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German Pages 350 Year 1995
THOMAS WEIN
Recht durch Rechtsanwälte?
Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von
Heinz Grossekettler, Münster · Bernhard Großfeld, Münster Klaus J. Hopt, München · Christian Kirchner, Berlin Dieter Rückle, Trier · Reinhard H. Schmidt, Frankfurt/Main
Band 22
Recht durch Rechtsanwälte? Eine ökonomische Analyse des Marktes für Rechtsanwaltsdienstleistungen
Von
Thomas Wein
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wein, Thomas: Recht durch Rechtsanwälte? : Eine ökonomische Analyse des Marktes für Rechtsanwaltsdienstleistungen I von Thomas Wein.Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts ; Bd. 22) Zug!.: Berlin, Techn. Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08320-2 NE:GT
D83 Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-08320-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken
Vorwort des Betreuers Die ökonomische Analyse der Märkte fUr Rechtsanwaltsdienstleistungen stellte bislang ein weitgehend unerforschtes Gebiet dar. Eine fundierte Analyse war von höchster wirtschaftspolitischer Relevanz, weil 1987 das Bundesverfassungsgericht das geltende anwaltliehe Standesrecht als verfassungswidrig eingestuft und eine gesetzliche Nachbesserung verlangt hat. Des weiteren drängt die Europäische Union darauf, auch im Bereich der Rechtsberatungsmärkte die volle Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit zu verwirklichen. Wein stellt in seiner Arbeit das Gut Rechtsberatung mit den Mandanten der Rechtsanwälte als Nachfrager und den Rechtsanwälten als Anbieter dieses Gutes in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Die mit diesem Gut verbundenen (vermeintlichen) Besonderheiten wurden aus der in Deutschland vorzufindenden Regulierung der Anwälte abgeleitet, wonach die eigennutzorientierten Anwälte die Gerichte bei der Wahrheitsfindung unterstützen, die Kosten des Rechtswesens minimieren, das verteilungspolitische Ziel "Möglichkeit zur Rechtsdurchsetzung unabhängig von der Einkommens- und Vermögensverteilung" berücksichtigen und die Mandanten trotz ungleich verteilter Informationen nicht benachteiligen sollen. Ebenfalls berücksichtigt Wein in seiner Analyse wichtige Einflußfaktoren aus vor- und nachgelagerten Märkten wie die Frage nach der adäquaten Finanzierung der Gerichte oder die nach der Funktionsfahigkeit von Rechtsschutzversicherungsmärkten. Insofern gleicht diese Arbeit einem aus tausenden von Mosaiksteinen zusammengesetzten Bild. Daß es Wein gelungen ist, die vielen theoretischen und empirischen Details zu einem Ganzen zusammenzufUgen, ist seine große Leistung. Die Lektüre verlangt zwar vom Leser viel Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen. Zwischendurch hilft aber der Autor dem Leser immer wieder durch zusammenfassende Texte und Übersichten. Weins Arbeit stellt daher ein Kompendium der ökonomischen Analyse der Rechtsberatungsmärkte dar, auf das künftige Analysen unvermeidlich zurückgreifen müssen. Folglich kann man mit Fug und Recht sagen, daß durch die Arbeit Weins die bisher bestehende Lücke der ökonomischen Forschung zumindest deutlich verringert wurde. Berlin, im November 1994
Prof. Dr. Charles Beat Blankart
Vorwort des Verfassers Das vorliegende Werk stellt die leicht veränderte Fassung einer Arbeit dar, die im Sommer 1994 vom Fachbereich "Wirtschaft und Management" der Technischen Universität Berlin als Dissertation angenommen wurde. Zu besonderem Dank bin ich den beiden Gutachtern im Promotionsverfahren, Prof. Dr. Charles Beat Blankart und Prof. Dr. Hans-Jürgen Ewers, verpflichtet. Herr Professor Dr. Blankart stand mir mit großer Geduld sowie vielfliltiger Diskussionsbereitschaft hilfreich zur Seite und hat mich in meiner Vorgehensweise immer wieder ermuntert. Insofern hat er einen großen Anteil an dieser Arbeit. Herr Professor Dr. Ewers hat mich kontinuierlich an das wissenschaftliche Arbeiten herangefilhrt und mit dem Themenkreis "Marktversagen, insbesondere Informationsmängel, Regulierung und Deregulierung", auch durch sein vielfliltiges persönliches Engagement, vertraut gemacht. Ohne diese entscheidenden Weichenstellungen wäre ich nie zu diesem Thema und der gewählten Vorgehensweise gelangt. Prof. Dr. Michael Fritsch kommt ebenfalls eine große Bedeutung filr das Gelingen dieser Arbeit zu: Im Rahmen einer langjährigen Zusammenarbeit wurde ich von ihm besonders dazu angehalten, die sprachlichen und formalen Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens ausreichend zu beachten. Die von ihm dabei erwiesene Geduld und Einsatzbereitschaft war außerordentlich hoch. Dipl. Volkswirt Oliver D. Perschau stellte fiir diese Arbeit eine äußerst hilfreiche inhaltliche und persönliche Stütze dar; auch ihm möchte ich hiermit meinen großen Dank aussprechen. Die Konzeption dieser Arbeit durfte ich freundlicherweise dem "Ittinger-Kreis" vortragen; fiir das dort entgegengebrachte Interesse und die aufschlußreichen Hinweise danke ich. Im Laufe der Jahre wirkten eine Reihe von studentischen Hilfskräften und Tutoren bei der Literatur- und Datenbeschaffung mit. Stellvertretend möchte ich mich daher bei cand. rer. oec. Monika Elias und cand. rer. ing. Tim Roggenbach bedanken. Cand. rer. oec. Christiane Mattik und Dr. Beate Scheidt haben dankenswerterweise geholfen, die Endfassung dieser Arbeit Korrektur zu lesen und sprachliche sowie inhaltliche Schwachstellen zu entdecken. Die verbleibenden Fehler und Mißverständnisse habe natürlich nur ich zu verantworten. Lüneburg, im Dezember 1994
Thomas Wein
Inhaltsverzeichnis I Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2 Anwaltsregulierung - Rechtliche Ausgestaltung und ökonomische Interpretation . . . . . . . . 21 2.1 Juristische und ökonomische Motive ftlr die Regulierung der Anwälte . . . . . . . . ... . 21 2.2 Einzelvorschriften des anwaltliehen Standesrechts und die ökonomische Sichtweise .. 23 2.2.1 Marktzugangsbeschränkungen . . . .... . . ... . . . ...... . ..... . . . . . ... 23 2.2.2 Ausübungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . 28 2.2.3 Europarechtliche Vorgaben ........... . .. . .. . ............. . .... 36 2.3 Zusammenfassung ......... . . . ...... .. . .. ..... . . . . . ... . ....... . .. 37 3 Ungleiche Information und Rechtsanwälte .. .. . . . . ..... . .... . ........... . . . 39 3.1 Das Problem ............ . .. . ............ . . . . .............. .... . 39 3.2 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe -Gefahren . . ........ . ... . . .. 42 3.2.1 Asymmetrische Informationsverteilung und Prinzipal-Agent-Theorie ... . .. ... 42 3.2.1.1 "hidden action" und moralisches Risiko . . ............... . . . . . . 44 3.2.1.2 "hidden information" und adverse Auslese . ............... ... .. 48 3.2.2 Der Rechtsanwalt und die Prinzipal-Agent-Theorie ............... .. . . . 54 3.2.2.1 Rechtsanwälte als Agenten sowie Mandanten als Prinzipale im Falle von "hidden action" .............. . .. . ........... . . . . . . . 55 3.2.2.2 Mandanten als Agenten sowie Rechtsanwälte als Prinzipale im Falle von "hidden action" . . . . ... .. .. . .. . .... ... .... .. . .. . . . .. 56 3.2.2.3 Rechtsanwälte als Agenten sowie Mandanten als Prinzipale im Falle von "hidden information" . .. ... . . . . . . .. . . . . .... . ... . .. . .. 57 3.2.2.4 Mandanten als Agenten sowie Rechtsanwälte als Prinzipale im Falle von "hidden information" ......... . ............... . ... . .. 58 3.2.3 Zusammenfassung .. . ................. . .. . ............. . .. . .. 59 3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten ... . ..... 59 3.3 .I Informationsnachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.3.1.1 Informationsnachfrage seitens eines beliebigen Prinzipals . . .. . .. . .. 62 3.3 .1.2 Informationsnachfrage seitens des Prinzipals "Mandant" . . . . . . . . . . . 64 3.3.1.3 Zusammenfassung . . . . . . .... ... . . . .. . . . ... . .. .. . . . .. . . . 67 3.3.2 Eingehen eines Garantieversprechens ...... . . . . . ... . .. . . .. . ... .. . . . 67 3.3.2.1 Garantieversprechen und ungleiche Information . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.3.2.2 Garantien und Haftung bei Rechtsanwälten ................ . .. . 74 3.3.2.3 Zusammenfassung . . ... . ............... . ...... . ... . ... . 79 3.3.3 Strategische Preisbildung .. ....... . ....... . ..... ... ....... .. . .. 81 3.3.3.1 Signaling und Preise . .... .. ... .. . . . . ... ...... ......... . 82 3.3.3.2 Preissignale bei Anwälten .. . . .. . . . . . . . . ..... . . . .. . .. ... . . 88 3.3.3.3 Fazit . . . .... . . . . ... . . . . . ... . . ... . . .... . .. .. . . . ... .. 93
10
Inhaltsverzeichnis
3.3.4 Strategische Investitionen in das Humankapital ... . . ........ . . . . . ... . . 94 3.3.4.1 Ausbildungsinvestitionen und Signaling .. . .............. . .... 95 3.3.4.2 Ausbildungsinvestitionen im Rechtsanwaltsmarkt ..... . ........ . 100 3.3.4.3 Zusammenfassung .......................... . ..... . .. . 102 3.3.5 Aufbau von Reputation ... . .... . .......... . .... . ......... . .. . 103 3 .3 .5 .I Märkte mit Reputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 04 3.3.5.1.1 Im Zeitablauf unveränderliche Qualität .......... .. .. . 104 3.3.5.1.2 Durch das Verhalten des Produzenten veränderliche Qualität . 109 3.3.5.1.3 Fazit . . ............... . .. . ............. . .. . . 113 3.3.5.2 Reputation und Rechtsanwälte ...... . ............. . .. . .. . . 114 3.3.5.3 Zusammenfassung . ...... . . . ..... . . ........ . .. . ..... . . 122 3.3.6 Einsatz von Werbemaßnahmen ......... . .. . .............. . ..... 123 3.3.6.1 Werbeaktivitäten im Rahmen des Prinzipal-Agent-Verhältnisses .. . .. 124 3.3.6.2 Werbung und Rechtsanwälte ......... . ............. . . . . .. 128 3.3.6.3 Fazit ......... . . . ........ . .................. . ... . . 129 3.3.7 Aufbau von Franchisesystemen ............. . .... . ... . .... . ... . . I30 3.3.7.1 Das Wesen des Franchisesystems ... . .. . . . .......... .. .. . . . 130 3.3.7.2 Franchise und Anwälte .. . . .. .... . . ... . . . . .... . .. . . . . . . . 134 3.3.7.3 Zusammenfassung . . . . . .. . . .. .. . . . .. .. . . ... .... . . . ... . 136 3.3.8 Zusammenschluß mit anderen Agenten in Form der Fusion ......... . .. . 137 3.3.8.1 Gründe ftlr Fusionen .............. .. ..... . ........... . 137 3.3.8.2 Sozietäten ....................... . .............. . .. . 140 3.3.8.3 Fazit ........ . ............... . . . ....... . ......... . 144 3.3.9 Zusammenfassung der marktliehen Möglichkeiten im Rechtsanwaltsmarkt .. .. 145 3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt ..... . . . . .. .......... . .. . . 153 3.4.1 Das Problem .. . . . . . . . . . . .. .. . . . ... . ....... ... . .. .. . .. .. . . 153 3.4.2 Erleichterter Informationsaustausch zwischen den Parteien ... . ... . . .. . . . 155 3.4.2.1 Erleichterter Informationsaustausch-Möglichkeiten und Gefahren . . . 155 3.4.2.1.1 Beseitigung von Beschränkungen des Informationsaustausches 156 3.4.2.1.2 Falsche Informationen verhindem .. . .......... . .. .. . 157 3.4.2.1.3 Standardisierung ......... . . . ............. . . . . .. 158 3.4.2.1.4 Pflicht zur Offenlegung . ..... . .. . . . ........ . .. . . . I 59 3.4.2.1.5 Zusammenfassung .. . . .. ... . . . .. . . . . ..... . .. . .. I60 3 .4.2.2 Erleichterte Informationsübertragung im Markt ftlr Rechtsberatung . . . 162 3.4.3 Informationsbereitstellung ... .... .. . .. . . . ...... . ... . .. . . .. .. .. 166 3.4.3.1 Staatliche Informationsbereitstellung und -verbreitung ..... . . . . . . . 166 3.4.3.2 Informationsbereitstellung Ober die Qualität von Rechtsanwälten . .. .. 171 3.4.4 Regulierung der Transaktionen .......... . . . ................ . .. . 172 3.4.4.1 Regulierung der Produktqualität .... . . . .. . . . .. . . . ...... . .. . 173 3.4.4.1.1 Regulierung der Produktqualität- Möglichkeiten und Grenzen 173 3.4.4.1.2 Staatliche Regulierung der anwaltliehen Qualität ......... I 77 3.4 .4.2 Pflicht zur GarantieNerschärfte Haftung . . . . ....... . .. .. . . ... 179 3.4.4.2.1 Garantieverpflichtungen und das Haftungsrecht als Mittel zur Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3.4.4.2.2 Verschärfte Garantie und Haftung bei Anwälten .... . .. . . 184 3.4.4.3 Pflichttransaktionen ............. . .. . ............. . .. . . 187 3.4.4.3.1 Pflichttransaktionen als Mittel gegen lnformationsasymmetrien 187 3.4.4.3.2 Pflichttransaktionen bei Rechtsanwälten . .... .... .. . . . . 189 3.4.5 Staatliche Lösungen bei eigennützigen Akteuren . .. . ..... . ... .. .. . .. . 190 3.4.5.I Staatliche Qualitätssicherung und eigennützige Akteure . ... . . . .... 190
Inhaltsverzeichnis 3.4.5.1.1 Die Ebene des laufenden politischen Prozesses ... . .. . .. . 3.4.5.1.2 Die Ebene des Grundkonsens . . .. . ............ .. ... 3.4.5.2 Folgen fllr die Regulierung der Rechtsanwalte . . . . . . . . . . . . . .. 3.4.6 Qualitätssicherung durch den Staat im Markt fllr Rechtsanwaltsdienstleistungen - Möglichkeiten und Gefahren auf der Ebene des Grundkonsens . . . . 3.5 Rechtsanwaltsmarkt und kollektive Lösungen .... . . . . . .. . ........ .. . . . . . 3.5.1 Kollektive Lösungen und Qualitätsunsicherheit ... . . ...... . .. . .. . .... 3.5.2 Anwaltskammern .... . .. . ............ . . . . . ......... . .. . . . . . 3.6 Ungleiche Information im Rechtsanwaltsmarkt-Zusammenfassung ....... . .. . . 4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Problemstellung .. . . . ... . . . .. ..... . . .. . . . . . . . . ...... ... .. . . . . ... 4.2 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung ... . .... . .... . . ..... . . 4.2.1 "Falsche" Anreize zur Kostensteigerung in der Zivilgerichtsbarkeit .. . . . .. . . 4.2.1.1 Der Referenzstandard ............ . . . . ............. . .. . . 4.2.1.2 Inkonsistente Erfolgswahrscheinlichkeilen . . . . ........... . . . . . 4.2.1.3 Verzugsgewinne .............. .. . .. ...... . ........ .. . 4.2.1.4 Immaterielle Kosten und Nutzen . .. . .. .. . . .......... . .. . .. 4.2.1.5 Risikoeinstellung . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . ... . . . . .. . 4.2.1.6 Unzureichend gesetzter Rechtsrahmen ................... . . . . 4.2.1.7 Strategisches Verhalten . . .......... .. . .. .......... . . . .. . 4.2.1.8 Zusammenfassung: Die "privaten" Ursachen der Zivilprozesse - Die Anwaltsregulierung als Lösung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ......... . . ......... . .. . . . .. . .......... . .. . .. . 4.2.2.1 Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . .. . . . . ..... . 4.2.2.2 Kostensteigerung durch Private im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung in der Strafgerichtsbar. .. keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.1 Strafrecht und Strafgerichtsbarkeit .... . .. . ............. . . .. 4.2.3.2 Kostensteigerung durch Private im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit . . 4.2.4 Fazit .. .. .. . . .. .. . . ..... .. .. . . ..... . .. . .... .. . .. . . . . . . . . 4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung .... . .. . . . . .. . . . . . . . . . . .. 4.3.1 Nicht kostendeckende Gerichtsgebühren . . .. . . . . . .. .. . . . . .. . . . . .. . . 4.3.1.1 Rechtlicher Rahmen der Gerichtsgebühren . .. . . .. . . . ... ..... . . 4.3 .1.2 Grad der Kostendeckung in den Gerichtsbarkeilen und Instanzen . . . . 4.3.1.3 Struktur der Kostenunterdeckung .... . .. . .......... . .... .. . 4.3.1.4 Ökonomische Erklärungsversuche fllr Niveau und Struktur der Gerichtsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Fiskalische Interessen des Staates . . . . . . . . . . . . . . .... .. .. .... . . . . . 4.3.3 Zusammenfassung . . . . .. . . . .. . . . ... . .. . . . .. . ...... .. ... . . . . . 4.4 Anwaltsregulierung als Mittel zur Kostenminimierung - Ein Irrweg? .. .. . .. . .... 5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Das Problem . . . . ..... . ..................... . .......... . .... . .. 5.2 Interne Subventionierung mit Hilfe der anwaltliehen Gebührenordnung ....... . .. 5.3 Direkte Unterstützung durch den Staat . .. . . ..... . .. . .. . .. ... . . . .. . . . . . 5.4 Kreditaufnahme am Kapitalmarkt . ... . . ... ........ . .... . .......... . .. 5.5 Vereinbarung von Erfolgshonoraren . . . . . .. . .... .. . . . . . . . . .. . .. ... . ... 5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung ... . ... . . .. . . .. . . .. ... .. . ... . .
11 191 196 200 203 211 211 215 217 224 224 226 227 229 234 236 238 239 240 241 246 250 250 252 254 254 255 256 258 258 259 261 265 269 274 276 278 281 281 283 285 290 291 294
12 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4 5.7 Fazit
Inhaltsverzeichnis Funktionsweise einer Rechtsschutzversicherung . .............. .. ... . . InstitutioneHe Besonderheiten der Rechtsschutzversicherung in Deutschland . . Probleme der Rechtsschutzversicherung in Deutschland . . ... .. ... . . . .. . Zusammenfassung ....... . ............ . . .. ............... . .. .................... . ............ . .. . .... . .... . ... . . . ..
295 301 305 312 313
6 Zusammenfassung und wirtschaftpolitische Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Literaturverzeichnis ............ . . .............. ... . ............. . . . . 329 Anhang . . ... .. .. . ........ . . . . . ... . . ....... . . . . .......... . . . .. . . .. 337
Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
3: 4: A-1: A-2: A-3: A-4: A-5: A-6: A-7: A-8: A-9: A-10: A-1 1:
Kostendeckungsgrade verschiedener Gerichtsbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . Durchschnittliche Gebührenstreitwerte 1988 - Zivilgerichte des Landes Berlin .... . . . . .... . ........ . ............. ... . . ..... . . . Ausgabenstruktur des Gerichtswesens - Land Berlin ........... . .. . .. Ereignismatrix mit/ohne Rechtsschutzversicherung und Prozeß . . . . . . . . . . Zivil- und Strafgerichtsbarkeit Berlin- Kostendeckungsgrade 1987-1991 ... Arbeitsgerichtsbarkeit Berlin - Kostendeckungsgrade 1987-1991 .. .. . . ... Finanzgerichtsbarkeit Berlin • Kostendeckungsgrade 1987-1991 .. ... . .. . Sozialgerichtsbarkeit Berlin • Kostendeckungsgrade 1987-1991 .... . . .. . Verwaltungsgerichtsbarkeit Berlin- Kostendeckungsgrade 1987-1991 .. . .. Bundesgerichtshof in Karlsruhe - Kostendeckungsgrade 1987-1991 . . . . . . . Bundesverwaltungsgericht in Berlin • Kostendeckungsgrade 1987-1991 . . .. Bundesfinanzhof in München- Kostendeckungsgrade 1987-1991 .. ... . .. Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe • Kostendeckungsgrade 1987-1991 .. Bundesarbeitsgericht in Kassel- Kostendeckungsgrade 1987·1991 . . . .. . . Bundessozialgericht in Kassel· Kostendeckungsgrade 1987-1991 .. . . . ...
262 267 275 296 339 340 341 342 343 344 345 346 347 348 349
Verzeichnis der Übersichten Übersicht I: Übersicht 2: Übersicht 3: Übersicht 4: Übersicht 5: Übersicht 6: Übersicht 7: Übersicht 8: Übersicht 9: Übersicht I 0:
Theoretisch denkbare Informationsprobleme zwischen Mandant und Rechtsanwalt ........ . .. . ............. . .. . .. ... ....... .. ... . . 60 Marktliehe Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt - Informationsnachfrage und Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Marktliehe Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt - Preis und Ausbildung 148 Marktliehe Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt-Reputation und Werbung . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . ..... . . .. .. . . . ........ . . . . .. 150 Marktliehe Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt - Franchising und Sozietäten ............ . ............... .. . . ......... . . . .. . .. I52 Staatliche Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt - Erleichterter Informationsaustausch I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Staatliche Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt - Erleichterter Informationsaustausch II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Staatliche Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt - Informationsbereitstellung und Regulierung der Transaktionen I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Staatliche Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt - Regulierung der Transaktionen II und III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Kollektive Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3:
H . .. .. .. ... .. .. .. . ... . . .....
"hidden action" bei festem Honorar 46 "hidden action" bei variablem Entgelt ftlr den Agenten . ...... .. . . . . . . 47 "hidden information" . . ... . . . ... . . . .. . .. . . ... . .. . .... . . . . . . . 50
Abkürzungsverzeichnis AG AgV ARB BGB BGH BRAGO BRAO BVerfG DIN DPGI EU EWGV
Amtsgericht Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher allgemeine Rechtsschutzversicherungsbedingungen Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bundesgebührenordnung fllr Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesverfassungsgericht Deutsches Institut fllr Normung Deutsche Gesellschaft fllr Produktinformation Europäische Union Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft FTC Federal Trade Commission Grundgesetz GG GKG Gerichtskostengesetz HGB Handelsgesetzbuch Landgericht LG M.a.W. Mit anderen Worten OLG Oberlandesgericht P-A-Theorie Prinzipal-Agent-Theorie PI Produktinformationen RAL Ausschuß fllr Lieferbedingungen und Gütesicherung RaRiLi Rechtsanwaltsrichtlinien (Standesrichtlinien) StGB Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung StPO Technischer Überwachungsverein TÜV VDE Verband Deutscher Elektrotechniker Zivilprozeßordnung ZPO
1 Problemstellung Im Falle von Problemen rechtlicher Art wird vielfach auf die Hilfe der Rechtsanwälte zurückgegriffen. Man kann allgemein unter dem Rechtsanwalt die Berufsbezeichnung des Beraters, des Vertreters und des Beistands für alle Rechtsangelegenheiten verstehen (vgl. Hammerstein 1988, S. 688). Gegenstand dieser Arbeit ist die ökonomische Analyse des Marktes für Rechtsanwaltsdienstleistungen, in dem die Mandanten der Anwälte als Nachfrager und die Rechtsanwälte als Anbieter dieses Gutes auftreten. Insofern wird hier die Frage gestellt, ob es den Mandanten gelingt, durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts ihr Recht zu erhalten. Die ökonomische Analyse der Rechtsanwälte und des damit verbundenen Rechtsberatungsmarktes stellt ein weitgehend unerforschtes Gebiet dar, denn die bisherigen, eher seltenen Untersuchungen behandeln Randprobleme, und die öffentliche Diskussion stellt diesen wettbewerbliehen Ausnahmebereich kaum in Frage: - Im deutschsprachigen Raum wurden nur wenige theoretische Untersuchungen zum Thema der Rechtsanwälte vorgenommen: Die Deregulierungskommission ( 1991, Tz. 430-43 8) unterbreitet zwar relativ umfassende Vorschläge zur Reregulierung des anwaltliehen Berufsrechts, allerdings würdigt sie die besonderen Umstände in diesem Teilbereich der Freien Berufe nicht in der notwendigen Breite und Tiefe. Knümann (1975) und Köhler (1987) bearbeiten nur Teile der zu diskutierenden Fragen, nämlich die Zweckmäßigkeit der Gebührenordnung und des Werbeverbots. Im angelsächsischen Sprachraum gibt es zwar eine breite Forschungsrichtung "law and economics" (vgl. grundlegend Posner 1977), in aller Regel wird dabei aber der Anwalt als "black box" betrachtet. - Die empirische Untersuchung von Prognos ( 1987) zeigt sehr deutlich, daß Rechtsanwälte von den meisten Klienten nur eingeschaltet werden, wenn es unbedingt notwendig ist, d.h. wenn eine gerichtliche Auseinandersetzung unvermeidlich wird. Diese Studie verweist folglich auf das geringe Marktpotential der Anwälte in der Bundesrepublik Deutschland. Winters (1989) nimmt diese Kritik aufUnd zeigt aus betriebswirtschaftlicher Sicht Wege für 2 Wein
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I Problemstellung
den einzelnen Anwalt auf, sein Marktpotential und seine Marktstellung zu verbessern. - Das Thema "Rechtsanwälte" ist zwangsläufig in der politischen Diskussion, denn zum einen hat 1987 das Bundesverfassungsgericht mit zwei Entscheidungen auch das geltende anwaltliehe Standesrecht als verfassungswidrig eingestuft und dem Gesetzgeber eine Nachbesserung aufgetragen. Zum anderen drängt die Europäische Union darauf, auch im Bereich der Anwaltschaft die volle Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit zu verwirklichen. Die Bundesregierung hat daher im Frühjahr 1993 einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des anwaltliehen Berufsrechts vorgelegt (vgl. Kapitel 2). Um die ökonomische Analyse der Rechtsanwälte und des Marktes für Rechtsanwaltsdienstleistungen voranzutreiben, sind zwei verschiedenartige Vorgehensweisen denkbar:
- Analyse unter modelltheoretischer Sicht. Man kann den Anbieter "Anwalt" als einen ökonomischen Akteur wie jeden anderen betrachten, dessen einziges Ziel die Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung darstellt. Unter der Berücksichtigung verschiedener Handlungsbeschränkungen (Marktstruktur, Gütertyp, Preisrestriktionen, Umsatzbeschränkungen, (begrenzter) Einfluß des Mandanten) ist es möglich, die Handlungsweise eines so modellierten Anwaltes unter wohlfahrtsökonomischer Sicht zu beurteilen: Welche Ergebnisse sind in einem solchen "Markt" zu erwarten, und sind diese gesamtwirtschaftlich effizient? Gleiches kann man für die Nachfrageseite, die der Mandanten, unterstellen: Mandanten maximieren ihren Nutzen unter Beachtung von Faktoren wie Budgetbeschränkungen, verschiedenen Risikoeinstellungen etc. - Institutioneller Ansatz. Im Gegensatz zum modelltheoretischen Ansatz soll hier zu Beginn nicht die Annahme stehen, daß jeder Akteur in diesem Markt sich nutzen- bzw. gewinnmaximierend verhalten wird. Stattdessen setzt die Analyse mit der Frage ein, welche Vorstellungen über die Aufgaben der Rechtsanwälte und die Funktionsweise des Rechtsberatungsmarktes in der Gesellschaft existieren. M.a.W.: Welche Besonderheiten zeichnen den Anwaltsstand und den Rechtsberatungsmarkt nach weitverbreiteter Ansicht aus? Diese Vorstellungen bzw. Besonderheiten schlagen sich auch im gewissen Maße in der Ausgestaltung der Anwaltsregulierung nieder. Folglich stehen die Regulierung des Anwalts und die Motive für diese Eingriffe am Anfangspunkt dieser Analyse. Ich bezeichne diese Vorgehensweise als einen institutionellen Ansatz.
I Problemstellung
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Der institutionelle Ansatz hat den wesentlichen Vorteil, einen breiteren Analyserahmen als der modelltheoretische aufzuspannen. Erstens werden andere Verhaltensannahmen als die der Nutzenmaximierung wie zum Beispiel "Altruismus" beim Anwalt zugelassen. Zweitens wird nicht notwendigerweise unterstellt, daß die Präferenzen der Bürger alleine auf Wohlfahrtsmaximierung ausgerichtet sind, sondern auch verteilungs- und rechtspolitische Beweggründe können in die Analyse miteinfließen, falls sie sich in irgendeiner Form in der deutschen Anwaltsregulierung niedergeschlagen haben. Möglicherweise sind auch drittens Einflußmöglichkeiten der kollektiven Entscheidungsträger (Politiker, Bürokraten, Interessengruppen) zu beachten, die weniger in die Richtung der Wohlfahrtsmaximierung, sondern eher in eine Mehrung des persönlichen Vorteils der beteiligten politischen Entscheidungsträger gehen; auch dieser Einflußfaktor mag sich in der Anwaltsregulierung niedergeschlagen haben. Kurz gesagt liegt der Vorteil des institutionellen Ansatzes gegenüber der modelltheoretischen Sichtweise darin, das Analysefeld breiter anzulegen und damit die Gefahr, ungeprüft die "Rechtsberatung durch den Anwalt" als ein Gut wie jedes andere zu betrachten, zu verringern. Im Rahmen des institutionellen Ansatzes ist es dann Aufgabe des Ökonomen, die in Deutschland praktizierte Regulierung zu erklären. Insofern handelt es sich hier eher um eine Arbeit mit positiver (beschreibender) Ausrichtung, weniger um eine normative (bewertende), welche die geltende Anwaltsregulierung auf ihre gesamtwirtschaftliche Effizienz hin untersuchen würde. Welche Präferenzen haben sich in der Anwaltsregulierung durchgesetzt: Die Bürger mit dem Ziel der Wohlfahrtsmaximierung, der Eigennutz der regulierenden kollektiven Entscheidungsträger oder die nutzenmaximierenden Anwälte? Wie wirkt die Regulierung auf verschiedene Bevölkerungsgruppen, d.h. wer gewinnt und ·wer verliert durch diese Regulierung? Dennoch kann diese ökonomische Analyse des Marktes für Rechtsanwaltsdienstleistungen im gewissen Maße prüfen, ob die genannten Ziele tatsächlich in die Anwaltsregulierung Eingang fanden und ob die zu beobachtenden Auswirkungen mit den Zielen kompatibel sind. Zur Beantwortung der letzten Frage läßt es sich nicht vermeiden, die Alternativen zur bisherigen Regulierung zu betrachten und mit dem gegenwärtigen Zustand zu vergleichen. Insofern ist es das wirtschaftspolitische Ziel dieser institutionellen Arbeit, die Transparenz über Zweck sowie Funktionsweise der heutigen Anwaltsregulierung zu erhöhen. Dadurch wird der einzelne Bürger in die Lage versetzt, die Eignung der Anwaltsregulierung vor dem Hintergrund seiner Präferenzen zu beurteilen und dann entsprechende Rückschlüsse für seine Entscheidung im politischen Prozeß zu ziehen. Die Schlußfolgerungen aus dieser Arbeit können aber noch weiter gehen: Sollte sich im Rahmen der ökonomischen Analyse zeigen, daß die kollektiven 2*
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Entscheidungsträger ihre eigenen Interessen zu Lasten der überwiegenden Mehrheit der Bürger durchsetzen können, gibt es zwei Handlungsalternativen. Zum einen, der Bürger verdeutlicht seine Präferenzen und sorgt für eine bessere Kontrolle innerhalb des laufenden politischen Prozesses; diese Alternative ist möglicherweise für den Einzelnen zu teuer und findet aus diesem Grund nicht statt. Daher kann zum anderen ein Interesse des Bürgers bestehen, den Rahmen der vorliegenden institutionellen Regelungen außerhalb des laufenden politischen Prozesses, d.h. auf der Verfassungsebene, so zu verändern, daß seine Wünsche eher als heute gewahrt werden. Auch darauf will ich im weiteren eingehen. Die Problemstellung wird wie folgt abgearbeitet: - Das zweite Kapitel beschreibt die Regulierung der Anwaltschaft in Deutschland und arbeitet die Thesen heraus, die fur die Begründung der Anwaltsregulierung immer wieder genannt werden. - Im Rahmen des dritten Kapitels geht es um die These, daß eine Anwaltsregulierung notwendig sei, um das Prinzipal-Agent-Problem zwischen Mandant und Anwalt zu lösen. - Nicht selten werden Beschränkungen der anwaltliehen Handlungsparameter mit dem Ziel begründet, die Kosten des Rechtswesens zu minimieren. Diese These ist Gegenstand des vierten Kapitels. - Die vielfach vertretenen rechtspolitischen Motive stellen letztendlich verteilungspolitische Zielvorstellungen dar, die über den Weg der Anwaltsregulierung verfolgt werden. Die verteilungspolitische Argumentation erfolgt im fünften Kapitel. - Die Zusammenfassung sowie die wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen befinden sich im letzten, dem sechsten Kapitel.
2 Anwaltsregulierung - Rechtliche Ausgestaltung und ökonomische Interpretation Die Anwälte in der Bundesrepublik Deutschland sind relativ umfassend reguliert. Im Abschnitt 2.1 werde ich auf die Motive für diese staatlichen Eingriffe eingehen, wie sie sich in der allgemeinen Charakterisierung des Anwaltsberufs im Gesetz niederschlagen. Bereits hieraus lassen sich vier Thesen ableiten, mit Hilfe derer man meiner Meinung nach den Zweck der im Abschnitt 2.2 vorgestellten Einzelvorschriften ökonomisch erklären kann. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieses Kapitels ist innerhalb des Punktes 2.3 vorgesehen.
2.1 Juristische und ökonomische Motive für die Regulierung der Anwälte Der Gesetzgeber betrachtet die Rechtsanwaltschaft als ein "unabhängiges Organ der Rechtspflege" (§ I Bundesrechtsanwaltsordnung; BRAO) und ordnet sie den Freien Berufen zu (kein Gewerbe; § 2 BRAO). Unter der Rechtspflege versteht man die Umsetzung und Verwirklichung des Rechts, wobei nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch die Regelung rechtlicher Beziehungen in Verträgen ohne Mitwirkung der Richter und die Beratung der Mandanten zur Rechtspflege gehören. Die Rechtsanwälte sollen sich an der Seite der Gerichte und der Staatsanwaltschaft als ein Organ der Rechtspflege an der Umsetzung des Rechts beteiligen. Somit ist der Rechtsanwalt mehr als ein kundiger Vertreter des Mandanten: Er ist auf Wahrheit bzw. Gerechtigkeit verpflichtet und muß die "Spielregeln" der Prozeß- und Verfahrensordnung sowie die sozialen Bindungen seines Standes beachten. Verstünde sich der Rechtsanwaltsstand nicht mehr als ein "Organ der Rechtspflege", wäre insbesondere die von ihm vorgenommene Rechtsberatung nicht mehr ideell, sondern materiell motiviert, würde der Stand zum Gewerbe herabsinken (vgl. zusammenfassend Isele 1975, S. 2-5 und Lingenberg et al. 1988, S. 39-43). Die Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes schließt aus, daß er vom Staat in irgendeiner Weise in seiner Handlungsfreiheit beschränkt wird, die Stellung eines Beamten oder ein öffentliches Amt bekleidet und vom außerrechtlichen
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Einfluß Dritter, insbesondere von mächtigen Interessenverbänden, abhängig ist. Die Forderung nach Unabhängigkeit wirkt sich auch auf die Beziehung zum Mandanten aus, denn der Anwalt darf nicht zum "Werkzeug", zum "Weisungsempfänger" oder zum "Sprachrohr des Mandanten" herabsinken. Aus diesem Idealbild der Unabhängigkeit des Anwalts heraus entwickelt sich auch der Wunsch, daß die Anwälte über ein auskömmliches Einkommen verfugen. Nur so können sie ihren ideellen Verpflichtungen und nicht den ungerechtfertigen Wünschen der Mandanten nachkommen. Durch die Zuordnung der Rechtsanwälte zu den Freien Berufen unterstellt man ebenso, daß sie nicht ihren eigenen Interessen, sondern denen der Allgemeinheit dienen wollen. Ergibt sich ein Konflikt zwischen den eigenen (wirtschaftlichen) Interessen und den (berechtigten) Anliegen des Mandanten, so entscheiden sie sich fiir die Mandanteninteressen (vgl. lsele 1975, S. 11 f.). Meiner Ansicht nach kann man den unbestimmten Rechtsbegriff "unabhängiges Organ der Rechtspflege" und die folgenden Einzelvorschriften umfassend anhand der folgenden vier Thesen ökonomisch erklären: - Der Mandant ist weder dazu in der Lage, ohne staatliche Hilfe fiir sein Rechtsproblem den geeigneten, hinreichend qualifizierten Anwalt auszuwählen (Auswahlproblem), noch kann er ihn im ausreichenden Maße während der Mandatsabwicklung kontrollieren (Kontrollproblem); beide Probleme beruhen auf einer asymmetrischen Informationsverteilung zu Lasten des Mandanten (lnformationsproblem ). - Die Anwaltsregulierung zielt darauf ab, die Kosten infolge rechtlicher Auseinandersetzungen auf ein Minimum zu reduzieren. Dieses Argument der Kostenminimierung ist insbesondere mit dem Wunsch verknüpft, die Zahl und das Ausmaß der Prozesse soweit wie möglich einzuschränken. - Mit Hilfe der Vorschriften zum Berufsrecht der Anwälte wird das rechtspolitische Ziel verfolgt, daß es allen Bevölkerungsgruppen möglich ist, ihre Rechte zu wahren. Ökonomisch gesehen bedeutet dies, daß man auch über die Anwaltsregulierung versucht, Unterschiede hinsichtlich des Einkommens und des Vermögens, die einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Umsetzung des Rechts haben, zu kompensieren. M.a.W.: Das Standesrecht der Rechtsanwälte weist ebenfalls eine verteilungspolitische Zielsetzung auf. - Der Anwalt hat auch die Funktion, das Gericht bei der Wahrheitsfindung zu unterstützen. Die Regulierung der Anwälte muß daher so ausgestaltet werden, daß auch diesem Ziel genüge getan wird.
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Im Rahmen der nachfolgenden Beschreibung der einzelnen Bestandteile der Anwaltsregulierung werde ich die genannten vier Thesen dazu benutzen, um die Vielzahl der Eingriffe in den Markt filr Rechtanwaltsdienstleistungen aus ökonomischer Sicht zu erklären.
2.2 Einzelvorschriften des anwaltliehen Standesrechts und die ökonomische Sichtweise Das anwaltliehe Berufsrecht verfolgt zwei Zwecke (vgl. zum folgenden zusammenfassend und ausruhrlieh Komblum 1989 sowie kurz Deregulierungskommission 1991, Tz. 429): - Den Zugang zum Anwaltsberuf zu regeln (Punkt 2.2.1) und - die Anwälte während der Ausübung ihrer Tätigkeit zu überwachen bzw. Fehlentwicklungen innerhalb der Anwaltschaft zu sanktionieren (Punkt 2.2.2). Im Rahmen des Abschnitts 2.2.3 gehe ich kurz auf die europarechtlichen Vorgaben fiir den Rechtsanwaltsmarkt ein.
2.2.1 Marktzugangsbeschränkungen Um die Zulassung als Rechtsanwalt zu erhalten, muß ein Bewerber folgende Voraussetzungen erfüllen: Im Sinne einer subjektiven Marktzugangsschranke nach Art. 12 I GG hat der Rechtsanwalt die Befähigung zum Richteramt vorzuweisen(§ 4 Bundesrechtsanwaltsordnung, BRAO), was nach § 5 des Deutschen Richtergesetzes in der Regel ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit anschließend bestandenem ersten Staatsexamen, die Absolvierung eines Vorbereitungsdienstes (Referendariat) und ein bestandenes zweites Staatsexamen umfaßt. 1 Diese Mindestqualifikation wird zum Schutz der Verbraucher fiir unbedingt erforderlich gehalten.2 M.a.W.: Die Mandanten
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Zu den Ausnahmen vgl. Jessnitzer (1985, S. 15).
2 In diesem Zusammenhang steht auch der § 3 I BRAO, wonach der Rechtsanwalt der berufene und unabhängige Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten ist. Diese Vorschrift raumt ihm in Fällen, in denen ein Anwaltszwang besteht, ein Vertretungsmonopol vor Gericht ein, und ftlr die Beratung laßt das Rechtsberatungsgesetz nur wenige andere Anbieter zu (vgl. Jessnitzer 1985, S. 3 f.).
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seien nicht in der Lage, vor Vertragsschluß die Qualität des Anwalts zu beurteilen. Ein Bewerber, der das zweite juristische Staatsexamen bestanden hat, muß die Zulassung nach § 6 I BRAO bei der zuständigen Landesjustizverwaltung beantragen, die sie ihm aber nur bei eng abgegrenzten Kriterien verweigern kann (§§ 6 II und 7 BRAOV Die Zulassung kann nicht erfolgen, falls ein Rechtsanwalt die Belange der Allgemeinheit gefährdet, z.B. wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ihm seine Grundrechte aberkannt hat, er im Strafprozeß die Fähigkeit zur Bekleidung eines öffentlichen Amtes verloren hat, körperliche Schwächen auftreten oder ein Gericht den Vermögensbereich des Anwalts beschränkt hat. Aus ökonomischer Sicht kann man vermutlich diese Gründe dem Informationsproblem zuordnen, denn in den genannten Fällen ist der Anwalt entweder nicht mehr dazu in der Lage oder nicht mehr Willens, im erforderlichen Maße den Mandanten zu unterstützen; allerdings nur unter der Voraussetzung ungleicher Information zu Lasten des Mandanten ist es jenem nicht möglich, dies zu erkennen und zu rügen. Der Rechtsanwalt muß nach § 27 I BRAO binnen drei Monaten seinen Wohnsitz innerhalb des betreffenden Oberlandesgerichtsbezirkes nehmen (Residenzpjlicht). Ausnahmen sind möglich, wenn der Wohnsitz sich im benachbarten Ausland befindet und trotzdem der Anwalt seine Kanzlei ohne Schwierigkeiten erreichen kann. Im Zuge der Verwirklichung der Europäischen Union (EU), insbesondere der Umsetzung der Niederlassungsfreiheit nach den Art. 52 ff. EWG-Vertrag (EWGV), wird ein deutscher Rechtsanwalt, der seine Kanzlei ausschließlich im Ausland betreibt, von dieser Pflicht frei (vgl. auch Abschnitt 2.2.3). Als Begründung fiir die Residenzpflicht könnte man sich hier vorstellen, daß sie mit dazu beitragen soll, Kosten zu sparen. Die Bundesregierung plant neuerdings, die Residenzpflicht aufzuheben (vgl. Bundesminister fiir Wirtschaft 1993, S. 12). Jeder Anwalt muß eine Kanzlei arn Ort der Zulassung einrichten (Kanzleipflicht). Die Kanzlei soll einen Büroraum oder mehrere Räume umfassen, und in diesen Räumen soll der Anwalt zu den üblichen Geschäftszeiten erreichbar sein. Telefonanschluß, inklusive Eintragung ins Telefonverzeichnis, und Praxisschild, gehören zum unverzichtbaren "Inventar" einer Anwaltskanzlei. Der Rechtsanwalt muß von seinen potentiellen Klienten sowie von den Gerichten und Behörden als solcher erkannt werden können bzw. zu den üblichen Zeiten ' Um ihre Entscheidung vorzubereiten, holt die Landesjustizverwaltung beim Vorstand der Rechtsanwaltskammer, in deren Bezirk die Zulassung beantragt wird, ein Gutachten über den Bewerber ein (§ 8 BRAO).
