiden Foren 3.4.3.1 Überblick Mit dieser Abgrenzung von Gewissensforum und forum externum wird auch das Verhältnis von natürlichem Gesetz (lex naturalis) und menschlichem Gesetz (lex humana) deutlich. Die Unterscheidung von forum externum und forum poenitentiale/conscientiae/internum ist dabei eine grundsätzlich formelle, gleichzeitig aber auch mehrdimensionale Abgrenzung.94 Wesentlich ist hierbei vor allem die Abgrenzung des inneren Gewissensforum ( forum conscientiae) und Bußsakraments (poenitentia) in seiner oben dargestellten Gestalt, das es in seinen Voraussetzungen und Wirkungen hat, vom forum externum als dem äußeren gerichtlichen Bereich, d.h. von kirchenrechtlichen Verfahren ( forum ecclesiasticum), die den äußeren Bereich der Kirche 89 90 91 92 93 94

Suárez, De bonitate, Disp. 12 Sec. 4 N. 1. In dieser Hinsicht, d.h. in der Begründung der Verpflichtung bezieht sich das Gewissen auf die zukünftigen Handlungen, vgl. Suárez, De bonitate, Disp. 12 Sec. 2 N. 1. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2; s. ebenso Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 9: „forus conscientiae, & iudicium conscientiae sive interius, idem est quod iudicium divinum“. Dazu auch Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 190, 191 ff., 193 ff. (der Begriff forum Dei taucht bei Thomas selbst noch nicht auf, wohl aber verwendet ihn Suárez). Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 238 ff.; s.o. bereits zur Bußtheologie S. 79. Vgl. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 223 ff., 225, ferner S. 206 f.

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betreffen, sowie vom weltlichem Gerichtsverfahren ( forum saeculare).95 Beide Foren stehen insoweit nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern vielmehr in einem solchen der Komplementarität.96 3.4.3.2 Unterschiede im Verfahren und in den Beziehungen Forum externum und forum poenitentiale unterscheiden sich damit zunächst durch das jeweilige Verfahren.97 Die Buße (poenitentia; forum poenitentiale) wird freiwillig eingeleitet durch den reuigen Sünder, der vor dem Priester als „Richter“ in der Beichte seine Sünden bekennt und vom Priester von den Sünden losgesprochen wird, und anschließend die ihm auferlegte Satisfaktion willentlich erfüllt, um die zeitlichen Sündenstrafen gegenüber Gott zu tilgen.98 Dagegen wird das Verfahren in foro externo entweder, im Zivilrecht, durch Klage oder, im Strafrecht, von Amts wegen bzw. durch Anklage (accusatio, inquisitio oder denunciatio) eingeleitet, am Ende steht das gerichtliche Urteil, die Strafe wird vollstreckt.99 Während also die Buße durch den Pönitenten freiwillig selbst eingeleitet wird100, geschieht in foro externo Verfahrenseinleitung durch Klage oder von Amts wegen, d.h. auch gegen den Willen der be- bzw. angeklagten Partei101; dort gelten die prozessrechtlichen Verfahrensbestimmungen entweder des romanisch-kanonischen Zivilprozesses oder des strafrechtlichen (Inquisitions-)Prozesses102.

95 96

S. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 190, 198, 225. Vgl. Pifferi, Generalia Delictorum, p.  284 ss., 322; ferner etwa Decock, Theologians and Contract Law, p. 144 („parallel jurisdiction“); s.a. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 42 ff. 97 S.a. Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXI f. Zum „Verfahren“ der Buße Goering, in: Hartmann/Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p. 379, 380, 390 ss. 98 Dazu oben bereits S. 80 ff.; vgl. auch Goering, in: Hartmann/Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p. 379, 380, 390 ss.; Maihold, in: Germann/ Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S. 51, 58. 99 Vgl. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. II N. 4; Lib. II Cap. 12 N. 3. 100 S. etwa Goering, in: Hartmann/Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p. 379, 380, 392; Maihold, in: Germann/Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S. 51, 58 m.Nw.; explizit auch Reginaldus, Theologia Moralis, Lib. I Cap. 2 N. 12 (im Hinblick auf das forum poenitentiale & internum: „quia nemo, nisi volens, suscipit poenitentiae sacramentum, ad quod eiusmodi prolatio sententiae pertinet; ideoque voluntaria esse debet, non modo ex parte proferentis, sed etiam ex parte eius in quem profertur“). 101 Reginaldus, Theologia Moralis, Lib. I Cap. 2 N. 12, 14 (invitus); Turrecremata, Summa de Ecclesia, Lib. I Cap. 96 Conclusio 1. 102 Oder der Akkusationsprozess, der aber zunehmend vom Inquisitionsprozess verdrängt wird; s. dazu unten S. 458 ff.

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Das Gewissensforum kennt ferner keine Vollstreckung im Sinne einer zwangsweisen Durchsetzung des Urteils.103 Eine Zwangsgewalt findet sich nur im forum externum.104 Während also aus einer zivilrechtlichen Verpflichtung (obligatio civilis) ein Klagerecht (actio) in foro externo folgt, entsteht bei einer naturrechtlichen Verpflichtung (obligatio naturalis) keine actio (civilis), sondern nur die Verpflichtung im Gewissensforum (in foro conscientiae).105 Verfahrensziel ist beim forum internum die Sündenvergebung (remissio peccati) durch Nachlass der Schuld (remissio culpae) und Aufhebung der Sündenstrafe von Gott.106 Dagegen zielt das forum externum grundsätzlich auf weltliche Rechtsfolgen.107 103 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 86 ss. (zu den Ausnahmen der denunciatio evangelica und der occulta compensatio; allerdings gehört die denunciatio selbst zum forum externum); s. ferner Reginaldus, Theologia Moralis, Lib. I Cap. 2 N. 12, 14. 104 Suárez, De censuris, Disp.  1 Sect.  2 N.  2: „potestas iurisdictionis distingui solet in interiorem & exteriorem; […] ita appellantur quia una ordinatur ad forum sacramentale, quod pertinet solum ad conscientiam, & internum bonum animarum: & ideo interior iurisdictio appellatur […]. Altera vero potestas ordinata est ad gubernandam Ecclesiam in exteriori foro per iudicia, poenas, & cetera, quae ad bene constituendam & regendam hominum rempublicam necessaria sunt: & haec vocatur potestas iurisdictionis exterioris. Ad quam pertinet vis directiva ad ferendas leges obligantes in conscientia, quam esse in Ecclesia in materia de Legibus probandum est. Pertinet etiam vis coerciva, et propterea etiam vocatur potestas fori contentiosi“; s. ferner Gerson, De Potestate Ecclesiastica, Quarta consideratio („Potestas ecclesiastica iurisdictionis in foro exteriori est potestas ecclesiastica coerciva, quae valet exerceri in alterum etiam invitum“); Quinta consideratio („Potestas ecclesiastica iurisdictionis in foro interiori, quae non est proprie coerciva, sed magis spontanea […] est potestas ecclesiastica sub corpus christi mysticum, illuminando et perficiendo per ipsam doctrinam et sacramentorum administrationem, et purgando per baptismi et poenitentiae sacramenta. […] Purgare in flictionem penalem excommunicationis vel interdicti si rebelles inveniant, quo spectat ad iurisdictionem coercivam, de qua praedictum est, quamvis et haec purgatio fiat per baptismum et per sacramentalem absolutionem non tamen coercive“); Tredecima consideratio („Potestas iurisdictionis duplex. una in foro exteriori, alia in interiori. Potestas in exteriori duplex. una coertionis seu correctionis […]. Rursus potestas iurisdictionis in interiori duplex est. una clavium […] in absolutionem seu remissionem culpae. altera in poenae commutationem per largitionem indulgentiae“); Reginaldus, Theologia Moralis, Lib. I Cap.  2 N.  12, 14; Turrecremata, Summa de Ecclesia, Lib. I Cap.  96 Conclusio  1 („Quia potestas iurisdictionis in foro causarum dicitur potestas coertivae iurisdictionis, quia fieri potest in invitum. Potestas vero iurisdictionis in foro conscientiae dicitur potestas iurisdictionis non coertivae, quoniam in hoc foro nullus invitus absolvitur vel ligatur“); s.a. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 211. Dazu auch unten noch S. 124 ff. 105 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Disp. 257 N. 1; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 3 N. 14 (obligatio naturalis – obligatio civilis (id est, quae Iure civili tribuat actionem in foro externo)). 106 S. dazu oben ausführlich S. 77 ff. 107 S. dazu unten noch S. 124 ff.

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Kapitel 3

Verfahrensrechtlich unterscheiden sich die Foren weiter dahingehend, dass es im forum internum ausschließlich auf die Ermittlung der Wahrheit ankommt und folglich, im Gegensatz zum forum externum, kein Raum für Vermutungen (praesumptiones) bzw. Beweisregeln bleibt.108 Wesentlich für das forum poenitentiale ist das Bekenntnis (confessio) des Sünders, es gibt keine sonstigen Beweismittel.109 Ferner ergeben sich Unterschiede zwischen den beiden Foren aus dem Gegenstand des Verfahrens: Während sich das forum externum nur auf äußere Handlungen bezieht, sind im forum conscientiae auch innere Vorgänge Gegenstand.110 Dies korrespondiert freilich mit dem Unterschied der im jeweiligen Forum anwendbaren Gesetzesarten, worauf gleich noch näher einzugehen sein wird.111 Schließlich unterscheiden sich beide Foren durch die jeweiligen (Rechts-)Beziehungen. Das Gewissensforum bezieht sich auf die Beziehung zwischen dem Menschen und Gott, d.h. die Schuld und Sünden gegenüber Gott (causa inter hominem et Deum), das forum externum dagegen auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Menschen (causa hominis ad hominem).112 Damit ist auch die Ebene institutioneller Zuständigkeit verbunden: Der menschliche

108 Decock, Theologians and Contract Law, p. 73; Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 7; Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 12 N. 3 a.E. („neque presumtiones neque fictiones attenduntur“), Cap 14 N. 1 („secundum enim veritatem iudicandum, non secundum praesumptiones aut fictiones iuris“); vgl. auch Pifferi, Generalia Delictorum, p. 336 ss.; Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 202 Fn. 46. 109 Goering, in: Hartmann/Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p. 379, 394 s. Zur confessio s.a. Müller, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 401, 412 ff. Es gelten hier im Gegensatz zum Prozess des forum externum keine Beweisregeln, sondern, in modernen Termini gesprochen, der Grundsatz freier Beweiswürdigung (vgl. Schmoeckel, in: Cavina [ed.], Tiberio Deciani (1509–1582), p.  207, 216 f.; s. aber auch zu Fernando Vázquez, der auch für das forum externum für freie Beweiswürdigung eintritt, Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 238 f. m.Nw.). 110 S. etwa Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 12 N. 3 mit dem Verweis auf den Grundsatz „Ecclesia de occultis non iudicat“; dazu auch Pifferi, Generalia Delictorum, p. 304 s. S.a. bereits Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; q. 98,1 resp.; q. 100,2 resp.; q. 100,9 resp. 111 S. dazu sogleich S. 117 ff. 112 Thomas v. Aquin, Sent. Lib. IV Dist. 18 q. 2,2 qc. 1 resp.; Reginaldus, Theologia Moralis, Lib. I Cap. 2 N. 14; Turrecremata, Summa de Ecclesia, Lib. I Cap. 96 Conclusio 1; vgl. Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  206 mit Verweis auf Valerus; Maihold, in: Germann/Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S. 51, 58; ähnlich Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 28: unter forum exterior wird demnach das „Forum“ verstanden, „was unter den Menschen beachtet wird“, und nicht auf Gott bezogen ist („quod inter homines observatur, & non est secundum Deum“).

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Gesetzgeber hat keinen Einfluss auf das Gewissensforum, die Schuld gegenüber Gott (coram Deo) kann von ihm nicht vergeben werden.113 3.4.3.3 Unterschiede im anwendbaren Recht Beide Foren unterscheiden sich weiter durch die anwendbaren Gesetzesarten. Problematisch ist vor diesem Hintergrund der verschiedenen Foren114 vor allem die Frage, inwieweit das menschliche Gesetz im forum internum verpflichtet.115 3.4.3.3.1 Anwendbares Recht im Gewissensforum Auch wenn Thomas die Frage, ob das Naturrecht bzw. -gesetz im Gewissensforum verpflichtet, zumindest nicht ausdrücklich diskutiert, sondern nur thematisiert, ob auch das menschliche Gesetz im forum conscientiae verpflichtet116, ergibt sich die Bindungswirkung des natürlichen Gesetzes im Gewissen aus Thomas Sündenverständnis. Danach ist Sünde nämlich eine „schlechte menschliche Handlung“ (actus humanus malus).117 Das natürliche Gesetz wiederum gebietet, das Gute zu tun und das Schlechte zu unterlassen; Handeln gegen die daraus folgenden Ge- oder Verbote ist Sünde.118 Anknüpfend an Thomas und dessen Argumentation greift Suárez diese Frage explizit auf und bejaht die Verpflichtungswirkung des Naturgesetzes im Gewissensforum (in foro conscientiae).119 Verpflichtung im Gewissen impliziert dabei nach Suárez, dass das Gesetz unter der Androhung von Sündenstrafen (poena inferni vel purgatorii; sub reatu poenae) verpflichtet.120 Suárez fällt diese Feststellung insofern leicht, als er dem voluntaristischen Ansatz folgend die Verpflichtungswirkung des Naturgesetzes aus dem göttlichen Willen 113 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 3, ferner N. 11. Die Schuld gegenüber Gott kann nur durch den Priester kraft der Schlüsselgewalt vergeben werden, s. dazu oben S. 78 ff. 114 Genau auf dieses Argument rekurrierend Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2 f. 115 S. dazu sogleich S. 117 ff.; zu diesem Konflikt grundsätzlich auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 133 ff., 142 ff., 239 ff.; ferner Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp.; vgl. auch grundsätzlich zur Analyse des jeweils anwendbaren Rechts Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 12 N. 3 ff.; Cap. 14 N. 2. 116 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp. 117 S. dazu oben S. 66 ff. sowie Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 resp. 118 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 ad quart.; q. 94,2 resp. 119 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 2: „an lex naturalis obliget in conscientia?“ Hiergegen argumentiert zuvor Jean Gerson (vgl. Suárez, aaO N. 3); dazu und zum Folgenden auch Bach/Brieskorn/Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 3, 12; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 105 ff.; Grunert, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 155, 166 ff. 120 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 3.

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ableitet, d.h. nach Suárez „ist das natürliche Gesetz ein Gesetz Gottes“ (lex naturalis est lex Dei).121 Neben diesem Argument argumentiert Suárez aber weiter mit dem thomasisch-augustinischen Sündenbegriff, wonach Sünde „eine Handlung gegen das Gesetz Gottes“ ist und moralische Schlechtheit dem natürlichen Gesetz entgegengesetzt ist.122 Eine Verpflichtung, die aus dem natürlichen Gesetz bzw. dem Naturrecht folgt (obligatio inducta naturali iure; obligatio naturalis), ist daher eine Verpflichtung im Gewissen, die unter Schuld verpflichtet.123 Das natürliche Gesetz und damit auch das Naturrecht124 verpflichten also im Gewissensforum und bilden die dort maßgebliche Rechtsordnung.125 Weiter thematisiert Thomas die Frage, ob auch das menschliche Gesetz im Gewissensforum verpflichtet.126 Thomas argumentiert hierbei, dass die Frage, ob ein Gesetz gerecht oder ungerecht ist, Maßstab für die Gewissensbindung ist.127 Soweit also das menschliche Gesetz gerecht ist, leitet sich seine Verpflichtungswirkung im Gewissen (vim obligandi in foro conscientiae) vom ewigen Gesetz ab, das im Gewissen bindet.128 Gerecht ist das Gesetz nur dann, wenn es hinsichtlich des Ziels „auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist“ (ordinantur ad bonum commune), wenn es die Gesetzgebungsgewalt des Gesetzgebers nicht überschreitet (lex lata non excedit potestatem ferentis) und wenn es dem Inhalt nach „den dem Gesetz Unterworfenen verhältnismäßig gleiche Lasten im Hinblick auf das Gemeinwohl“ auferlegt.129 Maßgeb121 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 2; dazu unten noch S. 189 ff.; s.a. Stiening, in: Bach/ Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 106. 122 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 2. 123 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 2, 5 f. 124 Zum Verhältnis von Naturrecht und Naturgesetz siehe unten noch S. 199 ff. 125 S. Decock, Theologians and Contract Law, p. 143 ss.; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 28 ff.; Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S.  94 ff.; dazu unten noch S.  202 ff.; s. bspw. auch Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 14 N. 2 (in hoc foro iudicari secundum ius naturale); Cap. 12 N. 3 („in hoc foro iudicatur secundum naturam, nam conscientia non ligat, quos natura non obligat; in hoc foro naturalis obligatio ligat“); Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 27; siehe auch zur Bindung und Bedeutung des Naturrechts für das forum internum Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 250 ff. 126 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp. 127 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp. 128 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp. Soweit es aber nicht gerecht ist, bindet das menschliche Gesetz den Einzelnen nicht im Gewissen, sofern „er ohne ein Ärgernis oder Schaden Widerstand leisten kann“ (sine scandalo vel maiori detrimento resistere potest); s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 ad tert.; s. dazu auch im Hinblick auf Suárez Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187, 200 ff. 129 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp.

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lich für die Verpflichtung im Gewissen sind also die Kriterien, die Thomas bei der Gesetzesdefinition aufgestellt hat.130 Nach Thomas verpflichtet folglich das menschliche Gesetz nicht aus sich selbst heraus im Gewissen, sondern insoweit es sich vom ewigen Gesetz herleitet, d.h. soweit es gerecht ist. Vor diesem Hintergrund erschließt sich nun auch, weshalb sich Thomas und die Spätscholastiker ausführlich mit den Voraussetzungen, Bedingungen und dem Inhalt des menschlichen Gesetzes auseinandersetzen – die philosophischtheologische Relevanz des menschlichen Gesetzes liegt darin, dass es im Gewissensforum bindet.131 Gerade diese Frage nach der Verpflichtungswirkung des menschlichen Gesetzes im Gewissen führt in den folgenden Jahrhunderten zu tiefen Kontroversen.132 Auch die Spätscholastiker folgen hierbei – etwa gegen die Position Jean Gersons133 – Thomas.134 Zwar führt Suárez eine ganze Reihe von Argumenten gegen die Verpflichtungswirkung menschlicher Gesetze im Gewissensforum an, etwa dass es sich um verschiedene Foren handele und Menschen aufgrund ihrer zeitlichen Macht nur in foro externo verpflichten könnten, dass die menschlichen Gesetze nur auf das äußere politische Leben zielten und dass man nur zu den Strafen verpflichten könne, die man auch selbst auferlegen könne.135 Einen wesentlichen Grund für die Verpflichtungswirkung des menschlichen Gesetzes im Gewissen sieht Suárez indes darin, dass das Prinzip, „gerechten Gesetzen der Herrscher Folge zu leisten“ selbst 130 Dazu oben S.  84 ff.; s. ferner Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp.: Ungerecht seien Gesetze entweder dann, wenn sie nicht dem Gemeinwohl dienen, die Zuständigkeit des Gesetzgebers überschreiten oder vom Inhalt her ungleiche Lasten auferlegen; ferner dann, wenn sie dem göttlichen Gesetz widersprechen; s. oben bereits S. 85 ff. 131 S. dazu auch Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187, 188 f. („Ihre gesamte Rechtslehre entwickelt die Spätscholastik nicht – jedenfalls nicht zuerst – aus der Sicht des politischen Gemeinwesens, sondern vor dem Hintergrund der moralischen Relevanz rechtlicher Wertungen […]“), 192 ff. 132 Siehe die Diskussion etwa bei Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2 ff.; Soto, De Iustitia et Iure, Lib. I q. 6,4; dazu auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 133 ff., S. 148 ff., 150 ff.; Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187, 194 ff.; Bach, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 233 ff.; ferner bspw. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 12 N. 5 unter Verweis auf Thomas. 133 S. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 9; s. zu Gerson insoweit auch Vereecke, Conscience morale, p. 9 ss. 134 So Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 5 m.w.N.; Vitoria, CommSTh, I–II, q. 96,4. Dazu auch Decock, Theologians and Contract, p. 83 s. m.Nw.; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 40 s.; zu Gabriel Vázquez s. Vereecke, Conscience morale, p. 48 ss., 59 ss. 135 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2 f.; dazu auch Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187, 194 ff.

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zum Naturrecht gehört und dass daher aus dem Naturrecht selbst die Gewissensverpflichtung resultiert.136 Bereits aus dem Naturrecht folgt danach, dass „gerechte Gesetze von legitimen Herrschern zu befolgen sind“.137 Insoweit folgt die Verpflichtung im Gewissen (obligatio in conscientia) als Wirkung unmittelbar aus dem menschlichen Gesetz als Zweitursache, mittelbar hingegen aus dem natürlichen bzw. ewigen Gesetz als Erstursache.138 3.4.3.3.2 Anwendbares Recht in foro externo Im forum externum gilt demgegenüber das menschliche (lex humana) bzw. das weltliche Gesetz (lex civilis).139 Dies ist nämlich das Forum der politischen Macht, die über die zeitliche Gewalt verfügt und folglich durch weltliche Gesetze im forum externum verpflichten kann.140 Daher bilden im forum externum ( forum iudicialis, seu contentiosus, & forus exterior, seu hominum) die weltlichen Gesetze (leges & iura Iuris Caesarei, seu Municipalis) das anwendbare Recht.141 Demgegenüber gilt die lex naturalis nicht unmittelbar oder direkt in foro externo. Einzige Wirkung des Naturgesetzes ist nämlich, wie Suárez betont,

136 Dies gelte auch dann, wenn ein menschliches Gesetz nicht im Wege der Schlussfolgerung, sondern im Wege der näheren Bestimmung (per modum determinationis) erlassen werde; s. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 7, 10; Lib. II Cap. 9 N. 8 f., 11 f.; Lib. II Cap. 4 N. 8; s.a. Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  97, 122 f.; 195, 219 ff.; Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187, 199 ff. 137 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 7. 138 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 7; Lib. II Cap. 9 N. 9, 12; Lib. II Cap. 4 N. 8. Insofern kommt nur gerechten Gesetzen Verpflichtungskraft zu (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  21 N.  7; dazu auch Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S.  187, 200 ff.). Gleichzeitig bedeutet dies nicht, dass jedes menschliche Gesetz im Gewissen bindet, insofern differenziert Suárez in verschiedener Hinsicht zwischen Gesetzestypen und deren Wirkungen (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  22–28; dazu auch Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S.  187, 207 ff.). Damit verbunden ist freilich die von Suárez erörterte Frage, ob jede Gewissensverpflichtung aus dem Naturrecht folgt, was infolge der Bindungswirkung von menschlichen Gesetzen im Gewissen zweifelhaft erscheint, s. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 8 ff., 11 f. 139 Vgl. bspw. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  21 N.  2: „leges civiles solum ordinantur ad externam politiam; ergo satis est quod in foro exteriori obligant“; s.a. Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 1, 23 ff., 27. 140 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2. 141 Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 1; zu Valerus siehe auch Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  206 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p.  71 ss.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 244 f.

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die Gewissensbindung, hingegen keine Erlaubnis oder Bestrafung.142 Wie aber bereits erörtert wurde, gehen sowohl Thomas als auch die Spätscholastiker, insoweit Cicero folgend, davon aus, dass menschliche Gesetze, die gegen das natürliche Gesetz verstoßen, aufhören wahre Gesetze zu sein.143 Klar ist aber zunächst nur, dass sich diese Wirkung auf die Verpflichtung im Gewissensforum ( forum conscientiae) bezieht, die nämlich aufgehoben ist, wenn das Gesetz ungerecht ist bzw. gegen das natürliche Gesetz verstößt.144 Die positiven Gesetze können also ihre Verpflichtungswirkung (vis obligandi) im Gewissensforum ( forum conscientiae) verlieren.145 Es ist daher zu differenzieren: Soweit Gesetze ungerecht sind, verpflichten sie nicht im Gewissensforum.146 Ob sich darüber hinaus in foro externo Rechtswirkungen ergeben, d.h. ob die Gesetze auch in foro externo ihre Wirkung verlieren oder sich nur etwa ein Widerstandsrecht gegen den ungerecht handelnden Herrscher147 ergibt, bleibt unklar, ist aber auch von Thomas und den Spätscholastikern gar nicht intendiert. So begründet Suárez seine Behandlung der positiven weltlichen Gesetze (leges civiles) damit, dass es darum geht zu überprüfen, ob aus ihnen Verpflichtungen im Gewissen (obligationes conscientiae) folgen.148 Es geht nicht um das forum externum

142 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 1; Cap. 12 N. 1; Lib. I Cap. 16 N. 3. 143 Dazu oben bereits S. 87 f. sowie Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 4; Lib. I Cap. 9 N. 4; s. dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 392; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 195, 213 ff. 144 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp.; Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 4; Cap. 21 N. 7; Lib. I Cap. 9 N. 4; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 392; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 221; vgl. auch Jansen, Zeitschrift für historische Forschung 42 (2015), 165, 167. 145 Thomas, STh, I–II, q. 96,4 resp. Zwar vertritt Thomas auch, dass Richter naturrechtswidrige geschriebene Gesetze nicht anwenden dürften (Thomas, STh, II–II, q. 60,5 ad prim.). Allerdings erfolgt diese Aussage bei der Tugend der Gerechtigkeit, sodass der Richter grundsätzlich nur aus der Tugend der Gerechtigkeit gehalten ist, das Gesetz nicht anzuwenden; vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 5 N. 45. 146 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 7. 147 Dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 392. 148 D.h. aus theologischer Perspektive, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Prooemium, p. 2 f.; vgl. Soto, De Iustitia et Iure, Lib. III q. 4,5 („quod autem hic dubium Theologicum […] est, utrum sententia iniusta, hoc est contra legem lata, in conscientia obligat“ – die theologische Fragestellung ist, „ob ein ungerechtes Urteil, d.h. ein solches gegen das Gesetz, im Gewissen verpflichtet“); s.a. Grunert, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S.  156, 161; Stiening, in: Zehetner (Hrsg.), Menschenrechte und Metaphysik, S. 129 ff. (zur Auslegung des Prooemium in Suárez’ De Legibus).

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und die positiven menschlichen Gesetze als solche, sondern darum, inwieweit diese für das Gewissensforum ( forum conscientiae) relevant sind.149 Unabhängig hiervon zeigen sich aber durchaus bestimmte Wirkungen des Naturrechts, die in foro externo ausstrahlen.150 So entwickelt sich in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Diskussionen auch ein Konzept von Naturrechten, die den Menschen als solchen zugeordnet sind (Eigentum, Freiheit, Leben).151 Diese Naturrechte, die von Suárez von den Geboten des Naturrechts abgegrenzt werden152, dienen als Grenzen staatlicher Macht, und zwar u.a. als Widerstandsrecht des Einzelnen zur Verteidigung seiner Rechte gegen einen Herrscher, der die Naturrechte verletzt.153 Somit gelten die Gebote des Naturrechts nicht per se in foro externo, die Naturrechte können aber als Grenzen staatlicher Rechtsetzungsmacht Konsequenzen haben. 3.4.3.3.3 Reichweite des menschlichen Gesetzes und Verhältnis zum natürlichen Gesetz In Zusammenhang mit den verschiedenen Rechtsordnungen, die in den jeweiligen Foren anzuwenden sind, steht nun auch die Unterschiedlichkeit der Gesetzesarten in Inhalt, Ziel und Reichweite. Es wurde bereits gezeigt, dass die menschlichen Gesetze in ihrer Reichweite beschränkt sind und sich vom natürlichen Gesetz in ihrem Ziel, Gegenstand und Inhalt notwendig unterscheiden.154 So verneint Thomas155 ebenso wie die Spätscholastiker156, dass 149 S. dazu Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187, 188 f., 192 ff.; vgl. Stiening, in: Zehetner (Hrsg.), Menschenrechte und Metaphysik, S. 129, 131 ff., 138. 150 Hierzu unten noch S. 202 ff. 151 Hierzu unten noch S. 284 ff. 152 Dazu Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16 ff. 153 Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 392. Wie Böckenförde anmerkt, wird die sich aufdrängende Frage, wer in Fällen der Naturrechtswidrigkeit urteilt, nicht thematisiert, auch wenn diskutiert wird, wem und wann ein Widerstandsrecht gegen die ungerechte Staatsmacht zusteht und wer darüber entscheidet. Auch wenn damit nicht der Versuch unternommen wird, diese Rechte in Gestalt (verfassungs-) richterlicher Kontrolle namhaft zu machen, spielen sie dennoch auch in foro externo eine Rolle, und zwar zumindest als Widerstandsrechte. 154 S. dazu oben S. 88 ff., 97 ff. 155 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 resp.; dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 245 f. 156 Bspw. Soto, De Iustitia et Iure, Lib. I q. 6,2; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 249 f.; zu Molina s.a. Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 298 f. (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. V Disp. 46 N. 25 f.); zur Reichweite menschlicher Gesetze bei Suárez s. oben bereits S. 89 ff. sowie Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 16.

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sämtliche Laster durch das menschliche Gesetz verboten werden können: Das menschliche Gesetz verbietet nur die schwereren, insbesondere „die, die zum Schaden anderer führen und ohne deren Einhaltung eine Gesellschaft nicht erhalten werden kann“, wie Mord und Diebstahl.157 Das menschliche Gesetz darf „nicht alles verbieten, was das Naturgesetz verbietet“ (Unde etiam lex humana non omnia potest prohibere quae prohibet lex naturae).158 Thomas betont immer wieder, dass die menschlichen Gesetze nicht alles verbieten können, was schlecht ist, und nicht alles gebieten dürfen, was gut ist.159 Ebenso bezieht sich das menschliche Gesetz nur auf die äußeren, hingegen nicht auf die inneren Handlungen, weil auch das Urteil des Menschen sich nur auf äußere Handlungen (de exterioribus actibus), nicht aber auf innere Motive des Willens (de interioribus motibus voluntatum) beziehen kann, sodass das menschliche Gesetz Strafen nur für äußere Handlungen durch Urteil verhängen darf.160 Entsprechend unterscheidet sich auch das Ziel der menschlichen Gesetze, das nur auf die Gesellschaftsordnung und die Erhaltung von Frieden und Gerechtigkeit in der Gesellschaft gerichtet ist.161 Menschliches Gesetz einerseits und natürliches Gesetz andererseits fallen daher notwendig auseinander, da sie sich durch Ziel, Inhalt, Gegenstand und Reichweite grundsätzlich unterscheiden. Folglich unterscheiden sich auch notwendig forum internum und forum externum im anwendbaren Recht.162 157 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 resp. Damit führt das menschliche Gesetz den Menschen nur „schrittweise zur Tugend“; es legt nicht auf, sich von allem Bösen fernzuhalten, da andernfalls die Menschen noch Schlechteres begehen würden (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 ad sec.). 158 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 ad tert. 159 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; q. 96,2 resp.; q. 96,3 resp.; II–II, q. 69,2 ad prim.; II–II, q. 77,1 ad prim.; q. 78,1 ad tert. 160 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; q. 98,1 resp.; q. 100,2 resp.; q. 100,9 resp. 161 Dazu auch Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 4, 6 f.; ferner oben bereits S. 97 ff.; vgl. auch Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; q. 98,1 resp.; q. 100,2 resp.; s.a. Vereecke, Conscience morale, p. 109 ss. 162 S. bereits Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 resp.; II–II, q. 77,1 ad prim.; q. 78,1 ad tert. S. etwa zum unterschiedlichen Recht in foro interno und in foro externo im Hinblick auf Verträge, bei denen kein „gerechter Preis“ vorliegt, Decock, Theologians and Contract Law, p. 532 ss., 537 ss., 544 ss., 553 ss. Hieran knüpfen später auch die Spätscholastiker an. So differiert beispielsweise nach Valerus das weltliche Recht in Vielem von dem im forum internum anwendbaren Recht, beides falle auseinander (Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N.  8, 10, 13, 27; dazu auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 250). Vieles sei im forum externum erlaubt, was in foro interno Sünde gegenüber Gott sei und von daher eine Strafe von Gott nach sich ziehe (Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 10, 27; s.a. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 12 N. 4, 7). Das anwendbare Recht differiert daher zum einen dadurch, dass das ungerechte menschliche Gesetz im Gewissensforum nicht verpflichtet, zum anderen dadurch, dass sich das Recht

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Während im forum internum das natürliche Gesetz und naturrechtsgemäßes menschliches Gesetz verpflichten, gilt im forum externum grundsätzlich nur das menschliche Gesetz. Gegenstand des grundsätzlich nicht mit Zwangswirkung ausgestatteten forum internum sind daher regelmäßig weitergehende Anforderungen, als dies im mit Zwangswirkung ausgestattenen forum externum der Fall ist. 3.4.3.4 Unterschiede in den Rechtsfolgen und Wirkungen Schließlich unterscheiden sich Gewissensforum und forum externum in ihren Rechtsfolgen und Wirkungen. Wirkung der Sünde gegen Gott ist die Schuld gegenüber Gott und die Strafwürdigkeit (reatus poenae) hinsichtlich der zeitlichen bzw. ewigen Sündenstrafen nach dem Tod.163 Den Nachlass der Schuld (remissio culpae) und die Aufhebung der Sündenstrafen kann der Sünder in foro poenitentiali erreichen.164 Diese Sündenstrafen sind geistliche Strafen von Gott, die nach dem Tod abgeleistet werden (poena a Deo; poena damni a Deo/poena animae/poena spiritualis); sie stehen im Gegensatz zu den Strafen, die von den Menschen im forum externum verhängt und vollstreckt werden (poena ab homine).165 Nur das menschliche Gesetz verhängt daher Strafen im besonderen Sinne (poenae speciales), nicht hingegen das natürliche Gesetz, das Strafen für das zukünftige Leben (pro vita futura) vorsieht, die zum forum Dei gehören und den Menschen „im Einzelnen unbekannt sind“.166 Die Wirkungen des einen Forum wirken dabei auch grundsätzlich nicht in das andere hinüber.167

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der beiden Foren schlechthin unterscheiden kann, weil das Recht im Gewissensforum andere, oft weitere Anforderungen stellt (vgl. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 250 [im Hinblick auf Soto]). S. dazu oben bereits S. 66 ff. S. dazu oben S. 77 ff. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp., ad sec.; q. 87,8 resp., ad prim., ad sec.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 5 ff.; Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 2 N. 4; Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 10. In diesem Zusammenhang ist auf Thomas hinzuweisen, wonach, da die Sünde drei Ordnungen, nämlich die Ordnung der eigenen Vernunft (contra rationem), das göttliche Gesetz (contra legem divinam) und das menschliche Gesetz (contra legem humanam) verletzen kann, aus der „Sünde“ auch drei Strafen folgen können, eine von sich selbst (Gewissensbisse), eine von Gott und eine von den Menschen (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp.). Die Strafen, die von den Menschen verhängt werden, dienen insofern der Vergeltung des gegen den Staat und seine Gesetze begangenen Unrechts; s. dazu auch z.B.  Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 5 f. (iniuria reipublicae). Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 16 N. 3; Lib. II Cap. 9 N. 1; Cap. 12 N. 1. Vgl. Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  206. Zur Frage, ob die Absolution im forum internum die Strafverfolgung im forum externum hindert, was freilich nicht der Fall ist, s.

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In „zivilrechtlicher“ Hinsicht wird weiter zwischen der naturrechtlichen Verpflichtung (obligatio naturalis) und der zivilrechtlichen Verpflichtung (obligatio civilis) unterschieden. Die obligatio naturalis ist die aus dem Naturrecht folgende Verpflichtung, die im Gewissen und damit im Gewissensforum (in foro conscientiae) verpflichtet.168 Dagegen folgt die obligatio civilis aus den weltlichen Gesetzen (leges civiles) und verpflichtet in foro externo insoweit, als aus der obligatio civilis eine actio civilis169 folgt, d.h. das Klagerecht, das vor den Gerichten des forum externum zwangsweise durchgesetzt werden kann.170 Die Zwangsgewalt (vis coerciva) gehört demnach zum forum externum, sie ist die Gewalt des äußeren Forum171, was das forum externum in seinen Wirkungen vom forum internum unterscheidet.172

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bspw. Scaccia, Tractatus de Commerciis, § 1 q. 1 N. 31 („poena unius fori non tollit poenam alterius fori“); Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N.  3; Julius Clarus, Practica civilis atque criminalis, Lib. V,  § Final., q. 57 N. 10 m.w.N. Dazu auch Goering, in: Hartmann/Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p. 379, 386 s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Disp. 257 N. 1. Zum Begriff der actio s.a. Oñate, De Contractibus, Tract. III Disp. 7 Sec. 4 N. 75: Die actio ist „das Recht, vor Gericht das zu verlangen, was einem geschuldet wird“ („ius persequendi in iudicio, quod sibi debetur“). S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 3 N. 14 (obligatio naturalis – obligatio civilis (id est, quae Iure civili tribuat actionem in foro externo)); Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Disp. 257 N. 1; Oñate, De Contractibus, Tract. III Disp. 6 Sec. 3 N. 58. Instruktiv dazu auch ders., De Contractibus, Tract. 1 Disp. 1 Sec. 6 N. 76, 78 (zu den Unterschieden von obligatio naturalis und obligatio civilis bei Verträgen). Suárez, De censuris, Disp. 1 Sect. 2 N. 2: „Pertinet etiam vis coerciva, et propterea etiam vocatur potestas fori contentiosi“; Reginaldus, Theologia Moralis, Lib. I Cap. 2 N. 12, 14; vgl. ferner Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 16 N. 3; Lib. II Cap. 9 N. 1; Cap. 12 N. 1; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. V Disp.  2 N.  3: „Quanto autem dicitur parochum non habere jurisdictionem in foro exteriori, sed solum in foro conscientiae, sermo est de jurisdictione judiciaria et cum vi coerciva“ – auch hier wird die Zwangsgewalt dem forum externum zugeordnet. S.a. Thomas v. Aquin, STh, I–II, 96,5 resp. zur vis coactiva des menschlichen Gesetzes (lex humana); dazu auch DTh/Pesch, I–II, q. 90–105, S. 589 f., wonach nur das menschliche Gesetz der Zwangsgewalt bedarf; vgl. dazu auch Gabriel Vázquez, Comm. I–II, q. 96,3 observatio. Von dieser theologischen Wirkung von Buße und Beichte ist die faktisch-soziale Bedeutung der Bußpraxis in der post-tridentinischen Wirklichkeit zu unterscheiden. Die historische Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auch die soziokulturelle Bedeutung von Beichte und Buße in den Blick genommen. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass Buße und Beichte auch eine soziale bzw. politische Bedeutung zukam, indem sie etwa der sozialen Disziplinierung und der öffentlichen Ordnung dienten. Allerdings wäre es unzutreffend, in Buße und Beichte nur repressive Instrumente zur Durchsetzung politischer Ordnungsziele zu sehen. Wesentliche Folge des Konzils von Trient war die stärkere Betonung der sakramentalen Bedeutung von Buße und Beichte und ihrer rechtfertigungstheologischen Funktion – auch die Bußpraxis spiegelte das wider.

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3.4.4 Zusammenfassung Damit entwickeln sich zwei Rechtsordnungen und Foren, d.h. neben dem „staatlichen“ Normensystem besteht ein Naturrechtssystem, das dem Gewissensforum zugeordnet ist.173 Aus dem mittelalterlichen Rechtspluralismus174 und der Konkurrenz von kirchlichem und weltlichem forum externum wird in der Frühen Neuzeit zunehmend eine Dualität von staatlicher äußerer Gerichtsbarkeit und innerem Gewissensbereich.175 Eine solche Dualität findet sich zwar in Ansätzen bereits in der altkirchlichen Theologie, erfährt schließlich aber ihre wesentliche Ausformung erst durch die (spät-)scholastische Theologie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.176 Wesentlich für diese Entwicklung war die bußtheologische Klärung des kirchlichen Wirkungsbereiches bei der Buße, die Herausarbeitung der Begriffe Gewissen, Strafe und Schuld sowie die zunehmende Ablösung der altkirchlichen öffentlichen Buße durch die Privatbuße.177 Der Mensch reflektiert sein Handeln im Gewissensforum ( forum conscientiae) und kann, sofern er erkennt, dass er in seinem Handeln gegen Gott gesündigt hat, im Bußforum (in foro poenitentiali) Nachlass der Schuld und Aufhebung der Sündenstrafen erlangen. Von diesem spezifischen Bereich der Buße, der durch Gegenstand, Verfahren und Verfahrensziel eindeutig umgrenzt ist, wird die weltliche und kirchliche Gerichtsbarkeit als forum externum abgegrenzt. Einem subjektiv-persönlichen ethischen Bereich, der die Beziehung zwischen Gott und dem einzelnen Menschen betrifft und der auf

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Dabei zeigen sich auch innerhalb der katholischen Gebiete in der post-tridentinischen Zeit ganz unterschiedliche Aspekte und Ausprägungen von Beichte und Buße, insbesondere Unterschiede zwischen jesuitischer Beichtpraxis und diözesanen Beichtpraxen. S. hierzu etwa Jackson Lualdi/Thayer (eds.), Penitence in the Age of Reformation, p. 1 ss. und die dortigen Beiträge von de Boer (aaO, p. 116 ss.), Jackson Lualdi (aaO, p. 134 ss.), Bilinkoff (aaO, p. 169 ss.), Maher (aaO, p. 184 ss.) und Selwyn (aaO, p. 201 ss.). Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 238 ff., 248 ff., 251, 252 ff. (wobei freilich die Rechtsordnungen nicht auf die jeweiligen Foren beschränkt sind, sondern das menschliche Recht auch in foro interno verpflichtet); ferner Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 81 ff., 94 ff. Dazu auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  82 ff.; vgl. grundsätzlich zur „Rechtsvielfalt“ Oestmann, in: Jansen/Oestmann (Hrsg.), Gewohnheit, Gebot, Gesetz, S. 99 ff. S. etwa Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 265 („Sie ist ein Versuch, den Pluralismus der juristischen Ordnungen, der die mittelalterliche Welt charakterisiert hatte, in einen modernen Dualismus zwischen dem Gewissen und den Gesetzen des positiven Rechts umzuwandeln“); ders., in: Pirillo (ed.), Il vincolo del giuramento e il tribunale della coscienza, p. 475 ss.; ferner auch Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 190, 198, 225. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 21 ff., 35 ff. et passim, 238 ff. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 193 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

127

Vergebung der Sünde und Nachlass der Schuld zielt, steht das äußere Gerichtsforum gegenüber, das einen äußeren Rechtsbereich kennzeichnet und damit die Beziehung unter den Menschen betrifft. Durch die Entwicklungen bis zum 16. Jahrhundert, insbesondere infolge der Entstehung des „Staates“, durch die das kirchliche forum externum an Bedeutung verliert178, wird die bereits vorher theologisch erreichte Trennung zwischen einem inneren Gewissensforum und einem äußeren, „staatlichen“ Rechtsbereich nochmals verschärft.179 Das Konzil von Trient bestätigt und verstärkt die Rolle und Eigenständigkeit des forum internum bzw. des Bußforums.180 Es bilden sich insoweit zwei „Verfahrens-“ bzw. „Rechtsordnungen“ mit jeweils eigenem Verfahren, anwendbarem Recht sowie je spezifischen Rechtsfolgen und Wirkungen. Forum externum und forum internum unterscheiden sich damit vor allem durch die Zwangsgewalt des forum externum, der die Vergebung der Schuld und die Aufhebung der Sündenstrafe als Wirkung des Bußforums gegenübersteht, sowie die weiter gehende Reichweite des Rechts im Gewissensforum. Es besteht damit eine äußere Rechtsordnung, die den Menschen durch Strafen oder Vollstreckung äußerlich zwingt, dafür aber in ihrem Gegenstand und ihrer Reichweite begrenzt ist, da sie nur auf die Erhaltung des äußeren Friedens und der Gerechtigkeit abzielt.181 Umgekehrt bildet sich eine innere sehr weit reichende Rechtsordnung, deren Verwirklichung dem Gewissen und der Verantwortung eines jeden einzelnen überantwortet wird.182

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S. dazu unten S. 209 f. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 239 ff. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 195 ff., 239 ff. S. dazu oben bereits S. 85 ff., 97 ff. Vgl. auch Prodi, Settimo non rubare, p. 44 ss.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXVIII ff.; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff. Durch diese Trennung tritt schließlich im 17. Jahrhundert eine „De-Juridifizierung“ des Gewissensforums ein, es bildet sich die „Moraltheologie“ als selbständige Wissenschaft des forum internum (Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 243 ff., 266 ff.). Rechtliche und moralische Sphäre werden hier („Moraltheologie“) nun auch begrifflich getrennt. Auf die Literatur der synthesenhaften Überblickswerke der „De Iustitia et Iure“-Traktate und der Traktate über die Differenzen (Valerus) der beiden Foren folgen Traktate, die separate Darstellungen vom „Recht“ im forum internum enthalten (Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 266). Moraltheologie und das Recht trennen sich nun auch formal in den Darstellungen, in der Methodologie und den Grundlagen (Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 265 ff.). Wie sich zeigen wird, haben das Gewissen und das forum internum auch in der neuzeitlichen Naturrechtslehre prägende Bedeutung, allerdings wird der Zusammenhang von Naturrecht und Bußforum ( forum poenitentiale) aufgehoben (dazu unten noch S. 220 ff., 233 ff.; vgl. auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 260 ff., 278 ff.).

128 3.5

Kapitel 3

Recht und Gerechtigkeit

3.5.1 Einführung Nach Klärung des Verhältnisses von Gesetz und den beiden Foren ist nun näher auf Recht und Gerechtigkeit einzugehen – wie ist das Verhältnis von Gesetz, Recht und Gerechtigkeit? Wie gezeigt, werden die verschiedenen Bestandteile, die vor Thomas unverbunden nebeneinander standen – aristotelische Tugend- und Gerechtigkeitslehre, stoisch-ciceronianische Gesetzeslehre, scholastische Buß- und Rechtfertigungstheologie – durch Thomas in einen spezifischen Zusammenhang gebracht und bilden damit eine Ordnung.1 So zielt Gerechtigkeit bei Aristoteles als Tugend auf innerweltliche Glückseligkeit. Die Tugend- und Gerechtigkeitslehre bei Thomas zielt demgegenüber nicht nur auf innerweltliche Glückseligkeit, sondern auch auf Glückseligkeit im Sinne der Gottesschau als letztes Ziel des Menschen.2 Die Tugendlehre wird so mit der Gesetzeslehre verbunden; Tugendakte fallen unter das natürliche Gesetz, d.h. auch Akte der Gerechtigkeit.3 Da Sünde der Tugend entgegengesetzt ist, ist eine Handlung gegen die Gerechtigkeit Sünde, welche wiederum spezifische Folgen im Verhältnis zu Gott, nämlich Schuld (culpa) und Strafwürdigkeit (reatus poenae) hat.4 Die Tugend der Gerechtigkeit wird so verrechtlicht und in einen rechtlichen bzw. rechtstheologischen Zusammenhang gebracht. Damit verändert sich die aristotelische Gerechtigkeitslehre wesentlich, da sie in ein eigenes Forum eingebunden wird, das separat ist vom sonstigen äußeren Forum, in dem die menschlichen Gesetze gelten. Die Gerechtigkeitslehre wird durch die Einbindung in das Gewissensforum juridifiziert – aus der Tugend- wird eine Rechslehre.5 Da es sich um eine das gesamte zwischenmenschliche Leben erfassende Rechtsordnung handelt, ergibt sich die Notwendigkeit der Entwicklung einer konkreten Rechtsordnung, aus der heraus konkrete Rechtsfragen beantwortet werden.6 Gerechtigkeit als Tugend, Recht und Gesetz werden so in einen spezifischen Zusammenhang miteinander 1 2 3 4 5

Dazu oben S. 33 ff. S. dazu oben S. 33 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,3 resp. S. dazu oben bereits S. 33 f.; s.a Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 59,4 resp. Dazu oben bereits sowie unten noch S. 204 ff.; s.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 42 ff. 6 Hierzu unten noch ausführlich S.  204 ff.; s.a. Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 88 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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gebracht, in dessen Hintergrund die Rechtfertigungs- und Bußtheologie steht. Vor diesem Hintergrund erörtert Thomas v. Aquin den Begriff und das Verhältnis von Recht (ius) und Gerechtigkeit (iustitia) in Auseinandersetzung mit dem römischen Recht (Celsus, Gaius, Ulpian) und Gratian, den Kirchenvätern (Augustinus, Isidor von Sevilla, Ambrosius) und der Stoa. Maßgeblich ist freilich Aristoteles’ Gerechtigkeitslehre.7 3.5.2 Thomas v. Aquins Rechtslehre und spätscholastische Entwicklungen 3.5.2.1 Recht (ius) und Gerechtigkeit (iustitia) 3.5.2.1.1 Recht und Gerechtigkeit bei Thomas v. Aquin Zu Beginn des Traktats De Iustitia et Iure bestimmt Thomas den Begriff von Recht und Gerechtigkeit sowie deren Verhältnis.8 So ist nach Thomas „Recht das Objekt der Gerechtigkeit“ (ius est obiectum iustitiae).9 Die Gerechtigkeit unterscheidet sich dabei von den anderen Tugenden darin, dass sie „den Menschen in dem ordnet, was auf den anderen (ad alterum) bezogen ist“.10 Gerechtigkeit ist also die gemeinschaftsbezogene Tugend, die die Ordnung zwischen den Menschen betrifft.11 Das Recht ist damit auf das zwischenmenschliche Verhältnis bezogen. Zugleich richtet sich die Gerechtigkeit auf einen Ausgleich (aequalitas) gegenüber dem anderen, Gerechtigkeit führt einen Ausgleich herbei.12 Daher ist die Gerechtigkeit in Anlehnung an Ulpian der „beständige und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zuzuteilen“.13

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Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57; s.a. zu den Einflüssen Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 29 ff., 61 ff., 69 ff. Hierzu und zum Folgenden auch Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  17, 30 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 251 ff. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,1 resp.; zum Hintergrund dieses Rechtsbegriffs s. auch Villey, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 53, 59. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,1 resp.; q. 58,2 resp.; q. 58,5 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,1 resp.; q. 58,2 resp.; s.a. Metz, in: Walther/Brieskorn/ Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 31. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 58,1 resp.

130

Kapitel 3

3.5.2.1.2 Naturrecht und positives Recht Das Recht wird in Anknüpfung an Aristoteles14 eingeteilt in Naturrecht (ius naturale) und positives Recht (ius positivum15).16 Nach Thomas ist Recht bzw. das Gerechte „ein dem anderen angemessenes Werk“ (opus adaequatum alteri) entsprechend einem Ausgleich (aequalitas).17 Diese Angemessenheit kann sich aus zwei Gründen ergeben, entweder aus der Natur der Sache (dann ius naturale) oder aufgrund gemeinsamer Vereinbarung (dann ius positivum).18 Das Gesetz als geschriebene Anordnung (constitutio scripta) „ist nicht selbst Recht“ (lex non est ipsum ius), „sondern der Grund des Rechts“ (aliqualis ratio iuris).19 Maßstab des Gerechten kann danach der menschliche Wille (voluntas humana) sein, allerdings nur soweit dies nicht in Widerspruch zur natürlichen Gerechtigkeit steht.20 Ist Letzteres der Fall, so kann auch nicht der menschliche Wille bewirken, dass es gerecht wird.21 Das positive Recht hat folglich einen

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Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  243, 108 ff.: Auch wenn Aristoteles zwischen Naturrecht und positivem Recht unterscheidet, wird darauf hingewiesen, dass Aristoteles das Naturrecht nicht als universale durch die Vernunft angeordnete Rechtsordnung versteht, sondern konkrete Rechtsinstititute der jeweiligen polis hiermit rückbezieht bzw. aus der aktualisierten, konkreten Natur der Menschen (etwa Sklavenstellung) legitimiert. Recht ist nach Aristoteles immer das konkrete, in der polis angewendete Recht, nur hinsichtlich seines Ursprungs ist es entweder Gesetzesrecht oder von Natur aus Recht. Bei Thomas wird das Naturrecht hingegen dem forum conscientiae und damit einem eigenen Forum zugeordnet, wohingegen bei Aristoteles das Naturrecht neben dem positiven Recht zur Rechtsquelle des Rechts der polis (d.h. des forum externum) wird. Hierin liegen also wesentliche Unterschiede zur Naturrechtstradition in Mittelalter und Neuzeit; vgl. umfassend hierzu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  108 ff. m.w.N.; s.a. Scattola, Das Naturrecht vor dem Naturrecht, S. 9 ff.; Gagner, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, S. 256 ff. Zum Ursprung des Begriffs ius positivum bei Peter Abaelard sowie der Kanonistik des 12. Jahrhunderts Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S. 233, 240 f. m.Nw. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,2 resp.; dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 251 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 158 ff. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57, 2 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57, 2 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,1 ad sec.; zum Verhältnis von Recht und Gesetz auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 157 f. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57, 2 ad sec. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,2 ad sec.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

131

eigenständigen Bereich, in dem frei bestimmt werden kann, was gerecht bzw. was Unrecht ist, unterliegt aber Grenzen, die durch das Naturrecht vorgegeben sind.22 Der Begriff des positiven Rechts verweist nun auch auf die lex humana, die Thomas im Abschnitt De Lege näher behandelt hat. In gewisser Hinsicht parallel zur Gegenüberstellung von lex naturalis und lex humana steht hier die Gegenüberstellung von ius naturale und ius positivum.23 3.5.2.2 Recht in der Spätscholastik 3.5.2.2.1 Recht als „moralische Befugnis“ Dieses begriffliche Rechtsverständnis von Thomas bildet einen Ausgangspunkt der Rechtslehre der Spätscholastiker. Allerdings zeigt sich hier eine wesentliche Erweiterung: Neben den objektiven Rechtsbegriff tritt ein subjektiver Rechtsbegriff, der „Recht“ als eine einem Subjekt zustehende Rechtsmacht versteht.24 Suárez verknüpft ius zunächst wie Thomas mit der Bedeutung des Angemessenen (aequum) und Gerechten (iustum) als Objekt der Gerechtigkeit.25 Über diese objektive Bedeutung hinausgehend versteht Suárez den Begriff ius – in Anknüpfung an verschiedene Entwicklungen in der mittelalterlichen Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft (Bonaventura; Ockham;

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S. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,2 ad sec.; q. 60,5 ad prim.; vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 251 ff. Wobei der Begriff des positiven Rechts aber auch das positive göttliche Gesetz umfasst; vgl. Metz, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 17, 33 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 252 f. Allerdings dürfen Naturgesetz und Naturrecht nicht gleichgesetzt werden, dazu unten noch S. 199 ff. sowie DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105, S. 568 f. S. hierzu bspw. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  353 ff., 385 f.; Deckers, Gerechtigkeit und Recht, S.  144 ff., 153 ff.; Villey, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 53, 60 ss.; Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  135, 150 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 36 ff., 39 ff.; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 450 ff.; Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 128, 135 s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4; dazu auch Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  135 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  354 f., 385 f.; Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 155, 156 f.

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Kapitel 3

Marsilius von Padua26; Gerson27; Summenhart28)29 sowie an Vitoria30 – als „moralische Befugnis“ ( facultas moralis), die „jeder bezüglich seiner Sache oder bezüglich einer Sache, die ihm geschuldet wird, hat“.31 Recht wird nicht mehr nur objektiv, sondern auch subjektiv, d.h. als subjektives Freiheits- bzw. Herrschaftsrecht verstanden.32 Auf die Gründe für diese Entwicklung und die Bedeutung dieser facultas moralis ist später noch näher einzugehen.33 Schließlich verbindet Suárez den Begriff ius, ähnlich Thomas, mit der Bedeutung des Gesetzes (lex).34 Durch die Erweiterung des ius-Begriffs und durch seinen lex-Begriff, der als maßgebliches Kriterium auf die Verpflichtung

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Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. II Cap. 12 §§ 3 ff., 10 ff. Gerson, De vita spirituali, Lectio tertia: „Ius est facultas seu potestas propinqua conveniens alicui secundum dictamen rectae rationis“. Dieser doppelte Rechtsbegriff – einerseits im Sinne von Gesetz, andererseits im Sinne von Befugnis – zeigt sich besonders deutlich bei Summenhart herausgearbeitet, s. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 1: „Ius est potestas vel facultas propinqua conveniens alicui secundum dictamen primae iustitiae. Et iterum. Ius est potestas vel facultas propinqua conveniens alicui secundum dictamen rectae rationis. […] ius capitur dupliciter. Uno modo prout idem est, quod lex […]. Alio modo accipitur ius ut idem est quod potestas […]“. Varkemaa, Conrad Summenhart’s theory of individual rights, p. 15 ss. (Bonaventura); 30 ss. (Ockham), 44 ss. (Gerson), 63 ss. (Summenhart); Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S.  354; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  21 ff.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  108 ss., 208 ss., 242 ss.; Villey, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 53, 63 ss. (unter Verweis auf die nominalistische bzw. voluntaristische Herkunft dieses Rechtsbegriffs); Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  32 ff.; zur Bedeutung Ockhams im Anschluss an Villey jüngst auch Menke, Kritik der Rechte, S. 19 f., 49 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 836 ff. Vitoria, CommSTh II–II, q. 62,1 N.  5 ff.; dazu auch Deckers, Gerechtigkeit und Recht, S. 153 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 353 ff.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV f.; Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XCIII ff.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 31 ff., 40 ff., 79 ff.; dies., in: dies. (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 127, 129 ff.; ferner auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 353 ss. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  385 f.; Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  155, 156 f.; Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 135, 150 f. S.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 354 f., 385 f.; Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 155, 156 f.; Bunge, in: dies. (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S.  127, 129 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 41 f.; Doyle, Collected Studies, p. 337 s. Dazu unten S. 278 ff., 283 ff. sowie zur Bedeutung des Adjektivs moralis, die im Zusammenhang mit der Lehre vom moralischen Sein zu sehen ist, unten S. 308 ff. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 6. Allerdings fügt er insoweit hinzu, dass auch der Richter Recht spreche (ius dicere) und insoweit in gewisser Weise durch das Urteil auch Recht setzt, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 8.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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abstellt35, kann aber Suárez ius und lex besser unterscheiden: Während ius im engeren Sinne die moralische Befugnis ( facultas moralis) meint, also die Möglichkeit und das Können bezeichnet, ist es für das Gesetz charakteristisch, dass es eine Verpflichtung, d.h. eine moralische Notwendigkeit (necessitas moralis)36 als seine Wirkung hervorbringt.37 Hiermit greift er freilich die mittelalterlichen Entwicklungen auf; erstmals erscheint wohl bei Marsilius von Padua (1275/80–1343)38 und Conrad Summenhart (1458–1502)39 die explizite Gegenüberstellung von Recht im objektiven Sinne des Gesetzes und Recht im subjektiven Sinne einer der Person zustehenden Rechtsmacht.40 3.5.2.2.2 Recht und Unrecht Auch Lessius unterscheidet ähnlich den anderen Spätscholastikern drei mögliche Bedeutungen von ius.41 Erstens ist ius, in Anlehnung an Thomas42, dasselbe wie „gerecht“ (iustum), wobei insoweit die beiden Merkmale Ausgleich (aequale) und das einem anderen Geschuldete (alteri debitum) konstitutiv sind.43 Zweitens ist ius nach Lessius auch Synonym für Gesetz (lex), und das Gesetz ist die Regel des Gerechten (regula iusti in genere)44.45 35 36 37

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S. dazu oben S. 94 f. S. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 1 a.E. („necessitatem […] moralem, quae obligatio dicitur“; „necessitas operandi vel non operandi“), 4; Cap. 1 N. 8; Cap. 4 N. 8; Cap. 5 N. 7, 15; ders., De Bonitate, Disp. 2 Sec. 2 N. 15. Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap.  2 N.  5 f.; Cap.  14 N.  1 ff.; s.a. Lib. II Cap.  14 N.  16, 18 (zur Abgrenzung von ius naturale praeceptivum als lex und ius naturale dominativum als dominium, d.h. im Sinne der facultas moralis; dazu unten noch näher S. 200 f.); vgl. dazu auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 88 ff. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. II Cap. 12 §§ 3 ff., 10 ff. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p.  1: „ius capitur dupliciter. Uno modo prout idem est, quod lex […]. Alio modo accipitur ius ut idem est quod potestas […]“. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 108 ss., 242 ss.; Varkemaa, Conrad Summenhart’s theory of individual rights, p.  63 ss. (Summenhart); Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 21 ff. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 1 ff.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp. 2 N. 1 ff.; Tract. II Disp. 1 N. 1. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 1 nennt ausdrücklich als Belegstelle Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80, wo sich Thomas mit der Abgrenzung der Tugend der Gerechtigkeit von den Sekundärtugenden beschäftigt und sich die Unterscheidung von debitum morale und debitum legale findet. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 1, 4 f.: Zur näheren Erläuterung knüpft Lessius an die Unterscheidungen der Gerechtigkeit bei Thomas bzw. Aristoteles an (iustitia particularis etc.). Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 1, 6. In dieser Bedeutung von ius als Gesetz wird bei Lessius weiter zwischen Naturrecht (ius naturale) und positivem Recht (ius positivum) unterschieden, wobei das positive Recht wiederum in göttliches (ius divinum) und menschliches Recht (ius humanum) unterteilt

134

Kapitel 3

Drittens ist ius eine „Rechtsmacht“ (potestas legitima), was nach Lessius bedeutet „etwas zu können“ (aliquid posse).46 Während „Macht“ (potestas) „ein Gehaben auf etwas“ meint, bedeutet „gesetzlich“ (legitima), dass sie durch das Gesetz (a lege concessa) gewährt wird und sich insoweit von Gewalt und Unrecht (vis & iniuria) unterscheidet.47 Unrecht ist ausgeschlossen, wenn der Rechtsinhaber in die Verletzung einwilligt.48 Hiermit knüpft Lessius an Molina49 an, der unter ius die „Befugnis, etwas zu tun, etwas zu erhalten, etwas in Besitz zu haben50 oder sich sonst auf irgendeine Weise zu verhalten“ versteht ( facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi vel aliquo alio modo se habendi).51 Dem Rechtsinhaber geschieht Unrecht, wenn er von der Ausübung des Rechts ohne legitimen Grund abgehalten wird (cui si, sine legitima causa, contraveniatur, iniuria fit eam habenti).52 Die Verletzung des Rechts stellt daher nach Molina ebenso wie

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wird; das positive menschliche Recht wird weiter in Völkerrecht (ius gentium), bürgerliches Recht (ius civile) und kanonisches Recht (ius canonicum) eingeteilt, s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 2 N. 9; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 82 s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 2. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 3: Das Gesetz, d.h. menschliches, natürliches oder göttliches Gesetz, „teilt“ das Recht zu (genera legum, quae ius tribuunt). Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 3 N. 12; zu dieser Diskussion auch Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 1 N. 2 ff.; Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. III N. 27 („Ad iniuriam non requiritur ut Dominus sit positive invitus, sed satis est si absque consensu ipsius fiat aliqua actio cuius dominium morale est apud ipsum“; Unrecht nicht nur bei Handeln gegen, sondern auch bei Handeln ohne den Willen des Rechtsinhabers). Dies gilt allerdings nur bei den Rechten, hinsichtlich derer der Rechtsinhaber auch verfügungsberechtigt ist („subsint nostrae dispositioni“; die Begründung für Letzteres ist indes streitig, s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 3 N. 12). Dies ist beim dominium der Fall, d.h. bei den Rechten an der Ehre bzw. an äußeren Dingen, aber nicht beim Leben sowie anderen höchstpersönlichen Rechten. Zum Rechtsbegriff bei Molina Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 60 ff.; Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 207 ff.; ders., in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 296 ff.; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 450. S. zum berechtigten Besitz (possessio iuris) als ius insistendi rei Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 9 N. 41. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 1. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 1; s.a. Tract. I Disp. 2 N. 4, wo Recht in diesem Sinne als Handlungsmöglichkeit oder Rechtsmacht verstanden wird, die ein Mensch auf etwas hat ( facultas, potestas quam ad aliquid habet homo). So ist Recht die Befugnis seine Sachen zu benutzen ( facultas ad utendum rebus suis); die Befugnis, das zu erhalten, was jemandem geschuldet ist ( facultas obtinendi quod sibi debetur); ferner die Befugnis, im Besitz seiner Sachen zu bleiben ( facultas insistendi vel persistendi in possessione rerum suarum); schließlich die Befugnis, jemandem etwas aus Freigebigkeit zuwenden zu

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nach Lessius Unrecht dar, da Unrecht die Verletzung eines fremden Rechts ist.53 Über diese Befugnisse verfügt jeder „aus der Natur der Sache“ ( facultas quam ex natura rei habet unusquisque).54 Recht ist so nach Molina „nichts anderes als ein Gehaben oder eine Beziehung zu einer Person hinsichtlich dessen, auf das sich diese Befugnis bezieht“ (non esse aliud, quam habitudinem, seu relationem personae, a qua habent, ad id ad quod est talis facultas).55 3.5.2.2.3 Die Korrelation von Recht und Pflicht und der relationale Charakter des Rechts In Bezug auf diese Rechtsmacht argumentiert Lessius, dass Recht nach diesem Verständnis nicht das Objekt der Gerechtigkeit ist, da Gegenstand der Gerechtigkeit zunächst das ist, was „dem Recht eines anderen geschuldet ist“ (Iuri alterius est debitum).56 Allerdings ist das Recht das Korrelativ (correlativum) der Pflicht (debitum), der Pflicht des einen steht ein Recht eines anderen gegenüber (debitum autem non potest esse sine iure in altero).57 „Weil es das Werk der Gerechtigkeit ist, das zurückzugeben, was dem Recht eines anderen geschuldet ist“, folgt aus der Gerechtigkeit, dass „bei dem einen das Recht, bei dem anderen die Pflicht ist“ (unde in altero postulat ius, in altero debitum).58 Recht (ius) einerseits und Pflicht (debitum) bzw. Verpflichtung

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können ( facultas ut recipiat quicquid gratis ex suaque liberalitate). Dass die Klagbarkeit nicht zum konstitutiven Element des Rechts erhoben wird, hängt mit der Konzeption des Naturrechts zusammen (s. dazu Kaufmann, in: Bunge [u.a.] [Hrsg.], Kontroversen um das Recht, S. 291, 297 f.). Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 1 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 2, 3; s.a. Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 296 f. S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 2; zur Bedeutung der natura rei-Lehre bei Molina s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  54 f., 61 f., wonach die durch das Recht vermittelte Fähigkeit „zur Natur des Menschen als Rechtsträger“ gehört, sodass gemäß der Natur „einem jeden diese Fähigkeit“ zukommt. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  1 N.  2 a.E.; dazu auch Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 64; vgl. bereits Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 1 („ius secundo modo est relatio seu habitudo fundata in illo, qui dicitur habere ius, & terminata in rem, in quam, vel in qua habet ius tanquam ad terminum propinquum“). Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7; ebenso Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 383 N. 3 („Porro eiusmodi iuri, tanquam correlativum, respondet obligatio ac debitum: ius enim est ad aliquid, quod aliquo modo eo iure debetur. Ex parte autem eius, qui illud debet, respondet obligatio illius ad tale debitum“); zuvor bereits die Diskussion bei Albornoz, Arte de los Contractos, Lib. I Tit. 1, Fol. 3 (Action und Obligacion als effectos correlativos des Vertrags); kritisch Palacio, Praxis Theolgica, Cap. V, p. 17 f. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7.

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Kapitel 3

(obligatio) andererseits stehen somit in wechselseitigem Verhältnis, das Eine ist das Korrelat des anderen.59 Ebenso spricht auch Rebellus im Hinblick auf die Korrelation von Recht und Pflicht vom „relationalen“ Charakter des Rechts (suapte natura relativa est).60 Auch bei Molina zeigt sich ein relationales Verständnis von Recht, allerdings in anderer Hinsicht. Wie erwähnt umschreibt Molina das Recht als Beziehung einer Person zu etwas (relatio personae).61 Schließlich ist auf Lugo (1583–1660) hinzuweisen, der das (subjektive) Recht als moralische Vorrangbeziehung zu einem Gegenstand (praelatio moralis; connexio) umschreibt.62 Damit zeigen sich also drei relationale Dimensionen des (subjektiven) Rechts: Recht als Beziehung einer Person; Recht als Beziehung zu einem Gegenstand; Recht als Korrelat der Pflicht. Was ist der Hintergrund? Die Umschreibung des Rechts als „Beziehung“ bzw. „Verhältnis“ ist bereits in den theologischen Diskussionen des 15. Jahrhunderts vorhanden (Summenhart)63 und dürfte wohl auch mit der thomistischen Verbindung von Relationalität und Person in Verbindung stehen, welche Thomas vor allem im Kontext der Gottes- und Trinitätslehre entfaltet.64 So umschreibt Conrad Summenhart das Recht zum einen als Macht (potestas), zum anderen aber auch als relatio.65 Summenharts Rechtsbegriff 59

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61 62

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65

Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7 a.E.; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 84; s. später auch Wolff, Ius naturae, Pars I Cap. I §§ 23, 25; Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 10 („Jus vero est effectus secundarius, qui indirecto intenditur, quatenus est correlatum obligationis“). Rebellus, De Obligationibus, Lib. I Pars. 1 Q. 1 Sec. 1 N. 8 (zur facultas moralis: „[…] adversus quemcumque alium obstantem: eiusmodi enim facultas suapte natura relativa est, & ad alterum obstantem, vel obstare potentem per se respectum habet“); Sec. 3 N. 23 („facultas relativa“). Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 2 a.E. („non esse aliud, quam habitudinem, seu relationem personae, a qua habent, ad id ad quod est talis facultas“). Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 („ius quod respicitur a iustitia commutativa, & ponitur in eius definitione, esse praelationem quandam moralem, qua hic homo praefertur moraliter aliis in usu talis rei propter peculiarem connexionem, quam res habet cum illo“). S. etwa beim Rechtsbegriff von Summenhart Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 101 ss. sowie Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 1, 3. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 28 ff.; s.a. Thomas v. Aquin, De Potentia, q. 7, Art. 10, worauf Lessius (De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 1) rekurriert. Verhältnis (relatio) und Person (persona) werden bei Thomas vor allem im Rahmen der Trinitätslehre behandelt, auch der Begriff des Korrelativen (correlativum; Thomas v. Aquin, STh, I, q. 40,2 ad quart.) erscheint dort. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 1 („relatio sive habitudo fundata in illo, qui dicitur habere ius, & terminata in rem, in quam, vel in qua habet ius tanquam ad terminum“); dazu Varkemaa, Conrad Summenhart’s theory of individual rights, p. 101 ss.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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orientiert sich dabei weitgehend an Jean Gerson66, wenngleich auffällt, dass Gerson selbst nicht den Begriff der relatio verwendet. Kennzeichen der relatio ist, dass sie einem Subjekt zugeordnet ist (subiectum; conveniens alicui)67, dass sie ein Ziel/Objekt (terminus) und ein „Fundament“ ( fundamentum) hat, aufgrund dessen sie dem Subjekt durch das Gesetz zugeordnet wird68, und diese beiden miteinander verbindet.69 Kraft dieser ihm durch das Gesetz zukommenden Relation darf der Rechtsinhaber im Hinblick auf den Gegenstand des Rechts Handlungen rechtmäßig vornehmen.70 3.5.2.2.4 Zusammenfassung Während Thomas die Gerechtigkeit vor allem unter dem Blickwinkel der Verpflichtung (debitum) („Gerechtigkeit im eigentlichen Sinn betrifft das von einem Menschen einem anderen Geschuldete“ – iustitia propria dicta attendit debitum unius hominis ad alium71) und damit auch das Recht vor allem objektiv betrachtet72, erweitert die Spätscholastik (Vitoria, Suárez, Molina, Lessius) in Anknüpfung an verschiedene philosophisch-theologische Entwicklungen des Mittelalters (Gerson, Summenhart) diese Perspektive. So wird Recht als moralische Befugnis ( facultas moralis), als rechtliches Können (potestas legitima; potentia), das jeder in Bezug auf das hat, was ihm gehört, verstanden und folglich mit der Verpflichtung des Gesetzes (lex) kontrastiert. Ferner erfasst Lessius ius in diesem Sinne als das Korrelat der Verpflichtung und schlägt damit die Brücke zu den Akten, die aus der Tugend der Gerechtigkeit geschuldet sind, d.h. den rechtlichen Verpflichtungen.73 Dort, wo eine Verpflichtung aus der Gerechtigkeit entsteht, besteht auch ein Recht eines anderen. Der Verpflichtung des einen steht das Recht des anderen gegenüber. Zugleich erhält das Recht generell einen relationalen Charakter, es wird als „Beziehung“ bzw. als „Verhältnis“ aufgefasst.

66 67 68 69 70 71 72 73

S.  Varkemaa, Conrad Summenhart’s theory of individual rights, p.  44 ss.; Gerson, De vita spirituali, Lectio tertia: „Ius est facultas seu potestas propinqua conveniens alicui secundum dictamen rectae rationis“. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 2 f. Dazu vor allem Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 4: z.B. der Kauf als titulus iuris für das Eigentum des Erwerbers oder die Wahl für die Rechte des Gewählten. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 1 ff., 5. S. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 4, ferner p. 2. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,2 ad sec. So etwa Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 353; vgl. auch zu dieser Diskussion um den objektiven und subjektiven Rechtsbegriff Bunge, in: dies. (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 127 ff. Dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 84.

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Kapitel 3

Der ius-Begriff wird somit um ein zweites Begriffsverständnis erweitert, nämlich als rechtliches Können, als moralische Befugnis, als Rechtsmacht (potestas legitima; facultas moralis; potentia). Hier zeigt sich die Entwicklung des subjektiven Rechts.74 Was die Spätscholastiker damit konkret meinen, wird insbesondere in den De Iustitia et Iure-Traktaten deutlich. Nach der begrifflichen Klärung wenden sie sich den einzelnen Rechten (species iuris) zu, vor allem dem Eigentum (dominium), das sie in gewisser Weise als Oberbegriff verwenden75, dem Recht auf Leben und Körper, dem Recht hinsichtlich Freiheit, Ehre und Ansehen sowie den Rechten aus Verträgen.76 Jeder Mensch hat so von Natur aus Rechte in Bezug auf das, was „Sein“ ist, was in gewisser Weise zu ihm gehört.77 Das betrifft das Eigentum über Sachen, aber auch den eigenen Körper und die Gesundheit, weiter das Ansehen, die Ehre und die Freiheit sowie schließlich auch die Rechte, die aus Verträgen entstehen.78 Werden Rechte verletzt, wird der einzelne auch rechtlich geschützt, so nämlich durch die sog. Restitution (restitutio principalis actus iustitiae commutativae per quem ius violatum instauretur – „die Restitution ist der wesentliche Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit, durch den ein verletztes Recht wiederhergestellt wird“).79 Diese Entwicklung vollzieht sich unabhängig vom römisch-rechtlichen prozessualen Ansatz der Klage (actio) und nimmt ihren Ausgangspunkt zum einen in der Anthropologie und der darin begründeten (Willens-)Freiheitskonzeption, die ius als moralische Befugnis ( facultas moralis) oder als Rechtsmacht (potestas legitima) versteht, zum anderen in der Gerechtigkeitskonzeption der Tugendlehre, insofern ius als Gegenstück der Verpflichtung (correlativum) verstanden wird.80 Dadurch erhält ius und damit verbunden 74

75 76 77 78 79 80

Bspw. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 354 f., 385 f.; Villey, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p.  53, 60 ss.; Walther, in: Walther/Brieskorn/ Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 135, 150 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 36 ff., 39 ff.; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXXVI f.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 37 ff., 60 ff. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1; s. insoweit zu Lessius auch Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXXVI ff. Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 10, 11; hierzu auch Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 37 ff. Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 1 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 1; Cap. 4 Dub. 1 N. 1. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 37 ff.; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLI f. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 7; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 38; s.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 63; Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 131 ff. Ausführlich hierzu auch Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 100 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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dominium eine grundsätzliche Bedeutungserweiterung, die dem modernen Verständnis des „subjektiven Rechts“ sehr nahekommt.81 3.5.3 Die Gerechtigkeitslehre 3.5.3.1 Iustitia commutativa und iustitia distributiva Nach Klärung des Verhältnisses von Recht und Gerechtigkeit bestimmt Thomas näher Wesen und Inhalt der Tugend der Gerechtigkeit, woran auch die Spätscholastiker anknüpfen werden.82 Charakteristikum der Gerechtigkeit ist, dass sie auf einen „Ausgleich“ zielt und ihr Gegenstand die Beziehung des Menschen zu einem anderen ist.83 Da die Gerechtigkeit eine gemeinschaftsbezogene Tugend ist, betrifft sie nur das Verhältnis zwischen den Menschen, dagegen nicht das Verhältnis des Einzelnen zu sich selbst.84 Daher bezieht sich die Gerechtigkeit auch nur auf äußere Handlungen und Sachen, soweit diese Gegenstand der zwischenmenschlichen Beziehungen sind.85 Nach Thomas ist entsprechend Aristoteles zwischen der Gesetzesgerechtigkeit (iustitia legalis) und der Sondergerechtigkeit (iustitia particularis) zu differenzieren.86 Thomas unterscheidet weiter zwei Arten der Sondergerechtigkeit, die ausgleichende (iustitia commutativa) und die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva).87 Die verschiedenen Arten der Gerechtigkeit lassen sich dabei vor dem Hintergrund der verschiedenen möglichen Verhältnisse innerhalb eines Gemeinwesens verstehen: 1. Das Verhältnis eines Teils zum Ganzen; 2. Das Verhältnis zwischen zwei Teilen untereinander, d.h. zwischen zwei Privaten; 3. Das Verhältnis des Ganzen zum Teil.88 81

82

83 84 85 86 87 88

S.  etwa  Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  39; bspw. Leipold, BGB I, § 7 Rn. 32 ff. zum subjektiven Recht; danach ist subjektives Recht „eine dem Einzelnen zugewiesene und seinem Willen unterstellte Rechtsposition“, weiter ist kennzeichnend für das subjektive Recht „die Berechtigung auf der einen, die Zuordnung einer Sache oder die Verpflichtung einer Person auf der anderen Seite“. Hierzu und zum Folgenden Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  254 ff.; zu Molina Schweighöfer, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 311, 312 ff., 330 ff.; Brett, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 155 ss.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 40 ff. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,1 resp.; q. 58,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,1 resp.; q. 58,2 ad quart.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 6. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,8 resp.; q. 61,3 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,5 resp.; 58,7 resp.; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 255 f.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 155 ff. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 61,1 resp. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,5 resp.; q. 61,1 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 4 N. 20 f.; Dub. 3 N. 10.

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Kapitel 3

So bezieht sich die Gesetzesgerechtigkeit als allgemeine Gerechtigkeit (iustitia generalis) auf das Verhältnis des Teils zum Ganzen, d.h. des Einzelnen zum Gemeinwesen.89 Diese Gesetzesgerechtigkeit kann Akte aller Tugenden umfassen, soweit diese den einzelnen „auf das Gemeinwohl“ ausrichten.90 Da nämlich das Gesetz auf das Gemeinwohl bezogen ist und dabei auch Akte anderer Tugenden umfassen kann, umfasst diese allgemeine Gerechtigkeit alle Akte, die durch das Gesetz im Hinblick auf das Gemeinwohl angeordnet sind und ist insoweit dann Gesetzesgerechtigkeit.91 Im Traktat De Iustitia et Iure geht es jedoch nicht um diese Gesetzesgerechtigkeit als generelle Tugend, die andere Tugenden mitumfasst, als vielmehr um die Sondergerechtigkeit, die konkret den Menschen in seinem Verhältnis zu den anderen hinordnet.92 Die Sondergerechtigkeit (iustitia particularis) hat nun zwei Teile: zum einen soweit sie sich auf die „Ordnung einer privaten Person zu einer anderen“ (ordo privatae personae ad aliam) bezieht, ist sie die ausgleichende Gerechtigkeit (commutativa iustitia), die das Verhältnis zweier Personen zueinander betrifft.93 Gegenstand dieser ausgleichenden Gerechtigkeit ist der Ausgleich zwischen Bürgern (aequalitas inter cives) „in den Handlungen, durch die sie miteinander kommunizieren“.94 Zum anderen, soweit sie das Verhältnis des Ganzen zum Teil betrifft, ist sie austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva), deren Prinzip die Proportionalität ist.95 Gegenstand dieser austeilenden 89 90 91 92

93 94 95

Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,5 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 3 N. 10; Dub. 4 N. 20. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,5 resp.; s. instruktiv zur Gesetzesgerechtigkeit Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S.  156 f., wonach diese vor allem auf das positive Recht bezogen ist. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,5 resp.; 58,6 resp. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,7 resp.; q. 58,8 resp. Entsprechend diesem doppelten Verständnis von Gerechtigkeit ist auch ein doppeltes Verständnis von ius zu unterscheiden (s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap.  2 N.  4). Insoweit ist hinsichtlich des iusBegriffs zwischen den verschiedenen Tugenden zu differenzieren, und zwar zwischen der Gerechtigkeit als Bezeichnung für sämtliche Tugenden und der Gerechtigkeit als spezielle Tugend. Ius könne dabei zum einen das als angemessen bezeichnen, was nach sämtlichen Tugenden aequum ist. In einem geläufigeren Sinne meint ius nach Suárez aber nur den „Ausgleich (aequitas), der jedem aus der Tugend der Gerechtigkeit geschuldet ist“. Ius speciale ist also das, was sich auf die spezielle Gerechtigkeit (iustitia specialis) bezieht und durch auf die spezielle Gerechtigkeit zielende Gesetze geregelt wird. Soweit aber Gesetze Akte aller Tugenden vorschreiben können (lex in genere), ist auch ius in einer genelleren Weise gemeint; vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 1,4 f. (iustum in genere – iustum speciale). Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 61,1 resp. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 4 N. 20. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 61,2 resp.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Gerechtigkeit ist etwa die Verteilung von gemeinschaftlichen Sachen, Ämtern und Lasten unter den Bürgern.96 Damit unterscheiden sich austeilende und ausgleichende Gerechtigkeit vor allem durch die Rechtsbeziehung (zwischen Privaten – zwischen der Gemeinschaft und dem Privaten) und durch die jeweiligen Handlungen (Austausch – Verteilung).97 In den darauf folgenden Quaestiones diskutiert Thomas nun einzelne Verstöße gegen die Gerechtigkeit (so Totschlag, Körperverletzung, Diebstahl und Raub, ferner Unrechtshandlungen von Richtern, Angeklagten und Zeugen, Betrug bei Kauf und Verkauf etc.). 3.5.3.2

Gerechtigkeit und andere Tugenden – rechtliche und moralische Pflichten Thomas und die Spätscholastiker unterscheiden weiter die Gerechtigkeit von anderen Tugenden, die mit der Gerechtigkeit verbunden sind, den sog. Sekundärtugenden der Gerechtigkeit (virtutes iustitiae annexae).98 Gerechtigkeit bezieht sich auf etwas, das einem anderen als Ausgleich (aequalitas) geschuldet (debitum) ist.99 Auch die anderen Sekundärtugenden der Gerechtigkeit betreffen ebenso wie diese das Verhältnis zu einem anderen; allerdings unterscheiden sie sich von der Gerechtigkeit entweder dadurch, dass das dem anderen Geschuldete nicht das Gleiche (aequalis) ist, oder aber darin, dass es nicht gleichermaßen geschuldet (debitum) ist.100 Thomas unterscheidet daher hinsichtlich Letzterem zwischen moralischer (debitum morale) und rechtlicher Pflicht (debitum legale).101 Die rechtliche 96 97 98 99 100

Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 4 N. 20. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 4 N. 21. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 Prooemium. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 resp.; ferner auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 46; Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 5. Thomas und die Spätscholastiker treffen hier eine doppelte Unterscheidung. Von der Gerechtigkeit im engen Sinne (iustitia stricte) können die mit der Gerechtigkeit verwandten Sekundärtugenden (virtutes iustitiae annexae), die ebenso wie die Gerechtigkeit Verpflichtungen gegenüber einem anderen (debitum ad alterum) betreffen, auf zwei Arten abweichen: entweder weil die Verpflichtung so „groß“ ist, dass es nicht das Äquivalente sein kann (wie bei den Tugenden von religio [gegenüber Gott], pietas [gegenüber den Eltern] oder observantia/obedientia [gegenüber dem Vorgesetzten]); oder so „klein“, dass es sich nicht um eine rechtliche (obligatio legalis & stricta), sondern nur um eine moralische Verpflichtung handelt (solum moralis). 101 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 resp.; q. 78,2 ad sec.; ferner auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 46; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 197 ss. Decock zeigt dabei auf, dass sich diese Unterscheidung zwischen rechtlichem und moralischem Sollen auf einer anderen Ebene vollzieht als die heute gebräuchliche

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Kapitel 3

Pflicht (debitum legale) bezieht sich auf die Haupttugend der Gerechtigkeit.102 Dagegen ist eine moralische Pflicht (debitum morale) nur eine solche, die „aus der Ehrenhaftigkeit der Tugend“ (ex honestate virtutis) geschuldet wird.103 Diese moralische Verpflichtung (solum moralis) ist schwächer als die Unterscheidung zwischen „Recht und Moral“. Thomas’ Unterscheidung bezieht sich nämlich an dieser Stelle auf dasselbe Normensystem, nämlich die „Rechtsordnung“ des forum internum. Thomas unterscheidet durch diese Differenzierung Verpflichtungen in ihrem Verpflichtungsgrad und Verpflichtungsgrund. Allerdings findet sich auch bei Thomas und den Spätscholastikern die Differenzierung zwischen Recht und Moral, wie sie heute begrifflich gemeint ist, nämlich zwischen einer äußeren, mit Zwangswirkung ausgestattenen Rechtsordnung und der inneren Moral, die den Einzelnen ausschließlich im Gewissen bindet. Diese Unterscheidung bezeichnet die Unterscheidung von forum externum und forum internum; s. dazu unten noch S. 202 ff. In dieser Hinsicht spielt wiederum Thomas’ Differenzierung von rechtlichem und moralischem Sollen eine bestimmte Rolle, wenn man nämlich die für das jeweilige Forum geltenden Gesetzesarten berücksichtigt. Heute würde man nämlich sagen, dass die äußere Rechtsordnung grundsätzlich keine moralischen Pflichten auferlegen darf, d.h. Pflichten, die den bloß sozialen und gesellschaftlichen, aber nicht den rechtlichen Bereich betreffen, oder Pflichten aus Pietät, Freundschaft etc. Genau dies meint aber auch die Unterscheidung von Thomas. Auch Thomas geht, wie bereits gezeigt, davon aus, dass die äußere Rechtsordnung des forum externum vor allem die Gerechtigkeit und das menschliche Zusammenleben betreffende Regelungen vorsehen darf, aber grundsätzlich keine Regelungen hinsichtlich sonstiger Tugenden bzw. nur insoweit, als sie „das Wesen der Gerechtigkeit annehmen“ (s. dazu oben S. 88 ff. sowie Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,2 resp.; einschränkend Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 7 ff.). Suárez etwa umschreibt Thomas’ Position dahingehend, dass nur beim debitum legale im Gegensatz zum debitum morale die Verpflichtung so stark sei, dass auch die menschlichen Gesetze zu seiner Einhaltung verpflichten würden (Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  9 N. 6). Damit zeigt sich doch eine Relevanz der thomasischen Differenzierung zwischen debitum morale und debitum legale, und zwar in Gestalt einer inhaltlichen Verhältnisbestimmung von menschlichem und natürlichem Gesetz. Das menschliche Gesetz, das im forum externum gilt, bestimmt grundsätzlich Pflichten der Gerechtigkeit, nicht aber so sehr der anderen moralischen Tugenden. D.h. das debitum legale bezieht sich dem Gegenstand nach vor allem auf die Verpflichtungen, die auch im forum externum gelten. Die moralischen Pflichten sind dagegen grundsätzlich nicht so sehr Gegenstand der menschlichen Gesetze, sie gelten eher nur in foro conscientiae (s. aber einschränkend zur Gewissensverpflichtung des debitum morale Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 7). D.h. die Unterscheidung Recht – Moral im heutigen Sinne ergibt sich aus der Zusammenschau der scholastischen Differenzierungen debitum legale – debitum morale und forum externum – forum internum. Zum Aufgreifen dieser Unterscheidungen bei Thomasius, der aufgrunddessen den Rechtsbegriff verändert, s. unten S. 251 ff. 102 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 resp.; ferner auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 46. 103 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 resp.; ferner auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 46.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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rechtliche Verpflichtung (obligatio legalis & stricta) – ihre Verletzung hat nur zur Folge, dass die Ehrenhaftigkeit der Sitten (honestas morum) nicht oder nicht angemessen (non commode & decore) „gewahrt wird“.104 Eine rechtliche Pflicht entsteht dabei aus der Tugend der Gerechtigkeit im engen Sinne (iustitia), dagegen folgt aus den Sekundärtugenden etwa der Wahrhaftigkeit (veritas), der Dankbarkeit (gratitudo) oder der Freigebigkeit (liberalitas) keine rechtliche (debitum legale), sondern nur eine moralische Pflicht (debitum morale).105 Entsprechend wird auch im Rechtsbegriff abgregrenzt: den Gegenstand der eigentlichen Gerechtigkeit (iustitia particularis, specialis) bildet das Recht im strengen Sinne (ius speciale; ius stricte dictum) sowie die Rechtspflicht (obligatio iustitiae (stricte dictae)).106

104 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 46; Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 resp. Das debitum morale kommt also seinerseits in zweifachem Grade (duplicem gradum habet) vor: eine stärkere Verpflichtung folgt etwa aus der Tugend der Wahrhaftigkeit – diese ist notwendig, da ohne sie „die Ehrenhaftigkeit der Sitten nicht gewahrt werden kann“ (honestas morum conservari non possit). Die anderen Tugenden wie Freigebigkeit und Freundschaft sind hingegen nur notwendig, um zu einer größeren Ehrenhaftigkeit (ad maiorem honestatem) beizutragen. 105 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 46; vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 198 s. 106 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4 f.; ders., Quaestiones de Iustitia et Iure, Disputatio Quarta, Quaestio secunda, S.  100; Quaestio octava, S.  119 (zur Abgrenzung von iustitia commutativa und iustitia legalis: ius perfectius et strictius); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 54, 57 (debitum perfectum – ius perfectum); vor Cap. 46; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract.  31 Cap.  1 N.  10; Tract.  33 Cap.  5 N.  80,82 f.; Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap.  1 N.  1 („ius […] iuridicum, seu stricte dictum, & obiectum iustitiae particularis“); Cap. 4 N. 84 („obligationem Iustitiae stricte dictae“); Rebellus, De Obligationibus, Pars  I Lib. I Q.  1 Sec.  3 N.  31 („ius magis proprie dicatur de iure, quod iustitia particularis respicit: quae dicitur magis rigorosa iustitia quod circa ius magis rigorosum versetur“); s.a. Decock, Contract Law, p. 198 s. Zur Frage, ob die Rechtspflicht ein Zwangsrecht des anderen Teils bedingt, ablehnend Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 66 („non semper in habente requiritur iustitia coactiva, & compulsiva“); a.A. aber etwa Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 10 („est enim debitum legale, ad quod solvendum lege cogi potest debitor; qui ad debitum morale in sola honestate virtutis fundatum, solvendum, lege cogi non potest“); N. 19 („ius alteri debitum, aut debito perfecto & legali; ad quod solvendum debitor lege cogi potest; aut debito imperfecto & morali fundato in honestate & decentia virtutis, ad quod solvendum debitor lege cogi nequit“), der explizit die Zwangskraft zum Begriffsmerkmal des Rechts im eigentlichen Sinne erhebt; s.a. Pérez, aaO in Umschreibung der Aufassung von Amicus: „debitum legale, scilicet tale, quod non sit mere honestatis & mere morale; sed det creditori actionem, & potestatem compellendi debitorem ad solutionem“.

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Kapitel 3

Der Unterschied zwischen diesen beiden liegt zunächst im Gewissensforum ( forum conscientiae). Während eine rechtliche Pflicht (debitum legale), zumindest in bedeutenden Angelegenheiten (non in parvis)107, unter Todsünde (sub peccato mortale) verpflichtet, sind peccata gegen die anderen Tugenden grundsätzlich keine Todsünden, sondern allenfalls lässliche Sünden.108 Allerdings folgt aus dieser Differenzierung noch ein weiterer Unterschied, der das Verhältnis der Foren zueinander betrifft: Die Verpflichtungskraft rechtlicher Pflichten ist stärker.109 Bei moralischen Pflichten soll, wie Suárez unter Verweis auf Thomas sagt, die Verpflichtungswirkung nicht so stark sein, dass auch die menschlichen Gesetze zur Einhaltung verpflichten würden – dies ist nur bei der rechtlichen Pflicht (debitum legale) der Fall.110 Den Folgen, den diese Differenzierungen für das Verhältnis von „Recht und Moral“ haben sollten, ist später noch näher nachzugehen.111

107 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 59,4 resp., ad sec.; Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 24 („in re gravi“). 108 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 59,4 resp., ad tert.; q. 80 resp.; Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 25; dazu sowie zum Folgenden grundsätzlich Decock, Theologians and Contract Law, p.  69 ss., 86 ss., 197 ss. Denn wer ungerecht (iniuste) handelt, begeht nach Thomas grundsätzlich eine Todsünde, da Unrecht in der Schädigung eines anderen bestehe, was gegen die Tugend der Nächstenliebe (caritas) sei, und die Schädigung eines anderen grundsätzlich eine Todsünde bedeute (Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 59,4 resp.). Dagegen verursachen Sünden gegen die anderen Tugenden nicht immer Schaden bei einem anderen, und seien deswegen nicht Todsünden (Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 59,4 ad tert.; vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp. 9 N. 2). 109 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 6; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 198 s. 110 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  9 N.  6. Anknüpfend an diesen Gedanken des debitum legale bildet sich in der Spätscholastik ein weiterer Gesichtspunkt, der in Zusammenhang mit dem Recht (ius) steht und auf den bereits hingewiesen worden ist: Recht ist das Korrelativ der rechtlichen Verpflichtung. Aus der rechtlichen Verpflichtung (debitum legale) entsteht danach notwendig ein Recht (ius) des anderen, gegenüber dem das debitum legale besteht, s. Decock, Theologians and Contract Law, p.  84. Notwendiges Gegenstück des debitum, das ex iustitia folgt, ist ein Recht des anderen. Ein debitum legale ist daher eine aus der iustitia bzw. dem Gesetz folgende Verpflichtung gegenüber einem anderen, wobei der andere ein Recht (ius) auf Durchsetzung der Verbindlichkeit hat; aus einer obligatio iustitiae folgt im Gegensatz zum debitum morale ein Recht gegen einen anderen (Decock, Theologians and Contract Law, p. 80 s., 84; vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7). 111 S. dazu unten S. 251 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

3.6

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Wille, Freiheit und Person

3.6.1 Wille, Vernunft und Freiheit 3.6.1.1 Der Begriff der Willensfreiheit Mit der Rechtslehre ist bei Thomas und den Spätscholastikern noch etwas anderes verbunden, nämlich eine spezifische Anthropologie, in der die (Willens-)Freiheit des Menschen sowie die Vorstellung des Menschen als Person zentrale Bedeutung gewinnen.1 Diese Anthropologie ist ihrerseits auch durch die Rechtfertigungslehre und die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Willensfreiheit und Gnade2 sowie die Christologie bedingt – darauf wird gleich noch einzugehen sein.3 Wie sich im Folgenden zeigen wird, sind es die philosophisch-theologischen Diskussionen, die neue Begriffe entwickeln; diese neuen Begriffe werden sodann im Wege eines Transfers auf die Rechtslehre und den Rechtsbegriff übertragen. Inhaltlich steht hinter dem Naturrecht ein spezifisches Menschenbild, das Thomas ganz zu Beginn der Secunda Pars erklärt. Weil der Mensch als Ebenbild Gottes (imago Dei) über einen freien Willen (liberum arbitrium) verfügt, ist er selbst „Urheber seiner Handlungen“ (suorum operum principium).4 Der Mensch ist so nach Thomas „durch die Vernunft und den Willen Herr seiner Handlungen“ (homo dominus suorum actorum per rationem et voluntatem), daher wird der freie Wille (liberum arbitrium) auch „als die Fähigkeit des Willens

1 Zur thomasischen Anthropologie s.a. Goris, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 125 ff.; Heinzmann, in Gründel (Hrsg.), Das Gewissen, S. 34 ff.; zur Bedeutung des freien Willens für das Naturrecht auch Bach/Stiening/Brieskorn, Suárez, De Legibus, Lib. II, Einleitung, S. XXVI f. Die gesamte Secunda Pars, in der es um den Menschen und sein Handeln geht und in der auch das Naturrecht erschlossen wird, ist insoweit „theologische Anthropologie“ (DThA/ Pesch, Die Sünde, I–II, 71–89, S. 656). In dieser Bedeutung von Willensfreiheit und Willen zeigt sich freilich auch ein wesentlicher Unterschied zu Aristoteles, s. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 724. 2 Thomas greift den Begriff des liberum arbitrium des Menschen in der Summa erstmals in I, q. 22,2 ad quart., ad quint.; q. 23,3 ad sec., ad tert., auf, d.h. bei der Frage, inwieweit göttliche Vorhersehung bzw. Prädestination (divina providentia, praedestinatio) und menschlicher freier Wille (liberum arbitrium) miteinander versöhnt werden können; vgl. hierzu auch Pesch, Die Theologie der Rechtfertigung, S. 855 ff. S.a. zur Bedeutung der Gnadenlehre und zum Verhältnis von Gnade und Freiheit Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 51 ff. 3 S. unten zur Rechtfertigungslehre und zum „Gnadenstreit“ bei Molina S. 155 ff. Die Anthropologie ist in spezifischer Weise mit der Rechtfertigungstheologie verbunden, Molina und Lessius entwickeln diese jeweils auch in ihren rechtfertigungstheologischen Schriften („Concordia“; „De gratia efficaci“); s.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 3 ff., 126 ff. zur Bedeutung der Willensfreiheit für die Rechtslehre bei Molina. 4 Thomas v. Aquin, STh, I–II, Prooemium; s.a. Aristoteles, Nikomachische Ethik, III, 1113b.

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Kapitel 3

und der Vernunft bezeichnet“.5 Die Willensfreiheit ist so auch mit dem Willen (voluntas) als solchem verbunden, beide bilden ein Vermögen (potentia).6 In dem gleichen Verhältnis, das die Beziehung von Intellekt (intellectus) und Vernunft (ratio) kennzeichnet, steht auch der Wille (voluntas) zur Willensfreiheit (liberum arbitrium).7 Wesentlich ist die Freiheit und Eigenverantwortlichkeit des Menschen, der Mensch wird als frei handelnde moralisch verantwortliche Person aufgefasst, deren Handeln durch den freien Willen bestimmt wird und die sich aufgrunddessen zwischen dem Guten und dem Bösen entscheiden kann (liberum arbitrium flexibile est ad bonum et ad malum).8 Molina beschreibt später (Willens-)Freiheit als Gegenteil von Notwendigkeit (necessitas).9 Danach ist „dasjenige Handelnde frei, das, weil es über alle Voraussetzungen zu handeln verfügt, handeln oder nicht handeln kann oder so handelt, dass es auch das Gegenteil tun könnte“ (agens liberum dicitur, quod positis omnibus requisitis ad agendum, potest agere & non agere, aut ita agere unum, ut contrarium etiam agere possit).10 Bei der Willensfreiheit geht es also um „nichts anderes als den Willen, in dem nach vorangegangenem Vernunfturteil formell die genannte Freiheit besteht“ (liberum arbitrium non sit aliud, quam voluntas, in qua formaliter sit libertas explicata, praevio iudicio rationis).11

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Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 resp.; dazu auch Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 78; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49 f. (zum Ursprung dieses Topos bei Bonaventura); s. ferner auch z.B. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 2; Disp. 19 N. 9 („homo […] per intellectum & voluntatem libero arbitrio est praeditus“). Thomas v. Aquin, STh, I, q. 83,4 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 83,4 resp. S.  Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,1 resp.; Suárez, De Legibus, Lib. I Cap.  3 N.  3 („talis creatura eo ipso […] flecti potest ad bonum & malum“). Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, p. 8 (s.a. p. 7, wonach Freiheit in einem anderen Verständnis das Gegenteil von Zwang [coactio] sei, wobei nach Molina Freiheit in diesem Sinne nicht ausreichend umschrieben werde); dazu auch Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 365, 368 ss. (auch zu den mittelalterlichen Vorgängern dieser Formel etwa bei Heinrich von Gent); ferner umfassend zur Willensfreiheit bei Molina Aichele, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 3 ss. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, p. 8; zum Verhältnis von Willens- und Handlungsfreiheit s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 141 ff., 145 (freier Wille [voluntas] „als freie Entscheidung [liberum arbitrium]“, „die freies Handeln [agens liberum] nach sich zieht, aber aus der heraus nicht notwendigerweise eine freie Handlung resultiert“). Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, p. 8; s. gleich noch zur Frage, ob die Freiheit nur dem Willen zukommt; s.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 127 f.; zur Herleitung der Willensfreiheit des Menschen s. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 23, p. 89 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

147

3.6.1.2 Das Verhältnis von Wille, Vernunft und Freiheit In der Entwicklung von Thomas zu Molina, Lessius und Suárez zeigt sich indes auch eine Verschiebung, die das Verhältnis von Freiheit, Willen und Vernunft betrifft und die bei Molinas Definition der Willensfreiheit deutlich geworden ist.12 Es geht um die Frage, wo die Freiheit ihren Sitz hat, d.h. ob Willensfreiheit (liberum arbitrium) und Freiheit (libertas) im Willen (voluntas) oder im Intellekt (intellectus) bzw. in der Vernunft (ratio) begründet sind.13 Vor diesem Hintergrund erörtert etwa Lessius, ob zur Willensfreiheit (liberum arbitrium) nur die Vernunft (ratio) oder auch der Wille (voluntas) indifferent sein muss.14 Lessius betont, dass zur Freiheit einer Handlung (libertas actus) der Wille indifferent sein muss, sodass jede Determination des Willens mit der Freiheit unvereinbar ist.15 Der Wille selbst muss indifferent und inderterminiert sein, damit eine Handlung frei ist.16 „[J]ede zuvorkommende Determination“ des Willens würde „der Freiheit widerstreiten“; Freiheit erfordert daher Indifferenz auch des Willens, der Wille bestimmt sich selbst (voluntatem 12 13

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Dazu Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  133 ff.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  87 ff.; Gemmeke, Die Metaphysik,  S.  180 ff.; Kaufmann, in: Busche (Hrsg.), Departure for Modern Europe, S. 167, 169 ff. Dazu umfassend bei Suárez Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 87 ff. Wie sich zeigen wird, sieht etwa Lessius (Lessius, De gratia efficaci, Cap. 2 N. 1, 9 ff. [zur Antwort Molinas]) den Kern des Gnadenstreits (dazu unten S.  155 ff.) in der Frage, ob eine wirkende Bewegung Gottes (motio Dei efficax) den Willen des Menschen „physisch zur Zustimmung“ des Menschen zur Gnade „vorherbestimmt“ (voluntatem humanam ad consensum physice praedeterminet), sodass dieser nicht widerstehen könne. Lessius betont dabei ähnlich wie zuvor Molina, dass zur Rechtfertigung des Sünders Gott als Erstursache (causa prima) und der menschliche Wille (voluntas humana) als Zweitursache (causa secunda) zusammenwirken müssen (s. Lessius, De gratia efficaci, Cap. 4 N. 4 ff., 12). Der menschliche Wille (voluntas humana), in dessen Macht es steht, die göttlichen Gnadenmittel (concursus) wirksam werden zu lassen, sei damit selbst Ursache (causa) und notwendig für die Rechtfertigung des Menschen (vgl. Lessius, De gratia efficaci, Cap. 4 N. 15). Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 1. Lessius wendet sich hier gegen eine Argumentation, nach der die Freiheit nur im Intellekt (intellectus) oder in einem Vernunfturteil (iudicium rationis) begründet ist, hingegen nicht im Willen. Wäre dies tatsächlich der Fall, dann würde auch die gratia praedeterminans, die den Willen des Menschen vorherbestimmt, nicht mit der Freiheit des Menschen kollidieren (gratiam praedeterminantem non repugnare libertati), weil ja der Wille nicht der Ort der Freiheit ist, sondern es für die Freiheit ausreicht, dass das Vernunfturteil (iudicium rationis) indifferent ist. Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 2, 5; vgl. auch Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, p.  9, der die Freiheit dem Willen selbst und nicht so sehr dem Intellekt zuschreibt (libertatem esse in voluntate, & non in intellectu). S. Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 5,7 f., 11. Zur Indifferenz des Willens bei Suárez s. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 109 ff.

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Kapitel 3

seipsum determinare).17 Weil der Wille „Herr“ der eigenen Handlungen ist, ist er nicht determiniert, sondern kann „sich selbst aus eigener indifferenter Macht bewegen“ (se ex sua indifferenti potestate posse movere).18 Bei Lessius zeigen sich hier ebenso wie bei Molina und Suárez scotistische Einflüsse, worin durchaus eine Verschiebung gegenüber Thomas liegt.19 Thomas legt nämlich nahe, dass der eigentliche Ort der Willensfreiheit nicht nur der Wille, sondern auch Vernunft und Verstand ist; Willensfreiheit ist auch Urteilsfreiheit und beruht auf einem Vernunfturteil.20 Duns Scotus betonte demgegenüber, dass die Entscheidungsfreiheit dem Willen zukommt (libertas in voluntate) und damit der Wille frei ist, wohingegen sich die Vernunft naturnotwendig verhält und die Handlungsgründe zwar erkennt, aber nicht selbst Handlungen wählt.21 Ähnlich ist bei Molina, Lessius und Suárez der Wille der eigentliche Ort der Freiheit, nicht der Intellekt (libertatem esse in voluntate, & non in intellectu); der freien Entscheidung geht zwar ein Vernunfturteil voraus, der Wille bestimmt sich selbst aber unabhängig von einem „Befehl des Intellektes“.22 Der indifferent freie Wille entscheidet nicht nur über die Aus17 18 19

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Lessius, De gratia efficaci, Cap.  5 N.  11; vgl. auch Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 112 zu Suárez. Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 11. In der Begründung bezieht sich Lessius auch ausdrücklich auf Duns Scotus und Ockham, s. Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 7 f. Zu Duns Scotus s. oben bereits S. 90 ff.; s.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 130 ff. insoweit zu Molina; Kaufmann, in: Busche (Hrsg.), Departure for Modern Europe, S. 167, 174 ff. Vgl. zu dieser streitigen Diskussion im Hinblick auf Thomas’ Position Hödl, in: Zimmermann (Hrsg.), Thomas von Aquin, S.  23,37 f.; Wittmann, Die Ethik des hl. Thomas von Aquins, S. 133 ff.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 55 f., 87 f., 286; Spindler, Theorie des natürlichen Gesetzes, S.  32 ff., 36 (Wille als „Träger der Freiheit“, aber nicht „der Grund“ bzw. „die Wurzel der Freiheit“); Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 133; ferner zu Thomas und zu Vitoria Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 42 ff., 46 ff. S.a. Thomas v. Aquin, Sent. Lib. II Dist. 24 q. 1,3; STh, I–II, q. 1,1 resp. („liberum arbitrium esse facultas voluntatis et rationis“); q. 13,1 resp; STh, I, q. 83,4 resp. S. aber auch Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 12, wo er den Nachweis unternimmt, dass kein Gegensatz zu Thomas bestehe; ähnlich Suárez, Disp. Met., Disp. 19 Sec. 5 N. 13. Dazu Honnefelder, Johannes Duns Scotus, S.  24 f. sowie Duns Scotus, Lect. II Dist.  25 N. 73 f.; vgl. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 133 ff.; Kaufmann, in: Busche (Hrsg.), Departure for Modern Europe, S. 167, 169.169 f. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 disp. 2, p. 9 – Es gibt demnach keinen „Befehl des Intellekts“ (imperium intellectus), der „dem Willen befiehlt“ zu wollen oder nicht zu wollen; der Intellekt vermittelt dem Willen zwar Kenntnis eines Gutes, das als Objekt erstrebenswert ist, er informiert gleichsam den Willen; die Entscheidung selbst kommt aber dem Willen zu; der Intellekt fungiert damit gleichsam als „Ratgeber“ des Willens, dem die Entscheidung, ob er dem Vernunfturteil folgt oder nicht folgt, obliegt; s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 127 ff., 135; Kaufmann, in: Busche (Hrsg.), Departure for Modern Europe, S. 167, 175.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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wahl zwischen verschiedenen Handlungsalternativen, sondern auch über das „Ob“ von Handlungen.23 Wesentlich ist hier nun, dass der sich selbst bestimmende, freie menschliche Wille selbst Zurechnungsgrund ist – der menschliche Wille ist eigenständige freie Ursache (causa).24 Weil er frei und indifferent ist, kann er selbst Handlungen hervorbringen, er ist Ursache dieser Handlungen.25 Der Wille als eigenständiger Zurechnungsgrund nimmt so auch in den Rechtslehren

Zur via media bei Suárez Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 62 ff., 85 ff., insbesondere S. 87 ff., 105,109 f., 286: Der Wille ist zwar „ursachentheoretisch primär vor jedem Akt des Intellekts konzipiert“ und in sich aus sich selbt heraus frei; allerdings bedarf er immer einer mit ihm einhergehenden Einsicht des Intellekts, sodass insoweit der Intellekt „Wurzel der Freiheit“ ist. „[D]ass eine Handlung frei ist“, setzt nach Suárez nämlich voraus, dass „sie aus einer freien Potenz (potentia libera) hervorgeht“, die selbst „Indifferenz (indifferentia) und Freiheit (libertas) enthält“. D.h., dass diese Potenz „zwischen Entgegengesetztem“ wählen und selbst „handeln oder nicht handeln“ kann (Suárez, De divina gratia, Prol. I, Cap. 1 N. 9). Über diese Fähigkeit verfügt nur der Wille (voluntas), nicht dagegen der Intellekt (intellectus) (Suárez, De divina gratia, Prol. I, Cap. 3 N. 7; ders., Disputationes Metaphysicae, Disp. 19 Sec. 5 N. 11 ff.), sodass „der Wille formell frei“ ist. Denn „der Intellekt hat nicht diese intrinische, indifferente Fähigkeit, dass er sich selbst zu einer Handlung bestimmen kann“. Der Wille dagegen verfügt über alle Voraussetzungen zu handeln, daher „kann er aus der inneren Fähigkeit, sich selbst zu bestimmen selbst handeln“. Allerdings bedarf der Wille insofern des Intellekts, als dieser das Objekt, hinsichtlich dessen der Wille indifferent ist, vorschlägt (Suárez, De divina gratia, Prol. I, Cap. 4 N. 1). Der Wille, dem formal die Freiheit zukommt, muss folglich von der Vernunft begleitet sein. Vgl. auch Lessius, De gratia efficaci, Cap.  5 N.  4 f., 15 f. („quomodo indifferentia intellectus sit radix libertatis“). 23 Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 110; s.a. Suárez, De divina gratia, Prol. I, Cap. 3 N. 7. 24 S.  im  Einzelnen dazu bei Suárez Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  66 ff., 72 ff. (nämlich freie Zweitursache [causa secunda]): Auch wenn Gott die Erstursache ist, ist der durch Verstandeserkenntnis begleitete menschliche Wille, der infolge seiner Indifferenz frei und nicht notwendig ist, selbst freie Zweitursache (vgl. Suárez, Disputationes Metaphysicae, Disp. 19 Sec. 2 N. 1 ff., 8 ff., 18 ff.; Sec. 4 N. 1 ff. [causa secunda seu voluntas creata]; Sec.  5 N.  1 ff., 11 ff.). Gott als Erstursache schließt die Freiheit des menschlichen Willens nicht aus, damit ist der Wille freie wirkende Zweitursache (causa efficiens). Vgl. Lessius, De gratia efficaci, Cap.  3 N.  23 („causa secunda est causa in suo ordine completa“); Cap.  4 N.  12, 15; s.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 150 zu Molina. 25 S.a. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 74 f. Suárez unterscheidet im Hinblick auf Ursache (causa) und Ursächlichkeit (causalitas) physische (causa physica) und moralische Ursache (causa moralis) – erstere ist für die Metaphysik relevant, letztere für die Moralphilosophie; s. dazu Suárez, Disputationes Metaphysicae, Disp. 17 Sec. 2 N. 6 sowie sogleich.

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insgesamt Bedeutung ein, wie sich später noch im Einzelnen zeigen wird.26 Weil der Wille indifferent und zur Selbstbestimmung fähig ist, wird er auch zum Zurechnungsgrund vertraglicher oder gesetzlicher Verpflichtungen; nur der Wille kann verpflichten, ihm und nicht dem Intellekt kommt die Fähigkeit zu, Verpflichtungen zu begründen (tota vis obligandi sit a voluntate27; vis obligandi, quae proprie est in voluntate28). 3.6.1.3 Willensfreiheit und Person Neben und mit der (Willens-)Freiheit gewinnt hier noch ein weiterer Begriff Bedeutung, nämlich der der Person (persona).29 Person ist dabei nach Thomas die Bezeichnung für ein vernunftbegabtes Einzelwesen (rationalis naturae individua substantia), das „Herrschaft“ über seine Handlungen hat (dominium sui actus) und damit nicht Gegenstand von Handlungen ist, sondern durch sich selbst handelt (non solum aguntur, sicut alia, sed per se agunt).30 „Herrschaft“ 26

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S. dazu unten S. 167 ff. sowie Decock, Theologians and Contract Law, p. 167 ss., 178 ss. Wie sich bereits bei Suárez’ Gesetzestheorie zeigte, kommt dem gesetzgeberischen Willen dort in Anknüpfung an Duns Scotus größere Bedeutung gegenüber der thomasischen Gesetzeslehre zu. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  5 N.  33; Dub.  1 N.  6 (zum Vertrag/Versprechen); s. ferner auch Cap. 17 Dub. 1 N. 5; vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 266 N. 9 („neque vim habent obligandi nisi ex interiori actu, quem exprimunt, atque ex intentione voluntatis se obligandi; si ab externa promissione aut donatione auferas voluntatem & intentionem internam se obligandi, tollis in foro conscientiae illius obligationem“); dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 167 ss., 178 ss. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 15, 17, 21; vgl. ferner Lib. I Cap. 14 N. 3, 13 („obligatio saepe oritur ex propria voluntate, sicut in voto, promissione, & quocumque contractu“); dazu Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 132 ff., 136: Die Verpflichtungskraft folgt aus dem Willen, nicht dem Intellekt (& non in intellectu). „Der Intellekt kann Notwendigkeit (necessitas) nur zeigen […], aber nicht zuweisen“, dagegen kann der Wille eine solche „moralische Notwendigkeit“, d.h. Verpflichtung zuweisen. Moralische Qualitäten zu erkennen obliegt dem Intellekt; moralische Qualitäten dagegen zu schaffen vermag nur der Wille (s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 15). Fehlt der Wille, dann entsteht auch keine Verpflichtung. Deswegen benötigt nach Suárez das Naturgesetz auch eines Willensaktes, da es ansonsten keine Verpflichtung erzeugt (s. dazu unten S. 189 ff.). Das Gesetz selbst setzt nach Suárez freilich sowohl einen Willens- als auch einen Verstandesakt voraus, denn damit der Wille weiß, zu was er verpflichtet, bedarf er des Intellektes, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 20 f. sowie oben bereits S. 93 ff. Umfassend zur Entwicklung des Begriffs „der mit Würde ausgestatteten Person“, den „Platon und Aristoteles, ja die Griechen überhaupt, die Römer und die gesamte Antike, auch die christliche Antike“ nicht gekannt haben, Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 11 ff., 23 ff. et passim.; s. ferner Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 109 ff. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 29,1 resp. (im Anschluss an den Personbegriff bei Boethius); zum Personbegriff bei Thomas s. Schockenhoff, ThPh 65 (1990), 481, 483 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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über die eigenen Handlungen (dominium sui actus) und damit (Willens-)Freiheit stehen folglich in Zusammenhang mit dem Personbegriff.31 Der Mensch verfügt dabei nach Thomas notwendig über einen freien Willen.32 Im Gegensatz zu Tieren handelt der Mensch aufgrund eines freien Urteils (iudicium), weil nicht der natürliche Instinkt, sondern die Vernunft handlungsleitend ist.33 Der Mensch ist nicht auf eine Handlungsalternative determiniert, sondern verfügt durch das freie Urteil über Handlungsalternativen.34 Deshalb gibt es auch für den Menschen „Ratschläge, Aufforderungen, Gebote, Verbote, Belohnungen und Strafen“.35 3.6.1.4 Willensfreiheit als Grund von Gesetzes- und Rechtsfähigkeit Mit der Vernunft und dem freien Willen ist deshalb noch ein weiterer Aspekt verbunden: das Gesetz.36 Weil der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, kann er seine Handlungen selbst bestimmen.37 Das Prinzip, durch das Handlungen bestimmt werden, bzw. „der Grund und die Regel des Handelns“ (ratio et regula operandi) ist das Gesetz.38 Weil der Mensch vernunftbegabt (rationalis) ist, kann er den Grund (ratio) seines Handelns erkennen.39 Nach Thomas sind nur vernunftbegabte Wesen zur Aufnahme und Befolgung des Gesetzes befähigt (Sola rationalis creatura susceptiva legis).40 Wie Suárez später sagt, ist der Mensch als freies vernunftbegabtes Wesen (creatura rationalis; intellectualis) „nicht nur des Gesetzes fähig“ (capax legis), sondern das Gesetz „ist auch notwendig, damit der Mensch seiner Natur entsprechend leben kann“ (convenienter suae naturae vivere possit).41 Aufgrund der Willensfreiheit gibt es Zurechnung, Schuld (imputetur aliquid ad culpam vel ad meritum), Strafen 31 32 33 34 35 36

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S. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 29,1 resp.; s.a. Schockenhoff, ThPh 65 (1990), 481, 486; LutzBachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S.  109, 112 f. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 83,1 resp.; I–II, q. 113,3 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 83,1 resp.; vgl. auch Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 58 ff., 103 ff. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 83,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 83,1 resp. Der Zusammenhang von Gebot und freiem Willen begegnet freilich bereits bei Augustinus, s. etwa Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, De gratia et libero arbitrio, II,3 f. Vgl. zum Zusammenhang von freiem Willen und Gesetz bei Suárez Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 55 ff., 76 ff. Thomas, Summa contra Gentiles, Lib. III, Cap. 114 N. 2. Thomas, Summa contra Gentiles, Lib. III, Cap. 114 N. 2 u. 3. Thomas, Summa contra Gentiles, Lib. III, Cap. 114 N. 3. Thomas, Summa contra Gentiles, Lib. III, Cap. 114 N. 4. So Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 3 N. 3; Cap. 6 N. 1; s.a. Thomas, Summa contra Gentiles, Lib. III, Cap. 114 N. 2 u. 5.

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und Belohnungen (poena vel praemium).42 Aus der Willensfreiheit resultiert so auch die rechtliche Verantwortung des Menschen. Allerdings folgt hieraus nicht nur die Verantwortung, sondern auch die Fähigkeit, Rechte zu haben, wie Molina später zeigt: Aufgrund seiner Willensfreiheit ist der Mensch rechtsfähig (capax iuris; capax dominii), er ist Träger von Rechten, d.h. Rechtssubjekt (iuris subjectum).43 Rechts- und Schuldfähigkeit werden also auf dasselbe Prinzip zurückgeführt, nämlich die Willensfreiheit.44 Ähnliches gilt für die Vertragsfähigkeit – nur Personen können Verträge abschließen.45 Die Personalität des Menschen, die Vernunft, der freie Wille, das Gesetz, die rechtliche Verantwortung und die Fähigkeit Rechte zu haben sind so wesentliche Elemente der thomasischen und spätscholastischen Lehre. 42

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Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4, der Rechtsfähigkeit, d.h. die Fähigkeit Träger von Rechten zu sein, und rechtliche Verantwortung durch die Willensfreiheit unmittelbar parallelisiert („Est insuper homo constitutus dominus earum suarum operationum, quae facultati liberi sui arbitrii subsunt. […] eaque ratione capax est virtutis ac vitii, meriti & demeriti, dignusque laude aut vituperio, praemioque aut supplicio“). Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  18 N.  1 f. („dominii, iuris atque iniuriae sola libero arbitrio praedita capacia“; „per idem arbitrium capacia sunt dominii“). S. hierzu, auch zum dominium, umfassend Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 67, 136 ff., 152 ff. – der entscheidende Gedanke, der Molina in die Lage versetzt, explizit die Rechtsfähigkeit mit der Willensfreiheit zu begründen, liegt darin, dass bei ihm das dominium nicht aus dem ius folgt, sondern umgekehrt das aus der Willensfreiheit folgende dominium dem ius vorgelagert ist. Auch Menschen, die nur potenziell über diese Fähigkeiten verfügen (Kinder, Menschen mit geistiger Behinderung), sind rechtsfähig, d.h. können über Rechte verfügen; allerdings ist ihre Verantwortung eingeschränkt, d.h. sie sind zwar rechts-, aber nicht schuldfähig; s. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Dub. 2 p. 8 („Verum ea ex eo neque ad culpam, neque ad meritum eis imputantur, quod non discernant rationem inter bonum & malum morale, quantum satis est ad culpam aut meritum. Quare licet aliquem usum habent liberi arbitrii, non tamen habent eum, qui ad culpam ac meritum est necessarius“); ders., De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 3 („Dominium namque in potentiis fundatur, hoc est, in eo, quod secundum se & suam naturam natus quis sit uti rebus per liberum arbitrium, licet arbitrium ipsum, quoad usum, sit impeditum“). S. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 2 (Tiere können nicht Verträge eingehen, da diese „keine Personen sind und keinen Willen haben“ – „neque personae sunt, neque voluntatem habent“). Verträge setzen voraus, dass mindestens zwei Personen kontrahieren (Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 1 – „In omnibus contractibus duae, minimum, contrahentes personae requiruntur“). Schuld- und Vertragsfähigkeit werden hier parallelisiert, nach Naturrecht ist jeweils Freiheit und Vernunftgebrauch (libertas & usus rationis) erforderlich („ad contrahendam obligationem naturalem, semper eam libertatem sufficere ad contractus, quae sufficit ad peccandum“; Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 4 Sec. 2 N. 33). S. entsprechend zu Kindern und Verrückten, die keine Verträge abschließen können, da sie über keinen usum rationis verfügen, Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 4 Sec. 2 N. 16 f., 25.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Gesetz, Freiheit, Wille, Vernunft, Person, Schuld und Rechtsfähigkeit gehören hiernach zusammen.46 Wie sich zeigen wird, wird die Zentralität der Willensfreiheit das Naturrecht wesentlich prägen und so in ganz unterschiedlichen Diskussionen relevant. Der spätantike Hintergrund: Wille und Willensfreiheit bei Augustinus (Spät-)Antiker Hintergrund dieser spezifischen Anthropologie ist einerseits Aristoteles, andererseits aber vor allem Augustinus.47 Ferner spielt die Stoa für den Willensbegriff eine gewisse Rolle.48 Mit Augustinus hält die Frage nach der Willensfreiheit (liberum arbitrium) und dem Willen (voluntas) des Menschen Einzug in das abendländische Denken49; sie wird zu einem zentralen Moment der Philosophie und Theologie. Dabei entwickelt Augustinus seine Lehre über den freien Willen (De libero arbitrio) zunächst im Hinblick auf die Frage, woher das Schlechte in die Welt gekommen ist (unde malum?); d.h. ob Gott Urheber des malum (auctor mali) ist und das vom Menschen verübte Schlechte letztlich 3.6.2

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Hierzu auch Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 63 ff., 67 ff. S.  Wittmann, Die Ethik des hl. Thomas von Aquins, S.  99 ff., 106 ff., 124 ff., 146 ff.; Hödl, in: Zimmermann (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 23, 37. Im Gegensatz zu Aristoteles (zur Frage, ob der Ethik des Aristoteles überhaupt ein Konzept der Willensfreiheit zugrunde lag bzw. dort vorausgesetzt wurde – ausdrücklich entwickelt wurde es jedenfalls nicht, s. Jedan, Willensfreiheit bei Aristoteles?, S.  9 ff. et passim, 71 ff., 177 f. [ablehnend hinsichtlich Willensfreiheit]; entscheidend ist der Begriff der prohairesis) wird die menschliche Willensfreiheit bei Thomas in Anknüpfung an die patristische Theologie und insbesondere Augustinus zum bestimmenden Moment (vgl. Mertens, in: Speer [Hrsg.], Thomas von Aquin, S. 168, 177 ff.; ferner Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 724); s.a. Schermaier, in: Pichonnaz (éd.), Autour du droit des contrats, S. 49, 55, 73 ff. insoweit zum anderen heutigen Willensbegriff im Verhältnis zum römischen Recht; grundsätzlich auch zur Entwicklung des (freien) Willens Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Sp. 763 ff. Dazu Kobusch, Selbstwerdung und Personalität, S.  205 ff., 209 ff. (zum Willensbegriff: stoischer Hintergrund, Rezeption in der christlichen Philosophie der Spätantike). Für die These, dass erst mit Augustinus, an Paulus anknüpfend, der (freie) Wille als eigenständige anthropologische Kategorie, d.h. als vom Intellekt getrennte, über das Handeln bestimmende Instanz entwickelt wird, s. etwa Dihle, Die Vorstellung vom Willen, S. 138 ff., 162 („Augustin war ohne Zweifel der Erfinder des „modernen“ Willensbegriffs, den er für die Zwecke seiner spezifischen Theologie konzipierte“); ferner Brachtendorf, in: Augustinus, De libero arbitrio, S. 44 ff.; s. aber auch Jedan, Willensfreiheit bei Aristoteles?, S. 10, 71 ff. (Willensbegriff bei Aristoteles bejahend, Willensfreiheit dagegen verneinend); s.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 143 („keine Theorie der Willensfreiheit“ bei Aristoteles, aber Bedeutung der „Freiwilligkeit“); vgl. auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 198 ff.

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Kapitel 3

Gott zuzurechnen ist.50 Nach Augustinus geht das Böse aus der Willensfreiheit (liberum arbitrium; libera voluntas51) des Menschen hervor; nicht Gott, sondern der Mensch, der über Vernunft (ratio)52 und Willen (voluntas)53 verfügt, ist selbst aufgrund seiner Willensfreiheit Urheber des Bösen. Weil Gott dem Menschen die Fähigkeit zur freien Willensbestimmung verliehen hat, um richtig handeln (recte facere) zu können, ermöglicht diese Fähigkeit auch, dass der Mensch aus dem eigenen Willen und der freien Entscheidung (propria voluntas et liberum arbitrium; ex libero voluntatis arbitrio) Schlechtes tut, d.h. gegen das ewige Gesetz handelt.54 Der Wille steht dabei notwendig in der Macht des Menschen; und „weil er in seiner Macht steht, ist er frei“ (Voluntas igitur nostra nec voluntas esset nisi esset in nostra potestate. Porro, quia est in potestate, libera est).55 In seinem Spätwerk geht Augustinus erneut auf den freien Willen ein, und zwar diesmal in der gnaden- und rechtfertigungstheologischen Auseinandersetzung mit den sog. Pelagianern, die – unter Rekurs auf Augustinus’ De libero arbitrio – vertreten, dass der Mensch auch ohne göttliche Gnade Gutes vollbringen und letztlich errettet werden kann.56 Augustinus argumentiert hiergegen, dass der Mensch nach dem Sündenfall nicht kraft eigenen Willens durch eigene Taten oder Verdienst zu seinem Seelenheil beitragen kann, sondern dass er zur Rettung der göttlichen Gnade und der Rechtfertigung durch Christus bedarf.57 Ausgehend von Augustinus entfaltet sich so in der mittelalterlichen Theologie und Philosophie die Diskussion um den freien Willen, an die auch Thomas anknüpft.58 Auch bei den Spätscholastikern (Molina, Lessius, Suárez) wird daher die Willensfreiheit zu einem zentralen Thema, das in den naturrechtlichen Diskussionen Wirkung entfaltet.59 Die Diskussion um die (Willens-)Freiheit des Menschen ist dabei selbst eine philosophische, die aber

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Hierzu Brachtendorf, in: Augustinus, De libero arbitrio, S.  9 ff.; Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 1 ff., 11 ff. Zu diesem Begriff s. etwa Augustinus, De libero arbitrio, Lib. II, 5 ff. Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 61 ff. Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I,82 f. Vgl. im Einzelnen Brachtendorf, in: Augustinus, De libero arbitrio, S.  11 ff., 16 ff. sowie Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 1 ff., 11 ff., 76, 114 ff., 117; Lib. II, 1 ff., 5 ff., 178 ff., 199 ff. Augustinus, De libero arbitrio, Lib. III, 33; dazu auch Brachtendorf, in: Augustinus, De libero arbitrio, S. 47. S. Brachtendorf, in: Augustinus, De libero arbitrio, S. 8, 37 ff., 58 ff. S. dazu unten S. 157 f. S. etwa Wittmann, Die Ethik des hl. Thomas von Aquins, S. 106, 126 ff. S. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 3 ff., 126 ff. (zu Molina).

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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ihre Virulenz aus der gnaden- und rechtfertigungstheologischen Fragestellung erhält.60 3.6.3 Die Gnaden- und Rechtfertigungslehre, der freie Wille und Molinas Willensmetaphysik 3.6.3.1 Überblick Vor diesem Hintergrund nimmt es auch nicht Wunder, dass der spätscholastischen, vor allem jesuitischen Diskussion um die Rechtfertigungs- und Gnadenlehre insoweit wesentliche Bedeutung für das Naturrecht zukommt, als diese gleichsam im Hintergrund zahlreicher rechtlicher Entwicklungen steht.61 Um Molinas Rechtslehre zu verstehen, muss man seine Rechtfertigungslehre verstehen.62 Ein weiterer Grund für die naturrechtlichen Entwicklungen liegt damit auch in den durch die Reformation bedingten philosophischtheologischen Diskussionen des 16. Jahrhunderts63, d.h. vor allem in der Auseinandersetzung mit der Rechtfertigungslehre Luthers und der anderen Reformatoren.64 Diese Auseinandersetzung sollte auf katholischer Seite durch das Konzil von Trient, das im Wesentlichen die bisherige, d.h. auch die

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Zu Suárez und zum Zusammenhang von Willensfreiheit und Gnadenlehre s. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 76, 112 f.: Suárez entwickelt seine Theorie der Willensfreiheit u.a. in seiner Abhandlung De voluntario sowie in seinen Disputationes Metaphysicae, und verwendet sie darauf bezugnehmend in seiner rechtfertigungstheologischen Abhandlung De divina gratia. Damit wird also eine philosophische Metaphysik entwickelt, die grundsätzlich unabhängig theologischer Argumentation entsteht. Ihre Virulenz und Themenstellung erhält sie freilich durch die spezifische theologische Auseinandersetzung um Freiheit und Gnade (vgl. etwa Suárez, Disputationes Metaphysicae, Disp. 19 Sec. 2 N. 1: „Haec quaestio est gravissima et latissima et magna ex parte pendet ex difficultatibus theologicis quae oriuntur ex supernaturalibus mysteriis gratiae et praedestionationis divinae; hoc vero loco solum est tractanda quantum ex naturalibus principiis definiri potest“); s. ferner Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2; Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 1 ff. Vgl. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 3 ff., 126 ff. Vgl. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 3 ff., 39, 126 ff. zur Bedeutung der Willensmetaphysik bei Molina, die er in der Concordia entwickelt, für die Herausbildung und Entwicklung des Rechtsbegriffs; s. ferner aaO, S.  132 („Vor diesem Hintergrund dürfte außer Frage stehen, dass der freie Wille des Menschen in Molinas gesamtem Denken (und Wirken) nicht überbewertet werden kann“); s. ferner die Verweise in Molinas De Iustitia et Iure auf seine Concordia. Vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 46 s. Dazu Aichele, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 59, 60, 70 f.

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Kapitel 3

thomasische Rechtfertigungslehre zumindest deckt65, einen nur vorläufigen Abschluss finden.66 Denn bereits bald nach dem Konzil bricht eine innerkatholische Debatte aus, in der die hier relevant werdenden Jesuiten Molina, Suárez67 und Lessius unmittelbar als Protagonisten verwickelt sind.68 Sie versuchen dabei in Auseinandersetzung mit Augustinus, Thomas sowie Duns Scotus das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Willensfreiheit zu bestimmen.69 Molina und Lessius hängen einer Rechtfertigungslehre an, die die Bedeutung des freien Willens und die Freiheit des Menschen für die Rechtfertigung stärker betont.70 Die von Molina entwickelte Lehre wird auch als Molinismus bezeichnet und ist Gegenstand des sog. „Gnadenstreits“.71 65 66

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Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 174, 176 ff., 208 f. S. im Einzelnen Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 48 ff., 66 (mit dem Hinweis auf die Nichtaufnahme der augustinischen Rechtfertigungslehren in das Schlussdekret des Konzils), 80 ff.; Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  187; Poschmann, Buße und Krankensalbung, S.  105 ff.; Willems, Soteriologie, S.  36 ff.; allerdings auch zum von Molina ausgelösten Gnadenstreit, der zunächst unentschieden bleibt, obwohl Molinas Positionen scharfe Kritik erfahren, und erst im 17. Jahrhundert zu einer lehramtlichen Verurteilung des Jansenismus führt (s. Willems, Soteriologie, S.  47); zu den rechtfertigungstheologischen Aussagen im Konzil s.a. bspw. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 40, p. 163 f. Zu Suárez’ Position in der Rechtfertigungslehre Stegmüller, Zur Gnadenlehre des jungen Suarez,  S.  1 ff., 21 ff.; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 97, 118 ff.; Willems, Soteriologie, S. 39 f.; generell zu Suárez’ Theologie Fastiggi, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 148 ss. Umfassend zu diesem Gnadenstreit („Controversia de Auxiliis“) Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 103 ff.; s.a. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 209 ff.; Ruhstorfer, Zeitschrift für katholische Theologie 126 (2004), 257, 262 ff.; vgl. dazu auch Lessius, De gratia efficaci, Cap. 1, wo Lessius explizit auf die Kontroverse eingeht. Hierzu auch Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p.  43 ss.; zu diesem Aspekt auch (zu Vitoria) Schnepf, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 23 ff. Zur Rechtfertigungslehre der Jesuiten Martin-Palma, Gnadenlehre, S.  93 ff. Zu Molina Aichele, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  59, 69 ff.; Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 44 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p.  49 ss.; Kaufmann, in: Germann/Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S. 72, 77 ff.; Cruz, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 89 ss.; Dvorak, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 55 ss.; Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 213 ff.; Ruhstorfer, Zeitschrift für katholische Theologie  126 (2004), 257, 262 ff.; zu Bellarmins Position Tutino, Empire of Souls, p. 11 ss. Hierzu Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 44 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p.  49 ss.; Aichele, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  59 ff.; Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xi, xvi ss.; Costello, The Political Philosophy of Luis de Molina, p. 9 ss.; Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 103 ff.; Matava, Divine Causality and

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Der Molinismus betrifft das Verhältnis von freiem Willen sowie göttlicher Gnade und Vorhersehung in der Rechtfertigungslehre. Es geht im Kern um die Frage, ob zur Umkehr des Sünders (conversio peccatoris) und zur Zustimmung des Menschen zur Gnade „eine wirkende Bewegung Gottes“ (motio Dei efficax) erforderlich ist, die den Willen72 des Menschen „physisch zur Zustimmung vorherbestimmt“ (voluntatem humanam ad consensum physice praedeterminet) – ob also die zuvorkommende göttliche Gnade (gratia praeveniens)73 die (Willens-)Freiheit (liberum arbitrium; libertas) des Menschen letztlich aufhebt.74 Sowohl Lessius75 als auch Molina vertreten Positionen, die die Bedeutung des freien Willens betonen und hierdurch durchaus in gewissem Gegensatz zu Thomas stehen.76 3.6.3.2 Willensfreiheit und Rechtfertigung bei Augustinus Ausgangspunkt dieser – angesichts der Komplexität hier nur ansatzweise darstellbaren – Diskussionen ist neben Thomas77 die bereits erwähnte Gnadentheologie und Prädestinationslehre Augustinus’.78 Augustinus’ Lehre ist dabei ihrerseits als Entgegnung auf die Lehre der sog. Pelagianer entstanden: Nach

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Human Free Choice, p. 5 ss., 16 ss.; Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p.  365 ss.; Quin, Personenrecht und Widerstandsrecht, S.  345 ff.; Stegmüller, Geschichte des Molinismus, I., S. 22 ff. (insbesondere zur Geschichte des Gnadenstreits). Der Wille ist hier deswegen zentral, weil ihm die Freiheit zugeordnet wird, s. dazu oben bereits S. 145 ff. Zur Unterscheidung von zuvorkommender und nachfolgender Gnade (gratia subsequens) s. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S.  92 sowie Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 111,3 resp. Lessius, De gratia efficaci, Cap. 2 N. 1, 9 ff. (zur negativen Antwort Molinas). Zum Unterschied von praedeterminatio physica und praedeterminatio moralis bei Suárez s. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 43. Zu Lessius und seiner De gratia efficaci etwa Cruz, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 89, 109 s.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 149 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 167. Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 44; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 49; s. aber auch zur Kontinuität zum Thomismus Aichele, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 59, 77. Generell sind auch die Jesuiten wesentlich vom Dominikaner Thomas geprägt, wenngleich es ihnen eher möglich war, auch abweichende Positionen zu beziehen, s. etwa Fastiggi, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 148, 156. Molinas Concordia ist letztlich ein Kommentar zu einigen quaestiones der Prima Pars, s. Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xvii. Vgl. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 1, p. 3 ss. Umfassend zu Augustinus’ Gnadenund Rechtfertigungslehre Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 16 ff.

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Kapitel 3

dieser Lehre kann der freie Wille (liberum arbitrium) auch ohne die Hilfe göttlicher Gnade (auxilium gratiae) bewirken, dass der Mensch zum Glauben kommt und das ewige Leben erlangt – auch ohne göttliche Gnade kann der Mensch nach der Ursünde aus freiem Willen heraus Gutes bewirken und die Gebote einhalten; der Mensch kann sich danach in gewisser Weise die Rettung selbst verdienen.79 Nach Augustinus ist hingegen das Seelenheil des Menschen, der als Ebenbild Gottes über einen freien Willen (liberum arbitrium) verfügt und aufgrund dieses freien Willens durch die Sünde aus dem ursprünglichen Gnadenstand gefallen ist, nach dem Sündenfall ganz von der Gnade (gratia Dei) und Vorherbestimmung Gottes (praedestinatio) abhängig.80 Der Mensch kann nach dem Sündenfall, durch den er seine Fähigkeit zum Guten verloren hat, nicht kraft eigenen Willens durch eigene Taten oder Verdienst zu seinem Seelenheil beitragen. Er bedarf zur Rettung der göttlichen Gnade und der Rechtfertigung durch Christus. Die Rechtfertigung des Sünders geschieht durch die Gnade Gottes.81 Denn die Verdienste des Menschen gehen aus der göttlichen Gnade hervor, nur mit der Gnade kann Gutes bewirkt werden; die Gnade wird nicht nach den Verdiensten verliehen (gratiam Dei non secundum merita nostra dari)82, sie geht den Verdiensten voraus.83 Nicht durch seine Verdienste, sondern durch das göttliche Erbarmen gelangt der Mensch zum ewigen Leben; das ewige Leben ist damit „Gnade für Gnade“ (gratia pro gratia).84 Die Rettung 79

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So die Umschreibung der pelagianischen Position bei Molina, Concordia, q. 14 Art.  13 Disp. 1, p. 5; s. ferner Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, De gratia et libero arbitrio, IV, 6; VI, 15; X, 22 ff.; zur Auseinandersetzung zwischen Augustinus und den Pelagianern s. etwa Kopp, in: Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, S.  11 ff.; Brachtendorf, in: Augustinus, De libero arbitrio, S.  37; Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 25 ff. S.  etwa  Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S.  19 ff.; Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xvii s.; DTh/Stolz, I, q. 14–26, S. 383 ff. (auch zur Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus); Brachtendorf, in: Augustinus, De libero arbitrio, S.  37 ff., 58 ff.; ferner Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, De gratia et libero arbitrio, I, 1 ff.; ders., De correptione et gratia, I, 1 ff.; ders., De libero arbitrio, Lib. III, 186 f.; s.a. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 567 ff. Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, De gratia et libero arbitrio, VI, 13. Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, De gratia et libero arbitrio, VI, 13. Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, De gratia et libero arbitrio, V, 10 ff.; VI, 13 ff.; VII, 16 ff.; VIII, 20; De correptione et gratia, I, 2; II, 3. Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, De gratia et libero arbitrio, VIII, 20; IX, 21 („non pro meritis nostris Deum nos ad aeternam vitam, sed pro sua miseratione perducere“): Das ewige Leben ist deswegen „Gnade für Gnade“, weil es als Entgelt für die guten Werke gegeben wird, die ihrerseits selbst aus der Gnade hervorgehen.

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geschieht daher alleine aus der Gnade Gottes, die unwiderstehlich ist und unbedingten Vorrang vor dem Willen und den Handlungen des Menschen hat.85 Die göttliche Gnadenwahl ist so Vorherbestimmung (praedestinatio).86 Obwohl der Mensch auch nach der Ursünde über Willensfreiheit verfügt87 und das Vorherwissen Gottes (praescientia) die Willensfreiheit des Menschen nicht ausschließt88, scheint bei Augustinus der Willensfreiheit gegenüber Gott für die Rettung des Menschen keine Bedeutung zuzukommen – alles ist von der göttlichen Gnade abhängig, die auch das menschliche Wollen beeinflusst.89 3.6.3.3 Willensfreiheit und Rechtfertigung bei Thomas v. Aquin Thomas geht demgegenüber trotz Annahme göttlicher Prädestination auch von einer Bedeutung des freien Willens für das Seelenheil und das ewige Leben aus – „Gottes Wille wird notwendig immer erfüllt“90 und dennoch kommt dem Menschen Freiheit zu.91 Nach Thomas ist das ewige Leben ein Ziel, das die Fähigkeiten des Menschen übersteigt und das er nicht aus eigener Kraft erreichen kann.92 Um es zu erreichen, bedarf der Mensch der Hilfe Gottes, der ihn zu diesem Ziel hinführt.93 Grund dieser „Hinführung“ des Menschen

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S. auch zum Vorhergehenden Kopp, in: Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, S. 27 ff.; Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xvii; DTh/Stolz, I, q. 14–26, S. 384 f. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 22. S. Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, De gratia et libero arbitrio, II,2; IX, 21; XV, 31 sowie Kopp, in: Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, S. 30; vgl. auch zum Verhältnis von Gnade und Willensfreiheit Brachtendorf, in: Augustinus, De libero arbitrio, S. 58 ff. Augustinus, De libero arbitrio, Lib. III, 30 ff. Vgl. DTh/Stolz, I, q. 14–26, S. 388; s.a. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 23 („Eine Freiheit des Willens der Gnade gegenüber gibt es nicht“). Thomas v. Aquin, STh, I, q. 19,6 resp. Cruz, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 89, 93; Aichele/ Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xix; s. aber auch Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S.  94, wonach Thomas letztlich im Wesentlichen die augustinische Lehre fortführt; ferner zur Gnadenlehre bei Thomas Ruhstorfer, Zeitschrift für katholische Theologie 126 (2004), 257, 258 ff. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,1 resp.; hierzu und zum Folgenden auch Cruz, in: Aichele/ Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 89, 90 ss.; Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xviii s.; DTh/Stolz, I, q. 14–26, S. 382 ff.; s. auch oben bereits S. 74 ff.: Der Mensch kann sich nicht selbst das Seelenheil und das ewige Leben verdienen; er bedarf der göttlichen Gnade, s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 109,5 resp.; q. 114,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,1 resp.

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Kapitel 3

zum ewigen Leben ist die Prädestination (praedestinatio).94 Ausgeführt wird sie „aktiv“ durch Gott, „passiv“ bei den Menschen.95 Die Rechfertigung des Sünders vollzieht sich also dadurch, dass Gott den Menschen „die Gnade eingibt, indem er gleichzeitig den freien Willen zur Annahme der Gabe der Gnade bei denen bewegt, die zu dieser Bewegung fähig sind“.96 Dies schließt jedoch auch ein, dass bestimmte Menschen durch Gott verworfen werden (reprobatio).97 Weil bestimmte Menschen durch die göttliche Vorhersehung (divina providentia) zum ewigen Leben bestimmt werden, ist es möglich, dass bestimmte Menschen nicht zu diesem Ziel gelangen, indem sie in Schuld fallen und ihnen für diese Schuld die Strafe der Verdammung auferlegt wird.98 Prädestination beinhaltet danach eine Auswahl.99 Dass jemand gerettet oder verworfen wird, „hat keinen anderen Grund als den Willen Gottes“ (divina voluntas).100 Fraglich ist allerdings, wie sich dies mit der Annahme der Bedeutung des freien Willens verträgt und welche Bedeutung den Verdiensten (merita) des Menschen zukommt. Thomas operiert hier zur Lösung des Problems mit einer Unterscheidung von Erst- (prima causa) und Zweitursache (secunda causa).101 Gott ist dabei die Erstursache von allem, weil er allem Handeln des Menschen vorausgeht.102 Andere Gründe außer Gott, wie der freie Wille (liberum arbitrium) des Menschen, sind Zweitursachen, die auch durch die göttliche Vorhersehung nicht ausgeschlossen sind.103 Ob die Wirkung der Erstursache eintritt, kann von der Zweitursache abhängig sein; Zweitursachen können also verhindern, dass die Wirkung der Erstursache eintritt.104 Aber „kein Defekt der 94 95 96

97 98 99 100 101 102 103 104

Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 113,3 resp.; dazu auch Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S.  99 ff., wonach infolgedessen die Tätigkeit des freien Willens „kein Beitrag“ des Menschen zu seiner Rechtfertigung ist, vielmehr der absolute Primat der Gnade zukommt. S. ferner oben bereits S. 74 ff. – auch die Bewegungen des freien Willens des Menschen sind Wirkungen der wirkenden Gnade (effectus gratiae operantis; s. Thomas v. Aquin, STh, III, q. 86,6 ad prim.). Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 resp.; s.a. zur Verwerfung Biersack, Initia Bellarminiana, S. 197 ff. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,4 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,5 ad tert. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,5 resp.; s.a. Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xix; Ruhstorfer, Zeitschrift für katholische Theologie 126 (2004), 257, 260. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 3,2 resp.; q. 3,6 resp.; q. 3,7 resp.; q. 3,8 resp.; q. 44,1 resp. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,3 ad sec.; q. 23,5 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 19,8 resp.; q. 19,6 ad tert.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

161

Zweitursache kann verhindern, dass Gottes Wille seine Wirkung erzielt“.105 Gottes Wille wird immer erfüllt, weil dieser „der universale Grund aller Dinge ist“.106 Gottes Wille ist zwar zuvor darauf gerichtet, „dass alle Menschen gerettet werden, aber aufgrund der Gerechtigkeit will er nachfolgend auch, dass bestimmte Menschen gerichtet werden“.107 Die Verwerfung (reprobatio) durch Gott enthält also „den Willen zuzulassen, dass jemand in Schuld fällt und dass für diese Schuld die Strafe der Verdammung verhängt wird“.108 Die Verwerfung (reprobatio) durch Gott bildet jedoch nicht den Grund der Schuld (causa culpae) des Menschen. Diese geht vielmehr „aus dem freien Willen“ des Menschen hervor (culpa provenit ex libero arbitrio).109 Allerdings bildet die Verwerfung durch Gott den Grund der ewigen Strafe (causa poenae aeternae), die nach dem Tod für die Schuld verhängt wird.110 Auch wenn „derjenige, der von Gott verworfen ist, nicht die Gnade erlangen kann“, folgt die Sünde dennoch aus seinem freien Willen, und „wird dem Menschen daher als Schuld zugerechnet“.111 Die göttliche Prädestination hebt danach die Willensfreiheit nicht auf (libertas arbitrii non tollitur).112 3.6.3.4 Willensfreiheit und Rechtfertigung bei Molina In Auseinandersetzung mit Augustinus und Thomas beschäftigt sich Molina in seinem Traktat Concordia mit der Frage, ob menschliche Willensfreiheit (libertas arbitrii) und göttliche Vorhersehung und Vorherbestimmung (divina praescientia et praedestinatio) miteinander versöhnt werden können.113 Molina geht dabei in der Frage der Bedeutung des freien Willens für das Seelenheil des Menschen über Thomas hinaus.114 Für das Seelenheil notwendig ist der Glaube. Thomas folgend kann der Ursprung dieses Glaubens 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114

Thomas v. Aquin, STh, I, q. 19,8 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 19,6 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 19,6 ad prim. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 resp. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 ad sec. Dagegen sei die Vorherbestimmung (praedestinatio) sowohl Grund dessen, was den Vorherbestimmten im kommenden Leben (in futura vita) erwartet, als auch der Gnade in diesem Leben. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 ad sec. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 ad tert. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 ad tert.; q. 23,6 resp. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 1, p. 2; Disp. 51, p. 218 ff. Zum Verhältnis von Thomas v. Aquins und Molinas Gnaden- und Rechtsfertigungslehre, das bis heute Gegenstand von Kontroversen ist, vgl. Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xix ss.; ferner Ruhstorfer, Zeitschrift für katholische Theologie 126 (2004), 257, 262 f.

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Kapitel 3

dabei nur von Gott durch dessen zuvorkommende Gnade (gratia praeveniens) kommen, da es sich hierbei um „ein übernatürliches Ziel“ handelt, das der Mensch nicht aus eigener Kraft erreichen kann.115 Niemand kann sich selbst diese zuvorkommende Gnade verdienen, sondern diese wird den Menschen durch Christus aufgrund der Verdienste Christi verliehen.116 Wenn Menschen aber aus ihren natürlichen Kräften das unternehmen, „was in ihnen selbst ist“, dann können sie mithilfe der Gnade das tun, was zur Rechtfertigung und zur Erlangung des Seelenheils erforderlich ist.117 Nun stellt sich aber das Problem, dass Gott einerseits will, dass alle gerettet werden und auch entsprechend Gnade zuteilt, dass aber andererseits eben nicht alle gerettet werden.118 Die zuvorkommende Gnade Gottes kann also nicht alleiniger Grund der Rechtfertigung sein.119 Vielmehr steht es nach Molina im freien Willen (liberum arbitrium) des Menschen, ob er tatsächlich auch den Glauben annimmt.120 Allerdings stellt sich hier die Frage, inwieweit diese Bedeutung des freien Willens mit der Prädestination und der Vorkenntnis Gottes (praescientia) vereinbar ist. Molina operiert zur Beantwortung dieser Frage – vereinfacht dargestellt – mit der scientia media als einem mittleren Wissen Gottes aller zukünftiger möglicher Ereignisse. Mittels dieser scientia media weiß Gott im Vorhinein, wie Menschen unter gegebenen Umständen handeln und ob eine bestimmte Person unter bestimmten Umständen die Gnade annehmen wird, und teilt entsprechend die Gnade zu – aber die Entscheidung, ob der Mensch diese Gnade auch annimmt, obliegt dem Willen des Menschen selbst.121

115 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 8 f., p. 28. 116 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 9, p. 28; Disp. 10, p. 31. 117 Molina, Concordia, q. 14 Art.  13 Disp.  10, p.  31; s.a. p.  32 („facienti quod in se est, Deus numquam negare gratiam“); zu Letzterem auch Ruhstorfer, Zeitschrift für katholische Theologie 126 (2004), 257, 263 f. 118 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 10, p. 31 f. 119 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 12, p. 36. 120 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 12, p. 36 f. 121 Dazu Molina, Concordia, q. 14 Art.  13 Disp.  52, p.  227 ff.; s.a. Costello, The Political Philosophy of Luis de Molina, p. 10 s.; Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xxi; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 50 ss.; Dvorak, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 55 ss.; Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 104; Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 365, 372 ss., 389 ss.; Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 216; Ruhstorfer, Zeitschrift für katholische Theologie 126 (2004), 257, 263 f.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 131 f.; vgl. auch Lessius, De gratia efficaci, Cap. 4 N. 14.

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Der Mensch erhält daher hinreichende Gnade (sufficiens), die zur Erlangung des Seelenheils potenziell ausreicht.122 Allerdings wird nicht jede hinreichende Gnade auch zu einer wirkenden (efficax), d.h. rechtfertigenden Gnade, kraft derer der Mensch das ewige Leben erreicht.123 Wirkende, d.h. rechtfertigende Gnade unterscheidet sich von der hinreichenden Gnade nicht substantiell, sondern nur darin, dass Gott mittels der scientia media bereits weiß, ob der Mensch diese aus freiem Entschluss auch annimmt.124 Der Unterschied von wirkender und nicht wirkender (inefficax) Gnade betrifft nach Molina also nur die Wirkung (effectus); ob die Wirkung eintritt, hängt vom freien Willen ab.125 Hinreichende Gnade wird dann zur wirkenden Gnade, wenn der freie Wille des Menschen diese aus seiner Freiheit (pro sua libertate) zur wirkenden Gnade macht, obwohl ihm das Gegenteil möglich gewesen wäre.126 Ob also die den Menschen gegebenen Gnadenmittel die Rechtfertigung bewirken, hängt „von der freien Zustimmung und von der Kooperation des freien Willlens des Menschen ab“ (a libero consensu & cooperatione arbitrii nostri).127 Es steht „in der freien Macht“ des Menschen (in libera potestate), die ihm gegebene Gnade wirksam werden zu lassen.128 Der Mensch hat für sein Seelenheil hinreichende Gnade erhalten; ob er aber letztlich gerettet wird, hängt davon ab, ob der Mensch in seiner Freiheit die ihm gegebene Gnade auch annimmt.129 Damit scheint ein Unterschied zwischen Thomas und Molina darin zu bestehen, dass bei Thomas die wirkende Gnade den Willen selbst gleichsam innerlich bewegt, wohingegen sie nach Molina äußeres Hilfsmittel ist, dessen Wirksamkeit von der Kooperation und dem freien Willen des Menschen

122 123 124 125 126 127 128 129

Vgl. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 40, p. 164, 165. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 40, p. 164 f. Costello, The Political Philosophy of Luis de Molina, p. 11. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 40, p. 165. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 40, p. 165. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 40, p. 165. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 40, p. 165. Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 365, 366; Aichele/ Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xxii; vgl. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 40, p. 165. Die dem entgegengesetzte Position (vor allem des Dominikaners Domingo Bañez [1528–1604]) geht hingegen davon aus, dass die Rettung ganz vom göttlichen Willen und der göttlichen Prädestination abhänge; Gnade sei immer „wirkende Gnade“, aber nicht allen Menschen sei „wirkende Gnade“ gegeben worden, s. Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p.  365, 366; Aichele/Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xxiii ss.; Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 103 ff.; umfassend zu Bañez Matava, Divine Causality and Human Free Choice, p. 37 ss. et passim.

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Kapitel 3

abhängig ist.130 Nach Molina hebt die göttliche Gnade so nicht die Freiheit des Menschen zugunsten einer bloßen Passivität auf. Vielmehr wird dem Individuum und seiner Freiheit ein selbständiger Raum der Entfaltung zuerkannt, in dem er die Gnade Gottes annehmen oder zurückweisen kann.131 3.6.3.5 Die Bedeutung von Molinas Willensmetaphysik für das Naturrecht Für die Entwicklung des Naturrechts ist dies in doppelter Hinsicht relevant132: zum einen kommt dem Naturrecht selbst eine größere Rolle zu, weil dem Menschen und seinem freien Handeln für das Rechtfertigungsgeschehen eine größere Bedeutung zugemessen wird; zum anderen hat die stärkere Betonung der menschlichen Willensfreiheit sowie die Verortung der Freiheit im Willen auch inhaltliche Konsequenzen für das Naturrecht. Es ist daher kein Zufall, dass die Jesuiten Molina, Lessius und Suárez Protagonisten des Gnadenstreits waren und zugleich für die Entwicklung des Naturrechts so bedeutsam wurden. Die jesuitische Perspektive legt besonderen Wert auf die Persönlichkeit des Individuums und seine Willensfreiheit.133 Verbunden mit dieser theologischen Frage nach der Willensfreiheit ist zugleich die generelle philosophische Frage, ob es Zweitursachen (wie den freien Willen des Menschen) gibt, die unabhängig von einer Erstursache nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Freiheit (absque necessitate, cum libertate) wirken.134 Bejaht man, dass der Wille des Menschen eine solche Zweitursache ist, die nicht notwendig, sondern frei wirkt, dann kann diese freie Ursache 130 Ebenfalls zu einem Vergleich von Thomas und Molina s. Aichele/Kaufmann, in: Aichele/ Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. xiii, xix ss.; ferner auch Ruhstorfer, Zeitschrift für katholische Theologie 126 (2004), 257, 262 f. 131 Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 104; Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  44; Aichele, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  59, 69 ff., 72 ff., 79 ff.; Costello, The Political Philosophy of Luis de Molina, p. 12 s. 132 Vgl. auch jüngst Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 3 ff., 39, 126 ff. zur Bedeutung der Willensmetaphysik bei Molina, die er in der Concordia entwickelt, für die Herausbildung und Entwicklung des Rechtsbegriffs, s. ferner S. 132 („Vor diesem Hintergrund dürfte außer Frage stehen, dass der freie Wille des Menschen in Molinas gesamtem Denken (und Wirken) nicht überbewertet werden kann“). 133 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  28; zur Willensfreiheit und Anthropologie bei Molina auch Aichele, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p.  3 ss.; Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 365, 368 ss., 375 ss.; vgl. auch Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 213, wonach „der antireformatorische Akzent auf der Freiheit“ „die Gnadenlehre dem autonomistischen Menschenbild des Humanismus als ihrem natürlichen Verbündeten in die Arme treibt“. 134 Vgl. Suárez, Disputationes Metaphysicae, Disp.  19 Sec.  2; dazu auch Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 66 ff., 72 ff.

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auch selbstbestimmt Wirkungen hervorrufen; der Wille kann so auch selbst rechtsgestaltend tätig werden.135 Der Mensch kann danach in moralischer Hinsicht etwas durch seinen Willen aufgrund seiner Freiheit bewirken, er kann kausal werden.136 Die Zentralität des freien Willens und der Aktivität und Eigenwirksamkeit der menschlichen Person prägt so auch die Rechtslehre der Jesuiten, beispielsweise im Vertragsrecht, bei der Entwicklung subjektiver Rechte oder in der politischen Theorie.137 Wie sich später noch zeigen wird, vollziehen sich bei Molina und Lessius im Kontext dieser Willensmetaphysik konkrete rechtliche Veränderungen: zunächst eine Begründung der Rechts- und Schuldfähigkeit aus der Willensfreiheit heraus138; eine konsequente Entwicklung des Rechtsund Eigentumsbegriff aus (Willens-)Freiheit und Wille139; damit verbunden eine Fortentwicklung der Haftungsrechts, das zwar bereits seit Vitoria subjektivrechtlich konstruiert wird, aber nun sowohl auf Aktiv- als auch auf Passivseite auf der Willensfreiheit basiert140; ein Vertragsrecht, das ganz auf der Verpflichtungskraft des Willens aufbaut und hiervon ausgehend konstruiert wird, wobei sich insoweit eine Kontroverse zwischen Molina und Lessius um den Vertragsbegriff entwickelt.141 Neben Suárez’ Lehre vom moralischen Sein, auf die gleich noch näher einzugegehen sein wird142, ist so Molinas „Willensmetaphysik“143 entscheidende transformative Kraft der rechtlichen Entwicklungen. Beiden Entwicklungen liegen spezifisch theologische Diskussionen zugrunde: bei Suárez vor allem die Christologie144; bei Molina die Auseinandersetzung um die Willensfreiheit und die Gnaden- und Rechtfertigungstheologie. Im Molinismus zeigt sich schließlich in besonderer Weise ein Gegensatz zur augustinisch geprägten Rechtfertigungslehre Luthers und Calvins, die im Verhältnis zu Gott von einer völligen Aufhebung des menschlichen freien Willens ausgehen und die Rechtfertigung ganz der göttlichen Vorherbestimmung und 135 S. dazu oben bereits S. 145 ff. 136 S. dazu gleich noch S. 173 ff. 137 Vgl. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 3 ff., 126 ff. (zum subjektiven Recht); Decock, Theologians and Contract Law, p.  167 ss. (zum Vertragsrecht); Bach/ Stiening/Brieskorn, Suárez, De Legibus, Lib. II, Einleitung XXVI f.; Bach/Brieskorn/ Stiening, Suárez, De Legibus, Lib. III Teil 1, Einleitung, S. XXIII (zu Suárez’ Rechts- und Staatstheorie); zu Bellarmin etwa Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 145 ff. 138 S. dazu unten S. 151 ff. 139 S. dazu unten S. 280 ff. 140 S. dazu unten S. 344 ff. 141 S. dazu unten S. 365 ff. 142 S. dazu sogleich S. 173 ff. 143 Zu diesem Begriff Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 3 ff., 39, 126 ff. 144 S. dazu sogleich S. 167 ff.

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Kapitel 3

Gnade zuweisen.145 Luther hatte mit Erasmus von Rotterdam zwischen 1524 und 1526 eine Debatte über das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Willensfreiheit geführt.146 Diese bildete eine der Kernauseinandersetzungen der Reformation und wurde so auch zu dem zentralen theologischen Thema des 16. und 17. Jahrhunderts.147 Molina hält Luther vor, dass nach diesem „der freie Wille keine Wirkung für innere Willensbestrebungen habe, durch die man etwas Gutes will“. Viemehr würden nach Luther „diese Willensbestrebungen von Gott allein wirkend erzeugt; der menschliche Wille verhalte sich daher allein passiv, wenn er etwas Gutes anstrebt“.148 Insoweit geschehe alles aus absoluter Notwendigkeit, „der freie Wille habe danach keine Herrschaft über die eigenen Handlungen“ (liberum arbitrium nullum dominium habere in suos actus)149 – auf Luthers Rechtfertigungslehre ist später noch näher einzugehen.150 145 S. etwa Luther, Daß der freie Wille nichts sei, WA 38 (603) 603 ff (S. 7 ff. et passim); Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 1, p. 6 f.; s. Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 44; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 142 ff., 145 ff.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 176 f.; s. dazu auch unten noch S. 224 ff. 146 S. Luthers Antwort auf Erasmus von Rotterdams „De libero arbitrio diatribe vel collatio“ Luther, Daß der freie Wille nichts sei, WA 38 (603) 603 ff. (S. 7 ff.). 147 S. etwa Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 48; Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 39; ferner auch Luther selbst, Luther, Daß der freie Wille nichts sei, XV., WA 38 (603) 787 (S.  248); s.a. Döring, Pufendorf-Studien, S.  95 zur Relevanz der Auseinandersetzung um die Prädestinationslehre für Pufendorf. 148 Molina, Concordia, q. 14 Art.  13 Disp.  1, p.  6; dazu auch Kaufmann, in: Busche (Hrsg.), Departure for Modern Europe, S. 167, 174. 149 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 1, p. 7 (auch zu Melanchthon und Calvin). 150 S. dazu sogleich S.  224 ff. Diese Rechtfertigungstheologie und Anthropologie sind dabei auch mit einer Metaphysik verbunden, die gegenüber Thomas eine Akzentverschiebung vornimmt (Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  30 f.; Honnefelder, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], „Auctoritas Omnium Legum“, S.  3, 13 ff.) und auch Bedeutung für die Naturrechtslehre hat. Einer der Gründe für die Ausweitung der Naturrechtsordnung dürfte daher auch der Einfluss des Nominalismus sein, der im Spätmittelalter wirkmächtig gewesen ist und einen wesentlichen Einfluss auf die Spätscholastik ausgeübt hat (Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 34 ss.; vgl. auch Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter [Hrsg.], Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 105,108 f., 112 f.). Dem Nominalismus ging es dabei grundsätzlich um das Konkrete, auf das Einzelne in rechtlich-ethischen Fragen Bezogene, was für die Spätscholastiker besonders bedeutend war (Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 34 ss.). Auch in der Metaphysik bei Suárez (hierzu etwa Shields, in: Hill/Lagerlund [eds.], The Philosophy of Francisco Suárez, p. 57 ss.; Secada, in: Hill/Lagerlund [eds.], The Philosophy of Francisco Suárez, p. 75 ss.; Darge, in: Salas/Fastiggi [eds.], A Companion to Francisco Suárez, p. 91 ss.; Heider, in: Salas/Fastiggi [eds.], A Companion to Francisco Suárez, p.  164 ss.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  55 ff.) zeigen sich Einflüsse des Nominalismus bzw. Scotismus, die neben den Thomismus treten und teilweise

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167

3.6.4 Die Christologie, die Person und die „Metaphysik der Freiheit“ Moralisches Sein und Person 3.6.4.1 Zuvor wurde bereits kurz auf den Personbegriff eingegangen, den auch Thomas aufgreift.151 Tatsächlich gewinnt er im rechtlichen Kontext aber nicht bei Thomas152 und auch nicht bei Molina153 oder Lessius, sondern bei Suárez wesentliche Relevanz.154 Grund hierfür ist, dass der Personbegriff spezifisch mit einer Metaphysiktradition verknüpft ist, die nicht bei Thomas, sondern bei Alexander von Hales ihren Ausgangspunkt nimmt.155 Es handelt sich hierbei um eine eigenständige Traditionslinie, die sich weitgehend unabhängig von der thomistischen Tradition entwickelt156 und ausgehend von Alexander von Hales und Bonaventura157 über die Entwicklung bei Jean Gerson158

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dominieren (s. etwa Honnefelder, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], „Auctoritas Omnium Legum“, S. 3 ff., 10 ff.; Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  12, 25 f.; Heider, in: Salas/Fastiggi [eds.], A Companion to Francisco Suárez, p.  164, 190 s.). Wesentliches Anliegen Suárez’ ist dabei die Heranführung des Abstrakten und Universalen an die konkreten Gegebenheiten der Welt (Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  26; Brieskorn, in: Walther/Brieskorn/Waechter [Hrsg.], Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  105, 113). Während Thomas noch eher der Idee einer idealen Ordnung verbunden blieb, zeigt sich in der Metaphysik Suárez’ und Molinas eine konkrete Anbindung der Ordnung an die real existierenden Bedingungen des wirklichen Seins (Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  26, 30 f.; vgl. Honnefelder, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], „Auctoritas Omnium Legum“, S.  3, 13 ff.). Die Selbständigkeit und Eigenwirklichkeit der Kreatur gewinnt hierbei größere Bedeutung (Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 27; Honnefelder, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], „Auctoritas Omnium Legum“, S. 3, 14). Diese Metaphysik beeinflusst dabei auch die Rechts- und Gesetzeslehre bei Suárez (umfassend dazu Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 1 ff., 14 ff.; s. ferner Bach/Brieskorn/ Stiening, in: dies. [Hrsg.], „Auctoritas Omnium Legum“, S. XIII, XVII f.; Stiening, in: Bach/ Brieskorn/Stiening [Hrsg.], „Auctoritas Omnium Legum“, S.  97, 117 ff.; Gordley, in: Hill/ Lagerlund [eds.], The Philosophy of Francisco Suárez, p. 209, 222 ss.). S. dazu zuvor S. 150 f. Eigentlicher Ort des Personbegriffs bei Thomas ist die Gottes- und Trinitätslehre, s. etwa Thomas v. Aquin, STh, I, q. 29,3; vgl. auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 25 f. Zur fehlenden Bedeutung des Personbegriffs bei Molina s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 159, 160. Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 ff., 63 ff.; zum Personbegriff bei Suárez s. etwa Ramella, in: Faraco/Langella (ed.), Francisco Suárez 1617–2017, p. 111 ss. Grundlegend Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff. Zu Thomas v. Aquin, der diese Lehre aufgreift, insoweit Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 25 f. Zu Bonaventura in diesem Kontext Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 25, 30, 40 ff., 52 ff. Zu Gerson im Kontext der Lehre vom moralischen Sein Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 33 f.