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erreichbar sein. Nach § 29 BRAO kann es hiervon aber Ausnahmen geben. Die fiir die Kanzleipflicht genannten Gründe gehen deutlich in die Richtung des Ziels der Kostenminimierung; die Kanzleipflicht könnte freilich auch fiir die Mandanten den Überblick über die vor Ort tätigen Anwälte erhöhen, so daß der Reputationsmechanismus (vgl. Abschnitt 3.3.5) eher funktioniert und sich damit auch das Informationsproblem verringert. Einem Rechtsanwalt muß die Ausübung seines Berufs rechtlich und tatsächlich im nennenswerten Umfang, d.h. nicht nur gelegentlich, möglich sein; folglich hat er die Pflicht, seine Nebentätigkeiten in Art und Umfang zu beschränken.4 Im Rahmen dieser zeitlichen Restriktion darf der Rechtsanwalt andere Freie Berufe, die sich mit der Rechtsberatung im weiteren Sinne beschäftigen, wie den des Notars, des Patentanwalts, des Wirtschaftsprüfers oder des Steuerberaters, nebenher ausüben. Die gleichzeitige Tätigkeit als vereidigter Buchprüfer ist umstritten, die als Steuerbevollmächtigter generell unzulässig. Alle anderen selbständigen Tätigkeiten, insbesondere im gewerblichen Bereich, sind aufgrund der damit verbundenen Gewinnerzielungsabsicht nicht erlaubt. Die wichtigste unselbständige Tätigkeit der Rechtsanwälte, zumindest nach der Zahl, stellt die des Syndikus im Unternehmen bzw. beim Verband dar. Lange Zeit umstritten, ist der Syndikus heute erlaubt, soweit die anwaltliehe Unabhängigkeit gewahrt wird und ausreichend Zeit fiir den Anwaltsberuf verbleibt.5 Der Rechtsanwalt darf grundsätzlich im öffentlichen Dienst tätig sein, falls die Interessen der Rechtspflege (Erreichbarkeit etc.) gewahrt bleiben und eine gehobene Stellung seine Unabhängigkeit sicherstellt. 6 Das Argument der Erreichbarkeit deutet wieder auf das Ziel der Kostenminimierung hin. Die Absicht, die Rechtsanwälte von Tätigkeiten mit Gewinnerzielungsstreben fernzuhalten, kann man als einen Lösungsversuch interpretieren, das Kontrollpro4 Dies wird aus § 7 Nr. 8 BRAO abgeleitet, wonach Tl!tigkeiten, die "mit dem Beruf oder dem Ansehen der Rechtsanwaltschaft nicht vereinbar" sind, einer Zulassung entgegenstehen.
5 Der Syndikus hat zwei Arbeitsbereiche, den durch den Arbeitsvertrag beschriebenen und seine anwaltliehe Tätigkeit. Im Arbeitsvertrag ist der Syndikus natürlich nicht unabhängig, sondern in die Hierarchie des Unternehmens bzw. Verbands eingebunden. Diese Einbindung darf aber nicht soweit gehen, daß der Syndikus den Arbeitsaufwand filr seine anwaltliehe Tätigkeit nicht mehr selbst bestimmen oder seine termingebundenen Pflichten während der Arbeitszeit nicht erfilllen kann (vgl. hierzu insbesondere Jessnitzer 1985, S. 24 f.). Bei der Tätigkeit des Syndikus darf das Streben nach Gewinnerzielung nicht in den Vordergrund treten: Die Stellung als alleiniger Vorstand einer erwerbswirtschaftlichen AG, als alleiniger GmbH-Geschäftsfilhrer oder als Komplementär in der OHG wäre hier schädlich. 6 Dagegen ist die Position des Beamten, des Richters oder des Soldaten nach § 7 Nr. I 0 BRAO mit der Stellung des Rechtsanwalts unvereinbar; Beamten und Soldaten fehlt es vermutlich an der filr die Anwälte nötigen Staatsferne, die gleichzeitige Tätigkeit als Richter und Anwalt ist selbstverständlich nicht miteinander vereinbar.
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blem zu überwinden; insofern geht es hier auch um das lnformationsproblem. Nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden Nebentätigkeiten nur noch dann untersagt, wenn man durch Berufsausübungsregeln (vgl. Abschnitt 2.2.2) keine zufriedenstellende Lösung findet; diese Novelle wurde aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.11.1992, nach der die gegenwärtige Praxis rechtswidrig sei, erforderlich (vgl. Handelsblatt 1993a,b; Bundesminister fiir Wirtschaft 1993, S. 12). Nach § 20 I-III BRAO kann die Zulassung versagt werden, wenn der Bewerber familiäre Beziehungen zu einem Gericht im jeweiligen Landgerichtsbezirk hat bzw. hatte oder wenn er innerhalb der letzten fiinf Jahre als Richter oder Beamter an einem Gericht des jeweiligen Landgerichtsbezirks tätig war (lokales Tätigkeitsverbot). Dieses Verbot soll verhindern, daß sich ein Mandant durch die Einschaltung eines solchen Anwalts Vorteile verspricht oder gar verschafft, indem er über den Anwalt das Gericht bei der "Wahrheitsfindung" beeinflußt. Ergänzend gibt es noch ein Zweigstellenverbot und ein Verbot auswärtiger Sprechtage (§ 28 I Satz 1 BRAO), damit die Rechtsanwälte jederzeit erreichbar sind und unerwünschter Wettbewerb verhindert wird. Im Ausland angesiedelte Zweigstellen der Anwälte werden von den Kammern zunehmend geduldet. 7 Das Ziel der Erreichbarkelt beruht vermutlich auf dem Wunsch nach Kostenminimierung. Die Dämpfung unerwünschten Wettbewerbs bewirkt u.U. eine Minderung des Kontroll- und somit auch des Informationsproblems. Der Rechtsanwalt muß nach § 18 BRAO bei einem bestimmten Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Amtsgericht (AG), Landgericht (LG), Oberlandesgericht (OLG) oder Bundesgerichtshof (BGH)) zugelassen sein (Lokalisierungsprinzip). Die erste Zulassung bei einem Gericht erfolgt gleichzeitig mit der allgemeinen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 17 II BRA0).8 Es gilt der Grundsatz der Singularzulassung, d.h. man kann nur bei einem der Amtsgerichte, der Landgerichte, der Oberlandesgerichte oder beim Bundesgerichts7 Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 1988 gelten fUr Anwälte aus anderen EU-Staaten, die ihre Leistung im Rahmen einer zeitlich begrenzten Tätigkeit anbieten, die hier vorgestellten lokalen Tätigkeitsverbote nicht, so daß die inländischen Anwälte im Moment benachteiligt werden (vgl. Abschnitt 2.2.3). 8 Das Lokalisierungsprinzip hat nur bei Prozessen eine Bedeutung, in denen ein bei Gericht zugelassener Anwalt erforderlich ist (Anwaltszwang), d.h. nach § 78 I der Zivilprozeßordnung (ZPO) nur bei Zivilprozessen ab dem Landgericht und ausnahmsweise vor dem Amtsgericht, wenn es sich um Familiensachen handelt. Der Anwaltszwang soll die Chancengleichheit aller Parteien sichern, insbesondere weil im Zivilprozeß der Richter nur das verwerten darf, was jede Partei vorträgt. Ohne Anwaltszwang könnte eine Partei ausschließlich deshalb den Prozeß verlieren, weil sie bestimmte Gesichtspunkte aus Unwissenheit Ober ihre Relevanz nicht vorgetragen hat (vgl. zusammenfassend Kotzorek 1985a, S. 4).
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hofzugelassen werden. Dieser Grundsatz wird jedoch immer durchbrochen, da jeder Anwalt mit der Zulassung zum Amtsgericht eine Zulassung beim zuständigen Landgericht beantragen kann (§ 23 BRAO; eingeschränkter Grundsatz der Singularzulassung). 9 Das Verbot der Simultanzulassung beim LG und OLG macht es erforderlich, daß in der Berufungsinstanz ein neuer Anwalt eingeschaltet wird, der die Sache nochmals prüft und u.U. bei Aussichtslosigkeit nicht weiterverfolgt Möglicherweise enden dadurch Prozesse früher. Das Lokalisierungsprinzip bzw. die Singularzulassung soll: - die Erreichbarkeit des Anwalts sicherstellen (Termine wären ohne Lokalisierungsprinzip schwer festzulegen, so daß sich die Prozesse erheblich verzögern würden); - die Anwaltschaft an einem Ort mit den Gerichten zu einer Einheit verbinden, so daß die ständige Zusammenarbeit untereinander und damit die Wahrheitsjindung erleichtert wird; - den örtlichen Rechtsanwalt vor dem Wettbewerb aller im Bundesgebiet zugelassenen Anwälte schützen; und - den Überblick über die ansässigen Anwälte filr die Mandanten erleichtern, da die Anzahl der vor Ort auftretenden Anwälte kleiner wird und somit auch der Ruf eines Anwaltes leichter auszumachen wäre (vgl. hierzu insbesondere lsele 1975, S. 250-253). 10
9 Für Städte mit zwei Landgerichten, z.B. Berlin und München, kann die Zulassung aufbeide ausgedehnt werden (§ 24 BRAO). Für die Obergerichte "Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof' gibt es zusätzliche Bedingungen: Für das OLG muß man nach § 20 IV BRAO mindestens 5 Jahre lang am AG oder LG als Rechtsanwalt zugelassen sein. Aus dem Grundsatz der Singularzulassung heraus ist dann aber nur die Zulassung beim OLG möglich, d.h. der Anwalt muß danach seine AG-ILG-Zulassung aufgeben. Für Anwälte, die vor in Kraft treten der BRAO 1959 bereits am OLG und LG zugelassen waren, und ebenso ftlr Anwälte in den Stadtstaaten, in Baden-Württemberg, in Bayern und im Saarland ist die Simultanzulassung möglich (§ 226 BRAO). For die BGH-Zulassung muß der Rechtsanwalt mindestens 35 Jahre alt und ftlnf Jahre ohne Unterbrechung als Anwalt tätig gewesen sein; er darf nach der Zulassung nur am BGH auftreten (§§ 166 III, 171 f. BRAO). 1988 gab es nur 23 Anwälte beim BGH (Numerus clausus; vgl. Kornblum 1989, S. 28). Die Zugangsbeschränkungen zu den Obergerichten sollen verhindern, daß unerfahrene Anwälte unnötig die Arbeitsweise der Obergerichte erschweren (Kostenminimierung). Dies gilt in extremer Weise ftlr Verfahren vor dem Bundesgerichtshof, woraus sich die Notwendigkeit des dort praktizierten Numerus clausus ableiten könnte. 1° Ferner wird ftlr das Lokalisierungsprinzip ins Feld geftlhrt, daß - ein ambulanter Rechtsanwalt geringere Arbeitsmöglichkeiten in seinem Büro hätte und die Reisekosten drastisch ansteigen wOrden. Der Mandant, der dies letztendlich bezahlen müsse, erziele dadurch keinen Vorteil. M.a.W.: Das Kostenminimierungsargument ist von Bedeutung;
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Das Lokalisierungsprinzip weist einen deutlichen Schwerpunkt hinsichtlich des Kostenminimierungsziels auf. Daneben könnte es wieder fur die Mandanten das Angebot an lokal tätigen Rechtsanwälten übersichtlicher machen und damit die Chancen fur die Funktionsfahigkeit des Reputationsmechanismus verbessern (vgl. Abschnitt 3.3.5); die Bedeutung des Informationsproblems würde zurückgehen. Der Grundsatz der Singularzulassung mag das Kontrollproblem der Mandanten in der Form, ob eine Einschaltung der höheren Instanz tatsächlich notwendig ist, mindern (geringeres Informationsproblem) und die Zahl der Prozesse in der oberen Instanz verringern (Kostenminimierung). Nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll das Lokalisierungsprinzip aufgehoben werden, da das Gebot der flächendeckenden Versorgung mit Rechtsanwälten und der Wunsch nach Erleichterung der Rechtsprechung durch die· hohe Anzahl an Rechtsanwälten heutzutage allenfalls noch eingeschränkt von Bedeutung seien; das Lokalisierungsprinzip stelle auch einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den überörtlichen Sozietäten dar. Die Frage der Simultan- oder Singularzulassung wird dann den Ländern überlassen (vgl. zusammenfassend Handelsblatt 1993b und Bundesminister fur Wirtschaft 1993, S. 12).
2. 2. 2 Ausübungsvorschriften Gegenständliche Tätigkeitsverbote beziehen sich auf Einschränkungen bei der Übernahme einzelner Mandate (§§ 45 f. BRAO). Nach § 45 Nr. 1 BRAO muß der Rechtsanwalt ein Mandat ablehnen, falls er dadurch seine Unabhängigkeit oder die Pflicht zur gewissenhaften Ausübung seines Berufes verletzen würde. Ein Rechtsanwalt darf ebenso in derselben Rechtssache nicht tätig werden, wenn er bereits fur die Gegenpartei gearbeitet hat (§ 45 Nr. 2 BRA0). 11 Ohne dieses Verbot wäre auch das Ansehen der Anwaltschaft im Hinblick auf Zuverlässigkeit und Integrität gefahrdet. Nach § 45 Nr. 3 BRAO ist es Anwälten untersagt, Fälle, die sie aus einer früheren Tätigkeit als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt oder Angehöriger des öffentlichen Dienstes kennen, zu übernehmen. Kein Anwalt soll darüber hinaus eine Urkunde, die er als Notar beurkundet hat, selbst auslegen (§ 45 Nr. 4 BRAO): Er darf weder in Streitfra-
- zwar der Mandant ohne Lokalisierungsprinzip den heimischen Anwalt seines Vertrauens liberall hin mitnehmen könnte. Aber bereits heute d!irfe der heimische Anwalt den Mandanten weiter beraten, seine Schriftsätze weiterverwenden lassen und nach § 52 BRAO neben dem am jeweiligen Gericht zugelassenen Anwalt vor Gericht auftreten. 11 Diese Intention wird durch eine strafrechtliche (§ 356 Strafgesetzbuch (StGB); Parteiverrat) sowie durch eine strafprozeßrechtliche Bestimmung(§ 146 Strafprozeßordnung (StPO); Verbot der Verteidigung meherer Beschuldigter in einem Verfahren) bestärkt.
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gen, ob die Urkunde besteht, noch bei der Auslegung des Inhalts beteiligt sein, da dies Zweifel an seiner anwaltliehen Unabhängigkeit auslösen würde. Zum einen zielt also der § 45 BRAO darauf ab, den unwissenden Mandanten zu schützen (lnformationsproblem), zum anderen wird mit diesem Paragraphen Sorge getragen, daß der Anwalt das Gericht bei der Wahrheitsjindung unterstützt. Die Vertretung eines Mandanten ist einem Anwalt untersagt, falls er zu diesem in einem Dienst- oder Beschäftigungsverhältnis steht; diese Einschränkung gilt nur ftir Gerichte mit Anwaltszwang (§ 46 BRAO in Verbindung mit § 78 ZPO). Auftreten bedeutet aber auch hier das Einreichen von Schriftsätzen u. dergl. Diese Vorschrift, welche die Unabhängigkeit des Anwalts wahren soll, trifft vor allem den Syndikus. Damit müssen auch Unternehmen mit einem Syndikus einen anderen Anwalt einschalten und können somit keine Vorteile in der Rechtsdurchsetzung vor Gericht gegenüber nicht-unternehmerischen Mandanten erzielen (Verteilungsargument). Bis 1987 galt ftir die Rechtsanwälte wie ftir alle anderen Freie Berufe auch ein weitgehendes Werbeverbot. Daß Werbung ausdrücklich verboten sei, konnte nicht direkt aus der BRAO, sondern nur aus der Generalklausel des § 43 S. 2 ("Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwaltes erfordert, würdig zu erweisen.") abgeleitet werden. Die Standesrichtlinien (RA-RiLi) entwickelten hieraus ein weitgehendes Werbeverbot, was mit der "Unabhängigkeit des Rechtsanwalts", beftirchteten Auswüchsen des Konkurrenzverhaltens (unsinnigen Kostensteigerungen und zunehmender Konzentration unter den Anwälten) und einem drohenden, weiteren Anstieg der Prozeßflut begründet wurde. Das Ziel der Kostenminimierung steht also stark im Vordergrund. 12
12 Im einzelnen wurden durch die RA-RiLi folgende Punkte untersagt: - Der Rechtsanwalt soll nicht um seine Praxis werben, eine solche Werbung nicht dulden und bei Auftreten vor Gericht bzw. in den Medien jeglichen Anschein des sich Heraussieliens meiden (§ 2 RA-RiLi). - Bei Veränderungen in der Praxis (Zulassung, Verlegung der Kanzlei, Anerkennung von Zusatzqualifikationen etc.) darf eine Anzeige in der regional zuständigen Tageszeitung oder in der Fachpresse nur ein- bis zweimal und nur in unaufflllliger Form erscheinen. Diese Veränderungen kann der Rechtsanwalt auch Uber ein Rundschreiben bekannt machen, wobei diese Schreiben nur an andere rechts- und wirtschaftsberatende Berufe, mit denen man in beruflichen Beziehungen steht, verschickt werden dürfen. Mandanten können nur in diesen Kreis einbezogen werden, wenn man sie aktuell berät oder sie sich regelmäßig an einen wenden (vgl. § 69 RARiLi sowie Lingenberg et al. 1988, S. 713). - In der Regel dürfen die Praxisschilder nur an dem Haus angebracht werden, in dem sich die Kanzlei befindet. Die Praxisschilder sollen von der Art als auch von der Zahl her nicht zum Reklamehaften neigen (§ 70 RA-RiLi).
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Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen beiden Entscheidungen vorn 14.7.1987 (vgl. hierzu insbesondere Lingenberg et al. 1988, S. N1-N34) die Standesrichtlinien fiir verfassungswidrig erklärt, da die fiir die Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere der Rückgriff des Eingriffs auf ein Gesetz, fehle. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gilt somit nur noch das vorkonstitutionelle Gewohnheitsrecht, die Generalklausel des § 43 S. 2 BRAO, die Auslegung dieser Generalklausel durch die Ehrengerichte und das Standesrecht, soweit es zur Aufrechterhaltung der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist. Für das Werbeverbot sagt das Bundesverfassungsrecht explizit, daß nur noch ein gezieltes Werben um Praxis, eine irrefiihrende, anpreisende und sensationell aufgernachte Werbung unzulässig sei. "Wahre" Informationswerbung des Anwaltes ist also statthaft. Über die Auslegung dieser Entscheidung herrschte aber Streit. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorn Frühjahr 1993 (vgl. Bundesminister fiir Wirtschaft 1993, S. 13) stellt daher klar, daß Informationswerbung, in der sachlich auf das Dienstleistungsangebot der einzelnen Anwälte oder der Sozietät hingewiesen wird, erlaubt ist. Ferner soll es nach diesem Entwurf fiir die Anwälte möglich sein, unterhalb des Niveaus des Fachanwalts (siehe unten) Interessenschwerpunkte zu nennen. Eine besondere Rolle im Rahmen der Auslegung der Werbe(un)freiheit der Anwälte spielt die Möglichkeit, sich als Fachanwalt zu bezeichnen: Nach § 76 RA-RiLi und den Fachanwaltsrichtlinien der Bundesrechtsanwaltskammer durften Anwälte nur die von der Bundesrechtsanwaltskammer eingefiihrten Bezeichnungen "Fachanwalt fiir Steuerrecht, fiir Arbeitsrecht, fiir Verwaltungsrecht oder fiir Sozialrecht" fUhren, soweit sie die entsprechenden Voraussetzungen aufwiesen. Mit den beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vorn 14.7.1987 wurde die Rechtsgrundlage fiir diese Form der Werbung in Frage gestellt; der Bundesgerichtshof hat daher auch mit seinem Beschluß vorn 14.5.1990 die standesrechtliche Vergabe der Fachanwaltsbezeichnung außer Kraft gesetzt. Mit einer Novelle vorn 29.1.1991 zum anwaltliehen Berufsrecht errichtete der Bundesgesetzgeber wieder die gesetzliche Grundlage, so daß die Bundesregierung mit Hilfe einer Verordnung die bisherige Praxis wieder ein-
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ln Namensverzeichnisse darf sich der Rechtsanwalt nur aufnehmen lassen, wenn seine örtlichen Kollegen hierin ebenfalls aufgenommen werden. Hervorhebungen drucktechnischer Art sind auch nicht erlaubt (§ 73 RA-RiLi). - Das Überlassen von Blankovollmachten ("Stapelvollmachten"), von Visitenkarten u.ä. an Dritte, die diese an potentielle Mandanten weiterreichen, ist verboten (§ 75 RA-RiLi). - Das Führen von akademischen Graden, Amts- und Berufsbezeichnungen oder anderen Titeln ist ebenfalls reglementiert (§ 78 RA-RiLi).
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fUhren konnte. Die zukünftigen Fachanwälte müssen nun in dem jeweiligen Rechtsgebiet besondere Kenntnisse nachweisen, die über das in der Ausbildung und der praktischen Tätigkeit üblicherweise erworbene Wissen erheblich hinausgehen. Zur Konkretisierung dieser Vorgaben gibt es fiir jede Fachanwaltsbezeichnung eine Liste der dort relevanten Rechtsgebiete, die der Fachanwalt besonders beherrschen muß. Der Rechtsanwalt hat die Pflicht seine theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten durch geeignete Unterlagen nachzuweisen: Der Anwalt muß zum Zeitpunkt der Antragsstellung in der Regel eine zwei Jahre währende Tätigkeit als Rechtsanwalt absolviert haben; die theoretischen Kenntnisse werden durch die Teilnahme an entsprechenden Lehrgängen und dem erfolgreichen Abschluß mehrerer Klausuren nachgewiesen; und fiir die praktischen Erfahrungen muß der Bewerber normalerweise die Bearbeitung einer Mindestzahl von Fällen in diesem Rechtsgebiet, mit einer speziellen, allerdings niedrigeren Mindestzahl an gerichtlichen Verfahren in diesem Gebiet, nachweisen. Die nun im Gesetz geschaffene Möglichkeit, daß der zugelassene Fachanwalt bestimmte Fortbildungsmaßnahmen zu absolvieren hat, wurde in der aktuellen Verordnung nicht umgesetzt (vgl. zusammenfassend Handelsblatt 1991, S.6). Die Vergabe der Fachanwaltsbezeichnungen hat eindeutig den Zweck, daß bei den Mandanten bestehende Informationsproblem, insbesondere das Auswahlproblem, zu mildem. Zur Frage der Kooperationsverbote gilt grundsätzlich, daß sich Rechtsanwälte untereinander nur unter der Rechtsform der BGB-Gesellschaft als Anwaltssozietät oder als Bürogemeinschaft, wobei sich dann der Gesellschaftszweck nur auf die gemeinsame Nutzung des Büros i.w.S. bezieht, zusammenschließen können. Überörtliche Sozietäten sind allgemein verboten, da sie im Widerspruch zu dem Lokalisierungsprinzip stehen. Ob es in jenen Bundesländern, in denen grundsätzlich keine Simultanzulassung bei LG und OLG erlaubt sind, Sozietäten mit LG- und OLG-Anwälten geben darf, ist umstritten, da man befiirchtet, daß in der Praxis die vorgesehene erneute Überprüfung des Sachverhalts durch den OLG-Anwalt nicht stattfinden würde. 13 Aufgrund des Standesrechts dürfen die Anwälte nur mit anderen rechtsberatenden Freien Berufen, wie dem Patentanwalt, dem Steuerberater und dem Wirtschaftsprüfer, eine Sozietät oder Bürogemeinschaft eingehen. Andere Freie Berufe, wie z.B. der Steuerbevollmächtigte, werden aufgrund ihrer "Wesensfremdheit" (Nicht-
n BGH-Anwälten sollen sich nur als Zweiersozietät organisieren, da ansonsten die wirtschaftlichen Vorteile einer großen Sozietät und die geringe Zahl der zugelassenen BGH-Anwälte zu einem Konzentrationsprozeß ftlhren würde, der nur ein paar wenige große Sozietäten übrig läßt. Der Marktzugang von Einzelanwälten wurde somit erschwert, und die Auswahlmöglichkeiten der Mandanten worden drastisch eingeschränkt. Diese Restriktion wird aus dem "Geist der BRAO" abgeleitet.
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2 Anwaltsregulierung
Akademikereigenschaft) ausgeschlossen. Die Bildung einer Sozietät in der Form einer Personenhandelsgesellschaft (OHG, KG, ähnlich eG) schließt die Nicht-Gewerbeeigenschaft des Rechtsanwalts (§ 2 BRAO) aus. Kapitalgesellschaften gelten aufgrund der damit verbundenen Haftungsbeschränkungen als unvereinbar mit dem Charakter der Anwaltschaft, der besonders auf die persönliche Bindung Anwalt/Mandant und der unbeschränkten Haftung des Anwalts beruhe. Umstritten ist somit auch, ob ein Rechtsanwalt mit einer als Kapitalgesellschaft organisierten Steuerberatergesellschaft eine Sozietät eingehen darf (vgl. hierzu ablehnend Lingenberg et al. 1988, S. 349). Auch zur Frage der Kooperationsverbote gibt es Reformpläne der Bundesregierung (vgl. Handelsblatt 1983a und Bundesminister fiir Wirtschaft 1993, S. 12): Im Gesetz sollen alle sozietätsfiihigen Freien Berufe (Rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe, die einer Berufskammer angehören) enumerativ aufgefiihrt werden, ohne daß es auf den regionalen Tätigkeitsbereich des Kooperationspartners ankommt. Die Kooperationsverbote zielen alle neben dem Aufrechterhalten der unbeschränkten Haftung darauf ab, Anwälte möglichst von Geschäftsbereichen fernzuhalten, in denen das Gewinnerzielungsmotiv im Vordergrund steht. Ist die Trennung in diesem Sinne erfolgreich, verringert sich u.U. die Gefahr, daß der Anwalt in einen Interessenkonflikt zwischen den Anliegen seiner Mandanten und dem eigenen Gewinnziel bzw. dem des Partners gerät. M.a.W.: Kooperationsverbote könnten Informationsprobleme entschärfen. Die Gebühren der Rechtsanwälte werden durch die Bundesgebührenordnung fiir Rechtsanwälte (BRAGO) und durch das anwaltliehe Standesrecht (RA-RiLi) festgelegt (vgl. auch Lingenberg et al. 1988, S. 494-541 und N56-N58). Nach der BRAGO hat der Anwalt grundsätzlich Wertgebühren zu nehmen, d.h. nicht der Aufwand des Anwaltes wird honoriert, sondern die Gebühr richtet sich nach dem Wert des Gegenstandes (Streitwert). Da in der Regel die Gebühr in Fällen mit einem niedrigen Streitwert die Kosten des Anwaltes nicht deckt, dagegen beim hohen Streitwert überdeckt, soll es zum "Prinzip des sozialen Ausgleichs" kommen: Auch Fälle mit niedrigerem Streitwert werden vom Anwalt bearbeitet und können somit von sozial schwachen Mandanten verkraftet werden (Verteilungsargument). Ferner ist in der BRAGO festgelegt, daß fiir die Herantragung des Streits zum Zivilgericht eine feste Prozeßgebühr fiillig wird, unabhängig davon, wieviele Schriftsätze vorgelegt werden. Die Verhandlung und die Beweisaufnahme fiihren zu eigenständigen Gebühren, letztere unabhängig vom Umfang der Beweisaufnahme. Es existieren aber auch sogenannte Rahmengebühren, z.B. darf im Strafrecht der Verteidiger in Abhängigkeit von der jeweiligen Instanz seine Gebühr unter Berücksichtigung der Mindestgebühren nach billigem Ermessen
2.2 Einzelvorschriften des anwaltliehen Standesrechts und die ökonomische Sichtweise
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festsetzen (§ 83 BRAGO; vgl. ähnlich zur Festlegung der Gerichtsgebühren den Abschnitt 4.3.1.1). Holt ein Mandant mündlich oder schriftlich einen Rat ein, ohne daß weitere Leistungen erfolgen, so unterliegt es dem billigem Ermessen des Anwalts, die Gebühr zwischen einem Zehntel und der vollen Wertgebühr (§ 20 BRAGO) festzulegen. Nach § 3 BRAGO kann der Anwalt jedoch grundsätzlich eine höhere als die gesetzliche Gebühr verlangen, falls dies der Mandant vorab in einer gesonderten schriftlichen Erklärung akzeptiert hat. Ob der Anwalt auch niedrigere Gebühren als vorgesehen nehmen darf, ist umstritten, da dies im Gesetz ausdrücklich nicht festgeschrieben ist. 14 Die "Grundsätze anwaltliehen Standesrechts" (RA-RiLi) schränken den Freiheitsspietraum weiter ein: Nach § 51 IV RA-RiLi muß der Mandant bei Vereinbarungen über höhere als die in der Gebührenordnung vorgesehene Gebühren deutlich darauf hingewiesen werden, daß auch im Fall des Obsiegens die Gegenpartei nach § 91 II S. I ZPO nur die gesetzliche Gebühr erstatten muß. Erfolgshonorare, bei denen der Anwalt einen Teil des erstrittenen Betrages im Erfolgsfall erhält, sind nach § 52 RA-RiLi grundsätzlich unzulässig. Diese Beschränkungen sollen auch nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts weiter gelten, da sie schon im vorkonstitutionellen Gewohnheitsrecht angelegt seien. Gebührenunterschreitungen, auch wenn sie in Form des Verzichtes auf spezielle Auslagen (Tage-, Reisegelder, etc.) vorkommen, sind nach §51 RA-RiLi außer in den eher unwichtigen Tatbeständen der III und V des§ 51 RA-RiLi unzulässig. Auch diese Regelungen gelten nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts weiter. Nach § 53 RA-RiLi können Mandant und Rechtsanwalt untereinander eine Pauschalvergütung fUr die Beratung vereinbaren, die aber angemessen sein sollte. 15 Die Gebührenordnung soll die angemessene Honorierung der Anwälte und somit deren erforderliche Unabhängigkeit sichern. Ein Preiswettbewerb würde dagegen die Berufsmoral angreifen und daher die angebotene Qualität ver-
14 Lingenberg et al. (1988, N56) sieht dies aus dem vorkonstitutionellen Gewohnheitsrecht heraus als verboten an, Schmidt (1987, S. 57) dagegen nicht.
"Auch waren nach§ 51 II RA-RiLi bei Vereinbarungen zwischen Vertretern des Anwaltsstandes und Wirtschaftsgruppen Sonderabreden Ober Pauschalhonorare möglich. Da hierober kein vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht besteht, ist nach Ansicht von Lingenberg et al. (1988, N56 f.) dies heute unzulässig. Auch die Vereinbarung von Zeit-, insbesondere Stundenhonoraren oder von pauschalierten wertunabhängigen Erstberatungshonoraren ist aus dem gleichen Grund rechtswidrig. Nur ftlr den internationalen Rechtsverkehr, falls dort Obiicherweise Zeithonorare vereinbart werden, könnte es eine Ausnahme geben. 3 Wein
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schlechtem. Ferner wird mit der Gebührenordnung beabsichtigt, eine Benachteiligung der Mandanten im Sinne des Verbraucherschutzes zu verhindern. Wenn die unterlegene Partei die Verfahrenskosten der Gegenpartei mittragen muß, könnten frei vereinbarte Gebühren zu einer unerträglichen und unkalkulierbaren Belastung werden. Umsatzschwächeren Anwälten falle es leichter, dem Mandanten, der eine niedrigere Gebühr aushandeln möchte, besser entgegenzutreten, indem sie auf die bindende Gebührenordnung verweisen. Durch die weitere Einschränkung, daß filr die Leistung bei Gericht Pauschalsätze gelten, erhalten darüber hinaus die Anwälte keine Anreize, unnötige Schritte, z.B. vermeidbare Schriftsätze, zu veranlassen. Folglich werden wieder das Kostenminimierungs- und das Informationsargument filr die Notwendigkeit einer Gebührenordnung herangezogen. Schmidt (1987, S. 59-63) hält noch weitaus grundsätzlicher filr die Freiberufler im allgemeinen und filr die Anwälte im besonderen einen Preiswettbewerb fiir unmöglich, da: - der Anwalt die Leistung persönlich erbringt, so daß nicht der Preis, sondern allein die Persönlichkeit des Anwalts im Vordergrund stünde. Ein Angeklagter, dem z.B. eine langjährige Haftstrafe drohe, würde nicht den Anwalt mit dem niedrigsten Honorar aufsuchen, sondern den besten; - der Mandant sehr persönliche, geheimhaltungsbedürftige Informationen dem Anwalt weitergeben würde. Das Vertrauen auf die Integrität des Anwaltes sei daher wichtiger als der Preis; - im Rahmen einer vertrauensvollen Beziehungen wie der zwischen Anwalt und Mandant keine vorausgehenden Honorarverhandlungen stattfinden könnten, insbesondere wenn die Leistung dringend erforderlich sei. Hier benötige man eine Gebührenordnung, die ohne Streit zum angemessenen Honorar fiihre; - Schäden des Anwalts nicht über Gewährleistungsansprüche reguliert werden könnten, wie z.B. im Falle einer ungerechtfertigten Freiheitsstrafe. Daher sei bei der Auswahlentscheidung wieder die Qualität des Anwalts und nicht dessen Preis entscheidend; und - jeder Fall des Anwaltes anders liege. Der Mandant könne deswegen nicht oder nur schwer beurteilen, was in seinem Falle ein angemessenes Entgelt sei. Ohne Gebührenordnung sei die Abrechnung des Anwaltes intransparent.
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Schmidt betont also sehr ausfiihrlich, daß im Anwaltsmarkt aufgrund der hohen Bedeutung des Informationsarguments eine Gebührenordnung notwendig sei. Rechtsanwälte sind wie die anderen Freien Berufe auch zwangsweise in Kammern organisiert: Nach § 60 I BRAO bilden alle Rechtsanwälte, die bei einem OLG zugelassen sind, eine Rechtsanwaltskammer, die als Körperschaft öffentlichen Rechts ausgestaltet ist (§ 62 I BRAO). Die Anwälte müssen an ihre Kammer einen Mitgliedsbeitrag entrichten. Die beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte bilden eine eigene Kammer. Alle Kammern werden nach § 175 I BRAO zu einer Bundesrechtsanwaltskammer zusammengeschlossen. 16 Bei Pflichtverletzungen eines Rechtsanwaltes kann das Ehrengericht ein zeitlich begrenztes (1 - 5 Jahre) partielles oder gar globales Vertretungsverbot verhängen.17 Ein partielles Vertretungsverbot gilt für ganze Rechtsgebiete, wie z.B. das Straf- oder Zivilrecht. Für besonders schwerwiegende Fälle, die vermutlich das Ehrengericht mit einem Ausschluß aus der Anwaltschaft ahnden wird (siehe unten), wie z.B. bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, standeswidrigem Verhalten in Terroristenprozessen etc. (vgl. auch Feuerich 1987, S. 414), kann ein alle Rechtsgebiete umfassendes (globales) Vertretungsverbot ausgesprochen werden. Verbote dieser Art sollen das Ansehen der Rechtsanwaltschaft sowie die Interessen der Rechtssuchenden schützen. In Ergänzung zu den Tatbeständen des allgemeinen Strafrechts 18 haben die Ehrengerichte nach§ 114 Nr. 5 BRAO die Möglichkeit, bei gröblichen Pflicht-
16 Die Aufgaben der Rechtsanwaltskammern sind nicht allgemein definiert, sondern allein § 73 II BRAO nennt einige spezielle Aufgaben, wie z.B. die Mitglieder in Bezug auf ihre Berufspflichen zu belehren, bei Streitigkeiten untereinander oder zwischen Mitgliedern der Kammer und Mandanten zu vermitteln sowie Gutachten zu erstatten. Nach § 89 I BRAO erörtert die Kammerversammlung Angelegenheiten allgemeiner Bedeutung, beschließt die Höhe der Beiträge und entscheidet Ober FOrsorgeeinrichtungen. Auch bei der Bundesrechtsanwaltskammer gibt es keine allgemeine, gesetzliche normierte Aufgabenzuweisung, sondern nur die in § 177 II BRAO aufgeftlhrten Einzelpflichten. Man kann aber zusammenfassend sagen, daß sie die Berufsaufsicht wahrnehmen, die Gesamtinteressen der Anwaltschaft nach außen vertreten und fllr die Förderung des Berufsstandes im allgemeinen sorgen soll.
17 Ein solches Verbot bezieht sich nur auf Handlungen, die nach außen gerichtet sind. "Innere Handlungen", wie z.B. die Beratung von Mandanten oder das Abhalten von Sprechstunden, sind weiter möglich. Vom Verbot ausgenommen bleibt ferner auf jeden Fall die Möglichkeit, daß der Anwalt sich selbst oder seine engen Familienangehörigen vertritt(§§ 114 I Nr. 4, 150 I, !55 IV BRAO).
'" Nach § 70 StGB ist ftlr jeden Beruf die Verhängung eines Berufsverbots möglich, zeitlich befristet auf 1-5 Jahren oder lebenslänglich. 3*
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verletzungen, z.B. in Fällen der Untreue gegen Mandanten oder bei Parteiverrat (vgl. auch Jessnitzer 1985, S. 146), ein Berufsverbot auszusprechen. Neben den üblichen, eher internen Aufgaben eines Berufsverbandes wird mit der Verkammerung der Rechtsanwälte und der darauf aufbauenden Ehrengerichtsbarkeit versucht, Fehlverhalten der Anwälte zu erfassen und zu sanktionieren. M.a.W.: beide Regelungen entlasten den Mandanten in seiner Kontrollfunktion und tragen somit zu einer Minderung des Informationsproblems bei. Bisher gibt es nur eine auf das Standesrecht gestUtzte Pflicht filr die Anwälte, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen, wobei aber die Gültigkeit dieser Vorschrift durch die beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1987 fraglich ist (s.o.). Eine Berufshaftpflichtversicherung zieht quasi ein Sicherungsnetz filr fehlerhaftes Verhalten der Anwälte ein, so daß die Mandanten keine materiellen Schäden erleiden. Insofern ist es weniger notwendig, den Anwalt sehr sorgfaltig auszuwählen und zu kontrollieren (geringeres Jnformationsproblem). Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung müssen zukünftig die Anwälte eine Berufshaftpflichtversicherung (Mindestdeckung 0,5 Mio DM) aufweisen; allerdings können nach diesem Entwurf die Anwälte, auch im Rahmen vorformulierter Vertragsbedingungen, filr fahrlässig verursachte Schäden die Haftung vertraglich begrenzen (vgl. Bundesminister für Wirtschaft 1993).
2.2.3 Europarecht/iche Vorgaben Wie in vielen anderen Märkten auch, zielen die europäischen Institutionen darauf ab, auch im Rechtsberatungsmarkt die volle Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheil zu verwirklichen (vgl. zusammenfassend Deregulierungskommission 1991, Tz. 440-443). Beruhend auf einer Richtlinie der EU wurde im Jahre 1990 in Deutschland das Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz erlassen: Vor Gerichten ohne Anwaltszwang können ausländische Rechtsanwälte unter ihrer ausländischen Berufsbezeichnung alleine und ohne Einschränkungen auftreten; im Falle eines Anwaltszwangs müssen sie im Einvernehmen mit einem deutschen Kollegen handeln, was aber nicht bedeutet, daß der deutsche Kollege jede Prozeßhandlung gesondert erlauben oder immer anwesend sein muß. Diese Regelung gilt nicht filr den Bundesgerichtshof filr Zivilsachen, bei dem es daher weiterhin einen Numerus clausus gibt. In einer Novelle zur Bundesrechtsanwaltsordnung vom Dezember 1989 wird die Niederlassungsfreiheit von Anwälten aus anderen EU-Staaten geregelt: Jene dürfen unter ihrer Berufsbezeichnung eine Kanzlei errichten und die Mandanten beraten, wobei inhaltlich eine Beschränkung auf das Europarecht, das internationale und das ausländische Recht gilt; das deutsche Standesrecht wird auf sie angewendet. Einfluß
2.3 Zusammenfassung
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auf die Niederlassungsfreiheit hat auch die EU-Richtlinie zur Anerkennung von Hochschuldiplomen aus dem Jahre 1988; diese stellt es dem Gesetzgeber frei, bei erheblichen Unterschieden hinsichtlich der Ausbildung und in der Ausübung des Berufs einen Anpassungslehrgang von drei Jahren oder eine Eignungsprüfung zu verlangen. In Deutschland hat man fiir die Anwälte die Eignungsprüfung gewählt. Erfolgreiche Absolventen der Eignungsprüfung werden dann ihren deutschen Kollegen gleichgestellt. Zusammenfassend kann man sagen, daß es fiir die ausländischen Anwälte in Deutschland noch ein weiter Weg bis zur Verwirklichung der vollen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ist.
2.3 Zusammenfassung Anwälte sind sowohl hinsichtlich des Marktzugangs als auch in der Ausübung ihres Berufes stark eingeschränkt. Um die Zulassung als Rechtsanwalt zu erhalten, muß ein Bewerber mehrere Voraussetzungen erfilllen: Er muß das zweite juristische Staatsexamen bestanden haben, der Residenz- sowie der Kanzleipflicht nachkommen und seine Nebentätigkeiten beschränken. Die Zulassung ist örtlich begrenzt: Lokale Tätigkeitsverbote sind möglich, Zweigstellen bzw. auswärtige Sprechtage sind nicht erlaubt, und es gilt das Lokalisierungsprinzip. Die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes wird in vielfaltiger Weise eingeengt: Der Rechtsanwalt unterliegt gegenständlichen Tätigkeitsverboten, nur "wahre" Informationswerbung ist gestattet, die Vergabe der Bezeichnung "Fachanwalt" ist reglementiert, die Kooperationsmöglichkeiten sind beschränkt, es gibt eine nach unten bindende Gebührenordnung, und jeder Rechtsanwalt muß Mitglied einer Rechtsanwaltskammer werden bzw. untersteht deren Ehrengerichtsbarkeit. All diese Eingriffe lassen sich ökonomisch mit den Thesen "Informationsproblem, Kostenminimierung, Verteilungspolitik und Wahrheitsfindung" erklären. Die ersten drei Thesen werden in den Kapiteln 3 - 5 ausfUhrlieh behandelt. Die These, daß die Anwaltsregulierung auch der Wahrheitstindung zu dienen habe, erscheint mir wenig plausibel, was im folgenden begründet werden soll. Hammerstein (1988, S. 688 f.) verdeutlicht die erwünschte Unabhängigkeit des Anwalts und damit auch das Ziel der "Wahrheitsfindung" anhand der verschiedenen Gerichtsbarkeiten. In der Literatur zur Strafgerichtsbarkeit würde zwar die Meinung vertreten, daß der Verteidiger nicht der Allgemeinheit verpflichtet sei, sondern allein die Interessen des Angeklagten wahrnehmen soll. Hammerstein weist aber diese Ansicht zurück, denn ein solcher Verteidiger verlöre vor Gericht an Autorität und Glaubwürdigkeit, was letztendlich zu Lasten des Beschuldigten gehen würde. In der Zivil-, inklusive der Arbeits-,
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sowie der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit ist der Anwalt nach seiner Ansicht eher Vertreter seiner Partei, denn in Deutschland und in den anderen Ländern des europäischen Kontinents hat der Richter eine dominierende Stellung:19 Der Rechtsanwalt muß in diesen Gerichtsbarkeiten zwar beim Zusammentragen der Beweise und Tatsachen mitwirken, die Wahrheitsermittlung bleibt aber allein Aufgabe des Gerichts. Die Argumentation fiir die Strafgerichtsbarkeit ist wenig plausibel, da Hammerstein nicht begründet, warum nicht auch der Strafrichter aus den Einlassungen des Staatsanwalts, des Verteidigers, der Sachverständigen und Zeugen sowie des Angeklagten heraus in der Lage sein soll, ein gerechtes Urteil zu finden. Insofern kann man das Argument der Wahrheitstindung für den weiteren Gang der Untersuchung vernachlässigen. Das nach § 20 1-III BRAO vorgesehene lokale Tätigkeitsverbot, wenn der zuzulassende Anwalt familiäre Beziehungen zum jeweiligen Gericht hat oder vorher dort tätig war, ist daher unbegündet bzw. am falschen Punkt angesetzt: Der Richter ist allein dazu in der Lage, ein gerechtes Urteil zu finden; gibt es die Gefahr persönlicher Verstrickungen, so sollte man nur beim Richter ansetzen, d.h. ihn wegen Befangenheit ablehnen. Das lokale Tätigkeitsverbot geht über das Ziel hinaus.
19 In der anglo-amerikanischen Rechtspraxis vertraue man weniger auf die Wahrheitsermittlung durch den Richter und mehr auf die "erhellende" Wirkung kämpferischer Auseinandersetzungen zwischen den Parteien (vgl. ebenfalls Hammerstein 1988, S. 689).
3 Ungleiche Information und Rechtsanwälte 3.1 Das Problem Ein Mandant, der einen Anwalt benötigt, kann sich einer Reihe von Informationsproblemen gegenübersehen: - Weist der Anwalt die richtige Qualifikation auf, und verfolgt er den Fall mit der notwendigen Motivation? - Bezieht sich der Anwalt auf die einschlägigen Rechtsvorschriften? - Beurteilt der Anwalt die Beweislage zutreffend? - Ist der Anwalt zu kompromißbereit oder zu streitsüchtig? - Hat man den Prozeß verloren (gewonnen), weil der Rechtsanwalt alles falsch (richtig) gemacht hat, oder war das Ergebnis unausweichlich? - Ist die Honorarforderung des Anwalts vor dem Hintergrund seiner Leistungen angemessen? All diese Fragen gehen darauf zurück, daß der Mandant nicht unerhebliche Probleme hat, die Qualität des Anwalts vor Vertragsabschluß einzuschätzen (Auswahlproblem) bzw. den eingeschalteten Rechtsanwalt nach Vertragsschluß zu kontrollieren (Kontrollprob/em). Die deutsche Anwaltsregulierung wird ebenfalls mit der These begründet, daß der Mandant den Anwalt nicht zutreffend beurteilen könne (vgl. auch Kapitel2). Folgende Vorschriften lassen sich in diese Richtung hin interpretieren: - Mit Hilfe der Zulassungsschranke "Zweites Staatsexamen" und der monopolartigen Stellung, die der Gesetzgeber dem Anwalt sowohl bei der Beratung als auch bei der Vertretung vor Gericht einräumt, zielt man darauf ab, die Mandanten vor qualitativ schlechten Rechtsberatern zu schützen.
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3 Ungleiche Information
- Partielle oder globale Tätigkeitsverbote sowie standesrechtliche Berufsverbote werden bei Fehlleistungen der zugelassenen Anwälte erlassen; insofern stellen sie ein Instrument dar, um im Hinblick auf die charakterlichen Eigenschaften der Anwälte einen Mindeststandard zu sichern. - Das Lokalisierungsprinzip, das Zweigstellenverbot und die Nichtzulassung von Sprechtagen konzentrieren das lokale Angebot, so daß sich der Mandant leichter als ohne diese Vorschriften einen Überblick über die vor Ort praktizierenden Anwälte verschaffen kann; der Ruf eines qualitativ hochwertigen Anwalts verbreitet sich schneller. - Die Einschränkungen der Nebentätigkeiten und die Kooperationsverbote richten sich darauf, Interessenkonflikte, in die ein Anwalt geraten könnte, von vomherein auszuschließen. Interessenkonflikte stellen letztendlich ebenfalls Informationsprobleme dar, denn ein vollständig informierter Mandant könnte eine Benachteiligung sofort erkennen, rügen und gegebenenfalls Schadensersatz verlangen. Unter der Annahme vollständiger Information wird der Anwalt aus seinem eigenen Interesse heraus, da er mit einer "Reklamation" seines benachteiligten Mandanten rechnen muß, Fälle mit drohenden Interessenkonflikten meiden. - Das Verbot der Simultanzulassung am LG und OLG stellt sicher, daß bevor die nächsthöhere Instanz vom Mandanten angerufen wird, die ganze Angelegenheit nochmals von einem anderen als dem bisherigen Anwalt geprüft wird. Der Mandant, der seine Erfolgsaussichten für die höhere Instanz nicht ausreichend beurteilen kann, erhält eine (erzwungene) Hilfestellung. - Rechtsanwälte übernehmen gegenüber ihren Mandanten eine persönliche Haftung, da ihnen die Kapitalgesellschaften als Rechtsformen für ihre Sozietäten verschlossen bleiben. Die persönliche Haftung erweckt u.U. bei den Anwälten den Wunsch, sich mit ganzer Kraft den Interessen ihrer Mandanten zu widmen. Die Anwälte bemühen sich daher auch um hohe Beratungsqualität. - Die Leistungen der Anwälte müßten durch eine starre Gebührenordnung entgolten werden, denn die Mandanten könnten die anwaltliehe Qualität nicht beurteilen. Wie soll es ihnen dann möglich sein, die Preisstellung des Anwaltes zu kontrollieren? - Durch die Pflichtmitgliedschaft in der Anwaltskammer haben die Rechtsanwälte gegenüber anderen Berufsverbänden ohne Pflichtmitgliedschaft den Vorteil, daß eine schlagkräftige Interessenvertretung ihres Berufsstandes
3.1 Das Problem
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ohne Probleme zustande kommt. Die aus der Standesorganisation hervorgehenden Vertreter haben vom Staat die Aufgabe zugeteilt bekommen, neben der kollektiven Vertretung berufsständischer Interessen die Qualität der zugelassenen Anwälte zu prüfen und durch entsprechende Eingriffe zu sichern; insofern mindert die Tätigkeit der Anwaltskammer das Kontrollproblem. - Rechtsanwälte mit besonderen Kenntnissen in einzelnen Rechtsgebieten können die Bezeichnung "Fachanwalt filr ... " erwerben. Für Klienten, die einen spezialisierten Rechtsberater wünschen, kann eine solche Bezeichnung das Auswahlproblem erheblich erleichtern. Zu den beschriebenen Informationsproblemen tritt freilich noch hinzu, daß der Anwalt den Erfolg seiner Rechtsberatung nicht allein in der Hand hat. Wie verhält sich die Gegenpartei? Inwiefern sind die Angaben des eigenen Mandanten zutreffend, und wie würdigt das Gericht die vorgelegten Beweise? Insofern sieht sich auch der Anwalt u.U. einer Situation unvollständiger Information gegenüber. Aufgabe des Abschnittes 3.2 ist es, die zu erwartenden Ergebnisse zu beschreiben, wenn sich der Markt ohne jegliche staatliche Eingriffe und ohne jeden spontanen marktliehen Lösungsansatz den Informationsproblemen bei Rechtsanwälten gegenübersieht Denn ohne bereits hier auf die verschiedenen Lösungsansätze einzugehen, sollte man zunächst den "schlimmsten Fall" beschreiben. Da aber diese Gefahren nur unter bestimmten, restriktiven Annahmen zu erwarten sind, insbesondere unter der Voraussetzung des Fehlens jeglicher Marktreaktion im Falle von Informationsproblemen, muß man der Frage nachgehen, inwieweit der Markt im Falle des Gutes "Rechtsberatung" in der Lage ist, selbst eine (oder mehrere) Lösung(en) zu finden (vgl. Abschnitt 3.3). Diese Überlegungen werden zu dem Ergebnis fUhren, daß kaum eine vollständige Beseitigung des Problems durch die spontanen Marktkräfte zu erwarten ist, folglich hat der Bürger zwei (bzw. drei) Alternativen: Er gibt sich entweder mit der zu erwartenden Situation zufrieden oder zieht die Handlungsmöglichkeiten des Staates in Betracht; möglicherweise ergeben sich aus dem Staatseingriff weitere Probleme, die der Bürger vermutlich ebenfalls in seinem Kalkül berücksichtigen wird. Die Abwägung der Staatsalternativen ist Gegenstand des Abschnittes 3.4. Als dritte Alternative kann man sich auch eine (begrenzte) Zusammenarbeit der Anwälte untereinander vorstellen, um die Informationshürden zu überwinden (vgl. Abschnitt 3.5). Welche Schlußfolgerungen man ftir das Informationsproblem bei Anwälten insgesamt ziehen kann, ist Gegenstand des Punktes 3.6.
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3 Ungleiche Infonnation
3.2 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Gefahren Der Mandant schaltet den Anwalt als seinen Rechtsvertreter ein, um sich in rechtlichen Fragen beraten und vertreten zu lassen, seine rechtlichen Ansprüche durchzusetzen oder juristische Forderungen Dritter an ihn abzuwehren. Hierfilr entrichtet der Mandant ein Honorar. Zwischen Anwalt und Mandant wird also das Gut "Rechtsberatung" getauscht; man kann insofern von einem "Markt für Rechtsanwaltsdienstleistungen" sprechen. Vorausgesetzt, daß diese Transaktionen in einem Umfeld erfolgen, wie es die Annahmen des Modells der vollständigen Konkurrenz beschreiben, würde der Markt für das Gut "Rechtsberatung" wie ein jeder beliebiger anderer Markt zu einem effizienten, d.h. paretooptimalen Ergebnis führen (vgl. z.B. Fritsch/Wein/Ewers 1993, S. 10-31 und s. 288-297). Welche Konsequenzen kann bzw. muß man jedoch filr den Anwaltsmarkt erwarten, falls eine Annahme des Modells der vollständigen Konkurrenz, die der vollständigen und kostenlosen Information aller Akteure, nicht zutrifft und stattdessen die Informationen zwischen Mandant und Anwalt asymmetrisch verteilt sind? Asymmetrisch verteilt soll hier bedeuten, daß der Mandant vor Vertragsschluß die Qualität des Anwalts nicht beurteilen oder nach Vertragsschluß die Leistungsabgabe nicht einschätzen kann. Folglich handelt es sich hier wieder um das Auswahl- bzw. um das Kontrollproblem. Eine nähere Analyse dieser Probleme wird zeigen, daß die Konsequenzen einer asymmetrischen Informationsverteilung vollständig durch die "principal-agent-theory" beschreibbar sind. Unter Punkt 3.2.1 stelle ich die Prinzipal-Agent-(P-A-)Theorie vor. Der Abschnitt 3.2.2 behandelt den Markt für Rechtsberatung aus der Sichtweise der P-A-Theorie; diese Übertragung auf die Beziehung "Anwalt/Mandant" stellt eine Vorgehensweise dar, die bisher nur sehr selten vorgenommen wurde (vgl. Rubinfeld/Scotchmer 1992, S. 1). Eine Zusammenfassung der Informationsprobleme zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist Gegenstand des Punktes 3 .2 .3.
3.2.1 Asymmetrische Informationsverteilung und Prinzipal-Agent-Theorie Das Problem ungleicher Information stellt im Rahmen der Theorie des Marktversagens ein Teil der Informationsmängel dar. Man kann zwischen zwei Arten von Informationsmängeln, nämlich Unkenntnis und Unsicherheit, unterscheiden. Im Falle der Unkenntnis sind zwar Marktakteure unzureichend informiert, es ist aber grundsätzlich möglich, diese Lücke durch eine entsprechende Informationsbeschaffung zu beseitigen. Unsicherheit bezieht sich auf
3.2 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe -Gefahren
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die zukünftige Entwicklung, die sich auch unter größtmöglichem Aufwand nicht mit vollkommener Gewißheit prognostizieren läßt (vgl. hierzu FritschiWein!Ewers 1993, S. 185). Ein Spezialfall der Unkenntnis stellt die asymmetrische Informationsverteilung dar: Eine Marktseite besitzt die relevante Information, nicht aber die andere Seite; insofern sind die Informationen zwischen den Akteuren ungleich verteilt. Da sich vielfach die ungleiche Information auf das Kriterium "Qualität" im weitesten Sinne bezieht, spricht man auch häufig von Qualitätsunkenntnis. Ich will die Frage nach den Konsequenzen einer solchen Situation zurückstellen, um zunächst zu untersuchen, welche Fragen die P-A-Theorie anspricht und ob nicht letztendlich das Problem ungleicher Information vollständig durch diese Theorie abgedeckt ist. Schon seit längerer Zeit beschäftigt sich die ökonomische Theorie mit Prinzipal-Agent-Beziehungen, wobei das Problem der asymmetrischen Informationsverteilung zunächst nicht beachtet wurde (vgl. zum folgenden Munro 1987). Die frühe Prinzipal-Agent-Theorie begnügte sich damit, das Wesen einer solchen Konstellation zu beschreiben. In dieser Theorie geht man von zwei Akteuren aus, dem Prinzipal und dem Agenten. Der Prinzipal beauftragt den Agenten, für ihn eine bestimmte Handlung zu verrichten. Der Agent übernimmt dabei die Verpflichtung, die Handlung so auszuführen, wie es den Fähigkeiten und Kenntnissen der Personen, die üblicherweise eine solche Tätigkeit übernehmen, entspricht: Der Agent soll die verkehrsübliche Sorgfalt und die größtmögliche Treue walten lassen sowie die Vertragsverhältnisse in korrekter Weise schriftlich aufzeichnen; alle Beträge, die der Agent im Namen des Prinzipals erhält (abzüglich der eigenen Ausgaben und der Vergütung), muß er an den Prinzipal zurückerstatten. Die P-A-Beziehung wird durch gegenseitiges Einverständnis, Widerruf, Kündigung des Agenten, Ablauf der vertraglich vereinbarten Zeit, Tod bzw. geistige Unzurechnungsflihigkeit, sowohl des Agenten als auch des Prinzipals, oder durch den Konkurs des Prinzipals beendet. Dieneuere P-A-Theorie baut zwar auf diesem Verständnis auf, nimmt aber die Funktionsweise solcher Beziehungen kritischer unter die Lupe. Denn ist es notwendigerweise so, daß der Agent genau jene Handlungen ausübt, die der Prinzipal von ihm erwartet? Skepsis ist dann angebracht, wenn für den Agenten die vom Prinzipal erwünschte Handlung mit Kosten verbunden ist (vgl. Stiglitz 1987, S. 966). Daß der Agent die Interessen seines Prinzipals mißachtet, ist insbesondere zu befürchten, wenn der Prinzipal über die erfolgte oder noch zu tätigende Handlung des Agenten unvollständig informiert ist. M.a.W.: es liegt hier eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten des Prinzipals vor (vgl. Arrow 1985, S. 37 oder Stiglitz 1987, S. 967). Die Frage, auf welche Sachverhalte sich eine Situation der asymmetrischen Informationsver-
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3 Ungleiche Information
teilung beziehen kann, hat Arrow (1985, S. 38) mit den Begriffen "hidden action bzw. moral hazard" und "hidden information bzw. adverse selection" beantwortet. 3.2.1.1 "Hidden action" und moralisches Risiko Die Bezeichnung "hidden action" verweist auf Fälle, in denen der Prinzipal die Handlung des Agenten unvollständig beobachten kann; in einer solchen Konstellation besteht die Gefahr, daß der Agent unbemerkt vertraglich zugesicherte Handlungen zugunsten des Prinzipals unterläßt oder vereinbarungsgemäß zu unterlassende Handlungen zu Lasten des Prinzipals vornimmt. Man kann daher von verborgenen Handlungen des Agenten nach Vertragsschluß (ex post) sprechen. Insofern geht es um das Kontrollproblem des Prinzipals. Eine nachträgliche Abweichung vom vertraglich Vereinbarten ist insbesondere dann zu erwarten, wenn der Agent durch sein "Fehlverhalten" seinen Nutzen erhöhen kann (vgl. hierzu Stiglitz 1987, S. 967). Arrow (1963) beobachtete diese Gefahr bereits fiüher im Zusammenhang mit Versicherungsverträgen und bezeichnete dort das Problem mit dem Begriff des moralischen Risikos ("moral hazard"). Das Auftreten von "hidden action" bereitet allerdings dann keine Schwierigkeiten, wenn eine bestimmte Voraussetzung gegeben ist: Ist das Ergebnis der Handlung allein vom Verhalten des Agenten, z.B. seiner Mühe und Anstrengung (e), abhängig, so kann man die geleistete Anstrengung aus dem Ergebnis (E) ableiten. 1 Ein schlechtes Ergebnis kann nur auf einer Schlechtleistung des Agenten beruhen, die Entgeltleistungspflicht verringert sich oder entfällt gar vollständig; ein gutes Ergebnis geht notwendigerweise mit einem vertragstreuen Verhalten einher (vgl. Spremann 1987, S. 6). In der P-A-Literatur wird allerdings grundsätzlich davon ausgegangen, daß weder die Handlung des Agenten beobachtbar noch die Auswirkung vollständig auf die Anstrengung des Agenten rückfuhrbar ist; letzteres bedeutet, daß neben der Anstrengung (e) das Ergebnis auch von einer unbeobachtbaren Zufallsvariable (8) bestimmt wird. In einer solchen Situation den Agenten nur nach dem erreichten Ergebnis zu honorieren, "bestraft" den Agenten durch Wegfall des Entgelts, obwohl er das schlechte Ergebnis u.U. gar nicht zu ver-
1 Im Modell der vollständigen Konkurrenz geht man implizit davon aus, daß der Agent nur dann die vereinbarte Entlohnung erhalten wurde, wenn er die vorherbestimmte Leistung auch erbracht hat; folglich weist in dieser Theorie der Agent auch ein ausreichendes Interesse auf, den Vertragsinhalt zu erfilllen (vgl. Stiglitz 1987, S. 967).
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antworten hat. "Ungleiche Information" wird folglich nur dann relevant, wenn das Ergebnis auch durch eine unbeobachtbare Zufallsvariable beeinflußt wird, worauf die P-A-Theorie aufmerksam macht. Insofern stellt die P-A-Theorie den allgemeineren Ansatz als die der asymmetrischen Informationsverteilung dar. Arrow (1985, S. 38 f.) führt eine Reihe von Beispielen auf, in denen verborgene Handlungen auftreten können: - Patient-Arzt-Beziehung. Der Prinzipal ist hier der Patient, und als dessen Agent fungiert der Arzt. Die Behandlung durch den Arzt beeinflußt die Wohlfahrt des Patienten. Dem Letzteren ist es in der Regel aufgrund der höheren medizinischen Kenntnisse des Arztes nicht möglich, die Sorgfalt der ärztlichen Diagnose bzw. die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Therapie zu überprüfen. - Geschädigter-Schädiger-Beziehung. Man kann die zwischen Schädiger und Geschädigten bestehende Beziehung als ein Prinzipal-Agent-Verhältnis auffassen: Der Schädiger tritt hier als Agent auf; für den Prinzipal, den Geschädigten, ist die vom Schädiger ausgeübte Sorgfalt nur sehr schwer erkennbar. Der Geschädigte weiß also nicht, ob der Schadenseintritt auf den Zufall oder auf unvorsichtiges Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist. Das Ergebnis in Form des Schadens ist freilich sehr wohl erkennbar. - Aktionär-Manager in Publikumsgesellschaften. Der Agent "Manager" einer Publikumgesellschaft mit ausschließlich Kleinaktionären muß nicht befürchten, daß seine Prinzipale, die Aktionäre, ihn in der Ausübung seiner Geschäfte wesentlich kontrollieren können, weil die individuellen Kontrollkosten im Vergleich zu den erwarteten Erträgen des Einzelnen zu hoch liegen oder den Aktionären die erforderlichen Fähigkeiten zur Kontrolle fehlen. - Landeigentümer-Pächter. Durch die Verpachtung von landwirtschaftlichen Anbauflächen entsteht ein Prinzipal-Agent-Verhältnis; ersterer ist der Landeigentümer und letzterer der Pächter. Dem Landeigentümer fällt es sehr schwer, die Bemühungen des Pächters um eine gute Ernte zu beobachten. - Versicherer und Versicherter. Man kann den Versicherungsvertrag als ein Arrangement zwischen dem Prinzipal "Versicherer" und dem Agenten "Versicherungsnehmer" beschreiben. Z.B. hat im Falle einer Feuerversicherung der Versicherte wenig Interesse daran, einen Brand zu verhindern, falls die Brandschutzmaßnahmen flir ihn mit Kosten verbunden sind. Krankenversicherer müssen möglicherweise damit rechnen, daß ihre Klienten nicht
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3 Ungleiche Information
danach streben, die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen auf das erforderliche Maß zu beschränken.
- Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das Arbeitsverhältnis stellt geradezu ein klassisches Prinzipal-Agent-Verhältnis dar: Vielfach bereitet es dem Prinzipal "Arbeitgeber" größte Schwierigkeiten, das Engagement seiner Agenten (den Arbeitnehmern) zu überprüfen. Verborgene Handlungen können also auf beiden Marktseiten auftreten: Beispielsweise verbirgt in der Patient-Arzt-Beziehung der Anbieter "Arzt" eine Handlung, im Versicherungsvertrag ist es der Nachfrager "Versicherte". Ich habe bisher eine Reihe von Prinzipal-Agent-Verhältnissen analysiert, in denen aufgrund einer asymmetrischen Informationsverteilung und zufallsbedingten Faktoren "hidden-action"-Probleme auftreten können; diesen Sachverhalt kann man anhand der Abbildung 1 weiter verdeutlichen. Der Prinzipal P erteilt dem Agenten A einen Auftrag. Das Ergebnis der Handlung des Agenten (E) ist vom Aufwand des Agenten (e) und vom Zufall (8) abhängig. Der Agent erhält ein festes H~norar H:; dem Prinzipal P fällt das Residuum R als Differenz zwischen E - H zu. Im Falle einer solchen Vereinbarung hat der Agent keinen Anreiz sich anzustrengen, denn sein Anstrengungsniveau ist unter der Annahme ungleicher Information nicht überprüfbar und auch schlechte Ergebnisse sind mit den geforderten Niveau vereinbar (vgl. hierzu auch Varian 1992, S. 444). Verborgene Handlungen nach Vertragsschluß bereiten dem Prinzipal deshalb Probleme, weil er sie aufgrund ungleicher Information nicht direkt erkennen und durch den Einfluß der Zufallsgrößen auf das Ergebnis auch nicht indirekt ablesen kann.
Auftrag
--) A -t E ~-,
H
E-H= R
--------------------------------Abbildung 1: "hidden action" bei festem Honorar H
= !( e, 0)
3.2 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe -Gefahren
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Existiert kein Ausweg aus diesem Problem? Denkbar wäre z.B., daß der Prinzipal "Landeigentümer" seinen Boden an seinen Agenten, den "Pächter", zu einem festen Preis verkauft oder zu einem konstanten Betrag B verpachtet, dann hätten fehlende Anstrengungen des Pächters keine Rückwirkungen auf den Landeigentümer. Der Pächter erhält den verbleibenden Rest (Re), infolgedessen übernimmt er die gesamten Risiken wie z.B. eine zuflillig schlechte Ernte (vgl. Abbildung 2).
Auftrag
p
A ~ E = f( e, B)
E-B
Abbildung 2: "hidden action" bei variablem Entgelt fur den Agenten
Gegen diese Lösung sprechen eine Reihe von Argumenten. Hier soll nur ein Grund genannt werden; die anderen Einwände behandele ich innerhalb der Analyse der Garantieversprechen (vgl. Abschnitt 3.3.2), denn eine solche Festentgeltregelung stellt nichts anderes als eine spezielle Form der Garantie dar. Da unter der Festentgeltlösung der Agent, also der Pächter, das zufallsbedingte Risiko voll trägt, muß nicht nur der Prinzipal den Agenten filr die Kosten höherer Anstrengungen kompensieren, sondern auch eine angemessene Risikoprämie aufwenden. In alljenen Fällen, in denen sich der Prinzipal risikoneutral oder zumindest weniger risikoavers als der Agent verhält/ läge es freilich nahe, daß der Prinzipal alle Risiken trägt: Der Prinzipal erreicht einen höheren Nutzen, wenn er die Risiken selbst übernimmt und die Risikoprämie filr den Agenten einspart. Aus diesem Grund ist es z.B. unwahrscheinlich, daß der
2 Der Prinzipal mag weniger risikoscheu sein, weil er z.B. als Aktionär sein Risiko streuen kann (vgl. Demmler 1982, S. 234).
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Landeigentümer alle Risiken auf den Pächter überträgt (vgl. Spremann 1987, S. 14). Es ergibt sich ein Dilemma zwischen dem Wunsch nach Risikoteilung und dem Ziel der Verhinderung von hidden action (vgl. Arrow 1985, S. 45). 3 3.2.1.2 "Hidden information" und adverse Auslese
In einer P-A-Beziehung sind Situationen vorstellbar, in denen ex ante nur der Agent bestimmte Informationen besitzt (asymmetrische Informationsverteilung in Form von "hidden information"; vgl. Arrow 1985, S. 38). Varian (1992, S. 457) präzisiert diese Definition, indem er darauf verweist, daß sich die verborgene Information auf die Unkenntnis des Prinzipals über die Kostenoder Nutzenfunktion des Agenten und nicht mehr wie bei "hidden action" auf das Ergebnis der Handlung, den Output, bezieht.4 Diese Form der Unkenntnis beschreibt also die Situation vor Vertragsschluß (ex ante) zwischen dem Prinzipal und dem Agenten; sie deutet daher auf das Auswahlproblem des Prinzipals hin. In einer Welt mit vollständiger Information würde der Prinzipal jedem Agenten in Abhängigkeit vom realisierten Output bzw. der Art und Weise der Handlung ein Entgelt zahlen: Der Prinzipal kann demselben Output eine andere Entlohnung zurechnen, wenn die Agenten unterschiedliche Kosten verursachen. Zum Beispiel vereinbart er mit einem Agenten einen niedrigen Lohn, falls er die Ausbringungsmenge zu höheren Kosten erbringt und diese Kosten zu Lasten des Prinzipals gehen; ein anderer Agent erhält bei gleichem Output aber niedrigeren Kosten ein höheres Honorar. Eine solche Ex-ante-Differenzierung des Entgeltes ist allerdings gerade bei verborgener Information nicht möglich. Arrow ( 1985, S. 39-42) gibt mehrere Beispiele, in denen "hiddeninformation"-Probleme auftreten:
3 Um das Problem verborgener Handlungen zu lösen, besteht eine weitere, im Rahmen der Prinzipal-Agent-Theorie im Mittelpunkt stehende Möglichkeit darin, daß der Prinzipal ein Entlohnungsschema festlegt, das den Agent dazu anhält, genau jene Handlung vorzunehmen, die im Interesse des Prinzipals liegt. Vgl. hierzu Abschnitt 3.3.3. 4 Arrow (1986) bezeichnet in einer späteren Veröffentlichung diesen Sachverhalt mit dem Wort "hidden characteristics". Ein Prinzipal, der mit einer Vielzahl von potentiellen Agenten in Kontakt kommen kann, muß den Agenten ein Angebot unterbreiten. Zwar mag der Prinzipal die Verteilung der Charakteristika bei allen potentiellen Agenten kennen, aber er kann den einzelnen Agenten hinsichtlich seiner Charakteristika nicht einschätzen. Folglich ist er nicht dazu in der Lage, ein hinreichend differenziertes Angebot auszusprechen.
3.2 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe- Gefahren
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- Sozialistischer Planer und Planempfänger. Für den Planer in einer sozialistischen Zentralplanwirtschaft, der die Funktion des Prinzipals übernimmt, ist es von großem Interesse zu wissen, wie hoch die Produktivität der PlanernpHinger wirklich ist. Denn diese Informationen sind für ihn entscheidend, um die bestmöglichen Planvorgaben zu bestimmen. Die Planempfänger, die eine Agentenstellung einnehmen, können relativ gut, zumindest besser als der Prinzipal, ihre Möglichkeiten im Hinblick auf ihre maximale Leistungsfahigkeit einschätzen. Insofern stellen die Kennzahlen über die Leistungsfahigkeit der Planempfänger fiir den Planer verborgene Informationen dar. Die Planempfänger haben folglich nur geringe Anreize, ihre wahren Möglichkeiten zu offenbaren, denn mit Planvorgaben unterhalb der Leistungsgrenze lebt es sich angenehmer als mit den optimalen Vorgaben. - Versicherer und Versicherter. Die Versicherungsunternehmen müssen vielfach damit rechnen, daß es bei den zu versichernden Personen erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Risikoträchtigkeit gibt. In mancher Hinsicht ist freilich zu vermuten, daß die Versicherungsnehmer ihr persönliches Risiko relativ gut, zumindest besser als der Versicherer, einschätzen können. Folglich liegt hier wieder ein Prinzipal-Agent-Problem mit "hidden information" vor, denn dem Prinzipal "Versicherer" fehlen Informationen, die dem Agenten "Versicherungsnehmer" zugänglich sind. - Öffentliche Unternehmen und Kunden von öffentlichen Unternehmen. Eine Telefongesellschaft beispielsweise sieht sich verschiedenen Kundengruppen gegenüber, die sich im Hinblick auf die Preiselastizität der Nachfrage unterscheiden. Die einzelnen Agenten, also die Nachfrager, kennen ihre Preiselastizität; der Prinzipal "Telefongesellschaft" weiß nicht, zu welcher Kundengruppe der einzelne Nachfrager gehört. Der Kunde besitzt die entsprechende Information. Das Problem der Telefongesellschaft ist, daß sie zwar von der Existenz unterschiedlicher Kundengruppen Kenntnis hat, aber den einzelnen Kunden der relevanten Gruppe nicht zuordnen kann. Die Information über die Preiselastizität der Nachfrage ist also verborgen. - Auktionator und Bieter. Im Falle einer Versteigerung ist es durchaus denkbar, daß der einzelne Bieter Informationen über das Versteigerungsobjekt besitzt, die dem Auktionator nicht zugänglich sind; der Agent "Bieter" kann gegenüber seinem Prinzipal "Auktionator" Informationen zurückhalten. Zum Beispiel dürfen manchmal im Falle der Versteigerung von Ölfeldern potentielle Bieter vorab und auf eigene Kosten Probebohrungen durchführen oder geologische Expertisen anfertigen; die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden nur dem potentiellen Bieter bekannt. Der Auktionator als Prinzipal hat jedoch ein Interesse an der verborgenen Information, denn unter voll4 Wein
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ständiger Information ist es dem Auktionator leichter möglich, den Ertrag aus dem zu verkaufenden Objekt zu maximieren. In all diesen Fällen hat der Prinzipal aufgrund des Vorliegens von "hidden information" große Probleme, die unterschiedlichen Kosten- und Nutzenfunktionen der Agenten zu berücksichtigen. Folglich sucht der Prinzipal nach einem differenzierten Entlohnungsschemata, welches bereits ex ante zuverlässig zwischen den verschiedenen Agenten trennt. M.a.W.; optimal ist eine solche Entlohnungsstruktur, in der jeder Agent durch die Akzeptanz einer bestimmten Entlohungsart seine Kosten- oder Nutzenfunktion selbst offenbart ("self-selection"; vgl. hierzu insbesondere Punkt 3.3.3). Das Problem der verborgenen Information läßt sich nochmals anband der Abbildung 3 verdeutlichen. Der Prinzipal P beabsichtigt, einen Auftrag an einen Agenten A zu vergeben. Aus seiner Sicht sind alle potentiellen Agenten, beispielswiese hinsichtlich der Kostenstruktur, gleichwertig, d.h. gleich gut oder gleich schlecht (A 1=A2= ...=An). Die wahre Kostenstruktur sei für den Prinzipal nicht erkennbar; bildlich gesehen verhindert eine undurchsichtige Mauer den Überblick. Tatsächlich unterscheiden sich die Agenten: Der Agent A 1 hat die beste, konstante Technologie K1, deshalb ergibt sich bei ihm der höchste Ertrag E 1• Im Falle des Agenten A" liegt die schlechteste, konstante Kostenfunktion Kn mit dem niedrigsten Ertrag E" vor. Da der Prinzipal aufgrund der verborgenen Information nicht dazu in der Lage ist, das Honorar in Abhängigkeit von K festzulegen, muß sich der Prinzipal für ein festes Honorar H: entscheiden. Für den Prinzipal stellt sich daher ein Residuum R ein, das sich
Auftrag
A2 -----+ E2 = j(K2) A2 -----+ E2 = j(K2)
-
-
-
-
mit Kn > Kn-1 > · · · > K2 > K1 Abbildung 3: "hidden information"
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aus der Differenz zwischen dem ex ante unbekannten (aber natürlich nachträglich bekannt werdenden) Ergebnis E und dem festen Honorar Hergibt. Fälle mit verborgener Information fUhren aus dynamischer Sicht zu weiteren Problemen, die man zusammenfassend mit dem Begriff "adverse Auslese" bezeichnen kann (vgl. grundlegend Akerlof 1970, sowie zusammenfassend Varian 1992, S. 466-468 und Fritsch/Wein/Ewers 1993, S. 188-191). Solche Ausleseprozesse lassen sich zunächst am Beispiel eines Anbieters, der hier die Funktion des Agenten übernimmt, und eines Nachfragers (Prinzipals) verdeutlichen. Die Anbieter unterscheiden sich bei einem bestimmten Gut hinsichtlich der Qualität. Ohne ungleiche Information, d.h. sowohl der Anbieter als auch der Nachfrager können ex ante die Qualität des Gutes vollständig beurteilen, würde der Nachfrager seine Zahlungsbereitschaft an der wahren Qualität ausrichten: Er wäre bereit, filr gute Qualität viel und filr schlechte Ware wenig zu bezahlen. Der Nachfrager, der die wahre Qualität nicht erkennen kann ("hidden information"), hat nur eine vage Vorstellung, welche Qualität auf dem Markt erhältlich ist. Das konkret angebotene Gut kann der Nachfrager hinsichtlich der qualitativen Eigenschaften nicht beurteilen. Wie soll sich nun ein Nachfrager in einer solchen Situation verhalten? Eine mögliche, durchaus plausible Annahme wäre, daß er sich risikoneutral verhält, sich deswegen an der durchschnittlich zu erwartenden Qualität ausrichtet und einen filr diese Qualität angemessenen Preis akzeptiert. Als Folge dieses Verhaltens macht der Anbieter höherer Qualität Verluste, wenn er nur zu entsprechend höheren Kosten produzieren kann. Auch wenn er am Verkauf relativ hoher Qualität interessiert ist, so zwingt ihn der Markt dazu, Güter minderer Qualität zu einem relativ niedrigen Preis anzubieten. Bemerken die Nachfrager, daß die durchschnittliche Qualität des Angebots nachläßt, so senken sie ihre Zahlungsbereitschaft weiter. Das Angebot höherwertiger Güter geht daraufhin erneut zurück, worauf die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager wiederum sinkt; dieser Prozeß setzt sich so lange fort, bis nur noch ein Angebot der schlechtest möglichen Qualität vorliegt: Der Markt filr höhere Qualitäten bricht zusammen. Auf dem Markt wird dann überwiegend relativ niedrige Qualität getauscht. Die schlechte Qualität verdrängt die gute Qualität, und der Preis pendelt sich auf einem niedrigen Niveau ein. Die Gefahr der adversen Auslese droht aber nicht bei allen Gütern im gleichen Maße. Eine mögliche, häufig verwendete Gütereinteilung sieht wie folgt aus: 5
s Vgl. zusammenfassend Tietzel (1989) und Von der Schulenburg (1987). 4*
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3 Ungleiche Jnfonnation
- neoklassisch-homogene Güter, - Such- bzw. Inspektionsgüter, - Erfahrungsgüter und - Vertrauens- bzw. Glaubensgüter. Hierauf wird im folgenden eingegangen. Bei den neoklassisch-homogenen Gütern sind beide Marktseiten über die Eigenschaften des betreffenden Gutes vollständig informiert. Börsenmäßig gehandelte Güter standardisierter Qualität wie etwa Mineralöle, Erze, Getreideund Kaffeesorten stellen hierfiir Beispiele dar. Das Problem der "hidden information" besteht nicht. Die sogenannten Such- (vgl. Nelson 1970) oder Inspektionsgüter (vgl. Hirshleifer 1973, S. 37) weisen die Eigenschaft auf, daß der Prinzipal zunächst zwar die Qualität nicht kennt, sich aber vor Vertragsschluß vollständig und kostenlos informieren kann. "Hidden information" stellt also hier in gleicher Weise kein Problem dar. 6 Erfahrungsgüter (vgl. ebenfalls Nelson 1970) sind dagegen dadurch gekennzeichnet, daß ein Urteil über ihre qualitativen Eigenschaften erst nach dem Kauf möglich ist. Somit laufen die Nachfrager Gefahr, gegen ihren Willen relativ schlechte Qualität zu erhalten. Thunfisch in Dosen oder das Essen in einem Restaurant sind typische Beispiele für Erfahrungsgüter. "Hidden information" wird hier relevant, die Definition der Erfahrungsgüter verweist jedoch sofort auf eine marktliehe Lösungsmöglichkeit, nämlich die der nachträglichen Kontrolle (vgl. Abschnitt 3.3.1.1). Die Qualität der Glaubens- oder Vertrauensgüter (vgl. Darby/Karni 1973) wird nicht nur durch den Verkäufer, sondern auch durch die Ausprägung anderer, vom Verkäufer nicht kontrollierbarer (z.B. von stochastischen Einflußgrößen) Faktoren bestimmt. Somit kann man schlechte Qualität allenfalls dann erkennen, wenn man eine gewisse Menge eines solchen Gutes bereits konsumiert hat; in bestimmten Fällen läßt sich die Qualität des Gutes nie zuverlässig ermitteln. Beispielsweise kann es beim Gut "Landesverteidigung" (erfreulicherweise) sehr lange dauern (oder besser nie geschehen), bis ein Angriff die Verteidigungsfahigkeit eines Landes und damit die Qualität der Streitkräfte testet. Auch nach der Behandlung des Arztes oder der Einnahme eines Medikaments weiß man in vielen Fällen nicht, ob eine Heilung aufgrund oder trotz der The-
6 Die einzige nicht kostenlos beobachtbare Detenninante ist der Preis. Es liegt also Preisunkenntnis vor (vgl. hierzu Fritsch/Wein!Ewers 1993, S. 205 f.)
3.2 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe -Gefahren
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rapie eintrat.' Die Definition der Glaubens- bzw. Vertrauensgüter verweist direkt auf die P-A-Theorie, denn auch dort spielen zufallsbedingte Einflüße eine entscheidende Rolle. Zusammenfassend kann man also festhalten, daß die verschiedenen Gütertypen implizit in der P-A-Theorie berücksichtigt werden; eine weitere Behandlung dieser Gütertypen scheint entbehrlich. Adverse Auslese kann sich aber auch dann einstellen, wenn der Anbieter die Nutzen- oder Kostenfunktion des Nachfragers nicht einschätzen kann und dies Rückwirkungen auf ihn hat. In diesem Falle muß der Anbieter damit rechnen, zuviel schlechte Qualität oder zu viele schlechte Risiken zu erhalten, die ihn im Extremfall in den Ruin treiben können. Dies wurde vor allem fiir die Versicherungs- (vgl. Rothschild/Stiglitz 1976) und fiir die Kreditmärkte (vgl. Stiglitz/Weiss 1981) diskutiert. Nachfrager nach Krediten oder Versicherungen stellen dann eine schlechte Qualität dar, wenn sie zu besonders unvorsichtigem Verhalten neigen oder bei ihnen "von Natur aus" mit einem hohen Risiko zu rechnen ist. Weiß der Anbieter solcher Kontrakte ex ante nicht, ob es sich bei einem bestimmten Nachfrager um ein gutes oder um ein schlechtes Risiko handelt, so wird er unter der Annahme risikoneutralem Verhaltens einen Preis kalkulieren, der im Durchschnitt zu keinem Verlust fiihrt: Er schätzt den Anteil guter und schlechter Risiken ab und berechnet auf dieser Grundlage den fiir alle geltenden, kostendeckenden Versicherungstarif bzw. Zinssatz. Da dieser Preis fiir die guten Risiken relativ hoch ist, werden die betreffenden Nachfrager einen Vertragsschluß tendenziell meiden, d.h. sich nicht versichern bzw. nicht über den Kreditmarkt finanzieren. Da nun der Anbieter in seinem Bestand einen höheren als den erwarteten Anteil schlechter Risiken feststellt, ist er zu einer Preiserhöhung gezwungen. Aufgrund der steigenden Preise nehmen weitere gute Risiken von einem Vertragsabschluß Abstand. Folglich muß der Anbieter seinen Preis erneut erhöhen, weil sich die durchschnittliche Qualität seines Bestandes nochmals verschlechtert hat. Im Extremfall sind solange weitere Preisanpassungen erforderlich, bis der Bestand ausschließlich die allerschlechtesten Risiken umfaßt, die einen entsprechend hohen Preis bezahlen müssen. Obwohl die guten Risiken Verträge zu einem angemessenen Preis
7 Es gibt zwei weitere Gütertypen, das Potemkin- und das Placebo-Gut (vgl. Tietzel 1989). Im Falle des Potemkin-Gutes irrt sich der Verbaueher über einige, aber nicht alle relevanten Eigenschaften, da er davon ausgeht, es lägen bestimmte Eigenschaften beim Gut vor, in Wirklichkeit werden ihm diese aber nur vorgespiegelt. Bisher einziges, und auch speziell auf diesen Fall gemünztes Gut ist der Wein im "Glykolwein"-Skandal, bei dem unseriöse Winzer durch Beigabe von Glykol die "goldene Farbe" und den "lieblichen" Geschmack nur vorgetäuscht haben. Der Konsum des Placebogutes fuhrt den Konsumenten vollkommen in die Irre. Zum Beispiel glaubt der Patient, daß er ein wirksames Medikament erhalte; dagegen weiß der verordnende Arzt, daß ein völlig unwirksamer Stoff eingenommen wird. Diese beiden Gütertypen stellen eher Sondertlilie dar, daher können sie hier auch unberücksichtigt bleiben.
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3 Ungleiche lnfonnation
abschließen würden, kommen diese nicht zustande, weil die Anbieter nicht dazu in der Lage sind, das Risiko, das ein bestimmter Nachfrager repräsentiert, vor Vertragsschluß zu erkennen. Auch bei einer Informationsasymmetrie zu Lasten der Anbieter verdrängt also die schlechte die gute Qualität; im Gegensatz zu ungleicher Information zu Lasten der Nachfrager pendelt sich allerdings hier der Preis auf einem hohen Niveau ein. Zusammenfassend kann man sagen, daß Fälle mit "hidden action" bzw. moralischem Risiko Probleme ungleicher Information nach Vertragsschluß betreffen (Kontrollproblem). Als weiteres Merkmal muß darüber hinaus noch das Ergebnis (mit)zufallsabhängig sein. Das Phänomen "hidden Information" bzw. adverse Auslese charakterisiert Fälle asymmetrischer Informationsverteilung in Bezug auf die Nutzen- und Kostenfunktion vor Vertragsschluß (Auswahlproblem). Verborgene Handlungen bzw. Informationen können sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite auftreten, d.h. die Zuordnung "Prinzipal" und "Agent" auf die beiden Marktseiten ist nicht festgelegt.