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schließlich von Francisco Suárez aufgegriffen wird.159 Suárez integriert diese Feiheitsmetaphysiktradition („Metaphysik der Freiheit“160) in seine Moral- und Rechtslehre, und überführt die moralischen und rechtlichen Diskussionen in die „Form des Moralischen“.161 Insofern ist die Diskussion um „Person“ und „Recht“ noch durch eine weitere Entwicklung geprägt, und zwar durch die Lehre vom moralischen Sein (esse morale), deren Grundlagen zunächst in der christologischen Diskussion des 13. Jahrhundert entwickelt wurden.162 3.6.4.2

Suárez’ Beschäftigung mit der Christologie im kontroverstheologischen Kontext Dass Suárez mit der Lehre vom moralischen Sein eine aus der Christologie stammende Lehre aufgreift, dürfte wiederum theologisch-zeitgeschichtliche Gründe haben.163 So bildete bei Molina und Lessius noch die durch die Reformation und das Konzil von Trient bedingte Diskussion um die Rechtfertigungstheologie das zentrale Thema; die theologischen Korrespondenzwerke der rechtlichen Traktate sind die rechtfertigungstheologischen Abhandlungen (Concordia; De gratia efficaci).164 Ende des 16. Jhd. verschiebt sich der Fokus. Zentral werden jetzt die Christologie und die Frage der Menschwerdung Christi (incarnatio), d.h. konkret, wie Christus die Menschen von Sünde und Schuld befreit hat.165

159 160 161 162

Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 ff. Zu diesem Begriff Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 12, 15 ff. Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 ff., 60 ff. Dazu umfassend Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff. m.Nw. (insbesondere zu Alexander von Hales), 55 ff. (zu Suárez). S.a. aaO, S. 37 ff., 39 ff., wonach trotz einer gewissen Bedeutung von Thomas „das eigentliche Zentrum der Metaphysik des moralischen Seins die franziskanisch-bonaventurianische Tradition“ ist. S. ferner zur Entwicklung der Christologie in der Theologie des Mittelalters Ruhstorfer, in: ders. (Hrsg.), Christologie, S. 215 ff. 163 Vgl. zur Bedeutung der Christologie in der posttridentinischen Zeit und zu Suárez Courth, Christologie, S. 28 ff., 34 ff.; s. ferner auch Marschler, Die spekulative Trinitätslehre, S. 49 ff. 164 S. dazu zuvor S.  155 ff.; ferner etwa die zahlreichen Verweise bei Molina, De Iustitia et Iure (z.B. Tract. I Disp. 1 N. 8 f.) auf die Concordia. Molina entwickelt also im Rahmen der Concordia wesentliche Begriffe und Konzepte, und rekurriert auf diese dann im Rahmen seiner Moral- und Rechtslehre. 165 S. dazu unten noch S. 173 ff. sowie Courth, Christologie, S. 28 ff., 34 ff. zur Bedeutung der Christologie in der posttridentinischen Zeit und bei Suárez; ferner Dietrich, Die Theologie der Kirche, S. 191 ff., 212 ff. zur soteriologischen Bedeutung der Christologie bei Bellarmin. Interessanterweise verfasst auch Grotius eine theologische Abhandlung zum Thema De Satisfactione Christi; s. dazu unten noch S. 239.

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Die Gründe für diese neue Zentralität der Christologie dürften dabei durch die „Kontroverstheologie“ bedingt sein.166 In Auseinandersetzung mit der reformatorischen Themensetzung werden nunmehr die Christologie und ihre Verbindung mit der Ekklesiologie zum Dreh- und Angelpunkt der theologischen Diskussion.167 Maßgeblich hierfür sind zunächst der Jesuit Robert Bellarmin und sein kontroverstheologisches Werk, das im zeitlichen Umfeld von Suárez’ De Incarnatione erscheint.168 Ziel ist, der Reformation ein gegenreformatorisches Theologieprogramm entgegenzusetzen, das sich über die Sakramentalität und Sichtbarkeit der Kirche definiert.169 Bellarmin verbindet auf diese Weise Ekklesiologie, Christologie und Soteriologie, indem er die Kirche als sichtbares „Heilsmittel“ versteht, „das in der Nachfolge Christi dessen Heilsdienst fortsetzt“.170 Wohl auch vor diesem kontroverstheologischen Hintergrund verfasst Suárez sein Werk über die Menschwerdung Christi (De Incarnatione), in dem er umfassend auf Alexander von Hales und Bonaventura eingeht. Von dieser Beschäftigung her dürfte sich die Integration der ursprünglich christologischen Lehre vom moralischen Sein in die danach fortentwickelte Moral-, Rechts- und Gesetzesphilosophie bei Suárez ergeben.171 Auch bei den nachfolgenden post-suárezianischen De Iustitia et Iure-Autoren Lugo (1583–1660) und Antonio Pérez (1599–1649) sind die theologischen Korrespondenzwerke, in denen zunächst der Rechtsbegriff entwickelt wird, die christologischen Abhandlungen De Incarnatione.172 Die Diskussion um Recht und Gerech­ tigkeit verbindet unmittelbar Christologie, Soteriologie (Gerechtigkeit 166 S. insoweit zur Kontroverstheologie bei Bellarmin und der Zentralität der Christologie Dietrich, Die Theologie der Kirche, S. 191 ff. 167 Vgl. Dietrich, Die Theologie der Kirche, S. 191 ff. 168 Dazu Dietrich, Die Theologie der Kirche, S. 62 ff. (dort zur Entstehungsgeschichte; Grundlage sind Bellarmins Vorlesungen am Collegio Romano in den Jahren 1576–1588; die „Disputationes de controversiis christianae fidei“ erscheinen 1586–1593), 191 ff.; Suárez’ De Incarnatione erscheint 1590, s. etwa Gemmeke, Die Metaphysik, S. 27. 169 Vgl. etwa Dietrich, Die Theologie der Kirche, S.  192 („Daraus erwachsen weitreichende Konsequenzen für eine Kirche, die als Heilsmittel den Mittlerdienst Christi fortsetzt und als Leib Christi sichtbar gegenwärtig ist. Die Inkarnation steht als theologisches Modell bereit, das sowohl die Schrift wie die Kirche als gottmenschliche Wirklichkeiten verstehen hilft“). 170 Dietrich, Die Theologie der Kirche, S.  192, ferner S.  191 ff. („inkarnatorisches Prinzip“), 212 ff., 228 ff. 171 Zum zeitlichen Rahmen der Abhandlungen vgl. auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 26 f. 172 S. Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 ff.; ferner Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 84 („Neque haec definitio re ipsa differt ab illa, quam in materia de Incarnatione dedimus dicentes, obligationem iustitiae esse obligationem institutam in favorem, & gratiam alterius ad usum aliquem liberum ipsius“).

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Gottes – Gnade – Verdienste und Satisfaktion Christi) und Moraltheologie – es geht jeweils um dieselben Begriffe.173 Wenn also mit und nach Suárez die Lehre vom moralischen Sein und der Personbegriff Wirkung auf die Rechtsentwicklungen entfalten, dann ist dies wohl auch Folge der neuen Bedeutung der Christologie. 3.6.4.3 Der christologische Hintergrund 3.6.4.3.1 Der spätantike Ausgangspunkt: Boethius und sein Personbegriff Bevor näher auf die Lehre vom moralischen Sein eingegangen wird, ist zunächst der Hintergrund des Personbegriffs zu behandeln. So kommt dem Personbegriff in der römischen Antike ursprünglich im Kontext des Theaters Bedeutung zu.174 Ausgehend von dieser Begriffsbestimmung wird er auch in der Rhetorik sowie in der römischen Rechtslehre aufgegriffen; auch wenn der Bedeutungsgehalt hier variiert, benutzt die im Recht vorherrschende Begriffsverwendung den Begriff als Synonym zum Menschen.175 Für die Theologie sind dabei aber zunächst zwei andere, nämlich griechische Begriffe relevant: prosopon (προσωπον) und hypostasis (υποστασις).176 Den Kontext dieser Begriffe bilden die Gotteslehre sowie die Christologie.177 Theologisch geht es nämlich um die Frage nach der Menschwerdung (incarnatio) Gottes und dem Wesen Christi; d.h., wie Gott Mensch geworden ist; wie es möglich ist, dass sich zwei Naturen (göttlich – menschlich; Christus „ganz Gott und ganz Mensch“) in einem konkreten Menschen miteinander vereinigen und wie sich diese beiden Naturen in Christus zueinander verhalten.178 In diesem Kontext wird nunmehr der lateinische Begriff der Person aufgegriffen. Dabei ist es vor allem Boethius Begriffsbestimmung von Person, die für die Scholastik 173 Vgl. Pérez, De Iustitia et Iure, Prooemium. 174 S. dazu sowie zur ursprünglichen Verankerung des Personbegriffs im Theater die begriffsgeschichtliche Analyse bei Rheinfelder, Das Wort „Persona“, S.  6 ff.; ferner zur Bedeutung der Spätantike für den Begriff der Person Kobusch, Selbstwerdung und Personalität, S. 348 ff. 175 Hetterich, Mensch und „Person“, S.  76 f.; Hattenhauer, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 39,40 f.; Palm, Der Staat 47 (2008), 41,43 f.; s. etwa Gaius Dig. 1,5,3 („Summa itaque de iure personarum divisio haec est, quod omnes homines aut liberi sunt aut servi“). 176 Dazu etwa Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 109 ff. 177 Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 109 ff.; s. dazu auch Ruhstorfer, in: ders. (Hrsg.), Christologie, S. 217 f. 178 S. Suárez, De Incarnatione, Praefatio, p. 1; s.a. Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 109, 110 f.; ferner generell zur Christologie in Patristik und Scholastik Kany/Ruhstorfer, in: Ruhstorfer (Hrsg.), Christologie, S. 141 ff., 215 ff.

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zum Ausgangspunkt wird.179 Danach ist Person die „individuelle Substanz der vernunftbegabten Natur“ (rationabilis naturae individua substantia).180 3.6.4.3.2 Die Lehre vom moralischen Sein bei Alexander von Hales Bei Boethius und anderen Kirchenvätern zeigt sich damit ein Zusammenhang von Person und Christologie.181 In der Theologie des 13. Jhd. kommt hier noch eine weitere Dimension hinzu: die Lehre vom moralischen Sein.182 Nach dieser auf Alexander von Hales zurückgehenden Lehre ist „Person“ (persona) – unterschieden von den Begriffen „Subjekt“ (subjectum – das natürliche Sein [esse naturale], d.h. Seele und Leib [anima et corpus]) und „Individuum“ (individuum – das vernunfthafte Sein [esse rationale], d.h. „dieser bestimmte Mensch“ [iste homo]) – ein „moralisches Sein“ (esse morale).183 Der Begriff der 179 Zum Begriff der persona bei Boethius, der ihm zwar aus dem römischen Recht bekannt war, aber zur Übersetzung der griechischen Begriffe „hypostasis“ und „prosopon“ vor allem im Hinblick auf die Christologie (zwei Naturen Christi [göttlich – menschlich], aber eine Person) entwickelt wurde, sowie zur Rezeption und Entwicklung im Mittelalter s. LutzBachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person, S. 109, 110 f.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff., 28; Schaede, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S.  31 ff. Thomas v. Aquin (STh, I, q. 29,1) und Suárez (Disputationes Metaphysicae, Disp. 34 Sec. 1 N. 13) rekurrieren hierauf. 180 Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, IV (in: Die Theologischen Traktate, S. 80). 181 Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 109, 110 f. 182 S. insoweit Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 28, ferner S. 23 ff. 183 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 f. sowie Alexander v. Hales, Glossa, Sententiarum Lib. III, Dist. VI N.  18 („Est [enim] esse naturale, et morale, et rationale. Et nota quod quando Christus dicitur secundum personam, tunc dicitur secundum esse morale; quando autem secundum naturam humanam, tunc dicitur secundum esse naturale; quando autem secundum essentiam, tunc secundum esse rationale. Unde Christus est unus secundum quod homo et secundum quod Deus, loquendo secundum esse morale; secundum vero esse naturale, Christus est duo, quoniam duae naturae; secundum vero esse rationale, Christus non dicitur quid, sed quale“); N. 25; N. 38 („Ortae autem sunt istae tres opiniones secundum triplex esse: naturale, morale, rationale; et secundum haec tria tripliciter contingit loqui de Christo. Persona res moris est, quid dicit proprietatem dignitatis; personaliter loqui de ipso, est loqui moraliter“); Dist. VII N. 25 („Ut dictum est, triplex est esse; ita quasi tria principia inveniuntur in Christo: suppositum vel subiectum, substantia prima et persona. Moraliter, persona primum est in sustinendo; naturaliter, subiectum, id est anima et corpus: deitas namque non est in ratione subiecti; secundum vero rationem, substantia prima sive iste homo“); dazu auch Lutz-Bachmann, in: Klein/ Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S.  109, 113 f. Zum christologischen Hintergrund s. Gößmann, Metaphysik und Heilsgeschichte, S.  91 ff., 101 ff. In dieser metaphysischen Debatte geht es um die Naturen (göttliche und menschliche) und das Personsein Christi angesichts der Menschwerdung Gottes; d.h. um das „Problem, inwiefern die in allen drei göttlichen Personen subsitierende Natur nur im Sohne mit der menschlichen Natur zur Vereinigung gelangt“ (aaO, S. 92).

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Person wird diesem Bereich des moralischen Seins zugeordnet.184 Bedeutung hat dies zunächst unmittelbar für die Christologie.185 Damit verbunden ist aber auch eine weitere Dimension: Der Zusammenhang von Moral, Person, Wille und Freiheit.186 Gegenstand des „Moralischen“ (genus moris) – im Gegensatz zum naturhaften Seinsbereich – ist nämlich das, was der „Herrschaft des Willens“ (dominium voluntatis) unterliegt und damit Gegenstand der Zurechnung als Schuld oder Verdienst ist; d.h. alle willentlichen Handlungen, sodass die Handlung als „moralischer Akt“ (actus moralis) Gegenstand des Moralischen ist.187 Die maßgeblichen Kategorien des moralischen Seins sind „gut“ und „böse“ sowie „Schuld“ und „Vergebung der Schuld“.188 Die Person als moralisches Sein ist damit „ontologisch verschieden“ von dem Dinghaften, es bildet sich eine eigene selbständige sittliche Wirklichkeit, die von dem Natur- und Dinghaften unterschieden wird – es gibt demnach einen eigenen Seinsbereich des Moralischen.189 Dadurch „wird die Person als das Individuum im Bereich des esse morale von allen Dingen dieser Welt qualititativ unterschieden“, der Mensch wird „als Person, d.h. insofern ihm die Seinsweise des esse morale zukommt, mithin der Mensch als Wesen der Freiheit, das als solches Würde besitzt, für die Metaphysik thematisch“.190 3.6.4.3.3 Person und Würde Das moralische Sein der Person wiederum begründet die Würde (dignitas) – die Begriffe Person und Würde stehen in innerem Zusammenhang.191 Auch 184 185 186 187

188 189 190 191

S. näher Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff., 28 ff. Dazu näher Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 37 ff. S. (und zitiert nach) Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 38 mit Verweis auf Durandus a Sancto Porciano (wiederum ähnlich zu Thomas v. Aquin, Sent. Lib. II Dist. 24 q. 3 a. 2 resp.: „Peccatum enim […] non est aliud quam inordinatus actus ad genus moris pertinens; ibi incipit genus moris, ubi prima dominium voluntatis invenitur“); s.a. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 6 Prooemium („Moralis igitur consideratio quia est humanorum actuum“); q. 18,6 resp. („neque actus exteriores habent rationem moralitatis, nisi inquantum sunt voluntarii“); q. 18,9 resp.; q. 20,6 ad sec. („actio et passio pertinent ad genus moris, inquantum habent rationem voluntarii“); II–II Prooemium (zur materia moralis); ferner Kobusch, aaO, S. 39 ff. (insoweit unter Verweis auf die franziskanisch-bonaventurianische Tradition). Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 44 ff., 48 ff. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 37, 63. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 27. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 25; Alexander v. Hales, Glossa, Sententiarum Lib. III, Dist. VI N. 38; s.a. Gößmann, Metaphysik und Heilsgeschichte, S. 102 m.Nw. (persona enim est nomen dignitatis).

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Thomas nimmt daher auf diese Lehre Bezug, wenn er sagt, dass, „weil es große Würde ist in der vernunftbegabten Natur für sich zu bestehen, jedes Individuum der vernunftbegabten Natur Person genannt wird“ (quia magnae dignitatis est in rationali natura subsistere, ideo omne individuum rationalis naturae dicitur persona).192 Der Gedanke der Würde wird später auch beim von der Lehre vom moralischen Sein besonders beeinflussten Lugo aufgegriffen: Wegen der Würde der menschlichen Natur (ex dignitate & nobilitate humanae naturae) ist der Mensch nicht Eigentum anderer noch darf er zum Nutzen anderer missbraucht werden (non debet fieri generantis, nec adduci ad ultilitatem alterius).193 Ebenso wird der Begriff der Würde der Person (dignitas) dann in der Rechtslehre bei Pérez zentral: Rechtsverletzung ist nichts anderes als Verletzung der Würde der anderen Person.194 Die Lehre vom moralischen Sein bei Suárez 3.6.4.4 3.6.4.4.1 Der christologische Ausgangspunkt Es ist vor allem Suárez, der diese Lehre vom moralischen Sein und die „Metaphysik der Freiheit“ aufgreift und fortentwickelt.195 Dabei geht es zunächst auch wieder um die christologische Frage, die bereits bei Anselm von Canterbury zentral war196: Wie hat Christus als Mensch die Menschen mit Gott versöhnt und von Sünde und Schuld befreit?197 Entscheidend ist hier der Gedanke, dass die Person Christi infolge ihrer göttlichen Natur eine unendlich 192 Thomas v. Aquin, STh, I, q. 29,3 ad sec.; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 25 f. 193 S.  Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 7 („nam filius est quidem filius patris; non tamen est aliquid suum sicut servus. Ratio autem oritur ex dignitate & nobilitate naturae humanae, quae facit, ut licet aliae res inanimatae, ac etiam animatae irrationales, ratione productionis fiant ipsius producentis: homo tamen propter nobilitatem suae conditionis, non debet fieri generantis, nec adduci ad utilitatem alterius […]“). 194 S. Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 54 („Dico ergo omnem iniuriam sive factam Deo, sive factam homini aut Angelis afferre malum contemptivum dignitatis patientis iniuriam. […] Patet ergo manifeste, omnes iniurias convenire in ratione mali contemptivi contemptu contrario aestimationi verae, quae debetur dignitati cuiusque“); ferner Disp. II Cap. 2 N. 22 („Ad ius polyticum non sufficit distinctio voluntatum physica, sed etiam moralis quatenus ita habentur pro distinctis ut unaquaeque habeat vim obligandi alteram, seu dignitatem, ad quam attendere altera debeat, ne propria utatur libertate cum praeiudicio alienae“ – die Würde des anderen ist also zu achten, sodass die eigene Freiheit nicht zum Schaden der Freiheit anderer ausgeübt werden darf); zum Begriff der dignitas näher Pérez, De Incarnatione, Tract. V Disp. 5 Cap. 2 N. 4 ff., 21, 26. 195 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  55 ff.; s.a. Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 109,115 f. 196 S. dazu oben bereits S. 43 ff. sowie Ruhstorfer, in: ders. (Hrsg.), Christologie, S. 219 ff. zum Hintergrund dieser Diskussion bei Anselm von Canterbury; ferner Anselm v. Canterbury, Cur Deus homo, Lib. II q.6 ff. 197 S. Suárez, De Incarnatione, Disp. IV, p. 27 ff.

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große Würde besitzt.198 In der Person Christi werden göttliche und menschliche Natur miteinander vereint.199 Es ist die Person, der die Handlungen zugerechnet werden.200 Die unendliche Würde dieser Person „fließt“ danach moralisch in das Genugtuungs- und Versöhnungswerk (satisfactio), sodass dem Erlösungswerk Christi (die freie Hingabe seines Lebens durch den Tod am Kreuz201) selbst ein unendlich hoher Wert zukommt.202 Die Person ist nämlich Urheber der Handlungen, weshalb die Person und ihre Würde (dignitas) auch die Wirkungen der Handlung beeinflussen; „der moralische Wert“ einer Handlung hängt von „der handelnden Person“ und ihrer Würde ab.203 Das 198 S. etwa Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec. 4, p. 35; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 256. 199 Dazu näher Suárez, De Incarnatione, Disp. VIII Sec.  2 ff., p.  186 ff.; Disp. XI Sec.  1 ff., p. 232 ff.; Disp. XII Sec. 1 ff., p. 249 ff. 200 Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec.  4, p.  37 („nam ex Verbo & humanitate vere ac propriissime consurgit una persona, & unum ens per se; & ideo illi personae in eo statu constitutae per se tribuuntur, quae secundum utramque naturam illi conveniunt“); p. 39. 201 Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec. 4, p. 39. 202 Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec. 4, p. 35 („quia satisfactio crescit in valore ex dignitate personae satisfacientis; sed persona satisfaciens in Christo est infinitae dignitatis; ergo & opera ejus sunt infiniti valoris ad satisfaciendum“); p. 38 („Quod autem hic respectus ad personam operantem infinitam conferat ad valorem moralem infinitum, probatur quia persona operans moraliter est quasi forma propria actionis suae, unde illam dignificat, & aestimabilem reddit […]; ergo, ubi persona est infinita, confert valorem cujusdam infinitae rationis & dignitatis“); p. 39; p. 41 („[…] quodlibet opus Christi fuit infinitae satisfactionis. Et ratio est, quia persona operans per se ipsam informat opus moraliter loquendo, & se ipsam submittit obsequio alterius, cui satisfacit, & ideo dignificat opus infinite“; „sicut infinitas satisfactionis in ratione satisfactionis pendet praecipue ex persona offerente, ita infinitas operum Christi in ratione pretii & redemptionis principaliter pendet ex dignitate personae redimentis“); dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 256. 203 Trotz der menschlichen Natur kommt also der Versöhnungstat unendlicher Wert zu wegen der Person Christi, s. Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec. 3, p. 33 („Respondetur, Christum, ut Christum […] non tamen sic satisfacit ut homo; quia licet humanitas sit formale principium, quo efficitur actio satisfactoria, non est tamen totalis ratio, unde suum valorem habet satisfactio; sed haec ex persona operante maxime oritur […]. Unde simpliciter & absolute satisfacit hic homo, seu Deus homo, qui non est minor Dei“); Disp. IV Sec. 4, p. 37 („persona confert valorem operi ut moralis circumstantia ejus“; „moraliter persona operans, & dignitas ab illa proveniens sit circumstantia operis“), p.  38 („[…] ipse etiam Deus illos moraliter afficit atque dignificat; quae dignitas, quamvis proveniat actionibus media unione humanitatis, quae est quid creatum in ipsa, tamen ab ea solum est tamquam a conditione necessaria: a persona autem Verbi sumitur formaliter, tamquam a persona, quae per seipsam sanctificat, tam naturam, quam actus ejus, & consequenter confert illias valorem & dignitatem unicuique proportionatam […]“; „Actiones per se sunt suppositorum, & personarum, & ideo substantialis dignitas, & perfectio ipsius personae semper per se confert ad valorem & dignitatem ipsius operis, quia in suo genere influit in illud“).

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Erlösungswerk Christi konnte die Menschen deswegen von der Sünde befreien und mit Gott versöhnen, weil aufgrund der unendlichen Würde der Person Christi auch die freie Hingabe seines Lebens einen unendlichen moralischen Versöhnungswert hatte.204 3.6.4.4.2 Freiheit als Fundament des Moralischen Während Suárez seinen Personbegriff im Kontext dieser christologischen Frage entwickelt205 und dabei mit der Lehre vom moralischen Sein verbindet206, entfaltet er die Lehre vom moralischen Sein primär in seiner Moralphilosophie sowie – damit korrespondierend207 – in der Gesetzeslehre.208 D.h. 204 Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec. 3, p. 33 („nam sicut gravitas offensionis crescit ex dignitate personae offensae, ita satisfactionis valor & dignitas maxime sumitur ex persona satisfaciente; sed Christus, qui satisfecit Deo pro peccatis hominum, erat persona infinitae dignitatis; id etiam, quod in satisfactionem obtulit, fuit vita & sanguis divina, quae erant res infiniti valoris“); Sec.  4, p.  39 („Fundatur enim in hoc, quod actus personae Christi habent dignitatem quandam vere infinitam, & ideo habent etiam valorem infinitum, quantum in eo genere esse possit. […] Utrumque declaro ex diverso modo, quo persona operans afficit suam operationem & moraliter influit in illam […]; & ideo tota dignitas, vel bonitas actus inde orta, est in suo genere finita, at vero persona operans quodammodo per se ipsam informat moraliter suam operationem“). 205 Eigentlicher Ort der Entwicklung des Personbegriffs ist freilich die Metaphysik, s. Suárez, Disputationes Metaphysicae, Disp. 34. 206 Vgl. vor allem Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec. 4, p. 41 f., ferner p. 34 ff. 207 Zu diesem werkübergreifenden Ansatz bei Suárez, wodurch letztlich eine konsistente Theorie entwickelt wird, grundlegend Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 1 ff., 14 ff. 208 Vgl. Gemmeke, Die Metaphysik, S.  20 ff., 26 f.; s. nämlich Suárez, De voluntario; De bonitate; De Legibus – also, von Thomas’ Summa Theologiae gedacht, nicht in der Tertia Pars (der Suárez’ De Incarnatione entspricht), sondern in der Prima Secundae, der Suárez’ Tractatus Quinque der Gliederung und Organisation nach folgt (De ultimo fine hominis; de voluntario; de bonitate); der Lex-Traktat ist demgegenüber selbständig (De Legibus). Trotzdem hat bei Suárez eine christologische Verschiebung stattgefunden, die der Herkunft der Lehre vom moralischen Sein entspricht. Er behandelt diese zunächst im Kontext seines Werkes De Incarnatione. Die Einflüsse der Lehre vom moralischen Sein, die er dort entwickelt, wendet er sodann in seiner Moralphilosophie sowie in der Gesetzeslehre an (vgl. zu dieser einheitlichen Konzeption bei Suárez und zu seiner werkübergreifenden Theorie vor allem Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  1 ff. et passim). Die christologische Verschiebung, die bei Suárez bereits stattgefunden hat, zeigt sich deutlich dann auch bei Lugo: Theologisches Korrespondenzwerk zu seinem De Iustitia et Iure-Traktat ist nicht – wie bei Molina (Concordia) und Lessius (De gratia efficaci) – rechtfertigungs- und gnadentheologisch, sondern christologisch (De Incarnatione; ebenso bei Antonio Pérez). Vor diesem Hintergrund ist wiederum der starke Einfluss der Lehre vom moralischen Sein bei Lugo zu sehen, der auf die Rechtslehre abfärbt; seine Begriffsbestimmung des subjektiven Rechts nimmt er nämlich zunächst in De Incarnatione vor, auf die er dann in De Iustitia et Iure verweist. Lugo (De Iustitia et Iure,

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Ausgangspunkt und Anwendungsbereich der Lehre vom moralischen Sein ist zwar zunächst die Christologie. Die dort entwickelten Kategorien werden nun aber umfassend und unabhängig von ihrem ursprünglichen Kontext der Moral- und Rechtsphilosophie zugrunde gelegt.209 Das Wesentliche des moralischen Seins ist bei Suárez dabei das „frei sein“ (esse liberum); das Moralische einer Handlung besteht darin, dass sie frei ist (in hoc esse libero fundatur totum esse morale); „Fundament des moralischen Seins“ ist das „frei sein“; Gegenstand des moralischen Seins sind die moralischen, d.h. freien Handlungen (actus moralis; actus liber).210 Das „frei sein“ wiederum kommt dem menschlichen Willen zu, der aufgrund seiner Indifferenz zwischen Gut und Böse und zwischen Handeln und NichtHandeln wählen kann.211 In dieser Freiheit ist das moralische Sein begründet: Nicht das Gesetz, sondern die Freiheit begründet das Moralische; eine Handlung ist nicht wegen des Gesetzes moralisch, sondern weil der Mensch frei und damit moralisch handelnd (morale agens) ist, ergibt sich die Notwendigkeit des Gesetzes.212 Diese Freiheit ist dem Menschen nicht als „übernatürliche Gabe“ hinzugefügt worden, sondern ist ihm „intrinsisch und konnaturell“

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Vorwort, Lectori Benevolo) betont, dass er der Gliederung nach Thomas umkehrt: zuerst die Tertia Pars (De Incarnatione), dann erst die Secunda Secundae (De Iustitia et Iure). D.h. nicht mehr, wie Ende des 16. Jhd., ist die Rechtfertigungs- und Gnadentheologie der entscheidende theologische Streitplatz, sondern die Christologie. Mit dieser Verschiebung ist verbunden, dass die in der Christologie verwurzelte Metaphysik der Freiheit und Lehre vom moralischen Sein in den Vordergrund rücken und so auch die Rechtslehren beeinflussen. Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 ff. Suárez, De voluntario, Disp.  1 Sec.  3 N.  17, 24 („hoc esse liberum, ut sit fundamentum ipsius esse moralis“); ferner N. 8 ff.; ders., De bonitate, Disp. 1 vor Sec. 1; Sec. 1 N. 4 ff., 8; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  58 f. Hierin zeigt sich freilich, dass der Begriff des Moralischen in verschiedener Weise verwendet wird; abzugrenzen vom Begriff des Moralischen in diesem Sinne ist die Gegenüberstellung von debitum morale und debitum legale, s. dazu oben S. 141 ff. sowie unten noch S. 203 f. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 58 f. mit Verweis auf Suárez, De voluntario, Disp. 1 Sec. 3 N. 7 (potest agere et non agere), 9 (liberum arbitrium formaliter et essentialiter est voluntas); s.a. zuvor bereits. S.  Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  59; Suárez, De bonitate, Disp.  1 Sec.  2 N.  10 („posita lege non ideo actus est moralis, quia regulatur per legem, sed e contrario potius, quia homo est morale agens et non habet voluntatem indefectibilem a bono, ideo indiget lege superioris inclinantis in bonum, et avertentis a malo; esse regulabile per legem supponit potius esse morale, quam illud constituat“). Ebenso gibt es auch die Verpflichtung nur wegen der Freiheit, s. Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 1 Sec. 1 N. 1 („non est autem obligatio et debitum nisi ubi libertas: quia qui necessario agit, neque indiget lege, neque propter transgressionem ejus, juste puniri posset“).

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( facultatem libere operandi esse intrinsecam homini, et connaturalem illi); die Freiheit ist „eine intrinsische Eigenschaft seiner Natur“ (intrinseca proprietas suae naturae).213 3.6.4.4.3 Die Bedeutung des Willens Der Wille (voluntas), dem die Freiheit zukommt, ist so moralische Ursache (causa moralis)214, er bringt moralische Wirkungen (effectus morales) hervor – wie die Verpflichtung aus dem Versprechen (obligatio orta ex promissione)215, die Übertragung des Eigentums durch den Willen des Eigentümers (dominium quod transferatur per voluntatem domini)216 oder die Schuld (culpa).217 Entsprechend geht es bei der Verpflichtung (obligatio), die die unmittelbare Wirkung des Gesetzes (effectus proximus) ist, um „eine moralische Verpflichtung“ (obligatio moralis); Verpflichtung ist danach „eine moralische Notwendigkeit“ (necessitas moralis).218 Das Gesetz besteht dabei nach Suárez wiederum aus einem Willens- und Verstandesakt (actus voluntatis & intellectus), wobei dem Willen die Verpflichtungskraft zukommt (vis obligandi quae proprie est in voluntate) – „der Wille schafft die Notwendigkeit“ (voluntas confert necessitatem).219 „Durch das Gesetz zu verpflichten ist eine moralische Wirkung“, die aus dem Willen, d.h. „der Freiheit des Gesetzgebers herrührt“ (effectus moralis, & pendens ex libertate legislatoris).220 Daraus wird nun auch der zuvor beschriebene Zusammenhang deutlich, dass Grund der Verpflichtung der Wille ist: der Wille bringt als moralische Ursache moralische Wirkungen wie die Verpflichtung hervor. Im Bereich des Moralischen fungiert der Wille als „Form“ der Handlung 213 214 215 216 217

Suárez, De voluntario, Disp. 1 Sec. 2 N. 15; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 59 f. Suárez, De bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 21. S.a. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7. S.a. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 8. S. dazu Suárez, De bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 1 f., 4 f.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 61 f.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 15, 17, 21. Diese Wirkungen stammen zwar aus einem vergangenen Akt (aliquid morale relictum ex praecedenti actu), aber sie sind selbst nichts Vergangenes, sondern etwas Präsentes (praesens) im Hinblick auf die moralischen Wirkungen. S.a. Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 3, wonach der reatus poenae nichts physisches, sondern ein debitum morale ist. 218 S. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 1, 4; Cap. 5 N. 15; s.a. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 („obligatio est entitas quaedam moralis“). 219 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 20 f.; Cap. 5 N. 15 sowie oben bereits S. 94 ff. 220 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 17 („Certum est enim in his effectibus moralibus, qui a voluntate pendent, agentia non operari sine intentione, vel ultra intentionem; obligare autem per legem est effectus moralis, & pendens ex libertate legislatoris“); Cap. 4 N. 8.

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(in moralibus est instar formae).221 Da nur der Wille im moralischen Sein unmittelbar in Erscheinung tritt, vollzieht sich eine wirkungsmächtige Verschiebung: zwar wird die Natur des Menschen immer noch über die beiden Vermögen Wille und Intellekt konstituiert, unmittelbar moralisch relevant im Sinne eines gestaltenden Prinzips ist aber nur noch der Wille. Dies ist freilich Folge des scotistischen Ansatzes, wonach dem Willen die Freiheit zukommt.222 Der Wille ist so die maßgebliche Zurechnungskategorie, was neben dem Vertragsrecht insbesondere im Straf- und Haftungsrecht sowie in der politischen Theorie Wirkung entfaltet.223 Was ist das Neue an dieser Lehre vom moralischen Sein? Als Beispiel kann auf das Vertragsrecht verwiesen werden. Zwar findet sich bereits in der spätmittelalterlichen Lehre die Vorstellung, dass beim Vertrag zwischen Ursache (causa) und Wirkung (effectus) zu unterscheiden ist.224 Ebenso ist die Identifizierung der Ursache (causa) mit dem Willen bei Molina und Lessius, wohl als Folge der molinistischen Willensmetaphysik, vorhanden225 – der Wille ist aufgrund seiner Freiheit der Verpflichtungsgrund, der (Rechts-)Wirkungen begründet (tota vis obligandi sit a voluntate226). Allerdings geht Suárez mit seiner Lehre vom moralischen Sein und der Zentralität der moralischen Kausalität in drei Punkten darüber hinaus: erstens dadurch, dass die moralische Kausalität hier zu einer allgemeinen Theorie wird, die nicht nur auf den Vertrag begrenzt ist, sondern mit der auch etwa die Gesetzeslehre und der gesamte Bereich des Moralischen systematisch durchdrungen wird227; zweitens dadurch, dass bei Suárez mit der moralischen 221 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 2 N. 10; vgl. Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec. IV q. 1 art. 2, p. 38 („persona operans moraliter est quasi forma propria actionis suae“ – persona operans moraliter verweist freilich auf die Freiheit und damit auf den Willen). 222 S. dazu oben S. 90 ff., 145 ff. 223 S. dazu auch Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 76 ff., 121 ff. 224 S. Summenhart, De Contractibus, Tract. I, q. 16, p. 49 („Contractus est quoddam factum (nam contractus consistit in facto) seu est quidam actus, ex quo actu, vel facto oritur obligatio ex utraque parte“; „obligatio est effectus contractus: quia obligatio nascitur ex contractu; […] ex obligatione nascitur actio“); sodann auch dazu Albornoz, Arte de los Contractos, Lib. I Tit. 1, Fol. 3 (Action und Obligacion als effectos correlativos des Vertrags); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 1 f.; dazu auch Decock, Contract Law, p. 176; ausführlich unten S. 365 ff. 225 S. dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 167 ss. 226 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  5 N.  33; Dub.  1 N.  6 (zum Vertrag/Versprechen); vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 266 N. 9. 227 S. dazu oben S. 93 ff.; vgl. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 14 ff.; ders., in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 23, 34 ff.

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Kausalität auch die Form des Moralischen verbunden ist, d.h. dass hier ein eigenständiger, vom Physischen unterschiedener moralischer Seinsbereich geschaffen wird, dessen Fundament die Freiheit ist und in dem das Recht und das Moralische als eigenständige Wirklichkeit entfaltet werden228; drittens die Zentralität der Person, die im Gegensatz zu Molina229 und Lessius hier zur maßgeblichen Zurechnungskategorie wird.230 3.6.4.4.4 Die Bedeutung der Person In welchem Verhältnis stehen nun Wille und Person? Während der Wille unmittelbares Vermögen ist, mit dem die Person handelt (principium quo), ist die Person selbst Urheber und Zurechnungssubjekt ihrer Handlungen (principium quod).231 Person und Wille sind also Prinzipien der Handlungen,

228 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63. 229 Vgl. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  159, 160 zur begrenzten Bedeutung der Person bei Molina. S. zwar auch die Rechtsdefinition bei Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 2 a.E.: Recht im Sinne der Befugnis (ius seu facultas) ist nach Molina „nichts anderes als ein Gehaben oder eine Beziehung einer Person zu dem, auf das sich diese Befugnis bezieht“ („non esse aliud, quam habitudinem, seu relationem personae, a qua habent, ad id ad quod est talis facultas“); s. gleichwohl Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 160 f., wonach Molina den Personbegriff nicht ausdrücklich diskutiert und ihm dort keine prägende Bedeutung zukommt. 230 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  63 ff. Besonders deutlich wird dies etwa bei Oñate, der seine Vertragslehre ganz um den Personbegriff aufbaut, s. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 („Quot personae, & voluntates intercedere debeant in contractibus“). 231 Suárez, De Incarnatione, Disp. IV Sec. 4, p. 37 („Actiones enim dicuntur esse suppositi, tamquam ejus, quod operatur, quia ipsum est, quod proprie et complete existit; operatio autem sequitur esse; & ideo simpliciter tribuitur ei, quod per se existit […] sed satis est, ut per naturam operetur tamquam per principium quo […]“); Sec. 5, p. 52 („nam licet verum sit, totam rationem patiendi, vel operandi esse humanitatem, tamen quod operatur, non dicitur proprie ipsa humanitas, sed homo, vel persona & suppositum, quia illi tribuitur operari, cui perfecte & simpliciter tribuitur esse, sed id quod est simpliciter, tanquam perfecte & absoluta substantia est suppositum. Et ratio hujus propria est, quia cum operari sequatur esse, non intelligitur res completa ad operandum, donec intelligatur completa ad existendum; & ideo operatio non proprie tribuitur rei, prout incompleta est in existentia sua, quomodo significatur nomine humanitatis, sed prout absolute existit, ac per se, quomodo significatur nomine personae“); dazu näher Gemmeke, Die Metaphysik, S. 17, 51 ff., 84 ff., 87. Im Hintergrund steht hier freilich der spezifische Personbegriff bei Suárez, s. dazu näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 72 ff.

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Kapitel 3

wenngleich auf unterschiedliche Weise.232 Handlungen sind solche der Person, sie werden der Person zugerechnet.233 Die Person ist damit Träger der Handlungen und ihrer moralischen Wirkungen.234 Wirkgrund im moralischen Seinsbereich ist zum einen der Wille als unmittelbares Vermögen, zum anderen die Person als Zurechnungssubjekt der Handlungen.235 Ferner zeigt sich ein weiterer Aspekt: Das Gesetz richtet sich an die Person (lex fertur ad personam).236 Jeder einzelne „Mensch ist wahre Person“ (unusquisque autem particularis homo est persona vera).237 Der Mensch ist „des Gesetzes fähig“ (capax legis), weil er „moralischer Handlungen fähig“ (capax actuum moralium) ist; das Gesetz ist wiederum „die Regel moralischer Handlungen des Menschen“ (regula moralium operationum hominis).238 Es gibt aber nicht nur die „wahre Person“ (persona vera), d.h. den einzelnen Menschen (particularis homo; particularis persona), sondern auch die „fiktive Person“ (persona ficta), die diese wahre Person imitiert, d.h. eine Gemeinschaft (communitas) von Menschen als moralische Einheit (unio moralis), 232 Vgl. Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, p. 36 f.; ders., Disp. Met., Disp. 34 Sec. 7 N. 18; ferner Disp. 18 Sec. 2 N. 1 („principium quod suppositum est, sicut in caeteris actionibus“); ders., De bonitate, Disp. 1 Sec. 2 N. 21; s.a. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 84 ff., 91, 183 ff. („Diese Freiheit als Macht der Herrschaft oder der Autorität des freien Willens ist die sittliche Freiheit, die zur causa moralis wird“), 186. 233 Suárez, De Incarnatione, Disp.  4 Sec.  4, p.  37 („Actiones enim dicuntur esse suppositi, tamquam eius, quod operatur, quia ipsum est, quod proprie & complete existit“; „actio per se attribuitur subsistenti in tali natura“), p. 38 („Actiones per se sunt suppositorum, & personarum“); Sec. 5, p. 52; ders., Disp. Met., Disp. 34 Sec. 7 N. 8, 18; dazu auch Gemmeke, Die Metaphysik, S. 76, 84 ff., 91. 234 S. Gemmeke, Die Metaphysik, S. 91 („Wie die Person Subjekt der sittlichen Akte ist, so ist sie auch Subjekt der sittlichen Wirkungen, Subjekt von Rechsverbindlichkeiten und Rechtsansprüchen“; Fn. weggelassen). 235 Vgl. zu dieser Diskussion Suárez, De Incarnatione, Disp. 4 Sec. 4, p. 36 f.; ders., De Voto, Lib. III vor Cap. 1 (persona und Wille/Intellekt als causa efficiens; Wille/Intellekt als facultas proxima); Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 vor Sec. 1 N. 2 f. (dafür, dass nur die Person causa efficiens ist, die Willensakte dagegen das Wesen des Vertrags bilden). 236 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7. Dieser Zusammenhang erklärt sich wiederum durch den Personbegriff: Das Gesetz, das eine moralische Ausrichtung etwas zu tun (ordinem moralem ad aliquid agendum) meint, richte sich an die verstandesbegabte Natur (pertinens ad naturam intellectualem), weil nur diese zu einer solchen Ausrichtung fähig sei (Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 4 N. 2). Person wiederum bezeichnet eine Substanz insoweit, als es um die verstandesbegabte bzw. rationale Natur geht („persona idem est quo prima substantia vel suppositum, solumque determinat illam rationem ad naturam intellectualem seu rationalem“) (Suárez, Disputationes Metaphysicae, Disp.  34 Sec.  1 N 13). 237 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7. 238 S. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 1, 7; Cap. 3 N. 3.

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wie dies der Staat ist.239 Beide Personen sind des Gesetzes fähig (capax legis).240 Was hier im Kontext der Lehre vom moralischen Sein entsteht, ist die juristische Person (persona ficta fictione iuris).241 Im Bereich des moralischen Seins sind also Person, Wille, Gesetz, Verpflichtung, Recht und Schuld die relevanten Kategorien; diese konstituieren den moralischen Seinsbereich.242 Der moralische Seinsbereich besteht aus Eigenschaften, Ursachen und Wirkungen von freien Handlungen – es geht um die moralische Kausalität (causalitas moralis243).244 Auf diese Weise erwächst aus dem moralischen Sein eine eigenständige moralische Wirklichkeit, zu der die Handlungen und die Beziehungen der Personen, und damit auch das „Recht“ gehören.245 Vor dem Hintergrund dieser „Metaphysik der Freiheit“246 erklärt sich wiederum, was es bedeutet, wenn Suárez Recht (ius) als moralische 239 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7, ferner N. 17 ff.; Lib. III Cap. 11 N. 7 (persona ficta; corpus mysticum; communitas perfecta; vinculum morale; moralis unio; moraliter unita: die communitas ist dabei eines eigenen Gesetzes fähig [capax propriae legis]); ders., Defensio Fidei, Lib. III Cap. 3 N. 2; zum Personbegriff bei Suárez s.a. Lutz-Bachmann, in: Klein/Menke (Hrsg.), Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 109, 114 ff. Suárez (De Incarnatione, Disp. IV Sec. IV q. 1 art. 2, p. 38) versteht dabei „die Person, die moralisch handelt, als eigentliche Form ihrer Handlung“ („persona operans moraliter est quasi forma propria actionis suae“), weshalb jene diese mit Würde versieht („unde illam dignificat“) – auch hier zeigen sich Bezüge von Person und Würde; s. ferner zum Personbegriff Suárez, Disputationes Metaphysicae, Disp. 34 Sec. 1 N. 13. 240 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 7. 241 S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 64 f. („Es scheint deutliche Anzeichen dafür zu geben, dass Suarez den Staat als „juristische Person“ im modernen Sinne, d.h. als ein selbständiges Rechtssubjekt verstanden hat“). Instruktiv dazu Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 1 N. 7 ff., 24, nämlich zu der Frage, wie „fiktive Personen“ wie Bürgerschaften, Ordensgemeinschaften und Gemeinschaften Verträge eingehen können, obwohl sie ja selbst nicht über einen eigenen Willen (voluntas) verfügen („cum verae personae non sint, nec veras voluntates habeant; sed fictas fictione iuris“) – es sind also durch das Recht geschaffene Personen. Ebenso wie diese fiktiven Personen Eigentum haben können, können sie auch Verträge schließen, und zwar durch einen fiktiven Willen (non propria, sed ficta etiam voluntate). Weil „sie fiktive Personen sind, kontrahieren sie durch einen fiktiven Willen, aber immer durch den wahren Willen der Stellvertreter, die diese fiktive Person vertreten“ („Quia ergo sunt fictae personae, contrahunt per fictam voluntatem, sed semper per veram sui procuratoris, aut repraesentantium eam fictam personam“). 242 Vgl. Suárez, De bonitate, Disp. 1 vor Sec. 1; Sec. 3 vor N. 1; Disp. 11 vor Sec. 1; dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 60 ff. 243 Suárez, De bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 1 ff. 244 Vgl. Suárez, De bonitate, Disp. 1 vor Sec. 1; Sec. 3 vor N. 1; Disp. 11 vor Sec. 1; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 60 ff. 245 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63. 246 S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 19 ff.

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Kapitel 3

Befugnis ( facultas moralis) definiert.247 Es geht beim Recht nicht um etwas Physisches (physicum), sondern um etwas dem Bereich des moralischen Seins Zugehöriges (morale).248 Schließlich zeigt sich auch ein Zusammenhang von der Lehre vom moralischen Sein und der Dualität der Foren: Maßstab der Gut- oder Schlechtheit menschlicher Handlungen ist das Gewissen (proxima regula bonitatis et malitiae humanorum actuum).249 Das Gewissen ist folglich Bestandteil der Ordnung des moralischen Seins; das Gewissensforum ist der „Gerichtshof“ im Bereich des moralischen Seins.250 3.6.4.4.5 Zusammenfassung Die Lehre vom moralischen Sein erhält zwar ihre Relevanz zunächst durch die theologische Fragestellung.251 Sie entfaltet sich aber sodann als selbständige moralphilosophische Theorie, die durch die Begriffe Person, Würde, Wille, Freiheit, Gesetz, Recht und Gewissen konstituiert ist. Man wird die Lehre vom moralischen Sein insofern als eine Art Theorie einordnen können, die die moralphilosophische Tradition letztlich auf ein neues gedankliches Konzept, das seinen Ausgangspunkt in der Freiheit nimmt, verlagert und damit in eine eigenständige Form bringt.252 Suárez greift also eine zunächst 247 S. dazu oben S. 131 f. sowie z.B. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5. 248 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 34 (mit Verweis auf Gerson); ebenso auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 3 („hanc potestatem non esse quid physicum, sed morale“); s. zu weiteren Einflüssen der Lehre vom moralischen Sein z.B. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 1 N. 5 f. Nach anderer Deutung (s. etwa Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht,  S.  161 f.) ist der Begriff facultas moralis hingegen dahingehend zu deuten, dass hierdurch eine moralische Dimension des subjektiven Rechts gemeint ist. 249 S. Suárez, De bonitate, Disp. 11 vor Sec. 1; Disp. 12 vor Sec. 1; zum Gewissen s. oben bereits S. 111 ff. 250 Vgl. Suárez, De bonitate, Disp.  12 Sec.  2 N.  1. Hier zeigt sich auch der Zusammenhang vom moralischen Seinsbereich, d.h. der Moralphilosophie, und der Moraltheologie: Der Konnex dieser beiden Disziplinen ist das forum internum. Das Gewissensforum ist zugleich das forum Dei (s. dazu oben S. 105 ff.). Durch den Konnex des forum internum wird dieser moralische Seinsbereich mit dem moraltheologischen Bereich des forum Dei und des forum poenitentiale verbunden. Ungeachtet dieser Verbindung besteht aber der moralische Seinsbereich als unabhängige selbständige moralische Entität; deswegen sind auch Moraltheologie und Moralphilosophie eigenständige Disziplinen mit je eigenem Gegenstand und Erkenntnismethode; vgl. insofern auch Gabriel Vázquez, Comm. I–II, Praefatio in Tractatum de Legibus N. 2; Suárez, De fine hominis, Prooemium, N. 7. 251 Vgl. Suárez, De fine hominis, Prooemium, N. 4,7 f.; ferner oben bereits S. 167 ff. 252 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 55 ff., 60 ff.

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selbständig verlaufende Traditionslinie der mittelalterlichen Philosophie und Theologie (Metaphysik der Freiheit, Lehre vom moralischen Sein) auf und nimmt deren Kategorien, um die thomistisch geprägte Moralphilosophie und die thomistisch-scotistische Gesetzeslehre theoretisch auf ein neues Fundament zu stellen. Dreh- und Angelpunkt dieses neuen Modells ist die Freiheit als Fundament des Moralischen sowie die Person als zentraler Wert und Zurechnungssubjekt.253 Dies wird sodann auch für die Rechtsentwicklung entscheidend: Während Suárez mit den Kategorien der Lehre vom moralischen Sein die Moralphilosophie und die Gesetzeslehre durchdringt, wenden nachfolgende Autoren diese Lehre auf die konkrete Rechtslehre an: Pedro de Oñate (1568–1646) auf das Vertragsrecht254, Juan de Lugo und Antonio Pérez vor allem auf den Rechtsbegriff sowie das Haftungsrecht.255 Aus der Verbindung der thomistischen Naturrechtstradition mit der Freiheitsmetaphysiktradition folgen so konkrete rechtliche Folgen: die Zentralität des Personbegriffs für das Recht256; die Konstruktion des Rechts in der Form des Moralischen, d.h. die Entwicklung eines eigenständigen moralischen Seinsbereichs, der auf Freiheit, Wille und Person aufbaut und dessen Konstruktionsformen Kausalität und Zurechnung sind257; die Entwicklung eigenständiger moralischer Kategorien (subjektives Recht als facultas moralis258; Verpflichtung als necessitas moralis259; Vertrag als res moralis260 etc.)261; eine konsequente Konstruktion des Vertragsrechts in diesen Kategorien bei Oñate; eine Diskussion um den subjektiven Rechtsbegriff auf Grundlage der Kategorien des moralischen Seins, d.h. Person, Wille,

253 254 255 256

257 258 259 260 261

Vgl. auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63. Dazu Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 121 ff. S. dazu Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 106 ff., 131 ff. Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63 ff.; es geht hier freilich um einen anderen Personbegriff als den des römischen Rechts sowie des juristischen Humanismus, s. dazu oben bereits S.  170 ff. sowie auch Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 82 ff. Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63; näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 72 ff. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 1 a.E. („necessitatem […] moralem, quae obligatio dicitur“), 4 („necessitatem quandam operandi, vel non operandi“). Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 5 Sec. 1 N. 238 („Ratio est, quia contractus est res moralis, unde moralem possibilitatem requirit, & moralem libertatem exigit“). Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 60 ff.

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Kapitel 3

Freiheit und Würde262; ausgehend davon ergeben sich wiederum Impulse für die Entwicklung des Haftungsrechts263. Auf Lessius und Molinas Rechtslehre, die das Recht ausgehend von Thomas vor allem im Kontext der Willensmetaphysik transformieren, folgt hier nun eine neue Entwicklungsstufe, die ausgehend von Lessius und Molina die dort entwickelten Rechtslehren mithilfe der Lehre vom moralischen Sein durchdringt und so theoretisch auf ein neues Fundament stellt.264 Neben Molinas Willensmetaphysik wird so Suárez’ Lehre vom moralischen Sein zur maßgeblichen transformativen Kraft der rechtlichen Entwicklungen.265 Im Hintergrund stehen jeweils theologisch-philosophische Entwicklungen: bei Molina und Lessius die Rechtfertigungstheologie und die Auseinandersetzungen im Kontext des Gnadenstreits; bei Suárez die Christologie und die in deren Kontext entwickelte Lehre vom moralischen Sein. Damit vollzieht sich auch ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel: Während zuvor die aristotelischthomistische Gerechtigkeitslehre im Zentrum naturrechtlichen Denkens stand, werden jetzt die Kategorien Person, Wille, Freiheit und (subjektive) Rechte zu den Konstituenten des Naturrechts.266 3.6.4.4.6 Die Kritik bei Ockham und Gabriel Vázquez Bereits hier ist aber darauf hinzuweisen, dass die Lehre vom moralischen Sein von Beginn an umstritten ist.267 So ist es zunächst Ockhams erkenntniskritische Kritik, die die Fundamente der Lehre vom moralischen Sein betrifft.268 Ockham unterscheidet zwischen subjektivem und objektivem Sein – real ist entweder das Objekt oder das Erkennen des Subjekts, d.h. alles Reale wird auf das Erkennen des Subjekts rückbezogen.269 Daneben gibt es keine Realität – dem Erkannten an sich, unterschieden von den Naturdingen, die Gegenstand

262 263 264 265 266

Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 106 ff. S. dazu Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 106 ff., 131 ff. S. dazu unten S. 206 f. S. dazu unten im Einzelnen S. 206 f. Es wäre freilich unrichtig, hierin einen Bruch zu Thomas v. Aquin zu sehen, da sich diese Kategorien bereits bei ihm ausgebildet finden; gleichwohl kommt ihnen nun bei den jesuitischen Spätscholastikern eine andere zentralere Bedeutung zu. 267 S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56, 178. 268 Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56, 178. 269 S. Ockham, In I Sent. Ord. I, Dist. 35 Q. IV, p. 470 („omne imaginabile vel habet esse reale et subiectivum, vel obiectivum. Si subiectivum, igitur est realis. Si obiectivum, igitur tunc cognoscitur vel est volita, et sive sic sive sic, sequitur quod est cognita“), ferner p.  472 („dominium“ als „relativum rationis“).

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der Erkenntnis sind, kommt keine Realität zu; hierin liegt eine Reduktion der Seinsbereiche auf letztlich einen Seinsbereich.270 Ähnlich gestaltet sich später die Kritik an den entia moralia bei Suárez’ Kontrahenten Gabriel Vázquez: Dem Moralischen selbst kommt keine Realität zu, es ist eine Gedankenrelation (relatio rationis); real ist nur der Wollens- bzw. Erkenntnisakt des Subjekts, auf den es bezogen ist.271 Das Moralische konstituiert danach keinen eigenständigen Seinsbereich und ist nichts „Reales“, sondern reines Gedankending (relatio rationis; ens rationis).272 Die entia moralia sind folglich nichts Reales, sondern Gedankenrelationen, die mit dem Wollen und den freien Handlungen verbunden werden.273 Das Gesetz ist nach dieser Auffassung nur insoweit moralisch, als es auf den freien Willensentschluss des Gesetzgebers zurückgeführt wird.274 Der Diebstahl erhält seine moralische Schlechtheit daraus, dass diesem freie Willensakte vorangegangen sind (die Begründung des Eigentums des Eigentümers; das Fehlen eines Willensaktes als Einwilligung in die Wegnahme).275 Bereits Gabriel Vázquez’ Gesetzesbegriff war konträr zu Suárez’, was erhebliche Kontroversen verursachte.276 Sodann geht es aber auch um die moralische Qualität des Rechts selbst.277 Gerade diese Kritik wird auch im Folgenden wirkmächtig bleiben.278

270 S. zu dieser Reduktion der Seinsbereiche bei Ockham grundlegend Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56 Fn. 136, 178; ders., Sein und Sprache, S. 181 ff. 271 Vgl. Gabriel Vázquez, Comm. In I–II, Disp. 129 Cap. 7 N. 23; Disp. 95 Cap. 10 N. 46 f.; dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56; Gemmeke, Die Metaphysik des sittlich Guten, S. 12, 168 f. 272 S. Gabriel Vázquez, Comm. In I–II, Disp. 129 Cap. 7 N. 23; Disp. 95 Cap. 10 N. 46 f.; dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56; Gemmeke, Die Metaphysik des sittlich Guten, S. 12, 168 f. 273 S. deutlich Gabriel Vázquez, Comm. In I–II, Disp. 95 Cap. 10 N. 47 („Primo in iis, quae sunt mala, quia prohibita, oppositio cum natura rationali pendet ex libera voluntate ferentis legem, ea enim libere posita, idem actus sit peccatum, qui antea non erat, & definit esse ea ablata; relatio autem, quae pendet ex libera voluntate ferentis legem, non est realis, ergo nec malitia moralis, & ratio peccati, sicut relatio rationis, qua vox ad suum significatum refertur, non potest esse realis, quia ex libera impositione hominis pendet“). 274 Gabriel Vázquez, Comm. In I–II, Disp. 95 Cap. 10 N. 47. 275 Gabriel Vázquez, Comm. In I–II, Disp. 95 Cap. 10 N. 47 („furtum enim, ut sit peccatum, debet esse rei alienae, quae in alterius dominio est. esse autem in alterius Dominio pendet ex libera hominum voluntate, debet etiam fieri contra voluntatem Domini“). 276 S. dazu unten noch S. 192 f. 277 Vgl. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 56, 178. 278 S. dazu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 173 ff.; s. ferner Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 219 ff.

186 3.7

Kapitel 3

Das Naturrecht

3.7.1 Voraussetzungen und Grundlagen des Naturrechts Gegenstand der Gerechtigkeit ist das Recht, und Recht ist entweder positives Recht oder Naturrecht.1 Nach Darstellung des Verhältnisses von Recht, Gesetz und Gerechtigkeit ist daher näher auf das Naturrecht und seine konkreten Inhalte in der thomasischen und spätscholastischen Lehre einzugehen, sowie sodann auf die Veränderungen, die diese Naturrechtslehre in der Neuzeit erfahren hat. Diese Naturrechtslehre nimmt maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der westlichen Rechtstradition in der Neuzeit, wie im Folgenden dargestellt wird. Wie bereits gezeigt worden ist, gelang es Thomas und den Spätscholastikern, durch die Dualität von forum internum und forum externum das Verhältnis von natürlichem und menschlichem Gesetz zu klären.2 Hierin erweist sich ein wesentlicher Unterschied zu den antiken Naturrechtslehren, bei denen entweder das Naturrecht unverbunden neben dem ius civile bzw. dem positiven Recht stand (so im klassischen römischen Recht, ferner bei Aristoteles3), das Naturrecht zum Maßstab des positiven Rechts wurde bzw. dieses legitimierte (so bei Cicero4) oder das Naturrecht überhaupt nicht konkret rechtlich verstanden wurde.5 1 S. dazu oben S. 129 f. 2 S. dazu oben S. 101 ff., 117 ff. 3 Vgl. Scattola, Das Naturrecht vor dem Naturrecht, S.  9 („Die mittelalterliche Philosophie verstand das Naturrecht als eine Reihe von Geboten oder Gesetzen, die von Natur aus im Menschen wirken, und erklärten Aristoteles für den Begründer dieser Lehre, obwohl sich eine ähnliche Naturrechtsidee nur mit großem Vorbehalt sowohl bei Aristoteles als auch bei anderen griechischen Philosophen wiederfinden läßt“); ferner zur Transformation der aristotelischen Tugendethik bei Thomas durch die Verbindung mit dem Naturrecht Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 15, 16 ff. 4 Vgl. Scattola, Das Naturrecht vor dem Naturrecht, S.  25 ff., 27 f., wenngleich aber Scattola Cicero insoweit für die Quelle des juristischen Naturrechts hält, als nach Cicero bestimmte Normen oder Neigungen unter das Naturrecht selbst fallen. Unbeschadet dessen entwickelt sich bei Cicero jedenfalls keine umfassende Naturrechtsordnung, s. Nickel (Hrsg.), De Legibus, Einführung, S. 290 f. („Cicero benutzt die Philosophie des Naturrechts zur argumentativen Absicherung des mos maiorum und des sich daraus ergebenden positiven Rechts; er versucht nicht etwa, aus dem Naturrecht Normen und Gesetze abzuleiten. Er läßt sich auf das Wagnis einer Deduktion von Normen aus dem Naturrecht nicht ein, sondern stabilisiert und modifiziert vorhandenes und überliefertes Recht mit Hilfe des Naturrechts“). 5 S.a. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S. 233, 240 f. zum Verständnis des Naturrechts im kanonischen Recht, wonach „allenfalls Interpretationsmaßstäbe für das positive Recht aus dem Naturrecht abgeleitet wurden“, sich aber keine feste überpositive Rechtsordnung wie später in der Spätscholastik und bei Grotius bildete.

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Indem die Scholastik die Bedeutung des Gewissens und des Gewissensforums herausarbeitete, wurden menschliches Gesetz und Naturrecht in ein solches Verhältnis gesetzt, dass das menschliche Gesetz unabhängig bleibt und einen eigenen Geltungsbereich hat, aber gleichzeitig das Naturrecht nicht wirkungslos bleibt, sondern den Menschen im Gewissen verpflichtet.6 Es wird damit eine doppelte Rechtsordnung7 geschaffen, ohne dass das weltliche Recht in seiner Geltung aufgehoben worden wäre. Aufgrund der Dualität der Foren bildet sich die Konzeption einer Naturrechtsordnung.8 Thomas und die Spätscholastiker entwerfen daher keine Rechtsordnung, die das geltende positive Recht im forum externum verdrängen, ersetzen oder aufheben würde. Vielmehr entwickeln sie das Naturrecht als Rechtsordnung, die den Menschen in seinem Gewissen verpflichtet und damit im Gewissensforum gilt.9 Es geht ihnen nicht um eine Ablösung der geltenden menschlichen Rechtsordnung, sondern darum, den Menschen Handlungsanleitungen zu geben, damit diese ihr Handeln so ausrichten können, dass sie zum „letzten Ziel“ ihres Lebens, d.h. der Glückseligkeit gelangen.10 3.7.2 Das Naturrecht bei Thomas v. Aquin und den Spätscholastikern 3.7.2.1 Das natürliche Gesetz bei Thomas v. Aquin Die Schlüssel für das Verständnis des Naturrechts und seiner Wirkungen finden sich zunächst bei Thomas v. Aquin.11 Das natürliche Gesetz ist nach Thomas „etwas durch die Vernunft Aufgestelltes“ (aliquid per rationem constitutum; opus rationis).12 Gegenstand des natürlichen Gesetzes ist die Unterscheidung zwischen „gut“ und „böse“, wobei diese Unterscheidung durch „das Licht der natürlichen Vernunft“ erreicht wird.13 Die Gebote des 6 7 8 9 10 11

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Vgl. dazu auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 83 ff., 91 ff. S.a. Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 93 („Reduplikation des Rechts innerhalb der Religion“). Vgl. Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 91 ff. Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 91 ff., 94 ff. Vgl. Suárez, De Legibus, Prooemium, p.  1, 3; s.a. Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 86; Repgen, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 187,188 f., 192 ff. Umfassend zum natürlichen Gesetz bei Thomas sowie den verschiedenen Deutungen Schockenhoff, Naturrecht und Menschenwürde, S.  145 ff., 154 ff.; Bormann, Natur als Horizont sittlicher Praxis,  S.  15 ff., 193 ff.; Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S.  139 ff., 144 ff.; s. ferner auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd.  1, S. 753 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,1 resp. sowie oben bereits S. 68 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,2 resp.; dazu näher Bormann, Natur als Horizont sittlicher Praxis, S. 208 ff.

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natürlichen Gesetzes (praecepta legis naturae) ergeben sich daraus, was „die praktische Vernunft (ratio practica) als menschliches Gut (bona humana) auffasst“; d.h. hiernach bestimmt sich, was zu tun und was zu unterlassen ist.14 Das Naturgesetz enthält so eine Ordnung der Gebote (praecepta) und dabei zunächst als oberstes Gebot den Grundsatz, „das Gute zu tun und zu erstreben und das Böse zu meiden“ (bonum faciendum et prosequendum, et malum vitandum).15 In diesem obersten Grundsatz sollen die anderen Gebote des Naturgesetzes ihre Wurzel haben.16 Als „gut“ ordnet die Vernunft dabei all jenes ein, wozu „der Mensch eine natürliche Neigung (inclinatio naturalis) hat“: erstens ist dies die natürliche Neigung zur Selbsterhaltung (Erhaltung des eigenen Lebens), die allen Wesen (substantia) gemein ist; d.h. alles, was dieser Selbsterhaltung dient, gehört zum natürlichen Gesetz; zweitens gibt es eine artbezogene Neigung, die allen Sinnenwesen (animalia) gemein ist, wie „die Vereinigung von Mann und Frau“ und die „Kindererziehung“; drittens gibt es die Neigung „zum Guten gemäß der Natur der Vernunft“ (secundum naturam rationis), die dem Menschen als vernunftbegabtem Wesen eigentümlich ist; das natürliche Gesetz umfasst daher beispielsweise das Gebot, die anderen nicht zu verletzen.17 Entsprechend gehört zum Naturgesetz, dass „der Mensch geneigt ist, vernunftgemäß zu handeln“ (agendum secundum rationem).18 Die „praktische Vernunft“ bedient sich dabei des Schlussverfahrens (Syllogismus), woraus sich Schlussfolgerungen (conclusiones) ergeben.19 So umfasst das natürliche Gesetz nach Thomas zunächst allgemeine Grundsätze (communia principia), die sich auf das Allgemeine beziehen und die allen von sich selbst aus bekannt sind.20 Aus diesen allgemeinen Grundsätzen können im Wege der Vernunfttätigkeit Schlussfolgerungen (conclusiones) abgeleitet werden.21 Auch diese Schlussfolgerungen gehören zum natürlichen Gesetz. Diese Schlussfolgerungen sind 14 15 16 17 18 19 20 21

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp.; vgl. auch zur Diskussion, was bei Thomas Inhalt des natürlichen Gesetzes ist, Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 236 ff. m.w.N. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp., ad sec.; dazu aber auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 237. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 238 f.; dazu auch Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 8 N. 4; vgl. Schmeisser, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 73, 90 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,4 resp. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,1 ad sec. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,4 resp.; q. 94,6 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,4 resp.; hierzu auch Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 239 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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jedoch nach Thomas’ Auffassung nicht gleichermaßen bei allen richtig und bekannt, da sie eine Vernunfttätigkeit voraussetzen; sie können gelegentlich auch fehlerhaft sein.22 Damit begegnet Thomas den Schlussfolgerungen (conclusiones) des Naturgesetzes mit einer gewissen Skepsis: „Je mehr man zum Besonderen voranschreitet, umso eher treten Fehler auf“ (quanto magis ad propria descenditur, tanto magis invenitur defectus).23 Weiter argumentiert Thomas, dass alle Tugendakte grundsätzlich unter das natürliche Gesetz fallen, da der Mensch geneigt ist, vernunftgemäß zu handeln und „dies bedeutet tugendgemäß zu handeln“.24 Hier ergibt sich der bereits erörterte Zusammenhang von natürlichem Gesetz und den Tugenden, insbesondere der Tugend der Gerechtigkeit. Tugendakte können folglich unter das natürliche Gesetz fallen, indem das natürliche Gesetz sie gebietet. Soweit das Naturgesetz die Tugendakte der Gerechtigkeit enthält, handelt es sich um Naturrecht, das den Gegenstand der Tugend der Gerechtigkeit bildet.25 3.7.2.2 Das natürliche Gesetz bei Suárez und den Spätscholastikern 3.7.2.2.1 Ursprung und Verpflichtung des natürlichen Gesetzes In Anknüpfung an Thomas versteht Suárez das natürliche Gesetz als „natürliche Anordnung der rechten Vernunft“ (dictamen naturale rectae rationis).26 Nicht die vernünftige Natur selbst, sondern die dieser inhärente Fähigkeit, Handlungen danach zu beurteilen, ob sie der vernünftigen Natur entsprechen, konstituiert das Naturgesetz.27 Das natürliche Gesetz hat seinen Sitz in der Vernunft (in ratione) des Menschen als „intrinsische nächste Regel menschlicher Handlungen“ (proxima regula intrinseca humanorum actionum).28 Insoweit aber, als die Gesetzesdefinition bei Suárez auch einen Willensakt (voluntas) des Gesetzgebers verlangt, operiert Suárez mit einer weiteren Differenzierung, worin sich der Einfluss des scotistischen Voluntarismus zeigt.29 So weist 22 23 24 25 26

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Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,4 resp.; dazu auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 148 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,4 resp.; s.a. DThA/Utz, Recht und Gerechtigkeit, S. 289 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,3 resp. S. dazu noch unten S. 199 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  5 N.  10; grundsätzlich zur Naturrechtslehre bei Suárez Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  155 ff.; Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 10 ff.; Gordley, in: Hill/Lagerlund (eds.), The Philosophy of Francisco Suárez, p. 209 ss.; Pace, in: Salas/ Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 274 ss. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 9. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 12. Hierzu und zum Folgenden auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 381 ff.; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des

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Suárez darauf hin, dass Gesetz immer auch den Willensakt eines Gesetzgebers voraussetze, wohingegen dieser beim natürlichen Gesetz offenbar fehle, da dieses eine Anordnung der natürlichen Vernunft und folglich unabhängig von jedem Willensakt sei.30 Um dieses Problem zu lösen, unterscheidet Suárez zwischen der Erkenntnis und der Verpflichtungskraft des natürlichen Gesetzes.31 Suárez greift in diesem Zusammenhang, Thomas32 folgend, die Frage auf, ob etwas schlecht und damit Sünde ist, „weil es verboten ist“, oder ob „etwas verboten ist, weil es schlecht ist“.33 Da Gott in höchstem Maße gerecht ist, missfällt ihm das, was „gegen die rechte Vernunft“ und damit schlecht ist.34 Weil „der Wille Gottes in höchstem Maße gerecht ist“ und der Vernunft nicht widersprechen kann, verbietet er das, was die Vernunft als schlecht anzeigt, bzw. gebietet er, was die Vernunft als gut anzeigt.35 Weil der göttliche Wille einmal entschieden habe, „eine vernünftige Natur zu schaffen“, die das Gute und das Schlechte erkennen und sich zwischen diesen entscheiden kann, ist es Gott unmöglich, nicht Gutes zu gebieten und Schlechtes zu verbieten.36 Danach ist das Naturgesetz nicht nur indikativ dafür, ob etwas gut oder schlecht ist, sondern echtes gebietendes Gesetz (proprie lex praeceptiva).37 Während also die natürliche Vernunft dem Menschen anzeigt, ob etwas gut oder schlecht ist, folgt das Verbot oder Gebot, also die gebietende Kraft selbst von Gott.38 Das natürliche Gesetz erhält also seine gebietende bzw. verpflichtende Kraft vom Willen Gottes.39 Damit ist das Naturgesetz auch Gesetz mit Verpflichtungskraft, die Verpflichtungskraft folgt aus dem Willen des

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Francisco Suárez, S. 91 ff.; s.a. Lutterbeck, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 53, 60 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 1. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 5 ff., 11; vgl. auch Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 93 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 ad quart.; ferner auch Augustinus, De libero arbitrio, Lib. I, 15; s.a. Mandrella, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 129, 132 zu dieser ursprünglich auf Platon zurückgehenden Frage. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 5. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 8. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 8; s.a. Lutterbeck, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 53, 61 f. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 23. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 5, 8. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 8. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  6 N.  5, 10, 13; dazu auch Stiening, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 95 f., 100 ff.; ders., in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, 341, 359 ff., 363. Dass die Verpflichtungskraft vom Willen selbst kommt, hat wesentlich auch mit der Willenstheorie bei Suárez und dem Verhältnis von Willen und Intellekt zu tun, s. dazu oben bereits S. 145 ff., 173 ff.

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Gesetzgebers40 – entsprechend Suárez’ allgemeinem Gesetzesbegriff ist die Verpflichtung (obligatio) entscheidendes Merkmal des natürlichen Gesetzes.41 Insoweit ist das natürliche Gesetz dann auch „göttliches Gesetz im eigentlichen Sinne“, weil Gott dessen „Gesetzgeber ist“.42 Daraus ergibt sich auch, dass Handeln gegen das natürliche Gesetz Sünde ist.43 In dieser Begründungsstruktur zeigen sich wesentliche Verschiebungen gegenüber Thomas, die durch die scotistischen Einflüsse nachvollziehbar werden: Die ontologisch begründeten „natürlichen Neigungen“ spielen für die Konstituierung des natürlichen Gesetzes keine Rolle mehr; maßgeblich ist die Vernunfterkenntnis, die die durch den vernünftigen Willen gesetzten Verpflichtungen nachvollziehbar macht.44 Mit dieser Auffassung wendet sich Suárez zum einen gegen den volun­ taristischen Ansatz Ockhams, wonach das natürliche Gesetz vollständig aus dem Willen Gottes stamme und somit aus von Gott aufgestellten göttlichen Prinzipien bestehe, die er auch ändern könne.45 So sei nach Ockham auch nach dem Naturgesetz etwas nur deshalb schlecht, weil es dem Willen Gottes widerspricht – unabhängig davon, ob es vernunftgemäß ist.46 Das natürliche Gesetz würde so von der Vernunft abgekoppelt und zu einem positiven göttlichen Gesetz.47 Zum anderen wendet sich Suárez gegen jene, die das Naturgesetz für ein Gesetz ohne gebietende Kraft halten, die also dem Naturgesetz nur indikative Wirkung zumessen und folglich die Gesetzesnatur letztlich absprechen.48 Diese suarezianische Theorie des natürlichen Gesetzes ist daher innerhalb der Spätscholastik keineswegs unumstritten, vielmehr zeigt sich hier eine Vielfalt. Nach Soto etwa ist das natürliche Gesetz ein durch die natürliche Vernunft erschlossenes Gesetz und damit bereits unabhängig vom Gesetzgeber eine Norm, die festlegt, was sittlich gut oder schlecht ist.49 Allerdings resultieren die Folgen des Verstoßes gegen das natürliche Gesetz, d.h. die Schuld (ratio 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

S. dazu oben S. 94 ff. S. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 10, 13; Cap. 9 N. 1 ff.; Stiening, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 101 ff.; Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 155, 158 f. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 13; s.a. Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 102. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 10. Vgl. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd.  2, S.  88 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 381 ff., 383 f. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 4. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 4. Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 4. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 3. Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 2 ff., 9.

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culpae), aus dem göttlichen Gebot, da das natürliche Gesetz vom ewigen göttlichen Gesetz abgeleitet ist.50 Bei Lessius51 finden sich stärkere Ansätze einer objektivistischen bzw. rationalistischen Begründung des Naturrechts, was ihn in gewissen Gegensatz zum Voluntarismus bringt.52 Ein ausgeprägter Rationalismus bzw. Objektivismus, der für einen göttlichen Willensakt keinen Raum mehr belässt und damit das Naturrecht weitgehend autonom begründet, findet sich schließlich bei Gabriel Vázquez.53 Suárez entwickelt seine voluntaristisch geprägte Position daher vor allem in Abgrenzung zu diesem objektivistischen Ansatz bei Vázquez.54 Nach Gabriel Vázquez geht das Naturrecht jedem menschlichen und göttlichen Willen und Verstand voraus und bedarf damit auch keiner Konstituierung durch einen göttlichen Willens- oder Vernunftakt.55 Im Gegensatz zum Voluntarismus wird so die vernünftige Natur an sich (rationalis natura ex se; natura rationalis secundum se) bzw. die natürliche Vernunft selbst (ipsa naturalis ratio recta) zum natürlichen Gesetz, das den Maßstab des Guten und Schlechten bildet – bestimmte Handlungen sind intrinsisch schlecht aus ihrer Natur, unabhängig von einem äußeren Verbot oder dem göttlichen Willen.56 Dieses „primäre“ Naturrecht, das die vernunftbegabte Natur an sich ist, wird bei Gott und in der Vernunft des 50 51 52

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Dazu Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 9 f. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 2 N. 9 („ex ipsis rerum naturis oritur; non pendet ex aliqua libera ordinatione Dei vel hominis; sed ex ipsa rerum natura“). Molinas Position ist insoweit nicht ganz eindeutig. S.  zwar  Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp. 3 N. 2 f.; Disp. 4 N. 1 f. („obligatio iuris naturalis oritur a natura obiecti, de qua est praeceptum, & non ex arbitrio praecipientis“ – „obligatio iuris positivi oritur a praecepto & voluntate praecipientis“); s. aber zum „Wandel“ in der Position Molinas Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S. 42 ff. sowie insbesondere Molina, De Iustitia et Iure, Tract. V Disp. 46 N. 14 („lex naturalis, Dei est lex“); dazu auch Kaufmann, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 9, 12 s.; vgl. aber auch Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 53 f.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 82. S. Gabriel Vázquez, Comm. I–II, Disp. 150 Cap. 3; dazu Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S. 60 ff., 70 ff.; Mandrella, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 129 ss.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 2 zur Auseinandersetzung mit Gabriel Vázquez. Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S. 180 ff.; Schmeisser, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 73, 80 f.; Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 155, 165; Pace, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 274, 278 ss. Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S. 67, 74 f.; Mandrella, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 129, 131 ss.; s. Gabriel Vázquez, Comm. I–II, Disp. 150 Cap. 3 N. 22 ff.; vgl. auch Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 2; Cap. 6 N. 1. S. Gabriel Vázquez, Comm. I–II, Disp. 150 Cap. 3 N. 23; ferner Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  5 N.  2 über die Position von Gabriel Vázquez; Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S.  70; Mandrella, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p.  129, 137

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Menschen erst als „sekundäres“ Naturrecht aktualisiert, indem hier ein Vernunfturteil entsprechend dem Naturrecht vollzogen wird.57 Damit zeigt sich eine Vielfalt der Naturrechtsbegründung in der spanischen Spätscholastik, innerhalb derer voluntaristische Ansätze objektivistischen Ansätzen gegenüberstehen, wobei Suárez in gewisser Weise eine Mittlerrolle zukommt.58 3.7.2.2.2 Inhalt des natürlichen Gesetzes Weiter erörtert Suárez die Reichweite und den Inhalt des natürlichen Gesetzes im Anschluss an Thomas, wobei sich auch hier die bereits erwähnten Verschiebungen zeigen.59 Im Gegensatz zu Thomas kommt nämlich den „natürlichen Neigungen“ (inclinationes naturales) für die inhaltliche Konstituierung keine maßgebliche Bedeutung mehr zu – entscheidend ist vielmehr die Vernunfterkenntnis als solche.60 Anknüpfend an Thomas’ Auffassung, dass das Naturgesetz das Böse verbietet und das Gute gebietet, diskutiert Suárez, ob jedes sittlich Gute und jedes Schlechte vom Naturgesetz erfasst ist oder nur „allgemeine von selbst bekannte Prinzipien“ (principia generalia per se nota).61 Suárez beantwortet dies dahingehend, dass es auf die Erkennbarkeit durch die natürliche Vernunft (naturali ratione) ankommt – alles, was durch die natürliche Vernunft „evident“ als moralisches Prinzip erkannt wird, gehört zum Naturrecht.62 Er unterscheidet ähnlich wie Thomas allgemeine Prinzipien (principia generalia), die unzweifelhaft zum Naturgesetz gehören, weiter konkrete Prinzipien (principia determinata et particularia), die ebenfalls zum natürlichen Gesetz gehören, sowie schließlich die Schlussfolgerungen (conclusiones), die sich „durch evidente Schlussfolgerung aus den natürlichen Prinzipien“ ableiten lassen, aber „nur durch Überlegung erkannt werden

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ss.; s.a. Schmeisser, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 73,80 f.; Pace, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 274, 280. Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S. 84 ff.; Mandrella, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 129, 144 ss.; Gabriel Vázquez, Comm. I–II, Disp. 150 Cap. 3 N. 24 f. („lex naturalis secundarie est operatio divini intellectus imperantis“). So Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  380; Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  54 f. Vitoria nimmt ähnlich Suárez ebenfalls eine Art Mittlerrolle zwischen rationalistischer und voluntaristischer Naturrechtsbegründung ein (zu Vitorias Theorie umfassend Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S.  161 ff., 191 ff. [das natürliche Gesetz „als Produkt der praktischen Vernunft“]; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 346 ff., 351 ff.; Deckers, Gerechtigkeit und Recht, S. 71 ff., 82 ff.). Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 7 N. 1 ff. mit Verweis auf Thomas v. Aquin, STh I–II, q. 94,2 und 4; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 383 ff. So Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 383 f. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 7 N. 1 f. S. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 7 N. 4, 5.

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Kapitel 3

können“.63 Auch sämtliche evidenten Schlussfolgerungen gehören zum natürlichen Gesetz, auch wenn sie sich erst durch Überlegung aus den natürlichen Prinzipien ableiten lassen.64 Das Naturgesetz besteht somit aus den Prinzipien und den Schlussfolgerungen, die evident aus den Prinzipien ableitbar sind.65 Suárez wendet sich folglich gegen die Auffassung, wonach nur die ersten oder obersten Prinzipien zum Naturrecht gehörten.66 Er betont damit über Thomas hinausgehend die Notwendigkeit der Regelung der Einzelheiten durch das Naturrecht: Da das Gesetz die nächste Regel des Handelns ist, gewinnen die allgemeinen Prinzipien nach Suárez erst dann ihren Regelcharakter, wenn sie „durch Einzelheiten auch die einzelnen Arten der Handlungen oder Tugenden bestimmen“.67 Bei Suárez gehören danach auch die durch Vernunft ermittelten Schlussfolgerungen (conclusiones) zum Naturrecht.68 Das Naturrecht setzt sich folglich aus einer Vielzahl von Geboten zusammen.69 Gleichwohl ist es einheitlich70, da sämtliche Gebote des Naturrechts ein gemeinsames Grundprinzip haben, nämlich „das Böse zu meiden, weil es böse ist“, und das Gute zu tun, weil es gut ist.71 Das Naturrecht wird so deduktiv erweitert, indem aus den allgemeinen Grundsätzen des Naturrechts weitere Ableitungen getroffen werden.72 Hierin zeigt sich eine Erweiterung gegenüber Thomas, indem der Determinierungsund Normierungsgrad des Naturgesetzes erweitert wird und auch konkrete Sachverhalte durch dessen Regelungen geregelt werden können.73 Während 63 64 65 66 67

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Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 7 N. 5; s.a. Recknagel, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S.  197 ff.; Pace, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 274, 283 s. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 7 N. 5, 7, 9. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 4 f., 7. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 7 N. 2 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  7 N.  7; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 383 ff.; Schmeisser, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  73, 82; Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 155,166 f.; Recknagel, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 197 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  7 N.  4 ff., 7; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  384 f.; Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  155,166 f.; ebenso bei Vitoria (dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 352 f.) sowie Molina (s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp. 4 N. 3 f.). Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 8 N. 2 mit Verweis auf Thomas v. Aquin und Soto. Dazu auch Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp.; q. 94,4 resp. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 8 N. 2. S.  Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  7 N.  5; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 384 f. S.  Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  384 f.; Krause, Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, S. 83 ff.; Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening

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Thomas die Regelung des Konkreten (determinatio) eher dem menschlichen Gesetz zuweist74, wird bei Suárez deutlich, dass konkrete Handlungsanweisungen durch die Schlussfolgerungen im Wege des Vernunftschlusses gewonnen werden – es wird hier also von einer konkreten Naturrechtsordnung ausgegangen.75 In gewisser Weise wird hier theoretisch das nachvollzogen, was zuvor bereits von den anderen Spätscholastikern in den De Iustitia et IureTraktaten (Molina, Lessius) vollzogen worden ist.76 3.7.2.3 Das Verhältnis des natürlichen Gesetzes zum göttlichen Gesetz 3.7.2.3.1 Überblick Ferner stellt sich bei Thomas ebenso wie bei den Spätscholastikern die Frage nach dem Verhältnis von Naturgesetz (lex naturalis) und göttlichem Gesetz (lex divina). So wird grundsätzlich zwischen Naturrecht (ius naturale; lex naturalis) und positivem Recht (ius positivum; lex positiva) unterschieden, wobei das positive Recht wiederum in göttliches (ius divinum; lex divina) und menschliches Recht (ius humanum; lex humana) unterteilt wird.77 Das positive göttliche Recht (ius divinum positivum) regelt nach Molina das, was nicht Gegenstand des Naturrechts ist – hier erfolgt also eine negative Abgrenzung zwischen den beiden Gesetzesarten dem Gegenstand nach.78 Während das Naturrecht Verhaltensvorschriften vorsieht, ergeben sich aus dem positiven göttlichen Recht (Altes und Neues Testament) vor allem Regelungen im Hinblick auf die Sakramente (Taufe und Beichte).79

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(Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 155, 166; Recknagel, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 197, 198 f.; vgl. aber auch Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 7 N. 8 ff. (zum Verhältnis seiner Position zu Thomas). Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,3 resp. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 384 f. S. dazu sogleich S. 204 ff.; vgl. auch Krause, Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, S. 74 ff., 83 ff., der allerdings annimmt, dass der theoretische Ansatz von Suárez erst durch die späteren neuzeitlichen Naturrechtslehrer verwirklicht worden wäre (S. 100). S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 2 N. 9; Molina, De Iustitia et Iure, Lib. I Disp. 3 N. 5; Suárez, De Legibus, Lib. III Prooemium N. 1; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Lib. I Disp.  3 N.  4: Einteilung des Rechts in ius divinum und ius humanum, wobei das ius divinum wiederum ius naturale und ius positivum umfasst – auch das ius naturale ist ius divinum (Molina, De Iustitia et Iure, Lib. I Disp. 3 N. 2 f.). Das göttliche Recht ist also positives Recht, wobei nach Molina der Unterschied zwischen positivem und natürlichem Recht darin liegen soll, dass die Verpflichtung des Naturrechts aus der Natur des Objektes selbst folge, wohingegen die Verpflichtung des positiven Rechts aus dem Gebot und dem Willen des Gesetzgebers resultiere, s. Molina, De Iustitia et Iure, Lib. I Disp. 4 N. 2. Molina, De Iustitia et Iure, Lib. I Disp. 5 N. 1. Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Lib. I Disp. 3 N. 3 a.E.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 2 N. 9.

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Trotz dieser grundsätzlichen Unterscheidung bleibt aber noch unklar, was dies genau für das inhaltliche Verhältnis von göttlichem und natürlichem Gesetz und was dies insbesondere für die Stellung des Dekalogs bedeutet – denn auch die Zehn Gebote enthalten ja Verhaltensvorschriften.80 Bei Thomas finden sich hier zunächst unterschiedliche Aussagen.81 Zum einen scheint Thomas von einer teilweisen Identität von Naturgesetz und göttlichem Gesetz dahingehend auszugehen, dass das göttliche Gesetz im natürlichen Gesetz aufgeht.82 Zugleich betont Thomas, dass nicht alles, was im Gesetz und im Evangelium enthalten ist, auch unter das natürliche Gesetz fällt, insoweit geht also das göttliche Gesetz über das natürliche Gesetz hinaus.83 Klärung ergibt sich bei genauerer Untersuchung. 3.7.2.3.2 Das Neue Gesetz und die Gnade Thomas differenziert zwischen „Altem“ und „Neuem Gesetz“. Das Alte Gesetz (Altes Testament) war nach Thomas insoweit gut, als es „mit der Vernunft übereinstimmte“ und jene „Sünden verbot, die gegen die Vernunft sind“.84 Insofern enthielt das Alte Gesetz moralische Gebote (praecepta moralia).85 Allerdings war das Alte Gesetz nicht vollkommen, wie Thomas darlegt.86 Ziel des göttlichen Gesetzes ist es nämlich, „den Menschen zum Ziel der ewigen Glückseligkeit hinzuführen“.87 Hierzu bedarf es der Gnade (gratia), und „diese Gnade hat das Alte Gesetz nicht herbeiführen können“, sondern erst Christus und das Neue Gesetz.88 Danach „erfüllt das Neue Gesetz das Alte Gesetz“ durch die Rechtfertigung der Menschen.89 Insoweit hat das 80

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Zur Notwendigkeit eines göttlichen Gesetzes s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; dazu auch Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes, S.  57 ff.; Wieland, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S.  223, 242 ff.; zur lex nova bei Suárez Brieskorn, in: Bach/ Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 385 ff. Vgl. zu dieser Problematik DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105, S. 618 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,4 ad prim.; q. 98,5 resp.; s.a. DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105, S. 620 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp., ad prim.; q. 94,4 ad prim.; q. 98,5 resp.; q. 99,2 ad prim.; s. DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105, S. 619 f.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 3 N. 14. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 99,2 resp.; q. 100,1 resp.; s.a. Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 58. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp.; q. 108,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 107,2 resp. Während die Gebote des Alten Gesetzes als Ziel ein „sinnfälliges und irdisches Gut“ hätten, sei das Ziel des Neuen Gesetzes „ein verstandesmäßiges und himmlisches Gut“ (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,5 resp.). Dies erreiche das Neue Gesetz nicht durch Furcht vor Strafe, sondern durch Liebe, die aus der

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Neue Gesetz die Sakramente (Taufe, Eucharistie, Weihe, Buße, Ehe, Firmung) gestiftet, die zur Gnade hinführen.90 Das göttliche Gesetz geht also über das natürliche Gesetz hinaus, da das natürliche Gesetz selbst nicht zum letzten Ziel der ewigen Glückseligkeit führen kann, sondern nur das göttliche Gesetz.91 Daher ist nach Thomas klar, dass die moralischen Gebote (praecepta moralia) nicht rechtfertigen, sondern der Mensch nur durch die Gnade Gottes gerechtfertigt wird.92 3.7.2.3.3 Altes Gesetz und Naturrecht Für das Verhältnis von natürlichem Gesetz und göttlichem, d.h. durch die Offenbarung positiviertem Gesetz93 behandelt Thomas daher vor allem das Alte Gesetz, d.h. das Gesetz des Alten Testamentes. Wie erwähnt, war das Alte Gesetz nach Thomas insoweit gut, als es „mit der Vernunft übereinstimmte“ und jene „Sünden verbot, die gegen die Vernunft sind“.94 Dies betrifft nach Thomas aber nur die moralischen Gebote (praecepta moralia).95 Die moralischen Gebote des Alten Gesetzes sind dabei vor allem der Dekalog („Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen“)96 sowie weitere vom Dekalog abgeleitete Gebote.97 Allerdings ist hier der Wirkzusammenhang zu beachten, den Thomas aufstellt.98 Die moralischen Gebote „haben ihre Geltungskraft aus der Anordnung der natürlichen Vernunft“ (ex ipso dictamine naturalis rationis) heraus, sodass es einer Anordnung durch positives göttliches Gesetz gar nicht bedürfte.99 Geltungsgrund der moralischen Gebote des Alten Gesetzes als Naturgesetz ist folglich nicht die positive göttliche Anordnung, sondern die natürliche Vernunft.100 Die moralischen Gebote des Alten Testaments sind nicht insofern Teil des natürlichen Gesetzes, als sie dies im Sinne positiver göttlicher Gnade hervorgehe (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,5 resp.; q. 107,1 ad sec.; q. 108,1 resp.; q. 108,2 resp.). 90 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 108,1 resp.; q. 108,2 resp. 91 S. DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105, S. 619 f.; Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp., ad prim., ad sec.; q. 94,4 ad prim.; q. 99,2 ad prim.; s.a. zur Notwendigkeit des positiven göttlichen Gesetzes Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 3 N. 15 f. 92 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,12 resp. 93 DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105, S. 619. 94 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp. 95 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 99,2 resp.; q. 100,1 resp.; s.a. Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 58. 96 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 99,2 resp. 97 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,3 resp. 98 Dazu auch Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 58 ff. 99 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,11 resp.; s.a. DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105, S. 620. 100 Vgl. Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 60.

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Anordnung würden; vielmehr sind sie Anzeigetafeln des Naturgesetzes, zeigen also dem Menschen das ausdrücklich an, was nach dem Naturgesetz gilt.101 Damit gelten die Gebote des Alten Gesetzes auch nur insoweit, als sie infolge ihrer Vernünftgemäßheit zum natürlichen Gesetz gehören.102 Die moralischen Gebote des Alten Testamentes, d.h. vor allem die Zehn Gebote gehen folglich nach Thomas im Naturgesetz auf, sie „gehören zum natürlichen Gesetz“103, da ihr eigentlicher Geltungsgrund das Naturgesetz ist.104 Das heißt, die Sittengebote des Alten Testaments gehören nicht deshalb zum Naturgesetz, weil dies durch positives göttliches Gebot angeordnet worden ist, sondern insoweit, als sie dem Menschen das anzeigen, was nach dem Naturgesetz gut oder schlecht ist.105 Damit zeigt sich, dass Molinas 101 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,4 ad prim.; q. 100,11 resp.; vgl. DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105 S. 620; vgl. auch Suárez, De Legibus, Lib. II Prooemium; Cap. 7 N. 6 ff.; Cap. 10 N. 1; Cap. 16 N. 5 („solum declarativa vel (ut sic dicam) recordativa iuris naturalis“); ferner Lib. IX Cap. 4 N. 19; Cap. 6 N. 1 ff.; Cap. 10 N. 1 f.; Cap. 11 N. 1, 7 ff., 19 ff.; dazu auch Bach/ Stiening/Brieskorn, Suárez, De Legibus, Lib. II, Einleitung,  S. XXIV; Stiening, in: Bach/ Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Auctoritas Omnium Legum, S. 369, 381 ff. 102 Vgl. Vitoria, CommSTh, I–II, q. 100,1; q. 104,3: Nicht nur die Zeremonialvorschriften und Rechtsvorschriften, sondern auch die Sittengebote des Alten Gesetzes hätten ihre Geltung und Verpflichtungswirkung verloren; „vom Alten Gesetz bleibt daher nur das, was aus dem Naturrecht folgt“ („ex veteri lege nihil remansit nisi solum illud, quod est de iure naturali“). Nur weil das natürliche Gesetz also die Sittengebote gebietet, besteht die Verpflichtung weiter. 103 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,1 resp. 104 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,11 resp.; DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105 S. 620. 105 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,4 ad prim.; q. 100,11 resp. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich eine weitere Problematik, die nach Thomas zu tiefen Kontroversen führte, und zwar jene, ob Gott selbst an das Naturgesetz gebunden ist oder von diesem dispensieren kann (s.a. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 7; Cap. 6 N. 20 f.; vgl. Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 60 ff.; Bach, in: Bach/ Brieskorn/Stiening [Hrsg.], Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S.  233, 254 ff.; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 108 ff.). Gerade vor diesem Hintergrund und der zumindest möglichen Konsequenz, dass für den freien Willen des göttlichen Gesetzgebers kein Raum mehr bleibt, da er offenbar der Ordnung des Naturgesetzes untergeordnet ist, lässt sich der voluntaristische Ansatz bei Duns Scotus verstehen (Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 274 f., 277 ff.). Suárez bezeichnet zunächst die Ansicht, dass Gott an das unter ihm stehende Naturgesetz gebunden ist, als absurd (Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 7). Ferner greift Suárez diese Problematik auf, wenn er diskutiert, ob Gott so wie jeder Gesetzgeber vom Naturgesetz dispensieren kann (Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 15; vgl. auch Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S.  91, 111). Suárez unterscheidet entsprechend Thomas zwischen den „allgemeinsten Prinzipien“ des Naturrechts („Das Gute zu tun, das Böse zu meiden“), den unmittelbaren „Schlussfolgerungen“ aus diesen (als solche sieht er die Gebote des Dekalogs) sowie den von den ersten Grundsätzen weiter entfernten Geboten (Suárez, De

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eingangs zitierte kurze Umschreibung den Kern der Sache trifft: das Naturrecht rechtfertigt nicht; nur das Neue Gesetz und die Gnade bewirken durch die Sakramente die Rechtfertigung. Dennoch ist das Naturrecht nicht irrelevant, sondern bildet den Maßstab des Gewissensforums. Genau hierfür ist nun auch das Alte Testament mit seinen moralischen Geboten von Bedeutung, die letztlich im Naturrecht aufgehen. 3.7.2.4 Das Verhältnis von Naturrecht und natürlichem Gesetz 3.7.2.4.1 Thomas’ Ansatz Schließlich ist näher auf das Verhältnis von natürlichem Gesetz und Naturrecht einzugehen. Im Ausgangspunkt gilt, dass das Naturrecht (ius naturale) bei Thomas kontextual106 der aristotelisch-geprägten Gerechtigkeitslehre zugewiesen ist, wohingegen das natürliche Gesetz (lex naturalis) der augustinisch-stoischen Gesetzeslehre entnommen ist; Thomas nimmt hier eine „Synthese“ zweier unterschiedlicher Denkkonzepte vor107. Der Begriff des (Natur-)Rechts (ius naturale) wird bei Thomas also relevant bei der Tugend der Gerechtigkeit, indem Recht (ius) „das Objekt der Gerechtigkeit“ ist.108 Allgemein gilt nach Thomas, dass das Gesetz nicht das Recht ist, sondern „der Grund des Rechts“ (ratio iuris).109 Naturrecht und Naturgesetz sind daher nicht gleichzusetzen.110 Während das Naturrecht auf die Gerechtigkeit als zwischenmenschliche Tugend bezogen ist und sich auf das Verhältnis zwischen den Menschen beschränkt, enthält das natürliche Gesetz nicht nur Regelungen für das zwischenmenschliche Verhältnis, sondern auch solche im Hinblick auf sich

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Legibus, Lib. II Cap. 15 N. 1). Einer Dispens von den allgemeinsten Prinzipien stehe entgegen, dass dann der Mensch nicht mehr frei und sittlich handeln könne und er folglich ganz von der Verpflichtung an das natürliche Gesetz losgelöst wäre (Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 15 N. 2; s.a. Pace, in: Salas/Fastiggi [eds.], A Companion to Francisco Suárez, p.  274, 287 s.). Hinsichtlich der anderen Gebote s. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  15 N. 18 ff.; dazu auch Pace, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 274, 288 ss., 294 s. (es handelt sich hierbei um keine eigentliche Dispens, sondern um eine Änderung des Gegenstandes). Inhaltlich ergeben sich aber wesentliche Unterschiede zwischen dem Naturrechtsverständnis bei Aristoteles und bei Thomas; s. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 251 Fn. 83 mit Verweis auf S. 110. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 252 f. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,1 ad sec. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 252 f.; s. ferner auch Fuchs, Gerechtigkeit als allgemeine Tugend, S. 155 ff., 160 f. mit anderem Zugang zur Frage um das Verhältnis von Naturrecht und natürlichem Gesetz.

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selbst und auf Gott.111 Insoweit als alle Tugendakte, d.h. nicht nur solche der Gerechtigkeit zum natürlichen Gesetz gehören, geht das natürliche Gesetz über die Tugend der Gerechtigkeit hinaus.112 Nur, soweit das natürliche Gesetz Regelungen hinsichtlich der Tugend der Gerechtigkeit trifft, ist es die Grundlage des Naturrechts.113 3.7.2.4.2 Suárez’ Ansätze Daran anknüpfend unterscheidet Suárez entsprechend den verschiedenen Tugenden zwei Rechtsbegriffe: ius speciale meint nur das, was sich auf die Tugend der (Sonder-)Gerechtigkeit (iustitia specialis) bezieht und durch entsprechende Gesetze geregelt ist.114 Dieser Rechtsbegriff sei der Geläufige.115 Dagegen betrifft ius in einem generelleren Sinn das, was durch Gesetze in Bezug auf sämtliche Tugenden vorgeschrieben werden kann.116 Das Naturrecht, das den Gegenstand der Gerechtigkeit bildet, ist folglich jenes ius speciale, d.h. das Recht im eigentlichen Sinn.117 Ferner findet sich bei Suárez ein weiterer wirkungsreicher Ansatz zur Abgrenzung von Naturrecht und Naturgesetz in einer anderen Hinsicht. So knüpft Suárez an seinen doppelten Rechtsbegriff an, einerseits ius in der Bedeutung von Gesetz (lex), andererseits ius in der Bedeutung der moralischen Befugnis ( facultas moralis) bzw. des Herrschaftsrechts (dominium).118 Insofern unterscheidet er zwischen gebietendem (ius naturale praeceptivum) und herrschaftsvermittelndem Naturrecht (ius naturale dominativum).119 Das ius 111 Die Gerechtigkeit betrifft nämlich das Verhältnis zwischen den Menschen und das, was zwischen den Menschen geschuldet ist, s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,2 ad sec.; II– II, q. 58,2 resp.; DThA/Pesch, Das Gesetz, I–II, 90–105, S. 568 f.; Wieland, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 223,230 f. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass das Naturrecht für alle Lebewesen gilt, das Naturgesetz hingegen die Vernunft voraussetzt und damit nur für die Menschen Geltung entfaltet. 112 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp.; q. 94,3 resp.; DThA/Pesch, I–II, 90–105, S. 568 f. 113 Vgl. DThA/Pesch, I–II, 90–105, S. 569. 114 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4; zur Unterscheidung von iustitia generalis und iustitia particularis bei Thomas s. oben S. 139 ff. 115 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4. 116 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4. 117 Bei den Spätscholastikern erscheinen Naturrecht und Naturgesetz im Übrigen zwar häufig synonym verwendet zu werden (Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S. 70 [zu Gabriel Vazquez]). Allerdings beschäftigen sie sich in den „De Iustitia et Iure“Traktaten mit der Tugend der Gerechtigkeit, und behandeln insoweit das Naturrecht. Hierbei grenzen sie jeweils ab, welche Verpflichtungen nicht aus der Gerechtigkeit, sondern aus anderen Tugenden folgen (s. hierzu unten noch S. 203 f. sowie z.B. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52 ff.). 118 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16. 119 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16; dazu unten noch näher S. 200f.

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naturale praeceptivum, das er dem ius-Begriff iSv Gesetz (lex) zuordnet, ist das gebietende Naturrecht, das Ge- und Verbote enthält und aus dem die Verpflichtungen folgen.120 Demgegenüber ist das ius naturale dominativum, das dem ius im Sinne der moralischen Befugnis ( facultas moralis) zugeordnet wird, eine Herrschaftsbefugnis bzw. ein Freiheitsrecht, das von Natur her einem jeden Subjekt zugeordnet ist.121 In gewisser Hinsicht unterscheidet Suárez somit zwischen Naturgesetz und Naturrechten.122 3.7.3 Die Universalität des Naturrechts Eine weitere Frage, die mit dem Naturrecht verbunden ist, ist jene nach der Universalität des Naturrechts, d.h. ob dieses überall und zu jeder Zeit gleich und für jeden gilt.123 Diskutiert wird die Frage nach der Einheitlichkeit des Naturrechts bereits bei Thomas, besondere Relevanz und Aktualität erhält sie bei den Spätscholastikern, die sich angesichts der Entdeckung und Eroberung Amerikas mit der Frage nach der Geltung des Naturrechts für die dort lebenden Menschen auseinandersetzen müssen.124 Nach Thomas gilt, dass das Naturgesetz zumindest in seinen allgemeinen Grundsätzen (prima principia communia) bei allen gleichermaßen richtig und bekannt125 und grundsätzlich unwandelbar ist.126 Ferner beschäftigt sich Suárez mit der Frage der zeitlichen Universalität.127 Das natürliche Gesetz war und „ist danach immer das gleiche“.128 Das Naturrecht ist folglich grundsätzlich räumlich und zeitlich universal. Auch wenn ihm eine wesentliche Bedeutung für das Bußforum 120 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16. 121 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16. 122 Vgl. dazu auch Recknagel, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 197 ff., 208 ff. 123 Vgl. zur Universalität der normativen Ordnung des forum internum auch Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 164 f.; s. ferner zur Frage des universalen Anspruchs des Naturrechts bei Thomas Schockenhoff, Naturrecht und Menschenwürde, S. 143 ff., 154 ff. 124 S.a. Bach/Brieskorn/Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 3, 11. 125 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,4 resp. 126 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,5 resp. (zumindest in seinen ersten Grundsätzen). 127 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 8 N. 8 f. 128 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  8 N.  9: Suárez wendet sich damit gegen eine Unterscheidung des Naturgesetzes im „verdorbenen“ und „unverdorbenen“ Zustand. Soweit Änderungen vorgenommen werden, wie beispielsweise die Einführung des Privateigentums nach dem ursprünglichen Gemeineigentum aller, beruhen diese auf dem Völkerrecht. Vgl. auch Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 94. Zur Unterscheidung des Naturrechts vor und nach dem Sündenfall vor allem in der Kanonistik s. etwa Thier, in: Armgardt/Repgen (Hrsg.), Naturrecht in Antike und früher Neuzeit, S. 151 ff.

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zukommt, gilt es als durch die Vernunft erkennbares Recht unabhängig von der Religion für jeden, und stellt damit eine universale Rechtsordnung dar.129 3.7.4 Die Wirkungen des Naturrechts Nach Klärung des Ursprungs, Inhalts und Geltung des Naturrechts ist nun näher auf die Wirkungen des Naturrechts einzugehen.130 Wirkung des Naturgesetzes (effectus) ist das Entstehen einer Verpflichtung (obligatio), die im Gewissensforum ( forum conscientiae) verpflichtet.131 Die aus dem Naturrecht folgende natürliche Verpflichtung (obligatio naturalis) bindet demnach im Gewissen, was grundsätzlich die einzige Wirkung des Naturrechts ist.132 Die wesentliche Bedeutung des Naturrechts liegt entsprechend darin, dass es den rechtlichen Maßstab im Gewissensforum bildet.133 Wie bereits gesehen, ist von der Verpflichtung im Gewissen die Verpflichtung in foro externo zu unterscheiden. So wird zwischen der naturrechtlichen (obligatio naturalis) und der zivilrechtlichen Verpflichtung (obligatio civilis) unterschieden.134 Während aus einer obligatio civilis eine Klage (actio) in foro externo folgt, entsteht bei einer

129 Vgl. auch Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 164 f. 130 Dazu oben bereits S. 124 ff. 131 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 1; dazu auch Grunert, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 155, 166 ff.; Stiening, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, 341 ff. 132 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 1 f.; s.a. Bach/Brieskorn/Stiening, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 3,11 f. 133 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 2; Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 14 N. 2 („in hoc foro iudicari secundum ius naturale“); s.a. Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N.  27; vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p.  143 ss.; Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S.  92; Bach/Stiening/Brieskorn, Suárez, De Legibus, Lib. II, Einleitung, S. XXV: „Die lex naturalis […] hat ihre Wirklichkeit im Hinblick auf ihre Geltung, Verbindlichkeit und Promulgation einzig im Gewissen des einzelnen Menschen“; siehe auch zur Bindung und Bedeutung des Naturrechts für das forum internum Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 238 ff., 250 f., 252 ff. 134 Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 23 ff.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Disp. 257 N. 1; dazu auch Decock, Theologians and Contract, p.  80 s. Es gibt Verpflichtungen, die sowohl im Gewissensforum (dann als obligatio naturalis) als auch im forum externum (dann als obligatio civilis aufgrund der lex civilis) verpflichten (Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 23 ff.). Ferner gibt es Verpflichtungen, die keine obligatio naturalis sind, aber nach ius civile verpflichten (Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N.  13). Umgekehrt gibt es Verpflichtungen, die in foro conscientiae verpflichten, hingegen nicht in foro iudiciali (Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 15, 23). Diese können folglich nicht in foro externo durchgesetzt werden, mögliches Rechtsmittel ist allenfalls die denunciatio evangelica (dazu Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 15).

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obligatio naturalis grundsätzlich keine Klage (actio) in foro externo, sondern nur die Verpflichtung im Gewissensforum.135 Bei der natürlichen Verpflichtung (obligatio naturalis) ist weiter, Thomas folgend, entsprechend der bereits erwähnten Differenzierung zwischen rechtlicher (debitum legale) und moralischer Pflicht (debitum morale) zu differenzieren.136 So gibt es eine natürliche Verpflichtung (obligatio naturalis), die aus dem Naturrecht (ex iure naturae) folgt, sowie eine natürliche Verpflichtung, die aus den anderen moralischen Tugenden (ex honestate morali) folgt.137 Begrifflich könnte man zwischen „rechtlichem“ und „moralischem Sollen“ unterscheiden.138 Diese begriffliche Überschneidung ergibt sich daraus, dass das natürliche Gesetz die Akte sämtlicher Tugenden umfassen kann, d.h. nicht nur der Tugend der Gerechtigkeit selbst.139 Allerdings ist demfolgend hinsichtlich der natürlichen Verpflichtung (obligatio naturalis) auch in der Stärke der jeweiligen Verpflichtung aus moralischer (debitum morale) und rechtlicher Pflicht (debitum legale) zu differenzieren.140 Die aus der Gerechtigkeit folgende naturrechtliche Verpflichtung (obligatio naturalis ex iure naturae; debitum legale) bindet im Gewissensforum grundsätzlich als Todsünde (sub poena peccati mortalis).141 Umgekehrt stellt die obligatio naturalis, die nur aus moralischer Ehrenhaftigkeit (ab honestate morali) folgt, eine moralische Pflicht (debitum morale) dar142, die allenfalls eine lässliche Sünde (peccatum veniale) zur Folge hat.143 Die Verpflichtungskraft rechtlicher Verpflichtungen ist folglich stärker.144 Bei moralischen Pflichten (debita moralia) ist die 135 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 3 N. 14 (obligatio naturalis – obligatio civilis (id est, quae Iure civili tribuat actionem in foro externo)); Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Disp. 257 N. 1. 136 Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 24, 26; s.a. Decock, Theologians and Contract, p. 80 s.; s. ferner Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 46; Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 6. 137 Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 24 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract, p. 80 s. 138 Vgl. die deutsche Übersetzung bei Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 6 (Bach/Brieskorn/ Stiening [Hrsg.], Suárez, De Legibus, Liber II). 139 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,3 resp. 140 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 80 resp.; Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 5 f. 141 Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 24. 142 Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 25. 143 Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N.  25. Ähnlich diskutiert auch Suárez, ob jede Verpflichtung, die aus einer Tugend stammt, im Gewissen verpflichtet (Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  9 N.  5 ff.). Unter Berufung auf Thomas verneint er dies – Verpflichtungen aus Freundschaft (amicitia) oder Dankbarkeit (gratitudo) verpflichten bspw. nicht im Gewissen –, nicht jede moralische Verpflichtung ist folglich Gewissensverpflichtung. 144 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 6.

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Verpflichtungswirkung „nicht so stark, dass auch die menschlichen Gesetze zur Einhaltung verpflichten würden“ – dies ist nur bei der rechtlichen Pflicht (debitum legale) der Fall.145 3.7.5 Die konkrete Naturrechtsordnung 3.7.5.1 Die Verrechtlichung des Naturrechts: Von der Tugendethik zum Obligationenrecht Durch diese Entwicklungen wird das Naturrecht zu einer umfassenden, allgemeinen Rechtsordnung, die auch konkrete Rechtsfragen regelt.146 Worin liegt nun der Unterschied zwischen dem Naturrecht bei Thomas und den Spätscholastikern? Mitunter wird diese Änderung dahingehend charakterisiert, dass Thomas eine „Tugendethik“ entwerfe, während die spätscholastischen Autoren hieraus ein „Obligationenrecht“ entwickeln.147 Allerdings ist diese Transformation bereits bei Thomas angelegt, der die Tugend- und Gerechtigkeitslehre des Aristoteles durch die Verbindung mit der Rechtfertigungs- und Bußtheologie verrechtlicht.148 So wird bei Thomas das Naturrecht, das in der Stoa noch eher abstrakten Charakter hat, konkret durch die Verbindung mit der Tugendlehre des Aristoteles und Elementen des römischen und kanonischen Rechts.149 Insofern erweitert er die allgemeine Gerechtigkeitslehre des Aristoteles um eine besondere, d.h. auf einzelne Handlungen 145 So Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 6 im Hinblick auf Thomas’ Position. Relevant wird diese Unterscheidung unter anderem bei der Einordnung der Verpflichtung aus einem Versprechen, wobei hier streitig war, ob die daraus folgende Verpflichtung ein debitum morale oder ein debitum legale ist (s. dazu Decock, Theologians and Contract Law, p. 81 s., 198 ss.). In diesem Verständnis der obligatio naturalis zeigen sich wesentliche Änderungen gegenüber der obligatio naturalis des römischen Rechts (dazu Schulze, Die Naturalobligation, S. 49 ff., 57 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 7 ss.). Während nunmehr die obligatio naturalis die aus dem Naturrecht folgende Verpflichtung meint, die das Gewissen bindet, hat die obligatio naturalis des römischen Rechts verschiedene Bedeutungen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen relevant werden (vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, p.  147 s.). Insbesondere wird damit eine Verpflichtung gemeint, für die keine Klage (actio) besteht, die aber nach Leistung einen Behaltensgrund für die empfangene Leistung (solutio retenti) darstellt (s. im Einzelnen Schulze, Die Naturalobligation, S. 57 ff., 72 f., 79 ff.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 257 N. 1; Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 24). 146 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4, 8, 11; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 29; grundlegend zu dieser „Verrechtlichung des Gewissens“ Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 238 ff., 248 ff., 252 ff. 147 So etwa Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 33. 148 Vgl. Seelmann, Thomas von Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S. 11 (zur Juridifizierung bereits bei Thomas). 149 S. dazu oben bereits S. 33 ff.

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bezogene Gerechtigkeitslehre – hierdurch wird eine Entwicklung angestoßen, durch die die Tugend- zur Rechtslehre wird. Thomas diskutiert so naturrechtlich konkrete Fragen150, etwa bei der Restitution, bei Mord, Raub, Diebstahl, Kauf oder bei der Rechtsprechung und den Prozessbeteiligten (Anwalt, Richter, Zeuge, Angeklagter), worauf später noch näher einzugehen sein wird.151 In gewisser Weise wird diese Entwicklung von der Spätscholastik durch Erweiterung, Aktualisierung und Systematisierung fortgesetzt.152 So wie sich bei Vitorias und Suárez’ theoretischer Erörterung des Naturrechts153 die Erweiterung erkennen lässt, wird in den De Iustitia et Iure-Traktaten bei Soto, Molina und Lessius eine konkrete Rechtsfragen aufgreifende Naturrechtsordnung entworfen, die auf praktische Anwendung zielt.154 Insoweit unterscheidet sich der Detaillierungs- und Konkretisierungsgrad, der sich bei Thomas‘ Abhandlung über die Gerechtigkeit findet, durchaus wesentlich von der Naturrechtslehre der Spätscholastik insbesondere in den De Iustitia et Iure-Traktaten, in denen eine umfassende Naturrechtsordnung entwickelt wird, die auf konkrete Rechtsfragen der Zeit Antworten gibt.155 Ein Blick auf Umfang und Aufbau bei Lessius und Molina offenbart die Änderungen: Hier wird sehr ausführlich (über mehrere hundert Seiten) auf Rechte und Eigentum, den Erwerb von Eigentum, die Verletzung von Rechten, Restitution, Schadensersatz sowie auf das Vertragsrecht (Verträge wie Kauf, Versicherung, Darlehen oder Miete) eingegangen.156 Die allgemeinen Ansätze, die sich bei Thomas finden, werden hier konkret, auch durch Übertragung auf neue Rechtsgebiete, weiterentwickelt zu einer umfassenden, allgemeinen Naturrechtsordnung.157 Zu dieser Erweiterung trägt bei, dass Thomas’ Secunda Pars durch ihren 150 Zum „konkreten Naturrecht“ bei Thomas vgl. DThA/Utz, Gerechtigkeit und Recht, S. 275 f. („Für Thomas dagegen ist Naturrecht ein bis in die konkrete Sachlage hineinreichendes Soll“), 277 ff., 289 ff. 151 S. dazu unten S. 341 ff. 152 Hierzu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 42 (zu den Veränderungen bei der Restitutionslehre); Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 65 f. 153 Dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  352 f., 384 f.; Recknagel, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 197,198 f.; Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 155,166 f.; Krause, Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, S. 83 ff. 154 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 43. 155 S.  hierzu  Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  42 ff.; ders., Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S.  88 f.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 65; Krause, Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, S. 69 ff., 77 f., 83 ff. 156 S. den Index bei Lessius, De Iustitia et Iure, Index Capitum. 157 S.a. Prodi, Geschichte der Gerechtigkeit, S.  251 (Naturrecht als „moralisches Normenuniversum“).

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Aufbau und ihre Darstellung für weitere Themen und Konkretisierungen entwicklungsoffen ist.158 So wird aus der antiken Idee des Naturrechts, wie sie sich in der stoischciceronianischen Gesetzeslehre findet, und der Tugend- und Gerechtigkeitslehre des Aristoteles eine konkrete Naturrechtsordnung159, wobei sich diese Transformation nur vor dem Hintergrund der Buß- und Rechtfertigungslehre und der Dualität der Foren verstehen lässt160. 3.7.5.2

Die Lehre vom moralischen Sein: Vom Obligationenrecht zur „Metaphysik der Freiheit“ Bevor den Gründen für die Erweiterung des Naturrechts bei den Spätscho­ lastikern näher nachgegangen wird161, ist noch auf eine weitere Entwicklung 158 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 37. 159 Bspw. Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S.  155, 167 („Rechtsordnung“); s.a. Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 88 f. Prodi bezeichnet diesen Übergang als einen solchen „vom Naturrecht zur Naturrechtsphilosophie“, s. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 252. 160 S.a. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 238 ff., 252 ff. 161 Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass bei Thomas die Dualität der Rechtsordnungen insgesamt und deren jeweilige Zuordnung zu den verschiedenen Foren zwar bereits vorhanden ist, allerdings noch neben einer anderen Ordnungsidee steht. Bei Thomas findet sich nämlich neben der Dualität der Foren mit der sog. Leges-Hierarchie, die ausgehend vom ewigen und natürlichen Gesetz das menschliche Gesetz auch als Ableitung bzw. Konkretisierung betrachtet, ein weiteres, nämlich hierarchisches Ordnungsmodell für das Verhältnis der unterschiedlichen Gesetzesarten (zur Leges-Hierarchie Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 233 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 748 f.). Der bereits bei Cicero angelegte Gedanke, dass das menschliche Gesetz eine Ableitung bzw. Konkretisierung vom natürlichen bzw. ewigen Gesetz ist, lässt bei Thomas das Verhältnis der Gesetzesarten zueinander als ein hierarchisches und damit in gewisser Hinsicht monistisches begreifen. Aber bereits bei Thomas ist, wie gesagt, die neu herausgearbeitete Dualität letztlich entscheidend, sodass sich menschliches und natürliches Gesetz nicht nur in vertikalem hierarchischem Verhältnis zueinander befinden, sondern auch in horizontaler Hinsicht den unterschiedlichen Foren zugeordnet sind (s. dazu oben S.  117 ff.). Bei Suárez findet diese Entwicklung in gewisser Weise eine Fortentwicklung, indem nämlich Suárez die Leges-Hierarchie durch Einordnung des ewigen Gesetzes als Gesetz nur in einem indirekten Sinn, durch Einschränkung des Ableitungs- und Konkretisierungszusammenhangs von natürlichem und menschlichem Gesetz, durch die eigenständige naturrechtliche Begründung der menschlichen Gesetzgebungsgewalt sowie die Erweiterung des Naturrechts um sämtliche Schlussfolgerungen letztlich aufhebt (dazu oben bereits S. 174 ff.; vgl. zur „Destruktion der Leges-Hierarchie“ bei Suárez auch Walther, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 136 ff.). Dadurch wird eine stärkere Trennung und fast ausschließliche Dualität zwischen menschlichem und natürlichem Gesetz geschaffen, und diese werden jeweils den beiden Foren zugeordnet

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einzugehen. Wenn man Thomas’ Naturrecht als „Tugendethik“ und das Naturrecht bei Lessius und Molina als „Obligationenrecht“ bewertet162, dann kann man mit Suárez eine weitere Stufe erkennen, nämlich die Überführung des Naturrechts in die „Metaphysik der Freiheit“.163 Suárez greift hierbei, wie gezeigt164, auf eine weitere Traditionslinie der Philosophie und Theologie zurück, die sich unabhängig von der thomistischen Tradition entwickelt hat und vor allem mit Alexander v. Hales, Bonaventura sowie Jean Gerson verbunden ist.165 Diese Tradition des moralischen Seins findet ihren eigentlichen Anwendungsbereich im Kontext der Christologie.166 Suárez greift ebendiese Lehre zunächst für seine Christologie auf, überträgt die dort entwickelten Begriffe und Kategorien (vor allem den Personbegriff) sodann aber konsequent auf seine Rechts- und Gesetzeslehre.167 Tatsächlich wenden anschließend an Suárez andere Autoren des 17. Jahrhunderts (Lugo, Oñate) diese moralontolgischen Kategorien auf weitere Rechtsgebiete (Haftungsrecht, Vertragsrecht) an, wodurch auch diese eine Transformation erfahren.168 Der rechtliche Diskurs wird so in einen eigenständigen Seinsbereich, den Bereich des moralischen Seins überführt. Auf die „Tugendethik“ und das „Obligationenrecht“ folgt so die „Metaphysik der Freiheit“ als weitere Denkform. 3.7.5.3 Zeitgeschichtliche Einflüsse 3.7.5.3.1 Die Entdeckung der Neuen Welt und der Frühkapitalismus Fragt man nach den Gründen der „Verrechtlichung“ des Naturrechts, dürften diese zunächst durch zeitgeschichtliche Einflüsse bedingt sein.169 Die Entdeckung der Neuen Welt und die Eroberung Amerikas durch die Spanier wirft vielfältige rechtliche Probleme auf, die sich nicht durch das positive Recht der Zeit beantworten ließen, so die Frage nach der Legalität der Eroberung, nach dem Eigentum und den Rechten der indigenen Bevölkerung und der

162 163 164 165 166 167 168 169

(vgl. auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit; S. 254, der insoweit die Neuheit bei Suárez betont). S. Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 33. Vgl. zu diesem Begriff sowie zu Suárez insoweit Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 12, 15 ff., 55 ff. S. dazu oben S. 167 ff. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff., 55 ff. S. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 23 ff. S. dazu oben S. 173 ff. S. dazu Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 106 ff., 121 ff., 131 ff. S. hierzu und zum Folgenden Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S.  215, 225 ff.; ders., Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  15 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4 f.; ders., Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 86.

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Legitimation der Staatsgewalt.170 Diese Fragen sollten vor allem Francisco de Vitoria beschäftigen.171 Weiter zeigen sich Änderungen in der Wirtschaftswelt, insbesondere durch das Aufkommen des Frühkapitalismus und den globalen Handel mit der Neuen Welt.172 Es bilden sich im Übergang zur Frühen Neuzeit neue Rechtsgeschäfte und Finanzierungsinstrumente173 wie der Versicherungsvertrag, der Wechsel, Handelsgesellschaften, neue Formen der Darlehensgewährung, Rentenverträge. Es entstehen weiter Bankhäuser (montes), ferner caritative Kreditanstalten (montes pietatis), an denen auch kirchliche Orden beteiligt sind.174 Durch den entstehenden neuzeitlichen Staat und den globalen Handel ergeben sich Auseinandersetzungen und Probleme im Hinblick auf Währung, Inflation175 und Staatsfinanzierung176, ferner werden Monopole gebildet, deren Zulässigkeit durch die Spätscholastiker erörtert wird.177 Die frühmoderne Handelswelt wirft neue Rechts- und Moralfragen auf, die eine moraltheologische Auseinandersetzung erfordern.178 Dies betrifft vor allem das Vertragsrecht sowie die damit in Zusammenhang stehende Wucherlehre.179 Gerade diese Tatsache, dass sich Thomas nur unzureichend zum Vertragsrecht geäußert hat, wird von mehreren spätscholastischen Autoren als Begründung für die De Iustitia et Iure-Taktate genannt.180 Daher überrascht es 170 Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215,225 f.; ders., Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 15 f.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 30 s. 171 S. dazu Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 5, 40. 172 Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215,226 f.; ders., Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 17 f.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 14 ss.; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 492; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 5. 173 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p.  18 ss.; ferner Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 492 ss. 174 S. dazu die Diskussion bei Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 23 N. 189 ff. 175 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 15 ss. 176 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 22 ss. 177 Bspw. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 21 (zur Diskussion der Zulässigkeit von Monopolen); Cap. 33 (zur Zulässigkeit der Erhebung von Steuern und Abgaben). 178 So Molina, De Iustitia et Iure, Auctoris Consilium, vor Tract. I.; s.a. Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 14 ss., 42; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 491 ss.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXIX. 179 Vgl. Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S.  147, 160 ff. (zu den vertragsrechtlichen Traktaten); Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 42, 56. 180 Molina, De Iustitia et Iure, Auctoris Consilium, vor Tract. I; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 65 s. (zu Molina); Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 56 s.

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auch nicht, dass die ersten „wirtschaftsrechtlichen“ Abhandlungen gerade von Moraltheologen stammen (bspw. Cajetans Wechseltraktat De Cambiis [1499]181 oder auch umfassende Traktate ausschließlich zum Vertragsrecht182). 3.7.5.3.2

Die Entstehung des „Staates“ und der Bedeutungsverlust des kirchlichen forum externum Zugleich verliert die Kirche durch das Aufkommen des frühmodernen absolutistischen Staates zunehmend ihre Zuständigkeit in foro externo ecclesiastico183, sodass sie sich verstärkt auf das forum internum fokussiert.184 So schränken die entstehenden Staaten die Zuständigkeiten kirchlicher Gerichte ein, unterstellen Geistliche der staatlichen Gerichtsbarkeit und ermöglichen den Zugang zu staatlichen Gerichten bei Missbrauch kirchlicher Amtsgewalt bzw. Verletzung der Zuständigkeit weltlicher Gerichte (sog. recursus ab abusu), wodurch die Aufhebung kirchlicher Rechtsakte und Urteile erreicht werden kann.185 Gleichzeitig verliert das kanonische Recht in Folge des Konzils von Trient an Bedeutung und wird zunehmend zu einem reinen Sakraments- und Organisationsrecht.186 Insofern dürfte auch der teilweise Bedeutungsverlust des kirchlichen forum externum sowie des kanonischen Rechts insgesamt im 16./17. Jahrhundert zur Stärkung des forum internum beitragen.187 Prodi etwa sieht die Intensivierung des Gewissensforums in Zusammenhang mit der Machtkonzentration des entstehenden Staates und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust des kirchlichen forum externum – an die Stelle der 181 Dazu etwa Scherner, Handel, Wirtschaft und Recht in Europa, S. 45 ff. 182 Bspw. Summenhart, Tractatus de Contractibus; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 67 s. zu Pedro de Oñate’s De Contractibus; vgl. auch Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 20 ss. zur wirtschaftsrechtlichen Bedeutung der Spätscholastiker etwa durch Rechtsgutachten für Kaufleute. 183 S. etwa Waelkens, in: Germann/Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S. 17, 23 ff.; Killermann, Die Rota Romana, S. 109 ff., 136 ff.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 153 ss. (auch zur damit verbundenen Rezeption des kanonischen Rechts in der weltlichen Gerichtsbarkeit). 184 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 195 ff., 239 ff.; Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 157 ff.; Pifferi, Generalia Delictorum, p. 287 s., 290; vgl. auch Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 5. 185 Vgl. Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147,156 f.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 491 ff.; Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 161; Eichmann, Der recursus ab abusu, S. 24 ff., 34 ff. 186 Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S.  147, 157 ff. (auch zum Kommentierungsverbot der Dekrete des Konzils von Trient); Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 203 ff. 187 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  195 ff., 203 ff.; vgl. Duve, in: Kadelbach/ Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 157 ff.

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mittelalterlichen Dualität von forum saeculare und forum ecclesiasticum, die sich auf Ebene des forum externum abspielt, tritt so die Dualität von forum externum und forum internum.188 Die Kirche fokussiert sich ganz auf die Gewissensanleitung der Gläubigen. Nicht mehr die kanonistisch-juristische, sondern die moralische Ausrichtung steht nach dem Konzil von Trient im Vordergrund.189 Folge dessen ist, dass forum externum und forum internum auch institutionell verschieden sind, indem das forum externum weitgehend dem entstehenden Staat, das forum internum hingegen ausschließlich der Kirche zugeordnet ist; gerade dies trägt zu einer klareren Trennung der beiden Foren bei.190 Mit der Entstehung des neuzeitlichen Staates ist eine verstärkte Gesetzgebung der einzelnen Staaten verbunden, wodurch die Einheitlichkeit des ius commune zunehmend aufgelöst wird.191 Insbesondere Spanien verfügt über ein eigenständiges vom ius commune abweichendes Rechtssystem.192 Je disparater das positive Recht wird und je mehr der Staat seinen Bereich ausdehnt, umso mehr drängt sich die Frage nach der Einheitlichkeit des Rechts im forum internum auf, das andernfalls durch das partikulare Recht überlagert zu werden droht.193 Gerade hier bietet die Universalität des Naturrechts eine Alternative, mit der das Recht im forum internum einheitlich durch die Theologie und damit unabhängig von den den einzelnen Staaten verpflichteten Juristen entwickelt werden kann.194 3.7.5.4 Der Probabilismus Neben diesen zeitgeschichtlichen Faktoren liegen wesentliche Gründe für die Entwicklung der konkreten Naturrechtsordnung in den philosophischtheologischen Entwicklungen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, worauf bereits zuvor eingegangen worden ist.195 Für die naturrechtlichen Ent188 S. etwa Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 196 („Da es ihr nicht mehr gelingt, auf der Ebene der juristischen Ordnungen die Konkurrenz aufrechtzuerhalten, setzt sie alle ihre Trümpfe auf die Gewissenskontrolle“), ferner S. 207 ff., 239 ff., 252 ff. 189 So auch Pifferi, Generalia Delictorum, p. 287 s. 190 So Pifferi, Generalis Delictorum, p. 287. 191 Vgl. Decock, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 77 (2009), 423, 431. Zu diesem Aspekt auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 115 ff., 124 ff., 142 ff., 239 ff. 192 Vgl. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 18 f. 193 S.  Decock, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 77 (2009), 423, 431; Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S.  190 f.; Prodi, Geschichte der Gerechtigkeit, S.  249 f. (zu Soto), 261, 265. 194 S.a. Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat, S.  147 ff., 159 ff., 164 ff. zur Moraltheologie als „globale normative Ordnung im Schatten schwacher Staatlichkeit“; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 238 ff., 249 ff. 195 S. dazu oben S. 46 ff.

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wicklungen gewinnt ferner der sog. Probabilismus Bedeutung, der von den Jesuiten maßgeblich entwickelt wird.196 Durch Vernunfterkenntnis gelangt der Mensch im Wege der Schlussfolgerung zu konkreten naturrechtlichen Handlungsanleitungen, die er allerdings nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit herleiten kann.197 Zur Beurteilung der Handlungen darf er sich auf eine mit plausiblen Gründen vertretbare Auffassung verlassen, ohne einem Schuldvorwurf ausgesetzt zu sein – in diesem Gedanken besteht der Kern des Probabilismus.198 Der Probabilismus ist daher vor dem Hintergrund der Erweiterung des Naturrechts zu sehen.199 Je weiter sich die Deduktionen von den allgemeinen Prinzipien entfernen bzw. je stärker man ins Einzelne gehende Normsätze formuliert, umso fehleranfälliger würden sie, wie bereits Thomas warnte.200 Insofern dient der Probabilismus als Ausgleichsmechanismus für die Fehlerhaftigkeit der weiteren Deduktion sowie als Möglichkeit, trotz der postulierten Unveränderlichkeit des Naturrechts Änderungen Rechnung zu tragen.201 3.7.5.5 Die Entstehung der Moraltheologie und die jesuitische Kasuistik Gerade für den nach dem Konzil von Trient rasant wachsenden und Einfluss gewinnenden Jesuitenorden und die Jesuiten (Lessius, Molina) spielt das Bußsakrament eine besondere Rolle.202 So wie der Jesuitenorden generell ein großes Anliegen in der Unterweisung und Ausbildung der Beichtväter hat203, sieht Molina insofern auch einen wesentlichen Grund für das Verfassen seines De Iustitia et Iure-Traktats in der näheren Unterweisung der Beichtväter in Bezug auf die Gerechtigkeit.204 So betont Molina die Bedeutung seines Traktats für das Urteil im forum internum und die Unterweisung der Beichtväter und der Beichtenden in Fragen des Vertragsrechts.205

196 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 41 ss.; Otte, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p.  283 ss.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  15; Decock, Theologians and Contract Law, p. 74 ss. 197 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 46. 198 Otte, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p.  283, 285; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 41 s.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 15. 199 Vgl. Otte, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 283, 302; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 15 f. 200 Dazu oben S. 187 ff. 201 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 15 f. 202 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 89 ss.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 55 ss.; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 43 ss. 203 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  39; s.a. Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 43 ss. 204 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 37. 205 Molina, De Iustitia et Iure, Auctoris Consilium, vor Tract. I.

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Kapitel 3

Es bildet sich so eine praktische, kasuistisch geprägte Moraltheologie.206 Die Kasuistik entwickelt sich im Hinblick auf das Gewissens- und Bußforum ( forum conscientiae, poenitentiale bzw. internum).207 Vor diesem Hintergrund erschließt sich, wieso diese Moraltheologie auch „Rechtstheologie“ oder „Beichtjurisprudenz“208 genannt wird.209 Mit dem Konzil von Trient, durch das die Rolle des forum internum und der Buße nochmals betont worden ist, geht eine weitere Verrechtlichung des Bußforums einher210.211 Hierfür bedürfen die Beichtväter Anleitung in Auseinandersetzung mit der Rechtslage und den Rechtsproblemen der Zeit.212 Die Naturrechtsordnung wird als maßgebliche Rechtsordnung des forum internum entwickelt, die so zu einer vom äußeren, staatlichen Recht unabhängigen, universal geltenden Normordnung wird und der Moraltheologie als theologischer Disziplin anvertraut ist.213 In den Abhandlungen wird jeweils getrennt, was im jeweiligen Forum zu beachten ist. Das jeweilige Recht wird gegenübergestellt und wechselseitig argumentatorisch entwickelt, indem Ideen aus dem einen Bereich in den

206 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 243 ff.; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 69 ss.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 46; grundsätzlich zur Entstehung der Moraltheologie als eigenständiger Disziplin im 16. Jahrhundert, die in engem Zusammenhang mit dem Jesuitenorden erfolgt, Theiner, Die Entwicklung der Moraltheologie zur eigenständigen Disziplin, S. 57 ff. et passim, 298 ff. (zum Zusammenhang von Moraltheologie und rechtlichen Fragestellungen); s. ferner W. Thönissen, Das Geschenk der Freiheit, S. 37 ff. 207 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 267; Decock, Theologians and Contract Law, p. 69 ss. 208 Zum Begriff s. etwa Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 16. 209 Vgl. auch Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 158 ff.; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  15 ff., 28 ff.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 69 ss. („Moral Jurisprudence“). 210 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 44; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 90 s.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 55 s.; zu den Konzilsdekreten selbst, die im Wesentlichen die scholastische Bußtheologie hinsichtlich der Absolution und deren richterlichen Charakter (actus iudicialis) aufgreifen, Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  182 ff.; s.a. generell zu Beichte und Gewissensforum in der post-tridentinischen Zeit Prosperi, in: Prodi/Reinhard (ed.), Il concilio di Trento e il moderno, p. 225 ss. 211 Insofern argumentiert etwa Prodi, dass die Entwicklung hin zu dieser konkreten Naturrechtsordnung Folge des Aufkommens des neuzeitlichen Staates und des damit verbundenen Konzils von Trient gewesen sei, in dem das Bußforum gestärkt worden ist, s. Prodi, Geschichte der Gerechtigkeit, S. 207 ff., 238 ff., 243 ff.; vgl. auch Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 5, 44. 212 Decock, Theologians and Contract Law, p. 55, 85. 213 Prodi, Geschichte der Gerechtigkeit, S. 243 ff., 248 ff., 252 ff.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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anderen Bereich einfließen oder übernommen werden.214 Dabei beschäftigen sich die Traktate mit beinahe sämtlichen Rechtsgebieten und enthalten Behandlungen konkreter juristischer Fragen.215 Ende des 16. Jahrhundert wird auch erstmals von jesuitischen Theologen der Begriff der Moraltheologie (Theologia Moralis) gebildet.216 Die Moraltheologie bildet sich als selbständige theologische Disziplin217 und umfasst als ihren Gegenstand im Wesentlichen den Bereich, den Thomas bereits in der Secunda Secundae verselbständigt hatte.218 Die Moraltheologen treten in gewisser Weise an die Stelle der Kanonisten, deren Bedeutung auch als Folge des Konzils von Trient zurückgeht.219 Die Moraltheologie wird insofern als „Rechtstheologie“ zur Wissenschaft des forum internum.220 Die Erweiterung des Naturrechts erklärt sich daher auch vor dem maßgeblichen zeitgeschichtlichen und theologischen Hintergrund.221 Charakteristisch für diese jesuitische Richtung und den besonderen Fokus auf das Beichtsakrament ist die Verbindung von spekulativer Entfaltung allgemeiner Prinzipien und Kasuistik.222 Entsprechend der nominalistisch geprägten Zuwendung zum Konkreten in der Metaphysik werden hier fiktive 214 Decock, Theologians and Contract, p.  44 ss., 55 ss.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  43. Dies zeigt sich insbesondere im Vertragsrecht, wo Naturrecht und weltliches Recht jeweils gegenübergestellt und die Unterschiede aufgezeigt werden. Der Fokus liegt freilich insgesamt auf dem Naturrecht. Bindet nun das menschliche Gesetz im forum internum, stellt sich auch die Frage, wem für das Gewissensforum die Kompetenz zukommt, entsprechende Rechtsfragen nach dem menschlichen Gesetz zu beantworten bzw. das menschliche Gesetz auszulegen, ob nämlich den Kanonisten bzw. Legisten oder den Moraltheologen; zu dieser Diskussion siehe Scaccia, Tractatus de Commerciis, § 1 q. 1 N. 19 ff., 28 ff.; vgl. auch Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 21 f. 215 Vgl. Decock, Theologians and Contract, p.  56 ss., 63 ss., 66 ss.; s.a. Duve, in: Kadelbach/ Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147,160 f. 216 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 38. 217 S.a. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 266 (mit dem Hinweis auf die Verselbständigung der moraltheologischen Traktate im frühen 17. Jahrhundert, wodurch das Gewissensrecht letztlich aus der juristisch-positiven Sphäre gelöst wird). 218 Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 33, 44. 219 Prodi, Geschichte der Gerechtigkeit, S.  203 ff., 238 ff. (Moraltheologie als „neues kanonisches Recht“), auch aufgrund des Kommentierverbots der Konstitutionen des Konzils. Zur Auseinandersetzung über die Kompetenzabgrenzung von Moraltheologen/ -philosophen einerseits und Kanonisten und Legisten andererseits siehe auch die Diskussion bei Scaccia, Tractatus de Commerciis, § 1 q. 1 N. 19 ff.; Palacio, Praxis Theologica de Contractibus, Cap. I, p. 2 f. 220 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 55 s., 69 ss. 221 Prodi, Geschichte der Gerechtigkeit, S. 238 ff., 248 ff. 222 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 39; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 61 ss., 65 ss.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXVI (zu Lessius).

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Kapitel 3

oder tatsächliche Fälle aufgegriffen und naturrechtlich, d.h. unter Rekurs auf die allgemeinen Prinzipien des Naturrechts, erörtert.223 In Auseinandersetzung mit den juristischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten der Zeit werden Sachverhalte moraltheologisch analysiert, um hierdurch unter Einbeziehung verschiedener Faktoren zur Urteilsfindung zu gelangen.224 Im Fokus steht damit nicht so sehr die reine abstrakte Rechts- und Gesetzeslehre, sondern die Hinwendung auf konkrete Fälle im Wege der Kasuistik.225 3.7.5.6 Beichtsummen und die De Iustitia et Iure-Traktate In Zusammenhang mit der Stärkung des forum internum dürfte schließlich stehen, dass in den De Iustitia et Iure-Kommentaren und -Traktaten die thomistische Tradition mit der zunächst selbständigen Tradition der sog. Beichtsummen zusammenläuft.226 Bereits in den Beichtsummen und Beichthandbüchern des Mittelalters werden die Beichtväter konkret in rechtlichen und moraltheologischen Fragen unterwiesen, um die Pönitenten entsprechend anleiten zu können.227 Es setzt hier eine Verrechtlichung der Theologie ein (Beichtjurisprudenz).228 Allerdings lag hier der Fokus noch eher auf dem positiven menschlichen Gesetz.229 So werden in den sog. Beichtsummen230 des Mittelalters (z.B. Raimund de Peñaforte231, Dominikaner, Summa de casibus poenitentiae), die in der Regel von den Mitgliedern der mit der Beichtgewalt betrauten Orden 223 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 39. 224 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 39 ff.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 62, 66; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXV f. 225 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  33, 37 ff.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXVI. 226 Trusen, Gelehrtes Recht, S.  3 ff., 7 ff., 12 ff.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 239 f., 247 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 44 ss.; Bergfeld, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 457 s. 227 Grundsätzlich dazu Trusen, Gelehrtes Recht, S.  7 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 53 ff.; Bergfeld, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, S. 999 ff., 1002 ff.; Goering, in: Hartmann/ Pennington (eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, p.  379, 410 ss. 228 So etwa Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 53 ff., 55; Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, S.  877; s. dazu auch Trusen, Gelehrtes Recht, S.  55 ff., 509 (zum Begriff „Beichtjurisprudenz“); vgl. auch Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 8 ff. 229 Vgl. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 9, 16. 230 Ein Überblick findet sich bei Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 116 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 44 ss.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 68 ff. 231 Dazu Trusen, Gelehrtes Recht, S. 14 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 23, 54.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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(Dominikaner, Franziskaner) für die Bildung der Beichväter verfasst wurden232, juristische Fragen behandelt, weil Übertretung des positiven Gesetzes unter bestimmten Voraussetzungen auch Sünde ist.233 Dies gilt, wie gezeigt nur, wenn weltliches oder kirchliches Gesetz, das schuldhaft übertreten wird, auch gerecht ist bzw. dem göttlichen und natürlichen Recht nicht widerspricht, da es andernfalls im Gewissensforum nicht bindend ist.234 Beichtsummen sind daher Rechtshandbücher in einem doppelten Sinne: Einmal, soweit man das forum internum als Bußrechtsprechung ansieht; zum anderen indirekt, soweit darin das Recht des forum externum beschrieben wird. In den Beichtsummen zeigen sich daher besonders auch kanonistische und römisch-rechtliche Einflüsse.235 Die Beichtsummen und Beichthandbücher des 14. und 15. Jahrhundert setzen diese Tradition fort, und erweitern die Kasuistik.236 Behandelt werden vermehrt wirtschaftliche Themen, die im Übergang zur Frühen Neuzeit durch die entstehende Handels- und Kaufmannswelt aufgebracht werden.237 Die De Iustitia et Iure-Traktate (Soto, Lessius, Molina) des 16. und 17. Jahrhunderts sind daher auch vor diesem Hintergrund zu verstehen.238 Sie folgen einerseits der Tradition der Beichthandbücher, die Beichtväter, aber auch sonstige Personen wie Juristen moraltheologisch und rechtlich zu 232 Dazu Trusen, Gelehrtes Recht, S. 14 ff., 26 ff.; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 33 ss. 233 Vgl. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 9 f., 16, 56 ff.; s.a. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 8 f., 28 f. 234 Vgl. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 29; Wolter, Naturalrestitution, S. 53 ff.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 9, 16; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 142 ff. 235 Trusen, Gelehrtes Recht, S. 7 ff., 14 ff., 56 ff. 236 Vgl. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 37 ff. 237 Vgl. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 39 ff. Zu nennen sind hierbei insbesondere die Summen von Johannes Nider (gest. 1438; „Manuale Confessorum“), Antoninus von Florenz (gest. 1459; „Confessionale“), Angelo di Chivasso (Angelus Carletus de Clavasio; 1414–1495; „Summa Angelica“), dessen Summa Angelica 1520 von Luther zusammen mit Teilen des kanonischen Rechts verbrannt wurde (dazu Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 55; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 46; Decock, Theologians and Contract Law, p. 44, 149), und Sylvester Prierias (1456–1523, „Summa Sylvestrina“ [dazu Decock, Theologians and Contract Law, p.  45, 149]) sowie der Vertragstraktat des Tübinger Professors Conrad Summenhart (1455–1502; „De Contractibus pro foro conscientiae atque theologico“ [dazu Trusen, Gelehrtes Recht, S.  39 ff.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p.  54]). S. grundsätzlich zu den Beichtsummen Dietterle, Zeitschrift für Kirchengeschichte  24 (1903), S. 353 ff., 520 ff., 25 (1904), 248 ff., 28 (1907), 401 ff.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 37 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 55; Bergfeld, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, S. 999, 1002 ff. 238 Trusen, Gelehrtes Recht, S.  40 f. („wissenschaftliche Kontinuität“); Decock, Theologians and Contract Law, p. 44 ss., 55 ss., 283 (zum wesentlichen Einfluss auf die Spätscholastiker).

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Kapitel 3

unterweisen.239 Andererseits entstehen diese Traktate indes ursprünglich aus Vorlesungen und Kommentaren zur Summa Theologiae, verselbständigen sich aber zunehmend auch hiervon.240 Konkret geschieht hier eine Synthese der kanonistisch geprägten Beichtsummenliteratur und der thomistischen Tradition (Summa Theologiae; Summa-Kommentare).241 Insoweit fließen hier Theologie, Philosophie, Naturrecht, kanonisches Recht und ius civile zusammen.242 Das grundsätzlich Neue gegenüber der Beichtsummentradition ist dabei das naturrechtliche, der Tugend der Gerechtigkeit folgende System dieser Traktate, sowie deren systematische, umfassende und dogmatische Konzeption.243 Indem also die Beichtsummentradition mit der zunächst eher abstrakten theologischen Dimension von Thomas verbunden wird, entwickelt sich eine umfassende Rechtsordnung, die das konkrete Handeln des Einzelnen bewerten kann und damit als Rechtsordnung des Gewissens entwickelt wird.244 3.7.5.7 Die Erweiterung des Naturrechts Vor diesem Hintergrund lassen sich auch Bezüge zur allgemeinen Naturrechtslehre herstellen. Wie gezeigt, scheint Thomas die Aufgabe, Einzelheiten zu regeln und Konkretisierungen (determinationes) zu treffen, eher dem menschlichen Gesetz zuzuweisen als dem natürlichen Gesetz selbst.245 Demgegenüber geht Suárez eher von einer Naturrechtsordnung aus, die im Wege der Ableitungen auch konkrete Fragen zu beantworten fähig ist.246 Suárez betont, dass die allgemeinen Prinzipien erst dann ihren Regelcharakter gewinnen, wenn sie auch konkrete Handlungsanleitungen geben.247 Suárez begründet

239 Decock, Theologians and Contract, p. 44 ss., 55 ss.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXIX f.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 245 ff.; s.a. bspw. Molina, De Iustitia et Iure, Auctoris Consilium, vor Tract. I. 240 Decock, Theologians and Contract, p. 65; s.a. Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXVI ff. 241 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 239 f. („Verschmelzung zwischen dem alten Bußrecht und der Tugendlehre“), 247 ff.; vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 56. 242 Vgl. Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S.  147, 159 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 55 ss. 243 So Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 29; Decock, Theologians and Contract Law, p. 56 ss. 244 S.a. Decock, Theologians and Contract, p. 56 ss. 245 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,3 resp. 246 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 384 f. sowie oben S. 193 ff. 247 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  7 N.  7; dazu auch Pace, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 274, 284.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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hier also die von den anderen Spätscholastikern bereits vorgenommene deduktive Erweiterung des Naturrechts gesetzestheoretisch.248 Das Naturrecht wird so als die maßgebliche Rechtsordnung des forum internum entwickelt.249 In den Abhandlungen werden auf konkrete Fälle und Rechtsfragen konkrete rechtliche Antworten gegeben.250 Hier entwickelt sich eine umfassende, allgemeine Naturrechtsordnung251, die es unternimmt, aus allgemeinen Prinzipien konkrete Rechtssätze (zumindest teilweise) deduktiv abzuleiten und hierdurch auf konkrete Rechtsfragen Antworten zu geben.252 Im Gegensatz zur mittelalterlichen Legistik und Kanonistik steht hier nicht mehr die Kommentierung und Systematisierung normativer Texte im Vordergrund, sondern – unabhängig von den Vorgaben und Typisierungen des römischen Rechts253 – ausgehend von allgemeinen Grundsätzen die ordnungsgeleitete und abstrakte Erarbeitung von Normen und Prinzipien.254 Ein weiteres Wesensmerkmal, das sich aus der Kasuistik ergibt, ist die Empirie und das Aufgreifen konkreter Fälle und hieraus folgend Elemente der Induktion.255 Damit wird das Naturrecht nicht rein deduktiv gewonnen, sondern durchaus – entsprechend dem nominalistischen Ansatz – in Auseinandersetzung mit konkreten Fällen und Fragen der Gegenwart, was sich etwa bei der Erörterung der Geldentwertung oder anderen wirtschaftlichen Sachverhalten zeigt. So rekurriert Lessius auf konkrete Fälle und Handelsbräuche an der Börse von Antwerpen256, während Molina konkret auf die wirtschaftlichen Entwicklungen Spaniens und Portugals rekurriert und dabei 248 Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 384 f.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp. 4 N. 3 f. 249 Dazu auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 248 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p.  143 ss.; vgl. Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 159 ff. 250 S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4 f., 8; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 247 ff.; s.a. oben schon S. 50 ff. 251 S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4 f., 8. 252 Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 29; s. aber auch Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 128, 132. 253 Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 22. 254 Vgl. Gordley, in: Hill/Lagerlund (eds.), The Philosophy of Francisco Suárez, p.  209, 226 ss.; ders., The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, p.  69 ss.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 56 ss. zum systematischen Aufbau der Traktate, p. 62 ss. zum Aufbau von Lessius’ De Iustitia et Iure-Traktat. 255 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  39; Schweighöfer, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 311, 321: Gerade bei Molina findet sich insofern eine deutlich empirisch geprägte Herangehensweise. 256 Z.B. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 14 N. 126; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 62.

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Kapitel 3

auch empirische Fallstudien betreibt.257 Zugleich werden die Rechtssätze auch aus Zusammenschau mit anderen Rechtsnormen gewonnen.258 Gerade die Auseinandersetzung mit den konkreten positiv-rechtlichen Gegebenheiten der Zeit führt dazu, dass das Naturrecht bei Suárez und Molina trotz der postulierten Unveränderlichkeit und Universalität durchaus Raum für Flexibilität und Anpassung bietet.259 3.7.6 Folgen für das Naturrecht Die „Juridifizierung“260 des forum internum wird im Zuge der Entwicklungen des Konzils von Trient nochmals verstärkt.261 Insbesondere bei den jesuitischen Autoren (Molina, Lessius) finden sich nun Traktate, die sich umfassend mit dem Recht in foro externo und interno befassen und dadurch einerseits einen umfassenden Überblick über das geltende Recht ihrer Zeit geben, andererseits aber für das forum internum ein umfassendes naturrechtliches Normsystem bilden.262 Je weiter das Naturrecht durch conclusiones ausgedehnt wird, umso mehr schwindet im forum internum die Bedeutung des menschlichen Gesetzes für das forum internum.263 Das Naturrecht ist damit nicht mehr nur „Rahmenrecht“, das naturrechtswidrigem menschlichem Gesetz die Wirksamkeit im Gewissensforum nimmt264, sondern konkrete umfassende parallele Rechtsordnung.265 Grundlage dieses kasuistischen Naturrechts bilden Konzepte und Begriffe der scholastischen (Buß-)Theologie sowie der Patristik und die aristotelisch-thomistische Gerechtigkeitslehre, das ius civile und das kanonische Recht. An diesen ist das Naturrecht einerseits orientiert, andererseits schafft es unabhängig hiervon etwas Neues.266 In dieser Entwicklung hin zu einer konkreten Ordnung zur Beantwortung konkreter Fragen liegt nun eine 257 Dazu etwa Schweighöfer, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 311, 321 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 66; Endemann, Studien, Bd. 1, S. 49 f. 258 S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 11 („Kohärenzkonzeptionen“). 259 Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 42. 260 Vgl. zum Begriff Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 8 ff.; s.a. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 46. 261 Decock, Theologians and Contract, p. 55 s.; Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 157 ff. 262 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  247 ff., 251 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 55 ss., 63, 66. 263 Vgl. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 29. 264 S.a. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S.  16, 29; zu diesem Begriff Krause, Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, S. 147. 265 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 4 f., 8, 43. 266 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 43; Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne, S. 29; Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 159 ff., 163 f.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 239 f.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Erweiterung im Verhältnis zu Thomas.267 Da in der De Iustitia et Iure-Literatur letztlich die kanonistisch-beeinflussten Beichtsummen und die thomistische Tradition zusammenlaufen, wird ein Naturrechtssystem geschaffen, das diese beiden Traditionen in sich aufnimmt.268 Hierin zeigt sich der wesentliche Unterschied zum antiken Naturrecht. Auch wenn die Antike die Idee des Naturrechts bzw. des natürlichen Gesetzes entwickelt hatte und diese an Thomas weitergegeben hat, war dieses antike Naturrecht keine Naturrechtsordnung.269 Das antike Naturrecht diente entweder als Idee zur Legitimierung und Stabilisierung des positiven Rechts, oder begründete bestimmte positivrechtliche Rechtsinstitute und -prinzipien.270 Es war damit Recht des – in thomistischer Sichtweise – forum externum, aber nicht selbständige parallele konkrete Rechtsordnung, die einem eigenen Forum zugeordnet ist. Das Naturrechtsverständnis ändert sich also bedingt durch die Dualität der Foren wesentlich durch Thomas und die Spätscholastiker. Das Naturrecht wird hier erstmals zu einer in sich geschlossenen Rechtsordnung, die auch tatsächliche Rechtsfolgen hat und die einem Forum als maßgebliche Rechtsordnung zugewiesen wird. In Abweichung von den antiken Naturrechtskonzepten und in Erweiterung des thomasischen Naturrechtsverständnisses entwickelt sich hier eine umfassende Naturrechtsordnung, die parallel und unabhängig vom positiven ius civile konkrete Rechtsfragen beantwortet und damit dem Beichtvater Anleitung im Gewissensforum gibt.271 Dadurch löst sich das Naturrecht vom römischen ius civile oder dem sonstigen positiven Recht und schafft eine eigenständige universale Rechtsordnung.272 Das Naturrecht dient dem moraltheologischen und kirchlichen Anspruch nach Geltung einer universalen Rechtsordnung im Gewissensforum und wirkt so als Gegenstück zum zunehmenden Positivismus des weltlichen Rechts.273 Es bildet sich hier eine umfassende konkrete Naturrechtsordnung heraus, die im Gewissensforum unmittelbare Bindungswirkung hat.274 267 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 42 ff. 268 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 239 f.; vgl. Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147,163 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 44 ss., 55 ss.; s. dazu oben bereits S. 56 ff. 269 Vgl. zum antiken Naturrecht Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 9 ff. 270 S. dazu oben S. 33 ff. zu Aristoteles, Cicero und dem römischem Recht. 271 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 43; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 239 f., 246 ff., 251. 272 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 251; vgl. auch Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 159 ff., 163 f., 164 f. 273 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 238 ff., 251; vgl. auch Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 159 ff., 164 f. 274 S.a. Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 159 ff., 164 ff. (zu dieser normativen Ordnung des forum internum).

220 3.8

Kapitel 3

Die Naturrechtslehre der Neuzeit

Vor diesem Hintergrund lassen sich nun auch die Entwicklungen des Naturrechts in der Neuzeit verstehen, die es bei den neuzeitlichen Naturrechtslehrern erfahren hat. Was sich ändert, sind nicht so sehr Ursprung, Begründung, Substanz oder Inhalt des Naturrechts. Was sich vielmehr ändert, sind der Wirkbereich und der Kontext des Naturrechts. Thomas und die Spätscholastiker bilden dabei bis ins 18. Jahrhundert1 auch bei den protestantischen Naturrechtslehrern (Grotius2, Pufendorf3, Hobbes4, Thomasius5, Locke6, Wolff7) einen gedanklichen Ausgangs-, Referenz- oder Contrapunkt der Naturrechtslehre.8 Die konkrete Naturrechtsordnung der 1 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  17 f. So ist etwa der Einfluss von Suárez im Bereich der Metaphysik auf Christian Wolff, Leibniz oder andere protestantische Philosophen anerkannt, s. bspw. Darge, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 91, 122; Esposito, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 124 ss.; Kronen, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 221 ss. Ein Grund dafür ist, dass insbesondere Suárez’ Disputationes Metaphysicae Grundlage der deutschen Schulmetaphysik des 17. Jhd. wurden, s. dazu Lewalter, Spanisch-jesuitische und deutschlutherische Metaphysik, S. 7 ff., 21 ff., 58 f., 60 ff.; Wundt, Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts, S. 40 ff., 173 ff., 268 ff.; Doyle, Collected Studies, p. 18 s. 2 Dazu auch grundsätzlich Dufour, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S.  351 ff.; Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S.  4 ff., 21 ff. et passim; Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, p. 489 ss., 496 ss., 517 ss.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 62, 208 ss. (zum Vertragsrecht). 3 Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 150 ff.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 12, 169 f. (zur Lehre vom ens morale und zur Metaphysik bei Suárez); Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 71 ff. 4 Vgl. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 340 s.; Schneider, Thomas Hobbes und die Spätscholastik, S.  11 ff., 31 ff. et passim; Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p.  163, 184; Martinich, The Two Gods of Leviathan, p.  132 ss., 379 s.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 12. S. beispielsweise die Ähnlichkeiten in der Vertragsund Versprechenslehre (Versprechensstufen) bei Hobbes, Leviathan, of Man, Chap.  14, p. 66 ss.; ferner Chap. 15, p. 73 s., wo Hobbes in Zusammenhang mit der Verbindlichkeit von Verträgen von „some“ spricht, die meinen, dass die Naturgesetze nicht der Weg zur Erhaltung der Menschen auf Erden, sondern zur ewigen Glückseligkeit nach dem Tod seien – gemeint sind wohl die Scholastiker, denen Hobbes sodann vorwirft, dass sie den Tyrannenmord und das Widerstandsrecht im souveränen Staat rechtfertigten. 5 S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 18. 6 von Leyden, Essays on the Law of Nature, p. 27, 36 s., 51 ss.; Tully, A Discourse on Property, p. 66 ss.; Specht, in: Smid/Fehl (Hrsg.), FS Pawlowski, S. 217, 220 ff.; s.a. Küppers, John Locke und die Scholastik, S. 5 ff., 11 ff.; Tellkamp, Das Verhältnis John Locke’s zur Scholastik, S. 1 ff., 96 ff., 103 ff. (eher den nominalistischen Einfluss betonend). 7 Zum Einfluss von Suárez’ Metaphysik Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 11. 8 Insbesondere die Vorreden bei Grotius oder Thomasius lassen diesen Bezug erkennen; s.a. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 261 zu Pufendorf, dessen

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Spätscholastiker ist Anfang des 17. Jahrhunderts als umfassende Ordnung des forum internum entwickelt, die als selbständige und eigenständige Rechtsordnung neben das ius civile und das kanonische Recht getreten ist.9 So ist etwa Lessius’ Traktat De Iustitia et Iure 1605 erschienen, Molinas De Iustitia et Iure 1593–1609, Suárez’ De Legibus 1612, Sotos De Iustitia et Iure bereits 1553. In der darauf folgenden Zeit setzt die Epoche der „neuzeitlichen“ Naturrechtslehre ein, so nämlich mit Grotius’ De Iure Belli ac Pacis 1623/2510. Auf dem Übergang zur neuzeitlichen Naturrechtslehre ändern sich dabei nicht prinzipiell der Ursprung oder die Begründung des Naturrechts.11 Wie gezeigt, war das Naturrecht bei Thomas und den Spätscholastikern in seiner Begründung und in seinem Ursprung insoweit „rational“, als es „eine Anordnung der Vernunft“ ist, wobei sich eine rationalistisch-objektivistische Naturrechtsbegründung der Kritik des scotistischen Voluntarismus ausgesetzt sah.12 Auch nach Thomas und den Spätscholastikern wird das Naturrecht als Anordnung der Vernunft (dictamen rectae rationis)13 rational, d.h. unabhängig von göttlicher Offenbarung begründet.14 Besonders deutlich wird dies etwa beim Rationalismus Gabriel Vázquez’.15 Insoweit ist das Naturrecht auch hier

gesamtes Werk keine ausdrücklichen Verweise auf die Scholastiker enthalte, die er „von vorne herein als unwissenschaftlich disqualifiziert“. S. insoweit auch instruktiv aus zeitgeschichtlicher Perspektive Guarini, Juris Naturae, et Gentium Principia, Diss. Praeliminaris,  §§4 ff.; Cap.  1 ff., der die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Suárez einerseits, Pufendorf, Grotius, Hobbes, Thomasius u.a. andererseits analysiert und dabei auch auf diese Umstände hinweist. 9 So etwa Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  142 („In solchen Regeln manifestiert sich das theologische Naturrecht als eine dritte eigenständige Rechtsordnung, die im Laufe des 16. Jahrhunderts neben das kanonische und das weltliche Recht getreten war“); vgl. auch Duve, in: Kadelbach/Günther (Hrsg.), Recht ohne Staat?, S. 147, 159 ff., 164 ff. 10 S. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 289. 11 Vgl. auch Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 13. 12 S. dazu oben S. 189 ff. 13 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 5 N. 10, 12; dazu auch Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 101 ff.; Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  54 f.; Lutterbeck, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 53, 63 (zu Suárez: „in Form eines rationalen Naturrechts eine – wenn nicht säkulare, so doch – konfessionsneutrale Begründungstheorie“); Kaufmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 155, 168. 14 S.a. Seelmann, Thomas von Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S. 12 f., 14. 15 Dazu oben bereits S. 192 f.; s. Gabriel Vázquez, Comm. I–II, Disp. 150 Cap. 3 N. 22 ff.; vgl. ferner Gabriel Vázquez, Comm. I–II, Praefatio in Tractatum de Legibus N. 2 zum Verhältnis von Theologie, Moralphilosophie und Jurisprudenz.

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rational und insoweit in gewisser Hinsicht säkular16, und zeitlich und räumlich universal, da es in seinem Ursprung und seiner Begründung unabhängig von einer positiven göttlichen Anordnung ist.17 Gerade in diesem thomistisch begründeten Rationalismus ist auch die Auseinandersetzung mit dem Voluntarismus begründet, der hiergegen den Vorwurf erhebt, für einen autonomen Willen Gottes keinen Raum mehr zu lassen.18 Auch die neuzeitlichen Naturrechtslehrer werden hinsichtlich Ursprung und Begründung des Naturrechts Positionen innerhalb dieses Spektrums von Voluntarismus und Rationalismus beziehen.19 So wird etwa Pufendorf die voluntaristische Position von Suárez übernehmen20, Grotius21 steht dagegen hinsichtlich der Begründung des Naturrechts trotz voluntaristischer Einflüsse eher der rationalistischen Position Gabriel Vázquez’ nahe.22 Ebenso ändern sich nicht grundsätzlich und bruchhaft, sondern punktuell und kontinuierlich der Inhalt und die Substanz des Naturrechts bei den Naturrechtslehrern der Neuzeit.23 Auch die neuzeitlichen Naturrechtslehrer 16 17 18 19 20

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Vgl. Glinka, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 169 ff. Vgl. auch Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S. 53 f. S. dazu oben S. 90 ff., 189 ff. Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 13; Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S. 100 ff. Dazu unten S.  243 f.; s.a. Lutterbeck, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 53, 63 m.w.N.; Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 14; vgl. Hartung, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 381, 401 f. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  130 f.; Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, p. 499 ss., 504 s., 521; vgl. Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 8 ff., 13 („via media zwischen Rationalismus und Voluntarismus“); s.a. Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S. 101 („Damit folgt Grotius Suárez im Beschreiten einer „via media“, die die intellektualistische Position eines Vernunftrechts mit dem voluntaristischen Element des Verpflichtungswillens des Gesetzgebers kombiniert“). S.a. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 185 s., der betont, dass insoweit der Naturrechtsansatz Grotius gerade nicht innovativ oder neu ist. Zur sehr streitigen Diskussion um die Frage, ob auch Hobbes einen göttlichen Ursprung des natürlichen Gesetzes annimmt, Kodalle, Thomas Hobbes, S.  54 ff.; Martinich, The Two Gods of Leviahan, p. 100 ss., 120 ss., 132 ss. (auch zum Verhältnis zu Suárez); dagegen aber, nämlich für eine grundsätzliche Neuorientierung des Naturrechts bei Hobbes trotz struktureller Ähnlichkeiten Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 16 ff.; Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 137 ff. Dazu differenzierend zwischen verschiedenen Rechtsbereichen, wobei der entscheidende Grund für Kontinuität/Diskontinuität darin liegen soll, wie theologisch die entsprechenden Rechtstheorien eingebettet sind, Jansen, Recht und gesellschaftliche

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verstehen das Naturrecht nicht als abstrakte Idee zur Legitimierung des geltenden positiven Rechts, sondern als selbständige umfassende und konkrete Naturrechtsordnung.24 Bereits bei Soto, Molina und Lessius findet sich eine konkrete ausdifferenzierte Naturrechtsordnung, die das Vertrags-, Wirtschafts-, Haftungs- oder Schadensrecht ausführlich behandelt.25 Diese konkrete Naturrechtsordnung wird über die Entwicklung bei Grotius, Pufendorf26, Domat, Pothier und Wolff immer weiter ausdifferenziert, systematisiert27 und in den Inhalten und Wertungen verändert, und entwickelt sich so, etwa bei Pufendorf und Wolff, zu einem systematischen und in sich geschlossenen

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Differenzierung, S.  119 ff., 123 ff. Im Hinblick auf Grotius etwa Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, S. 907 („Aus der Sprache der Moraltheologie war die Sprache der klassischen Philologie geworden – die Inhalte aber blieben vielfach dieselben“); s.a. Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 77; Gordley, Foundations of Private Law, p. 14 („the late scholastics of the 16th and 17th centuries self-consciously reduced Roman law to a coherent system of doctrines and principles by drawing on the ethical theory of Aristotle and Thomas Aquinas. Many of their conclusions were accepted by the founders of the northern natural law school, Grotius and Pufendorf […]“); Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit,  S.  308 zu Pufendorf („daß der erste Eindruck, den man bei der Lektüre von „De iure naturae et gentium“ gewinnt, der einer Verlagerung all der Wühlarbeit, die während des Jahrhunderts der Kasuistik und der Moraltheologie geleistet wurde, auf die Ebene des Naturrechts ist. Schon die Struktur des Werks, doch vor allem die grundsätzlichen Auffassungen über die entia moralia sind den Traktaten der Moraltheologie entnommen“). S. dazu unten S. 220 ff. sowie jeweils die Ausführungen zu den einzelnen Rechtsbereichen (Vertrags-, Haftungs- und Schadensrecht) S. 341 ff., 365 ff. Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  4, 8; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  77; vgl. auch bereits Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte,  S.  874 f.; entgegen Krause, der den wesentlichen Unterschied zwischen Spätscholastikern und Grotius darin sieht, dass Grotius eine konkrete Naturrechtsordnung entwickelt, die im Wege der Schlussfolgerungen auch konkrete Rechtsfragen beantwortet; so auch noch Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 127 („konkrete Naturrechtssätze“). Allerdings wird auch dort erwähnt, dass dieser Weg von Suárez theoretisch vorgegeben ist und dass insbesondere Lessius selbst auch konkrete Rechtsfragen beantwortet, siehe Krause, Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, S.  74 ff. (zu Lessius), 87 ff. (zu Suárez) sowie 147 ff.; s.a. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 57, wonach das „Neue“ bei Pufendorf das System des Naturrechts sei. S.  etwa  Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  311 (zum inhaltlichen Verhältnis von Pufendorf und Grotius, wonach Pufendorf im Wesentlichen grotianische Einflüsse übernimmt, diese aber erweitert, verfeinert und systematisiert). S.a. Villey, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 53, 68; Stolleis, in: Armgardt/Repgen (Hrsg.), Naturrecht in Antike und früher Neuzeit, S. 137, 143 („Prozess der naturrechtlichen Systematisierung von der Schule von Salamanca über Grotius, Pufendorf, Thomasius und Wolff“).

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Naturrechtssystem28. Diese Entwicklung ist aber keine bruchhafte, sondern eine kontinuierliche.29 Dagegen ändern sich der Wirkbereich und der Kontext des Naturrechts. Das Naturrecht wird insoweit „säkular“, als seine Wirkungen nicht mehr, wie bei Thomas und den Spätscholastikern, zumindest auch im göttlichen Forum bzw. im Bußforum ( forum Dei/forum poenitentiale) gesehen werden, sondern es aus diesem entfernt wird.30 Der Zusammenhang von Bußforum und Naturrecht wird aufgelöst. Ein Grund hierfür dürfte in der von Thomas und den Spätscholastikern verschiedenen theologischen Rechtfertigungslehre zumindest der protestantischen Naturrechtslehrer liegen. 3.8.1 Der theologische Hintergrund der neuzeitlichen Naturrechtslehre Um diese Änderung des Naturrechts zu verstehen, ist es notwendig den theologischen Hintergrund nachzuvollziehen. Ein wesentlicher Faktor, der zur Änderung der Auffassung über die Wirkungen und den Wirkbereich des Naturrechts geführt hat, dürfte dabei die Rechtfertigungs- und Gnadentheologie der Reformatoren sein.31 3.8.1.1 Rechtfertigung und Naturrecht bei Martin Luther Luther, der selbst keine umfassende Naturrechtslehre entwickelt, greift zwar das Naturrecht auf und knüpft in gewisser Hinsicht an die scholastische Naturrechtslehre an.32 So sieht er das Naturrecht etwa als Vernunftrecht, 28 29

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Dazu etwa Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 319 f. Auch liegt der Unterschied nicht zwingend darin (in diese Richtung aber Schmoeckel, Recht der Reformation, S. 53 ff.), dass die neuzeitlichen Naturrechtslehrer wie Pufendorf nicht mehr zwischen einem Naturrecht vor und nach dem Sündenfall unterschieden hätten. Diese Unterscheidung, die sich vor allem bei den legistischen und kanonistischen Naturrechtslehrern fand, hat bspw. Suárez (De Legibus, Lib. II Cap. 8 N. 8 f.) ausdrücklich aufgegeben. Vgl. Wieacker, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p.  223, 225 („Überführung der gesamten Problemmasse in einen neuen ideologischen Kontext“); ders., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 266 („Die Besonderheit des neueren Vernunftrechts ist nicht sowohl seine Säkularisation als vielmehr seine methodische Emanzipation von der Moraltheologie und seine Erhebung zu einer selbständigen profanen Sozialethik“); s.a. Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, S. 877 („Gewiß gilt vielen dieser Theologen […] das Naturrecht nur als ein Teil der Moraltheologie, nicht der Rechtswissenschaft“). Vgl. auch Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 51 ss. Wie sich dabei aber auch zeigen wird, verläuft die Trennlinie nicht zwangsläufig anhand konfessioneller Grenzen, sondern eher danach, ob die Rechtfertigungstheologie augustinisch oder molinistisch geprägt ist; dies zeigt sich insbesondere bei den jansenistisch geprägten Franzosen Domat und Pothier, s. dazu unten S. 265 ff. So ausdrücklich Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 101, 128; s. auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 412 ff. zur „theologischen Rechtsbegründung“ bei Luther, der zwar Terminologie der Scholastik übernimmt, aber die Rechtsphilosophie

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das universal, d.h. bei allen Menschen und nicht nur bei Christen gilt.33 Luther verändert die Naturrechtslehre aber gleichwohl fundamental, indem er das Naturrecht als „äußerliche Ordnung Gottes“ versteht, die das äußere Zusammenleben der Menschen regeln und insoweit von der weltlichen Obrigkeit angewandt werden soll.34 Luther verändert die Wirkungen des Naturrechts, indem er „Gesetz und Evangelium“ einander gegenüberstellt35 und dem Naturrecht einen weltlichen und menschlichen Charakter zuweist.36 Dadurch wird letztlich der Zusammenhang von Naturrecht, Gerechtigkeit und Rechtfertigung aufgelöst.37 3.8.1.2 Luthers Zwei-Reiche-Lehre Hintergrund dessen ist Luthers Rechtfertigungslehre und die damit verbundene Zwei-Reiche- bzw. Zwei-Regimente-Lehre.38 Es gibt demnach zwei „Reiche“, nämlich ein „geistliches“ und ein „weltliches“, und entsprechend dazu zwei „Regimente“.39 Während das weltliche Reich („Reich der Welt“) die

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auf Grundlage seiner Zwei-Reiche-Lehre letztlich verlässt. Nur begrenzt sollen sich occamistische bzw. voluntaristische Einflüsse zeigen, etwa darin, dass der Zusammenhang von lex naturalis und lex aeterna, den Thomas von der stoisch-augustinischen Gesetzeslehre übernimmt, von Luther nicht übernommen wird (Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 101, 128). Hingegen folgt Luther etwa darin der scholastischen Tradition, dass er davon ausgeht, dass das Naturrecht durch die natürliche Vernunft erkannt wird, Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  430 ff.; zum Inhalt des Naturrechts bei Luther grundsätzlich Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 441 ff. Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 67 ff., 75 ff., 88, 92 ff.; s.a. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 430, ferner S. 413 ff. (zur Geltung des Gesetzes für alle). Dazu Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 425 ff.; Arnold, Naturrecht bei Luther, S.  67 ff., 105 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  414 f.; s. ferner auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 60 ff. zum Verhältnis Luthers zur scholastischen Naturrechtslehre; dazu auch W.  Thönissen, Catholica  75 (2021), 63, 73 f. Dazu Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 408 ff.; vgl. Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 249 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 228 ff.). So Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 415. In diese Richtung Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 23 ff. („Entkopplung der Gerechtigkeit vom Heil“); ferner W. Thönissen, Catholica 75 (2021), 63, 73 ff. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 407 ff., 425, 584 ff., 599 f. (zum Zusammenhang von Rechtfertigungslehre und Zwei-Reiche-Lehre); Arnold, Naturrecht bei Luther, S.  36 ff. et passim; Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S.  146 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  407 ff.; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 51 ss.; zu einem Überblick über verschiedene Deutungen der ZweiReiche-Lehre s. Honecker, Sozialethik zwischen Tradition und Vernunft, S. 178 ff., 217 ff. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  591 ff.; Arnold, Naturrecht bei Luther, S.  36 ff.; Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA  11, (229) 247 ff., 249 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd.  3, S.  224 ff., 228 ff.); s.a. zum Verhältnis von „Reich“ und „Regiment“ Honecker, Sozialethik zwischen Tradition und Vernunft, S. 220 f.

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äußere Ordnung betrifft und durch das „Gesetz“ regiert wird, wird das geistliche Reich („Reich Gottes“) durch das „Evangelium“ gelenkt und zielt auf die geistlichen Belange und den Glauben.40 Beide Reiche sind von Gott eingesetzt, sowohl „weltliches“41 als auch „geistliches“ Regiment, aber beide Reiche sind voneinander getrennt.42 Trotz der Trennung beider Reiche sind sie aber nicht voneinander unabhängig, vielmehr besteht ein spezifisches Verhältnis zwischen beiden dahingehend, dass beide Reiche aufeinander zugeordnet sind.43 Während aber das „weltliche Regiment“ „äußeren Frieden“44, Ruhe und Sicherheit in dieser Welt sicherstellen soll und auf das zeitliche, irdische Leben bezogen ist, zielt das „geistliche Regiment“ auf das jenseitige Leben und die Rechtfertigung durch Gnade.45 3.8.1.3 Luthers Rechtfertigungslehre, Buße und Gericht Diese Zwei-Reiche- und Zwei-Regimente-Lehre ist durch die augustinisch geprägte Rechtfertigungstheologie Luthers bedingt.46 Maßgeblich ist dabei das eschatologische Grundverständnis Luthers.47 So sieht sich der Mensch in seinem Leben ständig mit Sünde, Tod, der Folge der Sünde ist, und Hölle konfrontiert und verfällt in Verzweiflung, weil er erkennt, dass er sich nicht aus eigenen Werken hieraus befreien kann.48 In dieser Verzweiflung erkennt der Mensch aber den erbarmenden Gott, der durch Christus die Sünde, den Tod und die Hölle überwunden hat und auch dem Menschen Hoffnung und 40 41 42 43 44 45 46 47 48

Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 249 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 229 ff.); Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 565 f., 591 ff., 600 f., ferner auch S. 407 ff.; Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 36. Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 247 (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 224 f.). Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 562 ff., 591 ff.; Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 38 f., 80. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  425 f., 597 ff.; vgl. Honecker, Sozialethik zwischen Tradition und Vernunft, S. 221 ff. Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 252 (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 232 f.). Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 425 f., 595 f.; Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 37; Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S. 146 f.; s. Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 251 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 230 ff.). Dazu Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  584 ff.; zur Rechtfertigungslehre Luthers im Verhältnis zu Thomas und den Spätscholastikern s. bereits oben S. 155 ff., 165 f.; s.a. Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 7 ff. Vgl. auch Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 588 ff.; Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 120 ff. Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 6 f.

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Zuversicht schenkt, indem er dem Menschen eine Teilhabe am ewigen Leben ermöglicht.49 Diese Wirklichkeit, durch die Tod und Sünde überwunden werden, wird nun den Menschen durch das Evangelium mitgeteilt, und „nur durch den Glauben“ kann der Mensch zum ewigen Leben gelangen.50 Allerdings wird der Glaube weiter durch die Sünde herausgefordert.51 Es gibt so auch bei Luther ein göttliches Gericht, in dem der Mensch durch Gott nach seinem Tod gerichtet wird.52 Im göttlichen Gericht werden die Menschen nach ihrem Glauben geurteilt, sodass nur die Gläubigen am ewigen Leben teilhaben.53 Indem der Mensch aber nicht aus seinem Willen, sondern allein aus der Gnade Gottes erwählt wird, erfolgt seine Erlösung nur aus dem Willen und der Vorhersehung Gottes.54 Es steht alleine in Gottes Gnade, Auswahl und Vorhersehung, ob ein Mensch gerettet wird.55 Der Mensch wird insoweit „allein aus Glaube“ (sola fide)56 und „Gnade“ (sola gratia) „gerechtfertigt“.57 Er kann sich sein Seelenheil nicht durch gute „Werke“ verdienen.58 Der freie Wille ist im Verhältnis zu Gott vollständig aufgehoben, womit Luther über Augustinus hinausgeht59; ihm kommt daher keine Bedeutung für das 49 50 51 52 53 54 55 56

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Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 9 f.; vgl. auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 27 f. Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 10 f. m.Nw. Kunz, Protestantische Eschatologie, S.  12; Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 599. Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 15 ff., 18 f. Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 18 f. Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 7, 9; bspw. Luther, Daß der freie Wille nichts sei, VI., WA 38 (603) 632 f., 636 (S. 43, 47 f.). Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 122. S.  etwa  Luther, De Lege, WA  39 I, (40) 51 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd.  2, S. 418 f.); ders., De Remissione Peccatorum, WA 1, (629) 632 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 31 f.) („Nihil enim iustificat nisi sola fides Christi“); ders., Tractatus de Libertate Christiana, WA 7, (39) 53, 56 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 130 f., 138 f.). Kunz, Protestantische Eschatologie, S.  11 ff.; Heckel, Luthers Reformation und das Recht,  S.  122; Luther, Sermo de Duplici Iustitia, WA  2, (143) 145 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 68 ff.). Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  122, 419; Kunz, Protestantische Eschatologie, S.  12 f.; Luther, Sermo de Triplici Iustitia, WA  2, (41) 46 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 60 ff.); ders., Quaestio, utrum opera faciant ad iustificationem, WA 7, (230)231 f. (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 98 f.); ders., Tractatus de Libertate Christiana, WA 7, (39) 53 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 130 f.). Augustinus geht auch nach dem Sündenfall von einer Bedeutung des freien Willens gegenüber Gott aus, auch wenn die Rechtfertigung ganz aus der göttlichen Gnade geschieht; s. oben S. 155 ff., 157 ff.

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Kapitel 3

Seelenheil zu.60 Die Rechtfertigung geschieht nur durch den Glauben, nicht durch Werke.61 Der Maßstab in diesem forum Dei ist danach ein anderer als bei Thomas und den Spätscholastikern. Nach Luther spielen in diesem göttlichen Gericht nur der Glaube (sola fides)62 und die Offenbarung (sola scriptura), d.h. das Evangelium, eine Rolle, hingegen nicht die Vernunft und das Naturrecht.63 Das göttliche Gericht kann nach Luther nicht in Kategorien der weltlichen Gerechtigkeit gemessen werden, sondern folgt ganz eigenen Kriterien der göttlichen Gerechtigkeit.64 In diesem geistlichen Reich, in dem es um die Rechtfertigung geht und nur die göttliche Offenbarung gilt, haben weder das Alte Gesetz noch das Naturrecht eine direkte Bedeutung – wenngleich das Gesetz für den Glaubenden und Gerechtfertigten weiter von Bedeutung ist, indem es dessen „Mahner“ ist.65 Während das weltliche Reich durch das Gesetz regiert wird und hier auch eine Rechts- und Zwangsordnung besteht66, wird das geistliche Reich alleine durch das Evangelium gelenkt, sodass hierin vernunft- oder 60

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Dazu etwa Luther, Daß der freie Wille nichts sei, VI., WA 38 (603) 637 f. (S. 49 f.); VIII., WA 38 (603) 662 ff., 665, 670 (S. 76 ff., 80 f., 86 f.); 4. Teil, WA 38 (603) 757 ff. (S. 204 ff.). S.a. Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 12 f. m.Nw.; Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 438 f.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 52 ff. Luther, Quaestio, utrum opera faciant ad iustificationem, WA 7, (230) 231 f. (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 98 f.); ders., De Lege, WA 39 I, (40) 48, 51 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 412 f., 418 f.); s.a. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 414 ff., 599 zur Bedeutung des Gesetzes für die Rechtfertigung; zu Letzterem auch Luther, Sermo de Triplici Iustitia, WA 2, (41) 45 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 58 f.); ders., Tractatus de Libertate Christiana, WA 7, (39) 53, 56 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 130 f., 138 f.). Allerdings wird nicht der Glaube alleine beurteilt, sondern der Glaube aufgrund der Werke, d.h. so wie er sich in den Werken der Menschen gezeigt hat (Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 19; s. aber auch Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 18 f.; ferner bereits Augustinus, Schriften gegen die Semipelagianer, De gratia et libero arbitrio, VII, 18). Die guten Werke sind nämlich notwendige Folgen des Glaubens (vgl. Luther, Tractatus de Libertate Christiana, WA 7, (39) 62 [in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 154 f.]; ders., De Fide, WA 39 I, (40) 46 [in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 406 f.]), sodass auch den Werken der Menschen auf Erden Bedeutung für das Gericht zukommt, auch wenn dadurch die Seligkeit nicht verdient wird (Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 19 m.Nw.). Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 18. Hierzu auch Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 122 f., 414 ff., 432 ff. Vgl. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 130,433 f. S. dazu Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 407 ff., 414 f., 420, 599; vgl. Arnold, Naturrecht bei Luther, S.  76 ff.; Martin-Palma, Gnadenlehre, S.  14: Das Gesetz hat also keine rechtfertigende, sondern hinweisende Funktion; ferner dazu Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 26 f., 29 f. Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 57 ff., 64; Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 600.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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naturrechtliche Regelungen keinen Platz haben.67 Daher spielt das Naturrecht für dieses göttliche Gericht und die Rechtfertigung keine Rolle als rechtlicher Maßstab.68 Gericht, Auferstehung der Toten und Hölle lassen sich nach Luther nur aus dem Wort Gottes (sola scriptura) selbst erschließen.69 Luthers wesentliches Anliegen ist dabei, das Geistliche von weltlichen Einflüssen zu befreien.70 Insofern wendet er sich insbesondere gegen den thomistischen Rationalismus, der Glaube und Vernunft verbindet, und tritt dafür ein, im Glauben nur die göttliche Offenbarung zugrundezulegen und die säkulare Vernunft hiervon zu trennen.71 Obwohl der Glaube den Maßstab des göttlichen Gerichts bildet, bedeutet dies nicht, dass bei Luther die Sünde aufgehoben und damit auch die Buße ihre Bedeutung verlieren würde.72 Gleichwohl ändern sich auch das Sündenverständnis und die Bedeutung der Buße bei Luther. Der Glaubende ist nämlich nach Luther „gleichzeitig gerecht und Sünder“ (simul iustus et peccator), Schuld und Sünde werden dem durch den Glauben Gerechtfertigten nicht mehr angerechnet.73 Die wesentliche Bedeutung der Taufe liegt in der Aufhebung der Ursünde. Sünde in diesem Sinn als Grundhaltung des Menschen ist abzugrenzen von der Sünde als Verstoß gegen göttliche Gebote und Verbote.74 Insoweit gibt es auch nach Luther die Möglichkeit einer nachfolgenden Buße, diese Buße wird auf die Taufe zurückbezogen, indem die Buße die Rückkehr 67 68 69 70 71 72

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Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 76; grundsätzlich auch Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 407 ff., 433 ff., 591 ff., 600 f.; vgl. auch Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229)250 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 228 ff.). Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 41, 76; Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 420, 423 ff. Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 4 f.; s.a. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 423 ff. Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 117. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 431 ff. S.  Dieter, in: Körner/Thönissen (Hrsg.), Vermitteltes Heil, S.  69 ff.; s.a. Luther, De Remissione Peccatorum, WA 1, (629) 630–633 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 25 ff.). Dazu auch Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 414 f., 419, 599. Denn im Gericht werden auch bei den Geretteten die Werke und Sünden vergolten, s. Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 19. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 122,414 f., 420, 599 m.Nw.; Willems/Weier, Soteriologie, S. 6 f.; Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 14 f.; s. Luther, Sermo de Triplici Iustitia, WA 2, (41) 45 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 58 f.); ders., Tertia Disputatio, WA 39 I, (40) 83 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 426 f.) („Ideo peccator est adhuc quisquis iustificatur, Et tamen velut plene et perfecte iustus reputatur“). Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  163; dazu Luther, Sermo de Triplici Iustitia, WA 2, (41) 44 ff. (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 56 ff.); s. aber auch Dieter, in: Körner/Thönissen (Hrsg.), Vermitteltes Heil, S. 69, 75 ff.

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Kapitel 3

zur Taufe ist.75 Maßgeblich ist die „innere Buße“, d.h. die Reue und das Bekenntnis.76 Indes ändert sich die Bedeutung der Reue insoweit, als die Vergebung der Schuld maßgeblich auf dem Glauben gründet.77 Die Befugnis zur Abnahme der Beichte kommt jedem Christen und nicht mehr nur Priestern zu.78 In gewisser Hinsicht wendet sich Luther gegen den richterlichen Charakter der Beichte, ohne dass aber das priesterliche Wirken überflüssig wäre.79 Nachdem Luther anfangs gegenüber dem Fegefeuer skeptisch ist, geht er später davon aus, dass es kein Fegefeuer gibt, da sich dieses nicht aus der göttlichen Offenbarung herleiten lasse.80 Auch wenn Luther an der Buße festhält81 und auch der Einzelbeichte in der lutherischen Tradition bis ins 18. Jahrhundert Bedeutung zukommt82, zeigen sich dennoch mehrere, hier relevant werdende Änderungen gegenüber der Rechtfertigungs- und Bußlehre der thomistischen Tradition: erstens wird der Zusammenhang von göttlichem Gericht ( forum Dei) und Naturrecht aufgehoben; zweitens verändert sich die Bedeutung der menschlichen Handlungen für das göttliche Gericht, da alleine der Glaube für die Rechtfertigung relevant ist – der Zusammenhang von menschlichem Handeln und

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Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  159 f.; Dieter, in: Körner/Thönissen (Hrsg.), Vermitteltes Heil, S. 69, 82. Vgl. auch zur Frage der Wirkung der Buße und Sündenvergebung Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 17 ff. Davon zu trennen ist die „Kirchenzucht“, die „weitgehend dem altkirchlichen kanonischen Bußverfahren entspricht“, s. dazu Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 199 ff. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 160. S. Dieter, in: Körner/Thönissen (Hrsg.), Vermitteltes Heil, S. 69, 78 f.; Luther, De Remissione Peccatorum, WA  1, (629) 631 (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd.  2, S.  26 f.); vgl. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 161; Bezzel, Frei zum Eingeständnis, S. 20; s.a. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S.  192, wonach an Stelle der Dreiteilung contritio – confessio – satisfactio die Zweiteilung Reue (contritio) und Glaube ( fides) tritt. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S.  161 f.; Bezzel, Frei zum Eingeständnis, S.  18 f.; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 192. Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 162; vgl. Bezzel, Frei zum Eingeständnis, S. 16 ff., 20; Dieter, in: Körner/Thönissen (Hrsg.), Vermitteltes Heil, S.  69, 70, 78, 80 f. („Priester sind nicht Urheber der Vergebung“, sondern der Heilige Geist, gleichwohl hat der Priester „eine unverzichtbare instrumentelle Funktion“). Kunz, Protestantische Eschatologie, S. 21. Zur Beichte bei Luther Bezzel, Frei zum Eingeständnis, S.  11 ff.; Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 191 ff. Hierzu Bezzel, Frei zum Eingeständnis, S. 26 ff., 96 ff., 164 ff.; s.a. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 194 f. („langsamer Verfall der lutherischen Einzelbeichte seit dem 17.Jh.“); s. ferner zu den Veränderungen der Buße Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 83 ss.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Rechtfertigung wird gelöst83; drittens ist im Verhältnis zu Gott der freie Wille des Menschen ganz aufgehoben; viertens hat die Buße nicht mehr richterlichen Charakter84 und auch die kirchliche Schlüsselgewalt verliert weitgehend ihre Bedeutung85; fünftens gibt es kein Fegefeuer (purgatorium) und damit ändert sich auch die Bedeutung der Genugtuung (satisfactio)86 und der zeitlichen Sündenstrafen87. 3.8.1.4 Naturrecht und Zwei-Reiche-Lehre Demgegenüber wird für das weltliche Reich nun das Naturrecht relevant. Denn nach Luther wird das weltliche Reich nicht durch das Evangelium, sondern durch das Gesetz regiert.88 Das Naturrecht betrifft die weltliche Gerechtigkeit und gilt für das weltliche Reich bzw. die zeitlichen Angelegenheiten.89 Es wird zwischen weltlicher Gerechtigkeit, die für die Rechtfertigung ohne Bedeutung ist, und christlicher Glaubensgerechtigkeit differenziert, wobei letztere die „Gnade“ ist, die durch Christus in die Welt gebracht worden ist.90 Allerdings gelten beide Reiche, Regimente und Gerechtigkeiten auch für den Christen, der folglich an jeweils beide gebunden ist.91 83 84 85 86 87 88 89 90

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S. dazu zuvor S.  224 ff. sowie auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 22 ff., der darin die „Entkopplung der Gerechtigkeit vom Heil“ sowie eine Infragestellung der „Werkgerechtigkeit“ verortet; W. Thönissen, Catholica 75 (2021), 63, 73 ff. Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 84. Vgl. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 25 f.; s. aber auch Dieter, in: Körner/Thönissen (Hrsg.), Vermitteltes Heil, S. 69, 80; ferner Luther, De Remissione Peccatorum, WA 1, (629) 631 f. (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 26 ff.). S. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 192, wonach die satisfactio „nicht Teil, sondern Frucht und Folge der Beichte“ ist; s.a. Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 84. Insoweit zu Melanchthon Vorgrimler, Buße und Krankensalbung, S. 164 f. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 407 ff., 569, 600 f.; Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 53 ff.; s.a. Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 249 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 228 ff.). Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  407 ff., 423 ff.; Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 77; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 414 ff. Arnold, Naturrecht bei Luther, S.  39 ff.; Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  413 f.; s. dazu auch Luther, Sermo de Triplici Iustitia, WA  2, (41) 43 ff. (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 54 ff.); ders., Sermo de Duplici Iustitia, WA 2, (143) 145 ff. (in: Schilling [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 2, S. 68 ff.). Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 45 f.; Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 414 f., 599; Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S. 147; s.a. Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 249 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 228 ff.). Weiter gilt, dass, während es im geistlichen Reich keinen freien Willen gegenüber Gott gibt, im weltlichen Reich ein freier Wille des Menschen existiert, s. Heckel, Luthers Reformation und

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Kapitel 3

Luther verbindet dabei Dekalog und Naturrecht. Der Dekalog (zumindest seine zweite Tafel) ist, soweit er durch die Vernunft geboten ist92, auch Teil des Naturrechts.93 Luther geht insoweit davon aus, dass die weltliche Obrigkeit die Welt durch das Naturrecht und den Dekalog als äußere Ordnung regieren soll.94 So wie die weltliche Obrigkeit von Gott eingesetzt ist95, leitet auch das menschliche positive Recht seine Geltung vom Naturrecht ab und ist nur insoweit gültiges Recht, als es mit dem Naturrecht übereinstimmt.96 Das Naturrecht wird so zu einem überpositiven Recht, das zur Quelle des weltlichen Rechts wird.97 Folglich unterscheidet sich der Wirkbereich des Naturrechts gegenüber der thomistischen Lehre dahingehend, dass das Naturrecht aus dem forum internum als dem forum Dei, das die Beziehung des Menschen zu Gott regelt, entfernt wird. Während die thomistische Tradition das Naturrecht hinsichtlich seiner unmittelbaren Wirkung (Bindung im Gewissen) dem Gewissensforum ( forum conscientiae) und damit dem forum Dei zuordnet, verlagert Luther das Naturrecht einschließlich des Dekalogs ganz in das weltliche Reich.98 Das Naturrecht hat nach Luther nicht die Aufgabe die Gewissen anzuleiten, sondern ist dem weltlichen Regiment zugeordnet.99 Das Naturrecht wird so zum Recht, das die Obrigkeit und das weltliche Regiment bindet.

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das Recht, S. 438 f.; vgl. bspw. Luther, Daß der freie Wille nichts sei, VI., WA 38 (603) 638 (S. 49 f.). Zur (Nicht-)Geltung des übrigen Teils des Alten Gesetzes s. Arnold, Naturrecht bei Luther, S.  49 ff., 92, 98, d.h. dessen, was bei Thomas noch als Rechtssatzungen bzw. Kultvorschriften bezeichnet wurde und infolge des Neuen Testaments gleichfalls keine Bedeutung mehr hat. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 425 f.; s.a. Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 36, 88, 94; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 415, wonach bei Luther im Gegensatz zur Scholastik der ganze Dekalog und nicht nur dessen zweite Tafel zum Naturrecht gehört. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  426 f.; Schmoeckel, Das Recht der Reformation,  S.  151; vgl. Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA  11, (229) 248 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 224 ff.). Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 247 (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 224 f.); Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 562 ff, 565. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 428; Arnold, Naturrecht bei Luther, S. 107, 111; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 415 f. Arnold, Naturrecht bei Luther, S.  105, 107; Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  428; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  416 mit dem Hinweis, dass dies nicht einen Ableitungszusammenhang wie in der Scholastik meint, sondern „eine Art Ausrichtungszusammenhang“. Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 414 f. Arnold, Naturrecht bei Luther, S.  77; Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 426 f., 431.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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3.8.2 Die neuzeitliche Naturrechtslehre im Überblick Hierdurch ergeben sich wesentliche Folgen für das Naturrecht. Soweit das Naturrecht nur den allgemeinen Geltungsgrund des menschlichen Rechts bildet100, bleibt dem menschlichen Gesetz ausreichender Anwendungsbereich für Konkretisierung, da es nur begrenzt durch das Naturrecht determiniert ist. Wo aber das Naturrecht durch Schlussfolgerungen erweitert wird und auch etwa das Vertrags-, Haftungs- und Schadensrecht konkret regelt, wie dies bei der post-tridentischen Naturrechtsordnung insbesondere der Jesuiten der Fall war, müssen Naturrecht und menschliches Recht notwendig konfligieren – sofern man nicht an den zwei getrennten Foren mit den diesen jeweils eigenen Normen und Rechtsordnungen festhält. Gerade dies war die Herausforderung, vor der die Naturrechtler der Neuzeit stehen sollten.101 Wenn nämlich zwei parallele Rechtsordnungen mehr oder weniger das gleiche mit denselben Rechtswirkungen, d.h. in demselben Forum regeln, konfligieren diese notwendig. Wie sich sogleich zeigen wird, ist daher die Antwort darauf, welche Wirkungen der konkreten Naturrechtsordnung zukommen sollen, überaus kontrovers und keineswegs einheitlich. Im Wesentlichen ergeben sich hier zwei Möglichkeiten: Behält man das Naturrecht grundsätzlich bei, geht aber davon aus, dass es für das forum Dei bzw. forum poenitentiale keine Rolle spielt, so kann man das Naturrecht in das forum externum verlagern. Oder man kann seine Rolle auf das forum internum/conscientiae beschränken, wobei dann der Zusammenhang von forum internum/conscientiae und forum poenitentiale/Dei aufgelöst werden muss. Letztlich bilden sich dann durch die Trennung von forum internum/ conscientiae und forum poenitentiale/forum Dei drei Foren: das Bußforum ( forum poenitentiale) bzw. das göttliche Gericht ( forum Dei) am Ende der Zeit; das Gewissensforum ( forum conscientiae), dem das Naturrecht zugeordnet wird und das vom Bußforum getrennt ist; sowie das menschliche Forum ( forum externum).102 Wie sich gleich zeigen wird, werden beide Wege im neuzeitlichen Naturrecht beschritten. Allerdings vollzieht sich durch Luther weder unmittelbar noch notwendig ein Bruch in der Rechts- und Naturrechtslehre.103 So folgt etwa im lutherischen 100 Zum Inhalt des Naturrechts bei Luther s. Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 441 ff. 101 Vgl. auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  260 ff.; ferner Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 98 ss. 102 Vgl. zu diesem Gedanken der drei Foren auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 169. 103 Vgl. insoweit auch die nachträgliche Bewertung Luthers bei Thomasius, Schätzel, Hugo Grotius – De Iure Belli ac Pacis, Vorrede Thomasius, N.  26 f., S.  22 ff.; s.a. zu den

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Kapitel 3

Diskurs bereits bei Melanchthon eine Art „Neu-Aristotelismus“, was wiederum zu einer anderen Bewertung des Gesetzes und des Naturrechts führt.104 Umgekehrt bildet sich bei orthodoxen lutherischen Theologen die Vorstellung eines spezifisch christlichen Naturrechts105, ferner gibt es eine lutherische Spätscholastik, die an die spanische Spätscholastik anknüpft.106 So werden durch die veränderten theologischen Rahmenbedingungen, die sich in ähnlicher Weise auch bei den anderen Reformatoren finden, in der Folgezeit verschiedene Versuche zur Neubestimmung des Naturrechts unternommen, ohne dass sich hier aber eine einheitliche „protestantische“ Naturrechtslehre, die die Voraussetzungen und Wirkungen des Naturrechts einheitlich bestimmt, etablieren würde.107 Es zeigen sich so bei den Naturrechtslehrern der Neuzeit ganz unterschiedliche Ansätze, das Naturrecht neu zu bestimmen.108 Was sich aber grundsätzlich ändert, sind der Wirkbereich, die Ziele und der Kontext des Naturrechts; es wird für das Naturrecht der „richtige Ort“ gesucht.109 Bei Grotius ist dieser Ort der Krieg, wobei er zeitgeschichtlich die Glaubenskriege des 17. Jahrhunderts vor Augen hat und hier nun mit den naturrechtlichen Grundlagen eine Art Völkergemeinrecht für den Krieg entwickelt.110 Das Naturrecht wird so zum Recht, das in Abwesenheit einer positiven Rechtsordnung der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten dienen soll.111 Bei Hobbes gelten demgegenüber die natürlichen Gesetze im „Naturzustand“, d.h. dem Zustand vor Staatsgründung, in dem es zum „Krieg aller gegen alle kommt“, und dienen den Menschen zur Überwindung des Naturzustands durch Staatsgründung.112 Bei

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Änderungen bei Luthers Position selbst Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S. 24 ff., 34 ff.; umfassend zum lutherischen Naturrecht Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 59 ss., 64 ss., 85 ss. Zum Naturrecht bei Melanchthon s. Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S.  26 ff., 30 ff.; Bauer, in: Nürnberger (Hrsg.), FS Ritter, S. 244 ff.; Scattola, Das Naturrecht vor dem Naturrecht, S. 29 ff.; ferner Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 55 ss. Vgl. hierzu Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 149; ferner Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 99 ss. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 150 ff.; s. etwa zu Suárez’ Einfluss auf die protestantische Scholastik Kronen, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 221 ss. Vgl. auch zu den verschiedenen Naturrechtsansätzen bei Calvinisten und Lutheranern Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S.  56 ff., 65 ff.; umfassend dazu auch Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 59 ss., 64 ss., 85 ss. Vgl. Wieacker, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 223, 225. Wieacker, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 223, 225 („ideologischer Kontext“). Hierzu sogleich S. 235 ff. S. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 126 f. Hierzu unten S. 240 ff. sowie Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 127.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Pufendorf, Thomasius und Wolff wird das Naturrecht zur Ethik bzw. praktischen Philosophie, die den Menschen zu einem guten diesseitigen Leben anleitet, wobei Thomasius den Gesetzes- und Rechtsbegriff umformen wird.113 Was für die rechtliche Entwicklung besonders wirkmächtig wird, ist innerhalb dieser disparaten neuzeitlichen Naturrechtslehren eine Strömung, die das Naturrecht zur Grundlage des geltenden staatlichen Rechts in foro externo machen will bzw. das geltende, römisch geprägte Recht entsprechend den naturrechtlichen Vorgaben umgestaltet.114 Nach dieser Strömung, die vor allem von den französischen Rechtswissenschaftlern Domat und Pothier geprägt wird, wird das Naturrecht zu einer wesentlichen Grundlage der sog. neuzeitlichen Naturrechtskodifikationen (insbesondere des französischen Code Civil von 1804).115 Insoweit wird das Naturrecht also nicht so sehr in seiner Begründung und in seinem Inhalt, sondern in seinen Wirkungen verändert, indem es auch zu einer Grundlage des weltlichen Rechts in foro externo wird. Im Folgenden ist nun näher auf die einzelnen neuzeitlichen Naturrechtsansätze einzugehen. 3.8.3 Das Naturrecht und der Krieg 3.8.3.1 Das Naturrecht bei Grotius Wie in der thomistischen Tradition ist auch bei Grotius (1583–1645) das Naturrecht eine „Anordnung rechter Vernunft“ (dictatum rectae rationis), die anzeigt, ob eine Handlung moralisch gut oder schlecht ist und folglich „von Gott als dem Urheber der Natur“ (ab auctore naturae Deo) ge- oder verboten ist.116 Abzugrenzen ist dieses – zwar von Gott kommende117, aber auch für Gott unveränderliche – natürliche Recht vom menschlichen und göttlichen positiven Recht.118 Das, „was aus einem intrinsischen Grund schlecht ist“, kann auch nicht durch Gott gut werden.119 Hierin zeigen sich Ähnlichkeiten 113 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  151 (zu Pufendorf) sowie sogleich S. 243 ff. 114 Vgl. König, Pothier und das römische Recht, S. 131 ff., 178 ff. 115 Dazu etwa Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 340 f.; Arnaud, Les origines doctrinales, p. 218 ss.; König, Pothier und das römische Recht, S. 178 ff. (zu Pothier), ferner auch S. 131 ff.; s.a. unten S. 265 ff. 116 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap.  1 N.  10; dazu auch Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  130 ff.; Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 7 ff.; grundsätzlich zur Parallelität von Grotius und Suárez Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S. 21 ff., 61 ff., 100 ff. 117 S. etwa Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I N. 10; Prolegomena, N. 12. 118 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 10; Prolegomena, N. 11 f. 119 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap.  1 N.  10. Damit sind nach Grotius scheinbare Änderungen des Naturrechts nicht Änderungen des Naturrechts an sich, sondern der

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Kapitel 3

zur objektivistischen Position Gabriel Vázquez’, welche das Naturrecht aus der vernunftbegabten Natur selbst herleitet, wenngleich der Verweis auf Gott als Urheber des Gebots und Verbots durchaus eine Nähe zu Suárez’ Position offenbart.120 Weiter versteht Grotius das Naturrecht nicht als eine abstrakte Idee zur Legitimierung des positiven menschlichen Rechts, sondern entwickelt es als konkrete Naturrechtsordnung, die etwa die Verbindlichkeit von Versprechen, das Haftungs- und Schadensersatzrecht und das Recht der Strafen regelt.121 Wie Thomas und Aristoteles teilt Grotius das Recht in positives (ius voluntarium) und Naturrecht (ius naturale) ein122, wobei das ius voluntarium ebenso wie in der thomistischen Tradition das göttliche und das menschliche positive Recht umfasst.123 Ebenso unterscheidet Grotius Recht (ius) in die drei verschiedenen Bedeutungen und übernimmt damit den spätscholastischen Rechtsbegriff.124 Erstens wird ius im Sinne von „gerecht“ (iustum) verstanden.125 Zweitens bezeichnet ius eine „moralische Qualität“ (qualitas moralis), die es einer

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Sache, über die das Naturrecht Regelungen trifft (Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap.  1 N.  10). Hier zeigen sich ebenfalls Ähnlichkeiten zu Vázquez’ und Suárez’ Unterscheidung von Gegenstand (materia) und Gebot (praeceptum) des Naturrechts. Auch greift Grotius (aaO) die suarezianische Position (Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 17, 19) auf, dass zwar das Eigentum erst durch menschlichen Willen eingeführt worden sei, aber gleichwohl das gebietende Naturrecht den Diebstahl verbiete. Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 130 f.; Ludwig, in: Byrd/Hruschka/ Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S.  3, 8 („weder Rationalist noch Voluntarist“), 12 ff.; Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, p.  499 ss., 504 s., 521. S. etwa Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Prolegomena, N. 12 („ius naturale […], quamquam ex principiis homini internis profluit, Deo tamen asscribi merito potest“), Lib. I Cap. 1 N. 15. Ähnlichkeiten scheinen im Übrigen mit Molina zu bestehen, s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp. 3 N. 3; Disp. 4 N. 1 f. Vgl. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Prolegomena, N. 8 sowie die ausführliche Behandlung dieser Themen Lib. II Cap. 10, 11, 17, 20 f. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 9: „Iuris ita accepti optima partitio est, quae apud Aristotelem exstat, ut sit aliud ius naturale, aliud voluntarium, quod ille legitimum vocat, legis vocabulo strictius posito“. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 9, 13; s.a. Prolegomena, N. 11 f. zur Unterscheidung von natürlichem Gesetz und positivem, d.h. aus dem göttlichen Willen folgendem Gesetz. S.  ferner  Grotius (De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap.  1 N.  16, 17, Prolegomena, N. 48 ff.) zum Verhältnis von natürlichem Gesetz, Altem Testament und Neuem Testament, worin sich wiederum Anleihen bei der scholastischen Tradition zeigen (s. dazu oben S. 195 ff.). Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S. 61 ff., 100; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 326 („The tripartite understanding of ius as „What is just,“ as a subjective right, and as law is precisely what we find in Suarez“). Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 3: „ius hic nihil aliud quam quod iustum est significat“.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Person ermöglicht, „etwas rechtmäßig zu haben oder zu tun“; diese moralische Qualität wird wiederum, sofern sie „vollkommen“ ist, als „moralische Befugnis“ ( facultas moralis) verstanden (insoweit Recht im engeren Sinn).126 Wenn nach Grotius nun weiter ius im Sinne dieser moralischen Befugnis ( facultas moralis) die Rechtsmacht (potestas) über sich (Freiheit – libertas) und andere sowie das Eigentum (dominium) umfasst, zeigen sich ebenfalls deutliche Rezeptionen der scholastischen Tradition.127 Schließlich wird ius auch im Sinne von Gesetz (lex) verstanden, wobei entsprechend Suárez die Verpflichtung (obligatio) für das Gesetz essenziell ist, welche das Gesetz von den Ratschlägen (consilia) abgrenzt.128 Häufig wird hinsichtlich der Innovation des Naturrechts bei Grotius auf seinen Ausspruch verwiesen, dass das Naturrecht auch dann gelten würde, wenn es Gott nicht gäbe („etiamsi daremus, quod sine in summo scelere dari nequit, non esse Deum aut non curari ab eo notia humana“).129 Bei diesem Zitat, das ursprünglich auf den Augustinereremiten Gregor von Rimini (1300–1358)130 zurückgeht und sich ähnlich auch bei zahlreichen Spätscholastikern (etwa Suárez131) findet132, kann allerdings nach dem Gesagten kein wesentlicher 126 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 4–8; 4: „Qualitas moralis personae competens ad aliquid iuste habendum vel agendum“; zu diesem Rechtsbegriff bei Grotius s.a. Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S. 262 f. Soweit Grotius hier die facultas als ius stricte versteht (aaO, N.  5), diese der iustitia explectrix (iustitia stricte) zuordnet (aaO, N.  8) und von dieser die aptitudo abgrenzt, die er der iustitia attributrix zuordnet, die sich wiederum auf andere Tugenden wie die liberalitas bezieht, zeigen sich ebenfalls Übereinstimmungen mit der Unterscheidung von ius speciale und ius generaliter & large sumptum bei Suárez, s. dazu oben S. 141 ff. sowie Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4. 127 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 5; zur Rezeption der Spätscholastik s.a. Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S.  100; Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 33 Fn. 31; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 33, 35; Ertz, Vertrag und Gesetz, S. 38 ff., 78 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 84, 208 ss., 600 s.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 316 ss., 326; Haggenmacher, in: Foisneau (ed.), Politique, droit et théologie, p. 73 ss., 121 ss. 128 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 9: „Est & tertia juris significatio, quae idem valet quod lex“; dazu auch Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S. 100. 129 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Prolegomena, N.  11; kritisch zu dieser These Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 10 ff.; Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, p. 502 s., 521 s. 130 Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  264; Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S.  3, 13; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 5. 131 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  6 N.  3; zu diesem Einfluss auf Grotius auch Pizza, in: Faraco/Langella (ed.), Francisco Suárez 1617–2017, p. 239 ss. 132 So auch Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 319 s.

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Kapitel 3

Unterschied zur Scholastik angenommen werden; auch sie, insbesondere etwa Gabriel Vázquez133, geht davon aus, dass Geltungsgrund des Naturrechts die vernunftbegabte Natur bzw. die natürliche Vernunft an sich ist134 und es zu seiner Geltung, zumindest bei Gabriel Vázquez, überhaupt keines göttlichen Willens- oder Vernunftsaktes bedarf.135 Was ist also das Neue bei Grotius?136 Grotius externalisiert in gewisser Hinsicht die Wirkungen des Naturrechts, indem er es zur Rechtsordnung macht, die im Krieg zwischen den Ländern und deren Regierenden gilt, d.h. in Abwesenheit vom positiven staatlichen Recht (ius civile) und neben den positiven göttlichen Gesetzen und dem durch Vereinbarung oder Gewohnheit enstandenen Recht – das Naturrecht wird aus dem Gewissens- und Bußforum in einen neuen Kontext, nämlich den des Völker- und Kriegsrechts überführt.137 Das Völkerrecht besteht so nach Grotius auch aus dem „Recht, das aus der Natur hervorgeht“ (ius ab ipsa natura profectum).138 Auf diese Weise wird das Naturrecht zum gemeinsamen, unabhängig von der Religionszugehörigkeit geltenden Recht der Völker, das für oder innerhalb des Krieges gilt und das den Weg zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten und zur Überwindung des Krieges weisen soll.139 Gerade darin, das Recht der Völker darzustellen und damit eine Art Kriegsvölkerrecht zu entwerfen, sieht auch Grotius selbst seine eigene Innovation.140 Ferner isoliert Grotius das Naturrecht 133 Dazu oben bereits S. 192 f. sowie Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S. 67 ff. 134 Zur Ähnlichkeit der Naturrechtsdefinition bei Grotius zu den Spätscholastikern bspw. Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S. 101; Krause, Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, S. 150 f.; Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 130 f. 135 Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 12 ff., 15; Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S.  67; Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, p. 499 ss., 502 s., 521. 136 Zu dieser Frage auch Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 319 ss.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  263 ff.; vgl. auch Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 126 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 299 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 209, 600 s. 137 Vgl. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Prolegomena, N. 1, 26, 28; Lib. I Cap. 1 N. 1; dazu auch Krause, Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, S.  147 ff.; Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  127; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  290 f.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 4 („Die Überführung der von Moraltheologie befreiten Naturrechtslehren in die Rechtswissenschaft bleibt das Hauptverdienst von Grotius“); s.a. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 264 f. 138 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Prolegomena, N. 1. 139 Vgl. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Prolegomena, N. 25 ff., 28; s.a. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  127; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  290 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 209, 601. 140 S. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Prolegomena, N. 1, 28, 36.

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in der Darstellung stärker vom positiven Recht141 und insbesondere auch von den „scholastischen“ Diskussionen142 – markant ist die Klarheit, Eleganz und Kürze bei Grotius, die sein Werk auszeichnet und in deutlichem Kontrast zu den Distinktionen, Differenzierungen und der Kasuistik der Spätscholastiker (vielleicht mit Ausnahme Lessius’) steht.143 Der theologische Aspekt, dass bei den Reformatoren das Naturrecht für das forum Dei keine Bedeutung hat, dürfte zwar auch beim Calvinisten Grotius bedeutsam sein. Umgekehrt ist Grotius zwar Calvinist, aber Arminianer144, und hängt damit einer Rechtfertigungslehre an, die im Gegensatz zum klassischen Calvinismus und der lutherischen Position dem freien Willen Bedeutung für die Rechtfertigung zuerkennt, was Grotius wiederum in gewisse Nähe zur Spätscholastik bringt145.146 141 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Prolegomena, N.  30, 37, 56 (d.h. sowohl menschlichem wie auch göttlichem positivem Recht); ähnlich bereits Pufendorf, der dies als Innovation Grotius’ betont, s. Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 31 m.Nw. 142 Dazu etwa Thieme, Ideengeschichte und Rechtsgeschichte, S. 878. 143 S. insbesondere Decock, Theologians and Contract Law, p. 211, 272, 601. Zu diesem Aspekt der unterschiedlichen Darstellungsweise bzw. Kürze bei Grotius auch Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 77; zur konzisen Darstellungsweise bei Lessius Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXX f. 144 S. hierzu auch Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S. 56, 58 ff. 145 Vgl. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 289. Zur Rechtfertigungslehre der Arminianer und ihrem Verhältnis zur calvinistischen und molinistischen Position Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p.  365, 366 s.; zur Rechtfertigungslehre Calvins Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 33 f. Zum Einfluss der Rechtfertigungslehre auf den Begriff des freien Willens bei Grotius vgl. Recknagel, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 399, 400 ff. 146 S. generell zum Einfluss der Theologie auf Grotius’ Werk Todescan, Le radici teologiche del giusnaturalismo laico I, p.  21 ss. Bedeutung kommt dabei auch Grotius’ theologischer Schrift De Satisfactione Christi (1617) zu (dazu Rabbie [ed.], Hugo Grotius, p. 1 ss.; Lagrée, in: Foisneau [ed.], Politique, droit et théologie, p.  193 ss.). Darin bezieht er Stellung hinsichtlich einer theologischen Auseinandersetzung zwischen verschiedenen calvinistischen Anschauungen (nämlich gegen den sog. Socinianismus). Das Werk betrifft zwar nicht die besonders streitige Frage des Verhältnisses von göttlicher Prädestination und menschlichem freiem Willen, sondern die Frage der Bedeutung des Erlösungswerkes Christi für die Rechtfertigung des Menschen (s. Rabbie [ed.], Hugo Grotius, p. 16 s.; Lagrée, in: Foisneau [ed.], Politique, droit et théologie, p. 193, 199). Gleichwohl ist es aber insoweit bedeutsam, als sich Grotius hier mit einer theologischen Frage beschäftigt, darin aber zugleich bereits seine naturrechtliche Straftheorie von De Iure Belli ac Pacis ansatzweise ausarbeitet und insofern eine theologisch-juristische Argumentation entwickelt (s. dazu Rabbie [ed.], Hugo Grotius, p. 1; Lagrée, in: Foisneau [ed.], Politique, droit et théologie, p.  193, 199 sowie Grotius, De Satisfactione Christi, Cap. II, IV). Grotius entwickelt hier also in theologischem Kontext eine rechtliche Denkfigur, die er dann in den juristischen Kontext überträgt.

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Kapitel 3

3.8.3.2 Das Naturrecht bei Hobbes In gewisser Weise ähnlich Grotius erhält auch bei Thomas Hobbes (1588–1679) das Naturrecht einen konkreten praktischen Bezug zur äußeren Wirklichkeit, der bei Hobbes auf die Überwindung des Bürgerkriegs und die Errichtung staatlicher Ordnung gerichtet ist.147 Bei Hobbes wird so ganz grundlegend die Unterscheidung zwischen einem „Naturzustand“, in dem sich jeder in einem Zustand absoluter Freiheit befindet, jeder also „Rechte auf alles“ hat (a Right to every thing) und so ein „Krieg aller gegen alle“ herrscht, und dem Zustand nach Staatsgründung, in dem die Menschen auf ihre natürlichen Rechte verzichtet haben und nur noch die Gesetze des Staates Geltung besitzen.148 So wendet sich Hobbes gegen die Auffassung, wonach die Naturgesetze nicht der Erhaltung des Lebens in dieser Welt dienten, sondern den Weg zur ewigen Glückseligkeit weisen würden.149 Das natürliche Gesetz sei nämlich eine Regel der Vernunft (Precept, or generall Rule, found out by Reason), die gebietet, das zur Erhaltung des Lebens Erforderliche zu tun; es erhält so bei Hobbes eine innerweltliche Bedeutung, und zwar als Weg zum Frieden.150 Gebote des natürlichen Gesetzes sind erstens „nach Frieden zu streben“, zweitens zur Erhaltung des Friedens dazu bereit zu sein, „auf sein Recht auf alles zu verzichten und sich gegenüber anderen mit so viel Freiheit zu begnügen, wie man sie bei den anderen gegenüber sich selbst duldet“, schließlich auch gegebene Versprechen zu erfüllen.151 Die Zielrichtung ist hierdurch klar bestimmt: Das Naturrecht soll den Weg zum Frieden weisen; dieser Weg realisiert sich durch die Gründung des Staates unter Überwindung des Naturzustands, wie sich gleich noch zeigen wird. Gerade in dieser Zielsetzung, die sich vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund (englischer Bürgerkrieg; Konfessionskriege) erklären lässt, sieht Hobbes auch den Unterschied zu den Lehren der anderen.152 Auch wenn das Ziel des Naturrechts ein neues ist, zeigen sich dennoch bekannte Topoi. Die natürlichen Gesetze werden durch die menschliche 147 Vgl. zu dieser Ähnlichkeit von Hobbes und Grotius Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 126 f. 148 Vgl. Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 13, p. 60 ss., Chap. 14, p. 64 s.; of Common-Wealth, Chap. 17, p. 85 ss., 87 s.; dazu auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 144 ff. 149 Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 15, p. 73, vgl. ferner Chap. 14 p. 68 (by the Free Grace of God onely). Hierin zeigt sich freilich die geänderte reformatorisch geprägte Position hinsichtlich der Wirkungen des Naturrechts. 150 S. Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 14, p. 64. 151 Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 14, p. 64 s.; Chap. 15, p. 71; dazu auch Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 113 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 146. 152 Vgl. Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 15, p. 80.

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Vernunft erkannt.153 Sie sind „unabänderlich und ewig“.154 Es geht bei ihnen um die Frage nach Gut und Böse.155 Das Gute wird nun durch die Tugenden gewiesen (Gerechtigkeit etc.).156 Hinsichtlich der Wirkungen der Naturgesetze argumentiert Hobbes, dass diese „in foro interno“, d.h. im Gewissen verpflichten würden.157 Von den natürlichen Gesetzen (Law of Nature) ist das „Naturrecht“ (Right of Nature) abzugrenzen, worunter Hobbes die Freiheit (liberty) versteht, die jeder hat, um sein Leben zu erhalten, wobei Freiheit das Fehlen jeden äußeren Zwanges meint und Gegenbegriff zur Verpflichtung (obligation) ist.158 Wesentlich ist sodann aber bei Hobbes, dass er hier nicht stehen bleibt, sondern durch die Abgrenzung von „Naturzustand“ und Zustand nach Staatsgründung weitergeht. Da nämlich die natürlichen Gesetze den menschlichen Neigungen zuwiderlaufen und daher nicht eingehalten würden, bedarf es nach Hobbes einer höheren Gewalt, um Frieden und Sicherheit zu gewährleisten.159 Um dem „Krieg aller gegen alle“ zu entkommen und Frieden zu erreichen, gründen die Menschen durch Vertrag einen Staat, den Leviathan, der die Bürger zum Frieden zwingt.160 Indem die Menschen durch einen Vertrag eine Gruppe oder eine Person zu ihren „Repräsentanten“ ernennen und diesen durch ihren Rechtsverzicht Befugnisse und Ermächtigungen erteilen, wird ein institutioneller Staat gegründet.161 Diesem Staat bzw. seinen Repräsentanten 153 Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 14, p. 64; of Common-Wealth, Chap. 26, p. 141 s. Gleichwohl sieht Hobbes den Ursprung der Naturgesetze, die er von den positiven Gesetzen, d.h. menschlichen und göttlichen, abgrenzt, darin, dass sie von aller Ewigkeit her gültig seien, sie sind insofern nach Hobbes göttlichen Ursprungs (Gods law), s. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 147 s., 149; Chap. 31, p. 186 ss.; s. aber zu dieser Diskussion, ob Hobbes tatsächlich einen göttlichen Ursprung der natürlichen Gesetze annimmt oder ob es sich bei diesen Aussagen lediglich um eine Reminiszenz der Naturrechtstradition handelt, Hüning, Freiheit und Herrschaft, S.  137 ff.; Kodalle, Thomas Hobbes, S. 54 ff.; Martinich, The Two Gods of Leviathan, p. 100 ss., 120 ss., 132 ss.; Ludwig, in: Byrd/ Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 16 ff. 154 Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 15, p. 79. 155 Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 15, p. 79; zur Ähnlichkeit dessen zu Suárez und Grotius Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 16. 156 Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 15, p. 79 s.; of Common-Wealth, Chap. 26, p. 138. 157 Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 15, p. 79: Allerdings würden sie nicht immer auch in foro externo binden, d.h. nicht immer dazu verpflichten, auch nach außen entsprechend zu handeln. 158 Hobbes, Leviathan, of Man, Chap.  14, p.  64. Zur liberty ferner Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 21, p. 108: liberty ist danach – im Gegensatz etwa zu Molina – consistant mit necessity, und zwar im Hinblick auf Gott als the first of all causes. Hier zeigen sich freilich Bezüge zur Rechtfertigungstheologie, s. oben S. 155 ff. 159 S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 17, p. 85. 160 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 17, p. 85 ss., 87. 161 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 17, p. 87 s.; Chap. 18, p. 88.

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Kapitel 3

kommt Souveränität zu.162 Widerstand gegen diesen Staat oder Absetzung des Souveräns ist Vertragsbruch und damit Unrecht.163 Der Staat erlässt nun die bürgerlichen Gesetze (civill lawes).164 Im Staat sind bürgerliche Gesetze und natürliche Gesetze „gegenseitig ineinander enthalten und entsprechen einander“.165 Denn der Grundsatz, den bürgerlichen Gesetzen zu folgen, ist nach Hobbes selbst Konsequenz des natürlichen Gesetzes, nämlich der Bindung an den Staatsgründungsvertrag.166 Weil sich die Menschen im Staatsgründungsvertrag verpflichtet haben, die Gesetze einzuhalten, sind die Bürger durch das Naturgesetz zur Einhaltung der bürgerlichen Gesetze verpflichtet.167 Aber erst mit der Staatsgründung entstehen wirkliche Gesetze, und der Staat verpflichtet diese einzuhalten, indem er Strafen für die Zuwiderhandlung vorsieht.168 Durch den Befehl des Staates werden daher auch die natürlichen Gesetze Teil der bürgerlichen Gesetze.169 Ziel der bürgerlichen Gesetze ist, die natürliche Freiheit der Menschen zu beschränken, damit diese sich gegenseitig keinen Schaden zufügen und so Frieden hergestellt wird.170 Das bürgerliche Gesetz bildet so nun den „Maßstab guter und schlechter Handlungen“.171 Geltungsgrund aller, d.h. auch der ungeschriebenen natürlichen Gesetze ist dabei der „Wille des Staates“ bzw. seines „Repräsentanten“ ( from the Will of the Common-wealth, that is to say, from the Will of the Representative)172 – hier zeigt sich der voluntaristische Ansatz bei Hobbes173, nach dem alleine der Wille und die Vernunft (reason) des Souveräns und sein Befehl (command) unabhängig von einer objektiven Vernünftigkeit der Gesetze die Gesetzeskraft begründen.174 Insgesamt zeigen sich bei Hobbes verschiedene aus der Naturrechtstradition bekannte Aspekte und Argumentationsmuster, allerdings setzt Hobbes diese in gewisser Hinsicht grundlegend neu zusammen – bestimmend 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174

Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 17, p. 88. S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 18, p. 88 s. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 136 s. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 138. S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 138; dazu auch Ertz, Naturrecht und göttliches Gesetz, S. 206 f. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 138. S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 138. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 138. S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 138 s. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap.  29, p.  168 s.: Insofern ist auch nicht das private Gewissen entscheidend, vielmehr bildet das Gesetz die publique Conscience. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 139. Vgl. Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 22 f. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 140 („the Reason of this our Artificiall Man the Common-wealth, and his Command, that maketh Law“).

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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sind hier die grundsätzliche strikte Trennung von Naturzustand und Zustand nach Staatsgründung sowie die neue Zielbestimmung.175 3.8.4 Das Naturrecht und die praktische Philosophie 3.8.4.1 Das Naturrecht bei Pufendorf 3.8.4.1.1 Ursprung und Begründung des Naturrechts Bei Samuel Pufendorf (1632–1694) entspricht zwar die Begründung des Naturrechts den scholastischen Lehren, allerdings bestimmt auch er den Wirkbereich des Naturrechts anders und entwickelt so das Naturrecht als System der Ethik bzw. Moralphilosophie.176 So ist das natürliche Gesetz bei Pufendorf eine „Anordnung rechter Vernunft“ (dictamen rectae rationis).177 Weiter ist die Verpflichtungskraft (vis obligandi) wesentliches Kriterium des Gesetzes.178 Ebenso wie bei Suárez179 folgt die Verpflichtungskraft (vis obligandi) des natürlichen Gesetzes von Gott (obligationem legis naturalis esse ab ipso Deo Creatore).180 Das natürliche Gesetz hat folglich Gebots- und Verpflichtungscharakter, der aus dem Willen Gottes folgt.181 175 Vgl. auch grundsätzlich zum Naturrecht bei Hobbes Brett, Liberty, right and nature, p. 205 ss., 225 ss.; Tuck, Natural rights theory, p. 119 ss.; s.a. zur Frage, inwieweit Hobbes überhaupt in die klassische Naturrechtstradition einzureihen ist, Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 137 ff. 176 Vgl. grundsätzlich zu Pufendorf und seinem Verhältnis zu den Spätscholastikern Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 150 ff.; s.a. Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S.  31; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit,306 f.; zur Ontologie und den entia moralia bei Pufendorf im Verhältnis zur Spätscholastik Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 71 ff. 177 Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. II Cap. III § 13. 178 S.  Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. VI  §§ 1,4 f. (Abgrenzung der lex von den consilia durch die obligatio); vgl. hierzu auch Pink, in: Hill/Lagerlund (eds.), The Philosophy of Francisco Suárez, p. 175, 197 ss. Pufendorf versteht dabei den Menschen als geeignet zur Aufnahme von Verpflichtungen, weil er über einen Willen (voluntas) verfüge, der es ihm ermögliche, sich normgerecht zu verhalten, s. Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. VI § 6; s.a. Cap. IV § 1 ff. (§ 2: zur libertas voluntatis), Cap. V (zum Willen als causa libera und zur Zurechnung); dazu auch Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 34 f.; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 77 ff.; Zurbuchen, Naturrecht und natürliche Religion, S. 16 ff. 179 S.  etwa  Lutterbeck, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 53, 63 m.w.N.; Ludwig, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 3, 14. 180 Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. II Cap. III § 20. 181 Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S.  139. Entsprechend diesem suarezianischen Ansatz (s. zur Verpflichtungswirkung des Gesetzes bei Pufendorf und dessen Ähnlichkeit zu den Spätscholastikern Pink, in: Hill/Lagerlund [eds.], The Philosophy of Francisco Suárez, p.  175, 197 ss.) zeigen sich auch beim allgemeinen Gesetzesbegriff, bei dem Pufendorf besonders den Befehl des Gesetzgebers und die

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Kapitel 3

3.8.4.1.2 Naturrecht und Moralphilosophie Gleichwohl ordnet Pufendorf das Naturrecht der Moralphilosophie bzw. der Ethik zu, die – im Gegensatz zur Moraltheologie, die auf das Leben nach dem Tod zielt – auf die Gestaltung des diesseitigen Lebens (haec vita) gerichtet ist.182 Damit wird der Wirkbereich des Naturrechts bei Pufendorf anders als bei den Spätscholastikern bestimmt. Das Naturrecht wird bei Pufendorf nicht auch der Moraltheologie, sondern ausschließlich der Moralphilosophie bzw. der Ethik zugeordnet und ist auf das soziale Leben (vita sociabilis; socialitas) der Menschen gerichtet.183 Das Naturrecht wird so dem forum humanum zugewiesen, das sich nur auf dieses Leben bezieht; dagegen ist für das forum divinum die Moraltheologie entscheidend.184 Auch wenn das Naturrecht seine Verpflichtungswirkung von Gott erhält und Verletzung des Naturrechts Strafe von Gott nach sich ziehen kann, hat es im Verhältnis zu Gott keine zentrale Bedeutung mehr.185 Der direkte Zusammenhang von Naturrecht und forum Dei wird hier aufgelöst, wobei gleichzeitig der Zusammenhang von Bußforum ( forum poenitentiale) und forum internum/conscientiae verschwunden ist. Bei Pufendorf wird das Naturrecht damit, in gewisser Hinsicht in Anknüpfung an Luther und dessen Rechtfertigungstheologie186, aus dem Kontext des

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Verpflichtung betont, voluntaristische Züge (Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 136 f.). Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 151; Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S.  31; s.a. Pufendorf, De Officio, Praefatio,  § 8 („Illud porro discrimen longe maximum est, quod finis disciplinae Juris Naturalis tantum ambitu hujus vitae includatur […]; Theologia Moralis hominem Christianum informat, cui propositum esse debet, non hanc solum vitam honeste transigere, sed qui fructum pietatis post hancce vitam maxime exspectat“). Pufendorf selbst sieht also die wesentlichen Unterschiede zwischen Naturrecht und Moraltheologie zum einen in dem unterschiedlichen Ursprung ( fons: Vernunft [ratio] vs. göttliche Offenbarung [revelatio]; s. aaO, §§ 4, 6; s. dazu sogleich), zum anderen im unterschiedlichen Ziel ( finis). Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 150 f.; Hartung, Die Naturrechtsdebatte,  S.  31; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p.  99; s.a. Pufendorf, De Officio, Praefatio, §§ 4, 8. Pufendorf, De Officio, Praefatio, § 8 („Inde & Juris Naturalis scita & ad forum duntaxat humanum adaptantur, (2) quod ultra hancce vitam sese non extendit; quae ipsa multis in partibus prave ad forum divinum adplicantur, circa quod Theologiae maxime curae est“), § 9. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 151. Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 150 f. Allerdings wird das Naturrecht im Gegensatz zu Luther hier nicht zur äußeren Ordnung der Welt, die durch die Obrigkeit angewendet werden soll, sondern behält seinen Platz im forum conscientiae, wenngleich dieses forum conscientiae nun zumindest in gewisser Hinsicht vom forum Dei getrennt ist. Pufendorf ordnet das Naturrecht nicht dem weltlichen Recht, sondern der Moralphilosophie zu. Wenn Welzel die lutherische Prägung Pufendorfs weiter damit

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forum Dei187 entfernt.188 Im Gegensatz zu den Spätscholastikern werden die Wirkungen bzw. der Wirkbereich des Naturrechts so nicht in der Beziehung zu Gott gesehen, sondern vor allem auf innerweltliche Folgen bezogen.189 Damit korrespondierend hält Pufendorf am Gewissen190 und am forum internum

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begründet, dass „nur der Glaube ohne alles Werk und Verdienst“ „den Zugang zur ewigen Seligkeit eröffnen“ könne, dann zeigt sich hierin die Bedeutung der Rechtfertigungstheologie, die das naturrechtliche Denken maßgeblich beeinflusst. S. aber auch Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 365, 402 mit dem Verweis, dass Pufendorf im Verhältnis zu Gott von der Willensfreiheit der Menschen ausgeht. Damit korrespondiert wiederum, dass Pufendorf theologisch Gegner der calvinistischen Prädestinationslehre ist, s. Döring, Pufendorf-Studien, S. 95 ff. Auch Pufendorf kennt das forum divinum und grenzt dieses vom forum humanum ab, s. bspw. Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. I Cap. VIII §§ 2, 3. Ganz eindeutig ist dieser Befund bei Pufendorf allerdings nicht. So erörtert Pufendorf die Sanktionen (sanctiones) des natürlichen Gesetzes für „Sünden“ (peccata) gegen das natürliche Gesetz (Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. II Cap. III § 21; ferner Lib. III Cap. IV § 6; s.a. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, 141 f.). Hierbei unterscheidet er zwischen den natürlichen Strafen (poenae naturales) und den eigentlichen Strafen (poenae proprie dictae; s. Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. II Cap. III § 21; zu diesen von Thomas her bekannten Strafarten s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp.). Poenae proprie dictae seien die vom Gesetzgeber verhängten Strafen, die bei Nichtbefolgung des natürlichen Gesetzes durch besondere Bestimmung festgesetzt und insoweit auch poenae arbitriae genannt würden. Pufendorf erwähnt zunächst die natürlichen Strafen (poenae naturales), die als natürliche Folge aus den Sünden hervorgehen (per naturalem consecutionem & connexionem ex peccatis proveniunt): die Beunruhigung des Gewissens (inquietudo conscientiae), die „Verwirrung“ des Geistes sowie die Verletzung des Körpers (Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. II Cap. III § 21). Vergleicht man das mit den Folgen des Naturrechts bei Thomas und den Spätscholastikern, so wird deutlich, dass bei Pufendorf die Schuld und Strafwürdigkeit gegenüber Gott als Folge der Verletzung des Naturrechts hier zunächst nicht genannt werden. Von den natürlichen Sanktionen unterscheidet Pufendorf nun aber weiter die von Gott her kommenden Sanktionen (Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. II Cap. III § 21; s.a. Pink, in: Hill/Lagerlund [eds.], The Philosophy of Francisco Suárez, p.  175, 201). Da nämlich die Verpflichtung zur Befolgung der natürlichen Gesetze aus göttlichem Willen folge, sei es wahrscheinlich, dass aus Verstößen gegen das natürliche Gesetz auch eine göttliche Strafe folge (Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. II Cap. III § 21; s.a. ders., De Iure naturae et gentium, Lib. III Cap. IV § 6; Lib. VIII Cap. I § 1). Allerdings bedürfen die Strafen noch göttlicher Festsetzung und könnten nicht allein durch Vernunft, sondern nur durch göttliche Offenbarung erkannt werden (Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. II Cap. III § 21; vgl. ähnlich freilich Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 16 N. 3; Lib. II Cap. 9 N. 1, 3; Cap. 12 N. 1). Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 150 f. Besonders deutlich wird dies in Pufendorf, De Officio, Praefatio, §§4 ff.; s. dazu sogleich. Zum Gewissensbegriff bei Pufendorf s. Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. I Cap. III  § 4: Im Ausgangpunkt versteht er hierunter das Verstandesurteil über vergangene oder zukünftige Taten oder Unterlassungen. Hinsichtlich des Gewissensbegriffs nennt

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selbst fest191, löst aber deren Zusammenhang mit dem Bußforum ( forum poenitentiale) auf. Dies dürfte auch in Zusammenhang mit den Veränderungen von Buße und Beichte durch die Reformation stehen.192 Umgekehrt ist das Naturrecht bei Pufendorf aber auch nicht dem menschlichen Gesetz (lex civilis) zugeordnet, sondern dient abgegrenzt von der positiven Rechtsordnung als praktische Philosophie anderen Zwecken, nämlich der Bestimmung dessen, welche Pflichten der Mensch als geselliges (sociabilis) Wesen und moralische Person hat.193 Während nämlich die wesentliche Wirkung der naturrechtlichen Verpflichtung (obligatio naturalis; ex vi legis naturalis) die Gewissensbindung des Menschen ist (conscientiam hominis stringere), folgt aus der zivilrechtlichen Verpflichtung (obligatio civilis) die Klagemöglichkeit vor den weltlichen Gerichten (actio in foro civili) – damit zeigt sich auch hier die Dualität von Naturrecht und menschlichem Recht und deren jeweilige Zuordnung zu Gewissen und weltlicher Gerichtsbarkeit.194 Das Naturrecht soll so als eigenständige Rechtsordnung flankierend neben das weltliche Recht treten und dabei der Stabilisierung der Gesellschaft

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Pufendorf nun auch die Scholastiker, wobei er ihnen vorwirft, dass die Gewissensfälle (casus conscientiae) von „heimtückischen Priestern“ (a callidis sacerdotibus) erfunden worden seien, um nach ihrem Belieben die Seelen der Menschen zu beeinflussen; s.a. zum Gewissen bei Pufendorf Grunert, in: Germann/Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S.  297, 301 ff.; s. ferner Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.  3, Sp.  585 (zur Kontinuität des thomistischen Gewissensbegriffs bei Thomasius). Vgl. zum forum internum bei Pufendorf Mihaylova, in: Bunke/Mihaylova (Hrsg.), Gewissen, S. 53, 55 ff., 60 f. Wenngleich die Privatbeichte in der lutherischen Tradition bis ins 18. Jahrhundert weiterhin existiert; s. zur Bedeutung von Beichte und Buße in der lutherischen Tradition auch im 18. Jhd. Bezzel, Frei zum Eingeständnis, S. 96 ff., 164 ff. Vgl. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VIII Cap. I § 1; ders., De Officio, Praefatio, § 4 („Ex primo fluunt Officia hominis communissima, praecipue quae ipsum cum aliis hominibus sociabilem reddunt; & altero Officia hominis, quatenus peculiari & definitivae Civitati subjectus degit“); s.a. Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 31 f.; Astorri, Lutheran Theology and Contract Law, p. 99. S.  Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. III Cap. IV  § 5 f. zur Abgrenzung der obligatio civilis von der obligatio naturalis, welche offensichtlich der scholastischen Tradition entspricht. Der Unterschied zwischen beiden Verpflichtungen liegt nämlich in der Durchsetzung („discrimen occurrit circa modum exigendi inter naturalem & civilem obligationem“): Während die natürliche Verpflichtung, sofern sie nicht zugleich auch eine obligatio civilis ist, nicht durch äußere Zwangsmittel erzwungen werden könne („naturales autem obligationes, quibus civilis legis sanctio deest, in civitatibus solo debitoris pudore, ac reverentia Numinis constant, neque circa easdem exigendas civibus vim adhibere licet“), könne die zivilrechtliche Verpflichtung mittels Klage im forum civile durchgesetzt werden („civiles obligationes […] actionem in foro civili pariunt“). Umgekehrt folgt auch aus der zivilrechtlichen Verpflichtung eine Gewissensbindung,

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dienen – es erhält auf diese Weise einen „gesellschaftlichen“ Charakter, Pufendorfs Pflichtenlehre ist auf gesellschaftliche Zwecke gerichtet.195 Weltliches Recht, vernunftbegründetes Naturrecht und aus der göttlichen Offenbarung folgende Moraltheologie werden so von Pufendorf jeweils unterschiedlichen Disziplinen zugeordnet.196 Quelle des allen Menschen gemeinsamen Naturrechts ist das „Licht der Vernunft“ (lumen rationis), wohingegen die für Christen geltende Moraltheologie aus der göttlichen Offenbarung (ex revelatione divini Numinis) folgt.197 Mit dieser Differenzierung nach den unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten verbunden ist freilich eine stärkere Abgrenzung des göttlichen Gesetzes vom Naturrecht – gerade diese „Trennung zwischen Naturrecht und Moraltheologie“ wird Pufendorf als wesentliches Verdienst zugeschrieben198. Allerdings ist darin kein kategorischer Unterschied zur thomistischen Tradition zu sehen – auch dort wurden positives göttliches Gesetz und vernunftbegründetes natürliches Gesetz nach Erkenntnismöglichkeit unterschieden.199 Ebenso wird auch dort

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sofern dies nicht im Widerspruch zum Naturrecht steht („leges civiles, quae naturali iuri non repugnant, conscientiam afficiunt“). Vgl. dazu auch (im haftungsrechtlichen Kontext) Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 197 f. Pufendorf, De Officio, Praefatio,  § 4; vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 49; Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 31; Döring, Pufendorf-Studien, S. 79. Pufendorf, De Officio, Praefatio, §§ 4,6 f. S. etwa Döring, Pufendorf-Studien, S. 78; s.a. Pufendorf, De Officio, Praefatio, § 11 (zum Dekalog). Gabriel Vázquez (Comm. I–II, Praefatio in Tractatum de Legibus N. 2) greift ebendiese Frage nach dem Unterschied und den Gemeinsamkeiten von Theologie, Moralphilosophie und Jurisprudenz im Hinblick auf die Gesetzesarten auf: „Während die Beschäftigung mit dem göttlichen Gesetz (lex divina), das alleine aus der Offenbarung (sola revelatione) feststeht, ganz dem Theologen obliegt, hat die Behandlung des natürlichen und des weltlichen Gesetzes (lex naturalis & civilis) zum Teil eine gemeinsame Materie sowohl mit dem Moralphilosophen als auch mit dem Rechtswissenschaftler (& cum philosopho morali, & cum iurisprudente communem habet materiam). Aber auch der Theologe behandelt das menschliche weltliche sowie das natürliche Gesetz nur anhand moralischer Prinzipien (neque per alia principia, nisi per moralia), und wie der Moralphilosoph untersucht er aus diesen Moralprinzipien (ex ipsis morum principiis) die Natur und die Eigenschaften des Gesetzes (naturam & proprietates legis), wenngleich bisweilen die Schrift auch ebendies bestätigt. Auch wenn die Theologie ein Gehaben ist, das aus allein offenbarten Prinzipien Schlussfolgerungen ableitet, beschäftigen sich die Theologen dennoch bisweilen nicht ohne großen Erfolg mit moralischen Fragen, damit sie die Gläubigen über die Fragen, die zu den Sitten des menschlichen Lebens zählen, unterweisen können […]. Dies sage ich, damit niemand mit den neueren Theologen glaube, dass die Art und die Methode über Gesetze zu diskutieren für einen Theologen und einen Moralphilosophen unterschiedlich seien. Denn zwar geht der Theologe über den Moralphilosophen insoweit hinaus, als er aufzeigt, dass eine ewige Strafe für die Gesetzesübertreter, und ein ewiger Lohn für die

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zwischen den Disziplinen der Theologie, Moralphilosophie und Jurisprudenz differenziert200; allerdings mit dem Unterschied, dass dort das Naturrecht Wirkungen nicht nur für das Gewissensforum, sondern, weil das Gewissensforum zugleich das göttliche Forum ist, auch für das göttliche Forum hat und sich deshalb nicht nur die Moralphilosophie, sondern auch die Theologie mit ihm beschäftigt.201 3.8.4.1.3 Naturrechtstheorie bei Pufendorf Pufendorf entwickelt das Naturrecht auf diese Weise ausgehend von bestimmten naturrechtlichen Grundsätzen als System der praktischen Philosophie. Neu ist dabei vor allem die aus der Schwäche (imbecillitas) des auf sich selbst gestellten Menschen abgeleitete Zentralität der socialitas als Prinzip der menschlichen Geselligkeit202, was zum Angelpunkt seiner Naturrechtslehre wird – Pufendorf entwickelt hieraus unter „methodologischer Neubegründung“203 ein eigenständiges naturrechtliches System204, wobei im Hinblick auf die socialitas dem

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Gesetzesbefolger festgelegt ist, was er nur aus den offenbarten Prinzipien ableitet (ex solis principiis revelatis colligit). Soweit es aber darum geht, die Natur und die Eigenschaften des natürlichen wie des menschlichen Gesetzes zu untersuchen, dann kommt er vollständig mit dem Moralphilosophen und dem Rechtswissenschaftler überein, und geht nach denselben moralischen Prinzipien vor“; vgl. auch bereits Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 7,2 ad tert.; ders., In Ethicorum, Lib. I Lec. 1 N. 3 („subiectum moralis philosophiae est operatio humana ordinata in finem, vel etiam homo prout est voluntarie agens propter finem“); Suárez, De Legibus, Prooemium, p.  1 f.; Lib. II Prooemium. S. ferner zum Verhältnis von Naturrecht und göttlichem Gesetz oben bereits S. 195 ff. Die Sittengebote des Alten Gesetzes sind nicht aufgrund göttlicher Anordung Teil des Naturrechts, sondern nur insoweit, als sie vernunftgemäß sind und damit das anzeigen, was nach dem natürlichen Gesetz gilt. S. Suárez, De Fine Hominis, Prooemium, N. 7 (theologia, revelatio – „in quo maxime differt haec doctrina a morali philosophia humana“); Gabriel Vázquez, Comm. I–II, Praefatio in Tractatum de Legibus N. 2. Zu den Wirkungen des Naturrechts s. oben S. 202 ff.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 1, 3; Cap. 12 N. 1; Lib. III Cap. 21 N. 2. S. Pufendorf, De Officio, Cap. 3 §§ 1 ff. S.  Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  67 („methodologische Neubegründung des Naturrechts“), wonach der gegenüber der Scholastik neuzeitliche Charakter vor allem „an der befolgten und reflektierten Methode und an der strengen systematischen Form, in der die scholastische Lehre vom ens morale hier erstmals erscheint“, zu erkennen sei. Dem Gegenstand nach entspricht Pufendorfs De Iure naturae et gentium dem, was Gegenstand von Suárez’ Tractatus quinque sowie De Legibus (d.h. wiederum Thomas v. Aquins, STh, I–II) sowie Lessius’ und Molinas De Iustitia et Iure ist, vgl. bereits Guarini, Juris Naturae, et Gentium Principia, Diss. Praeliminaris, § 8; s. ferner Pars Prior, Cap. 1 §§ 1 ff. zu den Kontinuitäten etwa hinsichtlich der Entia moralia. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 153 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 307 ff.; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf,

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Vertrag und der Vertragstreue maßgebliche Bedeutung für die Konstruktion des Rechtssystems zukommt205. Ferner greift Pufendorf die von Hobbes kommende grundsätzliche Unterscheidung von Naturzustand und Zustand nach Staatsgründung sowie den Staatsgründungsvertrag auf.206 Umgekehrt zeigen sich in den Inhalten der natürlichen Gesetze207 (Pflichten gegenüber Gott, den Menschen und sich selbst208; Unverletzlichkeit anderer; Vertragstreue209; Rechtsbegriff210; Handlungs- und Zurechnungslehre; Anthropologie;

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S.  92 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn.  15.; Behme, in: Palladini/Hartung (Hrsg.), Samuel Pufendorf und die europäische Frühaufklärung, S. 74 ff. (auch zu den Einflüssen und zur Methode); s.a. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 308 („Das Prinzip der socialitas ist es, das Pufendorf erlaubt, den theologischen Diskurs zu verweltlichen“). Vgl. Pufendorf, De Jure Naturae et Gentium, Lib. III Cap. IV § 1 f.; dazu etwa Auer, AcP 208 (2008), 584, 603. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 140 ff. Dazu Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S.  143 ff.; s.a. Schröder, Recht als Wissenschaft, S.  107 mit dem Hinweis, dass Pufendorf „im Naturrecht nicht nur die Pflichten gegen andere, die wir im modernen Recht allein als Rechtspflichten ansehen würden, sondern auch die Pflichten gegen sich selbst und gegen Gott“ behandelt. Dazu Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. IV, V, VI. Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. IX. So erscheinen auch bei Pufendorf in ähnlicher Weise wie bei den Spätscholastikern die verschiedenen Begriffsbedeutungen von ius (zum Rechtsbegriff bei Pufendorf Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S.  129 ff.; Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 33 f. [s.a. Fn. 31 mit Verweis auf Suárez]). Zunächst wird darunter das Gesetz (lex) erfasst (Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. I § 20; s.a. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S.  132 ff.). Weiter soll ius als moralische Qualität (qualitas moralis) das bezeichnen, aufgrunddessen „uns etwas geschuldet ist“ (cuius vi aliquid nobis debetur) (Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. I  § 20; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S.  131 f.). Hieran anschließend diskutiert Pufendorf den Unterschied von potestas und ius (Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. I § 20). In diesem Zusammenhang verwendet Pufendorf ius nun als aktive Qualität, aufgrund derer etwas von einem anderen gefordert werden kann („propter illud aliquid ab altero possit exigi“) sowie ferner als qualitas passiva, kraft derer man etwas rechtmäßig haben oder erhalten kann, und verwendet damit ius im Sinne der Rechtsmacht (legitima potestas bzw. potentia activa/ passiva) bei Lessius bzw. der moralischen Befugnis ( facultas moralis) bei Suárez. Ebenfalls wird Pufendorf auf die Korrelation von Recht und Pflicht zurückgreifen, die bei Lessius begegnet ist, und hierbei weitere Differenzierungen vornehmen (s. Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. III Cap. V § 1; dazu Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 85 ff.; Auer, AcP 208 [2008], 584, 606, 608; ferner zur Herleitung und Begründung des dominium bei Pufendorf s. Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. IV Cap. IV; zum Zusammenhang von ius und dominium Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. XII § 3 [„Est autem dominium jus“]). Allerdings ist bei Pufendorf insgesamt nicht so

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Wille [voluntas] und Intellekt [intellectus] als Vermögen des Menschen und Zurechnungsvoraussetzungen211) ebenso wie in der Konzeption einer konkreten Naturrechtsordnung in wesentlichen Fragen Ähnlichkeiten zu den Scholastikern, wobei auf die Veränderungen und Entwicklungen etwa im Haftungsrecht212 später noch genauer einzugehen ist.213 3.8.4.1.4 Zurechnung und Pflicht bei Pufendorf Wesentlich erscheint schließlich noch eine weitere Verschiebung bei Pufendorf, die durchaus mit der Herauslösung des Naturrechts aus dem Bußforum verbunden sein dürfte: die Zentralität der Kategorien der Pflicht (officium) und der Zurechnung (imputatio).214 Während bei den Spätscholastikern eher die Kategorien subjektives Recht und Kausalität entscheidende Bedeutung für das Verhältnis privater Personen zueinander einnehmen215, kommt bei Pufendorf den Kategorien Pflicht und Zurechnung zentrale Bedeutung zu.216 Dies dürfte auch mit dem veränderten Charakter des Naturrechts in Verbindung stehen:

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sehr die Kategorie des Rechts als vielmehr die der Pflicht zentral (vgl. dazu Auer, AcP 208 [2008], 584, 601 ff., 604 ff.). S. etwa Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. I §§2 ff., 9 ff. Dazu unten S. 353 ff. Ebenso geht Pufendorf ähnlich Thomas (dazu Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 222) davon aus, dass dem ius civile die Regelung dessen zukomme, was von natürlichem und göttlichem Gesetz im Bereich des Indifferenten belassen sei, d.h. die Konkretisierung der natürlichen Gesetze, und zwar im Hinblick auf den Nutzen des Staates; ferner bestimmt es, aus welchen natürlichen Verpflichtungen Klagen in foro civili entstehen und welche Delikte in foro civili zu bestrafen sind, d.h. dem natürlichen Gesetz kommt nur kraft dem ius civile Bedeutung für das forum civile zu (s. Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. VIII Cap. I § 1; s.a. Behme, Samuel von Pufendorf, S. 135 ff.; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 222 f., 224 f.). Einerseits wirken natürliche Gesetze und bürgerliche Gesetze so zusammen, andererseits kann es – entgegen Hobbes – auch zu Konflikten zwischen beiden kommen, sodass sich dann die Frage der Gewissensbindung des Einzelnen bei naturrechtswidrigem positivem Recht stellt (s. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel Pufendorf, S. 224 ff., 226 f.; Behme, Samuel von Pufendorf, S. 135 ff.; s.a. Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. VIII Cap. I §§ 2 f.). Zur Zentralität der Pflicht (officium) bei Pufendorf s. Fezer, Teilhabe und Verantwortung, S.  186; Jansen, Theologie, S.  197; ders., Haftungsrecht, S.  337; E.  Wolf, Naturrechtslehre, S.  136; Gmür, Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, S.  152; ferner Auer, AcP 208 (2008), 584, 603, 604 ff.; vgl. Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. 1 § 1; Cap. 6 §§ 1 ff. S. dazu – hinsichtlich der Kausalität zumindest bei Suárez – oben S. 173 ff. Vgl. zu diesem Gesichtspunkt (subjektive Rechte – Pflichten) Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXXVIII. Zur Zentralität des Begriffs der Zurechnung (imputatio) bei Pufendorf, s. etwa ders., De Iure Naturae et Gentium, Cap.  5  §§  1 ff., Cap. 9 §§ 1 ff.; vgl. dazu auch (im Kontext der Lehre vom moralischen Sein) Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 78, 184.

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wird diesem ein gesellschaftlicher Charakter zugeschrieben und es auf die Gesellschaft bezogen, dann erscheint die Pflicht als die geeignete Form, das Naturrecht im Sinne dieser Zielbestimmung einzubinden.217 3.8.4.2 Das Naturrecht bei Thomasius 3.8.4.2.1 Die Änderung des Rechts- und Gesetzesbegriffs Christian Thomasius’ (1655–1728) gegenüber Pufendorf neuer Naturrechtsansatz besteht vor allem in einer Änderung des Rechts- und Gesetzesbegriffs, aufgrund dessen Recht und Ethik zumindest begrifflich getrennt werden.218 So grenzt er in Bezug auf den Gesetzesbegriff natürliches bzw. göttliches Gesetz einerseits und menschliches Gesetz andererseits voneinander ab.219 Er wendet sich dagegen, dass es sich bei beiden Gesetzesarten um Spezies derselben Art handelt.220 Das göttliche Gesetz, „soweit es vom Natur- und Völkerrecht eingenommen wird, ist danach Gesetz nur in einem weiteren Sinne“, „Gesetz im eigentlichen Sinn“ ist hingegen nur das positive menschliche Gesetz.221 Denn Thomasius identifiziert als zentrale Eigenschaft des Gesetzes die Strafe (poena) und argumentiert, dass man zuvor fehlerhaft die göttlichen Strafen nicht von den menschlichen Strafen abgegrenzt habe.222 Aus dem gleichen Grund habe man auch die innere Verpflichtung (obligatio interna) nicht von der äußeren Verpflichtung (obligatio externa) abgegrenzt.223 Ohne die Unterscheidung zwischen diesen beiden Verpflichtungen könne man aber nicht die genauen Unterschiede zwischen dem Gerechten (iustum) einerseits und dem Ehrenhaften (honestum) sowie dem Anständigen (decorum) andererseits erfassen.224 Die „scholastischen Doktoren“ hätten aber beides miteinander vermischt, und diesen Fehler hätten auch er und Pufendorf begangen, indem sie „gerecht“ und 217 Vgl. ansatzweise dazu auch Jansen, Theologie, S. 197 f. 218 Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  162 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 316; Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 94 ff.; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 13 ff., 18 ff., 23; Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 105 f.; vgl. zu Thomasius im Verhältnis zu den Spätscholastikern auch Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 95. 219 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale § 9. 220 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale § 9; s.a. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 21. 221 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale § 9 („legem divinam, quatenus de iure Naturae & Gentium usurpatur, esse speciem legis laxius acceptae, soli vero legi positivae legis stricte & proprie dictae competere definitionem“). 222 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale § 10. 223 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale  § 11; ferner Lib. I Cap. 4 § 61. 224 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale § 12; Lib. I Cap. 5 § 30; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 34.

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„ehrenhaft“ sowie Naturrecht und Ethik (doctrina ethica) nicht voneinander getrennt hätten.225 3.8.4.2.2 Die Differenzierung von Gesetz im weiten Sinn (lex in lata significatione) und Gesetz im engen Sinn (lex stricte) Was ist der Hintergrund für diese Differenzierung? Ausgangspunkt ist zunächst ein weit reichendes Normverständnis. So erfasst Thomasius sowohl den Befehl (imperium) als auch den Rat (consilium) als Handlungsnorm (norma actionibus).226 Während der Rat (consilium) jedoch unter gleichen (inter pares) erfolgt und „keine Zwangskraft hat“ (nec vim habet cogendi), wird der Befehl von einem Höhergestellten erteilt und „hat Zwangskraft“ (vim cogendi habet).227 Wenngleich auch der Rat (consilium) Verpflichtungskraft (vis obligandi) hat, erzeugt dieser jedoch nur eine „innere Verpflichtung“ (obligatio interna), der Befehl (imperium) erzeugt hingegen eine „äußere Verpflichtung“ (obligatio externa).228 Grund ist, dass die wesentliche Wirkung des Befehls (effectus imperii) darin besteht, dass „Strafen äußerlich und gewillkürt festgesetzt werden“ (poenae pro externis & arbitriis supponuntur), wohingegen beim Ratschlag „innere und notwendige Strafen“ entstehen (poenae internae & necessariae).229 Sodann differenziert Thomasius entsprechend diesen unterschiedlichen Wirkungen auch im Gesetzesbegriff: Während Gesetz in einem weiten Sinne 225 Vgl. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale § 12. 226 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap.  4  §§  33 f.; dazu auch Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 263. Damit geht er über Suárez, Grotius und Pufendorf hinaus, indem im Gegensatz zu diesen auch der Rat (consilium) normativ eingeordet wird, vgl. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 12 N. 4; Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 9; Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. VI § 1. Zum Begriff des imperium bei Suárez s. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 119 ff. 227 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 §§ 51, 55. Zwangskraft (vis cogendi) bedeutet dabei „die Macht, einen fühlbaren Schmerz zuzufügen, der abhängig ist von der Bestimmung dessen, der ihn zufügt“, s. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 § 57. 228 S. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 §§ 59, 61 f.; dazu auch Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 18 f. So entsteht die innere Verpflichtung „aus dem Bewusstsein einer natürlichen Gefahr“ (ex conscientia periculi naturalis) durch „die Anordnung der ersten und ewigen Macht“ (ex ordinatione potentiae primae & aeternae), sodass man dieser nicht entgehen kann (ut evitari non possit); dagegen erwächst die äußere Verpflichtung aus „Angst oder Hoffnung auf einen Vorteil oder vor einer unsicheren Gefahr, die von menschlicher Bestimmung abhängig ist“ (ex metu & spe lucri & periculi incertae ex arbitrio humano dependentis); dieser kann man entgehen (evitari potest), s. Thomasius, Fundamenta Juris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 § 61. 229 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 § 68.

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(lex in lata significatione) auch lehrende Gebote (praecepta doctrinalia) und damit den Rat (consilium) erfasst, umfasst Gesetz im engen Sinne (stricte lex) nur die Herrschaftsakte (pro jussis imperantium vel Dominorum) und damit das imperium, hingegen nicht den Rat.230 Nur die Befehlsnorm ist damit Gesetz im engen Sinne. Wirkung des Gesetzes im engen Sinne ist daher „strafen“ und „gerichtlich erzwingen“ (per Magistratus punire, judicialiter cogere).231 3.8.4.2.3 Die Differenzierung von natürlichem und menschlichem Gesetz An diese Differenzierung von Gesetz im engen Sinne und Gesetz im weiten Sinne knüpft Thomasius nun die Differenzierung von positivem menschlichem Gesetz und Natur- bzw. göttlichem Gesetz. Nur das menschliche Gesetz unterfällt dem Befehl (imperium) und damit dem engen Gesetzesbegriff (Lex naturalis & divina magis ad consilia pertinet, quam ad imperia, lex humana proprie dicta non nisi de norma imperii dicitur).232 Hingegen fällt das Naturrecht233 nicht unter den engen Gesetzesbegriff, der nur die Befehlsnorm umfasst.234 Das natürliche Gesetz ist also keine Norm, die eine unmittelbare, mit Gewalt vollstreckbare Strafandrohung enthält, wie dies beim menschlichen Gesetz der Fall ist; es folgen hieraus nur „innere Strafen“ und die „innere Verpflichtung“.235 Weil die Wirkung des natürlichen Gesetzes nach Thomasius nur der eines Ratschlags entspricht, ist es kein Gesetz im eigentlichen Sinne, sondern nur in einem weiten Sinn.236 Das Neue bei Thomasius ist an dieser Stelle, dass er den in der Naturrechtstradition bisher einheitlichen Gesetzesbegriff, unter den gleichermaßen menschliches und natürliches Gesetz fallen, aufgibt zugunsten einer Differenzierung zwischen Gesetz im engen Sinn, unter den das menschliche Gesetz fällt, und Gesetz im weiten Sinne, dem das natürliche Gesetz zugeordnet wird. Er knüpft dabei diese Differenzierung an die jeweiligen Rechtsfolgen – Gesetz im engen Sinne und Gesetz im weiten Sinne unterscheiden sich durch 230 231 232 233

Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 §2 f. S. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 4. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 34. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 33: Das Naturrecht ist dabei den Menschen in die Herzen geschrieben und stammt „von Gott als dem Urheber jeglicher Natur“ (ab autore omnis naturae, etiam humanae, Deo), ist also göttliches Gesetz; dazu auch Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 263 Fn. 49. 234 Dazu Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 263 f.; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 21; Schulze, Die Naturalobligation, S. 110. 235 Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 263 f. 236 Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 263; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S.  21; Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S.  13; s.a. Schulze, Die Naturalobligation, S. 110 f.

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ihre Wirkungen, d.h. die unterschiedlichen Pflichtarten (obligatio externa; poena pro externis – obligatio interna; poena interna); das Naturgesetz ist so nicht mehr Gesetz im engen Sinne.237 3.8.4.2.4 Die Differenzierung von iustum und honestum/decorum Sodann folgt bei Thomasius aber noch eine weitere Differenzierung, nämlich die bereits erwähnte zwischen „gerecht“ ( justum), „ehrbar“ (honestum) und „anständig“ (decorum).238 Nach Thomasius begründen zwar auch Regelungen über das Ehrbare (ex regulis honesti) Verpflichtungen, jedoch entsteht aus diesen ebenso wie aus den Regeln über das Anständige (ex regulis decori) kein „Recht“.239 Die dem Recht entsprechende Verpflichtung (obligatio juri correspondens) „ist nämlich immer äußerlich“ (externa), d.h. sie zielt auf Zwang (coactio), wobei Recht „aus den Regeln des Gerechten entsteht“ ( jus saltem ex regulis justi oritur).240 „Ehrbar“ und „anständig“ und „innere Verpflichtung“ einerseits, „gerecht“ und „äußere Verpflichtung“ andererseits ordnet Thomasius nun den verschiedenen Tugenden zu: Die Handlungen, die „aus innerer Verpflichtung und den Regeln des Ehrbaren und Anständigen“ (ex obligatione interna & regulis honesti & decori) vorgenommen werden, unterliegen der Tugend im allgemeinen (a virtute in genere); insoweit „wird der Mensch tugendhaft, aber nicht gerecht genannt“ (virtuosus, non justus).241 Das, „was der 237 Vgl. auch Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 9, 12, 13, 21 ff., 23, der insoweit in der Herausarbeitung eines eigenständigen Begriffs der Rechtspflicht im Sinne einer äußeren Zwangspflicht das Spezifikum bei Thomasius sieht; ferner Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 13. In diesem Gesetzesbegriff, der den Zwang zum Definitionsmerkmal des Gesetzes erhebt, zeigen sich deutliche Unterschiede zu Suárez (vgl. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 117 ff.). Bei Suárez ist nämlich die (Gewissens-)Verpflichtung entscheidende Wirkung des Gesetzes, s. dazu oben S. 189 ff., 202 ff. 238 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Cap. Prooemiale  § 12; Lib. I Cap.  5  §§20 f., 30; dazu und zum Folgenden Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S.  268 ff., auch zur näheren Differenzierung von justum, honestum und decorum bei Thomasius; ferner Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S.  17 f. Instruktiv auch Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 11 ff., 13 f., der explizit zwischen diesen beiden Ansätzen differenziert und deutlich macht, dass diese beiden Differenzierungen nebeneinander stehen; die Thomasius zugeschriebene „Trennung von Recht und Sittlichkeit“ identifiziert er ausschließlich mit der zuvor beschriebenen Unterscheidung im Gesetzesbegriff. Die Differenzierung nach der Erzwingbarkeit des Gesetzes sagt aber nichts aus über die inhaltliche Verhältnisbestimmung von Recht und Sittlichkeit. Kriterien für die inhaltliche Verhältnisbestimmung ergeben sich nur aus der Differenzierung von justum, honestum und decorum, s. dazu im Folgenden. 239 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 20 f. (auch die Regeln des Anständigen betreffen freilich das zwischenmenschliche Verhältnis – „regulae decori etiam respiciunt hominem in relatione ad alterum hominem“). 240 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 21. 241 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 25.

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Mensch dagegen aus den Regeln des Gerechten oder aus äußerer Verpflichtung (ex regulis justi seu ex obligatione externa) tut, wird durch die Gerechtigkeit (a justitia) bestimmt“.242 Folglich entstehen äußere Verpflichtungen aus der Tugend der Gerechtigkeit, innere Verpflichtungen dagegen aus den anderen Tugenden. Der Sache nach handelt es sich hierbei um eine Differenzierung von Gerechtigkeit einerseits, anderen moralischen Tugenden andererseits – Thomasius greift hier also die thomistische Differenzierung von debitum legale und debitum morale (debitum honestatis243) auf244, und nimmt ebenso wie dort die Differenzierung anhand der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Verpflichtung vor. 3.8.4.2.5 Die Differenzierung von Naturrecht im weiten Sinn und Naturrecht im engen Sinn Mit dieser Differenzierung, die wiederum an die Verpflichtung, d.h. an die Wirkung anknüpft, verbindet Thomasius nun auch den Rechtsbegriff. Recht in der Bedeutung als Gesetz umfasst nach Thomasius allgemein entweder Naturrecht oder positives Recht.245 Während unter das Naturrecht in einem weiten Sinne ( jus naturae late) alle moralischen Gebote fallen, d.h. sowohl solche des Gerechten als auch solche des Ehrbaren und Anständigen (sive sint regulae justi, sive etiam honesti & decori), umfasst Naturrecht im engen Sinne ( jus naturae stricte) nur die Gebote des Gerechten (pro solis praeceptis justi).246 Dem Naturrecht im weiten Sinne wird so auch die gesamte Moralphilosophie (philosophia moralis) zugeordnet, d.h. die ethische (ethica – principia honesti) 242 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 25; dazu auch Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 276. 243 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 6. 244 S. dazu oben bereits S. 202 ff. S. etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 46: Von der aus der Gerechtigkeit folgenden Verpflichtung (debitum legale) ist die moralische Verpflichtung (debitum morale) zu unterscheiden, die aus der Ehrenhaftigkeit der Tugend (ex honestate virtutis), d.h. etwa den Tugenden der Dankbarkeit (gratitudo), Wahrhaftigkeit (veritas) oder Freigebigkeit (liberalitas) folgt; zwar betrifft auch sie das Verhältnis zu einem anderen (ad alterum), allerdings ist sie eine so „kleine“ Verpflichtung, dass es sich nicht um eine rechtliche und strikte (obligatio legalis & stricta), sondern nur um eine moralische Verpflichtung handeln soll (solum moralis) – wenn sie nicht erfüllt wird, dann habe dies zur Folge, dass die Ehrenhaftigkeit der Sitten (honestas morum) nicht (conservari non possit) oder nicht angemessen (non commode & decore) gewahrt werden könne. S.a. Filliucci, Moralium Quaestionum, Cap. 1 N. 7, der das, was honestum & decens ist, als Objekt der Tugend der Klugheit (prudentia) zuordnet; dagegen ist das Objekt der Gerechtigkeit das Recht (ius), d.h. das, wozu eine strikte Verpflichtung (ex obligatione stricta) bestehe. 245 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 29. 246 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 30; dazu auch Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 271 f., 273; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 18.

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und die politische (politica – principia decori); dem Naturrecht im engen Sinne hingegen ausschließlich das Gerechte ( justum).247 Wiederum entspricht dies der thomasischen Differenzierung von Naturgesetz und Naturrecht bzw. der suarezianischen Differenzierung zwischen Recht im engen Sinn (ius speciale; ius perfectius et strictius) und Recht im weiten Sinne (ius generaliter & large sumptum)248: Während sich ius generaliter auf das Gesetz im Allgemeinen bezieht (lex in genere), wie es in allen Tugenden (in omnibus virtutibus; pro omni virtute) vorkommt, bezieht sich ius speciale auf die Sondergerechtigkeit (iustitia specialis), d.h. als spezielle Tugend, die dem anderen das Seine zuteilt.249 3.8.4.2.6 Das Naturrecht als Norm des positiven Rechts Unklar ist aber bei Thomasius Folgendes: Thomasius ordnet die Verpflichtung aus der Gerechtigkeit als „äußere Verpflichtung“ ein.250 Gleichzeitig ordnet er das Naturrecht im engeren Sinne dem Gerechten zu – damit müsste das Naturrecht im engeren Sinne eine äußere Verpflichtung (obligatio externa) haben.251 Wie gesehen, argumentiert Thomasius jedoch zugleich, dass das natürliche Gesetz eigentlich nicht zum Befehl (imperium), sondern zum Ratschlag

247 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 58. 248 Dazu oben S. 141 ff. 249 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 4 f.; ders., Quaestiones de Iustitia et Iure, Disputatio Quarta, Quaestio secunda, S.  100; Quaestio octava, S.  119 (zur Abgrenzung von iustitia commutativa und iustitia legalis: ius perfectius et strictius); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 54, 57 (debitum perfectum – ius perfectum); vor Cap. 46; Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract.  31 Cap.  1 N.  10; Tract.  33 Cap.  5 N.  80,82 f.; Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap.  1 N.  1 („ius […] iuridicum, seu stricte dictum, & obiectum iustitiae particularis“); Cap. 4 N. 84 („obligationem Iustitiae stricte dictae“); Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 1 Sec. 3 N. 31 („ius magis proprie dicatur de iure, quod iustitia particularis respicit: quae dicitur magis rigorosa iustitia quod circa ius magis rigorosum versetur“); s.a. Decock, Contract Law, p. 198 s.; vgl. auch Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 273, der Thomasius’ virtus in genere in die Nähe der aristotelisch-thomasischen iustitia universalis stellt, sodass an „die Stelle des Unterschieds von justitia universalis und justitia particularis“ „der Unterschied von Naturrechtslehre im weiteren und Naturrechtslehre im engeren Sinn“ tritt. Rüping (Die Naturrechtslehre, S. 45 f.) verweist insoweit auf Grotius’ Unterscheidung von unvollkommenen und vollkommenen Rechten (De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 4 ff.) als Vorläufer für Thomasius’ Unterscheidung; die Differenzierung bei Grotius greift freilich die scholastischen Differenzierungen auf, s. dazu oben bereits S. 236 f. 250 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 25; s.a. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 19 f. 251 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 30.

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(consilium) gehört.252 Wesen des Ratschlags ist wiederum keine äußere (obligatio externa), sondern eine innere Verpflichtung (obligatio interna).253 Auf den ersten Blick erscheint dies widersprüchlich. Die Lösung des Problems erreicht Thomasius so: Das Naturrecht kann eine Norm des positiven Rechts (norma juris positivi) sein.254 Denn das positive Recht ( jus positivum) „kann nichts gegen das Naturrecht im engen Sinne ( jus naturae stricte) regeln, welches die Schädigung anderer verbietet“.255 Umgekehrt kann das positive Recht dort, wo „das Naturrecht etwas im Unbestimmten lässt“, diesem etwas „hinzufügen“.256 Das Naturrecht selbst enthält folglich als solches keine äußere Verpflichtung, da es nur ein Ratschlag ist.257 Aber das Naturrecht kann durch das menschliche Gesetz positiviert werden, sodass ihm vermittelt durch das positive Recht auch eine äußere Verpflichtung zukommt.258 Dem Naturrecht im engen Sinne kann (bzw. muss in gewissem Umfang) durch das positive Recht Geltung verschafft werden – insofern ist dann das Naturrecht „Norm des positiven Rechts“. Damit das Naturrecht zum Befehl (imperium) und folglich zum Recht im engen Sinne wird, bedarf es jedoch der Positivierung durch das menschliche Gesetz.259 In diesem Zusammenhang zeigt sich auch ein zumindest gradueller Unterschied von Naturrecht im engen Sinne ( justum) und Naturrecht im weiten Sinn (honestum, decorum): Wenngleich auch das Naturrecht im weiten Sinn positiviert werden kann260, sind die Gebote des Gerechten doch universeller261 252 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap.  5  § 34; s.a. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 274; s. ferner zu dieser Friktion Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 19 ff. 253 S. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 §§ 61 f. 254 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 53; s.a. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S.  274; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S.  21 („Zwischen Naturrecht i.e.S. und positivem Recht besteht nun aber auf der inhaltlichen Seite eine Verbindung im Sinne weitgehender Übereinstimmung“). 255 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 53; dazu auch Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 21 f. 256 Vgl. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 53. 257 Vgl. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 274. 258 Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S.  274; vgl. Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 22. 259 Vgl. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 274. 260 Vgl. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 §§ 54 f.; dazu auch Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 275 Fn. 57, S. 276. 261 Vgl. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 47: Die Gebote des Gerechten „sind ihrer Natur nach universeller und andauernder als die Gebote des Ehrbaren und des Anständigen“, ferner sind sie „immer die gleichen“, während die anderen Einschränkungen unterliegen.

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und können eher in positives Recht umgesetzt werden.262 Daraus folgt, dass vor allem die Normen des Naturrechts im engen Sinne, d.h. die Regeln des Gerechten bzw. der Tugend der Gerechtigkeit, durch positives Recht normiert und damit erzwingbar werden.263 Deshalb ist mit den Regeln des Gerechten bzw. der Gerechtigkeit auch eine äußere Verpflichtung verbunden264, da sie aufgrund der Umsetzung in das positive Recht erzwingbar sind.265 In dieser Argumentation zeigt sich zunächst der ciceronianisch-thomasische Zusammenhang, wonach das positive menschliche Recht dem Naturrecht etwas als Konkretisierung hinzufügen kann, es aber nicht dagegen verstoßen darf, da es ansonsten kein „wahres Gesetz“ mehr ist.266 Auch hier greift Thomasius also auf eine thomistische Argumentation zurück. Gleiches gilt nun aber auch für die Differenzierung im Hinblick auf die Positivierbarkeit von justum einerseits, honestum/decorum andererseits: Auch in der thomistischen Tradition unterscheiden sich Reichweite und Gegenstand des menschlichen Gesetzes und des natürlichen Gesetzes, d.h. der jeweiligen Gesetze in forum externum und forum internum.267 Es entspricht insoweit der thomistischen Tradition, dass vor allem Handlungen der Tugend der Gerechtigkeit durch menschliches Gesetz angeordnet werden (lex humana non proponit praecepta nisi de actibus iustitiae), nicht so sehr hingegen die Handlungen anderer Tugenden.268 Insoweit sind die naturrechtlichen Verpflichtungen aus der Gerechtigkeit (debitum legale), nicht hingegen die Verpflichtungen aus der Ehrenhaftigkeit (debitum morale) „so stark“, dass ihnen auch das positive menschliche Gesetz zur

262 So Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S.  274 f., wonach „das justum (das Naturrecht im engeren Sinne) für die geforderte Umsetzung des Naturrechts in erzwingbares positives Recht grundsätzlich besser geeignet ist als die anderen Normen“ – ganz eindeutig ist dies bei Thomasius aber nicht, denn Thomasis hält auch die Gebote des honestum und des decorum für positivierbar (Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 §§ 54 f.). Es ergibt sich eigentlich nur indirekt dadurch, dass nach Thomasius dem Naturrecht im engeren Sinne eine obligatio externa zukommt, vgl. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 275 Fn. 57. 263 Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 276. 264 S. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 25. 265 Vgl. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 276. 266 Dazu oben S. 78 ff.; vgl. auch Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 276. 267 S. dazu oben bereits S. 88 ff., 94 ff., 117 ff., 193 f. 268 S. dazu oben S.  88 ff. sowie Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,2 resp.; s. ferner Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 7 ff.: Zwar kann das menschliche Gesetz nicht nur Handlungen der Gerechtigkeit, sondern auch anderer Tugenden anordnen. Aber seinem Ziel nach richtet sich das menschliche Gesetz auf das zwischenmenschliche Verhältnis, d.h. auf Frieden und Gerechtigkeit. Deshalb kann es nur äußere Handlungen anordnen, und hat vor allem Handlungen der Gerechtigkeit zum Gegenstand.

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Geltung verhilft.269 Nur die rechtliche Verpflichtung ist grundsätzlich so stark, dass sie regelmäßig durch die menschlichen Gesetze positiviert wird. 3.8.4.2.7 Die Differenzierung von Recht und Moral und die beiden Foren Was ist nun also das Neue bei Thomasius? Durch die Verknüpfung dieser verschiedenen Differenzierungen erreicht Thomasius schließlich eine Differen­ zierung von Recht und Moral.270 Das, was ehrbar und anständig ist, verpflichtet nur unter innerer Verpflichtung; das, was sich dagegen auf das Gerechte bezieht, verpflichtet – vermittelt durch das positive menschliche Recht – mit äußerer Verpflichtung und ist damit erzwingbar. Das, was nur unter innerer Verpflichtung bindet, ist nur Gesetz in einem weiten Sinne; das hingegen, was mit äußerer Verpflichtung bindet, ist Gesetz im engen Sinn. Thomasius bestimmt also den Rechts- und Gesetzesbegriff von seinen Wirkungen her neu, indem er letztlich Recht und Moral durch das Kriterium der Zwangskraft (vis cogendi) voneinander abgrenzt.271 Innere Pflicht als Gewissenspflicht und äußere Pflicht als Zwangspflicht sind zu trennen272, folglich verliert das Naturrecht als solches, dessen Wirkung in der inneren Pflicht besteht, seinen rechtlichen Charakter und wird zur Sozialethik; „Recht“ ist nur noch das positive, mit äußerer Zwangskraft ausgestattete Recht, dem das Naturrecht als Norm zugrunde liegt.273

269 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 6 mit Verweis auf die Position Thomas’ („nam ideo (debitum) honestatis appellat, quia ad honestatem morum necessarium est, quamvis non sit tam rigorosum, ut ad illud servandum leges humanae obligent, quod appellat debitum legale“). 270 S. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 273 ff., S. 279 Fn. 61, aber auch mit dem Hinweis, dass es sich im Ausgangspunkt eher um eine Unterscheidung als um eine Trennung von Recht und Moral handelt; s. dagegen Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 12 ff., der beide Differenzierungen als unabhängig voneinander bestehend betrachtet und nur in der Differenzierung im Gesetzesbegriff (Naturrecht mangels Erzwingbarkeit nicht Recht im engen Sinn) eine Trennung von Recht und Sittlichkeit erblickt. 271 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  162 f.; Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S.  277 ff.; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S.  18 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 316; Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 94 ff.; Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 105 f.; s.a. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 §§ 55, 62; Cap. 5 §§ 24, 30, 34. 272 Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 § 61; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn.  34; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 18 f. (allerdings kritisch zur Bezeichnung der inneren Pflicht als Gewissenspflicht). 273 S. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 162 f.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 34 f.; s.a. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 34.

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Das Differenzierungskriterium, durch das Thomasius Recht und Ethik voneinander abgrenzt, nämlich die Zwangskraft des Rechts274, ist freilich ähnlich zu den Kriterien, die die Spätscholastiker (vis coerciva)275 zur Abgrenzung von Gewissensforum und forum externum verwendet haben.276 Soweit Thomasius nun zwischen innerer (obligatio interna) und äußerer, gerichtlich erzwingbarer ( judicialiter cogere)277 Verpflichtung (obligatio externa) und zwischen göttlichen/inneren und menschlichen Strafen differenziert278, verwendet er ebenfalls Kriterien, die zuvor zur Unterscheidung von Gewissensforum und forum externum herangezogen wurden.279 Bei den Scholastikern verpflichtet nämlich die aus dem Naturrecht folgende obligatio naturalis im Gewissensforum, die aus dem positiven menschlichen Recht resultierende obligatio civilis erzeugt hingegen eine Klage (actio) und kann so gerichtlich im forum externum durchgesetzt werden.280 Nur das menschliche Gesetz verhängt Strafen im besonderen Sinne (poenae speciales), nicht hingegen die natürlichen Gesetze, aus deren Verletzung nur die Strafwürdigkeit für das zukünftige Leben (pro vita futura) folgt.281 Wenn Thomasius also darlegt, dass das natürliche Gesetz als solches nicht mit Zwangskraft durchgesetzt wird und deshalb nicht Gesetz im engen Sinne ist, dann greift er die thomistische Naturrechtslehre auf – Wirkung des Naturrechts ist die Gewissensverpflichtung, nicht Strafe282 –, und knüpft daran eine begriffliche Änderung. Ebenso korrespondiert auch die Unterscheidung bei 274 S. etwa Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 34. 275 Suárez, De censuris Disp. 1 Sect. 2 N. 2 („Pertinet etiam vis coerciva, et propterea etiam vocatur potestas fori contentiosi“); Reginaldus, Theologia Moralis, Lib. I Cap. 2 N. 12, 14; s.a. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 211; ferner Molina, De Iustitia et Iure, Tract. V Disp. 2 N. 3 sowie oben bereits S. 113 ff., 124 ff. 276 Ein ähnlicher Gesetzesbegriff wie bei Thomasius findet sich zudem bei Marsilius v. Padua, der die Zwangswirkung zum maßgeblichen Begriffsmerkmal macht, dazu etwa Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 171, 193 ff. 277 Vgl. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 5 § 4 zur Differenzierung von consilium und imperium, an die die Differenzierung von obligatio interna und obligatio externa anknüpft. 278 S. Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 4 §§ 61, 68. 279 S. dazu oben S. 124 ff.; sowie z.B. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Disp. 257 N. 1; Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 23 ff. Zur Differenzierung zwischen dem menschlichen Gesetz, das „Strafen im Besonderen“ festsetzt, und dem natürlichen Gesetz, das selbst keine Strafen festsetzt, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 16 N. 3; Lib. II Cap. 9 N. 1; Cap. 12 N. 1. 280 S. dazu oben S. 202 ff.; vgl. z.B. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Disp. 257 N. 1. 281 S. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 16 N. 3; Lib. II Cap. 9 N. 1; Cap. 12 N. 1. 282 S. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 16 N. 3; Lib. II Cap. 9 N. 1; Cap. 12 N. 1.

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Thomasius, wonach sich honestum auf innere Handlungen (actiones internae), „gerecht“ dagegen auf äußere Handlungen (actiones externae) bezieht283, mit dem Gegenstand der Gerechtigkeit bei Thomas (exteriores actiones)284 sowie dementsprechend mit dem Unterschied von forum externum und forum internum bzw. von menschlichem Gesetz und natürlichem Gesetz, wonach innere Handlungen dem forum externum nicht unterliegen.285 Das menschliche Gesetz darf sich danach grundsätzlich nur auf äußere, nicht hingegen auf innere Handlungen beziehen.286 Damit überträgt Thomasius die Unterscheidung zwischen den beiden Foren auf die Unterscheidung von Gesetz im engen Sinne und Gesetz im weiten Sinne.287 Thomasius’ Unterscheidung von obligatio externa und obligatio interna, von imperium und consilium und damit von menschlichem und natürlichem Gesetz entspricht der Sache nach der thomistischen Differenzierung der beiden Foren. Wie gesehen, wurde dort nämlich das Naturrecht dem forum internum, das menschliche Gesetz hingegen dem forum externum zugeordnet. Und wenn Thomasius weiter zwischen gerecht (iustum) und ehrbar/anständig (honestum/decorum) und damit zwischen der Tugend der Gerechtigkeit und den anderen (moralischen) Tugenden unterscheidet und sagt, dass vor allem das Naturrecht in diesem rechtlichen, engen Sinne durch das menschliche Gesetz positiviert wird, entspricht dies ebenfalls der thomistischen Bestimmung der Reichweite des menschlichen Gesetzes und der Differenzierung von debitum legale und debitum morale. Thomasius rekurriert also auf zwei bereits vorhandene Differenzierungen, und knüpft an diese letztlich eine Differenzierung von „Recht“ und „Ethik“, die sich durch zwei Unterscheidungsmerkmale auszeichnet: erstens die Zwangskraft, die nur beim Recht, nicht bei der Ethik gegeben ist; zweitens die 283 Dazu Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 269 f., 276, 278 ff. 284 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 58,8 resp. („Et ideo, cum iustitia ordinetur ad alterum, non est circa totam materiam virtutis moralis, sed solum circa exteriores actiones et res secundum quandam rationem obiecti specialem, prout scilicet secundum eas unus homo alteri coordinatur“). 285 S. dazu oben S. 122 ff. 286 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; q. 98,1 resp.; q. 100,2 resp.; q. 100,9 resp. 287 Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang später bei Achenwall, Ius Naturae, § 49, der ausdrücklich die zwangs- und strafbewehrte obligatio externa dem forum externum, die nur mit Androhung göttlicher Strafen versehehene obligatio interna dagegen dem forum internum zuordnet („Obligatio iuridica, quae metu coactionis humanae efficitur, seu qua homo homini tenetur, dicitur obligatio externa (in foro externo, humano); quae vero metu poenae divinae efficitur, seu qua homo Deo tenetur, interna (in foro interno, divino, conscientiae“); dem Ius Internum wird der Begriff morale zugeordnet, dem Ius Externum dagegen der Begriff legale (aaO, § 50).

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inhaltliche Verhältnisbestimmung zwischen einem „rechtlichen“ und einem „moralischen“ Bereich. Folge dieser begrifflichen Neufassung ist, dass nicht mehr – wie etwa bei Suárez – die Verpflichtung (obligatio) als solche, sondern nur noch die äußere Verpflichtung (obligatio externa) Begriffsmerkmal des Rechts im engen Sinne ist. Thomasius’ Differenzierung von „Recht und Moral“ vollzieht sich also im Kern als Kombination der gerichtsbezogenen, verfahrensrechtlichen Differenzierung forum externum – Gewissensforum sowie rechtlicher Pflicht (debitum legale) und moralischer Pflicht (debitum morale). Er fasst hier also eine Unterscheidung begrifflich neu, die der Sache nach bereits vorhanden gewesen ist, und löst dadurch den bisher einheitlichen Rechtsbegriff zugunsten einer Differenzierung von Recht und Moral auf. Es handelt sich also um zwei verschiedene Blickrichtungen: zum einen bei Thomasius vom Rechts- und Gesetzesbegriff her; zum anderen in der Scholastik von der Perspektive des Gerichts aus. Bei konfessioneller Betrachtungsweise dürfte ein wesentlicher Grund für diese begriffliche Änderung bzw. „Dejuridifizierung“ des Naturrechts dabei in den durch die Reformation bedingten Änderungen liegen.288 Ebenso wie 288 Ebenso dürfte ein philosophischer Grund für die Änderung des Rechtsbegriffs eine wesentliche Rolle spielen: Thomasius’ Ablehnung der Willensfreiheit und der Lehre vom moralischen Sein, worauf insbesondere Kobusch aufmerksam macht (Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  173 ff.; s. ferner Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S.  13 ff.; Hess, Zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, S. 9 ff. [verändertes Menschenbild bei Thomasius]). Unmittelbar bevor Thomasius seine Kritik am Rechtsbegriff formuliert, greift er zunächst die Lehre von den entia moralia an (Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Prooemium,  § 7). Es gibt danach keine einheitliche Natur des Menschen, die aus Intellekt und Willen besteht, sondern nur den Willen – dieser habe Vorrang vor dem Intellekt und bewege diesen (aaO, Prooemium, § 23 f.; Lib. I Cap. 1 § 54). Diesem Willen kommt aber keine (innere, indifferente) Freiheit zu; er ist ein natürliches Vermögen (Thomasius, Fundamenta Iuris Naturae et Gentium, Lib. I Cap. 1 §§ 56, 66, 99, 119, 132; s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 176 f.). Moralische und willentliche Handlung werden daher gleichgesetzt, d.h. Handlungen sind insoweit moralisch, als sie vom Willen herrühren (aaO, Cap. 1 § 55). Der Wille ist aber aufgrund seiner Natürlichkeit bzw. Notwendigkeit kein moralisches Vermögen, sondern werde nur deshalb so bezeichnet, weil er die Quelle des Moralischen sei (aaO, Cap. 1 § 56). Weil also die Freiheit entfällt, gehört der Wille nicht zu einem eigenen moralischen Seinsbereich, sondern unterfällt dem Bereich des Natürlichen bzw. des Physischen; d.h. auch die vom Willen herrührende moralische Natur des Menschen unterfällt dem Bereich des Natürlichen bzw. Physischen, sie richtet sich nach dessen Prinzipien und ist letztlich nur ein Teil des Physischen (aaO, Prooemium, §§ 23 f.; Lib. I Cap. 1 § 58 ff.). Aufgrund der Ablehnung der Willensfreiheit entfällt also das Fundament des moralischen Seins und damit auch seine ontologische Eigenständigkeit (vgl. aaO, Lib. I Cap. 1 § 99; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 178). Daraus dürften sich Folgen für den Rechts- und Gesetzesbegriff ergeben (s. zum Zusammenhang dessen zum Pflichtbegriff bei Thomasius bereits Schreiber,

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bei Pufendorf ist bei Thomasius der Zusammenhang von Naturrecht und Bußforum bzw. göttlichem Forum verschwunden.289 Indem der Zusammenhang von Naturrecht und Bußforum infolge der Reformation aufgelöst wird und das Bußforum seine Bedeutung verloren hat, wird das Naturrecht auch keinem eigentlichen „Forum“ mehr zugeordnet – es wird von einer äußeren Rechtshandlung gelöst und verliert damit seinen eigentlich rechtlichen Charakter.290 Das Naturrecht, das zuvor dem forum internum zugeordnet wurde und das eine innere Gewissensverpflichtung bedingte, ist so kein Recht im eigentlichen Sinne mehr. „Recht“ im eigentlichen Sinne ist nur das mit Zwangswirkung ausgestattete positive Recht des forum externum, dem das Naturrecht, soweit es die Gerechtigkeit betrifft, zugrunde liegt. An die naturrechtliche Differenzierung von justum und honestum (und damit von debitum legale und debitum morale) knüpft so die „Unterscheidung von erzwingbarem Recht und unerzwingbarer Moral“ an.291 Anstelle der konzeptionellen Differenzierung zwischen den beiden Foren tritt also die begriffliche Differenzierung zwischen Gesetz im engen Sinn und Gesetz im weiten Sinn bzw. von Recht und Ethik. Nach Thomasius hat so freilich das Naturrecht, das nach seiner Definition nicht mehr Recht und Gesetz im engeren Sinne ist, keinen Platz im Bereich des Rechts – es ist nur noch Norm und damit Grundlage des positiven Rechts. Das Naturrecht wird so vor allem der Moral bzw. Ethik zugeordnet, die keine rechtliche Zwangskraft hat und insoweit dem forum internum zugeordnet ist.292

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Der Begriff der Rechtspflicht, S. 15, 18 f.): Gibt es keine moralische Kausalität und keine innerliche (Willens-)Freiheit und unterfällt das Moralische dem Bereich des Physischen, bleiben nur noch die physische Kausalität und die äußeren Beschränkungen der Freiheit, d.h. der Zwang, der folglich für den Gesetzes- und Pflichtbegriff zentral wird (vgl. für einen solchen Zusammenhang zwischen Kritik der Lehre vom moralischen Sein und Gesetzesbegriff Thomasius, aaO, Lib. I Cap. 4 §§ 60 ff.; Cap. 5 §§ 2, 9, 16 ff.). Ebenso hat die Kritik am Intellekt als Vermögen des Menschen Auswirkungen auf den Gewissens- und damit auf den Naturrechtsbegriff (vgl. aaO, Lib. I Cap. 4 §§ 15 ff.). Bereits bei Pufendorf deutet sich an, dass das forum nicht mehr das entscheidende Differenzierungskriterium ist, indem nämlich sowohl das Naturrecht als auch das positive ius civile dem forum humanum zugeordnet werden (s. dazu zuvor S. 244 ff.). Dadurch wird freilich die Abgrenzung von Naturrecht und ius civile problematisch. Gerade vor diesem Hintergrund wird man Thomasius’ Ansatz sehen müssen, Naturrecht und positives Recht nunmehr über die Zwangskraft und damit den Rechtsbegriff selbst abzugrenzen. Gleichzeitig zeigen sich in dem Gedanken der notwendigen Positivierung des Naturrechts durch das menschliche Gesetz durchaus Ähnlichkeiten zu Luther, der das Naturrecht als Norm des äußeren Zusammenlebens der Menschen verstand und auf das weltliche Reich bezog; s. dazu oben S. 224 ff., 231 f. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 277. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 163; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  316; Schulze, Die Naturalobligation, S.  110 ff.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 279 f.

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Damit zeigt sich ungeachtet der Kontinuitäten eine fundamentale Änderung bei Thomasius: Die zuvor bestehende Einheit der normativen Ordnung wird durch eine am Rechts- und Gesetzesbegriff selbst ansetzende Dualität von Ethik und Recht abgelöst. Damit ist freilich noch ein weiterer Unterschied verbunden: Die Diskussion verlagert sich vom Forum auf den Rechtsbegriff, der seinerseits nach dem unterschiedlichen Pflichtengehalt differenziert. Nicht mehr das Forum als Gericht, in dem der Mensch Verantwortung für sein Handeln trägt, ist die entscheidende Kategorie, sondern das objektive Recht bzw. der Pflichtengrund. Betrachtet man dies aus thomistischer Perspektive, dann findet hierdurch zugleich eine Verschiebung zugunsten des forum externum statt, indem nur noch das mit Zwangskraft durchsetzbare positive Recht Recht im engeren Sinne ist.293 Das Naturrecht bei Wolff 3.8.4.3 Auch wenn Thomasius’ Ansatz in der Folgezeit wirkmächtig wird, findet er doch nicht unmittelbare Zustimmung, wie sich bei Christian Wolff (1679– 1754) zeigt. Auch dieser erörtert das Naturrecht in Zusammenhang mit der praktischen Philosophie.294 Nach Wolff werden die Menschen durch die natürlichen Gesetze verpflichtet, ihre freien Handlungen zu bestimmen; auch das Naturrecht fällt daher in den Bereich des Rechts.295 Mit dieser rechtlichen Qualifikation des Naturrechts wendet er sich ausdrücklich gegen seinen Lehrer Thomasius, der wie gesehen in der Verpflichtung kein Kriterium des Gesetzes bzw. Rechts sieht, sondern nur im Zwang. Wolff ordnet folglich das Naturrecht wiederum dem „Recht“ zu.296 Nach Wolff ist Quelle des Naturrechts die Natur des Menschen und der Dinge an sich (ipsa essentia & natura hominis rerumque)297, womit er sich gegen den 293 Diese Verschiebung auf das äußere Recht bzw. Gesetz zeigt dabei wiederum eine gedankliche Nähe zu Luthers Position, der ja das Gesetz dem äußeren weltlichen Reich zuordnet; s. dazu oben S. 224 ff. 294 Vgl. Wolff, Jus naturae, Praefatio; Prolegomena § 4; s.a. Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 127; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 318. 295 Wolff, Jus naturae, Praefatio; Prolegomena  § 5; ders., Philosophia Practica Universalis, §§ 135 ff., 141. 296 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  318; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn.  42; Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S.  27 f.; s.a. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 282; vgl. auch zu Wolff im Verhältnis zu den Spätscholastikern und Thomas Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 91, 98; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 95 f. 297 Wolff, Philosophia Practica Universalis, Pars I, §§135 f. („lex naturae rationem sufficientem in ipsa hominis rerumque essentia & natura cognoscit“) – Urheber ist Gott als Urheber der Natur (naturae auctor); ders., Jus naturae, Praefatio; s. ferner Wolff, Institutiones Iuris

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voluntaristischen Ansatz bei Pufendorf (und damit Suárez) wendet und der Position Grotius’ (und damit Gabriel Vázquez’) nahesteht.298 Mittels Vernunftanalyse müssten Schlussfolgerungen gezogen werden, um die einzelnen Verpflichtungen, Rechte, Ge- und Verbote des Naturrechts zu entwickeln.299 Das Innovative bei Wolff besteht darin, dass er ein systematisches und logisch gebildetes Naturrechtssystem mit klaren Begriffsklärungen entwirft.300 Er wendet die wissenschaftliche Methode des sog. mos geometricum an, mit der er eine systematisch und logisch geordnete Naturrechtsordnung mit allgemeinen Rechtsbegriffen entwirft und aus allgemeinen Rechtssätzen im Wege der Deduktion zu konkreten Rechtssätzen301 gelangt, wodurch das Naturrecht als positivierbare Rechtsordnung ausgestaltet wird.302 Damit bereitet er das Naturrecht für die Übernahme in die Kodifikationen und folglich in das forum externum vor.303 3.8.5 Das Naturrecht als Grundlage des Zivilrechts 3.8.5.1 Die Rechtfertigungstheologie, der Jansenismus und die französische Rechtslehre Gerade dieser Ansatz, das Naturrecht in den Bereich des positiven Rechts zu übertragen, wird auch in der Folgezeit bedeutsam. In diesem Kontext kommt den französischen Juristen Jean Domat (1625–1696) und Robert-Joseph Pothier (1699–1772) besondere Bedeutung zu, deren Lehren einen wesentlichen Einfluss auf die Erstellung des Code Civil304 haben sollten. Beide gestalten das römische bzw. französische Recht entsprechend dem Naturrecht mit dem

298 299 300 301 302

303 304

Naturae, § 41 („Auctor legis naturae ipse Deus est […], sicque obligatio naturalis etiam divina est, & lex naturalis lex divina“). Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 131 ff. Wolff, Jus naturae, Praefatio; s.a. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  318 f. Gegenstand des Naturrechts sind dabei nach Wolff die Verpflichtungen gegenüber sich selbst, den anderen sowie Gott. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  319 f.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 40. Wobei aber die konkreten detaillierten Rechtssätze wiederum nicht nur rein deduktiv hergeleitet werden, sondern auch dem positiven gemeinen Recht entnommen sind, s. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 319. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  271, 319 f.; vgl. auch zur Naturrechtslehre bei Wolff grundsätzlich Hartung, Die Naturrechtsdebatte  S.  126 ff. In dieser Art der Deduktion, die auf eine „vollständige materiale Bestimmung der Praxis“ zielt, sieht etwa Lutterbeck einen Unterschied zu Suárez, s. Lutterbeck, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 53, 68 f.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 95 f. Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 320. S. bspw. Arnaud, Les origines doctrinales, p. 218 ss.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 340 f.; König, Pothier und das römische Recht, S. 35.

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Zweck der Rechtsvereinheitlichung um, und bereiten damit den Grund für die modernen Naturrechtskodifikationen.305 Auch bei Domat und Pothier zeigt sich indes die Bedeutung der Theologie und insbesondere der Rechtfertigungslehre.306 Beide waren Jesuitenschüler307, aber zumindest308 Domat war Jansenist, und folgte damit einer augustinisch geprägten Rechtfertigungslehre309, die von der Aufhebung des freien Willens des Menschen gegenüber Gott ausging und daher dem Molinismus entgegengesetzt war – die Erlösung des Menschen hängt ganz von der göttlichen Gnade und Erwählung ab, es gibt insoweit kein Zusammenwirken von Gnade und menschlichem freiem Willen.310 Der Jansenismus geht dabei dem Namen nach auf den Bischof von Ypern Cornelius Jansenius (1585–1638) zurück, der seine Rechtfertigungs- und Gnadentheologie vor allem als Gegenentwurf zur als (semi-)pelagianisch kritisierten Auffassung Lessius’ und Molinas entwickelte.311 Der Jansenismus wird aufgrund der augustinisch geprägten Rechtfertigungslehre in Frankreich, wo die Jesuiten bis zu ihrem Verbot im 18. Jahrhundert großen Einfluss hatten, auch als „parti anti-moliniste“ bezeichnet und steht damit in grundsätzlicher Auseinandersetzung312 mit der jesuitischen Spät-

305 S. dazu unten noch S. 270 f. sowie Arnaud, Les origines doctrinales, p. 69 ss. (zu Domat), 111 ss., 114 (zu Pothier), 218 ss.; Jahn, Die „Subtilité du Droit Romain“ bei Jean Domat und Robert-Joseph Pothier, S. 18. 306 Vgl. auch Todescan, Le radici teologiche del giusnaturalismo laico II, p.  3 ss. et passim (umfassend zu den theologischen Einflüssen auf die Naturrechtslehre bei Domat); Arnaud, Les origines doctrinales, p. 15 ss.; König, Pothier und das römische Recht, S. 39 f. 307 Zu Pothier s. König, Pothier und das römische Recht, S. 39 f. 308 Vgl. zum Verhältnis Pothiers zum Jansenismus Arnaud, Les origines doctrinales, p.  111; König, Pothier und das römische Recht, S. 39 Fn. 3; Jahn, Die „Subtilité du Droit Romain“ bei Jean Domat und Robert-Joseph Pothier, S. 17 f. 309 Zur Rechtfertigungs- und Gnadenlehre der Jansenisten und zur Auseinandersetzung mit den Jesuiten Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 80 ff.; Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 218. 310 Todescan, Le radici teologiche del giusnaturalismo laico II, p. 3 ss.; Arnaud, Les origines doctrinales, p.  15; Martin-Palma, Gnadenlehre, S.  84 ff.; s.a. Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 365. 311 Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 80 ff., 104: Jansenius war wie Lessius Professor in Löwen, und wandte sich in seinem posthum 1640 veröffentlichen Werk „Augustinus“ direkt gegen Lessius, der von den Jesuiten die äußerste Gegenposition zu Augustinus bezogen hatte; zu Lessius’ Auseinandersetzung in Löwen bereits in den 1580er Jahren s. Matava, Divine Causality and Human Free Choice, p. 25 ss. 312 Nicht aber unbedingt mit der thomistischen Tradition; s. zu thomistischen Einflüssen bei Domat Todescan, Le radici teologiche del giusnaturalismo laico II, p. 62 s.; Villey, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 53, 68. Pothier etwa zitiert in seinem Werk mehrfach unmittelbar Thomas, s. etwa Pothier, Traité des Obligations, Part. I Chap. I Sec. I N. 109, 111.

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scholastik.313 Während die Jesuiten den freien Willen des Menschen gegenüber Gott betonen und deshalb auch das Naturrecht seine Bedeutung für die Rechtfertigung erhält314, weisen die Jansenisten die Bedeutung einer offenbarten Moral für die Rechtfertigung zurück; besonderer Wert kommt dem Gesetz hingegen – letzlich ähnlich wie bei Luther – für die äußere weltliche Ordnung zu.315 Betont wird daher die Bedeutung des positiven menschlichen Rechts, sodass der Fokus auf die positive, äußere rechtliche Ordnung, die auch göttliche Ordnung ist, gerichtet wird.316 Ferner zeigt sich bei Domat und den Jansenisten im Gegensatz zu den Jesuiten, denen Laxheit vorgeworfen wird317, eine moralische Strenge bzw. ein gewisser Moralismus, was durchaus auch Einfluss auf das Rechtsdenken hat.318 Umgekehrt bildet bei Pothier wiederum das Gewissensforum ( for de la conscience) eine zentrale Kategorie. Das zeigt sich darin, dass sein wesentliches Werk, das das Obligationenrecht des Code Civil prägen sollte, „Traité des obligations, Du for de la conscience que du for exterieur“ („Traktat der Obligationen im Gewissensforum und im forum externum“) heißt und das Obligationenrecht in beiden Foren untersucht.319 3.8.5.2 Das Naturrecht bei Domat Vor diesem Hintergrund besteht Domats Ansatz darin, dass er das römische Recht mit dem Naturrecht verbindet. Hierdurch verfolgt er das Ziel einer Rechtsvereinheitlichung des französischen Rechts durch Umgestaltung des Zivilrechts entsprechend einer natürlichen Ordnung bzw. einem christlichen Ideal.320 In seinem Werk „Les lois civiles dans l’ordre naturel“ (1689) rekurriert er 313 Vgl. Todescan, Le radici teologiche del giusnaturalismo laico II, p.  6 s., 22; Arnaud, Les origines doctrinales, p.  15 ss.; s.a. grundsätzlich zur Auseinandersetzung zwischen Jansenisten und Molinisten (neben Molina ist vor allem Lessius Gegner der Jansenisten) Martin-Palma, Gnadenlehre, S. 82. 314 S. dazu oben S. 155 ff. 315 Vgl. Todescan, Le radici teologiche del giusnaturalismo laico II, p. 54; Arnaud, Les origines doctrinales, p. 17. 316 Todescan, Le radici teologiche del giusnaturalismo laico II, p.  60 s.; vgl. Arnaud, Les origines doctrinales, p. 17 s. 317 Piro, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 365. 318 Vgl. Todescan, Le radici teologiche del giusnaturalismo laico II, p.  54, 85; Arnaud, Les origines doctrinales, p. 15, 18, 111, 219. Zum Rigorismus des Jansenismus im Hinblick auf die Buße (öffentliche Buße nach altkirchlichem Vorbild; Vorschaltung einer satisfaktorischen Bußzeit vor die Absolution) s.a. Meßner, Handbuch der Liturgiewissenschaft, S. 183 ff. 319 S.a. Decock, Theologians and Contract Law, p.  70 s.; König, Pothier und das römische Recht, S. 40. 320 Dazu insbesondere Arnaud, Les origines doctrinales, p. 69 ss., 142 ss.; vgl. Domat, Les lois civiles dans l’ordre naturel, Preface.

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insoweit auf die positiv-rechtlichen Vorgaben des römischen Rechts, die seinem Urteil nach, auch wenn sie eine umfassende Grundlage bieten, doch nicht leicht handhabbar und verständlich seien.321 Vor diesem Hintergrund wird das Naturrecht relevant. Domat geht hierbei davon aus, dass das Naturrecht zunächst allgemeine Prinzipien (principes naturels & immuables) enthalte, aus denen man zu konkreteren Regelungen (regles particulieres) herabsteige und so das Naturrecht deduktiv erweitere.322 Allerdings sind diesen Ableitungen Grenzen gesetzt.323 Wo „die natürlichen Gesetze nicht präzise bestimmen könnten, was gerecht ist“, wird diese präzise Bestimmung nun durch das gewillkürte Recht (lois arbitraires) vorgenommen (bspw. Geschäftsfähigkeit erforderlich für Vertragsschlüsse; Festlegung des Alters durch das positive Recht).324 In diesen Naturrechtsrahmen, der deutliche Spuren der thomistischen Naturrechtsidee aufweist, ordnet Domat wiederum das römische Recht ein: Es enthalte vor allem natürliche Gesetze und nur wenig gewillkürtes Recht, allerdings sei das römische Recht nicht gut geordnet.325 Insofern will Domat die Zivilgesetze in eine natürliche Ordnung bringen (mettre les Loix Civiles dans leur ordre) und entsprechend dem Naturrecht umgestalten.326 3.8.5.3 Das Naturrecht bei Pothier Ähnlich Domat besteht Pothiers naturrechtlicher Ansatz darin, dass er Inhalte des römischen Rechts entsprechend naturrechtlichen Gedanken umgestaltet.327 Pothier beschäftigt sich in seinem „Traité des obligations, Du for de la conscience que du for exterieur“ (1761), welcher das Obligationenrecht und vor allem das Vertragsrecht behandelt328, mit den Verpflichtungen in beiden Foren, d.h. Gewissensforum ( forum conscientiae) und forum externum.329 Er differenziert dabei eingangs zwischen einem weiten und einem engen Verständnis der obligations.330 Obligations in einem weiten Sinn seien jede 321 Domat, Les lois civiles dans l’ordre naturel, Preface. 322 Domat, Les lois civiles dans l’ordre naturel, Preface; dazu auch Todescan, Le radici teologiche del giusnaturalismo laico II, p. 55 ss. 323 Domat, Les lois civiles dans l’ordre naturel, Preface. 324 Domat, Les lois civiles dans l’ordre naturel, Preface – hier zeigen sich deutliche Ähnlichkeiten zu Thomas’ Verhältnisbestimmung von Natur- und positivem Recht, dazu oben S. 85 ff. 325 Domat, Les lois civiles dans l’ordre naturel, Preface. 326 Domat, Les lois civiles dans l’ordre naturel, Preface; s.a. Schulze, Die Naturalobligation, S. 106 f. 327 Arnaud, Les origines doctrinales, p. 111 ss.; König, Pothier und das Römische Recht, S. 178 ff. 328 König, Pothier und das Römische Recht, S. 189 f. 329 S.a. Decock, Theologians and Contract Law, p.  70 s.; König, Pothier und das Römische Recht, S. 40. 330 Pothier, Traité des Obligations, Article Préliminaire.

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Verpflichtung (devoir), und umfassen folglich auch sog. unvollkommene Verpflichtungen (obligations imparfaites), die nur gegenüber Gott geschuldet seien und bei denen kein anderer ein Recht auf Erfüllung der Verpflichtungen habe.331 Solche unvollkommenen Verpflichtungen folgen etwa aus der (Tugend der) Nächstenliebe (charité) oder der Dankbarkeit (réconnaissance).332 Demgegenüber sind vollkommene Verbindlichkeiten (obligations parfaites) nur solche, bei denen der Verpflichtung ein Recht des anderen gegenübersteht333, d.h. dass der andere die Erfüllung der Verpflichtung verlangen kann.334 Folglich findet sich bei Pothier335 grundlegend die Unterscheidung zwischen obligations parfaites und obligations imparfaites, die inhaltlich der Unterscheidung von debitum legale und debitum morale nachgebildet ist, der man in der thomistischen Tradition begegnet ist.336 Er unterscheidet damit in gewisser Weise zwischen den Pflichten des natürlichen Gesetzes, die aus jeder Tugend folgen können, und den Pflichten des Naturrechts im engeren Sinne, das den Gegenstand der Tugend der Gerechtigkeit bildet.337 Weiter differenziert Pothier nun zwischen der obligation naturelle und der obligation civile hinsichtlich der jeweiligen Foren338: Während die obligation civile „demjenigen, gegenüber dem sie besteht, das Recht gibt, das gerichtlich einzufordern“ (droit d’exiger en justice), was Inhalt der Verpflichtung ist, verpflichtet die obligation naturelle den Verpflichteten nur im Gewissensforum (dans le for de la conscience).339 Nur die durch „Zivilrecht“ (loi civile) 331 Pothier, Traité des Obligations, Article Préliminaire. 332 Pothier, Traité des Obligations, Article Préliminaire. 333 Hier zeigt sich freilich der Zusammenhang von ius und debitum legale bzw. obligatio, der bereits bei Lessius auftaucht, dazu oben S. 141 ff.; vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 1,4 f., 7; Cap. 18 Dub. 8 N. 57 (debitum imperfectius – debitum perfectum). 334 Pothier, Traité des Obligations, Article Préliminaire. 335 Pothier, Traité des Obligations, Article Préliminaire. 336 Decock, Theologians and Contract, p. 80 s.; ferner zu Pothier auch Schulze, Die Naturalobligation, S. 113 ff. 337 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 80 s. 338 S.  Schulze, Die Naturalobligation, S.  114, wonach die Gegenüberstellung obligation imparfaite – obligation parfaite nicht deckungsgleich mit der Gegenüberstellung obligation naturelle – obligation civile ist. Soweit nämlich die obligation naturelle rechtlich ist, ist sie auch obligation parfaite. Auch die obligation naturelle gewährt insoweit im Gegensatz zur obligation imparfaite dem anderen Teil ein Recht, allerdings verpflichtet sie nur im Gewissensforum (dans le for de la conscience), nicht dagegen im forum externum (non pas dans le for extérieur). Die obligation naturelle kann also im Gegensatz zur obligation civile nicht gerichtlich zwangsweise im forum externum durchgesetzt werden; s. nämlich Pothier, Traité des Obligations, Part. II Chap. II N. 197. 339 Pothier, Traité des Obligations, Part. II Chap. I § 1 N. 173 s., 175; ferner Chap. II N. 191 ss. (zum Unterschied dieser obligation naturelle vom römisch-rechtlichen Verständnis der obligatio naturalis): Es gebe danach Verpflichtungen, die nur im Gewissensforum verpflichten würden, umgekehrt gebe es Verpflichtungen, die reine obligations civiles seien,

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begründete obligation civile, nicht hingegen die obligation naturelle begründet ein Klagerecht (action), aufgrunddessen der Verpflichtete im forum externum (dans le for extérieur) zur Erfüllung der Verpflichtung gerichtlich gezwungen werden kann.340 Pothier versteht das Naturrecht dabei als eine rationale Rechtsmaterie, die, weil sie selbst keiner Bindung an das römische Recht unterliegt, das Privatrecht des römischen Rechts verändern kann, soweit dessen Regelungen ungeeignet erscheinen.341 Er verwendet das Naturrecht auf diese Weise insbesondere zur Umgestaltung des Vertragsrechts in Abweichung vom römischen Recht.342 So erklärt er etwa im Vertragsrecht, dass den Differenzierungen des römischen Rechts, die nicht naturrechtlich begründet seien, keine Geltung mehr zukomme.343 Pothier geht so auch davon aus, dass jede obligation aus einem natürlichen Gesetz (loi naturelle) folge344; das natürliche Gesetz ist „zumindest der mittelbare Grund einer jeden Verpflichtung“ (la Loi naturelle est la cause au moins médiate de toutes les obligations), und zwar bei Verträgen, Delikten und Quasi-Delikten.345 Insoweit nimmt Pothier eine Verlagerung des Naturrechts in das forum externum vor und geht gleichzeitig von einer weitgehenden Identität der rechtlichen Verpflichtungen im forum externum und im Gewissensforum (le for de la conscience) aus.346 Gerade dieser Ansatz Domats und Pothiers, der das Zivilrecht in foro externo entsprechend dem konkreten Naturrecht umgestaltet, wird sich als für die weitere Rechtsentwicklung wirkmächtig erweisen, da

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in der Regel seien Verpflichtungen aber sowohl obligations naturelles als auch obligations civiles. Inhaltlich entspricht diese Aussage der Tradition und der Unterscheidung von obligatio naturalis und obligatio civilis, s. dazu oben S.  202 ff. sowie etwa Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 252 N. 5; Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 23 ff. Auch bei Pothier (und hier noch verstärkt durch das unmittelbare Aufgreifen der beiden Foren) zeigt sich also wiederum, ebenso wie etwa bei Thomasius (dazu oben S. 251 ff.), dass sowohl die thomistische Differenzierung zwischen moralischer und rechtlicher Verpflichtung als auch die Dualität von obligatio naturalis und obligatio civilis in der Naturrechtslehre Kontinuität haben. Auch trotz der Entfernung des Naturrechts aus dem Bußforum bleiben wesentliche Charakteristika erhalten. Vgl. Pothier, Traité des Obligations, Part. II Chap. I § 1 N. 175, Chap. II N. 197 zu den rein natürlichen Verpflichtungen, die nicht zugleich auch obligations civiles sind („la loi civile refuse l’action à celui envers qui elles sont contractées, pour en poursuivre en justice l’exécution“). König, Pothier und das Römische Recht, S. 179 f. S. dazu König, Pothier und das Römische Recht, S. 178 f., 189 ff. S. Pothier, Traité des Obligations, Part. I Chap. I Sect. I § 1 N. 3; dazu auch König, Pothier und das römische Recht, S. 178 ff.; Arnaud, Les origines doctrinales, p. 206 s. Ähnlich zuvor bereits Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 9 N. 8 f., 11 f. Pothier, Traité des Obligations, Part. I Chap. I Sect. II § III N. 123. Vgl. Pothier, Traité des Obligations, Part. II Chap. I § 1 N. 174.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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hierdurch die Grundlagen für die späteren Zivilrechtskodifikationen gelegt werden.347 3.8.6 Das Naturrecht in den Kodifikationen Diese Entwicklung findet ihren Abschluss in den sog. „Naturrechtskodifikationen“ der Neuzeit, in denen durch positives Recht umfassende Zivilrechtskodifikationen erlassen werden, die zumindest auch naturrechtlich geprägt sind, und insoweit das gemeine bzw. römische Recht mit dem Naturrecht verbinden. Maßgebliches Kodifikationswerk ist dabei der Code Civil von 1804, der wesentlich auf den Vorarbeiten von Domat und Pothier beruht.348 Damit wird das Naturrecht, das sich durch die Herausnahme aus dem Gewissensforum verselbständigt hat, Grundlage für die Kodifikationen. D.h. das Naturrecht wird aus dem Bereich des Gewissensforums in den Bereich des forum externum übertragen und bildet jetzt dort das maßgebliche Recht, indem es als positives Recht Geltung entfaltet und im forum externum gerichtlich klageweise durchgesetzt werden kann. Soweit die konkrete Naturrechtsordnung mit ihren Regelungen zum Vertrags- und Haftungsrecht zur Grundlage der Kodifikationen gemacht wird, wird das Naturrecht also in den Bereich des forum externum übertragen und das positive Recht dem Naturrecht nachgebildet.349 3.8.7 Die Entwicklung des Naturrechts und die Autonomie bei Kant Durch die Positivierung des Naturrechts und das Aufgehen des Naturrechts in den Kodifikationen verliert das Naturrecht als selbständige nichtpositive Rechtsmaterie schließlich auch selbst seine juristische Bedeutung.350 Im  347 Vgl. Arnaud, Les origines doctrinales, p. 72, 112 ss., 218 ss.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 340 f. 348 S. Arnaud, Les origines doctrinales, p. 69 ss., 111 ss., 218 ss.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 340 f.; König, Pothier und das römische Recht, S. 35; Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S.  190; Jahn, Die „Subtilité du Droit Romain“ bei Jean Domat und Robert-Joseph Pothier, S. 18. 349 Vgl. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 266 („Man muß somit die Kasuistik als Laboratorium zukünftiger Codices betrachten“). Nicht übertragen werden demgegenüber die debita moralia aus den Sekundärtugenden der Gerechtigkeit, diese bleiben als unvollkommene Verpflichtungen (obligations imparfaites) außerhalb des forum externum und sind ausschließlich dem forum internum zugeordnet. Daher ergibt sich dann die Trennung von „Recht und Moral“, indem nämlich im forum externum die debita moralia/ obligations imparfaites nicht zwangsweise durchgesetzt werden können. Der Sache nach existiert die eigentliche Trennung indes weiter als jene zwischen den beiden Foren; vgl. zur Unterscheidung moralischer und rechtlicher Verpflichtung auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 80 s., 197 ss. 350 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  160; s.a. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 348 ff.; Braun, JZ 2013, 265, 267 f.

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Kapitel 3

19. Jahrhundert tritt so auch die Naturrechtsdiskussion in den Hintergrund. In ausdrücklicher Zurückweisung einer naturrechtlichen Kodifikation wird in Deutschland stattdessen die von Savigny begründete Historische Rechtsschule, die die Rechtswissenschaft als eine geschichtliche Wissenschaft und Recht als etwas „Geschichtliches“, d.h. historisch Gewordenes auffasst, bedeutsam für die Vorbereitung des Bürgerlichen Gesetzbuches als Kodifikation.351 Gleichwohl werden auch hier inhaltliche Wertungen des Naturrechts, etwa im Vertrags-, Haftungs- und Schadensrecht, für das Bürgerliche Gesetzbuch prägend.352 Gleichzeitig wird die naturrechtliche Tradition entscheidend für die Entstehung und positivrechtliche Normierung von Grund- und Menschenrechten, wie dies ausgehend von den amerikanischen und französischen Menschenrechtserklärungen Ende des 18. Jahrhunderts der Fall werden sollte.353 Die vorgenannten Aspekte betreffen die Bedeutung des Naturrechts für das positive Recht – aber wie sieht es mit der Moralphilosophie aus? Wie gesehen, verliert das Naturrecht bei den protestantischen Naturrechtslehrern Pufendorf, Thomasius und Wolff – wohl auch bedingt durch die Änderungen in der Rechtfertigungstheologie – seinen Zusammenhang mit dem Bußforum ( forum poenitentiale), ohne aber dem positiven menschlichen Recht bzw. dem forum externum zugeordnet zu werden. Naturrechtliche Verpflichtungen werden so zu „Gewissensverpflichtungen“, die zwar im Gewissen und im forum internum Verpflichtungskraft (vis obligandi) haben, aber deren Nichterfüllung grundsätzlich keine „Rechtsfolgen“ nach sich zieht, weshalb Thomasius das Naturrecht auch aus dem Bereich des „Rechts“ entfernen möchte. Das Naturrecht wird so der praktischen Philosophie und der Ethik zugeordnet. Bußforum und forum Dei werden vom Gewissensforum getrennt und der Moraltheologie überwiesen, wohingegen das forum internum der Moralphilosophie zugeordnet wird und so die Ethik als philosophische Disziplin verselbständigt wird. Damit ergeben sich in gewisser Hinsicht drei Foren, das forum externum, das forum conscientiae und das forum Dei.354 351 Grds. zum Verhältnis von Naturrecht und Historischer Rechtsschule Haferkamp, in: Armgardt (Hrsg.), Naturrecht in Antike und früher Neuzeit, S.  61 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.  353 ff.; vgl. auch Lipp, Die Bedeutung des Naturrechts, S. 17 ff.; s. dazu näher auch Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 158 ff. 352 Vgl. etwa Buschmann, in: Gergen (Hrsg.), Vielfalt und Einheit in der Rechtsgeschichte, S. 75, 77; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 351 ff.; Lipp, Die Bedeutung des Naturrechts, S. 17 ff., 21 ff. et passim; Gisawi, Der Grundsatz der Totalreparation, S. 185 ff., 193 ff.; s. aber auch Haferkamp, in: Armgardt (Hrsg.), Naturrecht in Antike und früher Neuzeit, S. 61 ff., 88 ff., 93 ff. 353 Zur Bedeutung des Naturrechts für die Entstehung der Grund- und Menschenrechte s. etwa Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 57 ff. 354 Vgl. zu diesem Gedanken der drei Foren auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 169.

Recht und Gerechtigkeit bei Thomas und in der Spätscholastik

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Eine weitere Wendung erfährt die Naturrechtsdiskussion in der praktischen Philosophie schließlich bei Kant, bei dem das Sittengesetz autonom durch die moralische Person selbstbestimmt wird und damit die Idee eines objektiv bestimmten Naturrechts letztlich zurückgewiesen wird.355 Kants Kritik zielt grundsätzlich gegen die Herleitung objektiver Prinzipien aus der Natur des Menschen.356 Der Grund der Verbindlichkeit der moralischen Gesetze liegt danach „nicht in der Natur des Menschen, oder den Umständen in der Welt“, „sondern a priori lediglich in den Begriffen der reinen Vernunft“.357 An die Stelle heteronomer Naturrechtsbegründung im Sinne eines Naturrechts, dessen feststehender objektiver Inhalt durch Vernunfterkenntnis erkannt wird, tritt hier die autonome vernunftbegründete Selbstgesetzgebung des Willens („Autonomie des Willens“); der Wille jedes vernünftigen Wesens ist ein allgemein gesetzgebender Wille, der „als selbstgesetzgebend, und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er selbst sich als Urheber betrachten kann) unterworfen, angesehen werden muss“.358 Methode dieser Gesetzgebung ist der „kategorische Imperativ“ („handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetze machen kann“; „Handle nach Maximen, die sich selbst zugleich als allgemeine Naturgesetze zum Gegenstand haben können“).359 Grund dessen ist die Freiheit des Willens, die ihrerseits mit der „Autonomie, d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein“ identifiziert wird.360 355 S. bspw. Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt Rn. 33 (AA IV, 421) (zum kategorischen Imperativ: „handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte“); s. etwa Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit,  S.  165 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 351 ff.; s.a. zum Verhältnis von Thomas und Kant Müller-Schmid, in: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften 27 (1986), S. 35 ff., 50 ff. 356 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt Rn.  42 (AA IV, 425) („[…] dass man es sich ja nicht in den Sinn kommen lasse, die Realität dieses Prinzips aus der besondern Eigenschaft der menschlichen Natur ableiten zu wollen“); s.a. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 165 f. 357 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Vorrede, Rn. 7 (AA IV, 389). 358 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt Rn. 56 f. (AA IV, 431) („die Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens“; „Der Wille wird also nicht lediglich dem Gesetz unterworfen, sondern so unterworfen, dass er auch als selbstgesetzgebend, und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er selbst sich als Urheber betrachten kann) unterworfen, angesehen werden muss.“), ferner Rn. 61, 81 ff. („Autonomie“ – „Heteronomie“); s.a. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  166 f.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S.  19 f. (zur Neuerung Kants gegenüber Pufendorf). 359 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt Rn. 76 f. (AA IV, 436 f.). 360 Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, III. Abschnitt Rn. 1 ff. (AA IV, 446 f.) („also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei“).

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Kapitel 3

Dabei stellt Kant dem inneren, „ethischen“ Gesetz („Sittlichkeit“, „Moralität“) das auf äußere Handlungen zielende, durch die rechtliche äußere Gesetzgebung normierte „juridische“ Gesetz („Gesetzmäßigkeit“, „Legalität“) gegenüber.361 Beim ethischen Gesetz ist „die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung“, wohingegen beim juridischen Gesetz „auch eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht“ – nämlich äußerer Zwang – in Betracht kommt.362 Während die rechtliche äußere Gesetzgebung die – innerliche – Idee der Pflicht als Triebfeder, d.h. als Bestimmungsgrund der Willkür des Handelnden nicht verlangen und daher nur äußere Pflichten vorsehen kann, macht die ethische innere Gesetzgebung nicht nur äußerliche, sondern auch innerliche Handlungen zu Pflichten.363 Alle Pflichten gehören, weil sie Pflicht sind, notwendig zur Ethik („das Gebot, dieses bloß darum zu tun, weil es Pflicht ist, ohne auf eine andere Triebfeder Rücksicht zu nehmen, ist bloß zur inneren Gesetzgebung gehörig“; „Handlungen bloß darum, weil es Pflichten sind, ausüben und den Grundsatz der Pflicht selbst, woher sie auch komme, zur hinreichenden Triebfeder der Willkür zu machen, ist das Eigentümliche der ethischen Gesetzgebung“), wobei aber die Gesetzgebung nicht notwendig ethisch, sondern auch juridisch sein kann.364 Die Naturrechtstradition findet so in gewisser Hinsicht ihr Ende auch in der praktischen Philosophie, was die bereits dargestellten Positionen hinsichtlich der Stellung des Natur- und Vernunftrechts im Rechtsdiskurs beeinflusste365 – wobei aber auf das Verhältnis von Kant zur scholastischen Tradition an anderer Stelle nachzugehen sein wird.366

361 S.  etwa  Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, II. Abschnitt Rn.  67, 71 (AA IV,  434 f.) (zur Moralität, Sittlichkeit); ders., Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, I. (AA VI, 214); III. (AA VI, 219); dazu auch Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 13. Kap. Rn. 25 f.; Auer, AcP 208 (2008), 584, 613 ff., wonach entscheidendes Abgrenzungskritierium zwischen Recht und Moral die „äußere Erzwingbarkeit“ des Rechts ist; vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § D. (AA VI, 231). 362 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, III. (AA VI, 219 f.). 363 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, III. (AA VI, 219 f.). 364 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, III. (AA VI, 219). 365 S. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 351 ff. 366 S. dazu Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 148 ff. sowie unten noch S. 544 ff.

Kapitel 4

Die Transformation des Rechts Nachdem allgemein die Grundlagen und Voraussetzungen des Naturrechts erläutert wurden, wendet sich der folgende Teil der Frage zu, inwieweit die konkrete Rechtsordnung hierdurch beeinflusst worden ist. Im Folgenden sollen die erläuterten Entwicklungen und ihre Auswirkungen in den einzelnen Rechtsgebieten nachvollzogen werden. Jeweils ausgehend vom römischen Recht werden die Veränderungen, die sich bis in die Frühe Neuzeit Bahn gebrochen haben, dargestellt, um anschließend einen Überblick über die weitere Rechtsentwicklung zu bieten. Dabei wird gezeigt, was eigentlich der Inhalt des Naturrechts ist – d.h. welche konkreten Regelungen und Verpflichtungen hieraus folgen. Bei allen Diskussionen wird deutlich, dass drei Grundkonzepten wesentliche Bedeutung für die naturrechtliche Entwicklung zukommt: Wesentlich sind die spezifische Anthropologie, d.h. die Willensfreiheit des Menschen sowie die Lehre von der Person; die Dualität der Foren; sowie die aristotelisch-thomistische Gerechtigkeitslehre. Damit führen verschiedene philosophisch-theologische Traditionslinien letztlich zu einer Transformation: zunächst die thomistische Rechts- und Gerechtigkeitslehre einschließlich der spezifischen Anthropologie; die franziskanischen Einflüsse durch Duns Scotus und Wilhelm von Ockham; sodann die molinistische Willensmetaphysik; schließlich die suarezianische Freiheitsmetapyhsik und Lehre vom moralischen Sein. 4.1

Subjektive Rechte und Eigentum

Zu Beginn soll eine grundlegende Frage betrachtet werden, und zwar jene nach der Entwicklung „subjektiver Rechte“.1 Der Begriff subjektiver Rechte als solcher stammt zwar aus dem 18./19. Jahrhundert und erscheint ursprünglich 1 Der Aufbau dieses Kapitels folgt im Wesentlichen dem Aufbau von Lessius’ De Iustitia et Iure-Traktat, der seinerseits wiederum Molinas Aufbau ähnelt. Zu Beginn steht bei Lessius die Sectio Prima über Gerechtigkeit, Recht und die Arten des Rechts (De Iustitia, Iure, & Speciebus Iuris; Cap.  1–6). Auf Gerechtigkeit und Recht wurde bereits zuvor eingegangen (s. oben S. 128 ff.); daher geht es nun um die einzelnen Rechte, d.h. vor allem um das dominium (Cap. 3) sowie um die Frage, wer Inhaber und was Gegenstand dieser Rechte ist (Cap. 4: De subiecto & obiecto dominii). Hier nicht näher thematisiert wird der Erwerb von Rechten, s. dazu Cap. 5 und 6.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657795413_005

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Kapitel 4

wohl beim Naturrechtslehrer Achenwall, der die facultas moralis als ius subjective sumtum bezeichnet.2 Es ist aber inzwischen anerkannt, dass das Konzept und die Idee subjektiver Rechte3 wesentlich durch die Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit geprägt wurden.4 Wie sich zeigen wird, spielen hierbei die Anthropologie und die Willensfreiheit eine entscheidende Rolle. Die Diskussion um Naturrechte und subjektive Rechte der Spätscholastiker schließt dabei an verschiedene mittelalterliche Traditionslinien der Philosophie und Theologie – Thomas, Bonaventura, Duns Scotus, Ockham, Gerson und Summenhart5 – sowie der Kanonistik (Huguccio, Rufinus) und Legistik (Bartolus) an.6 Prägend werden vor allem zwei zeitgeschichtliche Auseinandersetzungen: zum einen der franziskanische Armutsstreit des 14. Jahrhunderts, in dem es um die Frage geht, ob die selbst gewählte Armut der Franziskaner dazu führt, dass diese keine (Eigentums-)Rechte haben; es geht konkret um die 2 Hartung, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 239, 240; s.a. Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 292 (zum „ius subiective sumtum“ bei Achenwall, Ius Naturae, § 23 [„facultas moralis et uno verbo ius (morale) late et subiective sive pro affectione personae sumtum“]), 293 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 32 (18. Jhd.); Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 9, 12 ff., 34 ff. 3 Zu den Menschenrechten s. etwa Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 355, 386, 396; Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 15 ff., 57 ff.; Haratsch, Die Geschichte der Menschenrechte, S.  31 ff.; s.a. Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S.  34 ff.; Hafner/Loretan/Spenlé, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 123 ff., 145. 4 S. etwa Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 1 ss. et passim; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 353 ff., 385 ff., 396; Brett, Liberty, Right and Nature, p. 1 ss. et passim; Deckers, Gerechtigkeit und Recht, S. 144 ff., 153 ff.; Haar/Simmermacher, Jahrbuch für Recht und Ethik  22 (2014), 445 ff.; Hartung, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 239, 244 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 36 ff., 39 ff.; Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S.  291 ff.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  32 ff.; Menke, Kritik der Rechte, S.  19 ff., 49 ff.; Schermaier, in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S.  23, 35 ff.; Seelmann, in: Mate/Niewöhner (Hrsg.), Spaniens Beitrag zum politischen Denken, S.  141 ff.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  17 ff., 30 ff.; Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  125 ff.; Villey, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 53, 60 ss.; Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 135, 150 ff.; vgl. Nörr, in: Medicus (u.a.) (Hrsg.), FS Lange, S. 193 ff.; zur Diskussion um den Ursprung subjektiver Rechte im Überblick auch Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 313 Fn. 294 m.w.N. 5 Vgl. Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 152 ss.; Schermaier, in: Brinkmann/ Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 50 f.; zu Summenhart und den Rechtsdiskussionen der mittelalterlichen Theologie s. jüngst Varkemaa, Conrad Summen­ hart’s theory of individual rights, p. 13 ss., 63 ss. 6 S. dazu sogleich S. 278 ff.