3.2.2 Der Rechtsanwalt und die Prinzipal-Agent-Theorie Ausgehend von der älteren P-A-Theorie läßt sich bezugnehmend auf das Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant festhalten, daß zunächst hier der Mandant als Prinzipal auftritt und den Rechtsanwalt als seinen Agenten mit der Durchsetzung seiner rechtlichen Ansprüche beauftragt. Der Mandant erwartet auch hier, daß der Anwalt die übliche Sorgfalt walten läßt, ihm gegenüber das besondere Treueverhältnis bewahrt, den Verlauf des Mandats korrekt aufzeichnet und gegebenenfalls erhaltene Zahlungen zu seinen Gunsten treuhänderisch verwaltet. Auch die Anlässe zur Beendigung des P-A-Verhältnisses entsprechen im wesentlichen den Gründen, wie sie allgemein in der "älteren" Theorie gesehen wurden: Der Auftrag an den Anwalt endet beispielsweise nach Beendigung eines Rechtsstreits, durch gegenseitiges Einverständnis oder durch Widerruf des Mandats seitens des Klienten. Die neuere P-A-Theorie weist auf die Bedeutung ungleich verteilter Informationen hin: Jene Partei, die weniger informiert ist, befindet sich in der Rolle des Prinzipals; der Agent dagegen ist vollständig informiert. Wie die Ausführungen im vorherigen Kapitel gezeigt haben, ist es durchaus möglich, daß in ein- und demselben Markt je nach Betrachtungsweise die Benachteiligung hinsichtlich des Informationsstandes zwischen den Marktseiten wechselt. Ein solcher Wechsel ist auch im Anwaltsmarkt denkbar: Es kann zum einen nicht ausgeschlossen werden, daß dem Anwalt bestimmte Informationen vor Vertragsschluß, die dem Mandanten zugänglich sind, oder bestimmte Handlungen
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des Mandanten nach Vertragsschluß verborgen bleiben. Es besteht eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten des Anwalts. M.a.W.; der Anwalt schlüpft in die Rolle des Prinzipals, und der Mandant ist sein Agent. Zum anderen ist es denkbar, daß der Mandant Handlungen des Anwalts nicht im hinreichenden Maße überwachen oder die Qualität der potentiellen Anwälte nicht einschätzen kann. Insofern unterliegt hier der Mandant dem Problem einer asymmetrischen Informationsverteilung; in der Sprache der "neueren" PA-Theorie übernimmt der Mandant die Rolle des Prinzipals. Eine Folge der nicht eindeutigen Zuordnung ist, daß sowohl der Rechtsanwalt als auch der Mandant von "hidden action" und von "hidden information" bedroht sein können. Diese Punkte werden in den folgenden Abschnitten 3.2.2.1 - 3.2.2.4 detailliert untersucht. 3.2.2.1 Rechtsanwälte als Agenten sowie Mandanten als Prinzipale im Falle von "hidden action" Innerhalb dieses Abschnitts gilt die Annahme, daß der Prinzipal der Mandant ist und der Anwalt als Agent fungiert. In einer solchen Konstellation besteht die Gefahr, daß der Anwalt nicht genügend Sorgfalt und Mühe bei der Ausübung des Mandates walten läßt und der Mandant dies aufgrund seiner fehlenden Sachkenntnis nicht erkennen kann ("hidden action"; asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten des Mandanten). Folgende Ausprägungen von "hidden action" sind z.B. im Bereich des Zivilrechts denkbar (vgl. Adams 1981, S. 30): - Nach der ersten Kontaktaufnahme zwischen Anwalt und Mandant übertreibt der Anwalt die Erfolgsaussichten, um das Mandat zu erhalten, falls das Mandat Gewinn verspricht. - Im Stadium der vorgerichtlichen Auseinandersetzung stellt der Rechtsanwalt die Chancen zu gut dar, um das Gerichtsverfahren zu erreichen; ein solches Verhalten des Anwaltes ist allerdings nur dann zu erwarten, wenn die Anwaltsgebühren für den Prozeß den entstehenden Aufwand (über-)decken. - Vor Gericht streben die Anwälte nach einem Vergleich, wenn die für den Vergleich sich ergebende Gebühr höher ist als im Falle einer richterlichen Entscheidung und hinsichtlich des Aufwandes für den Anwalt kein Unterschied besteht. Für das Verwaltungsrecht kann man sich ähnliches vorstellen, denn in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist die Position des Antragstellers mit der des zivil-
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rechtlichen Klägers vergleichbar. In der Strafgerichtsbarkeit ist ebenfalls denkbar, daß der Verteidiger die Erfolgsaussichten der Berufungsinstanz zu rosig darstellt oder den Prozeß unnötig in die Länge zieht, wenn sich dies fiir ihn lohnt. Das Auftreten von verborgenen Handlungen seitens der Anwälte wird zusätzlich wahrscheinlicher, da der Mandant aus dem Ergebnis der anwaltliehen Tätigkeit schwer ableiten kann, ob ein negativer Ausgang auf ein Verschulden des Anwalts rückfUhrbar ist oder von anderen eher zufälligen Faktoren (sehr guter Gegenanwalt, parteiischer Richter, überraschende Beweisprobleme etc.) verursacht wird. Eine nicht unerhebliche Zufallskomponente kommt zum Zuge, wie sie explizit in der neueren P-A-Theorie oder bei der Definition der Glaubens- bzw. Vertrauensgüter angesprochen wird. Möglicherweise gibt es eine Reihe von Anwälten, die den eigennützigen Verlockungen in Form von verborgenen Handlungen nicht nachgeben, der Mandant kann jedoch diese ex ante aus der Vielzahl der anderen Rechtsvertreter heraus nicht erkennen. Die Mandanten werden vermutlich mit diesem Problem rechnen, dieses Risiko den Anwaltshonoraren als zusätzlichen Kostenfaktor hinzuschlagen und daher tendenziell seltener einen Anwalt einschalten.8
3.2.2.2 Mandanten als Agenten sowie Rechtsanwälte als Prinzipale im Falle von "hidden action" Möglicherweise besteht ein weiteres Problem der asymmetrischen Informationsverteilung in der Form, daß der Anwalt unvollständig informiert ist: Der Mandant trägt u.U. zum erfolgreichen Abschluß der Rechtssache insofern bei, als er dem Anwalt die erforderlichen Informationen während der Erledigung des Mandats zukommen lassen oder bestimmte Handlungen, wie z.B. notwendige Kompromisse schließen, ausfUhren muß. Theoretisch wäre hier vorstellbar, daß der Mandant diesen Pflichten nicht nachkommt und der Anwalt dies nicht bemerkt ("hidden action"). Es entstünde eine Prinzipal-Agent-Verhältnis, wobei nun der Mandant die Agentenstellung einnehmen würde und der Rechtsanwalt als Prinzipal auftritt.
8 Ein Indiz ftlr diese These stellt das, auch z.B. in einer Untersuchung (vgl. Prognos 1987) empirisch festgestellte, schlechte Ansehen der Anwälte in Deutschland dar. Insbesondere wird ihrem Stand vorgeworfen, Prozesse ungerechtfertigt vom Zaun zu brechen und sich (zu lange) an aussichtslosen Fällen festzuhalten.
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Diese Gefahr scheint aber in der Praxis faktisch ohne Bedeutung zu sein, denn: - welches Interesse sollte der Mandant an dieser verborgenen Handlung haben? Solange der Anwalt den Mandanten nicht von allen Folgen des Prozesses freistellt, was kaum zu erwarten ist (vgl. Abschnitt 3.3.2.2), ist es dem Mandanten nicht gleichgültig, ob seine Angelegenheit erfolgreich abgeschlossen wird. Er wird unter dieser Voraussetzung alles dafiir tun, um einen positiven Ausgang des Prozesses herbeizufiihren; - wird der Anwalt ein solches Verhalten nicht sehr schnell bemerken und entsprechend (z.B. durch Mandatsniederlegung) sanktionieren? Diese Frage kann man aller Voraussicht nach bejahen, denn der Anwalt hat meist eine weitaus höhere Sachkenntnis als sein Klient, so daß ex post ungleiche Information zu Lasten des Anwalts in der Regel nicht vorliegen wird.9 Die vorgetragenen Argumente legen die Erwartung nahe, daß eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten der Anwälte verbunden mit "hidden action" nicht zu erwarten ist.
3.2.2.3 Rechtsanwälte als Agenten sowie Mandanten als Prinzipale im Falle von "hidden information" Vor Vertragsschluß sieht sich der Mandant als Prinzipal dem Auswahlproblem gegenüber; d.h. er hat Schwierigkeiten, aus der Vielzahl der vorhandenen Anwälte dem ihm angemessenen Anwalt als seinen Agent auszuwählen. Entscheidungsrelevante Informationen, die dem Mandanten zu Beginn der Vertragsbeziehung fehlen können, sind vor allem die der fachlichen und charakterlichen Eignung des Anwalts. M.a.W.: Der Mandant kann die Kosten- oder Nutzenfunktionen der Anwälte vor Vertragsschluß nicht erkennen; es besteht ex ante eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten der Mandanten. In einer solchen Situation ist zu befiirchten, daß ohne staatliche Eingriffe der Wettbewerb zu einem Ausleseprozeß fiihrt, an dessen Ende nur die "schlechten" Anwälte am Markt verbleiben. Kann der Mandant den Rechtsanwalt ex ante, d.h. vor Eintritt in die Vertragsbeziehungen, nicht beurteilen, entstehen adverse Ausleseprozesse. Der Mandant ist außerstande zu prüfen, ob die von einem beliebigen Anwalt zugesagte hohe Qualität der Wahrheit entspricht.
9 Hier ist es im Gegensatz zur Garantie (vgl. Abschnitte 3.3.2.2 und 3.4.4.2.2) auch nicht erforderlich, daß der Anwalt verborgene Handlungen des Mandanten "hieb- und stichfest" nachweist, denn er kann ja ohne Angabe von Gründen das Mandat niederlegen.
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3 Ungleiche Information
Folglich wird ein risikoneutraler Mandant aus der Wahrscheinlichkeitsverteilung über die zu erwartende Qualität den Erwartungswert bilden und entsprechend diesem Wert seine maximale Zahlungsbereitschaft festlegen. Da Anwälte, die zu Beginn des Vertrages hohe Qualität aufweisen, vermutlich hierfiir höhere Kosten aufwenden müssen, erleiden sie Verluste in Form der fiir den Erwerb und die Aufrechterhaltung hoher Qualität notwendigen Ausbildungskosten. Anwälte hoher Qualität versuchen daher, ihre Qualität der maximalen Zahlungsbereitschaft ihrer Klienten anzupassen, d.h. sie nehmen neue Ausbildungsausgaben nicht mehr oder im geringeren Umfang vor. Ferner treten neue Anwälte mit hoher Qualität in den Markt nicht mehr ein. Insgesamt geht die Ex-ante-Qualität der Anwälte zurück. Nehmen freilich die Mandanten diese "Verschlechterung" wahr, vermindern sie ihre Zahlungsbereitschaft weiter. Die Anwälte reagieren darauf, indem sie ihre Qualität zusätzlich zurücknehmen. Je höher die Reaktionsgeschwindigkeit beider Marktseiten, um so schneller pendelt sich die angebotene Qualität der Rechtsberatung auf dem niedrigst möglichen Niveau (zu einem niedrigen Preis) ein. Nur die "Kurpfuscher" dieses Standes können dauerhaft rentabel arbeiten. Obwohl die Mandanten und die Anwälte bereit wären, hohe Qualität zu hohem Preis nachzufragen bzw. anzubieten, entsteht kein Markt fiir hohe Qualität. Damit eine Informationsasymmetrie zu Lasten der Mandanten adverse Auslese heraufbeschwört, muß hinzukommen, daß der Anwalt eigennützig motiviert ist: Ein uneigennütziger Anwalt würde seinen Mandanten nicht täuschen oder fehlleiten. Zum Beispiel würde er ein Mandat ablehnen, falls ihm die hierfiir erforderlichen Fähigkeiten fehlen. Kann man davon ausgehen, daß die Anwälte nicht eigennützig handeln, befindet man sich in der besten aller Welten: Das Recht wird ohne Verzerrungen umgesetzt, und nur die unvermeidlichen Rechtsstreite kommen vor Gericht (vgl. auch Abschnitt 4.2). Folgt der Anwalt jedoch seinen eigenen Interessen, ergibt sich aus einer asymmetrischen Informationsverteilung zu Lasten der Mandanten das Problem der adversen Auslese. 3.2.2.4 Mandanten als Agenten sowie Rechtsanwälte als Prinzipale im Falle von "hidden information" Hier besteht die asymmetrische Informationsverteilung darin, daß der Anwalt ex ante die "Risikoträchtigkeit" des Falls (im Gegensatz zum Mandanten) nicht einzuschätzen vermag: Vor Vertragsschluß könnte es dem Anwalt Probleme bereiten, die "richtigen" Mandanten zu finden; übernimmt er viele risikoträchtige Mandate, die er als solche nicht erkennen kann, und wird die daraus resultierende (Miß-)Erfolgsrate allgemein bekannt, leidet der Ruf des Anwalts
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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beträchtlich. Nun ist aber fraglich, ob der Anwalt mit seiner hohen Sachkenntnis "in diese Falle" geht. Durch eine eingehende Befragung des Mandanten müßte es dem Anwalt aufgrund seiner überlegenen Fachkenntnis selbst möglich sein, die risikoreichen, nicht gewinnbaren Fälle zu erkennen und anschließend sein "Portfolio" an risikoarmen und -reichen Fälle zusammenzustellen. In den allermeisten Fällen wird also hier keine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten des Anwalts entstehen.
3.2.3 Zusammenfassung Die folgende Übersicht 1 zeigt noch einmal die möglichen Informationsprobleme, die in der Vertragsbeziehung zwischen Anwalt und Mandant bestehen können. Aus der Analyse ergibt sich, daß jenes Prinzipal-Agent-Verhältnis, in dem der Mandant die Rolle des Prinzipals und der Rechtsanwalt die des Agenten einnimmt, die relevanten Informationsprobleme beschreibt: Der Mandant hat aufgrund seiner geringeren Sachkenntnis und der hohen Komplexität des Produkts "Rechtsberatung" große Schwierigkeiten, den Anwalt auszuwählen und zu kontrollieren. Folglich ergibt sich hieraus die Stoßrichtung der weiteren Analyse, nämlich die Marktmechanismen zu beschreiben, die im Falle von "hidden information" bzw. "hidden action" und ungleicher Information zu Lasten der Mandanten prinzipiell anwendbar sind. Der Fall, daß der Rechtsanwalt zu wenig weiß, erscheint weitgehend unplausibel und kann daher vernachlässigt werden.
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten Im vorhergehenden Abschnitt wurde fiir das Gut "Rechtsberatung" festgestellt, daß eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten des Mandanten besteht. Ist diese Entwicklung zwangsläufig, oder kann sich der Markt hier nicht selbst helfen, so daß die befiirchteten Gefahren wie "hidden action" und "hidden information" gar nicht eintreten? Zum einen besteht die Möglichkeit, daß der Mandant versucht, sein Informationsdefizit zu beseitigen, indem er verstärkt Informationen nachfragt ("Screening"). Zum anderen kann man den Ansatzpunkt auch auf der Seite der Agenten, der Anwälte, sehen: Da bei Vorliegen ungleicher Informationen Transaktionen unterbleiben, die fiir beide Marktseiten nutzensteigernd wären, haben auch die Anwälte einen Anreiz, diesem Problem durch Informationsübertragung bzw. -bereitstellung (''Signa/ing'? entgegenzuwirken. Unter "Signaling" versteht man, nach einer auf Spence zurückgehenden Definition, die Möglichkeit eines qualitativ hochwertigen Agen-
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3 Ungleiche Infonnation
Übersicht 1: Theoretisch denkbare Informationsprobleme zwischen Mandant und Rechtsanwalt Mandant=Prinzipa/1 Rechtsanwalt=Agent
weiß zu wenig
~Mandant
"hidden action"
Kann Mandant Mühe und Sorgfalt des Anwalts einschätzen? aufgrund der fehIenden Sachkenntnis des Mandanten und der hohen Komplexität der Leistung bestehen
Anwalt= Prinzipall Mandant=Agent ~Rechtsanwalt
weiß zu wenig Kann Anwalt während seiner Tätigkeit ein schädigendes Verhalten des Mandanten erkennen?
~
=
asymmetrische Informationsverteilung nach Vertragsabschluß
"hidden information" =
asymmetrische Informationsverteilung vor Vertragsabschluß
erhebliche Jnformationsprobleme.
Kann Mandant die Fähigkeiten eines Anwaltes einschätzen? ~ aufgrund geringer Sachkenntnis des Mandanten bestehen
erhebliche Jnformationsprobleme.
~ aufgrund hoher Sachkenntnis des Anwalts und dem fehlenden Interesse des Mandanten an einem schädigenden Verhalten bestehen
keine Informationsprobleme.
Kann Anwalt Risikoträchtigkeit eines Falles vor der Mandatsübemahme einschätzen? ~ aufgrund hoher Sachkenntnis des Anwalts bestehen
keine Jnformationsprobleme.
ten, sich durch Ausüben einer bestimmten Aktivität glaubhaft von den Agenten mit schlechter Qualität abzuheben (vgl. hierzu Riley 1987, S. 330). Als "Signaling"-Instrumente stehen dem Agenten und damit auch dem Anwalt verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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- Eingehen eines Garantieversprechens, - strategische Preisbildung, - zielgerichtete Investitionen in das Humankapital, - Errichtung einer reputierlichen Marktstellung, - Einsatz von Werbemaßnahmen, - Aufbau von Franchisesystemen und - Zusammenschluß mit anderen Agenten (Fusionen). Bestenfalls fUhrenalldiese "Signaling"-Instrumente dazu, daß der Prinzipal bereits ex ante jedem Agenten dessen wahre Qualität zuordnen kann: Existieren z.B. nur zwei Qualitätsstufen, ist der qualitativ hochwertige Agent durch denEinsatz eines Signaling-lnstruments in der Lage, sich glaubwürdig von dem qualitativ geringwertigen Agenten abzuheben. Man spricht dann von einem separierenden (trennenden) Gleichgewicht (vgl. auch Varian 1992, S. 464). Im Gegensatz dazu beschreibt der vorhergehende Abschnitt Fälle, in denen die "erwünschte" Trennung zwischen den Qualitätsstufen nicht zustande kommt. Insofern liegen dann sogenannte gemischte ("Pooling")-Gleichgewichte vor (vgl. ebenfalls Varian 1992, S. 464). Innerhalb der folgenden Abschnitte werde ich den "Screening"-Ansatz (vgl. Punkt 3.3.1) und die "Signaling"-Mechanismen (vgl. Abschnitte 3.3.2 - 3.3.8) beschreiben, die erforderlichen Annahmen fiir die Funktionsfähigkeit dieser Ansätze nennen und diese Instrumente auf den "Rechtsanwaltsmarkt" anwenden. Aus dieser Analyse heraus soll ein Bild entwickelt werden, wie der "Rechtsanwaltsmarkt" ohne staatliche Eingriffe aussehen würde. Unter Punkt 3.3.9 folgt ein Fazit über die Möglichkeiten des Marktes, das Problem ungleich verteilter Informationen bei Rechtsanwälten zu lösen.
3. 3. 1 Informationsnachfrage Im Falle des Gutes "Rechtsberatung" sind es die Mandanten, die Schwierigkeiten haben, die Leistungen des Anwalts nach Vertragsschluß (ex post) zu kontrollieren bzw. ex ante die Fähigkeiten des Anwalts richtig einzuschätzen. Unter diesem Gliederungspunkt soll der Frage nachgegangen werden, ob der Mandant wirklich so unwissend ist, wie er in der P-A-Theorie dargestellt wird.
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3 Ungleiche Infonnation
Um seine Unkenntnis zu beseitigen, hat der Prinzipal "Mandant" grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Zum einen kann er sich über die Leistungsfähigkeit und die Leistung des Anwalts selbst informieren, zum anderen spezialisierte Dritte einschalten. Zunächst behandele ich die Möglichkeiten der Informationsnachfrage allgemein (Punkt 3.3 .1.1 ); im Rahmen des Abschnittes 3.3 .1.2 wende ich dann die Möglichkeit der Informationsnachfrage auf den Anwaltsmarkt an. Punkt 3.3 .1.3 faßt die Ergebnisse zusammen. 3.3.1.1 Informationsnachfrage seitens eines beliebigen Prinzipals Die hinsichtlich der verfiigbaren Informationen benachteiligte Marktseite, der Prinzipal, kann versuchen, Informationen über die jeweilige Marktgegenseite (den Agenten) einzuholen und damit die Informationsasymmetrie abzubauen oder sogar vollständig zu überwinden: Entweder man beobachtet direkt die Anstrengungen des Agenten (e) oder isoliert indirekt den intervenierenden, stochastischen Faktor (9), der die P-A-Beziehung erst zum Problem werden läßt. Man bezeichnet das Einholen von Informationen über die Eigenschaften und das Verhalten der Agenten als "Screening". Entsprechend den üblichen ökonomischen Verhaltensannahmen kann man davon ausgehen, daß der Prinzipal solange Informationen nachfragt, wie der erwartete zusätzliche Nutzen die entsprechenden (erwarteten) Kosten übersteigt (vgl. Stigler 1961 ). Insofern wäre es aus Sicht des Prinzipals nur in Ausnahmetallen optimal, alle Informationsquellen zu erschließen bzw. auszuschöpfen. Über das Informationsnachfrageverhalten des Prinzipals kann man grundsätzlich folgende Hypothesen aufstellen: - Je weniger der Prinzipal mit dem zu tauschenden Gut vertraut ist (geringe Fachkenntnis, geringe Erfahrung im Umgang mit dem Gut etc.), um so höher sind seine Kosten der Informationsnachfrage; c.p. deutet also eine geringe Vertrautheit mit der in Frage stehenden Transaktion auf eine niedrige Wahrscheinlichkeit hin, daß der Prinzipal nach einer Beseitigung der Informationsasymmetrie strebt. - Der erwartete Nutzen aus einer P-A-Beziehung differiert mit den "Lebensumständen" des Prinzipals: Je geringer das Einkommen des Prinzipals, desto negativer wirken sich c.p. fehlerhafte Prognosen auf sein Wohlfahrtsniveau aus; Individuen mit niedrigem Einkommen sind daher eher bereit, hohe Informationskosten zu tragen. Der Prinzipal wird sich ferner c.p. um so besser informieren, je höher der Preis ist; denn der Fehlkauf eines teuren Guts stellt einen größeren Nutzenentgang dar als der bei einem relativ billigen Gut.
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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- Je leichter der Agent dazu in der Lage ist, die fiir den Prinzipal wichtigen Informationen geheimzuhalten (es liegen private Informationen vor), um so mehr Informationskosten muß der Prinzipal aufwenden; c.p. gilt also, daß mit steigendem Grad an privaten Informationen die Möglichkeiten des Prinzipals, sich zu informieren, abnehmen. - Je mehr sich der Prinzipal im Rahmen der Informationsnachfrage Spezialkenntnisse aneignen oder Maschinen beschaffen muß, die sich erst bei einer regelmäßigen Verwendung lohnen würden (Unteilbarkeiten; vgl. Fritsch/Wein/Ewers 1993, S. 124-134), um so unwahrscheinlicher wird es, daß der Prinzipal die Informationsasymmetrie überwinden kann. Beispielsweise benötigt man fiir die Bestimmung des Quecksilbergehaltes von Thunfisch ein sehr spezifisches Wissen und eine spezielle Laborausstattung; beide "Inputfaktoren" lohnen sich frühestens erst bei einem regelmäßigen Gebrauch. Sollte die Informationsnachfrage durch den Prinzipal selbst nicht möglich sein, könnte eine Alternative darin bestehen, daß der Prinzipal gegen Entgelt spezialisierte Dritte einschaltet (vgl. hierzu grundsätzlich Spulher 1989, S. 449): Der Prinzipal wendet sich an einen Dritten, der sich im Falle ex ante fehlender Information die benötigte Informationen beschafft oder bereits über diese Information verfUgt. Verbraucherberater oder Sachverständige wären hierfiir Beispiele. Insbesondere kann ein solcher Dritter eher die mit einer Informationsbereitstellung verbundenen Unteilbarkeitsprobleme überwinden. Um "hidden action" zu vermeiden, könnte sich die benachteiligte Marktseite eines Dritten bedienen, der die Vorgehensweise der anderen Marktseite überprüft. Der Dritte nimmt somit die Rolle eines unparteiischen Schiedsrichters ein, der sich ohne verfälschendes Eigeninteresse informiert. Jedoch ist diese Form der Informationsnachfrage nicht in allen Fällen anwendbar: - Muß der Erzeuger einer Information damit rechnen, daß die Käufer der Information diese an andere Nutzer kostenlos weitergeben, entstehen positive externe Effekte. Erwartet der Erzeuger ex ante, daß die aufgrund der positiven externen Effekte verbleibenden geringeren Umsätze die Kosten der Informationsbeschaffung nicht decken, wird er die betreffende Information nicht bereitstellen; der Markt fiir eine derartige Information versagt. Anders formuliert: Der Dritte kann in nicht ausreichendem Maße Property Rights an seiner Information durchsetzen. 10
10 Kommt es hier infolge technologischer externer Effekte zu einem Marktversagen, so kann es sinnvoll sein, solche Qualitätsinformationen kollektiv (z.B. durch den Staat oder durch staatlich subventionierte Einrichtungen) bereitzustellen; vgl. Abschnitt 3.4.3.
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3 Ungleiche Information
- Die Heranziehung eines unparteiischen Schiedsrichters mag aufgrund der Spezifika der Transaktion unmöglich sein. Zum Beispiel kann man zwar grundsätzlich einen zweiten Arzt einschalten, der unvoreingenommen die Diagnose des ersten Arztes überprüft; kaum ein Patient wird aber einen zweiten Arzt konsultieren, wenn die Diagnose nur durch eine riskante Operation möglich ist. Folglich ist der Patient auf das Urteil des ersten Arztes angewiesen. - Im Falle von verborgenen Handlungen nützt dem Prinzipal ex post ein verbesserter Informationsstand nur dann etwas, wenn er mit den zusätzlichen Informationen eine Beseitigung der Fehlleistung durchsetzen kann. Je weniger der Prinzipal dies erwartet, um so geringer sein Anreiz zur Informationsnachfrage. Die Informationsnachfrage über Dritte stellt also eine Alternative dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen die Probleme ungleicher Information außer Kraft setzt.
3.3.1.2 Informationsnachfrage seitens des Prinzipals "Mandant" Einem Mandanten steht die Möglichkeit offen, Qualitätsinformationen über potentielle Anwälte einzuholen oder den Anwalt nach der Mandatserteilung zu kontrollieren. Ob und in welchem Ausmaße er diese Informationsquellen nutzt, hängt von seiner spezifischen "Kostenfunktion" und dem erwarteten Nutzen der anwaltliehen Inanspruchnahme ab. Der erwartete Nutzen schlägt sich beim Gut "Rechtsberatung" entweder in der erfolgreichen Durchsetzung eines Rechtstitels (z.B. Herausgabe einer Sache oder Zahlung einer Geldsumme) oder in Form vermiedener Kosten nieder (z.B. Abwehr des Rechtsanspruchs eines Dritten oder Verhinderung einer Strafe). Die Kosten beziehen sich auf die Aufwendungen des Mandanten, ex ante die Qualität des Anwalts zu eruieren und ex post nach vermeidbaren Fehlern des eingeschalteten Rechtsvertreters zu suchen sowie gegebenenfalls zu sanktionieren. In der Regel ist insbesondere aufgrund der vermutlich hohen Kosten zu erwarten, daß die Informationsaufwendungen der Mandanten relativ gering bleiben, zumindest so gering, daß sie kaum genauso gut informiert sind wie die Anwälte; die Informationsasymmetrie wird nicht beseitigt. Folgende Argumente sprechen fiir diese Vermutung:
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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- Für viele Mandanten dürften die Kosten der Beurteilung eines Anwalts sehr hoch sein: Sie sind mit der Rechtsmaterie meist wenig vertraut, deswegen suchen sie gerade einen Anwalt auf. - In der Regel benötigen die meisten Individuen relativ selten einen Anwalt. M.a.W.: Die Informationskosten für die Auswahl des geeigneten Anwalts können nur auf eine (wenige) Transaktion(en) verteilt werden. Folglich ist es rational, die Informationskosten gering zu halten. - Für Rechtsangelegenheiten, deren Ausgang nur einen geringen Nutzenzuwachs (z.B. relativ unerhebliche Verkehrsdelikte) erwarten lassen, lohnt es sich nicht, hohe Aufwendungen zur Auswahl und Kontrolle des Anwalts zu tätigen. Nur für jene Fälle, die aus Sicht des Mandanten eine existentielle Bedeutung haben, ist der Mandant bereit, hohe Informationskosten aufzuwenden. - Den Anwälten fällt es relativ leicht, wichtige Informationen ihrem Mandanten gegenüber zurückzuhalten: Sie übertreiben zu Beginn des Mandats die Erfolgsaussichten bzw. ziehen Fälle ohne hinreichende Erfolgsaussichten unnötig in die Länge, um ihre Honorareinnahmen zu maximieren. Die Informationskosten für den Mandanten steigen mit den Geheimhaltungsmöglichkeiten des Anwalts an. Je geringer die juristischen Kenntnisse des Mandanten, je seltener der Beratungsbedarf für den Klienten, je geringer der individuelle Nutzen aus einem Rechtsstreit und je leichter der Anwalt wichtige Informationen verschweigen kann, um so weniger wird sich der Mandant bemühen, die Informationsasymmetrie zu seinen Lasten zu beseitigen. Im Falle der "hidden action" tritt hinzu, daß es fraglich ist, ob ein ex post verbesserter Informationsstand des Mandanten von großem Nutzen ist: Er muß dem Anwalt eine juristische Fehlleistung nachweisen können, und der entstandene Schaden muß reparabel sein. Z.B. nützt es dem rechtskräftig Verurteilten wenig, wenn er von den Fehlern seines Anwalts Kenntnis hat. Erwartet der Mandant, daß seine Nachforschungen hinsichtlich der geleisteten Qualität ihm nichts einbringen werden, geht der Anreiz des Mandanten, Kontrollkosten zu tragen, noch weiter zurück. Ebenfalls wenig erfolgsversprechend erscheint die Möglichkeit, spezialisierte Dritte (z.B. Anwälte, die sich auf die Qualitätsüberprüfung ihrer Kollegen beschränken) einzuschalten: - Das Wissen um einen guten Anwalt muß nicht interpretiert werden, und viele Personen haben eine Verwendung für eine solche Information; der auf 5 Wein
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die Informationsbereitstellung spezialisierte Anwalt erzeugt also positive Externalitäten im erheblichen Ausmaß. Die Bereitstellung der fehlenden Informationen durch Dritte scheitert somit vermutlich an dem Auftreten von positiven Externalitäten (vgl. auch Abschnitt 3.4.3.2). - Der Mandant kann ebenso wenig wie im Falle der direkten Inanspruchnahme des Anwalts die Informationen des spezialisierten Anwaltes auf ihren "Wahrheitsgehalt" hin überprüfen. - Für eilbedürftige Fragen, z.B. akute Strafverfahren, ist es unmöglich, noch langwierig einen weiteren Anwalt einzuschalten, der sich die Verfahrensvorschläge des ersten Verteidigers auf ihre Tauglichkeit hin ansieht. - In jenen Fällen, in denen sich die asymmetrische Informationsverteilung auf das "hidden action"-Problem nach Vertragsschluß bezieht, wird die Einsatzmöglichkeit eines dritten Akteurs, der die Vorgehensweise des "handelnden" Anwalts überprüft, fragwürdig: Ist der Fehler des Anwalts unumkehrbar und durch Schadensersatzzahlungen nicht beseitigbar (z.B. im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe), nützt es dem Mandanten faktisch nichts, wenn der Dritte einen Fehler des "handelnden" Anwalts entdeckt. Eine besondere Form der Informationsnachfrage seitens des Mandanten stellt die Anstellung eines Syndikus dar: Der Syndikus übernimmt fiir seinen Dienstherrn die Aufgabe, ihn in allen Rechtsfragen zu beraten und zu vertreten; der Dienstherr kann den Syndikus im Rahmen des Anstellungsvertrages besser überwachen als einen unabhängigen Anwalt, durch die regelmäßige Interaktion ergibt sich ein besonderes Vertrauensverhältnis und das Auswahlproblem tritt nur einmal auf. Insofern handelt es sich hier um den Fall einer vertikalen Integration, den man mit Einsparungen auf der Ebene der Transaktionskosten erklären kann (vgl. Williamson 1990 und Abschnitt 3.3.8.2). Ferner ist es mit Hilfe des Syndikus möglich, einen externen Anwalt sachkundig und kostengünstig zu überwachen (vgl. Carr/Mathewson 1990). Der Einsatz eines Syndikus ist freilich nur dann zu erwarten, wenn sein Arbeitsanfall die Kosten aus der Beschäftigung deckt; dies wird in aller Regel nur bei großen Unternehmen der Fall sein. Große Unternehmen sind somit am ehesten in der Lage, das Informationsproblem selbst zu lösen.
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3.3.1.3 Zusammenfassung Die Möglichkeiten des Prinzipals "Mandant" selbst oder mit Hilfe Dritter, Informationsasymmetrien zu seinen Lasten zu verhindern, sind begrenzt. Die Informationsnachfrage des Mandanten ist nicht zu erwarten: Den Mandanten fehlt es am entsprechenden Spezialwissen; die meisten Klienten benötigen nicht sehr häufig einen Anwalt; nur selten geht es für sie um existentielle Fragen; die Anwälte können viele qualitätsrelevante Informationen zurückhalten; und meist ist die nachträgliche Kontrolle für den Mandanten von keinem Nutzen. Der um Rechtsrat Nachsuchende wird auch nur selten Dritte einsetzen können, da er über die Qualität der Dritten kaum besser als über die der Anwälte informiert sein oder die Einschaltung eines Dritten zu viel Zeit erfordern dürfte; aufgrundder Gefahr des Auftretens von positiven Externatitäten ist das Informationsangebot eines Dritten auch recht unwahrscheinlich. Die Risiken in Form von "hidden action" und "hidden information" bestehen also im Falle des Gutes Rechtsberatung weiter. Allein große Unternehmen, für die sich der Einsatz eines Syndikus lohnt, haben gute Chancen, aus eigener Kraft das Problem ungleicher Information im Rechtsberatungsmarkt zu lösen.
3.3.2 Eingehen eines Garantieversprechens Welches Marktergebnis ist beim Gut "Rechtsberatung" zu erwarten, wenn man auf alle staatlichen Eingriffe zur Qualitätssicherung verzichtet und sich ausschließlich auf Garantien verläßt? Im Rahmen des Abschnitts 3.3.2.1 wird beschrieben, wie ein Garantieversprechen im allgemeinen eine Situation verändert, in der eine asymmetrische Informationsverteilung vorliegt. Inwiefern die Anwälte durch das Aussprechen einer Garantie für ihre Leistungen die Prinzipal-Agent-Probleme zu Lasten der Mandanten beseitigen können, behandelt Punkt 3.3.2.2. Abschnitt 3.3.2.3 faßt die Ergebnisse zusammen. 3.3.2.1 Garantieversprechen und ungleiche Information Eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten der Nachfrager beruht auf der Schwierigkeit, ex ante die Qualität des Anbieters einzuschätzen und ex post den Anbieter zu kontrollieren. Ein Produzent, der die Absicht verfolgt, sowohl von Anfang an eine hohe Qualität aufzuweisen als auch nachträglich sein Qualitätsniveau nicht zu verringern, könnte dem Nachfrager "eine Brücke bauen", indem er ein bestimmtes Qualitätsniveau über die gesamte Vertragslaufzeit zusichert (Garantie). Unter der Voraussetzung, daß der Anbieter dieses
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Versprechen auch einhält, ist das Problem der ungleichen Information zu Lasten des Nachfragers beseitigt. 11 Durch das Aussprechen einer Garantie hinsichtlich der Fehler eines Produkts gibt der Verkäufer quasi eine Versicherungserklärung gegenüber dem Käufer ab: Das fehlerhafte Produkt wird ersetzt oder repariert, bzw. der Kaufpreis wird im Falle eines Mangels zurückerstattet. Man kann in diesem Zusammenhang von einer Garantie im engeren Sinne sprechen, denn die Ersatzpflicht in Geldeinheiten gilt höchstens bis zum Kaufpreis. 12 Die geldliche Ersatzpflicht kann allerdings auch über die Reparatur, den Ersatz des Gutes oder die Kaufpreiserstattung hinausgehen: Nach Spremann ( 1988, S. 618 f.) stellen Garantien, die der Agent ausspricht, im weitesten Sinne ein Mittel zur (umfassenden) Verlustbegrenzung beim Prinzipal dar; der Agent sichert dabei dem Prinzipal zu, ihn im Verlustfall durch Nachbesserung oder Nachschuß von eigenen Mitteln (zumindest in Teilen) auch fiir Folgeschäden aller Art zu kompensieren (Haftung). Garantien umfassen in dieser weiten Definition auch Sicherheiten, Bürgschaften, Gewährleistungszusagen oder Nachbesserungen. Der Agent verspricht allerdings durch Garantien kein bestimmtes Ergebnis (Outputniveau), sondern ausschließlich eine unvollständige Verlustbegrenzung bzw. eine umfassende Kompensation. Welche Anreize gibt es aber für qualitativ geringwertige Anbieter, ihre wahre Qualität durch das Einräumen von Garantieversprechen offenzulegen? Diese Frage hat Grossman (1981) anband eines zweistufigen Modells beantwortet: - Der Anbieter, dessen Angaben über die Qualität seines Produkts ex post leicht nachprüfbar sind, kann seine Qualität im Rahmen eines Garantieversprechens glaubhaft zusichern. Z.B. ist es einem Diamantverkäufer möglich, das Gewicht seiner Diamanten vorab offenzulegen und dem Käufer dies durch eine Garantie in der Form zuzusichern, daß bei Abweichungen vom versprochenen Gewicht der Käufer vom Verkauf zurücktreten, eine einwandfreie Nachlieferung oder Schadensersatz fiir Folgeschäden verlangen kann. Zu dieser Art des Garantieversprechens kann man auch Zusicherungen des Herstellers zählen, welche Inputstoffe im weitesten Sinne er fiir die
11 Vgl. zusammenfassend zur Garantie Phlips (1988, S. 57 f.), Spremann (1988), Tirole (1988, S. 106) und von Ungem-Stemberg (1984b).
12 Es ist theoretisch vorstellbar und in Einzeltlilien wird es auch praktiziert, daß der Anbieter dem Konsumenten die Möglichkeit einräumt, die Garantie als Zusatzprodukt zu erwerben (vgl. Phlips 1988, S. 57).
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Produktion verwendet hat oder zu verwenden beabsichtigt. Sollte eine solche Zusicherung nicht der Wahrheit entsprechen, räumt der Produzent dem Konsumenten wieder das Recht ein, beispielsweise vom Vertrag zurückzutreten oder Schadensersatz zu verlangen. - Im Falle jener Güter, in denen es zu teuer wäre, ex ante Informationen über die Qualität des Produkts auszutauschen oder ex post zu überprüfen, mag es fiir die Anbieter die Möglichkeit geben, ex ante ein bestimmtes Ergebnis dem Nachfrager unwiderruflich zuzusagen. In beiden Fällen geht Grossman davon aus, daß die Konsumenten weder bisher die Anbieter kennen noch eine solche Kenntnis zukünftig zu erwarten ist (kein Aufbau von Reputation möglich; vgl Abschnitt 3.3.5). Zunächst sei unterstellt, daß sich die ex ante offenzulegenden Qualitätsinformationen nur auf Sachverhalte beziehen, die ex post leicht nachprüfbar sind. M.a.W.: Die Kosten, um die Qualität des Anbieters ex post zu prüfen und die daraus gewonnenen Informationen zu verbreiten, sollen vernachlässigbar sein. Der Diamantenkäufer kann beispielsweise ohne große Schwiergkeiten das Gewicht des erworbenen Diamanten nachprüfen. Der Arzt kann seinen medizinischen Abschluß oder die Zahl der Kunstfehlerprozesse, in die er verwickelt ist, leicht offenlegen, und der Patient kann diese Angaben unter geringen Kosten nachprüfen; unpräzise Angaben, wie die Aussage: "Ich bin der beste Arzt fiir Magengeschwüre in der Welt", sind dagegen weitgehend nutzlos, da sie kaum überprüfbar sind. Die Zahl der verkauften Orangen ist wieder leicht verifizierbar, nicht aber, ob der Genuß von Orangen glücklich macht. Anband von Plausibilitätserwägungen läßt sich zeigen, daß ein Anbieter unter der Annahme ex post leicht nachprüfbarer Angaben seinen Nutzen maximiert, indem er genau seine tatsächliche Qualität offenlegt. 13 Da der Anbieter aufgrund der kostenlosen Nachprüfungsmöglichkeit seiner Angaben mit einer Aufdeckung falscher Zusagen und entsprechenden Konsequenzen (z.B. Schadensersatzverpflichtungen) rechnen muß, wird er nur zutreffende Informationen bekanntgeben. Folglich geht es nur noch darum, in welchem Ausmaße die Anbieter die Wahrheit "sagen". Man stelle sich beispielsweise einen Monopolisten vor, der in Kisten verpackte Äpfel verkaufen möchte. Er kann außen an der Kiste die genaue Anzahl der in der Kiste befindlichen Äpfel vermerken. Darüber hinaus hat er allerdings auch die Möglichkeit, auf eine Mengenangabe zu
13 Zu dem ausftlhrlichen formalen Nachweis siehe Grossman (1981, S. 464-470 und der dortige Anhang A).
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verzichten oder die enthaltene Menge nur unpräzise (z.B. mindestens drei Äpfel) offenzulegen. Unterstellt sei, der Käufer könne aus der Gestalt der Kiste nur schließen, daß die Anzahl der Äpfel in der Kiste zwischen 0 und 100 schwanke, und nur der Verkäufer kenne den präzisen Inhalt der Kisten. Gibt beispielsweise der Verkäufer bekannt, daß sechs, sieben oder neun Äpfel in der Kiste seien, welche Informationen lassen sich hieraus ableiten? Da unwahre Angaben nicht möglich sind, kann der Nachfrager gewiß sein, daß entweder die Zahl sechs, sieben oder neun zutrifft. Wäre der Nachfrager sicher, daß die Angabe "sieben" oder "neun" der Wahrheit entspräche, würde der Nachfrager mehr zahlen als bei der unpräziseren Information. Folglich würde ein Anbieter mit sieben (neun) Äpfel in der Kiste diese Zahl auch bekanntgeben, um einen höheren Preis zu erhalten. Da dem Konsumenten nicht verborgen bleiben wird, daß ein qualitativ hochwertiger Anbieter präzise Zahlenangaben offenlegt, leitet der Konsument aus einer unpräzisen Angabe ab, daß die niedrigste angegebene Qualität, hier sechs Äpfel in der Kiste, zutrifft. Folglich haben die Anbieter ein großes Interesse daran, ihre präzise Qualität offenzulegen; es sei denn, sie weisen die schlechteste Qualitätsstufe auf. Welche Informationen geben allerdings die Anbieter bekannt, wenn man die Annahme der leicht ex post nachprüfbaren Qualität fallen läßt? Ich gehe im folgenden davon aus, daß die Kosten zur Offenlegung der Qualität aus Sicht des Anbieters oder die Kosten der Nachfrager zur Prüfung der anbieterseitigen Angaben höher sind als die Nutzenunterschiede zwischen einem guten und schlechten Gut. M.a.W.; Qualitätsangaben werden ex post nicht nachgeprüft_. 4 Stattdessen soll der Anbieter dem Konsumenten ein bestimmtes Ergebnis, je nachdem welcher Umweltzustand sich einstellt, zusichern können; die realisierten Umweltzustände müssen beide Marktseiten nachträglich leicht, d.h. zu geringen Kosten und ohne Interpretationsprobleme, beobachten können. Ferner darf der Nachfrager keinen Einfluß auf das Ergebnis haben, d.h. "hidden action" seitens des Nachfragers bleibt (zunächst) ausgeschlossen. Welches Ergebnis werden in diesem Falle die Anbieter zusichern, und variiert die Zusicherung mit der dem Anbieter verlUgbaren Qualität? Unter den Annahmen, daß sich die Nachfrager risikoavers verhalten und vollständige Information über die Qualität der Anbieter vorliegt, präferieren die Nachfrager eine vollständige Garantie.15 Die Nachfrager streben also eine "Vollversiche-
14 Wie bisher sollen nur die Anbieter die wahre Qualität kennen (asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten der Nachfrager) sowie keine langfristigen Vertragsbeziehungen zwischen Anbieter und Nachfrager bestehen.