Die Transformation des Rechts

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Fragen, was „Rechte“ sind, in welchem Verhältnis Eigentum und Recht stehen und wie weit ein freiwilliger Rechtsverzicht reichen kann.7 Zum anderen gewinnt die Diskussion um subjektive Rechte und Eigentum im Spanien des 16. Jahrhunderts eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund der Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt. In Zusammenhang mit der gewaltsamen Eroberung und Ausbeutung Amerikas durch die Spanier stellt sich ganz konkret die Frage nach der Rechtfertigung hierfür und den Rechten der amerikanischen indigenen Bevölkerung; d.h. allgemein die Frage, wer Rechte hat und wie diese Rechte begründet werden.8 Neben diesen zeitgeschichtlichen Entwicklungen spielt schließlich auch Suárez’ Lehre vom moralischen Sein eine wesentliche Rolle für die Entwicklung des Rechtsbegriffs.9 Suárez’ Bestimmung des subjektiven Rechts als „moralische Befugnis“ ( facultas moralis; Gegenbegriff zur Pflicht [obligatio] als „moralischer Notwendigkeit“ [necessitas moralis]) wird etwa in der neuzeitlichen Naturrechtslehre (Grotius, Pufendorf, Wolff, Achenwall etc.) weithin rezipiert.10 Aber was bedeutet „moralische Befugnis“ überhaupt? Anschließend an Suárez greift im 17. Jhd. so eine eingehende Diskussion um den subjektiven Rechtsbegriff Platz11, die die moderne Debatte in mehrfacher Hinsicht vorgnimmt12: Ist dieses eine moralische Vorrangbeziehung einer Person zu 7 8

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S. dazu sogleich S. 285 ff. Dazu Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 255 ss.; Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 125, 127 ff.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  174 ff., 178 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd.  1, S.  911 ff. Dies ist die Ausgangslage, der sich insbesondere Francisco de Vitoria sowie auch Bartolomé de las Casas (1474–1566) gegenübergestellt finden (zu Las Casas Tosi, in: Kaufmann/ Schnepf [Hrsg.], Politische Metaphysik, S.  125, 143 ff.; Delgado, in: Kaufmann/Schnepf [Hrsg.], Politische Metaphysik, S.  177 ff.). Durch die geäußerte Kritik stehen sie in Konflikt mit der spanischen Krone, den Conquiscadores sowie auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung etwa mit dem Dominikaner Juan de Sepúlveda (1490–1573) (zu Sepulveda und zur „Diskussion von Valladolid“ bspw. Sosoe, in: Kaufmann/Schnepf [Hrsg.], Politische Metaphysik, S. 385 ff.; Schäfer, in: Kaufmann/Schnepf [Hrsg.], Politische Metaphysik, S. 85, 95 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 8. Kap. Rn. 32; Castilla Urbano, in: Tellkamp [ed.], A Companion, p. 222 ss.). S. dazu oben S. 173 ff. sowie unten S. 308 ff. S. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 1 N. 4 f. ( facultas moralis im Sinne der qualitas moralis perfecta als „ius proprie aut stricte dictum“); Wolff, Institutiones Juris Naturae et Gentium,  §  46 („Facultas ista, seu potentia moralis agendi dicitur Jus“); Achenwall, Ius Naturae, § 23 („Facultas hominis physica, quatenus nulli legi morali adversatur, est facultas moralis“); s. ferner Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, Lib. I Cap. I § 20; dazu auch Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 33. S. dazu unten S. 308 ff. S. dazu näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 185 ff.

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Kapitel 4

einem Gegenstand13, eine auf den Willen anderer gerichtete Verpflichtungsund Willensmacht14, eine rechtliche Zwangsbefugnis15 oder ein rechtlicher Freiheitsraum16? 4.1.1 Ius und subjektives Recht 4.1.1.1 Die Entwicklungen in der Rechtswissenschaft des Mittelalters Blickt man auf die rechtlichen Entwicklungen, so findet sich im römischen Recht ein objektiver ius-Begriff, der mit dem Begriff des Gesetzes verbunden ist.17 Ius wird als Natur- (ius naturale) oder bürgerliches Recht (ius civile) verstanden, ferner mit der Gerichtsstätte (in ius vocare) identifiziert oder 13

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So Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 („ius quod respicitur a iustitia commutativa, & ponitur in eius definitione, esse praelationem quandam moralem, qua hic homo praefertur moraliter aliis in usu talis rei propter peculiarem connexionem, quam res habet cum illo“). Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. II N. 13 ff. („potestatem obligandi alterum ad aliquam actionem, vel omissionem, per voluntatem ipsius habentis ius“, N. 16; „voluntas obligatoria“, N. 16). Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec.  1 N.  10 („est enim debitum legale, ad quod solvendum lege cogi potest debitor; qui ad debitum morale in sola honestate virtutis fundatum, solvendum, lege cogi non potest“); N.  19 („ius alteri debitum, aut debito perfecto & legali; ad quod solvendum debitor lege cogi potest; aut debito imperfecto & morali fundato in honestate & decentia virtutis, ad quod solvendum debitor lege cogi nequit“); Sec. 5 N. 72; N. 89 („debitum quod exigit perfecta iustitia, est debitum exactum, & rigorosum fundatum in activo iure exigendi creditoris, & non in sola honestate virtutis, & passiva exigentia creditoris. […] duplex distinguit debitum, legale & morale: illud, quod & perfectum est, & fundatur in activo iure exigendi creditoris, constituit objectum perfectae iustitiae, hoc, quia imperfectum est, & fundatur in sola honestate virtutis, & passiva duntaxat exigentia creditoris; constituit objectum iustitiae imperfectae“); N. 92 („Concludo, ius simpliciter esse, quod formaliter dicit perfectam iurium alteritatem, exactam aequalitatem secundum rem debitam debito legali, fundato in iure activo exigendi, & non in sola honestate virtutis, & passiva dumtaxat exigentia creditoris“). Umfassend die Diskussion bei Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap.  4 N.  85 („ius potestativum est potestas libera agendi intra terminos suae libertati, & prudentiae monasticae designatos, & impediendi aliis illorum terminorum invasionem“; „ius obiectivum est ipsa libertas unius cuiusque non impedita per alienam libertatem ab usu actionum suarum, sive permisso intra terminos iuridice designatos“); ferner Disp. II Cap.  2 N.  21; Cap.  3 N.  40 („iustitia particularis praefert bonum libertatis alienae, seu aequalitatem, quae est bonum commune inaequalitati faventi propriae libertati operantis; & respondenti huic legi, quod tibi non vis fieri in materia libertatis alteri ne feceris“). Dazu Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 10; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 25 II; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 3 Rn.  1; vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 353 f.

Die Transformation des Rechts

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in Zusammenhang mit dem Eigentum verwendet (ius in re).18 Auch wenn sich wohl ein subjektives Verständnis des ius-Begriffs im römischen Recht der Sache nach in verschiedenen Zusammenhängen finden lässt, wird dies weder theoretisch bzw. begrifflich systematisch durchgebildet noch kommt diesem zentrale Bedeutung zu.19 Die Idee der subjektiven Rechtsmacht ist entsprechend dem prozessual geprägten, „aktionenrechtlichen Denken“ des römischen Rechts eher mit der actio verbunden, d.h. der Klageart, aufgrund derer geklagt werden kann.20 Das prätorische Edikt enthält dabei eine Vielzahl verschiedener Klagearten, die jeweils bestimmte Voraussetzungen enthalten und aufgrund derer das Verfahren beim Richter (apud iudicem) eingeleitet werden kann.21 Wie die rechshistorische Forschung herausgearbeitet hat, wird der Begriff des ius nun im 12. und 13. Jahrhundert bei verschiedenen Kanonisten (Huguccio; Monachus; Hostiensis; Olivi), Legisten und Theologen im Sinne einer subjektiven Rechtsmacht verwendet22 und insoweit auch mit dem Natur-

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Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 10 f.; s. etwa Paulus Dig. 1,1,11 („Ius pluribus modis dicitur: uno modo, cum id quod semper aequum ac bonum est ius dicitur, ut est ius naturale. altero modo, quod omnibus aut pluribus in quaque civitate utile est, ut est ius civile. nec minus ius recte appellatur in civitate nostra ius honorarium. […] alia significatione ius dicitur locus in quo ius redditur, appellatione collata ab eo quod fit in eo ubi fit“). Zu dieser Diskussion, die vor allem auf Villey zurückgeht, der die Entstehung des subjektiven Rechts maßgeblich mit Wilhelm v. Ockham verbunden hat, Villey, Le droit et le droit de l’homme, p. 69 ss. (grundsätzlich gegen die Annahme eines subjektiven Rechts im römischen Recht); ders., Archives de philosophie du droit N. 9, p. 97 ss.; gegen Villey wiederum Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S.  7, 10; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht,  § 25 II; Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 3 Rn. 1; s.a. im Überblick Nörr, in: Medicus (u.a.) (Hrsg.), FS Lange, S.  193, 195 f.; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts,  S.  313 Fn.  294; Schermaier, in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 35 ff.; ders., ZRG RA 134 (2017), 49, 73 f.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 13 ss.; Tuck, Natural Rights Theories, p. 7 ss.; s.a. jüngst Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  12 ff., 17 („Somit kann also festgehalten werden, dass subjektives Recht im Römischen Recht keine Rolle spielt und in allgemeinen systematischen Schriften zum Recht nicht auftaucht. Im Römischen Recht kann also nicht der historische Ursprung für das subjektive Recht liegen“). Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S.  7, 11; zum prozessualen, d.h. auf den Prozess und die Klagen abstellenden Zugang der Römer zum Recht Bürge, Römisches Privatrecht, S. 1 ff. S. dazu näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 40 ff. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 54 ss.; vgl. Tuck, Natural Rights Theories, p. 13 ss.; s.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 17 ff.

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Kapitel 4

recht (ius naturale) verbunden.23 Hier zeigt sich ein Zusammenhang von Recht (ius) und (Rechts-)Macht (potestas), ferner wird auf den Begriff der Befugnis ( facultas) zur Umschreibung von Recht rekurriert.24 Eine Zusammenführung von ius und actio wird von den Glossatoren des Mittelalters vorgenommen, bei denen eine Ordnung der Rechte entwickelt wird und aus diesen Rechten auch Klagen folgen.25 Das ius wird so zum Grund (causa) der Klage (actio).26 Aus dem ius folgt damit eine gerichtlich durchsetzbare Rechtsmacht.27 Die humanistischen Juristen des 16. Jahrhunderts des mos gallicus knüpfen hieran an, wobei der Zusammenhang von ius, facultas und potestas aufgegriffen und somit Recht auch im Sinne einer subjektiven Rechtsmacht verstanden wird.28 4.1.1.2

Die philosophisch-theologischen Entwicklungen und der Rechtsbegriff in der Spätscholastik Es wurde bereits auf die Entwicklung des Rechtsbegriffs von Thomas zur Spätscholastik eingegangen, worin sich unter anderem der Einfluss von Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft des Mittelalters gezeigt hat.29 Während bei Thomas der Begriff des Rechts ähnlich Aristoteles (dikaion) und

23 24 25 26 27 28

29

Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 65; vgl. auch Nörr, in: Medicus (u.a.) (Hrsg.), FS Lange, S. 193 ff. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 57, 66. Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 13 f. Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 13; s.a. Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. 61 („repetitio iudicialis sine ius agendi esse non potest“). Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 15. Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 15; zu Donellus etwa Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 324 ff.; s. Hugo Donellus, Commentarius ad Titulum Institutionum De Actionibus, N.  1 ff., 5; s. aber etwa zum humanistischen Juristen Connanus, bei dessen allgemeiner ius-Definition sich keine Erörterungen zum subjektiven Begriffsverständnis finden, Bergfeld, Franciscus Connanus, S.  49 ff., 74 ff. Der Begriff des ius als facultas moralis, wie er dann auch bei Grotius begegnet, ist insofern der moraltheologischen Diskussion entnommen, vgl. auch Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S. 33 Fn. 30 u. 31; Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spannung, S.  100. S.a. Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXII, der darauf hinweist, dass zwar die Begriffe auch in Legistik und Kanonistik aufgegriffen werden, dort aber in einem anderen Kontext, nämlich „im praktischen Kontext prozessualer Regeln, vor allem im Zusammenhang mit dem Begriff der „actio“ stehen“. S. dazu oben S. 129 ff.

Die Transformation des Rechts

281

dem römischen Verständnis objektiv gefasst ist30, bildet sich bei den Spätscholastikern in Anknüpfung an die mittelalterlichen Entwicklungen daneben ein Rechtsverständnis, welches ein subjektives Verständnis im Sinne eines „subjektiven“ Rechts impliziert.31 Bereits Marsilius von Padua32 und Conrad Summenhart33 hatten explizit zwischen Recht im Sinne von Gesetz, das eine Verpflichtung begründet, und Recht im Sinne einer rechtlichen Befugnis, die einem Rechtssubjekt zugeordnet ist, unterschieden.34 Recht in dieser subjektiven Dimension wird sodann in der Spätscholastik als Rechtsmacht verstanden, die einer Person zugewiesen ist.35 Suárez definiert Recht so als 30 31

32 33

34

35

Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 353; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 22 ss. 259; Brett, Liberty, right and nature, p. 3. Dazu oben bereits S. 131 ff. sowie Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 354 f., 385 f.; Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 33 f.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung,  S. XXXVI f.; Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 152 ss., 156 ss.; Vitoria, CommSTh II–II, q. 62,1 N. 5 ff. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. II Cap. 12 §§ 3 ff., 10 ff. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 1: „Ius est potestas vel facultas propinqua conveniens alicui secundum dictamen primae iustitiae. Et iterum. Ius est potestas vel facultas propinqua conveniens alicui secundum dictamen rectae rationis. […] ius capitur dupliciter. Uno modo prout idem est, quod lex […]. Alio modo accipitur ius ut idem est quod potestas […]“. Summenhart erläutert dabei im Hinblick auf den subjektiven Rechtsbegriff, in welchem Verhältnis die Begriffe facultas, potestas und potentia zueinander stehen (p.  2): Facultas und potestas seien insofern spezieller als potentia, als sie nur die potentiam active se habentem meinen, d.h. das aktive Vermögen etwas im Hinblick auf etwas zu tun. Ferner sei facultas spezieller als potestas, weil facultas das Merkmal rechtmäßigen Handelns (licite) einschließe. Facultas bedeute nämlich, die Macht (potestas) zu haben, etwas im Hinblick auf eine Sache rechtmäßig zu tun („Nam hominem habere facultatem in aliqua re, est eum habere potestatem agendi aliquid in illam rem, vel in illa re; agendi (inquam) non qualitercunque, scilicet licite, vel illicite, sed tantum licite“). Das Merkmal der Rechtmäßigkeit, das die facultas auszeichnet, wird nach Summenhart auch durch den Zusatz secundum dictamen rectae rationis reflektiert, welcher nämlich auf die primäre Gerechtigkeit und damit auf das Gesetz („quia omnis lex rationabiliter instituta est dictamen rectae rationis“; p. 4) verweise; d.h. das Gesetz bestimmt, dass jemandem eine solche Befugnis zukommt. Schließlich taucht in der Definition der Begriff subiectum auf (p.  2). Der Passus conveniens alicui, d.h. wem das Recht zukommt, bezeichnet danach das Subjekt (subiectum). Dazu Varkemaa, Theory of Individual Rights, p. 65 ss.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 242 s., ferner p. 108 ss. (mit Verweis auf Marsilius von Padua, der wohl erstmals diese Unterscheidung von objektivem Recht im Sinne von Gesetz und subjektivem Recht im Sinne von Befugnis durchgeführt hat); Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 21 ff., 28 ff. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  354 f., 385 f. So versteht Vitoria ius als das nach dem Gesetz Erlaubte; ius wird so zu einer persönlich zugewiesenen Berechtigung und einem „Freiheitsrecht“, s. Vitoria, CommSTh II–II, q. 62,1 N.  5; s.a. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 259; Bunge, in: dies. (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um

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Kapitel 4

„moralische Befugnis ( facultas moralis), die jeder bezüglich seiner Sache oder bezüglich einer ihm geschuldeten Sache hat“.36 Recht ist eine dem Einzelnen zustehende Handlungsmöglichkeit, etwas zu tun oder nicht zu tun.37 Rechte stehen dem Einzelnen aufgrund seiner (Willens-)Freiheit38 zu – hierauf wird gleich noch näher einzugehen sein.39 Gleichzeitig wird, etwa bei Lessius, der Zusammenhang mit den Verpflichtungen hergestellt und aufgezeigt, dass der rechtlichen Verpflichtung ein Recht eines anderen gegenübersteht und Recht damit auch das „Korrelat“ der Verpflichtung ist.40 Es wurde bereits gezeigt, dass die neuzeitlichen Naturrechtslehrer (Grotius41, Hobbes42, Pufendorf, Wolff43) auf diese Rechtsbegriffe zurückgreifen.44 Ferner ist auf Summenharts Begriffsbestimmung des Rechts hinzuweisen, der zur Umschreibung auf die philosophische Figur der relatio („Beziehung“) rekurriert.45 Wie gesehen, erhält das Recht hierdurch einen relationen Charakter, was etwa Einfluss auf Molina (Recht als Relation einer Person zu etwas; relatio personae)46, Lessius47 und Rebellus (Recht und Pflicht als

36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

46 47

das Recht, S. 127, 129 ff.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV f.; vgl. aber auch Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XCIII ff. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 2 N. 5; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 385 f. Zur Bedeutung des „Moralischen“ s. oben S. 173 ff. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 385 f. Zum Zusammenhang von facultas und libertas bei Suárez s.a. Schäfer, in: Kaufmann/ Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 85, 92 ff. S. unten noch S. 290 ff.; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 385 f. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7; Decock, Theologians and Contract Law, p. 84. Dazu Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 324 ss. Vgl. auch Menke, Kritik der Rechte, S. 19 ff., 49 ff. Zum Rechtsbegriff bei Wolff etwa Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, S. 7, 18. Dazu oben S. 235 ff. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 1 („ius secundo modo est relatio seu habitudo fundata in illo, qui dicitur habere ius, & terminata in rem, in quam, vel in qua habet ius tanquam ad terminum propinquum“); p. 2 („ius & dominium formaliter sunt relationes“); zum ius als relatio bei Summenhart s. Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 101 ss. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 2 a.E. („non esse aliud, quam habitudinem seu relationem personae, a qua habent, ad id ad quod est talis facultas“); dazu auch Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 64. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7 („debitum autem non potest esse sine iure in altero; nam est correlativum eius: Debitum enim, Iuri est debitum. […] unde in altero postulat Ius, in altero debitum“).

Die Transformation des Rechts

283

Korrelative; „facultas suapte natura relativa est“48) sowie später Lugo (Recht als moralischer Vorrang im Hinblick auf Sachen; praelatio moralis)49 hat. 4.1.2 dominium und ius 4.1.2.1 dominium in den Diskussionen des Mittelalters In engem Zusammenhang mit der Herausbildung dieses subjektiven Rechtsbegriffs steht aus verschiedenen Gründen das sog. dominium, das bei den Spätscholastikern als „Paradigma“50 des subjektiven Rechts verstanden wird.51 Neben dem ius-Begriff spielt der Begriff des dominium eine entscheidende Rolle für die Entwicklung und Herausbildung von subjektiven (Natur-)Rechten in der Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.52 Zeitgeschichtlicher Hintergrund dieser Entwicklung ist zumindest noch bei Vitoria die Frage nach dem „Eigentum“ (dominium) der indigenen Bevölkerung in Amerika vor dem Hintergrund der Eroberung durch die Spanier.53 Das dominium wird so insgesamt ein zentraler Begriff in den Diskussionen der Spätscholastiker, die hierbei an unterschiedliche Entwicklungen anknüpfen – an das römische Recht, die mittelalterliche Rechtswissenschaft (insbesondere den Legisten Bartolus; ferner die Kanonisten Rufinus und Huguccio), nominalistische, scholastische und voluntaristische Theologie 48

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Rebellus, De Obligationibus, Lib. I Pars. 1 Q. 1 Sec. 1 N. 8 (zur facultas moralis: „[…] adversus quemcumque alium obstantem: eiusmodi enim facultas suapte natura relativa est, & ad alterum obstantem, vel obstare potentem per se respectum habet“); Sec. 3 N. 23 („facultas relativa“), N. 28 („nec cogitari potest ius istud, quatenus tale est, sicut nec ipsa iustitia, nisi per ordinem ad alterum“). S. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 f.; ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42. So Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 31, 65 ff.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXXVII; vgl. auch Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. XIII N. 107 („Inter iura, praecipuum est dominium“). Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  353 ff.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXXVI ff.; grundsätzlich zum dominium bei den Spätscholastikern Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 122 ss.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff.; dazu, dass gerade die Zentralität des dominium ein Spezifikum der Spätscholastik sowie eine Verschiebung gegenüber Thomas ist, s. Scattola, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 128, 135. Dazu insbesondere Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  137 ss., 260 ss.; s.a. Deckers, Gerechtigkeit und Recht, S.  153 ff.; ferner Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXXVI ff.; Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149 ss.; Pagden, Spanish Imperialism, p. 16 s. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  355; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 5; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 255 ss., 265 ss.; Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 125, 129 f., 135 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 911 ff.

284

Kapitel 4

des Mittelalters (Ockham, Summenhart, Gerson, Duns Scotus, Bonaventura), schließlich auch an Thomas.54 Beim dominium handelt es sich ursprünglich um einen Begriff des römischen Rechts, der dort vor allem die Stellung des Eigentümers (dominus – „Herr“) konkretisiert.55 Dominium wird dabei synonym zum Begriff der proprietas verwendet, der ebenfalls das Eigentum bezeichnet.56 In der Diskussion des Mittelalters und der Frühen Neuzeit gewinnt die dominium-Definition des Bartolus eine besondere Bedeutung, wonach Eigentum „das Recht ist, über eine körperliche Sache wirksam zu verfügen, sofern es nicht vom Gesetz verboten ist“ (ius de re corporali perfecte disponendi, nisi lege prohibeatur).57 In dieser Hinsicht wird dominium weitgehend mit proprietas gleichgesetzt.58 Zu diesem Eigentumsbegriff, der sich auf körperliche Sachen bezieht, gehören die juristischen Begriffe des ius in re und des ius ad rem.59 Daneben wird diskutiert, ob sich das dominium auch auf unkörperliche Gegenstände wie den Nießbrauch (usufructus) beziehen könne.60 54 55

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S. hierzu umfassend m.w.N. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 1 ff.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 255 ss., 265; Tellkamp, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 125, 129 ss. (zu Summenhart). Dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 22 Rn. 7 ff.; s.a. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 16 s. mit Verweis auf Villey, wonach dominium aber eben nicht als Recht (ius) verstanden wurde; ferner auch Schermaier, in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S.  23, 32 ff., 35 ff.; ders., ZRG RA  134 (2017), 49, 85 ff., 102 ff. (umfassend zum dominium/Eigentum im römischen Recht im Verhältnis zu den mittelalterlichen Entwicklungen). Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 22 Rn.  7. In Zusammenhang mit dem dominium entwickeln sich bereits im römischen Recht verschiedene Ansätze zur begrifflichen Herausbildung des ius als subjektives Recht (ius in re; dazu Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S. 829 f.: Insoweit allerdings als untechnischer Begriff im römischen Recht [Dig.  9.4.30; Dig.  39.2.19 pr.: „ius in ea re“], erst bei den Glossatoren Fortentwicklung zu einem technischen Rechtsbegriff), an die die Glossatoren und Kanonisten des Mittelalters anknüpfen werden (zur Entstehung des „ius ad rem“ in der Kanonistik Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S. 829 ff.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 58). Bartolus, Comm. In Dig.  41,2,17 N.  4 ff. („ius de re corporali perfecte disponendi, nisi lege prohibeatur“); dazu Seelmann, Die Lehre vom dominium, S.  37; Schermaier, in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 53; ders., ZRG RA 134 (2017), 49, 64 f.; Kämper, Forderungsbegriff und Zession, S. 18 ff.; zur Rezeption bei Molina (De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 1) Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 208; bei Lessius Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLVI Fn. 103. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 52 f. Dazu ausführlich Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 2; hierzu auch Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 76 ff. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S.  38 ff.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 3; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 2 N. 8, 10.

Die Transformation des Rechts

285

Weiter wird zwischen dominium iurisdictionis und dominium proprietatis unterschieden.61 Während dominium iurisdictionis das Regierungsrecht im Sinne der politischen Gewalt meint62, bezeichnet dominium proprietatis das Eigentum im privatrechtlichen Sinne und bezieht sich folglich auf den engen dominium-Begriff.63 Diese Begriffsbedeutungen werden auch von den Spätscholastikern aufgegriffen. Daneben zeigt sich aber bei den Spätscholastikern ein weiteres Verständnis von dominium, das dominium als Herrschaftsrecht nicht nur über die äußeren Sachen (dominium externarum rerum), sondern auch über die eigenen Handlungen (dominium actionum suorum) auffasst und darauf aufbauend auch andere Rechtsgüter wie den Ruf, die Ehre sowie die eigene Freiheit (dominium famae, dominium honoris, dominium libertatis)64 umfasst – dominium wird so auch mit Freiheit (libertas) identifiziert.65 Dieser dominium-Begriff knüpft nun an verschiedene theologisch-philosophische Diskussionen des Mittelalters an.66 4.1.2.2 Der franziskanische Armutsstreit Die philosophisch-theologische Debatte um Rechte und der Zusammenhang von ius und dominium spielt zunächst bei den Franziskanern des 13. und 14. Jahrhunderts eine besondere Rolle (Bonaventura, Ockham).67 Die Franzis­ kaner stehen als Bettelorden, der die Christusnachfolge in selbst gewählter Armut und im Eigentumsverzicht sieht und der ebenso wie seine Mitglieder 61

62 63 64 65 66 67

Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 2; dazu auch Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLI; zu Soto etwa Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik,  S.  125, 132; zu Molina Tellkamp, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 125, 148 ss.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 72 f. Dazu auch Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 47 f. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 2; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  3 N.  7 ff., 13; Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 209. S. etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1, 4; Dub. 11 N. 59; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 33 N. 14; Tract. III Disp. 1 N. 4; dazu auch Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLI f. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 76 ff.; s.a. Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 59 f.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 29 ff. Vgl. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 76 ff.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49 ff., 57 ff.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 31 ff. Hierzu und zum Folgenden Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  93 ss.; Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 13 ss.; Tuck, Natural Rights Theories, p. 20 ss.; Schermaier, in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 43 ff.; ders., ZRG RA 134 (2017), 49, 65 ff.; ferner zu Ockham und zum Armutsstreit Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 833 ff.

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daher grundsätzlich über kein Eigentum verfügen darf68, in besonderer Beziehung zum Eigentum.69 Die Franziskaner sehen sich durch diese Position in gewisser Weise als außerhalb des Rechtssystems und der Eigentumsordnung stehend an.70 Besonders virulent wird dieses Thema schließlich im sog. „Armutsstreit“ des 14. Jahrhunderts, in dem zahlreiche Franziskaner, unter ihnen auch Ockham, in Konflikt mit dem Avignoneser Papst Johannes XXII. geraten.71 In Folge des Konflikts suchen einige Franziskaner, darunter Ockham, Zuflucht beim Kaiser Ludwig dem Bayern in München.72 Hintergrund war, dass mehrere Päpste im 13. Jahrhundert anerkannt hatten, dass die Franziskaner als Bettelorden auf Eigentum verzichten und daher kein Eigentum (proprietas; dominium) oder andere Rechte an Sachen (usufructus; ius utendi), wohl aber einen einfachen faktischen Gebrauch (usus simplex facti) an Sachen haben, der vom Eigentum zu trennen ist und nicht als Recht eingeordnet wird.73 Im Anschluss an verschiedene Juristen, die die franziskanische Position der Eigentumslosigkeit kritisiert hatten74, greift schließlich Papst Johannes XXII. in die Auseinandersetzung ein, indem er Theologen und Kanonisten im Jahr 1321 zu einer öffentlichen Diskussion über die Frage aufruft, „ob es häretisch ist zu behaupten, dass Christus und die Apostel nichts einzeln oder gemeinschaftlich besaßen“.75 68 69 70 71 72 73

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Vgl. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 99 (dominium in communi); Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 264 f.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 66 f. Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 13 s.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 834 f. Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 16 s. Dazu Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 94 ss.; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 262 ff.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 65 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 833 ff. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 248 ff., 262 ff.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 95 s. Das Eigentum an den Sachen, die die Franziskaner verbrauchen, solle der römischen Kirche zustehen, der Orden und seine Mitglieder hingegen nur diesen einfachen faktischen Gebrauch haben; s. Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  94 s.; Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p.  17 s.; Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 99 f.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 67; s.a. zum Armutsstreit die Bulle Ad conditorem canonum (1322, Extravagantes Iohannis XXII, in: Tarrant [ed.], p. 228 ss.); Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. II. Dazu Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 18 ss. S. dazu sowie zum Zitat Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  95; Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 26 ss.; Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 100 f.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 67 f.; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S.  262 ff. (auch zur Vorgeschichte dieser Kontroverse sowie zur Gewichtigkeit dieser Auseinandersetzung, in der es vor allem auch um die Identität und das Selbstverständnis des Franziskanerordens als Bettelorden ging); s. im Einzelnen auch die Bullen Quia

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Die päpstliche Seite argumentiert, dass die Franziskaner an den Sachen, die sie verbrauchen oder veräußern, auch notwendig (Gebrauchs-)Rechte (ius utendi) haben und dass es insoweit keinen usus simplex facti als rein faktischen Gebrauch gebe, da ohne rechtliche Befugnis (potentia) der faktische Gebrauch nicht rechtmäßig sein könne; der Gebrauch könne nicht schlechthin vom Eigentum selbst getrennt werden, sodass die Franziskaner Eigentum (dominium) an diesen Sachen haben.76 Auch wenn es einen faktischen Gebrauch und damit eine faktische Macht über Sachen gibt, führt dies nach Auffassung der päpstlichen Seite nicht dazu, dass der faktische Gebrauch auch rechtmäßig (licite) sei, vielmehr bedürfe es für die Rechtmäßigkeit einer rechtlichen Befugnis, d.h. eines Rechts.77 Gegen die franziskanische Position wird weiter eingewandt, dass, etwa nach Thomas78, jeder durch das natürliche Gesetz zur Erhaltung seines Lebens verpflichtet sei, und dass daher jedem durch das Naturrecht auch Rechte an den äußeren Sachen zustehen, auf die er nicht verzichten kann – aus der Selbsterhaltungspflicht folgen also Naturrechte an den äußeren Gütern.79 Die Franziskanerminoriten vertreten hingegen die Position, dass es legitim sei, über kein Eigentum zu verfügen und auf dieses zu verzichten, und dass der einfache Gebrauch (usus simplex) kein Recht sei.80 Der Armutsstreit bildet den Anlass zu grundsätzlichen Erörterungen über das Verhältnis von dominium, ius und proprietas sowie über die Begründung des Privateigentums, insbesondere also über die Frage, was ein Recht ist, wie

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nonnumquam (1322; Extravagantes Iohannis XXII, in: Tarrant [ed.], p.  217 ff.) sowie Ad conditorem canonum (1322, Extravagantes Iohannis XXII, in: Tarrant [ed.], p. 228 ss.). Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 27 ss., 30 s.; Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 101; Schermaier, in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 51 f.; ders., ZRG RA 134 (2017), 49, 68 f.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd.  1, S.  836 f.; s.a. die Bulle Ad conditorem canonum (1322, Extravagantes Iohannis XXII, in: Tarrant [ed.], p. 228, 234 ss.); ferner später Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 6 N. 3; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 8 N. 31. Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p.  29; s.a. Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 68 f.; ferner die Bulle Ad conditorem canonum (1322, Extravagantes Iohannis XXII, in: Tarrant [ed.], p. 245). Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp. S.  Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p.  18 s. (Gottfried von Fontaines). Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 15 ss., 26 ss.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 8 N. 31, wonach nach dieser Auffassung das Eigentum an den Sachen, die die Franziskaner gebrauchen, entsprechend päpstlicher Verfügung beim Apostolischen Stuhl liegen soll.

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Rechte begründet werden und ob man auf Rechte verzichten kann.81 In dieser Auseinandersetzung wird nun herausgearbeitet, dass „Recht“ auch eine „rechtliche Befugnis“ ist und insoweit eine „aktive Rechtsmacht“ meint.82 Im Hinblick auf Sachen wird ius dabei teilweise äquivalent zu den Begriffen des dominium und der proprietas verstanden, indem diese als die Befugnis, Sachen rechtmäßig zu gebrauchen oder über diese rechtmäßig zu verfügen umschrieben werden.83 Vor diesem Hintergrund differenziert Ockham hier nun zwischen Rechten, die aus positivem Recht (ius positivum) folgen und vor Gericht durchgesetzt werden können – wie das Eigentum (dominium)84 –, und solchen aus dem Naturrecht (ius naturale).85 Von Natur aus kommt jedem ein Gebrauchsrecht an Sachen (ius utendi naturale) zu, das Ockham vom Eigentum trennt86; dieses natürliche Gebrauchsrecht besteht aber „nicht zu jeder Zeit“, sondern nur „in Notzeiten“ (necessitas extrema) hinsichtlich solcher Sachen, ohne die

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Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 104 ss., 132 ss.; Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 20 ss. 82 Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 105 ss., 118 ss.; vgl. Tuck, Natural Rights Theories, p. 22 s. 83 S.  Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p.  18, 28 (Hervaeus Natalis) m.Nw. 84 S.  Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. II, p.  28 („dominium est potestas humana principalis vendicandi et defendendi in humano iudicio rem aliquam temporalem. […] haec particula in humano iudicio separat hoc dominium a dominio quod competit homini ex iure naturali vel ex iure divino primario“); dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  313; Schermaier, in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S.  23, 44 f.; ders., ZRG RA  134 (2017), 49, 72 ff. (eingehend zu Ockhams Defition des Eigentums und ihrer Bedeutung für die weiteren Entwicklungen). 85 Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. LXI, p. 139 („ius utendi est duplex: quoddam enim ius utendi naturale. aliud est ius utendi positivum“); p. 140 („qui habet ius utendi positivum re determinata habet ius agendi, et primo sic: qui potest repetere suum, habet ius agendi; quod repititio iudicialis sine iure agendi non esse potest: qui habet ius utendi aliquo, si ablatum fuerit, potest illud repetere“); Cap. VI, p.  51 („nomine iuris communissime sumpto“ – „ius utendi ibidem stricte accipiat. Accipit ergo ius utendi pro iure quo habens ius potest in iudicio pro usu rei litigare“); p. 55 („etiam communiter accepto iure utendi quod actionem dat civilem“). Damit nimmt Ockham hinsichtlich des Rechtsbegriffs eine Differenzierung (positives Recht, gerichtlich durchsetzbar – Naturrecht, nicht gerichtlich durchsetzbar) vor, die der Sache nach der Differenzierung zwischen den Foren ( forum externum – forum internum) entspricht, aber unmittelbar beim Rechtsbegriff ansetzt. Hierin zeigt sich freilich eine Ähnlichkeit zu Thomasius’ Ansatz. 86 Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. LXI, p.  139 („ius utendi naturale commune est omnibus hominibus: quod ex natura non ex aliqua constitutione superveniente habent“).

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die Menschen ihr Leben nicht erhalten können.87 Das Gebrauchsrecht des positiven Rechts (ius utendi positivum) ist demgegenüber „eine Rechtsmacht (potestas licita), eine Handlung im Hinblick auf eine äußere Sache vorzunehmen“; diese Rechtsmacht gewährt dem Rechtsinhaber ein Klagerecht (ius agendi).88 Ebenso wie beim Gebrauchsrecht gilt auch bei jedem Recht, dass dieses niemandem „ohne Verschulden und einen vernünftigen Grund“ weggenommen werden darf (nullus aut sine culpa et absque causa rationabili debet suo iure privari invitus); bei Verletzung dieses positiven Rechts (iniuria) hat der Rechtsinhaber die Befugnis, sein Recht vor Gericht geltend zu machen (ius suum positivum in iudicio prosequi).89 Von diesem positiven Gebrauchsrecht grenzt Ockham die vom Rechtsinhaber widerruflich erteilte Erlaubnis (licentia) ab, die kein Klagerecht und damit kein Recht ist.90 Ockham geht nun davon aus, dass sich der franziskanische Eigentumsverzicht nur auf das positive Recht, nämlich das durch das positive Recht eingeführte Gebrauchsrecht bzw. das Eigentum bezieht, dass umgekehrt aber niemand auf alle Gebrauchsrechte, die er von Natur aus hat, d.h. auf die Naturrechte verzichten kann91 – es gibt also „ein unveräußerliches natürliches 87

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Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 34 s.; Robinson, William of Ockham’s Early Theory of Property Rights in Context, p. 119 s., 212 s. S.a. Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. LXI, p. 139 („Verumtamen licet homo habeat omni tempore tale ius utendi non tamen habet tale ius utendi rebus pro omni tempore“); Cap. LXI, p. 140 („ius naturale. illud ius non habent nisi tantummodo pro tempore necessitatis extremae“; „omni tempore habet ius utendi ex iure naturali sed non quilibet habet illud ius pro omni tempore, sed pro tempore necessitatis extremae“). Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. LXI, p. 139 („iustud ius non est aliud quod quaedam licita potestas exercendi actum aliquem circa rem temporalem extrinsecam qua quis absque culpa rationabili privari non debet invitus: et si privatum fuerit, privantem iniuste poterit in iudicio convenire“); Robinson, William of Ockham’s Early Theory of Property Rights in Context, p. 213; Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 32 s. Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. LXI, p. 140. S. Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. VI, p. 51 („Ex his verbis evidenter colligitur quod Nikolaus III. inter ius et licentiam manifester distinguit et licentiam negat esse ius; tamen communissime accipiendo ius pro omni licita potestate, licentia posse vocare ius; licentia talis de qua loquitur Nikolaus III., quia nullam dat actionem, non potest vocari ius; quo potest quis pro re vel usu rei in iudicio litigare“); Cap. LXI, p. 139 („distinguunt de licentia. Quodam est licentia, quae revocari a concedente non potest. Et per talem licentiam ius quoddam acquiritur. Alia est licentia quae ad placitum concedentis revocari potest; per talem licentiam nullum ius videtur acquiri“); p. 140 („licentia utendi non est ius utendi“; „Nemo privandus est iure suo absque causa et sine culpa; licentia utendi potest saepe privari licite sine culpa et sine causa: ergo non omnis licentia est ius utendi“). S.  Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. LXI, p.  140 („licet fratres minores in rebus quibus utuntur non habeant aliquod ius positivum: habent tamen aliquod ius utendi

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Recht auf das Lebensnotwendige“92. Der Gebrauch, den die Franziskaner aufgrund der Erlaubnis des Rechtsinhabers haben, ist kein positives Recht; das Gebrauchsrecht des Naturrechts steht ihnen zwar zu, es besteht aber nicht zu jeder Zeit, sondern nur in Notzeiten hinsichtlich solcher Sachen, ohne die sie ihr Leben nicht erhalten können.93 Vielfach wird Ockhams Ansatz im franziskanischen Armutsstreit als Vorbote des „modernen“ Rechtsbegriffs aufgefasst; es ist danach die Subjektivität des Nominalismus, die durch Schaffung des subjektiven Rechtsbegriffs den Weg in die rechtliche Moderne weist.94 Unmittelbar zeigt sich indes etwas anderes: Ockham spaltet den univoken Rechtsbegriff in äquivoke Begriffsverständnisse des positiven Rechts einerseits, des natürlichen Rechts andererseits auf. Während die Spätscholastiker dieser Aufspaltung entgegentreten und einen einheitlichen Begriff zugrunde legen, zeigt sich in der weiteren Naturrechtsentwicklung die Wirkmächtigkeit dieses Ansatzes.95 4.1.2.3 dominium, Willensfreiheit und Freiheit 4.1.2.3.1 Einführung In der Folge des franziskanischen Armutsstreits wird argumentiert, dass dominium auch ein Recht und jedes ius im Sinne der facultas bzw. potestas auch eine Art dominium sei – dominium wird so jedenfalls zu einem Recht

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in eis s. ius naturale“; „fratres minores approprietatem omnium et dominium abdicare; sed nunquam dicit eos ius omne abdicare: approprietati et potestati appropriandi licet renunciare, iuri utendi naturali nulli renunciari licet“); p. 139 („in quo tempore virtute iuris naturae omni re possunt re sine qua vita eorum salvari non posset, licite uti possunt“); p. 140 („iure utendi naturali renunciare non possunt cum ipse dicat ipsis fratribus iure poli in extremae necessitatis articulo ad providendum sustentationem naturae“); sowie Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 121 ss.; Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p. 30 ss.; Robinson, William of Ockham’s Early Theory of Property Rights in Context, p. 119 s., 161 ss., 209 ss.; Tuck, Natural Rights Theories, p. 23; vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 313 f.; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 283 f. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 26. Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. LXI, p. 139, 140. Ursprünglich Villey, Archives de philosophie du droit N. 9, p. 97, 111 ss., 116 ss.; ders., in: Grossi (ed.), La Seconda Scolastica, p. 53, 63 ss. (unter Verweis auf die nominalistische bzw. voluntaristische Herkunft dieses Rechtsbegriffs); zur Bedeutung Ockhams im Anschluss an Villey jüngst auch Menke, Kritik der Rechte, S.  19 f., 49 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 836 ff.; zur Diskussion s. Schermaier, in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 43 ff. S. insoweit oben bereits zu Christian Thomasius S. 251 ff.

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(dominium est ius96).97 Auf diese Weise wird dominium in der Bedeutung des Eigentums als Unterart (species) des Genus ius verstanden. Recht wird so bei den Spätscholastikern zu einem Oberbegriff, unter den auch das Eigentum (dominium) fällt.98 Dominium in diesem engeren Sinn (dominium proprietatis) ist anknüpfend an die rechtswissenschaftliche Definition (Bartolus)99, die ihrerseits an die theologische Diskussion des Armutsstreits anknüpft100, „das

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Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima, N. 12; zu Vitoria insoweit auch Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 66 ff., 71 ff. 97 Dazu Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  242 ss. (zu Summenhart); s. insbesondere Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p.  1 („ius secundo modo, est idem quod dominium“); darin liegt wohl auch der Unterschied zwischen Gerson und Summenhart, der zwar die ius-Definition von Gerson übernimmt, aber ius und dominium im Gegensatz zu diesem gleichsetzt (s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 28 f.). Vgl. auch Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 83 f.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff. (zu Vitoria); Tellkamp, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 125, 129 ss. (zum Verhältnis von ius und dominium bei Summenhart); Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung,  S.  XXXVI f.; Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 156; s.a. zu dieser Diskussion bereits in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft Tuck, Natural Rights Theories, p. 13 ss.; vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 2 N. 7 („omne enim dominium est Ius in re, non contra“). 98 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  3 vor Dub.  1; ferner Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 31 Cap. 3 N. 51 („ius est quasi genus ad ipsum dominium, & ad alias species“); Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 („ius […], quod ponitur ut genus in definitione dominii“); s. aber dagegen Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 1, 2, 5: Während die wohl überwiegende Auffassung ius als Oberbegriff bzw. Ursprung des dominium auffasst, folgt bei Molina das Vermögen Rechte zu haben aus dem Vermögen zum dominium; das dominium geht also dem ius voraus, es ist die Ursache des ius, ius ist die Wirkung des dominium; s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 29 Fn. 112, 70 f., 152 ff.; hierzu auch Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 301; Tellkamp, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 125, 139; zum gegensätzlichen Verhältnis von Molina zu Vitoria in diesem Zusammenhang auch Haar/Simmermacher, Jahrbuch für Recht und Ethik  22 (2014), 445, 461; vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 2 N. 7, 10 f. zum Verhältnis von ius und dominium und zur Frage, ob das dominium dem ius vorausgeht; nach Lessius hingegen „schließt“ das Wesen des Eigentums „das Recht essenziell mit ein“ („dominium essentialiter includit Ius & potestatem“). S. grundsätzlich hierzu und zum Folgenden auch Seelmann, Die Lehre vom dominium, S.  37 ff., 76 ff.; Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 123 ss.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 36 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 353 ss. 99 Bartolus, Comm. In Dig. 41,2,17 N. 4 ff. („ius de re corporali perfecte disponendi, nisi lege prohibeatur“). 100 So Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 76 ff. (vor allem mit Verweis auf Ockham).

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Recht, über eine Sache als seine zu seinem Nutzen zu verfügen“ (Ius disponendi de re aliqua tanquam sua in suum commodum).101 Ferner wird dominium in einem weiten Begriffsverständnis von einzelnen Autoren generell auch als facultas, potestas bzw. potentia identifiziert und teilweise auch synonym zum ius-Begriff als (Herrschafts-)Recht verwendet (ius dominativum).102 Nach Lessius etwa ist dominium im Allgemeinen (in genere) „das Recht, über eine Sache als seine zu bestimmen und zu verfügen“ (Ius gubernandi vel disponendi de re aliqua, tanquam sua), wobei „suum“ bedeutet, dass eine Sache jenem, dem sie gehört, „so unterworfen und zugeordnet ist […], dass er über diese aus eigenem Recht“ (proprio Iure), d.h. nicht aufgrund der Erlaubnis eines anderen verfügen kann.103 Das dominium ist dem Rechtsinhaber als „absolutes und gefestigtes Recht“ zugewiesen, das „unabhängig vom Belieben und der Bestimmung eines anderen besteht“ (ius in re absolutum et firmum, non dependens ex alterius nutu & arbitrio).104 Das wesentliche Recht ist so das dominium, das über die Rechte an körperlichen Sachen erweitert verstanden wird als dominium über nicht körperliche

101 S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 2; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 1 (unter Zitierung von Bartolus: „ius perfecte disponendi de re corporali nisi lege prohibeatur“; zur Erfassung auch unkörperlicher Gegenstände, aaO N. 3); zum dominiumBegriff bei Molina auch Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  205, 208 f.; Tellkamp, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 125, 139 ss.; Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 205 ss. 102 Zu den verschiedenen dominium-Bedeutungen bei den Spätscholastikern s. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S.  46, 83 ff.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff. (nur in der Bedeutung als facultas utendi re sind ius und dominium für Vitoria synonym, s. Vitoria, CommSth, II–II, q. 62,1 N. 8; näher Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 66 ff., 71 ff.); vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16; gegen die Gleichsetzung von ius und dominium aber Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 5 f.; Soto, De Iustitia et Iure, Lib. 4 q. 1,1; Suárez, Operis de Religione, Pars II Lib. VIII Cap. 5 N. 4 („non omne ius est dominium, […] ideo illud ponitur loco generis“); Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 125, 131 ff. u. 135 ff. (zu Soto und Vitoria). 103 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 1. S.a. die Definition von dominium bei Soto, De Iustitia et Iure, Lib. IV q. 1,1, der gegen die Gleichsetzung von ius und dominium ist („propria cuiusque facultas et ius in rem quamlibet, quam in suum ipsius commodum usurpare potest“); dazu auch Seelmann, Die Lehre vom dominium, S.  83; Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 159. 104 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 8 N. 32 – es geht also beim dominium um die Abgrenzung verschiedener Rechtssphären zwischen dem, was „sein“ ist und dem, was einem anderen rechtlich zugehörig ist; s.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 320. S. ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 2 N. 11 (res mea, tua, sua). Grenze der Rechtsmacht, die das dominium gewährt, ist das Gesetz (s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 2 N. 9).

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Gegenstände105 wie den eigenen Ruf, die Ehre und die Freiheit (dominium famae, dominium honoris, dominium libertatis).106 Diskutiert wird ferner, ob es ein dominium des Menschen an seinem Leben (dominium vitae) gibt – dies wird zwar überwiegend abgelehnt, weil das Leben nicht vom Menschen aus eigener Leistung erworben werden kann107 und der Mensch sich selbst nicht das Leben nehmen darf, was eigentlich zum Begriff des dominium gehören würde108; gleichwohl gibt es aber Rechte des Menschen am eigenen Leben, dem Körper und der Gesundheit.109 Über die Gegenstände, an denen dominium besteht, ist der Rechtsinhaber dispositionsbefugt – im Gegensatz zu den höchstpersönlichen Rechten wie den Rechten am Leben, die unveräußerlich sind.110 Die Rechte vermitteln dem Rechtsinhaber eine subjektive 105 S.  etwa  Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  3 Dub.  2 N.  8 (incorporalia; dominium iurium); zum dominium an Forderungen s. Kämper, Forderungsbegriff und Zession, S. 23 f. 106 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 11 N. 59; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 33 N. 14; Soto, De Iustitia et Iure, Lib. IV q. 2,3; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 37; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLI f.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff., LXVIII ff.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  14 N.  16, 18 (zum dominium libertatis). Der Begriff des dominium libertatis taucht dabei bereits bei Jean Gerson auf, s. Gerson, De vita spirituali, Lectio tertia sowie Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 80 m.Nw.; Kaufmann, in: Kaufmann/Renzikowski (Hrsg.), Freiheit als Rechtsbegriff, S. 116, 125. 107 So Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 10 N. 57: Ferner ist das Leben Fundament jeglichen menschlichen dominium („antequam enim vitam accipiat nullius dominii est capax“), da sich das Leben nicht vom Menschen selbst trennen lasse. S.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 9, der ein dominium vitae deshalb ablehnt, weil dominium eine Beziehung (aliquid relativum) bzw. ein Verhältnis der Überordnung einschließt, aber man zu sich selbst kein solches Verhältnis haben könne. 108 Soto, De Iustitia et Iure, Lib. IV q. 2,3. 109 Seelmann, Die Lehre vom dominium, S.  45; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  38 f.; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung,  S.  XLIII; Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S.  291, 301 f. Bspw. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 (N. 4: hier auch mit dem Hinweis auf das dominium suarum operationum, s. dazu sogleich); Tract. II Disp.  18 N.  6 (ius fruendi, defendendi; iniuria illis fiat, si iniuste ab eis auferatur); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 14 N. 101 („auctoritas respectu suorum membrorum […] potest de illis disponere“); Cap. 10 Dub. 1 N. 3 (ius utendi corpore; domina sui corporis); Cap. 41 Dub. 8 N. 69 (dominium sui corporis); Cap. 4 Dub. 10 N. 57 (der Mensch ist usuarius vitae; der usus ist wiederum ein Recht [ius utendi], s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 6 N. 24); Suárez, Operis de Religione, Pars II Lib. VIII Cap. 4 N. 2 („licet homo non sit proprie dominus vitae suae, habet tamen ius proprium habendi, & conservandi illam“); zu Letzterem auch Faraco, in: Zehetner (Hrsg.), Menschenrechte und Metaphysik, S. 105, 109 f. 110 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  7 Dub.  3 N.  12 f.: Die Dispositionsbefugnis behandelt Lessius unter zwei Gesichtspunkten – zum einen im Hinblick auf die Abtretbarkeit (cessio iuris), zum anderen im Hinblick auf die Einwilligungsfähigkeit, d.h. die Frage, ob die Einwilligung des Rechtsinhabers in die Verletzung eines Rechts dazu führt, dass

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Rechtsposition bzw. eine Herrschaftsmacht über Rechtsgüter, durch die ihm alleinig Nutzungs-, Besitz- und Verfügungsbefugnisse zugewiesen sind und gegen deren Verletzung Rechtsgüterschutz durch Restitutionsansprüche besteht.111 Auf diese Weise wird das Naturrecht als Ordnung der subjektiven Rechte konstruiert – es geht um die Rechte, deren Begründung sowie die Folgen von Verletzungen und Beeinträchtigungen der Rechte. Im Folgenden ist den Gründen und Folgen dieser Begriffserweiterung des dominium nachzugehen, der auch wesentliche Bedeutung für die weitere Rechtsentwicklung zukommen sollte. Die spätscholastische Lehre vom dominium ist zum einen vom franziskanischen Armutsstreit beeinflusst112, da dominium als rechtliche Befugnis und Handlungsmacht verstanden wird – dominium ist ein Recht (ius).113 Ferner wird bei den Spätscholastikern der ebenfalls bereits im franziskanischen Armutsstreit diskutierte Zusammenhang von kein Unrecht (iniuria) vorliegt. Im Hinblick auf die Abtretbarkeit ist klar, dass Abtretung nur bei den Gegenständen möglich ist, an denen dominium besteht – im Gegensatz etwa zum Leben, hinsichtlich dessen der Mensch nur custos ist, sodass die Rechte hieran unveräußerlich sind („in quibus iure nostro cedere non possumus“; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 1 N. 12 [„homini interdictum est cedere iure, quod habet in vitam, in membra, & in corpus suum“]; Disp. X Sec. 1 N. 9 [nur über seine Handlungen kann der Mensch verfügen – „potest homo disponere de suis operationibus, quarum dominus est, non de se ipso, vel (quod idem est) de vita sua, cuius dominus non est“]). Ob diese Unterscheidung auch auf die Einwilligungsfähigkeit übertragen werden kann, ist dagegen umstritten. Gegen die Auffassung, die auch die Einwilligungsfähigkeit nur auf die Gegenstände begrenzen will, die dem dominium und damit der Disposition unterliegen (subsint nostrae dispositioni), argumentiert Lessius, dass man auch bei den anderen Rechten einwilligen könne; allerdings hebe dies nur das Unrecht gegenüber dem Einwilligenden auf, nicht aber gegenüber den anderen Betroffenen – d.h. im Fall des Lebens konkret gegenüber Gott und dem Staat; die Handlung bleibt also Unrecht. S. ferner Suárez, Operis de Religione, Pars II Lib. VIII Cap. 5 N. 10 zur Unterscheidung von einem angeborenen und natürlichen dominium (innatum et naturale) an bestimmten intrinsischen Gütern und dem durch menschlichen Willen begründeten dominium an äußeren Gütern. Bestimmte Rechte an den bona intrinsecae seien unverfügbar – wie die Rechte am Leben (Suárez, Operis de Religione, Pars II Lib. VIII Cap. 4 N. 2); dazu Faraco, in: Zehetner (Hrsg.), Menschenrechte und Metaphysik, S. 105, 108 ff. 111 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 36 f.; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S. 320; Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 130 s., 144 ss.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 354; Kämper, Forderungsbegriff und Zession, S. 23; s. dazu unten noch S. 344 ff. 112 S. bspw. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  6 zum direkten Aufgreifen des franziskanischen Armutsstreits; s.a. Decock, Contract Law, p. 166. 113 Vgl. dazu Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p.  117, 121 ss.; Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 86, 98 ff.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 260 ss.; s. ferner Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  125, 132; Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 208 f., 210.

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dominium und Naturrecht bedeutsam114, der sich vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Eroberung Amerikas und der Frage, ob die amerikanischen Ureinwohner von Natur aus Eigentumsrechte haben, aufdrängt.115 Zum anderen zeigt sich in dieser Diskussion nun erneut auch der Einfluss von Thomas, der so neben der franziskanischen Diskussion zum Ausgangspunkt der Argumentation wird – hierdurch erklärt sich der Zusammenhang von dominium und Willensfreiheit.116 4.1.2.3.2 dominium, Willensfreiheit und Person bei Thomas v. Aquin Das spätscholastische Verständnis von dominium als Herrschafts- bzw. Freiheitsrecht, das mit einer Person als solcher verbunden ist, knüpft insoweit an Thomas an.117 Wie zuvor gesehen, benutzt Thomas zwar einen objektiven Rechts-, d.h. ius-Begriff.118 Allerdings verwendet er auch unabhängig hiervon den Begriff des dominium, nämlich zunächst im Zusammenhang mit der Willensfreiheit (liberum arbitrium).119 So spricht Thomas im Kontext der Gnaden- und Rechtfertigungstheologie und der Frage nach der göttlichen Vorhersehung von dominium. Auch wenn der Mensch der göttlichen Vorhersehung (divina providentia) unterliegt, ist er nach Thomas in seinem 114 Vgl. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  26 f. (zur Verbindung von subjektivem Recht und Naturrecht bei Ockham). 115 Dazu auch Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 17. 116 Vgl. zu dieser doppelten Tradition (franziskanisch und thomistisch), die bei den Spätscholastikern zusammenläuft, Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 79; ders., in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 49 f. (zum Einfluss Gersons); ders., in: Mate/Niewöhner (Hrsg.), Spaniens Beitrag zum politischen Denken, S. 141, 145 ff.; Schermaier, ZRG RA  134 (2017), 49, 57 ff.; ferner auch dazu sowie zum Zusammenhang von Freiheit und dominium Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 152 ss., 160 ss., 167 s.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 31 ff.; Kämper, Forderungsbegriff und Zession, S. 22. 117 Vgl. Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  146; Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 76, 78 f.; ders., in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 46 ff.; Schermaier, ZRG RA  134 (2017), 49, 58 ff.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S.  31 ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 16; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 914 f.; Kämper, Forderungsbegriff und Zession, S. 22 f. 118 Bspw. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  251 f., 353 f. sowie oben S. 129 ff. 119 S.  Seelmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  43, 47 f.; ders., in: Mate/Niewöhner (Hrsg.), Spaniens Beitrag zum politischen Denken, S.  141, 149 f. Auch Suárez verwendet in seiner Metaphysik den Begriff des dominium suae actionis zur Umschreibung der (Willens-)Freiheit, s. etwa Suárez, Disputationes Metaphysicae, Disp. 19 Sec. 2 N. 18 („esse in homine aliquam potentiam activam ex sua vi et intrinseca natura liberam, id est, habentem tale dominium suae actionis ut in eius potestate sit eam exercere et non exercere“); ders., De gratia, Prol. I, Cap. 3 N. 5.

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Kapitel 4

Handeln nicht determiniert, sondern verfügt über einen freien Willen (liberum arbitrium).120 Durch diesen freien Willen hat der Mensch als vernunftbegabtes Wesen (rationalis creatura) „Herrschaft“ bzw. „Eigentum“ an seiner Handlung (per liberum arbitrium dominium sui actus). Aufgrunddessen „wird ihm etwas als Schuld oder Verdienst zugerechnet“ (imputetur aliquid ad culpam vel ad meritum) und erhält er Strafen oder Belohnungen (poena vel praemium).121 Die göttliche Vorhersehung schließt also den freien Willen des Menschen nicht aus, und weil der Mensch durch den freien Willen dominium an seinen Handlungen hat, ist er auch für seine Handlungen verantwortlich; dem Handeln des Menschen kommt aufgrund des freien Willens auch Bedeutung für seine Rechtfertigung zu.122 Die Umschreibung des freien Willens durch das dominium sui actus hat Thomas dabei wohl von Bonaventura übernommen.123 Kurz darauf rekurriert Thomas auch bei der Definition der „Person“ (persona) auf die Herrschaft des Menschen über seine Handlungen.124 Thomas versteht Person als die Bezeichnung eines vernunftbegabten Einzelwesens (singularia rationalis naturae; rationalis naturae individua substantia), welches sich dadurch auszeichnet, dass es Herrschaft über seine Handlungen hat (dominium sui actus), und damit nicht Gegenstand von Handlungen ist, „sondern durch sich selbst handelt“ (non solum aguntur, sicut alia, sed per se agunt).125 Dominium und damit Willensfreiheit sind folglich Wesensmerkmale der Person.126 Herrschaft über die Handlungen, d.h. Willensfreiheit zu haben ist konstitutiv für die Personalität des Menschen. Das dominium ist so aus seinem Bezug zu den Sachen gelöst und auf den Menschen und seine Handlungen bezogen, es ist mit der Willensfreiheit des Menschen, d.h. mit dem Menschen als Person verbunden. 120 121 122 123

S. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint., ad quart. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint. S. dazu oben S. 145 ff., 155 ff. S. Seelmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 47 f.; ders., in: Mate/Niewöhner (Hrsg.), Spaniens Beitrag zum politischen Denken, S. 141, 149 f. mit Verweis auf Thomas’ Sentenzenkommentar, wo Thomas erstmals auf das dominium sui actus rekurriert (Thomas v. Aquin, Sent. Lib. II, Dist.  25 q. 1 a. 1 resp.; Dist.  24 q. 1 a. 1 resp.) sowie Bonaventura, In secundum librum Sententiarum, Dist. 25 pars. 1, a. 1 q. 1 („Utrum liberum arbitrium sit in solis habentibus rationem, an etiam sit in animalibus brutis“) resp. („libertas enim oppunitur servituti. Unde illa sola potentia dicitur esse libera, quae dominium habet plenum tam respectu obiecti, quam respectu actus proprii“); ferner Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 57; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 32. 124 Thomas v. Aquin, STh, I, q. 29,1 (im Rahmen der Gottes- bzw. Trinitätslehre); s. ferner I, q. 103,5 ad sec.; I–II, q. 1,1 resp.; II–II, q. 66,1 resp. 125 Thomas v. Aquin, STh, I, q. 29,1 resp. sowie oben bereits S. 145 f. 126 S. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 29,1 resp.

Die Transformation des Rechts

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In Bezug auf Handlungen sagt Thomas ferner ganz zu Beginn der Prima Secundae, dass der Mensch „durch die Vernunft und den Willen Herr seiner Handlungen“ ist (homo dominus suorum actuum per rationem et voluntatem), und dass daher „die Willensfreiheit (liberum arbitrium) auch als die Fähigkeit des Willens und der Vernunft ( facultas voluntatis et rationis) bezeichnet wird“.127 Die Willensfreiheit wird also mit dem dominium des Menschen an seinen Handlungen identifiziert.128 An diese anthropologischen Voraussetzungen knüpft Thomas schließlich auch beim rechtlichen dominium im Sinne des Eigentums an, das er in seinem Gerechtigkeitstraktat behandelt.129 Danach hat der Mensch „ein natürliches Eigentum (naturale dominium) an den äußeren Dingen, weil er durch die Vernunft und den Willen die äußeren Dinge zu seinem Nutzen verwenden kann“ (per rationem et voluntatem potest uti rebus exterioribus ad suam utilitatem).130 So wie der Mensch durch Vernunft und Willen Herrschaft über seine Handlungen (dominium suorum actuum) hat, so hat der Mensch durch Vernunft und Willen Herrschaft und damit natürliches Eigentum über die äußeren Dinge (naturale dominium exteriorum rerum). Thomas verwendet hier also seine Anthropologie auch im rechtlichen Kontext und bringt so Willensfreiheit und Eigentum in eine gewisse Beziehung. Dadurch wird das rechtliche Eigentum letztlich durch die Willensfreiheit bedingt.131 Hier werden also Personalität, Vernunft, freier Wille und dominium verbunden, und die Natur des Menschen wird zur Voraussetzung auch des rechtlichen dominium – Thomas begründet damit das Eigentum durch seine spezifische Anthropologie.132 Gerade diese anthropologische Begründung des dominium wird in den Diskussionen des 16. Jahrhunderts wirkmächtig.133 127 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 resp. Bei der Verknüpfung von liberum arbitrium und dominium knüpft Thomas wiederum an die Sentenzen des Petrus Lombardus sowie Bonaventura an, s. Seelmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 47 f.; ders., Die Lehre vom dominium, S. 78 f. 128 Dazu auch Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 78; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 57 f. 129 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 66,1 resp.; s. dazu Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 58. 130 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 66,1 resp.; dazu auch Tuck, Natural Rights Theories, p. 19, wonach Thomas, auch wenn er ius selbst objektiv versteht, dennoch ein Konzept von subjektivem Recht habe. 131 S. Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 58; ferner aber auch ders., in: Brinkmann/Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 48. 132 Vgl. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 76 ff.; ders., in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 46 ff.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 58. 133 Vgl. Seelmann, in: Mate/Niewöhner (Hrsg.), Spaniens Beitrag zum politischen Denken, S. 141, 147 ff.; Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 160 s.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 58 f.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 31 ff., 40 ff.

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Kapitel 4

4.1.2.3.3

Vernunft und Willensfreiheit als Voraussetzung des dominium bei Vitoria So greift Vitoria die thomasische Verbindung von dominium, dominium sui actus und Willensfreiheit (liberum arbitrium) in Zusammenhang mit der Frage nach den Rechten der indigenen Bevölkerung in Amerika auf.134 Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund erörtert er, ob die amerikanischen Ureinwohner vor der Ankunft der Spanier naturrechtliche (Eigentums-)Rechte (dominium) hatten, sodass die spanische Eroberung eine Verletzung dieser Rechte ist und folglich gegen das Naturrecht verstößt.135 Vitoria setzt sich mit mehreren Einwänden gegen das Eigentum (dominium) der indigenen Bevölkerung auseinander, die er aber letztlich ablehnt.136 Vitoria versteht dabei dominium als Recht (dominium est ius)137, knüpft aber gleichwohl an den dominium-Begriff von Thomas an.138 Gegen die Einwände, dass die Indios Sünder bzw. Ungläubige seien, argumentiert er mit einer klassischen, an Thomas anknüpfenden Argumen­ tation, dass auch Ungläubige und Sünder Rechte haben, da Sünde oder Unglauben weder menschliches noch Naturrecht aufheben würden und das natürliche Eigentumsrecht dem Menschen als Abbild Gottes zustehe und daher nicht durch die Sünde verloren gegangen sei.139 Da das dominium auf natürlichen, dem Menschen als solchem zustehenden Fähigkeiten beruht,

134 S.  Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima, N.  12; dazu Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 268; Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S.  135 ff.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S.  40 ff.; s.a. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 78; ders., in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 44 ff.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 178 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 914 ff. 135 Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 265 ss.; Pagden, Spanish Imperialism, p. 18 ss.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 916; Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima („Utrum barbari essent veri domini ante adventum Hispanorum“). 136 S. Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima; dazu Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 265 ss.; Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 125, 136 ff. 137 Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima, N. 12; s. bereits Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p. 1 („ius secundo modo, est idem quod dominium“); näher dazu Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 66 ff. 138 S. dazu auch Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S.  40 ff. Zur Verbindung von ius und dominium bei Vitoria s. etwa Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 125, 135 ff.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff., XXXIX ff. 139 S. Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima, N. 2–10; dazu Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 266 s.; Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 125, 136 ff.; Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 136 ff.

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gibt es keinen Zusammenhang zwischen dem dominium und Sünde bzw. Unglaube.140 Sodann setzt sich Vitoria mit dem Einwand auseinander, dass nur die vernunftbegabte Kreatur dominium haben könne und dieses deshalb nicht den Indios zukommen könne.141 Insoweit rekurriert Vitoria unmittelbar auf Thomas, indem er festhält, dass „nur die vernunftbegabte Kreatur Herrschaft über ihr Handeln hat“ (dominium sui actus) und dass daher die nichtvernunftbegabte Kreatur (bruta – Tiere), die kein dominium an den eigenen Handlungen hat, auch kein dominium an äußeren Dingen haben könne.142 Er greift also für das als Recht verstandene dominium Thomas’ Gedankengang143 auf und entwickelt ihn dahingehend fort, dass die Herrschaft an den eigenen Handlungen Voraussetzung des rechtlichen dominium an den äußeren Dingen ist.144 Vitoria argumentiert so in Anlehnung an den dominium-Begriff von Thomas, dass zwar nur Menschen als vernunftbegabte Natur145 dominium haben könnten146, dass aber die Indios eben auch vernunftbegabt sind und daher auch dominium haben.147

140 Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 136 f. 141 Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima, N. 11–15. 142 Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima, N. 12 unter Rekurs auf Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 u. 2; q. 6,2; dazu Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 42 ff., 46 ff. 143 Was in gewisser Weise bereits bei Thomas selbst angelegt ist, indem er nämlich Vernunft und Willen (ratio et voluntas), die ja auch Voraussetzung des dominium sui actus sind, zur Voraussetzung des dominium naturale gemacht hat, s. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 66,1 resp. Thomas erhebt damit zwar nicht das dominium sui actus zur Voraussetzung des dominium exteriorum rerum, wohl aber überträgt er die Voraussetzungen des dominium sui actus auf das dominium exteriorum rerum; s. näher dazu Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 46 ff. 144 S.a. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 76 ff., 78; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 45 ff., 61 ff.; ferner Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 160 s. 145 Selbst wenn der Vernunftgebrauch aufgehoben ist (bei Verrückten), können diese nach Vitoria dennoch Rechte haben, weil auch ihnen Unrecht geschehen könne, s. Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 125, 140 sowie Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima, N. 14. S.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  137 ff. zur Frage, ob Kinder und Vernunftlose nach Vitoria dominium haben können. 146 Womit er sich gegen Summenhart wendet, der davon ausgeht, dass auch nichtver­ nunftbegabte Wesen wie Tiere dominium haben könnten, s. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 267; Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 79 ff. 147 Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  267 ss.; Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 125, 138 ff.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 61 ff.; Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S.  139 f.; dazu Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima, N. 11–15.

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Kapitel 4

Schließlich wendet sich Vitoria gegen den auf Aristoteles und das römische Recht zurückgeführten Einwand, dass die Indios „Sklaven von Natur“ im aristotelischen Sinne seien und Sklaven nach römischem Recht keine Eigentumsrechte haben könnten.148 Auch wenn Sklaven nach dem positiven Recht keine Eigentumsrechte hätten, sei doch niemand ein solcher Sklave im rechtlichen Sinne von Natur aus.149 Umgekehrt würde der aristotelische Sklave von Natur – entgegen Aristoteles’ Verständnis150 – nicht bedeuten, dass man kein dominium über sich oder über Sachen hätte.151 Vitoria geht also in zwei Punkten über Thomas hinaus: erstens durch die Verknüpfung von dominium und Recht (ius), die vor allem Resultat der franziskanischen Armutsdebatte ist; zweitens durch die Verknüpfung von dominium sui actus mit dem dominium an den äußeren Dingen, indem bei Vitoria das durch die Willensfreiheit und die Vernunft bedingte dominium sui actus zur Voraussetzung des rechtlichen dominium an den äußeren Dingen wird.152 Durch die Verbindung der verschiedenen Argumentationslinien erreicht Vitoria dabei, dass es notwendig mit der vernunftbegabten Natur und der Willensfreiheit des Menschen verbunden ist, dominium haben zu können.153

148 S. Vitoria, Relectio de Indis, Prima Pars, Sectio Prima, N. 1, 16; dazu Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 270 s.; s.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 174 ff., 178 ff. 149 Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 270. 150 Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 271. 151 Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 270 s. 152 Vgl. Seelmann, in: Mate/Niewöhner (Hrsg.), Spaniens Beitrag zum politischen Denken, S. 141, 147 ff.; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 40 ff.; Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 160 s.: Bei Thomas war dies ja noch nicht explizit der Fall, vielmehr waren nur Vernunft und Wille, die ihrerseits Voraussetzung des dominium sui actus waren, auch Voraussetzung des dominium naturale. 153 Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 271; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 918; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 60 ff.; vgl. aber auch Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  136 ff. zu Vitoria und Molina („Denn obwohl beide Autoren der Schule von Salamanca von denselben, ‚thomistischen’ Voraussetzungen ausgehen, damit jemand dominium haben kann, nämlich das Vermögen des freien Willens, gelangen sie in der Frage nach dem dominium von Menschen, denen es noch nicht oder gar nicht möglich ist, Gebrauch vom freien Willen zu machen, zu unterschiedlichen Antworten“).

Die Transformation des Rechts

301

4.1.2.3.4

Vernunft und Willensfreiheit als Fundament des dominium bei Lessius Hieran knüpft später neben Soto154 auch Lessius bei der Frage an, wer dominium haben kann.155 Unter Verweis auf Vitoria legt Lessius dar, dass dominium nur der vernunftbegabten Natur (natura rationalis), und damit Gott und den Menschen zukommen kann – der Mensch ist Subjekt des dominium, er ist rechtsfähig (capax iuris), wie Molina sagt.156 Grund dieser Rechts- und Eigentumsfähigkeit (capacitas dominii)157 ist, dass „Fundament des dominium ( fundamentum dominii) der Intellekt und der freie Wille (intellectus & libera voluntas) sind, über die nur die vernunftbegabte Natur verfügt“.158 Durch diese hat der Mensch „unmittelbar Macht über seine Handlungen“ (potestatem in suos actus), und über seine Handlungen auch über die äußeren Dinge, sodass 154 S.  Soto, De Iustitia et Iure, Lib. IV q. 1,2; dazu Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 76 ff.; ders., in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 44 f.; Tosi, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 125, 131 ff.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 58 f. 155 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1; dazu auch Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 59; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLI ff. 156 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  4 Dub.  1 N.  1 (Caput  4 – De subiecto & obiecto dominii); Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S.  76 („Solos homines habere hanc capacitatem“); Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 7 Sec. 1 N.  4 („subiectum dominii est natura intellectualis ratione liberi arbitrii“); s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 1 f. (subiectum iuris; dominii, iuris capax); Disp. 3 N. 6; umfassend zu Molina Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 152 ff. Simmermacher weist dabei für Molina nach, dass entscheidend für die Begründung der Rechte und der Rechtsfähigkeit durch die Willensfreiheit ist, dass das dominium selbst antecedens des ius ist, d.h. das dominium dem Recht vorausgeht und dessen Ursache ist, wobei das dominium selbst wiederum eine dem Menschen notwendig zukommende Eigenschaft ist (s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 70 f., 136 f. sowie Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 5); deshalb begründet die Willensfreiheit nicht nur die Fähigkeit, dominium zu haben, sondern auch die Fähigkeit, ius zu haben, d.h. die Rechtsfähigkeit. Wie gesehen, ist dies bei Lessius insoweit anders, als er nicht davon ausgeht, dass das dominium dem ius vorausgeht, sondern dieses gleichsam miteinschließt (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 2 N. 11). Allerdings ist bei Lessius etwas anderes zu berücksichtigen, was mit der Lehre vom moralischen Sein zu tun hat und ebenfalls deutlich macht, dass nur der Mensch rechtsfähig ist: Recht (ius) sei eine „moralische“ Macht, die dem Menschen zukomme („hanc potestatem non esse quid physicum, sed morale dumtaxat competens homini“; s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 3); weil das Recht dem moralischen Seinsbereich zugehörig ist, kann es nur dem Subjekt im Bereich des Moralischen, d.h. dem Menschen zukommen. 157 S. dazu auch Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S.  76 („Capacitatem dominii intelligi posse dupliciter remotam, quae est per rationem et libertatem. Et hoc est dominii fundamentum“). 158 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1.

302

Kapitel 4

er über diese verfügen kann.159 Weiter „schließt der Grund des dominium eine freie Macht (potestas libera) und die Ausrichtung auf ein Ziel (ordinatio in finem) ein“, und nur durch Vernunft und Wille könne man etwas „frei auf ein Ziel ausrichten“.160 Schließlich sei dem Menschen die Herrschaft und das dominium über Land und Meere gegeben worden, weil er insoweit das Abbild Gottes (imago divina) sei161, als er über Verstand und einen freien Willen (intellectus & voluntas libera) verfüge.162 Das dominium über die eigenen Handlungen, d.h. die Willensfreiheit wird so zur notwendigen Bedingung des dominium an äußeren Sachen.163 Das dominium an den eigenen Handlungen folgt nämlich aus Verstand (intellectus) und freiem Willen (libera voluntas) des Menschen.164 Das dominium als das umfassende (Natur-)Recht des Menschen ist demnach dadurch bedingt, dass er als Mensch ein vernunftbegabtes und selbstbestimmtes Wesen ist, das über einen freien Willen verfügt.165 Es steht aufgrund ihrer menschlichen Natur auch Kindern oder Vernunftlosen zu.166 159 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1; dazu auch Schermaier, in: Brinkmann/ Shirvani (Hrsg.), Privatrecht und Eigentumsgrundrecht, S. 23, 40. 160 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1. 161 Hierzu auch Seelmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 44. 162 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4; dazu auch Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 135 s. 163 S.a. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 136 ff., 152 ff.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 58 ff.; vgl. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 79; ders., in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  43, 45; Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 134 ss. zu Soto s. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 76 f. 164 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1; ebenso Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4; zu Molina insoweit auch Seelmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43 f. 165 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 16 f.; Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 134 ss. 166 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 2 N. 6: Zwar sind Kinder und Vernunftlose vom Gebrauch der Vernunft und damit von einem freien Willen ausgeschlossen (careat usu rationis, & libero arbitrio). Der Gebrauch der Vernunft (usus rationis) ist aber nur für den Gebrauch des Eigentums erforderlich, hingegen nicht für das habituelle dominium selbst, für das die Potenzialität ausreicht ( fundatur in potentiis). Dass sie die Potenzialität nicht nutzen können, sei durch ein äußeres Hindernis bedingt (ab impedimento extrinseco); ähnlich Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 3: Kinder und Vernunftlose verfügen zwar tatsächlich nicht über einen freien Willen, aber das dominium hat sein Fundament im Potenziellen ( fundatur in potentiis); das bedeutet, dass sie dominium haben, weil es ihnen und ihrer Natur von Geburt aus gemäß (secundum se & naturam suam natus) sei, Sachen durch einen freien Willen zu gebrauchen, selbst wenn sie an der Ausübung des freien Willens (ebenso wie jemand, der schläft) gehindert seien; s. ferner Molina, Concordia, q. 14 Art.  13 Disp. 2, p.  8 (zur Frage der Zurechenbarkeit bei Kindern und Vernunftlosen); dazu auch Simmermacher, Eigentum als ein subjektives

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Allerdings ist das dominium sui actus, d.h. die Willensfreiheit (liberum arbitrium) bei Lessius nicht nur notwendige Bedingung, sondern auch „Fundament“ ( fundamentum) des dominium – d.h. nicht nur Voraussetzung, sondern (Rechts-)Grund.167 Durch die menschliche Willensfreiheit, über die jeder einzelne aufgrund seines Menschseins verfügt, werden daher Rechte an den äußeren Gütern sowie am eigenen Leben und der Gesundheit begründet.168 Recht, S. 68, 137 f., 153 ff.; Haar/Simmermacher, Jahrbuch für Recht und Ethik 22 (2014), 445, 467 f.; Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 211; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 16 f. 167 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  4 Dub.  1 N.  1; ebenso Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S. 76; vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  18 N.  3 (mit Verweis auf Autoren, nach denen dominium liberum arbitrium velut fundamentum habeat); Tract. III Disp.  1 N.  1. Zum Begriff bzw. zur Metapher des „fundamentum“ im Sprachgebrauch der Theologie des 16./17. Jahrhunderts s. Niemann, MThZ  46 (1995), 247, 256 ff. S.a. Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 1, p.  4, der im Kontext des Rechts von fundamentum spricht. Er umschreibt dabei Recht als relatio, wobei relatio zum einen ein Fundament, zum anderen ein Ziel (terminus) einschließt (p.  1: ius als „relatio sive habitudo fundata in illo, qui dicitur habere ius, & terminata in rem, in quam, vel in qua habet ius tanquam ad terminum […]“; ferner p. 3). D.h. der Begriff fundamentum wird deswegen rechtlich relevant, weil das subjektive Recht als relatio umschrieben wird. Danach gibt es nach Summenhart zwei Bedeutungen von fundamentum: zum einen im engeren metaphysischen Sinn als res praesentialis in rerum natura cum relatione ipsa; zum anderen erweitert zur Erfassung dessen, was einer Beziehung (relatio dient der Umschreibung des Rechts) notwendig vorausgehe bzw. für diese vorausgesetzt sei (aliquid, quod praeexigitur relationi, vel ei praesupponitur), sei es auch, dass dieses Fundament in der Vergangenheit liege. Als Beispiel rekurriert Summenhart auf die Vaterschaft, die das Fundament des Elternrechts sei, oder den Kauf, der das Fundament für das erworbene Eigentum bilde. Fundamentum geht also über eine notwendige Bedingung bzw. eine Voraussetzung hinaus. Mit dem fundamentum ist eher eine Art notwendiger Kausalzusammenhang verbunden, der in diesem fundamentum selbst begründet ist (s.a. Rebellus, De Obligationibus, Pars I Lib. I Q. 7 Sec. 1 N. 3, der das dominium als relatio auffasst und hierbei dann auch von ratio fundandi spricht, wobei er die ratio fundandi des dominium in der traditio erblickt). Wenn Lessius in der Willensfreiheit das Fundament des dominium erblickt, dann zeigen sich hier zwei Aspekte, die über Vitoria hinausgehen: Zum einen die Auswirkungen der Willensmetaphysik; zum anderen zumindest indirekt das Aufgreifen der relatio-Figur von Summenhart und daran anknüpfend die Notwendigkeit eines fundamentum als Grundlegung der subjektiven Rechte. 168 Nach Seelmann soll hingegen – im Hinblick auf Vitoria und Soto – das dominium sui actus nur notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung von Rechten an den äußeren Dingen sein, d.h. nicht so, als wären die Rechte an äußeren Dingen notwendige Folgen des dominium an den Handlungen (s. Seelmann, in: Mate/Niewöhner [Hrsg.], Spaniens Beitrag zum politischen Denken, S. 141, 147 f.). Allerdings haben die Menschen notwendig dominium an ihrem Ruf und ihrer Ehre (vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 11 N. 59); sie haben von Natur aus dominium an ihrer Freiheit (Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16, 18) ebenso wie sie das dominium über ihre Handlungen haben (Molina, De

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So steht dem Menschen, weil er einen freien Willen hat, ein dominium zu, und zwar zunächst das dominium an seinen Handlungen (dominium suarum operationum)169, daraus folgend dann das dominium an den äußeren Gütern (dominium bonorum externorum)170, so das Eigentum an Sachen (dominium plenum, perfectum), neben dem andere Rechte an Sachen bestehen171, ferner das dominium an seinem Ruf, seiner Ehre sowie der eigenen Freiheit (dominium famae, dominium honoris, dominium libertatis).172 An seinem Leben hat der Mensch zwar kein dominium, da dieses Gott zusteht, wohl aber ist der Mensch „Wächter, Nutzer und Verwalter“ (custos, usuarius und administrator) seines Lebens, hat insoweit Rechte hieran und ist gleichermaßen gegen deren Verletzung geschützt.173 Bei Verletzung der Rechte durch andere entsteht eine Restitutionsverpflichtung, durch die der zugefügte Schaden ersetzt wird; die dem Menschen zustehenden Rechte unterliegen also einem umfassenden Rechtsgüterschutz, worauf später noch einzugehen sein wird.174

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Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4); sie verfügen ferner über Rechte an ihrem Leben (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 10 N. 57; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 1, 4; Tract. II Disp. 18 N. 6) und haben durch das Naturrecht dominium auch an den äußeren Sachen, zwar nicht im Sinne eines von Natur aus einzelnen Personen zustehenden vollständigen dominium, wohl aber im Sinne eines jedem zustehenden Aneignungsrechts an den Sachen (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 8 N. 52 f.: „cum dicitur hominem iure naturae habere dominium in res inferiores, non esse id ita intelligendum quasi singuli habeant completum dominium a natura, sed quia potestatem habent res inferiores occupandi, & earum dominium completum comparandi. hoc enim ius cuique a natura concessum in rem quemlibet“). Der eigentliche Grund hierfür dürfte darin liegen, dass Verstand und freier Wille nicht nur Bedingung (conditio), sondern vielmehr Fundament des dominium sind ( fundamentum dominii; s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1). Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4; s.a. Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 134 s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 1. S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 4; Dub. 2 N. 6 ff. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  4 Dub.  11 N.  59; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 33 N. 14; Tract. III Disp. 1 N. 1; Soto, De Iustitia et Iure, Lib. IV q. 2,3; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 37 f.; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLI f. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 1 (quantum iuris in propriam vitam et in propria membra), 4; Tract. II Disp. 18 N. 6 (ius fruendi, defendendi); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 10 N. 57 (quasi usuarium); Cap. 10 Dub. 1 N. 3 (ius utendi corpore); Cap. 10 Dub. 2 N. 9 (domina sui corporis); Cap. 41 Dub. 8 N. 69 (dominium sui corporis); s.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 37 ff.; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLIII. Hierzu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 38; s. dazu auch unten S. 344 ff.

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4.1.2.3.5 Willensfreiheit als Begründung der Rechtsfähigkeit Die (Willens-)Freiheit des Menschen und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung werden so zur Voraussetzung und Begründung der Rechte.175 Wie Molina deutlich macht, folgt aus der Willensfreiheit ebenso wie die Eigentumsfähigkeit (capax dominii) die Rechtsfähigkeit (capax iuris), sodass Verletzung des Rechts Unrecht (iniuria) ist; jedem Menschen kommt aufgrund seiner Natur die Fähigkeit zu, Träger von Rechten zu sein176, wenngleich der Kreis der dem Einzelnen zustehenden Rechte durch positives Recht eingeschränkt werden kann.177 Die besondere Bedeutung des dominium dürfte sich dabei gerade durch seine anthropologische, d.h. willensmetaphysische Fundierung ergeben – die Fähigkeit Träger von Rechten zu sein wird hier durch die (Willens-)Freiheit begründet und steht damit dem Menschen aufgrund seines Menschseins zu, wobei dies wiederum mit der Personalität des Menschen in Zusammenhang steht.178 So entsteht aus ganz unterschiedlichen Diskussionen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit die Vorstellung von Rechten, die dem Menschen von Natur aus zustehen und deren Verletzung gegen das Naturrecht verstößt und

175 Vgl. Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 134 ss.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 58 ff.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLI f.; s.a. Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  16 f.; Tellkamp, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 125, 142 s. 176 S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 18 N. 1 f.; s.a. Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S. 77 („nulli sunt, qui non sunt capaces ut iniuriae, ita iuris et dominii; et patet ex ipsa natura animi“; „Nullus hominum iure aliquo divino est incapax dominii absolute et simpliciter. Et est certa quoad aliquid de fide. Quia omnes homines sunt ad imaginem Dei facti, ratione cuius sunt capaces dominii, Gen. 1 (26). Nec est aliquod ius naturale vel positivum divinum, quo aliqui sint exclusi. Neque conditiones ullae ad dominium requiruntur, quae non in omnibus hominibus inveniantur“); zu Molina umfassend Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 152 ff.: Ebenso wie Recht als facultas dem Menschen aus der Natur der Sache (ex natura rei) zukommt, kommt dem Menschen die Fähigkeit, dominium zu haben, gemäß seiner Natur zu; dominium hat der Mensch durch Vernunft und Willensfreiheit, die Willensfreiheit ist die Voraussetzung des dominium, das dominium ist wiederum Ursache des ius. Gerade dadurch, dass dominium bei Molina die Ursache des ius ist (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 3 N. 5), wird bei ihm die Willensfreiheit zur Voraussetzung nicht nur der Fähigkeit, Träger des dominium zu sein, sondern auch der Fähigkeit, Träger des ius zu sein. 177 S. dazu unten S. 313 ff., 322 ff. – die hier angesprochene Rechtsfähigkeit ist also keine „allgemeine, gleiche Rechtsfähigkeit“, wonach „jeder Mensch Träger eines jeden Rechts sein kann“, s. zu diesem Begriff etwa Lipp, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 217, 247 f. 178 S. dazu oben S. 145 ff.; s. aber Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 159 ff. zu Molina, wonach bei diesem dem Personbegriff keine Bedeutung zukommt. Der Personbegriff scheint eher mit Suárez verbunden zu sein, und entfaltet daher vor allem bei ihm und seinen Schülern (etwa Oñate) eine wesentliche Bedeutung.

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damit unzulässig ist, sodass die Verletzung auch Rechtsfolgen hat.179 Wiederum zeigt sich hier eine kontinuierliche Weiterentwicklung, die wesentlich mit der Anthropologie und Willensmetaphysik verbunden ist. Aus dem freien Willen und der daraus folgenden Herrschaft des Menschen an seinen Handlungen (dominium sui actus) folgt das rechtliche dominium an den äußeren Dingen, wie den Sachen, dem Ruf und der Ehre sowie der Freiheit. 4.1.2.3.6 dominium und Freiheit Eine weitere Facette erhält diese Diskussion bei Fernando Vázquez, der in Anknüpfung an Thomas und Soto (dominium sui actus; facultas) dominium mit Freiheit (libertas) gleichsetzt, indem er die im Corpus Iuris Civilis enthaltene Definition der Freiheit (libertas) des Florentinus auf das dominium überträgt.180 Dominium ist danach „die natürliche Fähigkeit, das zu tun, was einem gefällt, es sei denn, es ist durch Gewalt oder Recht verboten“ (naturalis facultas eius, quod facere libet, nisi quod vi aut iure prohibeatur).181 Bei anderen Autoren finden sich ähnliche Verbindungen von dominium und libertas.182 Molina greift den Zusammenhang von dominium und Freiheit im Hinblick auf das dominium an den eigenen Handlungen (dominium suarum operationum) auf.183 Bemerkenswert ist dabei, dass Molina dieses nicht als Voraussetzung des dominium an den äußeren Dingen, sondern isoliert bei der Frage aufgreift, welche Rechte die Menschen an ihrem eigenen Leben haben. Zwar ist der Mensch nicht „Eigentümer“ seines Lebens, wohl aber seiner Handlungen (dominus suarum operationum).184 Molina bejaht dabei das dominium an solchen eigenen Handlungen, „die dem freien Willen unterliegen“ (dominus 179 Vgl. auch Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 36 ff., 39 ff. 180 Fernando Vázquez, Controversiarum illustrium, Lib. I Cap. 17 N. 4 ff.; Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 73, 76 ff., 82 ff.; Brett, Liberty, right and nature, p. 165 ss.; s.a. Suárez, De gratia, Prol. I, Cap. 3 N. 5, wo er dominium generell als die Fähigkeit zu handeln oder nicht zu handeln („dominium autem est facultas utendi, & non utendi, seu faciendi & non faciendi“) bezeichnet, wodurch dominium mit Freiheit identifiziert wird. 181 Fernando Vázquez, Controversiarum illustrium, Lib. I Cap. 17 N. 4; Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 73, 76 ff. In dieser Identifikation von Freiheit als dominium und damit als Recht zeigen sich Ähnlichkeiten zum späteren Begriff der natural rights bei Hobbes (dazu Brett, Liberty, right and nature, p. 205 ss., 234 s.) oder Locke (Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 23 Fn. 53, S. 25 Fn. 65). 182 S.a. Grossi, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 117, 134 ss.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 38; ferner Kämper, Forderungsbegriff und Zession, S. 22. 183 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4; s.a. Suárez, Operis de Religione, Pars II Lib. VIII Cap. 4 N. 2. 184 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 1 („homo non est dominus propriae vitae“), 4 („homo constitutus dominus earum suarum operationum“); ebenso Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 9; Suárez, Operis de Religione, Pars II Lib. VIII Cap. 4 N. 2.

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earum suarum operationum quae facultati liberi sui arbitrii subsunt).185 Willensfreiheit ist wiederum der „Wille, in dem nach vorangegangenem Vernunfturteil formell die genannte Freiheit besteht“ (liberum arbitrium non sit aliud, quam voluntas, in qua formaliter sit libertas explicata, praevio iudicio rationis).186 Dass ein Mensch dominium an den eigenen Handlungen hat, bedeutet danach nichts anderes, als dass es „in der Macht des freien Willen liegt, [Handlungen] zu wählen oder nicht zu wählen, oder auch das gegenteilige zu wählen“ – und das bedeutet „nichts anderes, als dass [die Handlungen] frei sind“ (in facultate sui arbitrii esse positum, illas elicere, vel non elicere, aut etiam elicere contrarias, ut maluerit, quod non aliud est, quam esse liberas).187 Insofern wertet Molina hier das dominium an den eigenen Handlungen selbst rechtlich – es ist nicht Voraussetzung der Rechte an den äußeren Dingen, sondern selbst „Recht“.188 Einerseits wird dominium mit Freiheit identifiziert (Fernando Vázquez), andererseits ist die aus der Willensfreiheit folgende (Handlungs-)Freiheit selbst ein Recht (Molina). Bedenkt man weiter, dass dieses dominium an den eigenen Handlungen die Grundlage für das dominium an anderen Gegenständen bildet, dann ist die aus der Willensfreiheit folgende Handlungsfreiheit als Recht selbst Grundlage der weiteren Rechte. Hieraus leitet Molina auch ab, dass der Mensch „seine Handlungen und den Gebrauch seiner Glieder vermieten und sich selbst entsprechend verpflichten kann“ (homo locare possit operas suas, usumque suorum membrorum, atque ad id se obligare).189 Aus dem dominium an den Handlungen folgt 185 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4; ebenso Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio duodecima, S. 34 (dominium quasi moralem seu ius in actionem liberam meam). 186 Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, p. 8 sowie oben bereits S. 146 f. 187 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 4. Zur Begründung verweist Molina wieder auf seine rechtfertigungstheologische Abhandlung Concordia, und tatsächlich orientiert sich diese Umschreibung an Molinas Definition des freien Willens (liberum arbitrium); s. dazu oben S. 145 sowie Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, p. 8 („potest agere et non agere, aut ita agere unum, ut contrarium etiam agere possit“). S.a. Suárez, De gratia, Prol. I, Cap. 3 N. 5 („dominium autem est facultas utendi, vel non utendi, seu faciendi vel non faciendi“). 188 S.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp.  1 N.  4 a.E.: Daraus folgt auch, dass derjenige, der jemanden rechtswidrig an der Ausübung einer Handlung, die der Willensfreiheit unterliegt, hindert („iniuste eum privat aliquo actu, qui facultati liberi illius arbitrii subest“), genauso gegen die Gerechtigkeit sündige wie jemand, der jemanden rechtswidrig am Körper schädige. 189 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 1 N. 5: Ebenso kann der Mensch auf diese Weise die Ehe eingehen (matrimonium possit contrahere). Molina betont dabei auch den vertraglichen Charakter der Ehe, der Vertrag ist Fundament des Sakramentes (contractus fundamentum Sacramenti).

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also nicht nur die rechtliche Fähigkeit, selbst frei zu handeln, sondern sich auch entsprechend gegenüber anderen verpflichten zu können.190 Damit wird das freie Handeln des Menschen selbst rechtlich verstanden; die freie Selbstbestimmung einschließlich der Fähigkeit, sich (vertraglich) verpflichten zu können ist ein Recht des Menschen. Die Begründung hierfür liegt wiederum in der Willensfreiheit des Menschen, denn Freiheit wird hier mit dem Eigentum an den eigenen Handlungen identifiziert.191 Im Hintergrund steht die Rechtfertigungstheologie; deutlich zeigt sich, dass Molina auf seine in der Rechtfertigungslehre entwickelte Freiheitsvorstellung zurückgreift und diese in seiner Rechtslehre zur Anwendung bringt. 4.1.3 Die Diskussion um den subjektiven Rechtsbegriff nach Suárez 4.1.3.1 Das Recht als Bestimmung des „Mein und Dein“ bei Lugo Eine weitere Verschiebung erhält die Diskussion um Recht und Freiheit schließlich bei Antonio Pérez, der das Recht ganz auf die Freiheit rückbezieht: Rechtsgüter sind Freiheitsgüter.192 Diese Position entwickelt Pérez dabei im Kontext einer Diskussion, die einen Schwerpunkt der rechtlichen Debatten nach Suárez ausmacht193: die Frage um die richtige Definition des (subjektiven) Rechtsbegriffs. Sowohl in den Abhandlungen De Iustitia et Iure als auch in De Incarnatione194 vollzieht sich bis Mitte des 17. Jhd. zwischen verschiedenen jesuitischen Autoren eine Auseinandersetzung um die richtige Begriffsbestimmung, wobei diese jeweils auf unterschiedliche Weise von der suarezianischen Freiheitsmetaphysik und Lehre vom moralischen Sein 190 Wie steht dies in Zusammenhang damit, dass eigentlicher Wirkgrund des Vertrages die Willensakte sind (vgl. dazu unten noch S. 365 ff.)? Mit Oñate (De Contractibus, Tract. II Disp. V vor Sec.  1) wird man zwischen den Willensakten, die kraft der Willensfreiheit causa efficiens des Vertrags sind, und der Freiheit als causa materialis bzw. materia circa quam des Vertrags unterscheiden können – die eigenen Handlungen, zu deren Vornahme man sich verpflichtet, d.h. die Freiheit über die eigenen Handlungen bilden den Gegenstand des Vertrags; insoweit als sie den Gegenstand bilden, begründen sie die Verfügungsbefugnis. 191 S. Suárez, De gratia, Prol. I, Cap. 3 N. 5 im Hinblick auf Thomas’ „liberum arbitrium esse facultatem voluntatis & rationis“ („libertatem potentiae consistere in dominio sui actus, dominium autem est facultas utendi, & non utendi, seu faciendi & non faciendi“). 192 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 3 N. 73 ff. 193 Vgl. die ausführliche Diskussion der verschiedenen Positionen bei Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 40 ff., 56 ff., 64 f., 66 ff. (zu Lessius/Molina, Lugo, Thomas/Aristoteles, Franciscus Amicus); ferner Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. II N. 13 ff. 194 S. Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 ff.; ferner Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 84 („Neque haec definitio re ipsa differt ab illa, quam in materia de Incarnatione dedimus dicentes, obligationem iustitiae esse obligationem institutam in favorem, & gratiam alterius ad usum aliquem liberum ipsius“) mit dem Verweis auf De Incarnatione.

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beeinflusst ist.195 Den Aufschlag macht Lugo: Recht ist eine moralische Vorrangbeziehung (praelatio moralis) einer Person zu einem Gegenstand.196 Beim Recht geht es um das „Mein & Dein“, d.h. um eine moralische Zuordnung (ordinatio) eines Gegenstands zu einer Person, aufgrund derer dem Rechtsinhaber die Nutzung des Gegenstands im Umfang der Berechtigung zugewiesen wird.197 Kraft dieser moralischen Vorrangbeziehung ist der Rechtsinhaber gegenüber allen anderen rechtlich geschützt.198 Das Recht „besteht“ (consistit) in der moralischen Beziehung, deren Verletzung ist Unrecht.199 Rechtserwerb setzt einen Erwerbsgrund voraus, der die moralische Beziehung konstituiert.200 Es besteht die Pflicht, dieses Recht nicht zu verletzen. Die Rechtsverletzung verpflichtet zur Restitution.201 4.1.3.2

Das Recht als Verpflichtungs- und Willensmacht bei Sforza Pallavicino Demgegenüber versteht Sforza Pallavicino unter dem (subjektiven) Recht eine moralische Verpflichtungsmacht (potestas obligandi).202 Diese berechtigt den Rechtsinhaber, den Willen anderer zu verpflichten.203 Durch Ausübung der Willensmacht, die dem Rechtsinhaber durch das Recht zusteht, werden andere Personen verpflichtet.204 Das Recht ist danach auf den Willen anderer bezogen, sein Gegenstand ist die Verpflichtung des Willens eines anderen durch 195 S. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 ff.; Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 85. 196 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 („ius quod respicitur a iustitia commutativa, & ponitur in eius definitione, esse praelationem quandam moralem, qua hic homo praefertur moraliter aliis in usu talis rei propter peculiarem connexionem, quam res habet cum illo“); zum Begriff des Moralischen bei Lugo s. ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 1 N. 7, 9, 18 f.; Disp. II Sec. 4 N. 72 ff.; Sec. 5 N. 95, 97; Disp. XXVI Sec. 11 N. 144. 197 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 6 („[…] sed praelationem, qua in usu talis rei debet hic homo preferri aliis; quia propter peculiarem connexionem, quam haec habet cum ipso, tota debet ad eius utilitatem referri, & ordinari; quae ordinatio potissimum significatur quando aliquid dicitur meum, vel tuum“). 198 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 f.; ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 f. 199 Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 („Ex hac autem praelatione, in qua consistit illud ius“). 200 S. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 18; ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42, 49, 50. 201 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; ferner Disp. VIII Sec. 2 N. 17 („Duplex videtur esse praeceptum iustitiae saltem secundum apparentiam. Primum non inferendi iniuriam. Secundum, si illata fuit, reparandi, & resarciendi illam, quod fit per restitutionem“). 202 Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. II N.  16 („potestatem obligandi alterum ad aliquam actionem, vel omissionem, per voluntatem ipsius habentis ius“), 26. 203 Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. II N. 26. 204 Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. II N. 16, 26.

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den (Verpflichtungs-)Willen (voluntas obligatoria) des Rechtsinhabers.205 Unrecht ist eine Handlung gegen oder ohne den Willen desjenigen, in dessen „moralischer Macht“ diese steht.206 4.1.3.3 Das Recht als Zwangsbefugnis bei Amicus Einen konstruktiv anderen Zugang wählt Franciscus Amicus, der ihn durchaus als Kontrapunkt erscheinen lässt und ihm die explizite Kritik bei Antonio Pérez207 zuteil werden lässt. Recht im eigentlichen Sinne ist danach eine Zwangsbefugnis.208 Rechtspflicht (debitum perfectum & legale) meint – in Abgrenzung von der nur moralischen Pflicht (debitum morale) – die kraft Gesetz erzwingbare Verpflichtung.209 4.1.3.4 Das Recht als Abgrenzung von Freiheitsräumen bei Pérez Antonio Pérez lehnt hingegen die vorangegangenen Positionen nach eingehender Erörterung ab.210 Ausgangspunkt seiner Begriffsbestimmung ist die Überlegung, dass Rechtsgüter immer Freiheitsgüter sind.211 Daher ist Gegenstand des Rechts nichts anderes als die Abgrenzung von Freiheitsräumen.212 205 Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. II N. 16, 23, 26. 206 Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. III N. 27. 207 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 66 („non semper in habente requiritur iustitia coactiva, & compulsiva“; in Umschreibung der Aufassung von Amicus: „debitum legale, scilicet tale, quod non sit mere honestatis & mere morale; sed det creditori actionem, & potestatem compellendi debitorem ad solutionem“). 208 Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec.  1 N.  10 („est enim debitum legale, ad quod solvendum lege cogi potest debitor; qui ad debitum morale in sola honestate virtutis fundatum, solvendum, lege cogi non potest“); N.  19 („ius alteri debitum, aut debito perfecto & legali; ad quod solvendum debitor lege cogi potest; aut debito imperfecto & morali fundato in honestate & decentia virtutis, ad quod solvendum debitor lege cogi nequit“). 209 Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 1 N. 6 ff., 17 ff.; Sec. 5 N. 72; N. 89 („debitum quod exigit perfecta iustitia, est debitum exactum, & rigorosum fundatum in activo iure exigendi creditoris, & non in sola honestate virtutis, & passiva exigentia creditoris. […] duplex distinguit debitum, legale & morale: illud, quod & perfectum est, & fundatur in activo iure exigendi creditoris, constituit objectum perfectae iustitiae, hoc, quia imperfectum est, & fundatur in sola honestate virtutis, & passiva duntaxat exigentia creditoris; constituit objectum iustitiae imperfectae“); N. 92 („Concludo, ius simpliciter esse, quod formaliter dicit perfectam iurium alteritatem, exactam aequalitatem secundum rem debitam debito legali, fundato in iure activo exigendi, & non in sola honestate virtutis, & passiva dumtaxat exigentia creditoris“). 210 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 40 ff., 56 ff., 64 f., 66 ff. 211 Zur Begründung s. Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 3 N. 73 f. 212 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap.  4 N.  84 („Dico itaque, obligationem Iustitiae stricte dictae sic posse definiri: Est obligatio conscientiae continendi se intra terminos

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Recht bedeutet danach, dass „die Freiheit eines jeden einzelnen nicht durch die Freiheit des anderen beeinträchtigt wird“, d.h. dass niemand von der Ausübung seiner Freiheit innerhalb der durch das Recht gesetzten Grenzen213 abgehalten wird und niemand die durch das Recht gesetzten Grenzen seiner Freiheit überschreitet.214 Unrecht bedeutet, die durch das Recht gesetzten Grenzen der eigenen Freiheit zu überschreiten und die Freiheit anderer zu verletzen.215 Rechtspflicht ist die Pflicht, die Freiheitsrechte anderer nicht zu verletzen.216 Jeder hat ein Recht darauf, den anderen von der Verletzung seiner Freiheitsrechte abzuhalten.217 Verletzung fremder Freiheitsräume, d.h. Rechtsverletzung ist Verletzung der Würde der verletzten Person.218

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propriae libertatis, & non invadendi terminos iuridice designatos libertati, & prudentiae alienae. […] Neque haec definitio re ipsa differt ab illa, quam in materia de Incarnatione dedimus dicentes, obligationem iustitiae esse obligationem institutam in favorem, & gratiam alterius ad usum aliquem liberum ipsius. Nam ibi explicantes, & defendentes hanc definitionem diximus, obligationem iustitiae nihil esse aliud, quam obligationem servandi illaesa libertatis iura.“). Zu der Bestimmung dieser Grenzen näher Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 5 N. 87 ff. Die juridischen Grenzen (termini designati; designatio iuridica) ergeben sich nach Pérez aus drei Quellen: aus gesetzlicher Setzung (legitima constituta ex legislatoribus, & ab administratoribus Reipublicae per leges positivas), aus privater Setzung, d.h. Vertrag (constituta per pacta & contractus) sowie aus der Natur der Sache (ex rerum natura). Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap.  4 N.  85 („ius obiectivum est ipsa libertas unius cuiusque non impedita per alienam libertatem ab usu actionum suarum, sive permisso intra terminos iuridice designatos“); ferner Disp. II Cap.  2 N.  21; Cap.  3 N.  40 („iustitia particularis praefert bonum libertatis alienae, seu aequalitatem, quae est bonum commune inaequalitati faventi propriae libertati operantis; & respondenti huic legi, quod tibi non vis fieri in materia libertatis alteri ne feceris“). Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 86. Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 84. Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 85 (zum ius stricte dictum, seu iuridicum, wobei zwischen ius potestativum, ius formale, seu actuale und ius obiectivum unterschieden wird: „ius potestativum est potestas libera agendi intra terminos suae libertati, & prudentiae monasticae designatos, & impediendi aliis illorum terminorum invasionem“; ius formale demgegenüber als „vel ipsa designatio terminorum vel ipsa voluntas utendi tali potestate, vel actus prudentiae monasticae insinuatus alteri, & praescribens ipsi, ne sua electione impediat exequutionem voluntatis habentis ius potestativum“ – danach ist Recht im formalen Sinne entweder die Bestimmung der Grenzen der Freiheit; der Wille, von der Rechtsmacht Gebrauch zu machen oder die Bestimmung, dass die Willensmacht des Rechtsinhabers nicht gestört wird). S. Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 2 N. 54 („Dico ergo omnem iniuriam sive factam Deo, sive factam homini aut Angelis afferre malum contemptivum dignitatis patientis iniuriam. […] Patet ergo manifeste, omnes iniurias convenire in ratione mali contemptivi contemptu contrario aestimationi verae, quae debetur dignitati cuiusque“); ferner Disp. II Cap. 2 N. 22 („Ad ius polyticum non sufficit distinctio voluntatum physica, sed etiam moralis quatenus ita habentur pro distinctis ut unaquaeque habeat vim obligandi

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An dieser Diskussion um die richtige Bestimmung des Rechtsbegriffs zeigen sich deutlich die Einflüsse der Freiheitsmetaphysiktradition: Weil sich diese über die Begriffe Person, Freiheit, Wille und Würde konstituiert, kann sich ein entsprechender Rechtsbegriff auch nur daraus ergeben. Der Rechtsbegriff wird somit entweder über die Person, die Freiheit, den Willen oder die Würde bestimmt. Vor diesem Hintergrund wird begreiflich, wieso Suárez Recht als moralische Befugnis, Sforza Pallavicino als Verpflichtungs- und Willensmacht, Antonio Pérez als Abgrenzung von Freiheitssphären und Lugo als personale Zuordnung von Gütern definiert.219 Gerade diese Begriffsbestimmungen werden für die Entwicklung des modernen Privatrechtsbegriffs von besonderer Bedeutung sein.220 Wenn Kant später den Begriff der facultas moralis aufgreift221, den Gegenstand des Rechts als Abgrenzung von Freiheitssphären222 und das Privatrecht als „äußeres Mein & Dein“ umschreibt223, dann zeigen sich deutliche Spuren der Freiheitsmetaphysiktradition.224

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alteram, seu dignitatem, ad quam attendere altera debeat, ne propria utatur libertate cum praeiudicio alienae“ – die Würde des anderen ist also zu achten, sodass die eigene Freiheit nicht zum Schaden der Freiheit anderer ausgeübt wird). Diese Rechtsbegriffe (Recht als rechtliche Befugnis, Willensmacht, Freiheitssphäre oder personale Zuordnung von Gütern) erscheinen später auch in den Diskussionen des 19. Jahrhunderts, dazu näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 185 ff. (auch zu den Gründen für diese Parallelen). Dazu näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 106 ff., 153 ff., 185 ff. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, IV. Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten, AA VI, 222: „Erlaubt ist eine Handlung (licitum), die der Verbindlichkeit nicht entgegen ist; und diese Freiheit, die durch keinen entgegengesetzten Imperativ eingeschränkt wird, heißt die Befugniß ( facultas moralis)“. So gemeinhin die Umschreibung von Kants Position, s. dazu Auer, Der privatrechtliche Diskurs,  S.  26 („formal-gegenseitigen Begrenzung der individuellen Freiheitssphären durch die Freiheiten aller anderen“) sowie Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B., AA VI, 230 f. („Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“; „[…] daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze bestehen könne“). Kant, Die Metaphysik der Sitten, Der allgemeinen Rechtslehre Erster Theil, AA VI, 245 („Das Privatrecht vom äußeren Mein und Dein überhaupt“); Erstes Hauptstück, § 5, AA VI, 248 f. („Das äußere Meine ist dasjenige außer mir, an dessen mir beliebigen Gebrauch mich zu hindern Läsion (Abbruch an meiner Freiheit, die mit der Freiheit von Jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann) sein würde“). Dazu näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 153 ff.

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Naturrecht und Naturrechte: Eigentum, Freiheit und die Unveränderlichkeit des Naturrechts In Zusammenhang mit dem dominium wird bei den Spätscholastikern noch eine weitere Frage virulent, nämlich jene nach der Veränderlichkeit des Naturrechts.225 Eigentlich ist das Naturrecht zeitlich und räumlich universal und damit unveränderlich226; folgt daraus nun auch, dass die Naturrechte unveränderlich und nicht beschränkbar sind? Insbesondere die Begründung des Privateigentums stellte die naturrechtliche Argumentation im Anschluss an diverse Diskussionen des Mittelalters vor Herausforderungen, da anknüpfend an Isidor von Sevilla227 nach naturrechtlicher Vorstellung ursprünglich Gemeineigentum aller geherrscht hat.228 Wird aber das Privateigentum (divisio dominiorum; divisio rerum) nicht naturrechtlich, sondern durch positives menschliches Recht229 bzw. Völkerrecht230 begründet, so scheinen die Unveränderlichkeit und Universalität des Naturrechts aufgehoben.231 Suárez versucht dieses Problem durch eine Unterscheidung zwischen den Geboten des Naturrechts (praecepta – ius naturale praeceptivum) und dem Regelungsgegenstand des Naturrechts (materia), auf den die Gebote bezogen sind, zu lösen.232 Dieser Unterscheidung ordnet Suárez nun die beiden 4.1.4

225 Zur Unveränderlichkeit des Naturrechts auch Recknagel, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 197 ff. 226 Dazu oben bereits S. 201 f. 227 S. Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215, 219 f. m.Nw. 228 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 2, 12 ff.; dazu auch Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 66,2 resp., ad prim.; zu dieser Diskussion Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 112 ff.; ders., in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S.  215, 219 ff.; ders., in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 235, 241 ff. Ferner zu den theologischen Diskussionen des 13. Jahrhunderts Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 145 ss. 229 So Vitoria, CommSTh, II–II, q. 62,1 N.  18 ff.; s.a. Seelmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 235, 242; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 354; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XLI ff. 230 So etwa entsprechend Ockham und Duns Scotus Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 20 N. 6 (insoweit aber auch ius humanum); dazu Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  95 ff., 102 ff.; Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 213 ff.; ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 5 Dub. 2 N. 2 ff.; Dub. 3 N. 9. Zudem auch bereits das römische Recht, dazu Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 135 ss. 231 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  14 N.  2, 12 ff.; zu dieser Diskussion auch Seelmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 235, 241 ff. 232 S. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 7, 19; dazu auch Recknagel, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 197, 199 ff. Eine ähnliche Unterscheidung zwischen Form und Materie des Naturgesetzes im Zusammenhang mit der Unveränderlichkeit findet sich bei Gabriel Vázquez, s. Galparsoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, S. 159 ff. Zuvor unterscheidet Suárez bereits zwischen dem

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verschiedenen Rechtsbegriffe zu, einerseits ius im Sinne von Gesetz (lex), andererseits ius im Sinne der moralischen Fähigkeit ( facultas moralis).233 Insoweit unterscheidet er zwischen Naturrecht im Sinne eines Gebotes des Naturgesetzes (ius naturale praeceptivum) und Naturrechten im Sinne einer Herrschaftsbefugnis (ius naturale dominativum).234 Der Begriff des ius naturale dominativum wird damit dem dominium als dem umfassenden subjektiven Rechtsbegriff zugeordnet.235 gebietenden Naturrecht und den Regelungen des Naturrechts, die eine Erlaubnis enthalten (ius naturale permissivum), d.h. entweder etwas – negativ – nicht verbieten oder etwas – positiv – zugestehen; dazu Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  14 N.  6; zu dieser Unterscheidung auch Recknagel, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 197, 203 ff. Hiermit knüpft er wohl an die Argumentation des Kanonisten Rufinus an, vgl. Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  66, 139, der das Naturrecht in Gebote, Verbote und demonstrationes eingeteilt hat. 233 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16, 19; dazu auch Bach, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S.  233, 252 f.; Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  305 ss.; vgl. auch Recknagel, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S.  197, 203 f., der betont, dass das ius naturale dominativum nicht mit ius naturale permissivum gleichgesetzt werden könne, da nämlich das ius naturale permissivum Gegenbegriff zum ius naturale praeceptivum sei. Ius naturale praeceptivum bzw. permissivum und ius naturale dominativum beziehen sich nämlich auf verschiedene Rechtsbegriffe, einerseits Recht im Sinne von Gesetz, andererseits Recht im Sinne von Herrschafts- bzw. Freiheitsrecht. S.a. Westerman, The Disintegration of Natural Law Theory, p. 112 ss., 118. S.  ferner  Suárez, Operis de Religione, Pars II Lib. VIII Cap.  5 N.  4 zur Definition des dominium als ius bzw. facultas moralis („principale ius disponendi de re aliqua in quemcunque usum lege non prohibitum; his enim verbis recte explicatur moralis illa facultas, quam dominus habere censetur circa rem suam, omnis enim talis facultas ius appellatur“); dazu auch Faraco, in: Zehetner (Hrsg.), Menschenrechte und Metaphysik, S. 105, 108 f. 234 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16; vgl. dazu auch Recknagel, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 197 ff., 208 ff. 235 Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16; s.a. Westerman, The Disintegration of Natural Law Theory, p.  112 s. Hier zeigt sich eine wesentliche Neuerung: Naturrechte im Sinne subjektiver bzw. individueller Rechte werden begrifflich unterschieden vom objektiven normativen Naturrecht (vgl. Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter [Hrsg.], Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  135, 150 ff.). Suárez zieht hier in gewisser Weise die Konsequenz, die sich aus der Erweiterung des ius-Begriffs ergeben hat. Damit ergibt sich ein doppelter Naturrechtsbegriff. Zum einen ein solcher, aus dem sich Gebote und daraus folgend Verpflichtungen ergeben – in dieser Hinsicht wird das Naturrecht zur Grundlage eines Obligationenrechts. Zum anderen ein solcher, aus dem sich Rechte ergeben – in dieser Hinsicht ist das Naturrecht ein subjektives und individuelles Recht des Menschen, das diesem von Natur aus zusteht (vgl. Bach, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 233, 252 ff.; Walther, in: Walther/ Brieskorn/Waechter [Hrsg.], Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  135, 150 ff.). Auch Hobbes oder Locke werden später zwischen Naturgesetz (law of nature) und Naturrechten

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Nach Suárez kann sich nur der Regelungsgegenstand des Naturrechts (materia) ändern, und mit ihm auch die Verpflichtungen durch die Naturgesetze, die sich auf den Regelungsgegenstand beziehen, hingegen grundsätzlich nicht die Gebote der Naturgesetze (praecepta) selbst.236 Folglich sind nur die Gebote des Naturrechts unveränderlich und können durch menschliche Regelungen nicht aufgehoben werden. Anders ist es hingegen hinsichtlich des Gegenstands (materia) des Naturrechts, d.h. der Naturrechte im Sinne der Herrschaftsbefugnis (ius naturale dominativum).237 So ist das ursprüngliche Gemeineigentum nicht geboten im Sinne eines positiven Gebots bzw. das Privateigentum nicht verboten im Sinne eines negativen Gebotes.238 Folglich steht jedem von Natur aus die Nutzung am Gemeineigentum als individuelles Recht239 zu.240 Dieses Gemeineigentum aller kann indes geteilt werden (divisio rerum) und zu Privateigentum einzelner umgewandelt werden.241 Ist aber einmal das Privateigentum begründet worden, dann folgt aus dem gebietenden Naturrecht, dass die Wegnahme (Diebstahl) oder die sonstige unrechtmäßige Aneignung verboten ist.242 Ebenso steht nach dem Naturrecht jedem Menschen ein intrinsisches Freiheitsrecht zu (intrinsecum ius libertatis), da die Menschen von Natur aus frei sind – Freiheit wird hier explizit als Recht (dominium libertatis) begriffen.243

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(natural rights) unterscheiden und damit in gewisser Hinsicht eine Unterscheidung von gebietendem Naturrecht und Naturrechten vornehmen; zu Locke vgl. Specht, in: Smid/ Fehl (Hrsg.), FS Pawlowski, S.  217, 220 ff.; s. z.B.  Locke, Two Treatises of government, Preface; Treatise I, §§ 17, 50, 89; Treatise II, §§ 1, 7 s., 45; vgl. auch zum Einfluss des ius naturale dominativum auf Grotius Ertz, Vertrag und Gesetz, S. 40 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 8 ff., 11 f. Mit diesem doppelten Begriff des Naturrechts knüpft Suárez in gewisser Weise wieder auch bei Thomas an (Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  14 N.  14). Denn Thomas operiert bei der Frage der Unveränderlichkeit des Naturrechts angesichts des ursprünglichen Gemeineigentums mit einer Unterscheidung von positivem und negativem Naturrecht, wobei Letzteres einen bloßen Naturzustand meint, vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,5 ad tert.; II–II, q. 66,1 resp.; q. 66,2 ad prim.; dazu Scattola, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  303, 320; Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215, 220. Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 13, 14, 16. So auch bereits Vitoria, s. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 354; Deckers, Gerechtigkeit und Recht, S. 166 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16. Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16 f.; dazu auch bereits bei Vitoria Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XLI ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 17. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16, 18; dazu auch Bach, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 233, 252 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 386 („Die Grundlage für ein Menschenrechtsdenken,

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Dieses Freiheitsrecht könnte eigentlich nach derselben Logik wie beim Privateigentum eingeschränkt oder verändert werden.244 Allerdings stellt sich hier in besonderer Weise ein Problem für Suárez, da beim Privateigentum die Teilung um der Freiheit willen vorgenommen wurde, bei der Freiheit hingegen diese gerade aufgehoben wird.245 Nach Suárez kann daher die Aufhebung der Freiheit nur unter bestimmten Voraussetzungen naturrechtlich zulässig sein.246 Entweder dann, wenn jemand selbst willentlich über seine Freiheit verfügt.247 Gerade weil die Freiheit als ius naturale dominativum ein subjektives Recht ist und „der Mensch Eigentümer seiner Freiheit (dominus suae libertatis) ist“248, kann er auch darüber verfügen.249 Oder dann, wenn „der Staat durch die Hoheitsmacht, über die er verfügt, um die Menschen zu regieren, aus gerechtem Grund (ex iusta causa), bspw. als Strafe, die Freiheit“ aufhebt.250 Insofern gibt es nach Suárez auch kein negatives Gebot des Naturrechts, das die Aufhebung der Freiheit schlechthin verbietet – hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu Locke, der später von der Unveräußerlichkeit der Freiheit ausgehen wird.251 4.1.5 Rechte als Grenzen der Rechtsetzung Was zunächst eine abstrakte Naturrechtsdiskussion zu sein scheint, hat konkrete rechtliche Folgen für die Frage, ob Rechte aufgehoben werden können und welche Grenzen dem Handeln des Staates gesetzt sind. Nach Suárez gilt nämlich, dass den Menschen von Natur aus bestimmte Rechte positiv verliehen sind, wie die Freiheit oder sonstige bürgerliche Rechte.252 Diese Rechte können aber verändert werden, da sie „in den einzelnen Personen entweder vom Willen (a sua voluntate) der Person selbst oder vom Staat (a republica) abhängig“ sind.253 Hinsichtlich des Staates gilt, dass die Naturrechte insoweit verändert werden können, als es „für die angemessene Regierung

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das von der Freiheit des Menschen ausgeht, ist hierin bereits gelegt“); s.a. zu Fernando Vázquez Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 122 f., der sich insoweit bereits gegen die gegenteilige Ansicht von Aristoteles („Sklave von Natur“) und auch Soto gewendet hat. Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 18. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 18. Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 18. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 18 f. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 18. Vgl. Bach, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 233, 253 f. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 18. Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 16, 18; zu Locke unten noch S. 329 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 19. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 19.

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notwendig ist“ (ad debitam gubernationem necessarium est).254 D.h. in Naturrechte kann nur dann eingegriffen werden, wenn entweder der Inhaber selbst willentlich darüber verfügt oder wenn das Gemeinwesen aus gerechtem Grund zur Erfüllung seiner Ziele und unter Ausübung der politischen Gewalt hierin eingreift.255 Hier zeigt sich der Bezug zur Begründung politischer Gewalt des Gemeinwesens, die Suárez ebenfalls für rechtfertigungsbedürftig hält.256 Die Naturrechte sind damit nicht grundsätzlich unveränderlich, allerdings kann in diese nur durch die politische Gewalt eingegriffen werden, und dann aus gerechtem Grund. Hieraus folgt, dass staatliche Eingriffe in Naturrechte rechtfertigungsbedürftig und ihnen Grenzen gesetzt sind.257 Die subjektiven Rechte des Einzelnen werden so zu Grenzen der Rechtsetzung.258 Der Rechtsgüterschutz ist nicht auf die Beziehung zwischen Privaten begrenzt, sondern richtet sich auch gegen den Staat und staatliche Eingriffe.259 Auch Molina betont, dass der Eingriff in Rechte eines legitimen Grundes (legitima causa) bedürfe, andernfalls sei er Unrecht.260 Weil die Rechte an Leben, Eigentum und sonstigen äußeren Gütern den Menschen selbst, hingegen nicht dem Staat zugewiesen sind, begeht dieser Unrecht, wenn er in sie ohne legitimen Grund eingreift.261 Eine ähnliche Argumentation findet sich zuvor auch bei Fernando Vázquez im Hinblick auf Eingriffe in das dominium.262 Wie gezeigt, steht bei den 254 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 19. 255 S. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 19 („leges civiles posse ex iusta causa mutare vel transferre iura dominandi“). 256 Dazu unten noch S. 502 ff. Hierin artikuliert sich freilich ein Unterschied insbesondere zu Locke: Während Suárez sowohl den Willen als auch den Staat als Gründe für eine Einschränkung der Rechte ansieht, ist dies bei Locke nur noch der Wille – Grund ist, dass bei Locke auch die politische Gewalt ganz aus dem Willen des Menschen hervorgeht; s. dazu unten S. 524 ff. 257 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 39 ff. 258 So Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291 ff. (zu Molina); Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 57 ff. 259 S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  39 f.; ferner bereits Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 66,8 ad tert. zur Restitutionspflicht des Gemeinwesens bei ungerechtfertigter Wegnahme von Gütern. 260 Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 298; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 1; zum Rechtsbegriff bei Molina s. oben bereits S. 133 ff. 261 S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 25 N. 1 (die Eingriffe sind nicht nur bei vorangegangener Schuld zur Strafe [non solum in poenam culpae], sondern auch sonst für das Gemeinwohl (commune bonum) zulässig); Tract. III Disp.  1 N.  8; Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 302 f. 262 Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 132 ff. sowie Fernando Vázquez, Controversiarum, Lib. I Cap. 1 N. 6 ff.

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Spätscholastikern fest, dass bei Verletzung des dominium durch Private eine Restitutionsverpflichtung entsteht.263 Fernando Vázquez diskutiert nun ähnlich wie Suárez und Molina, ob auch dem staatlichen Eingriff in das dominium Grenzen gesetzt sind.264 Zuvor hatte bereits Ockham argumentiert, dass niemandem ein Recht „ohne Schuld und vernünftigen Grund gegen seinen Willen“ weggenommen werden darf (nullus aut sine culpa et absque causa rationabili debet suo iure privari invitus).265 In Anküpfung an die mittelalterliche legistische (Bartolus, Baldus) und kanonistische Diskussion vertritt Fernando Vázquez, dass ein Entzug des dominium „ohne Grund“266 (auferri sine causa) nicht zulässig sei; hierbei legt er aber einen wesentlich weiteren dominium-Begriff267 als die mittelalterliche Rechtswissenschaft zugrunde, da er dominium als umfassendes Freiheitsrecht identifiziert, und dehnt damit den Schutz gegen hoheitliche Eingriffe auf sämtliche subjektiven Rechtspositionen aus.268 Der Entzug mit Grund (aufferri cum causa) ist naturrechtlich nur dann zulässig, wenn der Grund in einem öffentlichen Nutzen (publica utilitas) besteht und auch eine Entschädigung (recompensatio vel renumeratio) bezahlt wird.269 Ebenso kann in den Gebrauch des dominium nur dann rechtmäßig eingegriffen werden (rei nostrae liberum usum impedire), wenn das Gesetz oder der Einzelakt nützlich (utilis) ist und sich innerhalb der dem Staat übertragenen Ziele und Grenzen hält, d.h. Streitigkeiten beizulegen und für Frieden in der Gesellschaft zu sorgen (ad huiusce modi discordias sedendas & ad tranquillitatem humanae vitae & societatis)270.271 Hoheitliche Eingriffe in jegliche Rechte des Einzelnen sind damit rechtfertigungsbedürftig; umgekehrt 263 Vgl. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 132; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 36 ff. 264 Dazu Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 132 ff.; ders., in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 50 ff.; s.a. Brett, Liberty, rights and nature, p. 176 ss. 265 S. Ockham, Opus nonaginta dierum, Cap. LXI, p. 140; Robinson, William of Ockham’s Early Theory of Property Rights in Context, p. 213 m.Nw.; ferner auch Ockham, III Dialogus II i, c. 29 (in: Miethke, Dialogus, S. 155). 266 S. hierzu aber auch Seelmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 51 (ohne Begründungspflicht). 267 Dazu zuvor bereits S. 283 ff.; Seelmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 43, 53. 268 Seelmann, Die Lehre vom dominium, S. 141 ff.; ders., in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215, 219; s. Fernando Vázquez, Controversiarum, Lib. I Cap. 1 N. 7 ff., 9 ff. 269 Seelmann, Die Lehre vom dominium, S.  146 ff.; s. Fernando Vázquez, Controversiarum, Lib. I Cap. 1 N. 32. 270 Zu diesem Staatszweck s. Seelmann, Die Lehre vom dominium, S.  140 sowie Fernando Vázquez, Controversiarum illustrium, Lib. I Cap. 4 N. 3. 271 Seelmann, Die Lehre vom dominium, S.  137 ff.; Fernando Vázquez, Controversiarum illustrium, Lib. I Cap. 17 N. 3.

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findet die durch die Rechte der Einzelnen vermittelte Rechtsmacht in den Gesetzen des Gemeinwesens ihre Grenze.272 4.1.6 Rechte als Grenzen der politischen Gewalt und Widerstandsrecht Damit verbunden ist die Frage, was geschieht, wenn durch den Staat in Naturrechte auf unzulässige Weise eingegriffen wird, d.h. wenn die politische Gewalt die ihr gesetzten Grenzen überschreitet.273 Handelt der Herrscher gegen das Naturrecht und verletzt er die elementaren Naturrechte der Menschen, ohne dass eine Absetzung oder gerichtliche Verurteilung des Herrschers möglich ist, so wird von den Spätscholastikern im Anschluss an Thomas274 ein Widerstandsrecht gegen den „Tyrannen“275 zugestanden.276 Begründet wird dies mit dem naturrechtlich hergeleiteten Selbstverteidigungsrecht.277 Diskutiert wird dabei, wem und aus welchem Grund dieses Widerstandsrecht zusteht, d.h. ob Private dieses Widerstandsrecht nur zur Verteidigung ihrer eigenen Rechte oder ob sie es auch für das gesamte Volk – selbst ohne öffentliche Legitimierung – ausüben können.278

272 Vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 2 N. 9. 273 Dazu Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4 N. 4 ff.; vgl. Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 302 ff.; Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 57 ff., 61 ff. 274 S. Städtler, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 61 ff. zum Widerstandsrecht bereits bei Thomas. 275 Bei den Tyrannen wird wiederum differenziert zwischen dem Usurpator, der ohne Rechtstitel die Herrschaft erlangt hat, und dem Despoten, der seine ursprünglich rechtmäßige Herrschaft in eine Tyrannis überführt, s. dazu Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 161, 166 f. m. Nw. 276 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 392; Walther, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  161 ff.; Delgado, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S.  309, 326 ff.; Dierse, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 269 ff.; Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 61 ff.; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 572 ff.; Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 177 s.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 132 ff. S.a. Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4 N. 5 ff.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 4 N. 7 ff.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  23 N.  10; Tract. III Disp.  6 N.  2; zu Bellarmin Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 241 ff. 277 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 392; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 566 ff., 572 ff. 278 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 392 f.; Walther, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 161, 167 f.; Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 64 f.

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Kapitel 4

Wenngleich hier einiges umstritten ist, zeigen sich bestimmte gemeinsame Positionen. Eine einzelne Person hat danach keine private Befugnis, den Tyrannen „zu bestrafen“, da die Befugnis zur Bestrafung nur dem Gemeinwesen zukommt – hier zeigt sich die hoheitliche Begründung der Strafbefugnis.279 Zur Verteidigung eigener Rechte, d.h. zumindest bei Verteidigung des eigenen Lebens und der körperlichen Unversehrtheit steht dem Einzelnen hingegen ein Widerstandsrecht zu.280 Der Einzelne hat nämlich ein größtes „Recht, sein Leben zu schützen“ (ius tuendae vitae est maximum).281 4.1.7 Rechte und Vertrag Neben dem dominium gewinnen weiterhin Verträge für die Begründung von Rechten eine wesentliche Bedeutung, da vertragliche Rechte als Folge der Willensmacht einer Person begründet werden.282 Im Anschluss an die Versprechenslehre von Thomas283 versteht etwa Lessius, woran sich Grotius später orientieren wird284, den Vertrag bzw. das Versprechen als etwas, worin durch eine Verpflichtung des Einen Rechte des Anderen begründet werden: „Denn versprechen meint nicht so sehr zusichern, dass man etwas geben oder tun wird, sondern viel eher sich einem anderen gegenüber verpflichten, und das heißt folglich, dem anderen ein Recht zur Ausübung zuweisen“ (Quia promettere non tantum est affirmare se daturum vel facturum, sed ulterius est se obligare alteri,

279 Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4 N. 4; s.a. Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 161, 169. S. zur hoheitlichen Strafbefugnis unten noch S. 455 ff. sowie S. 464 ff. 280 Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4 N. 5; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 6 N. 2; s.a. Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 161, 167 f.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 134; Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 65. 281 Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4 N. 5; dazu auch Tierney, The Idea of Natural Rights, p.  314; zur Frage, ob ein Widerstandsrecht zur Verteidigung des Gemeinwesens wegen des Gemeinwohls besteht, s. Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4 N. 6. In diesem Fall ist aber umstritten, wann und wem dieses Widerstandsrecht zukommt und wer darüber urteilt, ob ein Widerstandsrecht gegeben ist, vgl. Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4 N. 6 ff.; dazu auch Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 161, 168 f. 282 Dazu insbesondere Hartung, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 239, 244 ff.; vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 164 ss., 167 ss.; ferner zum Zusammenhang von dominium und Vertrag Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLIV ff. 283 Hartung, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 239, 246. 284 Dazu auch Hartung, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  239, 251; Decock, Theologians and Contract Law, p. 210 s.

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et consequenter ius illi tribuere ad exigendum).285 Der Vertrag erzeugt so bei dem einen Teil eine Verpflichtung. Der andere Teil erhält hierdurch ein Recht. Ziel des Vertrages ist die Schaffung von Recht und Verpflichtung. Der Vertrag als Ausdruck willentlichen Handelns und damit auch als Folge der (Willens-) Freiheit wird somit als Instrument der subjektiven Rechtsbegründung verstanden286 – darauf wird später noch näher einzugehen sein287. Bei Lessius taucht in diesem Zusammenhang auch die bereits angesprochene Vorstellung der Korrelation von Recht (ius) und Verpflichtung (debitum; obligatio) auf; dem Recht des einen steht die Pflicht des anderen Teils notwendig gegenüber.288 Es gibt somit nicht nur Rechte, die den Menschen von Natur aus zustehen, sondern auch Rechte infolge von Verträgen. Grund hierfür ist wiederum die naturrechtliche Verpflichtungswirkung von Verträgen, welche ebenfalls aus der Freiheit und dem freien Willen des Menschen folgt.289 Ebenso wie das dominium Folge der Willensmacht des Menschen und seiner Herrschaft über sich selbst ist, gilt dies gleichermaßen für Verträge.290 Damit werden auch hier die Willensmacht und der freie Wille des Menschen zum eigentlichen Grund der Rechtsbegründung. Dieser Aspekt der Rechtsbegründung durch Vertrag zeigt sich im Übrigen auch bei der Entstehung des Privateigentums, das bei den Spätscholastikern oftmals mit einem Vertrag (pactum bzw. consensus omnium)291 begründet wurde, welcher das Privateigentum als menschliches Recht entstehen lässt. Damit ist auch das Privateigentum durch die Willensmacht der Menschen eingerichtet worden.292

285 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52; Decock, Theologians and Contract Law, p. 200. 286 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 164 ss., 167 ss. 287 S. dazu noch unten S. 320 ff. 288 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7. 289 S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 4 N. 19; Cap. 18 Dub. 1 N. 6; Dub. 5 N. 33; Dub. 8 N. 52, 55 sowie unten noch S. 365 ff.; vgl. Hartung, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  239, 245 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p.  167 ss.; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XLV. 290 S. Decock, Theologians and Contract Law, p. 166 ss., 169 s. zur Parallele von Vertrag und Eigentum mit Verweis auf Oñate, De Contractibus, Tract. 9 Disp. 29 Sec. 6 N. 74. 291 S. insoweit umfassend zu Vitoria Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 167 ff., 176 ff., 184 ff. 292 Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXVIII ff., XLIV f.; Hartung, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 239, 247 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 354; Seelmann, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 215, 224; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 5 Dub. 3 N. 9 (commune hominum iudicium, & Gentium consensus).

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Kapitel 4

4.1.8 Sklaverei und Rechte der Sklaven In Zusammenhang mit der Frage nach subjektiven Rechten werden bei den Spätscholastikern auch die Zulässigkeit der Sklaverei und der rechtliche Status von Sklaven diskutiert. Auch wenn die Sklaverei von den Spätscholastikern als Institution grundsätzlich nicht für naturrechtswidrig gehalten wird, ergeben sich doch zwei Änderungen, einerseits im Hinblick auf die Begründung und andererseits vor allem im Hinblick auf die Rechtsstellung von Sklaven.293 Hintergrund der Diskussionen ist zum einen das römische Recht, zum anderen Aristoteles. Im römischen Recht ist hinsichtlich des Rechts der Personen „die oberste Einteilung“ diejenige, „dass alle Menschen entweder frei oder Sklaven sind“.294 Freiheit ist dabei „die natürliche Fähigkeit, das zu tun, was einem gefällt, wenn es nicht durch Gewalt oder Recht verboten ist“.295 Auch wenn die Menschen von Natur aus frei sind, wird die Sklaverei für eine zulässige „Einrichtung des Völkerrechts“ gehalten, „durch die jemand fremdem Eigentum entgegen der Natur unterworfen wird“.296 Sklaven sind dabei rechtsunfähig und stehen im Eigentum ihres Herrn.297 Tötung und Verletzung von Sklaven durch ihren „Herrn“ werden zunächst nur eingeschränkt sanktioniert, erst in der Kaiserzeit wird etwa die grundlose Tötung bestraft und es bildet sich ein gewisser rechtlicher Schutz für die Sklaven heraus.298 Zunächst wird bei den Spätscholastikern in Anschluss an Duns Scotus299 die Begründung der Sklavenschaft gegenüber Aristoteles eingeengt. Naturrecht-

293 Zu Molina Kaufmann, in Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 305 ff.; ders., in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p.  183 ss.; zu Soto und Vitoria Tellkamp, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 155, 158 ff.; zu Covarruvias Scattola, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 303, 305 ff. 294 C.I.C. Inst. I,3. 295 C.I.C. Inst. I,3,1; dazu auch Weigand, Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten, S.  64. Deutlich zeigt sich hier, dass im römischen Recht ein anderer Freiheitsbegriff zugrunde liegt. Freiheit meint nicht Willensfreiheit im Sinne der Nichtdetermination, Indifferenz und Selbstbestimmung, sondern Freiheit ist der Gegenbegriff zur Sklavenstellung; s. Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 63 Fn. 184 m.Nw. 296 C.I.C.  Inst. I,3,2; dazu auch Scattola, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 303, 313 f.; Weigand, Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten, S. 65 f. 297 Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht,  § 32 I.2.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 15 Rn. 5; Schulze, Die Naturalobligation, S. 61. 298 Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht,  § 32 I.2.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 15 Rn.  6; s. auch zu diesem Thema bei den humanistischen Juristen des 16. Jhd. Bergfeld, Franciscus Connanus, S. 154 ff. (zu Connanus). 299 Duns Scotus, Ord. IV Dist. 36 q. 1 N. 2; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 291 f.

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licher Ausgangspunkt ist, dass alle Menschen von Natur aus frei und gleich300 sind, und daher die Aufhebung der Freiheit durch positives Recht der Rechtfertigung bedarf, weil andernfalls dieses positive Recht naturrechtswidrig und ungerecht ist.301 Die Begründung der Sklavenstellung ist so zum einen auf die Strafe für eine Straftat durch die politische Gewalt302 bzw. die Gefangennahme in einem „gerechten Krieg“ beschränkt (durch ius gentium)303, da die Sklaverei als milderes Mittel gegenüber der andernfalls drohenden Tötung der Gefangenen aufgefasst wird.304 Zum anderen wird die freiwillige Eingehung durch Veräußerung seiner Freiheit für zulässig gehalten, zumindest bei Bestehen eines gerechten Grundes bzw. einer Notlage.305 Wesentliche Folge hiervon ist, dass der „Sklave von Natur“, den es bei Aristoteles gab306, rechtlich aufgehoben wird.307 „Niemand ist also von Natur aus Sklave im eigentlichen Sinn“, vielmehr ist jeder von Natur aus frei, da es im Naturzustand keine Sklaverei gibt.308 Wie gezeigt, spielte dieser Gedanke in der Diskussion um

300 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 9 N. 54 f. („quia omnes homines naturae conditione sunt pares“); Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 7 N. 105 f. („omnes homines aequales sunt“). 301 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  292; s.a. Suárez, Lib. III Cap.  1 N.  1; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp.  4 N.  9; Scattola, in: Kaufmann/ Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 303, 312 ff.; Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 305 f. 302 S. etwa Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 14 N. 18; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp. 4 N. 9; Tract. II Disp. 38 N. 2. 303 Dazu auch Tellkamp, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 155, 166 ff. 304 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp. 4 N. 9; Tract. II Disp. 32 N. 3; Disp. 38 N. 2; Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  205, 218; Scattola, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 303, 321 ff.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 195 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 5 Dub. 4 N. 12. 305 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 33 N. 14 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 5 Dub. 4 N. 15 ff.; zu Molina auch Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 219 f.; ders., in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 306. S. ferner zu den einzelnen Titeln, die die Sklavenstellung begründen Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 5 Dub. 4 N. 12 ff. (Kriegsrecht [Ius belli]; Geburt als Kind einer Sklavin [nativitas]; Strafe aufgrund gerechter Verurteilung [poena; iusta condemnatio]; [Selbst-] Verkauf). 306 Hierzu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 111 ff. 307 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 32 N. 1; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 9 N. 54; Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 305 f.; ders., in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 218 (zu Molina); Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 106, 174 ff.; zur „natürlichen Sklaverei“ bei Soto Tellkamp, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 155, 162 ff. 308 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 9 N. 54.

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Kapitel 4

die Rechtsstellung der indigenen Bevölkerung in Amerika eine wesentliche Rolle.309 Zweitens wird die Rechtsstellung von Sklaven in Anknüpfung an Thomas gegenüber Aristoteles und dem römischen Recht verändert.310 Nach Aristoteles soll die Beziehung zwischen „Herrn“ und Sklaven ebenso wie die zwischen Vater und Kind nicht den Anforderungen der Gerechtigkeit und daher auch nicht dem Recht der Polis unterliegen, da Sklave und Kind in gewisser Weise Eigentum bzw. ein Teil von sich selbst seien und zu sich selbst kein Verhältnis der Gerechtigkeit bestehen könne.311 Demgegenüber heißt es bei Lessius anknüpfend an Thomas312, dass der Sklave nicht nur Sklave, sondern auch Mensch ist, und dass er, insofern er Mensch und „in vielen Belangen frei“ ist, auch Rechte hat und in diesen Rechten (Leben, Körper) geschützt werden muss: „si tamen spectentur ut sunt homines distincti & in multis rebus liberi, suique iuris, diversa iura habentes, sic potest inter eos esse Iniuria & Iustitia. […] nam in vita membrisque tuendis & conservandis non subest domino, sed sui iuris“.313

Auch Sklaven sind insoweit „eigenen Rechts“ (sui iuris) und in bestimmtem Umfang rechtsfähig (capaces iuris & dominii).314 Die durch positives Recht 309 S. dazu oben S. 298 ff. Die Frage nach der Dispositionsfreiheit über die eigene Freiheit wird schließlich bei Locke relevant, der davon ausgeht, dass man nicht zur Disposition über die eigene Freiheit berechtigt sei, und damit die Unveräußerlichkeit der Freiheit begründet; dazu auch Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 306; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 396. 310 Hierzu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 253 f. 311 Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1134b; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 111 f., 120. 312 Thomas, STh, II–II, q. 57,4 resp., ad sec.; dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 253 f. 313 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 6. Lessius parallelisiert hier im Anschluss an Thomas (Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,4 resp.) die Beziehung zwischen dominus und Sklaven mit derjenigen zwischen Vater und Sohn. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn unterliege zum einen der pietas, zum anderen aber auch der Gerechtigkeit, nämlich insoweit sie verschiedene Personen sind, die jeweils über verschiedene Rechte verfügen („Potest tamen inter ipsos esse debitum Iustitiae quatenus sunt distinctae personae habentes distincta iura & dominia“). S. ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 4 N. 13 f., 15 f., 17 zur Frage, ob Sklaven auch dominium an Sachen haben können; zwar haben sie im Ausgangspunkt kein dominium perfectum, wohl aber ein dominium imperfectum, wobei Lessius auf andere Autoren verweist, nach denen Sklaven auch dominium verum & perfectum haben können (N. 17); s. nämlich Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 38 N. 5 (verum dominium). 314 S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 6; Cap. 4 Dub. 4 N. 15, 17: Das Gesetz darf Sklaven nicht als gänzlich rechts- bzw. eigentumsunfähig behandeln („non tamen idcirco fecerunt servos incapaces omnis iuris & dominii; lex non potest servos ita reddere

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eingeführte Stellung als Sklave ändert nichts am Menschsein und kann damit auch nicht die Rechtsfähigkeit gänzlich aufheben, weil deren Fundament die jedem Menschen zukommende Willensfreiheit ist.315 Die Rechtsbeziehung incapaces“). Auch wenn sie kein vollkommenes dominium an Sachen haben, sind sie „dennoch rechtsfähig und haben auch ein unvollkommenes dominium, aufgrund dessen sie ihre Sachen aus eigener Autorität nutzen und ohne Zustimmung des Herrn veräußern können“ („servi vero sunt capaces, & praeterea habent aliquod dominium imperfectum, ratione cuius possunt sua authoritate rebus suis frui & uti, easque alienare absque domini consensu“). Grund ist zum einen, dass es „keinen legitimen Grund hierfür gab“ (eine solche Rechtsunfähigkeit sei insoweit auch wegen keines Deliktes verhängt worden); zum anderen, dass „es schlichtweg nicht der menschlichen Schwäche angemessen ist, dass gegen den eigenen Willen eine solche Last auferlegt wird“ („tum quia nulla causa legitima suberat; (unde ob nullum delictum talis incapacitas hactenus est inflicta) tum quia non est consentanum humanae imbecillitati ut tale onus imponatur invito“). Zu Rechten der Sklaven s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 3 N. 12 f.: Die Rechte, die den Sklaven zustehen (Leben, Gesundheit etc.; „ius ut non spolietur rebus suis invitus“), sind freilich die Rechte, die unveräußerlich sind, d.h. die nicht der Disposition des Menschen unterliegen („in quibus iure nostro cedere non possumus“). Hier zeigt sich deutlich die Vorstellung von (Natur-)Rechten, die jedem Menschen von Natur aus zustehen und unveräußerlich sind. 315 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1; s. insbesondere dazu (im Hinblick auf Molina) Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 155 f., 213 ff. S. ferner Suárez, Quaestiones de Iustitia et Iure, Quaestio Sexta Decima, S. 77 („nulli sunt, qui non sunt capaces ut iniuriae, ita iuris et dominii; et patet ex ipsa natura animi“; „Nullus hominum iure aliquo divino est incapax dominii absolute et simpliciter“), S. 85 („Humano iure aut voluntate aliquis fieri potest incapax dominii. Est certa. Quia cum dominia pendeant ex humano iure, ex rationabili causa potest eodem iure statui, ut tales vel tales personae non possent acquirere dominium“): Nach Naturrecht ist jeder Mensch rechts- und eigentumsfähig. Allerdings kann bei Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes aufgrund menschlichen Rechts oder Willens jemand eigentumsunfähig (incapax dominii) sein; als Beispiele nennt Suárez Ordensleute und Sklaven. Allerdings differenziert Suárez hier ebenso wie Lessius und Molina: keine dieser Personengruppen ist insgesamt rechtsunfähig. Bei Ordensleuten folge die Eigentumslosigkeit aus ihrem Armutsgelübde, d.h. aus ihrem Willen (ex humana voluntata) – im Hintergrund steht hier freilich der franziskanische Armutsstreit und die Auseinandersetzung, ob sie aufgrund ihres Ordens- und Armutsgelübdes (votum paupertatis) tatsächlich kein Eigentum haben. Die Eigentumsunfähigkeit könne eintreten, weil das (Privat-)Eigentum an Sachen selbst eine Schaffung des menschlichen Rechts sei (dominium quasi civile humano more introductum). Entsprechend könne sich diese Eigentumsunfähigkeit aber auch nur auf das durch positives menschliches Recht eingeführte Eigentum an Sachen und äußeren Gütern (in rebus et fortunis externis), dagegen nicht auf das natürliche dominium (dominium quasi naturalis) beziehen, wie etwa das dominium an seiner Ehre oder der Freiheit. Ebenso sind auch die Sklaven „nicht insgesamt rechtsunfähig“ (non sunt omnino incapaces), was Suárez an anderer (nicht veröffentlichter Stelle) erläutern will – die Begründung dürfte ähnlich wie bei Lessius ausfallen. Was folgt also daraus? Naturrechtlich ist jeder Mensch rechtsfähig (auch Sklaven und Ordensleute). Durch menschliches Recht oder den eigenen Willen kann diese Rechtsfähigkeit eingeschränkt, aber nicht aufgehoben werden.

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zwischen dominus und servus ist folglich nicht rechtsfrei, sondern unterliegt insoweit den Anforderungen der Gerechtigkeit, als bestimmte Handlungen gegen Sklaven, etwa Verletzung und Tötung, Unrecht sind, da sie die Rechte der Sklaven verletzen.316 Auch nach Molina haben Sklaven, weil sie Menschen sind (qua homines ac proximi sunt), bestimmte Rechte (Leben, Gesundheit, Körper, geistliches Wohl; vita, valetudo, membra, salus spiritualis; ferner Eigentum an bestimmten Sachen).317 Bei Verletzung dieser Rechte ist der Schädiger zur Restitution verpflichtet (restitutio damnorum) und muss für das begangene Unrecht „durch die öffentlichen Autoritäten bestraft werden“ (punirique debent a potestatibus publicis).318 Weil sie Menschen sind (qua homo)319, können Sklaven auch Vor diesem Hintergrund der Vorlesungen von Suárez erklärt sich auch die Behandlung der religiosi bei Lessius. Im Gegensatz zu Sklaven sollen sie nach Lessius tatsächlich eigentumsunfähig (incapaces dominii) sein (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 4 N. 17; Dub. 5 N. 21). Dabei sind aber zwei Faktoren relevant: erstens liegt diesem Verzicht ein Willensakt zugrunde, nämlich das Gelübde (votum; s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 5 N. 22; ferner Cap. 41 Dub. 8 N. 67 ff., 70 ff.). Zweitens bezieht sich diese Eigentumslosigkeit nur auf das Eigentum an zeitlichen Dingen (dominium rerum temporalium), dagegen nicht etwa auf geistliche Rechte und Güter (dominium iurium & bonorum spiritualium) (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 5 N. 21, 26). Die Ordensleute sind also nicht insgesamt rechtsunfähig, sondern verfügen als Einzelpersonen (anders aber die Gemeinschaft, d.h. die Kongregation, der das Eigentum zukommt; s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 5 N. 19) infolge ihres frei gewählten Eigentumsverzichts über kein Eigentum an zeitlichen Sachen. 316 S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 6. 317 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  38 N.  3 f.; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 2 N. 19; Sec. 3 N. 43 f. Zwar spricht Molina nicht unmittelbar davon, dass Sklaven Rechte (iura) haben, wohl aber nennt er die Rechtsgüter und sagt, dass den Sklaven insoweit Unrecht (inuria) geschehen kann, was die Kehrseite des Rechts ist (s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 1 N. 1 f.; Tract. II Disp. 18 N. 1) und dass durch dieses Unrecht Restitutionspflichten ausgelöst werden, was seinerseits Rechte voraussetzt; ferner haben Sklaven dominium verum an Sachen in bestimmten Konstellationen (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 38 N. 5); dazu auch Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 308; ders., in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 224; ders., in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 183, 218 ss.; Haar/Simmermacher, Jahrbuch für Recht und Ethik 22 (2014), 445, 478 ff. 318 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  38 N.  3; s.a. Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 308; vgl. auch später Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 5 N. 28 zur Frage der Bestrafung bei der Tötung von Sklaven. S. ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 4 N. 17 mit Verweis auf Molina, wonach den Sklaven wirkliches Unrecht geschehen könne, das zur Restitution verpflichte (vera iniuria obligans ad restitutionem). 319 Das qua homo wird hier zum maßgeblichen Begriff (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 38 N. 5): Weil der Sklave Mensch ist, kann er Verträge schließen und Eigentum erwerben („inter dominum & servum, non qua servus est, sed qua homo, cui accedit ut sit

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Verträge eingehen (contrahere possunt) und heiraten. Dies dürfe ihnen nicht verboten werden, da „das, was jedem durch das Naturrecht erlaubt ist, auch nicht durch das Völkerrecht verboten oder gehindert werden darf“ (quod cuique iure naturali licet, neque gentium iure tolli aut impediri potuit).320 Hierin liegt eine Änderung zum römischen Recht321 ebenso wie zu Aristoteles. Dies ist freilich Folge der willensmetaphysischen Begründung des dominium sowie der Rechtsfähigkeit: Weil Fundament des dominium Vernunft und Willensfreiheit sind, die jedem Menschen zukommen, ist auch jeder Mensch rechtsfähig, wenngleich der Kreis der dem Einzelnen zukommenden Rechte durch positives Recht eingeschränkt werden kann.322 Jeder Mensch hat aufgrund seines Menschseins durch das Naturrecht323 bestimmte Rechte, durch die er naturrechtlich geschützt ist und die ihm nicht weggenommen werden dürfen324, und jede Beziehung zwischen Menschen unterliegt in

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servus, esse potest contractus“); wenn Schadensersatz geleistet wird, dann ist der Sklave, „weil er Mensch ist“, Eigentümer des Erlangten („Quia enim restituuntur pro iniuria sibi ipsi facta, qua homo est, & quoad ea, quae domino non subiacent, vere comparat illorum dominium“). D.h. weil er Mensch ist, kann er wirkliches Eigentum (verum dominium) erwerben. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 38 N. 4 f.; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 2 N. 22 ff.; dazu auch Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 308. Hier zeigt sich nochmals, dass Molina die Fähigkeit Verträge zu schließen und die Ehe einzugehen als Recht versteht; diese Fähigkeit steht den Menschen wiederum aufgrund ihrer Willensfreiheit zu; dazu bereits oben S.  305 f. S.a. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp.  3 Sec.  1 N.  7: Vater und Sohn, Herr und Sklave können ebenso wie alle Personen Verträge schließen, weil sie unterschiedliche Personen sind und separate Willen haben („inter patrem & filium, inter dominum & servum […], & universim inter omnes personas, quae sola iuris fictione sunt una, & eadem (cum naturaliter & vere sunt plures) contractus posse constare […]; quia distinctio personarum & voluntatum est vera“); s. ferner Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 7 N. 105 f.: Weil alle Menschen gleich sind („omnes homines aequales sunt“), sind von Sklaven geschlossene Verträge nach Naturrecht – im Gegensatz zum ius civile – wirksam und verpflichten im Gewissensforum („quoad obligationem naturalem, & forum conscientiae, omnes homines aequales sunt […]; sunt ergo contractus servorum nulli quoad obligationem civilem; sed validi quoad obligationem naturalem“). S. Kaufmann, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 183, 220; zum römischen Recht s. etwa Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 32 I.2.; Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 15 Rn. 5. Vgl. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 152 ff., 155 f., 213 ff. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 38 N. 3 f. Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 38 N. 5; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. III Sec. 2 N. 19 („Certum ergo est, servum retinere ius ad vitam, ad membra, ad famam item suam, & alia similia, atque ideo in iis pati posse veram, & propriam iniuriam, non solum ab aliis, sed etiam a domino, quia in iis non consideratur ut servus, sed ut homo“).

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bestimmter Hinsicht den Anforderungen des Rechts und der Gerechtigkeit.325 Darin zeigt sich noch ein weiterer Aspekt, der bereits durch Thomas angelegt wurde326: Alle Beziehungen zwischen Menschen sowie zwischen Mensch und Gemeinwesen können dem Recht und der Gerechtigkeit unterliegen, es gibt damit keine rechtlosen Beziehungen. Auch die Beziehung zwischen Vater und Sohn hat nach Thomas und den Spätscholastikern vergleichbar der Beziehung zwischen dominus und servus doppelten Charakter, nämlich einmal insoweit der Sohn Sohn ist, und einmal soweit Vater und Sohn Menschen, d.h. unterschiedliche Personen sind.327 4.1.9 Zusammenfassung Es sind folglich ganz unterschiedliche Fragen, Kontexte und Auseinandersetzungen, die in der Theologie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zur Herausbildung einer neuen Idee geführt haben, und zwar jener Idee, dass jeder Mensch, „weil er Mensch ist“, rechtsfähig ist und von Natur aus bestimmte Rechte hat, nämlich Freiheitsrechte, Rechte auf Leben und Gesundheit, Rechte auf Ehrschutz, Eigentumsrechte und Rechte aus Verträgen. Entscheidende Bedeutung kommt hier dem freien Willen des Menschen und seiner Fähigkeit zur freien Selbstbestimmung zu, die zum Fundament dieser Rechte werden. Aufbauend auf dieser Idee der Rechte, deren Fundament die (Willens-)Freiheit des Menschen ist, wird die Naturrechtsordnung entwickelt, worauf in den Folgenden Abschnitten einzugehen sein wird. Diese so begründeten Rechte werden durch das Naturrecht geschützt. Bei Verletzung der Rechte durch 325 Sind die Rechte qua homo bei Molina bereits Grund- oder Menschenrechte? Nach Simmermacher ist dies nicht der Fall, sie liefern nur einen „Rohbau“ einer Theorie von Menschen- bzw. Grundrechten (s. Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 213 ff., 216 ff.). Simmermacher begründet dies damit, dass die Sklaven bei Molina zwar Rechte haben, d.h. es gibt Elementarrechte für jemanden, der „grundsätzlich als Träger von Rechten anerkannt ist“; ihnen kommt aber ein „sensibler Sonderstatus zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt“ zu. Denn Sklaven können selbst nicht vor Gericht gegen den dominus klagen (s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 38 N. 3) und ihre Rechte gerichtlich durchsetzen, worin aber ein wesentliches Begriffsmerkmal subjektiver Rechte bzw. der Menschenrechte liegt (aaO, S. 36, 214, 217). S. ferner Kaufmann, in: Bunge (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 307 ff. („Es scheint hier eines der ersten Male in der abendländischen Geschichte von einem Recht als Mensch die Rede zu sein. […] Es lässt sich somit festhalten, dass Luis de Molina bereits viele Bestandteile der späteren Diskussion um subjektive Rechte und Menschenrechte nutzt“); Haar/Simmermacher, Jahrbuch für Recht und Ethik 22 (2014), 445, 480 f. 326 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,4 resp., ad sec.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 253 f. 327 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 57,4 resp., ad sec.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 1 Dub. 1 N. 6.

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Private hat der Einzelne aufgrund der ausgleichenden Gerechtigkeit ein Recht auf Restitution gegen den Schädiger. Wenn aber nicht ein Privater, sondern der Staat in diese Rechte auf unzulässige Weise eingreift und gerichtlicher Rechtsschutz nicht erreicht werden kann, dann hat der einzelne ein Widerstandsrecht zur Verteidigung seiner Rechte. Die Naturrechtslehre der Neuzeit wird diese Idee aufgreifen und fortsetzen, und über diese Entwicklung werden die Naturrechte auch zu einer Grundlage der Menschenrechte.328 4.1.10 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen Die Idee, dass Menschen als Menschen (Natur-)Rechte haben, d.h. Rechte an ihrem Leben, ihrer Gesundheit, ihrem Ruf und ihrer Ehre oder an Sachen, wird so auch in der neuzeitlichen Naturrechtslehre aufgegriffen und fortgesetzt.329 Es wurde bereits auf die Beeinflussung der Rechtskonzeption und der Naturrechte bei Grotius durch die Spätscholastik eingegangen.330 John Locke, dessen Werk die amerikanische Verfassung und Menschenrechtserklärungen des 18. Jahrhunderts beeinflusste331, wird ebenso an diese naturrechtliche Tradition anknüpfen.332 Locke entfaltet seine Theorie 328 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 386, 396 ff.; s.a. Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 34 ff.; Hafner/Loretan/Spenlé, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 123 ff., 145; Deckers, Gerechtigkeit und Recht, S. 153 ff., ferner S.  148, wonach die „Wurzeln der für die europäische Neuzeit charakteristischen Menschenrechtsvorstellung in der Annahme zu suchen sind, daß der Mensch qua Individuum Träger natürlicher subjektiver Rechte ist“; Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 148; Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 315 („Suarez did not present an ordered or extensive list of natural or civil rights. He did not construct a complete modern theory of rights and the state. But in various ways – through his definition of a right as a moral faculty, and through his arguments that political societies were formed by the volition of free individuals, and that a right to liberty and an inalienable right of self-defense persisted after a government was instituted – the Spanish master helped to establish the substructure on which later theories of rights would be built“), 316 ss. 329 Vgl. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 316 ss.; Haratsch, Die Geschichte der Menschenrechte, S. 31 ff., 38 ff. 330 S. dazu oben S. 235 ff.; vgl. zum Einfluss auf Grotius auch Ertz, Vertrag und Gesetz, S. 38 ff., 78 ff. S. ferner z.B. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 17 N. 2 („Natura homini suum est vita, non quidem ad perdendum, sed ad custodiendum, corpus, membra, fama, honor, actiones propriae“). 331 S.  etwa  Huyler, Locke in America, p.  209 ss., 251 ss. (bspw. p.  262 zu Madison und dessen property- und dominion-Begriff, der deutliche Bezüge zur Tradition aufweist); s.a. Haratsch, Die Geschichte der Menschenrechte, S. 41 ff.; König, Zur Begründung der Menschenrechte, S. 117 ff. (auch generell zur Theorie Lockes). 332 Dazu Tully, A Discourse on Property, p. 66 ss. (auch mit dem Hinweis [p. 68], dass Locke seine Theorie als Gegenentwurf zu Robert Filmer entwickelt, der wiederum gegen Suárez argumentiert hatte); vgl. auch von Leyden, Essays on the Law of Nature, p.  36 s., 51 ss.;

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von dem Ausgangspunkt, dass von Natur aus alle Menschen frei und gleich sind.333 Gleichwohl bedeutet dies nach Locke nicht, dass sie an kein Gesetz gebunden wären; vielmehr gilt auch im Naturzustand das natürliche Gesetz (law of nature), das den Menschen zur Selbsterhaltung verpflichtet und verbietet, andere Menschen „hinsichtlich Leben, Gesundheit, Freiheit oder Besitz zu verletzen“, weil alle Menschen Teil der Schöpfung sind ( for men being all the workmanship of one omnipotent, and infinitely wise maker).334 Bei Locke sind daher zunächst das Selbsterhaltungsgebot und -recht des Menschen (a right to their preservation) wesentlich.335 Weiter findet sich bei Locke eine ausführliche Herleitung des (Privat-)Eigentums und ausschließlicher Rechte des Einzelnen – Lockes Zentralbegriff ist dabei property („Eigentum“).336 Ausgangspunkt ist, dass Gott die Welt den Menschen gemeinsam gegeben habe (God, who hath given the world to men in common), weshalb niemand ursprünglich ausschließliches privates Eigentum (private dominion) hieran habe.337 Allerdings hat Gott den Menschen „auch die Vernunft (reason) gegeben“, um von der Welt zu ihren Zwecken „Gebrauch zu machen“.338 Entscheidend ist der Gedanke, dass, „auch wenn die Welt […]

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Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 158 s., 163, 165, 174 ss.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 163 ff.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 52 ff., 57 ff.; s.a. Specht, in: Smid/Fehl (Hrsg.), FS Pawlowski, S. 217, 220 ff., 226 (zum Einfluss von Thomas und der Spätscholastik auf Lockes Naturrechtslehre); Sims Kuiper, in: Maryks/Senent de Frutos (eds.), Francisco Suárez (1548–1617), p. 439 ss. (zum Verhältnis von Locke und Suárez); Doyle, Collected Studies, p. 333; Allegra, in: Faraco/Langella (ed.), Francisco Suárez 1617–2017, p. 281 ss. Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 4. Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 6, wobei dieses Gesetz die Vernunft sei (reason, which is that law). S. Tully, A Discourse on Property, p. 62 s., woraus das naturrechtliche Widerstandsrecht gegen willkürliche Rechtsverletzungen sowie das Naturrecht an den zur Selbsterhaltung erforderlichen Dingen folgen; vgl. Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 6, 11, 13, 23, 25, 87, 135. Die Argumentation, aus der Selbsterhaltungspflicht des Menschen (anknüpfend an Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 94,2 resp.) Naturrechte des Menschen auf die Sachen, die seiner Selbsterhaltung dienen, herzuleiten, begegnet freilich schon im franziskanischen Armutsstreit sowie in den mittelalterlichen Diskussionen (s.a. Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 322 – mit dem Hinweis, dass die Anerkennung einer Selbsterhaltungspflicht und damit korrespondierend eines Selbsterhaltungsrechts auf Selbstverteidigung sowie auf die lebensnotwendigen Dinge keine Neuheit bei Grotius sei), s. dazu oben S.  287 sowie Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights, p.  18 s.; s. ferner auch Brett, Liberty, Right and Nature, p.  112 s., 116 ss. (zur Verbindung von der natürlichen Selbsterhaltungspflicht und dem Naturrecht auf Selbsterhaltung bei Cajetan und Almain). Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 25 ss.; dazu auch Tully, A Discourse on Property, p. 63 s., 124 ss. Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 26. Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 26.

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allen Menschen gemeinsam gehört, jeder Mensch“ „Herr über sich selbst“ (master of himself) ist und damit „Eigentum an seiner Person“, an seinen Handlungen sowie an seiner Arbeit hat (every man has a property in his own person; proprietor of his own person, and the actions or labour of it), worin das Fundament des Eigentums (the great foundation of property) liege.339 Darin, dass der Mensch als rationales Wesen „Herr“ über sich selbst ist und damit „Eigentum“ an seiner Person und an seinen Handlungen hat, liegt nach Locke die Begründung des Eigentums bzw. ausschließlicher Rechte des Menschen.340 Wesentlich für das Personsein des Menschen, in offensichtlicher Ähnlichkeit zur thomistischen Tradition341, ist wiederum, dass der Mensch als freier und verstandesbegabter Handelnder ( free and intelligent agent) über Freiheit (liberty) und einen freien Willen (arbitrary will)342 verfügt und deshalb auch über seine Person, seine Handlungen und sein Eigentum bestimmen kann.343 Grund der Freiheit des Menschen ist daher die Vernunftbegabung des Menschen.344 Die Herleitung von property und ausschließlicher Rechte des Menschen aus der Anthropologie und Personalität des Menschen, d.h. aus der Herrschaft bzw. 339 Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 27, 44 („though the things of nature are given in common, yet man, by being master of himself, and proprietor of his own person, and the actions or labour of it, had still in himself the great foundation of property“); vgl. auch Tully, A Discourse on Property, p. 104 ss., 111 ss. (zur Herleitung von Eigentum an Dingen aus dem Eigentum an seiner Person und seinen Handlungen und zur Ähnlichkeit dieses Ansatzes mit Suárez); Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 57; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1 („fundamentum omnis dominii est intellectus & libera voluntas, quae soli naturae rationali insunt. Quod probatur. […] immediate habet potestatem in suos actus; & per suos actus in res externas“ – auch nach Lessius liegt das Fundament des Eigentums in der vernunftbegabten Natur selbst, nämlich darin, dass diese über Verstand und einen freien Willen verfügt. Und „durch Verstand und freien Willen“ hat der Mensch „Herrschaft über seine Handlungen“, und durch seine Handlungen auch „über die äußeren Dingen“). 340 So Tully, A Discourse on Property, p. 105, 108 ss.; s.a. Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 57; vgl. Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 44; s. ferner Treatise I § 30 („God makes him in his own image, after his own likeness; makes him an intellectual creature and so capable of dominion“ – hier knüpft Locke also auch an die Gottesebenbildlichkeit an; dazu auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 1 N. 1 im vorliegenden Kontext). 341 So auch Tully, A Discourse on Property, p. 111; s. etwa Thomas v. Aquin, STh, I, q. 29,1 resp.; s. aber auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 171 f. 342 S. aber auch zum Willensverständnis bei Locke Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Sp. 778. 343 Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 57 (zum Zusammenhang von law und liberty: „where there is no law, there is no freedom“), 27; Tully, A Discourse on Property, p. 106. 344 Locke, Two Treatises of government, Treatise II  § 63 („The freedom then of man, and liberty of acting according to his own will, is grounded on his having reason“).