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Vgl. hierzu und zum folgenden ausfilhrlich Grossman (1981, S. 472-477 und Anhang 8).
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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rung" an, d.h. unabhängig von dem sich tatsächlich einstellenden Umweltzustand soll sich ftlr sie immer das gleiche Nutzenniveau ergeben, denn die Anbieter können aufgrund der ihnen zugebilligten größeren Risikofreude die Risiken besser als die Nachfrager tragen. Durch die Berücksichtigung einer asymmetrischen Informationsverteilung zu Lasten des Nachfragers verändert sich dieses Kalkül nicht, was die nachfolgenden Überlegungen zeigen. Jeder Konsument weiß, daß es ftlr einen Anbieter mit hoher Qualität in jedem Fall gewinnmaximierend wäre, das Gut mit vollständiger Garantie zu verkaufen. Die Zahlungsbereitschaft des Nachfragers ist dann am höchsten, und der Anbieter muß aufgrund seiner hohen Qualität den Garantiefall am wenigsten fUrchten. Unterhalb der vollständigen Garantie bietet ein Produzent nur dann an, wenn er sich dadurch besser stellt als im Fall der umfassenden Garantie; ergo muß dieser Anbieter eine geringere Qualität aufweisen. Der Konsument erzielt aus einem Gut mit reduziertem Garantieumfang einen geringeren Nutzen, als er an Kosten in Form des vom Anbieter geforderten Preises aufwenden muß, daher lehnt er den Kauf eines Gutes mit unvollständiger Garantie ab; die Konsumenten kaufen nur Güter mit umfassender Garantie. 16 Nach Grassman werden also Anbieter, die eine hohe Qualität aufweisen, durch das Einräumen einer vollständigen Garantie im Form der Zusicherung eines bestimmten Nutzenniveaus signalisieren wollen und können, daß sie eine hohe Qualität ex ante aufweisen (Lösung des "hidden-information"-Problems). Darüber hinaus würden Anbieter hoher Qualität, die eine Vollversicherung eingehen, sich selbst schädigen, wenn sie während der Vertragslaufzeit die Qualität senken (kein "hidden-action"-Problem). Durch das Angebot von "Voll-" bzw. "Teilversicherungen" wird das Problem ungleicher Information umfassend gelöst. 17
16 Hebt man die Annahme der identische Konsumenten auf, hat der hier unterstellte Monopolist u.U. ein Interesse daran, unterschiedliche Garantieumfllnge anzubieten, um Preise zu diskriminieren. Das bisherige Ergebnis wird in Frage gestellt. Möglicherweise gibt es aber andere Instrumente, die den gleichen preisdiskriminierenden Effekt erreichen (vgl. Grossman 1981, S. 478 f.). 17 Im Falle anderer Signaling-Modelle, wie z.B. von Spence (1977), gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Anbietem, deren Grenzkosten von der angebotenen Qualität abhängen. Im Gleichgewicht existieren eine Reihe von Qualitäten und Garantien, wobei Anbieter mit hoher Qualität umfassendere Garantien anbieten als Anbieter mit niedriger Qualität; insofern funktionieren Garantieversprechen als Signalinginstrument. Hier gibt es gewichtige Unterschiede zu der Aussage von Grossman (1981): Die Konsumenten benötigen statistische Informationen Ober den Zusammenhang zwischen Qualität und Garantien; es gibt eine Vielzahl von konkurrierenden Anbietem; und die Konsumenten können nur etwas aus der Gleichgewichtssituation ablesen (Bei Grossman leiten sie ausschließlich etwas daraus ab, daß der Monopolist von dem optimalen Vertrag unter vollständiger Information abweicht). Insofern bietet Grossman ein schwächeres, d.h. engeres Gleichgewichtskonzept als Spence.
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3 Ungleiche Infonnation
Vielfach ist freilich zu beobachten, daß entweder das Garantieversprechen unvollständig erteilt, gar keine Garantie eingeräumt wird oder Garantien wirkungslos sind. Als Erklärung fiir diese Beobachtungen bieten sich eine Reihe von Ursachen an: - Bei Gütern, deren Qualität sich vor allem in ihrer Haltbarkeit niederschlägt, muß der Konsument das Gut über einen längeren Zeitraum benützen, um die Qualität feststellen zu können. Möglicherweise ist dann die Garantie bereits abgelaufen (vgl. Tirole 1988, S. I 06). - In jenen Fällen, in denen die Qualität auch vom Verhalten des Prinzipals abhängig ist, entstehen "hidden-action"-Probleme zu Lasten des Agenten: Der Prinzipal hat dann keine Anreize, sich vorsichtig zu verhalten, wenn er im Falle schlechter Qualität durch eine Ersatzzahlung völlig entschädigt wird ("Vollversicherung"). Um dieses Problem zu umgehen, bieten selbst qualitativ hochwertige Agenten fiir alle Prinzipals, auch fiir die Vorsichtigen, nur Garantien an, die den Ersatzumfang unterhalb des maximalen Niveaus festlegen ("Teilversicherung"). Das "erwünschte" Ergebnis, wonach qualitativ hochwertige Agenten eine Voll- und qualitativ geringwertige Agenten eine TeilversicRerung und damit bereits ex ante die Prinzipals aus den unterschiedlichen Garantien zutreffend die wahre Qualität jedes beliebigen Agenten ablesen können, kommt aufgrundder "hidden-action"-Probleme zu Lasten der Agenten nicht zustande. 18 - Unvollständige Garantien können auch die Funktion übernehmen, eine ex ante bestehende asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten der Produzenten zu vermeiden: Güter mit vollständiger Garantie zu hohen Preisen fragen dann die "hochriskanten" Konsumenten nach; Güter mit unvollständiger Garantie und niedrigen Preisen sind dagegen fiir die risikoarmen Konsumenten vorteilhaft. Es ergibt sich durch ein variables Angebot im Hinblick auf den Garantieumfang wieder ein separierendes Gleichgewicht, so daß ein bestehendes "hidden-information"-Problem zu Lasten der Produzenten vermieden wird (vgl. Tirole 1988, S. 106). Für risikoarme Konsumenten jedoch gilt in diesem Falle weiterhin, daß sie das Problem ungleicher Information zu ihren Lasten nicht lösen können, denn in diesem Fall deutet ein Angebot mit unvollständiger Garantie nicht notwendig auf einen qualitativ schlechten Anbieter hin.
18 Vgl. hierzu Phlips (1988, S. 58), Tirole (1988, S. 106) und von Ungem-Stemberg (1984, S. 725 f. und 735-737).
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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- Kann der Agent Handlungen ergreifen, die erst nach Beendigung der Vertragsbeziehung auf den Prinzipal negativ zurtickwirken und sind diese vom Prinzipal nicht beobachtbar, bleibt das "hidden-action"-Problem zumindest in Teilen weiterbestehen (vgl. Stiglitz 1987, S. 968). Im Falle der Verpachtung von Boden wäre z.B. vorstellbar, daß durch übertriebenen Düngereinsatz die Bodenqualität erst nach Ablauf des Vertragsdauer nachhaltig geschädigt wird. - Garantien, die dem Prinzipal ein bestimmtes Ergebnis zusichern, sind unglaubwürdig und nutzlos, wenn der Agent nicht die entsprechenden Mittel aufweist oder "im Ernstfall" nicht auf Ressourcen Dritter zurtickgreifen kann (vgl. Spremann 1988, S. 620 und Stiglitz 1987, S. 967 f.). - Ein Garantie ist nur dann einsetzbar, wenn ein schlechtes Ergebnis auch reversibel ist, d.h. eine Nachbesserung oder eine Kompensation muß möglich sein. Ferner ist zu vermuten, daß bei manchen Schäden, z.B. Gesundheitsschäden, die erforderlichen Entschädigungen prohibitiv hoch sind und aus diesem Grund keine Garantie angeboten wird (vgl. Spremann 1988, S. 621). - Durch eine umfassende Garantie trägt der Agent letztendlich das gesamte, inklusive das vom Agenten nicht zu beeinflußende Risiko (z.B. die stochastische Komponente). Dies ist nur effizient, wenn sich der Agent weniger risikoavers verhält als der Prinzipal oder der Agent unabhängig voneinander mehrere Prinzipale bedient; im letzteren Fall wird u.U. das Gesamtrisiko durch das Gesetz der großen Zahl geringer (vgl. Spremann 1988, S. 621). 19 M.a.W.; gibt es keine großen Unterschiede in der Risikoneigung zwischen Agent und Prinzipal, ist gar der Prinzipal risikofreudiger eingestellt, oder ist das Gesetz der großen Zahl nicht anwendbar, wird es im Falle eines bedeutenden stochastischen Risikos unwahrscheinlich, daß der Agent bei gegebenem Preis die Garantie übernimmt bzw. der Prinzipal den vom Agenten geforderten hohen Preis zu tragen bereit ist. - Falls der Prinzipal den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe des Agenten nicht einschätzen kann, besteht filr den Prinzipal die Gefahr, daß der festgesetzte Betrag filr die Garantie zu hoch ausfallt; auch schon ein geringerer Betrag hätte ausgereicht, den Agenten zur gewünschten Handlung zu fiihren. Der Prinzipal verliert unnötigerweise Gewinne, so daß beim Prinzipal die übliche Nutzenmaximierungsannahme verletzt wird (vgl. Stiglitz 1987, S. 968).
19 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von stochastischen Größenersparnissen (vgl. Fritsch/Wein!Ewers 1993, S. 125).
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3 Ungleiche Infonnation
Die Vielzahl der vorgetragenen Argumente zeigt, warum in vielen Fällen Garantien nicht oder nur in geringem Umfang eingeräumt werden. Insbesondere wenn der Prinzipal einen Einfluß auf das Vertragsergebnis (ex ante oder ex post) nehmen kann, ist es auch fiir einen qualitativ hochwertigen Anbieter nicht sinnvoll, sich durch einen Vertrag mit Vollversicherung von seinen qualitativ geringwertigeren Konkurrenten abzuheben; das Instrument "Garantie" ist dann nicht dazu in der Lage, eine bestehende asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten der Prinzipale zu beseitigen. 20 3.3.2.2 Garantien und Haftung bei Rechtsanwälten Zwischen dem Mandanten und dem Anwalt besteht ein Prinzipal-Agent-Problem, da der Mandant Schwierigkeiten hat, die Qualität des Anwalts vorab einzuschätzen und ex post die korrekte Erfiillung des Mandats seitens des beauftragten Anwalts zu überprüfen (vgl. hierzu ausruhrlieh Abschnitt 3.2.2). Im folgenden beschreibe ich die Funktionsweise des Marktes fiir Rechtsberatung, wenn man ausschließlich die Möglichkeit einbezieht, daß ein Rechtsanwalt eine Garantie fiir seine Beratungsleistung ausspricht. Garantien im engeren Sinne bei Anwälten, in denen sich der Anwalt nur bereit erklärt, im schlimmsten Fall auf sein Honorar zu verzichten, sind fiir die meisten Mandanten nutzlos. Das Honorar ist im Vergleich zu dem, was bei einem Rechtsstreit auf dem Spiel steht, in aller Regel so gering, daß eine solche Zusicherung das Problem ungleicher Information kaum löst. Infolgedessen gehe ich beim folgenden nur von Garantien im weiteren Sinne aus, in denen der Anwalt auch fiir die Folgen seines Fehlverhaltens eintritt (Haftung). Ich beschränke mich zunächst auf zivilrechtliche Ansprüche, bei denen ein Ersatz des im Prozeß verlorenen Anspruchs durch Geldzahlungen noch relativ leicht möglich ist. Auf die Probleme der Umsetzung einer solchen "Erfolgshonorierung" in anderen Rechtsgebieten komme ich später zurück. Wie ich im vorhergehenden Abschnitt allgemein dargelegt habe, kann ein Garantieversprechen in zweierlei Weise geschehen: Der Agent sichert ex ante Merkmale der eigenen Person bzw. Eigenschaften seiner Dienstleistung zu, die ex post leicht nachprüfbar sind, oder er verspricht dem Prinzipal ein bestimmtes am Ende des Vertrages sich einstellendes Ergebnis. Zunächst bespreche ich die erste Form der Garantie, die hinsichtlich leicht nachprüfbarer Merkmale und Eigenschaften der Anwälte. Beschränkt sich der Anwalt auf die 20 Unter bestimmten Annahmen gibt es einen Substi~ionszusammenhang zwischen Reputation und Garantie (vgl. hierzu von Ungem-Stemberg 1984, ~ 732 f. bzw. Rapold 1988, S. 3-6 und S. 86-93).
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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Möglichkeit der Offenlegung bestimmter Merkmale, wird er z.B. die Art der abgeschlossenen Ausbildung mit den absolvierten Ausbildungsinhalten oder die Zahl der positiv beendeten Fälle herausstellen und die Richtigkeit dieser Aussage damit unterstreichen, daß er im Falle einer unzutreffenden Information das gezahlte Honorar zurückzahlt bzw. (zumindest in Teilen) Schadensersatz leistet. Zwar wäre hier zu erwarten, daß diese leicht nachprüfbaren Merkmale offengelegt werden, aber der Informationswert dieser Angaben ist für den Mandanten eher gering: Die Information, daß der Rechtsanwalt eine Ausbildung mit einem bestimmten Inhalt bzw. mit einer bestimmten Note abgeschlossen hat, hilft dem Mandanten zwar bei der Auswahl eines qualifizierten Anwalts im gewissen Maße weiter; das Problem der "hidden action" wird dadurch keinesfalls gelöst. Auch die Zahl der erfolgreich abgeschlossenen Fälle ist für den Mandanten nur für das Qualifikationsproblem und dort ebenfalls nur von begrenztem Wert, denn ein relativ hoher Anteil erfolgreicher Fälle kann durchaus auf Zufalligkeiten oder eine besonders glückliche Hand bei der Auswahl risikoloser Fälle beruhen. M.a.W.; im Falle der Offenlegung leicht nachprüfbarer Merkmale, deren Richtigkeit durch das Aussprechen einer Garantie bekräftigt wird, erhält zwar der Mandant gewisse Informationen über die Exante-Qualifikation eines Anwalts, es ist aber erstens fraglich, ob ein Zusammenhang zwischen der offengelegten Information und der erwünschten Qualität besteht. Zweitens können diese Angaben nicht dazu führen, ex post vertragswidriges Verhalten des Anwalts zu verhindern. Welche Arten von Garantieversprechen müßte der Anwalt für seine Beratungsleistung abgeben, wenn er sich auf die Zusicherung bestimmter Eigenschaften der Dienstleistung beschränkt? Beispielsweise würde der Anwalt versprechen, daß er die Beratung mit der notwendigen Sorgfalt betreibt oder die erforderliche, d.h. die zur sachgerechten Bearbeitung des angetragenen Falles notwendige Qualifikation aufweist. Werden diese Zusicherungen nicht eingehalten, ist der Anwalt wieder bereit, auf das Honorar zu verzichten oder gar (zumindest zum Teil) für den entstehenden Schaden einzustehen. Solche Garantieversprechen sind freilich schwer kontrollierbar, denn welches Sorgfaltsniveau ist im Einzelfall erforderlich und welche Qualifikation reicht zur sinnvollen Bearbeitung eines bestimmten Mandats aus? Angenommen, diese Frage wäre beantwortbar, kann dann der Mandant eine Abweichung nach unten notfalls auch vor Gericht nachweisen? Beide Fragen deuten daraufhin, daß im Falle der anwaltliehen Leistung derartige Garantieversprechen ex post gar nicht oder nur unter sehr hohen Kosten nachprüfbar sind. Ein solche Zusicherung bestimmter, letztendlich kaum nachprüfbarer Eigenschaften ist daher kaum geeignet, daß Prinzipal-Agent-Problem zwischen Anwalt und Mandant zu lösen.
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3 Ungleiche Information
Die andere Möglichkeit, wie man einen Garantieanspruch einräumen kann, besteht darin, daß der Anwalt dem Mandanten ein bestimmtes Ex-post-Ergebnis im vorhineinfest zusichert. In Abhängigkeit vom Ausgang des Verfahrens wird dem Mandanten ex ante jeweils ein bestimmtes Nutzenniveau fest versprochen (eine Form des Erfolgshonorars; vgl. auch Abschnitt 5.5); sollte es sich später zeigen, daß die Versprechungen des Anwalts hinsichtlich des Rechtsstreits nicht realisierbar sind, tritt der Anwalt mit dem eigenen Vermögen ein und kompensiert den Mandanten in gewissem Maße. M.a.W.: Der Anwalt übernimmt eine Garantie in Form einer Haftung für das Ergebnis. Unter der Annahme, daß sich die Mandanten als Prinzipale risikoaverser als die Agenten "Anwälte" verhalten oder die Anwälte aufgrund der Vielzahl der von ihnen bearbeiteten Fälle (und der damit verbundenen Möglichkeit zur Anwendung des Gesetzes der großen Zahl) Risiken besser ausgleichen können, würden qualitativ hochwertige Anwälte hier die Garantie in der Form aussprechen, daß der Mandant unabhängig vom Ausgang des strittigen Verfahrens mit Sicherheit ein konstantes Nutzenniveau erreicht (Situation der "Vollversicherung"; Erfolgshonorar mit festem Nutzen fiir den Mandanten), weil sie damit ihre Gewinne maximieren können {höhere Zahlungsbereitschaft der Mandanten aufgrund der geringeren Mißerfolgswahrscheinlichkeit qualitativ hochwertiger Anwälte). Qualitativ schlechte Anwälte würden nur Vereinbarungen anbieten, die einen Teil des Risikos auf die Mandanten überwälzen (Situation der "Teilversicherung"). Folglich leiten die Mandanten aus einem Angebot mit "Teilversicherung" ab, daß es sich um einen qualitativ schlechten Anwalt handelt. Die Mandanten weigern sich, analog zum Modell im vorhergehenden Abschnitt, aufgrund der erkennbar schlechten Qualität eines auf eine "Teilversicherung" beharrenden Anwalts und des von ihm geforderten Honorars mit dieser Teilgruppe der Anwaltschaft in Vertragsbeziehungen zu treten. Zusammenfassend gilt also, daß die Anwälte durch das Angebot einer "Vollversicherung" bzw. einer "Teilversicherung" ihre gute bzw. schlechte Qualität glaubhaft signalisieren. Da bei einer "Vollversicherung" das sich am Ende einstellende Ergebnis des Rechtsstreits für den Mandanten unwichtig wird, sind auch möglicherweise auftretende "hidden-action"-Probleme, die der Anwalt verursacht, unerheblich?1 Im Falle eines anwaltliehen Angebots zu Konditionen einer "Vollversicherung" werden die Probleme ungleicher Information zu Lasten der Mandanten umfassend beseitigt. Wie kann man sich ein solches konstantes Nutzenniveau aber in der Praxis vorstellen? Eine Möglichkeit läßt sich am Beispiel eines Mandanten verdeutlichen, der einen Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrages unter Mithilfe eines
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Zu den "hidden-action"-Problemen, die der Mandant verursachen könnte, siehe unten.
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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Anwaltes durchsetzen will. Der Mandant trägt in diesem Fall einem Anwalt sein Anliegen vor und fragt ihn, zu welchem vorab an den Mandanten zu zahlenden "(Fest-)Preis" er diesen Fall übernehmen würde. Als Gegenleistung tritt der Mandant dem Anwalt seinen Anspruch ab. Der Anwalt kann natürlich den Anspruch des Mandanten nur im Fall des Obsiegens vor Gericht bzw. bei einer außergerichtlichen Anerkennung des Anspruchs geltend machen. Unter dieser Regelung geht zweifellos der Anwalt das Risiko ein, im Unterliegensfall nicht nur keinen Geldbetrag von der gegnerischen Partei zu erhalten, sondern auch noch den "(Fest)-Preis" an den Mandanten "umsonst" gezahlt zu haben. Nun wird das Beispiel eines Mandanten betrachtet, der sich als Beklagter dem Anspruch auf Zahlung eines bestimmten Geldbetrages erwehren muß. Für diesen Mandanten, der sein Anliegen einem Anwalt vorträgt, ist von Interesse, welchen Festbetrag er vorab dem Anwalt zahlen muß, damit jener ihn unter folgender Honorarvereinbarung vertritt: Im Erfolgsfall, d.h. der Anspruch kann abgewehrt werden, behält der Anwalt den vom Mandanten an ihm ausgezahlten Festbetrag; bei einem negativen Ausgang muß der Anwalt die an die gegnerische Partei zu zahlende Summe aufbringen, die er mit dem Festbetrag verrechnen kann. In beiden Fällen besteht die Frage, ob auch ein qualitativ hochwertiger Anwalt bereit ist, einen solchen "Vollversicherungsvertrag" abzuschließen. Seine Bereitschaft wird hierbei auch von dem ihm nicht-beeinflußbaren Risiko des Scheiteros (z.B. die stochastische Komponente der anwaltliehen Leistung; vgl. hierzu Abschnitt 3.2.2.1) beeinflußt, das er bei einer solchen "Vollversicherungs"-Vereinbarung gänzlich mit übernimmt. Auch ein qualitativ hochwertiger Anwalt wird tendenziell eine solche Honorarvereinbarung verweigern, wenn die von ihm nicht beeinflußbare Mißerfolgswahrscheinlichkeit hoch ist. Der letzte Punkt leitet direkt zu der Frage über, ob überhaupt und in welcher Situation mittels eines Garantieanspruchs in der Form eines "Vollversicherungsvertrages" die bestehende Situation einer asymmetrischen Informationsverteilung zu Lasten der Mandanten überwunden werden kann. Ein solche Lösung ist nur unter folgenden Voraussetzungen zu erwarten: - Das vom Anwalt nicht beeinflußbare Risiko darf nicht zu groß sein. D.h. in Rechtsfällen, in denen eine hohe Mißerfolgswahrscheinlichkeit besteht und/ oder der abzuwehrende Anspruch betragsmäßig sehr groß (hohes Risiko) bzw. der einzuklagende Anspruch gering ist (niedriger Ertrag), werden auch Anwälte mit hoher Qualität das Mandat nicht übernehmen. Das Problem der bestehenden asymmetrischen Informationsverteilung kann also nur im gegenteiligen Falle durch eine solche Form der Garantie gelöst werden. - Anwälte müssen risikoaverser als ihre Mandanten oder das Gesetz der großen Zahl muß anwendbar sein (s.o.).
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3 Ungleiche Information
- Der Mandant darf unter dieser Garantieregelung nicht die Möglichkeit besitzen, unkontrolliert den erforderlichen Mitwirkungsumfang zu senken. Denn wenn der Anwalt darauf angewiesen ist, daß der Mandant fiir einen positiven Ausgang des Rechtsstreits "mithilft", tritt ein "hidden-action"-Problem zu Lasten des Anwalts auf. Jedoch hat der Anwalt eine sehr hohe Sachkenntnis, so daß er relativ leicht ex-post-vertragswidriges Verhalten sanktionieren kann ~vgl. Abschnitt 3.2.2.2). Die Frage ist allerdings, ob er sich damit vor Gericht gut exkulpieren kann. D.h. wann endet die Haftung des Anwalts im Falle eines Fehlverhaltens des Mandanten, und wie beweist der Anwalt dies? Hier kann man sich durchaus vorstellen, daß ein gewichtiges Problem besteht. - Im Falle des Aussprechens einer vollständigen Garantie besteht fiir die Anwälte das Risiko, zu viele riskante (in der Regel tiefe Erfolgswahrscheinlichkeiten aufweisende) Mandanten anzuziehen (ex-ante-Problem ungleicher Information zu Lasten der Anwälte). Dieses "Hindernis" ist aber fiir die (qualitativ hochwertigen) Anwälte lösbar, da sie die Mandanten eingehend befragen und dann "hochriskante" Mandanten ablehnen können (vgl. Abschnitt 3.2.2.4). - Der Anwalt muß die erforderlichen Mittel aufweisen, um den "Festbetrag" vorab an den Mandanten transferieren zu können. - Im Falle des Unterliegens müssen die Folgen fiir den Mandanten in Geld kompensierbar sein; ansonsten ist auch der qualitativ hochwertige Anwalt nicht dazu in der Lage, dem Mandanten ein bestimmtes, vom Ausgang des Verfahrens unabhängiges Nutzenniveau zu versprechen. Im Strafrecht ist eine solche vollständige Garantie vielfach nicht einfiihrbar, da im Falle des Mißerfolgs nur der Mandant und nicht der Anwalt ins Gefängnis gehen muß (Ausnahme: Übernahme einer Geldstrafe). Auch im Verwaltungs- und Arbeitsgerichtsprozeß kann der Anwalt die gewünschte Rechtsfolge (z.B. Erteilung einer Baugenehmigung oder Wiedereinstellung in ein Arbeitsverhältnis) nicht herheifiihren. Im Einzelfall mag hier theoretisch eine entsprechende Kompensationszahlung vorstellbar sein. Da aber eine solche Kompensationszahlung in der Regel sehr hoch ausfallen dürfte, wird kaum ein Anwalt ein solches Risiko eingehen. - Der immaterielle Nutzen eines Rechtsstreits muß gering sein. Auch ein qualitativ hochwertiger Anwalt, der durch die Abtretung eines Anspruches honoriert wird, entscheidet in der Regel anband des zu erwartenden materiellen Ertrages aus dem Anspruch, ob er den Fall übernimmt; wenn nun der Nutzen des Falls fiir den Mandanten vor allem immaterieller Art ist, z.B. der
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Wunsch nach Gerechtigkeit, kann der Mandant dem Anwalt praktisch "nichts versprechen"; es sei denn, der Anwalt würde den immateriellen Nutzen ebenfalls und in gleicher Höhe in sein Kalkül einbeziehen. Vermutlich werden die Anwälte den bei ihren Mandanten anfallenden immateriellen Nutzen in rechtlichen Auseinandersetzungen kaum berücksichtigen, so daß derartige Mandate unter dieser Honorierungsart nicht übernommen werden. - Der Festbetrag an den Anwalt als Gegenleistung für das Garantieversprechen muß den Nutzen des Mandanten maximieren. Ist er zu niedrig, verschenkt der Mandant einen Ertrag aus einem Rechtsanpruch an den Anwalt, ohne daß dies für die gewünschte Hilfestellung des Anwalts nötig gewesen wäre. Aus der Summe der zusammengetragenen Argumente kann man ableiten, daß in der Regel ein Festentgeltarrangement, in dem der Anwalt dem Mandanten quasi den Anspruch auf eigenes Risiko abkauft, nicht zustande kommt. Da nur ein solche Form der Garantie das Problem ungleicher Information vollständig beseitigen kann, liegt hier erhebliche Skepsis hinsichtlich der Funktionsfähigkeit des marktliehen Instruments "Garantie" bei ungleicher Information zu Lasten der Mandanten vor. 3.3.2.3 Zusammenfassung Die Ausführungen zur Garantie weisen nach, daß qualitativ hochwertige Anbieter Merkmale, die für eine hohe Qualität sprechen, oder bestimmte Eigenschaften des Gutes freiwillig und wahrheitsgemäß offenlegen, wenn die Merkmale oder Eigenschaften ex post zu geringen Kosten geprüft werden können. Die Ersatzpflicht aus dem Garantieversprechen kann sich im engeren Sinne auf die Nachbesserung, Nachlieferung bzw. Rückerstattung des Kaufpreises beziehen oder im weiteren Sinne darauf abzielen, die Folgeschäden teilweise oder ganz zu ersetzen (Haftung). Dem Mandanten geht es in aller Regel um die Absicherung in Form einer Haftung, denn Anwälte schlechter Qualität haben für den Mandanten meistens weitaus gewichtigere negative Konsequenzen hinsichtlich der Folgeschäden als das nutzlos gezahlte Honorar. Für die anwaltliehe Leistung ist es aber mehr als zweifelhaft, ob der Anwalt Zusicherungen über die Eigenschaften seiner Beratung abgeben kann, die ex post zu geringen Kosten nachgeprüft werden können: Gerade die entscheidenden Faktoren für eine qualitativ hochstehende Rechtsberatung, wie die Verwendung einer ausreichenden Sorgfalt oder das Vorhandensein der notwendigen Qualifikation, sind kaum beschreibbar, geschweige denn leicht juristisch überprüfbar. Anwälte können dagegen eher persönliche Merkmale wie Art und Umfang der abgeschlossenen Ausbildung oder die Zahl der erfolgreich abgeschlossenen Mandate
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3 Ungleiche Infonnation
in den vergangenen Jahren bekanntgeben und mit einem Garantieversprechen verbinden, denn diese Angaben sind zu geringen Kosten nachträglich verifizierbar. Diese Informationen geben aber nur Auskunft über die ex ante vorhandene Qualität, d.h. sie bekämpfen ausschließlich das "hidden-information"Problem und nicht auch die Gefahr der "hidden action". Ferner bestehen nicht unerhebliche Zweifel, ob zwischen den offengelegten Informationen und der notwendigen Qualität ein inhaltlich enger Zusammenhang besteht. Insofern ist gegen die Erwartung, mit dieser Form des Garantieversprechens das Problem der asymmetrischen Informationsverteilung zu lösen, erhebliche Skepsis angebracht. Eher erfolgsversprechend ist dagegen, daß die Anwälte Garantien einräumen, in denen die Anwälte den Mandanten in Abhängigkeit vom später sich einstellenden Umweltzustand (Unterliegen, teilweises oder vollständiges Obsiegen vor Gericht), der zu geringen Kosten ex post erkennbar ist, jeweils ein bestimmtes Nutzenniveau fest zusichern. Unter den Annahmen, daß die Mandanten risikoaverser als die Anwälte sind und die Anwälte aufgrund der Vielzahl der von ihnen vertretenen Mandanten auf das Gesetz der großen Zahl vertrauen können, wodurch die Anwälte zur Risikoübernahme besser in der Lage sind, werden qualitativ hochwertige Anwälte den Mandanten eine Garantie in der Form anbieten, daß unabhängig vom Verfahrensausgang die Mandanten mit Sicherheit ein konstantes Nutzenniveau erreichen: Die Mandanten übertragen gegen eine Gebühr an den Anwalt im Falle der Abwehr eines Anspruchs und gegen ein Entgelt vom Anwalt im Falle der Durchsetzung einer Forderung das volle Risiko auf den Anwalt; der weitere Verlauf des Verfahrens hat dann keine Rückwirkungen mehr auf den Mandanten ("Vollversicherung"). Schlechte Anwälte lassen sich aufgrund ihrer höheren Mißerfolgswahrscheinlichkeit, z.B. aufgrund ihrer ungenügenden Qualifikation, auf eine solche Garantie nicht ein und präferieren dagegen Absprachen, die einen Teil des Risikos dem Mandanten belassen ("Teilversicherung"). Da die Mandanten wissen, daß sich jeder qualitativ hochwertige Anbieter durch eine umfassende Garantie besser stellt, weil er als offenkundig qualitativ hochwertiger Anwalt vom Mandanten ein höheres Honorar erhält, schließen sie aus einem anwaltliehen Angebot unter der Kondition einer "Teilversicherung" zurück, daß es sich um einen qualitativ geringwertigen Anbieter handelt. M.a.W.; aus der Bereitschaft, ein Mandat unter einer bestimmten Honorarregelung zu übernehmen, können die Mandanten bereits ex ante zuverlässig die Qualität des jeweiligen Anwalts ablesen. Damit ein solches separierendes Gleichgewicht zustande kommt und somit die asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten der Mandanten beseitigt wird, müssen noch weitere Voraussetzungen gegeben sein. Erstens darf das vom Anwalt nicht beeinflußbare Risiko nicht zu groß ausfallen, denn sonst
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muß der Risikozuschlag des Anwalts so hoch sein, daß der Mandant nicht mehr bereit ist, diesen Vertrag abzuschließen. Bei gegebenem Honorar ist dann alternativ möglich, daß auch ein qualitativ hochwertiger Anwalt einen solchen Vertrag nicht eingeht. Das Qualitätsproblem bleibt in beiden Fällen bestehen. Zweitens könnte auch zusätzlich eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten der Anwälte bestehen, so daß sie, um den Gefahren der "hidden information" und "hidden action" aus dem Weg zu gehen, nur Teilversicherungsvereinbarungen änbieten. Aufgund der hohen Sachkenntnis eines qualitativ hochwertigen Anwalts ist ein solches Informationsproblem nur bei "hidden action" zu erwarten. Drittens wäre eine solche Garantie vor allem bei zivilrechtliehen Ansprüchen denkbar, denn bei den anderen Rechtsgebieten wie dem Straf-, Verwaltungs- und Arbeitsrecht ist eine Kompensation in Geld seitens des Anwalts vielfach nicht oder nur mit sehr hohen Summen möglich. Letzteres fUhrt dann in aller Regel wieder dazu, daß der Mandant die erforderliche Risikoprämie nicht zu zahlen bereit ist oder der Anwalt die Bereitschaft zur Übernahme des Mandats zurückzieht. Viertens darf die immaterielle Nutzenkomponente eines Rechtsstreits kein zu großes Gewicht haben, denn die Mitberücksichtung dieser Komponente bei den Anwälten stößt auf Schwierigkeiten. Fünftens muß eine solche Vereinbarung aus Sicht des Mandanten nutzenmaximierend sein. Die genannten Hürden sind so hoch, daß ein separierendes Gleichgewicht mit Vollversicherung durch qualitativ hochwertige Anwälte und Teilversicherung bei relativ schlechten Anwälten kaum zu erwarten ist.
3. 3. 3 Strategische Preisbildung Im Abschnitt 3.3.2.2 konnte gezeigt werden, daß die fiir die Mandanten risikofreie Garantieform, bei der sie der Anwalt vom Ausgang des Rechtsstreits völlig unabhängig macht, kaum einsatzflihig ist. Insofern haben auch qualitativ hochwertige Anwälte keine Möglichkeit, durch eine solche umfassende Garantie (Extremform des Erfolgshonorars) glaubhaft dem Mandanten ihre Qualität zu signalisieren. Hinsichtlich der Frage, ob der Preis ein tragflihiges Signalinginstrument darstellt, ist daher eine Antwort bereits möglich: Die Form des Preisbildung, die das gesamte Risiko des Rechtsstreits auf den Anwalt überträgt, ist als Signalinginstrument nicht geeignet. Neben dieser Art der Preisgestaltung sind aber noch weitere Honorierungsarten denkbar: Zwar vom Streitwert abhängige, aber ansonsten feste Honorar fiir den Anwalt (wie in Deutschland; vgl. Abschnitt 2.2.2), Honorar auf Stundenbasis (wie in den USA) und Erfolgshonorare mit teilweiser Risikoübertragung (ebenfalls in den USA). Innerhalb des Abschnittes 3.3.1.1 beschreibe ich die grundsätzliche Wirkungsweise des Preissignals in einer Situation, die durch eine asymmetrische Informationsverteilung gekennzeichnet ist. Den Möglichkeiten der Anwälte, 6 Wein
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durch die Akzeptanz eines bestimmten Preises oder einer bestimmten Entlohnungsstruktur, ihre Qualität zu verdeutlichen, ist der Punkt 3.3.3.2 gewidmet. Abschnitt 3.3.3.3 faßt die Ergebnisse zusammen. 3.3.3.1 Signafing und Preise
Den Einsatz des Preismechanismus als Mittel zum Abbau von Qualitätsunkenntnis kann man grundsätzlich als Maximierungsaufgabe unter Beachtung von Nebenbedingungen auffassen (vgl. zum folgenden Varian 1992, S. 441). Ziel des Prinzipals ist es, unter Mithilfe des Agenten den eigenen Nutzen zu maximieren. Als ein Mittel zu diesem Zweck sucht er nach einem Entlohnungsschema, das nur den gewünschten Agenten zum Vertragsschluß animiert bzw. den Agenten aus dessen eigenem Interesse heraus zur erwünschten Handlungsalternative greifen läßt. Der Prinzipal muß im Rahmen dieser Maximierungsaufgabe zwei Nebenbedingungen berücksichtigen. Erstens muß er sicherstellen, daß der Agent in der P-A-Beziehung mindestens jenen Nutzen erhält, den der Agent in einer anderen Tätigkeit erhalten würde; ansonsten geht der Agent die Vertragsbeziehung nicht ein ("participation-constraint").22 Zweitens sollte der Prinzipal das Entlohnungsschema so auswählen, daß bei gegebenem Schema auch der Agent jene Handlung ergreift, die im Interesse des Prinzipals liegt ("incentive compatibility constraint"). Eine weitere zu beachtende "Nebenbedingung" ist aus der relevanten Marktstruktur abzuleiten, d.h. aus der Frage, ob es nur einen oder mehrere Prinzipale gibt. Im Falle einer monopolistischen Marktstruktur setzt der Prinzipal das Entlohnungsschema so, daß der Nutzen des Agenten in der P-A-Beziehung nur marginal höher ist als jener Ertrag, den der Agent irgendwo anders erzielen könnte (Opportunitätsnutzen). Der Opportunitätsnutzen ergibt sich exogen aus einer mit der P-ABeziehung unverbundenen Aktivität. Diese Marktstruktur wurde bisher implizit vorausgesetzt. Läßt man diese einschränkende Annahme fallen und geht vom realistischeren Fall mehrerer Prinzipale aus, muß man überprüfen, ob die bisher gefundene Lösung eine gleichgewichtige darstellt. Im Gleichgewicht ergibt sich der Nutzen des Agenten in einer anderen Tätigkeit endogen, d.h. aus der Entlohung durch die anderen Prinzipale. Bei Wettbewerb muß daher filr ein Gleichgewicht die Null-Gewinn-Bedingung bei den Prinzipalen erfüllt sein. Um die Möglichkeiten und Grenzen des Preises als Signalinginstrument zu verdeutlichen, zeige ich zunächst, daß unter den Annahmen der vollständigen Information und der beidseitigen Risikoneutralität der Akteure der Preis unein-
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Manchmal wird diese Bedingung auch als "Individual Rationality Constraint" bezeichnet.
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geschränkt als Signal funktioniert (vgl. hierzu Varian 1992, S. 442-444). Ist der Prinzipal über die Handlung des Agenten und dessen Kostenstruktur vollständig informiert und existiert nur ein Prinzipal, muß der Prinzipal nur noch die aus der Sicht des Prinzipals optimale Handlung des Agenten bestimmen und anschließend die diese Handlung generierende Entlohnungsstruktur für den Agenten ableiten; dem Prinzipal fließt die gesamte Rente aus der P-A-Beziehung zu, da der Prinzipal nur ein Entgelt in Höhe der dem Agenten anfallenden Kosten zuzüglich des in einer anderen Verwendung vom Agenten erzielbaren Gewinnes (die "participation constraint" wird eingehalten) entrichtet. Die Höhe des Entgelts für den Agenten muß darüber hinaus so gewählt werden, daß die dem Agenten zufließende Differenz zwischen Entgelt und Kosten bei der vom Prinzipal gewünschten Tätigkeit im Vergleich zu allen anderen Handlungsmöglichkeiten am höchsten ist (Berücksichtigung der "incentive compatibility constraint"). Es gibt eine Reihe von Entgeltschemata, die diese Bedingungen erfüllen. Zum Beispiel trifft dies für das sogenannte "target-outputscheme" zu, wonach der Agent gerade die anfallenden Kosten und die Gewin-ne in einer anderen Verwendung erhält, wenn er die gewünschte Tätigkeit auch tatsächlich ausführt; in allen anderen Fällen muß der Agent eine (unendlich hohe) Strafe entrichten. Oder der Agent muß eine fixe Gebühr an den Prinzipal zahlen, dafür verbleibt ihm danach das Residuum ("linear-incentive-scheme"); aufgrund der Annahme vollständiger Information kann der Prinzipal die fixe Gebühr so hoch ansetzen, daß sein Nutzen maximiert wird sowie dem Agenten insgesamt nicht mehr als die Kosten und die Opportunitätsnutzen zufallen. Unter Wegfall der Monopolbedingung gibt es nicht nur einen, sondern viele Prinzipale, so daß der Wettbewerb untereinander die Gewinne auf Null reduziert. Allerdings ist unter diesen Bedingungen auch eine feste Gebühr an den Agenten denkbar, die wie bisher zumindest die Kosten des Agenten und den Gewinn in einer anderen Verwendung deckt; da aber die Prinzipale unter Wettbewerb keine Gewinne mehr erzielen, steigt die feste Gebühr an den Agenten soweit an, bis dem Prinzipal nichts mehr übrig bleibt (vgl. hierzu Varian 1992, S. 444 f.). Die Schwierigkeiten, den richtigen Preis in einer P-A-Beziehung zu finden, werden erst dann virulent, wenn man von der Annahme der vollständigen Information Abschied nimmt und stattdessen die Gefahr verborgener Handlungen in Betracht zieht (vgl. hierzu Varian 1992, S. 445-452 und 455 f.).23 Z.B. ist es unter diesen Annahmen nicht mehr möglich, das Entgelt von der Handlung
" Das Problem von "hidden information" als den anderen Fall ungleicher Information behandele ich weiter unten.