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dem „Eigentum“ (dominium) des Menschen an seinen Handlungen weist Ähnlichkeiten zur scholastischen Tradition auf.345 Locke versteht dabei property entsprechend dem spätscholastischen dominium in einem weiten Sinn, sodass auch andere Rechte wie die Freiheit oder das Leben346 (property, that is his life, liberty and estate) unter diesen Begriff fallen.347 Ebenso wie in der Spätscholastik begründen also die Personalität des Menschen und die aus der Vernunft des Menschen folgende Fähigkeit zur Selbstbestimmung subjektive Rechte der Einzelnen. Aus den Rechten an sich selbst und der Herrschaft über sich selbst werden die Rechte und das Eigentum an den äußeren Dingen hergeleitet.348 Bei Locke folgt so das Privateigentum an Sachen konkret daraus, dass sie Resultat menschlicher Arbeit (labour gave a right of property) sind, an welcher der Mensch wiederum Eigentum hat.349 345 S. dazu Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 56 ff., 60; vgl. Tully, A Discourse on Property, p. 111 ss. (allerdings nur unter Analyse von Suárez); Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 181. 346 Allerdings geht Locke, auch hier offenbar der scholastischen Tradition folgend, davon aus, dass der Mensch keine Macht über sein Leben habe (man not having the power of his own life; s. Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 23, 6), d.h. dass nur der Gebrauch am Leben dem Menschen „gehört“, dass im Übrigen aber das Leben Eigentum Gottes ist; nur hinsichtlich des Gebrauchs fällt das Leben unter die property, s.a. Tully, A Discourse on Property, p. 114. 347 Locke, Two Treatises of government, Treatise II  §§ 87, 123 („lives, liberties and estates, which I call by the general name, property“); s.a. König, Zur Begründung der Menschenrechte, S. 153, 158 (property auch als Oberbegriff); Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 25 Fn. 65 („Lockes Eigentumsbegriff entspricht damit der Sache nach dem weiten Verständnis von dominium unter Einschluss von libertas, das in der Spätscholastik von Vázquez de Menchaca entwickelt wurde“); Tully, A Discourse on Property, p. 111 ss., 113. Property ist insoweit eine bestimmte Art eines Rechts, es ist also ebenso wie in der thomistischen Tradition ein (subjektives) Recht, s. Tully, A Discourse on Property, p. 61, 115 s. 348 S. zu dieser Parallele bei Locke zur Scholastik Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 57 ff., 60. 349 Auch wenn zu Beginn der Herleitung ebenso wie bei den Spätscholastikern die Herrschaft des Menschen über sich und damit eine spezifische Anthropologie steht, begründet Locke das Privateigentum in der weiteren Herleitung nicht wie die Spätscholastiker mit einem Vertrag (divisio rerum), sondern mit dem „Eigentum“ des Menschen an seiner Arbeit, s. Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 25 ss., 44, 45 (dort aber auch zum Vertrag: „by compact and agreement, settled the property which labour and industry began“); s.a. Tully, A Discourse on Property, p. 116 ss.; König, Zur Begründung der Menschenrechte, S. 152 ff.; Schermaier, ZRG RA 134 (2017), 49, 52 ff., 57 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 181. Hierzu auch die Diskussion über die Kontinuität zwischen Spätscholastik und Locke bei Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S.  XVII, XLIII (Fn. 109), XLV; Sims Kuiper, in: Maryks/Senent de Frutos (eds.), Francisco Suárez (1548– 1617), p. 439 ss.; Damler, Wildes Recht, S. 11 ff., 17 ff., 39 ff. (zur Unterschiedlichkeit der spätscholastischen Vertragskonstruktion und Lockes Aneignungsakts bei der Begründung des Privateigentums vor dem kolonialen Hintergrund); Auer, Der privatrechtliche Diskurs der

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Darüber hinausgehend finden sich bei Locke jedoch zwei ganz wesentliche Neuerungen hinsichtlich der Naturrechte. So lehnt er ab, dass über die Freiheit willentlich verfügt werden könne; die Freiheit ist der Verfügbarkeit des Einzelnen entzogen, und wird so zu einem unveräußerlichen Recht, sodass die willentlich eingegangene Sklaverei unzulässig ist.350 Denn nach Locke bedeutet die natürliche Freiheit die Freiheit von jeglicher höheren Gewalt; der politischen Gewalt ist man nur aufgrund der Zustimmung hierzu unterworfen.351 Niemand könne aber jemand anderem mehr Rechte übertragen, als er selbst hat.352 Weil diese Freiheit „mit der Selbsterhaltung (preservation) verbunden ist“ und weil ferner niemand „Gewalt über sein eigenes Leben“ und damit auch nicht das Recht hat, sich selbst das Leben zu nehmen, darf man sich auch nicht durch Vertrag „selbst versklaven und unter die willkürliche vollständige Macht eines anderen begeben“.353 Daher darf auch die staatliche Gesetzgebung, die nicht über mehr Rechte verfügen kann, als die Menschen im Naturzustand hatten und übertragen konnten, nicht willkürlich in die Rechte der Menschen eingreifen354 – der staatlichen Macht sind so durch die Rechte der Einzelnen Grenzen gesetzt. Ferner setzt sich Locke neben anderen Frühaufklärern für religiöse Toleranz ein, der Gedanke der Religionsfreiheit bricht sich hier Bahn.355

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Moderne, S. 25 Fn. 65. Vgl. ferner auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 11 N. 59, der den Gedanken des dominium-Erwerbs aus der eigenen Tätigkeit hinsichtlich der eigenen Ehre anwendet, die man sich selbst erwerbe ebenso wie andere äußere Sachen und deshalb dominium hieran habe („homo famam & honorem […] sibi acquirit & auget, sicut res ceteras“); s. ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 4 Dub. 8 N. 52 f. (zum Aneignungsrecht, über das der Mensch von Natur aus verfüge). Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 22 ss., 135; s.a. Tully, A Discourse on Property, p. 114; Sims Kuiper, in: Maryks/Senent de Frutos (eds.), Francisco Suárez (1548– 1617), p. 439, 462 ss. (insoweit zum Unterschied zu Suárez); dies im Gegensatz auch zu Grotius, der ebenso wie die Spätscholastiker die Freiheit für veräußerlich hält, s. Recknagel, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S.  399, 411 ff. Gleichzeitig folgt Locke der scholastischen Tradition in der Unveräußerlichkeit des Lebens, s. Tully, A Discourse on Property, p. 114. Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 22, 23. Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 23, 135. Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 23; Locke begründet damit die Unveräußerlichkeit der Freiheit mit der Unveräußerlichkeit des Lebens („for a man, not having the power of his own life, cannot, by compact, or his own consent, enslave himself to any one“). Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 135. Umfassend zur religiösen Toleranz bei Locke Marshall, John Locke, Toleration and Early Enlightenment Culture, p.  9 ss., 35 ss., 51 ss., 540 ss.; ferner auch Tierney, The Idea of Natural Rights, p. 345; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 176 ff.; zur Frage der Religionsfreiheit in der Spätscholastik etwa Delgado, in: Kaufmann/Schnepf

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Bei Wolff schließlich gibt das natürliche Gesetz dem Menschen, „weil er Mensch ist“ (quatenus homo est), ein „Recht356 auf das, ohne das er einer naturrechtlichen Verpflichtung nicht entsprechen kann“; damit hat der Mensch etwa ein Recht an dem, was zur Erfüllung seiner Pflicht zur Selbsterhaltung notwendig ist.357 Rechte wie dieses aus der Pflicht zur Selbsterhaltung resultierende Recht sind dabei absolute Rechte (Jus absolutum), die „dem Menschen als solchem“ zustehen und angeboren sind.358 Es gibt demnach angeborene Rechte (Jus connatum), die dem Menschen aufgrund seiner Natur (essentia & natura hominis) zukommen und ihm deshalb nicht weggenommen werden können.359 Diese angeborenen Rechte sind in allen Menschen gleich.360 In besonderer Weise zeigt sich hier das Wesen der Menschenrechte: Es sind natürliche Rechte, die dem Menschen als solchem von Natur aus zustehen, aus seiner Natur als Mensch unabhängig einer gesetzlichen Positivierung folgen und unveräußerlich sind361.

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(Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 177, 194 ff. (zu Las Casas); s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 397; Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 59. Recht ist bei Wolff „die moralische Befugnis oder Macht, zu handeln“ (Facultas ista, seu potentia moralis agendi dicitur Jus; Wolff, Institutiones, § 46) bzw. „die Befugnis das zu tun, was moralisch möglich ist, und das nicht zu tun, was moralisch unmöglich ist“ ( facultas agendi, quod moraliter possibile est, et non agendi, quod moraliter impossibile); bei Wolff ist dabei der Zusammenhang von Recht und Pflicht zentral, „das Recht entsteht aus der Verpflichtung“ (Jus oritur ex obligatione passiva) s. Wolff, Jus naturae, Pars I Cap. 1 § 23. Bestimmend wird damit freilich ein pflichtenethischer Ansatz zur Begründung natürlicher Rechte: Weil eine naturrechtliche Pflicht besteht, folgt daraus auch ein naturrechtliches Recht, vgl. Haratsch, Die Geschichte der Menschenrechte, S. 38 ff., 40 f. Zum „subjektiven Recht“ bei Wolff und zu seinem Verhältnis zu Thomas, der Spätscholastik sowie den neuzeitlichen Naturrechtslehrern Thomann, Archives de philosophie du droit N. 9, p. 153 ss. Wolff, Jus naturae, Pars  I Cap.  1  § 13; dazu Hartung, Die Naturrechtsdebatte, S.  140; s.a. Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S.  51 ff. (zu den natürlichen Rechten bei Wolff). Wolff, Jus naturae, Pars I Cap. 1 §§ 48 f. Wolff, Jus naturae, Pars I Cap. 1 §§ 33, 51, 64. Wolff, Jus naturae, Pars I Cap. 1 § 31. S. etwa Haratsch, Die Geschichte der Menschenrechte, S. 10; König, Zur Begründung der Menschenrechte, S. 26 f.

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Haftungs- und Schadensrecht

4.2.1 Einleitung 4.2.1.1 Von der Bußtheologie über die Gerechtigkeitslehre zu einem subjektiv-rechtlichen Haftungsrecht Nachdem auf die Bedeutung der Begriffe ius und dominium eingegangen wurde, soll nun näher untersucht werden, was die Folge ist, wenn diese Rechte verletzt werden, d.h. ob und inwieweit bei Verletzung oder Eingriff in diese Rechte eine Ersatzverpflichtung entsteht – es geht also um die rechtlichen Remedien, durch die Rechtsverletzungen ausgeglichen werden.1 Bereits in dieser Fragestellung zeigt sich eine zentrale Entwicklung: die Verbindung von subjektiven Rechten und dem Haftungsrecht.2 Tatsächlich wird man im Folgenden verschiedene Entwicklungsstufen identifizieren können3: Ausgangspunkt der (spät-)scholastischen Beschäftigung mit dem Haftungsrecht ist zunächst die Bußtheologie, in deren Kontext die sog. Restitutionslehre entwickelt wird.4 Sodann verlagert Thomas v. Aquin anschließend an Albertus Magnus die Thematik auf die Gerechtigkeitslehre – die Restitution ist eine Pflicht der (ausgleichenden) Gerechtigkeit.5 Nachdem wie zuvor gezeigt im 16. Jahrhundert der Begriff des subjektiven Rechts (dominium) zentral wird, greift anschließend an Vitoria eine Transformation Platz, indem die Restitutionslehre nun mit den subjektiven Rechten verbunden wird.6 Schließlich wird die Lehre vom moralischen Sein relevant, indem Lugos Umformung des Rechtsbegriffs auch Einfluss auf die Formulierung des Haftungsrechts hat.7

1 S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 7 („principalis actus Iustitiae commutativae, per quem ius violatum instauretur“). Bei Lessius bildet dies den 2. Abschnitt: Nachdem im 1. Abschnitt Gerechtigkeit, Recht und die Arten des Rechts (De Iustitia, Iure, & speciebus Iuris) erörtert wurden, folgt nun die Behandlung der Rechtsverletzungen sowie der Restitution („De Iniuriis, & damnis in omnibus humanorum bonorum generibus, & necessaria restitutione“). 2 Dazu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 33 ff., 36 ff., 79 ff.; s.a. Mäkinen, in: Tellkamp (ed.), A Companion, p. 149, 156. 3 S. dazu gleich näher S. 339 ff. sowie Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 24 ff. 4 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 25 ff. 5 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 28 ff. 6 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 33 ff.; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXVIII f. 7 Dazu unten S. 352 f.

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4.2.1.2 Die heutige Rechtslage Die heutige europäische Rechtslage im Haftungs- und Schadensrecht ist geprägt von einer grundsätzlichen Trennung von Zivil- und Strafrecht.8 Grundsätzlich ist bei schuldhafter Herbeiführung eines Schadens zivilrechtlich nur Kompensation geschuldet, daneben bestehen keine Privatstrafen.9 Strafe und Schadensersatz sind getrennt und werden separaten Verfahren zugeordnet.10 Es gelten ein schadensrechtliches Bereicherungsverbot und der Grundsatz umfassender Kompensation, d.h. nur der tatsächlich entstandene Schaden wird ersetzt.11 Schadensersatz ist geschuldet für schuldhafte rechtswidrige Handlungen, die bestimmte Rechte oder Rechtsgüter verletzen, wobei letztere Voraussetzung etwa in Deutschland, dagegen nicht in anderen Rechtsordnungen (etwa Frankreich) besteht, in denen grundsätzlich jeder schuldhaft und pflichtwidrig herbeigeführte Schaden zum Schadensersatz verpflichtet.12 Ferner besteht daneben eine verschuldensunabhängige Bereicherungshaftung für rechtsgrundlos erlangte Bereicherungen.13 4.2.2 Das römische Recht und die gemeinrechtliche Entwicklung Das klassische römische Recht kennt bestimmte Deliktsklagen bei der Herbeiführung von Schäden (delictum privatum)14, so die actio iniuriarium als Klage bei Personen- bzw. Persönlichkeitsverletzung15, die actio damnum iniuria datum als Rechtsbehelf bei Sachbeschädigung und Verletzung von Sklaven16,

8 9 10

11 12 13 14 15 16

S. etwa Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 154 f. S.  Wieling, Interesse und Privatstrafe, S.  238, wonach „Privatstrafen“ diejenigen Strafen sind, „welche dem Verletzen zufließen und bei welchen die Verfolgung der Tat ganz vom Verletzen abhängt“. Vgl. etwa Ebert, Pönale Elemente, S.  1 f., 410 f.; Schubert, Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 677 ff., 833 ff.; vgl. BGH NJW 1992, 3096, 3103: „Die moderne deutsche Zivilrechtsordnung sieht als Rechtsfolge einer unerlaubten Handlung nur den Schadensausgleich (§§ 249 ff. BGB), nicht aber eine Bereicherung des Geschädigten vor (Mot., Bd. I, S. 17 ff.). Frühere Privatstrafklagen, insbesondere wegen Beleidigung, sollten ausgeschlossen sein […]. Die Bestrafung und – im Rahmen des Schuldangemessenen – Abschreckung sind mögliche Ziele der Kriminalstrafe (§§ 46 ff. StGB), die als Geldstrafe an den Staat fließt, nicht des Zivilrechts.“. S. BGH NJW 1992, 3096, 3103, 3104; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 154 ff. S. etwa Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 166 ff. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 148 ff., 152 f. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 50 Rn. 1; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 99 III.1.; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 913 ss. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 19 ff., 23. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 9 ff.

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ferner die actio furti und die rapina als Klagen bei Sachentziehung17 und Raub18. Insofern finden sich bestimmte Klagen für bestimmte Verletzungen, indes keine allgemeine Schadensersatzhaftung für schuldhaft herbeigeführte Schäden.19 Wesentlich ist hierbei, dass diese von den Geschädigten zu erhebenden Klagen nicht alleine der Kompensation des Schadens dienen, sondern darüber hinaus pönale Elemente enthalten und damit funktionell strafrechtliche Funktionen (poena – „Geldbuße“) wahrnehmen.20 Die Strafklagen (actiones poenales) sind entweder sog. gemischte Strafklagen oder reine Poenalklagen, neben denen es ferner rein sachverfolgende Klagen gibt.21 Die poenalen Klagen zielen nicht so sehr auf Ersatz des erlittenen Schadens bzw. des Sachwertes, sondern gewähren dem Kläger typischerweise eine nach Ermessen zu bestimmende Strafzahlung bzw. ein Vielfaches des betroffenen Sachwertes; beim offenen Diebstahl (actio furti manifesti) erhält etwa der Kläger den vierfachen Wert22 der entwendeten Sache.23 Sachverfolgende und rein poenale Klagen können dabei nebeneinander erhoben werden, wohingegen die gemischten Strafklagen sachverfolgende Klagen verdrängen, da bei diesen zugleich auch der Vermögensschaden als abgedeckt gilt.24 Das Klagziel der poenalen Klagen ist folglich nicht auf den erlittenen Schaden begrenzt, sondern darüber hinausgehend Privatstrafe25, was auch zur Folge hat, dass diese Klagen passiv und teilweise aktiv unvererblich sind26. Nicht die Kompensation für den erlittenen Schaden ist bei den Poenalklagen für die Rechtsfolgen bestimmend, sondern die Sanktion eines begangenen 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 51 Rn.  9; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 922 ss. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 25. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  157, 164; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S.  225; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 34 Rn.  20 f.,  § 51 Rn. 18; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 99 I. Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 99 II., III.2.; § 92 I.3.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 30; § 50 Rn. 3, 6; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 157; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S. 202 ff., 223 ff., 236. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 31; § 50 Rn. 6; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 918 ss.; s.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 226. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 51 Rn. 3. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 33; § 50 Rn. 3; Honsell/Mayer-Mali/ Selb, Römisches Recht, § 92 I.3. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 31; § 50 Rn. 6, 10 f.; Honsell/MayerMali/Selb, Römisches Recht, § 99 III.2. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 50 Rn.  3, 6; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 223 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 917 s. S.  Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 50 Rn.  7 f.; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 92 I.3.; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 915 s.

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Unrechts, womit sich eine Vermischung von Straf- und Zivilrecht zeigt.27 Damit dient das römische Haftungsrecht auch als privates Strafrecht, das keine Begrenzung auf den tatsächlichen Schaden und keine Naturalrestitution kennt.28 Wie sich später noch zeigen wird, gibt es ein öffentliches Strafrecht grundsätzlich nur bei bestimmten gemeinschaftsschädlichen Delikten (iudicia publica/crimina).29 Im Übrigen obliegt die Sanktionierung des begangenen Unrechts dem Geschädigten, der die zivilen Poenalklagen erheben kann.30 Erst in der nachklassischen Zeit verlieren die privaten Strafklagen angesichts der Ausbreitung eines öffentlichen Strafrechts in der Kaiserzeit an Bedeutung; ihr pönaler Charakter tritt eher in den Hintergrund, allerdings ohne zu verschwinden.31 In den einzelnen nicht-poenalen Klagen finden sich demgegenüber auch schadensrechtliche Erwägungen, wonach etwa der entgangene Gewinn (lucrum cessans) zu ersetzen ist.32 Maßgeblich für die Rechtsfolgen sind je nach Geltendmachung entweder der objektive geschätzte Sachwert (certum) oder sonstige Schäden (incertum).33 Es entwickelt sich indes kein allgemeines bzw. abstraktes Schadensrecht, da auch hier der geltend zu machende Schaden von der jeweiligen actio abhängt34. Das römische Recht kennt folglich verschiedene Klagearten mit jeweils bestimmten Rechtsfolgen, ohne jedoch ein einheitliches Haftungs- und Schadensersatzrecht zu entwickeln.35 Voraussetzungen und Folgen der einzelnen Klagearten unterscheiden sich, wobei bei den deliktischen Klagen trotz Fehlens einheitlicher Haftungsvoraussetzungen

27 28 29 30 31 32 33 34 35

Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  157 ff., 164 f.; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S.  223 ff., 236; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 34 Rn. 30 f.; § 50 Rn. 3. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 25. S. dazu unten S. 406 ff. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 50 Rn.  1; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 99 II.; s.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 227 ff. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 34 Rn.  32;  § 50 Rn.  5;  § 51 Rn.  6 (zum furtum); Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 99 III.2; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 223 ff., 232 ff., 236 f., 264 ff. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 26 f., 28; s.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 241 ff. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 26 f., 28; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 92 III. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 34 Rn.  20 f., 26 ff.; Honsell/Mayer-Mali/ Selb, Römisches Recht, § 92 III.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 157 ff. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 20 f.

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grundsätzlich Rechtswidrigkeit und Verschulden (Vorsatz [dolus] oder teilweise Fahrlässigkeit [culpa]) Voraussetzung sind.36 Ebenso findet sich im römischen Recht kein einheitliches Bereicherungsrecht, das der Rückgewähr zu Unrecht erlangter Vermögensvorteile dient.37 So bestehen einzelne Kondiktionsklagen, die teilweise der Rückabwicklung fehlerhafter Verträge dienen (condictio indebiti). Daneben gibt aber keinen allgemeinen, auf ein Bereicherungsverbot gestützten Rechtsbehelf im Sinne eines Bereicherungsausgleichs und so auch – in heutiger Terminologie gesprochen – keine Eingriffskondiktion.38 Das gemeine Recht des Mittelalters hält an diesen Differenzierungen grundsätzlich fest. Es werden zwar Versuche der Systematisierung der Klagearten und Rechtsfolgen unternommen, so bildet sich etwa aus dem römischen Begriff des „quod interest“ der substantivische Begriff des „Interesses“, ohne dass aber im Grundsatz das Schadensrecht wesentlich verändert worden wäre.39 Grundsätzlich haben die deliktischen Klagen auch weiter den Charakter von Privatstrafen bzw. enthalten pönale Elemente, wenngleich in der Praxis durch die Entstehung des öffentlichen Strafrechts die poenalen Klagen an Einfluss verlieren.40 Ferner erweitert man den Anwendungsbereich der deliktischen Klagen und schafft damit Haftungsgrundlagen auch bei anderen Schäden, ohne aber zunächst einen einheitlichen Haftungstatbestand zu schaffen.41 Gleichfalls hält man sich im Wesentlichen im Rahmen der römisch-rechtlichen Vorgaben der Kondiktionshaftung.42 4.2.3 Restitutionslehre und Bußtheologie Während sich das weltliche Recht des Mittelalters so weiter im Rahmen der römischrechtlichen Tradition bewegt, nehmen die Theologie und ihr folgend 36 37 38 39 40 41 42

Dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 6 ff., § 50 Rn. 2, § 51 Rn. 11; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 93 III.; vgl. aber auch Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 252 zu den Differenzierungen. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 148 f. Dazu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 148 f.; s.a. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 48 Rn. 1 ff.; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 834 ss. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  94 f., 159 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 29; vgl. auch Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 9 ff., 26 ff. et passim; Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 13 ff. Dazu auch Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  94 f., 159 f.; s.a. Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 241 ff., 244 f.; Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 129 ff. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 50 Rn. 18; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 161 f., 165 (zu den Änderungen im 17. und 18. Jhd.); Ibbetson, 26 UNSW L.J. 475, 484 s. (2003). Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 149 ff.

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das kanonische Recht43 einen konstruktiv unterschiedlichen Ausgangspunkt, der in der Bußtheologie liegt.44 Die sog. Restitutionslehre bildet hierbei den konstruktiven Rahmen des Haftungs- und Schadensrechts.45 Grundlage dieser Lehre ist vor allem die Bußtheologie. Ferner ist sie durch die aristotelischthomistische Gerechtigkeitslehre sowie römisch-gemeinrechtliche Grundlagen46 geprägt.47 Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist dabei das theologische, vor allem bei Augustinus gebildete Erfordernis der Restitution für die Sündenvergebung: „Die Sünde wird nicht vergeben, wenn nicht das Weggenommene restituiert wird“ (non remittetur peccatum nisi restituatur ablatum).48 Vergebung der Sünde setzt Wiederherstellung oder Rückgabe der durch die Sünde weggenommenen Sache voraus – die Restitution ist also notwendiges Erfordernis der Sündenvergebung in der Buße.49 In der Bußtheologie des Mittelalters setzt sich dabei aber die Auffassung durch, dass die restitutio nicht Teil von Beichte und Buße (nämlich der Genugtuung [satisfactio] als drittes Element der Buße nach Bekenntnis und Reue [confessio, contritio]), sondern deren Voraussetzung 43 44

45 46 47

48

49

Zum kanonischen Recht, das die Entwicklungen der Theologie aufgriff, s. Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 30 ff., 36 ff.; s.a. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 25. Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXII ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 21 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 24 f.; s.a. zum Vergleich von römischem Recht und Restitutionslehre Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 162 f., 164 f. Dazu Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  21 ff. et passim; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 24 ff.; Gordley, Foundations of Private Law, p. 266 ss. Dazu Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 66 ff. Umfassend dazu Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 21 ff., 26 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  24 f. Zum römisch-rechtlichen Restitutionsbegriff, der dort aber eine andere, nämlich prozessrechtliche Bedeutung hat, s. Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 21 f.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 12. Zum Zitat Augustinus, Epistula XCIII (ad Macedonium), Cap. 6 N. 20, in: Migne (ed.), Patrologiae Cursus Completus, Bd. 33, Tomus Secundus, Sp. 662; dazu Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  23; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  25 ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  59 ff. Zum Zusammenhang von Soteriologie und Restitution bei Anselm von Canterbury in diesem Kontext Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXIII ff. S.  Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  7 Dub.  10 N.  48: zumindest die Absicht der Restitution (propositum restitutionis) als Inhalt der Reue (contritio), die zur Sündenvergebung (ad remissionem peccati) notwendig ist; Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 5; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 23 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 25; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXXIX f.; Decock, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 77 (2009), 423, 434.

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ist; Grund ist, dass die Restitution zwar den Nächsten entschädigt, aber Gott gegenüber keine Genugtuung für das gegenüber Gott begangene Unrecht leistet.50 Die Restitution wird dabei nicht auf den engen Fall der Rückgabe einer entwedeten Sache begrenzt, sondern wird erweitert und übertragen auf verschiedene Fälle der Herbeiführung eines Schadens.51 4.2.4 Die Restitutionslehre bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik 4.2.4.1 Restitution als rechtliche Pflicht Bei Thomas begegnet ebenfalls die Restitutionslehre, allerdings in einem anderen Zusammenhang.52 Während die Restitutionslehre zuvor vor allem in der Sakramentenlehre abgehandelt wurde53, behandelt Thomas sie im Anschluss an Albertus Magnus als Teil der Tugend der Gerechtigkeit.54 Er entfernt sie so aus dem bußtheologischen Hintergrund und verlagert sie in den Bereich des Naturrechts bzw. der Gerechtigkeit.55 So heißt es bei Thomas, dass „die Resitution ein Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit ist“ (restitutio est actus commutativae iustitiae).56 Anknüpfend an das Augustinuswort sowie die aus der aristotelischen Philosophie entnommene ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa) verändert sich die Begründung – die Restitution wird so verrechtlicht.57 Restitution meint danach einen Ausgleich (aequalitas) „gemäß dem Ersatz einer Sache für eine Sache“ (recompensatio rei ad rem).58 Allerdings ist die Restitution nicht auf den Ersatz äußerer Sachen begrenzt, 50

51 52 53

54 55 56 57 58

Weinzierl, Die Restitutionslehre der Frühscholastik, S.  158 ff., 162 ff. (mit Verweis auf Wilhelm von Auxerre: „non ut pars, sed ut fundamentum“), 179; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 24 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 29; s. ferner oben bereits zur Buße und satisfactio S. 77 ff., 80 ff. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 26; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 24. S. dazu Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 22 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 28 ff. So in den Sentenzen des Petrus Lombardus, s. Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 23 mit Verweis, dass sie bei anderen Theologen auch bei der Gerechtigkeit behandelt wurde. Im Rahmen der Sakramentenlehre (Buße, Satisfaktion) wird sie auch noch bei Duns Scotus, Ord. IV Dist. 15 q. 2 behandelt. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 28 f.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 26 ff. S. Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 26 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 28 f. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,1 resp.; dazu auch Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 28 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 27; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 13. Vgl. Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 26 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 28 f. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,1 resp.

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sondern gleichermaßen anwendbar bei sämtlichen Verletzungen einer Person, sowohl hinsichtlich der Körper- als auch hinsichtlich der Ehrverletzung.59 Die Restitution wird folglich zur umfassenden Pflicht bei Störungen und Verletzungen der ausgleichenden Gerechtigkeit, die zum Ausgleich beim Geschädigten führen soll.60 Hieran anknüpfend wird die Restitution bei den Spätscholastikern zum allgemeinen naturrechtlichen Institut bei der Verletzung von Rechten (principalis actus iustitiae commutativae, per quem ius violatum instauretur)61 und zum umfassenden Rechtsbehelf zur Kompensation eines beigefügten Schadens (omnem illati damni compensationem).62 Der Schädiger leistet Restitution, indem er den Schaden kompensiert bzw. etwas Äquivalentes leistet (qui damnum intulit, dicitur facere restitutionem, dum illud compensat, & aequivalens rependit).63 Die Restitutionspflicht ist ein umfassendes Gebot der (ausgleichenden) Gerechtigkeit und damit eine rechtliche Verpflichtung.64 Wie Pérez später sagt, geht es bei der Restitution darum, „den Zustand herzustellen, in dem man sich befinden würde, wenn das Ereignis, hinsichtlich dessen die Restitution zu leisten ist, nicht eingetreten wäre“.65 Die Restitutionsverpflichtung wird so zu einer aus dem Naturrecht folgenden Verpflichtung (obligatio), die im Gewissensforum (in foro conscientiae) verpflichtet.66 Während ursprünglich der Ausgangspunkt in der Buße und damit beim Schuldner lag, verschiebt sich durch die Fundierung in der ausgleichenden Gerechtigkeit bei Thomas der Fokus auf den Geschädigten und dessen 59 60 61 62 63 64

65

66

S. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,1 ad sec.; dazu auch Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 27; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 30 f. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 30 f. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 7; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 49; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 13. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 15. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 15; s. dazu auch Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 22. Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 15 f., Dub. 5 N. 19; s. ferner Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 28 ff.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXII ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  13. S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 50 zum Verhältnis der Restitution zur iustitia distributiva. Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 1 N. 1 („Restitutio est […] in eum statum rem constituere, in quo fuisset, si nihil, adversus quem facienda esset restitutio, evenisset“); ferner zur iniusta acceptio Disp. I Cap. 3 N. 20 („eum, qui sua iniusta acceptione, aut damnificatione causam efficacem adhibuit, vi cuius, si non impediatur, damnificatus, seu laesus minus habebit in suis bonis, quam habiturus esset, si ea causa non fuisset adhibita, aut non impediretur a suo effectu, teneri eam causam impedire. At impedire talem causam est restituere“). Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 16; Dub. 5 N. 19; Dub. 6 N. 24; Dub. 7 N. 31.

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Recht – dieser hat ein Recht auf den Ausgleich seines Schadens.67 Auch im kanonischen Recht, das die Restitutionslehre aufgreift, vollzieht sich eine „Juridifizierung“ der Restitutionslehre68, indem diese in die Rechtsregeln (regulae iuris) des päpstlichen Gesetzgebungswerks Bonifaz’ VIII. Liber Sextus (1298)69 Einzug findet.70 Diese Verrechtlichung wird in der Spätscholastik erweitert und fortgesetzt.71 4.2.4.2 Die Abgrenzung von Restitution und Strafe Wesentlich ist dabei bereits bei Thomas, dass die Restitution getrennt ist von der Strafe. Während die Restitution als Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit dem Ausgleich der „Ungleichheit von Seiten der Sache“ (inaequalitas ex parte rei) dient, ist die Strafe (poena) Reaktion auf die Schuld (culpa).72 Strafe und Restitution sind danach grundsätzlich zu trennen – Ziel der Strafe ist die Vindikation der Schuld, wohingegen Ziel der Restitution der Ausgleich des Schadens ist.73 Hintergrund ist die Herausarbeitung des Strafbegriffs bei Thomas, d.h. der eigentlichen (Schuld-)Strafe (poena rationem poenae); diese wird verhängt wegen der Schuld.74 Diese wegen der Schuld verhängte und dem Schuldausgleich dienende Strafe wird von der Satisfaktion (satisfactio; poena satisfactoria) und der Restitution (restitutio) unterschieden; Haftung für Schäden und Strafe sind also zu trennen – hierauf wird später im strafrechtlichen Zusammenhang noch näher einzugehen sein.75 Damit zeigt sich, dass die Herausarbeitung der eigenständigen Bedeutung der Restitution 67 68 69 70 71 72 73

74 75

Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 29 f.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 102; s. etwa Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23 („[…] restitutionem persona privata exigere potest, qua exigente ad eam teneris […]“). Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 42 ff. Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 36 ff. Dazu Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  36, 42. Allerdings wird sie auch im kanonischen Recht nicht dem forum externum, sondern dem forum internum zugeordnet, s. Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 52 f. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 42 ff. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,3 resp. Im Hintergrund steht freilich, dass Thomas ein spezifisches Verständnis von „Strafe“ hat, s. dazu unten noch S. 416 ff., 439 ff. Deutlich etwa Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23 (zum Ziel der Strafe: „Primus & ordinarius est vindicare culpam praeteritam nulla habita ratione damni praesentis, aut imminentis, ut ipsum evitetur; & sic satis pati est tantam poenam sustinere, quantam culpam praeterita iuxta vindicativam iustititam meretur. Huius Satispassionis discrimen a restitutione manifestum est: cum finis restitutionis non sit culpam vindicare, sed damnum imminens ex iniusta laesione impedire“). S. dazu unten S. 439 ff. S.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  32; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 2 ff.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 18. S. dazu noch S. 469 ff.

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keineswegs nur Ergebnis der konsequenten Anwendung der aristotelischen Gerechtigkeitslehre ist, sondern unmittelbar Resultat der Entwicklungen der Bußtheologie: Weil sich im Kontext der Bußtheologie ein spezifischer Schuldund Strafbegriff entwickelte und die Buße verfahrensmäßig ein spezifisches Ziel hatte, musste die Restitution hiervon abgregrenzt werden.76 Die spezifischen Begriffe Buße, Schuld, Strafe, Satisfaktion und Restitution und ihre Abgrenzung werden insoweit zunächst im Kontext der Bußtheologie entwickelt.77 Durch die Übertragung der Restitution aus der Sakramentenlehre in die Gerechtigkeitslehre bei Albertus Magnus und Thomas v. Aquin, die letztlich Konsequenz der bußtheologischen Begriffsklärung ist, wird sodann die rechtliche Verselbständigung der Restitution ermöglicht.78 4.2.4.3 Restitution und subjektive Rechte 4.2.4.3.1 Die zwei Fallgruppen Im Anschluss an Thomas79 sowie Cajetan80 bilden sich zwei Fallgruppen der Restitution mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen: die restitutio ratione rei acceptae („Restitution wegen einer angenommenen Sache“) und die restitutio ratione acceptionis („Restitution wegen der Annahme“).81 Während die restitutio ratione rei acceptae dem Ausgleich von unberechtigten Vermögensverschiebungen dient und damit nach heutigem Verständnis bereicherungsrechtlich einzuordnen wäre, ist die restitutio ratione acceptionis ein haftungsrechtlicher Tatbestand, der auf den Ersatz von schuldhaft und rechtswidrig herbeigeführten Schäden zielt.82 Daneben steht ferner die Restitution aus Vertrag (restitutio ex contractu).83 Bei Thomas werden ebenso wie bei zahlreichen Spätscholastikern unter dieser 76 77

78 79 80 81 82 83

Dazu oben S. 77 ff. sowie unten noch S. 469 ff. S. dazu oben S. 66 ff., 77 ff.; vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 1 ff.; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 2 N. 17; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 15 ff., 18; Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23 ff.; Cap. 5 N. 30 ff. (jeweils zur Abgrenzung von poena, satisfactio und restitutio, ferner auch von der Erfüllung [solutio]); s. dazu unten noch eingehend S. 439 ff. und S. 469 ff. S. dazu zuvor S. 339 ff.; vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 25 ff., 28 ff. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,6 resp. S.  dazu  Cajetan, CommSTh II–II, q. 62,6, p.  219 f.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 29. S. z.B. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19; s.a. Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 13 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 33 f., 59 ff., 79 ff. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 49. Dazu Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 13 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 53 ff.

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restitutio ex contractu vertragliche Rückgewährpflichten (Miete, Pacht, Verwahrung, Leihe) eingeordnet, wobei diese im 16. Jahrhundert zunehmend aus der Restitutionslehre entfernt und dem vertraglichen Bereich zugeordnet werden.84 4.2.4.3.2 Subjektive Rechte als Grundlage des Haftungsrechts In der Entwicklung zur Spätscholastik zeigt sich eine wesentliche Veränderung der Restitutionslehre. Gemeinsame Grundlage der Restitutionspflicht ist jetzt das dominium bzw. die (subjektiven) Rechte; Haftungsrecht und subjektive Rechte werden auf diese Weise verbunden –„jede Restitution basiert auf dem dominium“ (omnis restitutio fundatur in dominio85), wie Vitoria sagt.86 Wie gesehen, wird das dominium dabei weit gefasst87 und meint nicht nur das Eigentum an Sachen, sondern wird weitergehend als umfassendes Recht an dem verstanden, was jemandem gehört („suum“), nämlich Ruf, Ehre und Freiheit, ferner bestehen Rechte an Körper, Gesundheit und Leben, deren Verletzung gleichfalls zur Restitution verpflichtet.88 In der Spätscholastik wird so die Rechtsverletzung, d.h. die Verletzung subjektiver Rechte zum maßgeblichen Anknüpfungspunkt der Restitutionshaftung.89 Hierin zeigt sich eine Verschiebung gegenüber Thomas: Während die Restitution bei Thomas noch ganz in die Lehre von der ausgleichenden Gerechtigkeit eingebettet ist, wird in der Spätscholastik eine subjektivrechtliche Fundierung prägend, die freilich

84

85 86 87 88 89

S.  Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  54 f.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  29 mit Verweis auf Gabriel Vázquez; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 13 f.; vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 714 N. 1; s. ferner dann Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 2 N. 17 („qui solvit mutuum, qui reddit pignus, vel commodatum, non dicitur restituere, non enim praecessit oblatio iniusta formaliter, vel materialiter“); Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 7 N. 48 (restitutio ratione contractus); Disp. II vor Cap. 1 („de hoc modo hic non agimus, quia pertinet ad obligationem restitutionis quae oritur ex contractu“). Vitoria, CommSTh, II–II, q. 62,1 N.  6; demgegenüber hatte „bei Thomas der Begriff dominium noch keine systemtragende Bedeutung“, so Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV Fn. 79. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 33 ff.; ders., in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung, S. XXXVIII f.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff. S. hierzu oben S. 290 ff. Dazu oben S. 292 f. sowie Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 1; s. ferner Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 36 ff., 79 ff.; Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff., XLIX ff. S.  Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  33 ff., 36 ff., 79 ff. sowie deutlich Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII vor Sec. 1; Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 17.

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Folge der (Weiter-)Entwicklung des Rechtsbegriffs ist.90 Die Verbindung von subjektiven Rechten und Haftungsrecht dürfte damit Konsequenz der Zentralität des subjektiven Rechts bzw. des dominium sein, die sich am Ende des Mittelalters und dann im Zuge der Diskussionen des frühen 16. Jahrhunderts um die Rechte bei Vitoria Bahn gebrochen hat.91 Vor diesem Hintergrund ist es wohl kein Zufall, dass es Vitoria ist, der den Gedanken entwickelt, dass Grundlage der Restitution das dominium sei.92 4.2.4.4 restitutio ratione rei acceptae Im Folgenden soll ein näherer Blick auf die beiden Restitutionspflichten geworfen werden. Die restitutio ratione rei acceptae wird mit der Bereicherung auf Seiten des Bereicherten und dem Vermögensverlust auf Seiten des Gläubigers, d.h. mit dem Eingriff in dessen dominium93 begründet.94 Während sie ursprünglich noch an den unrechtmäßigen Besitz des Restitutionsverpflichteten anknüpft, wird sie so zum allgemeinen naturrechtlichen Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit zur Verwirklichung eines „Bereicherungsverbots“.95 „[W]er die Sache eines anderen besitzt […], hat mehr, als was „sein“ ist“, und ist daher, „auch wenn er kein Unrecht begangen hat“, dem Eigentümer, der „weniger hat, als was „sein“ ist“, zur Restitution verpflichtet; so „geschieht ein Ausgleich der Gerechtigkeit (aequalitas iustitiae), durch den jedem das Seine zugeteilt wird“.96 Voraussetzung und Haftungsgrund für diese Restitutionshaftung ratione rei acceptae ist daher kein Verschulden, sondern nur die „Bereicherung“.97 Damit ist die restitutio ratione rei acceptae auf die erlangte wirtschaftliche Bereicherung des Restitutionspflichtigen sowie den Verlust des Gläubigers begrenzt.98 Hat der Restitutionspflichtige die Sache ver90 91 92 93 94 95 96 97 98

Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 33 ff., ferner S. 28 ff., 36 ff., 79 ff.; s. zu den subjektiven Rechten oben bereits S. 280 ff. Vgl. dazu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 34 f.; zur Diskussion um das dominium bei Vitoria s. oben bereits S. 298 ff. S. Vitoria, CommSTh, II–II, q. 62,1 N. 6; vgl. auch Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 68. Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19; Cap. 14 Dub. 1 N. 1; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  67 ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 41 ff. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 59 ff., 67 ff. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 49, 67 ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 40, 50. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  71 f., 78; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 29; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 41, 43; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19, 21.

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äußert oder ist sie bei ihm untergegangen, ist die Restitution ausgeschlossen, es sei denn, dass der Restitutionspflichtige den Untergang verschuldet hat.99 4.2.4.5 restitutio ratione acceptionis Demgegenüber knüpft die restitutio ratione (iniustae) acceptionis an die „ungerechte“100 und schuldhafte Herbeiführung einer Rechtsverletzung und 99

Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 29; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  43 f. (letzteres streitig), 50; vgl. zu den Differenzierungen Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 69 ff., 72 f.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 21; Cap. 14 Dub. 1 ff. 100 S.  dazu  Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  7 Dub.  5 N.  19 f. Es geht hier um die „unrechte“ Aneignung (iniusta acceptio, so die Bezeichnung bei Lessius für die restitutio ratione acceptionis). Zum Begriff der Ungerechtigkeit (iniustitia) s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  7 Dub.  1 N.  1, 2, 4; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp.  9 N.  1: So wie die Gerechtigkeit in zweifacher Form (Gesetzesgerechtigkeit [pro omni virtute; legis obedientia] – Sondergerechtigkeit [iustitia particularis]) vorkommt, gibt es auch zwei Formen der Ungerechtigkeit (iniustitia). „Ungerechtigkeit“ (iniustitia) meint daher zum einen, dass „die dem Gesetz geschuldete Konformität verletzt wird“ (conformitas legi debita violetur), d.h. die Nichtbefolgung des Gesetzes (legis inobedientia); zum anderen, d.h. soweit es um die Sondergerechtigkeit (iustitia particularis) geht, bedeutet iniustitia „die Verletzung fremden Rechts“ (alieni Iuris violatio) als Handlung (actus), insoweit ist sie dann Unrecht (iniuria) – d.h. bei den Gesetzen bzw. Geboten der Sondergerechtigkeit liegt der Gesetzesverstoß gerade in der Verletzung des Gebots, die fremden Rechte nicht zu verletzen; an dieses Unrecht im Sinne der Rechtsverletzung knüpft die Restitution an, s. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 1 N. 1; Pérez, De Restitutione, Disp. III vor Cap. 1; Cap. 1 N. 1 ff., 11 (N. 11: „Quaestio tertia, utrum iniuria sit laesio iuris. Respondeo affirmative ex omnium sententia. Sed est difficultas, quid sit ius, quod per iniuriam laeditur. Respondeo simpliciter sumi ius primo pro lege statuente ius. Secundo pro aequalitate arithmetica a nobis explicata. Tertio pro facultate quadam, quae aufertur per iniuriam & conservatur per iustitiam. Dico ergo, iniuriam esse laesionem iuris iuxta has omnes significationes“); vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 717 N. 1. Damit ergibt sich auch, ob diese „Rechtswidrigkeit“ bzw. dieses „Unrecht“, das bei der restitutio iniustae acceptionis vorausgesetzt wird, die Verletzung subjektiver Rechte oder die Verletzung objektiven Rechts meint; tatsächlich verwirklicht die iniuria beides, denn in der Verletzung subjektiver Rechte liegt zugleich die Verletzung des „Gesetzes“ in Gestalt des Gebots, die fremden Rechte anderer nicht zu verletzen. S.  zum  Begriff des formaliter iniustum, welches bei der iniusta acceptio erforderlich ist (vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  714 N.  1), Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 2 N. 7 ff., Dub. 3 N. 11: Voraussetzung ist die Zurechnung zum Willen (voluntas) – der Wille ist nämlich die Form im Gebiet des Moralischen (quae in moralibus est instar formae – deswegen formaliter iniustum), d.h. Vorsatz oder verschuldete Unkenntnis (ignorantia culpabilis) (vgl. auch Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 1 N. 1, ferner Sec. 2 N. 17; Disp. I Sec. 1 N. 2). Ausgeschlossen ist die Zurechnung bei äußerer Gewalt (vis extrinseca). Während die restitutio ex re accepta sowohl bei „gerechter“ als auch rechtswidriger Herbeiführung eintritt, bedarf es für die restitutio ex iniusta acceptione der „unrechten“ Herbeiführung (vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 20).

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eines Schadens an.101 Sie entsteht dabei nicht nur bei Diebstahl ( furtum) oder anderen bestimmten Unrechtshandlungen.102 Vielmehr verpflichtet jede Handlung, die einen Schaden rechtswidrig103 herbeiführt, zur Restitution (damnum quodvis […] inique illatum)104, sofern Verschulden (culpa lata) vorliegt.105 Grund der Entstehung der Verpflichtung ist, dass „derjenige, der einen Schaden herbeiführt, die Gleichheit (aequalitas)“ und insoweit die ausgleichende Gerechtigkeit verletzt, sodass „er durch das Gesetz der Gerechtigkeit zur Restitution verpflichtet ist“.106 Die restitutio ratione acceptionis dient damit dem Ausgleich von schuldhaft herbeigeführten Vermögensverlusten.107 Grundsätzlich wird dabei an die Verletzung von Rechten bzw. des dominium, d.h. von individuellen Rechtspositionen wie dem Eigentum an Sachen, den Rechten an Leben und Gesundheit, der Ehre oder geistlichen Gütern, angeknüpft.108 Die Restitutionshaftung ist somit als Rechtsgüterschutz ausgestaltet, der den Schädiger bei jedem zurechenbaren Eingriff in das dominium bzw. in ein gegenüber jedem geschütztes Recht (ius) zum Ausgleich verpflichtet.109 Der Rechtsgüterschutz wird dabei aber weit verstanden und erfasst so auch etwa teilweise reine Vermögensschäden (etwa bei Erwerbsaussichten) sowie sonst geschützte Rechtspositionen (Schutz gegen Täuschung und Drohung; ferner Forderungsrechte) als restitutionsbegründend.110 Voraussetzung für die Entstehung der Restitutionsverpflichtung bei Herbeiführung eines Schadens ist ferner allgemein das Verschulden (non oritur obligatio restitutionis ratione damni dati nisi ex culpa lata).111 Nach Lessius ist 101 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 49, 79 ff. 102 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19. 103 Zum Begriff der iniquitas (omnis legis violatio – jede Gesetzesverletzung) s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 1 N. 1. 104 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  7 Dub.  5 N.  19; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 714 N. 2; Disp. 724 N. 1; Disp. 726 N. 1. 105 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 24. 106 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19. 107 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 79 ff. 108 So insbesondere Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 35 ff., 49, 79 ff.; s.a. Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, XXXV ff., XLIX ff., LV (zu Vitoria); vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 7 („per quem ius violatum instauratur“); Cap. 12 Dub. 18 N. 122 ff. 109 S. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 79 f. 110 Dazu und zu den Differenzierungen umfassend Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 83 ff., 88 ff.; s.a. Gordley, Foundations of Private Law, p. 266 ss.; z.B. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 12 Dub. 18 N. 122 ff. 111 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 24; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, 49; umfassend Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 122 ff., 127 ff., 130, 136 f., s. aber auch S. 131 ff. zu den sehr streitigen Differenzierungen.

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insoweit „die Außerachtlassung derjenigen Sorgfalt und Umsicht“ (omissio eius diligentiae & circumspectionis) erforderlich, „die Menschen dergleichen Kondition anzuwenden pflegen“ (culpa lata), wobei diese Position allerdings streitig ist.112 Lessius begründet dies damit, dass „niemand gehalten ist, größere Sorgfalt in seinen Taten anzuwenden, um Schaden bei anderen abzuwenden, als Personen gleicher Kondition in ähnlichen Dingen anzuwenden pflegen“; ein trotz Anwendung dieser Sorgfalt eintretender „Schaden darf nicht zugerechnet werden“.113 Bei culpa levissima (leichtestes Verschulden) soll nach umstrittener Auffassung naturrechtlich keine Haftung eintreten114, allerdings werden Gefährdungshaftungstatbestände des römischen Rechts als zulässige positivrechtliche Regelungen anerkannt.115 Während der Haftungsgrund der restitutio ratione rei acceptae im Vermögensverlust gesehen wird, setzt die

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Jansen stellt in diesem Zusammenhang auch auf den Zusammenhang von restitutionsbegründendem Verschulden und „moralisch-theologischer Schuld“ ab und betont den theologischen Hintergrund der Restitutionslehre (aaO, S. 122, 127, 129, 136 f., 138 f.). Indes verwendet Thomas einen spezifischen culpa-Begriff, der nicht unbedingt theologisch ist, sondern vielmehr „Zurechnung“ meint, dazu unten noch S. 439 ff. Ebenso ist der peccatum-Begriff ein übertragbarer Begriff, der an einen Gesetzesverstoß anknüpft, dazu oben bereits S. 66 ff. S. insoweit auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 1 N. 1 f., wonach peccatum Gesetzesverletzung (legis inobedientia; violatio aequalitatis seu conformitatis debitae legi vel praecepto Superioris) ist (ebenso Molina, De Iustitia et Iure, Tract. I Disp. 9 N. 2: transgressio legis). Wenn Lessius also darlegt, dass es keine Haftung ohne peccatum gibt (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 24: „nemo enim tenetur ratione iniustae acceptionis, nisi quando in eam est peccatum“), dann wird die Gesetzesverletzung zur Voraussetzung der Restitution. So etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 23; s.a. zu dieser Diskussion Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 698 N. 1 ff. Lessius grenzt hier culpa im theologischen Sinn („Schuld“) von der juristischen culpa lata („Verschulden“) ab, und verlangt für die Restitution zunächst ein eben solches rechtliches Verschulden (aaO, N. 24); s. aber auch N. 27 ff.; dazu auch Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 130 ff. mit einem Überblick über die Diskussionen. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 24: Der nicht zurechenbare Schaden sei involuntarium. Hier nimmt Lessius folglich Bezug auf die Zurechnungslehre. Ein Schaden sei hingegen dann voluntarium, wenn der Täter nicht die erforderliche Sorgfalt anwendet hat (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 24 a.E.), wobei Lessius dann hier ausdrücklich auf seine Kommentierung von I–II, q. 6,3 verweist (vgl. hierzu unten noch S.  428 ff.). Lessius verknüpft hier juristische und aristotelisch-thomistische Zurechnungskriterien, s. ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 9 N. 46. S. aber Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 133 ff. mit Verweis auf Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 698 N. 2; vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 24. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 127 ff., 131 ff., auch zur Diskussion bei Molina, ob die besondere Gefährlichkeit des Handelns eine Haftung begründen kann (S. 135 f.); s. ferner Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 49 f.

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restitutio ratione acceptionis somit ein Verschulden voraus, da der Schädiger grundsätzlich keinen Vorteil erlangt haben muss.116 Die Restitution ist entsprechend dem Gedanken der ausgleichenden Gerech­ tigkeit auf die Kompensation des entstandenen Schadens (compensatio – damnum datum)117 begrenzt und damit pönaler Elemente entkleidet.118 Strafe, die für das begangene Unrecht und die Schuld verhängt wird, und Restitution, die dem Ausgleich des Schadens dient, werden grundsätzlich unterschieden und voneinander abgegrenzt.119 Dies steht im Gegensatz zur römischgemeinrechtlichen Entwicklung, die grundsätzlich weiterhin Privatstrafen bzw. pönale Elemente zivilrechtlicher Klagen anerkennt.120 Als Kehrseite bestehen im Gegensatz zum römischen Recht und den gemeinrechtlichen Entwicklungen einheitliche Grundwertungen des Schadens als vollständigem Verlustausgleich, der nicht zu einer Bereicherung des Geschädigten führen darf.121 Der Schadensersatz besteht im Ausgangspunkt nach Wahl des Geschädigten vorrangig in der Naturalrestitution, im Übrigen, wenn diese nicht möglich ist, in Geldkompensation.122 Der gesamte kausale Vermögensschaden (damnum in bonis externis; interesse; unmittelbarer Schaden [damnum emergens] und

116 Zur Diskussion Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 49, 121 f., 138 f.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 49 f.; vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 5 N. 19; Dub. 6 N. 24. 117 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 16; Dub. 5 N. 19; Dub. 6 N. 24; Cap. 9 Dub. 23 N. 144; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 726 N. 1. 118 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 94 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 28; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 18. 119 S.  Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,3 resp.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 28; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 18; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  94 ff., 98, 113; s. dazu unten auch noch ausführlich S. 469 ff. 120 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 18; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 32 f., 95, 160, 162 ff. (mit dem Hinweis, dass dies auch eine Fortentwicklung der kanonistischen Ansätze darstellt, die ausgehend vom Wucherverbot eine Bereicherung des Geschädigten vermeiden); s.a Wieling, Interesse und Privatstrafe, S. 241 ff.; Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 129 ff. 121 Umfassend dazu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 94 ff., 97 ff., 119 f.; vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 726 N. 1 (valorem totius damni); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 23 N. 144 („restitutio, quae debetur ex Iustitia, reparat damnum praecise ad aequalitatem“). 122 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  95 f., 119 f.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  58 f.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 51 f.

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entgangener Gewinn [lucrum cessans]) ist damit vollständig zu ersetzen.123 Unterhaltsschäden oder Erwerbsausfälle werden, im Gegensatz zur römischrechtlichen Tradition124, konsequent ersetzt.125 Diskutiert wird ferner Schadensersatz bei unmessbaren (inkommen­ surablen) Schäden, etwa bei dauerhaften entstellenden Körperschäden oder bei Tötung (damnum vitae, damnum corporis).126 Während Heilungskosten, Verdienstausfall und Unterhaltsschaden als Vermögensschäden auszugleichen sind127, ist eine Ersatzfähigkeit im Hinblick auf die bloße, grundsätzlich inkommensurable Schädigung umstritten.128 Diese wird zwar überwiegend bejaht129, allerdings nach herrschender Auffassung nicht aufgrund des erlittenen Schmerzes (Schmerzensgeld – pretium doloris).130 Bei Ehrverletzungen ist die Restitution im Anschluss an Thomas131 grundsätzlich auf Widerruf der Aussage gerichtet.132 Daneben sind aber auch die durch die Ehrverletzungen entstandenen Vermögensschäden zu ersetzen, der Ersatz immaterieller Schäden bei Ehrverletzung ist umstritten.133

123 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  32, 40; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 97 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 58 (zu Covarruvias); s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 726 N. 1. 124 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 94 f., 158. 125 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 80 f. sowie Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 19 N. 124 ff.; Dub. 20 N. 128 ff.; Dub. 26 N. 152, 155. 126 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 112 ff., 115 ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 32 ff.; Unterreitmeier, JZ 2013, 425, 427 ff.; zu dieser Diskussion s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 23 N. 140 ff. 127 S.  Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  9 Dub.  19 N.  124 ff. sowie Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 35 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  113 f.; gemindert um hypothetische Aufwendungen für den Erwerb sowie verbleibende Erwerbsmöglichkeiten. 128 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  32 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 115 ff. 129 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 32 f., 37 f. 130 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 115 ff., 117 f.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 33 f.; vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 23 N. 141, 145. 131 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,2 ad sec. 132 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 106 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 11 Dub. 20 N. 106 ff. 133 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 38 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 108 ff.; dazu auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 11 Dub. 16 N. 92 ff.; Dub. 19 N. 101 ff.

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Im Rahmen von Kausalitätserwägungen bilden sich ferner Ansätze einer schadensrechtlichen Differenztheorie.134 Teilnehmer und Mittäter sind ebenfalls zur Restitution verpflichtet.135 Zudem werden in gewissem Umfang allgemeine Zurechnungskriterien entwickelt, wann ein Schaden etwa trotz dazwischentretender Ereignisse oder Dritter zugerechnet werden kann.136 4.2.4.6 Die Auswirkungen der Lehre vom moralischen Sein Schließlich ergeben sich für die Formulierung des Haftungsrechts Verschiebungen durch die Lehre vom moralischen Sein. Sowohl Lugo als auch Antonio Pérez gehen in ihren Rechtsbegriffen von einer eigenständigen rechtlichen Wirklichkeit aus.137 Diese Wirklichkeit besteht aus den subjektiven Rechten. Wie gesehen, formulieren beide ausgehend von der Freiheitsmetaphysik auch ihre Rechtsbegriffe auf eine spezifische Weise. Während bei Lugo die moralische Zuordnung von Gütern im Vordergrund steht („Mein & Dein“)138, geht es bei Pérez um die Abgrenzung von Freiheitssphären.139 134 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 159; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  24, 40 zu den Kausalitätserwägungen (hypothetische Kausalität); s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld, S. 259 (zur Kausalität); deutlich Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 3 N. 20 („eum, qui sua iniusta acceptione, aut damnificatione causam efficacem adhibuit, vi cuius, si non impediatur, damnificatus, seu laesus minus habebit in suis bonis, quam habiturus esset, si ea causa non fuisset adhibita, aut non impediretur a suo effectu, teneri eam causam impedire. At impedire talem causam est restituere“); Cap. 1 N. 1; Cap. 4 N. 27 („Cum tamen finis restitutionis sit reducere patientem iniuriam in eundum statum, in quo fuisset, si nullam iniuriam fuisset passus“). 135 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 45 f.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 13; Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,7 resp.; Pérez, De Restitutione, Disp. III Cap. 3 ff. N. 54 ff. 136 S. dazu Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 15, 16, 17 u. 18; ferner deutlich Pérez, De Restitutione, Disp. III Cap. 3 ff. N. 54 ff. 137 S. dazu oben S. 308 ff. 138 Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 1 N. 5 („ius quod respicitur a iustitia commutativa, & ponitur in eius definitione, esse praelationem quandam moralem, qua hic homo praefertur moraliter aliis in usu talis rei propter peculiarem connexionem, quam res habet cum illo“), N. 6 („[…] sed praelationem, qua in usu talis rei debet hic homo preferri aliis; quia propter peculiarem connexionem, quam haec habet cum ipso, tota debet ad eius utilitatem referri, & ordinari; quae ordinatio potissimum significatur quando aliquid dicitur meum, vel tuum“); ders., De Incarnatione, Disp. III Sec. 2 N. 42 f. („Ex hac autem praelatione, in qua consistit illud ius […]“). 139 Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap.  4 N.  85 („ius obiectivum est ipsa libertas unius cuiusque non impedita per alienam libertatem ab usu actionum suarum, sive permisso intra terminos iuridice designatos“); ferner Disp. II Cap.  2 N.  21; Cap.  3 N.  40 („iustitia particularis praefert bonum libertatis alienae, seu aequalitatem, quae est bonum commune inaequalitati faventi propriae libertati operantis; & respondenti huic legi, quod tibi non vis fieri in materia libertatis alteri ne feceris“).

Die Transformation des Rechts

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Vor dem Hintergrund dieses Rechtsbegriffs kann Lugo auch relativ einfach formulieren, dass Wirkung der subjektiven Rechte einerseits die Pflicht ist, „keine Rechtsverletzung zu begehen“; andererseits die begangene Rechtsverletzung „auszugleichen und wiedergutzumachen“.140 Ebenso ist bei Pérez klar, dass jede Rechtsverletzung immer auch zugleich die Verletzung des objektiven Rechts ist, d.h. eine Verletzung der Pflicht, fremde Freiheitsräume nicht zu beeinträchtigen141; denn das Recht zieht die Grenzen zwischen den jeweiligen Freiheitssphären.142 Das Haftungsrecht wird insoweit ganz eingegliedert in die Vorstellung einer selbständigen moralischen bzw. rechtlichen Sphäre, die vollständig aus den subjektiven Rechten und deren Wirkungen besteht. Die Koordinaten dieses Haftungsrechts sind jeweils abhängig vom Rechtsbegriff: Freiheit und Würde der Person bei Pérez, Güterzuordnung bei Lugo oder der Wille bei Sforza Pallavicino.143 4.2.5 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen Im Folgenden soll ein kurzer Blick auf die Entwicklungen des Haftungsrechts im neuzeitlichen Naturrecht geworfen werden. Grotius übernimmt zwar zentrale Elemente der Restitutionslehre von den Spätscholastikern144, separiert 140 So Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec.  2 N.  17 („Duplex videtur esse praeceptum iustitiae saltem secundum apparentiam. Primum non inferendi iniuriam. Secundum, si illata fuit, reparandi, & resarciendi illam, quod fit per restitutionem“); s.a. Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 3 N. 19 f.; Cap. 5 N. 36; Disp. III Cap. 2 N. 53. 141 S.  Pérez, De Restitutione, Disp. III vor Cap.  1 („De Restitutione Ratione Iniuriae, Seu Iniustae Acceptionis“); Cap.  1 N.  1 („nomen iniuriae nihil aliud sonat quam laesionem iuris“), 11 („Quaestio tertia, utrum iniuria sit laesio iuris. Respondeo affirmative ex omnium sententia. Sed est difficultas, quid sit ius, quod per iniuriam laeditur. Respondeo simpliciter sumi ius primo pro lege statuente ius. Secundo pro aequalitate arithmetica a nobis explicata. Tertio pro facultate quadam, quae aufertur per iniuriam & conservatur per iustitiam. Dico ergo, iniuriam esse laesionem iuris iuxta has omnes significationes“), 12; ferner Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 7 N. 114. 142 Vgl. Pérez, De Iustitia et Iure, Disp. I Cap. 4 N. 84 („Dico itaque, obligationem Iustitiae stricte dictae sic posse definiri: Est obligatio conscientiae continendi se intra terminos propriae libertatis, & non invadendi terminos iuridice designatos libertati, & prudentiae alienae. […] Nam ibi explicantes, & defendentes hanc definitionem diximus, obligationem iustitiae nihil esse aliud, quam obligationem servandi illaesa libertatis iura.“); N.  86 („Iniuria autem est ipsa perturbatio libertatis, seu excessus quidam ultra designationem iuridicam circa usum libertatis alienae“). 143 S. dazu oben S. 308 ff.; vgl. zu Letzterem Sforza Pallavicino, De Iustitia et Iure, Cap. VII N. 69 („quod cum usurpans rem alienam teneatur velle reparare omnia damna, si habet talem voluntatem, per illam obligatur, si non habet, Natura, quae non vult, iniusto prodesse suam iniustitiam, obligat illum ex quasi contractu, ac si talem voluntatem haberet“). 144 Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  61 (insbesondere von Lessius und Covarruvias, ferner Thomas, Soto und Cajetan); Nufer, Restitutionslehre der spanischen

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Kapitel 4

aber beide Haftungstatbestände in einen aus dem Eigentum folgenden (De obligatione quae ex dominio oritur)145 sowie einen deliktischen (De damno per injuriam dato, & de obligatione quae inde oritur)146 Haftungsanspruch. Er ersetzt damit den durch die Restitutionslehre einheitlichen Überbau zugunsten getrennter Haftungsgründe.147 An der Beeinträchtigung bestimmter Rechtsgüter bei der Schadensersatzhaftung als Element der Haftungsbegründung wird aber ebenso festgehalten148 wie an der aus dem dominium folgenden Bereicherungshaftung.149 Gleichfalls unterscheidet Grotius strikt zwischen Strafe (puniri, poena, punitio) und Schadensersatz (reparari, recuperatio).150 Voraussetzung der naturrechtlichen Haftung, die dem Ersatz des verursachten Schadens dient, ist allgemein das Verschulden. Grotius betont dabei aber die Bedeutung der Verhaltenspflichten für die Haftungsbegründung.151 Insofern wird zwar nicht die Restitutionslehre als einheitliches rechtliches Konstrukt bei Grotius rezipiert, es finden sich aber wesentliche Elemente der Restitutionslehre auch bei Grotius.152 In der Folge ergeben sich wesentliche Änderungen bei der deliktischen Haftungsgrundlage aus Pufendorfs Pflichtenlehre – die Pflicht (officium) ist hier

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Spätscholastiker, S. 72 ff., 76 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 176 ff., 180; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S.  328 ff.; HKK/Jansen,  §§ 249–253, 255 Rn. 21 ff.; s.a. Gordley, Foundations of Private Law, p. 270; Ibbetson, 26 UNSW L.J. 475, 486 (2003); umfassend neuerdings Sampson, The Historical Foundations, p. 5 ss., 111 ss. (p. 243: „Grotius’ natural law model of delict is drawn primarily from Thomist Sources“). Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 10. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 17. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 180 ff., 184 ff.; s.a. S. 143 ff. grundsätzlich zum Vergleich der Restitutionslehre mit dem heutigen europäischen Haftungsrecht und dessen Entwicklung; s.a. Dolezalek, 1992 Acta Juridica, p. 104 ss.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 60 ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 72 ff. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 181; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S. 328 ff.; s.a. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 17 N. 2. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 180. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 1, Cap. 1 N. 2; s.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 179. Vgl. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap.  17 N.  1; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  180 ff., 183 f., 184 ff. sieht hierin einen Unterschied zu den Spätscholastikern, bei denen das Verschuldenserfordernis nicht so sehr haftungsbegründende als vielmehr haftungsbegrenzende Funktion habe, weist aber auch auf die „schillernde“ Bedeutung des Verschuldenserfordernis bei Grotius hin. Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 176 ff., 184 ff., wenngleich Jansen hier eher die Unterschiede betont.

Die Transformation des Rechts

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die zentrale Kategorie.153 Bei Pufendorf wird zur Haftungsbegründung nicht mehr an Rechtsgutsbeeinträchtigungen, sondern an die Verletzung von Verhaltenspflichten angeknüpft.154 Zentral sind hierfür die gesellschaftsbezogenen Pflichten; ihre schuldhafte Verletzung begründet die Schadensersatzpflicht. Damit verbunden zielt das Deliktsrecht stärker auf die Verhaltenssteuerung, der Bezug zur ausgleichenden Gerechtigkeit und zu den subjektiven Rechten wird bei der Haftungsbegründung aufgelöst.155 Hingegen zeigen sich bezüglich der Haftungsfolgen (Schadensausgleich, Bereicherungsverbot, Trennung von Schadensersatz und Strafe) auch bei Pufendorf Kontinuitäten.156 Ebenso folgt auch er grundsätzlich den Generaltatbeständen.157 Diese an die Pflichtverletzung anknüpfende Konzeption der deliktischen Haftung, die sich auch bei den Generalklauseln der französischen Juristen Pothier158 und Domat findet, liegt schließlich Art. 1382 Code Civil (1804) zugrunde, der maßgeblich auf die Pflichtverletzung und das Verschulden als haftungsbegründende Elemente abstellt.159 Die Anknüpfung an Rechtsgutsverletzungen wird wiederum bei Wolff relevant, der gleichzeitig auf die Verhaltenspflichten als haftungsbegründendes Element des deliktischen Anspruchs abstellt.160 Hinsichtlich der bereicherungsrechtlichen Haftung wird die Konzeption einer auf das dominium geschützten Haftung auch von Pufendorf, Wolff und Thomasius (condictio ex dominio) aufgegriffen, wenngleich sich hier ihre Bedeutung verändert.161 153 Dazu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 193 ff., 197 ff.; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S.  337 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  61 f.; ferner oben bereits S. 250 f. Zur Pflichtenlehre und zur Zentralität der Pflicht bei Pufendorf s.a. Auer, AcP 208 (2008), 584, 604 ff. 154 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  197 ff.; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S. 337 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 61; s. Pufendorf, De Officio, Lib. I Cap. VI § 4; ders., De Iure naturae et gentium, Lib. III Cap. I § 1 (officia). 155 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 197 f. 156 Vgl. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. III Cap. I §§ 1 ff., 7 f.; s. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 191 f., 197; HKK/Jansen, §§ 249–253, 255 Rn. 22. 157 Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 61 f.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 96 ff. 158 Pothier, Traité des Obligations, Part. I Chap. I Sec. II N. 116; hierzu auch König, Pothier und das römische Recht, S. 184. 159 Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 198, 202 f. 160 Vgl. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, §§ 62, 86 ff., 269 f. Näher dazu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 199 f.; ders., AcP 216 (2016), 112, 125 f.; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S. 352 Fn. 572. 161 Dazu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  193 ff. Im gemeinen Recht vor allem ab dem 17. und 18. Jahrhundert (usus modernus pandectarum) wird der pönale Charakter der Klagen aus der Lex Aquilia zurückgedrängt (Trennung von Strafe und Schadensersatz; dazu Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  68; Nufer,

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Kapitel 4

4.2.6 Zusammenfassung Elemente der Restitutionslehre liegen bis heute dem europäischen Haftungsrecht zugrunde, wenngleich die Restitutionslehre an sich, nämlich als einheitliches Haftungskonzept, keine Rezeption in das neuzeitliche weltliche Recht gefunden hat.162 Die Restitutionslehre als übergreifender Haftungstatbestand, der auf dem Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit gründet und maßgeblich an die Rechtseingriffe beim Geschädigten anknüpft, wird zwar in der Folgezeit bei den Natur- und Vernunftrechtslehrern nicht übernommen.163 Fortwirkungen und Kontinuitäten der thomistischen Tradition finden sich indes insbesondere im Recht der Haftungsfolgen und im Schadensrecht.164 Prägend bleiben entsprechend der thomistischen Tradition165 die Gene­ ra­lisierung und Erweiterung der Schadensersatzhaftung und des „Bereiche­ rungsausgleichs“ über die spezifischen römischen Klagen hinaus hin zu

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Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 85; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 165; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 52 ff. [zu den Einflüssen der Restitutionslehre]) und finden sich verstärkt Tendenzen zu deliktischen Generalklauseln (zur Entwicklung hin zu einer Generalklausel im usus modernus Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 292 ff.) sowie Restitutionsklagen bei Ehrverletzungen (dazu Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  70 ff.); s. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 165 f.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S.  65 ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  84 ff. Dabei zeigen sich auch hierin bestimmte Einflüsse der spätscholastischen Lehre (dazu Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  203 ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 84 ff.; Unterreitmeier, JZ 2013, 425, 429 ff.; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 52 ff.). So Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 162 ff., 175 ff., 191 ff., einschränkend allerdings in 207 ff., wobei auch Jansen die Elemente der Entpönalisierung des Haftungsrechts (aaO, S. 191 f., 201, 208) und den Verschuldensgrundsatz (aaO, S. 208 f.) zumindest auch als Erbe und Fortwirkung der scholastischen Restitutionslehre ansieht; Gordley, Foundations of Private Law, p.  266 ss., 270. Für einen prägenden Einfluss der spätscholastischen Lehre auch des modernen Haftungsrechts s. etwa Repgen, in: Stüben (Hrsg.), De iustitia, S. XVII, LV („Gleichzeitig ist aber auch richtig, dass die Spätscholastik im Bereich des Vermögensrechts maßgeblich das spätere europäische Privatrecht geprägt hat. Die konsequente, auf den Schutz individueller Rechtsgüter bezogene Konzeption subjektiver privater Rechte, wie sie bei Vitoria in der Lehre vom dominium angelegt ist, gehört dazu“); Dolezalek, 1992 Acta Juridica, p. 104 ss., 113 s.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  72 ff., 76 f., 96 ff.; Sampson, The Historical Foundations, p. 5 ss., 111 ss.; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 52 ff.; vgl. ferner HKK/ Jansen, §§ 249–253, 255 Rn. 16 ff., 21 ff.; Ibbetson, 26 UNSW L.J. 475, 485 s. (2003). So Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 197 ff., 200 ff. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 191 ff., 201; HKK/Jansen, §§ 249–253, 255 Rn. 21 ff. Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 96 ff.

Die Transformation des Rechts

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Generalklauseln und umfassenden Haftungsgrundlagen sowie die Entwicklung einheitlicher Grundsätze166; das Verschuldenserfordernis der schadensersatzbegründenden Haftung167; die Begrenzung des Schadensersatzes auf den tatsächlich erlittenen Schaden, die Befreiung des Schadensersatzes von pönalen Elementen und die Trennung von Strafe und Schadensersatz, damit einhergehend das Prinzip vollständiger Kompensation, die Begrenzung des Schadensersatzes auf den tatsächlich erlittenen Verlust; ferner entsprechende Kausalitäts- und Zurechnungslehren.168 Damit in Zusammenhang stehen wesentliche Änderungen im Strafrecht, auf die später noch einzugehen sein wird.169 Auch die Verbindung von Haftungsrecht und subjektiven Rechten bleibt ein prägendes Element, wenngleich sie bei Pufendorf durch das Konzept der Pflicht derogiert wurde.170 Hintergrund dieser Entwicklungen ist zum einen die Bußtheologie, zum anderen die aristotelisch-thomistische Lehre von der ausgleichenden Gerechtigkeit. Beide Aspekte werden aber letztlich abgeschwächt: Zunächst löst Thomas die sakramententheologische Verankerung durch Übertragung der Restitutionslehre in den Bereich des Naturrechts bzw. der ausgleichenden Gerechtigkeit.171 Sodann wird der Zusammenhang mit der ausgleichenden Gerechtigkeit gelockert, indem die Restitution auf die Beeinträchtigung und Verletzung subjektiver Rechte bezogen wird.172 Einen vorläufigen Abschluss findet diese Entwicklung bei Lugo und Pérez, die das Haftungsrecht mit ihren Rechtsbegriffen ausfüllen und damit letztlich in die Freiheitsmetaphysik überführen. Dadurch wird das Haftungsrecht neu eingeordnet, und erhält so einen Bezug zu den Kategorien Wille, Vernunft und Freiheit, die ihrerseits den Rechten bzw. dem dominium zugrunde liegen.173

166 Gordley, Foundations of Private Law, p.  266 s.; vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 164 ff.; Ibbetson, 26 UNSW L.J. 475, 485 s. (2003). 167 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 208 f. 168 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 191 ff., 201, ferner auch S. 162 f., 164 f.; Gordley, Foundations of Modern Private Law, p. 266 ss., 270; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 72 ff., 76 f., 98. S. zu den Kausalitäts- und Zurechnungslehren unten S. 429 ff. 169 S. dazu unten S. 415 ff., 469 ff. 170 S. näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 135 ff. 171 S. dazu oben S. 339 ff.; s. aber auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S.  123 ff., 128 ff. mit dem Hinweis auf die auch in der Spätscholastik weiter diskutierte Heilsnotwendigkeit der Restitution bzw. ihre Relevanz als Voraussetzung der Absolution. 172 Vgl. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 33 ff., 36 ff. 173 S. dazu oben S. 290 ff.

358 4.3

Kapitel 4

Vertragsrecht

4.3.1 Einleitung Im Folgenden wird näher auf die Entwicklungen des Vertragsrechts eingegangen.1 Wesentlich für das heutige Vertragsrecht ist das Bestehen von Vertragsfreiheit, d.h. dass grundsätzlich jeder auf Konsens beruhende Vertrag durchsetzbar und klagbar ist (§§ 311 Abs.  1, 241 Abs.  1 BGB).2 Neben dieser Abschlussfreiheit gelten weiterhin Form- und Inhaltsfreiheit, d.h. Verträge können vorbehaltlich spezieller Regelung grundsätzlich formfrei und mit beliebigem Inhalt geschlossen werden. Verträge kommen durch Willenserklärungen (§§ 116 ff. BGB) zustande, Verträge begründen und gestalten Rechte und Pflichten. Wie sich im Folgenden zeigen wird, ist die Entwicklung des Vertragsrechts maßgeblich durch Kanonistik und Spätscholastik sowie deren Rezeption in die neuzeitliche Naturrechtslehre und ins weltliche Recht geprägt worden.3 Ausgangspunkt der mittelalterlichen Entwicklungen ist zwar auch hier das Corpus Iuris Civilis des römischen Rechts.4 Bereits das kanonische Recht geht indes hiervon abweichende Wege. In verschiedenen Dekretalen wird zur Verbindlichkeit von Verträgen Stellung bezogen, ferner beschäftigen sich zahlreiche Kanonisten (Huguccio, Hostiensis) in diversen Werken hiermit.5 In der Spätscholastik vollzieht sich sodann eine Entwicklung zu einem allgemeinen Vertragsrecht.6 In den Traktaten vor allem der Jesuiten (Lessius, Molina, ferner Juan de Lugo und Pedro de Oñate7) finden sich – anknüpfend 1 Vgl. zum Aufbau Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II vor Cap. 17, bei dem in der Sectio Tertia, d.h. nach dem Abschnitt über Recht, Gerechtigkeit und die Arten des Rechts sowie dem Abschnitt über die Rechtsverletzungen und die Restitution, der Abschnitt über die Verträge (De Contractibus; Cap. 17–28) folgt. 2 S. nur hierzu und zum Folgenden z.B.  Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 10 Rn. 33 ff., § 28 Rn. 1 ff., § 30 Rn. 1 ff. 3 Dazu grundsätzlich Decock, Theologians and Contract Law, p. 1 ss., 105 ss. et passim, 162 ss.; s.a. Duve, in: Condorelli/Roumy/Schmoeckel (Hrsg.), Der Einfluss der Kanonistik, Bd. 1, S. 389 ff.; Gordley, The Philosophical Origins, p.  69 ss.; ders., Foundations of Private Law, p.  290 ss.; Birocchi, Causa e categoria generale del contratto, p. 203 ss.; Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 142 ff. 4 Umfassend dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 107 ss. 5 Dazu Decock, Theologians and Contract Law, p. 121 ss. 6 Decock, Theologians and Contract Law, p. 170 ss. 7 Hierzu auch Birocchi, Causa e categoria generale del contratto, p. 271 ss. Insgesamt zeigt sich bei Oñate die wohl ausgereifteste Vertragstheorie; gleichwohl wird hierauf im Folgenden nur begrenzt Bezug genommen, zum einen, weil Oñates Werk zeitlich später erschienen ist (1646/47), zum anderen weil die wesentlichen Neuerungen, die Oñate zu einem methodisch

Die Transformation des Rechts

359

an die spätmittelalterlichen Vertragstraktate bei Gerson8 und Summenhart9 – selbständige Darstellungen des Vertragsrechts (De Contractibus), denen ein eigenes Kapitel „Über Verträge im Allgemeinen“ (De Contractibus in genere) vorgeschaltet ist, erst danach folgen Erörterungen der einzelnen Vertragsarten.10 Es entwickeln sich hierbei allgemeine Vertragslehren. Fragen der Verbindlichkeit, des Zustandekommens, der Auslegung, von Irrtum und Täuschung etc. werden abstrakt naturrechtlich erörtert.11 Wie sich zeigen wird, spielt in diesen Diskussionen auch Thomas eine besondere Rolle – maßgebliche Impulse gehen von der spezifisch thomistischen und jesuitischen Anthropologie, d.h. vor allem der Willensfreiheit und dem Willensbegriff12, der Lehre vom moralischen Sein sowie der Gerechtigkeitslehre aus. Tatsächlich wird man hier mehrere Entwicklungsstufen ausmachen können13: Zunächst die kanonistische Lehre des „pacta sunt servanda“; sodann die tugendethische Versprechenslehre bei Thomas, die von Cajetan weiterentwickelt wird und dann im 16. Jhd. mit der kanonistischen Lehre zusammengeführt wird; die allgemeine Vertragslehre bei Lessius, die er im Anschluss an Tomás Sánchez14 und Molina unter dem Einfluss der Willensmetaphysik entwickelt; schließlich die Vertragslehren bei Oñate, die von Suárez’ Lehre vom moralischen Sein beeinflusst sind. Wie Decock jüngst dargelegt hat, bildet sich hier die Lehre, dass Grundlage vertraglicher Verpflichtung der gegenseitige Konsens (Angebot und Annahme) ist, dass sämtliche Verträge mit beliebigem Inhalt grundsätzlich bindend sind, dass Wirkung von Verträgen die Entstehung und Gestaltung subjektiver Rechte und rechtlicher Pflichten ist und dass Verträge auf dem Willen und der Freiheit der Vertragspartner beruhen – der Gedanke der Vertragsfreiheit bricht sich

eigenständigen Vertragssystem entwickelt, sich vor allem in der Entwicklung zu Lessius Bahn gebrochen haben. 8 Gerson, De Contractibus. 9 Summenhart, De Contractibus. 10 Decock, Theologians and Contract Law, p. 63 ss., 170 ss. 11 Decock, Theologians and Contract Law, p. 106 s., 162 ss., 170 ss. 12 Vgl. dazu Decock, Theologians and Contract Law, p. 106 s., 162 s., 167 ss. (zur jesuitischen Anthropologie); s.a. Schermaier, in: Pichonnaz (éd.), Autour du droit des contrats, S.  49, 73 ff. zur Bedeutung des augustinischen Willensbegriffs für die Entwicklung des Vertragsrechts. 13 S. dazu umfassend Decock, Theologians and Contract Law, p. 106 ss., 162 ss., 170 ss. 14 Zu Tomás Sánchez und seinen im Kontext des Eherechts entwickelten Vertragslehren s. insoweit Decock, Theologians and Contract Law, p. 59 ss., 167 s., 193 ss.

360

Kapitel 4

hier Bahn.15 Die Diskussionen in Salamanca und die thomistische Tradition sollen insoweit zu Beginn „des modernen Vertragsrechts“ stehen.16 4.3.2 Vertrag und Vertragsfreiheit 4.3.2.1 Das römische Recht und die gemeinrechtliche Entwicklung Das klassische römische Recht unterscheidet verschiedene Vertragsarten, bei denen Klagbarkeit jeweils nur bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen gegeben ist.17 So differenziert man zwischen den sog. Konsensual-, Litteral-, Verbal- und Realkontrakten.18 Konsensualkontrakte sind grundsätzlich alleine aufgrund des Konsenses19 der Vertragsparteien (consensus) klagbar. Allerdings sind Konsensualkontrakte auf bestimmte Vertragstypen beschränkt, nämlich den Kauf (emptio venditio), die Miete (locatio conductio), den Gesellschaftsvertrag (societas) sowie den Auftrag (mandatum).20 Nur bei diesen kann alleine aufgrund Konsenses formfrei Klagbarkeit der Verpflichtungen begründet werden. Im Übrigen sind entweder bestimmte Formen oder Geschäftszwecke Voraussetzungen der Klagbarkeit.21 Bei Verbalkontrakten wie insbesondere der stipulatio, die grundsätzlich inhaltlich offen ist22, ist eine mündliche rituelle Spruchformel erforderlich, nur bei Einhaltung dieser Spruchformel entsteht die Verpflichtung.23 Hier zeigt sich in besonderer Weise die geschichtlich begründete Formenstrenge des römischen Rechts.24 Das Formerfordernis wird zwar mit der Zeit aufgeweicht 15 16

17 18 19 20 21 22 23 24

Umfassend hierzu Decock, Theologians and Contract Law, p. 105 ss., 152 s., 162 ss., 170 ss., 212 s. S. Zimmermann, NJW 2013, 3414, 3420 in der Besprechung von Decocks Theologians and Contract Law: „Decocks Thesen, dass Salamanca der Geburtsort des modernen Vertragsrechts und katholische Theologen seine Geburtshelfer gewesen seien, wird nach der Lektüre dieses wichtigen Buches kaum noch jemand widersprechen mögen“. Hierzu grundsätzlich Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht,  §§ 39 ff., 98; Kaser/ Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 ff. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 6 ff. S. allerdings auch Schermaier, in: Pichonnaz (éd.), Autour du droit des contrats, S. 49, 78 ff. zur Bedeutung des consentire im römischen Recht, das sich vom heutigen Verständnis des Konsenses unterscheidet. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 38 Rn.  11; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 98 III.4. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 38 Rn.  6 ff.; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 98 I. Dazu Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht,  § 110 II., III.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 7 Rn. 22. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 38 Rn.  9; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 98 III.1.; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 68 ss. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 6 Rn. 1 ff., § 7, § 8 Rn. 5 ff.; Honsell/MayerMali/Selb, Römisches Recht, § 43 II.

Die Transformation des Rechts

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(etwa durch Schriftlichkeit statt der Spruchformel, ähnlich auch bei den sog. Litteralkontrakten, die einen förmlichen Buchungsakt voraussetzen25), allerdings nicht aufgehoben.26 Schließlich gibt es sogenannte Realkontrakte wie das Darlehen (mutuum), bei denen die Verpflichtung bei Vorleistung bzw. realer Bewirkung einer Leistung entsteht.27 Die klagbaren Verträge werden ferner mit der Zeit durch die prätorische Rechtsprechung um bestimmte sog. Innominatkontrakte, die ebenfalls klagbar sind, erweitert.28 Von diesen klagbaren Verträgen werden die sog. pacta nuda („nackte Verträge“) unterschieden.29 Im Gegensatz zu den ersteren entsteht bei diesen keine Klage.30 Verträge mit abweichenden Leistungspflichten sind grundsätzlich nicht klagbar.31 Es gibt nach römischem Recht damit keinen allgemeinen Entstehungsgrund für vertragliche Verpflichtungen. Ein allgemeiner, alleine auf dem Konsens der Parteien beruhender Vertragsgrund ist dem römischen Recht ebenso wie allgemeine Vertragslehren grundsätzlich fremd.32 4.3.2.2 Die Entwicklungen im kanonischen Recht Vor diesem Hintergrund vollziehen sich die Entwicklungen der mittelalterlichen Rechtslehre.33 Die mittelalterlichen Legisten als Juristen des ius civile sehen sich grundsätzlich dem Typenzwang des römischen Rechts verpflich­ tet und erkennen alleine im Konsens zweier Parteien keinen allgemeinen

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31 32 33

Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 10; § 40 Rn. 14 ff.; Honsell/MayerMali/Selb, Römisches Recht, § 98 III.2. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 7 Rn.  20 ff.; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 47 II.; Kaser, Römisches Privatrecht, 1. Abschn., S. 540. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 38 Rn.  7; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 153 ss.; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 98 III.3. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 15; § 45 Rn. 1 ff. S. Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 98 IV; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 13, 18; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 508 ss. S. Decock, Theologians and Contract Law, p. 110 ss.; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht,  §  98 IV. Fn.  38 mit Verweis auf Paulus, sent. 2,14,1 („Ex nudo pacto inter cives romanos actio non nascitur“; zitiert nach Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 98 IV. Fn. 38; ferner Ulpian Dig. 2.14.7.4.: „nuda pactio obligationem non parit“). Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 98 IV; s. aber auch zu den nachklassischen Entwicklungen, wo eine Klagbarkeit auch der meisten pacta gegeben war, Kaser, Römisches Privatrecht, 2. Abschn., S. 362 f. Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 39 I., § 98 I., II; vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 5 Rn. 1, 4 ff., § 33 Rn. 3; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 2 s., 107 s. Hierzu und zum Folgenden: Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelater, S. 761 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 109 ss.

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Kapitel 4

Entstehensgrund vertraglicher Verpflichtungen.34 So orientieren sich die legistischen Autoren an den einzelnen, vertraglichen Entstehungsgründen des römischen Rechts und bemühen sich um eine Ordnung sowie Ausweitung der Klagbarkeit.35 Die verschiedenen Vertragsarten des römischen Rechts werden allgemein eingeteilt in die „pacta nuda“, die nicht klagbar sind, und die „pacta vestita“, aus denen eine Klage (actio) folgen soll.36 Aus pacta nuda entsteht folglich nach ius civile keine actio. Die kanonistische Tradition rezipiert zwar grundsätzlich die Vorgaben des römischen Rechts, weicht aber bald hiervon ab in Bezug auf die pacta nuda, wodurch sich der Grundsatz pacta sunt servanda bildet.37 Ausgangspunkt wird eine Parömie des Konzils von Karthago (345/348 n. Chr.): „Der Friede soll gewahrt werden, Verträge sollen gehalten werden“ (pax servetur, pacta custodiantur).38 Weiter wird angeknüpft an die von den Kirchenvätern (Hieronymus, Augustinus) überlieferte Lehre, dass gegebene Versprechen zu halten sind.39 Im  12. Jahrhundert führt zunächst der Kanonist Huguccio eine wesentliche Neuerung ein.40 Auch wenn im ius civile keine Klage (actio) aus einem pactum nudum folge, soll trotzdem im kanonischen Recht die aus dem Versprechen folgende Verpflichtung bindend sein und zur Klagbarkeit führen.41 Zur Begründung rekurriert Huguccio auf die moralische, aus dem Versprechen folgende Verpflichtung.42 Der Kanonist Bernhard von Pavia bezieht sich ausdrücklich auf den Ausspruch des Konzils von Karthago zur

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Decock, Theologians and Contract Law, p.  109; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 38 Rn.  18; Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 761, 763. Decock, Theologians and Contract Law, p. 109 ss., 113 s. Decock, Theologians and Contract Law, p. 110 ss. (auch zu den Differenzierungen, wie aus einem pactum nudum ein pactum vestitum werden konnte); Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 763; s. dazu auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 3 N. 17 f. Dazu grundsätzlich Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter,  S.  761 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 38 Rn.  18; Decock, Theologians and Contract Law, p. 121 ss. S. und zitiert nach Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter,  S.  762; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 38 Rn.  18; Decock, Theologians and Contract Law, p. 122 s. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 764 f. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 766 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 123 ss. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 767. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 767 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 123 s.

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Begründung der Verbindlichkeit von Versprechen.43 Johannes Teutonicus begründet die Verbindlichkeit der vertraglichen Verpflichtungen mit einer Rechtsschöpfung, der sog. condictio ex canone, die für bestimmte aus dem kanonischen Recht folgende Verpflichtungen, für die ansonsten keine Klage existiert hätte, eine Klage (actio) erzeugt.44 Hingegen nimmt Papst Innozenz IV. im 13. Jhd. auch für das kanonische Recht grundsätzlich die Position des römischen Rechts ein, wonach aus einem pactum nudum keine Klage (actio) folge.45 Allerdings tritt er dafür ein, bei Nichterfüllung von vertraglichen Verpflichtungen die denunciatio zur Einleitung eines kirchlichen Strafverfahrens zu ermöglichen und dann als Kirchenstrafe die Exkommunikation über die nicht erfüllende Partei zu verhängen.46 Diese Lösung hätte zur Folge, dass nicht nur Verträge, die dem kanonischen Recht unterliegen, sondern auch solche des weltlichen Rechts betroffen gewesen wären.47 „Aufgrund der Sünde“ (ratione peccati) hätte auch im Bereich des weltlichen Rechts die Klagbarkeit durchgesetzt werden können.48 Hiergegen wendet sich Ende des 13. Jahrhunderts der Kanonist Kardinal Hostiensis. Er geht von der Klagbarkeit der pacta nuda im kanonischen Recht aus und lehnt gleichzeitig die allgemeine Anwendung der denunciatio evangelica ab, da diese letztlich eine Zuständigkeitsüberschreitung kirchlicher Gerichtsbarkeit darstelle.49 Diese Position wird auch zur vorherrschenden Auffassung der Kanonisten, sodass das kanonische Recht für das kirchliche forum externum von der Klagbarkeit sämtlicher Versprechen ausgeht.50 Auch wenn die Legisten in der folgenden Zeit diese Position für das weltliche Recht selbst ablehnen, wird anerkannt, dass bei Verträgen, die dem kanonischen Recht unterliegen, im Gegensatz zum weltlichen Recht Klagbarkeit grundsätzlich alleine aufgrund des Konsenses gegeben ist.51 Allerdings ist die Geltung des kanonischen (Vertrags-)Rechts grundsätzlich beschränkt auf 43 44 45 46 47 48 49 50 51

Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 769 ff. Decock, Theologians and Contract Law, p. 125, 127; Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 773 f. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 775 ff. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S.  775 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 128. Decock, Theologians and Contract Law, p. 128 s. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 776. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S.  776 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 96, 128 s. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S.  777; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 128 ss.; zur Bedeutung der causa s. Decock, Theologians and Contract Law, p. 130 ss., 135 ss., 150 ss. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 777.

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Geistliche sowie auf Territorien, in denen das kanonische Recht gilt (d.h. vor allem den Kirchenstaat).52 Ebenfalls wird die Klagbarkeit sämtlicher Verträge wohl bereits ab dem 14. Jahrhundert im Handelsrecht anerkannt.53 Auch wenn zahlreiche humanistische Juristen des mos gallicus weiter an den Vorgaben des römischen Rechts festhalten54, setzt sich die Lösung des kanonischen Rechts ab dem 16. Jahrhundert zunehmend im weltlichen Recht durch.55 So finden sich unter Rekurs auf das kanonische Recht sowie die „natürliche Billigkeit“ die Befürwortung der Klagbarkeit der pacta nuda im weltlichen Recht etwa beim Spanier Fortunius Garcia, bei Ulrich Zasius im Freiburger Stadtrecht, beim lutherischen Juristen Mathias Wesenbeck sowie beim französischen Juristen Charles Dumoulin.56 Bedeutung kommt daneben aber auch der Argumentation des französischen humanistischen Juristen Connanus zu, die bei Grotius zum Ausgangspunkt der Diskussion seiner Versprechenslehre wird.57 Connanus bemüht sich um einen neuen Zugang zu den Verträgen nach naturrechtlichem Konzept. Danach ist Verpflichtungsgrund bei Verträgen das Synallagma, d.h. das Bestehen wechselseitiger Verpflichtungen58. Ferner entstehen Verpflichtungen nach Vorleistung eines Teils oder sonst bei Bestehen eines gerechten Grundes (iusta causa) – pacta nuda sind dagegen grundsätzlich nicht klagbar.59

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Siehe dazu Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 257 N. 3: „solum habere locum in causis ad tribunal Ecclesiae ratione personarum, aut materiae, spectantium, itemque in causis laicorum in terris Ecclesiae commorantium, temporalive dominio summi Pontificis subjectorum.“ Gegenüber anderen besteht nur die Möglichkeit der denunciatio fraterna bzw. der denunciatio iudicialis; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 127, 128 s., 138. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S.  777; Decock, Theologians and Contract Law, p. 121 s. Decock, Theologians and Contract Law, p. 107, 119 s. Decock, Theologians and Contract Law, p. 114, 153 ss. Decock, Theologians and Contract Law, p. 153 ss.; Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 85 ff.; Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 778 f.; vgl. auch Hartung, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 239, 248 ff. Dazu Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S.  31 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 121. Bergfeld, Franciscus Connanus, S.  171 ff., 178; Birocchi, Causa e categoria generale del contratto, p. 116 ss.; s. Connanus, Commentarii, Lib. V Cap. II N. 1 f.; Cap. III N. 1 ff., 5. Bergfeld, Franciscus Connanus, S. 178; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 121.

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4.3.2.3 Die Entwicklungen bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik 4.3.2.3.1 Überblick Wesentliche Neuerung wird durch die Naturrechtslehre der Spätscholastik herbeigeführt, die ihrerseits an Thomas anknüpft.60 Decock hat jüngst diese Diskussionen und Entwicklungen nachgezeichnet.61 Hierbei werden zwei Gesichtspunkte bedeutend, die wesentlich mit der thomasischen und jesuitischen Anthropologie, d.h. vor allem dem Gedanken der Willensfreiheit, der Lehre vom moralischen Sein sowie der Gerechtigkeitslehre verbunden sind62: Zum einen der naturrechtliche Grundsatz der vertraglichen Verpflichtung aufgrund des Willens und der Konsens als Grundlage des Vertrages, zum anderen das thomistisch-aristotelische Konzept der ausgleichenden Gerechtigkeit.63 Das römische Recht und die kanonistischen Diskussionen bilden dabei den Ausgangspunkt für die Diskussionen der Spätscholastik, die für das Naturrecht die Abkehr von den Differenzierungen des römischen Rechts hin zu einem auf Konsens beruhenden Vertragsrecht vollziehen.64 In den Diskussionen der Spätscholastiker wird so auch im Kontext des Vertragsrechts grundsätzlich unterschieden zwischen positivem Recht (ius positivum), das ius civile und ius canonicum umfasst, und Naturrecht (ius naturale).65 Wie gezeigt, ist das ius positivum dabei das Recht des forum externum, das ius naturale bindet dagegen im Gewissensforum (in foro conscientiae).66 Die „allgemeinen“ Vertragslehren entwickeln sich anhand des naturrechtlichen Vertragsverständnisses, d.h. dem Recht, das im Gewissensforum (in foro conscientiae) gilt.67 Im Naturrecht (ius naturale) entsteht so auch aus den pacta nuda eine Verpflichtung (obligatio naturalis), die im Gewissensforum ( forum conscientiae) bindet (ex pacto nudo

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Vgl. Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 135 ff., 139 ff. S. auch zum Folgenden Decock, Theologians and Contract Law, p. 162 ss. et passim. Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p.  106 s., 162 s., 167 ss. (zur jesuitischen Anthropologie), 213. Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p.  105 ss., 162 s., 213; Wieacker, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 223, 232, 237. Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 142 ss., 162 ss. Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  17 Dub.  4 N.  19 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 142 ss. S. dazu oben bereits umfassend S.  117 ff., 202 ff.; vgl. grundsätzlich auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 142 s., 143 ss. Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p.  143 ss.; ders., Tijdschrift voor Rechts­ geschiedenis, 77 (2009), 423, 431 ss.

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naturalem oriri obligationem).68 Die Parteien sind daher im Gewissensforum (in foro conscientiae) zur Einhaltung auch der pacta nuda verpflichtet.69 Den Hintergründen und Konsequenzen dessen ist nun im Folgenden nachzugehen. 4.3.2.3.2 Der naturrechtliche Vertragsbegriff: Die Trennung von Ursache und (Rechts-)Wirkung Bei Molina und Lessius werden die Begriffe contractus („Vertrag“) und pactum („Pakt“) eingangs definiert.70 Zunächst unterscheidet Lessius contractus und pactum. Contractus beschreibt er in Anknüpfung an die aus dem römischen Recht entnommene Wendung als „äußeres praktisches Zeichen, das gegenseitige Verpflichtungen aus dem Konsens der Vertragsschließenden hervorbringt“ (signum externum practicum, ultro citroque obligationem ex consensu contrahentium pariens).71 Während unter den Begriff des contractus folglich nur synallagmatische gegenseitige Verpflichtungen zu fallen scheinen, geht der Begriff des pactum nach Lessius darüber hinaus und umfasst auch Versprechen 68

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Molina, De iustitia et iure, Tract. II Disp. 257 N. 1; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub.  4 N.  19. Daneben stehen die aus der naturalis obligatio folgenden Rechtsfolgen der pacta nuda für das forum externum, wonach diese auch im forum externum einen Behaltensgrund für eine erhaltene Leistung gewährt (s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 4 N. 23 [auch zu weiteren Wirkungen]; dazu oben auch bereits S. 202 ff.). Dagegen entsteht eine obligatio civilis nur nach positivem Recht. Aus ihr folgt eine Klage (actio), die in foro externo eingeklagt werden kann (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  252 N.  5; Disp.  257 N.  1). Insoweit unterscheidet sich aber die Rechtslage beim pactum nudum nach positivem Recht: Während nach kanonischem und kastilischem positivem Recht auch aus dem pactum nudum eine actio entsteht, die in foro externo eingeklagt werden kann, ist dies nach ius civile anders – dort entsteht grundsätzlich keine actio aus pacta nuda (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 257 N. 10 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 4 N. 21 f.). Molina fordert schließlich, dass die bisherigen Differenzierungen in iure civili abgeschafft werden sollten und, wie es im kastilischen Recht seiner Zeit entsprechend dem kanonischen Recht bereits gelte, Klagbarkeit auch in foro externo gegeben sein solle (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 258 N. 9; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 142). Die Rechtslage im forum externum soll folglich der Rechtslage im forum conscientiae angeglichen werden, da die Nichtklagbarkeit von pacta nuda dazu führen würde, dass „sich die Streitigkeiten multiplizieren“ (litesque multiplicant) (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 258 N. 9 unter Bezugnahme auf das römische Recht; s. Decock, Theologians and Contract Law, p.  142 s.). Hiermit wendet sich Molina ausdrücklich gegen ein Argument des römischen Rechts, wonach die Unverbindlichkeit von pacta nuda Rechtsstreitigkeiten verhindere (Decock, Theologians and Contract Law, p. 143). Molina, De iustitia et iure, Tract. II Disp. 257 N. 1. S. Molina, De iustitia et iure, Tract. II Disp. 252 N. 1 ff., 4, 6 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Cap. 17 Dub. 1 N. 1 f. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 2; s. Dig. 50,16,19 („contractum autem ultro citroque obligationem“).

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(promissio) und Schenkung (donatio) als nur einseitig verpflichtende Verträge.72 Unter pactum wird insoweit „der Konsens und die Vereinbarung zweier Parteien“ (duorum consensus atque conventio) verstanden. Das pactum kommt dadurch zustande, dass „zwei Willen aufgrund gegenseitigen Konsenses über dasselbe zusammenkommen“ (duae voluntates in idem conveniant reciproco consensu).73 Ein Versprechen (promissio) ist danach erst dann pactum, wenn es auch angenommen worden ist (per acceptationem transeunt in pactum) und insoweit „ein gegenseitiger Konsens“ (consensus reciprocus) vorliegt.74 Schließlich entscheidet sich Lessius, wie auch Molina75, für die Verwen­dung eines weiten „contractus“-Begriffs (contractus late), der mit dem pactum gleichgesetzt wird und insofern auch unentgeltliche Verträge (contractus gratuitos) umfasst, obwohl letztere gerade nicht gegenseitige, synallagmatische Verpflichtungen enthalten.76 Mit dieser begrifflichen Veränderung wird die Wirkung des Vertrags vom Tatbestand des contractus selbst getrennt.77 Die Entstehung einer Verpflichtung (obligatio) ist hier die „Wirkung“ des Vertrages (obligatio enim est effectus per contractum productus in contrahentibus).78 Dadurch wird auch die Unterscheidung im Vertragsbegriff zwischen synal­ lagmatischen und unentgeltlichen Verträgen aufgegeben, beide werden als Verträge eingeordnet.79

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Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 3, 4 f. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 5; zum Begriff des consensus als Willensakt (actus voluntatis; actus liber voluntatis acceptantis bonum intellectu propositum, allerdings erst post perfectam deliberationem et consultationem) s. Suárez, De voluntario, Disp.  8 Sec.  2 N.  1 ff. – die philosophischen Zentralbegriffe, die hier im Vertragsrecht relevant werden (voluntas, consensus, intentio [dazu De voluntario, Disp. 6 Sec. 1 N. 1 ff.]), sind der Willensmetaphysik bzw. der Lehre vom moralischen Sein entnommen und werden in diesem Kontext erläutert, ihnen kommt eine spezifische Bedeutung zu. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  17 Dub.  1 N.  5 („consensus suos in se mutuo dirigant“). Molina, De iustitia et iure, Tract. Disp. 252 N. 7. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 4 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 175 s. Decock, Theologians and Contract Law, p. 176; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 1. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 1; s. bereits Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 16, p. 49 („obligatio est effectus contractus, quia obligatio nascitur ex contractu“); Palacio, Praxis Theologica de Contractibus, Cap. V, p. 16 („Quae diffinitio non est formalis, sed causalis: quia obligatio sequitur ex contractu, ut effectus eius. […] Est autem contractus proprie causans obligationem in utroque contrahentium, alius improprie solum in uno“). Decock, Theologians and Contract Law, p. 175 s.

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Kapitel 4

4.3.2.3.3 Die naturrechtliche Vertragslehre und der philosophische Hintergrund: Wille und Willensfreiheit Nach Lessius folgt so aus jedem Vertrag eine naturrechtliche Verpflichtung; ein Vertrag kann „nicht mehr gegen den Willen einer Partei aufgelöst werden, es sei denn, er ist nach dem positiven Recht unwirksam oder kann zur Unwirksamkeit gebracht werden“ (Omnis contractus, etiam nudus, sponte libereque factus, si contrahentes sint habiles, parit obligationem naturalem, seu in foro conscientiae, ita ut parte invita non possis rescindere, nisi Iure positivo sit irritus, vel detur irritandi potestas).80 Grund ist, dass „jeder durch das Recht gehalten ist, das zu erfüllen, was er versprochen hat, sofern der andere Teil das angenommen hat“ (Iure tenetur quisque praestare quod promisit, altero acceptante).81 Danach sind sowohl entgeltliche als auch unentgeltliche Versprechen (sive promiserit titulo gratuito, sive oneroso) nach Naturrecht bindend82 – jeder Vertrag einschließlich der unentgeltlichen Verträge verpflichtet also. Die Unterscheidung des ius civile zwischen pactum nudum und pactum vestitum ist für das Naturrecht ohne Bedeutung (quia Iure naturae & gentium, nulla est inter haec distinctio).83 „[U]m sich zu verpflichten, genügt“ nach dem Naturrecht alleine „der in Worten ausgedrückte und angenommene Wille“ (ad obligandum sese, sufficit animus verbis expressus & acceptatus); der Vertrag wird damit rein konsensual begründet.84 Wie Lessius später bei der Erörterung des Versprechens deutlich macht, resultiert die Verpflichtungskraft damit aus dem Willen selbst – der Wille verpflichtet (tota vis obligandi sit a voluntate; omnis vis obligandi promissionis

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Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 4 N. 19; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 151 s.; s. ferner Molina, De iustitia et iure, Tract. II Disp. 257 N. 1. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 4 N. 19. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 4 N. 19. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 4 N. 19; Molina, De iustitia et iure, Tract. II Disp. 257 N. 1; Decock, Theologians and Contract Law, p. 152. Lessius, De Iustitia et Iure, Cap. 17 Dub. 4 N. 19; s. Decock, Theologians and Contract Law, p. 152.

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sit ab intentione).85 Der Wille wird so zum Fundament der vertraglichen Verpflichtung, die ihrerseits eine rechtliche Verpflichtung ist.86 Diese Argumentation steht wesentlich in Zusammenhang mit der Konzeption des Menschen als vernunftbegabtem Wesen, das über einen freien Willen verfügt, sowie der Willensmetaphysik.87 Wenn Lessius den Willen (voluntas) zum (Verpflichtungs-)Grund und zur Ursache der vertraglichen Wirkungen erhebt, rekurriert er auf einen Willensbegriff, der zentraler Bestandteil der thomistischen bzw. jesuitischen Philosophie ist.88 Lessius hat 85

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Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 33, 29 („tota vis obligandi promissionis & donationis est a voluntate interna“); Dub. 1 N. 6; Dub. 10 N. 71 („promissio non habet vim nisi ex voluntate & intentione promittentis“); s. ferner auch Cap. 17 Dub. 1 N. 5; Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 3 („obligatio saepe oritur ex propria voluntate, ut in voto, promissione & quocumque contractu“); Lib. II Cap. 12 N. 4 („Sine voluntate autem non potest contractus humanus perfici; potestas moralis, id est, quae habeat adiunctam sufficientem voluntatem; sine potestate autem, & voluntate non est actus validus“); dazu Decock, Theologians and Contract Law, p. 178; vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 266 N. 9 („neque vim habent obligandi nisi ex interiori actu, quem exprimunt, atque ex intentione voluntatis se obligandi; si ab externa promissione aut donatione auferas voluntatem & intentionem internam se obligandi, tollis in foro conscientiae illius obligationem“). Intentio ist selbst ein Willensakt (actus voluntatis), s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q.  12,1 resp.; zum Verhältnis von voluntas und intentio s. ferner Suárez, De voluntario, Disp. 6 Sec. 1 N. 1 ff. Decock, Theologians and Contract Law, p. 152; s.a. aaO, p. 164 s. zum Zusammenhang von Wille, Vertrag und der Übertragung von Eigentum (dominium); ferner unten noch zur Bedeutung des Willens als Instrument der Rechtsbegründung S. 368 ff. S.  Decock, Theologians and Contract Law, p.  167 ss. (auch zur besonderen Bedeutung des freien Willens bei den Jesuiten, s. dazu oben bereits S. 145 ff.); ders., Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 77 (2009), 423 ss., 435 ss.; s.a. Schermaier, in: Pichonnaz (éd.), Autour du droit des contrats, S. 49, 55, 73 ff. dazu, dass der Willensbegriff im römischen Recht etwas anderes meint als der Willensbegriff im modernen Vertragsrecht, der in Philosophie und Theologie seinen Ausgangspunkt genommen habe; zu diesem Willensbegriff und seinem Ursprung bei Augustinus s. oben bereits S. 153 ff. Vgl. auch Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 14 ff. mit dem Hinweis (für Suárez), dass die juristischen Werke der Spätscholastiker auf Begriffe zurückgreifen, die in anderen Teilen des Gesamtwerkes entwickelt werden. Schweighöfer legt insofern dar, dass das Verständnis der Rechtslehre bei Suárez nur unter Begrücksichtigung seines philosophischen und theologischen Gesamtwerkes erfolgen kann. Wenn also in Suárez’ De Legibus oder bei Molina oder Lessius in De Iustitia et Iure auf bestimmte Begriffe zurückgegriffen wird, dann liegt diesen ein spezifisches Verständnis zugrunde, das regelmäßig in einer anderen speziellen Abhandlung entwickelt worden ist; ebenso Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S.  126 ff. für Molinas Willensmetaphysik: danach bildet Molinas Hauptwerk Concordia den rechtsmetaphysischen Hintergrund für den rechtspraktischen De Iustitia et Iure-Traktat.

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insofern ein spezifisches Verständnis von dem, was „Wille“ ist.89 So beschäftigt sich Lessius eingehend mit dem Verhältnis von Wille und Freiheit sowie mit der Frage, ob der Wille selbst indifferent oder determiniert ist.90 Nach Lessius „bestimmt sich“ – insoweit an Duns Scotus anknüpfend91 – „der Wille selbst“ (voluntatem seipsum determinare), er ist der „Herr“ der eigenen Handlungen (domina suorum actuum).92 Weil der Wille „Herr“ der eigenen Handlungen ist, ist er „nicht auf seine Handlungen determiniert“ (non determinata ad suos 89 90

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Vgl. Decock, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 77 (2009), 423, 435. S.  Lessius, De gratia efficaci, Cap.  5 N.  1 ff., 11 (in seiner rechtfertigungstheologischen Abhandlung zum freien Willen); zur Anthropologie, ihrer rechtfertigungstheologischen Begründung und deren Bedeutung für das Rechtsverständnis s. oben bereits S.  145 ff. Bei Lessius fällt dabei auf, dass er die rechtfertigungstheologische Debatte vor allem auf den menschlichen Willen selbst (voluntas humana) zuspitzt, d.h. auf die Frage, ob es „einen der Freiheit vorausgehenden Impuls“ gibt (impulsus praeveniens libertatem), der „den Willen wirkend vorherbestimmt“ (voluntatem efficaciter praedeterminet). Zentraler Begriff ist nicht so sehr das liberum arbitrium als vielmehr die voluntas, die Lessius auch synonym zum liberum arbitrium setzt; vgl. Lessius, De gratia efficaci, Cap.  2 N.  1, 9 ff. Hintergrund dessen ist eine Argumentation zur Widerlegung des Konzeptes vorherbestimmender Gnade (gratia pradeterminans), die Lessius aus der Natur des freien Willens (natura liberi arbitrii) entwickelt (s. Lessius, De gratia efficaci, Cap.  5). Lessius betont dabei, dass zur Rechtfertigung des Sünders Gott als Erstursache (causa prima) und der menschliche Wille (voluntas humana) als Zweitursache (causa secunda) zusammenwirken müssen (Lessius, De gratia efficaci, Cap. 4 N. 12). Die geschaffene Ursache (causa creata) ist der menschliche Wille (voluntas humana), in dessen Macht es stehe, die göttlichen Gnadenmittel wirksam werden zu lassen (Lessius, De gratia efficaci, Cap. 4 N. 12, 15). In diesem Zusammenhang erörtert er, ob zur Willensfreiheit nur die Vernunft (ratio) oder auch der Wille (voluntas) indifferent sein muss (Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 1 f.). Lessius betont, dass zur Freiheit einer Handlung (libertas actus) nicht nur die Vernunft, sondern auch der Wille indifferent sein müsse, sodass jede Determination des Willens der Freiheit entgegenstehe (Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 2, 5, 11; vgl. auch Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, p. 9, der ebenfalls die Freiheit dem Willen selbst und nicht dem Intellekt zuschreibt [libertatem esse in voluntate, & non in intellectu]). Der Wille selbst müsse indifferent und inderterminiert sein, damit eine Handlung frei ist (in der Begründung bezieht sich Lessius auch ausdrücklich auf Duns Scotus und Ockham, s. Lessius, De gratia efficaci, Cap.  5 N.  7 f.). „Jede zuvorkommende Determination“ des Willens würde „der Freiheit widerstreiten“; Freiheit erfordert daher Indifferenz auch des Willens, der Wille bestimmt sich selbst (voluntatem seipsum determinare) (Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 11). Bei Lessius zeigen sich hier deutliche voluntaristische Züge. Wenn nun der Wille selbst „Herr“ der eigenen Handlungen ist und damit selbstbestimmt über Handlungen bestimmen kann, dann erklärt sich auch, wieso die Verpflichtungskraft von Verträgen aus diesem selbstbestimmten, freien Willen stammt. Der menschliche Wille, der notwendig frei ist, ist wirkende Ursache (causa creata; causa secunda; causa libera), deswegen kann er auch Zurechnungsgrund der vertraglichen Verpflichtung sein. S. dazu oben S. 90 ff. Lessius, De gratia efficaci, Cap.  5 N.  11; dazu auch Decock, Tijdschrift voor Rechts­ geschiedenis, 77 (2009), 423, 437.

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actus), sondern kann „sich selbst aus eigener indifferenter Macht bewegen“ (ipsa se ex sua indifferenti potestate posse movere).93 Wenn Lessius (ebenso wie Suárez94) sagt, dass „alle Verpflichtungskraft vom Willen“ selbst stammt95, dann bedeutet dies, dass die Indifferenz, NichtDetermination und Selbstbestimmung des Willens, d.h. die Freiheit des Willens zum eigentlichen Grund der vertraglichen Verpflichtungswirkung wird.96 Damit korrespondiert die Differenzierung im Vertragsbegriff zwischen Vertrag selbst und seinen Wirkungen. Weil der Wille selbstbestimmt und indifferent, d.h. frei ist, kann er auch Zurechnungsgrund der vertraglichen Verpflichtung sein. Weil er frei ist, ist der Wille moralische Ursache (causa moralis), und als moralische Ursache erzeugt er moralische Wirkungen (effectus moralis) wie die Verpflichtung (obligatio) – deutlich zeigt sich später bei Oñate der Einfluss der suarezianischen Lehre vom moralischen Sein.97 Hier wird also auf den philosophischen Hintergrund zurückgegriffen, um die Wirkungs- und Entstehungsweise vertraglicher Verpflichtungen zu erklären. Schließlich ist damit noch ein weiterer Aspekt verbunden, der sich im Hinblick auf die Wirkungen des Vertrags zeigt: Die Möglichkeit, durch Vertrag Verpflichtungen und Rechte zu begründen und zu gestalten.98 Nach Lessius begründen nämlich Vertrag und Versprechen nicht nur die Verpflichtung (obligatio) des einen, sondern auch ein Recht (ius) des anderen.99 Das Recht

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Lessius, De gratia efficaci, Cap. 5 N. 11. S. oben bereits S. 177 f. sowie Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 15, 17, 21; dazu Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 132 ff., 136; s. ferner Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 3, 13, zur Frage, ob die Verpflichtung allein aus dem eigenen Willen oder nicht vielmehr aus dem Gesetz resultiert. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 33. S. dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 163 ss., 166 ss. S. dazu oben S. 177 ff. S. insbesondere Oñate, De Contractibus, Tract. 1 Disp. 4 Sec. 1 N. 7, dessen Vertragsrecht letztlich eine konsequente Anwendung von Suárez’ Lehre vom moralischen Sein auf den Bereich der Verträge ist („finis intrinsecus immediatus in omni contractu est constituere, seu producere per contractum obligationem; […] obligatio est entitas quaedam moralis, & rationis, quae a sola voluntate libera produci & constitui postulat“). S. ferner Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52, wonach das Versprechen nicht nur die Verpflichtung, sondern auch das Recht begründet – das Recht ist wiederum nach Lessius eine moralische Macht (potestas moralis), s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 3; ferner Suárez, De bonitate, Disp. 1 Sec. 3 N. 1 f., 4 f. S. dazu oben S. 320 f. sowie vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 164 ss., 167 ss. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52 („Quia promettere non tantum est affirmare se daturum vel facturum, sed ulterius est se obligare alteri, & consequenter ius illi tribuere ad exigendum“); Cap. 17 Dub. 4 N. 20 („obligationem, vel tribuendi facultatem & ius alteri contrahentium“); Decock, Theologians and Contract Law, p. 200.

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ist das „Korrelativ“ der Verpflichtung.100 Der Wille dient so auch der Rechtsund Pflichtenbegründung.101 Der Mensch begründet durch Vertrag und Versprechen ein privates Gesetz (lex privata) und wird zum „privaten Gesetzgeber“102 – das Versprechen wird so zu einem „Gesetz, das man sich selbst auferlegt“ (promissio […] est veluti lex quaedam, quam quis sibi imponit).103 4.3.2.3.4 Von der Versprechenslehre zum Vertragsbegriff Die Spätscholastiker beschäftigen sich so auch im Einzelnen mit der Frage, wie ein naturrechtlich bindender Vertrag zustandekommt. Ausgangspunkt der konkreten Diskussion bezüglich des Zustandekommens von nach Naturrecht verbindlichen Verträgen ist zunächst die promissio (Versprechen).104 Wie sich bei Lessius gezeigt hat, rekurriert er zur Begründung der naturrechtlichen Verbindlichkeit des Vertrages auf das Versprechen.105 In diesem Zusammenhang wird nun diskutiert, ob ein rein innerliches, d.h. nicht nach außen gerichtetes Versprechen (promissio interna) bindend ist, ob ein nach außen geäußertes Versprechen (promissio externa) auch vor seiner Annahme (acceptatio)

100 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7; tatsächlich hat sich diese Vorstellung der Korrelation von ius (actio) und obligatio (debitum) als Wirkung des Vertrags bereits Mitte des 16. Jhd. in Salamanca Bahn gebrochen, s. die Diskussion bei Albornoz, Arte de los Contractos, Lib. I Tit. 1, Fol. 3 (Action und Obligacion als effectos correlativos des Vertrags); kritisch Palacio, Praxis Theolgica, Cap. V, p. 17 f.; ferner auch ansatzweise Molina, Tract. II, Disp. 383 N. 3 zur Korrelation von Recht und Pflicht. 101 S. dazu oben S. 320 f. 102 S. Decock, Theologians and Contract Law, p. 168 m.w.N. 103 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 40 Dub. 1 N. 3 („promissio est lex quaedam & onus, quod sibi quis sponte imponit“), 6 („sicut enim lex non habet vim, nisi iuxta intentionem legislatoris; ita nec votum aliave promissio (quae est veluti lex quaedam, quam quis sibi imponit) vim habet, nisi iuxta intentionem promittentis“). Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 3, 13 mit dem Hinweis, dass die vertragliche Verpflichtung zwar aus dem eigenen Willen folgt („obligatio saepe oritur ex propria voluntate, ut in voto, promissione & quocumque contractu“), dass also das willentliche Versprechen (voluntaria promissio) fundamentum, seu proxima materia der Verpflichtung ist, dass aber ihr Grund (causa) selbst das Naturrecht sei, welches eigentlich dazu verpflichte, das Versprechen zu erfüllen. D.h. aus dem Vertrag entsteht die Verpflichtung nur durch das Gesetz („non oritur obligatio, nisi ex virtute legis“). 104 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 176 ss., 178 ss. – anders dagegen später Oñate (De Contractibus, Tract. I Disp. 3), der seine allgemeinen Vertragslehren unabhängig von der promissio ganz im Hinblick auf den contractus entwickelt. 105 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Cap. 17 Dub. 4 N. 19 („Iure tenetur quisque praestare quod promisit, altero acceptante“); ferner Cap. 18 Dub. 8 N. 55 („Omnis obligatio contractuum […] non oritur nisi promissione).

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verpflichtet und ob Wirkung eines wirksamen Versprechens eine rechtliche Verpflichtung ist.106 Das (Schenkungs-)Versprechen ist insoweit bedeutsam, als es kein gegenseitig verpflichtender, synallagmatischer Vertrag ist, aber diesem gleichwohl im ius civile Verbindlichkeit zukommt.107 Dies ist besonders problematisch, weil nach teilweise vertretener Meinung gerade das Synallagma (d.h. das Bestehen gegenseitiger Verpflichtungen) Wesensmerkmal eines Vertrags (contractus) sein sollte, wodurch unentgeltliche Verträge eigentlich nicht unter diesen Vertragsbegriff fallen können.108 Hingegen spricht sich, wie gezeigt, Lessius dafür aus, auch unentgeltliche Verträge als contractus einzuordnen, da der Vertrag und seine Wirkungen voneinander zu unterscheiden sind.109 Das Synallagma ist damit nicht mehr Voraussetzung des Vertragsbegriffs – auch die promissio acceptata ist folglich ein Vertrag (contractus).110 Lessius rekurriert dabei auf promissio als „Generalbegriff“, der auf sämtliche Verträge erweitert werden kann (Nomen promissionis esse generale, posseque extendi ad omnes contractus).111 Die promissio kann sowohl entgeltliche (onerosa) als auch unentgeltliche (gratis) Versprechen umfassen.112 Die promissio wird so zu einer allgemeinen Grundform des Vertrages, die bei Lessius unmittelbar nach dem einleitenden Kapitel über die Verträge im Allgemeinen (De Contractibus in genere) behandelt wird.113

106 S.  Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  5; Dub.  6; Dub.  8; hierzu umfassend Decock, Theologians and Contract Law, p. 178 ss., 182 ss., 187 ss. 107 Decock, Theologians and Contract Law, p.  174 s. Nach römischem Recht stellte das Schenkungsversprechen zwar einen pactum nudum dar, der aber aufgrund positiven Rechts (iuris privilegio) klagbar und verbindlich war, s. Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 20; s.a. Kaser, Römisches Privatrecht, 2. Abschn., S. 363. 108 Decock, Theologians and Contract Law, p. 174 s. m.w.N.; s. ferner oben S. 360 ff. 109 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 1, 4 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 175 s. 110 Decock, Theologians and Contract Law, p.  175 sowie Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 1 N. 4 f. 111 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 1 N. 1; Decock, Theologians and Contract Law, p. 177. 112 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 1 N. 1; Dub. 8 N. 55 (promissio onerosa, promissio gratuita); Dub. 9 N. 62; s.a. Cap. 17 Dub. 3 N. 16 (zur Unterscheidung von lucrativum als unentgeltlich und onerosum als entgeltlich); Decock, Theologians and Contract Law, p. 177. 113 Decock, Theologians and Contract Law, p. 176 s.

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4.3.2.3.5 Das Versprechen bei Thomas v. Aquin Im Zusammenhang mit der promissio kommt nun auch Thomas v. Aquin wesentliche Bedeutung zu.114 Thomas hat die Frage der Verbindlichkeit von Verträgen und Versprechen nur ansatzweise angesprochen, und zwar nicht in De Iustitia et Iure, wo Thomas etwa den Kaufvertrag behandelt, sondern beim Gelübde (De Voto).115 Dies geschieht also nicht in der Diskussion der Tugend der Gerechtigkeit, sondern bei der Tugend der Religion116 als Sekundärtugend der Gerechtigkeit. Hierin dürfte auch ein Grund dafür liegen, dass die Spätscholastiker ihre Vertragslehre zunächst als Versprechenslehre entfalten. Thomas geht nämlich nicht vom zivilrechtlichen Begriff des Schenkungsversprechens, sondern von einem eigenen Versprechensbegriff aus.117 So diskutiert Thomas in diesem Kontext die Frage der Verbindlichkeit eines Versprechens (promissio) und Gelübdes (votum). Letzteres definiert er als „Versprechen, das gegenüber Gott gemacht wird“ (promissio Deo facta).118 Nach Thomas begründen votum bzw. promissio allgemein die „Verpflichtung, etwas 114 Dazu Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S.  10 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 179 s.; s.a. Schermaier, ZEuP 1998, 60, 73 im Hinblick auf die Irrtumslehre („letztlich ist es Thomas von Aquin, von dem Grotius und damit die moderne Willenstheorie abhängen“). 115 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88; ferner q. 110,3 ad quint. (dort bei der Tugend der Wahrhaftigkeit [de veritate]); s.a. Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 10; Decock, Theologians and Contract Law, p. 179 s. Es ist durchaus bemerkenswert, dass Thomas die Verbindlichkeit von pacta nuda und damit eine der streitigsten Fragen des 13. Jahrhunderts gerade nicht in seinem Gerechtigkeitstraktat aufgegriffen hat, obwohl er sonst die rechtlichen Kontroversen seiner Zeit (Zulässigkeit des Inquisitionsprozesses; die Frage nach der prozessualen Verwertbarkeit privaten richterlichen Wissens; Wucherverbot; das Verhältnis geistlicher und weltlicher Macht etc.) aufgegriffen hat. Thomas greift diesen Streit eher beiläufig beim Gelübde auf, wenn er erwähnt, dass das einfache einem Menschen gemachte Versprechen nach menschlichem Recht nicht zur Einhaltung verpflichte, was wegen der Wandelbarkeit des menschlichen Willens so zu sein scheine (s. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,3 obi. 1). Vielleicht liegt es daran, dass mit Innozenz IV. erst kurz zuvor ein Papst zu dieser Frage eine Position bezogen hat, die wohl konträr zu Thomas’ Antwort ist. 116 S. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 81,1 resp., wonach die Tugend der Religion die Ordnung des Menschen zu Gott betrifft. In diesem Kontext erörtert Thomas das gegenüber Gott gegebene Gelübde (votum). 117 Vgl. Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S.  20; s.a. Schermaier, in: Pichonnaz (éd.), Autour du droit des contrats, S.  49, 76 f. dazu, dass hierdurch abweichend von der römischen Vertragslehre etwas Neues entwickelt wird; zur promissio im römischen Recht (etwa bei der promissio operarum des Freigelassenen bzw. der Stipulation als Verbalkontrakt) Kaser, Römisches Privatrecht, 1. Abschn., S. 299 ff., 539 f. 118 S.  Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,2 resp.; q. 88 Prooemium; hierzu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 179 s.

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zu tun oder zu unterlassen“ (obligatio ad aliquid faciendum vel dimittendum).119 Promissio ist dabei ein Akt der Vernunft (rationis actus), durch den sich ein Mensch „darin ordnet, was er einem anderen tun muss“.120 Thomas versteht damit die promissio als allgemeinste Form rechtsgeschäftlicher Bindung. Weiter differenziert Thomas hinsichtlich der Entstehungsvoraussetzungen zwischen Versprechen unter Menschen und Versprechen von Menschen gegenüber Gott: Während Versprechen unter Menschen äußerer Zeichen (exteriora signa) wie Worte bedürfen, um verbindlich zu sein, reicht beim Versprechen gegenüber Gott der bloße innere Akt für die Verbindlichkeit aus.121 Dabei „geht das Versprechen aus der Absicht etwas zu tun hervor“ (ex proposito faciendi).122 Diese Absicht „setzt wiederum Überlegung (deliberatio) voraus, weil sie ein Akt des überlegten Willens (actus voluntatis deliberatae) ist“.123 Damit ergeben sich nach Thomas drei Voraussetzungen eines wirksamen Gelübdes, nämlich Überlegung (deliberatio), Willensabsicht (propositum voluntatis) sowie schließlich als letzte Stufe das Versprechen (promissio).124 Es ist danach der Wille, der „den Verstand dazu bewegt, etwas zu versprechen“ (voluntas movet rationem ad promittendum); das Versprechen ist zwar Vernunftakt, setzt aber auch einen Willensakt voraus.125 Wille und Willentlichkeit sind Voraussetzungen des Versprechens.126 Thomas knüpft hiermit an seine Handlungs- und Zurechnungslehre an.127 Er macht einen vorangegangenen

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Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 resp. Wenn Thomas hier von voluntas deliberata spricht, ist dies wiederum ein zentraler Begriff seiner Anthropologie, den er bereits ganz zu Beginn der Prima Secundae in Zusammenhang mit dem freien Willen (liberum arbitrium) verwendet, s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 resp. Danach sind nur solche Handlungen menschliche Handlungen (actiones proprie humanae), „deren Herr der Mensch ist“ (quarum homo est dominus), d.h. die „aus dem überlegten Willen hervorgehen“ (procedunt ex voluntate deliberata). Es geht also wiederum um das dominium sui actus. Wenn Thomas hier also auf den überlegten Willen rekurriert, dann geht es um die Zurechenbarkeit von Handlungen; Voraussetzung des Versprechens ist also dessen Zurechenbarkeit zum Willen des Menschen. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 resp. S. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 obi. 2, ad sec. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 ad sec.; q. 88,2 resp.; s. auch noch unten bei Drohung, Irrtum und Täuschung S. 386 ff. S. dazu oben S.  66 ff. sowie unten noch S.  429 ff.; s.a. Schermaier, in: Pichonnaz (éd.), Autour du droit des contrats, S. 49, 76 f. dazu, dass insoweit der augustinische Willensbegriff relevant wird.

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Willensakt zur Voraussetzung des Versprechens, geht aber zugleich davon aus, dass das Versprechen selbst ein Akt der Vernunft ist. Thomas beschäftigt sich weiter mit den Wirkungen von Gelübde und Versprechen. Aus einem Gelübde entsteht danach eine Verpflichtung aus Treue (ad fidelitatem); diese Verpflichtung folgt „aus dem eigenen Willen und der Intention“ (obligatio voti ex propria voluntate et intentione causatur) – der Wille (voluntas) ist also der Verpflichtungsgrund.128 Ebenso wird eine Verpflichtung bei einem Versprechen unter Menschen begründet: Wenn ein Mensch gegenüber einem anderen ein Versprechen secundum honestatem eingeht, folgt hieraus eine naturrechtliche Verpflichtung (obligatio iuris naturalis).129 Von dieser naturrechtlichen Verpflichtung (obligatio naturalis) sei die zivilrechtliche Verpflichtung (obligatio civilis) zu unterscheiden; für diese bedürfe es anderes.130 Wie gezeigt, wird bei Thomas grundsätzlich zwischen Verpflichtungen aus der Gerechtigkeit (iustitia) und Verpflichtungen aus den Sekundärtugenden der Gerechtigkeit wie Wahrhaftigkeit (veritas) oder Freigebigkeit (liberalitas) unterschieden.131 Aus der Gerechtigkeit folgt eine rechtliche Verpflichtung (debitum legale), wohingegen bei den Sekundärtugenden eine moralische Verpflichtung (debitum morale) „aus der Ehrenhaftigkeit der Tugend“ (ex honestate virtutis) folgt.132 Damit erscheint die Aussage von Thomas an dieser Stelle widersprüchlich.133 Denn das ius naturale ist mit der Tugend der Gerechtigkeit verbunden134, und Thomas spricht hier nicht von einer obligatio naturalis, sondern von einer obligatio iuris naturalis. Gleichwohl rekurriert er nicht auf die Gerechtigkeit, sondern die Ehrenhaftigkeit (honestas). Das lässt Fragen offen, die Anlass einer grundsätzlichen Diskussion bei den Spätscholastikern werden sollten. Ungeachtet dessen begründet Thomas hier vier wesentliche Gedanken der kommenden Diskussionen: erstens geht einem Versprechen ein Willensakt

128 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,3 ad tert. („in intentione et voluntate voventis est obligare se“), resp. Damit knüpft Lessius’ Ansatz wiederum an Thomas an, wenn er den Willen für den eigentlichen Verpflichtungsgrund hält. 129 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,3 ad prim.; s.a. q. 110,3 ad quint. (dort bei der Tugend der Wahrhaftigkeit [veritas]); Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 10. 130 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,3 ad prim. 131 Decock, Theologians and Contract Law, p. 197 ss.; Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 resp. sowie oben bereits S. 141 ff. 132 Decock, Theologians and Contract Law, p. 197 s.; Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 80 resp. 133 Vgl. Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 10 Fn. 39. 134 S. dazu oben S. 199 ff.

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voraus135; zweitens ist Verpflichtungsgrund des Versprechens der Wille selbst; drittens begründet jedes Versprechen eine naturrechtliche Verpflichtung, wenngleich der Verpflichtungsgrad noch ungeklärt ist; viertens wird eine Abgrenzung des verpflichtenden Versprechens von nicht bindenden Vorstufen wie der bloßen Absichtserklärung vorgenommen. Genau diese naturrechtliche Diskussion um die Verpflichtungswirkung eines Versprechens wird nun bei den Spätscholastikern zum Ausgangspunkt ihrer Versprechenslehre.136 4.3.2.3.6 Rechtliche Verpflichtung und Verpflichtungswille Die Diskussion der Spätscholastiker um die rechtliche Bindung von Versprechen betrifft daher zunächst zwei Fragen, die bereits durch Thomas vorgegeben sind: zum einen, ob und wann ein Versprechen vorliegt, das tatsächlich eine Verpflichtung begründet, oder ob nur eine Absichtserklärung gleichsam als nicht rechtsverbindliche Vorstufe gegeben ist137; zum anderen, ob die intendierte Verpflichtung wirklich auch eine rechtliche oder nur eine moralische ist.138 Vor diesem Hintergrund diskutiert Lessius, ob aus einem angenommenen Versprechen (promissio externa legitime acceptata) auch eine naturrechtliche Verpflichtung folgt.139 Anknüpfend an die thomasische Diskussion wird die Absichtserklärung zukünftigen Handelns (propositum) vom verpflichtenden Versprechen (promissio) abgegrenzt.140 Dabei hat bereits Cajetan von Thomas141 das dreistufige Versprechenskonzept hinsichtlich der Verbindlichkeit eines Gelübdes auf das zwischenmenschliche Versprechen übertragen, wonach zwischen Überlegung (deliberatio), Absicht (propositum) und Versprechen (promissio) künftigen Handelns zu differenzieren ist.142 Die Position Cajetans wird von den 135 Wenngleich Thomas neben dem Willensakt auch einen Vernunftakt voraussetzt; der Wille sei zwar Grund der Verpflichtung, aber das Versprechen werde direkt durch die Vernunft begründet, indem der Wille die Vernunft zum Versprechen bewege. Wohl erst mit Lessius bzw. Molina und dem scotistischen Konzept des selbstbestimmten Willens wird alleine der Wille zum Grund von Versprechen und Verpflichtung. 136 Vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, p.  179 ss.; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 20 ff. 137 Hierzu Decock, Theologians and Contract Law, p. 178 ss. 138 Hierzu Decock, Theologians and Contract Law, p. 179, 182, 197 ss. 139 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8. 140 Dazu etwa Molina, De iustitia et iure, Tract. II Disp. 262 N. 1 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52 f., 58 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 179 ss. 141 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 resp.; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 17. 142 S. Cajetan, CommSTh II–II, q. 88,1, p. 305; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 12, 16 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 180 ss.

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Spätscholastikern aufgegriffen und im Rahmen der Verbindlichkeit des rechtlichen Versprechens diskutiert.143 Die bloße Absicht (propositum), zukünftig etwas zu tun, reicht also nicht aus, um eine rechtliche Verpflichtung zu begründen; erforderlich ist vielmehr der Verpflichtungswille (animus obligandi; mens serio se obligare), sich selbst einem anderen gegenüber zu verpflichten und ein Recht zu begründen.144 Hinsichtlich der anderen Frage, ob aus Versprechen auch rechtliche Verpflichtungen folgen, hat Cajetan noch argumentiert, dass die Versprechensverpflichtung nur eine moralische Pflicht (morale seu ex honestate debitum) sei; bei deren Verletzung liegt aber nur eine lässliche Sünde vor (peccatum veniale).145 Eine Todsünde (peccatum mortale) entstehe hingegen nur bei Schadensverursachung durch Nichterfüllung des Versprechens.146 Damit folgt nach Cajetan die Verbindlichkeit von Versprechen grundsätzlich nicht aus der Gerechtigkeit, Versprechensverpflichtungen sind damit grundsätzlich keine rechtlichen Verpflichtungen.147 Hiergegen wenden sich aber die spätscholastischen Autoren und argumentieren, dass die Erfüllung von Versprechen „aus der Gerechtigkeit“ (ex iustitia), und zwar der „ausgleichenden Gerechtigkeit“ (iustitia commutativa) geboten sei – Wirkung eines Versprechens ist die rechtliche Verpflichtung (obligatio iustitiae).148 Denn die Verpflichtung des Versprechens folgt „aus der Intention des Versprechenden“; beim Versprechen gehe es aber nicht darum,

143 S.a. Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 20 ff. 144 Decock, Theologians and Contract Law, p. 178 ss., 182 m.w.N.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52, 58 f.; Dub. 1 N. 6; Cap. 40 Dub. 1 N. 6 (animus se obligandi; mens serio se obligare; animus promittendi; intentio se absolute obligandi; beim propositum entsteht demgegenüber nur eine Pflicht aus der Wahrhaftigkeit [lege veritatis]); Cajetan, CommSTh II–II, q. 88,1, p. 305 (animus promittendi). 145 S. insoweit die Umschreibung von Cajetans Position bei Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  17 Dub.  8 N.  52 sowie Cajetan, CommSTh II–II, q. 88,3, p.  309 f.; q. 88,1, p. 305; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 11 m.Nw.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 199 s. 146 Cajetan, CommSTh II–II, q. 88,1, p. 305; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 11 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 200 m.Nw.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 8 N. 52 ff. 147 Decock, Theologians and Contract Law, p. 199 s.; Cajetan, CommSTh II–II, q. 88,1, p. 305; vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 8 N. 52. 148 Decock, Theologians and Contract Law, p. 182, 199 ss. m.w.N.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 55; vgl. auch Molina, De iustitia et iure, Tract. II Disp. 262 N. 11; s.a. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 3 N. 44, 46 (ex iustitia commutativa).

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eine tatsächliche Aussage über zukünftiges Handeln zu treffen, sondern „sich selbst einem anderen gegenüber zu verpflichten“.149 Einleitend findet sich bei Lessius bereits der – an Thomas orientierte – Hinweis, dass Grund der Verbindlichkeit von Versprechen der Wille ist (omnis vis obligandi promissionis sit ab intentione; tota vis obligandi sit a voluntate).150 Verpflichtungsgrund ist damit der Wille, sich selbst verpflichten zu wollen (animus obligandi).151 Nach Lessius zielt das Versprechen nicht darauf, „zu bestätigen, dass man etwas geben oder tun wird“, sondern besteht darin, „sich einem anderen zu verpflichten und folglich einem anderen ein Recht zur Ausübung zuzuweisen“ (Quia promettere, non tantum est affirmare se daturum vel facturum, sed ulterius est se obligare alteri, et consequenter ius illi tribuere ad exigendum).152 Das Versprechen „erzeugt die Pflicht“ (promissionem parere debitum)153, Korrelat der rechtlichen Verpflichtung ist das Recht der anderen

149 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  8 N.  52, 54, 55, 58; Dub.  1 N.  6; Decock, Theologians and Contract Law, p. 20. 150 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 1 N. 6; Dub. 5 N. 33 („tota vis obligandi sit a voluntate“), 29; Dub. 10 N. 71 („promissio non habet vim nisi ex voluntate & intentione promittentis“); s. ferner auch Cap. 17 Dub. 1 N. 5; Cap. 40 Dub. 1 N. 6 („Requiritur ut fiat cum intentione se obligandi. actus enim agentium ex intentione, non operantur ultra intentionem; cum ab ea omnem suam vim habeant“); Decock, Theologians and Contract Law, p. 178. Dass der Wille Grund der Verpflichtung des Versprechens ist, sagte freilich bereits Thomas (Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,3 ad tert.). Im Vergleich zu Thomas zeigt sich aber eine voluntaristische Verschiebung: Während bei Thomas das Versprechen selbst noch Vernunftakt war (rationis actus) und einen Willensakt voraussetzte, wird bei Lessius und Molina eigentlich nur noch der Wille konstitutiv. Gerade hierin dürfte sich der scotistische Einfluss der Verschiebung in der Frage nach dem Verhältnis von Wille, Vernunft und Freiheit artikulieren (s. dazu oben S. 90 ff., 145 ff.). 151 Decock, Theologians and Contract Law, p. 178 s.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 58 f.; Dub. 1 N. 6; Cap. 40 Dub. 1 N. 6 (animus se obligandi; mens serio se obligare; animus promittendi; intentio se absolute obligandi). In anderem Kontext (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 40 Dub. 1 N. 3 f.) erläutert Lessius ferner, wieso für ein wirksames Versprechen gerade ein positiver direkter Akt (actus positivus & directus; promissio debet esse directe volita & acceptata) erforderlich ist und – im Gegensatz zum peccatum – nicht bloße Fahrlässigkeit (sola negligentia) oder Unterlassung (ommissio) zur Begründung der Versprechensverpflichtung (vinculum promissionis) ausreicht. Weil das Versprechen ein Gesetz und eine Last (lex quaedam & onus) sei, die man sich selbst aus eigenem Entschluss auferlege (quod sibi quis sponte imponit), soll für das Versprechen eine vollendete Überlegung (perfecta animadversio; promissio deliberata) erforderlich sein. 152 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52; Decock, Theologians and Contract Law, p. 200; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 4 N. 20 („obligationem, vel tribuendi facultatem & ius alteri contrahentium“). 153 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 52; Decock, Theologians and Contract Law, p. 200.

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Partei154 – das Versprechen ist Instrument der Rechtsbegründung.155 Wer intendiert sich rechtlich zu verpflichten und folglich Rechte und Pflichten begründen will, der wird auch rechtlich, d.h. durch die Gerechtigkeit, zur Erfüllung der Verbindlichkeit gehalten.156 Jede vertragliche „Verpflichtung ist danach eine Verpflichtung der Gerechtigkeit, und entsteht nur durch das Versprechen; also begründet ein Versprechen eine Verpflichtung aus der Gerechtigkeit“ (Omnis obligatio contractuum est obligatio iustitiae, & non oritur nisi promissione: ergo promissio inducit obligationem iustitiae).157 Umgekehrt folgt grundsätzlich keine rechtliche bzw. vertragliche Verpflichtung (obligatio ex iustitia), wenn eine Zuwendung nur aus moralischer Tugend (ex honestate morali; ex gratitudine) erfolgt – entsprechend liegt dann auch kein Vertrag (contractus) vor.158 Diskutiert wird, wie und mit welchen Folgen sich diese Abgrenzung zwischen moralischer (d.h. Abmachungen aus Freigebigkeit, Dankbarkeit oder Freundschaft) und rechtlicher, d.h. vertraglicher Verpflichtung konkret vollzieht: ob nämlich anhand rein subjektiver, d.h. nur auf den Willen abstellender oder anhand objektiver, an den Gegenstand des Versprechens anknüpfender Kriterien.159 154 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 55 („atqui huiusmodi Iuri respondet obligatio iustitiae“); s.a. ders., De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 2 Dub. 1 N. 7. 155 S.a. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 8; Disp. 5 Sec. 9 N. 381 ff., wonach (mittelbare) Wirkung des Vertrags die Übertragung des Eigentums (dominii translatio) ist, wobei dem freilich der weite dominium-Begriff zugrunde liegt, der auch das dominium an Handlungen umfasst, sodass auch Dienstverträge hiervon erfasst sind. 156 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  8 N.  52, 54 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 200 s. 157 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 55; Decock, Theologians and Contract Law, p. 200. 158 S. Decock, Theologians and Contract Law, p. 179, 182, 197 ss., 200 s. sowie Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  8 N.  54 ff.; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXII Sec.  1 N.  2; Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 5 N. 55, 70 ff.; Sec. 4 N. 28 (dies als Unterschied zum pactum, das so zum Oberbegriff wird: „Contractus est, pactum obligans ex iustitia commutativa“); Disp. 3 Sec. 2 N. 36; Sec. 3 N. 44, 46; ferner Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 27. 159 Decock, Theologians and Contract Law, p. 179, 182, 200 s.; s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 262 N. 3 ff., 11 („in conscientiae foro standum in eiusmodi gratuitis est intentioni eius, qui promisit: eo quod ex sola ipsius voluntate pendeat quousque se debitorem voluerit constituere“); vgl. (mit Verweis auf Molinas Position) Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  8 N.  54 („Obligationem promittentis pendere ex intentione promittentis. si enim promissor intendat se solum obligare ex honestate morali, solum tenebitur sub peccato veniali. si vero intendat se obligare stricte & ex iustitia, tunc tenebitur sub peccato mortali“), N. 57 (debitum ex iustitia, ratione contractus – debitum ex fidelitate, ex liberali promissione). Lessius selbst (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 54 f., 56 f.) folgt hier demgegenüber eher einem objektiven Ansatz, nach welchem der Gegenstand des Versprechens und dessen Bedeutung für die Qualifikation

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Jedenfalls ist der Wille, sich rechtlich binden zu wollen, Verpflichtungsgrund. Die rechtliche Bindung setzt Verpflichtungswillen (animus obligandi) voraus.160 Entsprechend verpflichtet die promissio rechtlich (lege iustitiae), und zwar sowohl das entgeltliche (promissio onorosa) als auch das unentgeltliche Versprechen (promissio gratuita).161 In dieser Diskussion werden also zwei Grundaspekte der thomistischen Tradition entscheidend: Zum einen der Wille als eigentlicher Verpflichtungsgrund – diese Bedeutung des (freien) Willens erklärt sich durch den spezifischen philosophischen Hintergrund, d.h. die Willensmetaphysik162; zum anderen die ausgleichende Gerechtigkeit: vertragliche Verpflichtungen sind rechtliche, d.h. aus der Tugend der Gerechtigkeit folgende Verpflichtungen. 4.3.2.3.7 Die äußere Versprechenshandlung und die Erklärung des Konsenses Nun stellt sich aber die Frage, ob das Versprechen, um wirksam zu sein, auch nach außen (promissio externa) erklärt werden muss oder ob nicht die innere Intention ausreicht. Insoweit bildet sich eine Kontroverse zwischen Molina und den anderen Autoren.163 Maßgeblich für die Bindung ist nach Molina dabei nach Naturrecht alleine die innere Intention des Versprechenden, da

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Bedeutung gewinnen; s. schließlich Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 2 N. 34, 36; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXIII Sec. 6 N. 88 ff. Decock, Theologians and Contract Law, p. 178 s., 182. S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  8 N.  58 f. zur Diskussion, ob eine Verpflichtung entsteht, wenn durch die nach außen getretenene Erklärungshandlung (Si quis utatur verbis promissoriis) ein Versprechen vorzuliegen scheint, obwohl subjektiv kein Versprechenswille (non quidem animo serio promittendi) vorliegt (hierzu auch Decock, Theologians and Contract Law, p.  201 s.). Zwar soll hier im Ausgangspunkt die Verpflichtung nur aus der Tugend der Wahrhaftigkeit (lege veritatis) folgen, weil kein Verpflichtungswille, sondern nur ein Wille, etwas fest zu bestätigen vorliegt („non enim mens illorum serio se obligare, aut ius aliis tribuere exigendi, sed dumtaxat firmiter assevere“). „Wenn aber der Versprechensempfänger glaubt, dass der andere tatsächlich ein Versprechen abgegeben hat, und ihm daraus folgend ein Schaden entsteht […], ist der andere Teil unter Todsünde zur Erfüllung verpflichtet, weil er jenen durch diese Art zu versprechen getäuscht hat und diese Täuschung causa sine qua non für den daraus folgenden Schaden ist“ („Si tamen promissarius putaret alterum serio promisisse, & inde postea contingeret illum damno affici […], promissor tenetur implere sub peccato mortali: quia illo modo promittendi illum decepit, eaque deceptio est causa sine qua non, damni secuti“). Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  8 N.  55; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 200. S. dazu oben S. 145 ff., 164 ff.; vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 167 ss. Dazu Decock, Theologians and Contract Law, p. 182 ss. m.Nw.; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 22 ff.

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diese auch Grund der Bindung sei.164 Dies ist insofern naheliegend, als die Verpflichtungskraft ganz aus dem Willen und damit aus einem inneren Akt zu folgen scheint.165 Demgegenüber stellt Lessius mit der herrschenden Meinung im Anschluss an Thomas166 nicht auf die innere Intention, sondern auf das nach außen tretende Versprechen ab. Er bejaht damit die Äußerungsbedürftigkeit, da erst „die äußeren Zeichen“ (signa externa) bewirken, was gemeint ist, d.h. die Verpflichtung beim Versprechenden und das Recht beim Versprechensempfänger.167 „[A]uch wenn jegliche Verpflichtungskraft vom Willen her kommt, kann dennoch der Wille diese nicht unmittelbar ohne einen äußeren Akt“ herbeiführen, da erst dadurch auch der andere ein Recht erhalten kann (etsi tota vis obligandi sit a voluntate, tamen voluntas non potest eam immediate in homine causare absque actu externo).168 Die Äußerung des Versprechens „bedeutet nicht nur die innere Überlegung, sondern auch den Akt […] des Versprechens (actus promissionis) selbst, der formell in den mit entsprechender Intention geäußerten Worten besteht ( formaliter consistit), und damit auch die Wirkung (effectus)“, d.h. die Verpflichtung des einen und das Recht des anderen.169 Der Wille alleine reicht also nicht aus, um die Verpflichtung zu begründen. Neben dem Willen bedarf es auch einer äußeren Handlung (actus externus) gleichsam als Instrument (instrumentum).170 Der Konsens muss nach außen hin erklärt werden (declaretur), wie Oñate später sagt – eine Erklärung des Willens ist danach erforderlich.171 Daran schließen sich auch 164 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 184 ss.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 266 N. 7 f., 9 ff. 165 S.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 266 N. 9 („neque vim habent obligandi nisi ex interiori actu, quem exprimunt, atque ex voluntatis intentione se obligandi; si ab externa promissione aut donatione auferas voluntatem & intentionem internam se obligandi, tollis in foro conscientiae illius obligationem“). 166 Vgl. Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 22 f.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 183 s. Nach Thomas ist, wie gezeigt, bei einem gegenüber Menschen gemachten Versprechen eine Äußerung nach außen hin erforderlich (exteriora signa), im Gegensatz zum gegenüber Gott gemachten Gelöbnis; siehe Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 88,1 resp. 167 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  5 N.  30 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 185 ss.; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 24. 168 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 33. 169 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 31. 170 Decock, Theologians and Contract Law, p. 186; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 5 N. 30 ff., 33. 171 Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 6 Sec. 2 N. 34 („In omni contractu signa requiri, quibus interior contrahentium consensus declaretur“); s. ferner Sec. 1 N. 11 („declaratio consensus & promissionis“).

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Diskussionen über die Rechtsfolgen an, wenn ein Versprechen nach außen hin erklärt wurde, aber innerlich der Verpflichtungswille (animus obligandi; consensus internus) fehlt.172 4.3.2.3.8 Die Notwendigkeit der Annahme (acceptatio) Schließlich wird diskutiert, ob die promissio alleine schon Bindungswirkung entfaltet oder ob Rechte und Verpflichtungen erst mit der Annahme des anderen Teils (promissio acceptata/acceptatio) entstehen.173 Hiermit ist auch die Frage verbunden, ob die promissio vor Annahme zurückgenommen werden kann.174 Während Molina wieder anknüpfend an das Argument, dass bereits die Intention zur Verbindlichkeit ausreiche, gegen ein naturrechtlich zwingendes Erfordernis der Annahme argumentiert175, kommt die gegenteilige Auffassung zur Erforderlichkeit der Annahme. Denn Voraussetzung der vertraglichen Verpflichtung sei gerade der gegenseitige Konsens176 und nach Naturrecht könne jeder vor der Annahme sein Angebot (oblatio) widerrufen; man hat also nur dann Verpflichtungswille (animus se obligendi), wenn „der andere auch annimmt“.177 Das Versprechen ist nur dann „hinreichende Bedingung der Verpflichtung und des Rechts des anderen (sufficiens causa obligationis, & iuris in altero), wenn der andere es auch annimmt“; „die Annahme ist gleichsam notwendige Bedingung dafür, dass das Versprechen Wirkung entfaltet und dem anderen ein Recht zuteilt“ (acceptatio est veluti conditio necessaria, ut promissio vim exerat, Iusque tribuat).178 Weiter folgt, dass nach der Annahme

172 Dazu Decock, Theologians and Contract Law, p. 192 ss. Lessius spricht sich zwar dafür aus, eine vertragliche Bindung selbst mangels Verpflichtungswillen abzulehnen; aber weil er den anderen Teil getäuscht hat (deceptio), soll der Versprechende haften, sofern er durch die Täuschung (causa sine qua non) einen Schaden (damnum) verursacht hat (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 8 N. 58 f.); s. ferner zu dieser Diskussion Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XXII Sec. 4 N. 36 ff., 49; Disp. XXIII Sec. 1 N. 1 ff. 173 Decock, Theologians and Contract Law, p. 187 ss.; dazu Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 6 N. 34 ff. 174 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 263 N. 1. 175 S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 263 N. 1 ff.; dazu auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 6 N. 37; Decock, Theologians and Contract Law, p. 189 s. 176 Decock, Theologians and Contract Law, p.  187 ss., 190 ss.; ders., Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 77 (2009), 423, 453; s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 6 N. 34 ff.; Cap. 17 Dub. 1 N. 5 (reciprocus consensus). 177 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 6 N. 39. 178 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 6 N. 41 („Obligatio non oritur ex acceptatione tanquam ex causa directa, sed tanquam ex conditione sine qua non“); zur Stellvertretung und Annahme unter Abwesenden Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  18 Dub.  6 N. 42 ff. Zum Begriff der Annahme s.a. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 3 N. 47

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(post acceptationem) das Versprechen nicht mehr ohne Konsens geändert oder widerrufen werden kann.179 4.3.2.3.9 Vertrag: Angebot und Annahme Vor diesem Hintergrund kann Oñate später drei Bedeutungen von promissio in rechtlicher Hinsicht unterscheiden180: erstens, und insoweit im eigentlichen Sinne, ist promissio ein Teil des Vertrags (pars contractus)181, der von der Annahme verschieden ist (ab acceptatione condistincta); in dieser Hinsicht bedeutet promissio den „absoluten Willen […], sich einem anderen aus der ausgleichenden Gerechtigkeit zu verpflichten, welcher dem anderen Teil hinreichend erklärt wird“ (voluntas absoluta, seu propositum absolutum se obligandi alteri ex commutativa iustitia, illi sufficienter significatum)182; jeder Vertrag besteht insoweit aus promissio („Angebot“, „Antrag“) und Annahme (omnes contractus constant ex promissione et acceptatione); zweitens als Kombination von Angebot und Annahme, was der Vertrag selbst ist (propositum coniunctum acceptationi, & simul cum illa; et sic promissio est verus contractus; idem propositum simul cum acceptatione, & sic est contractus, sed generalis)183 – ein Vertrag besteht somit aus den (freien) Willensakten (actus voluntatis) mindestens zweiter Personen, die sich auf dasselbe einigen184; und drittens – insoweit als besondere Vertragsart – als Schenkung (contractus donationis; contractus specialis huius donationis ante traditionem).185

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(„Acceptatio est consensus in voluntatem alterius, qui promisit; consensus in voluntatem alterius, qui iam se obtulit ad subeundam obligationem ex iustitia“). Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 9 N. 62 ff. Decock, Theologians and Contract Law, p. 177 s. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 3 N. 44: aber nur in potentia, solange die promissio noch nicht angenommen ist; in actu aber, „wenn sie mit der Annahme verbunden ist und mit jener in der notwendigen moralischen Verbindung vereinigt ist“; dann sei alles dasselbe („si cum acceptatione coniugatur, & illi debita morali coniunctione uniatur; totum esse idem, cum suis partibus simul sumptis & unitis“) – d.h. der Vertrag besteht in einer moralischen Vereinigung der beiden Willensakte. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp.  3 Sec.  3 N.  44, 46 a.E.; s.a. Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 33 Cap. 1 N. 3; Cap. 2 N. 24 ff.; Cap. 5 N. 84. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp.  3 Sec.  3 N.  45. Der Vertrag bildet insofern eine moralische Einheit (N. 44: „cum acceptatione coniugatur, & illi debita morali coniunctione uniatur; sicut dicere solent Philosophi, totum esse idem, cum suis partibus simul sumptis, & unitis“). S. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 3 N. 20; Disp. 3 Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 26 ff.; Sec. 4 N. 74; Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 10 (actus humanus liberae voluntatis); Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 28 (contractus, & consensus sunt actus solius voluntatis). S. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 3 N. 42 ff., 46 (ferner unterscheidet Oñate noch das Verständnis von promissio im weitesten Sinne als Bezeichnung für das propositum expressum, sich einem anderen aus irgendeiner Tugend [ex quacumque virtute]

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Der Vertrag (contractus) besteht danach in der „moralischen Vereinigung“ (coniunctio moralis) von Antrag und Annahme; beide zusammen bilden eine (moralische) Einheit (compositum morale).186 Von diesem Vertrag (contractus in fieri) als Tatbestand (materia) und moralischer Ursache (causa efficiens; causa moralis) unterscheidet Oñate die (moralischen) Wirkungen des Vertrages (effectus morales).187 Die Einflüsse von Suárez’ Lehre vom moralischen Sein werden insoweit deutlich; Grundlage des Vertrags und seiner Wirkungen ist dementsprechend die Freiheit.188 Moralisches „Produkt“ als Wirkung des Vertrags (productio189) ist die Begründung von korrelativen Rechten und Pflichten sowie die Rechtsübertragung (translatio dominii).190 Ein Vertrag ist nur dann wirklicher Vertrag, wenn er diese rechtlichen Wirkungen begründet; Vereinbarungen, die nur soziale oder freundschaftliche Bindungen begründen, sind keine Verträge.191 Bei Oñate zeigen sich folglich die Auswirkungen der Freiheitsmetaphysik; das Vertragsrecht wird nun in diesen Kategorien konstruiert.

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zu verpflichten – insoweit geht es dann aber nicht um das Versprechen in vertraglicher bzw. rechtlicher Hinsicht [nec est contractus; non est propria materia contractus]); s. ferner Decock, Theologians and Contract Law, p. 177 s. mit Verweis auf Oñate, De Contractibus, Tract. 9 Disp. 29 Sect. 1 N. 6 f. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 4 N. 42, 47 (N. 47: „promissio & acceptatio sunt necessaria ad contractum, & sufficientes ad perficiendum eum, & alterutra sola non sufficit. Nam contractus est compositum quoddam morale ordinatum, & aptum ad transferendum dominium, vel partem eius“); Disp. 3 Sec. 1 N. 1; Sec. 2 N. 26 ff.; Sec. 3 N. 44 („cum acceptatione coniugatur, & illi debita morali coniunctione uniatur; […] totum esse idem, cum suis partibus simul sumptis, & unitis“); Sec. 3 N. 68 („promissionem & acceptationem in omni contractu concurrere necessario, & essentialiter, tanquam partes integrantes eum“; „promissio, & acceptatio simul sumptae, & unitae sunt, vel efficiunt contractum“); dazu auch Decock, Contract Law, p.  177 s.; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Tom. II, Disp. XXII Sec. 3 N. 27 („Ratio autem est quia ad valorem contractus requiritur […] acceptatio utriusque contrahentis; debent enim voluntates utriusque coniugi in unum & idem, ad hoc ut fiat pactum, seu contractum“); Filliucci, Moralium Quaestionum, Tract. 33 Cap. 1 N. 3; Cap. 2 N. 24 ff.; Cap. 5 N. 84; Amicus, De Iustitia et Iure, Disp. XVII N. 2 („Reciprocus consensus duorum aut plurium, sensibili signo expressus. Reciprocus, quia ad contractum non satis est consensus unius, sed requiritur assensus & acceptatio alterius: ita excluditur simplex promissio nondum acceptata, quae promissorem non obligat, donec accedat assensus, & acceptatio promissarii“). Vgl. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 3 N. 20 ff., 24; Tract. II Disp. 6 Sec. 1 N. 13, 17 ff.; ferner Tract. II Disp. 4 vor Sec. 1 N. 2 ff.; Sec. 1 N. 7 f. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 5 Sec. 1 N. 238 („Ratio est, quia contractus est res moralis, unde moralem possibilitatem requirit, & moralem libertatem exigit“). Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 3 N. 20 ff., 24; Tract. II Disp. 6 Sec. 1 N. 16. Oñate, De Contractibus, Tract. II Disp. 4 Sec. 1 N. 7 f.; Tract. I Disp. 1 Sec. 3 N. 20 ff.; Tract. III vor Disp. 7 N. 1; Disp. 7 Sec. 1 N. 4 ff.; Sec. 2 N. 30. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 1 Sec. 5 N. 55, 70 ff.; Sec. 4 N. 28 (dies als Unterschied zum pactum, das so zum Oberbegriff wird: „Contractus est, pactum obligans ex iustitia

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4.3.2.3.10 Irrtum, Furcht und Täuschung In Anknüpfung an diese Vertragslehren werden von den spätscholastischen Autoren nun auch die Rechtsfolgen von Irrtum (error), Furcht (metus) und Täuschung (dolus) für die Wirksamkeit von Verträgen auf grundsätzlich veränderter Grundlage diskutiert.192 Die Diskussionen thematisieren insbesondere, ob Irrtum und Zwang hinsichtlich der Rechtsfolgen gleichzustellen sind, und ob diese automatisch oder nur infolge der Erklärung einer Partei zur Nichtigkeit des Vertrages führen.193 Hierin zeigt sich wiederum der Einfluss der aristotelisch-thomistischen Zurechnungs- und Handlungslehre.194 Danach führen nämlich weder Furcht (metus) noch Irrtum (error) oder Unkenntnis (ignorantia) zwangsläufig dazu, dass eine Handlung als solche unwillentlich (involuntarium) wird – die Zurechnung einer hierdurch verursachten Handlung wird damit nicht grundsätzlich ausgeschlossen.195 Allerdings ist erforderlich, dass der Konsens frei (consensus liber) erfolgt; der Konsens ist dann nicht frei, wenn Wille und Intellekt, d.h. die Ursachen der Freiheit eingeschränkt sind, was wiederum bei Täuschung, Irrtum oder Drohung der Fall ist.196 Beim Irrtum und der Täuschung unterscheidet Lessius insoweit zunächst zwischen Irrtum bzw. Täuschung bezüglich der Substanz des Vertrages (circa substantiam rei) und bezüglich sonstiger Vertragselemente (accidentia extrinseca).197 Weiter differenziert Lessius danach, ob der Irrtum bzw. die Täuschung kausal für den Vertragsschluss ist (dolus dare causam contractui), oder ob der Irrtum nicht wesentlich für den Vertragsschluss ist (dolus incidens).198 Schließlich wird danach unterschieden, ob der Irrtum durch den

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commutativa“); Disp. 3 Sec. 2 N. 36; Sec. 3 N. 44, 46; ferner Tract. III Disp. 7 Sec. 1 N. 27; dazu auch Decock, Contract Law, p. 182, 199 ss. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 5 (error vel dolus), Dub. 6 (metus); dazu umfassend Decock, Theologians and Contract Law, p. 215 ss., 274 ss.; ders., Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 77 (2009), 423, 443 s. (mit dem Hinweis, dass Lessius insoweit die Kategorien des römischen Rechts überwindet); s.a. Martens, ZEuP 2017, 600, 609 ff.; s. ferner Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 4 ff. Decock, Theologians and Contract Law, p. 268 ss. (zur Drohung), 308 ss. (zu Irrtum und Täuschung), 325 ss. Decock, Theologians and Contract Law, p. 219 ss., 222, 280 ss. S.a. bereits Schermeier, Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums, S. 65 ff. zu Thomas; S. 701 („Vielmehr haben beide die scholastische Willens- und Handlungslehre zur Grundlage“). Decock, Theologians and Contract Law, p. 221 s., 281 ss.; s.a. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 6,6 resp.; q. 6,8 resp.; dazu auch unten noch S. 429 ff. S. dazu Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 4 ff., insb. Sec. 4 N. 73 ff. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 5 N. 27; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 308 ss.; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 84 ff. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 5 N. 27 (dolus incidens liegt nach Lessius vor, wenn der Vertrag auch ohne die Täuschung geschlossen worden wäre, aber zu einem

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anderen Teil oder durch einen Dritten herbeigeführt wird, oder ob der Irrtum aus eigener Überlegung folgt.199 Beim Irrtum über die Substanz ist der Vertrag unwirksam (irritus), weil es dann bereits am gegenseitigen Konsens fehle.200 Wenn umgekehrt die Täuschung Ursache des Vertragsschlusses ist und vom Vertragspartner ausgeht, ist der Vertrag zwar wirksam, allerdings kann der Getäuschte als Folge des unvollständigen Konsenses und des ihm gegenüber begangenen Unrechts den Vertrag zur Unwirksamkeit bringen (pro arbitrio decepti irritari potest) – er hat als Folge der Täuschung ein Recht, den Vertrag anzufechten (dolus tribuit ius recedendi a contractu, eiusque irritandi).201 Beim unüberwindlichen Irrtum ohne Täuschung durch den Vertragspartner ist der Vertrag ebenfalls wirksam; es besteht aber ein vertragliches Lösungsrecht, das Lessius mit einer stillschweigenden vertraglichen Bedingung (tacita conditio) begründet; der anfechtende Teil ist dann aber gegenüber dem Vertragspartner zum Schadensersatz verpflichtet.202 Auch hinsichtlich Drohung (metus) argumentiert Lessius, dass der Konsens nicht als solcher fehle und folglich der Grund des Vertrages bestehen bleibe – trotz der Drohung erfolgt der Konsens selbst willentlich (consentit voluntarie).203 Der Vertrag ist folglich nicht automatisch unwirksam.204 Allerdings ist derjenige, der durch die Drohung zum Vertragsschluss gebracht worden ist, berechtigt, sich von dem Vertrag zu lösen.205 Denn das Unrecht (iniuria) berechtigt ebenso wie bei der Täuschung, den Konsens zu widerrufen, der Vertrag kann also nach dem Willen der bedrohten Vertragspartei

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anderen Preis oder zu einem anderen Inhalt; der dolus dans causam contractui ist demgegenüber nur dann gegeben, wenn der Vertrag ohne die Täuschung überhaupt nicht geschlossen worden wäre). Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  17 Dub.  5 N.  27; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 309 s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 5 N. 27 („deest substantialis consensus; nam non consentit in illam rem, sed in aliam“); s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 310. Error in substantia ist dabei der Irrtum über die essentia des Vertrages, s. Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 Sec. 5 N. 100. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 5 N. 29; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 311 s. (auch zur Innovation dieses grundsätzlich neuen Rechtsgedankens). Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 5 N. 33 (auch zu den Differenzierungen, wenn bereits erfüllt worden ist); s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p.  316 s. (näher zur Begründung), 323. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. Dub. 6 N. 36; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 268 ss., 270 s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 6 N. 36; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 270 s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 6 N. 36; Decock, Theologians and Contract Law, p. 271.

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aufgelöst werden (non tamen est Iure naturae irritus, sed irritandus).206 Damit stellt Lessius Drohung sowie Täuschung und Irrtum hinsichtlich der Rechtsfolgen gleich.207 Deren Wirkung ist nicht, dass der Konsens fehlen würde und damit der Vertrag von Beginn an unwirksam wäre; vielmehr berechtigen sie die bedrohte oder irrende Partei dazu, sich vom Vertrag zu lösen.208 Aufbauend auf der Handlungs- und Zurechnungslehre werden also die Folgen von Furcht, Täuschung und Irrtum aufgrund einheitlicher Wertungen behandelt. 4.3.2.4 Zusammenfassung Insoweit fließen thomistische Tradition und Kanonistik, die Willensmetaphysik und die Lehre vom moralischen Sein zusammen und begründen ausgehend davon etwas Neues, nämlich in Abkehr vom römischen Recht die Verbindlichkeit sämtlicher Verträge alleine aufgrund des gegenseitigen Konsenses und des Willens des Versprechenden.209 Entscheidende Impulse gehen von der thomasischen Versprechenslehre, der thomistisch-jesuitischen Willensmetaphysik, der Lehre vom moralischen Sein sowie der aristotelisch-thomistischen Zurechnungs- und Gerechtigkeitslehre aus. Tatsächlich kann man hier mehrere Stufen unterscheiden: zunächst die Unterscheidung zwischen Ursache und Rechtswirkungen des Vertrags sowie die Identifizierung des Vertragsbegriffs mit der Ursache, die sich bereits in der spätmittelalterlichen Lehre durchgesetzt hat210; sodann die Erkenntnis, dass der Vertrag als Wirkung korrelative Rechte und Pflichten begründet, d.h. dass der Vertrag Instrument zur Begründung und Gestaltung von Rechten und Pflichten ist211; die Anwendung der Willensmetaphysik auf den Vertrag, d.h. dass der (freie) Wille der Verpflichtungsgrund 206 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 17 Dub. 6 N. 36. 207 Decock, Theologians and Contract Law, p. 326 s. 208 Decock, Theologians and Contract Law, p.  325 ss.; s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  17 Dub.  6 N.  36 („tum quia iniuria non est immediata causa contractus, sed consensus contrahentis; tum quia etsi iniuria possit esse sufficiens causa ad revocandum consensum, & contractum irritandum, non tamen est sufficiens, ut ipsum reddat omnino irritum“). 209 Grundsätzlich Decock, Theologians and Contract Law, p. 105 ss., 162 ss., 212 ss.; vgl. auch bereits Arnaud, Les origines doctrinales, p. 200 ss.; König, Pothier und das römische Recht, S. 196 f. 210 Summenhart, Tractatus de Contractibus, Tract. I, q. 16, p.  49 („obligatio est effectus contractus, quia obligatio nascitur ex contractu“); Palacio, Praxis Theologica de Contractibus, Cap. V, p. 16 („Quae diffinitio non est formalis, sed causalis: quia obligatio sequitur ex contractu, ut effectus eius. […] Est autem contractus proprie causans obligationem in utroque contrahentium, alius improprie solum in uno“). 211 Albornoz, Arte de los Contractos, Lib. I Tit.  1, Fol.  3 (Action und Obligacion als effectos correlativos des Vertrags); kritisch Palacio, Praxis Theolgica, Cap. V, p.  17 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 164 ss., 167 ss.

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ist, der die Wirkungen begründet und damit verbunden, dass der Vertrag aus Willensakten besteht; schließlich die Entwicklung eines allgemeinen Vertragsbegriffs, der sich aus zwei übereinstimmenden nach außen erklärten Willensakten, d.h. Angebot und Annahme zusammensetzt, welche eine Einheit bilden, und dessen (moralische) Wirkungen die Begründung von Rechten und Pflichten sowie die Rechtsübertragung sind. Diese Entwicklung vollzieht sich ausgehend von der thomasischen Versprechslehre bis in die von der Lehre vom moralischen Sein beeinflusste Vertragslehre bei Oñate. Damit wandelt sich das römische Vertragsrecht hin zu einem alleine auf Willen, Freiheit und Konsens beruhenden Vertragssystem, das Vertrags- und Formfreiheit verwirklicht.212 Voraussetzung eines bindenden Vertrags sind so nach der herrschenden Auffassung Bindungswille (animus obligandi), ein nach außen erklärtes Angebot (promissio externa) und die Annahme dieses Angebots (promissio acceptata/acceptatio).213 Voraussetzung eines jeden Vertrages ist damit der freie gegenseitige Konsens (liber consensus) der Parteien, d.h. dass sich die Willen mindestens zweier Personen auf dasgleiche einigen – der (freie) Wille wird zum Verpflichtungsgrund, er begründet (korrelative) Rechte und Pflichten.214 In der spätscholastischen Diskussion wird dabei auch ausdrücklich der Gedanke der Vertragsfreiheit (contrahentibus libertas restituta) aufgegriffen215, der eng mit der Willensfreiheit des Menschen verbunden ist.216 Von hier aus werden allgemeine Vertragslehren für die Folgen von Irrtum, Täuschung und Drohung, für das Zustandekommen und die Auslegung von Verträgen, sowie für die Verbindlichkeit von Verträgen bei Veränderung wesentlicher Umstände anhand grundsätzlicher Kriterien entwickelt.217 Diese Vertragsfreiheit gilt allerdings nicht schrankenlos. Zum einen wird gleich noch auf die Lehre vom gerechten Preis und die Wucherdoktrin einzugehen sein. Zum anderen kann nach Auffassung der Spätscholastiker ein 212 Decock, Theologians and Contract Law, p. 105 ss., 162 ss., 212 ss. 213 Decock, Theologians and Contract Law, p. 178 ss., 182 ss., 187 ss. 214 S. nur Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp. 3 vor Sec. 1; Sec. 1 ff.; Sec. 3 N. 41 („duas (ut minimum) in omni contractu duorum contrahentium voluntatum concurrere debere voluntates, consentientes in idem obiectum“); Disp.  4 Sec.  1 N.  7 („finis intrinsecus immediatus in omni contractu est constituere, seu producere per contractum obligationem; […] obligatio est entitas quaedam moralis, & rationis, quae a sola voluntate libera produci & constitui postulat“). 215 S.  Oñate, De Contractibus, Tract. I Disp.  2 Sec.  5 N.  166 (im Hinblick darauf, dass in Spanien auch die Klagbarkeit von pacta nuda entsprechend dem Naturrecht und dem kanonischen Recht gewährleistet ist); Decock, Theologians and Contract Law, p. 163 s. 216 Decock, Theologians and Contract Law, p. 163 ss., 167 ss. 217 Decock, Theologians and Contract Law, p. 192 ss., 215 ss., 325 ss.

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Vertrag aufgrund positiven Rechts unwirksam sein (Iure positivo sit irritus, vel detur irrandi postestas) – Beschränkungen können also durch positives Recht herbeigeführt werden.218 Zwar ist der einzelne zur freien Verfügung über sein Eigentum und seine Rechte befugt, gleichzeitig unterliegt er aber auch den Gesetzen des Staates, der für das Gemeinwohl Beschränkungen der vertraglichen Bindung einführen kann.219 Die naturrechtlich grundsätzlich gewährleistete Vertragsfreiheit kann folglich aufgrund von Regelungen des positiven Rechts eingeschränkt werden, so etwa durch Formvorschriften, mit deren Zulässigkeit sich die Spätscholastiker ausführlich beschäftigen.220 4.3.3 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen Wie gezeigt, vollziehen sich so – ausgehend vom römischen Recht schrittweise über die kanonistische und moraltheologische Diskussion – aufeinander folgende Änderungen, an deren Ende nun etwas Neues steht, nämlich die Verbindlichkeit jeden Vertrages bzw. Versprechens alleine aufgrund des Konsenses.221 Es ist dies die Rechtsdiskussion, die Grotius Anfang des 17. Jahrhunderts vorfindet und in bestimmten Teilen rezipiert, allerdings ohne die zugrundeliegende Willensmetaphysik mitaufzunehmen.222 Es zeigen sich insbesondere Einflüsse von Lessius.223 Hieran anschließend entwickelt Grotius seine Vertragslehre zunächst als Versprechenslehre, die Behandlung der promissio ist der Behandlung des contractus vorgelagert.224 Wesentlich für dieses neuzeitliche Vertragsrecht werden entsprechend den Spätscholastikern die Bindungs- und Verpflich­ tungswirkung aufgrund des bloßen Konsenses, woran sich die Vorausset­ zungen und Folgen eines wirksamen Versprechens anknüpfen.225 So greift 218 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  17 Dub.  4 N.  19; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 152 s., 212 ss., 329 ss.; ders., Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 77 (2009), 423, 446 s. 219 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  17 Dub.  4 N.  20; Decock, Theologians and Contract Law, p. 152 s. 220 Dazu umfassend Decock, Theologians and Contract Law, p. 329 ss., 416 ss. 221 Decock, Theologians and Contract Law, p. 212 ss. 222 Zum Einfluss auf Grotius Feenstra, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica nella formazione, p. 377, 382 ss.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 208 ss.; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 34 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 293 ff. 223 Decock, Theologians and Contract Law, p. 62, 210. 224 S. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 11 (De promissis), Cap. 12 (De contractibus); Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 34 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 209. 225 S. Wieacker, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p. 223, 226 ss., 232 ss.; s.a. Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 139 ff.

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Grotius die Versprechensstufen auf226 und setzt für die Verbindlichkeit eines Versprechens voraus, dass dieses nach außen mit dem Willen sich zu verpflichten erklärt227 und angenommen wird (acceptatio)228. Das verbindliche Versprechen begründet ebenso wie bei Lessius „ein Recht“ des anderen Teils (ius proprium alteri conferre), wobei Grotius allerdings das Versprechen selbst als Rechtsübertragung konstruiert.229 Hinsichtlich der Behandlung von Irrtum (error) und Drohung (metus) wird Grotius im Wesentlichen die Differenzierungen von Lessius übernehmen, was wiederum die weitere Rechtsentwicklung (etwa bei Pothier230) beeinflussen wird.231 Daneben zeigen sich aber auch bei Grotius wesentliche Neuerungen, etwa beim Vertretungsrecht232 oder bei der Behandlung der Änderung von Vertragsumständen.233 Damit ändert sich bei Grotius das Vertragsrecht nicht so sehr inhaltlich als vielmehr kontextual. Wie auch sonst, überträgt Grotius das Naturrecht aus dem moraltheologischen, auf das forum poenitentiale bezogenen Kontext in den Kontext seines Völkergemeinrechts.234 226 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 11 N. 2–4; vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 209 s.; Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 142 ff. 227 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap.  11 N.  4, 11 („actum externum, id est signum sufficiens voluntatis“). 228 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 11 N. 14; Decock, Theologians and Contract Law, p. 209. 229 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 11 N. 4, 14 (alienatio dominii; dominii translatio); s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 210 s. Grotius Versprechenstheorie wird dabei als sog. „translative Versprechensübertragung“ charakterisiert; Versprechen sei danach eine einseitige Erklärung, die wie eine unkörperliche Sache vom Versprechenden auf den Gläubiger kraft dessen Annahme übertragen werde, sodass das Versprechen einem eigentumsrechtlichen Erwerbsvorgang nachgebildet werde (s. dazu etwa Schulze, Die Naturalobligation, S. 300). Damit sieht Grotius das Versprechen als Rechtsübertragung, durch die entweder eine Sache oder eben ein Recht an der Freiheit des Versprechenden übetragen wird (Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 11 N. 4). Der Vertrag wird danach als Austausch von Versprechen konstruiert. 230 Pothier, Traité des Obligations, Part. I Chap. I Sect. I Art. III N.  16 ss.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 274 (anders aber bei metus), 322 s., 325. 231 Decock, Theologians and Contract Law, p. 272 ss., 308 s., 321 ss.; Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S. 91 ff.; s.a. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 11 N. 6 u. 7. 232 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 11 N. 12. 233 Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, S.  127, 135 ff.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 211 s. (zur Behandlung sich ändernder Vertragsumstände als Unterschied bei Grotius [Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 16 N. 27]); dazu auch bei den Spätscholastikern Decock, Theologians and Contract Law, p.  202 ss.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 18 Dub. 10. 234 Vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 208 s., 211, 601. Folglich ist „die wichtigste differentia specifica zur Tradition […] die Überführung der gesamten Problemmasse in

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Auch die späteren Naturrechtslehrer (Pufendorf235, Thomasius, Wolff) greifen diese Vertrags- und Versprechenslehren einschließlich der Versprechensstufen auf.236 Die Lehren über das Zustandekommen von Versprechen werden allgemein auf den Vertrag übertragen, es wird hier auf einen umfassenden Vertragsbegriff rekurriert.237 Auf diesem Wege werden die naturrechtlichen Vertragslehren schließlich auch Grundlage der modernen Zivilrechtskodifikationen.238 In Frankreich entwickeln etwa Domat239 und Pothier240 ein auf dem Konsens beruhendes naturrechtliches Vertragsrecht, das unter ausdrücklicher Überwindung der Vertragseinteilungen des römischen Rechts und der fehlenden Klagbarkeit der pacta nuda Vertrags-, Inhalts- und Formfreiheit

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einen neuen Kontext. Nicht die Fragen und die Lösungen haben sich gewandelt, aber ihr „Stellenwert“, und die Intentionen, welche die neuen Autoren verfolgen“ (Wieacker, in: Grossi [Hrsg.], La Seconda Scolastica, p. 223, 225). Das naturrechtliche Vertragsrecht wird folglich seiner Einbindung in das Bußforum entkleidet (vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 209, 601). Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. III Cap. V  §§ 5 ff.; Cap. VI  § 1 ff.; ders., De Officio, Lib. I Cap. IX §§ 2 ff., 6 ff. Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S.  149 ff. (Pufendorf), 159 ff. (Thomasius), 164 ff. (Wolff); Wieacker, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica, p.  223, 226 ss. Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 188 f. (zu Domat und Pothier), S. 160 f. (zu Thomasius). Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S.  170 ff., 183 ff. (ABGB), 187 ff. (Code civil), 197 ff. (BGB). Zum Einfluss auf den Usus Modernus Birocchi, in: Barton (ed.), Towards a general law of contract, p.  139, 141 ss.; ders., Causa e categoria generale del contratto, p. 203; s.a. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 293. Vgl. ferner die Lehre vom Vertrag bei Kant, s. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, 1. Teil, § 19 (AA VI, 272 f.) Domat, Les Loix Civiles, 1re Partie, Livre  I, Tit. I Sect. I N.  1 s., 7 s., Sect. II N.  7: „Der Begriff der Vereinbarung (convention) ist ein genereller Begriff, der Verträge (contrats), Abmachungen (traitez) und Pakte aller Natur (pactes de toute nature) umfasst“; „La convention est le consentement de deux, ou plusieurs personnes, pour former entr’eux quelque engagement“; „toutes les conventions soit qu’elles ayent, ou qu’elles n’ayent point de nom, ont toujours leur effet, & elles obligent à ce qui est convenu“; „Les conventions s’accomplissent par le consentement mutuel, donné et arrêté reciproquement. Ainsi la vente est accomplie par le seul consentement“; „Les conventions étant formées, tout ce qui a été convenu tient lieu de loi à ceux qui les ont faites, & elles non peuvent être revoquées que de leur consentement commun“. S. Pothier, Traité des Obligations, Part. I Chap. I Sec. 1 N. 3, 4 ss.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 211 zum Bezug Pothiers auf Grotius.

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verwirklicht.241 So setzt sich diese Linie auch beim Code Civil von 1804 durch242, dessen Vertragsrecht maßgeblich auf Domat und Pothier beruht.243 4.3.4 Äquivalenz und gerechter Preis 4.3.4.1 Überblick Auch wenn von den Spätscholastikern im Grundsatz eine „Vertragsfreiheit“ begründet wurde, gehen sowohl Thomas als auch die Spätscholastiker davon aus, dass Verträge naturrechtlich den Anforderungen der Tugend der Gerechtigkeit unterliegen.244 Bedeutung kommt dabei dem sog. „gerechten Preis“ (pretium iustum) zu.245 Die Lehre vom gerechten Preis beruht wiederum auf naturrechtlichen Überlegungen.246 Begründet wird sie durch die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa).247 In Anlehnung an Aristoteles248 folgert Thomas, dass ein Kaufvertrag nicht zum Schaden einer Partei sein dürfe und dass daher zwischen Preis und Leistung grundsätzlich Gleichheit (aequalitas) herrschen müsse, da andernfalls die ausgleichende Gerechtigkeit verletzt würde und der andere Teil grundsätzlich zur Restitution verpflichtet sei.249 Die Lehre vom gerechten Preis zielt so auf ein vertragliches Gleichgewicht und soll verhindern, dass Verträge einseitig zu Lasten oder zum Schaden einer Partei gehen.250 241 Dazu auch Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 188 f. (Domat), 190 ff. (Pothier); Arnaud, Les origines doctrinales, p.  203 ss.; König, Pothier und das römische Recht, S. 193 ff.; Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 780. 242 Art. 1134 Code Civil (1804); s. Arnaud, Les origines doctrinales, p. 199 ss. 243 S.  Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S.  187 ff. (Domat), 190 ff. (Pothier), 193 ff. (zu Art. 1101, 1108 Code Civil); Arnaud, Les origines doctrinales, p. 203 ss., 209. 244 Decock, Theologians and Contract Law, p. 152 s., 213 s., 507 ss.; vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,1 resp. 245 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,1; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 2; dazu Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 148 ss.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 531 ff. 246 S.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 512 mit Verweis auf Oñate. 247 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,1 resp., ad prim., ad tert.; hierzu auch Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1131a; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p.  509 ss.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 350 N. 4. 248 Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 1133b. 249 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,1 resp., ad prim.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 350 N. 4 f. 250 S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 350 N. 4 (pro communi utilitate); Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,1 resp.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 510 s., 522.

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Die naturrechtliche Restitutionsverpflichtung (obligatio naturalis) zur Herstellung der Vertragsgerechtigkeit251 stellt einen Unterschied zum ius civile dar; hier werden Preisvereinbarungen grundsätzlich nur durch die sog. laesio enormis begrenzt, nach der ein Vertrag ab Abweichung des Preises vom Wert um mehr als die Hälfte aufgelöst werden kann.252 Entsprechend unterscheiden Thomas und die Spätscholastiker wiederum zwischen dem menschlichen Recht (ius civile/lex humana) und der naturrechtlichen Betrachtungsweise, die nach Thomas notwendig divergieren können – das menschliche Gesetz kann „nicht alles verbieten, was gegen die Tugend ist“, sondern nur „das, was das Zusammenleben der Menschen zerstört“.253 Die Rechtsfolgen eines vom gerechten Preis abweichenden Preises divergieren also in foro interno und in foro externo.254 Die entscheidende Frage ist nun, was denn eigentlich der gerechte Preis ist, und wie sich dieser berechnet.255 In der Spätscholastik knüpft man zum einen an den allgemein geschätzten Preis als Maßstab des gerechten Preises an.256 Dies ist derjenige, der nach „allgemeiner Einschätzung“ (communis aestimatio) vernünftiger Menschen für eine Sache besteht.257 Dieser „natürliche Preis“ (pretium naturale) hat dabei eine Spanne, innerhalb derer ein Preis gerecht ist.258 Dabei orientiert sich dieser natürliche Preis an bestimmten objektiven Preisfaktoren (circumstantiae).259 Zu diesen circumstantiae gehören 251 Zur Restitution in diesem Zusammenhang Decock, Theologians and Contract Law, p. 514 ss.; ferner zur Restitution oben S. 341 ff. 252 Dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 41 Rn. 14; Decock, Theologians and Contract Law, p. 529 ss. 253 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,1 ad prim.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 350 N. 6; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 4 N. 20 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 532 ss. 254 Dazu umfassend, auch zum damit einhergehenden Konflikt Decock, Theologians and Contract Law, p. 532 ss., 536 ss., 544 ss.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 350 N. 1, 6. 255 Dazu auch Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p.  148 ss.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 519 ss. Thomas argumentiert, dass ein Preis gelegentlich nicht genau bestimmt werden könne, sondern vielmehr auf Schätzung beruhe (Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,1 ad prim.). 256 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  21 Dub.  2 N.  7 ff.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 522 ss.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 151 ss.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 347 N. 1 ff. 257 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 2 N. 7, 9; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 153. 258 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 2 N. 10 f.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 347 N. 2 f.; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 526 s. 259 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 2 N. 9; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 347 N. 2.

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etwa der Wert der Sache selbst, die Herstellungs- und Verarbeitungskosten, das Risiko sowie das Angebot und die Nachfrage als örtliche und zeitliche Gegebenheiten.260 Typischerweise bestimmt sich dieser objektive Preis nach dem jeweiligen Markt und ist daher eine Art „objektiver Marktpreis“.261 Zum anderen wird als weitere Methode, den gerechten Preis zu bestimmen, eine gesetzliche bzw. staatliche Taxierung (pretium legitimum) für zulässig gehalten.262 Auch diese staatliche Taxierung ist anhand der erwähnten objektiven Umstände (circumstantiae) zu bilden.263 Grotius264 und spätere Naturrechtslehrer (Pufendorf265, Pothier266) knüpfen an diese Preislehre und den Grundsatz der Leistungsäquivalenz an. 4.3.4.2 Gewährleistungsrecht Der Gedanke der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung führt ferner zu weitreichenden Folgen für das Recht im Hinblick darauf, was geschieht, wenn die Leistung nicht so erfolgt, wie sie versprochen war, d.h. wenn diese einen Mangel aufweist. Im römischen Recht wurden beim Kauf von Sklaven sowie Zugtieren die sog. ädilizischen Klagen (Klagen vor den kurulischen Ädilen als Marktgerichtsbarkeit) entwickelt, die dem Käufer bei bestimmten Sachmängeln die Minderung oder den Rücktritt vom Vertrag ermöglichten, ferner

260 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 2 N. 8; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 347 N. 2; s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 527. 261 Vgl. zur Diskussion Weber, Wirtschafstethik am Vorabend des Liberalismus, S.  113 ff.; Decock, Theologians and Contract Law, p. 522 ss., 526; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 148 ss. Zur Verhinderung der Ausnutzung subjektiver Lagen werden subjektive Interessen, typischerweise des Käufers ausgegrenzt, die den gerechten Preis grundsätzlich nicht beeinflussen können (s. Decock, Theologians and Contract Law, p. 523 s.; vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 3 N. 15 ff.). 262 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 2 N. 7; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 347 N. 1, 4 (zur Nachordnung des pretium legitimum, welches das pretium naturale voraussetzt); s.a. Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 161 ss. (allerdings gegen fixierte Preise); Decock, Theologians and Contract Law, p. 525 s. 263 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 2 N. 8. 264 S. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 12 N. 8 ff., 14 (zu den Preisfaktoren); dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p.  598 ss.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 295 ff. (auch zu den Fortwirkungen). 265 S.  Pufendorf, De Jure Naturae et Gentium, Lib. V Cap. I  §§ 1 ff.; ders., De Officio, Lib. I Cap. XIV §§ 2 ff.; dazu etwa Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 311; Decock, Theologians and Contract Law, p. 598 s., 600 (anders aber Thomasius). 266 Pothier, Traité des Obligations, Part. I Sect. I N. 33 ss. (in N. 34 differenziert Pothier ausdrücklich zwischen der Rechtslage im forum internum und forum externum); s.a. Decock, Theologians and Contract Law, p. 599.

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die sog. actio empti, die dem Käufer bei Arglist oder Zusicherungen des Verkäufers zusteht.267 Ausgangspunkt des Gewährleistungsrechts, wie es sich bei Thomas und den Spätscholastikern entwickelt, ist demgegenüber wiederum die ausgleichende Gerechtigkeit und die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung.268 Der Preis wird entrichtet für eine bestimmte Leistung. Entspricht die Leistung nicht dem Vereinbarten, indem sie Mängel aufweist, ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung gestört, die Äquivalenz ist nicht mehr gegeben. Dabei kann ein Mangel in einer abweichenden Qualität (qualitas), in einer abweichenden Menge (quantitas) oder darin bestehen, dass ein aliud geleistet wird.269 Aus dem Gedanken der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung entwickelt sich so ein Gewährleistungsrecht. Im Anschluss an Thomas wird bei den Spätscholastikern diskutiert, ob der Verkäufer einer mangelhaften Sache verpflichtet ist, den Mangel anzuzeigen. Hinsichtlich der Rechtsfolgen wird erörtert, ob bei einem Mangel der Vertrag durch den Käufer aufgelöst werden kann oder infolge des Mangels der Kaufpreis zu mindern ist.270 So ist der Verkäufer dem Käufer gegenüber grundsätzlich für alle aus dem Mangel folgenden Schäden verantwortlich, wenn er einen erheblichen Mangel kennt und dem Käufer nicht offenbart; bei fehlendem Verschulden des Verkäufers kann der Käufer demgegenüber eine Klage auf den Minderwert des Kaufgegenstandes haben.271 Besondere Bedeutung kommt auch der Frage zu, inwieweit ein Ver267 Dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 41 Rn.  36 ff., 45 ff.; Honsell/MayerMali/Selb, Römisches Recht, § 116; HKK-BGB/Ernst, §§ 434–445 Rn. 4 f.; s.a. insoweit zur Unterschiedlichkeit im Verhältnis zum heutigen Gewährleistungsrecht Schermaier, in: Pichonnaz (éd.), Autour du droit des contrats, S. 49, 52. 268 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,2 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 11 N. 82 (aequalitas debita); Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 353 N. 1 ff.; s.a. HKK-BGB/Ernst, §§ 434–445 Rn. 8; Endemann, Studien, Bd. 2, S. 88 f.; Decock/Hallebeek, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenes 78 (2010), 89, 97 ss. 269 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,2 resp.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub.  11 N.  82 („deest aequalitas debita“); Molina, De iustitia et iure, Tract. II Disp.  353 N. 1 ff. 270 Dazu im Einzelnen Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Dis.  353 N.  1 ff.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 11 N. 86 ff. Unterschieden wird etwa danach, ob der Verkäufer Wissen vom Mangel hatte und ob der Käufer nach dem Mangel gefragt hat bzw. die Sache zu einem bestimmten Gebrauch gekauft hat (s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 353 N. 2 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 11 N. 86 ff.); s. dazu umfassend Decock/Hallebeek, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenes 78 (2010), 89 ss., 105 ss. 112 ss. 271 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 353 N. 2 f., 8 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 11 N. 86 f., 88 f., 91; s.a. bereits Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77,2 resp.; q. 77,3 resp. Ähnlich wird auch diskutiert, ob beim Verkauf von Forderungen oder Schuldverschreibungen gegen nicht solvente Schuldner Haftung entsteht, s. Lessius, De Iustitia

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käufer verpflichtet ist, den Käufer über zukünftige preisrelevante Umstände, die keinen Bezug zur Beschaffenheit der Sache haben, aufzuklären – was von der herrschenden Meinung unter Rekurs auf die Lehre vom gerechten Preis abgelehnt wird.272 So entwickelt sich aus dem Äquivalenzgedanken und dem Konzept der ausgleichenden Gerechtigkeit sowie anknüpfend an das römische Recht ein Gewährleistungsrecht.273 Die Begründung von Aufklärungspflichten und Gewährleistungsrechten durch den Äquivalenzgedanken wird auch bei späteren Naturrechtsautoren aufgegriffen, so etwa bei Grotius274 oder auch bei Pothier275, was wiederum die Naturrechtskodifikationen beeinflusst.276 4.3.5 Wucher und Interesse 4.3.5.1 Quellengeschichte In ihrem Vertrags- und Eigentumsrecht widmen sich die Spätscholastiker auch zahlreichen Themen, die heute dem Handels-, Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht zugeordnet werden.277 Die Beschäftigung von Thomas und den Spätscholastikern mit „wirtschaftsrechtlichen“ Themen erklärt sich mit der Lehre vom gerechten Preis sowie dem sog. Wucherverbot. Beide Fragen werden bei Thomas v. Aquin in unmittelbarem Zusammenhang erörtert.278 Während bei den Kanonisten Rechtsgrundlage des Wucherverbots im Ausgangspunkt noch das Alte und Neue Testament, antike Autoren sowie diverse Rechtsakte des positiven Rechts sind279, wird bei Thomas hier wiederum an die Lehre der ausgleichenden Gerechtigkeit und das Naturrecht angeknüpft.

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et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 9, 10 (N. 79: Mangel bezieht sich nicht auf Verität, sondern auf einen extrinischen Umstand). Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub. 5 N. 39 ff., 47; Thomas v. Aquin, STh, II–II, q.  77,3 ad quart.; ebenso Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap.  12 N.  9; dazu auch Decock, Theologians and Contract Law, p.  592 ss.; Decock/Hallebeek, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenes 78 (2010), 89, 124 ss.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 164 ss. Vgl. Decock/Hallebeek, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenes 78 (2010), 89 ss.; HKK-BGB/ Ernst, §§ 434–445 Rn. 8. Vgl. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 12 N. 9, 12. S. etwa König, Pothier und das römische Recht, S. 184 f. m.Nw. HKK-BGB/Ernst, §§ 434–445 Rn. 10. S. etwa Decock, in: van Hofstraeten/Decock (eds.), Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p. 55, 59 (zu Lessius). Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 77 u. 78. Franke, Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich, S. 25 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 127 ss.; Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S.  5 ff. Bestätigt wurde das Wucherverbot durch zahlreiche Gesetzgebungsakte der Päpste (u.a. der Liber Extra sowie diverse Bullen) sowie weltlicher Herrscher.

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Die Verträge, die ab dem ausgehenden Mittelalter Gegenstand des entstehenden Handelsrechts wurden, umfassen vor allem auch solche, die Innovationen der spätmittelalterlichen Handelswelt sind und – wie etwa der Versicherungsvertrag – dem römischen Recht unbekannt waren.280 Die Behandlung der im Mittelalter neu entstehenden Handels- und Handelsgesellschaftsverträge erfolgt zunächst vor allem in den Werken diverser Theologen des 14. und 15. Jahrhunderts (Thomas Cajetan; Sylvester Prierias; Conrad Summenhart; Gabriel Biel), während sich die älteren Legisten (Bartolus, Baldus) nur teilweise mit handelsrechtlichen Materien auseinandersetzten.281 In der Folge beschäftigen sich dann auch zahlreiche Spätscholastiker (vor allem die Jesuiten Molina282 und Lessius) mit diesen Themen.283 Generell stellt dabei die Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Fragestellungen einen der Schwerpunkte der Spätscholastiker dar, was sich insbesondere vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Frühkapitalismus und des globalen Handels erklären lässt.284 Die entstehende profane Handelsrechtswissenschaft des 16./17. Jahrhundert steht damit zunächst unter dem Einfluss der Werke der

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Ausformung fand es vor allem durch die rechtswissenschaftliche Analyse italienischer Kanonisten und Juristen. Siehe bereits Endemann, Studien, Bd.  1, S.  75 f.; Bd.  2, S.  103 f.; zur Entstehung der Versicherung im Mittelalter bspw. Perdikas, ZVersWiss 1966, 425, 430 ff. S. grundsätzlich zu den handels- und wirtschaftsrechtlichen Werken des Mittelalters und der Frühen Neuzeit vor allem durch die Moraltheologen, auch zu deren Werken Scherner, Handel, Wirtschaft und Recht in Europa, S. 45 ff.; s.a. Decock, in: van Hofstraeten/Decock (eds.), Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p. 55, 70, 72 ss. Zu Biels Geldtraktat „Tractatus de potestate et utilitate monetarum“ etwa Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters, S. 489 f.; zu Cajetans Tractatus de Cambiis (1499) auch Scherner, Handel, Wirtschaft und Recht in Europa, S. 60. Insoweit zum ökonomischen Denken Molinas etwa Schüssler, in: Aichele/Kaufmann (eds.), A Companion to Luis de Molina, p. 257 ss. S. etwa Decock, in: van Hofstraeten/Decock (eds.), Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p. 55 ss.; Prodi, Settimo non rubare, p. 237 ss., 246 ss.; vgl. Scherner, Handel, Wirtschaft und Recht in Europa, S. 45 f. Dazu Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 14 ss., 42, 56. Daneben entsteht im 16. Jahrhundert auch eine praktische handelsrechtliche Literatur (Benvenuto Straccha; Pedro Santerna), wobei besondere Bedeutung italienischen Werken zukommt (Scherner, Handel, Wirtschaft und Recht in Europa, S.  70 ff., 79 ff.). In gewisser Weise ist der 1618 erschienene „Tractatus de commerciis et cambio“ des römischen Anwalts Sigismondo Scaccia eine Synthese der Linien, die im Wesentlichen die Meinungen der Spätscholastiker zusammenfasst (Endemann, Studien, Bd. 1, S. 54; Scherner, Handel, Wirtschaft und Recht in Europa, S. 71, 83 f.; vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 66 ss., 70; ders., in: van Hofstraeten/Decock [eds.], Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p.  55, 58). In bekannter Weise wird hier das Recht in forum internum und forum externum erörtert und gegenübergestellt (vgl. Scaccia, Tractatus de Commerciis, § 1 q. 1 N. 19 ff. [zur Frage, ob Juristen oder Moraltheologen zur

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Spätscholastik.285 Von dort aus geschieht ebenfalls eine Rezeption sowie Verselbständigung der handelsrechtlichen Abhandlungen im weltlichen Recht.286 4.3.5.2 Die Entwicklungen bei Thomas v. Aquin und in der Spätscholastik Wie eingangs erwähnt, steht die Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Fragestellungen bei Thomas und den Spätscholastikern unter dem Einfluss der Lehre vom gerechten Preis und des Wucherverbotes.287 Auch wenn der gerechte Preis und das Wucherverbot konstruktiv unterschiedlich sind, erhalten sie infolge der Lehre der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa) durch Thomas einen gemeinsamen theoretischen Überbau, der sie inhaltlich miteinander verbindet.288 So wie beim gerechten Preis die Äquivalenz von Gegenstand und Preis gewährleistet sein muss, gilt auch beim Darlehen aus der ausgleichenden Gerechtigkeit folgend der Grundsatz der Gleichheit von Leistung und Gegenleistung.289 Das Geld, das in Anknüpfung an Aristoteles grundsätzlich Tauschmittel ist, sei nämlich im Gegensatz zu bestimmten Sachwerten nicht auf Gebrauch, sondern auf Verbrauch gerichtet, wohingegen Zins nur als Gegenleistung für den Gebrauch zulässig sei.290 Daher ist es nach Thomas grundsätzlich ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit, wenn für geliehenes Geld ein Zins zu zahlen ist.291 Auch hier differenziert

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291

Entscheidung der Rechtsfragen berufen sind]; s.a. Scherner, Handel, Wirtschaft und Recht in Europa, S. 84). So etwa Scherner, Handel, Wirtschaft und Recht in Europa, S.  45 f., 70 ff.; vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 70; Prodi, Settimo non rubare, p. 237 ss. Allerdings sind der Umfang der Rezeption und der Einfluss der Spätscholastiker, die auch die nachfolgend entstehende Wirtschaftswissenschaft beeinflussen sollte, wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt; vgl. hierzu auch Decock, in: van Hofstraeten/Decock (eds.), Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p. 55 ss. (zur „hidden story in the history of company law“); Scherner, Handel, Wirtschaft und Recht in Europa, S. 45 f.; zur wirtschaftswissenschaftlichen Geschichte s. etwa Langholm, The legacy of scholasticism in economic thought, p. 1 ss. et passim. Zum Zinsverbot s. bspw. Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 125 ss.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  27 ff.; Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S. 7 ff. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 455 ff., 531 ff.; s.a. Endemann, Studien, Bd. 1, S. 17; Bd. 2 S. 31 f. (zur Bedeutung von Thomas v. Aquin in diesem Zusammenhang); vgl. Molina, De Iustitia et Iuris, Tract. II Disp. 304 N. 2. S. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 78,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 78,1 resp. (insoweit würde dieselbe Sache zweimal verkauft, wenn neben der Wiedererstattung des Geldes auch Zins als Entgelt für den Gebrauch zu entrichten ist); s.a. Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 27; AlonsoLasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 133 s. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 78,1 resp.

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Thomas wiederum zwischen der naturrechtlichen Betrachtungsweise292, nach der in foro interno für zu Unrecht bezahlte Zinsen Restititution geschuldet ist293, und der Rechtslage nach ius civile, nach der Darlehenszinsen zulässig sein können.294 Allerdings zeigt bereits Thomas Ausnahmen vom Zinsverbot auf, die für die folgende Entwicklung wesentlich sind und auch von den Spätscholastikern aufgegriffen und erweitert werden. Thomas rekurriert insoweit auf die von der Kanonistik entwickelten „Zinstitel“. Während die ältere Kanonistik zunächst noch jegliche Art des Zinsnehmens, d.h. die Einforderung eines Betrages über das gewährte Kapital (ultra sortem) untersagte, bildeten sich in der Rechtslehre des 13. Jahrhunderts bereits fortwährend weitere Ausnahmen in Gestalt dieser Zinstitel.295 Daran anknüpfend ist der Darlehensgeber nach Thomas dazu berechtigt, Ausgleich für Nachteile und Schäden zu verlangen, die ihm durch die Darlehensvergabe entstanden sind.296 Zu unterscheiden ist der unzulässige Wucher (usura) vom zulässigen Interesse (interesse), das als Ausgleich für mit der Darlehensvergabe entstandene Nachteile verlangt werden kann.297 Insoweit wird anerkannt, dass der Kreditgeber sein „Interesse“ verlangen kann. Die Kanonistik hatte ausgehend vom Schadensrecht zur Erfassung des Schadens den Interessebegriff geprägt und auch auf das Darlehensrecht übertragen.298 Hiervon ausgehend wird bei Thomas der Fall der Kapitalüberlassung an Kaufleute „wie ein Gesellschafter“ aufgegriffen, der vom Darlehensnehmen zu 292 Zur naturrechtlichen Herleitung des Zinsverbotes s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 4 N. 24, 26. 293 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 78,3 resp. 294 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 78,1 ad tert.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 4 N. 31 ff.; zum römischen Recht s. Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 95; Zimmermann, The Law of Obligations, p. 166 ss. Im zeitgeschichtlichen Kontext stehen dabei freilich Zinssätze, die im mittleren zweistelligen Bereich liegen können, sodass das Zinsverbot gerade notleidenden Menschen zugute kommen soll (vgl. Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p.  130; dazu auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  20 Dub.  4 N.  34; ferner zum zeitgeschichtlichen Hintergrund Franke, Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich, S. 39 ff.). 295 Dazu auch Weber, Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus, S.  149 ff.; Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S.  28; Franke, Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich, S.  74 ff.; Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S. 14 ff. 296 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 78,2 ad prim. 297 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 29; Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S. 15; zum Interessebegriff Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 10 N. 68. 298 Dazu Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 138 s.; Thönissen, Die Versicherung von Bonitätsrisiken, S. 157 ff.; Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S. 14 ff.

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unterscheiden sei.299 So sei es erlaubt, für die Kapitalüberlassung entsprechend einem Gesellschaftsvertrag Gewinnbeteiligung zu verlangen, da der Geldgeber gleichsam Eigentümer des Geldes bleibe und das Risiko der Rückzahlung trage.300 Thomas knüpft hier an die bereits ausgebildeten kanonistischen Differenzierungen und konkret an die sich neu bildenden Gesellschaftsformen an, in denen ein Gesellschafter Kapitalgeber ist und andere geschäftsführend tätig sind, und die gemeinhin für zulässig gehalten werden.301 Diese Diskussionen greifen später auch die Spätscholastiker auf und erweitern die Zinstitel.302 Als Wucher untersagt ist demnach grundsätzlich das Entgelt für die bloße zeitliche Einräumung des Gebrauchs des Geldes.303 Die Kapitalüberlassung an eine Gesellschaft, bei der der kapitalgebende Gesellschafter feste Zinssätze erhält, ist demgegenüber ebenso naturrechtlich zulässig304 wie der Versicherungsvertrag305, bei dem ein Risiko gegen Entgelt übernommen wird.306 Besondere Bedeutung gewinnt im 16. Jahrhundert ferner die Diskussion um den sog. contractus trinus, der eine Verbindung von Kapitalversicherung (assecuratio), Zinskauf (emptio spei) und Gesellschaftsvertrag (societas) darstellt und damit durch drei kombinierte Verträge letztlich ein unternehmerisches Darlehen mit Rückzahlungsgarantie und festen Zinssätzen wirtschaftlich abbildet.307 Weitere Titel betreffen Rentenverträge308 oder den Wechsel309, bei dem eine Vergütung durch den Wechselschuldner anerkannt 299 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 78,2 ad quin.; dazu auch Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S. 34 f. 300 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 78,2 ad quint. 301 Vgl. Franke, Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich, S.  80 ff.; Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S. 33 ff. 302 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 28 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 138 ss. 303 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 4 N. 27. 304 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 29; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 25 Dub. 2, 3 N. 23; s.a. Decock, in: van Hofstraeten/Decock (eds.), Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p. 55, 64 ss., 69 ss. 305 Hierzu auch Bergfeld, in: Grossi (Hrsg.), La Seconda Scolastica nella formazione, p. 457 ss. 306 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 28 Dub. 4 N. 24 ff. 307 Hierzu und zum sog. „oberdeutschen Zinsstreit“ s. Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S. 37 ff., 56 ff. et passim; Decock, in: van Hofstraeten/Decock (eds.), Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p. 55, 69 ss.; ders., in: Decock/Ballor/Germann/Waelkens (eds.), Law and Religion, p. 22, 25 ss.; Franke, Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich, S. 83 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 25 Dub. 3 N. 23; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 417 N. 1 ff., 10 ff. (beide grundsätzlich für Zulässigkeit gegen Soto). 308 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 22 Dub. 1 ff.; dazu auch Trusen, Gelehrtes Recht, S. 489 ff. 309 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 23 Dub. 1 ff.

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wurde.310 Ferner werden die Darlehensgeschäfte bestimmter öffentlicher oder caritativer Banken (montes; montes pietatis) generell für zulässig gehalten.311 Soweit man (Kredit-)Versicherung und die entgeltliche Übernahme von Bürgschaften für zulässig hält, ist auch generell die entgeltliche Übernahme des Kreditrisikos (periculum sortis) – Risiko des Zahlungsausfalls des Schuldners – zulässig.312 Wenn nun aber ein Dritter Vergütung für die Übernahme des Kreditrisikos verlangen darf, folgt freilich die Auseinandersetzung, ob dann nicht auch der Kreditgeber selbst vom Kreditnehmer eine Vergütung für die Übernahme seines Kreditrisikos als Interesse verlangen darf.313 Im Zusammenhang mit dem Darlehen kommen so als mögliches Interesse des Kreditgebers die ihm infolge der Darlehensvergabe entstehenden Schäden (etwa Refinanzierungskosten; sog. damnum emergens)314, der entgangene Gewinn, den er mit dem darlehensweise vergebenen Kapital hätte erzielen können (lucrum cessans)315, und schließlich das eingegangene Kreditrisiko (periculum sortis) in Betracht.316 Erlaubt man diese Zinstitel und erkennt gleichzeitig an, dass für diese Zinstitel vertragsklauselmäßig pauschale Zinsquoten verlangt werden können, ist das Wucherverbot freilich hinfällig, was auch von den Spätscholastikern entsprechend diskutiert wurde.317 Die Spätscholastiker halten damit zwar grundsätzlich am Wucherverbot fest. Die Anerkennung weitreichender Zinstitel wie etwa durch Molina, der 310 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 29; Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S. 28 ff., 31 ff. 311 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 23 N. 189 ff., 194; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 325 N. 1 ff.; dazu auch Trusen, Gelehrtes Recht, S. 455 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 138 ss.; Weber, Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus, S. 157 ff.; Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, S. 24 ff. 312 Dazu Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 13 N. 111 ff. 313 Bejahend Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 13 N. 111 ff.; s.a. Molina, De Iustitia et Iuris, Tract. II Disp. 318 N. 1 ff.; zu dieser Diskussion auch Endemann, Studien, Bd. 2, S. 323 ff.; Weber, Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus, S. 149 ff. 314 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 10 N. 68 ff. 315 Bejahend Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 11 N. 79 ff.; Thomas lehnt es hingegen noch ab, auch eine Vereinbarung zum Ausgleich des zukünftigen entgangenen Gewinns treffen zu können; Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 78,2 ad prim.; s.a. Weber, Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus, S. 151 ff. 316 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 29 f.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 141 ss.; Endemann, Studien, Bd. 2, S. 320 ff. Ferner stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit des Zinstitels für die bloße Zeitüberlassung des Geldes, wenn das Geld für eine bestimmte Zeit überlassen wird; s. dazu insbesondere die Diskussion bei Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 14 N. 119 ff.; ferner auch Weber, Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus, S. 154 f. 317 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 30; Weber, Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus, S. 151.

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auch die naturrechtliche Begründung des Zinsverbotes infrage stellt, ermöglicht jedoch in bestimmtem Umfang die verzinste Darlehensvergabe.318 Auch Grotius etwa hält grundsätzlich am Zinsverbot und den Zinstiteln fest, stellt aber die naturrechtliche Begründung infrage.319 Die grundsätzliche juristische Verneinung des Wucherverbots findet sich dann vor allem bei calvinistischen Juristen (Dumoulin und Salmasius) des 16. und 17. Jahrhunderts, worauf schließlich in der Neuzeit die Überwindung des Wucherverbots folgt.320 318 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 304 N. 1 ff.; Disp. 314 N. 1 ff., 7 f.; Disp. 315 (im Hinblick auf die Zinstitel damnum emergens und lucrum cessans); Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 131 ss., 141 ss.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 20 Dub. 4 N. 32 (moderate Zinsen könnten im positiven Recht zugelassen werden wegen des Gemeinwohls oder weil sich auch häufig Zinstitel finden ließen). 319 Nufer, Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker, S. 75; s.a. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 12 N. 20, 21 (zu den zulässigen Zinstiteln), 22 (zur Zulässigkeit maßvoller Zinssätze, die nach positivem Recht erlaubt sind). 320 Endemann, Studien, Bd. 1, S. 62 ff., 67 f., aber auch mit dem Hinweis, dass sich die Praxis bereits zuvor weitgehend über das Wucherverbot hinweggesetzt hätte; instruktiv zu Calvin und Dumoulin im Vergleich mit Luther und Azpilcueta Schmoeckel, in: Decock/ Ballor/Germann/Waelkens (eds.), Law and Religion, p. 186 ss., 196 ss. Durch die aus der Empirie gewonnene Erkenntnis, dass die kreditweise Geldüberlassung für den Kreditgeber einerseits Refinanzierungskosten, andererseits aber auch Kreditrisiken beinhaltet und dass Geld als Kapital ein produktiver Wert zukommt, entwickelten die Moraltheologen so auch Ansätze einer Zinstheorie (vgl. Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 131 ss., 145 ss., 179 ss.; Weber, Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus, S. 149 ff., 155 f.). Während die ältere Literatur insbesondere des 19. Jahrhunderts die spätscholastischen Wirtschaftslehren noch weitgehend negativ bzw. als wirtschaftsfeindlich bewertete, wird inzwischen eher eine differenzierende Bewertung vorgenommen: Die wesentliche Wirkung der moraltheologischen Beschäftigung mit wirtschaftlichen Fragestellungen sei danach nicht gewesen, dass die wirtschaftsrechtliche Entwicklung aufgehoben worden wäre, sondern dass durch die dogmatische Erfassung der Wirtschaftspraxis die rechtliche und praktische Entwicklung auf bestimmte Rechtsgeschäfte hin kanalisiert und hierdurch Typisierung geleistet wurde, und zugleich die wirtschaftspraktischen Innovationen des aufkommenden Frühkapitalismus gefördert und legitimiert wurden (in diese Richtung Decock, in: van Hofstraeten/Decock [eds.], Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p.  55, 57, 83, 89 [„theologians played a major role in the process of preparing and legitimising developments in legal practice in the sixteenth and seventeenth centuries“]; vgl. auch Prodi, Settimo non rubare, p. 237, 246; Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S.  83 f.). Auf diese Weise wurde etwa das Versicherungsrecht (Interesselehre; Äquivalenzprinzip) durch die Moraltheologen und Spätscholastiker beeinflusst (s. dazu etwa Thönissen, Die Versicherung von Bonitätsrisiken, S.  157 ff.). Weitere Beispiele sind die Auseinandersetzungen der Spätscholastiker mit der Zulässigkeit von Monopolen und Preisabsprachen, die ebenfalls vor dem Hintergrund der ausgleichenden Gerechtigkeit und der Äquivalenz geführt wurden (dazu auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 21 Dub.  21 N.  144 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p.  156 ss.). Von der wohl herrschenden Lehre wurde wegen der Preisverzerrung die Zulässigkeit privater

404 4.4

Kapitel 4

Strafrecht und Strafprozess

Schließlich ist näher auf die Entwicklungen des Strafrechts einzugehen. Die thomistischen Einflüsse auf die Straflehren folgen nicht so sehr aus dem Traktat De Iustitia et Iure als vielmehr aus De Lege und De Peccato aus der Prima Secundae.1 Grund ist, dass nicht so sehr aus der Gerechtigkeitslehre als vielmehr aus der Sünden- und Bußtheologie Konzepte und Ideen, teilweise mittels des kanonischen Rechts, auf das weltliche Strafrecht übertragen werden. Wie sich zeigen wird, werden die thomasische Buß- und Sündentheologie, ferner aber auch die Anthropologie und die Gerechtigkeitslehre Auswirkungen auf die Entwicklung des Strafrechts haben. Diese Rezeption vollzieht sich teilweise früher als die zivilrechtliche, da bereits bis zum 16. Jahrhundert Transfers in das weltliche Strafrecht vorgenommen werden2. Auch erfolgt dies bereits eher über die legistische Rechtswissenschaft und erst dann über die Naturrechtslehre der Neuzeit.

Monopole sowie von Preisabsprachen abgelehnt. Staatliche Monopole wurden nur bei Gemeinwohldienlichkeit sowie bei Erfüllung weiterer bestimmter Anforderungen für zulässig erachtet (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  21 Dub.  21 N.  148 f.; umfassend dazu Höffner, Wirtschaftsethik und Monopole, S. 101 ff.). Ebenfalls wurden Geldentwertung und Preisbildung auf dem Geldmarkt erörtert (dazu Weber, Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus, S, 143, 175 ff.; s.a. umfassend zur Geldlehre bei Thomas Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S.  315 ff. et passim). Ferner zeigen sich Einflüsse im Gesellschaftsrecht (hierzu etwa Decock, in: van Hofstraeten/Decock [eds.], Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p.  55 ss. [zu Lessius]). So transformierte sich auch das Recht der Personengesellschaft vom römischen Recht durch zunehmende Verselbständigung der Gesellschaft von den Gesellschaftern, die Firmenhaftung, Bestimmungen zur Gewinnverteilung und deren Dispositivität, Herausbildung der Kommanditgesellschaft und allgemein die Erörterung der Handelsgesellschaften (dazu Löber, Das spanische Gesellschaftsrecht im 16. Jahrhundert, S.  54 ff.; Endemann, Studien, Bd. 1, S. 343 ff.; s.a. Decock, in: van Hofstraeten/Decock [eds.], Companies and Company Law in Late Medieval and Early Modern Europe, p. 55, 60 ss.). 1 Damit korrespondierend findet sich in den De Iustitia et Iure-Traktaten kein eigenes „strafrechtliches“ Kapitel – im Gegensatz etwa zu den rein strafrechtlichen Traktaten des 16. Jahrhunderts (etwa Decianis „Tractatus Criminalis“). Strafrechtliche Aussagen, die hier aus den De Iustitia et Iure-Traktaten zusammengetragen werden, kommen daher insgesamt vor allem aus dem Abschnitt über die Rechtsverletzungen (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Sectio II) sowie dem Abschnitt über die Unrechtshandlungen vor Gericht (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Sectio IV). Hintergrund dessen ist freilich der Aufbau der Summa Theologiae: Die allgemeinen Handlungs-, Zurechnungs- und Straflehren werden in der Prima Secundae entwickelt; die Gerechtigkeitslehre in der Secunda Secundae, die Gegenstand der De Iustitia et Iure-Traktate ist, baut hierauf auf. 2 S. grundsätzlich zur Strafrechtswissenschaft des 16. Jahrhunderts und deren Bezüge zur thomistischen Theologie Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 18 ff.

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4.4.1 Einleitung Wie reagiert man auf begangenes „Unrecht“? Für das heutige Recht kann man „die Abhängigkeit der Strafwürdigkeit im einzelnen Falle von der Verschuldung bestimmter strafbarer Handlungen“ und „die Pflicht des Staates zu amtlicher Verbrechensverfolgung in einem auf Wahrheitsermittlung eingestellten geordneten Verfahren“3 als wesentliche Elemente des Strafrechtssystems ansehen. Die Verhängung einer Strafe setzt die Schuld einer Person voraus. Die individuelle Verantwortung für eine Tat durch zurechenbares schuldhaftes Handeln einer Person ist Voraussetzung der Strafe, das „Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz […]. Dieser den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrschende Grundsatz ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert. Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ (nulla poena sine culpa) setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwischen Recht und Unrecht entscheiden kann.“4

Die schuldhaft begangene Straftat wird durch schuldangemessene Strafe sanktioniert, welche vom Gericht in einem justizförmigen, auf Ermittlung der Wahrheit gerichteten Verfahren durch Urteil verhängt wird. Die Strafe hat „die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein“.5 Angesprochen sind ferner Inquisitionsmaxime (Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen durch Staatsanwaltschaft und Gericht, §§ 160 Abs. 2, 244 Abs. 2 StPO), Offizialprinzip (Strafverfolgung erfolgt von Amts wegen [ex officio], unabhängig von einer privaten Initiative) und Legalitätsgrundsatz (Pflicht zur Strafverfolgung, §§ 152 Abs. 2, 160, 170 Abs. 1 StPO) als strafprozessrechtliche Grundsätze.6 Darüber hinaus erscheint die Trennung von Straf- und Zivilrecht sowie von Strafe und Schadensersatz wesentlich, es gibt grundsätzlich keine Privatstrafe.7 Weiter 3 E. Schmidt, in: Schroeder (Hrsg.), Die Carolina, S. 82, 84. 4 BVerfG NJW 2016, 1149, 1152 f.: „Dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zu Grunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten […]. Deshalb bestimmt  Art.  1 Abs. 1 GG auf dem Gebiet der Strafrechtspflege die Auffassung vom Wesen der Strafe und dem Verhältnis von Schuld und Sühne […] sowie den Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt. Eine solche staatliche Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Der Schuldgrundsatz ist somit zugleich ein zwingendes Erfordernis des Rechtsstaatsprinzips. Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes.“ 5 BVerfG NJW 2013, 1058, 1060. 6 S. hierzu und zum Folgenden auch Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 32 f., 494 ff. 7 S. BGH NJW 1992, 3096, 3103 f.; Schlinker, Rechtsgeschichte, § 23 Rn. 1; vgl. aber auch Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 1 ff. et passim.

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findet sich ein grundsätzliches Verbot von Selbstjustiz, dem Staat kommt ein Strafmonopol zu. Anders gewendet bedeutet dies, dass Unrecht nicht durch Private außergerichtlich (im Wege einer Fehde oder Privatrache) oder gerichtlich durch Privatstrafe, sondern von Amts wegen durch staatliche Institutionen, die mit der Strafrechtsverfolgung beauftragt sind, sanktioniert wird. Ferner kann nur derjenige, der tatsächlich schuldhaft und zurechenbar das Unrecht verursacht hat, für dieses Handeln bestraft werden. Daneben sind wesentlich die grundrechtlich gesicherten Garantien des Gesetzlichkeitsgrundsatzes (nulla poena sine lege, Art. 103 Abs. 2 GG), des Doppelbestrafungsverbots (ne bis in idem, Art. 103 Abs. 3 GG)8, des Zweifelsgrundsatzes (in dubio pro reo) und der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK; Art. 48 Abs. 1 EU-GrundrechteCharta) sowie der Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur seipsum accusare).9 4.4.2 Das römische Straf- und Strafprozessrecht 4.4.2.1 Überblick „Daß dem römischen Strafrecht gegenüber den anderen Rechtsgebieten eine bescheidenere Rolle zugedacht wird, rechtfertigt sich damit, daß es, verglichen mit dem Privatrecht, erstens von den Römern selbst zu einer merklich geringeren Vollkommenheit entwickelt wurde und zweitens auf die neuzeitliche Rechtsentwicklung im ganzen schwächer abgefärbt hat.“10

Auch wenn viele Elemente des römischen „Strafrechts“ sowie Prozessrechts, insbesondere hinsichtlich der einzelnen Straftaten, in die westliche Rechtstradition Eingang gefunden haben, zeigen sich im Straf- und Strafprozessrecht grundsätzliche Unterschiede. Das heutige Strafrecht ist in wesentlich geringerem Maße durch das römische Recht geprägt als etwa das Privatrecht.11 Dem römischen Recht sind zwar wesentliche Begriffe des Strafrechts als solche wie crimen, delictum, poena oder culpa12 entnommen. Allerdings kommt diesen oftmals eine andere Bedeutung zu, die Begriffe erhalten ihre spezifisch strafrechtliche Bedeutung vielfach erst durch die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Entwicklungen.13 Die Entwicklung zu den allgemeinen Lehren 8 9 10 11 12 13

Art. 103 Abs. 2 und 3 GG. S.a. BVerfG NJW 2013, 1058, 1061. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S. 121. Vgl. bereits Savigny, System, Bd. 1, § 1, S. 2. S. insoweit zur Entwicklung des Begriffs der culpa Schermaier, in: Cardilli (u.a.), Modelli teorici e metodologici nella storia del diritto privato 3, S. 313, 324 ff., 327 ff. Vgl. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 53 ff., 58 ff. zur Entwicklung der Begriffe und ihrer Bedeutung; vgl. auch Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, S. 47 f. (zu Teilnahmeformen im römischen Strafrecht).

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des Strafrechts hat sich damit weitgehend unabhängig von den römischrechtlichen Grundlagen vollzogen.14 Im Corpus Iuris Civilis finden sich „strafrechtliche“ Bestimmungen insbesondere in den Büchern 47 und 48 der Digesten. Differenziert wird dabei grundsätzlich zwischen delicta privata (Liber 47) und delicta (crimina/iudicia) publica (Liber  48).15 Wie bereits gezeigt, müssen die Klagen für delicta privata als Delikte gegen die Persönlichkeit oder das Eigentum, wie die iniuria (Personen- oder Persönlichkeitsverletzung), durch den jeweils Geschädigten selbst geltend gemacht werden.16 Wesentliche Grundlage hierfür ist die Lex Aquilia (286 v. Chr.), die die Voraussetzungen der einzelnen Klagearten festlegt. Ferner werden durch die Prätoren weitere Klagearten begründet.17 Die Sanktion vollzieht sich dadurch, dass der Geschädigte im Wege der privatrechtlichen actio (zivilrechtliche Deliktsklage) eine an ihn zu entrichtende Geldzahlung verlangen kann, die den tatsächlich erlittenen Schaden übersteigt und so auch einen pönalen Charakter (Privatstrafe) hat.18 Demgegenüber kann bei den Verbrechen/öffentlichen Delikten (crimina/ delicta publica; Mord, Majestätsverbrechen, Ehebruch, Gewaltanwendung, Urkundenfälschung etc.) grundsätzlich jedermann Anklage gegen den Schädiger erheben. Der Kläger erhält eine Prämie bei erfolgreichem Verfahrensausgang.19 Es handelt sich bei den Verfahren um sog. iudicia publica (öffentliche Prozesse) im Gegensatz zu den privatrechtlichen Deliktsklagen.20

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16

17 18 19 20

Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S. 122. Im Überblick dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 32 Rn.  3,  § 50 Rn.  1; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht,  § 99 II.; Grunert, in: Schlosser/Sprandel/ Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 422 ff.; Seelmann, in: Seelmann/Grunert (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 309; instruktiv zum römischen Strafverfahren insbesondere Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 227 ff. Dazu wie zum Folgenden: Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S. 122; Waldstein/ Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 12 Rn.  22 ff.; Seelmann, in: Seelmann/Grunert (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 309; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 50 Rn. 1 ff.; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 99 II.; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 202 ff., 227 ff. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 12 Rn.  24; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 202 ff., 224. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 12 Rn.  24; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 50 Rn. 3, 6; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 99 III.; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 202 ff., 223 ff., 236 f. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 12 Rn.  9 ff.; Seelmann, in: Seelmann/ Grunert (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 309. Vgl. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte, § 12 Rn. 16 ff.; hierzu auch Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 227 ff.

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Dem Strafprozess liegen dabei jeweils besondere Verfahren für die unterschiedlichen Straftaten zugrunde. Insoweit findet sich eine gewisse verfahrensrechtliche Vielfalt des römischen Rechts in der Rechtsentwicklung.21 Für die Strafverfolgung in der Stadt Rom gibt es zunächst22 das sog. komitiale Strafverfahren, bei dem unter Verfahrensleitung von Magistraten das Urteil durch eine Volksversammlung im Wege einer Abstimmung gefällt wird. Die Verfahren werden durch Klagen der Volkstribune (teilweise auch der Ädilen) eingeleitet. Dem Komitialprozess unterfallen Staatsverbrechen wie Landesverrat oder Amtsvergehen.23 Ferner werden sog. quaestiones perpetuae (iudicia publica) als ständige Geschworenengerichte gebildet, die anfangs jeweils nur für bestimmte Straftaten wie Mord oder Bestechungen durch Gesetz eingerichtet waren und deren Zuständigkeit (Mord, Ehebruch, Menschenraub) zunehmend ausgeweitet wird (u.a. durch die lex Julia iudiciorum publicorum [17 v. Chr.]).24 Die Strafgerichte bestehen aus einer von Jahr zu Jahr wechselnden Geschworenenbank unter Leitung von Prätoren oder sog. quaesitores25. Die Geschworenen (ca. 50–75) sind anfangs Senatoren, später auch Ritter.26 Während die Einleitung des Verfahrens anfänglich noch von Amts wegen durch den Vorsitzenden erfolgt, setzt sich zunehmend die Popularanklage durch.27 Erforderlich ist hier für die Verfahrenseinleitung die Anzeige (nominis delatio) durch einen Bürger, der – im Gegensatz zu den delicta privata – nicht selbst durch die Straftat geschädigt sein muss.28 Dieser Privatankläger (delator) erhält bei Verurteilung eine Belohnung, regelmäßig als Bruchteil des Vermögens des Verurteilten.29 Der Ankläger (delator), der Zeugen beizubringen und zu verhören hat, und der Angeklagte sowie deren Anwälte haben Herrschaft und Kontrolle über das Verfahren. Dem vorsitzenden Magistrat kommt

21 22 23 24 25 26 27 28 29

S.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 227 ff., 230 f. Während der Republik, im Prinzipat dann verschwunden, s. Kunkel, Kleine Schriften, S. 14. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 12 Rn.  19 ff.; Kaser, Römische Rechts­ geschichte, 2. Aufl., S. 124; Kunkel, Kleine Schriften, S. 12. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 12 Rn.  20; Kaser, Römische Rechts­ geschichte, 2. Aufl., S. 125; Kunkel, Kleine Schriften, S. 12 f.; s.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 227 ff. Hierzu Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte, § 12 Rn. 9 ff. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S. 126. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte, § 12 Rn. 19. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S.  126; Kunkel, Kleine Schriften, S.  12 f.; s.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 229 f. Kunkel, Kleine Schriften, S. 13.

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die Verfahrensaufsicht zu.30 Die Strafen (Todesstrafe oder Geldbuße) werden regelmäßig vom Gesetz bestimmt.31 Der Schuldspruch mit Strafverhängung wird von den Geschworenen gefällt. Verkündung des Urteils der Geschworenen und Strafvollzug liegen beim Vorsitzenden (iudex quaestionis)32. Bei Straftaten (Gewaltverbrechen, Brandstiftung etc.) von Sklaven, Ausländern und wohl auch Freien geringen Standes obliegt das Strafverfahren anfangs den sog. tresviri capitales, die auch als Sicherheitspolizei der Stadt Rom fungieren (Polizeigerichtsbarkeit)33, später im Prinzipat dann dem praefectus urbis (für Rom und die Umgebung34) sowie dem praefectus vigilum.35 Ferner findet sich eine „Hausjustiz“ (patria potestas) des pater familias über Hauskinder, die Ehefrau und Sklaven, die mit Beschränkungen dem Ermessen des pater familias überlassen ist und in der er, gegebenenfalls mit einem Beirat (consilium), Strafgewalt ausübt.36 Außerhalb Roms findet sich ebenfalls eine Vielzahl verschiedener Verfahren, in den Provinzen typischerweise durch den Statthalter verantwortet, der ebenfalls zu den magistratischen Gerichten zählt.37 Die Entwicklungen in der Kaiserzeit 4.4.2.2 Dieses System bleibt ausgehend von der frühen Republik bis in die Kaiserzeit zunächst vorherrschend. Allerdings bildet sich im Prinzipat durch Kaiser Augustus’ Justizreformen die kaiserliche Gerichtsbarkeit (cognitio extra ordinem) zunächst als außerordentliche heraus und verdrängt in privatrechtlichen Streitigkeiten zunehmend das Formularverfahren.38 Ausgehend von der zunehmenden Zentralisierung und dem Einfluss des Kaisers gewinnt die 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S.  126; Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte, § 12 Rn. 21; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 230. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S. 126. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte, § 12 Rn. 16 ff., 21; Kunkel, Kleine Schriften, S. 13. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 12 Rn.  17; Kaser, Römische Rechts­ geschichte, 2. Aufl., S. 124; Kunkel, Kleine Schriften, S. 13. Vgl. C.I.C. Dig. I,12,1 (Ulpian). Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte, § 12 Rn. 11, 13, § 32 Rn. 23; Kunkel, Kleine Schriften, S. 14. Dazu Kunkel, Kleine Schriften, S. 117 ff.; Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte, § 11 Rn. 7 f. Zum Strafverfahren in den Provinzen s. Nogrady, Römisches Strafrecht nach Ulpian, S. 24 ff. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 32 Rn.  14 ff., 22 ff.; Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S. 126 ff.; Kunkel, Kleine Schriften, S. 14; s.a. Honsell/Mayer-Mali/ Selb, Römisches Recht, § 99 III.2.

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extraordinaria cognitio nun auch Bedeutung im Strafrecht.39 So übernimmt die durch kaiserliche Beamte (praefectus praetorio [Prätorianerpräfekt]; ferner praefectus urbis und praefectus vigilum in Rom) geleitete Gerichtsbarkeit vermehrt strafrechtliche Aufgaben.40 In diesem Kognitionsverfahren ermittelt grundsätzlich der Magistrat den Sachverhalt, die Verfahrenseinleitung kann von Amts wegen (ex officio) erfolgen.41 Damit wird das Strafrecht zunehmend (im 3. Jahrhundert n. Chr.) auch in Rom und Italien zum Offizialverfahren, die Bedeutung der Popularanklage geht ebenso wie die der privaten Poenalklagen42 zurück.43 Die älteren Verfahren werden zunehmend durch die kaiserliche Gerichtsbarkeit verdrängt, das Strafrecht wird verstärkt zu einer öffentlichen Aufgabe.44 Die Verfahrensherrschaft liegt grundsätzlich beim Magistraten, nicht bei den Parteien.45 Allerdings ist das Verfahren der „magistratischen Gerichte“ grundsätzlich frei und hinsichtlich Verfahren, Strafarten und Straftatbeständen weitgehend nicht an gesetzliche Regelungen gebunden, sondern dem Ermessen des Magistraten überlassen.46 4.4.2.3 Zusammenfassung Sieht man diese Entwicklungen, so kann man zunächst festhalten, dass sich im klassischen römischen Recht keine grundsätzliche Trennung von Strafund Zivilrecht im heutigen Sinne findet, d.h. von privatem Schadensersatz als Kompensation des verursachten Schadens und öffentlichem Strafrecht als Sanktion für das begangene Unrecht.47 Das heißt, dass ein wesentlicher Teil dessen, was heute dem Strafrecht zugeordnet wird, im römischen Recht Gegenstand privater Klagen war. Deliktische private Klagen hatten pönalen Charakter. Das zeigt sich etwa in der Bemessung des Schadensersatzes 39 40 41 42 43 44 45 46 47

Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 50 Rn.  5; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 232 ff. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S.  127; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 234 f. S.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 235 f. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 32, § 50 Rn. 5; Honsell/Mayer-Mali/ Selb, Römisches Recht, § 99 III.2. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte, § 29 Rn. 10, § 30 Rn. 3; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 233 f., 235 f. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht,  § 50 Rn.  5; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 234 ff. Kunkel, Kleine Schriften, S. 15. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 29 Rn.  25; Kaser, Römische Rechts­ geschichte, 2. Aufl., S. 127 f.; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 233. So Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 232, 236 f.; ders., Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 32; Kaser, Römische Rechtsgeschichte, S. 122; Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 99 II; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 58 f.

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(Privatstrafe) sowie in der passiven Nichtvererblichkeit.48 Hingegen haben die bei bestimmten Verbrechen anwendbaren iudicia publica des Quäs­ tionen­prozesses „strafrechtlichen“ Charakter, indem sie zu einer öffentlichen Bestrafung führen.49 Allerdings tragen auch diese Verfahren eher privaten Charakter.50 Verfahrensrechtlich finden hier weder Offizial- noch Inquisitionsoder Legalitätsprinzip Verwirklichung, da die Strafverfolgung auf einer Popularanklage und damit auf Privatinitiative beruht. Der private Ankläger hat die Beweise beizubringen und das Verfahren wird grundsätzlich nicht von Amts wegen eingeleitet.51 Veränderungen ergeben sich in der Kaiserzeit mit der Ausweitung einer öffentlichen Strafverfolgung durch die kaiserlichen cognitiones extra ordinem, die von Amts wegen (ex officio) eingeleitet werden und eine Sachverhaltsermittlung durch den Magistraten vorsehen.52 Es bildet sich zunehmend ein öffentliches Strafrecht, mit dessen Ausbreitung die Bedeutung und der pönale Charakter der deliktischen Klagen eher zurücktreten.53 Allerdings sind diese Verfahren weitgehend frei und dem Ermessen des Magistraten überlassen.54 Insoweit entwickelt sich hier keine eigenständige gesonderte Prozessart eines von Amts wegen eingeleiteten Strafprozesses.55 4.4.3 Quellengeschichte und Rezeptionswege Ausgangspunkt der Entwicklung des Strafrechts im Mittelalter sind zum einen die erwähnten Libri 47 und 48 der Digesten (die sog. libri terribiles) sowie der Liber  9 des Codex aus dem Corpus Iuris Civilis, zum anderen das Strafrecht des kanonischen Rechts, dessen Regelung sich ausgehend vom Decretum Gratiani56 später separat im fünften Buch des Liber Extra (1234) findet.57 Vor 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 30 f.; § 50 Rn. 3, 6; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 157 ff.; ders., Die Struktur des Haftungsrechts, S. 223 ff., 236. Hierzu Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 227 ff. S. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 229 f. („öffentlich unterstützte Privatklagen“). Vgl. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 230. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 235. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 232 ff., 236 f., 264 ff. Waldstein/Reiner, Römische Rechtsgeschichte,  § 29 Rn.  25; Kaser, Römische Rechts­ geschichte, 2. Aufl., S. 127 f.; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 233. So Trusen, Gelehrtes Recht, S. 84. Hierzu etwa Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 21 ff. Kéry, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S.  241; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S.  9; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 2. Kap. Rn. 46, 5. Kap. Rn. 12; zu den Quellen der späteren Entwicklung Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 32 ff.

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allem die Kanonisten arbeiten wesentliche Begriffe und allgemeine Lehren des Strafrechts heraus.58 Bedeutung für die mittelalterliche Rechtsentwicklung kommt neben dem kanonischen Recht den italienischen Kriminalisten und den jeweiligen städtischen Strafrechtsstatuten zu, sodass sich eine Vielzahl verschiedener Quellen zeigt.59 Während strafrechtliche Themen zunächst noch in Kommentaren zum römischen und kanonischen Recht behandelt werden, finden sich ab dem 13./14. Jahrhundert in der Rechtswissenschaft separate Darstellungen des Strafrechts in Traktatform, so etwa der Strafrechtstraktat von Albertus Gandinus (Tractatus de Malificiis, 1286), wodurch die Verselbständigung des Strafrechts als eigene Disziplin gefördert wird.60 Gandinus sollte dabei auch kanonistische Strafrechtslehren, die sich im 12. und 13. Jahrhundert entwickelt hatten61, in das weltliche Recht übertragen.62 Da das kanonische Recht am Ausgangspunkt zahlreicher Entwicklungen in Straf- und Strafprozessrecht steht, die Eingang in das weltliche Recht finden63, muss zunächst ein Blick darauf geworfen werden, wieso überhaupt ein „kirchliches Strafrecht“ entstanden ist.64 Kirchliche Zuständigkeit resultiert zunächst aus der kirchlichen Disziplinar- und Strafgewalt über Kleriker.65 Aufgrund dieser Zuständigkeit fallen auch „weltliche“ Delikte in den Zuständigkeitsbereich der Kirche, weshalb weltliches und kirchliches Forum und weltliche und kirchliche Strafen voneinander abgegrenzt werden.66 Außerhalb 58 59 60

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Dazu Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 3 ff. et passim. Dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  22 f., 32 ff., 35 („Quellensynkretismus“); vgl. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 11 f. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 21 ff.; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S.  9 f., 43; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  8 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn.  14 ff.; zu Gandinus und seinem Strafrechtstraktat Kantorowicz, Albertus Gandinus und das Strafrecht der Schlolastik, S. XIII ff. Dazu Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 3 ff. et passim. Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 24 f.; dies., Gottesfurcht und irdische Strafe, S. 685; dies., in: Kranz (Hrsg.), FS Lohrmann, S. 183 ff.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 101. S. etwa Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 21 ff. Zur Geschichte des kanonischen Strafrechts Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 116 ff. „ratione personae“, s. dazu Kéry, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S.  241, 259; s.a. dies., in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 26. Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 26 f.; Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 142 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 148.

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dieser Zuständigkeit stehen bestimmte Delikte im Zuständigkeitsbereich der Kirche, sodass auch Laien kirchlicher Strafgewalt unterfallen können (so etwa bei Simonie, Wucher, Häresie, Kindestötung, Verbot von gerichtlichem Zweikampf und „Gottesurteil“).67 Wie im Folgenden gezeigt wird, kommt maßgebliche Bedeutung für die Entwicklung des Strafrechts insbesondere der Theologie und der Summa Theologiae von Thomas zu, da Thomas sowohl durch die späteren Moraltheologen als auch durch die Legisten in verschiedener Hinsicht rezipiert wird.68 Gleichzeitig ist Thomas durch die zeitgenössische Kanonistik und Legistik beeinflusst.69 Als Thomas seine Summa Theologiae verfasst, ist die kanonistische Schuld- und Straflehre bereits weitgehend entwickelt, woran Thomas anknüpft.70 Während aber im kanonischen Recht die Behandlung entsprechend den Kanones und anhand der konkreten Delikte erfolgt71, entwickelt Thomas ausgehend von seiner Anthropologie und Zurechnungslehre auch eine Straf- und Sündenlehre.72 Im 15. und 16. Jahrhundert werden spanische und italienische Autoren für die weitere Entwicklung des Strafrechts relevant, das sich zunehmend als selbständige Disziplin etabliert73: in der italienischen Strafrechtswissenschaft Aegidius Bossius aus Mailand mit seinem „Tractatus Varii“74; Julius Clarus, der zunächst als Jurist in Mailand wirkt, das damals zu Spanien gehört, und anschließend unter dem spanischen König Philipp II. in führenden Positionen tätig ist75; Tiberius Deciani als Strafrechtsprofessor in Padua („Tractatus 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Kéry, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S.  241, 259 ff.; s.a. Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 26 ff.; Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 143 f. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  20, 34 f.; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S.  73 (zu Covarruvias); s.a. Rüping/Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 114, 120 (nur in Ansätzen). Vgl. etwa zum Einfluss der Kanonistik auf Thomas Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  213, 329, 340, 342, 354, 356, 373; Seelmann, Thomas von Aquin am Schnittpunkt von Recht und Theologie, S. 11 ff. (generell zur Juridifizierung bei Thomas). Zur Entwicklung bis zum Liber Extra (1234) s. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. VI ff. sowie generell S. 3 ff. et passim. Dazu Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. VI ff. S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71 ff., 87. Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S.  9 f.; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 10 ff. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 23; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 22. von Möller, Julius Clarus aus Alessandria, S. 1 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 6. Kap. Rn.  29; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  25 f.; Schaffstein, Die

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Criminalis“)76; Prosper Farinacius, der für den Kirchenstaat als Staatsanwalt (procurator fisci) und in Richterämtern tätig ist77; ferner Andreas Tiraquellus in Frankreich, der Mitglied des Parlement de Paris ist78; schließlich spielen die Juristen Martin de Azpilcueta (Dr. Navarrus), Fernando Vázquez, Antonio Gómez (Professor für römisches Recht in Salamanca, 1501–1561), Diego de Covarruvias y Leyva79 und die Theologen Alfonso de Castro80, Vitoria, Soto, Molina und Lessius als Vertreter der spanischen Spätscholastik81 eine Rolle.82 Kanonische und legistische Rechtswissenschaft sowie Theologie beeinflussen sich dabei gegenseitig und stehen in Dialog miteinander. Dadurch bewirken sie die Herausbildung bestimmter Prinzipien des Strafrechts und allgemeiner Straflehren.83 Gerade hierbei zeigt sich ein starker Einfluss der Theologie und Philosophie generell und von Thomas im Besonderen.84 Sowohl die spanischen Moraltheologen und Juristen als auch die weltlichen

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europäische Strafrechtswissenschaft, S. 43 f.; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 26. Zu Deciani Pifferi, Generalia Delictorum; Schmoeckel, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509–1582), p. 207 ss.; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 38 ff., 40 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 26. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 26; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 6. Kap. Rn. 34 f. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  24; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 22 f.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 6. Kap. Rn. 36. Umfassend zu den Autoren und Strafrechtswerken Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 66 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 26 ff.; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 69 ff. Hierzu Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 66 f. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 29 ff.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 93 ff. Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 25 ff.; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 9 ff. et passim; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 66 ff., 68 ff., 72 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 24 f.; Rüping/Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 113 ff.; Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 313, 315 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 6. Kap. Rn. 27 ff. Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 304 f.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  21 ff.; Rüping/Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 113 ff.; Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 313, 316; vgl. auch Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 204 ff., 226 ff., 233 f. (zum Zusammenwirken von Theologie, Kanonistik und Legistik bei der Herausarbeitung des Schuldprinzips). Vgl. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  20, 29 ff.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 228 f., 233 ff.

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frühneuzeitlichen Kriminalisten, insbesondere Tiraquellus85 oder Deciani86, sind direkt und indirekt von Thomas beeinflusst.87 4.4.4 Strafrecht 4.4.4.1 Die Differenzierung von Sünde (peccatum) und Straftat (crimen/ delictum) 4.4.4.1.1 Kanonistik Zu Beginn der strafrechtlichen Entwicklung im kanonischen Recht des 12. Jahrhunderts steht der Versuch einer begrifflichen Klärung von Sünde (peccatum) einerseits, Verbrechen (crimen) andererseits.88 Dabei ist Ausgangspunkt der Entwicklung im Decretum Gratiani und bei den Kanonisten eine an Paulus89 anknüpfende Textstelle bei Augustinus, nach der niemand, der ein Verbrechen (crimen) begangen hat, eine Weihe empfangen könne (oportet episcopum esse sine crimine).90 Da zumindest jeder Mensch mit der Erbsünde (peccatum originale) belastet ist, wird von den Kanonisten für das Weiherecht gefolgert, dass zwischen crimen und peccatum unterschieden werden müsse, da andernfalls niemand geweiht werden könne.91 Bei Peter Abaelard finden sich drei Kriterien zur Abgrenzung von peccatum und crimen bzw. peccatum criminale: 1. Nur besonders schwere Sünden sind Verbrechen (peccatum mortale bzw. grave); 2. Nur Sünden, die sich nach außen 85

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S. etwa die zahlreichen Verweise auf Thomas bspw. bei Tiraquellus, De poenis, Praefatio, N.  3 unter Verweis auf Thomas („princeps Theologorum“), STh, II–II, q. 67,4 (Erlass von Strafen); De poenis, Causa  5 N.  9 f. unter Verweis auf Thomas, STh, II–II, q. 154,5 (Zurechnung bei Schlafenden); De poenis, Causa 6 N. 3 unter Verweis auf Thomas, STh, I– II, q. 72 (Zurechnung bei Trunkenheit); De poenis, Causa 11 N. 2 unter Verweis auf Thomas, STh, I–II, q. 76,3 (Rechtsirrtum); De poenis, Causa 44 N. 23 unter Verweis auf Thomas, II–II, q. 79,4 (Unterlassung). Gerade bei Tiraquellus und Deciani finden sich zahlreiche direkte Zitate und Verweise auf Thomas und die Summa Theologiae, worauf sogleich im Einzelnen noch näher hingewiesen wird; zu Deciani s.a. Pifferi, Generalia Delictorum, p. 191, 233, 241 s.; Schmoeckel, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509–1582), p. 207, 230 s. (auch zum Einfluss durch die Spätscholastiker); vgl. auch Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 234 f. S.a. Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 73. Dazu Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 3 ff.; Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 140 f.; Kéry, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 241, 242 ff.; vgl. auch Müller, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 401, 404 ff.; Maihold, in: Decock (ed.), Law and Religion p. 149, 158 s. Tit 1,7; 1 Tim 3,2. S. m.Nw. und zitiert nach Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  6; Kéry, in: Schlosser/ Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 241, 242. S.a. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 6 ff.; Kéry, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 241, 243.

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hin in Taten niedergeschlagen haben, können Verbrechen sein (effectus, per effectum cognita); 3. Nur Sünden, die ein „Ärgernis“ für die Kirche bedeuten, können Verbrechen sein (ecclesiam scandalizant).92 In der Folge bilden sich bei den Dekretisten verschiedene Ansätze zur Differenzierung von Verbrechen und Sünde heraus, wobei sich die Begriffsklärung von Abaelard teilweise durchsetzen kann.93 So wird zumindest für das Weiherecht anerkannt, dass begrifflich und konzeptionell zwischen crimen und peccatum in mehrfacher Hinsicht (schwere Sünde; nach außen tretende Handlung, die zur Tat vorschreitet) zu unterscheiden ist. Es bildet sich damit ein selbständiger crimen-Begriff.94 Allerdings nehmen die Kanonisten hierdurch keine abschließende Trennung bzw. Verhältnisbestimmung der beiden Begriffe für das kirchliche Strafrecht vor.95 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, vollzieht sich die maßgebliche Unterscheidung zwischen Verbrechen und Sünde nicht auf begrifflicher Ebene durch die Kanonistik, sondern auf Verfahrens- bzw. Wirkungsebene, nämlich durch die bußtheologische Trennung von forum internum und forum externum.96 Die Abgrenzung bei Thomas v. Aquin und die Unterscheidung der Strafordnungen Wie gezeigt, entwickelt Thomas einen allgemeinen „Sündenbegriff“ (peccatum), der nicht auf die theologische Ebene, d.h. die Beziehung zu Gott begrenzt sein muss, sondern auf die menschliche Ebene übertragen werden kann.97 Sünde ist nämlich eine „schlechte menschliche Tat“ (actus humanus malus) bzw. in Anknüpfung an Augustinus eine Handlung gegen das ewige Gesetz (dictum vel factum vel concupitum contra legem aeternam).98 Entscheidend ist der Gesetzesverstoß, der eine Handlung zur Sünde macht; damit 4.4.4.1.2

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Hierzu (und zitiert nach) Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  4 f. m.Nw.; Kéry, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 241, 244; Grunert, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 313, 320 f. Dazu Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  8 ff., 19 ff.; s.a. Kéry, in: Kesper-Biermann/ Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 23. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 19 ff., 22 (zumindest für das Weiherecht). Vgl. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 4 ff., 19 ff. Vgl. ferner Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 29 f. (zu ersten Ansätzen hierfür bei Bernhard von Pavia). S. dazu oben S. 66 ff.; s.a. Schick, in: Schönberger (Hrsg.), Die Bestimmung des Menschen und die Bedeutung des Staates, S. 173, 178; vgl. zu crimen und peccatum bei Thomas Grunert, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 313, 319 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 37 f. S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6; s.a. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 2 N. 2.

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ist Sünde auch ein actus inordinatus, da sie sich „gegen eine Ordnung“ (contra aliquem ordinem) wendet.99 Die Sünde ist folglich eine Ordnungsverletzung; die von der Ordnung verhängte Strafe (poena) dient dem Ausgleich dieser Ordnungsverletzung.100 Die „Ordnung“ ist dabei nach Thomas eine dreifache, nämlich die „Ordnung der eigenen Vernunft“, die „Ordnung der göttlichen Regierung“ und die „äußere Ordnung“ durch die Menschen.101 Diese jeweiligen Ordnungen unterscheiden sich: Während die göttliche Ordnung die anderen beiden umfasst und über diese hinausgeht, bezieht sich die menschliche Ordnung nur auf die Beziehung zwischen den Menschen (ordo, quo homo ordinetur ad alios homines); sie bezieht sich damit auf die Tugend der Gerechtigkeit, die den Menschen in seinem zwischenmenschlichen Verhältnis (ad proximum) ordnet, wohingegen die göttliche Ordnung auch Pflichten im Hinblick auf sich selbst und Gott umfasst.102 Geltungsgrund der menschlichen Ordnung ist wiederum, dass der Mensch von Natur aus ein politisches bzw. soziales Wesen (animal politicum et sociale) ist103 – Thomas verweist hier auf die Begründung politischer Gewalt104. Damit korrespondierend unterscheidet Thomas auch drei Gesetzesarten, das ewige bzw. natürliche, das göttliche und das menschliche Gesetz.105 Insofern als die Sünde drei Ordnungen verletzen kann, die Ordnung der eigenen Vernunft (contra rationem), das göttliche Gesetz (contra legem divinam) und das menschliche Gesetz (contra legem humanam), können den Menschen nach Thomas dementsprechend auch drei Strafen treffen: eine „von sich selbst“ (durch „Gewissensbisse“), eine von Gott (a Deo) und eine von den

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Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 72,4 resp.; q. 87,1 resp.; vgl. auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 38 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp.; III, q. 86,4 resp.; dazu Schick, in: Schönberger (Hrsg.), Die Bestimmung des Menschen und die Bedeutung des Staates, S.  173, 178 ff., 188 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  7 Dub.  1 N.  1 f., wonach peccatum eine Ungerechtigkeit (iniustitia) bzw. Gesetzesverletzung (legis inobedientia; violatio aequalitatis seu conformitatis debitae legi vel praecepto Superioris) ist. Ferner zu den verschiedenen Begriffen des peccatum Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 1 Sec. 1 N. 1 ff., 4 ff. (actus, seu transgressio libera divinae legis; quoddam malum morale; deordinatio aliqua ab ultimo fine). Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp.; q. 72,4 resp.; zum Zusammenhang dieser beiden Quaestiones auch Koritansky, Thomas Aquinas and the Philosophy of Punishment, p. 133 s. Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 72,4 resp.; dazu auch Koritansky, Thomas Aquinas and the Philosophy of Punishment, p. 133 ss. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 72,4 resp. Dazu unten noch S. 484 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91; q. 87,1 resp.

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Menschen (ab homine).106 Die erste „Strafe“ tritt direkt mit der Sünde ein und ist innerlich, während die anderen beiden äußerlich sind.107 Es gibt also korrespondierend mit den verschiedenen Gesetzesordnungen auch verschiedene Strafordnungen. Abzugrenzen ist die von Gott kommende Sündenstrafe, die erst im göttlichen Gericht nach dem Tod verhängt wird (poena a Deo; poena in iudicio divino)108, von den Strafen im menschlichen Gericht (poena ab homine; poena quae secundum leges humanas infligitur; poena in iudicio humano; poena praesentis vitae).109 Wie Thomas sagt, „werden die Strafen in diesem Leben (poenae praesentis vitae) nicht als solche verlangt, da dies nicht die endgültige Zeit der Vergeltung ist, sondern soweit sie medizinal sind und entweder zur Besserung der Person des Täters oder zum Wohl des Gemeinwesens beitragen, dessen Ruhe durch die Bestrafung […] gewährleistet wird“.110 Strafe von Gott und Strafe von den Menschen fallen also nicht zusammen, sondern unterscheiden sich nach Thomas ebenso wie bei den Spätscholastikern. Wie die Spätscholastiker später darlegen, ist die von den Menschen kommende Strafe Reaktion auf das Unrecht, das gegen den Staat (iniuria reipublicae) begangen worden ist, wohingegen „die Strafe von Gott im zukünftigen Leben“ (poena a Deo in saeculo venturo) eine Reaktion auf das gegen Gott begangene Unrecht (offensa Dei) darstellt.111 Dabei ist zu vergegenwärtigen, dass sich ebenso wie menschliche und göttliche Ordnung sowie Strafe von den Menschen und Strafe von Gott auch menschliches Gesetz und göttliches Gesetz in Inhalt und Reichweite notwendig unterscheiden. So steht die thomasische Sündenlehre mit der unmittelbar danach stehenden Gesetzeslehre in innerem Zusammenhang.112 Wie 106 107 108 109

Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp. S. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 155 f. (zu Thomas), 186 f. (zu Castro). Dazu bereits oben S. 72 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp., ad sec.; q. 87,3 ad prim., ad sec.; q. 87,7 resp.; II–II, q. 68,1 resp.; q. 108,3 ad sec.; q. 59,3 ad sec.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N.  3, 5 f., 7 f.; s. dazu auch Suárez, De Legibus, Lib. I Cap.  16 N.  3 („poenae taxatae pro vita futura pertinent ad forum Dei“); Lib. II Cap. 12 N. 1 („ex transgressione naturalis iuris sequatur reatus poenae in ordine ad divinam providentiam et iustitiam“); Castro, De potestate legis poenalis, Lib. 1 Cap. 3, fol. 12 D; s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 155 f., 186 f. 110 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 68,1 resp.; ferner II–II 108,3 ad sec. (die Strafen des gegenwärtigen Lebens haben eher medizinalen Charakter – „poenae praesentis vitae sunt magis medicinales“). 111 S.  Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715 N.  3, 5 f., 7 f.; Scaccia, Tractatus de Commerciis,  §  1 q. 1 N.  31; Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 3. 112 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch DThA/Pesch, Die Sünde, I–II, 71–89, S. 701 ff.

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bereits gezeigt113, differiert das menschliche Gesetz vom natürlichen Gesetz in Reichweite, Inhalt, Ziel und Gegenstand. So ist das menschliche Gesetz nach Thomas ebenso wie bei den Spätscholastikern zunächst in seiner Reichweite begrenzt und bleibt notwendig hinter dem natürlichen Gesetz zurück.114 Während das menschliche Gesetz nur das friedliche Zusammenleben in der menschlichen Gemeinschaft als Ziel hat und sich vor allem auf die Gerechtigkeit bezieht115, geht das göttliche bzw. natürliche Gesetz wesentlich weiter und schreibt grundsätzlich sämtliche Tugendakte vor.116 Insoweit verneint Thomas etwa, dass „sämtliche Laster“ durch das menschliche Gesetz verboten werden können.117 Da sich das menschliche Gesetz nur auf die „bürgerliche Gemeinschaft“ und damit auf äußere bzw. zwischenmenschliche Handlungen bezieht, kann es auch nur Regelungen treffen hinsichtlich der gemeingutbezogenen Tugendakte, d.h. insbesondere der Gerechtigkeit, hingegen nicht118 hinsichtlich der übrigen Tugendakte – auch dies im Gegensatz zum göttlichen Gesetz, das Regelungen hinsichtlich aller Tugenden vorsehen kann.119 Weiter darf sich das menschliche Gesetz nach Thomas nur auf äußere, hingegen nicht auf innere Handlungen beziehen.120 Ebenso betont Suárez, dass die menschlichen Gesetze „rein innere“ Handlungen „weder verbieten noch vorschreiben können“. Es darf keine weltliche Strafe für rein innere Akte geben, da sich zum einen die Zwangsgewalt der gesetzgebenden Gewalt bereits ihrer Natur nach nicht auf innere Handlungen beziehen kann und zum anderen die menschliche Gesetzgebungsgewalt „nur auf den äußeren Frieden“ abzielt, auf den innere Vorgänge bereits keinen Einfluss hätten – innere Handlungen stehen außerhalb der menschlichen Gesetzgebungsmöglichkeit und damit auch außerhalb der menschlichen Gerichtsbarkeit.121 Mit dieser Trennung der Ordnungen, Strafen und Gesetzesarten korres­ pondiert, wie gezeigt, auch die verfahrensmäßige Trennung von forum 113 Dazu oben S. 85 ff., 122 ff. 114 Dazu auch im Hinblick auf das Strafverständnis Schick, in: Schönberger (Hrsg.), Die Bestimmung des Menschen und die Bedeutung des Staates, S. 173, 182 ff. 115 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 98,1 resp.; q. 96,2 resp. 116 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 resp., ad tert.; q. 98,1 resp. q. 100,2 resp.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 16; ebenso Soto, De Iustitia et Iure, Lib. I q. 6,2. 117 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,2 resp.; dazu Böckenförde, Geschichte, S. 245 f. 118 Bzw. nur insoweit, als die anderen Tugenden „den Grund der Gerechtigkeit annehmen“ („lex humana non proponit praecepta nisi de actibus iustitiae; et si praecipiat actus aliarum virtutum, hoc non est nisi inquantum assumunt rationem iustitiae“), Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,2 resp. 119 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,3 resp.; q. 100,2 resp. 120 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; q. 98,1 resp.; q. 100,2 resp. 121 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 13 N. 2 f.

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iudiciale/externum und forum poenitentiale/internum.122 Das Bußforum zielt auf die Vergebung der Schuld (reatus culpae) und die Aufhebung der Strafwürdigkeit (reatus poenae) hinsichtlich der Sündenstrafe von Gott.123 Ziel der poenitentia als sakramentalem Bußverfahren ist also alleine das Seelenheil (internum bonum animarum) und die Sündenvergebung durch Gott (remissio peccati; remissio culpae); der spätantike disziplinarische Charakter der öffentlichen Buße ist dahinter zurückgetreten, die Exkommunikation gehört zum forum externum.124 Exkommunikation und Rekonziliation sowie der damit verbundene ekklesiologische Aspekt haben ihre ursprüngliche Bedeutung in der Bußgeschichte weitgehend eingebüßt, die satisfactio liegt nun nach der absolutio und hat als freiwillige Bußleistung ihren eigentlichen „Strafcharakter“ verloren.125 Demgegenüber zielt das forum externum auf die Verhängung von Strafen, die „zur Regierung des Gemeinwesens notwendig sind“ – zum forum externum gehört daher auch die Zwangsgewalt (vis coerciva).126 Die Entwicklungen in der Bußtheologie führen also dazu, dass das Bußforum als ethisch-innerer Bereich einen eigenständigen Anwendungsbereich hat, der von dem des forum externum als äußerem Rechtsbereich, in dem Strafen verhängt werden, getrennt ist.127 Strafe und Buße sind hier also verfahrensmäßig getrennt.128 122 Dazu oben bereits S. 101 ff., 113 ff.; vgl. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 36 ff.; umfassend zu den Entwicklungen auch Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  176 ff., 186 ff., 190 ff., 205 ff. 123 Dazu oben bereits S. 77 ff. 124 Siehe oben S. 60 ff., 77 ff.; vgl. auch Suárez, De censuris, Disp. 1 Sect. 2 N. 2; Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 193 ff., 209 ff.; s. ferner zur Kanonistik Kéry, in: Kesper-Biermann/ Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 15 ff., 21 ff., 29 ff. (die öffentliche Buße als Zwangsbuße wird als Strafe identifiziert, Buße und kirchliche Strafen werden so getrennt). 125 Dazu oben S.  60 ff., 77 ff.; s.a. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; ferner Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  242 ff., 256 (zur satisfactio); Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 193 ff. 126 Suárez, De censuris, Disp. 1 Sect. 2 N. 2; Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 211. 127 S.  etwa  Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  190, 198, 211, 225; vgl. auch Suárez, De censuris, Disp. 1 Sect. 2 N. 2. Von dieser theologischen Entwicklung ist freilich die Bußpraxis zu trennen. Hier zeigt sich etwa, dass auch im 15./16. Jahrhundert örtlich noch Formen der öffentlichen Kirchenbuße fortbestehen und es einen Zwischenbereich von forum internum und forum externum bzw. Privatbuße und kirchlicher Jurisdiktion gibt, vgl. Neumann, Öffentliche Sünder in der Kirche des späten Mittelalters, S.  13 ff., 27 ff., 169 ff. (zum Bistum Konstanz). 128 Vgl. zu dieser Entwicklung der Trennung von „Buße“ und „Strafe“ in der Kanonistik Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13 ff., 29 ff.; ferner Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 98 ff.

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Peccatum nach menschlichem Gesetz und peccatum nach göttlichem Gesetz differieren nach Thomas notwendig, weil lex humana und lex divina bzw. lex naturalis, Strafen von den Menschen und Strafen von Gott sowie forum externum und forum conscientiae/forum poenitentiale differieren. Auch wenn der Begriff peccatum zumindest bei Thomas begrifflich beides erfassen kann, sind beide Konzepte („theologische Sünde“ – „rechtliche Straftat“) durch die verschiedenen normativen Ordnungen und die verschiedenen Foren getrennt. Thomas und auch die Spätscholastiker unterscheiden somit konzeptionell zwischen von Gott verhängten Strafen und von den Menschen verhängten Strafen sowie entsprechend zwischen göttlichem und menschlichem Gericht.129 Obwohl der Sündenbegriff begrifflich so allgemein ist, wird der Sache nach zwischen Sünde (im Sinne der Sünde gegen Gott, die im göttlichen Gericht sanktioniert wird) und Verbrechen (Sünde als Straftat unter den Menschen, die im menschlichen Gericht sanktioniert wird) unterschieden.130 4.4.4.1.3

Die Dualität der Foren und die Differenzierung von Sünde und Straftat Die Abgrenzung, die der Sache nach zur Trennung von Sünde und Straftat führt, ist daher nicht so sehr materieller bzw. begrifflicher (peccatum – crimen als peccatum grave, wie bei Abaelard und den Kanonisten vertreten) als vielmehr „verfahrensrechtlicher“ und konzeptioneller Natur. Grund hierfür sind die Entwicklungen der Bußtheologie.131 Indem die öffentliche Buße durch die Privatbeichte abgelöst und das kirchliche Wirken im forum poenitentiale theologisch geklärt ist, bildet sich ein separater innerer Gewissensbereich, in dem es um die Vergebung der Schuld und die Aufhebung der Strafwürdigkeit

129 Vgl. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  55 f., 155 f., 186 f.; Grunert, in: Schlosser/ Willoweit, Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 313, 319 ff., 323 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 37 f. 130 Soweit auch ein Verstoß gegen menschliches Gesetz Sünde gegenüber Gott sein kann (s. dazu oben bereits S. 117 ff.), löst das den genannten Zusammenhang nicht auf, sondern hat seinen Grund darin, dass auch menschliche Gesetze in foro interno verpflichten, soweit sie gerecht sind. Ein Verstoß gegen menschliches Gesetz ist nicht deshalb Sünde gegen Gott, weil es das menschliche Gesetz, sondern weil und insoweit es das natürliche bzw. ewige Gesetz verletzt; vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 resp.; Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 7; Lib. II Cap. 9 N. 8 f., 12. Die göttliche Ordnung umfasst nämlich die menschliche Ordnung, aber nicht umgekehrt, s. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 72,4 resp. 131 S. aber auch zu kanonistischen Ansätzen, Buße dem iudicium occultum (als späterem forum internum), Strafe dem iudicium manifestum (als späterem forum externum) zuzuordnen, Kéry, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 13, 29.

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hinsichtlich der Sündenstrafen von Gott geht.132 Wie gezeigt, unterscheidet sich der andere kirchliche oder weltliche, äußerliche Rechtsbereich hiervon in Gegenstand, Verfahren, Wirkungen sowie anwendbarem Recht und wird so zum forum externum.133 In Zusammenhang mit dieser Entwicklung steht freilich auch die Entstehung eines öffentlichen hoheitlichen Strafrechts mit Strafverfolgungspflicht als Wesensmerkmal sich bildender Staatlichkeit bis ins 16. Jahrhundert.134 Dies trägt zur schärferen Abgrenzung von privater (kirchlicher) Buße und öffentlicher („staatlicher“) Strafe und damit von forum internum und forum externum bei.135 Forum internum und forum externum sind damit auch zunehmend verschiedenen Institutionen zugeordnet, was die Unterscheidung forciert.136 Eine Einschränkung dieser grundsätzlichen Unterscheidung von forum internum und forum externum, von innerem Gewissensbereich und äußerem Rechtsbereich sowie von Buße und Strafe ergibt sich indes für den Bereich der Glaubens- und Häresiedelikte und deren Sanktionierung im 16. Jahrhundert. Hier finden sich verfahrensrechtliche Verbindungen von forum internum und forum externum; Grund ist, dass hier Bußforum und gerichtliche Strafverfolgung inhaltlich und institutionell besonders eng beieinander liegen.137 132 Dazu oben S. 60 ff., 77 ff.; s.a. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 190, 198, 205 ff., 210 ff. 133 Dazu oben bereits S. 105 ff., 113 ff. sowie grundsätzlich Fries, Forum in der Rechtssprache, S.  190, 198, 205 ff., 210 f.; vgl. auch (zu Deciani) Pifferi, Generalia Delictorum, p.  284 ss., 295 ss., 328 ss. 134 S. dazu unten S. 455 ff. 135 Durch die Entstehung neuzeitlicher Staatlichkeit, insbesondere durch eine öffentliche Strafrechtspflege mit Inquisitionsverfahren und Offizialmaxime verlor das kirchliche forum externum auch in Strafsachen im 15. und 16. Jahrhundert zunehmend seine Bedeutung, sodass sich die Kirche verstärkt auf das forum internum fokussiert, s. Pifferi, Generalia Delictorum, p. 284 ss. 290 ss.; zu den Entwicklungen in Frankreich s. etwa noch unten S. 493 ff. S. hierzu ferner unten S. 455 ff., 464 ff. 136 Pifferi, Generalia Delictorum, p. 287. 137 Dazu, insbesondere zur Situation in Italien etwa Lavenia, L’infamia e il perdono, p. 18 ss., 22 ss.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 225 ff.; Prosperi, in: Prodi/Reinhard [ed.], Il concilio di Trento e il moderno, p. 225 ss., 235 ss., 248; Romeo, L’inquisizione nell’Italia moderna, p. 20 ss.; Brambilla, Alle origini del Sant’Uffizio, p. 483 ss., 490 ss. (auch mit dem Hinweis für die Situation in Italien, dass die eigentlich freiwillige Buße zunehmend zu einem Instrument der Repression und der sozialen Disziplinierung wurde). Soweit in verfahrensrechtlicher Hinsicht auf Vermischungen zwischen Bußsakrament und Inquisitionsverfahren (in Prozessen gegen „Häretiker“) hingewiesen wird (s.a. Schmoeckel, Recht der Reformation, S. 240 f.), zeigen etwa die Beispiele Prosperis (Prosperi, in: Prodi/Reinhard (ed.), Il concilio di Trento e il moderno, p. 225, 235 ss., 242 ss.), dass die Buße als Mittel der Sachverhaltsaufklärung in Häresiefällen für die „Inquisition“ ( forum externum) genutzt wird, ohne dass aber die formelle Trennung der Foren aufgehoben

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Auch wenn Verbrechen (crimen) und Sünde (peccatum) zunächst begrifflich nicht voneinander getrennt und beide Begriffe teilweise synonym138 verwendet werden bzw. peccatum als Oberbegriff139 fungiert, werden beide Konzepte infolge dieser bußtheologischen Entwicklung grundsätzlich getrennt: in ihren Rechtsbeziehungen (Rechtsbeziehung zu Gott [causa inter hominem et Deum], Strafe wegen Verletzung der göttlichen Ordnung (lex divina) – Rechtsbeziehung zwischen Menschen und Staat [causa hominis ad hominem; iniuria reipublicae], Strafe wegen Verletzung der menschlichen Ordnung [lex humana] und des gegen den Staat begangenen Unrechts [iniuria reipublicae]), in ihren Rechtsfolgen (Strafe von Gott im kommenden Leben [poena a Deo; poena animae venturi saeculi; poena pro vita futura] – Strafen von den Menschen [poena ab homine]), und im maßgeblichen Verfahren/Forum (Buße [poenitentia] durch confessio eingeleitet, forum internum – Strafverfahren [Inquisition – Urteil – Verurteilung], forum externum).140 wird – gerade diese Trennung und die unterschiedliche Zuständigkeit (Beichtvater – Inquisition) sorgte für Probleme. So wurde etwa den Beichtenden in Häresiefällen auferlegt, Informationen an die Inquisition zu geben, bevor sie die sakramentale Absolution empfangen konnten. D.h. um Sündenvergebung zu erlangen, wurde in diesen Fällen der Beichtende aufgefordert, Informationen an die Inquisition zu melden (Prosperi, aaO, p. 244). Der Beichvater durfte aufgrund des Beichtgeheimnisses die Informationen nicht selbst weitergeben (dazu auch Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 70,1 ad sec.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  29 Dub.  17 N.  160), ferner durfte das Bekenntnis gegenüber dem Priester nicht als Beweismittel im Prozess verwendet werden (vgl. auch Romeo, L’inquisizione nell’Italia moderna, p. 20 ss.; Prosperi, in: Prodi/Reinhard [ed.], Il concilio di Trento e il moderno, p. 225, 248 s.). Schließlich durfte ein Beichtvater, der zugleich Richter war, in der Beichte empfangenes Wissen nicht im Gerichtsverfahren verwenden. Weiteres Beispiel ist die Bestimmung von sog. Reservatsfällen, d.h. Sünden, von denen nicht jeder Beichtvater, sondern nur etwa Bischöfe oder die römischen Apostolischen Pönitentiare lossprechen durften (dazu Prosperi, in: Prodi/Reinhard [ed.], Il concilio di Trento e il moderno, p.  225, 250 s.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  210 ff., 217 ff., 228; s.a. Valerus, Differentiae inter utrumque forum, Praeludia, N. 2). Hier geht es also um eine bestimmte Regelung der sachlichen Zuständigkeit im forum internum, die zu einer verstärkten Verrechtlichung der Buße führt. 138 S.a. Deciani, Lib. I Cap.  1 N.  10 („sinonima sint ista, vitium, peccatum, noxa, delictum & similia, idemque significare videantur: nempe legis excessum & iniustam hominis actionem ac poena dignam“); Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 55 f., 211 (etwa bei Thomas v. Aquin, Francisco de Vitoria oder Covarruvias); Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 37; Maihold, in: Decock/Ballor/Germann/Waelkens (eds.), Law and Religion, p. 149, 158. 139 So etwa Schmoeckel, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509–1582), p. 207, 218 (wenngleich die Position Decianis hiervon abweicht, s. dazu sogleich). 140 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 72,4 resp.; q. 87,1 resp.; q. 96,4 resp.; Sent. Lib. IV Dist. 18 q. 2,2 qc. 1; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 3 f., 5 f., 7 f.; Scaccia, Tractatus de Commerciis, § 1 q. 1 N. 31; Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 16 N. 3; Lib. II Cap. 12 N. 1; Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N.  3;

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Entsprechend diesen Kategorien unterscheiden auch die Spätscholastiker und Strafrechtsautoren des 16. Jahrhunderts zwischen Strafen von Gott und Strafen von den Menschen sowie zwischen den Foren. Während nämlich die weltlichen Strafen Sanktionen für das gegen den Geschädigten und das Gemeinwesen (iniuria reipublicae) begangene Unrecht sind, sanktionieren die göttlichen Strafen das gegen Gott begangene Unrecht; beide Strafen sind folglich voneinander zu trennen.141 Schuld und Unrecht, die gegen die Gerechtigkeit begangen werden, verletzen so etwa nach Molina nicht nur die Geschädigten, sondern auch „den Staat (respublica) und das Gemeinwohl (bonum commune), da die Geschädigten selbst Teil von Staat und Gemeinschaft sind“ und das Unrecht und die Schuld „den Frieden und die Sicherheit des Staates gefährden“.142 Dieses Unrecht gegen den Staat und das Gemeinwohl bildet den Gegenstand der strafenden Gerechtigkeit (materia & obiectum iustitiae vindicativae); hierfür werde eine Strafe durch richterliches Urteil verhängt, es komme dem Staat bzw. den öffentlichen Autoritäten zu, diese Strafe zu verhängen.143 Von dieser Strafe von den Menschen ist die von Gott kommende Sündenstrafe abzugrenzen; denn das Unrecht, das gegen den Nächsten begangen wird, richte sich nicht nur gegen diesen und

Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 40; Tiraquellus, De poenis, Causa 25, N. 4, 7; vgl. zu dieser Frage auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  37 f., 98 ff.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  55 f.; ders., in: Germann/Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S. 51, 57 f.; Pifferi, Generalia Delictorum, p. 284 ss., 295 ss., 328 ss. (zu Deciani); Grunert, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 313 , 323 ff.; Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 198, 205 ff., 210 f., 225. 141 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715 N.  3, 7 f.; s.a. Scaccia, Tractatus de Commerciis, § 1 q. 1 N. 31 („deliquens laedit tres: nempe Deum, Rempublicam & partem, & poena imposita in foro fori, est pro satisfactione Reipublicae & partis: ergo debet in foro poenitentali satisfacere Deo per contritionem & poenitentiam […] & proinde poena unius fori non tollit poenam alterius fori“); Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 3 („in quolibet delicto etiam privato tribus fit iniuria, scilicet, Deo, parti, & reipublicae, iniuria quae fit Deo relinquitur, ut satisfaciat reus in confessione, & quae fit parti pars prosequitur, & potest etiam pars remittere, non potest tamen remittere iniuriam quae fit reipublicae, & ideo pro ea potest fiscus accusare“); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 22 N. 138 („poena infligitur a Iudice […], ut iniuria Reipubl. & legibus illata vindicetur“). 142 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 5 f.; vgl. ferner bereits Thomas v. Aquin, II–II, q. 61,4 resp. 143 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 6, 8; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. V Disp. 1 N. 2.

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das Gemeinwohl, sondern auch gegen Gott.144 Folglich ist das Unrecht gegen Gott auch „einer Strafe von Gott in seculo venturo“, d.h. im jenseitigen Leben, „würdig“.145 Zugleich wird damit auch die sakramentale Genugtuung (satisfactio) von der Strafe im forum externum unterschieden.146 Dementsprechend folgt aus der Trennung und Verschiedenheit der Foren, dass die Absolution in Beichte und Buße (in foro poenitentiali) nicht im Sinne des Doppelbestrafungsverbots 144 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 7. 145 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 3, 7. Allerdings „straft Gott nicht zweimal“ (Deus non puniat bis in idem): Folglich wird die Strafe, die in diesem Leben den Straftätern durch „die Diener Gottes“ (ministri Dei – hier zeigt sich der Bezug zur theonomen Begründung der politischen Gewalt) für ihre Taten auferlegt werden, im Wege der Satisfaktion auch auf die Strafe angerechnet, die im Jenseits verfallen ist, s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715 N.  7 (allerdings wohl nur auf die zeitliche Sündenstrafe); ferner könne Tilgung der Sündenstrafen durch gute Werke und Ablässe erreicht werden, andernfalls würden die Sünden im kommenden Leben bestraft (in futuro saeculo punienda, nisi bonis operibus, ac indulgentiis, dum in hoc saeculo vivimus, compensentur). D.h. die Strafe durch die weltliche Gerichtsbarkeit in diesem Leben steht hinsichtlich ihrer Wirkung für das kommende Leben auf gleicher Ebene wie die guten Werken und Ablässe. 146 Vgl. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 242 ff., 256, 258; s.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec.  2 N.  17; Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap.  4 N.  23 ff.; Cap.  5 N.  30 ff. Wie gesehen, wurde bei Thomas v. Aquin die poena rationem poenae von der poena satisfactoria abgegrenzt. Da die poena satisfactoria freiwillig geleistet wird und damit nicht den Charakter der eigentlich unfreilligen Strafe hat, ist sie bereits bei Thomas (STh, I–II, q. 87,2 resp.; q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.) keine eigentliche Strafe mehr und wird daher auch nur als satisfactio bezeichnet (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 3 f.; s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 256). Die satisfactio stellt dabei den Bezug zum Bußsakrament (poenitentia) her (hierzu und zum Folgenden auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 3 f. sowie Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 158 ff., 242 ff., 256; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 98 f.; ferner oben bereits S. 80 ff.). Das Bußsakrament besteht aus den Elementen der Reue (contritio), der (Ohren-)Beichte (confessio) sowie der Wiedergutmachung (satisfactio), ferner der absolutio. Die satisfactio im Rahmen des Bußsakraments dient dem Ausgleich der Gerechtigkeit gegenüber Gott und zwar durch Tilgung der zeitlichen Sündenstrafen, die hinsichtlich ihrer Schuld durch die Buße bereits getilgt sind und die andernfalls nach dem Tod im purgatorium abzuleisten sind. Sie erfolgt daher, im Gegensatz zur poena rationem poenae, freiwillig im Rahmen der Buße. Im Gegensatz zur poena rationem poenae, die im Strafprozess verhängt wird, ist sie also kein unfreiwilliger Nachteil. Sie ist Teil des Bußsakraments und hat folglich nicht rechtlichen, sondern theologischen Charakter. Deshalb stehen satisfactio und poena rationem poenae auch kumulativ nebeneinander, ersetzen sich also gegenseitig nicht (s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 242, 256). Daraus folgt, dass das Erleiden der Strafe mit Strafcharakter die satisfactio nicht aufhebt, wie auch umgekehrt die satisfactio nicht zur Aufhebung der poena rationem poenae führt. Strafe (poena) und Buße (poenitentia, satisfactio) sind also voneinander getrennt; zur Abgrenzung von satisfactio und restitutio auch Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VIII Sec. 2 N. 17.

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Anklage und Verurteilung im forum externum (in foro iudiciali) hindern kann. Die Strafverfolgung im forum externum erfolgt unabhängig von der Buße und dem Verfahren in forum internum – „die Strafe des einen Forums hindert nicht die Strafe des anderen Forums“ (poena unius fori non tollit poenam alterius fori).147 Die Buße dient nämlich der Versöhnung mit Gott (satisfaciat Deo & animae suae), die Strafe dagegen der öffentlichen Vergeltung (ad punitionem corporis & pro vindicta publica).148 Das Unrecht, das gegen Gott begangen wird, wird in Beichte (confessio) und Buße (poenitentia) getilgt, das Unrecht gegen den Staat dagegen durch gerichtliche Strafe (poena imposita in foro

147 Scaccia, Tractatus de Commerciis,  § 1 q. 1 N.  31 („poena unius fori non tollit poenam alterius fori“); s.a. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 40 („quod si primo imposita est poena quantumcumque magna in foro poenitentiali per confessorem, non tollitur aliquo modo poena imponenda in foro iudiciali canonico, vel civili“); Julius Clarus, Practica civilis atque criminalis, Lib. V, § Final., q. 57 N. 10 m.w.N.; Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 12 N. 13 („diversa est poena unius ab altera“); Covarruvias, Variarum Resolutionum, Tom. II Lib. II Cap. 10 N. 3 („quod si absolutus fuerit in foro interiori conscientiae, quod aiunt, non impeditur accusatio coram exteriori iudice; cum prior criminis examinatio fiat ad poenitentiam & satisfactionem divinae offensae, posterior vero necessaria sit ad publicam vindictam, & reipublicae satisfactionem“); Tiraquellus, De poenis, Causa 25, N. 4 („punitus in foro poenitentiali potest accusari & puniri in foro iudiciali […] extendunt etiam, si fuerit imposita publica poenitentia“); dazu auch Pifferi, Generalia Delictorum, p. 305 s. Clarus erörtert die Frage bei der Behandlung des Doppelbestrafungsverbots. Er bezeichnet die Vorstellung, dass Buße und Absolution in foro poenitentiali zu einem Anklagehindernis im forum iudiciale führen könnten, als sehr lächerlich (valde ridiculum). Hiervon abzugrenzen sind Freispruch oder Verurteilung in foro ecclesiastico, d.h. im kirchlichen forum externum, hier können sich durchaus Anklagehindernisse für die Anklage in foro saeculari ergeben, vgl. Julius Clarus, Practica civilis atque criminalis, lib. V,  § Final. Lib. V, q. 57 N.  11 f. m.Nw.; s.a. bereits Thomas v. Aquin, STh, III, q. 69,2 ad tert. 148 So Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 40; dazu auch Pifferi, Generalia Delictorum, p. 306 s. S.a. Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 3 zu dem jeweils unterschiedlichen Unrecht, das gegen Gott, den Staat und die verletzte Partei begangen wird, und das jeweils unterschiedlich beseitigt wird; ähnlich auch Tiraquellus, De poenis, Causa 25, N. 3 f. (zunächst zur Taufe und dann zur Buße: „absolutio quam Ecclesia baptizato tribuit, intelligitur quoad animam, quia talis remissio videtur habere causam limitatam respectu animae. […] delinquentes plerumque privatum laedunt, semper vero Rempublicam […]. In quorum praeiudicium non debet videri ab ecclesia concessum remissionis benificium […]. Et facit quod in Evangelio legitur: Reddite quae sunt Caesaris, Caesari, et quae sunt Dei, Deo“; zur Begründung verweist Tiraquellus [aaO, N. 7] auch auf Thomas [STh, III, q.  69,2 resp.]: „licet liberetur homicida a reatu poenae per baptismum quoad Deum, remanet tamen obligatus quoad homines, quos iustum est aedificari de poena, sicut scandalisati de culpa“).

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fori).149 Strafe und Buße verfolgen also jeweils andere Zwecke: Die Buße dient dem Nachlass der Schuld gegenüber Gott, die Strafe im forum externum dagegen der Vergeltung des gegen den Staat begangenen Unrechts – beides ist also zu trennen. Aufgrunddessen kann etwa der italienische Strafrechtslehrer Deciani im ausgehenden 16. Jahrhundert auch begrifflich zwischen peccatum und crimen/ delictum unterscheiden, indem er zwischen „Sünde in einem weiteren Sinne“ (peccatum latiori significatione – im Sinne der Definition Augustinus dictum vel factum vel concupitum contra legem) und „Sünde im eigentlichen Sinn“ (peccatum proprie) differenziert.150 Für die Sünde im eigentlichen Sinn gilt danach, dass „der eigentliche Unterschied zwischen Sünde einerseits, Delikt und Verbrechen andererseits darin liegt, dass Sünde sich auf eine göttliche Strafe und die Buße des Willens (voluntatis poenitentia) bezieht und schließlich eine eigentlich geistliche Strafe erwartet. Demgegenüber sind Delikt und Verbrechen das, was zu körperlicher Strafe führt, und was im Gericht und im Forum durch Akkusation, Inquisition oder Denunziation und schließlich durch Verurteilung verfolgt wird“.151 Deciani knüpft hier also an die verfahrensmäßige Trennung von forum poenitentiale und forum externum152 sowie von göttlicher und menschlicher Strafe an, um eine begriffliche Differenzierung von Sünde und Straftat durchzuführen. Die Buße (poenitentia) wird durch den Pönitenten selbst eingeleitet.153 Sie betrifft die Beziehung zu Gott. In der Buße wird keine Strafe verhängt, hingegen die satisfactio als freiwillige Bußleistung154 auferlegt. Die geistliche Strafe für die Sünde gegen Gott ist die Strafe im Jenseits, d.h. die zeitliche Sündenstrafe im Fegefeuer bzw. die ewige Sündenstrafe. Dagegen 149 S.  Scaccia, Tractatus de Commerciis,  § 1 q. 1 N.  31; Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 3. 150 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 2 N. 1, 4; zur Trennung von Straftat und Sünde sowie forum externum und forum internum umfassend Pifferi, Generalia Delictorum, p. 266 s., 284 ss., 292 ss., 328 ss. 151 Deciani, Tractatus Criminalis Lib. I Cap.  2 N.  4: „Ego vero hanc duntaxat differentiam inter peccatum & delictum sive crimen admittendam esse duco, quod peccatum proprie sit illud, quod divinam tantummodo expectat ultionem, & voluntatis poenitentiam, & denique quod animae tantum poenam proprie spectat. Delictum vero ad crimen, quod corpori poenam infligit, quodque in iudicio atque in foro per accusationem vel inquisitionem, denuntiationemque & denique condemnationem exercetur.“ 152 Im zweiten Buch beschäftigt sich Deciani ausführlich mit den Unterschieden von forum internum und forum externum, s. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 12 ff.; hierzu auch Pifferi, Generalia Delictorum, p. 295 ss. 153 S. hierzu und zum Folgenden oben S. 77 ff. 154 S. dazu oben bereits S. 80 ff.

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wird in foro externo das Verfahren vor Gericht (in iudicio atque in foro) durch Inquisition (bzw. Akkusation/Denunziation)155 eingeleitet, es wird eine weltliche Strafe, d.h. eine körperlich wirkende Strafe (poena corporalis) verhängt. Deciani vollzieht eine begriffliche Trennung von peccatum und crimen/ delictum, indem peccatum dem forum poenitentiale, hingegen crimen/delictum dem forum externum zugeordnet werden. So vollzieht er hier begrifflich nach, was der Sache nach bereits die Bußtheologie des Mittelalters durchgeführt hat. Hier zeigt sich also, dass die begriffliche Ausformung der materiellen bzw. konzeptionellen Ausformung nachfolgt. In der Begründung bezieht sich Deciani ferner auf das erwähnte PaulusZitat, wonach nur jemand, der kein Verbrechen begangen hat, geweiht werden dürfe. In Anknüpfung an die erwähnte Paulus-Stelle fährt er mit dem Augustinuszitat156 fort, dass Verbrechen „eine schwere Sünde ist, die der Anklage und Verurteilung unbedingt würdig ist“ (crimen enim est grave peccatum, accusatione & damnatione dignissimum) und bezieht sich damit auf die inhaltliche kanonistische Abgrenzung von Sünde und Verbrechen.157 Insoweit greift Deciani die kanonistische inhaltliche Abgrenzung von peccatum und crimen auf. Maßgebliche Abgrenzung von Sünde und Straftat ist aber nicht so sehr diese inhaltliche Verhältnisbestimmung, wie sie von den Kanonisten vorgenommen wurde, als vielmehr die verfahrensmäßige Abgrenzung, wie sie von der Bußtheologie entwickelt worden war. 4.4.4.2 Straflehren Die Autoren des 16. Jahrhunderts beschäftigen sich ferner mit den Voraussetzungen und Merkmalen der Straftat. Auch wenn konzeptionell zwischen „Sünde“ und „Straftat“ unterschieden wird, zeigt sich, dass sich die Entwicklung der allgemeinen Straflehren gerade dadurch vollzieht, dass Ideen, Konzepte und Merkmale der „theologischen Sünde“ auf die „juristische Straftat“ übertragen werden. Im Folgenden soll insoweit ein kurzer Überblick darüber gegeben werden, inwieweit die Sündentheologie Einfluss auf die rechtliche Entwicklung hat.

155 Zum Strafverfahren s. unten noch S. 458 ff. 156 S. Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 155. 157 Vgl. dazu auch Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  7. Gerade diese Aussage zur Abgrenzung von Sünde und Verbrechen, die in Kontinuität zu Abaelard und den Kanonisten steht, taucht regelmäßig in den Diskussionen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auf, s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 56; Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 140 f., 155.

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4.4.4.2.1 Die Handlungs- und Zurechnungslehre bei Thomas v. Aquin Wie Kuttner dargelegt hat, liegt der Ursprung wesentlicher Grundbegriffe und Lehren des Strafrechts in der kanonistischen Rechtswissenschaft des 12. und 13. Jahrhunderts.158 Theologische Begriffe sind hierdurch vom weltlichen Strafrecht rezipiert worden und haben dieses grundlegend geprägt. Auch Thomas wird hierauf zurückgreifen, gleichzeitig diese aber in verschiedener Hinsicht fortentwickeln. Dabei zeigen sich auch wesentliche Einflüsse der Handlungsund Zurechnungslehre der Summa Theologiae, die ihrerseits wieder wesentlich von Aristoteles beeinflusst ist.159 Bei Thomas gewinnt zunächst der Begriff der „menschlichen Handlung“ wesentliche Bedeutung für den Begriff der Sünde (peccatum).160 Sünde ist danach eine „schlechte menschliche Handlung“ (actus humanus malus), wobei dies nach Thomas voraussetzt, dass die Handlung willentlich (voluntarius) ist.161 Er unterscheidet zwischen willentlichen (voluntarius) und unwillentlichen 158 Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 3 ff., 22 ff. (zur Schuld), 39 ff. (zu Wille und Handlung); s.a. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 20; ferner Schlinker, Rechtsgeschichte, § 23 Rn. 16 f. 159 Zur Zurechnungslehre bei Thomas Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S.  17 ff. et passim; Mertens, in: Speer (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 168 ff.; Städtler, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 51 ff.; Hardwig, Die Zurechnung, S. 27 ff., auch zum Verhältnis zu Aristoteles, aaO, S. 29 f.: Wesentlicher Unterschied zwischen Aristoteles und Thomas ist dabei zunächst der unterschiedliche, nämlich normative Kontext, indem nämlich Thomas die Zurechnung im Hinblick auf das Gesetz und die Pflichten thematisiert (vgl. Mertens, in: Speer [Hrsg.], Thomas von Aquin, S. 168, 169 f.). Bei Aristoteles geht es im Ausgangspunkt nicht um die rechtliche Zurechenbarkeit von Handlungen im Hinblick auf Normverstöße, an die Rechtsfolgen geknüpft werden (wie etwa Strafe oder Restitution bei Thomas), sondern um „Lob“ und „Tadel“ für tugendhafte Handlungen, wenngleich Aristoteles sagt, dass sein Konzept auch für die Gesetzgeber von Nutzen sein könnte (s. Aristoteles, Nikomachische Ethik, III, 1109b; vgl. auch Hardwig, Die Zurechnung, S. 12 f.; Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, S. 103 f.; s. dazu auch oben bereits S. 33 ff.). Ein weiterer Unterschied liegt in der menschlichen Willensfreiheit, die bei Thomas in Anknüpfung an die patristische Theologie und insbesondere Augustinus zum bestimmenden Moment wird (Mertens, in: Speer [Hrsg.], Thomas von Aquin, S. 168, 177 ff. sowie oben S. 145 ff.; vgl. auch Hardwig, Die Zurechnung, S.  13, 14 f.; Hödl, in: Zimmermann [Hrsg.], Thomas von Aquin, S.  23, 37); grundsätzlich auch zur Entwicklung des (freien) Willens Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.  12, Sp.  763 ff. („In der antiken Philosophie existiert kein umfassendes Äquivalent für den neuzeitlichen Willenbegriff“), Sp.  771 ff. (zu Thomas und zur Spätscholastik). S. ferner zum Verhältnis der thomistischen Willenslehre zu Aristoteles Schäfer, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 85, 86 ff.; Aichele, in: Kaufmann/ Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 59, 61 ff. 160 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 6 Prooemium; q. 71,6 resp. S. hierzu und zum Folgenden oben bereits S. 66 ff. 161 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 resp.

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(involuntarius) Handlungen.162 Menschliche Handlungen sind dabei willentlich, weil „der Mensch das Ziel seines Handelns erkennt und sich selbst bewegt“.163 Mit diesem Handlungsverständnis steht der Schuldbegriff (culpa) in engem Zusammenhang. Eine Handlung (actus) ist insoweit schuldhaft (culpabilis), als sie dem Handelnden zugerechnet wird (quod imputatur agenti).164 Schuld165 haben (culpari) bedeutet „jemandem die Schlechtigkeit seines Handelns zurechnen“ (imputari alicui malatiam sui actus).166 Zurechnung (imputatio)167 einer Handlung zu einem Handelnden setzt voraus, dass die Handlung in der Macht des Handelnden steht (actus imputatur agenti quando est in potestate ipsius), d.h. dass er „Herrschaft über seine Handlung“ (dominium sui actus) hat.168 Dies ist bei allen willentlichen Handlungen der Fall, weil „der Mensch durch seinen Willen169 Herrschaft über seine Handlung hat“ (per voluntatem homo dominium sui actus habet).170 Der Mensch ist dabei „durch die Vernunft und den Willen Herr seiner Handlungen“ (dominus suorum actuum per rationem et voluntatem), die Willensfreiheit (liberum arbitrium) ist „die Fähigkeit von Willen und Vernunft“ ( facultas voluntatis et rationis).171 Die „Schuld geht aus dem freien Willen“ des Menschen hervor (culpa provenit ex libero arbitrio).172 Zurechnung und Schuld setzen also die Willensfreiheit des Menschen voraus.173 Wie Suárez später sagt, wird eine Handlung alleine „aufgrunddessen, dass sie frei ist, dem Handelnden 162 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 6 Prooemium. 163 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 6,1 resp.; s.a. Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 36 f. 164 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. D.h. gerade darin, dass die Handlung zugerechnet wird, besteht nach Thomas das Wesen der Schuld. 165 Zum kanonistischen Schuldbegriff Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 22 ff. 166 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. 167 Zur Verwendung des Substantivs imputatio und insbesondere des Verbs imputare Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 18 ff., 23 ff. 168 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. 169 S. Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint. („habet per liberum arbitrium dominium sui actus“). 170 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. 171 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 1,1 resp.; s.a. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 42. 172 Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 ad sec.; vgl. auch Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 5 Sec. 1 N. 5 ff. 173 Thomas v. Aquin, STh, I, q. 22,2 ad quint. („quia creatura rationalis habet per liberum arbitrium dominium sui actus, ut dictum est, speciali quodam modo subditur divinae providentiae; ut scilicet ei imputetur aliquid ad culpam vel ad meritum, et reddatur ei aliquid ut poena vel praemium“). Dieser von Augustinus kommende Gedanke bildet auch den Ausgangspunkt der Kanonisten bei der Frage nach Handlung und Zurechnung, dazu Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 40 ff.

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zugerechnet“ (actus autem liber eo ipso quod liber est, imputatur agenti); Schuld besteht darin, dass eine schlechte Handlung dem Handelnden zugerechnet wird.174 Ein peccatum, d.h. eine schlechte menschliche Tat ist insoweit schuldhaft, als sie dem Menschen als seine freie Handlung zugerechnet wird. Da der Mensch nur „durch seinen Willen und seine Vernunft175 Herr seiner Handlungen ist“176 und diese ihm zugerechnet werden können, scheidet Zurechnung aus, wenn der Wille oder die Vernunft aufgehoben sind.177 Menschliche Handlungen setzen also Willen und Vernunft voraus, Handlungen ergeben sich aus dem Zusammenwirken von Willen und Vernunft.178 Entsprechend ist nach Thomas die Zurechnung bei Verrückten, Geisteskranken, Schlafenden179 (id quod agit homo dormiens, qui non habet liberum iudicium rationis, non imputatur ei ad culpam: sicut nec illud quod agit furiosus aut amens)180, Betrunkenen181, Kindern182 und bei unüberwindlicher Unwissenheit (ignorantia invincibilis)183 aufgehoben, da es hier an einem freien Willens- oder Vernunftschluss fehlt.184 Ebenso ist Zurechnung nur bei eigenen Handlungen gegeben. Strafe kann daher nur für eigene Handlungen verhängt werden.185 Umgekehrt ist aber 174 Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 16 (ad agens cui imputatur; si est actus liber et malus, consequenter est peccatum et culpam). In freien Handlungen (in actibus liberis) sollen Sünde (peccatum) und Schuld (culpa) in eins fallen, unterscheiden sich jedoch durch den unterschiedlichen Bezugspunkt. Während nämlich eine Handlung peccatum genannt werde wegen der Abweichung vom Ziel, d.h. insoweit sie schlecht sei, werde sie Schuld genannt wegen der Zurechnung zum Handelnden, d.h. insoweit sie frei sei. Hier zeigt sich wieder der Bezug zu Suárez’ Lehre vom moralischen Sein, dessen Fundament das „freisein“ ist und zu dem auch die Schuld gehört, s. dazu oben S. 173 ff. 175 Bzw. Intellekt (intellectus), s. zum Verhältnis von Verstand, Intellekt und Vernunft in der Zurechnungslehre bei Thomas Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 34, 40 f. 176 Thomas v. Aquin, STh, I–II q. 1,1 resp. 177 Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 54 ff., 56 ff., 60 ff. 178 Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 40, 44 ff. 179 Zur Zurechnung bei Schlafenden im kanonischen Recht Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 111 ff. 180 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 154,5 resp.; dazu Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 58 f. 181 Dazu Thomas v. Aquin, STh, I–II q. 76,4 ad sec., ad quart.; II–II, q. 150,4 resp.; hierzu auch Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 89 ff. 182 Zur Strafunmündigkeit bei den Kanonisten Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 124 ff. 183 Thomas v. Aquin, STh, I–II q. 76,2 resp. 184 S. im Einzelnen Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 58 ff.; s.a. Molina, Concordia, q. 14 Art. 13 Disp. 2, p. 8. 185 S. Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 57 unter Verweis auf Thomas v. Aquin, Sent. Lib. IV Dist. 18 q. 1,3 qc. 2 resp. („non debet alicui imputari ad poenam, nisi quod

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Zurechnung auch bei eigener Verursachung bzw. Teilnahme an der Tat eines anderen gegeben, wobei Thomas hier an die verschiedenen Teilnahmeformen der Kanonistik186 anknüpft.187 4.4.4.2.2 Die Handlungs- und Zurechnungslehre im 16. Jahrhundert Die Strafrechtsautoren des 16. Jahrhunderts greifen ebenso wie die spätscholastischen Theologen188 auf diese Handlungs- und Zurechnungslehre zurück und übertragen sie auf das Strafrecht.189 Nach Deciani ist beispielsweise notwendige Voraussetzung der Straftat (delictum) eine „Handlung mit Wille“ ( factum cum voluntate). Unter Rekurs auf Thomas und Augustinus ist der Wille nicht nur das essentiale des Delikts, sondern „das Delikt besteht ganz im Willen“ (totum peccatum consistit in voluntate)190; „ohne Willen gibt es keine Sünde“ (sine voluntate peccatum non sit).191 Wille und Handlung bilden so die materia der Straftat.192 Hierdurch wird ebenso wie bei anderen Strafrechtsautoren ausdrücklich Bezug genommen auf die thomasische Handlungs- und Zurechnungslehre.193 Auch bei anderen Autoren wird deutlich, dass Zurechnungsgrund der Straftat der Wille ist und dass bei Aufhebung des Willens, etwa bei äußerem Zwang oder Trunkenheit, keine Strafbarkeit

186 187 188 189 190 191 192 193

ipsemet fecit“); ferner zur Zurechnung bei Beteiligung an der Tat eines anderen Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 109 ff. Zur Schuld als Voraussetzung der Strafe s. unten noch ausführlich S. 439 ff. sowie Thomas v. Aquin, STh, I–II q. 87,7 u. 8. Dazu Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  41 f.: Voraussetzung der stafrechtlichen Verantwortung bei Teilnahme ist insofern der Willensentschluss des Teilnehmers (consensus). Dazu Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,7 resp.; Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 111 ff. Zu Vitoria s. etwa Spindler, Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria, S. 132 ff., 144 ff. (ratio, voluntas, intellectus, liberum arbitrium). Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 42 f.; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 78 f. (zu Covarruvias). Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 3 N. 2; vgl. Thomas v. Aquin, De malo, q. 2,2 ad sec. („totum peccatum consistit in voluntate sicut in radice“); q. 2,3 resp.; s. ferner grundsätzlich die Diskussion bei Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 5 Sec. 1 N. 1 ff. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 2 N. 5 unter mehrfacher Zitierung von Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 74. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 2 N. 5 („Materialem autem causam delictorum ego appello voluntatem & facta hominum“); causa formalis ist das Gesetz (lex, aaO, N. 4), causa efficiens der Mensch (aaO, N. 6). Vgl. dazu auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 42 (zu Covarruvias); Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 212 (zu Covarruvias und der Zentralität des Willens als konstituierendes Merkmal der Straftat), 228 f. (zu Fernando Vázquez).

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eintreten kann.194 Entsprechend verneint auch die Rechtslehre im 16. Jahrhundert die Strafbarkeit von Geisteskranken, Kindern oder Schlafenden.195 Insgesamt wird so Voraussetzung strafrechtlicher Verurteilung die Zurechnung (imputatio) der Tat zum Willen des Täters, da der Wille Ausgangspunkt der Zurechnung ist, an den die Schuld anknüpft.196 In diesem Zusammenhang geht es nun auch um die Zurechnung einer konkreten Tat bzw. von Tatfolgen zu einer schuldhaften Handlung.197 Die Zurechnung ist entsprechend nicht auf die bloße Verursachung (causa) begrenzt, sondern wird weitergehend als rechtliche Verantwortlichkeit verstanden.198 4.4.4.2.3 Vorsatz und Fahrlässigkeit Ausgehend von diesen allgemeinen Grundsätzen ergeben sich Konsequenzen für konkrete strafrechtliche Fragen, die im Folgenden näher betrachtet werden. Weil jede Sünde aus dem Willen hervorgeht, begründet nach Thomas das zufällig Geschehende (casualia) keine Sünde, weil das Zufällige nicht willentlich (voluntaria) ist.199 Willentlichkeit ist dabei zum einen gegeben, wenn etwas „als solches gewollt oder beabsichtigt“ ist (per se volitum vel intentum).200 Zum anderen liegt aber infolge der Willentlichkeit Sünde auch dann vor, wenn etwas „als Nebenfolge gewollt und beabsichtigt“ (per accidens volitum et intentum) bzw. verursacht wird (causa per accidens).201 Dies ist nach Thomas der Fall, wenn sich jemand „mit unerlaubten Dingen“ beschäftigt (dans 194 S. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 42 f. m.w.N. (Molina; Tiraquellus); Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 212 f. (Covarruvias). 195 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  171; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  213; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 38 N. 1 („Quoniam sine iudicio rationis, ut culpa nullum locum habere potest, sic neque poena“). 196 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  42 f.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  212 (zu Covarruvias). 197 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  42 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  9 Dub.  15 N.  102 ff.; Dub.  16 N.  110 ff. (imputetur), Dub.  18 N.  122 ff. Dabei wird beispielsweise auch diskutiert, ob jemandem die unmittelbar durch einen Dritten verursachte Tötung zugerechnet werden kann (utrum mors, vel aliud damnum alicui tertio ex tuo maleficio obveniens tibi imputetur), dazu Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 16 N. 110 ff. Es bilden sich hier unterschiedliche Ansätze zur Bestimmung der – in heutiger Terminologie – objektiven Zurechnung, die etwa an die Häufigkeit, Zufälligkeit oder Unmittelbarkeit anknüpfen (causa efficax; directe; per accidens; plurimum), s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 15 N. 102 ff.; Dub. 16 N. 110 ff. 198 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  212; zur Kausalität bei den Kanonisten Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 189 ff. 199 Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 64,8 resp.; s.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 122. 200 Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 64,8 resp. 201 Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 64,8 resp.

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operam rebus illicitis)202, oder die geschuldete Sorgfalt außer Acht lässt (debita sollicitudo; debita diligentia).203 Fahrlässigkeit (negligentia) meint insoweit „einen Defekt der geschuldeten Sorgfalt“ (defectum debitae sollicitudinis).204 Nach Thomas ist so auch allgemein die Fahrlässigkeit (negligentia) als sündhaft zu qualifizieren und damit schuld- bzw. zurechnungsbegründend.205 Hieran anknüpfend setzt die Zurechnung einer Handlung bei den Spätscholastikern in Anknüpfung an Thomas und die Kategorien des römischen Rechts206 generell Fahrlässigkeit (culpa/negligentia) oder Vorsatz (dolus) voraus.207 Eine Straftat kann so nicht nur bei Vorsatz vorliegen, vielmehr reicht auch die Fahrlässigkeit aus.208 Umgekehrt tritt bei Zufall (casus) keine Haftung ein.209 Im Gegensatz zur älteren Kanonistik, die Zurechnung neben dem Sorgfaltsverstoß auch bei unerlaubten Tätigkeiten (versari in re illicita) bejaht hat210, was wie gesehen auch Thomas aufgregriffen hat, wird diese Figur bei den Spätscholastikern aufgegeben; im Anschluss an Bartolus wird hinsichtlich der Zurechnung nur noch auf die Fahrlässigkeit bzw. den Sorgfaltsverstoß (diligentia) auch für die Schadensfolge abgestellt.211 In diesem Kontext

202 Zu dieser aus der zeitgenössischen Kanonistik übernommenen Figur, die bei Thomas letztlich systemfremd ist und die Thomas wohl auch nur insoweit übernimmt, als sie nach dem positiven Recht vorgesehen ist („ideo secundum iura“; s. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 64,8 resp.), Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 94 ff.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  123 ff.; zur „Systemwidrigkeit“ auch im kanonischen Recht Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 209 ff. 203 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 64,8 resp. 204 Thomas v. Aquin, II–II, q. 54,1 resp., obi. prim. („Negligentia enim diligentiae opponitur“), 205 Vgl. Thomas v. Aquin, II–II, q. 54,1 u. 3 resp.; s.a. Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 122. 206 Dazu auch Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 9 f. 207 Zu den verschiedenen „Schuldformen“ bei den Kanonisten des 12. und 13. Jahrhunderts Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  65 ff., 71 ff. (Vorsatz), 73 (zum Einfluss des römischen Rechts), 213 ff. (zur Fahrlässigkeit und Zufall). 208 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 48 ff. 209 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 48 ff.; s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 212; vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 3 f.; Disp. 21 N. 1; Disp. 39 N. 2; zur Schuld als Voraussetzung der Strafe s. unten noch S. 439 ff. Insgesamt wird hier der Versuch unternommen, zwei verschiedene Zurechnungssysteme miteinander zu kombinieren, wobei dies im Einzelnen noch zahlreiche Unklarheiten hinterlässt. 210 Zu dieser Erfolgshaftung, in der zwar die vorangeganene Handlung schuldhaft ist, aber der Erfolg nur zurechenbar, hingegen nicht verschuldet sein muss, s. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 200 ff. 211 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 49 f. unter Verweis u.a. auf Vitoria, Soto und Lessius, Lib. II Cap. 9 Dub. 15 N. 103; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 124 ff.

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behandeln die Autoren des 16. Jahrhunderts die Sorgfaltspflichten, die der culpa zugrunde liegen.212 Ferner wird von Covarruvias und Molina eine Unterscheidung zwischen voluntas directa und voluntas indirecta durchgeführt, die begrifflich an Thomas213 anknüpft.214 Nach Molina ist nämlich eine Tat auch dann willentlich (voluntarius), wenn zwar der Taterfolg nicht beabsichtigt wird, wohl aber 212 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 50. Maßstab ist dabei etwa die Sorgfalt eines durchschnittlich begabten Menschen (homo mediocris ingenii et intellectus), s. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 50 m.Nw.; zur Berücksichtigung amts- oder berufsspezifischer Standards bei Thomas s. Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 80, 107 unter Verweis auf Thomas v. Aquin, STh, I–II q. 76,2 resp.; ferner zum Maßstab bei den Kanonisten Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 216 ff. Ferner wird von Covarruvias und Molina eine Unterscheidung zwischen voluntas directa und voluntas indirecta durchgeführt, die begrifflich an Thomas (Thomas v. Aquin, STh, I–II q. 76,3 resp.; dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  45; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 77; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 212; s. ferner zur Unterscheidung von voluntas directa und voluntas indirecta im kanonischen Recht Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  48 f.) anknüpft; dazu Schaffstein, Die Europäische Strafrechtswissenschaft, S.  76 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  45 ff. Nach Molina ist nämlich eine Tat auch dann willentlich (voluntarius), wenn zwar der Taterfolg nicht beabsichtigt wird, wohl aber die Handlung wissentlich vorgenommen wird und der Täter erkennt oder erkennen muss, dass diese zum Taterfolg führt (vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 4; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 47; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 4 zur geringeren Schuld in diesem Fall). Diese Diskussion wird später von Carpzov aufgegriffen, der den indirekten Vorsatz (dolus indirectus) dem direkten Vorsatz hinsichtlich der Strafbarkeit gleichstellt (Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 47; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 78; s.a. Rüping/ Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 120; Sellert/Rüping, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 247 ff.). Weiter findet sich bei den Autoren des 16. Jahrhunderts die Abgrenzung von aberratio ictus (Fehlgehen der Tat) und error in persona (Verwechslung des Tatobjekts), wobei sich die überwiegende Auffassung für eine Verneinung des Vorsatzes bei aberratio ictus ausspricht, wohingegen beim error in persona Vorsatz anzunehmen ist (Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 44 f. mit Verweis auf Julius Clarus und Molina; zu den Kanonisten Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 179 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 9 N. 46). 213 Thomas v. Aquin, STh, I–II q. 76,3 resp.; dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  45; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S.  77; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 212; s. ferner zur Unterscheidung von voluntas directa und voluntas indirecta im kanonischen Recht Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 48 f., wobei hier bereits teilweise eine Verbindung des juristischen voluntas-Begriffs mit dem aristotelischen Willensbegriffs vorgenommen wird. 214 Dazu Schaffstein, Die Europäische Strafrechtswissenschaft, S. 76 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 45 ff.

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die Handlung wissentlich vorgenommen wird und der Täter erkennt oder erkennen muss, dass diese zum Taterfolg führt.215 Diese Diskussion wird später von Carpzov aufgegriffen, der den indirekten Vorsatz (dolus indirectus) dem direkten Vorsatz hinsichtlich der Strafbarkeit gleichstellt.216 Weiter findet sich bei den Strafrechtslehrern des 16. Jahrhunderts die Abgrenzung von aberratio ictus (Fehlgehen der Tat) und error in persona (Verwechslung des Tatobjekts), wobei sich die überwiegende Auffassung für eine Verneinung des Vorsatzes bei aberratio ictus ausspricht, wohingegen beim error in persona Vorsatz anzunehmen ist.217 4.4.4.2.4 Unterlassung Bereits in den kanonistischen Diskussionen des 12./13. Jahrhundert findet eine Herausarbeitung der Unterlassungsstrafbarkeit statt.218 Nach Thomas ist Unterlassung dabei die „Auslassung des geschuldeten Guten“, sodass auch die Unterlassung eine persönlich begangene Sünde ist, die darin besteht, etwas Geschuldetes nicht zu tun.219 Eine Unterlassung ist nur dann Sünde, wenn „ihre Ursache […] dem Willen unterliegt“, d.h. wenn ihr ein innerer Willensakt zugrunde liegt.220 Auch Unterlassungen können daher zugerechnet werden, soweit sie willentlich sind.221 Wenn hingegen der Grund der Unterlassung „nicht in der Macht des Menschen steht“, liegt auch keine Sünde vor;222 „niemand ist zu Unmöglichem verpflichtet“.223 Zugleich setzt jede Unterlassungssünde 215 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 4; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 47; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 4 zur geringeren Schuld in diesem Fall („minus esse culpae in homicidio voluntario, quod non est formaliter intentum, sed ideo dicitur voluntarium, quia perinde homicida reputatur, ac si illud formaliter intendisset, quam sit in eo homicidio, quod formaliter est intentum“). 216 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  47; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 78; s.a. Rüping/Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 120; Sellert/ Rüping, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 247 ff. 217 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 44 f. mit Verweis auf Julius Clarus und Molina; zu den Kanonisten Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 179 ff. S.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 9 N. 46. 218 Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 43 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 58. 219 Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 79,3 resp.; ad prim.; s.a. I–II q. 71,5; q. 72,6; zur Unterlassungslehre bei Thomas Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 115 ff. 220 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,5 resp.; s.a. Thomas v. Aquin, De malo, q. 2,1 resp.; Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 117; entsprechend bildet bei den Kanonisten der Wille (consensus) den Zurechnungspunkt bei Unterlassungen, s. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 43. 221 Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 31. 222 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,5 resp.; s.a. ders., De malo, q. 2,1 resp. 223 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 79,3 ad sec.; Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 116.

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auch eine entsprechende Handlungspflicht voraus, d.h. nur bei Bestehen eines entsprechenden positiven Handlungsgebots (praeceptum affirmativum) kann auch eine Zurechnung der Unterlassung erfolgen.224 Die Strafbarkeit von Unterlassung wird ab dem 14. Jahrhundert auch im weltlichen Recht grundsätzlich anerkannt.225 Anknüpfend an die theologische Diskussion um die Unterlassungssünde werden in der Folge bestimmte Kriterien zur Strafbarkeit der Unterlassung (omissio) herausgebildet.226 Dementsprechend bilden sich in der Diskussion der Spätscholastiker verschiedene Fallgruppen von Handlungspflichten heraus, die einerseits an eine Schutzpflicht beispielsweise von Amtsträgern oder Familienangehörigen, andererseits an Überwachungspflichten im familiären Bereich anknüpfen.227 4.4.4.2.5 Notwehr und Notstand Bereits bei den Kanonisten und Legisten finden sich maßgebliche Entwicklungen zur Ausbildung des Notwehr- und Notstandsrecht, welches sich ansatzweise im römischen Recht (vim vi repellere)228 findet.229 Nach Thomas ist Notwehr (defensio), auch wenn sie zum Tod des Angreifers führt, grundsätzlich zulässig.230 Voraussetzung ist, dass die Notwehr der Erhaltung des eigenen Lebens dient, also mit der entsprechenden Absicht vorgenommen wird, an den Zweck angepasst und maßvoll ist.231 224 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 79,3 ad tert.; ders., De malo, q. 2,1 resp. („sicut agere imputatur homini ad peccatum, quia opponitur praecepto legis negativo, ita et ipsum non agere, quia opponitur praecepto affirmativo“); s.a. Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 106, 116. 225 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 58. 226 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  58; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 36 f.; s. ferner auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 293 N. 3, wonach culpa iuridica generell entweder in einem Tun (in commissione) oder in einem Unterlassen (in omissione) besteht. 227 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 58 f.; vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 33 Membrum 5 N. 12 (zu Überwachungspflichten); Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub.  13 N.  93 f. (zur Diskussion von Schutzpflichten von Amtsträgern oder Familienangehörigen); s. ferner auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 1 N. 5; grundsätzlich zur Unterlassung auch Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 3. 228 Zum „vim vi repellere“ des römischen Rechts s. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 336 f.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 11. 229 Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  257 ff. (Pflichtenkollision), 291 ff. (necessitas), 299 ff. (Nötigungsnotstand, auch zum römisch-rechtlichen Hintergrund von vis und metus, S. 308 ff.), 334 ff. (Notwehr). 230 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 64,7 resp.; dazu auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 70 f. 231 S.  Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 64,7 resp. (unter ausdrücklicher Anknüpfung an die rechtliche Diskussion); dazu auch Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 140 f.

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Ebenso bejahen die Spätscholastiker ein Notwehrrecht (defensio necessaria).232 Notwehr ist dabei neben der Verteidigung des Lebens auch zur Verteidigung anderer Güter wie der Gesundheit, des Eigentums und der Ehre zulässig, wobei hinsichtlich des Eigentums und der Ehre die Reichweite eingeschränkt ist.233 Die Notwehr, die nur gegen rechtswidrige Angriffe zulässig ist, unterliegt zeitlichen Beschränkungen sowie bestimmten Grenzen in der Reichweite.234 Nothilfe zugunsten Dritter wird ebenfalls von der überwiegenden Auffassung für zulässig gehalten.235 4.4.4.2.6 Versuch Entsprechend den kanonistischen Lehren des 12./13. Jhd. reicht im forum externum alleine der innere Wille (actus interior), der im forum internum eine Sünde (peccatum) darstellen kann, zur Bestrafung nicht aus.236 Alleine der subjektive Willensentschluss, ohne dass eine Handlung nach außen getreten wäre, begründet daher keine Strafbarkeit im menschlichen Gericht – ecclesia de occultis non iudicat237. Das Urteil über innere subjektive Gegebenheiten fällt in den Bereich des forum internum.238 Thomas greift dies auf und betont ebenso wie die Spätscholastiker, dass sich die menschlichen Gesetze nur auf äußere Taten beziehen dürfen, weil dem menschlichen Urteil – im Gegensatz zum göttlichen Urteil – nur äußere Handlungen unterliegen.239 Weil Strafe ein Urteil voraussetzt, dürfen welt232 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  70 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  9 Dub. 8 N. 41 ff. 233 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  71 ff.; s.a. Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 80. 234 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 74 ff. 235 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 73 f.; Schaffstein, Die Europäische Strafrechtswissenschaft, S. 80. Ferner werden auch ein Notstandsrecht (necessitas) (dazu auch Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 66,7 ad sec. sowie Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin, S. 141 ff.) und ein Selbsthilferecht in bestimmten Konstellationen bejaht (dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  80 f., 91 ff.), ebenso wie ein Entschuldigungsgrund bei Zwang und Drohung (s. etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 18 N. 122 f. [„talis autem cooperatio non est illicita, quando non est voluntaria, sed coacta, metuque gravissima extorta“]; s.a. Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 35 f.). 236 Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S.  51 ff.; vgl. auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 41, 54. 237 Dazu Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 20 m.Nw. 238 Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 19 f., 52 f. (Ausnahmen sind insofern entsprechend dem römischen Recht das Majestätsverbrechen sowie analog dazu die Häresie); Simon, Der Deliktsversuch nach kanonischem Recht, S.  2 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 41; s.a. bspw. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 12 N. 3. 239 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; q. 98,1 resp.; q. 100,2 resp.; q. 100,9 resp.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 13 N. 2, 3.

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liche Strafen nur für äußere Handlungen verhängt werden.240 Strafbarkeit darf erst dann einsetzen, wenn der Handelnde zu einer äußeren Handlung (actus exterior) voranschreitet, auch wenn die beabsichtigte Wirkung bzw. Vollendung noch ausbleibt.241 Im Gegensatz zum römischen Recht, in dem es keine allgemeine Versuchsstrafbarkeit, sondern lediglich einzelne Versuchsstraftaten als vollendete Delikte gegeben hat, wird in den rechtswissenschaftlichen Diskussionen des Mittelalters242 und der Frühen Neuzeit der Versuch (conatus) als allgemeines Institut eingeführt und grundsätzlich strafbar.243 Es bilden sich Kriterien zur Abgrenzung strafloser Vorbereitung vom strafbaren Versuch, der grundsätzlich wie die vollendete Tat oder gemildert bestraft wird.244 Da der innere Wille keine Strafbarkeit im forum externum begründet, kann nach den Spätscholastikern auch der bloße Tatvorsatz, der noch nicht nach außen getreten ist, keine Strafbarkeit für einen strafbaren Versuch begründen.245 Vielmehr ist notwendig, dass eine Handlung bereits nach außen getreten ist.246 Grundsätzlich ist daher eine nach außen tretende Versuchshandlung erforderlich.247 Weiter muss die Versuchshandlung bereits eine gewisse Tatnähe erreichen.248 4.4.4.3 Schuld als Voraussetzung der Strafe 4.4.4.3.1 Überblick In ähnlichem Zusammenspiel von Theologie, Philosophie, Kanonistik und Legistik wird die persönliche Schuld (culpa) zur allgemeinen Voraussetzung der Strafe.249 Ausgangspunkt der Diskussion um die Frage, ob jemand für die 240 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 100,9 resp.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 54. 241 S. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 13 N. 2. 242 Zum kanonischen Recht Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 51 ff.; Simon, Der Deliktsversuch nach kanonischem Recht, S. 2 ff., 10 ff.; s.a. Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 157. 243 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 53 ff.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 24 N. 3 f., 6, 10. 244 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  54 f., 56 f.; Simon, Der Deliktsversuch nach kanonischem Recht, S. 10 ff. 245 S.a. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 54; Simon, Der Deliktsversuch nach kanonischem Recht, S. 10 ff.; vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 24 N. 3 f. 246 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  54; dazu auch Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 52. 247 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 54 mit Verweis auf Covarruvias; s.a. Simon, Der Deliktsversuch nach kanonischem Recht, S. 14 ff. (ebenfalls zu Covarruvias). 248 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  54 f. m.Nw., auch zu den verschiedenen Abgrenzungskritieren von actus proximus und actus remotus; Simon, Der Deliktsversuch nach kanonischem Recht, S. 16; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 24 N. 6. 249 Hierzu und zum Folgenden grundlegend Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 107 ff. et passim; ferner Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 157 ff.

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Schuld eines anderen bestraft werden darf, ist eine Parömie, die sich bereits in verschiedenen kanonistischen Quellen fand und schließlich Aufnahme in den Liber Sextus (1298) Bonifaz’ VIII. gefunden hat: „Ohne Schuld darf niemand bestraft werden, es sei denn, es gibt einen Grund“ (Sine culpa, nisi subsit causa, non est aliquis puniendus).250 D.h. Strafe setzt Schuld oder einen besonderen Grund (causa) voraus. Auch wenn danach Schuld Voraussetzung einer Strafe ist, gibt es dennoch Strafen, die ohne eigene Schuld, aber mit Grund verhängt werden können.251 Das „Schuldprinzip“ hat folglich im kanonischen Recht des 13. Jahrhunderts noch keine allgemeine Geltung.252 4.4.4.3.2 Schuld und Strafe bei Thomas v. Aquin Die folgende theologisch-philosophische und juristische Diskussion richtet sich auf die Begriffsbestimmung von Strafe (poena) einerseits, Schuld (culpa) andererseits. Damit verbunden ist zunächst die Frage nach der Bedeutung des culpa-Begriffs.253 Hier werden zwei Begriffsbedeutungen relevant. Zum einen wird in den juristischen254 Diskussionen auf den römisch-rechtlich geprägten culpa-Begriff255 rekurriert, der ein Verschulden im Sinne einer Fahrlässigkeit (negligentia) beschreibt.256 Zum anderen bezieht sich der theologische culpaBegriff der oben dargestellten Diskussion zunächst auf den theologischen Schuldbegriff, wie er u.a. von Thomas entwickelt worden ist.257 Demfolgend unterscheidet etwa Lessius zwischen dem theologischen und dem juristischen culpa-Begriff. Während culpa bei den Theologen gleichbedeutend mit der Sünde (peccatum) sei, würde culpa bei den Juristen die

250 Liber Sextus, Lib. V, Tit. XIII Reg.  23 (ed. Friedberg); dazu Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 109 ff. m.Nw. 251 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 109 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 157. 252 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 110, 134. 253 Zur culpa im kanonischen Recht Müller, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 401, 407 ff. 254 Auch im kanonischen Recht, s. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 214. 255 Zur culpa im römischen Recht Honsell/Mayer-Mali/Selb, Römisches Recht, § 93 III.1a); Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 9 f., 18 ff. Zum Bedeutungswandel dieses Begriffs im Mittelalter sowie zu den Einflüssen (römisches Recht – Theologie) Schermaier, in: Cardilli (u.a.), Modelli teorici e metodologici nella storia del diritto privato 3, S. 313, 324 ff., 327 ff.; ders., ZRG RA 134 (2017), 49, 104. 256 S. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 22 (omissio alicuius diligentiae); s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 211 f. (zu Covarruvias, der ebenfalls einen doppelten culpa-Begriff verwendet). 257 Vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 22; s.a. Pifferi, Generalia Delictorum, p. 241 s.

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Außerachtlassung der Sorgfalt bezeichnen.258 Ebenso knüpft hieran auch Deciani an, der einen weiten und einen engen culpa-Begriff unterscheidet.259 Culpa im weiten Sinne ist bei Deciani der thomasische culpa-Begriff260, d.h. „die willentliche Abkehr vom Guten, sei es aus Vorsatz oder aus Fahrlässigkeit“.261 Unter diesen Oberbegriff fallen sowohl Fahrlässigkeit (negligentia) als auch Vorsatz (dolus).262 Von diesem weiten culpa-Begriff sei der enge abzugrenzen, der die Sorgfaltswidrigkeit meint.263 In diesem Verständnis, d.h. dem Verständnis als Fahrlässigkeit, wird culpa dem Vorsatz (dolus) gegenübergestellt.264 Hier zeigt sich ein doppeltes culpa-Verständnis, einerseits in der Bedeutung von Schuld bzw. Schuldhaftigkeit im Sinne einer strafrechtlichen Verantwortung einer Person für ihre schuldhafte Tat, d.h. der Zurechnung einer Tat zum Willen einer Person, und andererseits im Sinne von Fahrlässigkeit bzw. Verschulden.265

258 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 6 N. 22; vgl. auch Schermaier, in: Cardilli (u.a.), Modelli teorici e metodologici nella storia del diritto privato 3, S.  313, 324 ff.; peccatum ist bei Lessius wiederum „die Verletzung der Gleichheit oder der einem Gesetz oder einem Gebot eines Höheren geschuldeten Konformität“ (violatio aequalitatis seu conformitatis debitae legi vel praecepto Superioris), d.h. eine Gesetzesverletzung (legis inobedientia); s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 1 N. 1 f. S. ferner auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 293 N. 2 f. (culpa theologica als „deviatio voluntaria a recta ratione & lege Dei“; culpa iuridica late sumpta als „deviatio ab eo, quod bonum est, quodque per hominis potuit diligentiam provideri“), N. 6 („deviatio ab eo, ad quod aliquo modo quis tenetur“). S. aber auch die Unterscheidung von culpa und peccatum bei Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 6 N. 16. 259 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 6 N. 1 ff. 260 S. zum thomasischen Einfluss auf Deciani insoweit auch Pifferi, Generalia Delictorum, p.  241 s., ferner auch zu den Einflüssen Thomas’ auf die vorherigen Legisten (Baldus), bei denen Schuld die aus freiem Entschluss hervorgehende Handlung gegen das Gesetz (contra legem) meint. 261 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap.  6 N.  1 („voluntaria declinatio a bono, vel ex malitia, vel ex negligentia“) mit Verweis auf Thomas, I, q. 48,5, 6; I–II, q. 21,2; II–II, q. 34,2. 262 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 6 N. 1; dazu Pifferi, Generalia Delictorum, p. 242. 263 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 6 N. 4; dazu auch Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 49. 264 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 6 N. 4 f.; dazu auch Pifferi, Generalia Delictorum, p. 242. 265 S. Pifferi, Generalia Delictorum, p. 242 s.; Schermaier, in: Cardilli (u.a.), Modelli teorici e metodologici nella storia del diritto privato 3, S. 313, 324 ff., 327 ff.; vgl. zur Fortwirkung dieser Differenzierung und der verschiedenen Zurechnungssysteme Boldt, Böhmer und die gemeinrechtliche Strafrechtswissenschaft, S. 106, 148 ff., 386 ff., 390 ff. (zu Böhmer und Wolff); s.a. Wolff, Philosophia Practica Universalis, Pars. I Cap. VI § 717, der culpa in specie von der culpa in genere abgrenzt, wobei culpa in genere sowohl Vorsatz als auch culpa in specie umfasst.

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Wie gezeigt, meint nach Thomas Schuld (culpa) die Zurechnung einer schlechten menschlichen Handlung;266 „Schuld besteht in einem ungeordneten Willensakt“.267 Eine Handlung „hat insoweit, als sie aus dem Willen hervorgeht, die Bewandtnis der Schuld“ (rationem culpae).268 Schuld haben (culpari) bedeutet die Zurechnung einer Tat (imputari alicui malatiam sui actus)269, wobei „Schuld aus dem freien Willen hervorgeht“ (culpa provenit ex libero arbitrio).270 Die Schuld steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der (Willens-)Freiheit. Die Differenzierung von „theologischer“ und „juristischer“ culpa meint folglich die Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Zurechnungssysteme, die in heutiger Terminologie die Unterscheidung von Schuld und Verschulden bezeichnet, wobei beide Zurechnungssysteme letztlich miteinander kombiniert werden.271 „Juristische“ culpa meint Verschulden im Sinne von Fahrlässigkeit, wohingegen „theologische“ culpa die Verantwortlichkeit des mit freiem Willen handelnden Menschen für eine Handlung meint.272 Das weite culpa-Verständnis im Sinne strafrechtlicher Verantwortung für eine schuldhafte Tat umfasst daher sowohl vorsätzliche wie auch fahrlässige Begehung der Tat.273 Im vorliegenden Zusammenhang der Frage nach der Strafe ohne Schuld wird entsprechend Thomas auf diesen allgemeinen, „theologischen“ Schuldbegriff rekurriert, nämlich auf die Frage, ob ein Mensch für eine Handlung rechtlich verantwortlich ist, weil sie ihm zugerechnet werden kann.274 Das Problem „Strafe ohne Schuld“ drängt weiter die Frage auf, was „Strafe“ ist. In der scholastischen Theologie und Kanonistik finden sich verschiedene Arten

266 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. 267 Thomas v. Aquin, STh, I, q. 48,6 resp. („culpa consistit in deordinato actu voluntatis“). 268 Thomas v. Aquin, De malo, q. 1,4 resp: „culpa est malum ipsius actionis“; ad prim.: „de ratione culpae sit quod sit voluntaria“; ad tert.: „ipsa inordinata actio, secundum quod a voluntate procedit, rationem culpae habet“. 269 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp. 270 Thomas v. Aquin, STh, I, q. 23,3 ad sec.; vgl. auch Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 5 Sec. 1 N. 5 ff. 271 Vgl. Pifferi, Generalia Delictorum, p. 240 ss. 272 Vgl. Pifferi, Generalia Delictorum, p. 242; Schermaier, in: Cardilli (u.a.), Modelli teorici e metodologici nella storia del diritto privato 3, S. 313, 324 ff. 273 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 6 N. 1 und Pifferi, Generalia Delictorum, p. 242 s. 274 Vgl. Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 1 ff., 14. Wobei aber hinsichtlich der Frage, ob jemand ohne eigene Schuld bestraft werden kann, beide Schuldbegriffe durchaus parallel laufen, vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 39 N. 2 (culpa iuridica alleine reicht nicht aus, vielmehr ist auch culpa theologica erforderlich, wobei aber mit der culpa iuridica oft auch culpa theologica verbunden ist); Disp. 3 N. 3 f.; Disp. 21 N. 1; s. aber auch Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 6 N. 25 a.E.

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von Strafen (poenae) und Sanktionen.275 Wie gesehen, wird entsprechend den verschiedenen Foren und Strafordnungen zwischen Strafen von Gott (Sündenstrafen; poena a Deo) und Strafen von den Menschen (poena ab homine) differenziert.276 Innerhalb der Strafen von Gott unterscheidet man zwischen ewigen (aeterna) und zeitlichen (temporalis) Sündenstrafen277, innerhalb der menschlichen Strafen wiederum zwischen geistlichen (spiritualis) und zeitlichen bzw. körperlichen (temporalis vel corporalis, iSv weltlichen).278 Bei den ewigen Sündenstrafen war bereits bei den Kanonisten anerkannt, dass diese nur durch eigene Schuld anfielen, d.h. dass eigene Schuld Voraussetzung der ewigen Strafe war.279 Gleiches galt für die kanonische geistliche Strafe der Exkommunikation.280 Andere Strafen, d.h. auch „körperliche“ Strafen und Geldstrafen konnten jedoch auch bei Vorliegen einer causa, d.h. ohne eigene Schuld verhängt werden.281 Eine maßgebliche Wendung folgt durch Thomas. Im Sündentraktat (De Peccato) diskutiert Thomas diese Frage unter der Überschrift „Darf jemand für die Sünde eines anderen bestraft werden?“ (Utrum aliquis puniatur pro peccato alterius?).282 Das Problem wird auf die Frage hin konkretisiert, ob jemand für die Tat eines anderen bestraft werden darf.283 Hinsichtlich der Strafen werden bei Thomas v. Aquin nun drei Strafarten differenziert: „Strafen mit Strafcharakter“ (poena rationem poenae), Satisfaktionsstrafen (poena satisfactoria) sowie Besserungsstrafen (poena medicinalis).284 Thomas grenzt die „Strafe mit Strafcharakter“ (poena rationem poenae; „eigentliche Strafe“ – poena simpliciter) von der poena satisfactoria ab, der im Rahmen des Bußsakramentes als 275 S. hierzu Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 110 ff. 276 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,1 resp.; q. 87,7 resp. 277 S. dazu oben bereits S. 72 f. Die Sündenstrafen beziehen sich auf das forum Dei, d.h. auf das Gericht bei Gott nach dem Tod im kommenden Leben. 278 S.  hierzu  Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  110 ff.: Innerhalb der zeitlichen wird zwischen kirchlichen (canonica) (vgl. zu den kirchlichen Strafarten Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 130 ff., 162 ff.) und weltlichen (legalis) unterschieden, und hierunter wiederum zwischen körperlichen (corporalis) und güterlichen (pecuniaria); vgl. auch Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,8 resp., ad prim., ad sec.; II–II, q. 108,4 ad prim. 279 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 111. 280 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 112 ff., 134; s.a. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 108,4 ad prim. Unter zeitliche geistliche Strafen fallen Exkommunikation (Ausschluss von der christlichen Gemeinschaft und den Sakramenten), Interdiktion (vorübergehender Ausschluss von den Sakramenten) sowie Infamie (Unfähigkeit zur Bekleidung kirchlicher Ämter; dazu auch Landau, Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs, S. 97 ff.). 281 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 119 ff. 282 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,8; dazu auch Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 152 ff. 283 Zu dieser Fragestellung auch Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 100 ff. 284 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.; II–II, q. 108,4 resp.