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des Agenten abhängig zu machen; es verbleibt nur noch die Anknüpfungsmöglichkeit "Ergebnis". Das Ergebnis der Handlung und die damit verbundene Zahlung an den Agenten ist dann entsprechend der P-A-Theorie zumindest zum Teil zufallsbedingt, wodurch sich die Frage nach einer optimalen Risikoteilung zwischen Agent und Prinzipal stellt: Im Interesse des Prinzipals läge es, dem Agenten wenig zu bezahlen, falls der Output gering ausfällt; aufgrund des unzureichenden Informationsstandes, den der Prinzipal aufweist, weiß er nicht, worauf das niedrige Ergebnis beruht, entweder auf einem vertragswidrigen Handeln des Agenten oder auf zufallsbedingten Einflüssen (vgl. auch Abschnitt 3 .2.1.1 ). Bestraft der Prinzipal den Agenten zu hart, indem er im Falle des Mißerfolgs das Entgelt an den Agenten im hohen Maße kürzt, überträgt er zuviel Risiko auf den Agenten; der Agent weigert sich, die Vertragsbeziehung einzugehen. Um diese Überlegungen zu präzisieren, greift Varian auf ein einfaches Modell zurück. Seinem Modell liegen folgende Annahmen zugrunde: - Das Handeln der Agenten führt nur zu einer begrenzten Anzahl von Ergebnissen. - Den Agenten stehen ausschließlich zwei Aktionsmöglichkeiten zur Verfügung: Sich im hohen oder im geringen Maße um den Erfolg zu bemühen. - Durch die Annahme, daß auch der Zufall das Ergebnis der Handlung des Agenten beeinflußt, ist es nur möglich, Wahrscheinlichkeiten für die zu beobachtenden Ergebnisse aufzustellen. - Dem Prinzipal steht ausschließlich die Alternative zur Verfilgung, das Entgelt, das dem Agenten zufließt, an das realisierte Ergebnis zu koppeln. - Der zu erwartende Gewinn des Prinzipals ergibt sich aus der Differenz zwischen dem tatsächlichen Ergebnis und der Entgeltzahlung; diese Differenz wird mit der von der Handlung des Agenten abhängigen Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert und über alle möglichen, endlichen Ergebnisse aufsummiert. Der Prinzipal hat das Ziel, seinen Nutzen zu maximieren, ohne die beiden weiter unten präzisierten Nebenbedingungen zu verletzen. Es wird unterstellt, daß der Prinzipal sich risikoneutral oder zumindest im geringeren Maße als der Agent risikoscheu verhalte. Denn der Prinzipal hat nicht selten die Möglichkeit, Risiken zu diversifizieren. Dies trifft beispielsweise für die meisten Aktionäre zu, die ihr Risiko als Prinzipal gegenüber einer bestimmten Aktiengesellschaft durch den Aufbau eines Portfolios mindern, wenn
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nicht sogar vollständig beseitigen können (vgl. zu diesem Punkt Demmler 1992, S. 233). - Die Agenten verhalten sich risikoavers/4 und die Kosten jeder Handlung gehen linear in ihre Nutzenfunktion ein. Folglich erzielen die Agenten aus ihrer Handlung einen erwarteten (Brutto-)Nutzen, der sich aus dem Produkt der von der Handlung des Agenten mitabhängigen Eintrittswahrscheinlichkeit und dem vom realisierten Ergebnis bestimmten Entgelt ergibt, aufsummiert über die möglichen Ergebnisse. Vom Bruttonutzen sind die Kosten der Handlung abzuziehen (Netto-Nutzen). Ein Agent wird die vom Prinzipal gewünschte Handlung nur dann ausführen, wenn der Netto-Nutzen dabei genauso hoch oder höher ist als in jeder anderen Verwendung ("incentive compatibility constraint"). Der Netto-Nutzen in der gewünschten Tätigkeit muß darüber hinaus mindestens dem Gewinn in einer anderen Verwendung entsprechen ("partizipation constraint"). Unter diesen Annahmen wird durch die Art und Weise der Entlohnung des Agenten eine Entscheidung darüber getroffen, wie das Risiko eines zufällig schlechten Ergebnisses auf den Prinzipal bzw. den Agenten verteilt wird. 25 Gibt es kein Anreizproblem, d.h. das Problem der "hidden action" besteht nicht/6 liegt die optimale Lösung darin, daß der Prinzipal den Agenten gegen alle Risiken versichert, d.h. ihm ein festes Honorar zahlt: Der Prinzipal maximiert seinen Nutzen, indem er jenes Ereignis ansteuert, bei dem die Differenz zwischen dem Output und der damit verbundenen Zahlungen an den Agenten multipliziert mit der vom Verhalten des Agenten abhängigen Eintrittswahrscheinlichkeit maximiert wird; es gelte aber die Nebenbedingung, daß der Agent mindestens den Nutzen der nächstbesten Verwendung erhält. Wenn es keine Anreizprobleme gegenüber dem Agenten gibt, besteht eine einfache Lösung darin, dem Agenten gerade das Einkommen der nächstbesten Verwendung als festes Entgelt zukommen zu lassen (Vollversicherung); der Prinzipal erhält dann das Residuum (vgl. auch Abschnitt 3.3.2.1). Dieses Ergebnis ist
24 Die Annahme der Risikoscheuheil der Agenten kann man sich mit dem Umkehrschluß zur Begründung bei den Prinzipalen plausibel machen.
25 Wäre dagegen die Aktion des Agenten beobachtbar, könnten die Parteien einen "first-bestVertrag" schließen, obwohl das Ergebnis zufallsabhängig ist: Die Akteure knüpfen das Entgelt nicht an das Ergebnis, sondern an die Handlung des Agenten. Dieses Entscheidungsproblem entspricht der bereits analysierten Situation unter vollständiger Information und der Marktstruktur eines Monopols, so daß sich eine weitere Erörterung hier erübrigt. 26
Formal bedeutet dies, daß die "incentive compatibility constraint" nicht beachtet wird.
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auch einsichtig, da sich der Prinzipal risikoneutral und der Agent risikoavers verhalten soll, denn unter diesen Annahmen wird der Agent vom Prinzipal die bei ihm entstehenden subjektiven Risikokosten verlangen, wenn er einen Teil des oder das gesamte Risiko übernimmt; einem risikoneutralen Prinzipal fallen dagegen keine subjektive Risikokosten an. Darum wäre es nur folgerichtig, wenn der Prinzipal das gesamte Risiko trägt und dem Agenten ein festes, vom Endzustand unabhängiges Entgelt verbleibt (vgl. hierzu Demmler 1992, S. 233). Dieses Ergebnis läßt sich aber nicht mehr aufrechterhalten, wenn man die "incentive compatibility constraint" einbezieht: Sollte der Prinzipal den Agenten von jedem Risiko freistellen, ist es dem Agenten gleichgültig, welches Ergebnis sich einstellt; der Agent erhält eine feste Auszahlung, warum sollte er die vom Prinzipal gewünschte Handlung anstreben, insbesondere wenn sie mit Kosten verbunden ist? Insgesamt gibt es also ein Trade-off zwischen dem Nutzen der Risikoabsicherung des Agenten, dem Nutzen der Vollversicherung, und den daraus sich ergebenden Fehlanreizen. Also wäre es von Interesse zu wissen, ob ein optimaler Vertrag bzw. eine optimale Entlohnungsstruktur existiert, der bzw. die dieses Dilemma lösen kann, worauf ich im folgenden zurückkomme. Formal geht es wieder darum, den Nutzen des Prinzipals unter den beiden Nebenbedingungen, der "participation constraint" und der "incentive compatibility constraint", zu maximieren. Anhand einer grafischen und einer mathematischen Darstellung kann man nachvollziehen, wie der optimale Anreizvertrag aussehen muß (vgl. Varian 1992, S. 447-452). Es läßt sich zeigen, daß fllr den Prinzipal die Vollversicherung vorteilhaft ist, wenn der Agent aus seinem eigenen Interesse heraus die vom Prinzipal gewünschte Handlung ausführt. Im anderen Fall hängt es von der Wahrscheinlichkeit ab, die Handlungen des Agenten beobachten zu können, ob eine völlige Risikofreistellung möglich ist. D.h. mit abnehmender Möglichkeit der Beobachtung wird die Lösung der Vollversicherung unwahrscheinlicher, und es muß stattdessen eine RisikoaufleiJung zwischen beiden Parteien geben. Verläßt man allerdings die Annahme, daß nur ein Prinzipal existiert, wird die Existenz eines solchen optimalen Vertrages fragwürdig: Der Wettbewerb zwischen den vielen Prinzipalen fiihrt nämlich dazu, daß sie nur Nullgewinne realisieren. Unter dieser Konstellation ist zu befürchten, daß sowohl die Lösung der Voll- als auch die der Teilübernahme des Risikos durch den Agenten kein Gleichgewicht darstellt. Ein fehlendes Gleichgewicht äußert sich dann darin, daß der unter "Monopol-Bedingungen" abgeleitete optimale Vertrag
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durch einen Vertrag, der einen Agenten besser stellt, aber nicht die gewünschte Aktion induziert, verdrängt wird. 27 Bisher wurde die Frage nach der Reichweite des Preismechanismus als Lösungsansatz fiir Situationen unvollständiger Information ausschließlich auf Probleme bezogen, die auf verborgenen Handlungen beruhen. Inwieweit ist der Agent mit Hilfe des Preises auch in der Lage, glaubwürdige Informationen zu signalisieren, wenn ex ante ungleiche Information hinsichtlich der Kostenbzw. Nutzenfunktion des Agenten vorliegt? Innerhalb der Marketing-Literatur gibt es eine bedeutende empirische Evidenz fiir einen Zusammenhang zwischen dem Preis und der Qualität. Insbesondere kann man aus zahlreichen experimentellen Untersuchungen ablesen, daß Konsumenten aus einem hohen Preis hohe Qualität ableiten (vgl. Bagweii/Riordan 1991, S. 224). Bevor man die Möglichkeiten eines hohen Preises als Signal fur hohe Qualität untersucht, ist es sinnvoll, die optimale Entlohnungsstruktur zu bestimmen, falls der Prinzipal die Kostenfunktionen beobachten kann (vollständige Information) und als Monopolist handelt (vgl. Varian 1992, S. 458). Es zeigt sich, daß der Prinzipal nur dann ein Entgelt bezahlt, wenn der gewünschte Output erreicht wird ("target-output-scheme"): Der Prinzipal maximiert die Differenz zwischen den Outputs der Agenten und deren Kosten. Die Lösung dieses Maximierungsproblems erfordert es, daß der Agent mit den höheren (Grenz)Kosten eine geringere Menge und der andere Agent mit den geringeren (Grenz-)Kosten eine höhere Menge erzeugt. Der Prinzipal verspricht den Agenten jeweils eine Entlohnung in Höhe ihrer gesamten Kosten, falls sie den gewünschten Output erreichen. Ist es dem Prinzipal allerdings nicht möglich, die Kostenfunktionen der Agenten zu beobachten, kann er auch keine differenzierte Entgelte anbieten, so daß die erwünschte Trennung zwischen den Agenten nicht mehr erfolgt ("hidden-information"-Problem). Um die Trennung zu ermöglichen, muß die Entlohnung so erfolgen, daß der Agent mit den hohen Kosten den höchsten Nutzen bei der geringeren Outputmenge und der Agent mit den niedrigen Kosten bei der höheren Outputmenge hat (vgl. zusammenfassend Varian 1992, S. 460 f. und S. 464 f.). Dies entspricht nur einer Umformulierung der "incentive compatibility constraint", die hier als "self selection constraint" bezeichnet wird: Der Nettonutzen des Hoch(Niedrig-)Kostenagenten bei der gewünschten geringeren (höheren) Men-
27 Ob es zu solch einer Gleichgewichtsstörung kommt, hangt vom verwendeten Gleichgewichtskonzept ab. Hier wird ein sehr restriktives Konzept verwandt, wonach die Agenten nach jeder Gewinnmöglichkeit streben. Es gibt allerdings auch schwächere Gleichgewichtsvorstellungen; vergleiche hierzu zusammenfassend Eisen (1986) und auch Abschnitt 3.3.4.1.
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ge, d.h. dessen Entgelt bei dieser Menge abzüglich der ihm dabei entstehenden Kosten, muß mindestens so hoch sein wie der Nettonutzen bei der höheren (geringeren), nicht gewünschten Menge. Als weitere Nebenbedingung muß auch hier die "participation constraint" zutreffen, d.h. jeder Agent sollte die anfallenden Kosten decken können (der Nutzen in einer anderen Verwendung soll vereinfachend gleich Null sein). Verläßt man wieder die Annahme, daß nur ein Prinzipal auftritt, wird die Null-Gewinn-Bedingung relevant: Je mehr Prinzipale in den Markt eintreten, um so eher gehen deren Gewinne zurück, und die Nutzenniveaus der Agenten nehmen zu. Durch das Hinzutreten von Wettbewerbern wird es möglich, daß ein trennendes ("separierendes") Gleichgewicht "angegriffen" und "zerstört" wird. In jenen Fällen, in denen die Agenten trotz Unterschieden in der Kosten- oder Nutzenfunktion den gleichen Vertrag akzeptieren, liegt wieder ein "Pooling"-Gleichgewicht vor. Die Ausfi.lhrungen zum Signaling-Instrument "Preis" zeigen, daß unter den Annahmen vollständiger Information, monopolistischer Marktstruktur und Risikoneutralität beider Akteure keine Probleme bestehen: Es sind eine Vielzahl von Entgeltformen vorstellbar, die den Nutzen des Prinzipals maximieren und trotzdem die Mitarbeit des gewünschten Agenten im notwendigen Umfang sichern. Treffen diese drei Annahmen allerdings nicht zu, wird es fraglich, ob eine bestimmte Entgeltform, die "hidden action" bzw. "hidden information" verhindert, überhaupt existiert und ob diese im Wettbewerb eine Gleichgewichtslösung darstellt. Hinsichtlich der Gestalt eines solchen optimalen Preises wäre zu erwarten, daß der Prinzipal und der Agent den Preis so setzen, daß sich eine Risikoteilung zwischen beiden Vertragsparteien ergibt: Die Risikoteilung verhindert zum einen, daß der Agent verborgene Handlungen ergreift; zum anderen zeigt die Bereitschaft des Agenten, das Risiko mit zu tragen, an, daß er eine hohe Qualität aufweist; von Agenten geringer Qualität ist die Ablehnung eines solchen Kontraktes zu erwarten. Finden tatsächlich die beiden Akteure eine solche Entgeltstruktur, und ist sie im Wettbewerb überlebensfiihig, wird das P-A-Problem hinflillig.
3.3.3.2 Preissignale bei Anwälten Geht inan in der P-A-Beziehung "Mandant-Anwalt" der Frage nach, inwieweit der Preis dazu in der Lage ist, die Probleme ungleicher Information zu lösen, ergeben sich ausgehend von den vorherigen allgemeinen Überlegungen vier Ansatzpunkte: - Eine Preisgestaltung, die dem Anwalt unabhängig vom Prozeßausgang ein festes Nutzenniveau zukommen läßt, wie dies nach der deutschen Gebühren-
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ordnung prinzipiell der Fall ist (vgl. Abschnitt 2.2.2), beschwört das Problem verborgener Handlungen seitens des Anwalts herauf und löst in keinsterWeise die Schwierigkeit des Mandanten, den qualitativ geeignetsten Anwalt zu finden (vgl. Abschnitte 3.2.2.1 und 3.2.2.3). Insofern stellt diese Art der Preisgestaltung keine Lösung dar. - Die Möglichkeit, daß die Anwälte den Mandanten ein festes, d.h. vom Prozeßausgang unabhängiges Nutzenniveau zusichern (Vollversicherung), ist aus einer Reihe von Gründen ebenfalls nicht praktikabel (vgl. Abschnitt 3.3.2.2). - Zwischen diesen beiden Extremformen verbleiben fiir den Rechtsberatungsmarkt nur noch eine Honorarabrechnung auf Stundenbasis und in Form von Erfolgshonoraren, die einen Teil des Risikos beim Anwalt belassen (gemäßigte Erfolgshonorare; Teilversicherung). Stundenhonorare ziehen allerdings auch wieder "hidden-action"-Probleme nach sich, denn die Anwälte haben unter dieser Regel bei ungleicher Information wieder den Anreiz, zu viele Arbeitsstunden fiir den Fall zu verwenden und abzurechnen. Folglich bleibt als einzige erfolgversprechende Möglichkeit des Signalinginstrumentes "Preis" das gemäßigte Erfolgshonorar. Wie im vorherigen Abschnitt gezeigt, muß man prüfen, ob ein gemäßigtes Erfolgshonorar den Nutzen des Mandanten maximiert und dabei die Nebenbedingungen "incentive compatibility constraint" bzw. "participation constraint" erfiillt. Dieses Ergebnis muß im Wettbewerb Bestand haben, d.h. bei den Anwälten muß die Null-GewinnBedingung gelten. Im folgenden geht es also um die Frage, ob die Institution "Erfolgshonorar" geeignet ist, das Prinzipal-Agent-Problem zwischen Martdant und Anwalt zu lösen. Hierzu sehr optimistisch sind Rubinfeld/Scotchmer (1992, S. 12-16) eingestellt, die anband eines formalen Modells zeigen, daß durch die Bereitschaft, bestimmte Arten von Erfolgshonoraren zu akzeptieren, Anwälte hoher Qualität ihre Fähigkeiten glaubhaft signalisieren können. M.a.W.; sie stellen ein Modell zur Lösung des "hidden-information"-Problems zu Lasten der Mandanten auf. 28
28 Rubinfeld/Scotchmer (1992, S. 4-12) behandeln auch die Probleme ungleicher Information zu Lasten der Anwälte: Der Mandant ist ex ante über die Erfolgsaussichten seines Falls besser informiert als der Anwalt, und der Mandant kann unbemerkt vom eigenen Anwalt ex post die Erfolgsaussichten des Mandats vermindern. Diese Konstellationen habe ich in den Abschnitten 3.2.2.2 und 3.2.2.4 weitgehend ausgeschlossen, denn der Anwalt mit seinen spezifischen Rechtskenntnissen wird zumindest nach Aufbringung gewisser Informationskosten in der Lage sein, die Erfolgsaussichten mit hinreichender Genauigkeit einzuschätzen bzw. das Verhalten des Mandanten zu überblicken; die bei Scotchmer!Rubinfeld beschriebene Selbstselektion der Mandanten durch
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Rubinfeld/Scotchmer beziehen sich in ihrem Modell auf die allgemeingültige Form des Erfolgshonorars: Der Anwalt hat die Möglichkeit, eine feste Gebühr in beliebiger Höhe und einen variablen Erfolgsanteil am erstrittenen Betrag zu verlangen; das Erfolgshonorar kann sogar in dem Sinne negativ werden, als daß der Anwalt Auslagen und Gebühren vorstreckt, die im Mißerfolgsfall der Mandant nicht ersetzt?9 Die divergierende Qualität der Anwälte wird daran festgemacht, daß nicht alle die Erfolgswahrscheinlichkeit des jeweiligen Falls, die Höhe des erzielbaren Schadens(ersatzes) oder die Güte des Vergleichsangebots zutreffend einschätzen. Andere, hier ebenfalls mitbeachtete Qualitätsargumente können sich auf die Fähigkeit der Fallaufbereitung und das Verhandlungsgeschickvor Gericht bzw. im Vergleich beziehen. Dem Modell von Scotchmer/Rubinfeld liegen folgende Annahmen zugrunde: - Die Anzahl der Anwälte ist exogen festgelegt, und die Gewinne der Anwälte werden im Wettbewerb gleich Null bzw. gleich dem Ertrag in einer anderen Verwendung ihrer Arbeitszeit. - Die Qualität der Anwälte ist nicht beobachtbar. - Vereinfachend sollen alle Mandate gleichartig sein. - Die Erfolgswahrscheinlichkeit, den Prozeß zu gewinnen, steigt mit der Qualität des Anwalts an. Nach ihrem Modell ist ein separierendes Gleichgewicht möglich, bei dem qualitativ hochwertige Anwälte ihre hohe Qualität durch die Bereitschaft signalisieren, ein hohes Erfolgshonorar und eine geringe feste Gebühr zu akzeptieren.30 Qualitativ schlechte Anwälte legen daher eher Wert auf eine hohe feste Gebühr, z.B. in Form von Stundenhonoraren und ausschließlich streitwertabhängigen Gebühren. M.a.W.: das Problem ungleicher Information bei den Anwälten löst sich, wie in dem allgemeinen Modell zur P-A-Theorie vorausgesagt, durch die Akzeptanz einer bestimmten Entlohnungsart.
Erfolgshonorare wäre nur ein weiteres Argument ftlr die Problemlosigkeit dieser Art von Informationsasymmetrie. 29 Vgl. zu dieser besonderen Form des Erfolgshonorars die Ausftlhrungen im Abschnitt 3.3.2.2. 30 Dies steht im Gegensatz zum Reputationsmodell von Smith/Kox (1985), bei denen Anwälte hoher Qualität nur bereit sind, ein erfolgsunabhängiges Stundenhonorar zu akzeptieren; vgl. Abschnitt 3.3.5.2.
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Andere Ansätze (vgl. zusammenfassend Thomason 1991, S. 188 f. und S. 191-195 und Rubinfeld/Scotchmer 1992, S. 2) sehen die Institution "Erfolgshonorar" kritischer an, da die Institution "Erfolgshonorar" die Gefahr des moralischen Risikos ("hidden action") nicht verhindem könne. M.a.W.: Das im Modell von Rubinfeld/Scotchmer abgeleitete Ergebnis, wonach "hidden information" durch das Signalinginstrument "Erfolgshonorar" überwindbar sei, gelte zwar möglicherweise, vernachlässige aber das Problem der verborgenen Handlungen des Anwalts. Folgende Argumente werden fiir die Relevanz dieses Problems angefiihrt: - Nach dem Modell von Schwartz/Mitchell ergibt sich unter dem "Regime" der Erfolgshonorare ein Konflikt zwischen den Interessen des Mandanten und denen des Anwalts. Deren Modell basiert auf zwei Annahmen: Die Erträge aus außergerichtlichen Vergleichen nehmen mit der vom Anwalt eingesetzten Arbeitszeit zu, was dem Anwalt jedoch zusätzliche Kosten verursacht, und der Mandant nimmt diesen Zusammenhang nicht wahr. Unter diesen Voraussetzungen wird ein einkommensmaximierender Anwalt weniger Arbeitszeit als fiir den Kläger notwendig in die Vergleichsverhandlungen einbringen; der Mandant wird durch das Verhalten seines Anwalts benachteiligt (Fall des moralischen Risikos). - Miller argumentiert, daß bei der Entscheidung zwischen Klagen oder Vergleich der Anwalt, der die Macht hat, einen Vergleich zu schließen, sich zu einem Betrag vergleicht, der unterhalb des erwarteten Prozeßgewinns liegt. In seinem Modell müssen erstens die Anwälte höhere Kosten bei konstanten Erträgen tragen, wenn sie vor Gericht ziehen, anstatt sich zu vergleichen. Die Anwälte haben zweitens die Entscheidungsgewalt über das Eingehen eines Vergleichs: Zum einen bewirken die hohen individuellen Kontrollkosten fiir die Mandanten bei Verbandsklagen bzw. Rechtsstreitigkeiten zwischen Aktionär und Aktiengesellschaft eine Entscheidungsfreiheit der Anwälte, zum anderen hat der Anwalt ein größeres Wissen und eine größere Erfahrung, die er bei der Entscheidung Klage/Vergleich zu seinen Gunsten in die Waagschale werfen kann. Die Mandanten haben drittens keine Möglichkeit, Fehlentscheidungen der Anwälte zu ihren Lasten zu erkennen, denn vielfach tritt ein solcher Prozeß beim Mandanten nur einmal auf, der Ausgang des Prozesses ist zufallsabhängig und Informationen über die Qualität der Anwälte verbreiten sich nicht öffentlich. M.a.W.; Reputation funktioniert nicht (vgl. Abschnitt 3.3.5.2). All diese Annahmen fUhren dazu, daß der Anwalt bei Erfolgshonoraren ein Interesse und die Möglichkeit hat, den fiir den Anwalt (kosten)ungünstigen Prozeß zu vermeiden und den Mandanten zu dem fiir ihn schlechteren Vergleich zu überreden.
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Die vorgetragenen Argumente betonen letztendlich nur nochmals die Informationsprobleme bei "hidden action" (vgl. Abschnitt 3.2.2.1); die einzige Neuerung sind die Informationsprobleme bei Verbandsklagen, die aber in Deutschland aufgrund der fehlenden gesetzlichen Möglichkeit zu solch einer Klage nicht relevant sind. Folglich bleibt es eine empirische Frage, ob ein Signalinggleichgewicht existiert, das sowohl "hidden inforrnation" als auch "hidden action" neutralisiert. Auf der empirischen Ebene zeigt sich allerdings, daß trotz der Verwendung von Erfolgshonoraren "hidden-action"-Probleme durchaus relevant sein können (vgl. zusammenfassend Thomason 1991, S. 189 f. und S. 203-222): - Kirtzer et al. zeigen anhand von 371 Fällen mit Stundenhonorar und 288 Angelegenheiten mit Erfolgshonorar, die alle zufällig ausgewählt wurden, daß bei eher geringfiigigen Ansprüchen (unter 6000 US-Dollar) die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden im Falle der Erfolgshonorierung niedriger ist als bei einer Abrechnung auf Stundenbasis. Ferner steigt (nur) bei der Erfolgshonorierung der Arbeitsaufwand mit der zu erstreitenden Summe an. Aus diesen Resultaten kann man allerdings noch keine Fehlallokation ableiten, denn es ist auch möglich, daß Stundenhonorare zu wenig anwaltliehen Aufwand erzeugen. - Rosenfield weist auf der Basis von 104 Verbandsklagen nach, daß die Anwälte ihre Gebühren zu Lasten der Ansprüche ihrer Mandanten maximieren. Verbandsklagen sind hierfiir besonders anfällig, denn jedes einzelne Mitglied der Interessengruppe, die eine Verbandsklage anstrebt, hat keinen hinreichenden Anreiz, den beauftragten Anwalt im ausreichenden Maße zu kontrollieren. Nach Rosenfield erhielten bei Verbandsklagen die Anwälte bei einem Vergleich höhere Honorare als durch Gerichtsverfahren. Wenn zusätzlich ein Gerichtsverfahren fiir den Anwalt mehr Aufwand als ein Vergleich erzeugt, ziehen die Anwälte im Falle der Verbandsklagen Vergleiche zu Lasten ihrer Mandanten vor. - Thomason hat im OS-Bundesstaat New York anhand des "worker compensation program" die Wirkungen der Erfolgshonorare untersucht. Workers compensation programs stellen einen Teil der Sozialversicherung dar und leisten Schadenersatzzahlungen, medizinische Versorgung bzw. Rehabilitation, wenn arbeitsplatzbedingte Verletzungen oder Krankheiten vorliegen. In diesem empirischen Falle zeigte sich, daß sich die Vereinbarung eines Erfolgshonorars bei der Entscheidung "Akzeptieren eines Vergleichs oder Klage" zugunsten der Anwälte und zu ungunsten der Mandanten auswirkt. M.a.W.: Das Problem verborgener Handlungen seitens des Anwalts besteht weiter; die beim Anwalt vielfach erhofften, eigennutzbegrenzenden Faktoren
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wie Ethik und Reputation konnten in diesem Sampie die ökonomischen (Fehl-)Anreize des Erfolgshonorars nicht unterdrücken. Zusammenfassend kann man sagen, daß im Falle der Prinzipal-Agent-Beziehung "Mandant-Anwalt" es theoretisch durchaus vorstellbar wäre, daß Anwälte hoher Qualität durch die Akzeptanz von gemäßigten Erfolgshonoraren, die einen hohen Erfolgsanteil und eine geringe feste Gebühr beinhalten, ex ante hohe Qualität signalisieren. Um das Problem ungleicher Information durch eine solche Preisgestaltung eliminieren zu können, muß gleichzeitig die Gefahr von "hidden action" gebannt werden. Dies ist immer dann erfiillt, wenn das gemäßigte Erfolgshonorar die in der P-A-Theorie allgemein genannten Bedingungen: Nutzenmaximierung, "incentive compatibility constraint" sowie "partizipation constraint" erfiillt und gleichzeitig im Wettbewerb nicht durch andere Honorarformen verdrängt wird. Die theoretischen Argumente, die gegen diese Hoffnung sprechen, heben grundsätzlich auf das Problem ab, daß die Mandanten die Anwälte nicht kontrollieren könnten. Dies stellt zwar nichts anderes als das bereits beschriebene Problem verborgener Handlungen dar, das durch eine geeignete Risikoaufteilung im Rahmen des Erfolgshonorars gelöst werden soll. Die vorliegende, allerdings sehr spärlichen Untersuchungen zeigen aber, daß auch unter der Vereinbarung von Erfolgshonoraren Mandanten ex post benachteiligt werden. M.a.W.: Die Existenz des erhofften Gleichgewichts mit Erfolgshonoraren, das sowohl verborgene Information überwindet als auch verborgene Handlungen unterbindet, läßt sich bisher empirisch nicht bestätigen. Weitere empirische Untersuchungen sind notwendig. 3.3.3.3 Fazit
Auf der Ebene der generellen Prinzipal-Agent-Theorie läßt sich nachweisen, daß die bisher behandelten Probleme ungleicher Information theoretisch durch eine Preisgestaltung, welche die Risiken auf den Schultern beider Akteure verteilt, lösbar sind. Eine solche Preisgestaltung muß den Nutzen des Prinzipals maximieren, den qualitativ hochwertigen Agenten zur gewünschten Handlung anreizen und dem Agenten einen solchen Ertrag zukommen lassen, daß er den Vertrag überhaupt eingeht. Das Zustandekommen einer solchen Lösung ist allerdings auch von der geltenden Marktstruktur abhängig: Wenn man von dem vermutlich weniger bedeutsamen Fall eines einzelnen, monopolistischen Prinzipals abgeht und stattdessen realistischer die Existenz mehrerer Prinzipale unterstellt, wird es unwahrscheinlicher, daß sich eine solche Optimallösung tatsächlich ergibt.
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Übertragen auf den Rechtsberatungsmarkt würde der optimale Preis bedeuten, daß der Anwalt dem Mandanten teilweise, aber nicht ganz das Prozeßrisiko abnimmt; ich bezeichne eine solche Preisgestaltung als gemäßigtes Erfolgshonorar. Ein gemäßigtes Erfolgshonorar hätte erstens den Vorteil, daß qualitativ hochwertige Anwälte durch die Bereitschaft, unter solchen Konditionen zu arbeiten, ihre hohe Qualität glaubwürdig signalisieren können; relativ schlechte Anwälte wären nicht bereit, ein solches Risiko zu akzeptieren, denn sie übernehmen nur Mandate mit festen Gebühren in Form von Stundenhonoraren oder Mandate mit rein streitwertabhängigen Entgelten. Es stellt sich daher das gewünschte separierende und damit auch das Problem verborgener Information überwindende Gleichgewicht ein. Für dieses Szenario liegt ein diese These bestätigendes Modell für die Anwälte vor. Das Problem verborgener Handlung durch ein gemäßigtes Erfolgshonorar zu lösen, wurde bisher nur allgemein, nicht aber speziell am Beispiel der Anwälte theoretisch durchgespielt. Dagegen gibt es einige Modelle, die unter der Bedingung ungleicher Information zeigen, daß Anwälte, die zu Konditionen eines gemäßigten Erfolgshonorars arbeiten, weiterhin ihre Mandanten durch verborgene Handlungen benachteiligen. Welche Theorie nun zutrifft, läßt sich letztendlich nur empirisch klären. Für Deutschland ist eine solche Frage empirisch nicht beantwortbar, denn das in diesem Punkt rechtlich unumstrittene Standesrecht verbietet Erfolgshonorare (vgl. Abschnitt 2.2.2). In den USA dagegen sind gemäßigte Erfolgshonorare zulässig. Die dortigen, spärlichen empirischen Untersuchungen zum Zusammmenhang "Erfolgshonorare und hidden action" deuten darauf hin, daß auch unter der Vereinbarung einer solchen Honorarform die Anwälte weiterhin die Möglichkeit wahrnehmen, die Mandanten zu benachteiligen. M.a.W.: Die theoretisch ableitbare Hoffnung, mit Hilfe von gemäßigten Erfolgshonoraren sowohl das Problem verborgener Information als auch das der verborgenen Handlungen lösen zu können, läßt sich zumindest nach dem gegenwärtigen Stand der empirischen Forschung nicht aufrechterhalten. Weitere empirische Untersuchungen sind hier wünschenswert.
3.3.4 Strategische Investitionen in das Humankapital Auf dem Arbeitsmarkt ist nicht selten zu beobachten, daß Arbeitsplatzbewerber in ihre Ausbildung investieren und entsprechende formale Abschlüsse anstreben, um sich von den anderen Bewerbern abzuheben ("Signaling durch Ausbildungsinvestitionen"). Könnten nicht die Anwälte zum gleichen Instrument greifen und damit die bestehenden P-A-Probleme lösen? Im Rahmen des Abschnitts 3.3 .4.1 beschreibe ich, inwieweit Ausbildungsinvestitionen als Signalinginstrument Prinzipal-Agent-Probleme überwinden können. Unter Punkt
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3.3.4.2 wird dieses Instrument auf den Anwaltsmarkt übertragen. Die Ergebnisse zu diesem Thema faßt Abschnitt 3.3.4.3 zusammen. 3. 3.4. 1 Ausbildungsinvestitionen und Signafing
Im Falle des Vorliegens ungleicher Information zu Lasten des Prinzipals wird jeder Agent von sich behaupten, er weise hohe Qualität auf, denn der Prinzipal ist nicht oder nur unter sehr hohen Kosten dazu in der Lage, diese Angabe nachzuprüfen. Folglich müssen Agenten, die eine hohe Qualität aufweisen und aufrechterhalten wollen, einen Weg finden, dies glaubhaft zu signalisieren. Die Glaubwürdigkeit schlägt sich in der Form nieder, daß nur den Agenten, die hohe Qualität aufweisen, bestimmte Aktivitäten zur Verfügung stehen; für alle anderen Agenten sind diese nicht zugänglich, d.h. nicht lohnend. Eine mögliche Aktivität, die diese Voraussetzungen erfüllen könnte, wäre die Vomahme von Ausbildungsinvestitionen. 31 Die Grundidee dieses Ansatzes ist folgende: Arbeitsplatzbewerber absolvieren eine Ausbildung, um mit dem Zertifikat über den erfolgreichen Abschluß der Ausbildung ihre hohe, vor Vertragsschluß vorhandene Qualität zu signalisieren. Hier wird vorausgesetzt, daß die absolvierte Ausbildung die Produktivität des Ausgebildeten nicht erhöht. 32 Insofern stellt dieser Ansatz ein Modell zur Verfügung, wie man das "hidden-information"-Problem lösen kann. Die Gefahr, daß es dem gut qualifizierten Arbeitsplatzbewerber im Arbeitsverhältnis an der notwendigen Sorgfalt und Mühe fehlt, verändert sich durch den Erwerb dieses Signals nicht. M.a.W.: Signaling durch Ausbildungsinvestitionen lösen das "hidden-action"-Problem nicht. Bevor man den Signaling-Mechanismus "Ausbildungsinvestitionen" genauer analysiert, ist es hilfreich, präzise zu definieren, was mit den Begriffen "Signal in Form von Ausbildungsinvestitionen" und "unveränderliche Fähigkeiten" gemeint ist. Möglicherweise stehen den Bewerbern Signale zur Verfügung, d.h. veränderbare Eigenschaften der Person, die auf eine noch näher zu beschreibende Weise glaubwürdig Informationen übertragen: Die flihigen Arbeitnehmer verdeutlichen ihre Qualitäten, indem sie freiwillig (zusätzliche) Ausbildungsab-
31 Vgl. zum Signaling-Instrument "Ausbildungsinvestitionen" zusammenfassend Demmler (1992, S. 224-228), Riley (1987) und insbesondere filr diese Darstellung Phlips {1988, S. 122133).
n Selbstverständlich kann man die Annahme der nicht-produktivitätserhöhenden Ausbidungsinvestitionen aufheben, ohne die grundsätzliche Funktionsweise des Signalinginstruments "Ausbildung" zu verändern, was aus Gründen der Vereinfachung allerdings nicht getan werden soll.
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schlüsse anstreben. Die unveränderlichen Fähigkeiten beziehen sich auf jene Produktivitätsunterschiede, wonach manche Bewerber "von Natur aus" begabter oder fahiger als ihre Mitbewerber sind. M.a.W.: Es handelt sich um zu Beginn des Vertrages festliegende Qualitätsmerkmale des Bewerbers. Innerhalb dieses Modells sind Bewerber mit hoher, auf unveränderlichen Fähigkeiten beruhender Qualität bestrebt, sich durch den Erwerb und die Verbreitung von Signalen von anderen, qualitativ schlechteren Konkurrenten abzuheben. Signaling durch Ausbildungsabschlüsse hat also nicht notwendigerweise etwas mit einer damit einhergehenden höheren Produktivität zu tun. Wenn im folgenden von einer höheren Produktivität eines Arbeitsplatzbewerbers gesprochen wird, so resultieren diese ausschließlich aus dessen unveränderlichen Fähigkeiten. Wie funktioniert nun aber Signaling am Arbeitsplatz? In einer Welt mit vollständiger Information kann der Arbeitgeber kostenlos die Produktivität jedes einzelnen Arbeitsplatzbewerbers einschätzen, und somit entlohnt er die Arbeitskräfte entsprechend ihrer persönlichen Produktivität, d.h. ihrem Wertgrenzprodukt (Grenzprodukt x Güterpreis). Sollte aber der Arbeitgeber die Produktivität im Gegensatz zum Arbeitnehmer ex ante nicht kennen (ungleiche Information), bildet er unter der Annahme der Risikoneutralität den Erwartungswert und bietet dann entsprechend diesem Wert einen Durchschnittslohnsatz an. Der Erwartungswert wird vom erwarteten Verhältnis der "von Natur aus" produktiven zu den unproduktiven Arbeitnehmern bestimmt: Je geringer die Zahl der "von Natur aus" unproduktiven Bewerber, um so weniger weicht der vom Arbeitgeber angebotene Lohnsatz von jenem Satz ab, der ohne das Vorliegen einer asymmetrischen Informationsverteilung den "von Natur aus" fahigen Arbeitnehmern bezahlt würde. Unter dem einheitlichen Lohnsatz werden die (un)produktiven Arbeitnehmer be(vorteilt)nachteiligt, denn ihre wahre Produktivität in Form des Wertgrenzprodukts ist höher (geringer) als der erhaltene Lohnsatz. Folglich haben die produktiven Arbeitnehmer ein Interesse daran, sich von den anderen abzuheben. Dieses Interesse wird umso stärker sein, je höher der erwartete Anteil der "von Natur aus" unproduktiven Bewerber ist, denn um so niedriger wird der einheitliche Lohnsatz ausfallen. Da aber auch die relativ unproduktiven Bewerber eine hohe Qualität vortäuschen können, bedarf es eines weiteren, glaubwürdigen Instruments. Eine glaubwürdige Möglichkeit bestünde darin, daß die produktiveren Arbeitnehmer ein besseres Ausbildungsniveau anstreben als die relativ unproduktiven. Auch der Arbeitgeber hat ein Interesse, nach einem solchen Signal Ausschau zu halten, denn mit Hilfe dieses Signals fällt es ihm leichter, relativ produktive Arbeitskräfte anzuwerben. Damit Ausbildung als Signalinginstrument funktioniert, muß man davon ausgehen, daß die Bewerber
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mit den höheren angeborenen Fähigkeiten geringere Ausbildungs(grenz-)kosten aufwenden als ihre weniger begabten Konkurrenten, was ich im folgenden zeige. Jeder Arbeitnehmer soll sich in diesem Modell einer gegebenen Entlohnungsfunktion in Abhängigkeit vom Ausbildungsniveau gegenübersehen, so daß ihm die Auszahlungen jedweder Ausbildung bekannt sind. Es fallen natürlich in Abhängigkeit vom Ausbildungsniveau Ausbildungskosten an. Bei gegebenen Kosten und Auszahlungen der jeweiligen Ausbildungsstufen wählt jeder Bewerber das Ausbildungsniveau, bei dem die Differenz zwischen Auszahlungen und Ausbildungskosten am höchsten sind. Um das Kalkül eines beliebigen Arbeitgebers und der Bewerber auf dem Arbeitsmarkt zu verdeutlichen, nehme ich an, daß ein von den Arbeitgebern bestimmtes Ausbildungsniveau existiert, welches nur Bewerber mit hohen angeborenen Fähigkeiten erreichen könnten; alle anderen Bewerber streben dieses Niveau nicht an. Ein solches separierendes Gleichgewicht zwischen relativ unfähigen und fähigen Bewerbern ist nur gegeben, wenn die Erwartungen der Arbeitgeber und die der Arbeitnehmer übereinstimmen und keiner der Akteure mehr nachträglich einen Anreiz hat, sein Verhalten zu verändern (Nash-Gleichgewicht). Für ein solches Nash-Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt müssen mehrere Voraussetzungen gegeben sein: - Beobachtet ein beliebiger Arbeitgeber, daß ein Bewerber das gesetzte Ausbildungsniveau nicht erreicht, geht er davon aus, daß es sich bei diesem Arbeitnehmer mit Sicherheit um einen Vertreter der "von Natur aus" unproduktiven Gruppe handelt. Aufgrund dieser Erwartung senkt er den angebotenen Lohnsatz auf ein relativ niedriges Niveau. Wählt ein Bewerber dagegen einen Ausbildungsstand, der mindestens so hoch (oder gar höher) liegt als das vom Arbeitgeber fixierte Niveau, wird es sich bei diesem Bewerber nach Ansicht des Arbeitgebers auf jeden Fall um einen fähigen Bewerber handeln; er ist daher bereit, einen höheren Lohnsatz zu zahlen. M.a.W.; die Arbeitgeber machen ihr Lohngefiige vom Ausbildungsniveau der Bewerber abhängig. - Jeder beliebige Arbeitnehmer wird jenes Ausbildungsniveau als Signal wählen, bei dem die Differenz zwischen dem Nutzen der Ausbildung und den dadurch entstehenden Kosten am größten ist. Die Arbeitnehmer aus der Gruppe, die eher geringe Fähigkeiten aufweisen, werden kein (ein) Signal anstreben, wenn das Einkommen ohne Ausbildung größer (geringer oder gleich) ist als das Einkommen mit Ausbildung, wobei letzteres die aufzuwendenden Ausbildungskosten tragen muß. Je größer also die Einkommensdifferenz zwischen mit bzw. ohne Ausbildung und/oder je geringer die Aus7 Wein
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bildungskosten, um so eher werden die "von Natur aus" unproduktiven Arbeitnehmer das Signal eines bestimmten Ausbildungsniveau anstreben. Im Prinzip stellt ein "von Natur aus" fiihiger Arbeitnehmer die gleichen Erwägungen an, nur daß seine Kosten zur Erreichung eines solchen Ausbildungsniveaus geringer sind als die eines Arbeitnehmers aus der anderen Gruppe. Folglich werden die fiihigen Arbeitnehmer das Signal um so eher und die unfähigen Bewerber um so weniger anstreben, je geringer die Ausbildungskosten der fähigen Bewerber im Vergleich zu den Ausbildungskosten der unfähigen sind. - Sowohl für die Arbeitgeber als auch fiir den Bewerber muß der separierende Gleichgewichtszustand mit einem höheren Nutzenniveau (oder zumindest mit dem gleichen) verbunden sein als jenes Niveau, das sie bei Vorliegen einer Situation mit asymmetrischer Informationsverteilung in Form des einheitlichen Lohnsatzes erreicht hätten. Ansonsten würde das Gleichgewicht mit dem einheitlichen Lohnsatz ("Pooling"-Gleichgewicht) das separierende Gleichgewicht verdrängen. Bei gegebenen Lohnsätzen kann der Arbeitgeber sein Anspruchsniveau im Hinblick auf das Ausbildungslevel frei wählen und somit über die Existenz eines separierenden Gleichgewichts entscheiden: - Legt er ein zu hohes Ausbildungsniveau fest, wird kein Bewerber, unabhängig von seiner Gruppenzugehörigkeit, bereit sein, diese Ausbildung anzustreben. Es ergibt sich weiterhin ein Gleichgewicht, das durch die Existenz der asymmetrischen Informationsverteilung geprägt ist, d.h. alle Bewerber erhalten den gleichen Lohnsatz. - Ein zu niedriges Ausbildungsniveau können auch die Bewerber aus der "von Natur aus" eher unfähigen Gruppe erreichen; es entsteht wieder ein nichtseparierendes ("Pooling"-)Gleichgewicht, bei dem beide Gruppen die Ausbildung anstreben. - Innerhalb einer gewissen Bandbreite zwischen diesen beiden Extremen gibt es ein separierendes Gleichgewicht, so daß der Arbeitgeber anband des Signals "Ausbildungsabschluß" die "von Natur aus" unproduktiven von den produktiven Bewerbern unterscheiden kann. Die Erwartungen der Arbeitgeber werden dann in der Realität bestätigt. Auch hier gilt: Die Löhne steigen mit dem Ausbildungsniveau an, ohne daß durch die Ausbildung die Produktivität der Beschäftigten zunimmt. Der gesamtwirtschaftliche Nutzen der Ausbildungsinvestitionen besteht in diesem Modell also nur darin, eine Situation mit asymmetrischer Informationsverteilung zu überwinden.