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Genugtuung Bedeutung (satisfactio) zukommt285. Die poena satisfactoria sei nämlich „freiwillig“ (Poena quidem satisfactoria est quodammodo voluntaria)286 und daher gar keine eigentliche Strafe, da „es zum Wesen der Strafe gehört, dass sie gegen den Willen erfolgt“ (De ratione autem poenae est quod sit contra voluntatem)287. Weil sie keine eigentlichen Strafen sind und freiwillig geleistet werden, können diese freiwilligen „Satisfaktionsstrafen“ auch von Dritten übernommen werden.288 Nach Thomas dürfen hingegen poenae rationem poenae, d.h. die eigentlichen Strafen, nicht für die Schuld eines anderen, sondern nur „für eigene Schuld“ (culpa propria) verhängt werden – sie setzen immer Schuld voraus.289 Denn diese eigentlichen Strafen werden „für eine Sünde verhängt“ (pro peccato inflicta), und die Sünde ist „etwas Persönliches“ (aliquid personale).290 Thomas nimmt hier auf sein Sündenverständnis Bezug, das mit der Handlungs- und Zurechnungslehre verbunden ist.291 Weil es das Wesen der Sünde ist, dass sie willentlich (voluntarium) erfolgt, darf niemand „bestraft werden außer für das, was willentlich getan worden ist“.292 Zurechnungsgrund der Sünde ist der (freie) Wille des Menschen (voluntas deliberata; liberum arbitrium).293 Die Entscheidung zwischen Gutem und Schlechtem obliegt der Willensfreiheit des Menschen.294 Grundlage der Zurechnung ist die Willensfreiheit des Menschen, die Sünde als schlechte menschliche Tat ist notwendig willentlich.295 Die Schuld (culpa) besteht in der Missachtung der Ordnung bzw. des Gesetzes durch den freien Willen.296 Eine 285 S. dazu oben bereits S.  80 ff.; s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  158 ff., 242 ff.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 3 f., 12. 286 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,6 resp.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 159. 287 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,2 resp.; II–II, q. 108,4 resp. 288 S, Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 242 ff., 256; zur satisfactio auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 3 f., 12. 289 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.; II–II, q. 108,4 resp.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 153 ff. 290 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,8 resp.; dazu auch Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 154 f. 291 S. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 154 f.; Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 108,4 resp. 292 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 108,4 resp. 293 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 71,6 resp.; q. 1,1 resp.; q. 1,3 resp.; s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 154 f. 294 S. dazu oben bereits S. 66 ff., 145 ff.; s. ferner Thomas v. Aquin, STh, I, q. 83,4 resp.; II–II, q. 104,1 ad prim.; III, q. 86,1 resp.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 155. 295 Dazu ausführlich oben S. 66 ff. sowie Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 154 f. 296 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 21,2 resp., ad sec.; II–II, q. 30,1 ad prim.; s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 154 f. m.w.N. zur thomistischen Zurechnungslehre.

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Handlung gegen die Ordnung „hat insoweit, als sie aus dem Willen hervorgeht, die Bewandtnis der Schuld“ (rationem culpae).297 Die Strafe mit Strafcharakter (poena rationem poenae) dient daher als unfreiwilliges Leiden dem Ausgleich der Gerechtigkeit (aequalitas iustitiae), die durch die freiwillige Sünde verletzt worden ist.298 Indem durch die Sünde die Gerechtigkeit verletzt wird, dient die Strafe mit Strafcharakter (poena rationem poenae) der Wiederherstellung der Gerechtigkeit (per poenam reparatur aequalitas iustitiae).299 Hintergrund dafür ist wiederum das von Aristoteles übernommene thomistische Konzept der ausgleichenden Gerechtigkeit.300 Da Sünde „etwas Persönliches“ ist und die eigentliche Strafe gerade Sanktion für die schuldhafte Handlung ist, setzt eine eigentliche Strafe nach Thomas notwendig Schuld voraus – Schuld ist die Voraussetzung der eigentlichen Strafe.301 Damit zeigt sich der spezifische Charakter der poena rationem poenae als Schuldstrafe: Sie wird wegen der Schuld verhängt, muss schuldangemessen sein302 und dient dem Ausgleich der Schuld.303 Von dieser wird nun weiter die Medizinalstrafe (poena medicinalis) abgegrenzt; diese diene der Heilung (sanativa) begangener und der Verhinderung (praeservativa) zukünftiger Sünden oder anderweitig der Bewirkung von „etwas Gutem“.304 Sie ist damit präventiv ausgerichtet. Hier soll die Schuld nicht zwingend vorausgesetzt werden, vielmehr kann ein Grund (causa) ausreichen.305 Allerdings darf eine solche Medizinal-Strafe, die „ohne Schuld, aber nicht ohne Grund“ verhängt werden darf, kein körperlicher (poena flagelli), sondern nur ein sonstiger, vor allem vermögensmäßiger Nachteil (poena damni) sein.306 Auch gilt dies nur für zeitliche, hingegen nicht für 297 Thomas v. Aquin, De malo, q. 1,4 ad tert. („ipsa inordinata actio, secundum quod a voluntate procedit, rationem culpae habet“). 298 Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 108,4 resp.; I–II, q. 87,2 resp.; q. 87,6 resp.; III, q. 86,4 resp.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 154 f.; dazu auch Koritansky, Thomas Aquinas and the Philosophy of Punishment, p. 145. 299 S. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 108,4 resp.; III, q. 86,4 resp.; s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 160; vgl. auch Castro, De potestate legis poenalis, Lib. 1 Cap. 3, fol. 12 D. 300 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 157. 301 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.; II–II, q. 108,4 resp.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 153 ff. 302 S. dazu unten S. 452 f. 303 S. dazu unten S. 454. 304 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 108,4 resp.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 160 ff. 305 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.; II–II, q. 108,4 resp. 306 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 108,4 resp., ad sec. („nunquam secundum humanum iudicium aliquis debet puniri sine culpa poena flagelli […]. Poena autem damni punitur aliquis, etiam secundum humanum iudicium, etiam sine culpa, sed non sine causa“; poena damni meint hier nicht die ewige Sündenstrafe der Verdammung, im Gegensatz

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geistliche Strafen, die immer nur wegen Schuld verhängt werden dürfen.307 Nach Thomas dürfen damit ohne Schuld nur bestimmte Besserungsstrafen, hingegen keine eigentlichen Strafen verhängt werden.308 Thomas beschränkt demnach die causa-Strafen auf Besserungsstrafen, eigentliche Strafen setzen immer Schuld voraus.309 Umfasst sind von diesen medizinalen causa-Strafen beispielsweise die Amtsenthebung wegen Untauglichkeit oder Vermögenseinbußen.310 Hauptfall dieser sonstigen, medizinischen Strafe ist die Erbschaft, die den Erben als Folge des Majestätsverbrechens des Vaters entzogen wird, d.h. ein Gut, das in Abhängigkeit von jemand anderem steht – Ziel ist die Verhinderung ähnlicher Schuld und der Nachahmung.311 Daneben werden als Fallgruppen die Haftung von Gesamtheiten, insbesondere in Kriegszeiten, ferner die Vermögenskonfiskation sowie die Hausherrnhaftung diskutiert.312 4.4.4.3.3 Schuld und Strafe in der Spätscholastik und in der frühneuzeitlichen Strafrechtslehre Anknüpfend an Thomas bildet sich nun über die Entwicklung bei den Spätscholastikern (zunächst bei den Theologen Vitoria313 und Alfonso de Castro314 sowie den Kanonisten Azpilcueta315 und Covarruvias316) die allgemeine Diffe­ renzierung auch im weltlichen Strafrecht heraus, dass eigentliche Strafen (poenae proprie; poenae vere) nur bei Vorliegen eigener Schuld verhängt

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zu anderen Stellen, an denen Thomas den Begriff in dieser Bedeutung benutzt); Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 162 f. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,8 resp.; II–II, q. 108,4 resp., ad prim.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 161 f. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 157 f. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 164. S. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 108,4 ad sec. sowie Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 164 ff. Thomas nennt hier drei Konstellationen, in denen eine solche Strafe ohne eigene Schuld verhängt werden könne: erstens, wenn jemand für untauglich (ineptus) erklärt wird, etwa für ein Amt; zweitens, „wenn das Gut, in das eingegriffen wird, kein eigenes, sondern ein gemeinschaftliches Gut ist“; drittens, wenn das Gut, in das eingegriffen wird, „von dem Gut eines anderen abhängt“, wie im Fall des Einzugs der Erbschaft, s. dazu sogleich. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 161, 164 f., 286 ff.; Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 108,4 ad sec.; ad prim.; I–II, q. 87,8 ad sec., ad tert. S. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 103 ff. S. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 174 ff. m.Nw. Castro, De potestate legis poenalis, Lib. 1 Cap. 3; dazu Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 181 ff. Dazu Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 204 ff. Zu Covarruvias Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 210 ff.

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werden dürfen.317 Alfonso de Castro etwa versteht unter Strafe ein Übel, das dem, der es erleidet, „einen Nachteil zufügt“ (passio inferens nocumentum) und das „wegen eigener vergangener Sünde verhängt wird“ (inflicta aut contracta propter proprium peccatum praeteritum) – Voraussetzung der „echten Strafe“ (poena vere dici; poena in sola ratione poenae) ist also notwendig „eigene vergangene Schuld“ (culpa praeterita propria), niemand darf für die Schuld eines anderen bestraft werden.318 Sonstige Übel (afflictio), die nicht wegen eigener Schuld verhängt werden, sind damit keine echten Strafen und werden auch nicht als solche bezeichnet. Echte Strafen setzen damit immer eigene Schuld voraus – auch andere Spätscholastiker greifen diese Differenzierung auf und übertragen sie auf das forum externum.319 Im Hinblick auf die früheren causa-Strafen entwickeln sich so zwei Grundlinien in der kanonistischen und legistischen Strafrechtslehre: Die eine, an Castro anknüpfende Lehre versteht nur unter den poenae verae Strafen, die ihrerseits immer Schuld voraussetzen.320 Die anderen Nachteile werden nicht mehr als Strafen, sondern als sonstige Übel (afflictio) außerstrafrechtlich verstanden, indem sie entweder als zivilrechtliche Sanktionen (zivilrechtliche Erbenhaftung) oder als polizei- bzw. kriegsrechtliche Maßnahmen eingeordnet werden.321 Strafe setzt also immer Schuld voraus.322 Die andere Lehre verselbständigt die Schuldstrafe als Prinzip und geht davon aus, dass Strafe naturrechtlich notwendig Schuld voraussetzt.323 Gleichzeitig wird die Wirksamkeit entgegenläufiger menschlicher Gesetze, die dem Naturrecht zu widersprechen scheinen, diskutiert und überwiegend davon ausgegangen, dass Gesetze, die ausdrücklich sonstige „Strafen“ festsetzen, als Ausnahmen zulässig sind, allerdings nur, wenn diese ausschließlich Vermögensstrafen (poena bonorum; poena pecuniaria) vorsehen und 317 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 171 ff. et passim.; s.a. zur poena proprie Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 1 ff., 14. 318 S. Castro, De potestate legis poenalis, Lib. 1 Cap. 3, fol. 10 D, fol. 12 C, D, fol. 13 A, B („Si vero poena consideretur in sola ratione poenae, hoc est, in quantum est vindicta & punitio, nunquam infligitur nisi propter culpam propriam“), C; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 181 ff. 319 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  188 f. mit Verweis auf Castro, De potestate legis poenalis, Lib. 1 Cap. 3, fol. 12 C, D, fol. 13 A, B; Soto, De Iustitia et Iure, Lib. I q. 6,5. 320 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 181 ff., 188 ff., 206 f., 233 ff., 239. 321 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  202 f., 206 f. 286 ff., 314 ff., 358; s.a. Castro, De potestate legis poenalis, Lib. 1 Cap. 3, fol. 13 A, B. 322 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 181 ff., 188 ff., 206 f., 233 ff., 239; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 158; s.a. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap. 6 N. 25 a.E.; dazu Pifferi, Generalia Delictorum, p. 243. 323 S. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 214 ff., 220 ff., 233 ff., 236 ff.

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dem Gemeinwohl, insbesondere der Abschreckung dienen.324 Körperliche Strafen (poenae corporis) dürfen ohne Schuld nicht verhängt werden.325 Es kann zwar neben der eigentlichen Strafe andere Übel geben, die nicht Schuld voraussetzen – wie die Medizinalstrafen; allerdings ergeben sich für diese Beschränkungen, die verhindern, dass sie in ihren Rechtsfolgen und Inhalt den (Schuld-)Strafen gleichkommen.326 Der „Schuldgrundsatz“ wird somit verselbständigt.327 Ausgeprägt findet sich das Schuldprinzip etwa bei Fernando Vázquez328, ähnlich auch Molina („für Strafe besteht kein Raum, wo keine Schuld ist“ – poena locum habere non potest, ubi non est culpa329).330 Auch bei den Legisten setzt sich so die Anerkennung des Schuldprinzips als Grundsatz zunehmend durch.331 Auf diese Weise entsteht das Schuldprinzip als Prinzip individueller Verantwortung: Nur derjenige, der selbst zurechenbar, d.h. aus freiem Willen gehandelt hat, darf für seine schuldhaften Handlungen bestraft werden.332 Diese Entwicklung vollzieht sich wiederum vor dem Hintergrund der Bußtheologie, der Gerechtigkeitslehre und der spezifischen Anthropologie; ausgehend von der Willensfreiheit des Menschen bilden sich der Begriff

324 Dazu im Einzelnen Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  214 ff., 220 ff., 233 ff., 236 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 158 ff. 325 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 219 f., 236. 326 Vgl. Suárez, De vitiis et peccatis, Disp. 7 Sec. 1 N. 1 ff., 14; ders., De Legibus, Lib. V Cap. 3 N. 7. 327 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 215; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 159 f. 328 Fernando Vázquez, Controversiarum illustrium, Lib. I Cap. 19 N. 5 f. („ubi autem delictum non est, ibi nulla poena esse debeat […]. Cavendum (inquit) est ne maior sit poena, quam culpa: Nec dubium est, quin ubi culpa nulla est, ibi quaelibet poena culpa maior ut sit necesse est“). 329 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 39 N. 2 („Si in casuali homicidio nulla intervenit culpa, nulla pro eo imponenda est poena: quoniam poena locum habere non potest, ubi non est culpa“); Disp. 38 N. 1 („Quoniam sine iudicio rationis, ut culpa nullum locum habere potest, sic neque poena“); Disp. 21 N. 1; Tract. II Disp. 698 N. 5; s.a. Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 305. 330 S. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 158 f.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 228 f., 237 f. 331 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 159 f.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 226 ff., 239. 332 Maihold, Strafe für fremde Schuld? S. 349 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 160; s.a. Kaufmann, in: Bunge (u.a.) (Hrsg.), Kontroversen um das Recht, S. 291, 305 (zu Molina); Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 160. Man haftet nicht für die von anderen begangenen schuldhaften Handlungen. Es gibt keine Sippen- und Fehdehaft. Vielmehr setzt Strafe die subjektive Zurechenbarkeit der Straftat im Sinne einer Schuld des Täters voraus. Indem man auf diese Weise zwischen eigentlichen Strafen und Medizinalstrafen unterscheidet, soll hier die „Zweigleisigkeit“ des Strafrechts mit Schuldstrafe und Maßregeln zur Sicherung und Besserung, die keine Schuld voraussetzen, im Grunde angelegt sein (so Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 358).

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der Schuld und das Konzept der eigentlichen, wegen der Schuld verhängten Strafe. 4.4.4.4 Die Straftat 4.4.4.4.1 Merkmale der Straftat Aus den genannten Diskussionen ergeben sich verschiedene allgemeine Kriterien, die Voraussetzungen eines Delikts sind. So setzt die Vorwerfbarkeit der Tötung (homicidium)333 nach Molina allgemein voraus, dass diese „objektiv rechtswidrig“, nicht entschuldigt und schuldhaft ist.334 Die objektive Rechtswidrigkeit (obiective illicitum) ist bei bestimmten rechtfertigenden Gründen ausgeschlossen, wenn der Täter ein Recht für seine Handlung hatte, so etwa bei Selbstverteidigung.335 „Entschuldigt“ (excusatur a culpa) ist die objektiv rechtswidrige Tat bei mangelnder Zurechnungsfähigkeit (etwa bei Schlafenden, Kindern, Betrunkenen oder Wahnsinnigen), ferner wenn aufgrund Dritteinwirkung gar keine eigene willensgesteuerte Handlung vorliegt.336 Zudem ist die Schuld bei unüberwindlichem Irrtum ausgeschlossen (ignorantia invicibilis).337 Hinsichtlich der Begehung wird bei einem objektiv rechtswidrigen Totschlag (homicidium obiective iniustum) zwischen voluntarium (Vorsatz und Fahrlässigkeit) und casuale (Zufall) unterschieden, wobei bei letzterem ebenfalls Strafbarkeit entfällt.338 Eine zufällige nicht zurechenbare Tötung ist eine solche, die „weder formell beabsichtigt war“ ( formaliter 333 Der Grund, weshalb Molina die „Verbrechensmerkmale“ bei der Tötung erörtert, dürfte im von der Summa Theologiae und der Gerechtigkeitslehre geprägten Aufbau liegen, nach dem die allgemeinen Handlungs- und Zurechnungslehren in der Prima Secundae erörtert werden. Auch Molina hat ebenso wie Lessius einen „allgemeinen Teil“, der indes Gerechtigkeit und Recht behandelt (vgl. auch Decock, Theologians and Contract Law, p. 63 ss. zum Aufbau bei Lessius; dazu auch Jansen, in: ders. [Hrsg.], De iustitia et iure, Einleitung,  S.  XXXV f.). Erst nach diesem allgemeinen Teil wenden sich Molina und Lessius den einzelnen Rechtsgütern und deren Verletzungen zu, und hier dem Leben. Die wesentlichen „strafrechtlichen“ Ausführungen bei Molina und Lessius finden sich daher bei der Erörterung der Rechtsgüter Leben und Eigentum bzw. bei Totschlag und Diebstahl/Raub; s.a. insoweit zur Bedeutung von Totschlag und Diebstahl Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 62 ff., 82 ff. 334 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 60 f.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 3 f. 335 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 60 f.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 3; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 8 N. 41 ff. 336 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 61; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 3 („quando neque in causa fuit aliquo modo volitum, voluntate quovis modo deliberata, quae imputari posset ad culpam talis homicidii“). 337 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 3. 338 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 61; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 3 N. 3 f.; Disp. 39 N. 2.

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intentum) noch „nach dem Urteil eines Klugen so betrachtet werden könnte“ (prudentis arbitrio reputatur), als sei sie „formell beabsichtigt“ gewesen.339 Bei Deciani findet sich ferner eine umfassende Definition der Straftat (delictum), wonach Straftat eine vorsätzlich oder fahrlässig begangene menschliche Handlung ist, die „von einem wirksamen Gesetz unter Strafe verboten ist“ und die „nicht durch einen gerechten Grund entschuldigt werden kann“ (Delictum est factum hominis, vel dictum aut scriptum dolo vel culpa a lege vigente sub poena prohibitum, quod nulla iusta causa excusari potest).340 Nach Deciani ist so „formale causa“ der Straftat „das Gesetz, das etwas unter Strafe verbietet“341, „materiale causa“ hingegen die Handlung und der Wille (voluntas & facta hominum).342 Der Wille als materiale causa umfasst dabei wiederum Vorsatz (dolus) und Fahrlässigkeit (culpa).343 4.4.4.4.2 Verstoß gegen das Gesetz In diesem Zusammenhang findet sich bei Deciani die grundsätzliche Aussage, dass Straftat ebenso wie Sünde einen Verstoß gegen ein Gesetz voraussetzt und dass das Vorliegen einer Straftat ein Gesetz erfordert, welches diese „unter Strafe verbietet“.344 Angeknüpft wird an Paulus345, ferner spielt wiederum die Definition der Sünde von Augustinus, die ebenfalls den Kanonisten und bei Thomas346 zugrunde liegt, eine Rolle.347 Der Gesetzesverstoß ist demnach

339 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp.  3 N.  4; s. ferner Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 21 N. 1; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 61. 340 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 3 N. 2; dazu auch Schaffstein, Die Europäische Strafrechtswissenschaft, S.  52 f. Bei dieser Definition der Straftat wird der Einfluss des theologischen Sündenverständnisses offensichtlich, auf das Deciani hier ausdrücklich rekurriert. So nimmt hier Deciani auf Augustinus und Thomas v. Aquin Bezug. Wie gezeigt, bezieht sich Deciani ebenso hinsichtlich des Handlungsverständnisses ausdrücklich auf Thomas (De malo, q. 2,2 ad sec.); Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 3 N. 2. 341 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 2 N. 4. 342 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 2 N. 3, 5; dazu auch Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 49 ff., 52. 343 Pifferi, Generalia Delictorum, p. 243. 344 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 2 N. 4; Cap. 3 N. 2; Cap. 5 N. 1; dazu auch Pifferi, Generalia Delictorum, p.  268 ss.; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 50 f.; Schmoeckel, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509–1582), p. 207, 217 ff. 345 Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap.  2 N.  4 mit Verweis auf Paulus, Brief an die Römer, Kap. 3 sowie 1. Brief an die Korinther, Kap. 15. 346 Dazu oben bereits S. 66 ff. 347 S. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 3 N. 2 (Verweis auf Augustinus und Thomas). Ferner zitiert bei Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. I Cap.  2 N.  2; Augustinus, Contra Faustum, XXII, N. 27. S.a. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 3 f. m.w.N.

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Voraussetzung einer Straftat.348 Ob sich darin schon Ansätze zum Gesetzlichkeitsgrundsatz (nulla poena sine lege) in jenem garantistischen Sinn zeigen, wie er später in der Aufklärung sowie insbesondere von Feuerbach entwickelt wurde349, wird in der Wissenschaft überwiegend bestritten.350 So kommt dem Richter auch bei Deciani bei der Verhängung der Strafe ein Ermessen zu, neben ordentlichen Strafen gibt es außerordentliche Strafen, ferner besteht ein strafrechtliches Gewohnheitsrecht351, was mit einem Gesetzlichkeitsgrundsatz nur schwer zu vereinbaren ist.352 Zudem findet der Grundsatz im 16. Jahrhundert selbst keine allgemeine Anerkennung.353 Gleichwohl zeigt sich hier die besondere Bedeutung des gesetzlichen Verbots und der Legalität als Wesensmerkmal der Straftat, wodurch besonderer Wert auf das positive menschliche Gesetz zur Strafbegründung als Ausfluss staatlicher Macht gelegt wird.354 Auch die spätere Strafrechtslehre knüpft hieran an.355 Die besondere Betonung des Strafgesetzes bei Deciani ist dabei auch nicht isoliert, sondern erfolgt im Kontext der Entwicklungen des 16./17. Jahrhunderts, in dem sowohl in der Gesetzgebungspraxis als auch in der spätscholastischen Theorie das geschriebene Strafgesetz besondere Relevanz erhält.356 348 S. Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. II Cap. 2 N. 4 („formalem igitur causam delictorum esse dico legem ipsam“). 349 Hierzu Sellert/Rüping, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S.  365 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 10. Kap. Rn. 28. 350 Zu dieser Diskussion Pifferi, Generalia Delictorum, p. 269 s.; Schmoeckel, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509–1582), p. 207, 220; Sbriccoli, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509– 1582), p. 91, 98 s.; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 50 f. 351 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 153; Pifferi, Generalia Delictorum, p. 271 ss. 352 S.a. Schmoeckel, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509–1582), p. 207, 220 mit Verweis auf Deciani, Tractatus Criminalis, Lib. IV Cap. 45 N. 1 (zur Möglichkeit der Abweichung vom Gesetz bei enormer Schwere des Delikts). 353 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 153; vgl. auch Pifferi, Generalia Delictorum, p. 271 ss. 354 Vgl. Pifferi, Generalia Delictorum, p.  269 ss.; Sbriccoli, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509–1582), p. 91, 98 s. 355 Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S.  51 (zum Einfluss insoweit auf Theodoricus und Böhmer); s.a. Boldt, Böhmer und die gemeinrechtliche Strafrechtswissenschaft, S. 63 (zu Böhmer, der das Strafgesetz als forma delicti auffasst); Schmoeckel, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509–1582), p. 207, 220 („eine der historischen Wurzeln des heutigen Strafrechtsgrundsatzes“). 356 Vgl. auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 40. Bei Alfonso de Castro findet sich ebenfalls ein Begriff des Strafgesetzes („Lex poenalis est lex, quae statuit poenam alicui infligi propter culpam commissam“), s. Castro, De potestate legis poenalis, Lib. I Cap. 3, fol. 13 C; dazu auch Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 192 ff.; s. ferner Soto, De Iustitia et Iure, Lib. I q. 6,5. Ebenso gewinnt das Strafgesetz bei Vitoria Bedeutung: Nach Naturund Völkerrecht setze die Verhängung einer Strafe voraus, dass dieser ein gerechtes Gesetzes zugrunde liege (Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  179 unter Verweis auf

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So findet sich etwa bei Suárez ähnlich wie bei Deciani357 die Frage erörtert, ob eine Strafe rückwirkend für Sachverhalte der Vergangenheit verhängt werden darf.358 Nach Suárez kann ein Gesetz, das für die Vergangenheit Recht setzt, keine Verpflichtung für die Vergangenheit begründen.359 Ohne Verpflichtung entsteht aber auch keine Schuld für die vergangene Handlung, d.h. eine schuldlos vollzogene Handlung wird nicht durch Rückwirkung schuldhaft360, da Unwissenheit grundsätzlich entschuldigt361. Damit können Handlungen der Vergangenheit auch nur dann durch rückwirkendes Gesetz mit einer Strafe belegt werden, wenn sie selbst aus anderen Gesetzen (Naturrecht oder positives Recht) bereits verboten waren.362 Denn Strafe setzt voraus, dass Recht verletzt wurde (non est actus dignus poena nisi quatenus per illum violatur aliquod ius).363 D.h. eine Strafe (eigentliche Strafe – propria poena) kann dann nicht durch rückwirkendes Gesetz verhängt werden, wenn die in der Vergangenheit liegende Handlung nicht gegen damals gültiges Recht verstoßen hat.364 4.4.4.5 Strafzwecke Thomas und die Spätscholastiker beschäftigen sich ferner mit den Zwecken der Strafe. Das wurde bereits bei der Diskussion um den Zusammenhang von

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Vitoria, CommSTh, II–II, q. 108,3 N.  2). Die Bedeutung des Strafgesetzes (lex poenalis) wird auf diese Weise bei zahlreichen spätscholastischen Autoren diskutiert, s.a. Suárez, De Legibus, Lib. V Cap. 3 ff. (insbesondere zur Verpflichtungswirkung der lex poenalis). Deciani, Tractatus Criminalis Lib. II Cap. 2 N. 4; Cap. 5 N. 4; dazu auch Pifferi, Generalia Delictorum, p. 276 ss. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 14 N. 6 ff.; hierzu sowie insgesamt zur Entwicklung des Rückwirkungsverbotes Schöckel, Die Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots, S. 6 ff., 18 ff., 22 f. Die Bedeutung von Suárez sowie der Rechtslehre des 16. und 17. Jahrhunderts soll in der Begründung des Rückwirkungsverbotes mit dem Schuldgrundsatz bzw. dem Verbotsirrtum liegen. Ferner generell zur Entstehung des Rückwirkungsverbotes s. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S.  337 (zu Bernhard von Pavia). Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 14 N. 9. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 14 N. 9; vgl. auch Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 14 N. 7 („nemo sit dignus poena, nisi per culpam“). Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 14 N. 6. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 14 N. 9 f.; vgl. dazu Pufendorf, De Iure naturae ac gentium, Lib. VIII Cap.  3  §§ 7, 16. S.a. Schöckel, Die Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots, S. 27, 38 ff. (auch zu Thomasius, Grotius und Wolff und zur Auffassung der Naturrechtler, dass „das Verbot rückwirkender Pönalisierungen im Bereich der naturrechtswidrigen Handlungen keine Gültigkeit zu beanspruchen habe“; zur Weiterentwicklung im Zeitalter der Aufklärung, aaO, S. 72 ff.). Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 14 N. 9. Vgl. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 14 N. 9.

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Strafe und Schuld deutlich. Nach Thomas dient Strafe der Kompensation der vergangenen Schuld und hat folglich ausgleichenden Charakter entsprechend dem Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit.365 Grund der (eigentlichen) Strafe ist, dass „die Unordnung der Schuld (inordinatio culpae) nur durch eine Strafe zur Ordnung der Gerechtigkeit (ad ordinem iustitiae) zurückgeführt wird“; „durch die Strafe wird ein Ausgleich der Gerechtigkeit“ (per poenam aequalitas iustitiae) erreicht.366 Daneben zeigen sich auch weitere Strafzwecke, so wird die Strafe mit der Prävention367, der Besserung des Täters sowie dem „Wohl des Gemeinwesens, dessen Ruhe durch die Bestrafung gesichert wird“, begründet.368 Hinsichtlich der Strafzwecke tritt im 16. Jahrhundert verstärkt der Aspekt der Abschreckung auf, d.h. der Präventionsgedanke.369 Neben dem Ausgleich der Schuld dient die Strafe auch der Verhinderung zukünftiger Straftaten und der Abschreckung Dritter. Das Strafrecht zielt damit auf die Erhaltung des Staates bzw. des Gemeinwohls (conservatio reipublicae).370 Nach Lessius etwa sind die Vindizierung des gegen den Staat und die Gesetze begangenen Unrechts und die Abschreckung anderer Zwecke der Strafe (poena infligitur a Iudice […]

365 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,6 resp.; II–II, q. 108,4 resp.; ferner oben bereits S. 444 f.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  110; hierzu und zum Folgenden auch Schick, in: Schönberger (Hrsg.), Die Bestimmung des Menschen und die Bedeutung des Staates, S.  173, 188 ff.; insoweit zu Thomas v. Aquin im Vergleich mit der absoluten Strafrechtstheorie Kants Koritansky, Thomas Aquinas and the Philosophy of Punishment, p. 122 ss., 194 ss. 366 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,6 resp.; II–II, q. 108,4 resp.; III, q. 86,4 resp.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  47 Dub.  4 N.  21 („ut rectus ordo servetur, & quod extra ordinem recti prolapsum est, ad ordinem revocetur“). 367 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,3 ad sec. 368 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 68,1 resp. Ferner dienen die Medizinalstrafen der Besserung des Täters, vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,7 resp.; q. 87,8 resp.; II–II, q. 108,4 resp.; dazu auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 113 f.; s. ferner Thomas v. Aquin, STh, II– II 108,3 ad sec., wonach die Strafen des gegenwärtigen Lebens generell eher medizinalen Charakter haben („poenae praesentis vitae sunt magis medicinales“). 369 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  114 ff.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  176 f., 229 f.; Maihold, in: Decock/Ballor/Germann/Waelkens (eds.), Law and Religion, p.  149, 155 s.; Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 313, 318 ff.; Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 25 ff., 74 f. 370 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  115 ff. m.Nw.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  176 ff.; ders., in: Decock/Ballor/Germann/Waelkens (eds.), Law and Religion, p.  149, 155  s.; Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S.  313, 319 f.; s.a. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap.  1 N.  10 („delicta puniantur pro pace & quietudine eius“).

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ut iniuria Reipublicae & legibus illata vindicetur, aliisque terror incutiatur).371 Daneben zeigt sich auch ein Besserungs- und Heilungsgedanke.372 4.4.4.6 Strafzumessung Für die Bestimmung der Strafe, d.h. die Strafzumessung bildet sich aus dem thomistisch-aristotelischen Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit ein Proportionalitätsgedanke heraus.373 „Die Strafe muss“ nach Thomas „der Schuld entsprechen“ (poena debet proportionaliter culpae respondere).374 Dies weicht vom reinen Talionsgedanken ab, wonach das zugefügte Übel dem Täter spiegelbildlich als Strafe zugefügt wird.375 Auch die Spätscholastiker folgen insoweit Thomas und stellen maßgeblich auf die verwirklichte Schuld ab.376 Neben die Orientierung an der verwirklichten Schuld tritt ferner auch die Berücksichtigung anderer Strafzwecke (Prävention) zur Bestimmung der Strafe.377 Danach orientiert sich die Strafzumessung am eingetretenen Erfolg sowie an bestimmten circumstantiae, etwa der Begehungsart, den Tatumständen und der Person bzw. Stand des Opfers sowie des Täters, der Tatprovokation und der Tatwiederholung.378 Bei Tiraquellus findet sich 371 Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 22 N. 138; Cap. 47 Dub. 4 N. 21, 24 f.; zu Lessius auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 110 f., 116. Zum Begriff der vindicatio s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  47 Dub.  4 N.  21: vindicatio ist die redditio mali poenalis pro malo culpabili. Soweit die Vindizierung des Unrechts Strafzweck ist, sanktioniert die weltliche Strafe das Unrecht gegen den Staat (iniuria reipublicae), hingegen nicht das gegen Gott begangene Unrecht; s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715 N.  5 f.; Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 10, 40; Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 3; Scaccia, Tractatus de Commerciis, § 1 q. 1 N. 31. 372 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  117 f.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  47 Dub. 4 N. 21. 373 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 154 ff. 374 Thomas v. Aquin, Summa contra Gentiles, III. c. 145 N. 1; ders., STh, I–II, q. 87,4 resp., ad tert.; q. 87,5 obi. 1; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 155, 177; s.a. Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 10 N. 148 („aequalitatem Arithmeticam inter culpam & poenam“). 375 Vgl. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 154 f. 376 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  177; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  181; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 9 („poena iuste per vindicativam iustitiam infligenda respondere debeat culpae, quantitatique ac qualitati iniuriae; […] latitudo vero restitutionis respondere debet latitudini solae damni iniuste dati“); Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 10 N. 148 („aequalitatem Arithmeticam inter culpam & poenam“); ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 4 N. 69 („aequalitatem poenae cum delicto“). 377 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 156 (zu Covarruvias). 378 Dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 154 ff., 169 ff., 176 ff.; s.a. Thomas v. Aquin, STh, II– II, q. 61,4 resp.; I–II, q. 73,3 resp.; ferner bspw. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 685 N. 1 ff.

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beispielsweise eine eingehende Erörterung von allgemeinen Strafmilderungsund -ausschließungsgründen, die Einfluss auf die weitere Rechtsentwicklung haben sollte.379 4.4.5 Strafgewalt, Strafmonopol und Strafprozess 4.4.5.1 Öffentliches Strafmonopol und Strafgewalt Im Folgenden soll näher auf die Entwicklungen des Strafprozessrechts sowie der Strafverfolgung eingegangen werden. Neben einem amtswegig eingeleiteten Strafverfahren und einer staatlichen Strafverfolgungspflicht ist der Gedanke eines staatlichen Strafmonopols und einer öffentlichen Strafgewalt, d.h. dass ausschließlich der Staat bzw. die öffentlichen Autoritäten die Befugnis zu strafen haben, wesentlich für ein hoheitliches Strafrecht.380 Bereits in Thomas’ politischer Theorie wird deutlich, dass die Strafbefugnis dem Gemeinwesen zusteht, d.h. die Strafe beruht auf der Zwangsgewalt des Gemeinwesens.381 Dies steht in engem Zusammenhang mit dem aristotelisch geprägten, naturrechtlichen Staatsverständnis bei Thomas und den Spätscholastikern382, auf das später noch näher einzugehen sein wird383. Bestrafung ist Aufgabe „des Verwalters des Gesetzes (minister legis), durch dessen Vollmacht die Strafe verhängt wird“.384 Die Zwangsgewalt (virtus coactiva) ist nur „der Gesamtheit oder der öffentlichen Person [zugewiesen], der es zukommt Strafen zu verhängen“.385 Ähnlich gehen etwa Molina, Lessius und Suárez davon aus, dass die politische Gewalt, die der politischen Gemeinschaft zusteht, auch die Strafgewalt umfasst. Die Strafgewalt wird hier also als Aufgabe der öffentlichen Gewalt (publica potestas) naturrechtlich begründet.386 Die Verhängung und 379 Schaffstein, Die Europäische Strafrechtswissenschaft, S.  27 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 154. 380 S. dazu Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 32 f., 502 ff. 381 S. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,3 ad sec.; q. 92,2 ad tert.; II–II, q 65,1 resp.; q. 64,3 resp.; dazu Grunert, in Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtlicher Forschung, S. 313, 328 f.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 119 ff. 382 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 119 ff.; s.a. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 178 f. 383 S. hierzu unten S. 484 ff., 502 ff. 384 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 92,2 ad tert. 385 Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,3 ad sec. 386 S.  Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  119 ff., 123 f.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 6 N. 1; Tract. V Disp. 1 N. 2; Tract. II Disp. 22 N. 9 f.; vgl. auch Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  177 ff. mit Verweis auf Vitoria. Zur Begründung der politischen Gewalt s. unten noch S.  502 ff. Teilweise wird davon ausgegangen, dass die Strafgewalt nicht Gegenstand der Übertragung der politischen Gewalt sei, da kein vorstaatliches privates Strafrecht bestanden habe, das den Privaten zugestanden habe, und insofern

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Vollstreckung einer Strafe darf nicht aufgrund privater Befugnis (privata auctoritas) erfolgen, sondern ist naturrechtlich ausschließlich Angelegenheit des Staates (potestas in sola respublica residet)387, worin sich die Vorstellung eines öffentlichen Strafmonopols zeigt.388 Molina begründet die Ablehnung einer privaten Strafbefugnis weiter damit, dass jeder leicht in eigener Sache befangen sein könne bzw. in eigener Sache ein sehr schlechter Richter sei, die Mächtigeren ihre Macht gegenüber den anderen ausnutzen würden und dies schließlich zu mehr Verbrechen führen würde.389 Ferner steht die Vorstellung einer ausschließlich hoheitlichen Strafbefugnis bei den Spätscholastikern und den Strafrechtsautoren des 16. Jahrhunderts mit der Argumentation in Zusammenhang, dass durch eine Straftat nicht nur dem Geschädigten, sondern auch dem Staat und seinen Gesetzen Unrecht (iniuria reipublicae) zugefügt wird und die Strafe dem Ausgleich dieses Unrechts dient.390 Weil eine Straftat immer auch die respublica betrifft, da hierdurch nicht nur der Private, sondern auch der Staat verletzt wird, ist

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unmittelbar von Natur aus den Regierenden zukomme (s. dazu auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 123 f. mit Verweis auf Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 100 N. 6). Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 6 N. 1. Bspw. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 3 N. 5; Cap. 47 Dub. 4 N. 23 f.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 22 N. 9 f.; Disp. 715 N. 5 f., 8; Tract. III Disp. 6 N. 1; Tract. V Disp. 1 N. 2; Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 4 N. 4; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 2 N. 74 ff.; s. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 119, 121 ff.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  180, 211, 229 ff.; Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S.  313, 321 ff., 331 f.; ders., in Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S.  313, 328 ff. Zur Frage, ob privaten Personen gleichwohl kleine Sanktionen für Taten, die sonst nicht vor Gericht kämen (bspw. die Reaktion auf eine Ohrfeige), erlaubt sind, s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 47 Dub. 4 N. 23. Ähnlich wird ein Züchtigungs- und Bestrafungsrecht von Eltern über Kinder bzw. gegenüber Sklaven diskutiert, dem aber Grenzen gesetzt sind (s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp.  2 N.  13 f.). Diskutiert wird ferner die Bestrafung von Staatsfeinden (Räubern, Verbannten), wenn auf anderem Weg keine Abwehr bzw. Bestrafung möglich ist; deren Tötung wird insoweit für zulässig gehalten, als eine Übertragung der öffentlichen Strafvollstreckungskompetenz vom Staat auf die Privaten vorgenommen wird (s. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 126 f. m.Nw.; dazu auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 3 N. 5 f.). Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 6 N. 1; Tract. II Disp. 100 N. 6 f. Bspw. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715 N.  5 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 22 N. 138; vgl. bereits Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 61,4 resp.: „non solum damnificavit personam privatam, sed rempublicam, tutelae eius securitatem infrigendo“; vgl. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 39 m.w.N.; Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 310 m.Nw.; Grunert, in: Schlosser/Sprandel/ Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f.; vgl. auch Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 7 f.

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der Staat bei Begehung einer Straftat berechtigt391, den Täter zu bestrafen, grundsätzlich unabhängig von der Disposition392 und dem Schadensersatz des jeweils Geschädigten.393 Der verletzte Private hat zwar nach Molina ein Recht, Strafe und Strafvollstreckung vor den öffentlichen Gerichten bzw. durch die öffentlichen Autoritäten zu verlangen; aber er darf selbst nicht strafen, selbst wenn der gerichtliche Rechtsschutz nicht funktioniert oder die öffentlichen Autoritäten die Straftat nicht verfolgen.394 Die Verhängung von Strafe setzt weiter ein vorheriges Verfahren voraus, in dem der Täter verurteilt wird.395 Zur Verhängung der Strafe ist insoweit ein Gerichtsverfahren (publicum iudicium396) erforderlich.397 Der Gedanke, dass vor einer Verurteilung rechtliches Gehör gewährt werden muss, wird von

391 S.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 4 N. 69 („iudex, seu Princeps habet ius ad poenam infligendam“). 392 S. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 10; dazu auch Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S.  421, 432: zumindest in negativer Hinsicht ist die Disposition dem Geschädigten entzogen. Auch wenn dieser von einer Anklage absieht, können dennoch die öffentlichen Strafverfolgungsinstanzen die Straftat ex officio verfolgen; s. dazu auch unten noch S. 464 ff.; s. ferner Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 3; vgl. aber auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 8; Tract. III Disp. 47 N. 6. 393 S.  Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S.  301, 310 m. Verweis auf Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap.  1 N.  10: „ratio est, quia ex quolibet delicto publico vel privato oritur duplex offensa vel iniuria, una parti & alia reipublicae, unde licet pars offensa non accuset, iudex potest, & debet ex officio procedere pro iniuria reipublicae, cui convenit, ut delicta puniantur pro pace & quietudine eius“; s.a. Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 3; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 47 N. 1; dazu auch Grunert, in Schlosser/Willoweit, Neue Wege strafrechtlicher Forschung, S.  313, 328 ff.; ders., in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S.  421, 432 f. (mit Verweis auch auf Didacus a Cantera); ferner Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 121 ff.; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 7 f.; Maihold, in: Decock/Ballor/Germann/Waelkens (eds.), Law and Religion, p. 149, 157, 160. 394 S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 8; Tract. V Disp. 1 N. 2; ferner Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 4 N. 69. 395 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II, Disp. 715 N. 9, 10 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  12 Dub.  10 N.  62 („Iudex non potest punire poena pecuniaria vel simili ob delictum, nisi prius iuridice audiatur reus & convincatur“); Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  180, 211; Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 313, 324 f.; ders., in Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtlicher Forschung, S. 313, 332. 396 S. zu diesem Begriff oben bereits S. 406 ff. 397 So bereits Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 64,3 ad sec.

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den Spätscholastikern betont.398 Selbstjustiz ist grundsätzlich unzulässig.399 Von der Strafbefugnis sind die Notwehr- und Selbsthilferechte abzugrenzen, die keinen Strafzwecken dienen.400 So ist in bestimmten Fällen, etwa im Fall der Rückholung von entwendeten Sachen, die Zulässigkeit eines Selbsthilferechts zur Verwirklichung zivilrechtlicher Ansprüche anerkannt (compensatio occulta)401, ferner werden zum Teil sehr weitreichende Notwehrrechte gewährt.402 Im Grundsatz besteht aber nach Auffassung der spätscholastischen Autoren ein öffentliches Strafmonopol.403 Es zeigt sich eine Entwicklung, nach der alleine dem Staat die ausschließliche Zuständigkeit zur Verbrechensverfolgung zukommt. 4.4.5.2 Strafprozess 4.4.5.2.1 Vom Akkusationsprozess zum Inquisitionsprozess Verbunden mit dieser Entwicklung zu einem öffentlichen Strafrecht setzt sich für das Strafverfahren bis zum 16. Jahrhundert zunehmend der sog. Inquisitionsprozess durch.404 Ausgehend von den römisch-rechtlichen Quellen 398 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 124 mit Verweis auf Soto, De Iustitia et Iure, Lib. V q. 1,3; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 9; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 12 Dub. 10 N. 62. 399 Dazu Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 211; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 125 ff., 127 ff.; Grunert, in Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtlicher Forschung, S. 313, 331 f.; ders., in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis , S. 313, 323 ff. Zur Frage etwa der Bestrafung der ehebrechenden Ehefrau bzw. des Ehebrechers, welche durch Gesetze des römischen bzw. gemeinen Rechts erlaubt wird; dagegen hält z.B. Lessius dies für unzulässig, s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 5 N. 13 ff., 16 ff. (u.a. weil ein vorhergehendes Urteil Voraussetzung der Bestrafung ist); ebenso (unzulässig; nur im forum externum nicht bestraft; vorheriges Urteil notwendig) unter Verweis auf die h.M. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 3 N. 90. 400 Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S.  313, 331; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 122 mit Verweis auf Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 6 N. 1. 401 Dazu oben bereits S. 115 Fn. 103; vgl. Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 313, 326 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 92 f. Allerdings geht es hier nicht um „strafrechtliche“ Selbsthilfe, sondern zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung, s. die ausführliche Diskussion dazu bei Grunert, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 313, 326 ff. 402 Dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 125 ff. 403 Grunert, in Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtlicher Forschung, S.  313, 328 ff., 331 (mit dem Hinweis auf die Abgrenzung von staatlichem Gewalt- und Strafmonopol); Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 179 f., 210 f.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 119 ff., 134 f. 404 Hierzu auch Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 4 ff., 15 ff., 25 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22 ff.; Schlinker, Rechtsgeschichte, § 23 Rn. 10 f.

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war bis ins 12./13. Jahrhundert der sog. Akkusationsprozess die vorherrschende Strafprozessart im kanonischen und weltlichen Recht.405 Das Akkusationsverfahren wird eingeleitet durch die Anklage (accusatio) einer Person, die selbst nicht durch die Straftat betroffen sein muss.406 Erforderlich ist damit ein privater Ankläger, der gegen den Beklagten die Klage erheben muss.407 Eine Trennung strafrechtlicher Anklage und zivilrechtlicher Klage sowie von Strafund Zivilverfahren zeigt sich nach Ansätzen bei Gratian bei den Dekretisten im 12. Jahrhundert, wobei das Strafverfahren selbst weitgehend entsprechend dem Zivilprozess ausgestaltet bleibt.408 Der Inquisitionsprozess bildet sich Ende des 12. Jahrhunderts im kano­ nischen Recht heraus.409 Auch wenn insbesondere das nachklassische römische Kognitionsverfahren bereits eine Durchführung von Strafverfahren von Amts wegen (ex officio) kannte, bildet sich die kanonische Prozessentwicklung grundsätzlich unabhängig hiervon.410 Maßgebliche Bedeutung kommt hierbei Papst Innozenz III. zu.411 Grund für die Herausbildung ist, dass sich das Vorgehen gegen Bischöfe und sonstige Kleriker wegen Simonie, Veruntreuung oder sonstiger Amtsdelikte im Wege der früheren Verfahren schwierig gestaltete.412 Im Rahmen des Akkusationsprozesses bedurfte es

405 Hierzu grundsätzlich Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S.  44 ff.; Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S.  64. Der Akkusationsprozess ist dabei an den iudicia publica des römischen Rechts orientiert, vgl. auch Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 5, 9 ff.; Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 44. 406 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  9 f.; Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 45 f. 407 Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 45 f., 49. 408 Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 45, 49, 55 ff. (zur Ausgestaltung des Akkusationsverfahrens); vgl. auch Nörr, Romanischkanonisches Prozessrecht, S. 4 f. zur prozessrechtlichen Trennung beider Verfahren mit Verweis auf Bernhard von Pavia. 409 Dazu grundsätzlich Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S.  164 ff. (auch zur früher vehement geführten Diskussion zwischen Germanisten, Romanisten und Kanonisten über den Ursprung des Inquisitionsverfahrens); Trusen, Gelehrtes Recht, S. 81 ff.; s.a. Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 5 ff.; Schlinker, Rechtsgeschichte, § 23 Rn. 11. 410 Trusen, Gelehrtes Recht, S. 81, 84. 411 Dazu Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 165 ff.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 81 ff., 142 f., 145 ff. 412 Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 167, s. aber auch 59 ff., 82 f.

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eines Anklägers, der sich häufig bei Anklage gegen höherrangige Amtsträger nicht fand.413 Innozenz III. setzt nun auf dieser Grundlage in mehreren Fällen ein Verfahren ein, in dem durch den Richter der gesamte Sachverhalt von Amts wegen (ex officio) zu erforschen und das Verfahren bis zum Urteil durchzuführen ist.414 Dieses Verfahren findet Aufnahme in die Konstitutionen im IV. Laterankonzil 1215.415 Das Inquisitionsverfahren setzt nach den Bestimmungen des IV. Laterankonzils voraus, dass der Angeklagte anwesend ist und dass diesem die Anklagepunkte (capitula) ebenso wie die belastenden Zeugen(-aussagen) offengelegt werden, damit er sich verteidigen kann.416 Im Übrigen übernimmt das Verfahren Elemente des Beweisverfahrens von Zivil- und Akkusationsprozess.417 Hierin zeigt sich, ähnlich wie in der Abschaffung des „Gottesurteils“, die Tendenz, irrationale Verfahren des Reinigungseides durch auf rationalem und formellem Beweisrecht beruhende und auf Erforschung der materiellen Wahrheit zielende Verfahren zu ersetzen.418 Dabei steht das Inquisitionsverfahren neben, zunächst auch subsidiär, den anderen bisher üblichen Strafverfahrensarten.419 Anfangs dient das im kanonischen Recht wurzelnde Inquisitionsverfahren der Disziplinierung von Fehlverhalten von Geistlichen und hatte damit disziplinarrechtliche Bedeutung.420 Es wird in der Folge auf die Strafverfolgung der Straftaten von Klerikern erweitert, die sich zuvor schwierig

413 Vgl. Trusen, Gelehrtes Recht, S.  97; Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S.  61, 166 f., s. aber auch S.  82 f. Zu den anderen Verfahrensarten, insbesondere dem Denunciationsverfahren, den „Purgationen“ sowie dem „Infamationsverfahren“ Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 84 ff., 108 ff., 135 ff. 414 Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 167 ff., 198 ff., 204 ff. 415 Trusen, Gelehrtes Recht, S. 127; s.a. Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 6. 416 S.a. Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 207. 417 Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 208 ff.; vgl. Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 17 ff. 418 Trusen, Gelehrtes Recht, S. 126; Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 6; s.a. Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S.  115 ff., 134 f., 166 f., 221; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22a f.; Schlinker, Rechtsgeschichte, § 23 Rn. 12. 419 Vgl. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 130, 132; Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 219. 420 Trusen, Gelehrtes Recht, S. 81, 84; Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 192 f., 214 f., 219.

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gestaltet hatte. Wesentlich wird der Inquisitionsprozess in der Folge aber vor allem für die Ketzer- und Häretikerverfolgung.421 Der Stauferkaiser Friedrich II. übernimmt den Inquisitionsprozess sodann auch ins weltliche Recht (Konstitutionen von Melfi [1234]).422 Die weitere Rezeption ins weltliche Strafrecht vollzieht sich daneben unter dem Einfluss des Strafrechtstraktats von Gandinus.423 Dabei spielen die Vorbildfunktion des kanonischen Rechts, das nunmehr in der weltlichen Gerichtsbarkeit nachgebildet wird, sowie der Ausbau der Justiz und der Gerichtsorganisation eine entscheidende Rolle.424 Ab dem 14. Jahrhundert setzt sich auch in der Strafrechtspraxis, zunächst in den italienischen Städten, dann auch in Frankreich und Deutschland, zunehmend der Inquisitionsprozess durch und wird bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert zum Regelverfahren, das in der Praxis das Akkusationsverfahren weitgehend verdrängt.425 Die inquisitio als Verfahrenseinleitung wird so allgemein anerkannt.426 Während das Inquisitionsverfahren anfangs nur bei bestimmten Straftaten angewendet werden konnte, entfallen diese Beschränkungen zunehmend, sodass das Inquisitionsverfahren entsprechend den Entwicklungen des kanonischen Rechts bei sämtlichen Straftaten zur Anwendung gelangen kann.427 Wie Lessius etwa bemerkt, kann gewohnheitsmäßig auch im weltlichen Forum bei allen Straftaten ex officio die Strafverfolgung eingeleitet werden.428 Die aus dem römischen Recht folgende Unterscheidung zwischen delicta publica und delicta privata, bei denen ursprünglich nur die geschädigte Partei Anklage erheben konnte, verliert angesichts der Durchsetzung des 421 Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 220. 422 Trusen, Gelehrtes Recht, S. 132 ff.; s.a. Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 6; Schlinker, Rechtsgeschichte, § 23 Rn. 13. 423 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  8 ff.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  101 f.; grundsätzlich auch zur Rezeption s. Trusen, Gelehrtes Recht, S. 145 ff. 424 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 16. 425 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 15 ff., 25 ff., 33 ff., 37 ff. 426 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 6 f., 8 ff. (bei Gandinus), 15 ff., 25 ff., 31 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 12 N. 103, 106; Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 10. 427 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  18, 23 f., 31 ff.; vgl. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 12 N. 106. 428 S.  Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  29 Dub.  12 N.  106, wobei dies in den einzelnen Staaten indes unterschiedlich ausgestaltet ist: „Modus procedendi ex officio, seu per inquisitionem, extendet se ex dispositione Iuris Canonici ad omnia crimina […]. In omni enim genere criminum possunt Iudices per inquisitionem procedere. Idem ex consuetudine servatur in foro civili.“ Ebenso Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 47 N. 2.

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Inquisitionsverfahrens ihre Bedeutung, da der Inquisitionsprozess auch bei den delicta privata angewendet werden kann – darauf wird gleich noch näher einzugehen sein.429 4.4.5.2.2 Inquisitionsprozess Das Inquisitionsverfahren ist dabei vor allem durch zwei Aspekte geprägt430: Erstens erfolgt die Verfahrenseröffnung im Gegensatz zum Akkusationsprozess nicht auf private Initiative, sondern von Amts wegen (ex officio) durch die Gerichtsbarkeit (in heutiger Terminologie „Offizialmaxime“).431 Zweitens ist entscheidend, dass im Gegensatz zum Zivilprozess die Tatsachen und Beweise nicht durch die Parteien beigebracht, sondern vom Gericht ermittelt werden (in heutiger Terminologie „Instruktions“- bzw. „Inquisitionsgrundsatz“).432 Der Richter ist also mit der Sachverhaltsermittlung betraut. Für die Einleitung eines Strafverfahrens ist damit nicht mehr die Anklage durch eine Privatperson erforderlich, vielmehr kann der Richter ex officio, d.h. von Amts wegen ein Strafverfahren einleiten und durchführen.433 Dies geschieht dann, wenn eine Straftat dem Gericht durch bestimmte Indizien oder Anzeigen (indicia, infamia, vox publica oder als crimen notorium) bekannt geworden ist.434 Der Verdacht ersetzt insofern die private Anklage 429 Dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 37; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 18, 34. 430 Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht, S.  249; Burret, Der Inquisitionsprozess, S. 20; Schlinker, Rechtsgeschichte, § 23 Rn. 11. 431 S. Burret, Der Inquisitionsprozess, S. 20; vgl. Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S. 1, 5 f., 8 ff., 12, 27; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22, 22b; s.a. Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 204 f. 432 S.  Burret, Der Inquisitionsprozess, S.  20; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 1 f., 14, 27; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 81 ff., 142 f.; s.a. Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 211; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22b; Schlinker, Rechtsgeschichte, § 23 Rn. 11. 433 S. Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 31 (etwa bei Julius Clarus zu den Voraussetzungen der Einleitung); Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22, 22b; zum Inquisitionsverfahren etwa auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  29 Dub.  12 N.  105. Im  15./16. Jahrhundert erlangt ferner die FiskalAdvokatur (promotor fiscalis) zunehmende Bedeutung, welche als öffentliche Anklägerin verschiedene Funktionen im Prozess und bei der Anklage übernimmt; vgl. Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 31, 34, 42, 50, 60 ff.; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 47 N. 1. 434 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  16; vgl. Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 199 ff., 202 ff.; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 12 N. 104 f.; Dub. 16 N. 143 ff.

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(accusatio).435 Die Frage, ob ein Verfahren auch ohne Ankläger geführt werden darf, wird bereits von Thomas problematisiert, da der Prozess als Akt dreier Personen (actus trium personarum) eigentlich Kläger, Angeklagten und Richter voraussetzt.436 Entsprechend der zeitgenössischen Rechtslehre geht Thomas davon aus, dass zwar grundsätzlich ein Ankläger erforderlich sei, der öffentliche Verdacht (publica infamia) aber den Ankläger ersetzen könne.437 Thomas setzt sich folglich mit dem seinerzeit relativ jungen Inquisitionsprozess auseinander.438 Der Richter ist im Inquisitionsprozess zur Ermittlung sowohl der be- als auch entlastenden Umstände verpflichtet, der Prozess zielt auf Wahrheitsermittlung (veritas facti).439 Der Prozess ist grundsätzlich eingeteilt in die inquisitio generalis und die inquisitio specialis. Die inquisitio generalis soll als Informativverfahren feststellen, ob eine Tat begangen worden ist.440 Folglich bezieht sich dieser Verfahrensabschnitt noch nicht auf einen konkreten Beschuldigten, sondern auf Verbrechen oder Verdacht im Allgemeinen.441 Erst in der inquisitio specialis befasst sich das Verfahren mit einer konkreten Person und einer konkreten Straftat, und zielt nun durch Beweis- und Inidizienerhebung auf die Schuldfeststellung.442 Die Einleitung der inquisitio specialis ist an bestimmte Voraussetzungen (Vorladung, Benennung der Anklagepunkte, Möglichkeit des Bestreitens und der Erwiderung) gebunden, vorausgesetzt wird u.a. das Vorliegen eines Verdachts.443 Hier darf es unter bestimmten Voraussetzungen auch die Folter (tortura) gegen den Beschuldigten als Beweismittel (subsidium probationis) anwenden.444 Insgesamt ist das

435 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  16; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 12 N. 104. 436 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 67,3 resp, ad sec.; s. zu diesem Grundsatz auch Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 3. 437 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 67,3 resp., ad sec. 438 S.a. DThA/Utz, Recht und Gerechtigkeit, S.  256; vgl. auch Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 67,3; q. 68,1. 439 Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22b. 440 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 14, 31; Rees, Die Strafgewalt der Kirche, S. 145; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 13 N. 107 f. 441 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  14; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 13 N. 107 f. 442 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 14, 20; s.a. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 13 N. 107. 443 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  14, 31 f.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 15 N. 121 ff. 444 Trusen, Gelehrtes Recht, S. 73 f., 149 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22b; dazu auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 17 N. 151 ff.

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Verfahren durch seine Förmlichkeit (förmliche Beweisaufnahme), Schriftlichkeit und Geheimheit geprägt.445 4.4.5.3 Öffentlicher Strafanspruch und Strafverfolgungspflicht In Zusammenhang mit dieser Entwicklung des Inquisitionsprozesses als Instrument der staatlichen Strafverfolgung446 bilden sich ausgehend vom kanonischen Recht auch im weltlichen Recht der Grundsatz eines öffentlichen Strafanspruchs sowie die Vorstellung einer öffentlichen Strafverfolgungspflicht heraus – der Staat hat das Recht und die Pflicht zur Strafverfolgung. Ausgangspunkt dieser Entwicklung wird die Parömie „Ne crimina remaneant impunita“ („Verbrechen dürfen nicht unbestraft bleiben“; Decretale „Ut famae“ (1203)447), die ursprünglich wohl auf Innozenz III. zurückgeht und sich ähnlich bei Bernhard von Pavia wiederfindet.448 Im  13. Jahrhundert findet diese Parömie Eingang in die legistische Strafrechtsliteratur und wird anschließend auch im weltlichen Strafrecht aufgegriffen.449 Die Aussage „interest reipublicae ne crimina remaneant impunita“ („Es liegt im Interesse des Staates, dass Verbrechen nicht unbestraft bleiben“)450 wird in den Diskussionen der folgenden Jahrhunderte zum zentralen Argument der Durchsetzung eines öffentlichen Strafverfolgungsrechts, und wird auch von Thomas und den Spätscholastikern aufgegriffen; weil es im Interesse des Staates liegt, dass Straftaten bestraft werden und weil jede Straftat auch dem Staat Unrecht zufügt, hat auch der Staat ein Recht, eine Strafe zu verhängen.451 445 Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22. 446 Vgl. auch Dezza, Geschichte des Strafprozesses, S.  7; Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 193 ff. 447 Decretal. Gergor. IX., Lib. V Tit. XXXIX Cap. XXXV (ed. Friedberg) („publicae utilitatis intersit, ne crimina remaneant impunita“). 448 Landau, in: Condorelli (Hrsg.), Einfluss des kanonischen Rechts, S. 23 f., 25 ff.; Hirte, Papst Innozenz III., das IV. Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, S. 193 ff.; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 7 f. 449 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 7 f., 10, 25. 450 Dazu m.Nw. Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 1 ff., 7 f., 10, 25. 451 S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 47 N. 1, 6; Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec.  10 N.  148 („propter obligationem quam habet in ordine ad Rempublicam, cuius interest delicta non remaneant impunita“); ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 4 N. 69 („iudex, seu Princeps habet ius ad poenam infligendam“); Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 1 ff., 7 f., 10, 25; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  210 f., 229 ff.; ders., in: Decock/Ballor/Germann/Waelkens (eds.), Law and Religion, p. 149, 156 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 22. So begründet Thomas etwa die Regel, dass Richter die Strafe nicht aus eigener Autorität gegen die Gesetze erlassen dürfen, u.a. damit, dass der Richter Urteile kraft der öffentlichen Gewalt

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Bei den Spätscholastikern und den Strafrechtsautoren des 16. Jahrhunderts gewinnt so die bereits erwähnte Argumentation entscheidende Bedeutung, wonach durch eine Straftat nicht nur dem Geschädigten, sondern auch dem Staat und seinen Gesetzen Unrecht (iniuria reipublicae) zugefügt wird.452 Im Hintergrund dieser Auffassung dürften auch die Unterscheidung der verschiedenen Foren und der jeweiligen Rechtsbeziehungen sowie das naturrechtliche Staatsverständnis stehen.453 Damit sind drei Aspekte verbunden: die Ausweitung der Delikte, bei denen nicht der Geschädigte, sondern der Staat Strafverfolgung betreiben kann; die Vorstellung, dass der Strafanspruch des Staates der Disposition des Geschädigten entzogen ist; sowie der Gedanke einer Strafverfolgungspflicht.454 Ausgangspunkt ist dabei zunächst die Unterscheidung des römischen Rechts zwischen delicta privata und delicta publica.455 Während bei den delicta privata nur der Geschädigte zur Anklage berechtigt war, konnte bei den delicta publica grundsätzlich jedermann Anklage erheben.456 Für die weitere

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des Staates erlässt und dass es „im Gemeinwohl des Staates liegt, dass Straftäter bestraft werden“ („ex parte reipublicae, cuius potestate fungitur, ad cuius bonum commune pertinet quod malefactores puniantur“), s. Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 67,4 resp. Ferner diskutiert Thomas, ob eine Pflicht zur Anklageerhebung besteht, wobei bei ihm offensichtlich noch der Akkusationsprozess im Vordergrund steht. Thomas bejaht hierbei die Pflicht zur Anklageerhebung zumindest bei schweren Straftaten, die das Gemeinwesen bedrohen, und tritt insoweit in gewissem Umfang für eine Strafverfolgungspflicht ein (Thomas v. Aquin, STh, II–II q. 68,1 resp.). Bspw. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 10; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715 N.  5 f.; Tract. III Disp.  47 N.  1; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 22 N. 138; s.a. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 39 m.w.N.; Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 310; Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S.  421, 432 f.; vgl. auch Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 7 f. Auf diese Argumentation wird nämlich häufig auch dann rekurriert, wenn es um die Abgrenzung von Buße, die der Vergebung der Schuld gegenüber Gott dient, und Strafe, die der Vergeltung des gegen den Staat begangenen Unrechts dient, geht; s. bspw. Scaccia, Tractatus de Commerciis, § 1 q. 1 N. 31; Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 3; s.a. Tiraquellus, De poenis, Causa 25, N. 3 f. sowie oben bereits S. 416 ff., 421 ff. S. dazu sogleich im Einzelnen die Nachweise. Hierzu etwa Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421 ff. Z.B.  Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  30 Dub.  3 N.  19; zur Differenzierung im römischen Recht und in der Spätscholastik Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit [Hrsg.], Herrschaftliches Strafen, S.  421, 422 ff., 427 m.w.N.  Im  16. Jahrhundert findet sich durchaus eine Ausweitung des Begriffs der delicta publica, wodurch zunehmend ein Bedeutungsverlust der delicta privata Platz greift (s. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap.  1 N.  4; dazu auch Grunert, in: Schlosser/

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Entwicklung wird dabei die Auffassung bedeutsam, dass auch bei den delicta privata der Staat von Amts wegen (ex officio) die Strafverfolgung betreiben kann und muss.457 Nach Antonio Gómez (1500–1572) soll selbst bei den aus dem römischen Recht übernommenen delicta privata, bei denen eigentlich nur der Geschädigte die Strafverfolgung betreiben konnte, der Staat ex officio auch dann den Strafprozess betreiben können und müssen, wenn der Geschädigte von einer Verfolgung absieht.458 Begründet wird dies damit, dass bei den delicta privata ebenso wie bei den delicta publica gegenüber dem Staat Unrecht begangen wird und deshalb der Richter die Strafverfolgung ex officio betreiben kann und muss.459 Auch wenn es je nach Regelung des positiven Rechts weiterhin private Strafklagen gibt460, zeigt sich die Tendenz dahingehend, dass bei sämtlichen Straftaten der Staat ex officio unabhängig

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Sprandel/Willoweit [Hrsg.], Herrschaftliches Strafen, S. 421, 429 ff.; Seelmann, in: Grunert/ Seelmann [Hrsg.], Die Ordnung der Praxis, S. 301, 310; s. ferner auch Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 18, 34 zum Bedeutungsverlust der Unterscheidung zwischen delicta publica und delicta privata). Nach kanonischem Recht etwa sollen „alle Verbrechen delicta publica“ sein (s. Julius Clarus, Practica civilis atque criminalis, Lib. V § 1 N. 6 [„secundum ius canonicum, omnia crimina sunt publica“]; dazu auch Seelmann, in: Grunert/Seelmann [Hrsg.], Die Ordnung der Praxis, S.  301, 310 zu der noch unterschiedlichen Rechtslage im 16. Jahrhundert). Im ius civile kommt es zur Qualifikation als delictum publicum auf die gesetzgeberische Festlegung an, d.h. darauf, ob der Gesetzgeber eine auch nur gegen eine Privatperson gerichtete Straftat ausdrücklich als öffentlich deklariert (Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap. 1 N. 4; vgl. Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 4; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 30 Dub. 3 N. 19; dazu auch Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit [Hrsg.], Herrschaftliches Strafen, S.  421, 428, 431 f.). Die Festlegung der delicta publica steht damit im Ermessen des Staates, wobei maßgebliche Erwägung der „öffentliche Nutzen“ ist (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 30 Dub. 3 N. 19; s.a. Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit [Hrsg.], Herrschaftliches Strafen, S.  421, 431; vgl. auch Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 4). Vgl. Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S.  421, 432; Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 309 f. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap.  1 N.  10 („unde licet pars offensa non accuset, iudex potest, & debet ex officio procedere pro iniuria reipublicae“); s. dazu Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S.  301, 310 m.Nw., der insofern von einem Wendepunkt spricht; Grunert, in: Schlosser/ Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 427, 432; Maihold, in: Decock/ Ballor/Germann/Waelkens (eds.), Law and Religion, p. 149, 160. Gómez, Commentariorum variarumque resolutionum, Tom. III Cap.  1 N.  10 („ratio est, quia ex quolibet delicto publico, vel privato, oritur duplex offensa vel iniuria, una parti & alia reipublicae“); Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S.  301, 310; Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432. Vgl. etwa noch Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. VII Sec. 7 N. 97 ff.

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von der Disposition des Geschädigten die Strafverfolgung einleiten kann bzw. muss. Ähnlich gehen auch Didacus a Cantera (1520–1591) und Molina davon aus, dass, auch wenn der Geschädigte selbst die Anklage betreibt oder hiervon absieht, der Staat dennoch „wegen seines Interesses“ die Strafverfolgung betreiben kann. Weil der Geschädigte nicht über das gegen den Staat begangene Unrecht disponieren kann, wird auch durch einen Strafverfolgungsverzicht des Geschädigten die Strafverfolgung wegen des gegen den Staat begangenen Unrechts nicht gehindert.461 „Bei allen Straftaten, sowohl privaten als auch 461 Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N.  3: „etiam si pars accusaret delinquentem criminaliter, fiscus simul accusat pro interesse fisci & reipublicae. […] quod si privatus recedit ab accusatione, vel non vult accusare, fiscus accusat: & est ratio quia in quolibet delicto etiam privato tribus fit iniuria, scilicet, Deo, parti, & reipublicae, iniuria quae fit Deo relinquitur, ut satisfaciat reus in confessione, & quae fit parti pars prosequitur, & potest etiam pars remittere, non tamen potest remittere iniuriam quae fit reipublicae, & ideo pro ea potest accusare fiscus“; s.a. Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S.  421, 433: Über Antonio Gómez hinausgehend kann der Staat nicht nur dann die Strafverfolgung bei den delicta privata betreiben, wenn der Einzelne von der Strafverfolgung absieht, sondern auch dann, wenn die geschädigte Partei selbst Klage erhebt; vgl. auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 47 N. 1 f. zur Frage, inwieweit das Absehen von Anklage durch den Geschädigten oder ein Vertrag (transactio in criminalibus) zwischen Täter und Geschädigtem, in dem das Unrecht „verziehen wird“, die staatliche Strafverfolgung ex officio hindert. Auch Molina unterscheidet hier zwischen dem privaten Unrecht (iniuria ac damnum privatae personae) und dem öffentlichen Unrecht (publica iniuria ac offensa), das gegen den Staat und das Gemeinwohl begangen wurde – nur der Staat kann über dieses verfügen („Condonare vero eiusmodi iniuriam, ac poenam ob illam commeritam, partemve illius, ad rempublicam ipsam, caputve illius, spectat, tanquam ad custodem boni communis“). Daher kann der Staat ex officio die Strafverfolgung betreiben, auch wenn es keinen Ankläger gibt, und dann sowohl das öffentliche wie auch das private Unrecht sanktionieren („Procedere vero ad vindicandam eiusmodi publicam iniuriam ac offensam, ad poenamque condignam pro ea infligendam, & simul etiam ad puniendum iniuriam privatam, quando non est alius, qui de illa accusat, spectat ex officio suo ad iudices, qui […] simul puniunt iniuriam privatam ac publicam“). Entsprechend können Richter auch bei den delicta privata ex officio vorgehen („sive crimen sit publicum, sive privatum […], iudicem ex officio procedere ad inquisitionem & punitionem illius in bonum commune“). Ferner können Richter auch dann, wenn es einen Vertrag zwischen Schädiger und Geschädigten gibt, in dem das private Unrecht nachgelassen wird, zumindest wegen des öffentlichen Unrechts die Strafverfolgung betreiben („Quando aut pars laesa delictum remittit […], vel gratis, vel transactione […], tunc etiam iudices ipsi de officio puniunt eadem delicta, quantum a iure vel communi, vel privato, id illis permittitur ac conceditur, idque vel puniendo publicam & privatam iniuriam in commune bonum, vel solam publicam“) – zur Frage, ob in diesem Fall milder zu bestrafen ist, sofern nur das öffentliche Unrecht vindiziert wird, s. aaO, N. 6. Hier zeigt sich also eine Aufspaltung des Unrechts in privates und öffentliches Unrecht; der staatliche Strafanspruch besteht

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öffentlichen, geschieht dem Staat Unrecht, und wegen dieser Verletzung des Staates sowie des öffentlichen Nutzens“ kann die Bestrafung erfolgen462 – damit sind letztlich alle Straftaten delicta publica, sodass der Staat immer die Strafverfolgung betreiben kann oder muss.463 Hierdurch entsteht die Idee eines öffentlichen Strafanspruchs, der dem Staat zusteht und der Disposition des Geschädigten entzogen ist.464 Wenngleich das 16. Jahrhundert selbst noch ein Zeitalter des Übergangs ist465, werden auch bei anderen Autoren des 16. Jahrhunderts zunehmend ein Strafverfolgungsrecht und eine Strafverfolgungspflicht des Staates deutlich. Die privaten Strafklagen werden durch die hoheitlich (ex officio) eingeleiteten Strafverfahren zunehmend verdrängt.466 Einerseits müssen somit Verbrechen bestraft werden, andererseits hat grundsätzlich nur der Staat die Befugnis zur Bestrafung.467 Hierin zeigen sich wesentliche Merkmale eines öffentlichen Strafrechts, das durch einen öffentlichen Strafanspruch, eine Strafverfolgungspflicht und ein staatliches Strafmonopol gekennzeichnet ist.

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zwar unabhängig von der Disposition des Geschädigten, ist aber ebenso wie die daraus folgende Strafe begrenzt. Wenn es sowohl einen Privatkläger gibt als auch der Richter ex officio das Verfahren betreibt, können beide Verfahren zu einem zusammengefasst werden (unus processus mixtus; aaO, N. 5). Auch wenn der Private das Verfahren nicht weiter betreibt, wird nach Molina der Prozess durch den Richter fortgesetzt. Molina greift hier auch mehrfach auf die Wendung ne delicta impunita maneant zurück (aaO, N. 1, 6). Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N.  5: „in omnibus delictis sive privatis sive publicis fit iniuria Reipublicae, & possent puniri propter offensam Reipubl. & propter utilitatem publicam“. S. Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 433 mit Verweis auf Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N. 5. Vgl. zu dieser Entwicklung auch Seelmann, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 301, 310 m.Nw. S.a. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 105 ff., 108; vgl. Schlinker, Rechtsgeschichte, § 23 Rn. 1. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  119 ff.; Grunert, in: Schlosser/Sprandel/Willoweit (Hrsg.), Herrschaftliches Strafen, S. 421, 432 f.; vgl. auch Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 29 Dub. 12 N. 106 mit dem Hinweis, dass auch im ius civile die Strafverfolgung ex officio bei sämtlichen Straftaten anerkannt sei und zum Teil auch die anderen Prozessarten ausgeschlossen seien; so könnten etwa in Frankreich Private nur wegen des zivilen Interesses (pro interesse civili) klagen. Vgl. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  179 f., 210 f. unter Verweis auf Vitoria und Covarruvias; Grunert, in Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtlicher Forschung, S. 313, 328 ff. (Thomas v. Aquin und Vitoria); Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 119 ff.

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4.4.6 Strafe und Restitution Strafe als Schuldstrafe, Restitution als Schadensausgleich 4.4.6.1 Eng verbunden mit den geschilderten Entwicklungen in Straf- und Strafprozessrecht ist die Trennung von hoheitlicher Strafe und privatem Schadensersatz. So sind nach Thomas Restitution (restitutio) und Strafe (poena) voneinander zu trennen, da die durch eine Tat herbeigeführte „Ungleichheit von Seiten der Sache“ (inaequalitas ex parte rei) und die „Schuld des Unrechts“ (iniustitiae culpa) zu unterscheiden sind.468 Gegen die vermögensmäßige „Ungleichheit“ besteht die Restitution als Rechtsbehelf (remedium per restitutionem).469 Dagegen wird die Schuld durch die Strafe geahndet (ad culpam remedium per poenam), die durch den Richter verhängt wird (cuius inflictio pertinet ad iudicem).470 Die Strafe ist erst nach Erlass eines Urteils zu verbüßen (postquam condemnatus est, tenetur poenam solvere).471 Auch wenn kein Schaden eintritt, kann wegen der Schuld eine Strafe verhängt werden. Die Strafe ist also unabhängig von der Ausgleichsverpflichtung.472 Auch die Spätscholastiker übernehmen diese grundsätzliche Differen­ zierung.473 Ähnlich Thomas ist etwa nach Molina „Restitution nicht für das begangene Unrecht […], sondern ausschließlich wegen des ungerecht­ fertigerweise zugefügten Schadens geschuldet“.474 Zu unterscheiden ist demnach zwischen Schaden einerserseits und Unrecht und Schuld andererseits, d.h. zwischen Zivil- und Strafrecht.475 Während die Restitution dem Schadensausgleich dient, ist Zweck der Strafe der Schuld- und Unrechtsausgleich.476 Es ist gerade das Kennzeichen 468 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,3 resp.; q. 62,6 resp. („tenetur ad recompensationem damni illati […]; et ulterius pro iniuria illata debet puniri“); dazu auch Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  100 f.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S.  94 ff., 113; ders., in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Wie pandektistisch war die Pandektistik?, S. 165, 178 Fn. 67. 469 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,3 resp. 470 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,3 resp. 471 Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,3 resp.; s.a. Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23 („nam restituere quis tenetur ante sententiam iudicis, & restitutionem persona privata exigere potest, qua exigente ad eam teneris, non vero ad poenam“). 472 Vgl. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,3 resp. 473 S. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 100 ff., 106. 474 Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715 N.  2 („restitutionem non deberi pro iniuria & offensa, sumptis praecise a damno dato, sed solum pro damno iniuste dato“); anschließend an Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 62,3. 475 Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 5; Tract. V Disp. 1 N. 2 zur Abgrenzung von Zivil- (in civilibus causis) und Strafrecht (in criminalibus causis). 476 S. Pérez, De Restitutione, Disp. I Cap. 4 N. 23 (zum Ziel der Strafe: „Primus & ordinarius est vindicare culpam praeteritam nulla habita ratione damni praesentis, aut imminentis, ut

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der Strafe, dass sie auf die Schuld bezogen ist.477 Einerseits entsteht so aufgrund der ausgleichenden Gerechtigkeit eine Verpflichtung (obligatio) zur Wiederherstellung und Kompensation der Schäden.478 Andererseits ist das vom Schaden zu trennende Unrecht (iniuria) „Gegenstand der strafenden Gerechtigkeit“ (iustitia vindicativa), sodass hierfür „eine Strafe verhängt wird“.479 Während die durch die vindikative Gerechtigkeit zu verhängende Strafe schuldabhängig ist (poena iuste per vindicativam iustitiam infligenda respondere debeat culpae), richtet sich der Umfang der Restitution alleine nach dem Schaden (latitudo vero restitutionis respondere debet latitudini solae damni iniuste dati).480 Während die Restitutionsverpflichtung aus der Tat selbst unmittelbar folgt481, setzt die Strafverhängung ein Verfahren und eine richterliche Verurteilung voraus.482 Der philosophisch-theologische Grund der Trennung von Strafe und Restitution Diese naturrechtliche Ausdifferenzierung von Strafe und Schadensersatz, Schuld und Schaden, hoheitlichem Strafanspruch und privatem Restitutionsrecht als Folgen schuldhaften Handelns hat ihren eigentlichen Grund in den philosophisch-theologischen Entwicklungen, d.h. vor allem in der Bußtheologie sowie im aristotelisch-thomistischen Konzept der ausgleichenden Gerechtigkeit. Zunächst wird die Unterscheidung zwischen Strafe und Restitution durch die Entwicklung des Straf- und des Schuldbegriffs ermöglicht: Weil die eigentliche Strafe (poena rationem poenae) notwendig Schuldstrafe 4.4.6.2

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ipsum evitetur; & sic satis pati est tantam poenam sustinere, quantam culpam praeterita iuxta vindicativam iustitiam meretur. Huius Satispassionis discrimen a restitutione manifestum est: cum finis restitutionis non sit culpam vindicare, sed damnum imminens ex iniusta laesione impedire“). S. deutlich Suárez, De vitiis et peccatis, Disp, VII Sec. 1 N. 1 f. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 6. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715 N.  6. Ähnlich grenzt auch Lessius Strafe und Restitution voneinander ab: „Die Strafe wird vom Richter verhängt, nicht damit der Schaden der verletzten Partei wiedergutgemacht wird, sondern damit das dem Staat und den Gesetzen zugefügte Unrecht vindiziert wird und andere abgeschreckt werden“, s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 22 N. 138 („poena infligitur a Iudice, non ut damnum parti laesae compensetur, sed ut iniuria Reipublicae & legibus illata vindicetur, aliisque terror incutiatur“). Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 9; ebenso Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 9 Dub. 21 N. 134 („Non enim quantitas restitutionis, ex iniuriae quantitas aestimanda est, sed ex quantitate damni per iniuriam mortiferam illati. […] Secus est in poena; haec enim respondet iniuriae, non damno“). Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 6, 9. S. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 6, 9, 10 f.

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ist, d.h. wegen der Schuld (culpa) verhängt wird und schuldangemessen ist, kann die Restitution hiervon abgegrenzt werden483; letztere kann nicht dem Schuldausgleich dienen, der durch die Strafe herbeigeführt wird, sondern nur dem Schadensausgleich. Ferner wird durch die Entwicklungen der Bußtheologie die Beziehung zwischen Gott und den Menschen von der Beziehung zwischen den Menschen unterschieden.484 Zugleich wird zwischen der Beziehung unter den Menschen als Privaten sowie der Beziehung zwischen Privaten und Gemeinwesen differenziert.485 Es bildet sich hier ein Konzept der Relationalität der Rechtsbeziehungen (Gott – Mensch – Gemeinwesen). Das gegen Gott begangene Unrecht ist zu trennen von dem gegen das Gemeinwesen und dessen Gesetze begangenen Unrecht sowie vom Schaden, der dem Geschädigten zugefügt worden ist. So wie das Unrecht gegenüber Gott Strafe von Gott nach sich zieht, wird das Unrecht gegenüber dem Staat und dem Verletzten durch Strafe vom Staat sanktioniert – beide Strafen sind aber unabhängig von der Kompensation des Geschädigten für den ihm zugefügten Schaden und die ihm zugefügte Verletzung seiner Rechte.486 Restitution an den Geschädigten ist nach der Bußtheologie nicht Teil der Buße, sondern Voraussetzung, und als solche getrennt von den Wirkungen der Sünde (nämlich Schuld und Strafwürdigkeit), der Sündenvergebung sowie der Satisfaktion.487 Zu unterscheiden ist also die Kompensation des durch die Unrechtshandlung Geschädigten von der Strafe als Sanktion des begangenen Unrechts.488 Der Staat hat für das gegen ihn und seine Gesetze begangene Unrecht einen Strafanspruch, der der Disposition des Geschädigten entzogen ist.489

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S. dazu zuvor S. 439 ff. Dazu oben bereits S. 117 ff., 416 ff. S. dazu oben S. 139 ff. Vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp.  715 N.  2 ff., 7; Scaccia, Tractatus de Commerciis,  §  1 q. 1 N.  31; Didacus a Cantera, Quaestiones Criminales, De Quaestione tangent. Accusatorem, q. 2 N.  3; vgl. ferner bereits Weinzierl, Die Restitutionslehre der Frühscholastik, S.  162 ff., 179. Eine Rolle für diese Ausdifferenzierung spielt dabei auch das Argument, dass man zwar Unrecht gegen Gott begehen, aber Gott keinen Schaden zufügen könne und daher auch keine Restitution gegenüber Gott möglich sei, wohl aber eine Strafe auf das begangene Unrecht folge, s. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 3; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 18. 487 S. dazu oben S. 339 ff.; zur Abgrenzung von Satisfaktion und Restitution auch Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 715 N. 2 ff.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 4 N. 18. 488 S. dazu oben bereits S. 343 f. 489 S. dazu zuvor S. 464 ff.

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Die Abgrenzung von Strafe und Restitution erfolgt dabei nicht nur vom Konzept der Strafe her, sondern auch von der Restitution selbst. Indem nämlich im 16. Jahrhundert die Restitution auf die Verletzung (subjektiver) Rechte gegründet und als ihr Ziel der Ausgleich und die Kompensation dieser Rechtsverletzung bestimmt wird490, ergibt sich eine eindeutige Differenzierung von der Strafe. Grund der Strafe ist die aus Freiheit erfolgende Gesetzesverletzung, Ziel der Schuldausgleich im Sinne des Ausgleichs des gegen den Staat und seine Gesetze begangenen Unrechts – Restitution ist auf das subjektive Recht und seine Verletzung bezogen, Strafe dagegen auf die Schuld.491 Damit verbunden ist schließlich auch ein formeller Aspekt: Während die Straftaten über Einzeltatbestände bestimmt werden, entwickeln sich in der Restitution allgemeine generalklauselartige Tatbestände.492 Dies ist freilich Folge der Entkopplung der Restitution von der Strafe. Strafe hat Bezug zur Schuld und setzt damit die aus Freiheit begangene Gesetzesverletzung voraus.493 Anders ist dagegen der Charakter des entpönalisierten Restitutionsrechts: Da es nicht um Strafe und Schuld, sondern um den Ausgleich von Schäden aus Rechtsverletzungen geht, bedarf es auch keiner spezifischen Tatbestände mehr, sondern genügen allgemeine Haftungstatbestände, die den Ausgleich bei Rechtsverletzungen anordnen. Auch hier wird die Bußtheologie – zusammen mit weiteren Entwicklungen wie der Form subjektiver Rechte und deren Verbindung mit dem Haftungsrecht – zum Wegbereiter einer rechtlichen Entwicklung. Durch die Ausdifferenzierung der Rechtsbeziehungen und die Unterscheidung von Schuld und Schadensausgleich bildet sich die Differenzierung von Strafe als Sanktion für das schuldhaft begangene Unrecht und Restitution als Mittel der Kompensation des eingetretenen Schadens. 4.4.6.3 Zusammenfassung In der Ausdifferenzierung von Strafe und Restitution bei Thomas und den Spätscholastikern zeigen sich wesentliche Aspekte eines öffentlichen Strafrechts: Strafe ist Reaktion auf das gegen das Gemeinwesen und entgegen den 490 S. dazu oben S. 341 ff. 491 Vgl. auch Lugo, De Incarnatione, Disp. III Sec. 10 N. 148; ders., De Iustitia et Iure, Disp. I Sec. 4 N. 69 (zur iustitia punitiva: „non habet pro obiecto debitum fundatum in aliquo iure alterius; ille enim qui delinquit, nullum habet ius ad poenam accipiendam, sed potius iudex, seu Princeps habet ius ad poenam infligendam“). 492 Vgl. generell zur Unterscheidung von Einzeltatbeständen, wie sie für das römische Recht prägend waren, und allgemeinen Tatbeständen im Kontext des Haftungsrechts oben bereits S. 336 ff. 493 S. dazu oben S. 439 ff.

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Gesetzen begangene Unrecht. Die Restitution zielt demgegenüber auf vermögensmäßigen Ausgleich des Schadens sowie der Verletzung subjektiver Rechte, dient also der Kompensation, nicht dem Schuldausgleich und ist auf den Schaden begrenzt.494 Die Restitution steht kumulativ neben der eigentlichen Strafe.495 Die Restitution ist schadens-, die Strafe schuldabhängig. Das Erleiden der Strafe (poenae rationem poenae) „befreit nicht“ von der Restitutionsverpflichtung (punitio non liberat a restitutione), beide sind voneinander getrennt und unabhängig.496 Die Restitution ist dabei eine dem Geschädigten selbst zustehende Forderung, die mit der schädigenden Handlung entsteht; die Rechtsbeziehung besteht nur zwischen Geschädigtem und Schädiger.497 Sie unterscheidet sich damit von der Strafe, die grundsätzlich der Disposition des Geschädigten entzogen ist und hoheitlich durch den Staat im Wege des zunehmend vorherrschenden Inquisitionsverfahrens verhängt wird. Zugleich verlieren auch die Privatstrafen des römischen Rechts ihre Bedeutung und werden schließlich – das 16. Jahrhundert ist selbst noch ein Zeitalter des Übergangs498 – durch die hoheitliche Strafe und den privatrechtlich geltend zu machenden Schadensersatzanspruch ersetzt. Die strikte Trennung von Straf- und Zivilrecht bzw. von Strafe und Schadensersatz, die am Ende eines langen Entwicklungsprozesses steht, dürfte damit vor allem durch vier Gründe bedingt sein: 1. Die Herausarbeitung eines spezifischen Strafbegriffs, der Strafe auf die Schuld bezieht; 2. Die Begrenzung der zivilrechtlichen Haftung entsprechend der naturrechtlichen Restitutionslehre auf den Schaden bzw. tatsächlichen Vermögensverlust, die damit verbundene Aufgabe der Privatstrafen499 sowie die Gründung der Restitution auf die Verletzung subjektiver Rechte; 3. Die Entstehung eines öffentlichen Strafanspruchs und Strafmonopols; 4. Die ex-officio-Strafverfolgung und

494 Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 259; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 100 f., 103 ff. 495 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 101, 496 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 101 m. N. (u.a. Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. XI Sec. 1 N. 26); zur Diskussion von Ausnahmen bei Tötung Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 101; vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. III Disp. 84 N. 8. 497 S.a. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 102 f. 498 S. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 105 ff., 108; vgl. Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 259 f. S.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 695 N. 5 f. (etwa zur Rechtslage nach ius civile und zur Fragen der Konkurrenz der verschiedenen Klagen nach ius civile beim Diebstahl). 499 Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  108; s.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 294 f. (insoweit zur Entwicklung im usus modernus im 17. und 18. Jahrhundert); ders., in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Wie pandektistisch war die Pandektistik?, S. 165, 178 Fn. 67.

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Strafverfolgungspflicht, das Aufkommen des Inquisitionsprozesses und die Verdrängung des Akkusationsprozesses500. 4.4.7 Ausblick auf die weiteren Entwicklungen 4.4.7.1 Strafrecht im Gemeinen Recht Es hat sich gezeigt, dass in mehrfacher Hinsicht Diskussionen und Konzepte, die bei Thomas und in der thomistischen Tradition ihren Ausgangspunkt genommen haben, auch in das Strafrecht Einzug gefunden haben: Einflüsse zeigen sich in der Entwicklung des Schuldgrundsatzes, der Herausarbeitung der Begriffe von Straftat, Schuld und Strafe, der Abgrenzung von Straftat und Sünde sowie von Strafe und Schadensersatz, der Handlungs- und Zurechnungslehre sowie generell in der Schuldlehre, in der Strafzumessung, in den Strafzwecken und im Verbrechensaufbau, aber auch in konkreten strafrechtlichen Fragen wie der Herausarbeitung der Versuchs- und Unterlassungsstrafbarkeit oder der Notwehrrechte. Maßgebliche Faktoren für die Entwicklungen sind hierbei die thomistische Buß- und Sündentheologie, die Anthropologie (Willensfreiheit) und die damit zusammenhängende Handlungs- und Zurechnungslehre, die Gerechtigkeitslehre sowie die naturrechtlich geprägte politische Theorie. In der Philosophie und Theologie gewonnene Konzepte und Ideen werden auf das weltliche Strafrecht übertragen. Von diesen ideengeschichtlichen Entwicklungen ist die Rechtswirklichkeit der Frühen Neuzeit zu unterscheiden. Das materielle Strafrecht des gemeinen Rechts der Frühen Neuzeit beruht in wesentlichen Teilen auf dem kanonischen und weltlichen, insbesondere italienischen Recht des Mittelalters, wobei sich aber im 16. Jahrhundert durchaus Einflüsse der thomistischen Tradition501 bemerkbar machen.502 Entwicklungen für das Strafrecht in Deutschland kommen über die Rezeption der frühneuzeitlichen Strafrechtslehre der italienischen und spanischen Juristen (Clarus, Deciani503, Covarruvias, 500 S.a. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 291. 501 Bspw. Pifferi, Generalia Delictorum, p. 241 s. zum Einfluss der thomasischen Schuldlehre auf die weltliche Rechtslehre (Baldus). 502 Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 21 ff., 31 ff.; Rüping/Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 113 ff. 503 Dazu Rüping/Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 113; Schlosser, in: Cavina (ed.), Tiberio Deciani (1509–1582), p. 121 ss., 132 s. (etwas einschränkend zu Deciani und eher auch auf andere Autoren verweisend [Farinacci]; Grund ist, dass zu Beginn die Strafrechtswissenschaft in Deutschland, etwa bei Carpzov, vor allem an den Bedürfnissen der juristischen Praxis orientiert war, und damit – durchaus im Gegensatz zu Deciani – nicht so sehr abstrakt wissenschaftlich ausgerichtet ist; erst mit Böhmer soll im 18. Jahrhundert die eigentliche theoretische Strafrechtswissenschaft in Deutschland beginnen, wo dann auch bedingt durch die Rolle des Naturrechts Deciani Bedeutung zukommt).

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Farinacci, aber auch Molina; ferner der Franzose Tiraquellus) u.a. durch die deutschen Juristen Carpzov504, Theodoricus505 und Böhmer506, ferner durch die Constitutio Criminalis Carolina (1532), die ihrerseits die mittelalterliche Strafrechtslehre aufgreift.507 Zugleich verändert sich der Strafprozess wesentlich: Durch die Entwicklungen des 12. bis 16. Jahrhunderts halten das Legalitätsprinzip sowie die Inquisitions- und Offizialmaxime Einzug in den Strafprozess.508 Es vollzieht sich eine Entwicklung, an deren Ende – das 16. Jahrhundert ist selbst noch

504 Dazu von Weber, Influencia de la literatura juridica española en el derecho penal commun aleman, p. 5 ss. 505 Dazu Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 59, 69. 506 S. umfassend zu Böhmer, mit dem die eigentliche theoretische Strafrechtswissenschaft in Deutschland beginnt, und zu seinen Zurechnungslehren, die naturrechtlich geprägt sind, Boldt, Böhmer und die gemeinrechtliche Strafrechtswissenschaft, S.  148 ff., 386 ff. Zur Bedeutung des Willens als Fundament der Zurechnung s. Boldt, Böhmer und die gemeinrechtliche Strafrechtswissenschaft, S. 148 f. 507 Dazu Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn.  23 ff., 31 ff.; Rüping/ Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 97 ff., 113 ff. 508 Vgl. Landau, Europäische Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, S. 249; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 5 ff., 15 ff., 25 ff., 37 ff. Diese strafprozessualen Entwicklungen finden im 16. Jahrhundert neben dem gelehrten Strafrecht vor allem durch Statuten oder Gesetze Verbreitung in Europa. Im 15./16. Jahrhundert werden mit der Constitutio Criminalis Carolina (1532) in Deutschland (hierzu Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 45 ff., 48 ff.; Rüping/ Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn.  94 ff.), den Ordonnances von Blois (1498) und Villers-Cotterêts (1539) in Frankreich (dazu Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  40 ff.) sowie weiteren Statuten in den Niederlanden, Spanien und Italien zahlreiche Strafrechtsgesetze erlassen, die vor allem die strafprozessualen Entwicklungen aufgreifen und verbreiten (s. Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 37 ff., 57 ff.; Trusen, Gelehrtes Recht, S. 145 ff.). Beispielsweise zeigt sich bei der Constitutio Carolina Criminalis (CCC) Kaiser Karls V., die ein dem kanonischen Recht nachgebildetes Inquisitionsverfahren vorsieht, deutlich der Einfluss des gelehrten Strafrechts (dazu Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn.  26 ff.; Trusen, Gelehrtes Recht, S.  145 ff.; Rüping/Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn.  97; Langbein, in: Schroeder [Hrsg.], Die Carolina, S.  231 ff.; ders., in: Landau/Schroeder [Hrsg.], Strafrecht, Strafprozess und Rezeption, S. 215 ff.). Der Akkusationsprozess findet sich zwar noch in der CCC, wird aber weitgehend zurückgedrängt durch den Inquisitionsprozess und verliert seine praktische Bedeutung im 16. Jahrhundert (Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  6 f., 15 ff., 25 ff., 37 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtschichte, 5. Kap. Rn.  25 ff.). Das Inquisitionsverfahren wird so zu einem prägenden Element neuzeitlicher Staatlichkeit und in die absolutistische Staatsorganisation eingebunden (Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 64 f.).

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ein Zeitalter des Übergangs509 – das öffentliche Strafmonopol weitgehende Durchsetzung erfährt.510 Die Entwicklungen führen dazu, dass neben dieser öffentlichen Strafverfolgung private Verbrechensverfolgung in Gestalt von Privatstrafen und Privatrache verschwinden bzw. verboten sind, ferner gerät das Akkusationsverfahren praktisch zunehmend außer Übung und wird vom Inquisitionsprozess verdrängt.511 4.4.7.2 Naturrechtliches Strafrecht 4.4.7.2.1 Das Strafrecht bei Grotius und Hobbes Daneben finden sich im naturrechtlichen Strafrecht bei Grotius512 wesentliche Einflüsse der thomistischen Tradition.513 Zunächst unterscheidet Grotius 509 Dazu Schnyder, Tötung und Diebstahl, S.  105 ff., 108. Blickt man auf die weitere Entwicklung des Straf- und Strafprozessrechts, so folgen elementare Entwicklungen aus der Aufklärung: Das Inquisitionsverfahren wird in Deutschland zwar noch bis ins 19. Jahrhundert prägendes Verfahren sein, bis es durch den sog. „reformierten Strafprozess“ abgelöst wird, der wesentlich durch Gedanken der Aufklärung geprägt ist (s. bspw. Beccaria, Dei delitti e delle pene, §§ 1 ss., 13 ss., 30, 38; s.a. Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 70 ff.; ferner Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 99 ff. [zu Thomasius’ Kritik gegen den Inquisitionsprozess], 109 ff. [zu Anklage und Inquisition in der Aufklärungszeit], 133 ff. [zu Strafrechtsreformen Ende des 18. Jahrhunderts]). Dieser Prozess verwirklicht im Gegensatz zum Inquisitionsprozess vor allem akkusatorische Elemente (Anklage durch die Staatsanwaltschaft, damit Trennung von ermittelndem Ankläger und urteilendem Richter), freie Beweiswürdigung, Öffentlichkeit und Mündlichkeit (Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 73, 10. Kap. Rn.  73, 13. Kap.  56 ff.). Die Folter wird bereits ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert ebenfalls vor allem infolge aufklärerischer Bestrebungen (Thomasius, Montesquieu, Beccaria [s. Beccaria, Dei delitti e delle pene, § 16]) abgeschafft (Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn.  52, 73, 78), ebenso Religions- und Häresiedelikte. Ferner führt das aufgeklärte Strafrecht maßgeblich zu einer Humanisierung und Objektivierung der Strafen (Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 51 ff., 73, 78; Kap. 10 Rn. 63 f.). 510 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 64 f.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 121 ff., 126 f.; Grunert, in: Schlosser/Willoweit (Hrsg.), Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung, S. 313, 328 ff.; Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 179 f., 210 f., 229 f.; vgl. Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 15 ff., 25 ff., 33 ff., 37 ff. 511 Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 15 ff., 33 ff.; Rüping/ Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 129. 512 Hierzu Hüning, in: Kesper-Biermann, Kriminalität in Mittelalter und der Frühen Neuzeit, S. 77 ff., 81 ff.; ders., in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 93, 97 ff.; Recknagel, Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung, S. 203 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 6 ff. 513 Vgl. Schaffstein, Die europäische Strafrechtswissenschaft, S. 69; Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, p. 553 ss. (insbesondere Fn. 617, 627). S. bspw. auch die Verweise sowie die namentlichen Bezugnahmen Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20

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grundsätzlich zwischen Schadensersatz und Strafe als Unrechtsfolgen.514 Hinsichtlich der Strafen argumentiert Grotius, dass nicht alle Vergehen von den Menschen bestraft werden dürfen – wie innere Taten (actus mere interni) sowie Taten, die „sich nicht auf die menschliche Gemeinschaft oder auf einen anderen Menschen beziehen“.515 Damit knüpft er an die scholastische Lehre an, wonach nur äußere Taten sowie Taten, die der menschlichen Gemeinschaft schädlich sind bzw. zum Schaden anderer gehen, im weltlichen Gericht bestraft werden können.516 Weiter greift er die Schuldangemessenheit der Strafe auf und diskutiert die Umstände, die bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen sind.517 Eine Bestrafung der Teilnehmer darf nur wegen eigener Tat erfolgen518, eine Strafe für die Tat eines anderen ist grundsätzlich unzulässig.519 Hierbei knüpft Grotius offenbar direkt an Thomas und die Spätscholastiker an („Niemand, der eines Delikts unschuldig ist, darf wegen eines Delikts eines anderen bestraft werden“ – „neminem delicti immunem ob delictum alienum puniri posse“; „Bestrafung gründet auf Schuld, aber Schuld ist etwas Persönliches, weil sie ihren Ursprung im Willen hat“ – „sed quia obligatio ad poenam ex merito

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N. 3, 7, 17, 27, 49 (Thomas, Covarruvias, Fortunius, Fernando Vazquez, Soto); insoweit ist auch die Auffassung, dass der Unterschied zwischen Grotius und den Scholastikern darin liege, dass Letztere nicht zwischen göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit unterschieden hätten (so Hüning, in: Byrd/Hruschka/Joerden [Hrsg.], Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 93, 97 Fn. 10; s. aber auch noch zum Verhältnis zur Scholastik aaO, S. 105 ff., 110 f.), wie gezeigt nicht zutreffend. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 1 – Strafe ist dabei ein malum passionis quod infligitur ob malum actionis; ebenso Pufendorf, De Officio, Cap. XIII § 4 („Est igitur poena malum passionis, quod infligitur ob malum actionis“); vgl. dazu auch Thomas v. Aquin, De malo, q. 1,4 resp.; STh, I, q. 48,5; s.a. Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, p. 553 s.; Jansen, Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, S. 179. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap.  20 N.  18, 20; ebenso Pufendorf, De Officio, Cap.  XIII  §  11 („Inde poenis humanis eximuntur actus mere interni […]“); dazu auch Hüning, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 93, 97. Dazu oben S. 85 ff., 97 ff., 117 ff., 416 ff., 421 ff. sowie Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 91,4 resp.; q. 96,2 resp.; q. 98,1 resp.; q. 100,2 resp.; 100,9 resp.; Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 16; ebenso später auch Pufendorf und Thomasius, s. Grunert, in: Germann/Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S. 297, 309 m.Nw. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 28 ff. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 21 N. 1. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap.  21 N.  9 ff., 12; ebenso Pufendorf, De Officio, Cap. XIII § 19 („Porro uti ob alienum delictum in foro humano poena proprie dicta nemo potest affici“); dazu auch Hüning, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 93, 98 („Aufstellung des Schuldprinzips und der persönlichkeitsbezogenen strafrechtlichen Verantwortlichkeit“).

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oritur: meritum autem est personale, quippe ex voluntate ortum habens“).520 Insoweit wird – ebenso wie etwa bei der Behandlung des Selbstverteidigungsrechts (defensio)521 – auf die Diskussionen der Spätscholastiker auch hinsichtlich der ursprünglichen causa-Strafen rekurriert (Strafhaftung von Kindern für Eltern, Vermögenshaftung, Erbschaft), wobei Grotius eher dem Ansatz Castros folgt, sonstige Übel nicht mehr strafrechtlich einzuordnen522.523 Bei den Strafzwecken betont Grotius demgegenüber ebenso wie die nachfolgenden Naturrechtslehrer524 innovativ vor allem den präventiven Nutzencharakter der Strafe.525 Auch Hobbes greift den Schuldgrundsatz auf. Unschuldige dürfen nicht bestraft werden526, Strafe ist ferner ausgeschlossen bei Kindern oder Geisteskranken, unüberwindlicher Unkenntnis des Gesetzes, zudem bei bestimmten Notstandssituationen.527 Schuld ist nach Hobbes dabei „eine Sünde (culpa,

520 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 21 N. 12 (Grotius verwendet hier den Begriff meritum [Verdienst], der in der scholastischen Tradition den positiven Gegenbegriff zur culpa bildete); dazu auch Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S.  4; vgl. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 87,8 resp. („actus peccati aliquid per se personale est“); q. 71,6 resp. (voluntarius; a voluntate); ferner Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, p. 553 ss.; Hartung, in: Palladini/Hartung (Hrsg.), Samuel Pufendorf und die europäische Frühaufklärung, S. 123, 126 ff. 521 Dazu etwa Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 1 N. 2, 3 ff. (zur Selbstverteidigung als Kriegsgrund; s. bspw. den Verweis [aaO, N. 4] auf Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 64,7 resp.; Selbstverteidigung gegen einen ungerechten Angreifer ist danach entsprechend den scholastischen Lehren zulässig zur Verteidigung des eigenen Lebens sowie weiterer Rechtsgüter bei gegenwärtiger Gefahr); s.a. umfassend zu den Notrechten Recknagel, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 198 ss., 217 ss. 522 So etwa Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap.  21 N.  10 zur Konfiskation des Vermögens der Eltern, die nicht als wahre bzw. eigentliche Strafe der Kinder eingeordnet wird („proprie ea poena non est“), ferner auch N. 11 („poena in illis proprie non est; non ea vere poena est“). 523 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 21 N. 13 ff. 524 S.  Hüning, in: ders. (Hrsg.), Naturrecht und Staatstheorie, S.  71, 85 f. zu Hobbes und Pufendorf; s. insbesondere Pufendorf, De Officiis, Lib. II Cap. XIII  §§ 4 ff. (§ 4: „Invitis autem poena est infligenda, quia alias illa non obtineret finem suam, qui est acerbitate sua homines a peccatis deterrere“; § 7: „Genuinus poenarum humanarum finis est praecautio laesionum & injuriarum“). 525 Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 6 ff. Zur Frage, ob Strafe zur ausgleichenden oder verteilenden Gerechtigkeit gehört, s. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 2. 526 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 28, p. 165; Chap. 26, p. 140. 527 Vgl. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 27, p. 152, 156 s.; Hüning, in: KesperBiermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 77, 100; ders., in: ders. (Hrsg.), Naturrecht und Staatstheorie, S. 71, 76.

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hoc est, peccatum sit)528, welche jemand begangen, unterlassen, gesagt oder gewollt hat gegen die Vernunft des Gemeinwesens, d.h. gegen die Gesetze“.529 Unter „Verbrechen“ (crime) versteht Hobbes wiederum „eine Sünde“ (sinne), die darin „besteht, etwas vom Gesetz Verbotenes zu tun oder etwas vom Gesetz Gebotenes zu unterlassen“.530 Es gilt danach, dass „jedes Verbrechen eine Sünde, aber nicht jede Sünde ein Verbrechen ist“: während Sünde (peccatum) „jede Abweichung vom Gesetz“ (all manner of deviation from the Law) umfasst, bezeichnet Verbrechen (crimen) nur die vor den menschlichen Gerichten anklagbaren Taten, worunter bloße Absichten (intentions) nicht fallen.531 Insoweit bezieht sich die staatliche Strafkompetenz nur auf äußere Handlungen. 4.4.7.2.2 Die Begründung der Strafbefugnis Grotius’ Strafrechtslehre unterscheidet sich insoweit von der scholastischen Tradition, als er Strafen naturrechtlich nicht hoheitlich als vielmehr privat begründet, dahingehend nämlich, dass es naturrechtlich ein Recht auf Strafe (ius ad puniendum) gibt.532 So diskutiert Grotius die Frage, wer strafen darf und 528 Diese Wendung entspricht etwa Lessius (Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  7 Dub. 6 N. 22: culpa idem est, quod peccatum), dazu oben S. 440, womit er nicht auf den „juristischen“, sondern den „theologischen“ culpa-Begriff zurückgreift. Peccatum ist bei Lessius wiederum eine Gesetzesverletzung (legis inobedientia); s. Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 7 Dub. 1 N. 1 f. 529 Hobbes, De Cive, XIV, N. 17; dazu Hüning, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 77, 100. 530 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap.  27, p.  151. Zum peccatum-Begriff s.a. Hobbes, De Cive, XIV, N.  17; hierzu auch Hüning, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 77, 97 f. 531 S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 27, p. 151 s., wonach crime das Bestehen eines civill law voraussetzt; vgl. zur Ähnlichkeit der begrifflichen Abgrenzung mit derjenigen bei Deciani, dazu oben S. 427 f. 532 Dazu auch Hüning, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 93, 99 ff., 104 ff.; ders., in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 77, 82 ff.; s. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 2, 3, 8, 14, 40. Dies wurde auch bei den Spätscholastikern diskutiert, dort aber überwiegend verneint, da die Strafbefugnis entsprechend dem naturrechtlichen Staatsverständnis bereits grundsätzlich als Teil der politischen Gewalt rein hoheitlich begründet wird und es folglich keine private, sondern nur eine hoheitliche staatliche Strafgewalt gibt (s. dazu oben S. 455 ff. sowie Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 22 N. 9 f.; Disp. 100 N. 6 f.; Lugo, De Iustitia et Iure, Disp. X Sec. 2 N. 74 ff.; Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 123 f.; vgl. auch Hüning, in: Byrd/Hruschka/Joerden [Hrsg.], Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 93, 102 f.). Teilweise wird so auch davon ausgegangen, dass die Strafgewalt nicht Gegenstand der Übertragung der politischen Gewalt sei, da kein vorstaatliches privates Strafrecht bestanden habe, das den Privaten zugestanden habe, und folglich unmittelbar von Natur aus den Regierenden zukomme (s. Schnyder, Tötung und Diebstahl, S. 123 f.; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 22 N. 9 zur Auseinandersetzung, ob die Privaten ihre

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verneint in ausdrücklichem Gegensatz zu Thomas und den Spätscholastikern, dass von Natur her das Bestrafungsrecht nur der Obrigkeit zustehe533 und dass die Strafgewalt (potestas puniendi) Folge der staatlichen Gerichtsbarkeit (iurisdictio civilis) sei und damit Gerichtsbarkeit voraussetze.534 Vielmehr sei nach dem Naturrecht auch eine Privatstrafe, die von dem Verletzten oder einem anderen535 vollstreckt wird, innerhalb angemessener Grenzen zulässig, da aus der Straftat des Schädigers selbst ein Recht zur Bestrafung (ius ad puniendum) resultiert.536 Grund sei, dass derjenige, der eine Straftat begeht, gleichsam durch die Tat in seine Bestrafung einwilligt, da er erkennen muss, dass die Straftat eine Strafe verdient.537 Ähnlich begründet auch Locke eine naturrechtliche private Strafbefugnis im Naturzustand, die mit Staatsgründung und dem Verzicht der Einzelnen auf die politische Gemeinschaft übergeht.538 Umgekehrt wird bei Pufendorf wiederum die Strafgewalt als wesentliches Charakteristikum und Teil der hoheitlichen Gewalt dem Staat zugeordnet.539 Im Naturzustand gibt es danach kein Recht auf Bestrafung, nur dem Inhaber

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Strafgewalt auf das Gemeinwesen übertragen haben). So erörtert Molina etwa, ob selbst in dem Fall eines Landes, das über keine Regierung verfügt, sondern nur aus einzelnen Familien besteht, die Einzelnen kraft privater Vollmacht Strafe für begangenes Unrecht nehmen könnten (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 100 N. 6 f.; s.a. Tract. II Disp. 22 N. 9 f.; Tract. III Disp. 6 N. 1). Er argumentiert entgegen Navarrus, dass auch dann die Strafbefugnis nur dem Gemeinwesen als solchem zustehe (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 100 N. 6 f.; Disp. 715 N. 8; Tract. III Disp. 6 N. 1). Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 1 ff., 3 unter Bezugnahme auf Thomas. S.  Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap.  20 N.  40 (u.a. gegen Molina und Vitoria); s. Hüning, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 93, 105; ders., in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 77, 81 ff., 86 f.; Hartung, in: Palladini/Hartung (Hrsg.), Samuel Pufendorf und die europäische Frühaufklärung, S. 123, 128 ff. Dazu auch Hüning, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 93, 109. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 2, 8. S. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. II Cap. 20 N. 2; dazu auch Sellert/Rüping, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 357. S. etwa Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 7 ss. (§ 7: „every one has a right to punish the transgressors of that law“), § 87 (zur Begründung der Strafgewalt durch die politische Gewalt nach dem Verzicht bzw. der Übertragung durch die Einzelnen); dazu Hüning, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 77, 90 ff.; Tuck, Natural rights theory, p. 62 s. (zur insoweit identischen Position von Grotius und Locke). S. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VIII Cap. III §§ 1 ff.; dazu Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S.  188 ff.; Behme, Samuel von Pufendorf, S. 138 f.; Hüning, in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 93, 119 f., 123; ders., in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S.  77, 110 ff.; ders., in: ders. (Hrsg.), Naturrecht und Staatstheorie, S.  71,

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staatlicher Gewalt steht aufgrund des Staatsgründungsvertrages die Strafkompetenz als hoheitliches Recht zu.540 Mit anderer Begründung ist zuvor auch Hobbes für ein hoheitliches Strafrecht eingestanden.541 Nach Hobbes ist Strafe (punishment) dabei „ein von der öffentlichen Macht auferlegtes Übel, das demjenigen zugefügt wird, der etwas getan oder unterlassen hat, was von derselben Macht als Gesetzübertretung beurteilt wird“.542 Die Strafbefugnis ist dem Staat dabei nicht von den Einzelnen als Recht, das vorher den Einzelnen zugestanden hätte, übertragen worden. Vielmehr kommt dieses Recht dem Staat nach Staatsgründung als Folge dessen zu, dass die Einzelnen auf ihr Recht auf alles, das sie im Naturzustand hatten, verzichtet haben und folglich jetzt der Staat dieses Recht auf alles hat.543 Hobbes tritt so für ein striktes staatliches Strafmonopol ein, das jegliche private Strafe ausschließt.544 Gerade darin zeigt sich der innovative Ansatz bei Hobbes, der ähnlich wie beim Gesetzesbegriff ausschließlich staatliche Maßnahmen unter dem Strafbegriff erfasst. 4.4.7.2.3 Die Zurechnungslehre bei Pufendorf Bei Pufendorf nimmt schließlich die Thematik der Zurechnung (imputatio)545 und der Zurechenbarkeit (imputivitas) eine zentrale Rolle546 ein, die er

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80 ff.; Hartung, in: Palladini/Hartung (Hrsg.), Samuel Pufendorf und die europäische Frühaufklärung, S. 123, 131 ff. Hüning, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 77, 111. Unterschiede zu den Spätscholastikern ergeben sich durch die unterschiedliche Begründung der politischen Gewalt und des Staates, s. dazu unten S. 502 ff., 518 ff.; während nämlich etwa Molina davon ausgeht, dass die Strafbefugnis der politischen Gemeinschaft als Teil der politischen Gewalt zusteht, welche naturrechtlich der einmal gegründeten politischen Gemeinschaft von Gott als Urheber des Naturrechts zukommt (Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 22 N. 9; Tract. III Disp. 6 N. 1), geht Pufendorf davon aus, dass die politische Gewalt und damit die Strafbefugnis durch den Staatsgründungsvertrag begründet werden. Hierzu Hüning, in: Kesper-Biermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 77, 106 ff. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 28, p. 161. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap.  28, p.  161 s.; dazu Hüning, in: KesperBiermann/Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, S.  77, 108 f.; ders., in: ders. (Hrsg.), Naturrecht und Staatstheorie, S. 71, 82. S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 28, p. 162; dazu auch Grunert, in: Grunert/ Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 313 f. Dazu Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. I Cap. IX. Hierin, d.h. in der Zentralität der Zurechnungslehre, sieht etwa Hruschka den Unterschied zu Thomas und Aristoteles, s. Hruschka, in: Schröder (Hrsg.), Die Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie, S. 163 f.

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Kapitel 4

systematisch ausarbeitet.547 Grund der Zurechnung einer Handlung zu jemandem ist, dass es in dessen „Macht und Vermögen steht“ (in potestate & facultate alicuius), dass eine Handlung „geschieht oder nicht geschieht“.548 Entsprechend der aristotelisch-thomistischen Lehre sind Zurechnungsvoraussetzungen der Wille (voluntas) und der Intellekt (intellectus) des Menschen als Spezifika der menschlichen Natur, Gegenstand der Zurechnung sind willentliche Handlungen (actiones voluntariae).549 Nicht zurechenbar sind damit u.a. Wirkungen, die „aus physischer Notwendigkeit“ folgen, ferner unter Zwang begangene Handlungen.550 Pufendorf greift auch die Unkenntnis (ignorantia) als Zurechnungsausschluss auf.551 Diese Zurechnungslehre, wie sie sich bei Pufendorf findet, wird auch die weiteren strafrechtlichen Diskussionen des 18. und 19. Jahrhunderts wesentlich beeinflussen.552

547 Zur Zurechnung bei Pufendorf s. Hardwig, Die Zurechnung, S.  35 ff.; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 19; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 80 ff. (auch zum Verhältnis zu Thomas und Aristoteles); Sellert/Rüping, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 352 ff. Soweit Denzer (aaO, S. 81 f.; ähnlich Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, S. 102 Fn. 7) vertritt, dass es das Neue bei Pufendorf sei, dass es bei Pufendorf im Gegensatz zu Thomas und Aristoteles nicht nur um die Zurechnung einer Handlung als gut oder schlecht, d.h. im Hinblick darauf, ob sie tugendhaft ist, geht, sondern um die Zurechnung einer Handlung dahingehend, ob hieraus Rechte, Pflichten oder Strafen resultieren, trifft dies zwar auf Aristoteles zu, aber nicht auf Thomas. Es ging auch bei Thomas und den Spätscholastikern um die Frage, ob eine Handlung oder Handlungsfolgen zurechenbar sind als Sünde (oder Verdienst), sodass daran Rechtsfolgen geknüpft werden können, etwa ob eine Handlung restitutionsverpflichtend ist oder ob eine Handlung Strafwürdigkeit herbeiführt. Zurechnung und Schuld sind Voraussetzung der Strafbarkeit, auch hier geht es also um rechtliche Zuordnung. S. hierzu umfassend zuvor S.  429 ff.; vgl. auch etwa Städtler, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 51; Gläser, Zurechnung bei Thomas v. Aquin, S. 26 ff., 129 ff., 137 ff., 154 ff. 548 Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. I Cap. V § 5. 549 Vgl. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. I Cap. V § 1; grundsätzlich auch Cap. III (De intellectu hominis) und IV (De voluntate hominis); s. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 80 f., ferner 74 ff. u. 77 ff. 550 Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. I Cap. V § 6, 9. 551 Dazu Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. I Cap. V § 10. 552 Dazu Hardwig, Die Zurechnung, S.  35 ff., 46 ff. (auch zur weiteren Entwicklung der Zurechnungslehre bei Feuerbach); Hruschka, in: Schröder (Hrsg.), Die Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie, S.  163 ff.; Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, S. 102 ff. (generell zur voluntaristischen Zurechnungslehre); Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 9. Kap. Rn. 19.

Kapitel 5

Die politische Ordnung In den bisherigen Kapiteln wurde vor allem der Einfluss der thomistischen und spätscholastischen Tradition auf die konkrete zivil- und strafrechtliche Rechtsordnung thematisiert. Eine grundlegende Frage wurde aber bislang nur am Rande gestreift, nämlich jene nach der Begründung der politischen Ordnung sowie dem Verhältnis von Kirche und „Staat“1. Mit diesen Fragen wird sich das folgende Kapitel beschäftigen. Wie sich zeigen wird, kommen wesentliche Impulse hier wiederum von der Anthropologie und der Willensmetaphysik; der Lehre vom moralischen Sein2; der durch die Bußtheologie begründeten Dualität der Foren sowie generell der aristotelisch-naturrechtlichen Betrachtungsweise von Staat und Gemeinwesen. 5.1

Die politische Theorie bei Thomas v. Aquin

Thomas entwickelt keine systematische „Staatslehre“ und keine abschließende Klärung des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Gewalt.3 Gleichwohl finden sich neben seinem „Fürstenspiegel“ „De Regno“4 auch in der Summa Theologiae in Zusammenhang mit den Ausführungen über die Gesetze und die Gerechtigkeit Aussagen bezüglich Inhalt und Begründung politischer Gewalt

1 Wenn hier nun vom „Staat“ gesprochen wird, dann ist zu berücksichtigen, dass der „Staat“ erst ein neuzeitliches Phänomen ist, s. dazu etwa Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 4 ff. Daher wird es, soweit Thomas und die mittelalterliche politische Theorie behandelt werden, vermieden, vom Staat zu sprechen, stattdessen wird auf den Begriff der politischen Ordnung oder des Gemeinwesens rekurriert. Anders dagegen im Hinblick auf die Spätscholastik des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts – gerade in Spanien haben sich bis dahin wesentliche Merkmale neuzeitlicher Staatlichkeit herausgebildet, die es durchaus rechtfertigen, insoweit vom „Staat“ zu sprechen. 2 Vgl. dazu auch Schweighöfer, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 23, 34 ff. 3 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 261. 4 Dazu Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 171, 181 f.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S.  25 ff.; Gotzmann, in: Zimmermann (Hrsg.), Thomas von Aquin, S. 286, 291 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 740 ff.; Schockenhoff, ThPh 76 (2001), 338, 346 f.

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657795413_006

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Kapitel 5

sowie die Bedeutung der geistlichen Gewalt5, die den Spätscholastikern als Anknüpfungspunkt ihrer politischen Theorie und Staatsphilosophie dienen. 5.1.1 Die Begründung politischer Gewalt In „De Regno“ leitet Thomas die Notwendigkeit politischer Gewalt in Anknüpfung an Aristoteles6 aus dem sozialen Wesen des Menschen ab.7 Der Mensch ist hiernach „ein soziales und politisches Wesen (animal sociale et politicum), das in der Gemeinschaft lebt“.8 Im Gegensatz zu den Tieren hat der Mensch von Natur aus die Vernunft, durch die er sich das zum Leben Notwendige besorgen kann.9 Weil aber der Mensch dies nicht alleine erreichen könne, müsse er „in einer Gesellschaft“ leben, in der „man sich gegenseitig hilft und durch die Vernunft mit verschiedenen Tätigkeiten beschäftigt“.10 Daraus folgt nach Thomas, dass, „weil es für den Menschen natürlich ist, dass er in der Gemeinschaft lebt, es auch notwendig […] ist, dass diese Gemeinschaft regiert wird“.11 Wäre das nicht der Fall, „würde sich die Gemeinschaft wieder auflösen“.12 Daher bedarf sie einer regierenden Instanz (aliquod regitivum; vis regitiva).13 Die Gesetzgebungsgewalt (potestas condendi legem) steht nach Thomas nun „entweder der ganzen Gemeinschaft oder derjenigen öffentlichen Person zu, die die Sorge für die ganze Gemeinschaft trägt“.14 Thomas thematisiert dabei die diversen Herrschaftsformen nach Aristoteles.15 Danach sind zwar Monarchie und Aristokratie als Herrschaftsform „vorzugswürdig“, allerdings ist nach Thomas eine gemischte Regierungsform „am besten“, die durch einen vom Volk gewählten Herrscher geleitet wird, mit dem weiterhin andere untergeordnet mitregieren.16 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 261. Zu Aristoteles’ Polisphilosophie s. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 121 ff. Im Unterschied zu Aristoteles steht freilich bei Thomas die Dualität von geistlicher und weltlicher Gewalt, vgl. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 40. Hierzu und zum Folgenden Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 32 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  262 ff.; Schockenhoff, ThPh  76 (2001), 338, 345 ff. sowie Thomas v. Aquin, De Regno, Lib. I Cap. I. Thomas v. Aquin, De Regno, Lib. I Cap. I. Thomas v. Aquin, De Regno, Lib. I Cap. I. Thomas v. Aquin, De Regno, Lib. I Cap. I. Thomas v. Aquin, De Regno, Lib. I Cap. I. Thomas v. Aquin, De Regno, Lib. I Cap. I. Thomas v. Aquin, De Regno, Lib. I Cap. I. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,3 resp.; q. 97,3 ad tert.; vgl. auch II–II, q. 50,1 resp. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 105,1 resp.; s.a. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 38 ff. Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 105,1 resp.; dazu auch Schockenhoff, ThPh 76 (2001), 338, 352 f. Schließlich rekurriert Thomas zwar weder in De Regno noch in der Summa

Die politische Ordnung

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5.1.2 Das Verhältnis geistlicher und weltlicher Gewalt Hinsichtlich des Verhältnisses von Gemeinwesen und Kirche unterscheidet Thomas in Anknüpfung an die kanonistische Zwei-Gewalten-Lehre17 zwischen weltlicher (potestas saecularis) und geistlicher Macht (potestas spiritualis).18 So wie die weltliche Gesetzgebung darüber Bestimmungen trifft, „was sich auf den gemeinsamen Nutzen in zeitlichen Dingen (in temporalibus rebus) bezieht“, so regelt die kirchliche Gesetzgebung das, „was sich auf den gemeinsamen Nutzen der Gläubigen in geistlichen Gütern (in spiritualibus bonis) bezieht“.19 Er unterscheidet also zwischen den Aufgabenbereichen (zeitlich – geistlich) weltlicher und geistlicher Macht, die grundsätzlich verschieden sind, und geht zunächst von einer grundsätzlichen Gleichordnung beider Gewalten aus.20 Die weltliche Macht ist der geistlichen allerdings insoweit untergeordnet, als es um Aufgaben der geistlichen Gewalt geht.21 Soweit es um die politischen Aufgaben (bonum civile) geht, „muss man der weltlichen Gewalt mehr als der geistlichen gehorchen“.22 Soweit es hingegen um das Seelenheil (salus animae) geht, „muss man der geistlichen Gewalt mehr […] gehorchen“.23 Geistliche und weltliche Gewalt sind also voneinander getrennt und unterscheiden sich in Ziel und Aufgaben, sind aber in gewisser Weise aufeinander zu- und hingeordnet.24 Umgekehrt bleibt aber unklar, wie weit die geistliche Gewalt reicht und wie sich die Abgrenzung von geistlicher und weltlicher

17 18 19 20 21 22 23 24

Theologiae, gleichwohl aber an einer anderen Stelle auf das Gesetz als Vertrag zwischen Herrscher und Volk (pactum inter regem et populum; s. Thomas v. Aquin, Commentarium super Epistulam B. Pauli ad Romanos, Cap. 13 Lectio I; dazu auch Aubert, Le Droit Romain dans l’Oeuvre de Saint Thomas, p. 84 ss.; s. ferner Schilling, Die Staats- und Soziallehre, S. 85 ff.) – allerdings gewinnt der Vertragsgedanke für die politische Theorie erst in der Spätscholastik wesentliche Bedeutung. S.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 270 f. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 60,6 ad tert.; hierzu Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 40 ff.; Schockenhoff, ThPh 76 (2001), 338, 345 ff., 359 ff.; Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 78 ff. Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 147,3 resp. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 271; s.a. Thomas v. Aquin, De Regno, Lib. I Cap. XV; vgl. Schockenhoff, ThPh 76 (2001), 338, 365 f. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 271. Thomas v. Aquin, Sent. Lib. II Dist. 44 q. 2,3 exp. text.; vgl. auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 269 f.; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 40. Thomas v. Aquin, Sent. Lib. II Dist. 44, q. 2,3 exp. text.; Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 269 ff.; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 40, 42; s. ferner auch Thomas v. Aquin, STh, II–II, q. 60,6 ad tert. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 40; s.a. Schockenhoff, ThPh 76 (2001), 338, 351 f., 353 ff., 365, 366 zur Hinordnung der weltlichen Gewalt darauf, den Menschen „auf die Erlangung seines höchsten Zieles vorzubereiten“.

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Kapitel 5

Gewalt im Konkreten vollziehen kann.25 Ungeachtet der Unvollständigkeit dieser Theorien werden für die weitere Entwicklung vor allem zwei Gesichtspunkte relevant, die bereits bei Thomas grundgelegt sind: zum einen die aristotelisch geprägte, naturrechtliche Begründung der politischen Gewalt und des Gemeinwesens, die an die Natur des Menschen als sozialem Wesen anknüpft; zum anderen die Unterscheidung geistlicher und weltlicher Gewalt in Ziel, Inhalt und Aufgaben.26 5.2

Die politischen Entwicklungen im 13.–16. Jahrhundert

5.2.1 Die Kanonistik und die Zwei-Gewalten-Lehre Indem Thomas eine Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Gewalt vornimmt und diese in Bezug auf ihre Aufgaben abgrenzt, steht er im Kontext der zeitgenössischen kanonistischen Diskussion. In der Kanonistik des 12./13. Jahrhunderts hat sich die sog. Zwei-Schwerter-Lehre herausgebildet, die ursprünglich bereits von Papst Gelasius (492–496) entwickelt worden ist.27 Danach gibt es zwei Schwerter, ein weltliches, das der politischen Gewalt übertragen ist, und ein geistliches, das der Kirche anvertraut ist. Innerhalb der Kanonistik sowie zwischen verschiedenen Päpsten findet diese Theorie verschiedene Ausprägungen. Während Innozenz III. eher einer „moderaten“ Position folgt, zeigen sich insbesondere bei Innozenz IV. und Bonifaz VIII. Positionen, die die weltliche Macht der geistlichen schlechthin unterordnen und daher als „hierokratisch“ zu bezeichnen sind.28 Es geht hierbei um das Verhältnis der beiden Schwerter und die Frage, ob und inwiefern das weltliche Schwert dem geistlichen Schwert untergeordnet ist und hiervon

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27 28

Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S.  42; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 270 f. Vgl. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S.  32 ff., 40 ff., 44 f. (auch zur „gespaltenen Rezeption“ der thomasischen Theorie, die einerseits von den Papalisten [Aegidius Romanus], andererseits deren Gegnern [Johannes von Paris] verwendet wurde); s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  271 f.; Schockenhoff, ThPh 76 (2001), 338, 361 ff., 366; ferner zu Thomas’ Einfluss bei Bellarmin Tutino, Empire of Souls, p. 25 ss. Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  440; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 271; s.a. Schockenhoff, ThPh 76 (2001), 338, 366. Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 440; s.a. Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 171, 182 ff.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S. 68 ff., 83 ff.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 299 ff., 302 ff.

Die politische Ordnung

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abhängt.29 Die Kirche steht dabei in Konflikt einerseits mit den entstehenden „Territorialstaaten“, d.h. insbesondere Frankreich, andererseits mit dem Universalitätsanspruch des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, der seinerseits wiederum in Konflikt mit den Territorialherren gerät.30 Bei Papst Innozenz III. (1160/61–1216) wird etwa noch die Dualität und Verschiedenheit von weltlicher (potestas secularis) und kirchlicher Gewalt (potestas eccelsiastica) betont.31 Der geistlichen Gewalt kommt grundsätzlich nur in Notstandssituationen ein Eingriffsrecht in den Bereich der weltlichen Gewalt zu.32 Die weltliche Macht des Papstes beschränkt sich daher auf den Kirchenstaat (patrimonium Petri).33 Demgegenüber finden sich auf kurialer Seite insbesondere im Pontifikat Bonifaz’ VIII. (1235–1303) verschiedene Vertreter, die davon ausgehen, dass die weltliche Macht der geistlichen Macht untergeordnet ist und dass dem Papst als höchster Instanz vollkommene Macht (plenitudo potestatis) zukommt.34 Diese papalistisch-kuriale Position, die die geistliche Gewalt stärker betont und letztlich für eine päpstliche Universalherrschaft bzw. Hierokratie eintritt, entfaltet wesentlichen Einfluss auf die Bulle Unam Sanctam Bonifaz’ VIII. (1302), die in Zusammenhang mit dem Konflikt mit dem französischen König Philipp dem Schönen erlassen worden ist und schließlich zum Exil der Päpste in Avignon sowie zum Abendländischen Schisma führte – darauf wird gleich noch näher einzugehen sein.35 5.2.2 Die Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser Die politische Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser gewinnt zunächst Mitte des 13. Jahrhunderts Bedeutung, als Stauferkaiser Friedrich II. und Papst Innozenz IV. in Konflikt geraten.36 Im 14. Jahrhundert, als sich die Päpste bereits im Exil in Avignon befinden, gewinnt die Auseinandersetzung 29 30 31 32 33 34 35 36

Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 270 f. Zu diesen Konflikten Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 453 ff.; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 50 ff., 68 ff., 204 ff.; s.a. grundsätzlich zur politischen Theorie des Mittelalters Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 171, 173 ff. Wolter, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 176 f.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 303, 306. Wolter, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 176. Wolter, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 176 f. Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  441 f.; zu Aegidius Romanus Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 171, 182 ff., 187 ff.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S. 94 ff. Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S.  171, 184 ff.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S.  50 ff., 68 ff., 83 ff.; Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 441; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 297 f., 302 ff. Hierzu Wolter, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 237 ff.

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Kapitel 5

zwischen Papst und Kaiser erneut Aktualität, als nämlich Papst Johannes XXII. und Kaiser Ludwig der Bayer aus diversen Gründen in Konlikt geraten.37 Während dieser Zeit sind insbesondere der Franziskaner Wilhelm von Ockham, der infolge des franziskanischen Armutsstreits 1328 mit anderen Franziskanern zum Kaiser nach München geflohen ist, sowie der zuvor an der Pariser Universität38 wirkende Marsilius von Padua (1275/80–1343), der 1326 ebenfalls nach München kam, Gegner der geschilderten kurialen Auffassung.39 5.2.2.1 Marsilius von Padua Marsilius von Padua argumentiert in seinem bereits 1324 abgeschlossenen Werk „Defensor Pacis“ („Verteidiger des Friedens“) grundsätzlich gegen den Einfluss des Papstes in weltlichen Dingen und eine zeitliche Macht der Kirche.40 Auch bei Marsilius tritt dabei ein aristotelisch geprägter Ansatz zur Begründung der politischen Gewalt hervor.41 Allerdings folgt die Begründung hier nicht so wie bei Aristoteles und Thomas der Geselligkeit der menschlichen vernunftbegabten Natur; als Ausgangspunkt dient vielmehr die Vorstellung der Menschen als Mängelwesen, die sich zusammenschließen müssen, um ihren Lebensunterhalt gegen Bedrohungen sichern und gut leben zu können – also ähnlich wie später bei Hobbes.42 Die menschliche Gemeinschaft ist somit ein willentlicher Zusammenschluss zum Zwecke der Lebenssicherung, der aus dem Willen der Menschen zur Selbsterhaltung folgt und dessen wesentlicher Zweck in der Friedenssicherung liegt.43 37 38 39

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41 42 43

Dazu etwa Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  456 f.; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 224 ff. Zu Marsilius und seiner Zeit an der Pariser Universität insbesondere Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 204 ff., 207 ff. Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  444; Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S.  171, 191 ff., 196 ff.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S. 204 ff., 221 ff., 248 ff., 272 ff.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 456 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 314 ff., 323 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 852 ff., 864 ff. Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  444 ff.; Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 171, 191 ff.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S. 204 ff., 212 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 321, 327 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 865. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 206 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 322 f. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S.  213; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 324; s. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. I Cap. 1 §§ 1 ff.; Cap. 3 §§ 4 f.; Cap. 4 §§ 1 ff. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 213 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 323 f.

Die politische Ordnung

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Die politische Gewalt besteht grundsätzlich im „Volk“ als dem Zusammenschluss der Menschen. Dieses verfügt als menschlicher Gesetzgeber (legislator humanus) über die Gesetzgebungsmacht und setzt die Regierenden ein.44 Gesetze erhalten ihre Wirksamkeit durch den Prozess der Gesetzgebung und ihre Ableitung vom Gesetzgeber, selbst wenn sie inhaltlich unvernünftig oder ungerecht sind; Wesenskriterium des Gesetzes ist die Zwangskraft (preceptum coactivum45), die die Befolgung des Gesetzes erzwingen kann.46 Die Zwangskraft und damit die Gesetzgebungskompetenz für menschliche Gesetze kommen aber grundsätzlich nur der „Gesamtheit der Bürger oder deren gewichtigerem Teil“ zu.47 Nur diese sind folglich legitimer Gesetzgeber, nicht hingegen die Kirche oder die geistliche Gewalt.48 Marsilius tritt damit für die Einheit der Gewalt im Gemeinwesen an, wendet sich gegen jegliche Form einer Zwei-Gewalten-Lehre und geht davon aus, dass sämtliche sonstige nebenstaatliche Gewalt nur aufgrund von Delegation duch den Staat bestehen kann.49 Kirchlichen Gesetzen kann danach nur dann Verpflichtungs- oder Zwangswirkung zukommen, wenn der menschliche Gesetzgeber diese erlassen oder sich zu Eigen gemacht hat.50 Die Kirche oder geistliche Ordnung kann danach eine Zuständigkeit nur als delegierte

44 45 46

47 48 49 50

Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  445; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  325 f.; s. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. I Cap. 8 § 1; Cap. 12 §§ 1 ff. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. I Cap. 10 §§ 4 f. Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S.  171, 194 f.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S.  214 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 331 f., 334 ff. (auch näher zur Gesetzeslehre bei Marsilius); s.a. Kaufmann, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 9, 26 („Daher lässt sich sehr wohl sagen, dass Marsilius die Frage nach der Richtigkeit des Gesetzes in erheblichem Maße zugunsten der Frage nach dem legitimen Gesetzgeber zurückdrängt“); Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 869 ff.; s. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. I Cap. 8 § 1; Cap. 12 §§ 1 ff.; Cap. 10 §§ 4 f.; Dic. II Cap. 12 §§ 3 ff., § 9. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. I Cap. 12 §§ 3, 5 („legislatorem seu causam legis effectivam primam et propriam esse seu civium universitatem aut eius valenciorem partem […]“); dazu auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 871 ff. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 216 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  322, 325 f., 327 f.; vgl. Marsilius v. Padua, Defensor Pacis, Dic. II Cap. 9 §§ 2 f. Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  445; Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 171, 192; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S. 212 f.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 866 f. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 219; s.a. Kaufmann, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 9, 23.

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Zuständigkeit vom menschlichen Gesetzgeber ableiten. Sie verfügt grundsätzlich über keine äußere Jurisdiktion oder Gerichtsbarkeit.51 5.2.2.2 Wilhelm von Ockham Wilhelm von Ockham vertritt demgegenüber eine Zwei-Gewalten-Lehre, wobei er trotz Trennung und Verschiedenheit der jeweiligen Aufgaben (zeitlich – geistlich) von einer gewissen Hinordnung und Ergänzung beider Gewalten zueinander ausgeht.52 Grundlegend ist dabei der Gedanke, dass die politische Gewalt nicht wie bei Thomas gleichsam naturhaft-teleologisch besteht, sondern von den Menschen auf die Herrschenden übertragen werden muss, um rechtmäßig zu sein, da niemand gegen den Willen der Betroffenen als deren Herrscher eingesetzt werden dürfe.53 Für die Einsetzung eines Herrschers bedarf es der Zustimmung und Wahl des Volkes; so wie einem Volk die Gesetzgebung zusteht, kann es auch einen Herrscher wählen.54 Der Ursprung der politischen Gewalt liegt nach Ockham zwar bei Gott, aber nicht bei „Gott 51

52

53 54

Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  446 f.; Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S.  171, 193; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 329 f. (auch zur Diskussion, inwieweit die Kirche bei Marsilius ihre Eigenständigkeit verliert und dem Gemeinwesen untergeordnet ist); Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 866 f. Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  445, 448 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  318 f.; Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S. 171, 196 ff.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S. 272 ff. Weltliche und geistliche Gewalt sind danach unabhängig voneinander und auch in ihren Aufgaben verschieden (s. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 318 f.). Während die weltliche Gewalt für die zeitlichen Dinge zuständig ist (temporalia), obliegt der geistlichen Gewalt die Zuständigkeit für die geistlichen Dinge (spiritualia) (Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  318 f.; s.a. Ockham, III Dialogus II ii, c. 20 [in: Miethke, Dialogus, S. 161 ff.]). Die geistliche Gewalt ist von Christus dem Papst übertragen, wobei diese geistliche Gewalt begrenzt ist und der Papst selbst der Universalkirche untergeordnet ist (Iserloh, in: Jedin [Hrsg.], Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  450 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 318). Gleichzeitig hat der Papst eine weltliche Gewalt in Notsituationen, in denen die weltliche Gewalt ausfällt und dies aus Gründen des Gemeinwohls erforderlich ist (Iserloh, in: Jedin [Hrsg.], Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 451; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 319; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 293 f.). Umgekehrt hat gleichermaßen auch der Kaiser ein Eingriffsrecht in die geistliche Gewalt in Notsituationen (Iserloh, in: Jedin [Hrsg.], Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  452; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S.  294; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 319). Vgl. Ockham, III Dialogus II iii, c. 6 (in: Miethke, Dialogus, S. 183); Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 315 f.; ferner Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 841, 848 ff. Ockham, III Dialogus II iii, c. 6 (in: Miethke, Dialogus, S. 183).

Die politische Ordnung

491

allein“, sondern bei „Gott durch die Menschen“.55 Gerade dieser Begründungszusammenhang der weltlichen Macht und die Unterscheidung von Erst- und Zweitursache werden von den Spätscholastikern aufgegriffen.56 Ockham zieht hier die Parallele zu seiner im Armutsstreit vertretenen Position: So wie das Eigentum (dominium) an Sachen dem positiven menschlichen Recht entspringt, wird auch die Herrschaft (dominium) durch positives menschliches Recht begründet und kann entsprechend übertragen werden.57 Die politische Ordnung unterliegt so dem menschlichen Gestaltungswillen, die Herrschaftsordnung kann durch die Menschen gestaltet werden.58 Den Herrschenden steht die Herrschaft als eigenes Recht zu, allerdings kann dieses Recht unter Umständen auch wieder entzogen werden, wobei sich Ockham mit den Widerstandsrechten auseinandersetzt.59 Die weltliche Gewalt ist dabei durch die Freiheit der Menschen und das Gemeinwohl begrenzt.60 Wie sich gleich noch zeigen wird, werden diese Positionen von Ockham und Marsilius v. Padua später auf die Spätscholastiker und dort insbesondere auf Suárez Einfluss ausüben.61 5.2.3 Die Auseinandersetzung zwischen Papst und König 5.2.3.1 Philipp der Schöne, Bonifaz VIII. und das Exil von Avignon Bereits vor dieser Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser hatte die Auseinandersetzung zwischen dem Papst und den französischen Königen zu tiefgreifenden Verwerfungen geführt. So gerieten wie erwähnt an der Wende 55 56 57 58 59 60 61

Ockham, III Dialogus II i, c. 26 (in: Miethke, Dialogus, S. 150); Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 316; Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 450. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 316. S. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 282 ff., 286; s.a. Ockham, III Dialogus II i, c. 29 (in: Miethke, Dialogus, S. 156); III Dialogus II ii, c. 24 (in: Miethke, Dialogus, S. 168); zum Eigentum bei Ockham s. oben bereits S. 285 ff. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S.  286; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 315 f. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S.  287 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 316; vgl. Ockham, III Dialogus II i, c. 29 (in: Miethke, Dialogus, S. 154 ff.). Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 449 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 317; vgl. auch Ockham, III Dialogus II ii, c. 23 ff. (in: Miethke, Dialogus, S. 165 ff.). Dazu unten S. 502 ff. Ferner bilden sie wohl auch einen Ausgangspunkt für die politische Theorie bei Thomas Hobbes, vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  332, 338; Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S.  219, 287; s.a. generell zur Bedeutung Marsilius von Paduas für die Spätscholastiker Kaufmann, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 9, 21 ss.

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zum 14. Jahrhundert Papst Bonifaz VIII. und der französische König Philipp der Schöne in Konflikt.62 Im Zuge dieses Konflikts erlässt Bonifaz VIII. 1302 die Bulle Unam Sanctam.63 Hierin argumentiert er, dass beide Schwerter, d.h. geistliches und weltliches ursprünglich von Gott der Kirche übertragen worden seien und die Kirche selbst das geistliche führe, das weltliche aber den Königen überlassen habe.64 Die geistliche Gewalt könne daher die weltliche Gewalt einrichten und über sie richten.65 Die kirchliche bzw. päpstliche Macht wird damit der weltlichen Macht übergeordnet, die so zu einem Werkzeug päpstlicher Regierung wird. Es zeigt sich hier der Gedanke einer päpstlichen Universalherrschaft.66 Die Auseinandersetzung zwischen Bonifaz VIII. und Philipp dem Schönen bildete so den Anlass für grundsätzliche wissenschaftliche Diskussionen zwischen den päpstlichen Kurialisten und den Vertretern der königlichen Seite, und legte damit den Grund der politischen Theorie der kommenden Zeit.67 Auf königlicher Seite sollte die Pariser Universität eine besondere Bedeutung einnehmen.68 Der Pariser Dominikanertheologe Johannes v. Paris (Johannes Quidort; gest. 1306), der sich in seinem Werk De regia potestate et papali (1302/1303) maßgeblich auf Thomas’ De Regno bezieht69, wird insoweit innerkirchlicher Vertreter einer Zwei-Gewalten-Lehre, nach der jede Gewalt ihren eigenen Ursprung, Ziele und Aufgaben hat.70 Mit dieser Position der Unabhängigkeit und Gleichberechtigung der weltlichen Gewalt ist er ebenso wie weitere Dominikanertheologen des frühen 14. Jahrhunderts Gegner der extensiven kurialen Auffassung, wie sie von Bonifaz VIII. geteilt wurde71; hieran werden auch die Spätscholastiker anknüpfen72.

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Wolter, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 350 ff.; hierzu auch Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S.  171, 184 ff.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S. 68 ff. Wolter, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 352 f. Wolter, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 352 f. Wolter, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 353. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  300 ff., 451; s.a. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 83 ff., 94 ff. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 45 ff., 78 ff., 83 ff., 109 ff. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 77, 82, 116 f. S.a. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 45, 121 f., 123 f. Iserloh, in: Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 443; Miethke, in: Willoweit (Hrsg.), Die Begründung des Rechts, S.  171, 189 ff.; ders., Politiktheorie im Mittelalter, S.  116 ff.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 313 ff. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter, S. 122 ff. Dazu Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 309 f.

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In der Folge dieser Auseinandersetzung wird Bonifaz VIII. Opfer des Attentats von Anagni, an dessen Folgen er 1303 stirbt.73 Anschließend wird der päpstliche Hof unter dem Einfluss der französischen Könige nach Avignon verlegt.74 Ende des 14. Jahrhundert kommt es schließlich zum Abendländischen Schisma, in dem sich zeitweise gleichzeitig drei Päpste gegenüberstehen.75 Mit dem Konzil von Konstanz 1415 und der Wahl von Papst Martin V. erfolgt die Beilegung des Schismas. Es folgt die Rückkehr der Päpste nach Rom.76 5.2.3.2

Frankreich und die Entstehung des frühneuzeitlichen Staates: Absolutismus und Gallikanismus Gerade Frankreich nimmt bei den weiteren Entwicklungen und der Entstehung neuzeitlicher Staatlichkeit im 15. und 16. Jahrhundert eine besondere Rolle ein und wird so auch exemplarisch für die Entwicklungen anderer Länder in der darauf folgenden Zeit.77 Es ist eine Entwicklung, an deren Ende Jean Bodin im 16. Jahrhundert die Prinzipien der staatlichen Souveränität und des Absolutismus theoretisch ausarbeiten wird.78 Die Entstehung des französischen Absolutismus erfolgt dabei in Auseinandersetzung mit den Päpsten sowie dem sog. Parlement von Paris, das als Senat eine Art oberste Gerichtsinstanz mit legislativen Kompetenzen ist und sich aus einem Kollegium von Laien und Klerikern zusammensetzt.79 Während in der Kirche Papst und Konzil (Konzil von Basel [1431–1449]) um den Vorrang streiten, wobei sich schließlich die Päpste (Papst Eugen IV.) gegen den Konziliarismus durchsetzen80, sehen sich die französischen Könige Beschränkungen ihrer Macht insbesondere durch das Parlement von Paris ausgesetzt.81 Das Parlement von Paris ist dabei eng mit der Pariser Universität ver-

73 74 75 76 77 78 79 80 81

Wolter, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 354. Iserloh, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 366 ff. Dazu Fink, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S.  490 ff.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 459 ff. Fink, in: Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 545 ff.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 468 ff. Hierzu insbesondere Lange, The First French Reformation, p. 1 ss., 21 ss. Lange, The First French Reformation, p. 1 ss., 52 ss., 260 ss.; s.a. Pennington, The Prince and the Law, p. 276 ss., 283 (zur Beeinflussung Bodins durch die mittelalterliche politische Theorie). Lange, The First French Reformation, p. 64 s. Hierzu Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  461 ff., 465 ff., 475 ff., 480 ff.; Oakley, The Conciliarist Tradition, p. 20 ss. et passim; Belda Plans, La Escuela de Salamanca, p. 20 s.; Lange, The First French Reformation, p. 42 ss. Vgl. auch Figgis, Studies of Political Thought from Gerson to Grotius, p. 31 ss.

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bunden.82 So wie sich die Kanonisten und Theologen der Pariser Universität innerkirchlich gegen den päpstlichen Absolutismus und für den Konziliarismus einsetzen, ergreifen sie innerstaatlich gegen die königlichen absolutistischen Bestrebungen und für eine stärkere Macht des Parlaments und damit für eine Art „Konstitutionalismus“ Partei.83 Ideengeschichtliche Bedeutung kommt in diesem Konflikt auch dem bereits mehrfach erwähnten Kanzler der Sorbonne Jean Gerson als frühem Vertreter des Konziliarismus zu.84 Zunächst verdrängen das Parlement von Paris und die französischen Könige die Kirche weitgehend aus dem forum externum und erlangen so umfassende territoriale Gerichtsbarkeit.85 In der Pragmatischen Sanktion von Bourges (1438), die Resultat einer vom französischen König auf Initiative der Pariser Universität einberufenen Nationalsynode ist und hierbei Dekrete des Konzils von Basel umsetzt, wird zunächst die Appelationsmöglichkeit an den Papst weitgehend eingeschränkt; ferner wird hierin die Superiorität des Konzils gegenüber dem Papst festgehalten86.87 Das Parlement von Paris wendet sich in der Folge zugunsten staatlicher Gerichtsbarkeit insbesondere gegen die Jurisdiktion kirchlicher Gerichte in zeitlichen Angelegenheiten und erlangt gleichzeitig auch Berufungszuständigkeit gegen Urteile in geistlichen Angelegenheiten.88 So dürfen bestimmte Berufungen nicht mehr an kirchliche Appelationsgerichte bzw. den Papst, sondern nur noch an die Parlements bzw. staatliche Gerichte gerichtet werden; gegen den Missbrauch kirchlicher Amtsgewalt wird eine Klagemöglichkeit vor staatlichen Gerichten eingerichtet (sog. recursus ab abusu); Kleriker werden zunehmend der weltlichen Gerichtsbarkeit für Straftaten unterstellt, wodurch das kirchliche privilegium fori, nach dem die Strafgewalt über Kleriker den kirchlichen Gerichten zusteht, aufgehoben

82 83 84 85 86

87 88

Lange, The First French Reformation, p. 59 ss., 65 ss. Lange, The First French Reformation, p. 52 ss., 59 ss., 65 ss. Hierzu Figgis, Studies of Political Thought from Gerson to Grotius, p. 42 ss.; Lange, The First French Reformation, p. 59. Hierzu Lange, The First French Reformation, p. 89 ss., 99 ss. Gegen den Widerstand der Sorbonne und des Parlement von Paris werden die Pragmatische Sanktion und damit die Anerkennung der Konzilssuperiorität im Konkordat von 1516 zwar wieder aufgehoben, gleichzeitig aber wesentliche landeskirchliche Zuständigkeiten anerkannt, die zur Ausbildung eines französischen Staatskirchentums beitragen, s. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 486; zu den päpstlichen Bemühungen um die Aufhebung der Pragmatischen Sanktion s.a. Lange, The First French Reformation, p. 53 ss., 58 s. Hierzu etwa Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S.  480 f.; Lange, The First French Reformation, p. 53, 81. Lange, The First French Reformation, p. 89 ss., 101 s.

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wird.89 In der Ordonnance von Villers-Cotterêts (1539) wird schließlich per Gesetz generell die Zuständigkeit geistlicher Gerichte für Zivil- und Strafverfahren nicht nur für Laien, sondern auch für Kleriker weitgehend aufgehoben. Nur die Zuständigkeit für rein geistliche Angelegenheiten verbleibt.90 Ferner wird auch die kirchliche Ehegerichtsbarkeit eingeschränkt, indem staatliche Gerichte die Ehenichtigkeit feststellen können (1557).91 Gleichzeitig werden in Folge der Pragmatischen Sanktion wesentliche landeskirchliche Zuständigkeiten begründet, die zur Grundlage des sog. Gallikanismus92 und damit eines französischen Staatskirchentums werden, in dem König und Klerus über weitreichende nationale Kompetenzen in geistlichen Angelegenheiten (bspw. Benennungsrecht für Bischöfe; Geneh­ migungserfordernis für päpstliche Erlasse) und damit über einen gewissen Grad an Selbständigkeit gegenüber dem Papst verfügen.93 Während sich die Reformation Luthers gegen die Jurisdiktionsgewalt der Päpste und der Kirche auch im geistlichen Bereich wendet, richtet sich die französische Entwicklung vor allem gegen das kirchliche forum externum in zeitlichen Dingen, hingegen nicht so sehr gegen die kirchliche Jurisdiktion in geistlichen Dingen oder die Sakramente.94 Die französischen Könige schränken auf diese Weise neben ihnen bestehende Gerichtsbarkeiten (der Städte, der Kirche und des Adels) ein und unterwerfen diese ihrer eigenen Jurisdiktion durch Einrichtung landesweiter Parlements als Appelationsgerichte.95 Neben ihrer judikativen Funktion bedienen sich die Könige ab dem Ende des 15. Jahrhunderts vermehrt des Mittels des Gesetzes zur Rechtsvereinheitlichung, worin sie in gewisser Hinsicht die päpstliche Gesetzgebung imitieren.96 Zu nennen ist etwa die bereits 89 90 91 92 93 94

95 96

Lange, The First French Reformation, p. 89 ss.; Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 481, 491, 496, 558. Hierzu Lange, The First French Reformation, p.  249 s.; vgl. Decock, Theologians and Contract Law, p. 153. Lange, The First French Reformation, p. 253. Zum Begriff des Gallikanismus Lange, The First French Reformation, p. 80. Hierzu Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 486, 495 f., 557 ff.; Lange, The First French Reformation, p. 80 ss. Lange, The First French Reformation, p.  264; so betont auch Suárez, dass sich die Reformatoren vor allem gegen das innere Bußforum (internum forum poenitentiae) gewendet hätten; die Könige (insbesondere der englische König Jakob I.) würden aber nicht gegen dieses forum internum, sondern gegen die äußere Jurisdiktion der Kirche (potestas iurisdictionis externae) vorgehen, s. Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 6 N. 2. Lange, The First French Reformation, p. 53, 249. Lange, The First French Reformation, p. 55 ss., 244 ss. Zur ideengeschichtlichen Bedeutung päpstlicher Gesetzgebung Gagner, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, S. 135 ff.; Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution, S. 36.

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erwähnte Ordonnance von Villers-Cotterêts (1539), die sich vor allem mit der Gerichtsorganisation sowie dem Straf- und Zivilprozess auseinandersetzt.97 Instrument der Durchsetzung staatlicher Hoheit ist u.a. die Reform des Strafprozesses, der auf das Inquisitionsverfahren umgestellt wird.98 Ferner werden die lokalen Gewohnheitsrechte (coutumes) zusammengetragen und teilweise in Gesetzesform überführt, wodurch das gemeine römische Recht zunehmend ersetzt wird.99 Zudem erheben die Könige nunmehr auch selbst Steuern u.a. gegenüber Klerus und Kirche, wodurch dauerhafte Steuereinnahmen zur Staatsfinanzierung existieren.100 Auf diese Weise etablieren die französischen Könige bis ins 16. Jahrhundert eine Monarchie, die institutionell verfestigt ist und dem König umfassende Souveränität zuweist.101 5.2.4 Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers Zeitgleich mit diesen Entwicklungen in Frankreich versuchen die Kaiser im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im 15. und 16. Jahrhundert eine Reichsreform durchzuführen. Im Gegensatz zu Frankreich102 scheitern die Ansätze einer solchen Reichsreform jedoch.103 Zwar werden als Ergebnis der Reichsreform bestimmte staatliche Institutionen wie das Reichskammergericht (1500) eingeführt, ferner wird 1495 der Ewige Landfrieden beschlossen und 1532 die für die Strafrechtspflege bedeutende Constitutio Criminalis Carolina von Kaiser Karl V. erlassen.104 Der grundsätzliche Konflikt zwischen Kaiser und Territorialherren, die zunehmend ihre Territorialherrschaft festigen und ausbauen, bleibt aber bestehen.105 In dieser politischen Situation beginnt 1517 der Ablassstreit mit Luther, der 1521 auf dem Reichstag zu Worms nach 97 98 99 100 101 102

103 104 105

Lange, The First French Reformation, p. 247 ss.; Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S. 39. Dezza, Geschichte des Strafprozessrechts in der Frühen Neuzeit, S.  39 ff., 43 ff.; Lange, The First French Reformation, p. 250; zur Bedeutung der Entwicklung eines hoheitlichen Strafrechts für die Staatenbildung auch Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 127. Schlosser, Neuere Europäische Rechtschichte, 10. Kap. Rn. 53 ff.; Lange, The First French Reformation, p. 55 s. Lange, The First French Reformation, p. 111 ss., 117 ss. Lange, The First French Reformation, p. 232 ss., 244 ss. Vgl. Lange, The First French Reformation, p. 1 ss., 21 ss., 273 s., der die These einer staatlichen „Ersten Französischen Reformation“ vertritt, die, weil ihr die Herstellung der neuzeitlichen absoluten Monarchie gelang und sie insoweit ihr Ziel erreichte, einer kirchlichen Reformation im 16. Jahrhundert, wie sie in England und Deutschland stattfand, entgegenstand. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 400. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 400; zur „Carolina“ etwa Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte, 5. Kap. Rn. 23. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 400.

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Erlass der päpstlichen Bulle „Exsurge Domine“, die Luthers Lehren verurteilt und den Kirchenbann ausgesprochen hatte106, seine Fortsetzung findet und zur Verhängung der Reichsacht gegen Luther durch Kaiser Karl V. führt.107 In den 1520er Jahren entwirft Luther vor allem in seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“ sein Verständnis von Staat und Obrigkeit.108 Ausgehend von seiner Rechtfertigungstheologie tritt bei Luther an die Stelle der ZweiGewalten-Lehre im Anschluss an Augustinus (civitas Dei – civitas terrena)109 die Zwei-Reiche- und Zwei-Regimente-Lehre.110 Das irdische Reich und das Reich Gottes bilden danach zwei separate Sphären mit je eigenen Aufgaben und Zuständigkeiten, die einerseits voneinander getrennt sind, andererseits aber in bestimmter Weise aufeinander zugeordnet sind.111 Beide, d.h. geistliches und weltliches Regiment sind von Gott eingesetzt und werden damit in Anknüpfung an Paulus (Brief an die Römer, Kap. 13, 1: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet“)112 theologisch begründet.113 Während das geistliche Reich durch das „Evangelium“ geleitet wird, wird das weltliche Reich durch das „Gesetz“, d.h. grundsätzlich den Dekalog, gelenkt, welches die weltliche Obrigkeit zur Lenkung der weltlichen Angelegenheiten anzuwenden hat.114 Während das geistliche Regiment somit für die geistlichen Dinge und den Glauben zuständig ist, hat das weltliche 106 Hierzu auch Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S. 1 f. 107 Bspw. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  403; s.a. Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S. 254 ff., 557 ff. zur politischen Dimension der Reformation. 108 S.  Luther, Von der weltlichen Obrigkeit: Wie weit man ihr Gehorsam schuldet (1523), WA 11, (229) 245–281 (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 217 ff.); dazu Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S. 557 ff., 562 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 407 f. 109 Dazu etwa Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 212 ff. 110 Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S. 562 ff., 584 ff.; Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S.  146 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 407 ff.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 60 ff.; s.a. grundsätzlich zu Luthers politischer Theorie und ihrem theologischen Hintergrund Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 3 ss., 12 ss. 111 Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 563 ff., 575 ff., 591 ff., 597 ff. 112 S. zu dieser Begrüdung Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 247 (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 224 f.). 113 Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 563 ff., 569; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 410, 417 f.; Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 14 ss. 114 Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S. 407 ff., 569, 570, 600 f.; Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 249 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 228 ff.); s.a. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 63 f.

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Regiment für die „äußere“ Ordnung und Frieden zu sorgen.115 Auch wenn beide voneinander getrennt sind und unterschiedliche Aufgaben haben, sind sie dennoch aufeinander bezogen, da beide von Gott kommen und damit theologisch begründet werden.116 Für die Kirche bedeutet dies, dass sie keine äußeren Befugnisse in weltlichen Angelegenheiten haben darf. Luther wendet sich damit gegen jeglichen Einfluss der Kirche in weltlichen Angelegenheiten, und damit insbesondere gegen die papalistische Auffassung, wie sie etwa von Bonifaz VIII. vertreten wurde.117 Umgekehrt spricht sich zumindest der späte Luther für Zuständigkeiten der weltlichen Obrigkeit in geistlichen Dingen aus.118 Während nämlich Luther anfangs noch davon ausgeht, dass der Landesherr keine Zuständigkeiten in geistlichen Dingen haben sollte119, ändert sich diese Position im Laufe der Zeit.120 Die cura religionis des Landesherrn, die zunächst nur auf den äußeren Schutz der Kirche zielen sollte121, umfasst so auch das Recht der weltlichen Obrigkeit, falsche Lehren zu bekämpfen und die richtige Lehre zu verteidigen.122 Der Landesherr erhält so auch Befugnisse im Geistlichen. Er wird damit gleichzeitig – zwar nicht als Inhaber weltlicher Gewalt, sondern als Kirchenmitglied – Landesherr in den geistlichen Dingen.123 Ähnlich ist es etwa 115 Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S.  565 f., 571, 595; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 410 f.; Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 249 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 228 ff.). 116 Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S.  591 ff., 597 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 410 f., 417 f.; s.a. Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 15 s. 117 Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S. 576 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 409 f.; Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S. 150 f.; Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 12 ss. 118 Hierzu und zum Folgenden Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 419 ff.; vgl. auch Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S. 639 ff.; Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p.  15 ss.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 169 f. 119 Vgl. Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, WA 11, (229) 261 ff. (in: Zschoch [Hrsg.], Studienausgabe, Bd. 3, S. 252 ff.). 120 Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 420 ff. 121 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 420 f. 122 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 421 f., 423; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 67 f. 123 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 423; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 169 f., 179 ff. (auch zu den „Kirchenordnungen“); s. aber auch Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S. 558, 639 ff., 651 ff., der davon ausgeht, dass Luther auch später grundsätzlich gegen Staatskirchentum und landesherrliche Kirchenregimenter war.

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nach Melanchthon Aufgabe der weltlichen Obrigkeit als Wächter des Dekalogs, die Menschen zum rechten Glauben anzuleiten.124 Der Staat hat sich so auch mit den geistlichen Belangen zu befassen.125 Das Verhältnis von Kirche und Staat verändert sich in der Folge durch die territorialen Kirchenreformen und das so entstehende Landeskirchentum.126 Es setzt eine institutionelle und organisatorische Verbindung von Landesfürsten und Kirche ein.127 5.3

Die politische Theorie in der Spätscholastik

Die Diskussionen der Spätscholastiker sind vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund des 16. und frühen 17. Jahrhunderts zu sehen.128 Ebenso wie in den anderen Ländern Europas zeigen sich etwa im Spanien des 16. Jahrhunderts infolge des Aufkommens des neuzeitlichen Staates129 Tendenzen eines beginnenden Absolutismus, so etwa bei König Philipp II.130 Ferner sieht man sich der geschilderten Situation in Frankreich mit dem entstehenden Absolu­ tismus sowie dem Gallikanismus gegenüber, der zunehmend staatskirch­ lichen Charakter gewinnt.131 Dies führt in Frankreich zur Auseinandersetzung 124 S.  Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S.  153 m.Nw.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  169 f.; s.a. Honecker, Sozialethik zwischen Tradition und Vernunft, S. 223 f., der hierin eine „etwas andere Akzentuierung“ als bei Luther sieht. 125 Honecker, Sozialethik zwischen Tradition und Vernunft, S. 224. 126 S. dazu etwa Heckel, Luthers Reformation und das Recht, S.  644 ff.; Honecker, Sozialethik zwischen Tradition und Vernunft, S. 223 f.; Schmoeckel, Das Recht der Reformation, S. 159 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 423: „Die Wurzeln für das sich bald ausbildende landesherrliche Kirchenregiment scheinen hier grundgelegt“; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 158 ff., 179 ff. 127 Vgl. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 423, 429; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 61 f. Infolge dieser Entwicklungen wird so in gewisser Weise die institutionelle Trennung von Staat und Kirche, wie sie durch die Reformen Gregor VII. und den Investiturstreit herbeigeführt worden ist, eingeschränkt, s. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn. 1140 ff.; Reinhard, Geschichte, der Staatsgewalt, S. 266 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 379 ff. 128 Vgl. Kremer, Den Frieden verantworten, S.  96 ff., 99 ff.; Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 135 ss.; s.a. grundsätzlich zum theologischen, d.h. ekklesiologischen Hintergrund Tutino, Empire of Souls, p. 24 ss. 129 Zu diesem Aspekt Tutino, Empire of Souls, p. 14. 130 Dazu Edelmayer, Philipp II., S.  26 ff., 128 ff.; s.a. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 102 ff. 131 Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 495 f., 557 ff.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 296; s.a. Tutino, Empire of Souls, p. 160 ss., 172 ss.

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insbesondere mit dem Parlement von Paris sowie zur Repression gegen den auch dort zunehmend einflussreichen Jesuitenorden.132 In England setzt mit Heinrich VIII. und der Abtrennung der englischen Kirche von Rom im 16. Jahrhundert eine Auseinandersetzung mit papsttreuen Katholiken ein, die die Frage nach deren Rechten, insbesondere einem Widerstandsrecht gegen den König aufwirft, was mit der Pulververschwörung (gunpowder plot; 1605) einen aktuellen Anlass erhält.133 Dabei erlangt mit Jakob I. (James I.) Anfang des 17. Jahrhunderts ein König Macht in England, der absolutistische Tendenzen verfolgt und die königliche Macht unter Inanspruchnahme göttlicher Legitimation unmittelbar von Gott herleitet.134 Schließlich sieht man sich im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) konfessionell aufgeteilten Territorien gegenüber, deren Religionszugehörigkeit durch den Landesherrn bestimmt wird („cuius regio, eius religio“).135 In den protestantischen Territorien zeigen sich Entwicklungen hin zu einem Staatskirchentum, bei dem dem Landesherrn mit der Territorialhoheit zugleich auch die Leitungsgewalt über die Kirche zusteht.136 Die Spätscholastiker sehen sich somit einerseits dem entstehenden Absolutismus und einem reformatorisch begründeten Staatskirchentum137 gegenüber, welche die königliche Macht unmittelbar von Gott herleiten und gleichzeitig den Staatszweck auch auf religiöse Angelegenheiten ausdehnen.138 132 Hierzu etwa Schatz, in: Brieskorn/Riedenauer (Hrsg.), Suche nach Frieden, S. 245, 250 ff.; vgl. auch Tutino, Empire of Souls, p. 160 ss. 133 S. etwa Bourdin, La genèse théologico-politique de l’État moderne, p. 135 ss. et passim, 211 ss.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S.  301 ff.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 240 ff.; s.a. Tutino, Empire of Souls, p. 10. 134 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  380, 389; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S.  297 ff.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 241 f. 135 Dazu auch Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S. 18 f.; s.a. Tutino, Empire of Souls, p. 9 s., 212 ss., 220 ss. zur Situation in Deutschland anfangs des 17. Jahrhunderts und den jesuitischen Positionen. 136 Vgl. zu den Landeskirchen und dem entstehenden Staatskirchentum Heckel, Martin Luthers Reformation und das Recht, S. 639 ff.; s.a. Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 296 f. 137 Die Ablehnung von lutherischen Positionen betraf ferner vor allem die als lutherisch identifizierte Position, dass den Gesetzen eines ungläubigen Landesherrn der Gehorsam zu verweigern ist bzw. dass Gesetze eines heidnischen Herrschers nicht im Gewissen verpflichten würden; s. Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 140; Tutino, Empire of Souls, p. 40. 138 Dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  387 f., 389; Tutino, Empire of Souls, p. 45 s.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 240 ff.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S.  85 ff., 296 ff.; Glinka, in: Bach/

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Andererseits ist ihre naturrechtliche Position, die wesentlich auf der aristotelisch-thomistisch geprägten Staatslehre basiert, innerkirchlich gegenüber den papalistischen und kurialistischen Theorien zu rechtfertigen.139 Ferner steht sie in Auseinandersetzung mit den konziliaristischen Tendenzen, wie sie sich etwa bei Gerson fanden140, sowie dem Machiavelismus.141 Gerade die englische Situation und die Lage der englischen Katholiken sollte Anfang des 17. Jahrhunderts die Frage nach der Legitimation und Reichweite staatlicher Macht und den Rechten der Kirche aufwerfen.142 Die jesuitischen Autoren werden hier neben den Calvinisten als die Gegenspieler absoluter Monarchie aufgefasst.143 1613, d.h. fast zeitgleich mit seinem Traktat De Legibus veröffentlicht Suárez die Schrift Defensio Fidei im Hinblick auf die Situation der Katholiken in England und König James I.144 Neben Suárez entwerfen auch mehrere andere jesuitische Autoren (Mariana145; Molina146; Bellarmin147) ebenfalls in dieser Zeit eine politische Theorie.148

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Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 157, 169 f.; ferner Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 232. Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 303 ff.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 236 ff., 239 ff. Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 114 ss. Vgl. insoweit etwa die Auseinandersetzung bei Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 1 ff.; Bach/Brieskorn/Stiening, in: dies. (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. XIII, XVI f. (zum Machiavellismus); Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 99 ff., 109 ff.; dazu auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, S. 887 ff. Dazu Bourdin, La genèse théologico-politique de l’État moderne, p.  135 ss. et passim, 211 ss.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 297 ff. S. Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 114 m.Nw. zu Robert Filmer, ferner auch p. 174 ss.; s.a. Filmer, Patriarcha, or the Natural Power of Kings, Ch. 1. Defensio fidei Catholicae adversus Anglicanae sectae errores; dazu Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S.  383 ff.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  380; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S.  242; s.a. Fastiggi, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 148, 152 s.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 18 f. (auf Bitten des päpstlichen Nuntius in Madrid sowie von Papst Paul V. als Gegenschrift zu Jakobs I. „Apologia pro Juramento Fidelitatis“ von 1609, in der dieser die Verpflichtung der Untertanen zum Treueeid gerechtfertigt hat). Zu Mariana s. etwa Braun, Juan de Mariana and Early Modern Spanisch Political Thought, p. 15 ss.; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 355 ff. Zu Molina in diesem Kontext Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S.  342 ff., 400 ff. Zu Bellarmin Tutino, Empire of Souls, p. 9 ss. et passim; Bourdin, La genèse théologicopolitique de l’État moderne, p. 109 ss.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 1 ff. et passim. Vgl. auch Höpfl, Jesuit Political Thought, p. 1 ss.

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Einerseits bedingt durch die kanonistischen, thomistischen und nomina­ listischen Vorgaben, andererseits durch die zeitgeschichtlichen Entwicklungen werden hierbei vier Fragen virulent: 1. Wie wird die weltliche Macht begründet und wem steht sie zu? 2. Welche Macht kommt der Kirche in zeitlichen Dingen (in temporalibus) zu? 3. Welche Macht kommt dem Staat in geistlichen Dingen (in spiritualibus) zu? 4. Ist der Gesetzgeber in der Gesetzgebung frei oder gibt es Grenzen der Rechtsetzung, und was kann gegen einen Herrscher getan werden, der diese Grenzen überschreitet (Widerstandsrecht gegen den Tyrannen)? Bei diesen Diskussionen zeigen sich wiederum ganz unterschiedliche Einflüsse (Ockham149, Marsilius v. Padua150), wesentliche Bedeutung kommt aber auch hier der thomistischen und naturrechtlichen Tradition zu.151 5.3.1 Die Begründung der politischen Gewalt und die politische Ordnung 5.3.1.1 Die Begründung der politischen Gemeinschaft Im Folgenden ist daher näher auf die politische Theorie bei Suárez einzugehen, die wirkungsgeschichtlich besonders einflussreich werden sollte. Im Ausgangspunkt unterscheidet Suárez verschiedene Stufen von Gemeinschaften.152 Zu Beginn steht die von Natur aus bestehende Gemeinschaft aller Menschen (communitas humani generis; communitas naturalis), die Folge der natürlichen Vernunft ist, welche die Menschen verbindet.153 Erst „durch einen besonderen Zusammenschluss“, der durch Recht (ius) bzw. einen Vertrag ( foedus) erfolgt, bildet sich eine durch menschliches Recht154 geschaffene „politische oder mystische Gemeinschaft“ (communitas politica vel mystica).155 Erforderlich für die Bildung dieser politischen Gemeinschaft ist ein Vertrag bzw. ein 149 S. dazu sogleich, insbesondere zur Übernahme des Übertragungsvertrags von Ockham S. 504 ff. sowie insoweit auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 86 f., 200. 150 Zur Bedeutung Marsilius von Paduas für die Spätscholastiker s. Kaufmann, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 9, 21 ss. 151 So etwa Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S.  306 ff. (zur thomistischen Kontinuität bei Bellarmin). 152 Hierzu und zum Folgenden Kremer, Den Frieden verantworten, S. 108 ff.; s.a. Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p.  29, 45 ss.; Slingo, in: Bunge (u.a.), The Concept of Law (lex), p. 58, 60 ss. 153 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 18. 154 Von dieser menschlichen, d.h. durch menschliches Recht geschaffenen politischen Gemeinschaft grenzt Suárez die durch göttliches Recht eingerichtete Kirche ab, die auf ein übernatürliches Ziel gerichtet sei, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 18. 155 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 18 f. Die politische Gemeinschaft bestehe in moralischer Hinsicht in einem Zusammenschluss (in congregatione morali modo una), bilde also in moralischer Hinsicht eine Einheit (moralem unionem). Zwischen den Bürgern besteht ein

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menschlicher Willensakt ( foedus; pactum expressum vel tacitum; speciali voluntati seu communi consensu; medio consensu et voluntate singulorum) der Menschen – der menschliche Wille begründet damit die politische Gemeinschaft.156 Innerhalb dieser so gebildeten politischen Gemeinschaft unterscheidet Suárez weiter die vollkommene (communitas perfecta) von der unvollkommenen (imperfecta).157 Kennzeichen der vollkommenen politischen Gemeinschaft ist, dass sie „politischer Leitung (politica gubernatio) fähig“ und damit „in ihrer Ordnung selbstgenügsam“ ist (sibi sufficiens in hoc ordine), wie dies bei Stadtstaaten oder Königreichen der Fall sei.158 Nur diese vollkommene politische Gemeinschaft, die so zu einem Staatswesen (respublica) wird159, hat Gesetzgebungsgewalt, weil sie „ein eigener politischer Körper (proprium corpus politicum) ist, der durch eine eigene Jurisdiktion geleitet wird und über Zwangsgewalt (vis coactiva) verfügt“.160 Während in der natürlichen Gemeinschaft nur das natürliche Gesetz (lex naturalis) wirkt, hat eine solche politische Gemeinschaft auch die Fähigkeit zur Gesetzgebung von menschlichen Gesetzen (leges humanae), die mit Zwangsgewalt und Verpflichtungswirkung161 versehen sind.162 Die respublica wird dabei als „mystischer Körper“ (corpus mysticum; corpus politicum)163 institutionell und körperlich verselbständigt verstanden und erhält so einen personalen Status (fiktive

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vinculum morale – hier zeigt sich wiederum der Bezug zur Lehre vom moralischen Sein, dazu oben S. 173 ff.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 2 N. 4; Cap. 11 N. 7. S. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 19; Lib. III Cap. 2 N. 3, 4; Cap. 3 N. 1, 6; ders., De Opere Sex Dierum, Lib. 5 Cap. 7 N. 3 („aliqua unione politica, quae non fit sine aliquo pacto expresso, vel tacito iuvandi se invecem, nec sine aliqua subordinatione singularum familiarum, et personarum ad aliquem superiorem, vel rectorem communitatis, sine quo talis communitas constare non potest“); dazu auch Hüning, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S.  73, 74 f.; Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S. 74 ff.; Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 47 s.; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 407 ff. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 19 f. „Unvollkommene Gemeinschaft“ soll insoweit die Familie sein, da diese nicht selbstgenügsam sei (non est sibi sufficiens) – und verfügt daher über keine politische Gewalt, s. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 3. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 19. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 110 f. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 21; vgl. auch Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,3 ad sec., ad tert. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 8. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 18, 21. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 2 N. 4; Cap. 11 N. 7; Lib. I Cap. 6 N. 21.

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Person – persona ficta)164 – deutlich zeigen sich hier die Auswirkungen der Lehre vom moralischen Sein.165 5.3.1.2 Die Entstehung der politischen Gewalt Worin liegt nun die Legitimation für diese politische Gewalt? Wenngleich „der Mensch seiner Natur nach frei“ (homo natura sua liber) ist, folgt die Zulässigkeit politischer Gewalt nach Suárez daraus, dass der Mensch „ein soziales Wesen“ (animal sociale) ist und deshalb „von Natur aus […] darauf strebt in einer Gemeinschaft zu leben“.166 Dabei benötigen die Menschen eine politische Gemeinschaft (communitas politica), da ohne diese „kaum Frieden unter den Menschen gewahrt werden und Unrecht nicht geordnet abgewehrt oder bestraft werden kann“.167 Die politische Gemeinschaft bedarf nun einer Regierungsgewalt (potestas gubernativa; publica potestas), da „kein Körper sich erhalten könne, wenn es nicht irgendein Prinzip gibt, dessen Aufgabe es ist, das Gemeinwohl anzustreben und zu erhalten“.168 Haben sich die Menschen daher einmal durch einen Willensentschluss zu einem solchen Körper zusammengeschlossen, dann folgt die politische Gewalt dieser politischen Gemeinschaft unmittelbar, „ohne dass dies durch menschlichen Willen verhindert werden könnte“.169 Ursache dieser politischen Gewalt, die der politischen Gemeinschaft naturrechtlich zusteht, ist damit unmittelbar Gott als „Urheber der Natur“170 bzw. die natürliche Vernunft; sie leitet sich also nicht von den Einzelnen und deren Willensentschluss im Sinne einer „Wirkursache“171 ab, sondern ist Folge der einmal durch Willensentschluss gebildeten politischen Gemeinschaft – gleichwohl ist aber der menschliche Wille (voluntas) Voraussetzung der Entstehung der politischen Gemeinschaft 164 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 11; Cap. 3 N. 2; s.a. ders., De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 17 ff., 21; s.a. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 115 ff.; Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S.  69 ff.; Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 45 s., 49 s. 165 Vgl. dazu auch Schweighöfer, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 23, 34 ff.; zur Lehre vom moralischen Sein s. oben S. 173 ff. 166 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 1, 3; s.a. Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 52 s. 167 S. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 3; vgl. hierzu auch Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 159 ss.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 230. 168 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 4 f. 169 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 6; ders., De Legibus, Lib. III Cap. 3 N. 5 f.; s.a. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 118. 170 Dazu auch Hespe, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 39, 48 f. 171 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 3 N. 2 („non provenire ex eorum voluntatibus quasi ex propria causa efficienti“).

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und damit auch der politischen Gewalt.172 Diese Macht steht nicht „einer Person“, sondern kraft des Naturrechts unmittelbar der politischen Gemeinschaft als ganzer zu.173 Die politische Gewalt, die vor allem die Rechtsetzungsgewalt (potestas legislativa) umfasst174, wird also der politischen Gemeinschaft im Sinne der Gesamtheit der Bürger als eigenes Recht zugewiesen, über das sie verfügen kann.175 5.3.1.3

Die Übertragung der politischen Gewalt und die Konstituierung der politischen Ordnung Zur Begründung und Ausgestaltung der politischen Macht der Regierenden ist daher ein weiterer Willensentschluss der politischen Gemeinschaft als „Gesellschaftsvertrag“ (pactum societatis humanae)176 erforderlich, wobei sich hierin wiederum die Bedeutung des freien Willens der Menschen offenbart.177 Denn ebenso wie der Mensch von Natur aus frei ist, gelte dies gleichermaßen auch für die politische Gemeinschaft, die eine fiktive Person (persona ficta)178 ist.179 172 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  3 N.  1 f., 5 f. (Suárez setzt sich hier ausdrücklich mit der Auffassung auseinander, wonach die potestas ab eisdem etiam voluntatibus manat); ders., Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 6; s.a. Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Liber III, Teil 1, Einleitung, S. XIX f.; vgl. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 22 N. 9 („potestas immediate est a Deo naturam instituente, tametsi adunatio hominum in unam Rempublicam conditio sit, sine qua ea potestas non resultaret“). 173 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 7, 9; ders., De Legibus, Lib. III Cap. 3 N. 6; s.a. Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S. 95 ff.; Glinka, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S.  157, 172; Seelmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 139, 142 ff. 174 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 9 N. 2; s.a. Lib. I Cap. 8 N. 4 ff. 175 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 388; s.a. Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 420 ff.; vgl. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 3 N. 7; ders., Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 9. 176 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 11. 177 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 10 ff., 19 (voluntas; libera voluntas; per voluntarium populi consensum; contractus); ders., De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 11 (interventu humanae voluntatis); s.a. Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Lib. III Teil  1, Einleitung,  S.  XXIII; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 195, 204 ff. (zu Suárez); Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p.  161 ss.; Kremer, Den Frieden verantworten, S.  108 ff.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 177 ff.; Glinka, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 157, 173 ff.; Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 123 s. (zu Molina); Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 152 ff., 196 ff. (zu Bellarmin). 178 Zur Bedeutung der persona ficta s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 63 ff. sowie oben S. 180 f. 179 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap.  2 N.  11; vgl. zu diesem Ausgangspunkt der natürlichen Freiheit auch bei anderen Spätscholastikern Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 155 s.

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Diese naturrechtlich begründete Freiheit (libertas) bedingt, dass die politische Gemeinschaft, die „die Macht hat, sich selbst zu regieren“ (potestas regendi se), diese Macht auch durch einen willentlichen Akt auf jemand anderen übertragen kann (per institutionem vel electionem humanam in aliquem transferatur).180 Durch einen „menschlichen Vertrag kraft menschlichen Willens“ (humanum pactum contrahitur humana voluntate) wird folglich die Regierungsgewalt eingerichtet; sie ist somit „eine menschliche Einrichtung (humana institutio), weil sie unmittelbar durch die Menschen gemacht ist“.181 Die staatliche Ordnung und die politische Gewalt der Regierenden werden so naturrechtlich begründet182 und durch einen Willensakt der Menschen183 konstituiert – hierin zeigt sich „die Vorwegnahme der späteren Theorie des Staatsgründungsvertrags“184. „Unmittelbar“ stammt die politische Gewalt der Regierenden daher von der politischen Gemeinschaft, der diese naturrechtlich zusteht und die diese kraft eigenen Willensentschlusses auf die Regierenden überträgt, mittelbar von Gott als dem Urheber der Natur – keinem Regierenden steht die politische Gewalt unmittelbar zu, notwendig ist ein Übertragungsakt der politischen Gemeinschaft.185 Auch wenn die politische Gewalt selbst naturrechtlich begründet ist, erfolgt die Ausgestaltung (determinatio) dieser Macht und der Regierung durch die Menschen selbst.186 Es hängt also vom menschlichen Willen ab (ex arbitrio humano), welche Regierungsform (Aristokratie, Demokratie, Monarchie, etc.) gewählt wird und wem und wie die politische Gewalt übertragen bzw.

180 Vgl. Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap.  2 N.  11; dazu auch Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S.  421 ff.; Seelmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 139, 148 ff.; Hespe, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 39, 50 ff. 181 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap.  2 N.  11, 13; s.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 26 N. 4. 182 Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 90 f. 183 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 10 ff. 184 So etwa Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 388; s.a. Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 152 ff., 331, 335 (zu Bellarmin). 185 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 10 ff., 13; s. hierzu auch Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 152 ff., 196 ff.; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  232; Hespe, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 39, 50 ff. 186 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  4 N.  1; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 195, 208.

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delegiert wird.187 In Anknüpfung an Ockham188 und andere Spätscholastiker wie Vitoria189 steht die politische Macht nach Suárez unmittelbar von Natur her der konkreten politischen Gemeinschaft zu, die diese im Wege der Übertragung190 auf die Regierenden transferiert und dabei über die Ausgestaltung der jeweiligen politischen Ordnung und Art der Regierungswahrnehmung entscheidet.191 5.3.1.4

Die Bedeutung von Wille und Willensfreiheit für die politische Theorie Es zeigt sich folglich eine mehrstufige vertragliche Konstituierung des Staates: zunächst die Bildung der politischen Gemeinschaft durch einen menschlichen Willensakt, sodann die vertragliche Übertragung der politischen Gewalt, die von Natur aus der einmal durch Willensakt gebildeten politischen Gemeinschaft als ganzer zusteht, auf die Regierenden, ferner auch die Ausgestaltung der politischen Ordnung durch menschlichen Willensakt.192 Damit wird deutlich, dass bei Suárez auch die politische Gewalt selbst einen Willensentschluss voraussetzt, erst der Vertrag begründet die politische Gemeinschaft und damit entsteht die politische Gewalt, die wiederum durch Vertrag auf die Regierenden übertragen wird.193

187 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 4 N. 1: die Ausgestaltung dieser politischen Gewalt als eine bestimmte Macht- oder Regierungsforum erfolgt durch den menschlichen freien Willen („determinatio eius ad certum modum potestatis, & regiminis est ex arbitrio humano“). Das Naturrecht gebe insofern keine Regierungsform vor, vielmehr obliege die Entscheidung notwendigerweise dem menschlichen Willen („haec determinatio necessario fieri debet arbitrio humano“). 188 Zu Ockhams Bedeutung insoweit auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 86 f., 200. 189 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  358 ff. unter Verweis auf Vitoria, Relectiones de potestate civili, N. 7, 14; ferner auch Schnepf, in: Kaufmann/ Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 23, 26 ff. 190 Die Spätscholastiker berufen sich zur Begründung der Übertagung auf Thomas (Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 90,3 resp., ad sec.; q. 97,3 ad tert.), s. Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 214 ff. m.Nw. (auch zur Erörterung der Richtigkeit dieser Berufung). 191 S. dazu Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 387 ff.; Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1–4; Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 26 N. 4. S. ferner auch Duns Scotus, Ord. IV Dist. 15 q. 2 N. 7 sowie dazu auch Böckenförde, Geschichte der Rechtsund Staatsphilosophie, S. 292 f. 192 S.a. Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S. 74 ff., 98 ff.; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 406 ff. („Gesellschaftsvertrag“), 440 ff. („Herrschaftsvertrag“); Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 92. 193 Wenngleich der Willensentschluss selbst nicht causa efficiens der politischen Gewalt ist, s. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 2, 6; Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus,

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Auch wenn die politische Gewalt der politischen Gemeinschaft unmittelbar von Gott als dem Urheber der Natur her zusteht, kommt dem freien Willen des Menschen maßgebliche Bedeutung für die Begründung und Ausgestaltung der politischen Ordnung zu194 – in besonderer Weise zeigt sich hier der Einfluss der Anthropologie und Philosophie auf die politische Theorie der Spätscholastik.195 Wenn Suárez hier vom menschlichen Willen spricht, dann liegt dem wiederum ein spezifisches philosophisch geprägtes Verständnis des Willens zugrunde.196 Der Wille ist, weil er frei ist, moralische Ursache (causa moralis) und bringt als solche moralische Wirkungen (effectus morales) hervor.197 Indem der Mensch über einen freien Willen verfügt, gestaltet er auch durch seinen Willen die politische Ordnung und die Gesetze; durch einen Willensakt wird die politische Gemeinschaft als fiktive Person (persona ficta) geschaffen – deutlich zeigt sich hier der Einfluss der Lehre vom moralischen Sein.198 Dementsprechend erhalten auch die Gesetze des Staates ihre „Gesetzeskraft und Wirksamkeit unmittelbar vom Willen des menschlichen Gesetzgebers“ (a voluntate hominis legislatoris habet proxime haec lex suam virtutem & efficaciam).199 Ebenso wie beim Vertrag200 ist zur Entstehung des Gesetzes und seiner Verpflichtung der Wille des Gesetzgebers erforderlich

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Liber III, Teil  1, Einleitung,  S. XVI, XIX f. Vgl. auch Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 206 f. zu Hobbes Vertragskonstruktion, wonach dessen wesentlicher Unterschied zur klassischen Naturrechtslehre darin liege, dass bei ihm nicht von einem natürlichen Gegebensein von Gesellschaft und Recht ausgegangen werde und sich der Vertrag lediglich auf die Übertragung des Herrschaftsrechts auf die Regierenden beschränke, sondern dass bei ihm „der Vertrag zum Konstitutionsakt des Staates als rechtlicher Zwangsgewalt“ werde. S. unten noch zum Unterschied zwischen Suárez und Hobbes S. 518 ff. S, etwa Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap.  2 N.  10 ff., 19 (voluntas; libera voluntas; per voluntarium populi consensum). S.a. Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Lib. III Teil  1, Einleitung,  S. XXIII; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 195, 204 ff. S. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 15 f. S. dazu oben S. 175 ff. Vgl. dazu auch Schweighöfer, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 23, 34 ff. Suárez, De Legibus, Lib. II Cap. 4 N. 8; ferner ders., Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 13. Die Gesetzeskraft komme daher nur indirekt im Sinne einer Zweitursache vom ewigen Gesetz, aber direkt vom Menschen als Gesetzgeber, der selbst causa per se für das Gesetz und seine Gesetzeswirkung sei (Suárez, De Legibus, Lib. II Cap.  4 N.  8; hierzu auch Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening [Hrsg.], „Auctoritas Omnium Legum“, S. 195, 206 f.). Wenn nach Suárez hier der Mensch als Gesetzgeber selbst causa per se für das Gesetz und seine Gesetzeswirkung ist, dann verweist dies auf seine Begriffsdefinition der causa per se in seiner Metaphysik (in Abgrenzung zur causa per accidens, dazu Suárez, Disputationes Metaphysicae, Disp. 17 Sec. 2 N. 2). S. dazu oben S. 365 ff.

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(necessaria est in legislatore intentio & voluntas201; vis obligandi, quae proprie est in voluntate202). Hier zeigt sich wiederum, wie die Idee von der Selbstbestimmung und Willensfreiheit des Menschen die rechtliche Auseinandersetzung prägt – die Anthropologie ist das „Fundament“ der suarezianischen Staatstheorie203. Weil der Mensch selbstbestimmt handeln kann, gewinnen die Eigenwirksamkeit des menschlichen Handelns und die Willensmacht des Menschen auch wesentliche Bedeutung für die Konstituierung der politischen Ordnung. 5.3.1.5

Die vertragliche Bindung zwischen Regierenden und politischer Gemeinschaft Suárez beschäftigt sich weiter mit dem Verhältnis von Regierenden und politischer Gemeinschaft. Auch wenn die Regierenden infolge der Übertragung über die Regierungsgewalt verfügen, sind sie dennoch an die Bedingungen der Übertragung und somit an den Übertragungsvertrag mit der Gemeinschaft gebunden (conventio quaedam inter communitatem et principem, et ideo potestas recepta non excedit modum donationis vel conventionis).204 Folge dieser rechtlichen Bindung ist, dass die Regierenden die Grenzen der übertragenen Macht nicht überschreiten dürfen; umgekehrt darf ihnen die politische Gewalt aber auch grundsätzlich nicht entzogen werden (pacta & conventa iusta servanda sunt205).206 Denn es handelt sich bei dieser „Übertragung“ nicht um eine „Delegation“, sondern gleichsam um eine auf Dauer angelegte „Veräußerung“ (non est delegatio, sed quasi alienatio).207 Maßgeblich sind gleichwohl die Bestimmungen des Übertragungsvertrages (conditiones prioris contractus), in 201 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 17; dazu Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  134. Allerdings ist das Gesetz nicht nur Willensakt (actus voluntatis), sondern auch Akt des Intellekts, s. dazu Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 136 ff. Das Gesetz selbst setzt nach Suárez folglich sowohl einen Willens- als auch einen Verstandesakt voraus, s. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 20 f. 202 Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 5 N. 15; dazu Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 134. 203 So Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Liber III, Teil 1, Einleitung, S. XVI; vgl. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 107 ff. 204 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  9 N.  4; dazu auch Hespe, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 39, 52. 205 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 3 N. 3. 206 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap.  3 N.  2, 4. S.a. Molina, De Iustitia et Iure, Tract. II Disp. 23 N. 8 ff.; dazu auch Alonso-Lasheras, Luis De Molina’s De Iustitia et Iure, p. 123; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 389 f.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 184 f. 207 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 4 N. 11; s.a. Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p.  183; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  390;

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dem sich die politische Gemeinschaft gegenüber den Regierenden bestimmte Rechte vorbehalten hat; so steht der politischen Gemeinschaft in jedem Fall ein Selbstverteidigungsrecht zu, wenn der Herrscher „seine rechtmäßige Herrschaft in eine Tyrannenherrschaft überführt“.208 Dieses natürliche Selbstverteidigungsrechts habe die politische Gemeinschaft nämlich „niemals aufgegeben“.209 Wendet sich der Herrscher also gegen das Gemeinwohl (contra bonum commune) oder den Herrschaftsvertrag (contra foedera & conventionem cum regno factam), kann die politische Gemeinschaft „die Verträge wieder aufheben“ und sich von der Gehorsamsverpflichtung (obedientia civilis) gegenüber dem Herrscher „befreien“.210 Durch den Übertragungsakt wird so ein zweiseitiges Rechtsverhältnis zwischen Herrscher und politischer Gemeinschaft begründet, das Rechte und Pflichten enthält.211 Damit verbunden ist auch die Frage nach einem Widerstandsrecht gegen einen Herrscher, der die ihm übertragene Macht missbraucht und zum „Tyrannen“ wird.212 In diesem Zusammenhang taucht die Frage nach der Reichweite des naturrechtlich begründeten Selbstverteidigungs- und Widerstandsrechts der Bevölkerung sowie der Zulässigkeit des „Tyrannenmordes“ auf, sofern der Herrscher weder durch gerichtliche Verurteilung noch auf anderem Wege abgesetzt werden kann.213 In dieser Theorie der Übertragung und der Bindung des Herrschers an die Bedingungen der Übertragung zeigen sich schließlich Differenzen zu den eingangs dargestellten politischen Theorien der Frühen Neuzeit. Suárez wendet sich insoweit gegen die Argumentation der Gottesunmittelbarkeit weltlicher Macht der Herrscher und Könige, die einerseits von den Reformatoren,

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Seelmann, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 139, 148 f. Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 3 N. 3; s.a. ders., De Legibus, Lib. III Cap. 4 N. 6; dazu auch Walther, in: Walther/Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  161, 170 f.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S.  184 f.; Dierse, in: Grunert/Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis, S. 269, 270 ff. Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap.  3 N.  3; dazu auch Walther, in: Walther/Brieskorn/ Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S. 161, 170. Suárez, Defensio Fidei, Lib. VI Cap. 6 N. 11; dazu auch Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 39; Hespe, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 39, 52 f. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  389 f.; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 442 f. S. etwa Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 482 ff., 572 ff. Siehe dazu oben bereits S. 319 f.; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 392 f.

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andererseits aber auch den Vertretern des königlichen Absolutismus in Frankreich oder England (James I.) vertreten wird.214 5.3.2 Das Ziel politischer Gewalt und der Staatszweck Suárez beschäftigt sich hiervon ausgehend nun auch mit dem Ziel politischer Gewalt. Wie gesehen, steht die Gesetzgebungsgewalt der politischen Gemeinschaft, die „einen mystischen Körper“ (corpus mysticum) bildet, als solcher zu.215 Daraus folgert Suárez, dass die Ziele menschlicher Gesetze sich auch nur auf „diesen Körper“ selbst beziehen dürfen.216 Nicht das jenseitige Leben oder die private individuelle Glückseligkeit, sondern nur die Glückseligkeit dieser politischen Gemeinschaft und „der einzelnen Menschen, soweit sie Mitglieder dieser Gemeinschaft sind“, dürfen Ziel der weltlichen Gesetzgebungsmacht sein.217 Die Ziele der weltlichen Gesetze dürfen „nicht über dieses gegenwärtige Leben [hinausreichen]“.218 Mit dieser Begründung macht Suárez deutlich, dass das Ziel der politischen Gemeinschaft kein von außen herangetragener Auftrag ist, sondern sich aus dem Wesen der politischen Gemeinschaft selbst und damit aus dem Zweck, zu dem sie gegründet wurde, ergibt. Wie gesehen, sieht er den Grund hierfür darin, dass einerseits ohne die politische Gemeinschaft kein „Frieden unter den Menschen gewahrt und Unrecht nicht geordnet abgewehrt oder bestraft werden kann“ und andererseits nur so alle zum Leben erforderlichen Güter geschaffen werden können.219 Ziel der weltlichen Gesetzgebung ist folglich, dass „die einzelnen Menschen in Frieden und Gerechtigkeit und mit

214 S. etwa Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 2 N. 1 ff.; Cap. 3 N. 1 ff.; ferner Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 389; Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S.  226; Glinka, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 157, 169 f.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 154 (zu Bellarmin). 215 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 7. 216 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 7. 217 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 7 („non habere pro fine intrinseco et per se intento felicitatem naturalem vitae futurae, immo nec propriam felicitatem naturalem vitae praesentis quatenus ad singulos homines, ut particulares personae sunt; eius finem esse felicitatem naturalem communitatis humanae perfectae; id quod ita pertinet ad privatam felicitatem ut non redundet in bonum communitatis, ad hanc potestatem vel legem civilem non spectat“); dazu auch Hüning, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 73, 75 ff. 218 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  11 N.  7 („nec finis huius potestatis aut legis ultra praesentem vitam extenditur“). 219 S. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 3; vgl. hierzu auch Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 159 ss.

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ausreichenden Gütern leben, welche zur Erhaltung und angenehmen Ausgestaltung des körperlichen Lebens erforderlich sind“.220 Die Spätscholastiker gehen also davon aus, dass die weltlichen Gesetze auf Frieden und Gerechtigkeit in der politischen Gemeinschaft zielen und damit eine innerweltliche Zielsetzung haben, was naturrechtlich begründet wird.221 Da Ziel und Gegenstand der weltlichen Gewalt nur „dieses Leben“ ist, hat die weltliche Gewalt keine Zuständigkeit für geistliche Belange und darf folglich „keine Gesetze in geistlichen Angelegenheiten erlassen“.222 Die cura religionis ist nicht dem Staat, sondern der Kirche anvertraut.223 Hierin sieht Suárez einen Gegensatz zu den Reformatoren, die die cura religiosa zumindest auch dem weltlichen Regiment zuweisen, sowie ferner den Theoretikern des Absolutismus, die anknüpfend an Marsilius von Padua ebenfalls von einer Zuständigkeit des Staates in geistlichen Belangen ausgingen.224 Gleichwohl wird aber etwa bei den jesuitischen Autoren die Befugnis des Staates, gegen „Häretiker“

220 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  11 N.  7 („in pace et iustitia vivant et cum sufficientia bonorum quae ad vitae corporalis conservationem et commoditatem spectant; et cum ea probitate morum quae ad hanc externam pacem et felicitatem reipublicae et convenientem humanae naturae conservationem necessaria est“); ders., Defensio Fidei, Lib. III Cap. 5 N. 1 f.; dazu auch Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S. 78 ff.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 118 ff.; Hüning, in: Bach/Brieskorn/ Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 73, 78. 221 S. dazu oben bereits S. 97 ff.; Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 1 ff., 4 ff.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 3 (pacem & publicam tranquillitatem procurans); s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 390 f.; Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 57 f.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S.  161 ff. (zu Bellarmin: tranquillitas vitae; pax reipublicae temporalis); zu Molina Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 114 ff. 222 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 4, 6 („nec per se intendere propriam spiritualem felicititatem hominum in hac vita et consequenter nec per se posse in materia spirituali disponere aut leges ferre“); s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 391; Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 58; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 85 (zu Bellarmin). 223 Z.B. Suárez, De Legibus, Lib. IV Cap. 11 N. 5 ff. (zur Unterschiedlichkeit von kanonischem und weltlichem Recht); Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 253 f. 224 S. dazu insbesondere Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 6 N. 3 ff. (auch gegen Heinrich VIII. und seine Inanspruchnahme der tota potestas suprema); dazu Walther, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  135, 137, 155; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  389; Coujou, in: Salas/ Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 65 s.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 85 f.

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vorzugehen, bejaht, und zwar mit der Begründung, dass der Staat dies zur Erhaltung seiner inneren Ordnung und Sicherheit ausführen könne.225 5.3.3 Souveränität des Staates und das Verhältnis zur Kirche Hieran anknüpfend diskutieren die Spätscholastiker das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, insbesondere die Frage nach der Macht der Kirche in zeitlichen Angelegenheiten, die – wie gesehen – im Mittelalter zu großen Konflikten geführt hat. Die Spätscholastiker differenzieren zwischen geistlicher (potestas spiritualis) und zeitlicher Gewalt (potestas temporalis; dominium saeculare226).227 Wie gezeigt, ist die weltliche Gewalt (potestas civilis) auf das gegenwärtige Leben begrenzt, Aufgabe weltlicher Gesetze ist die Bewahrung von Frieden und Gerechtigkeit sowie der äußeren Ordnung dieser Welt.228 Die weltliche Gewalt ist auf die „natürliche Ordnung“ gerichtet, sie ist „materieller“, nicht „geistlicher“ Art. Ihr Ziel ist „nicht die ewige Glückseligkeit“ des zukünftigen Lebens.229 Deshalb darf die weltliche Gewalt keine Gesetzgebung in geistlichen Angelegenheiten vornehmen.230 Der Staat hat demnach keine Zuständigkeit in geistlichen Angelegenheiten.231 Diese Aufgabe, „die Menschen zum […] Ziel des ewigen Lebens hin zu führen“, ist demgegenüber 225 Hierzu etwa Höpfl, Jesuit Political Thought, p.  82 s., 84 ss., 112 ss.; s.a. insoweit Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 12 N. 9; vgl. auch Lange, The First French Reformation, p. 196 ss., 204 ss.; Brambilla, Alle origini del Sant’Uffizio, p. 411 ss.; Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  226 zu den Entwicklungen in Frankreich im 16. Jhd., wonach Häresie nicht mehr als kirchliche Angelegenheit angesehen, sondern zu einem Verbrechen gegen die öffentliche Ordnung und den König wurde, und damit Gegenstand staatlicher Strafverfolgung. Ähnlich auch in der Strafrechtswissenschaft des 16. Jhd., dazu Pifferi, Generalia Delictorum, p. 284 ss., 289 s. (zur Kriminalisierung religiöser Verbrechen durch den Staat). 226 Zu diesem Begriff etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 3. 227 Hierzu und zum Folgenden auch Kremer, Den Frieden verantworten, S. 236 ff.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 245 ff.; Glinka, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S.  157, 161; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S.  320 ff. (Vitoria), 324 ff. (Bellarmin); Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 513 ff.; Simmermacher, Eigentum als ein subjektives Recht, S. 118 ff. (Molina). 228 S. dazu oben bereits S.  97 ff.; Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap.  3 Dub.  1 N.  3; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 390 f. 229 Suárez, De Legibus, Lib. IV Cap. 8 N. 2; Lib. III Cap. 11 N. 4 ff.; s.a. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 238. 230 Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S.  390 f.; Glinka, in: Bach/ Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S.  157, 161 f.; Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 11 N. 4, 6. 231 S. Suárez, De Legibus, Lib. IV Cap. 8 N. 2; s.a. Köck, Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, S. 58; ferner auch zur Ablehnung der

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der geistlichen Gewalt zugewiesen, welche der Kirche zusteht.232 Durch diese Abgrenzung von natürlichem und übernatürlichem Ziel betont etwa Suárez die grundlegende Verschiedenheit der beiden Gewalten in Reichweite, Inhalt, Ziel und Mitteln.233 Als Kehrseite ergibt sich, dass dem Papst und der Kirche „keine direkte Gewalt“ in weltlichen Dingen zusteht.234 Nur kraft der geistlichen Gewalt soll der Papst daneben „eine indirekte Gewalt bezüglich zeitlicher Dinge“ (potestas indirecta circa temporalia) haben.235 Diese potestas indirecta sei selbst aber geistliche, hingegen nicht zeitliche Gewalt.236 Die potestas indirecta in zeitlichen Dingen soll dem Papst insoweit zustehen, sofern das Seelenheil der Menschen durch die zeitliche Macht gefährdet wird.237 Die Reichweite der

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236 237

Position Marsilius von Paduas Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 6 N. 3 ff.; dazu auch Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 65 s. S. Suárez, De Legibus, Lib. IV Cap. 8 N. 2; s.a. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 238; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 356 ff.; ferner etwa Lessius, De Iustitia et Iure, Lib. II Cap. 3 Dub. 1 N. 3. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 391; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 246 f. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 6 N. 1, 5, 6; Cap. 7 N. 5; s.a. Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 175 s.; Glinka, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 157, 161 f.; zu Bellarmin s. Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin,  S.  335 ff., 352. Der Papst und die Kirche haben nach Suárez keine zeitliche Gewalt über Menschen, die nicht zur Kirche gehören (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 6 N. 1; s.a. Tutino, Empire of Souls, p. 40). Die Kirche hat nur das Recht, „ihnen das Evangelium zu verkünden“ (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 6 N. 1). Der Papst hat „direkte zeitliche Gewalt“ nur über die „Gebiete, deren zeitlicher Herrscher er ist“, d.h. den Kirchenstaat, sowie über die Kirche selbst (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 6 N. 3). Grund dieser zeitlichen Gewalt ist nach Suárez historischer Natur, nämlich die Konstantinische Schenkung (Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  6 N.  5; s.a. Tutino, Empire of Souls, p.  46 [zu Bellarmin]). Die Kirche bildet danach eine personal und nicht territorial bestimmte vollkommene Gemeinschaft (communitas perfecta) für die ihr angehörigen Gläubigen im geistlichen Bereich (Kremer, Den Frieden verantworten, S. 245; vgl. auch Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 18; s.a. Tutino, Empire of Souls, p. 40 ss.). Tutino spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Empire of souls“, wonach bei Bellarmin die Kirche zu einem Reich werde, das sich aber im Gegensatz zu den weltlichen Staaten nicht auf die Körper, sondern allein auf die Seelen beziehe und so ein rein geistlicher Staat sei. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 7 N. 5; Cap. 6 N. 6; dazu auch Tutino, Empire of Souls, p. 40 ss.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 353 ff.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 252 ff., 256 ff.; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 530 ff. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 7 N. 5 („Potestas autem indirecta quam Pontifex habet circa temporalia eadem est cum spirituali“); Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 357. Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 349; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 258; Hespe, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 39, 61 ff.

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daraus folgenden Eingriffsbefugnis ist indes innerhalb der Spätscholastiker umstritten.238 Nach Suárez kann diese potestas indirecta etwa die Korrektur und Aufhebung solcher weltlicher Gesetze umfassen, „die sich auf den Schaden der Seelen richten können“.239 Sie zielt aber nicht darauf „weltliche Gesetze zu erlassen“.240 Mittel der Durchsetzung dieses Eingriffsrechts kann ferner die Exkommunikation und Absetzung der Könige sein, wobei hier der zeitgeschichtliche Hintergrund des „cuius regio, eius religio“ eine Rolle spielen dürfte.241 Die politische Gewalt ist folglich insoweit „dem Papst untergeordnet“, als dies die geistliche Gewalt, d.h. deren Ziel betrifft.242 Gleichwohl hat nach Suárez der Staat Souveränität (suprema potestas) in seinem Bereich, d.h. in den weltlichen und zeitlichen Angelegenheiten.243 Jemand habe nämlich dann suprema potestas, wenn er in seiner Ordnung (in suo ordine) und im Hinblick auf sein Ziel über die letzte Entscheidungsmacht (ultima resolutio) verfügt und niemandem unterworfen ist.244 Da der Staat im Hinblick auf seine Aufgabe, für „die zeitliche Glückseligkeit des Staates“ zu sorgen, über diese Letztentscheidungskompetenz verfügt, ist der Staat auch „in seiner Sphäre“ (in sua sphaera) souverän.245 Jede Gewalt hat für ihren Bereich die höchste Gewalt und ist insoweit souverän.246 Allerdings ist diese Souveränität jeweils relativ, 238 Dazu Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 350 (Bellarmin); Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 258 ff. 239 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 6 N. 6; s.a. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 240 f. 240 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 6 N. 6. 241 Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 350, 352, 359. Es finden sich hierbei Autoren, die eher für eine stärkere potestas indirecta eintreten (Molina) sowie andere, die eher „moderate“ Positionen vertreten und die potestas indirecta eher auf ihre geistliche Dimension beziehen (Bellarmin; hierzu Tutino, Empire of Souls, p. 37 ss., 40 ss., 44 ss.). Auch wenn die einzelnen Autoren durchaus unterschiedliche Auffassungen vertreten, zeigen sich insbesondere bei Suárez und Bellarmin weitgehende Kongruenzen (vgl. Tutino, Empire of Souls, p. 40 ss., 42 ss., 44 [auch zu den Unterschieden bei Bellarmin]). In dieser Lehre von der potestas indirecta zeigen sich Ähnlichkeiten zur Position Ockhams (so Iserloh, in: Jedin [Hrsg.], Handbuch der Kirchengeschichte, III/2, S. 451). 242 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  6 N.  3; s.a. Kremer, Den Frieden verantworten, S.  241; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S.  357; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 248 ff.; Hespe, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 39, 61 ff. 243 Kremer, Den Frieden verantworten, S. 119; Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S. 88 ff. 244 Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 5 N. 2; s.a. Kremer, Den Frieden verantworten, S. 119; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 138 ff., 253. 245 S. Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 5 N. 2; dazu Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 138 ff., 253. 246 Kremer, Den Frieden verantworten, S. 241; Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S. 88 f.

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d.h. auf die Sphäre, die Staat oder Kirche zugeordnet ist, begrenzt – Suárez entwickelt hier also ein Konzept relativer Souveränität.247 Die Spätscholastiker unterscheiden damit in Aknüpfung an die thomistische Tradition248 geistliche und zeitliche Gewalt in Ursprung, Aufgaben, Zielen und Reichweite.249 Während die zeitliche Gewalt entsprechend der thomistischaristotelischen Tradition naturrechtlich begründet wird und hierbei zur Legitimierung der Regierungsgewalt auf einen Vertrag rekurriert wird, sodass die Konstituierung und Organisation des Staates dem positiven menschlichen Recht und der Disposition der Menschen unterliegt, wird die geistliche Gewalt aus der neutestamentlichen Einsetzung der Apostel und Petrus’ hergeleitet und folglich unmittelbar mit göttlichem Recht begründet.250 Während Ziel der zeitlichen Gewalt Sicherheit und Frieden in dieser Welt ist, zielt die geistliche Gewalt auf das Seelenheil und das ewige Leben der Gläubigen.251 Beide Gewalten sind unabhängig voneinander, und entsprechend ihrem jeweiligen Bereich, ihren Aufgaben und Zielen selbständig, wohl aber in gewisser Weise aufeinander hingeordnet.252 5.3.4 Zusammenfassung Durch die an Thomas anknüpfende naturrechtliche Staatsbegründung wird die im Mittelalter noch prägende Einheitsidee, die als einheitswahrende oberste Instanz entweder Kaiser oder Papst ansah, zugunsten einer spezifischen Eigenständigkeit und jeweiligen Unabhängkeit des weltlichen und

247 Vgl. Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 5 N. 2; s. Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 138 ff., 248; Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S. 88 ff.; Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 68. 248 Dazu Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 306 ff., 313 ff. 249 Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p.  29, 66; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S.  521 f.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 246 ff.; Kremer, Den Frieden verantworten, S. 238 f., 244 ff.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S.  320, 330 ff., 347 ff.; s.a. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 390 f. 250 Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 330 f.; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S. 247; Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 66 s.; s.a. Suárez, De Legibus, Lib. I Cap. 6 N. 18 f. 251 Kremer, Den Frieden verantworten, S.  238 f.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin,  S.  331; Rommen, Die Staatslehre nach Franz Suarez, S.  246 f.; Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 391; Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 521. 252 Kremer, Den Frieden verantworten, S. 238 ff., 244 ff.; Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, S. 102 ff., 332, 348 ff.; Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 67.

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kirchlichen Bereichs aufgegeben.253 Wurden jedoch ursprünglich die naturrechtliche Staatsbegründung und die Vertragstheorie herangezogen, um entweder die päpstliche oder die kaiserliche Macht in die Schranken zu weisen, so entwickeln die Spätscholastiker diese nunmehr als Begrenzung königlicher und staatlicher Macht insgesamt.254 Damit zeigt sich, dass die Konflikte des Mittelalters zwischen Papst, König und Kaiser seit dem späten 16. Jahrhundert der Vergangenheit angehören. Die mittelalterlichen imperialistischen oder papalistischen Einheitsideen, die entweder dem Kaiser255 oder dem Papst eine Oberherrschaft zuweisen, sind in der Theorie der Spätscholastik abgelöst worden durch eine Dualität zwischen naturrechtlich begründeten, souveränen territorialen Staaten, die Sicherheit und Frieden zu gewährleisten haben und deren politische Ordnung durch die Bevölkerung und damit durch den Willen der Menschen256 legitimiert sein muss, und der Kirche, die für den geistlichen Bereich zuständig ist.257 Verbunden mit dieser Dualität ist freilich die Dualität der Foren, und zwar des „staatlichen“ forum externum, in dem das positive Recht angewendet und mit Zwangswirkung durchgesetzt wird, und des forum internum, das als Gewissensgericht mit dem kirchlichen Bußforum verbunden ist.258 Es zeigt sich also auch in der politischen Theorie und der Begründung des Staates die ideengeschichtliche Bedeutung der Willensmetaphysik sowie der naturrechtlichen Betrachtungsweise und Staatsauffassung. Für diese Dualität 253 So Kremer, Den Frieden verantworten, S. 245 f.; s.a. Glinka, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 157, 161 f. 254 Vgl. auch Quin, Personenrechte und Widerstandsrecht, S. 480 ff., 484 („Das Ziel der hier betrachteten katholischen Vertragslehre ist ohne Zweifel die Begrenzung der königlichen Macht und nicht die Legitimierung des Absolutismus“). Blickt man auf die weitere Entwicklung des kirchlichen Verhältnisses zu den absolutistischen Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts, so zeigt sich, dass die das politische und diplomatische Handeln der katholischen Kirche praktisch leitende Position nicht so sehr von der theoretischen und dualistischen Ausarbeitung bei den Spätscholastikern und Bellarmin geprägt wurde als vielmehr von einer Haltung, die einerseits stärker die politisch-zeitliche Macht des Papstes und Kirchenstaates betonte und sich andererseits mit den bestehenden Verhältnissen, d.h. insbesondere mit einem entstehenden Staatskirchentum in den katholischen Staaten Frankreich, Spanien und Portugal arrangierte (vgl. Tutino, Empire of Souls, p. 261 ss., 280 ss., s. aber auch p. 286 ss. zur Renaissance dieser Ideen im 20. Jahrhundert). 255 Zur Ablehnung dieser imperialistischen Ideen etwa Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 7 N. 3 ff.; hierzu auch Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 164; Coujou, in: Salas/Fastiggi (eds.), A Companion to Francisco Suárez, p. 29, 62 s. 256 S. Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Lib. III Teil 1, Einleitung, S. XXIII. 257 Vgl. auch Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 396 f.; Glinka, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 157, 161 ff. 258 Vgl. dazu Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 238 ff., 251, 265.

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versuchte die thomistische Tradition mit der naturrechtlichen Begründung der politischen Gewalt und des Staates eine Legitimation zu liefern. An diese naturrechtliche (proto-)kontraktualistische259 Begründung der politischen Gewalt und des Gemeinwesens, die von der natürlichen Freiheit der Menschen ausgeht, werden auch die neuzeitlichen Naturrechtslehrer anknüpfen.260 5.4

Ausblick auf die weiteren Entwicklungen

5.4.1 Hobbes Auch die neuzeitlichen Naturrechtslehrer sehen sich den zeitgeschichtlichen Entwicklungen des 16. und 17. Jahrhunderts gegenüber, d.h. der Entstehung des Staates sowie den Konfessions- und Bürgerkriegen, in denen es um die Frage königlicher Macht und Legitimation ging.261 Mitte des 17. Jahrhunderts tritt etwa der Engländer Robert Filmer in seiner Patriarcha in ausdrücklicher Zurückweisung der Spätscholastiker (Bellarmin, Suárez) gegen die Auffassung von der natürlichen Freiheit der Menschen und dem ursprünglichen Vorhandensein der politischen Macht in der gesamten politischen Gemeinschaft und für die Position der Gottesunmittelbarkeit königlicher Macht ein.262 John Locke wiederum verfasst seine Two Treatises of Government als ausdrückliche Gegenschrift zu Robert Filmers Patriarcha.263 Thomas Hobbes entfaltet seine Staatstheorie vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkriegs des 17. Jahrhunderts, in dem konfessionale Gründe eine besondere Rolle spielen.264 Zentral wird dabei der Staatsgründungs- bzw. Gesellschaftsvertrag, kraft dessen die Menschen einen Staat (common-wealth, civitas), d.h. den Leviathan bilden.265 Es handelt sich um einen Staatsgründungsvertrag, durch den die Menschen „eine Person oder eine Gruppe 259 Zu diesem Begriff s. etwa Bach/Brieskorn/Stiening, in: dies. (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 3, 8. 260 Vgl. zum Einfluss der politischen Theorie der thomistischen Tradition auf Grotius, Hobbes und Pufendorf Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 163, 174 ss., 184; ferner auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 92 ff., 95 f., 103 f., 178, 186. 261 S. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 101 f. 262 S. Filmer, Patriarcha, or the Natural Power of Kings, Ch. 1. 263 S. Locke, Two Treatises of Government, Preface; s.a. Tully, A Discourse on Property, p. 68 mit dem Hinweis, dass Locke seine Theorie als Gegenentwurf zu Robert Filmer entwickelt, der wiederum gegen Suárez argumentiert hatte; dazu auch Sims Kuiper, in: Maryks/ Senent de Frutos (eds.), Francisco Suárez (1548–1617), p. 439, 440 s. 264 S.a. Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 101. 265 Dazu Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 17, p. 85 ss., 87 s.

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von Personen“ zu ihren „Repräsentanten“266 ernennen und diese unter Aufgabe der eigenen Rechte zur Ausübung der politischen Macht ermächtigen.267 Staatsziel ist vor allem die Erhaltung des Friedens.268 Den Staat, in dem sich die Menschen durch den Vertrag vereinigen, versteht Hobbes als eine Art künstliche Person (Feigned or Artificiall person)269, worin sich freilich Ähnlichkeiten zum Konzept des corpus mysticum bzw. der persona ficta270 bei Suárez zeigen.271 Die Idee einer Vertragskonstruktion und der Repräsentation ist bereits bei Ockham, Marsilius v. Padua272, Vitoria273 und Suárez vorhanden, an die Hobbes wohl anküpft274. Bei Hobbes werden jedoch zum einen die strikte Unterscheidung zwischen Naturzustand275 und Zustand nach Gründung des institutionellen Staates zentral. Zum anderen begründet er die politische Gewalt des Staates als Folge des individuellen Rechtsverzichts und der Autorisierung durch die Menschen – die politische Gewalt wird also im Staatsgründungsvertrag nicht von der politischen Gemeinschaft übertragen, sondern diese wird erst durch den Rechtsverzicht der Einzelnen und deren Autorisierung begründet276. 266 Zum Gedanken der Autorisierung und Repräsentation in Hobbes’ Leviathan s. Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 213 ff. 267 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 17, p. 87 s.; Chap. 18, p. 88. 268 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 17, p. 87 s.; Chap. 18, p. 90. 269 Hobbes, Leviathan, of Man, Chap. 16, p. 80 ss.; of Common-Wealth, Chap. 17, p. 87 s.; s. zur persona ficta bei Hobbes auch Ertz, Naturrecht und göttliches Gesetz, S. 166 ff., 209 ff., 219 ff., 228 f. (zum corpus mysticum); Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 182 ff. 270 S. dazu auch Suárez, Defensio Fidei, Lib. III Cap. 3 N. 2 sowie oben bereits S. 503 f. 271 Wobei neu bei Hobbes ist, dass er die institutionelle Verselbständigung mit dem Repräsentationsgedanken verbindet. Zu Pufendorf s. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 185 ff. 272 Hierzu etwa Simonetta, Dal Difensore della Pace al Leviatano, p. 29 ss. 273 Zum Repräsentationsgedanken bei Vitoria Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 361 f. 274 Zum (mangels direkter Zitierungen nur vermuteten, angesichts der Auseinandersetzung zwischen dem englischen König James  I. und den Jesuiten aber wahrscheinlichen – Hobbes kannte jedenfalls Suárez’ Schriften) Einfluss Suárez’ auf Hobbes Martinich, The Two Gods of Leviathan, p. 134, 374, 379 s.; Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 163, 184; ferner auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 103 f.; Glinka, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Staatsrechtslehre des Francisco Suárez, S. 157, 166. 275 Bereits in der Spätscholastik wird konzeptionell von einem vorstaatlichen Naturzustand ausgegangen (vgl. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 1 N. 1 ff.), ferner wird auch der Begriff des Naturzustandes (status naturae) verwendet, s. Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 155 mit Verweis auf Molina. 276 S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 17, p. 87 s.; Chap. 18, p. 88; s.a. Ertz, Naturrecht und göttliches Gesetz, S. 205 ff., 219 ff., 228; Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 206 ff.

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Gerade in Letzterem zeigt sich vielleicht der wesentliche Unterschied von Hobbes und den nachfolgenden Naturrechtslehrern zu Suárez und der thomistischen Tradition.277 Wie gesehen, entsteht die politische Gewalt nach Suárez nicht durch Ableitung von den Einzelnen und deren Willen als Wirkursache, sondern steht der einmal durch Willensentschluss gebildeten politischen Gemeinschaft naturrechtlich von Gott „als dem Urheber der Natur“ zu.278 Während Hobbes die politische Gewalt von den Menschen und deren Vertrag selbst ableitet und damit säkular begründet, wird die politische Gewalt bei Suárez zwar naturrechtlich und in bestimmter Hinsicht autonom, aber letztlich theonom begründet.279 Grund hierfür ist nach Suárez, dass die politische Gewalt über mehr Befugnisse verfügt, als die Einzelnen selbst haben – dies betrifft die staatliche Strafgewalt ebenso wie die Gewissensverpflichtung der Gesetze.280 Gerade die Frage nach der naturrechtlichen Begründung der Strafgewalt sollte, wie gesehen281, zu Kontroversen bei den neuzeitlichen Naturrechtslehrern führen. Allerdings ist auch nach Suárez Voraussetzung der politischen Gewalt ein Willensentschluss, nur der einmal durch Willensentschluss gegründeten politischen Gemeinschaft steht auch die politische Gewalt zu.282 Ferner bedarf es eines menschlichen Willensentschlusses zur Konstituierung der Staatsmacht und der Übertragung der politischen Gewalt auf die Regierenden – die Konstituierung der politischen Gewalt sowie der Staatsmacht ist also Folge eines menschlichen 277 S.a. Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S. 97, 114; vgl. auch Hüning, Freiheit und Herrschaft, S.  206 f.; Sims Kuiper, in: Maryks/Senent de Frutos (eds.), Francisco Suárez (1548–1617), p. 439, 449 ss. 278 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 3 N. 1 f. („non provenire ex eorum voluntatibus quasi ex propria causa efficienti“), 6; vgl. auch Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Liber III, Teil 1, Einleitung, S. XVII ff. 279 S.a. Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Liber III, Teil  1, Einleitung,  S. XIX ff., XXIII f.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 91 f., 200 f. 280 Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 3 N. 3; Klug, Die Rechts- und Staatslehre des Franciscus Suarez, S. 91 f. Weiter ist bedeutsam, dass Suárez eine Selbstgesetzgebung ablehnt und wohl auch deshalb gegen die Herleitung der politischen Gewalt von den Einzelnen eintritt, s. Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, S. 227, 231 f. 281 Dazu oben S. 479 ff. Hier gehen sowohl Pufendorf als auch Hobbes im Gegensatz zu Grotius und Locke nicht von einer naturrechtlichen ursprünglich privaten, sondern von einer nur hoheitlichen Strafbefugnis aus, s. dazu oben S. 480 f. 282 S.  Suárez, De Legibus, Lib. III Cap.  3 N.  2, 6 (auch wenn der menschliche Willensentschluss selbst nicht Wirkursache der politischen Gewalt ist, ist er dennoch Bedingung von deren Entstehung; auch wenn für die Begründung der politischen Gewalt selbst ein besonderer Willensakt nicht notwendig ist, ist ein menschlicher Willensakt notwendig für die Begründung der politischen Gemeinschaft, der dann aus der Natur der Sache die politische Gewalt zusteht).

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Willensentschlusses283, es zeigt sich insoweit eine Mischung theo- und anthroponomer Begründung der politischen Ordnung.284 Wie sieht es nun bei Hobbes mit den Grenzen staatlicher Macht aus? Durch den Staatsgründungsvertrag geben die Bürger nach Hobbes ihre Rechte auf, und übertragen diese unwiderruflich auf den Staat.285 Daraus folgend tritt Hobbes für eine fast absolute Staatsmacht ein.286 Der Staat, auf den alle Macht übertragen worden ist und der die Menschen repräsentiert, sodass diese durch die Ermächtigung selbst Urheber seiner Handlungen sind, kann insofern kein Unrecht (injury, injustice) begehen.287 Es gibt daher auch kein Widerstands- oder Absetzungsrecht gegen den Souverän.288 Nach Staatsgründung gibt es also kein gegenseitiges Vertrags- und Verpflichtungsverhältnis zwischen Souverän und Bürgern.289 Ziel der bürgerlichen Gesetze ist gerade die Einschränkung der natürlichen Freiheit (d.h. des Right of Nature), um dadurch Frieden zu schaffen.290 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Bürger bei Gründung des Staates sämtliche Rechte aufgeben würden. Denn das Ziel der Staatsgründung ist der Friede und nur zu diesem Zweck werden 283 Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 91 f. 284 Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Liber III, Teil  1, Einleitung,  S. XIX ff.; Stiening, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), „Auctoritas Omnium Legum“, S. 195, 206 f. Vgl. Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 206, wonach „die klassische Naturrechtslehre von der Voraussetzung des natürlichen Gegebenseins der Gesellschaft und des Rechts ausgeht“ – aber gerade dies gilt bei Suárez nicht mehr uneingeschränkt. Suárez geht nämlich nicht nur von einem Übertragungsvertrag aus, in dem die Herrschaft von der politischen Gemeinschaft auf die Regierenden übertragen wird. Vielmehr ist Voraussetzung bereits der politischen Gemeinschaft und damit auch der politischen Gewalt ein vorgelagerter Willensentschluss, durch den sich die Menschen zu dieser politischen Gemeinschaft konstituieren. Nur der so durch einen Vertrag gebildeten politischen Gemeinschaft kommt auch politische Gewalt zu. Damit „reduziert sich“ die Bedeutung des Vertrages nicht „auf die Übertragung der politischen Gewalt“ (Hüning, Freiheit und Herrschaft, S.  206), vielmehr ist Folge der mehrstufigen Vertragskonstruktion bei Suárez, dass ein Vertrag bereits Voraussetzung der Bildung der politischen Gemeinschaft und damit staatlicher Gewalt ist und somit der freie Wille die politische Gemeinschaft und damit mittelbar auch die politische Gewalt konstituiert. 285 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap.  17, p.  87; Chap.  18, p.  88 s.; dazu auch Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 166. 286 Dies im Gegensatz zu den Spätscholastikern; zum Vergleich von Molina mit Hobbes s. Kaufmann, in: Kaufmann/Schnepf (Hrsg.), Politische Metaphysik, S. 205, 217 f.; zur Diskussion um den „Absolutismusvorwurf“ bei Hobbes Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 251 ff. 287 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 18, p. 90; Chap. 21, p. 109. 288 Vgl. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap.  18, p.  88 s., 90; Chap.  21, p.  109; s.a. Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 209. 289 S. Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 208 f. 290 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 26, p. 138.

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Rechte übertragen.291 Die Übertragung geht also nur soweit, wie das Leben der Untertanen gesichert wird, sodass Hobbes festhält, dass „Befehle sich selbst zu töten oder sich selbst anzuklagen nicht befolgt werden brauchen“ – nur auf die Freiheit im Sinne des „Rechts auf alles“, nicht auf das Selbsterhaltungsrecht wird verzichtet.292 Damit haben die Untertanen durchaus eine bürgerliche Freiheit, die in bestimmten Situationen den Untertanen die Verweigerung der Befehle ermöglicht, ferner besteht die Freiheit überall dort, wo das Gesetz keine Regelung trifft.293 Hobbes Ausführungen betreffen schließlich auch das Verhältnis zur Kirche. Neben dem Staat dürfe es keine weiteren Autoritäten geben. Hobbes wendet sich gegen eine geteilte souveräne Macht und damit auch eine Unterscheidung zwischen bürgerlicher und geistlicher Gewalt bzw. zwischen weltlichen und kirchlichen Gesetzen.294 In dieser monistischen Position, die von der Identität weltlicher und kirchlicher Angelegenheiten ausgeht, zeigen sich freilich Parallelen zur Position Marsilius v. Paduas.295 5.4.2 Pufendorf In Auseinandersetzung mit Hobbes knüpft Pufendorf in seiner Staatstheorie ebenfalls an den Staatsgründungsvertrag als Willensentschluss der Menschen an, durch den die Menschen ihre natürliche Freiheit aufgeben und sich der souveränen Gewalt unterwerfen.296 Allerdings ist bei Pufendorf die Staatsmacht eher entsprechend den scholastischen Entwicklungen begrenzt; auch nach Staatsgründung besteht eine vertragliche Bindung zwischen Regierenden und Bürgern und damit keine uneingeschränkte Souveränität des Staates, vielmehr haben die Bürger weiterhin eigene Rechte.297 Im Gegensatz zu Hobbes übertragen die Menschen hier nicht sämtliche Rechte auf den Staat im Sinne 291 Vgl. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 21, p. 111. 292 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 21, p. 111 s.; s.a. Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 207. 293 Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 21, p. 111 s., 113 (Silence of Law), 109; s. ferner Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 18, p. 91: die civill laws schaffen ihrerseits durch ihre Regelungen auch Rechte, nämlich die propriety, d.h. sie legen fest, welche Handlungen die Menschen vornehmen dürfen, „ohne daran von ihren Mitmenschen gehindert werden“ zu dürfen. 294 S. Hobbes, Leviathan, of Common-Wealth, Chap. 29, p. 170 ss.; s.a. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 291. 295 Dazu oben S. 488 ff. sowie etwa Simonetta, Dal Difensore della Pace al Leviatano, p. 29 ss. 296 Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VII Cap. II § 1 ff.; dazu Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 160 ff., 168; Behme, Samuel von Pufendorf, S. 115, 120 ff. 297 S. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VII Cap. II §§ 9 ff.; s.a. Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 166; Behme, Samuel von Pufendorf, S. 125 ff.

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der Aufgabe der eigenen Freiheit; vielmehr bleibt eine vertragliche Bindung zwischen Souverän und Untertanen erhalten.298 Trotz des gemeinsamen Ausgangspunkts mit Hobbes zeigen sich bei Pufendorf weitere Differenzen in der Konstruktion der politischen Ordnung. Pufendorf nimmt hier nämlich drei Verträge an: den Vereinigungs- bzw. Gesellschaftsvertrag, der der Einrichtung einer dauerhaften Vereinigung (unum & perpetuum coetum) dient; die Einigung über die „Regierungsform“ sowie den Herrschafts- und Unterwerfungsvertrag, der auf die Konstituierung der Regierenden zielt.299 Dieser mehrstufige Vertragsaufbau und die vertragliche Bindung des Souveräns nach seiner Konstituierung, welche in Gegensatz zu Hobbes stehen300, weisen wiederum Ähnlichkeiten zu Suárez auf.301 Da der Souverän Unrecht begehen kann, besteht dementsprechend auch bei Pufendorf im Gegensatz zu Hobbes ein, wenn auch stark beschränktes, Widerstandsrecht.302 Staatszweck ist entsprechend der naturrechtlichen Tradition grundsätzlich die Erhaltung und Herstellung der Sicherheit und des Friedens, wobei aber der jeweilige Souverän die Bürger zu allem zwingen kann, was als dem Gemeinwohl dienlich angesehen wird.303 Der Staat hat Souveränität im Sinne absoluter Befehlsgewalt (imperium absolutum)304, daneben bestehende andere Gewalt ist nur delegiert.305 Ursprung und Quelle der Souveränität ist unmittelbar der Herrschaftsvertrag, 298 Behme, Samuel von Pufendorf, S. 125 ff.; s.a. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VII Cap. II § 9; anders aber Hobbes, nach dem gerade kein wechselseitiges Verpflichtungsverhältnis besteht, s. dazu auch Hüning, Freiheit und Herrschaft, S. 208 f. 299 Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VII Cap. II §§ 7 f.; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 166 ff.; Behme, Samuel von Pufendorf, S. 122 ff. 300 Behme, Samuel von Pufendorf, S. 125 f. 301 Dazu oben S. 504 ff. 302 Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S.  169, 194 ff., 199 ff.; Behme, Samuel von Pufendorf, S.  152 ff.; s.a. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VII Cap. VIII  §§ 1 ff.,  § 5; zur Ähnlichkeit mit den Spätscholastikern Walther, in: Walther/ Brieskorn/Waechter (Hrsg.), Transformation des Gesetzesbegriffs, S.  161, 170 f.; s. ferner zum (beschränkten) Widerstandsrecht bei Grotius, Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Lib. I Cap. 4 N. 2 ff. 303 Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S.  173 f.; Behme, Samuel von Pufendorf, S.  116 f.; s.a. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VII Cap. I  § 7; Cap. II §§ 7, 8 (securitas, salus); Cap. VI § 13. 304 Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S.  178; Behme, Samuel von Pufendorf,  S.  131; s.a. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VII Cap. VI  § 13. Im Gegensatz zu Hobbes kann es zu Konflikten zwischen den bürgerlichen Gesetzen und dem natürlichem Gesetz kommen. Daher soll der Gesetzgeber die bürgerlichen Gesetze entsprechend ausgestalten, vgl. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VIII Cap. I §§ 1 f.; s.a. Behme, Samuel von Pufendorf, S. 135 ff. 305 Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S.  176 f.; Behme, Samuel von Pufendorf, S. 131 ff.

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mittelbar Gott.306 In diesem Punkt, in dem sich Pufendorf ausdrücklich gegen die Lehre der Gottesunmittelbarkeit der Könige wendet307, zeigen sich wiederum Ähnlichkeiten zu den Spätscholastikern. Unterschied zu den Scholastikern ist, dass Pufendorf entsprechend lutherischer Lehre dem Staat auch Zuständigkeiten in geistlichen Angelegenheiten zubilligt.308 Umgekehrt tritt aber Pufendorf auch in gewissem Umfang für Glaubens- und Gewissensfreiheit ein, wobei er insoweit allerdings hinter der Position Lockes zurückbleibt.309 5.4.3 Locke Schließlich ist auf Lockes politische Theorie einzugehen, die mit ihrer Verknüpfung von subjektiven Rechten und politischer Theorie die weitere Entwicklung besonders prägen sollte. Entscheidend ist die vom Individuum ausgehende Zustimmung und Rechtsübertragung. Insoweit steht die Begrün­ dung politischer Gewalt mit Lockes Konzeption der Naturrechte in engem Zusammenhang. Da jeder Mensch „von Natur aus frei“ ist, wird er nach Locke nur deshalb Teil eines Gemeinwesens und unterliegt der politischen Gewalt, weil er hierzu durch „Konsens“ zugestimmt hat.310 Durch diese Zustimmung „begibt sich der Einzelne seiner natürlichen Freiheit“ und gründet so das Gemeinwesen (community) als „politischen Körper“ (body politic), welcher durch die Mehrheit gelenkt wird.311 Grund der Aufgabe seiner Freiheit und der Unterwerfung des Einzelnen unter die Macht des Gemeinwesens ist, dass im Naturzustand die Rechte der einzelnen „unsicher“ seien und durch andere bedroht würden.312

306 Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VII Cap. III §§ 2 f.; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 179. 307 Vgl. Pufendorf, De Iure naturae et gentium, Lib. VII Cap. III §§ 2 ff.; Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 179. 308 Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S.  210 ff.; Behme, Samuel von Pufendorf, S. 144 f., 176 ff. 309 Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S.  216 ff.; s.a. Marshall, John Locke, Toleration and Early Enlightenment Culture, p. 544. Einerseits tritt Pufendorf zwar für die Freiheit der Religion als Naturrecht ein, andererseits spricht er sich aber auch für einen religiös einheitlichen Staat aus, um Frieden und Stabilität sicherzustellen. 310 Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 95 ss., § 119. 311 Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 95 s. Der Begriff des one body politic verweist freilich auf den Begriff des unum corpus politicum bei Suárez, s. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 2 N. 4; vgl. auch zum Verhältnis von Locke und Suárez Sims Kuiper, in: Maryks/ Senent de Frutos (eds.), Francisco Suárez (1548–1617), p. 439, 441 ss. 312 Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 123.

Die politische Ordnung

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Von diesem Ausgangspunkt gedacht, zielt die Staatsgründung auf die „Erhaltung“ der property (preservation of their property), d.h. von Leben, Freiheit und Eigentum.313 Ziel des Gemeinwesens ist auf die Erhaltung des Friedens, der Sicherheit und des Gemeinwohls gerichtet (peace, safety and public good of the people).314 Die politische Gewalt ist an dieses Ziel gebunden, sie darf ihre Macht „nicht über das Gemeinwohl hin ausdehnen“.315 Da das Gemeinwesen nur die Rechte hat, die ihm übertragen wurden und auch der einzelne keine „willkürliche Macht über sich selbst“ hat, darf die Macht des Gemeinwesens nicht willkürlich ausgeübt werden, sondern muss der Erhaltung der Rechte dienen.316 Die Individualrechte geben also nicht nur das Ziel der politischen Gewalt vor, sondern begrenzen zugleich die staatliche Macht. Bei Locke zeigt sich damit ein grundlegend freiheitlicher Ansatz der Begründung der politischen Gewalt und deren Begrenzung auf die Erhaltung der Naturrechte der Menschen317 – Staatszweck ist die Bewahrung der Rechte der Einzelnen. Hiermit wird ein grundsätzlich liberales und individualitisches Staatsverständnis angelegt, das wesentlichen Einfluss auf die amerikanische Konzeption von Staat und Gemeinwesen haben sollte.318 Indem Locke die Bindung der politischen Gewalt an die natürlichen Rechte der Menschen betont, ergeben sich wesentliche Unterschiede zu Hobbes. Im Gegensatz zu diesem enden bei Locke die Verpflichtungen des Naturgesetzes (obligations of the law nature) nicht mit dem Verlassen des Naturzustands, sondern binden als ewiges Gesetz (eternal rule) auch den Gesetzgeber.319 Daher müssen die menschlichen Gesetze „mit diesem natürlichen Gesetz, d.h. dem Willen Gottes, dessen Verlautbarung das natürliche Gesetz ist, konform sein“ (The rules that they make for other men’s actions, must, as well as their own and other men’s actions, be conformable to the law of nature, i.e. to the will of God, of which that is a declaration), und „das fundamentale Gebot des

313 Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 123 s., 222; dazu auch Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 180 ff. 314 Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 131, 95. 315 Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 131. 316 S. Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 135. 317 S.a. Coing, Archives de philosophie du droit N. 9, p. 1, der darin die Transformation der urspünglichen, durch das Naturrecht begründeten Rechte der Menschen in subjektive Rechte des positiven Rechts sieht. 318 S. etwa König, Zur Begründung der Menschenrechte, S. 160 ff.; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S.  24 f.; Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd.  2, S. 163, 176; zum Einfluss Lockes auf die USA s. etwa Huyler, Locke in America, p. 1 ss. et passim. 319 Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 135.

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natürlichen Gesetzes [ist] die Erhaltung der Menschheit“.320 Damit verbunden finden sich bei Locke auch ein Widerstandsrecht gegen den Tyrannen321 und die Ablehnung absoluter Monarchie322. Wenn der Gesetzgeber die Rechte (property) der Menschen aufhebt, dann „verwirkt“ dieser seine Macht und die Menschen „haben ein Recht, ihre ursprüngliche Freiheit wiederzuerlangen“, indem sie einen neuen Gesetzgeber bestimmen.323 5.5

Zusammenfassung

In der politischen Theorie und Staatsphilosophie zeigen sich Kontinuitäten und Innovationen, was gerade das Kennzeichen einer Tradition ist. Kontinuität haben die naturrechtliche Herleitung der politischen Gewalt vor dem Hintergrund der natürlichen Freiheit des Menschen und die grundsätzliche Annahme, dass Staatsziel die Bewahrung und Herstellung von Frieden und Sicherheit ist. Anknüpfend an Ockham wird bei den Spätscholastikern und insbesondere bei Suárez sodann die Idee eines Übertragungsvertrages zentral, durch den von der politischen Gemeinschaft die politische Gewalt auf die Regierenden übertragen wird und das Gemeinwesen sowie seine Regierungsform konstituiert werden. Dem Vertragsgedanken und damit dem menschlichen Willen kommt also maßgeblich Bedeutung für die Konstituierung der politischen Ord­nung zu. Während aber bei Suárez die politische Gewalt der einmal durch einen Willensentschluss gebildeten politischen Gemeinschaft von Gott als dem Urheber der Natur zukommt, begründen Hobbes und die nachfolgenden Naturrechtslehrer die politische Gewalt und den Staat durch individuellen Rechtsverzicht und -übertragung von den Einzelnen auf den Staat – an die Stelle einer naturrechtlich-theonomen Herleitung politischer Gewalt tritt hier eine letztlich säkulare, autonome Begründung. Während aber Hobbes hierin einen umfassenden Rechtsverzicht sieht und die Bürger damit beinahe sämtliche Rechte aufgeben und übertragen, gehen sowohl Pufendorf als 320 321 322 323

Locke, Two Treatises of government, Treatise II § 135. Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 203 ss. Locke, Two Treatises of government, Treatise II §§ 90 ss. Locke, Two Treatises of government, Treatise II  § 222. Hierin zeigen sich wiederum Ähnlichkeiten zu den spätscholastischen Lehren, etwa in der Geltung des natürlichen Gesetzes als dem ewigen Gesetz auch nach Ende des Naturzustands sowie der Absetzbarkeit der Regierung bei Verletzung der fundamentalen Rechte (so etwa Skinner, The Foundations of Modern Political Thought, p. 174 s.).

Die politische Ordnung

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auch Locke entsprechend den Spätscholastikern davon aus, dass auch nach Staatsgründung ein gegenseitiges Rechtsverhältnis mit Rechten und Pflichten zwischen Regierenden und Bürgern fortbesteht – die Staatsmacht ist nicht absolut, sondern an das Staatsziel gebunden und findet in den Naturrechten der Menschen ihre Grenze.

Kapitel 6

Zusammenfassung und Fazit 6.1

Zusammenfassung

1. Mit dem Zusammenfall des römischen Reiches in der Spätantike ist das römische Recht weitgehend aus der Rechtspraxis Westeuropas verschwunden. Es wird in Ansätzen von der kirchlichen Rechtspraxis bewahrt. Im Übrigen treten zunehmend „Stammesrechte“ an die Stelle des römischen Rechts. Diese sind stark mit Elementen der Fehde, Privatrache und Sippe verknüpft. In diesem Kontext entfaltet sich im 11. Jahrhundert eine Entwicklung, die heute weithin als „Päpstliche Revolution“ bezeichnet wird. Bestimmend ist dabei eine Bewegung, die ihren Ausgangspunkt in der burgundischen Abtei Cluny genommen hat, die sog. „Cluniazensische Reform“. Mit dieser benediktinischen Reformbewegung ist Papst Gregor VII. verbunden. Anliegen dieser Reform ist die geistliche Erneuerung der Kirche. Insoweit zielt die Reform auf eine Entweltlichung des Klerus durch institutionelle und organisatorische Reformen. Hierdurch erreicht die Kirche eine gewisse Unabhängigkeit und institutionelle Selbständigkeit von den weltlichen Mächten. Die religiös-politische Einheitswelt des frühen Mittelalters wird zugunsten einer Dualität von „Weltlichem“ und „Geistlichem“ aufgebrochen. Die organisatorisch-institutionelle Selbständigkeit der Kirche festigt sich auf dieser Grundlage im Laufe des Mittelalters durch ein europaweites hierarchisch organisiertes Rechts-, Verwaltungs- und Justizwesen, an dessen Spitze der Papst steht. Die Kirche etabliert sich so als eigenständige Institution, die rechtlich operiert und in rechtlichen Kategorien handelt (S. 18–28). 2. Es ist dieser zeitgeschichtliche Kontext, in dem sich Rechtswissenschaft, Philosophie und Theologie an den neu entstehenden Universitäten des Mittelalters konstituieren. Dabei zeigt sich, dass die Theologie zunächst auf Begriffe und Konzepte der Rechtswissenschaft zurückgreift („Juridifizierung der Theologie“), und diese dann fortentwickelt, abstrahiert oder transformiert, was schließlich wiederum von der Rechtswissenschaft („Theologisierung der Jurisprudenz“) aufgegriffen wird. Rechtswissenschaft, Philosophie und Theologie ergänzen sich so gegenseitig und stehen in wechselseitigem Austausch. Maßgebliche Bedeutung kommt in diesem Kontext Thomas von Aquin und seiner in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfassten Summa Theologiae zu. Dabei sind es verschiedene Einflüsse – Aristoteles’ Tugend- und Gerechtigkeitslehre, die stoisch-ciceronianische Gesetzeslehre, römisches

© Brill Schöningh, 2022 | doi:10.30965/9783657795413_007

Zusammenfassung und Fazit

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und kanonisches Recht, die Theologie und Philosophie der Patristik und Scholastik –, die einerseits bei Thomas zusammenlaufen und andererseits von dort wieder auseinandergehen. Indem Thomas verschiedene Traditionen zusammenführt, entsteht letztlich eine neue Rechts-, Gerechtigkeits- und Gesetzeslehre. Thomas verknüpft somit verschiedene zuvor weitgehend unabhängige Traditionen und fügt sie zu einer Ordnung zusammen (S. 29–46). Für die weitere Entwicklung gewinnt im 16. Jahrhundert die sogenannte spanische Spätscholastik eine besondere Bedeutung. Auch wenn der Begriff nicht unproblematisch ist, kann die spanische Spätscholastik dadurch charakterisiert werden, dass sich ihre Autoren vor allem mit dem Naturrecht auseinandersetzen und dabei maßgeblich durch Thomas v. Aquin und seine Summa Theologiae beeinflusst sind. Wichtige Autoren sind neben Francisco de Vitoria als dem Gründer der Schule von Salamanca Domingo de Soto, Ludovico Molina, Leonardus Lessius sowie Francisco Suárez. Neben Thomas von Aquin zeigen sich im Werk der Spätscholastiker Einflüsse insbesondere der franziskanischen Theologien des Mittelalters, namentlich von Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham. Tatsächlich greifen die meisten Diskussionen und Entwicklungen des 16. und 17. Jahrhundert auf verschiedene Diskussionen und Auseinandersetzungen des Mittelalters zurück. Somit stellt die Spätscholastik keine bloße Fortsetzung des Werkes von Thomas v. Aquin dar, vielmehr begegnet der Thomismus selbst bei den Spätscholastikern in ganz unterschiedlichen Ausprägungen und Formen (S. 46–59). 3. Unmittelbarer Hintergrund für die theologisch-philosophische Beschäf­ tigung mit dem Recht ist die Buß- und Rechtfertigungstheologie. Die kirchliche Bußpraxis unterlag von der Spätantike bis zum Spätmittelalter wesentlichen Entwicklungen. Vergebung der Sünden, Umkehr und Buße bilden eine Kernbotschaft des Neuen Testaments. Von diesem Ausgangspunkt entwickelt sich die Buße der urchristlichen Gemeinden in der Spätantike. Abweichend von der antiken öffentlichen Buße, die neben der Sündenvergebung als wesentliches Element einen ekklesialen Aspekt (Exkommunikation – Rekonziliation) enthält, entwickelt sich im frühmittelalterlichen Kontext der iro-schottischen Mission die Privatbuße. Diese kennzeichnet einen subjektiv-persönlichen Bereich, der die Beziehung zwischen Gott und dem einzelnen Menschen betrifft und auf die Vergebung der Schuld zielt. Schuld meint dabei die Zurechnung einer schlechten, d.h. gesetzeswidrigen Handlung aufgrunddessen, dass sie frei ist. Wirkung der Schuld ist die Strafwürdigkeit. Die Buße bewirkt die Rechtfertigung des Menschen, indem Schuld und Sünde durch die göttliche Gnade vergeben werden. Der Priester vergibt dem Sünder im Bußsakrament aufgrund der Schlüsselgewalt die Schuld. Die scholastische Bußtheologie versteht die Buße dabei als „gerichtlichen“ Ort ( forum poenitentiale – Bußforum). Sünde,

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Handlung, Gesetz, Vernunft, Schuld, Strafe, Wille, Willensfreiheit, Gnade und Rechtfertigung sind in diesem Kontext die Zentralbegriffe, um die herum sich die Theologie entfaltet (S. 60–83). 4. Vor dem Hintergrund dieser Rechtfertigungs- und Bußtheologie lassen sich die Erörterungen Thomas’ und der Spätscholastiker zu Recht, Gerechtigkeit und Gesetz verstehen. Sünde ist „eine schlechte menschliche Handlung“, d.h. eine aus dem Willen des Menschen hervorgehende Handlung gegen das Gesetz. Gesetz ist nach Thomas eine „Anordnung der Vernunft im Hinblick auf das Gemeinwohl, erlassen und öffentlich bekanntgegeben von dem, der die Sorge für die Gemeinschaft innehat“. In der weiteren Entwicklung des Gesetzesbegriffs spielen der Franziskaner Duns Scotus und der mit ihm verbundene Voluntarismus eine wesentliche Rolle, was sich später im Gesetzesbegriff bei Suárez bemerkbar macht. Gesetz setzt danach einen Willensakt des Gesetzgebers voraus; der Wille des Gesetzgebers begründet die Verpflichtung des Gesetzes. Dabei wird zwischen verschiedenen Gesetzesarten (ewiges, göttliches, natürliches und menschliches Gesetz) differenziert. Menschliches und natürliches Gesetz unterscheiden sich in Entstehung, Begründung, Inhalt, Gegenstand, Ziel und Reichweite (S. 84–100). 5. Diese Differenzierung von menschlichem und natürlichem Gesetz wird durch die Dualität von Gewissensforum ( forum conscientiae) und forum externum begreiflich. Hintergrund ist wiederum die Bußtheologie. So wird in der Theologie und Philosophie des Mittelalters die Idee eines inneren „Gewissensgerichts“ ( forum conscientiae) des Menschen entwickelt. Im Gewissensforum wird dem Menschen angezeigt, ob er gut oder schlecht handelt und ob er dem natürlichen Gesetz als einer Anordnung der Vernunft Folge leistet. Das Gewissensforum ist zugleich mit dem „Bußforum“ verbunden, in dem der Sünder vor dem Priester seine Sünden bekennt und die Schuld gegenüber Gott vergeben wird. Von diesem inneren Forum ( forum internum) wird das äußere Forum ( forum externum) unterschieden, das als „gerichtliches Forum“ verstanden wird und in dem Strafen verhängt und zivilrechtliche Verpflichtungen durchgesetzt werden. Die im Gewissensforum maßgebliche Rechtsordnung bildet das Naturrecht, das in der Folge als umfassende Normordnung entwickelt wird. Die Buß- und Rechtfertigungstheologie bildet so den Kontext für die Entwicklung einer neuen Rechtslehre, die das Recht transformiert (S. 101–127). 6. Weiter nehmen die Begriffe Recht und Gerechtigkeit eine zentrale Bedeutung ein. Unter Rezeption der aristotelischen Gerechtigkeitslehre wird bei Thomas zwischen verteilender und ausgleichender Gerechtigkeit unterschieden. Letztere betrifft das Verhältnis zwischen Privaten und soll einen Ausgleich in den zwischenmenschlichen Beziehungen herbeiführen. Das

Zusammenfassung und Fazit

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Recht bildet „den Gegenstand der Gerechtigkeit“. In den mittelalterlichen Diskussionen (Marsilius von Padua, Conrad Summenhart) bricht sich ein doppeltes Rechtsverständnis Bahn, einerseits im Sinne von Gesetz, andererseits im Sinne von rechtlicher Befugnis. Recht wird damit im Gegensatz zu Thomas bei den Spätscholastikern nicht mehr nur objektiv im Sinne des Gerechten bzw. Gesetzes, sondern auch subjektiv, d.h. als eine der Person zustehende Rechtsmacht verstanden. Eine weitere Dimension des Rechtsbegriffs zeigt sich in Summenharts Rechtsdefinition, die Recht als Beziehung (relatio) versteht. Daran anknüpfend verstehen die Spätscholastiker Rechte und Pflichten als Korrelative, dem Recht des einen steht die Pflicht des anderen korrelativ gegenüber. Von den rechtlichen Pflichten aus der Gerechtigkeit werden die moralischen Pflichten aus den Sekundärtugenden (Freundschaft, Wahrheit etc.) abgegrenzt. Die rechtlichen Pflichten verpflichten stärker (S. 128–144). 7. Für die Entwicklung des Naturrechts wird ferner eine spezifische Anthro­ pologie bedeutsam, in der die (Willens-)Freiheit des Menschen sowie die Vorstellung des Menschen als Person zentrale Bedeutung gewinnen. Nach Thomas konstituiert sich die Natur des Menschen über Vernunft und Willen, beide zusammen bewirken die Willensfreiheit (liberum arbitrium). Insbesondere bei Molina kommt dem Konzept der Willensfreiheit auch für die Rechtslehre eine zentrale Bedeutung zu. Anknüpfend an Duns Scotus ordnet Molina die Freiheit dem Willen zu. Der Wille ist indeterminiert und bestimmt sich selbst, er kann infolge seiner Freiheit selbst Ursache sein. Die molinistische Willens- und Freiheitslehre wird zunächst im Kontext der Rechtfertigungslehre entwickelt und ist durch die infolge der Reformation entstehende Auseinandersetzung um das Verhältnis von Willensfreiheit und Gnade bedingt. Die Zentralität des freien Willens und der daraus folgenden Eigenwirksamkeit des Menschen prägt sodann auch die Rechtslehre. Der Rechtsbegriff wird dadurch verändert: Wille und Freiheit sind nunmehr Begriffselemente. Der Begriff der Person erhält seine zentrale Bedeutung durch die Lehre vom moralischen Sein, die ursprünglich von den Franziskanern Alexander von Hales und Bonaventura entwickelt und dann im 16. Jahrhundert von Francisco Suárez aufgegriffen wird. Die Lehre vom moralischen Sein erlangt ihre praktische Relevanz zunächst durch die christologische Fragestellung nach der Menschwerdung Gottes und der Rechtfertigung der Menschen durch den Opfertod Christi. Sie entfaltet sich sodann als selbständige moralphilosophische Theorie, die durch die Begriffe Person, Würde, Wille, Freiheit, Gesetz, Recht und Gewissen konstituiert ist. Es wird so von einer eigenständigen moralischen Wirklichkeit ausgegangen, die vom physischen Seinsbereich, d.h. den physischen Dingen der Welt verschieden ist. Diese moralische Wirklichkeit wird durch moralische Entitäten, deren Ursachen und Wirkungen konstituiert;

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zentrale Institution und Zurechnungsgrund in diesem moralischen Seinsbereich ist die Person. Der Wille der Person ist hier nun moralische Ursache und kann als moralische Wirkungen etwa Rechte begründen oder gestalten. Der gesamte Bereich des Rechts wird auf diese Weise der moralischen Wirklichkeit zugeordnet. Es bildet sich so eine in rechtlichen Kategorien gedachte eigenständige „Welt“, deren Konstruktionsprinzip die moralische Kausalität ist. Man kann die Lehre vom moralischen Sein insofern als eine Art Theorie einordnen, die die moralphilosophische Tradition letztlich auf ein neues gedankliches Konzept verlagert und in eine eigenständige Form bringt. Suárez greift damit eine zunächst selbständig verlaufende Traditionslinie der mittelalterlichen Philosophie und Theologie auf und nimmt deren Kategorien, um die thomistisch geprägte Moralphilosophie und die thomistisch-scotistische Gesetzeslehre theoretisch auf ein neues Fundament zu stellen. Indem Francisco Suárez ebendiese Lehre für seine Rechtsphilosophie aufgreift, überführt er die Rechtslehren in die Freiheitsmetaphysik. Dreh- und Angelpunkt dieses neuen Modells ist die Freiheit als Fundament des Moralischen sowie die Person als zentrale Instanz und Zurechnungssubjekt. Neben Molinas Willensmetaphysik wird so Suárez’ Lehre vom moralischen Sein zur maßgeblichen transformativen Kraft der rechtlichen Entwicklungen. Im Hintergrund stehen jeweils theologisch-philosophische Entwicklungen: bei Molina und Lessius die Rechtfertigungstheologie und die Auseinandersetzungen im Kontext des Gnadenstreits; bei Suárez die Christologie und die in deren Kontext entwickelte Lehre vom moralischen Sein. Damit vollzieht sich auch ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel: Während zuvor die aristotelisch-thomistische Gerechtigkeitslehre im Zentrum naturrechtlichen Denkens stand, werden jetzt die Kategorien Person, Wille, Freiheit und (subjektive) Rechte zu den Konstituenten des Naturrechts (S. 145–185). 8. Durch die Dualität von forum internum und forum externum wird das Verhältnis von natürlichem und menschlichem Gesetz auf eine spezifische Weise bestimmt. Hierin erweist sich ein wesentlicher Unterschied zu den antiken Naturrechtslehren. Menschliches Gesetz und Naturrecht werden in ein solches Verhältnis gesetzt, dass das menschliche Gesetz unabhängig ist und einen eigenen Geltungsbereich hat, aber gleichzeitig das Naturrecht nicht wirkungslos bleibt, sondern den Menschen im Gewissen verpflichtet. Es wird damit eine doppelte Rechtsordnung geschaffen, ohne dass das weltliche Recht in seiner Geltung aufgehoben wäre. Aufgrund der Dualität der Foren bildet sich die Konzeption einer Naturrechtsordnung. Durch diese Entwicklungen wird das Naturrecht im 16. Jahrhundert zu einer umfassenden Rechtsordnung, die auch konkrete Rechtsfragen regelt.

Zusammenfassung und Fazit

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Fragt man nach den Gründen hierfür, spielen auch zeitgeschichtliche Einflüsse eine Rolle. Die Entdeckung der Neuen Welt und die Eroberung Amerikas durch die Spanier wirft vielfältige rechtliche Probleme auf, die sich nicht durch das positive Recht der Zeit beantworten lassen, so die Frage nach der Legalität der Eroberung, nach dem Eigentum und den Rechten der indigenen Bevölkerung und der Legitimation der Staatsgewalt. Weiter zeigen sich Änderungen in der Wirtschaftswelt, insbesondere durch das Aufkommen des Frühkapitalismus und den globalen Handel mit der Neuen Welt. Ferner wird die „Juridifizierung“ des forum internum im Zuge der Entwicklungen des Konzils von Trient nochmals verstärkt (S. 186–219). 9. Vor diesem philosophisch-theologischen Hintergrund lassen sich die Entwicklungen des Naturrechts in der Neuzeit verstehen, die es bei den neuzeitlichen Naturrechtslehrern (Grotius, Pufendorf, Hobbes, Thomasius, Locke, Wolff) erfährt. Was sich ändert, sind nicht so sehr Ursprung, Begründung, Substanz oder Inhalt des Naturrechts. Was sich ändert, sind vielmehr der Wirkbereich und der Kontext des Naturrechts. Auch die neuzeitlichen Naturrechtslehrer nehmen hinsichtlich Ursprung und Begründung des Naturrechts Positionen innerhalb des Spektrums von Voluntarismus und Rationalismus ein. Ebenso ändern sich nicht grundsätzlich und bruchhaft, sondern kontinuierlich der Inhalt und die Substanz des Naturrechts bei den Naturrechtslehrern der Neuzeit. Ferner verstehen die neuzeitlichen Naturrechtslehrer das Naturrecht nicht als abstrakte Idee zur Legitimierung des geltenden positiven Rechts, sondern als selbständige umfassende und konkrete Naturrechtsordnung. Dagegen ändern sich der Wirkbereich und der Kontext des Naturrechts. Das Naturrecht wird „säkular“ insoweit, als seine Wirkungen nicht mehr, wie bei Thomas und den Spätscholastikern, zumindest auch im göttlichen Forum bzw. im Bußforum gesehen werden, sondern es aus diesem entfernt wird. Der Zusammenhang von Bußforum und Naturrecht wird aufgelöst. Ein Grund hierfür liegt in der von Thomas und den Spätscholastikern verschiedenen theologischen Rechtfertigungslehre zumindest der protestan­ tischen Naturrechtslehrer, d.h. in der Rechtfertigungs- und Gnadentheologie der Reformatoren. Luther, der selbst keine umfassende Naturrechtslehre entwickelt, greift zwar das Naturrecht auf und knüpft in gewisser Hinsicht an die scholastische Naturrechtslehre an. Luther verändert die Naturrechtslehre aber gleichwohl fundamental, indem er das Naturrecht als „äußerliche Ordnung Gottes“ versteht, die das äußere Zusammenleben der Menschen regeln und insoweit von der weltlichen Obrigkeit angewandt werden soll. Luther verändert die Wirkungen des Naturrechts, indem er „Gesetz und Evangelium“ einander gegenüberstellt und dem Naturrecht einen weltlichen und menschlichen

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Charakter zuweist. Dadurch wird letztlich der Zusammenhang von Naturrecht, Gerechtigkeit und Rechtfertigung aufgelöst. Als für die weitere rechtliche Entwicklung besonders bedeutsam erweist sich eine Strömung, die das Naturrecht in den Bereich des forum externum übertragen will, indem das Recht in foro externo dem Naturrecht nachgebildet wird bzw. das Naturrecht neben dem römisch-gemeinen Recht zur Grundlage der Kodifikationen des Rechts in foro externo genommen wird (S. 220–274). 10. Damit kommt naturrechtlichen Lehren insoweit Kontinuität zu, als die neuzeitliche Gesetzgebung naturrechtliche Inhalte aufgreift. Dies wirft die Frage auf, was den Inhalt des Naturrechts konstituiert. Für die Konstituierung des Inhalts des Naturrechts kommt dabei den verschiedenen philosophischtheologischen Traditionslinien Bedeutung zu: zunächst der aristotelischthomistischen Rechts- und Gerechtigkeitslehre einschließlich der spezifischen Anthropologie; den franziskanischen Einflüssen durch Duns Scotus und Wilhelm von Ockham; sodann der molinistischen Willensmetaphysik; schließlich der suarezianischen Freiheitsmetapyhsik und der Lehre vom moralischen Sein. Diese Einflüsse lassen sich exemplarisch im Begriff subjektiver Rechte, im Haftungs- und Vertragsrecht, ferner in den Straflehren sowie in der politischen Theorie nachvollziehen. 11. Der Begriff subjektiver Rechte als solcher stammt aus dem 18./19. Jahrhundert und erscheint erstmals wohl beim Naturrechtslehrer Achenwall. Inzwischen ist aber anerkannt, dass das Konzept und die Idee subjektiver Rechte wesentlich durch die Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit geprägt wurden. Die Diskussion um Naturrechte und subjektive Rechte der Spätscholastiker schließt dabei an verschiedene mittelalterliche Entwicklungslinien an. Prägend sind hierbei vor allem zwei zeitgeschichtliche Auseinandersetzungen: zum einen der franziskanische Armutsstreit des 14. Jahrhunderts, in dem diskutiert wird, ob die selbst gewählte Armut der Franziskaner dazu führt, dass diese keine (Eigentums-)Rechte haben. Es geht konkret um die Fragen, was „Rechte“ sind, in welchem Verhältnis Eigentum und Recht stehen und wie weit ein freiwilliger Rechtsverzicht reichen kann. Zum anderen gewinnt die Diskussion um subjektive Rechte und Eigentum im Spanien des 16. Jahrhunderts eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund der Entdeckung und Eroberung der Neuen Welt. In Zusammenhang mit der gewaltsamen Eroberung und Ausbeutung Amerikas durch die Spanier stellt sich ganz konkret die Frage nach der Rechtfertigung hierfür und den Rechten der amerikanischen indigenen Bevölkerung; d.h. allgemein die Frage, wer Rechte hat und wie diese Rechte begründet werden. Neben diesen zeitgeschichtlichen Entwicklungen spielt

Zusammenfassung und Fazit

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Suárez’ Lehre vom moralischen Sein eine wesentliche Rolle für die Entwicklung des Rechtsbegriffs. So bestimmt Suárez das Recht in seiner subjektiven Dimension als „moralische Befugnis“ ( facultas moralis; Gegenbegriff zur Pflicht [obligatio] als „moralischer Notwendigkeit“ [necessitas moralis]); diese Begriffsbestimmung wird später in der neuzeitlichen Naturrechtslehre weithin rezipiert. Ausgangspunkt der spätscholastischen Diskussion ist dabei der doppelte Rechtsbegriff, der sich bereits im Mittelalter Bahn gebrochen hat; einerseits Recht im Sinne von Gesetz, andererseits Recht im Sinne einer Rechtsmacht, die einer Person zusteht. Verbunden mit diesem subjektiven Rechtsbegriff ist das dominium („Eigentum“), das von den Spätscholastikern als „Paradigma“ des subjektiven Rechts verstanden wird. Anknüpfend an Thomas wird dieses dominium bei Vitoria und den nachfolgenden Spätscholastikern durch die Willensfreiheit begründet. Die Willensfreiheit ist das „Fundament“ der subjektiven Rechte. Kraft der Willensfreiheit und Vernunftbegabung ist der Mensch, „weil er Mensch ist“, rechtsfähig und verfügt von Natur aus über bestimmte Rechte, nämlich Freiheitsrechte, Rechte auf Leben, Gesundheit und Ehre sowie Eigentumsrechte; ferner werden Rechte durch Verträge gestaltet und begründet. Auf diese Weise wird das Naturrecht als Ordnung der subjektiven Rechte konstruiert – es geht um die Rechte, deren Begründung sowie die Folgen von Rechtsverletzungen und -beeinträchtigungen (S. 275–334). 12. Diese Rechte, deren „Fundament“ die (Willens-)Freiheit des Menschen ist, werden damit zum Konstruktionsprinzip der Naturrechtsordnung. Bei Verletzung der Rechte hat der Einzelne aufgrund der ausgleichenden Gerechtigkeit ein Recht auf Restitution gegen den Schädiger. Das Haftungsrecht entwickelt sich so im Kontext der sogenannten Restitutionslehre. Ausgangspunkt ist zunächst die Bußtheologie, in deren Kontext die Restitutionslehre entwickelt wird. Sodann verlagert Thomas v. Aquin anschließend an Albertus Magnus die Thematik auf die Gerechtigkeitslehre – die Restitution ist eine Pflicht der (ausgleichenden) Gerechtigkeit. Es bilden sich im Anschluss an Thomas sowie Cajetan zwei Fallgruppen der Restitution, die restitutio ratione rei acceptae und die restitutio ratione acceptionis. Während die restitutio ratione rei acceptae dem Ausgleich von unberechtigten Vermögensverschiebungen dient und damit nach heutigem Verständnis bereicherungsrechtlich einzuordnen wäre, ist die restitutio ratione acceptionis ein haftungsrechtlicher Tatbestand, der auf den Ersatz von schuldhaft und rechtswidrig herbeigeführten Schäden zielt. Von der schadensabhängigen, auf Vermögensausgleich zielenden Restitution wird die Strafe abgegrenzt, die wegen der Schuld verhängt wird und dem Schuldausgleich dient.

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Nachdem im 16. Jahrhundert der Begriff des subjektiven Rechts (dominium) zentral wird, greift in der Spätscholastik anschließend an Vitoria eine Transformation Platz, indem die Restitutionslehre mit den subjektiven Rechten verbunden wird. Es geht jetzt bei der Restitution um die Frage, was die Folge ist, wenn Rechte verletzt werden, d.h. ob und inwieweit bei Verletzung oder Eingriff in diese Rechte eine Ersatzverpflichtung entsteht. In dieser Fragestellung zeigt sich eine zentrale Entwicklung: die Verbindung von subjektiven Rechten und Haftungsrecht. Wie von der Spätscholastik herausgearbeitet wird, besteht einerseits die Pflicht, fremde Rechte nicht zu verletzen; ist eine Rechtsverletzung begangen worden, entsteht andererseits die Pflicht, diese auszugleichen oder wiedergutzumachen. Dabei wird auch die Lehre vom moralischen Sein relevant, indem Lugos Umformung des Rechtsbegriffs Einfluss auf die Formulierung des Haftungsrechts hat. Infolge dieser Entwicklungen wird das Haftungsrecht letztlich neu eingeordnet, und erhält so einen Bezug zu den Kategorien Wille, Vernunft und Freiheit, die ihrerseits den Rechten bzw. dem dominium zugrunde liegen (S. 335–357). 13. In der Spätscholastik vollzieht sich ferner eine Entwicklung zu einem allgemeinen Vertragsrecht. Dabei kann man vier Entwicklungsstufen ausmachen: Zunächst die kanonistische Lehre des „pacta sunt servanda“; sodann die tugendethische Versprechenslehre bei Thomas, die von Cajetan weiterentwickelt wird; die Vertrags- und Versprechenslehre bei Lessius, die er im Anschluss an Molina unter dem Einfluss der Willensmetaphysik entwickelt; schließlich die allgemeinen Vertragslehren bei Oñate, die von Suárez’ Lehre vom moralischen Sein beeinflusst sind. Aufgrund dieser Entwicklungen bricht sich zunächst eine Unterscheidung zwischen Ursache und Rechtswirkungen des Vertrags Bahn, die sich bereits in der spätmittelalterlichen Lehre durchgesetzt hat. Der Vertragsbegriff wird mit der Ursache identifiziert und bringt als Wirkung korrelative Rechte und Pflichten hervor. Er wird so zu einem Instrument der Begründung und Gestaltung von Rechten und Pflichten. Die Anwendung der Willensmetaphysik auf den Vertrag bedingt die Vorstellung, dass der (freie) Wille der Verpflichtungsgrund ist, der die Wirkungen begründet und dass der Vertrag aus Willensakten besteht. Der Wille, sich selbst zu verpflichten reicht nach Lessius allerdings nicht aus, um einen Vertrag zu begründen; vielmehr muss dieser nach außen hin erklärt werden und von dem Vertragspartner angenommen werden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so verpflichtet jeder Vertrag rechtlich. Hierauf aufbauend bricht sich bei Oñate ein Vertragsbegriff Bahn, der sich aus zwei übereinstimmenden nach außen erklärten Willensakten, d.h. Angebot und Annahme zusammensetzt. Diese bilden zusammen eine Einheit,

Zusammenfassung und Fazit

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deren (moralische) Wirkungen die Begründung von Rechten und Pflichten sowie die Rechtsübertragung sind. Grundlage dieser Wirkungen sind letztlich Freiheit und Wille. Insoweit fließen im Vertragsrecht thomistische Tradition und Kanonistik, Willensmetaphysik und Lehre vom moralischen Sein zusammen und begründen ausgehend davon etwas Neues. Damit wandelt sich das römische Vertragsrecht hin zu einem alleine auf Willen, Freiheit und Konsens beruhenden Vertragssystem, das Vertrags- und Formfreiheit verwirklicht. In der spätscholastischen Diskussion wird dabei auch der Gedanke der Vertragsfreiheit aufgegriffen, der eng mit der Willensfreiheit des Menschen verbunden ist. Von hier aus werden allgemeine Vertragslehren für die Folgen von Irrtum, Täuschung und Drohung anhand grundsätzlicher Kriterien entwickelt. Bedeutung für die inhaltliche Gestaltung von Verträgen erlangen die Lehre vom gerechten Preis und das Wucherverbot (S. 358–403). 14. Bedeutung für die Entwicklung strafrechtlicher Lehren kommt Thomas insoweit zu, als er sowohl durch die Spätscholastiker als auch die Legisten in verschiedener Hinsicht rezipiert wird. Einflüsse für die weitere Entwicklung zeigen sich in der Entwicklung des Grundsatzes, dass Strafe Schuld voraussetzt, in der Herausarbeitung der Begriffe von Straftat, Schuld und Strafe, der Abgrenzung von Straftat und Sünde sowie von Strafe und Schadensersatz. Maßgebliche Faktoren für die Entwicklungen sind hierbei die thomistische Buß- und Sündentheologie, die Anthropologie (Willensfreiheit) und die damit zusammenhängende aristotelisch-thomistische Handlungs-, Zurechnungsund Gerechtigkeitslehre. Zentral wird dabei der Grundsatz, dass Strafe Schuld voraussetzt und niemand für die Taten anderer bestraft werden darf. Grund dieser Entwicklung ist zum einen die aristotelisch-thomistische Gerechtigkeitslehre, zum anderen die spezifische Anthropologie, für die die Willensfreiheit und Personalität des Menschen zentral werden. Schuld meint die Zurechnung einer schlechten, d.h. gesetzeswidrigen Handlung aufgrunddessen, dass sie frei ist; Schuld ist danach „etwas Persönliches“, weil sie aus der Freiheit des Handelnden hervorgeht. Wirkung der Schuld ist die Strafwürdigkeit. Denn durch die Schuld wird die (Rechts-)Ordnung verletzt, diese Verletzung macht einen Ausgleich notwendig. Den Ausgleich führt nun die Strafe herbei, indem die verletzte Ordnung durch die schuldangemessene Strafe wiederhergestellt wird. Die „eigentliche“ Schuldstrafe setzt deshalb notwendig eigene Schuld voraus; man darf nicht für die Handlungen anderer bestraft werden. Von dieser eigentlichen Schuldstrafe wird die Medizinalstrafe abgegrenzt, die der Besserung bzw. Prävention dient und auch ohne Schuld verhängt werden kann. Anknüpfend an Thomas bildet sich über die Entwicklung bei den Spätscholastikern die allgemeine Differenzierung auch im weltlichen Strafrecht heraus, dass eigentliche Strafen

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nur bei Vorliegen eigener Schuld verhängt werden dürfen. Auf diese Weise entsteht das Schuldprinzip als Prinzip individueller Verantwortung: Nur derjenige, der selbst willentlich und zurechenbar, d.h. aus freiem Willen gehandelt hat, darf für seine schuldhaften Handlungen bestraft werden. Ferner zeigen sich in der Ausdifferenzierung von Strafe und Restitution bei Thomas und den Spätscholastikern wesentliche Aspekte eines öffentlichen Strafrechts: Strafe ist Reaktion auf das gegen das Gemeinwesen und entgegen den Gesetzen begangene Unrecht. Die Restitution zielt demgegenüber auf vermögensmäßigen Ausgleich des Schadens sowie der Verletzung subjektiver Rechte, dient also der Kompensation der Rechtsverletzung, nicht dem Schuldausgleich und ist auf den Schaden begrenzt. Die Restitution steht kumulativ neben der eigentlichen Strafe. Die Restitution ist schadens-, die Strafe schuldabhängig. Strafen ist eine hoheitliche Aufgabe, die ausschließlich der politischen Gewalt zugeordnet ist. Dabei zeigt sich im 16. Jahrhundert zunehmend die Vorstellung einer hoheitlichen Strafverfolgungspflicht durch die politische Gewalt. Die strikte Trennung von Straf- und Zivilrecht bzw. von Strafe und Schadensersatz, die am Ende eines langen Entwicklungsprozesses steht, dürfte damit durch mehrere Gründe bedingt sein: die Herausarbeitung eines spezifischen Strafbegriffs, der Strafe auf die Schuld bezieht; die Begrenzung der zivilrechtlichen Haftung entsprechend der naturrechtlichen Restitutionslehre auf den Schaden bzw. tatsächlichen Vermögensverlust, die damit verbundene Aufgabe der Privatstrafen sowie die Gründung der Restitution auf die Verletzung subjektiver Rechte; die Entstehung eines öffentlichen Strafanspruchs und Strafmonopols; die ex-officio-Strafverfolgung und Strafverfolgungspflicht, das Aufkommen des Inquisitionsprozesses und die Verdrängung des Akkusationsprozesses (S. 404–482). 15. Einflüsse zeigen sich auch in der politischen Theorie. Anknüpfend an Aristoteles wird bei Thomas von Aquin eine naturrechtliche Begründung politischer Gewalt maßgeblich. Durch die an Thomas anknüpfende naturrechtliche Staatsbegründung wird die im Mittelalter noch prägende Einheitsidee, die als einheitswahrende oberste Instanz entweder Kaiser oder Papst ansah, zugunsten einer spezifischen Eigenständigkeit und jeweiligen Zuordnung von geistlicher und weltlicher Gewalt aufgebrochen. Die mittelalterlichen imperialistischen oder papalistischen Einheitsideen, die entweder dem Kaiser oder dem Papst eine Oberherrschaft zuweisen, sind hieran anknüpfend in der Theorie der Spätscholastik abgelöst worden. Zentral ist die Vorstellung einer Dualität zwischen naturrechtlich begründeten, souveränen territorialen Staaten, die Sicherheit und Frieden zu gewährleisten haben und deren politische Ordnung durch den Willen der Menschen legitimiert sein muss, und der Kirche, die für den geistlichen Bereich zuständig ist. Anknüpfend an

Zusammenfassung und Fazit

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Ockham wird bei den Spätscholastikern und insbesondere bei Suárez sodann die Idee eines Übertragungs- und Gesellschaftsvertrages zentral, durch den von der politischen Gemeinschaft die politische Gewalt auf die Regierenden übertragen wird und das Gemeinwesen sowie seine Regierungsform konstituiert werden. Aus dieser (gesellschafts-)vertraglichen Bindung ergeben sich Begrenzungen der staatlichen Macht, wonach diese die elementaren Rechte der Bürger zu achten hat. Dem Vertragsgedanken und damit dem menschlichen Willen kommt also maßgebliche Bedeutung für die Konstituierung der politischen Ordnung zu. Dadurch zeigt sich auch in der politischen Theorie und der Begründung des Staates die ideengeschichtliche Bedeutung der Willensmetaphysik sowie der naturrechtlichen Betrachtungsweise. An diese naturrechtliche (proto-)kontraktualistische Begründung der politischen Gewalt, die von der natürlichen Freiheit der Menschen ausgeht, werden auch die neuzeitlichen Naturrechtslehrer anknüpfen. Kontinuität haben dabei die naturrechtliche Herleitung der politischen Gewalt vor dem Hintergrund der natürlichen Freiheit des Menschen, die Idee eines Übertragungs- und Gesellschaftsvertrags sowie die grundsätzliche Annahme, dass Staatsziel die Bewahrung und Herstellung von Frieden und Sicherheit ist. Während aber bei Suárez die politische Gewalt der einmal durch einen Willensentschluss gebildeten politischen Gemeinschaft von Gott als dem Urheber der Natur zukommt, begründen Hobbes und die nachfolgenden Naturrechtslehrer die politische Gewalt und den Staat durch individuellen Rechtsverzicht und -übertragung von den Einzelnen auf den Staat. An die Stelle einer naturrechtlich-theonomen Herleitung politischer Gewalt tritt hier eine letztlich säkulare, autonome Begründung. Während aber Hobbes hierin einen umfassenden Rechtsverzicht sieht und die Bürger damit beinahe sämtliche Rechte aufgeben, gehen sowohl Pufendorf als auch Locke entsprechend den Spätscholastikern davon aus, dass auch nach Staatsgründung ein gegenseitiges Rechtsverhältnis mit Rechten und Pflichten zwischen Regierenden und Bürgern fortbesteht. Die Staatsmacht ist nicht absolut, sondern an das Staatsziel gebunden und findet in den Naturrechten der Menschen ihre Grenze (S. 483–527). 6.2

Fazit

6.2.1 Das Naturrecht und die westliche Rechtstradition Harold Berman hat mit Nachdruck die These vertreten, dass die Grundlagen der „westlichen Rechtstradition“ das römische Recht, die griechische Philosophie und das Christentum seien, wobei es die Päpstliche Revolution und die universitäre Welt des Mittelalters waren, die diese Rechtstradition

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begründeten.1 Er hat damit ein Narrativ der Kontinuität entwickelt, wonach die Entwicklungen des Mittelalters diese „westliche Rechtstradition“ hervorgebracht haben, die seither die Grundlage der westlichen Rechtssysteme bildet. In dieser Untersuchung wurde dargelegt, dass man diese allgemeine Aussage auf Thomas und die ihm nachfolgenden Spätscholastiker und Naturrechtslehrer konkretisieren kann, und zwar dahingehend, dass die stoisch-ciceronianische Gesetzeslehre, Begriffe und Rechtsinstitute des römischen und kanonischen Rechts, die aristotelische Tugend- und Gerechtigkeitslehre sowie patristische und scholastische Philosophie und Theologie prägend sind. Es ist Thomas v. Aquin, bei dem die verschiedenen Strömungen zusammenlaufen und, hier liegt die Innovation, zu einer Ordnung zusammengebracht werden. Neben Thomas und der Kanonistik und Legistik des Mittelalters haben auch die franziskanischen Theologen des Mittelalters Duns Scotus und Ockham entscheidenden Einfluss auf die Erneuerung der Rechts- und Gesetzeslehre. Diese verschiedenen Entwicklungen – ius commune, Thomismus, Scotismus, Ockhamismus, Nominalismus, ferner die von Alexander von Hales und Bonaventura begründete Lehre vom moralischen Sein – laufen schließlich im 16. Jahrhundert bei den spanischen Spätscholastikern zusammen. Diese bilden unter neuen zeithistorischen Voraussetzungen aus der gesamten Tradition des Mittelalters und der Antike eine Naturrechtsordnung, die nach Herauslösung aus dem Bußforum von Grotius, Pufendorf, Thomasius, Domat, Wolff und Pothier fortentwickelt, verändert, ausdifferenziert, methodologisch neubegründet, systematisiert und erneuert wird und die so neben dem römischen Recht zu einer Grundlage der modernen Zivilrechtskodifikationen wird. Vielleicht wird man die These der westlichen Rechtstradition dahingehend präzisieren können, dass es letztlich zwei Traditionslinien sind, die sich wechselseitig beeinflusst haben; die sich in der Geschichte immer wieder begegnen, zusammenlaufen, aber auch wieder auseinandergehen. Die eine Traditionslinie ist das ius commune, das sich im 11. Jahrhundert aus den Grundlagen des römischen Rechts und dem entstehenden kanonischen Recht bildet und seitdem kontinuierlich fortentwickelt und weiter fortwirkt bis in

1 Berman, Law and Revolution, p. 1 ss.; vgl. auch Schermaier, in: Cardilli (u.a.), Modelli teorici e metodologici nella storia del diritto privato 3, S.  313 ff., 330 ff. (zur Überformung des römischen Rechts durch griechische Philosophie und Moraltheologie); s.a. zur sog. „Päpstlichen Revolution“ Berman, Law and Revolution, p. 85 ss. (The Origin of the Western Legal Tradition in the Papal Revolution). Der Topos der Revolution im Mittelalter findet sich inzwischen vielfach aufgegriffen, s. jüngst Rexroth, Fröhliche Scholastik. Die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters.

Zusammenfassung und Fazit

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die Gegenwart. Sie beginnt mit der Entstehung der Rechtswissenschaft an der Rechtsschule von Bologna.2 Die andere Traditionslinie ist die des westlichen Naturrechts, und die Geburtsstunde dieser westlichen Naturrechtstradition ist die Entstehung der Summa Theologiae. Diese westliche Naturrechtstradition verlief kontinuierlich über verschiedene Entwicklungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, und setzt sich so fort. Auch in der Reformation und den konfessionellen Gegensätzen der Neuzeit ist sie nicht untergegangen. Damit erfüllt auch das Naturrecht den Traditionsbegriff, wie ihn Harold Berman formuliert hat.3 Allerdings ist zu betonen, dass Kennzeichen einer Tradition Kontinuität und Innovation sind. Es wäre daher verfehlt, die neuzeitlichen Naturrechtslehrer als bloße „Fortsetzer“4 der thomistischen Naturrechtstradition anzusehen – jeder der neuzeitlichen Naturrechtslehrer hatte seinen ganz eigenen Zugang zum Naturrecht, und verfolgte seine eigenen Fragestellungen. Die theologisch eingebettete Naturrechtslehre der Spätscholastik war aus verschiedenen Gründen im säkularen Diskurs des 17. und 18. Jahrhunderts nicht unmittelbar „anschlussfähig“ – gleichwohl, und dies ist das Bemerkenswerte, setzte aber ebendieser Diskurs wesentliche Ideen ebenjener Lehre fort.5 Die These eines Bruchs in der (Natur-)Rechtslehre zwischen Mittelalter und Neuzeit ist jedenfalls nicht mehr haltbar.6 Es sind also ganz unterschiedliche, konfessions- und grenzüberschreitende Entwicklungen, Strömungen und Ideen des Mittelalters und der Neuzeit, die die westliche (Natur-)Rechtstradition wesentlich geprägt haben. 6.2.2 Person und Willensfreiheit als Fundamente der Rechtsordnung Was macht diese Naturrechtslehre aus? Zu Beginn wurde behauptet, dass die gegenwärtige westliche Rechtswelt der Grundgedanke bestimmt, dass die Rechtsordnung von einem mit freiem Willen handelnden Menschen ausgeht, der Rechte hat und für sein willentliches Handeln rechtlich verantwortlich 2 So Berman, Law and Revolution, p. 85 ss., 120 ss. 3 Hierzu Berman, Law and Revolution, p. 1 ss. 4 Vgl. insoweit den Titel bei Reibstein, Johannes Althusius als Fortsetzer der Schule von Salamanca. 5 S. Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 98 f. („Es ist dieser Anspruch des theologischen Naturrechts gewesen, eine universelle, für den Menschen als solchen verbindliche Rechtsordnung zu formulieren, der viele seiner Lehren später, trotz ihrer theologischen Fundierung, aus juristischer Perspektive plausibel und semantisch unmittelbar anschlussfähig erscheinen ließ“; Fn. weggelassen), ferner S. 109. 6 So bereits Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S.  107 f.; ferner explizit auch Recknagel, Einheit des Denkens, S. 4 ff., 21 ff.; vgl. auch Jansen, Recht und gesellschaftliche Differenzierung, S. 109; Bunge, Gleichheit und Gleichmaß, S. 8 f.

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ist. In diesem Buch ist gezeigt worden, dass für die thomistische Tradition und die spätscholastische Lehre der Grundgedanke eines mit freiem Willen handelnden Menschen, der Rechte hat und für sein willentliches Handeln rechtlich verantwortlich ist, bestimmend ist. Wesentlich für Thomas und die Spätscholastiker ist die Vorstellung des Menschen, der als vernunftbegabte Kreatur das ihm aufgrund seiner Freiheit gegebene Gesetz befolgen kann7, der aufgrund seiner Freiheit und seines freien Willens das Gesetz annehmen, aber auch ablehnen kann.8 Bedeutung kommt folglich dem Menschenbild zu, die entscheidenden Kategorien der Rechtslehre werden so Willensfreiheit, Wille, Vernunft, Person, Gesetz, Recht, Verpflichtung, Gewissen und Gericht.9 Auf diese Weise bildet sich eine normative Begriffsreihe, die wesentlichen Grundentscheidungen der (privat-)rechtlichen Moderne zugrunde liegt.10 Tatsächlich erscheint diese Begriffsreihe erstmals bei Thomas von Aquin, der Personbegriff tritt indes erst mit Francisco Suárez hinzu, dessen Rezeption der Lehre vom moralischen Sein sodann auch die rechtliche Tradition transformiert. Im Hintergrund dieser Entwicklungen stehen verschiedene philosophischtheologische Diskussionen: Die Buß- und Rechtfertigungstheologie bildet den Kontext für die Entwicklung einer neuen Schuld- und Rechtslehre, die das Recht transformiert. Es ist sodann die Verhältnisbestimmung von göttlicher Gnade, Gesetz und menschlichem freien Willen, die die Entwicklungen maßgeblich prägen sollte.11 Den Ausgangspunkt bildet die Rechtfertigungs- und Bußtheologie, die sich mit der Frage des Verhältnisses von göttlicher Gnade und Willensfreiheit des Menschen auseinandersetzt. Der Mensch kann zwar nicht aus freiem Willen sein Seelenheil erlangen, durch die göttliche Gnade wird ihm aber dieser Weg eröffnet, und der mit freiem, d.h. indifferentem und sich selbstbestimmendem Willen handelnde Mensch ist frei, die von Gott angebotene Zusage anzunehmen oder abzulehnen – die Jesuiten unter den Spätscholastikern betonen nochmals stärker die (Willens-)Freiheit des Menschen.

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10 11

S. dazu oben bereits S. 145 ff. Vgl. Thomas, STh, I–II, q. 1,1 resp.; II–II, q. 104,1 ad prim. Vgl. Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 16 ff.; s.a. W. Thönissen, Catholica 75 (2021), 63, 74 f. („So entsteht ein Zusammenhang von Gesetzesgehorsam und Heilsversprechen, der Sünde, Vergebung, Buße, Freiheit des Willens, Gnade und Recht zusammenführt. Es entwickelt sich so eine Logik des Personalen […]“), 77 („Gefüge von Person und Freiheit, Vernunft und Wille, Recht und Gesetz“). S. Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 54 ff., 148 ff., 158 ff. Vgl. etwa Decock, Theologians and Contract Law, p. 167 ss. zum Vertragsrecht.

Zusammenfassung und Fazit

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Aus diesen philosophisch-theologischen Grundprämissen wird die Naturrechtsordnung über die Jahrhunderte in ganz verschiedenen Entwicklungen und Diskussionen Schritt für Schritt transformiert, wobei sich die materielle Ausgestaltung auch maßgeblich am thomistisch-aristotelischen Grundsatz der ausgleichenden Gerechtigkeit orientiert.12 Es sind dabei Wissens- und Denkformtransfers, die die rechtlichen Veränderungen bewirken: zunächst werden Rechtsbegriffe in die Theologie rezipiert, die auf diese Weise zur „Rechtstheologie“ wird. Aufbauend auf dieser rechtlichen Denkform werden Christologie, Buß- und Rechtfertigungstheologie in rechtlichen Kategorien gedacht. Die dort entwickelten Denkformen werden sodann auf die Moralphilosophie und die Naturrechtslehre übertragen, die entsprechend den theologischen Kategorien Person, Wille und Freiheit umgestaltet werden. Die Naturrechtslehren werden schließlich in das positive Recht rezipiert. Die (Willens-)Freiheit ist das Fundament der Rechte des Menschen; aufgrund der Willensfreiheit ist der Mensch gesetzes- und rechtsfähig, er ist Person.13 Der Mensch hat als Mensch Rechte, weil er über Vernunft und einen freien Willen verfügt, und durch diesen freien Willen über sich und seine Handlungen, und so auch über äußere Dinge bestimmen kann. Es setzt sich die Auffassung durch, dass der Mensch an Verträge rechtlich gebunden ist, wenn und soweit er sich durch freien Konsens rechtlich gegenüber einem anderen verpflichtet hat – Verträge begründen Rechte und Verpflichtungen, der (freie) Wille ist der Verpflichtungsgrund.14 Der Mensch ist strafrechtlich für sein Handeln verantwortlich, wenn und soweit er aus freiem Willen zurechenbar und schuldhaft gehandelt hat – Strafe setzt Schuld voraus.15 Das Haftungsrecht basiert auf den Rechten des Einzelnen, deren Fundament wiederum die Willensfreiheit ist.16 Der Mensch ist zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er aus freiem Willen die durch die Willensfreiheit begründeten Rechte eines anderen Menschen verletzt und schuldhaft Schaden zugefügt hat – Strafe und Schadensersatz sind getrennt.17 Die von Natur aus freien Menschen begründen durch einen Willensentschluss die politische Gemeinschaft, sie übertragen 12 13 14 15 16 17

Dazu näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 54 ff. Hierzu und zum Folgenden näher Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 72 ff., 82 ff. sowie oben S. 151 ff. Dazu oben S.  366 ff. sowie Decock, Theologians and Contract Law, p.  163 ss., 166 ss.; Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 121 ff. Dazu oben S. 439 ff. sowie Maihold, Strafe für fremde Schuld?, S. 1 ff. et passim. Dazu und zum Folgenden oben S.  345 ff. sowie Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 131 ff. S. Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S. 131 ff., 139 ff.

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durch eine aus dem Willen folgende Entscheidung die politische Gewalt auf die Regierenden und wählen durch ihren Willen die Regierungsform.18 Die Verpflichtungskraft eines Gesetzes folgt aus dem Willen des Gesetzgebers und gründet damit in dessen Freiheit. Die gesamten rechtlichen Diskussionen durchzieht diese „Metaphysik der Freiheit“19 und die damit verbundene Vorstellung eines mit freiem Willen handelnden Menschen – die Freiheit wird zum Fundament der Rechtsordnung. 6.2.3 Die „kantische Wende“ Marietta Auer hat jüngst dargelegt, dass bereits im „Vorfeld der kantischen Revolution“ „die für den modernen Rechtsbegriff maßgeblichen begrifflichen Elemente – Person, Freiheit, Vernunft, Wille, Recht – zwar bereits weitgehend entwickelt, aber gerade noch nicht zu einem normativ einheitlichen Rechtsbegriff verschmolzen waren“.20 Danach habe zwar anknüpfend an die christologische Debatte des 13. Jhd. „die spanische Spätscholastik, die das moralische Sein und die subjektive Rechtsfähigkeit im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert als allgemeine moralontologische Probleme diskutierte und mit der Vernunftnatur und Freiheit des Menschen in Verbindung brachte“, „die Würde der Person unmittelbar auf den Menschen bezogen“; doch „der entscheidende Schritt zur Moderne erfolgte erst, als die Person als solche, also der Mensch in seiner moralischen Qualität, in das Zentrum des Rechts- und Moraldenkens rückte und als Quelle der Normativität von Recht und Moral erkannt wurde“ – was erst mit Kant und der Idee der Autonomie geschehen ist.21 Nun wurde hier gezeigt, dass Thomas und die Spätscholastiker die Kategorien Willensfreiheit, Person, Freiheit, Vernunft, Wille und Recht als die Konstituenten einer normativen Ordnung entwickelten – die Freiheit des 18 19 20 21

Dazu oben S. 502 ff.; s.a. Bach/Brieskorn/Stiening, Suárez, De Legibus, Lib. III Teil 1, Einleitung, S. XXIII („Erst vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, welch eminente Rolle der freie Wille in Suárez’ Rechts-, Staats- und Herrschaftstheorie spielt“). Hierzu Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 19 ff. Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 17, wobei die „zentrale Figur des Übergangs von der scholastischen Moralontologie zum rationalistischen, individualistischen Rechts- und Moralverständnis der Aufklärungszeit“ Samuel Pufendorf gewesen sei. Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 16. Zur Autonomie bei Kant s. oben bereits S. 271 ff. S. ferner grundsätzlich zum Verhältnis der Metaphysik der Sitten bei Kant zur scholastischen Tradition der entia moralia Kobusch, Die Entdeckung der Person, S.  129 ff.; vgl. ferner gegen das Konzept einer Selbstgesetzgebung Suárez, De bonitate, Disp.  1 Sec.  2 N.  9 („neque idem homo patet proprie iurisdictionem in se ipsum, ut se possit proprie per legem obligare, et eo modo quo se potest obligare necesse est ut oriatur id ex voluntate. Ratio ergo ut ratio, et ut regulans voluntatem non inducit propriam rationem legis, nisi quatenus participat, vel applicat praeceptum alicuius superiorem“).

Zusammenfassung und Fazit

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Menschen und sein Personsein werden hier zum Fundament der Rechtsordnung.22 Gleichzeitig hat Theo Kobusch darauf hingewiesen, dass auch Kant ebenso wie Hegel23 in gewisser Hinsicht in der Tradition der „Metaphysik der Freiheit“ steht.24 Insofern hat die spezifische Zusammensetzung von Person, Willensfreiheit, Wille, Vernunft, Gesetz, Recht, Verpflichtung und Gewissen, wie sie in der Naturrechtslehre begegnet ist, bereits bestimmte Elemente jener „kantischen Wende“ vorweggenommen. Für konkrete Fragen der Rechtsordnung, d.h. die Idee subjektiver Rechte, Rechtsgüterschutz und Haftungsrecht, Vertragsfreiheit und Strafrecht, sind in vielen Bereichen die Antworten, die die vorkantische Naturrechtslehre insgesamt gegeben hat, auch bis in die Gegenwart erhalten geblieben.25 Neben der Autonomie bei Kant scheint jedoch noch ein weiterer gravierender Unterschied zu bestehen: Schaut man sich nämlich nochmals die erwähnte Begriffsreihe „Person, Freiheit, Vernunft, Wille, Recht“ an, dann fehlen aus Sicht der thomistischen Tradition die Zentralbegriffe des „Gewissens“ und des „forum“.26 Allerdings sind die Begriffe „forum“, „Gewissen“ und „innerer Gerichtshof“ auch Teil des kantischen Systems.27 Gewissen ist 22

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S.a. jüngst Schweighöfer, Die Begründung der normativen Kraft, wonach bereits Suárez philosophische Positionen entwickelt, „die man gewöhnlich erst in der Tradition Kants verortet”. S. ferner zur „Metaphysiktradition“ Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 21: „Die Metaphysik der Freiheit beginnt im 13.Jh. und endet – wenn man nach den realen Auswirkungen sucht – im modernen Staat“. So insbesondere Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 158, ferner S. 161 zu den Unterschieden („Die Metaphysik des Willens in der Hegelschen Rph ist freilich keine Ontologie der res morales mehr wie z.B.  bei  Pufendorf, sondern eine moderne Theorie, die den Menschen als Bedürfniswesen und die Güter dieser Welt in ihrem Verhältnis zu den vielen individuellen Bedürfnissen der Menschen sieht“); zustimmend neuerdings Ostritsch, Hegels Rechtsphilosophie als Metaethik, S. 17 Fn. 24. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 132 ff.; vgl., wenngleich eher die Innovation bei Kant betonend, Auer, Der privatrechtliche Diskurs, S. 15 ff. Vgl. dazu Thönissen, Subjektive Privatrechte und Normvollzug, S.  54 ff., 148 ff., 158 ff. S. aber auch Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 20, wonach sich vor dem kantischen Hintergrund „die Umrisse des bis heute gültigen Rechtsverständnisses auf der Grundlage der Identität von Autonomie und Rechtsfähigkeit und der daraus folgenden Zuerkennung subjektiver Individualrechte“ entwickelten; ferner aber aaO, Fn.  38: „Der konkrete Nachweis des Einflusses kantischen Gedankenguts fällt freilich nicht immer leicht. […] Es bedarf keines konkreten wirkungsgeschichtlichen Nachweises, um unser Weltverständnis als fundamental kantisch (kopernikanisch, newtonianisch, …) zu deuten“. Dazu oben S. 101 ff. So steht nämlich am Ende der Einleitung in die Metaphysik der Sitten (IV. Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten) bei der „Zurechnung“ (imputatio) das „forum“ („Gerichtshof“) bzw. der Richter als diejenige „(physische oder moralische) Person, welche rechtskräftig

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nach Kant nämlich „die dem Menschen in jedem Fall eines Gesetzes seine Pflicht zum Lossprechen oder Verurteilen vorhaltende praktische Vernunft“.28 Jeder Mensch hat als sittliches Wesen ein Gewissen in sich.29 Das Gewissen ist der innere Richter über alle freien Handlungen.30 Damit bleibt auch bei Kant der Gedanke eines „inneren Gerichtshofs“, in dem der Mensch innerer Richter über sich selbst ist und vor sich selbst über seine freien Handlungen Rechenschaft ablegt, erhalten.31 Die Autonomie führt also nicht zur Auflösung des Forum-Gedankens, d.h. der Frage nach der Verantwortung für die freien Handlungen. Die Selbstgesetzgebung schließt die Verantwortung nicht aus, sondern verlangt sie. Somit besteht auch bei Kant eine Dualität der Foren, die dadurch geprägt ist, dass auf der einen Seite das mit dem Staat gleichzusetzende forum externum steht, auf der anderen Seite der „innere Gerichtshof“.32 Während jedoch in der thomistischen Tradition heteronom bestimmte Normen das Gewissen mit Verpflichtungswirkung binden und die Aufgabe des Gewissens darin besteht, die Handlungen normentsprechend zu bestimmen33, tritt bei Kant das autonom

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zuzurechnen die Befugnis hat“, s. Kant, Die Metapyhsik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, IV. (AA VI, 227), woran sich dann noch die Begriffe meritum – demeritum („verdienstlich“ – „Verschuldung“) sowie poena – praemium („Strafe“ – „Belohnung“) anschließen. Kants Begriffsreihe beginnt dabei mit „Freiheit“, „Willkür“, „Wille“ und „Vernunft“ (Einleitung in die Metaphysik der Sitten, I.; IV.), dann folgen „Imperativ“, „Verbindlichkeit“, „Pflicht“, „Gesetz“, „Tat“, „Person“, „Recht“, „Zurechnung“, „Gerichtshof“, „Strafe“ (Einleitung in die Metaphysik der Sitten, IV. [AA VI, 221 ff.]); s.a. Kobusch, Die Entdeckung der Person, S. 140, wonach die „Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten“ „allesamt aus der Tradition der Philosophia practica universalis und damit der Metaphysik des moralischen Seins belegbar“ sind. Zur Frage der Rechtfertigung bei Kant vgl. Pesch/Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 265 ff. Kant, Die Metapyhsik der Sitten, Einleitung zur Tugendlehre, XII. (AA VI, 400). Kant, Die Metapyhsik der Sitten, Einleitung zur Tugendlehre, XII. (AA VI, 400). Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2. Teil, I. Ethische Elementarlehre, § 13 (AA VI, 438 f.). Dazu und zum Gewissen bei Kant Faizzada, in: Josifović/Kok (Hrsg.), Der „innere Gerichtshof“ der Vernunft, S. 24, 34 ff.; Josifović, in: Josifović/Kok (Hrsg.), Der „innere Gerichtshof“ der Vernunft,  S.  47, 56 f., 58 ff.; Oehl, in: Josifović/Kok (Hrsg.), Der „innere Gerichtshof“ der Vernunft, S. 84 ff.; s.a. Kant, Die Metapyhsik der Sitten, 2. Teil, I. Ethische Elementarlehre, § 13 (AA VI, 438 f.). So Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 280 mit Verweis auf Pirillo, in: Pirillo (ed.), Il vincolo del giuramento e il tribunale della coscienza, p. 361 ss., 403 ss.; vgl. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 330. S. dazu Grunert, in: Germann/Decock (Hrsg.), Das Gewissen in den Rechtslehren, S. 297, 301 ff.

Zusammenfassung und Fazit

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bestimmte Gesetz, über dessen Verwirklichung im Gewissen als dem „inneren Gerichtshof“ gewacht wird.34 Weiter könnte man einwenden, dass die scholastische Tradition nicht beim Gewissensbegriff stehen bleibt, sondern das Gewissensforum mit dem forum Dei verbindet.35 Dieser Zusammenhang von Gewissensforum und forum Dei verschwindet jedoch auch bei Kant nicht, vielmehr heißt es dort hinsichtlich des „autorisierten Gewissensrichters“, der eine „idealische Person“ ist: „Da nun ein solches moralisches Wesen zugleich alle Gewalt (im Himmel und auf Erden) haben muß, weil es sonst nicht (was doch zum Richteramt notwendig gehört) seinen Gesetzen den ihnen angemessenen Effekt verschaffen könnte, ein solches über alles machthabende moralische Wesen aber Gott heißt: so wird das Gewissen als subjektives Prinzip einer vor Gott seiner Taten wegen zu leistenden Verantwortung gedacht werden müssen; ja es wird der letztere Begriff (wenngleich nur auf dunkle Art) in jenem moralischen Selbstbewußtsein jederzeit enthalten sein“.36 Auch bei Kant bleibt also der forum internum-Gedanke erhalten, sodass mitunter in Kant der „wahre Abschluß dieses Gewissensweges“ gesehen wird.37 Hält man am Topos der „kantischen Wende“ fest, so ist eine Frage aber bis in die Gegenwart noch unbeantwortet geblieben, nämlich jene, wohin diese Wende zur Moderne letztlich erfolgt ist. Die Gegenwart teilt offenbar nicht mehr den – nach Prodi für die Entstehung des Westens prägenden38 – Gedanken, dass es zwei Normebenen gibt, die des forum externum, d.h. der „staatlichen Gerichte“, und die des forum internum, d.h. des inneren „Gewissensgerichts“. Das „Gewissen“ hat seine Funktion faktisch weitgehend verloren. Anstelle 34

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S.  Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2. Teil, I.  Ethische  Elementarlehre,  § 13 (AA VI, 438 f.). Vgl. Sensen, in: Bunke/Mihaylova (Hrsg.), Gewissen, S.  124 ff.; Mihaylova, in: Bunke/Mihaylova (Hrsg.), Gewissen, S. 53, 63 ff., 68 ff. (jeweils zum Gewissen und forum internum bei Kant); Grunert, in: Bach/Brieskorn/Stiening (Hrsg.), Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez, S. 156, 162. Suárez, De Legibus, Lib. III Cap. 21 N. 2; Thomas v. Aquin, STh, I–II, q. 96,4 obi. 1.; s.a. II–II q. 67,3 ad prim. Kant, Die Metaphysik der Sitten, 2. Teil, I. Ethische Elementarlehre, § 13 (AA VI, 439); zur Auslegung dessen angesichts der Autonomie bei Kant vgl. Oehl, in: Josifović/Kok (Hrsg.), Der „innere Gerichtshof“ der Vernunft, S. 84 ff., 87 ff. So Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S. 279 f. S.  Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  330 („Ich bin schlicht davon überzeugt, daß unsere liberale Gesellschaft allein aus der Dialektik zwischen zwei unterschiedlichen Normenebenen erwachsen konnte und daß dies geschehen ist, weil der christliche Dualismus im Abendland auch durch einen institutionellen Dualismus realisiert werden konnte, der in der Lage war, der moralischen Norm ihre autonome Konsistenz gegenüber der juristischen Norm zu geben.“).

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der Dualität tritt so in gewisser Weise ein Monismus des äußeren, mit Zwang ausgestattenen Forums.39 Welche Folgen ergeben sich daraus für die Rechtsordnung der Gegenwart? Das Ende der Geschichte scheint jedenfalls noch nicht geschrieben zu sein.

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S.a. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit, S.  324, der insoweit von der „eindimensionalen Norm“ spricht.

Kurzbiographien Abaelardus, Petrus (Peter Abaelard): 1079 bei Nantes, Bretagne geboren; ab 1100 Studien bei verschiedenen Lehrern in Paris, danach Gründung eigener Schule sowie weitere Studien; Eintritt ins Kloster von St. Denis; 1130er Jahre Lehrtätigkeit in Paris; 1142 gestorben. Albertus Magnus: 1200 in Lauingen an der Donau geboren; Studium in Padua und Köln; 1223 Eintritt in den Dominikanerorden, Lektor in Hildesheim, Freiburg i. Brsg. und Regensburg; 1243/44 Studium in Paris, 1246 Magister der Theologie; 1248 Lehrtätigkeit in Köln, ab 1254 verschiedene Tätigkeiten im Dominikanerorden; 1280 in Köln gestorben. Anselm von Canterbury: 1033 in Aosta geboren; 1060 Mönch im Kloster Bec, ab 1078 Abt; ab 1093 Erzbischof von Canterbury; 1098 Erscheinen von Cur deus homo; 1109 gestorben. Aristoteles: 384 v. Chr. in Stageira geboren; Student an Platons Akademie in Athen; 343–340 v. Chr. Lehrer am Hof Philpps II. von Makedonien; 335 v. Chr. Rückkehr nach Athen; 322 v. Chr. gestorben. Augustinus, Aurelius: 354 n. Chr. in Thagaste (Nordafrika) geboren; Ausbildung als Rhetor; seit 374 Lehrtätigkeit in Karthago, 383 in Rom, 384 in Mailand; 387 Taufe, 390/391 Priesterweihe, seit 397 Bischof von Hippo (Nordafrika); 430 gestorben. Azpilcueta, Martín (Dr. Navarrus): geboren 1492; ab 1516 rechtswissenschaftliches Studium und anschließende Lehrtätigkeit an der Universität von Toulouse; ab 1524 Doktorat in Salamanca, anschließend Professor für kanonisches Recht; ab 1537 Professor in Coimbra; Berater an der Penitenzieria Apostolica in Rom; 1586 gestorben. Bellarmin, Robert: 1542 in Montepulciano geboren; 1560 Eintritt in den Jesuitenorden; 1560–1569 Studium der Philosophie und Theologie (u.a. am Collegio Romano in Rom); 1569–1576 Lehrtätigkeit in Löwen; 1576 Rückkehr nach Rom, Professor am Collegio Romano; 1599 Ernennung zum Kardinal, danach verschiedene Tätigkeiten an der Kurie; 1621 gestorben.

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Bonaventura ( Johannes Fidanza): 1217 in der Nähe von Viterbo geboren; Studium der Theologie in Paris u.a. bei Alexander von Hales; 1243 Eintritt in den Franziskanerorden; 1273 Ernennung zum Kardinalbischof von Albano; 1274 gestorben. Cajetan, Thomas de Vio Kardinal: 1468 geboren; Studium in Neapel, Bologna und Padua; ab 1494 Lehrtätigkeiten in Padua, Pavia und Rom; 1508 Generaloberer der Dominikaner; ab 1518 päpstlicher Gesandter in Deutschland; 1534 gestorben. Clarus, Julius: 1525 in Alessandria in der damals spanischen Lombardei geboren; ab 1536 rechtswissenschaftliches Studium in Pavia; 1550 Promotion in Pavia; zunächst Anwalt, dann verschiedene führende Positionen unter Kaiser Karl V. in Mailand und Cremona (1530–1556), schließlich Regent des „Consejo Supremo de Italia“ unter Philipp II. in Madrid; 1575 gestorben. Covarruvias y Leyva, Diego de: 1512 geboren; Student von Martín Azpilcueta in Salamanca; ab 1543 Professor für kanonisches Recht in Salamanca; Richter in Granada; Teilnahme am Konzil von Trient; seit 1560 Bischof u.a. in Segovia; ab 1573 Präsident des Königlichen Gerichtshofes von Kastilien; 1577 gestorben. Deciani, Tiberio: 1509 in Udine geboren; 1523–1529 rechtswissenschaftliches Studium in Padua; ab 1549 Lehrtätigkeit in Padua; 1582 in Padua gestorben. Domat, Jean: 1625 geboren; 1642 rechtswissenschaftliches Studium in Bourges, 1645 Promotion; 1655 Kronanwalt (Procureur du Roi), anschließend Privatgelehrter in Paris; 1696 gestorben. Duns Scotus, Johannes: 1265/66 in Duns bei Edinburgh, Schottland geboren; 1291 Priesterweihe, Franziskaner; Studium in Oxford und wohl auch Cambridge, seit 1300 Lehrtätigkeit in Oxford; seit 1302/03 Studien in Paris, 1305 Promotion zum Magister der Theologie; 1307 Tätigkeit im Franziskanerkovent in Köln; 1308 in Köln gestorben. Gerson, Jean: 1363 in Flandern geboren; ab 1377 Studium in Paris; 1382 magister artium; anschließend Theologiestudium, 1392 Erhalt der licentia für Theologie; ab 1395 Kanzler der Universität von Paris; Teilnahme am Konzil von Konstanz; ab 1419 Aufenthalt in Lyon; 1429 gestorben.

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Gómez, Antonio: nach 1500 geboren; Studium an der Universität von Salamanca, anschließend Professor; Erzpriester in Toledo; vor 1572 gestorben. Grotius, Hugo: 1583 in Delft geboren; ab 1594 Studium der Philologie und Geschichte, ferner der Rechtswissenschaft in Leiden; 1598 Promotion zum doctor iuris in Orléans; 1599 Rechtsanwalt in Den Haag, 1607 Oberstaatsanwalt beim Gerichtshof von Holland und Seeland, 1613 Syndikus der Stadt Rotterdam; 1619 wegen seiner Zugehörigkeit zu den Arminianern/Remonstranten zu lebenslanger Haft verurteilt; 1621 Flucht aus der Haft, bis 1631 im Exil in Paris; ab 1634 schwedischer Botschafter in Frankreich; 1645 auf der Rückkehr nach Schweden gestorben. Hales, Alexander von: 1185 geboren; Studium in Paris; Lehrtätigkeit in Paris an der theologischen Fakultät (unter seinen Schülern u.a. Bonaventura); Eintritt in den Franziskanerorden; 1245 gestorben. Hobbes, Thomas: 1588 geboren; Studium der Philosophie in Oxford, anschließend ab 1608 als Hauslehrer und Gelehrter tätig; 1651 Erscheinen des Leviathan; 1679 gestorben. Lessius, Leonardus: 1554 in Brecht bei Antwerpen geboren; Studium in Löwen, u.a. bei Robert Bellarmin; 1572 Eintritt in den Jesuitenorden; 1580 Priesterweihe; 1583/84 Studium am Collegio Romano in Rom, u.a. bei Francisco Suárez; seit 1585 Professor am Jesuitenkolleg in Löwen; 1623 gestorben. Locke, John: 1632 geboren; Studium der Philosophie und Medizin in Oxford; Tätigkeit als Lehrer, Berater und Arzt; Aufenthalt in Frankreich und den Niederlanden, anschließend Rückkehr nach England; 1690 Veröffentlichung der Two Treatises of Government; 1704 gestorben. Lugo, Juan de: 1583 in Sevilla geboren; Studium der Rechtswissenschaft in Salamanca; 1603 Eintritt in den Jesuitenorden; ab 1621 Professor am Collegio Romano (Rom); 1643 Ernennung zum Kardinal durch Papst Urban VIII.; 1660 gestorben. Marsilius von Padua: 1275/1280 in Padua geboren; Studium der Naturphilosophie, Medizin und Theologie; magister artium an der Universität von Paris, 1312–1313 Rektor der Artistenfakultät von Paris; 1324 Fertigstellung des Defensor

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Pacis; 1326 Flucht nach München zu Ludwig dem Bayer; 1343 in München gestorben. Molina, Luis de: 1535 in Cuenca, Spanien geboren; ab 1551 Student der Rechtswissenschaft in Salamanca; 1553 Eintritt in den Jesuitenorden, Noviziat und Philosophie- sowie Theologiestudium in Coimbra, Portugal; ab 1563 Lehrtätigkeit in Coimbra, ab 1568 in Évora, Portugal; ab 1585 in Lissabon, später in Cuenca; 1600 in Madrid gestorben. Ockham, Wilhelm von: 1280/1285 in England geboren; Franziskaner; 1310–1317 Studien an der Universität von Oxford, später Lehrtätigkeit; ab 1320/1321 Lehrtätigkeit am Franziskanerkonvent in London; seit 1324 Aufenthalt am päpstlichen Hof in Avignon; 1328 Flucht von Avignon über Pisa nach München; 1347 in München gestorben. Oñate, Pedro de: 1568 geboren; Eintritt in den Jesuitenorden; Studium (u.a.) bei Francisco Suárez in Alcalá; 1615 Provinzial des Jesuitenordens in Paraguay; ab 1624 Professor für Moraltheologie in Lima (Peru); gestorben 1646; 1646 posthume Veröffentlichung von De Contractibus. Pérez, Antonio: 1599 in Puenta de la Reyna (Navarra) geboren; 1613 Eintritt in den Jesuitenorden; Studium am Jesuitenkolleg von Salamanca (Philosophie, Literatur, Theologie); Lehrtätigkeit in Valladolid (Philosophie) und ab 1634 in Salamanca (Theologie); 1642 Nachfolger von Juan de Lugo auf dessen Lehrstuhl am Collegio Romano in Rom; 1649 in Corral de Almaguer gestorben. Pothier, Robert-Joseph: 1699 in Orléans geboren; Besuch des Collège des Jésuites in Orléans; ab 1715 Studium der Rechtswissenschaft in Orléans; ab 1720 Richter am Präsidialgericht; ab 1750 Professor an der Universität von Orléans; 1772 gestorben. Pufendorf, Samuel: 1632 geboren; ab 1650 in Leipzig zunächst Studium der Theologie, sodann Wechsel zu Philosophie und Jurisprudenz; ab 1656 Studium in Jena; Lehrstuhl für Natur- und Völkerrecht an der philosophischen Fakultät in Heidelberg; 1667 Ruf an die juristische Fakultät in Lund, anschließend als Hofhistoriograph nach Stockholm sowie 1688 nach Berlin; 1694 gestorben. Soto, Domingo de: 1494 in Segovia geboren; Dominikaner und Studien in Segovia und Alcalá; Theologiestudium u.a. in Paris; ab 1532 Lehrtätigkeit an

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der Universität von Salamanca; Gesandter Kaiser Karls V. am Konzil von Trient; 1560 gestorben. Suárez, Francisco: 1548 in Granada geboren; ab 1561 Studium des kanonischen Rechts und später der Theologie in Salamanca; Eintritt in den Jesuitenorden; Lehrtätigkeiten an den Jesuitenkollegien in Segovia und Valladolid; seit 1576 Professor der Theologie; 1580–1585 Tätigkeit am Collegio Romano in Rom; ab 1585 wieder in Spanien (u.a. in Salamanca), ab 1597 im portugiesischen Coimbra; 1609–1613 Arbeit an De Legibus und Defensio Fidei; 1617 in Lissabon gestorben. Summenhart, Conrad: 1458 in Calw geboren; Studium in Heidelberg und Paris; 1478 magister artium; ab 1478 Lehrtätigkeit und ab 1491 Professor für Theologie an der Universität von Tübingen; Rektor der Universität von Tübingen; 1502 im Kloster Schuttern bei Lahr gestorben. Thomasius, Christian: 1655 geboren; Studium der Philosophie in Leipzig, sodann Wechsel zum Studium der Rechtswissenschaft; 1679 Promotion in Frankfurt/Oder; ab 1682 akademische Lehrtätigkeit in Leipzig, später Wechsel nach Halle; 1728 gestorben. Vázquez de Menchaca, Fernando: 1512 in Valladolid geboren; Studium des römischen und kanonischen Rechts ab 1538 in Valladolid und 1541–44 Salamanca; 1548 Erwerb des Doktorgrades in Salamanca; 1551 Berufung auf den Institutionen-Lehrstuhl in Salamanca, anschließend hohe Richter- und Verwaltungsämter; 1561–1563 Teilnahme am Konzil von Trient; 1569 in Sevilla gestorben. Vázquez, Gabriel: 1549 bei Belmonte, Cuenca, geboren; 1565–1569 Philosophiestudium in Alcalá; 1571 Eintritt in den Jesuitenorden; 1571–1575 Theologiestudium in Alcalá; ab 1575 Lehrtätigkeit u.a. in Madrid und Alcalá, ab 1585 am Collegio Romano in Rom; 1591 Rückkehr nach Alcalá; 1604 in Alcalá gestorben. Vitoria, Francisco de: zwischen 1483 und 1493 in Burgos geboren; 1505 Eintritt in den Dominikanerorden; 1508–1522 Studium und Lehrtätigkeit in Paris; 1522 Doktor der Theologie an der Universität von Paris; 1523 Professor für Theologie in Valladolid; seit 1526 Professor an der Universität von Salamanca; 1546 in Salamanca gestorben.

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Wolff, Christian: 1679 geboren; Studium der Theologie, Mathematik und Philosophie; Habilitation 1703 in Leipzig; ab 1706 Lehrtätigkeit in Halle, sodann in Marburg, 1740 Rückkehr nach Halle auf den Lehrstuhl für Natur-, Völkerrecht und Mathematik; 1754 in Halle gestorben. Lit.: Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie; Dauchy (u.a.) (eds.), The Formation and Transmission of Western Legal Culture, 150 Books; Decock, Theologians and Contract Law; Dietrich, Die Theologie der Kirche bei Robert Bellarmin (1542–1621); Galpasoro Zurutuza, Die vernunftbegabte Natur, Norm des Sittlichen und Grund der Sollensanforderungen; Hamilton, Political Thought in Sixteenth-Century Spain; Jansen, in: ders. (Hrsg.), De iustitia et iure, Einleitung; Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters; König, Pothier und das römische Recht; Maihold, Strafe für fremde Schuld?; Priesching, Sklaverei im Urteil der Jesuiten; Quin, Personenrecht und Widerstandsrecht; Schlosser, Neuere Europäische Rechtsgeschichte; Seelmann, Die Lehre des Fernando Vazquez de Menchaca vom dominium; Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon; Todescan, Lex, natura, beatitudo; Varkemaa, Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights; Verweyen, Anselm von Canterbury.

Primärquellen Achenwall, Gottfried: Ius Naturae. Iuris naturalis pars prior continens introductionem in ius naturale in genere et ius mere naturale seu ius naturale singulorum in statu extrasociali, 7. Aufl., Göttingen 1781. Albornoz, Bartolome de: Arte de los Contractos, Valencia 1573. Anselm von Canterbury: Cur Deus homo. S. Anselmi Cantuariensis Archepiscopi opera omnia, Vol. 2, ed. Franciscus Salesius Schmitt, Edinburgh 1946. Aquin, Thomas von: Summa Theologiae, Rom 1888/Turin 1948 ff. Übersetzungen nach: Albertus-Magnus-Akademie Walberberg bei Köln (Hrsg.), Die deutsche Thomasausgabe. Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa Theologica, Graz/Wien/Köln. ders.: Scriptum super Sententiis, Parma 1856. ders.: De malo, Turin 1953. ders.: Commentarium super Epistulam B. Pauli ad Romanos, Turin 1953. ders.: De regno ad regem Cypri, Turin 1954. ders.: Summa contra Gentiles, Turin 1961. Aristoteles: Nikomachische Ethik, Übersetzung, Stuttgart 1969. Augustinus, Aurelius: Patrologia Cursus Completus, hrsg. von Migne, Jean-Paul, Bd. 33, Tomus Secundus, Paris 1865. ders.: Schriften gegen die Semipelagianer. Gnade und freier Wille. Zurechtweisung und Gnade. Die Vorherbestimmung der Heiligen. Die Gabe der Beharrlichkeit, 2. Aufl., Würzburg 1987. ders.: De libero arbitrio – Der freie Wille. Zweisprachige Ausgabe, hrsg. von Brachtendorf, Johannes, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006. Bartolus a Saxoferrato: In Primam Digesti Novi Partem Commentaria, Lyon 1531. Beccaria, Cesare: Dei Delitti e delle Pene, a Cura di Gianni Francioni, Mailand 1984. Boethius, Anicius Manlius Severinus: Die Theologischen Traktate. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Elsässer, Michael, Hamburg 1988. Bonaventura: Opera omnia. Commentaria in quattuor libros Sententiarum Magistri Petri Lombardi, Tomus II. In secundum librum sententiarum, Florenz 1885. Cajetan, Thomas de Vio: Secunda Secundae Partis Summae Sacrosanctae Theologia Sancti Thomae Aquinatis, Doctoris Angelici Commentaria, Lyon 1558. Cantera, Didacus a (Diego de la Cantera): Quaestiones Criminales tangentes Iudicem, Accusatorem, Reum, Probationem Punitionemque Delictorum, Salamanca 1589. Castro, Alfonso de: De potestate legis poenalis, Löwen 1557. Cicero, Marcus Tullius: De Legibus Paradoxa Stoicorum. Über die Gesetze. Stoische Paradoxien, hrsg. von Nickel, Rainer, Zürich 1994.

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Primärquellen

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Lessius, Leonardus: De Iustitia et Iure ceterisque virtutibus Cardinalibus. Libri quattuor, Lyon 1622. ders.: De gratia efficaci, decretis divinis, libertate arbitrii et praescientia Dei conditionata. Disputatio apologetica, Antwerpen 1610. Lugo, Joannis de: Disputationum de Iustitia et Iure. Tomus Primus (Disputationes I– XXI), Lyon 1652. ders.: De Incarnatione Dominica, Lyon 1653. ders.: Disputationum de Iustitia et Iure. Tomus Secundus (Disp. XXII–XLI), Lyon 1670. Luther, Martin: Daß der freie Wille nichts sei. Antwort D. Martin Luthers an Erasmus von Rotterdam, hrsg. von H.H. Borchert/Georg Merz, 3. Aufl., Erster Band, München 1954. ders.: Lateinisch-deutsche Studienausgabe. Band  2. Christusglaube und Rechtfertigung (hrsg. von Schilling, Johannes), Leipzig 2006. ders.: Deutsch-deutsche Studienausgabe, Band  3. Christ und Welt (hrsg. von Zschoch, Hellmut), Leipzig 2016. Marsilius v. Padua: Defensor Pacis, hrsg. von Scholz, Richard, Hannover 1932. Molina, Luis de: Liberi Arbitrii cum Gratiae Donis, Divina Praescientia, Providentia, Praedestinatione et Reprobatione, Concordia, Antwerpen 1595. ders.: De Iustitia et Iure, – Tractatus primus et secundus (bis Tractatus II, Disputatio 575): Tomus Primus, Complectens Tractatum Primum, & ex Secundo Disputationes CCLI usque ad ultimas voluntates inclusive, Mainz 1614. – Tractatus secundus (Disputatio 680–760): Tomi tertii. Pars posterior. De delictis & quasi delictis, Antwerpen 1609. – Tractatus tertius: Qui est de Iustitia commutativa circa Bona corporis, Personarumque nobis coniunctarum, Vendig 1611. – Tractatus quintus: Tomus quintus, Complectens Tractatum Quintum, qui est de Judicio & Executione Justitiae per Publicos Potestates, Cologny 1733. Nettelbladt, Daniel: Systema Elementare Universae Iurisprudentiae Naturalis, 3. Aufl., Halle 1767. Ockham, Wilhelm von: Venerabilis Inceptoris Guillelmi de Ockham Scriptum in Librum Primum Sententiarum Ordinatio. Distinctiones XIX–XLVIII, Etzkorn, Girardus  I./ Kelley, Franciscus E. (eds.), St. Bonaventure, N.Y. 1979. ders.: Opus nonaginta dierum, Lyon, 1495. ders.: Opus nonaginta dierum (übersetzt von Kilcullen, John/Scott, John, A Translation of William of Ockham’s Work of Ninety Days. Volume 1, New York 2001). ders.: Dialogus. Auszüge zur politischen Theorie, ausgewählt und übersetzt von Miethke, Jürgen, Darmstadt 1992.

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Oñate, Pedro de: De Contractibus in genere. Tomus primus, Rom 1646. Palacio, Michaele de: Praxis Theologica de contractibus & restitutionibus, Salamanca 1585. Pérez, Antonio: Tractatus de Iustitia, et Iure, De Restitutione, & de Poenitentia, Opus posthumum, Rom 1668 (zit.: De Iustitia et Iure/De Restitutione). ders.: In secundam, & tertiam Partem D. Thomae Tractatus Sex (u.a. De Incarnatione Verbi Divini), Lyon 1669 (zit.: De Incarnatione). Pothier, Robert-Joseph: Traité des Obligations. Tome Premier, Paris/Orléans 1761. Pufendorf, Samuel: De Officio Hominis et Civis, Frankfurt am Main 1719. ders.: De Iure naturae et gentium. Libri Octo, Frankfurt 1759. Reginaldus, Valerius: Theologia Moralis, sive Praxis Fori Poenitentialis, duobus tomis comprehensa, Köln 1642. Rimini, Gregor von: In secundum Sententiarum, Paris 1519. Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814. ders.: System des heutigen römischen Rechts. Erster Band, Berlin 1840. Scaccia, Sigismondo: Tractatus de Commerciis et Cambio, Genf 1664. Sforza Pallavicino, Francesco Maria: Assertiones Theologicarum, Liber Quartus. De Iustitia et Iure, Rom 1649. Soto, Domingo de: De Iustitia et Iure, Lyon 1559. Suárez, Francisco: Disputationes Metaphysicae, Salamanca 1597. ders.: Tractatus de Legibus ac Deo Legislatore. In decem libros distributus, Antwerpen 1613. ders.: De Divina Gratia. Tractatus de gratia Dei, seu de Deo salvatore, iustificatore, et liberi arbitrii adiutore per gratiam suam, Mainz 1620. ders.: De Opere Sex Dierum, Lyon 1635. ders.: Defensio fidei et apostolicae adversus anglicanae sectae errores, Venedig 1740. ders.: De Incarnatione. Pars Prima, Venedig 1745. ders.: De censuris in communi, Venedig 1749. ders.: Opera omnia. Tomus quartus, Tractatus quinque ad Primam Secundae D. Thomae; De ultimo fine hominis ac beatitudine; de voluntario et involuntario; de humanorum actuum bonitate et malitia; de passionibus et habitibus; de vitiis atque peccatis, Paris 1856 (zitiert als: De voluntario; De bonitate; De vitiis et peccatis). ders.: Quaestiones de Iustitia et Iure, abgedruckt in: Giers, Joachim: Die Gerechtigkeitslehre des jungen Suárez. Edition und Untersuchung seiner römischen Vorlesungen De Iustitia et Iure, Habilitation Freiburg, Freiburg 1958. Übersetzungen nach: Bach, Oliver/Brieskorn, Norbert/Stiening, Gideon (Hrsg.): Francisco Suárez. De Legibus ac Deo Legislatore (Über die Gesetze und Gott als Gesetzgeber). Liber Secundus: De lege aeterna et naturali, ac iure gentium (Zweites Buch: Das ewige

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Sachregister actio 278 ff. Akkusationsprozess 458 ff. aquilische Haftung 336 ff. Äquivalenz 393 ff. Armutsstreit 285 ff. Autonomie 271 ff. Bereicherungsrecht 335 ff. Restitution 344 ff. Buße 60 ff. Spätantike 60 ff. mittelalterliche 63 ff. Bußtheologie 60 ff., 66 ff. Christologie 43 ff., 167 ff. delicta privata 336 ff., 406 ff. dominium 283 ff. Eigentum 275 ff., 283 ff. s. dominium Ethik Verhältnis zum Recht 251 ff. Forum 101 ff. forum conscientiae s. Gewissensforum forum externum 105 ff. forum internum 105 ff. franziskanischer Armutsstreit s. Armutsstreit Freiheit 63 ff., 145 ff. s. Willensfreiheit Freiheitsmetaphysik 167 ff. Freiheitssphären Recht als Abgrenzung von 310 ff. gerechter Preis 393 ff. Gerechtigkeit 139 ff. Gesetz 84 ff. Gewährleistungsrecht 395 ff. Gewissen 111 ff. Gewissensforum 101 ff. Gnade 74 ff., 155 ff. s. Rechtfertigung Gnadenstreit 155 ff. gregorianische Reform 19 ff.

Haftungsrecht 335 ff. römisches Recht 336 ff. Inquisitionsprozess 462 ff. Interesse 397 ff. Investiturstreit 19 ff. ius commune 25 ff. iustitia commutativa 139 ff. iustitia distributiva 139 ff. Jansenismus 265 ff. kanonisches Recht 35 ff. Konzil von Trient 108 ff., 207 ff. Korrelation von Recht und Pflicht 135 f., 280 ff. Lehre vom moralischen Sein 167 ff., 173 ff. s. Freiheitsmetaphysik „Mein und Dein“ Recht als Bestimmung des 308 f. Menschenwürde 172 f. Metaphysik der Freiheit s. Freiheitsmetaphysik moralisches Sein 167 ff. Moraltheologie 211 ff. natürliches Gesetz 186 ff. Verhältnis zum Naturrecht 199 ff. Naturrecht 186 ff. Nominalismus 51 ff. Person 167 ff., 179 ff. politische Ordnung 483 ff. Probabilismus 210 f. Recht 128 ff. s. subjektives Recht Rechtsfähigkeit 151 f., 305 f. Rechtfertigung 66 ff., 155 ff. bei Luther 224 ff. bei Molina 155 ff. Rechtfertigungstheologie 66 ff., 155 ff., 224 ff.

596 Rechtssubjekt 151 ff. Rechtsverletzung und Haftungsrecht 341 ff., 344 ff. Relationalität 135 ff., 280 ff. Restitution 339 ff. satisfactio 80 ff. Schadensersatz 335 ff. s. Haftungsrecht s. Restitution s. Strafe und Restitution Schlüsselgewalt 78 ff. Schuld 71 f., 439 ff. Schule von Salamanca 46 ff. Schuldgrundsatz 439 ff. Sklaverei 322 ff. Spätscholastik 46 ff. Strafe 71 ff., 404 ff., 439 ff. und Restitution 343 f., 469 ff. Strafgewalt 455 ff. Strafmonopol 455 ff. Strafrecht 404 ff., 415 ff. römisches Recht 406 ff. Strafwürdigkeit 71 ff. Strafzumessung 454 f. Strafzweck 452 ff. subjektives Recht 129 ff., 275 ff.

Sachregister Summa Theologiae 29 ff. Sünde 66 ff. Sündenstrafe 71 ff. Trennung von Strafe und Schadensersatz  343 f., 469 ff. Tugend 29 ff., 139 ff. Vernunft 145 ff. Versprechen 372 ff. Vertrag 358 ff., 365 ff. Vertragsrecht 358 ff. Voluntarismus 90 ff. Wille 145 ff. s. Voluntarismus Willensfreiheit 145 ff. Wucher 397 ff. Würde 172 f. s. Menschenwürde Zurechnung 429 ff. bei Pufendorf 250 f., 481 f. Zwang als Merkmal des Rechtsbegriffs 310 Zwei-Gewalten-Lehre 486 f. Zwei-Reiche-Lehre 225 ff.

Personenregister Amicus, Franciscus 310 Aquin, Thomas von 29 ff. et passim Aristoteles 33 ff. Augustinus, Aurelius 44, 66, 153 ff.

Marsilius von Padua 488 ff. Molina, Luis de 46 ff., 131 ff., 155 ff., 161 ff., 202 ff., 280 ff., 341 ff., 365 ff., 432 ff., 455 ff.

Boethius, Anicius Manlius Severinus 170 f. Bonaventura ( Johannes Fidanza) 51 ff., 171 f., 285 Bonifaz VIII. 491 ff.

Ockham, Wilhelm von 49, 51 ff., 184 f., 285 ff., 490 f. Oñate, Pedro de 48, 59, 183, 358 ff.

Cajetan, Thomas de Vio 50, 53, 56, 344, 359, 377 f. Cicero, Marcus Tullius 37 ff. Deciani, Tiberio 413 f., 421 ff. Domat, Jean 265 ff., 392 f. Duns Scotus, Johannes 51 ff., 90 ff. Gerson, Jean 55, 131, 136 f., 167, 494 Grotius, Hugo 235 ff., 353 f., 390 f., 395, 397, 476 ff. Hales, Alexander von 51 ff., 171 f. Hobbes, Thomas 240 ff., 476 ff., 518 ff. Kant, Immanuel 271 ff., 544 ff. Lessius, Leonardus 46 ff., 131 ff., 145 ff., 202 ff., 280 ff., 341 ff., 365 ff., 432 ff., 455 ff. Locke, John 329 ff., 479 f., 524 ff. Lugo, Juan de 48, 59, 135 f., 169, 173, 183, 308 f., 352 f. Luther, Martin 224 ff., 165 f., 496 ff.

Pérez, Antonio 59, 169, 173, 183, 310 ff., 352 f. Pothier, Robert-Joseph 265 ff., 268 ff., 391 ff., 395, 397 Pufendorf, Samuel 243 ff., 353 ff., 392, 395, 479 ff., 524 ff. Sforza Pallavicino, Francesco 309 f., 352 f. Soto, Domingo de 46 ff., 191, 205, 215, 221, 301 Suárez, Francisco 46 ff., 93 ff., 131 ff., 167 ff., 173 ff., 189 ff., 499 ff. Summenhart, Conrad 55, 131 ff., 135 ff., 280 ff. Thomasius, Christian 251 ff., 355, 392 Vázquez, Fernando 47 f., 306, 317 f. Vázquez, Gabriel 184 f., 189 ff. Vitoria, Francisco de 46 ff., 298 ff. Wolff, Christian 264 f., 334, 355, 392