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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Ein derartiges separierendes Gleichgewicht stellt also nur eine von mehreren Möglichkeiten dar und wirft darüber hinaus noch drei weitere Probleme auf. Erstens sind die theoretisch zu einem separierenden Gleichgewicht führenden Situationen untereinander nicht gleichwertig, da ein steigendes Anspruchsniveau der Arbeitgeber höhere Ausbildungskosten nach sich zieht. Diese höheren Ausbildungskosten erzeugen neben der schon zu geringeren Kosten zu erreichenden Trennung keinen weiteren Nutzen. Es ist zweitens fraglich, ob das beschriebene separierende tatsächlich ein stabiles Gleichgewicht darstellt, denn möglicherweise hat der Arbeitgeber ein Interesse daran, vom separierenden Gleichgewicht abzuweichen und einen anderen Zustand mit für ihn höheren Gewinnen anzustreben. M.a.W.; die Wettbewerbsbeziehungen zwischen den Arbeitgebern wurden noch nicht im ausreichendem Maße beachtet, so daß im strengen Sinne noch kein Nash-Gleichgewicht vorliegt. Dies kann man anhand folgender Überlegungen verdeutlichen: Ein beliebiger Arbeitgeber X erreicht möglicherweise einen höheren Gewinn, wenn er einen niedrigeren als den für ein separierendes Gleichgewicht erforderlichen Lohn zahlt und dabei in Kauf nimmt, daß er dadurch beide Bewerbergruppen zur Ausbildung anregt. M.a.W.; der Gewinn durch die geringeren Lohnaufwendungen kann den Verlust ausgleichen, den der Arbeitgeber X durch die nicht mehr stattfindende Trennung zwischen unproduktiven und produktiven Arbeitnehmern erleidet. Eine solche Strategie mag auch im Interesse der "von Natur aus" fähigeren Bewerber liegen, da u.U. die eingesparten Ausbildungskosten den Verlust durch geringere Lohneinkünfte überwiegen. Folglich sind auch sie bereit, nicht von den unproduktiven Bewerbern getrennt zu werden. Dieses "Pooling"-Gleichgewicht muß allerdings kein Endzustand darstellen, da u.U. gleichzeitig ein anderer Arbeitgeber Z durch einen höheren Lohnsatz und gleichzeitigem Anheben des Ausbildungsstandards nur die produktiven Bewerber attrahieren kann. Setzen nun die Arbeitgeber X und Z ihre Pläne um, erhält der Arbeitgeber X nur unproduktive Arbeitnehmer, d.h. seine Strategie endet mit einem Verlust. Freilich kann auch der Arbeitgeber Z nicht sicher sein, daß sein Vorhaben erfolgreich ist, da u.U. noch ein anderer Arbeitgeber Y auftreten wird, der ihn durch eine anders geartete "Pooling"-Strategie verdrängt. Um diese Interaktionen zu berücksichtigen, kann man die Bedingungen einführen, daß im Signaling-Gleichgewicht keine weitere Lohnstruktur existieren darf, die einem Arbeitgeber einen Gewinn beläßt. Die Existenz eines solchen gleichgewichtszerstörenden Dilemmas ist von den verwendeten Annahmen abhängig, die das Verhalten der Arbeitgeber beschreiben. Verläßt man die bisherige implizite Annahme, daß die Arbeitgeber diesen Prozeß des sich gegenseitigen Wegkonkurrierens nicht voraussehen, und sollen stattdessen die 7*
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Arbeitgeber ex ante die Unmöglichkeit eines langfristigen Gewinns bei einem solchen Verhalten erkennen, werden die Arbeitgeber gar nicht beginnen, das anfanglieh bestehende separierende Gleichgewicht aus den Angeln zu heben. Die Wahrscheinlichkeit für ein separierendes Gleichgewicht nimmt dann wieder zu (reaktive separierende Gleichgewichte).33 Die Gefahren aus "hidden action" werden drittens durch das Signaling-Instrument der Ausbildungsinvestitionen nicht gelöst, denn wie bereits oben beschrieben hat auch weiterhin ein qualitativ hochwertiger Bewerber, der das Ausbildungssignal besitzt, keinen Anreiz, seine Qualität während der Vertragslaufzeit aufrechtzuerhalten, wenn dies mit Kosten verbunden ist. M.a.W.: Ausbildungsinvestitionen, falls sie zu einem separierenden Gleichgewicht zwischen "von Natur aus" fahigen und unfahigen Bewerbern führen, beseitigen ausschließlich das "hidden-information"-, nicht das "hidden-action"-Problem. Unter bestimmten Voraussetzungen kann also das "Signaling"-Instrument "Ausbildung" eine ex ante bestehende asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten der Arbeitgeber beseitigen: Arbeitgeber, die einen "von Natur aus" produktiven Arbeitnehmer einstellen wollen, gehen eine Vertragsbeziehung nur mit jenen Bewerbern ein, die ein bestimmtes Ausbildungsniveau abgeschlossen haben, ohne daß diese Ausbildung die Produktivität der Arbeitnehmer erhöhen muß. 3.3.4.2 Ausbildungsinvestitionen im Rechtsanwaltsmarkt Anband der Überlegungen des Abschnittes 3.2.2 läßt sich zeigen, daß die Mandanten schlechter als die Anwälte informiert sind; die Anwälte haben daher die Möglichkeit, mit Hilfe von "hidden action" nach Vertragsschluß Vorteile zu erzielen, bzw. qualitativ schlechte Anwälte können u.U. hochwertige Rechtsvertreter verdrängen ("hidden information"). Im Rahmen dieses Abschnittes will ich daher der Frage nachgehen, inwieweit qualitativ hochwertige Standesvertreter durch den Abschluß bestimmter Ausbildungen sich von ihren Konkurrenten glaubwürdig abheben können. Wie funktioniert also das Signal "Ausbildungsinvestitionen" im Markt für Rechtsberatung? Im vorhergehenden Gliederungspunkt wurde gezeigt, daß man mit dem Signal "Ausbildungsinvestitionen" nur zu Beginn des Vertrages unveränderliche Fähigkeiten glaubwürdig übertragen kann. Was sind aber die unveränderlichen
33
Vgl. auch zu den verschiedenen Gleichgewichtskonzepten im Überblick Eisen (1986).
3 .3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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Fähigkeiten eines guten Anwaltes? Vor dem Abschluß des Studiums gibt es nur sehr wenige "von Natur aus" vorliegende Fähigkeiten wie Abstraktionsvermögen oder Zielstrebigkeit, die aus Sicht des Mandanten einen guten Anwalt ausmachen. Erst die während des Studiums und des Referendariats erworbenen bzw. während der Berufsausübung nicht mehr veränderbaren, zumindest nicht reduzierbaren Qualifikationen werden zu wesentlichen Teilen die flir den Mandanten relevante Qualität ausmachen. M.a.W.; die unveränderlichen Fähigkeiten beziehen sich im Anwaltsmarkt wesentlich auf den nach Abschluß der Berufsausbildung erworbenen Wissensstand. Als Signale kommen nur Zusatzqualifikationen, wie z.B. die Weiterbildung zum Fachanwalt oder der erfolgreiche Abschluß eines Promotionsvorhabens in Frage, wobei diese Zusatzqualifikationen nicht notwendigerweise die Qualität der Anwälte verbessern müssen. Da sich ein möglicherweise ergebendes Signalinggleichgewicht mit diesen Zusatzqualifikationen nur auf die unveränderlichen Fähigkeiten beziehen kann, wird dadurch - wie in allen Fällen des Signalingsinstruments "Ausbildungsinvestitionen" - nur das "hidden-information"-Problem gelöst. Alle Qualitätskomponenten, die vom Anwalt noch während der Mandatsabwicklung veränderbar sind und nur unter Aufwendungen von Kosten bereitgestellt werden, wie z.B. die Sorgfalt und Mühe der Rechtsberatung, werden durch das Instrument "Ausbildungsinvestitionen" nicht erfaßt; folglich bleibt unabhängig vom Ergebnis der weiteren Überlegungen auf jeden Fall das "hidden-action"-Problem in der Mandant-Anwalt-Vertragsbeziehung bestehen. Um ein separierendes Gleichgewicht zwischen Anwälten mit anfänglich hoher und niedriger Qualität durch das Signal "Zusatzqualifikationen" zu erreichen, müssen mehrere Voraussetzungen erflillt sein: - Die qualitativ hochwertigen Anwälte müssen mindestens das von den Mandanten gesetzte Niveau an Zusatzqualifikationen erreichen; nur dann werden sie vom Mandanten als ein solcher Anbieter erkannt und erhalten ein höheres Honorar als ihre Kollegen, die eine geringe Qualität aufweisen. - Das vom Mandanten gesetzte Niveau an Zusatzqualifikationen dürfen nur die qualitativ hochwertigen Anbieter erreichen können. M.a. W.; ihr Nutzen in Form höherer Honorareinnahmen müssen die Einnahmen, die ohne Zusatzqualifikation erreichbar wären, und die anfallenden Ausbildungskosten der Zusatzqualifikation übersteigen. Die qualitativ geringwertigen Anwälte müssen dagegen höhere Ausbildungskosten flir die ergänzende Qualifikation aufweisen, sonst streben sie ebenfalls den Erwerb dieses Signals an, und die separierende Wirkung des Signals entfallt.
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- Beide beteiligten Marktseiten müssen sich im separierenden Gleichgewicht besser stellen als unter einer Situation, in der die Mandanten aufgrund asymmetrisch verteilter Information Honorare entsprechend ihrem Erwartungswert den Anwälten zugestehen. Je höher der erwartete Anteil der "von Natur aus" produktiven Anwälte, um so höher ist der Erwartungswert und um so weniger lohnen sich c.p. flir die Anwälte Zusatzqualifikationen.34 - Das sich einstellende separierende Gleichgewicht muß auch unter Wettbewerb Bestand haben: Kein Mandant darf sich durch Minderung seiner Zahlungsbereitschaft im Hinblick auf das anwaltliehe Honorar oder Herabsetzung des geforderten Niveaus bei der Zusatzqualifikation besser stellen, wenn er damit gleichzeitig das separierende Gleichgewicht zerstören würde. Allerdings muß ein Mandant, der einen solchen Vorteil ausspielt, damit rechnen, daß ihm ein anderer Mandant durch eine andere Kombination aus der "Bereitschaft, ein bestimmtes Honorar zu zahlen" und "angestrebtes Mindestniveau an Zusatzqualifikationen" seine Strategie zerstören kann. Je eher man allerdings annimmt, daß die Mandanten die langfristige Nutzlosigkeit solcher Strategien, die ein separierendes Gleichgewicht aus den Angeln heben, erkennen, um so unwahrscheinlicher wird ein solches Verhalten. Die Wahrscheinlichkeit, ein separierendes Gleichgewichts durch das Signalinginstrument "Zusatzqualifikation" zu erreichen und damit "hidden information" zu verhindern, ist also von diesen Faktoren abhängig. Diese Faktoren müßten empirisch überprüft werden. Da freilich durch den beschriebenen SignalingMechanismus keine Anreize entstehen, nach Vertragsschluß die Qualität aufrechtzuerhalten, bleibt hier auf jeden Fall das "hidden-action"-Problem bestehen. 3.3.4.3 Zusammenfassung Das Signalinginstrument "Ausbildunginvestitionen" ist unter bestimmten Voraussetzungen dazu in der Lage, ein separierendes Gleichgewicht zwischen den produktiveren und den unproduktiveren Agenten herbeizufiihren. Signalisiert werden in diesem Modell aber nur die "von Natur aus" vorhandenen Fähigkeiten, so daß ausschließlich das "hidden-information"-Problem ange-
3' Dies hat auch RUckwirkungen auf das Verhalten der Anwälte, wenn der Staat bestimmte Mindestqualifikationen festlegt: Ein staatlicherseits verordnetes hohes Niveau an Mindestqualifikation wirkt gleich wie ein hoher erwarteter Anteil an "von Natur aus" unproduktiven Anwälten, so daß die Ertragsmöglichkeit einer Zusatzqualifikation beschnitten wird; mit steigender Mindestqualifikation geht der Anreiz zum Erwerb von Zusatzqualifikationen zurück.
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gangen wird. Zentrale Voraussetzung für ein separierendes Gleichgewicht stellen Unterschiede bei den Ausbildungsgrenzkosten der Signale in der Form dar, daß die "von Natur aus" produktiveren Agenten niedrigere Grenzkosten aufweisen als die anderen Agenten. Die Wirksamkeit der Signale ist allerdings nicht davon abhängig, ob sie die Produktivität der Agenten erhöhen. Zusatzqualifikationen wie der Erwerb einer Fachanwaltsausbildung oder einer Promotion könnten im Anwaltsmarkt die trennende Funktion übernehmen. Als unveränderliche Fähigkeiten sind dann insbesondere die während der Berufsausbildung erworbenen Kenntnisse anzusehen. Wenn die Zusatzqualifikationen die Produktivität des Anwalts nicht erhöhen, was für die Funktionsfähigkeit dieses Ansatzes nicht erforderlich ist, haben die dafür vorgenommenen Aktivitäten allein den gesamtwirtschaftlichen Zweck, ungleiche Information in Form des Auswahlproblems zu überwinden. Die sicherlich sehr wichtigen Einflußfaktoren für die anwaltliehe Beratungsqualität wie Sorgfalt und Mühe des Anwalts werden durch das Signalinginstrument "Zusatzqualifikationen" nicht abgedeckt. Um ein separierendes Gleichgewicht zu erreichen, muß man allerdings davon ausgehen können, daß die flihigeren Anwälte leichter als ihr Kollegen diese Zusatzqualifikationen erwerben können, alle Beteiligten sich im Falle des Vorliegens eines separierenden Gleichgewichts besser stellen als im Gleichgewicht mit ungleicher Information und die Mandanten durch ein wettbewerbliebes Verhalten untereinander ein gefundenes separierendes Gleichgewicht nicht destabilisieren. Unabhängig davon, ob die Existenz eines solchen Gleichgewichts empirisch zu verifizieren wäre, bleibt auf jeden Fall das "hidden-action"-Problem bestehen.
3.3.5 Aufbau von Reputation Möglicherweise hat es der Anwalt selbst in der Hand, sich durch eine kontinuierlich gute Beratungsqualität den Ruf eines vertrauenswürdigen Standesvertreters aufzubauen. Mandanten, die an diesem "Qualitätssegment des Anwaltsmarktes" interessiert sind, können sich dann an einen solchen Rechtsbeistand wenden. Es entsteht also ohne staatliche Eingriffe ein Gleichgewicht, in dem Klienten, die eine qualitativ hochwertige Leistung präferieren, diese auch erhalten. Punkt 3.3 .5 .I stellt allgemein die Funktionsweise eines Marktes mit um Reputation bemühte Anbieter vor. Die Möglichkeiten für reputierliche Anwälte sind Gegenstand des Abschnittes 3.3.5.2. Punkt 3.3.5.3 faßt die Ergebnisse zusammen.
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3.3.5.1 Märkte mit Reputation Die Gefahren aus "hidden action" und "hidden information" wurden unter der impliziten Annahme abgeleitet, daß nur eine Transaktion stattfindet. Sobald Güter mehrmals nachgefragt werden, besteht die Möglichkeit, daß ein Agent, der Produzent, der kontinuierlich hohe Qualität anbietet, einen guten Ruf bei den Prinzipalen (den Nachfragem) erwirbt.35 Es gibt eine Vielzahl von Modellen, welche die Annahmen und die Wirkungsweise des Reputationsmechanismus beschreiben. Diese Modelle lassen sich zwei Grundtypen zuordnen, die sich bei der Frage, wie die gegenwärtige mit der zukünftigen Qualität zusammenhängt, unterscheiden. Folgende beide Möglichkeiten existieren:
- Die Qualität des Gutes bleibt im Zeitablauf konstant. Hier hat der Anbieter zunächst die Möglichkeit, die Qualität zu bestimmen. Danach liegt sie aber ftlr eine gewisse Zeit fest. M.a.W.: Für den Nachfrager ist nur das "hiddeninformation"-Problem relevant. In solchen Fällen fUhren Erfahrungen aus der Vergangenheit zu direkten Informationen über die zukünftige Qualität des Gutes (vgl. Punkt 3.3.5.1.1). - Die Qualität des Gutes kann sich im Zeitablauf durch ein Verhalten des Produzenten verändern. Zu Vertragsbeginn ist zwar die vereinbarte Qualität vorhanden, der Produzent hat aber die Möglichkeit, sie ex post zu senken. Somit wird das "hidden-action"-Problem relevant. In diesem Fall kann man aus der Qualität der Vergangenheit nicht direkt auf die zukünftige schließen; folglich kann der Reputationsmechanismus nur auf indirekte Art und Weise funktionieren (vgl. Punkt 3.3.5.1.2). Abschnitt 3.3 .5 .1.3 faßt die allgemeinen Überlegungen zum Reputationsmechanismus kurz zusammen. 3.3.5.1.1 Im Zeitablauf unveränderliche Qualität Unter der Annahme einer gegebenen Qualität des Gutes verfolgen die Produzenten mit hoher Qualität primär ein Ziel: Wie können sie die Konsumenten zum Ausprobieren ihrer Produkte anregen? Die Konsumenten sind zwar schnell bereit, ein neues Produkt zu testen, falls die potentiellen Kosten des Ausprobierens in Form von verlorenem Einkommen, entstehendem Schaden oder auf35 Vgl. zum Reputationsmechanismus allgemein Klein!Leffier (1981), Shapiro (1983b), von Ungem-Stemberg (1984a,b), von Weizsäcker (1980), Rapold (1988) und zum folgenden insbesondere Tirole (1988, S. 110-113 und 116-126).
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kommender Enttäuschung gering sind und/oder sie viele zukünftige Käufe erwarten: letzteres ennöglicht es eher, anfängliche "Verluste" auf mehrere Perioden des Kaufens zu verteilen, so daß die Verluste an Bedeutung verlieren. Welche Situation ergibt sich aber, falls die Kosten des Ausprobierens hoch sind? Hat dann der Produzent die Möglichkeit, durch eine entsprechende Preisbildung (z.B. über einen niedrigeren Einführungspreis), aufwendige Werbeausgaben oder ähnliches den Widerstand des Nachfragers zu überwinden? Diese Fragen setzen zum einen voraus, daß der Produzent überhaupt ein Interesse an dem Angebot einer hohen Qualität hat, zum anderen, daß er seine hohe Qualität dem Nachfrager glaubhaft deutlich machen (signalisieren) kann. Um die Frage des Interesses eines Produzenten an hoher Qualität zunächst alleine untersuchen zu können, gehe ich davon aus, daß sowohl der Anbieter als auch der Nachfrager grundsätzlich in gleichem Maße unvollständig informiert ist; das einzige, hier zu behandelnde Infonnationsproblem bezieht sich auf den Sachverhalt, daß ein gegebener und beliebiger Nachfrager im vorhinein nicht weiß, ob die Qualitätseigenschaften des fraglichen Gutes mit seinen Präferenzen übereinstimmen. Man spricht hier von einer "idiosynkratischen" oder "subjektiven" Qualität, denn jeder Konsument kann die Qualität des Gutes unterschiedlich bewerten. Allerdings soll die Wahrscheinlichkeit, ob das Gut einem beliebigen Konsumenten gefällt ("Zufriedenswahrschein/ichkeit'), allgemein bekannt sein. Nach dem Konsum des Gutes ist für den einzelnen Nachfrager der lnfonnationsmangel beseitigt. Die Einschätzung dieses Nachfragers hängt allein von seinen verborgenen Präferenzen ab, so daß der Anbieter ex ante nicht voraussehen kann, wie die zu erbringende Leistung beim einzelnen Nachfrager "ankommt". Unter der Annahme, daß sich der Produzent als Monopolist verhält, wird er wie im allgemeinen Fall des Monopols (vgl. z.B. Fritsch/Wein/Ewers 1993, S. 135-137) in der ersten Periode in Abhängigkeit von der "Zufriedenswahrscheinlichkeit" und seinen Kosten einen gewinnmaximierenden Monopolpreis setzen. Die Konsumenten werden in der ersten Periode entsprechend ihrer Zahlungsbereitschaft für die zu erwartende Qualität nachfragen. In der zweiten Periode, so die Annahme, konsumieren sie beim Anbieter der ersten Periode nur dann, wenn der geforderte Preis nicht höher ist als die Zahlungsbereitschaft für diese ihnen nun offenkundig gewordene Qualität. Der Anbieter kann jedoch in der zweiten Periode seinen Preis anheben, da nur weiterhin Käufer nachfragen, bei denen die angebotene Qualität ihren Vorstellungen entspricht und die deswegen ihre Zahlungsbereitschaft nicht an der zu erwartenden, sondern an der tatsächlichen Qualität orientieren.36 Das
36 Unter einen wettbewerbliehen Marktstruktur mit vielen Anbietern hat ein Produzent, da er sich als Mengenanpasser verhalten muß, keine solche Möglichkeit.
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wichtigste Ergebnis dieses Modells besteht darin, daß durch die in der ersten Periode angebotene Qualität die Nachfrager zum "Wiederholkauf' in der zweiten Periode angeregt werden können. M.a.W.; der Monopolist erreicht die Stellung eines reputierlichen Anbieters. Allerdings hat hier der Anbieter keinen Anreiz und keine Möglichkeit, andere als die in der ersten Periode zufällig erhaltenen Nachfrager, z.B. durch einen Einführungspreis, anzuziehen. Es zeigt sich also, daß zwar bei subjektiver Qualität Reputation aufgebaut werden kann. Der Anbieter als Agent ist aber nicht dazu in der Lage, durch sein eigenes Verhalten, z.B. durch einen Einführungspreis, mehr als die zufällig bei ihm "konsumierenden" Prinzipale zu attrahieren. M.a.W.; ein separierendes Gleichgewicht bereits in der ersten Periode, bei dem die Prinzipale zwischen den Agenten mit hoher und niedriger Qualität wählen können, besteht nicht; ein solches Ergebnis kann auch gar nicht verwundern, denn wie sollen Anbieter ihre "wahre" Qualität" signalisieren, wenn sie diese gar nicht kennen. Um also ein separierendes Gleichgewicht zu ermöglichen, muß man die Annahmen des Modells verändern. Im folgenden gehe ich erstens davon aus, daß es nur hohe bzw. nur niedrige Qualität geben kann und alle Konsumenten die Qualität in gleicher Weise einschätzen (objektive Qualität). Zweitens kennen zwar die Anbieter die objektive Qualität ihrer Güter, die Konsumenten sind aber über die Qualität nur dann im Bilde, wenn sie die Güter bereits konsumiert haben. 37 Drittens erfahren die Konsumenten die wahre Qualität zunächst nur durch den individuellen Kauf und Gebrauch, d.h. Informationen über Qualitätseigenschaften verbreiten sich nicht, so daß Faktoren wie Mund-zu-MundWerbung und Qualitätsangaben aus Konsumentenzeitschriften in diesem Modell ausgeschlossen bleiben. Viertens sollen die Durchschnittskosten für höhere Qualität größer sein als die für niedrige Qualität, wobei allerdings niedrige Qualität nicht kostenlos produzierbar ist. Fünftens soll ein Anbieter niedriger Qualität in der zweiten Periode keine Möglichkeit mehr haben, etwas gewinnbringend zu verkaufen, da seine Durchschnittskosten die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für die offenkundig niedrige Qualität übersteigen. M.a.W.: Entfiillt die asymmetrische Informationsverteilung, lehnen die Konsumenten die Anbieter niedriger Qualität ab. Sechstens sollen die Präferenzen der Konsumenten identisch sein. Die Konsumenten eines Anbieters der zweiten Runde sollen sich siebtens ausschließlich aus dem Pool der Nachfrager der ersten Runde rekrutieren können. Vereinfachend gilt achtens, daß der Nutzen eines Gutes schlechter Qualität gleich Null ist.
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Es liegt also ein Erfahrungsgut vor (vgl. Abschnitt 3.2.1.2).
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Jeder Anbieter wird nun behaupten, die von ihm angebotene Qualität sei hoch, unabhängig vom Wahrheitsgehalt seiner Aussage. Jeder Nachfrager weiß dies, so daß er allein einer solchen Aussage keinen Glauben schenkt. Folglich ist die Frage, ob ein Anbieter mit hoher Qualität den Nachfragern durch ein Angebot zu einem niedrigen Einführungspreis (vgl. Schmalensee 1978) oder offenkundig verschwenderische Ausgaben (vgl. Nelson 1974) die hohe Qualität glaubhaft machen kann. M.a.W.; gibt es ein Gleichgewicht, daß zwischen "guten" und "schlechten" Anbietern trennt ("separierendes" Gleichgewicht)? Ich will diese Frage für den Fall des niedrigen Einführungspreises beantworten.38 Möglicherweise sträuben sich die Konsumenten gegen den Kauf des betreffenden Gutes, weil ein qualitativ schlechtes Gut für sie hohe Kosten verursacht. Mit Hilfe eines geringen Einführungspreises kann der qualitativ gute Anbieter das Risiko des Konsumenten vermindern. Vielfach mag der Preissenkungsspielraum aber nicht ausreichen, um die Kosten des Ausprobierens zu tragen. Folglich muß man untersuchen, ob nur der Produzent eines qualitativ hochwertigen Gutes einen Anreiz hat, zu einem niedrigen Einführungspreis anzubieten. In diesem Falle dürfte es sich für die Anbieter niedriger Qualität nicht lohnen, die Strategie des niedrigen Einführungspreises nachzuahmen; d.h. der Einführungspreis muß so niedrig angesetzt werden, daß die Produzenten niedriger Qualität bei diesem Preisniveau einen Verlust machen und deswegen gar nicht anbieten. 39 Ein separierendes Gleichgewicht zwischen qualitativ hochwertigen und schlechten Anbietern stellt sich in der Form ein, daß nur qualitativ hochwertige Anbieter auftreten. Ein solches Gleichgewicht kann sich nur ergeben, falls der sogenannte Nelson-Effekt den sogenannten Schmalensee-Effekt überwiegt. Je teurer ein Gut hoher Qualität im Vergleich zu niedriger Qualität hergestellt werden muß, desto höher ist der Verlust eines qualitativ hochwertigen Produzenten, wenn er mit dem niedrigen, den Markteintritt des schlechten Anbieters verhindernden
38 Tirole ( 1988, S. 120) behandelt auch den Fall des Signalisierens durch verschwenderische Ausgaben (z.B. ftlr Werbeausgaben). Unter bestimmten Voraussetzungen sind beide Strategien gleichwertig. Wenn man davon ausgeht, daß die verschwenderischen Ausgaben wie z.B. die Werbung dem Konsumenten kaum einen Nutzen bringen (z.B. nur über die Existenz eines Anbieters zu informieren), präferieren die Nachfrager naturlieh niedrige Preise, falls es in beiden Fällen ein Gleichgewicht gibt. Vgl. hierzu auch Abschnitt 3.3.6. 39 Den höheren, kostendeckenden Preis können die schlechten Anbieter nicht erzielen, denn aus dem höheren Preis schließen die Nachfrager völlig zu recht, daß ein qualitativ schlechtes Gut angeboten wird. Entsprechend der obigen ftlnften Annahme lehnen daher die Konsumenten offenkundig schlechte Qualität ab.
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Einführungspreis in der ersten Periode anbieten muß (Schmalensee-Effekt). 40 Ein Anbieter, der in der ersten Periode hohe Qualität durch einen niedrigen Einführungspreis in den Verkehr bringt, erzielt Wiederholkäufe, die zu Gewinnen in Höhe der Differenz zwischen der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für die nun offenkundig hohe Qualität und den für hohe Qualität anfallenden Durchschnittskosten führen. Die abdiskontierten Gewinne aus der Folgeperiode bezeichnet man als Nelson-Effekt. Zusammenfassend gilt also, je kleiner die Kostenersparnis eines Anbieters, der nur schlechte Qualität aufweist (geringer Schmalensee-Effekt), je größer die Wiederholkaufhäufigkeit Ge höher die Zahl der Folgeperioden), je höher die Wertschätzung des Anbieters für zukünftiges Einkommen (d.h. je niedriger der Diskontfaktor; gewichtigerer Nelson-Effekt) und je höher die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für hohe Qualität unter vollständiger Information (ebenfalls gewichtigerer "Nelson"-Effekt), um so wahrscheinlicher wird ein ausschließliches Angebot mit hoher Qualität zu einem niedrigen Einführungspreis. Denn unter diesen Bedingungen schwindet für die Anbieter mit niedriger Qualität die Möglichkeit, die Niedrig-Preis-Strategie des Anbieters hoher Qualität nachzuahmen. Ob bei objektiver Qualität trotz asymmetrischer Informationsverteilung zu Lasten der Konsumenten ein separierendes Gleichgewicht vorliegt, hängt also insbesondere von mehreren Faktoren ab: - Der Nachfrager muß nach dem Konsum die Qualität einschätzen können (Erfahrungsgut). - Die Qualität des angebotenen Gutes ist unveränderlich und anfänglich nur dem jeweiligen Produzenten bekannt. - Nur die Nachfrager, die das Gut konsumiert haben, können die Qualität beurteilen. - Die Nachfrager müssen einen Bedarf für Wiederholkäufe aufweisen.4 1
40 In der zweiten Periode wird niemand mehr bereit sein, bei dem offenkundig qualitativ schlechten Anbieter nachzufragen, da die Zahlungsbereitschaft unter Wegfall der asymmetrischen Informationsverteilung filr ein qualitativ schlechtes Gut geringer ist als der zur Kostendeckung erforderliche Preis (siehe oben).
41 M.a. W.: Die Funktionsfllhigkeit des Reputationsmechanismus ist mit davon abhängig, ob die Konsumenten in ausreichender Häufigkeit ihren Kauf wiederholen. Es ist aber nicht notwendig,
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- Der Schmalensee-Effekt muß geringer sein als der Nelson-Effekt. - Die Durchschnittskosten ftlr niedrige Qualität müssen höher sein als die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten ftlr niedrige Qualität unter vollständiger Information. Unter diesen Bedingungen sind Anbieterhoher Qualität in der Lage, sich durch einen niedrigen Einftlhrungspreis von ihren Konkurrenten abzuheben; die Konkurrenten mit schlechter Qualität bieten gar nicht an. Es entwickelt sich also eine spezielle Form des separierenden Gleichgewichts. 3.3 .5 .1.2 Durch das Verhalten des Produzenten veränderliche Qualität Inwieweit besteht die Möglichkeit zur Herausbildung von Reputation, falls neben dem ex ante bestehenden "hidden-information"-Problem der (monopolistische) Anbieter in jeder Periode noch die Chance hat, die Qualität des angebotenen Gutes zu senken? Im Vorgriff auf die folgenden Ausftlhrungen kann man zusammenfassend sagen, daß sich Reputation nur entwickeln kann, wenn die (veränderliche) Qualität der Vergangenheit in einem inhaltlichen Zusammenhang mit der zukünftigen Qualität steht: Hierzu existieren zwei unterschiedliche Modelle, der Klein-Leffler/Shapiro-Ansatz mit Qualitätsprämien und der Kreps-Wilson/Milgrom-Roberts-Ansatz mit einem gewissen Anteil an "von Natur aus" vertrauenswürdigen Anbietern. In beiden Ansätzen setzt man voraus, daß die Konsumenten im Hinblick auf die Präferenzen identisch sind, alle Konsumenten die Qualität der Vorperiode zu Beginn der neuen Periode erkennen können,42 nur zwei Qualitätsstufen vorliegen, die Güter über mehrere Perioden angeboten bzw. verkauft werden und die Qualitätsstufen mit unterschiedlichen bzw. positiven Durchschnittskosten produziert werden.
daß die Wiederholkäufe durch den gleichen Konsumenten, an derselben Verkaufsstelle oder beim gleichen Gut gemacht werden. Erstens kann schon Mund-zu-Mund-Werbung zwischen den Konsumenten ausreichen. Zweitens können Markenprodukte oder Ketten die Entwicklung einer Reputation sicherstellen, obwohl verschiedenartige GUter an unterschiedlichen Orten gekauft werden. Zur Bedeutung von Ketten vgl. auch Abschnitt 3.3.7. 42 Dies bedeutet vereinfachend, daß die Qualität der Anbieter sich nach einer Periode über Mund-zu-Mund-Werbung oder Testpublikationen unendlich schnell und flächendeckend verbreitet, so daß die Anzahl der informierten Kunden im Gegensatz zu vorherigen Ansatz keine Rolle mehr spielt.
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Der Klein-Leffler/Shapiro-Ansatz beruht auf dem Extrapolationsprinzip: Verhaltenswissenschaftliche Studien weisen auf eine wesentliche Bedeutung des Extrapolationsprinzips bei der individuellen Erwartungsbildung hin; demnach gehen die Individuen vielfach davon aus, daß sich die in der Vergangenheit zu beobachtenden Verhältnisse bzw. Verhaltensweisen, sowohl die positiven als auch die negativen, auch in Zukunft fortsetzen werden (vgl. hierzu von Weizsäcker 1980, S. 71-86). Vorausgesetzt, die Nachfrager verhalten sich gemäß den durch das Extrapolationsprinzip gesetzten Annahmen, dann haben die Anbieter zwei Alternativen: Sie können zum einen immer hohe Qualität anbieten und somit Wiederholkäufe induzieren, zum anderen in der ersten Periode nur behaupten, eine hohe Qualität aufzuweisen, tatsächlich aber schlechte Qualität liefern. Im letzteren Fall werden die Konsumenten ab der zweiten Periode bei einem solchen Anbieter nicht mehr kaufen. Existiert also ein Gleichgewicht mit Anbietern, die dauerhaft hohe Qualität anbieten? Um diese Frage zu bejahen, müssen drei Bedingungen erfiillt sein: - Ein Anbieter mit dauerhaft hoher Qualität muß langfristig höhere Gewinne erzielen können als sein Konkurrent, der zu irgendeinem Zeitpunkt auf niedrige Qualität überschwenkt. Ein monopolistischer Produzent, der immer hohe Qualität anbietet, erzielt einen intertemporalen Gewinn, der sich aus der abdiskontierten Differenz zwischen dem für reputierliche Anbieter erzielbaren Preis und den Kosten für hohe Qualität ergibt. Jener Anbieter aber, der in irgendeiner Periode anbietet und tatsächlich nur schlechte Qualität liefert, gewinnt in dieser Periode die Differenz zwischen dem erzielbaren Preis und den geringeren Kosten niedriger Qualität. Da diesen "Betrug" jeder Konsument zu Beginn der folgenden Perioden erkennen kann, fallen alle Folgeaufträge weg; der Gewinn aus den Folgeperioden ist somit gleich Null. Ein Gleichgewicht mit Anbietern, die langfristig einen guten Ruf anstreben, ist also nur möglich, wenn die abdiskontierten Gewinne eines reputierlichen Verhaltens (die Reputationsprämien) die kurzfristigen Erträge im Falle des Betrügens übersteigen. Die kurzfristigen Erträge schlagen sich in Form reduzierter Kosten nieder, wenn man statt hoher nur niedrige Qualität produziert. - Ein Produzent, der zu irgendeinem Zeitpunkt auf niedrige Qualität übergewechselt ist, darf als Hoch-Qualitätsanbieter keine Chance mehr haben. Ein Anbieter mit schlechtem Ruf, der dem kurzfristigen Vorteil des Betrügens gefolgt ist, könnte sein Gut hoher Qualität kostenlos zur Verfügung stellen oder gar etwas zuzahlen, damit Konsumenten wieder bei ihm nachfragen (man kann ein solches Verhalten als "Wiedereintrittsstrategie" bezeichnen). Um infolgedessen eine erfolgreiche Wiedereintrittsstrategie zu verhindern, muß der aus dieser Strategie entstehende Aufwand größer sein als die nach
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Wiedereintritt erzielbaren Gewinne des reputierlichen Anbieters in Form der abdiskontierten Reputationsprämien. - Der Konsument muß in der ersten Periode bereit sein, das Gut des reputierlichen Anbieters nachzufragen. Der Produzent, der das Ziel verfolgt, in einem bestimmten Markt langfristig hohe Qualität anzubieten, kalkuliert in diesem Modell einen langfristig konstanten und kostendeckenden Preis. Reputierliche Anbieter sind folglich nur existenzfähig, wenn die Konsumenten diesen Preis akzeptieren; d.h. ihre Zahlungsbereitschaft muß mindestens so hoch sein wie der geforderte Preis. Nur in Märkten, in denen diese drei Bedingungen erfiillt sind, ist ein ausschließliches Angebot durch die reputierlichen Produzenten zu erwarten. Ferner geht man in diesem Modell davon aus, daß alle Akteure einen unbegrenzten Zeithorizont aufweisen43 und der Zutritt in den jeweiligen Markt fiir die Produzenten offen sei.44 Entscheidend fiir diesen Ansatz ist jedoch, daß die Konsumenten vom Extrapolationsprinzip ausgehen, d.h. sie erwarten, daß ein schlechter (guter) Anbieter auch in Zukunft ein schlechter (guter) Produzent sein wird. Ohne diese Annahme gibt es kein Gleichgewicht mit hoher Qualität. An der Fragwürdigkeit des Extrapolationsprinzips setzt der Kreps-Wilson/Milgrom-Roberts-Ansatz an. Deren Ansatz unterstellt stattdessen, daß es immer Anbieter gibt, die von sich aus bereit sind, hohe Qualität zu liefern, beispielsweise weil manche Anbieter die hohe Qualität nicht kostenintensiver produzieren müssen als die niedrige oder manche nicht der Nutzenmaximierungshypo-
43 Im Falle eines beschränkten Zeithorizontes ist zu erwarten, daß der Produzent in der letzten Periode schlechte Qualität anbietet. Unter der Annahme, daß die Nachfrager in ihren Erwartungen nach dem Grundsatz der "backward induction" vorgehen, ergibt sich dann, daß schon von Anfang an schlechte Qualität angeboten wird. "Backward induction" umschreibt die Ewartungen eines Konsumenten, der aus einem qualitativ schlechten Angebot der letzten Periode ein schlechtes der vorletzten Periode, aus dem schlechten Angebot der vorletzten und der letzten Periode ein schlechtes in der drittletzten Periode ableitet; letztendlich ist er unter dieser Annahme auch vom Auftreten eines schlechten Angebots in der ersten Periode überzeugt (vgl. hierzu ausfilhrlicher Tirole 1988, s. 123). 44 Hier geht man vereinfachend von einem Monopolisten auf der Angebotsseite aus, der mit keinem Marktzuritt rechnen muß. Ist aber ein Marktzutritt theoertisch möglich, erfolgt der Marktzutritt in der Praxis nur dann nicht, falls filr einen potentiellen Anbieter die intertemporal zu erwartenden Gewinne kleiner als bzw. gleich Null sind. Da Reputation auf der Grundlage des Extrapolationsprinzips aber die Existenz von zusätzlichen Gewinnen (Reputationsprämien) filr die reputierlichen Anbieter voraussetzt, ist diese Annahme nur haltbar, wenn man davon ausgeht, daß der Marktzutritt durch sunk-cost-Investionen versperrt ist. Als sunk-cost-Investitionen bieten sich ein Einfilhrungspreis, d.h. ein Preis ftlr die erste Periode unterhalb der Grenzkosten, oder verschwenderische Werbeausgaben an.
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these folgen, sondern von sich aus aufrichtig sind. Man kann diese Gruppe zusammenfassend als "vertrauenswürdige Anbieter" ~ezeichen. Dagegen entspricht die Gruppe der "nicht-vertrauenswürdigen Anbieter" den bisherigen Verhaltensannahmen: Ohne die Möglichkeit zum Reputationsautbau werden sie nur eine niedrige Qualität anbieten, falls die Konsumenten die Qualität nicht beobachten können. Beiden Marktseiten soll bekannt sein, mit welcher (beliebigen) Wahrscheinlichkeit vertrauenswürdige Anbieter und mit welcher (Rest)Wahrscheinlichkeit nicht-vertrauenswürdige Produzenten existieren. Unter der Annahme, daß der Betrachtungszeitraum nur zwei Perioden beträgt,45 hängt das Verhalten der nicht-vertrauenswürdigen Personen vom Ausmaß der Verluste in der ersten Periode und der Höhe der Gewinne in der zweiten Periode ab, ob sie den guten Ruf eines qualitativ hochwertigen Produzenten anstreben oder nicht. Diese Abwägung soll im folgenden umrissen werden. Die Kosten zur Produktion von Gütern mit hoher Qualität sollen höher sein als die fiir die niedrige Qualität. Es besteht eine Situation der asymmetrischen Informationsverteilung zu Lasten der Nachfrager, da ex ante zwar die Anbieter, nicht aber die Nachfrager die Qualität der angebotenen Güter kennen. Die vertrauenswürdigen Produzenten bieten immer nur hohe Qualität an. Die nichtvertrauenswürdigen Anbieter maximieren ihren Gesamtgewinn, daher bieten sie in der zweiten und damit letzten Periode immer nur schlechte Qualität an, da sie dann nichts mehr zu verlieren haben. Die identischen Konsumenten verhalten sich natürlich in jeder Periode gleich, d.h. alle kaufen das Gut oder fragen es nicht nach, und sie erkennen nach einer Periode, welche Qualität angeboten wurde. In der ersten Periode soll ein fixer Preis bestehen. Welchen Anreiz hat nun ein nicht-vertrauenswürdiger Anbieter bereits in der ersten Periode, hohe Qualität anzubieten? Folgende zwei Bedingungen fiir einen solchen Anreiz müssen gegeben sein: - Vorausgesetzt, daß die Konsumenten seine Güter nachfragen, spart der nicht-vertrauenswürdige Anbieter einerseits Kosten ein, wenn er niedrige Qualität anbietet. Andererseits verliert er Gewinne aus den Wiederholkäufen der zweiten Periode: Sollte sich der nicht-vertrauenswürdige Anbieter in der ersten Periode zu hoher Qualität entschließen, erzielt er in der zweiten Periode eine Reputationsrente in der Form eines hohen Preises und niedrigen Kosten, denn er bietet in der zweiten Periode nur schlechte Qualität an. Ob
45 Dehnt man den Zeithorizont aus, so kann man zeigen, daß der nicht-vertrauenswürdige Produzent in den frühen Perioden GUterhoher Qualität anbietet, später die realisierte Qualität eher zufällig wählt und die schlechte Qualität beibehält, sobald er eines Tages auf schlechte Qualität umgeschwenkt ist.
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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der nicht-vertrauenswürdige Anbieter in der ersten Periode gute Qualität in den Verkehr bringt, hängt also davon ab, ob die abdiskontierte Reputationsrente größer ist als die Kosteneinsparungsmöglichkeiten in der ersten Periode beim Angebot niedriger Qualität. - Warum sollten aber die Nachfrager in der ersten Periode den Anbietern vertrauen und die angebotenen Güter akzeptieren? Die Wahrscheinlichkeit aus Sicht des Konsumenten, mit einem Anbieter hoher Qualität zu kontrahieren, soll sich durch die Möglichkeit des nicht-vertrauenswürdigen Anbieters, sich reputierlich zu verhalten, nicht verändern. D.h. die Konsumenten bilden aus dem vorgegebenem Verhältnis zwischen den existierenden vertrauenswürdigen und den nicht-vertrauenswürdigen Anbietern einen Erwartungswert über die voraussichtliche Qualität, der ihre maximale Zahlugsbereitschaft bestimmt. Nur wenn diese Zahlungsbereitschaft größer ist als der von den Anbietern geforderte einheitliche Preis, gibt es eine Absatzmöglichkeit filr beide Anbietergruppen. Ob ein nicht-vertrauenswürdiger Anbieter in Reputation investiert und damit zumindest in der ersten Periode hohe Qualität liefert, obwohl das Extrapolationsprinzip nicht gelten muß und der Zeithorizont begrenzt ist, hängt also von der Höhe der erzielbaren Reputationsrenten, von den relativen Kosten zur Produktion von hoher Qualität im Vergleich zur niedrigen Qualität und vom Anteil der vertrauenswürdigen Anbietern ab.46 3.3.5.1.3 Fazit Zusammenfassend kann man sagen, daß der Reputationsmechanismus zum einen um so eher funktioniert (vgl. auch Shapiro 1983a, S. 532), je häufiger ein Produkt gekauft wird. Ein Anbieter, der schlechte Qualität absetzt, zerstört seine Reputation und verliert Wiederholkäufe. Mund-zu-Mund-Werbung, Franchisesysteme und Kettenläden können die Bedeutung dieses Engpaßfaktors verringern. Zum anderen nimmt die Bedeutung des Reputationsmechanismus zu, je leichter die wahre Qualität nach dem Kauf festgestellt werden kann. Ein Anbieter schlechter Qualität kann dann relativ schnell identifiziert werden, büßt somit Ansehen und die Möglichkeit zur Erzielung einer Reputations-
•• Hier wurde unterstellt, daß beide Anbietergruppen, also die vertrauenswUrdigen und die nicht-vertrauenswUrdigen, in der ersten Periode zum gleichen Preis anbieten. Hätte aber der vertrauenswUrdige Anbieter kein Interesse daran, sich von den nicht-vertrauenswUrdigen Produzenten durch einen niedrigen Einftlhrungspreis abzuheben? Die Antwort hierzu wäre von seiner Nutzenfunktion abhängig, die aber in diesem Modell nicht näher bestimmt wurde. 8 Wein
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prämie ein. Ist neben "hidden infonnation" auch das "hidden-action"-Problem relevant, muß entweder das Extrapolationsprinzip gelten oder eine Mindestanzahl "von Natur aus" vertrauenswürdigen Anbietern vorliegen. 3.3.5.2 Reputation und Rechtsanwälte
Die unter dem Punkt 3.2.2 behandelten P-A-Probleme zwischen Mandant und Anwalt beruhen auf einer asymmetrischen Infonnationsverteilung zu Lasten der Mandanten. Für beide Parteien nutzensteigemde Transaktionen werden dadurch unterdrückt. Welche Möglichkeiten haben daher Rechtsanwälte, die Willens und in der Lage sind, gute Qualität zu liefern, einen guten Ruf als qualitativ hochwertiger Anwalt zu erreichen, ohne daß der Staat in den Marktprozeß eingreift? Die Antwort zu dieser Frage hängt entscheidend davon ab, ob die Qualität eines Rechtsanwalts im Zeitablauf veränderlich ist oder nicht: - Die Anwälte erwerben in der Ausbildung oder während der Berufsausübung eine bestimmte Qualität, die in der nächsten Periode, d.h. für das nächste Mandat, feststeht. Ex definitione ist hier also das "hidden-action"-Problem irrelevant. Davon unberührt bleiben natürlich die Schwierigkeiten aus "hidden infonnation". - Jeder Anwalt wählt zwar zu Beginn des Mandats eine Qualitätsstufe, die er aber während der Abwicklung des Mandats verändern kann, indem er z.B. das Ausmaß seiner Bemühungen variiert; die Qualität ist veränderlich. M.a.W.; man behandelt neben dem "hidden-infonnation"-Problem auch das "hidden-action"-Problem. Zunächst stelle ich den Reputationsmechanismus bei Anwälten unter der Voraussetzung vor, daß jeder Anwalt vor und während seiner Leistungserbringung eine bestimmte und unveränderliche Qualität aufweist. Man kann davon ausgehen, daß die Qualität des Anwalts objektiv meßbar ist, d.h. der Anwalt weiß, wie die von ihm angebotene Beratungsleistung bei den Mandanten ankommt.47 Die Möglichkeit zum Aufbau von Reputation für einen qualitativ hochwertigen Anwalt setzt voraus, daß der Mandant nach Abschluß der Be-
47 Die gegenteilige Annahme, daß die Qualität des Anwalts nur subjektiv vom Mandanten wahrgenommen wird, erscheint mir erstens als wenig zutreffend: Die Obiicherweise zu beobachtende weitaus höhere Sachkenntnis des Anwalts im Vergleich zum Mandanten widerspricht dieser Annahme offenkundig. Zweitens ist die Existenz eines separierenden Gleichgewichts im Falle subjektiver Qualität ausgeschlossen (vgl. Punkt 3.3 .5 .1.1 ).
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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ratung oder des Rechtstreits die Qualität der anwaltliehen Leistung beurteilen kann.48 M.a.W.; das Gut "Rechtsberatung" muß man der Kategorie der Erfahrungsgüter zurechnen können, damit Reputation möglich wird. Unter Punkt 3.3 .1.2 wurde beschrieben, daß es den Mandanten aufgrund der stochastischen Komponente sehr schwer fallen würde bzw. die individuellen Anreize sehr gering wären, die anwaltliehe Leistung ex ante zu beurteilen und ex post zu kontrollieren; das Gut "Rechtsberatung" zähle daher zum Typ der Vertrauensgüter. Die Einsatzmöglichkeiten von Reputation als Mittel zum Abbau einer asymmetrischen Informationsverteilung zu Lasten der Mandanten erscheinen aus diesem Grund sehr in Frage gestellt. Beim Reputationsmechanismus geht es allerdings nur darum, daß der Mandant ex post ein zutreffendes Urteil über den Anwalt bilden kann. Eine bestehende Unmöglichkeit, ex ante das Informationsdefizit abzubauen, ist hier unschädlich. Freilich sprechen auch einige Überlegungen gegen die Möglichkeiten, ex post die Anwälte zu prüfen (vgl. auch Punkt 3.3.1.2): - Dem Mandanten fehlt die entsprechende Sachkenntnis, um die Qualität der anwaltliehen Leistung einzuschätzen. - Nur in Rechtsangelegenheiten mit existentieller Bedeutung lohnt es sich flir den Mandanten, hohe Informationskosten aufzuwenden. - Da es sicherlich nicht einfach ist, dem Anwalt einen Fehler mit der Rechtsfolge eines Schadensersatzes nachzuweisen, ist der Anreiz, sich zu informieren, vielfach sehr gering. - In jenen Fällen, in denen auch bei nachgewiesener Schlechtleistung, der Schadensersatz unmöglich ist (z.B. rechtskräftige, ungerechtfertigte Freiheitsstrafe), tendiert der Anreiz des Mandanten, sich nachträglich zu informieren, gegen Null. Der Nutzen der Ex-post-Informationsnachfrage scheint zu gering zu sein, die Kosten scheinen zu hoch auszufallen, so daß die Bedeutung des Reputationsmechanismus vernachlässigbar wäre.
48 Denn warum sollte ein Anwalt hohe Qualität, die mehr Kosten verursacht als niedrige Qualität, anbieten, falls kein Mandant dies erkennen und damit sanktionieren kann? Siehe weiter unten.
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Gegen diese "pessimistischen" Thesen sprechen jedoch folgende Argumente: - Wenn der Mandant in der Zukunft wieder einen Anwalt einzuschalten beabsichtigt, nimmt der Nutzen der Informationsnachfrage zu; es lohnt sich eher, die Qualität des Anwaltes ex post zutreffend zu beurteilen, denn ein Fehler bei der Auswahl des nächsten Anwalts soll vermieden werden. - Die Rechtsauffassung des eigenen Anwalts wird mit der des Gegenanwalts konfrontiert, und das Gericht entscheidet über die wesentlichen Streitpunkte. Der Mandant kann, ohne daß hierfiir Informationskosten anfallen, in groben Zügen die ursprüngliche Rechtsauffassung seines Anwalts mit der letztendlich relevanten Ansicht vergleichen. Für den Mandanten wird diese kostengünstige Form der nachträglichen Überprüfung zunächst einmal schwieriger, falls der eigene Anwalt dazu rät, den Anspruch nicht durchzusetzen bzw. sich äußerst kompromißbereit zu zeigen. Mißtraut der Mandant dieser Auskunft, kann er aber einen weiteren Anwalt einschalten, was geringe Kosten verursacht und den Informationsstand des Mandanten in der Regel verbessern dürfte. Daß der Anwalt hoffnungsvolle Fälle bewußt ablehnt, ist eher nicht zu erwarten, da er sonst auf Honorareinnahmen ohne Not verzichtet.49 In Fällen der außergerichtlichen Einigung tritt allerdings die kostenlose Informationsbereitstellung durch das Gericht nicht ein; die Funktionsfähigkeit des Reputationsmechanismus wird verringert. Die Auffassung, daß der Mandant die Leistung des Anwalts ex post nicht beurteilen könne, ist anhand dieser Plausibilitätsüberlegungen in ihrer Allgemeingültigkeit nicht aufrechtzuerhalten; die Kosten und Nutzen jedes Einzelnen entscheiden über seine Beurteilungsmöglichkeiten. Daß die Kosten den Nutzen der Ex-post-Informationsnachfrage in jedem Fall übersteigen, ist keineswegs sicher. Elemente der Erfahrungsguteigenschaft im Falle des Gutes "Rechtsberatung" sind also zumindest nicht auszuschließen. Für die Existenz von reputierlichen Anwälten reicht aber das Vorliegen der Erfahrungsguteigenschaft nicht aus, denn unter der beschriebenen asymmetrischen Informationsverteilung wird jeder Anwalt von sich behaupten, er böte natürlich nur hohe Beratungsqualität an. Die um eine gute Qualität bemühten Anwälte müssen daher die Möglich-
49 Hier liegt der wesentliche Vorteil des Gutes "Rechtsberatung" gegenüber der arztliehen Leistung: Durch das Überprüfen der anwaltliehen Rechtsauffassung seitens der Gegenpartei oder des Gerichts, ist eine Kontrollinstanz systemimmanent, die beim Arzt fehlt: Nur um andere über die Qualität des Arztes zu informieren, wird man nach Abschluß der Behandlung keinen zusätzlichen Arzt zur Begutachtung einschalten.
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keit haben, sich von den schlechten Anwälten, z.B. durch einen niedrigen Einfiihrungspreis, abzuheben. 50 Der Einfiihrungspreis als Signalinginstrument bei Anwälten kann zwei Funktionen übernehmen. Möglicherweise sind die Mandanten zunächst nicht bereit, einen Anwalt auszuprobieren, da sie im Falle der Auswahl eines schlechten Anwalts bestimmte Kosten, wie z.B. die in Form des vermeidbaren Verlusts eines Rechtstreits, tragen müssen. Der Anwalt mit hoher Qualität kann erstens den Verlust übernehmen, indem er den zweifelnden Mandanten zu einem niedrigen Einfiihrungspreis vertritt. Dies wird aber den Schaden eines schlechten Anwalts nur in Ausnahmefcillen vollständig ersetzen; folglich muß zweitens der niedrige Einfiihrungspreis so ausfallen, daß die qualitativ schlechten Anwälte in der ersten Periode mit diesem Preis nur einen Verlust erzielen. Es ergibt sich ein separierendes Gleichgewicht, in dem nur die guten Anwälte zum niedrigen Einfiihrungspreis anbieten; die relativ schlechten Anwälte können zu diesem niedrigen Preis ihre Kosten nicht decken und treten daher im Markt gar nicht auf. Damit die schlechten Anwälte den niedrigen Einflihrungspreis der Konkurrenten nicht nachahmen können, muß eine weitere Bedingung erfiillt sein: Der Schmalensee-Effekt muß geringer sein als der Nelson-Effekt. Unter dem Schmalensee-Effekt versteht man hier die Verluste, die ein Anwalt hoher Qualität hinnehmen muß, wenn er in der ersten Periode hohe, teuer bereitzustellende Beratungsqualität zu einem niedrigen, den Marktzutritt der schlechten Anwälte verhindernden, Einflihrungshonorar anbietet. Der Nelson-Effekt beruht hier darauf, daß der qualitativ hochwertige Anwalt in der ersten Periode die Mandanten von seinen Fähigkeiten überzeugt, so daß die Mandanten ihn in Zukunft wieder heranziehen und bereit sind, einen höheren Preis als den Einfiihrungspreis zu bezahlen; der Preis in der Folgeperiode kann dem Betrag nach höchstens auf die Zahlungsbereitschaft fiir hohe Qualität bei Sicherheit ansteigen. 51 Die abdiskontierten Gewinne aus den zu erwartenden Folgeaufträgen reputierlicher Anwälte entsprechen hier also dem Nelson-Effekt. Ist der Nelson-Effekt größer als der Schmalensee-Effekt, bieten die um hohe Qualität bemühten Anwälte in der ersten Periode mit einem niedrigen Einfiihrungspreis
50 Zum Signalinginstrument "Verschwenderische Werbeausgaben" bei Anwälten vgl. Punkt 3.3.6.2.
51 Es ist nicht notwendig, daß die Mandanten der ersten Periode einen Bedarf tur Rechtsberatung in der Folgeperiode aufweisen, sondern es reicht aus, wenn sie ihre positiven oder negativen Erfahrungen an Dritte weitergeben, die dann ihre Auswahlentscheidung von diesen Erfahrungen abhängig machen (Mund-zu-Mund-Werbung). In der Bundesrepublik Deutschland scheint dieser Effekt von großem Belang zu sein, wie die Untersuchung von Köhler (1987, S. 124-131) zeigt.
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und in der Folgeperiode mit einem höheren Preis an; qualitativ geringwertige Anwälte bieten gar nicht an, da sie zu dem niedrigen Einfuhrungspreis ihre Kosten nicht decken können. 52 Zusammenfassend kann man flir die Existenz eines Gleichgewichts mit ausschließlich qualitativ hochwertigen Anwälten unter der Annahme der während der Mandatsausübung unveränderlichen Qualität festhalten, daß zwei Faktoren besondere Bedeutung haben: Zum einen muß der Mandant zumindest Teile der anwaltliehen Beratungsleistung nach Abschluß des Mandats qualitativ einschätzen können. Zum anderen muß fiir den reputierlichen Anbieter die langfristige Gewinnmöglichkeit (Nelson-Effekt) größer sein als der Verlust durch das niedrige Einfiihrungshonorar in der ersten Periode (Schmalensee-Effekt). Ist der Aufbau von Reputation im Anwaltsmarkt auch möglich, wenn die Anwälte die Qualität ihrer Leistung auch noch nach der Mandatsübernahme (im Zeitablauf veränderliche Qualität) bestimmen können? Reputation bei veränderlicher Qualität setzt ebenfalls voraus, daß alle Mandanten nach Beendigung der anwaltliehen Tätigkeit die Qualität des Anwalts zutreffend beurteilen können. Ob diese Annahme fiir den Anwaltsmarkt plausibel ist, wurde schon bei der im Zeitablauf unveränderlichen Qualität untersucht. Ich gehe, wie oben ausgefUhrt, davon aus, daß diese Annahme fiir bestimmte Komponenten der anwaltliehen Leistung nicht völlig unplausibel ist. 53 Machen die Mandanten einerseits die Erfahrung, daß ein bestimmter Anwalt in der Vergangenheit regelmäßig gute Arbeit geleistet hat, so werden sie u.U. diese Erfahrung auch auf zukünftige Transaktionen extrapolieren. Andererseits erwarten sie von einem schlechten Anwalt in der letzten Periode, daß er sich in der Folgeperiode kaum bessern wird. Im folgenden soll unterstellt werden, daß
52 Für die Existenz des Reputationsmechansimus im Anwaltsmarkt müssen aber weitere Voraussetzungen erfüllt sein: - Anwälte, die in der nächsten Periode mit einer hohen Beratungsqualität operieren wollen, wenden hierfür mehr (Durchschnitts-)Kosten auf als ein Rechtsvertreter mit niedriger Qualität. Die Beratung unter niedriger Qualität ist jedoch nicht kostenlos möglich. - Die Mandanten sind nicht bereit, einem Anwalt mit offenkundig schlechter Qualität ein neues Mandat anzuvertrauen. - Die Mandanten weisen identische Präferenzen auf. 53 Im weiteren wird fllr beide Ansätze vorausgesetzt, daß alle Mandanten die gleichen Präferenzen aufweisen, es nur qualitativ hochwertige bzw. qualitativ schlechte Anwälte gibt und keine Qualitätsstufe kostenlos produziert werden kann, aber die höherwertige Leistung mehr Kosten erfordert als die geringwertige.
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die Mandanten sich entsprechend dem Extrapolationsprinzip verhalten. 54 Jeder Anwalt wird grundsätzlich behaupten, daß er dauerhaft hohe Beratungsqualität anbieten will. Wie kann der Mandant sicher sein, daß dieses Versprechen eingehalten wird? Neben der Relevanz des Extrapolationsprinzips ist hierfür folgende Bedingung entscheidend: Anwälte mit hoher Qualität müssen langfristig mehr verdienen als ihre Kollegen, die irgendwann auf schlechte Qualität überwechseln. Jeder Anwalt, der vor der Mandatserteilung gute Qualität verspricht und in Wahrheit schlechte Qualität liefert, spart Kosten ein und macht daher einen Gewinn in der Höhe der Differenz zwischen dem hohen Preis, der für hohe Qualität angemessen wäre, und den Kosten für niedrige Qualität (Betrugsgewinn); in den Folgeperioden kann er aber keine Mandate mehr akquirieren, da in diesem Modell sein "Betrug" sofort allen potentiellen Mandanten bekannt wird. Damit Anwälte diesem Betrugsanreiz nicht zu irgendeinem Zeitpunkt nachgeben, müssen die langfristigen, abdiskontierten Gewinne in Form der Reputationsprämien höher ausfallen als die kurzfristigen Kosteneinsparungsmöglichkeiten infolge der Qualitätsverschlechterung. Nur wenn ein reputierlicher Anwalt damit rechnen kann, ist er bereit, seine Hochqualitätsstrategie langfristig aufrechtzuerhalten. Die folgenden, eher unproblematischen Annahmen müssen ebenfalls erfüllt sein: - Die Anwälte müssen einen unbegrenzten Zeithorizont aufweisen. Wäre die letzte Angebotsperiode eines Anwalts bekannt, entfiele in dieser Periode die Gewinnmöglichkeit aus der Folgeperiode. Der Anreiz, hohe Qualität zu liefern, wäre gleich Null. Durch Überlegungen entsprechend der "backward induction" wäre auch in der ersten Periode schlechte Qualität zu erwarten. Die Annahme des unbegrenzten Zeithorizonts erscheint mir als sehr plausibel, denn die Mandanten werden die letzte Angebotsperiode des Anwalts nicht kennen, bzw. vielfach wird im Falle des altersbedingten Ausscheidens die Kanzlei (und deren Mandantenstamm) gegen Entgelt einem anderem Anwalt überlassen; folglich hat auch der ausscheidende Anwalt kein Interesse, in der letzten Periode seiner Tätigkeit die Mandanten schlecht zu beraten.
54 Aus dem vorhergehenden Abschnitt ist bekannt, daß ein Gleichgewicht mit Reputation auch dann möglich ist, wenn sich die Mandanten nicht nach dem Extrapo/ationsprinzip verhalten. Stattdessen muß dann eine hinreichend große Anzahl von "Natur aus vertrauenswürdigen" Anwälten vorhanden sein. Extrapolationsprinzip und eine hinreichend große Anzahl von vertrauenswürdigen Anwälten sind sozusagen Substitute.
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- Die Anwälte mit Reputation müssen vor Marktzutritten geschützt sein, ansonsten könnten sie keine Extra-Profite in Form der Reputationsprämie erzielen. Sunk-cost-lnvestitionen wie Einfiihrungspreise oder verschwenderische Werbeausgaben können prinzipiell auch bei Anwälten einen unerwünschten Marktzutritt verhindern. - Anwälte, die mit schlechter Qualität "ertappt" wurden, dürfen keine Folgeaufträge (und daraus mögliche Gewinne) mehr erzielen können. - Die Mandanten müssen bereit sein, das von den um hohe Qualität bemühten Anwalt kalkulierte kostendeckende Honorar zu zahlen. Letztendlich bleibt es fiir beide Modellvarianten eine empirische Frage, ob der Reputationsmechanismus funktioniert oder nicht. Die empirische Überprüfung ist aber schwierig, da es kaum ein Land geben wird, das sich ausschließlich auf den Markt in Form des Reputationsmechanismus verläßt, was aber in den genannten Modellen unterstellt wird. Erschwerend kommt hinzu, daß man den Reputationseffekt mit den vorhandenen spärlichen Daten kaum überprüfen kann. Letzteres zeigt sehr deutlich die Untersuchung von Smith!Kox (1985). Smith/Kox versuchen, die Existenz des Reputationsmechanismus empirisch zu testen. Theoretisch gehen sie von zwei möglichen Arten der anwaltliehen Preisbildung aus: Der Pauschalgebühr als feste Ex-ante-Vereinbarung und dem Stundenhonorar als variable Ex-post-Lösung. Im Markt fiir anwaltliehe Dienstleistungen, zum Beispiel fiir unstrittige Scheidungsangelegenheiten, existieren beide Honorierungsarten. Ihr Papier unterbreitet die Hypothese, daß sich aus dem Preissetzungsverhalten in Verbindung mit dem Ausmaß an Unternehmensreputation eine Lösung des Problems ungleicher Information ergeben kann: Wenn sich Anwälte von der durchschnittlichen Qualität ihrer Branche nicht abheben können, haben sie einen Anreiz, ihre Qualität zu senken (verborgene Handlungen zu Lasten des Mandanten), was von den Klienten nicht bemerkt wird; bei Stundenhonoraren werden sie sogar die erforderliche Zeit übertreiben; der Aufbau von Reputation kann diese Probleme überwinden. Smith/Kox entwickeln hieraus vier testbare lmplikationen: - Reputation und Stundenhonorare sind positiv miteinander korreliert, denn Mandanten werden aufgrund der Gefahr des moralischen Risikos, insbesondere zu viele Stunden abgerechnet zu bekommen, nur bei reputierlichen Anbietern Stundenhonorare akzeptieren. - Da Reputation nicht nur bei einem Anwalt, sondern auch bei einer Anwaltsfirma (Sozietät; vgl. auch Abschnitt 3.3.8.2) relevant sein kann, gibt es auch
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eine positive Korrelation zwischen der Anzahl der Dienstleistungen, die eine Finna (Sozietät) anbietet, und der Verwendung von Stundenhonoraren. - Sozietäten mit einem guten Ruf können eine Preisprämie ftir die höhere Qualität abschöpfen. - Die Bearbeitungszeit bei Stundenhonoraren ist höher als bei Pauschalgebühren, weil Mandanten, die von einem Anwalt eine besonders zeitintensive Beratung erwarten, davon überzeugt sind, daß nur reputierliche Anwälte ihren Erwartungen gerecht werden. Im Rechtsberatungsmarkt gibt es nach Ansicht von Smith/Kox fiir die klassischen Reputationsinvestitionen wenige Möglichkeiten; z.B. sind fiir qualitativ hochwertige Anwälte luxuriöse Ladenfronten, enonne elektronische Werbefeldzüge, teure Namenszeichen und Logos wenig aussagekräftig. Stattdessen kann man gute Anwälte an einer großen Klientel und damit an einer großen Kanzlei erkennen, denn "Wiederholkäufe" der Mandanten fuhren zu einem umfangreichen Kundenstamm. Eine Anwaltsfinna hat auch eher die Möglichkeit als ein Einzelanwalt, Wege gegen den "Betrug" der angestellten Rechtsanwälte in Fonn einer Qualitätsverschlechterung zu finden (vgl. hierzu auch Abschnitt 3.3.8); der Aufbau von Reputation wird leichter. Auch aus diesen Überlegungen heraus leiten die Autoren zwei Variablen ab, anhand derer man das Ausmaß an Reputation messen könnte: - dem Eintrag ins Martindale Hubbell Law Directory, in das man nur nach einer Reihe von positiven Begutachtungen von Dritten aufgenommen wird und - die Größe der Anwaltsfirma. Die Größe dient als Proxy-Variable fiir den Stamm an zufriedenen Kunden, und mit zunehmender Größe ist es eher möglich, intern ein Kontrollsystem aufzubauen. Smith/Kox (1985) haben 1980 in sechs amerikanischen Städten 1500 Anwälte zu ihrem Preissetzungsverhalten fiir Routinedienstleistungen und zu Firmencharakteristika befragt. Die Routinedienstleistungen waren: Einfaches Testament, Testament mit treuhänderischer Verwaltung, unbestrittenes Konkursverfahren und unstrittige Scheidungen. Zu jeder dieser Leistung wurde der Anwalt hinsichtlich seines Preissetzungsverhaltens und dem erwarteten Zeitaufwand interviewt. Mit Hilfe einer Logitanalyse konnte die erste Hypothese (Reputation und Stundenhonorare sind positiv miteinander korreliert) bestätigt werden. Die zweite Hypothese, finnenspezifische Reputation fiihrt zu einer positiven Korrelation zwischen vielen angebotenen Dienstleistungen und Stun-
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denhonoraren, wurde durch einen paarweisen Vergleich der Korrelationskoeffizienten überprüft; die Erwartungen wurden bestätigt. Die dritte Hypothese, daß reputierliche Anbieter eine Preisprämie erhalten, testeten sie durch einen Vergleich der Höhe der Stundenhonorare mit der geleisteten Arbeitszeit. Mit einer Ausnahme, nämlich des unzweifelhaften Konkurses, konnte diese These nicht verworfen werden. Die vierte Hypothese, daß die Bearbeitungszeit bei Stundenhonoraren aufgrund der Attrahierung von Mandanten mit umfangreicheren Zeitbedarf höher ist, wurde durch die durchschnittlich geleisteten Stunden geschätzt, sowohl für die Ex-post-Stundenhonorare als auch für die Ex-antePauschalgebühren; die Hypothese konnte nicht zurückgewiesen werden. Insgesamt zeigen die empirischen Untersuchungen von Smith/Kox ( 1985) die Relevanz des Reputationseffekts auf. Ein Problem stellt allerdings die Messung des Reputationseffekts dar: Die Unterstellung, daß die Größe der Anwaltsfirma nur das Ausmaß des Reputationseffekts widerspiegelt, ist zweifelhaft: Je seltener es zu Wiederholungskäufen kommt und je weniger die anwaltliehe Qualität durch den Mandanten ex post beurteilbar ist, desto geringer ist die Bedeutung der Reputation, was aufgrund der theoretischen Überlegungen durchaus denkbar ist; und die Größe kann auch durch andere Faktoren, insbesondere durch Spezialisierungseffekte, erklärt werden (vgl. Abschnitt 3.3.8.2). Besser wäre es daher, die Zahl der Wiederholungskäufe und die Beurteilungsfähigkeit der Mandanten zu messen. Insofern besteht Skepsis hinsichtlich der Untersuchung von Smith/Kox. Weitere empirische Untersuchungen, die aber vermutlich sehr schwierig umsetzbar sind, wären wünschenswert. Aus dem gegenwärtigen Stand der Forschung kann man für die Frage der Existenz des Reputationsmechanismus im Anwaltsmarkt im wesentlichen nur auf die obengenannten theoretischen Bedingungen verweisen. 3. 3. 5. 3 Zusammenfassung
In diesem Kapitel habe ich untersucht, inwieweit Anwälte, die hohe Beratungsqualität anstreben, die Möglichkeit haben, einen guten Ruf zu erwerben, wodurch sowohl das Problem verborgener Handlungen als auch das der verborgenen Informationen überwunden werden könnte. Ob ein separierendes Gleichgewicht zwischen qualitativ hochwertigen und geringwertigen Anwälten besteht, ist von drei zentralen Voraussetzungen abhängig: - Der Mandant muß nach Abschluß der anwaltliehen Beratung beurteilen können, ob die Leistung qualitativ hochwertig war. Die fehlende Sachkenntnis des Mandanten und ihr häufig geringer Anreiz, hohe Informationskosten
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aufzuwenden, sprechen gegen diese Annahme. Die aufbellende Wirkung der Gerichtsentscheidung bzw. der Entgegnung durch die Gegenseite führt dazu, daß kostenlos Qualitätsinformationen zur Verfügung gestellt werden; wiederholt sich der Bedarf an Rechtsberatung, erhöhen sich auch die Anreize des Mandanten, sich zu informieren. - Die langfristigen Gewinnmöglichkeiten des reputierlichen Anwalts müssen die Kosteneinsparungseffekte durch nur vorgetäuschte hohe Qualität überwiegen. Diese Bedingung wird umso eher erfüllt, je höher die Zahlungsbereitschaft der Mandanten für eine qualitativ hochwertige Beratungsleistung bei Sicherheit ist, und je geringer die Kostenunterschiede zwischen niedriger und hoher Qualität sind. Insbesondere um "hidden action" zu vermeiden, müssen die Mandanten bereit sein, den um hohe Qualität bemühten Anwälten zusätzliche Gewinne in Form der Reputationsprämien zuzugestehen. Anwälte, die zu irgendeinem Zeitpunkt auf niedrige Beratungsqualität überwechseln, verspielen endgültig diese Gewinnmöglichkeit Ferner muß das Extrapolationsprinzip bei den Mandanten verankert oder eine gewisse Zahl "von Natur aus" vertrauenswürdigen Anwälten vorhanden sein. Unter diesen drei Voraussetzungen wäre in einem Rechtsberatungsmarkt selbst ohne qualitätssichemde staatliche Eingriffe zu erwarten, daß ausschließlich qualitativ hochwertige Anwälte auftreten. Die vorliegende empirische Untersuchung zum Reputationseffekt deutet zwar auf die Existenz des Reputationsmechanismus hin, aufgrund methodischer Probleme dieser Analyse wären aber weitere Arbeiten äußerst wünschenswert, was aber schwer umsetzbar ist. Letztendlich muß man sich daher weitgehend auf die vorliegenden theoretischen Erkenntnisse zurückziehen.
3. 3. 6 Einsatz von Werbemaßnahmen Die deutsche Anwaltsregulierung war durch ein relativ umfassendes Werbeverbot gekennzeichnet, und auch nach den sich abzeichnenden Liberalisierungsbestrebungen der jüngsten Zeit soll nur die reine Informations- nicht aber die Imagewerbung zugelassen werden (vgl. Abschnitte 2.2.3 und 3.4.2.2). Um über die Vorteilhaftigkeit solcher Verbote oder deren Liberalisierung urteilen zu können, ist es sinnvoll, die ökonomischen Funktionen der Werbung zu bestimmen: Erzeugt die Werbung der Anwälte gesamtwirtschaftlich gesehen einen geringeren Nutzen als die dadurch entstehenden Kosten, so wäre es wohlfahrtssteigemd, die Werbeaktivitäten zu begrenzen oder gar gänzlich zu
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verbieten. Da die Beziehung Anwalt-Mandant umfassend durch die PrinzipalAgent-Theorie beschreibbar ist, wird im folgenden auf die Rolle der Werbung im Rahmen eines Prinzipal-Agent-Verhältnisses eingegangen (vgl. Abschnitt 3.3.6.1). Die Ergebnisse dieser Betrachtung werden unter Punkt 3.3.6.2 auf den Rechtsberatungsmarkt übertragen. Ein kurzes Resümee folgt im Rahmen des Abschnittes 3.3.6.3. 3.3.6. 1 Werbeaktivitäten im Rahmen des Prinzipal-Agent-Verhältnisses
Die hierzu entwickelten Modelle und durchgeführten empirischen Untersuchungen behandeln die Frage, welche Angaben durch Werbung auf die Nachfrageseite übertragen werden. Werbemaßnahmen können zum einen über die Charakteristika und über den Preis des fraglichen Produkts informieren, so daß man diese als Informations- bzw. als Preiswerbung bezeichnen kann. Zum anderen könnten Werbeaktivitäten, auch ohne Informationen zu übertragen, dem Nachfrager glaubhaft signalisieren, daß ein qualitativ hochwertiges Produkt angeboten wird (sogenannte "lmagewerbung"). Anders ausgedrückt: Allein aus der Tatsache, daß ein Agent fiir seine Leistung wirbt, kann der Prinzipal hohe Qualität ablesen, und seine Erwartungen werden nicht enttäuscht (vgl. zusammenfassend Milgrom/Roberts 1986, S. 796 f.; Rapold 1988, S. 73; Spulher 1989, S. 447 f. und Walters 1993, S. 304-112). Zunächst komme ich zur Bedeutung der Informationswerbung. Im Rahmen eines Prinzipal-Agent-Verhältnisses werden Güter getauscht, deren Qualität vor Vertragsschluß dem Prinzipal nicht bekannt ist bzw. nach Vertragsschluß unerkannt zu Lasten des Prinzipals verringert werden kann (asymmetrische Informationsverteilung) und bei denen der Prinzipal nicht in der Lage ist, dem Agenten schlechte Qualität eindeutig zuzuordnen (stochastische Komponente der Leistung; vgl. Abschnitt 3.2.1). In diesem Falle kann eine Informationswerbung, die vor Vertragsschluß bestimmte Eigenschaften bekanntgibt, nur als Mittel zum Abbau von ungleicher Information eingesetzt werden, falls eine qualitative Beschreibung der Eigenschaften ex ante möglich und ex post nachprüfbar ist ( vgl. Abschnitt 3.3 .3 .I). Gerade bei Vorliegen eines PrinzipalAgent-Verhältnisses wäre aber dies nicht ohne weiteres zu erwarten: Jeder Agent kann vorab eine Vielzahl von Qualitätsinformationen herausstellen und sich anschließend bei Abweichungen mit der stochastischen Komponente der Leistung "herausreden". Insofern hat die Informationswerbung im Rahmen des Prinzipal-Agent-Verhältnisses nur die Funktion, leicht nachprüfbare Merkmale bekanntzumachen; alle anderen Fakten können im Rahmen der Informationswerbung nicht glaubwürdig offengelegt werden (so auch Spulher 1988, S. 447).
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Darüber hinaus ist auch der allgemein erhoffte positive Einfluß der Werbung auf eine verbesserte Preistransparenz im Rahmen der P-A-Beziehung fragwürdig (vgl. zur Preiswerbung allgemein Scherer/Ross 1990, S. 573 f. und die dort angegebenen Quellen.). Nach dieser These soll sich durch die Möglichkeit zur Werbung mit Preisangaben der Marktüberblick des Prinzipals verbessern. Eine Preisintensivierung ist freilich nur dann sinnvoll, wenn die vorliegende Qualität zumindest einigermaßen beurteilbar wäre: Im Falle einer P-A-Beziehung ist für den Prinzipal ein intensiver Preiswettbewerb nur von begrenztem Wert, denn er kann die (unbekannte) Qualität nicht mit dem Preis vergleichen. Die bisherigen Ausführungen zeigen also, daß die ökonomische Bedeutung der Informations- und der Preiswerbung in einer Prinzipal-Agent-Beziehung eher gering ist. Die in der Realität zu beobachtenden Werbemaßnahmen haben häufig auch weniger eine informative Ausprägung, stattdessen steht meist eine eher diffuse, auf ein besseres Image des Unternehmens trachtende Werbung im Vordergrund. Im folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, ob diese Art der Werbung dazu in der Lage ist, die in einer Prinzipal-Agent-Beziehung bestehenden Informationsprobleme zu überwinden. Eine umfassende Lösung dieser Probleme wäre dann zu erwarten, wenn die Prinzipale (Nachfrager) allein aus der Tatsache, daß ein Agent (Anbieter) für sich wirbt, zweifelsfrei schließen könnten, daß es sich um einen qualitativ hochwertigen Anbieter handelt. M.a.W.; Werbeaktivitäten wirken als glaubwürdiges Signal für hohe Qualität (vgl. hierzu Nelson 1974). Damit ein solches glaubhaftes Signal zustande kommt, darf es nur für die Anbieter hoher Qualität vorteilhaft sein, in Werbung zu investieren oder in größerem Maße als die anderen, qualitativ schlechten Anbieter zu werben; ferner müssen die Nachfrager dieses Verhalten beobachten können. Zunächst komme ich zur Frage, inwiefern sich ein solches Verhalten für den Anbieter hoher Qualität auszahlt. Nelson begründet dies mit der Vermutung, daß Werbemaßnahmen zwar in gleichem Maße bei allen Anbietern die Zahl der Erstkäufe erhöhe, aber nur ein qualitativ hochwertiger Anbieter könne damit rechnen, daß seine Nachfrager aufgrund der mit seinem Produkt gemachten positiven Erfahrungen Folgekäufe tätigen. M.a.W.: Nur die qualitativ hochwertigen Anbieter erzeugen mit der Werbung Wiederholungskäufe; folglich führen Werbeaktivitäten für sie zu höheren Erträgen.55 Werbung als Signalinginstrument, in der Form wie sie Nelson (1974) sieht, stellt daher eine spezifische Ausprägung des Reputationsmechanismus dar mit der Folge, daß alljene in Abschnitt 3.3.5.1 genannten
ss Im Gegensatz zu Spence (1974) liegen hier keine Kosten-, sondern Ertragsvorteile bei der Erzeugung des Signals vor.
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Annahmen auch hier zutreffen müssen, damit die erwartete Wirkung eintritt. Um Werbung als Signalinginstrument einzusetzen, muß ferner, wie oben bereits angedeutet, der Nachfrager aus dem Werbeverhalten ohne Zweifel hohe Qualität ableiten können. Diese Bedingung ist nur dann gegeben, wenn nicht ebenfalls ftir die qualitativ schlechten Produzenten die vom guten Anbieter gewählte Werbestrategie vorteilhaft ist; d.h. der qualitativ schlechte Anbieter muß erkennbar weniger als der gute werben bzw. auf Werbung völlig verzichten. Anders ausgedrückt: Aus dem Werbeverhalten heraus ergibt sich ein separierendes Gleichgewicht. Anschließend an diesen von Nelson eher intuitiv eingeftihrten Gedanken wurden eine Reihe von Modellen entwickelt, in denen man die Bedingungen ftir ein separierendes Gleichgewicht präzisierte: - Schmalensee (1978) zeigt anband eines sehr spezifischen Modells, daß sich in Abhängigkeit von den unterstellten Kostenfunktionen ein Ergebnis einstellen kann, bei dem die Anbieter niedriger Qualität in gleichem Ausmaß werben wie die Anbieter hoher Qualität: Kann ein Produzent niedriger Qualität durch den Werbeeinsatz die abgesetzte Menge in der ersten Periode so steigern, daß er Größenvorteile realisiert, lohnt es sich ftir ihn allein aus den Kostenvorteilen heraus, ebenfalls zu werben. Es stellt sich dann kein separierendes Gleichgewicht ein, da alle in gleicher Weise werben; die erhoffte positive Korrelation zwischen erheblichen Werbeaktivitäten und hoher Qualität wird nicht erreicht. - Klein/Leffer (1981, S. 629-633) stellen einen alternativen und ergänzenden Ansatz vor, der die Werbeaktivitäten in der Einfilhrungsphase eines Produkts beschreibt. Im Gegensatz zu Nelson und Schmalensee kann sich hier das Qualitätsniveau auch nach Vertragsschluß verändern, insbesonders verschlechtem, so daß es darum gehen muß, Unternehmen vom Betrügen abzuhalten. M.a.W.; es besteht zusätzlich die Gefahr verborgener Handlungen. Das Interesse nicht zu betrügen, ergibt sich aus der Möglichkeit ftir reputierliche Anbieter, Reputationsprämien aus Folgekäufen zu erzielen. Diese zusätzliche Gewinnmöglichkeit würde im Falle des Betrügens geflihrdet. Wenn man allerdings davon ausgeht, daß bei freiem Marktzutritt Newcomer durch diese außerordentliche Gewinnmöglichkeit auf den Markt gelockt werden und damit die reputierlichen Anbieter verdrängen, sind in diesem Modell ftir ein Gleichgewicht mit Reputation marktzutrittsverhindernde Sunk-costInvestitionen erforderlich. Eine Möglichkeit ftir diese Art der Investitionen besteht in Form von Werbeausgaben in der Einftihrungsphase.
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- Rapold (1988, S. 73-78) zeigt anband seines spezifischen Reputationsmodells, bei dem sich der Ruf eines guten Anbieters nur langsam verbreitet und die qualitativ hochwertigen Anbieter einen nicht-kostendeckenden Einfiihrungspreis setzen, eine besondere Bedeutung der Werbung auf. Werbung vergrößert hier den Kreis der Personen, die bereit sind, das Gut als erste zu konsumieren, und sie beschleunigt die Verbreitung von Qualitätsinforrnationen. Denn unerfahrene Konsumenten können mit der Nennung eines Markennamens mehr anfangen, wenn sie das Gut oder den Anbieter bereits aus der Werbung kennen. Folglich verbessern sich fiir qualitativ hochwertige Anbieterinder ersten Periode die Absatzmöglichkeiten, so daß ihre Verluste in der ersten Periode abnehmen, die sie durch den hier unterstellten Einfiihrungspreis erleiden. Geringere Verluste in der ersten Periode senken fiir dieseAnbieterden in den Folgeperioden fiir den Verlustausgleich notwendigen höheren Preis (niedrigere Reputationsprämie). Im Modell von Rapold kann daher der fiir Reputation notwendige Gleichgewichtspreis und damit auch das Ausmaß an marktzutrittsverhindernden Sunk-Cost-Investitionen geringer als bei Klein/Leffler ausfallen. 56 Werbung als Signalinginstrument fiir hohe Qualität baut also darauf auf, daß Werbeaktivitäten an sich oder im höheren Ausmaß nur fiir die Anbieter hoher Qualität vorteilhaft sind. Die Vorteilhaftigkeit ergibt sich daraus, daß Anbieter hoher Qualität mit vermehrten Wiederholungskäufen rechnen können. Folglich ist das Instrument der Imagewerbung untrennbar mit dem Reputationsmechanismus verbunden; die Annahmen über die Einsetzbarkeit dieses Mechanismus müssen somit auch hier zutreffen. Damit sich aber ein solches separierendes Gleichgewicht einstellt, dürfen die Werbemaßnahmen nicht auch fiir die Anbieter schlechter Qualität vorteilhaft sein. Letztendlich hängt die Existenz eines separierenden Gleichgewichts von den Kostenfunktionen der Anbieter ab, wobei die obige Zusammenstellung zeigt, daß hier die theoretische Forschung keine eindeutigen Kriterien aufstellen kann. In den Ansätzen von Nelson (1974) und Schmalensee (1978) geht es bei der Werbung als Signalinginstrument nur darum, die ex ante vorhandene Qualität glaubwürdig bekanntzumachen. M.a.W.; diese Ansätze geben ausschließlich Hinweise, ob das "hidden-inforrnation"-Problem lösbar ist. Klein/Leffler (1981) und Rapold (1988) behandeln stattdessen auch das "hidden-action"-Problem, indem sie den
56 Kihlstrom/Riordan (1984) gehen ebenfalls der Frage nach, wann es durch den Einsatz von Werbung zu einem separierenden Gleichgewicht kommt. Maßgebend ist auch in ihrem Ansatz, daß es entweder durch Werbeaktivitäten oder anderen auffillligen Verhaltensweisen dem Anbieter hoher Qualität möglich ist, Reputation aufzubauen. Die Autoren greifen im Rahmen ihrer Analyse aufverschiedene methodische Wege zurück, so daß sie keine allgemeingültigen Aussagen über die Determinanten eines separierenden Gleichgewichts ableiten können.
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Reputationsmechanismus um die Möglichkeit erweitern, daß reputierliche Anbieter langfristig und dauerhaft zusätzliche Gewinne erzielen. Sunk-cost-Investitionen, z.B. in Form von Werbeausgaben, sind dann notwendig, um unerwünschte Marktzutritte zu verhindem und somit die Profitabilität einer auf Reputation basierenden Angebotsstrategie zu sichern. 3.3.6.2 Werbung und Rechtsanwälte
Welcher Bedeutung könnten Werbeaktivitäten im Markt fiir Rechtsberatung zukommen? Zunächst einmal ist es fraglich, welche Art der Information im Rahmen der Werbung Rechtsanwälte bekanntgeben können und wollen. Leicht nachprüfbare Informationen werden sie offenlegen, wie z.B. Ausbildungsabschlüsse und Weiterbildungszertifikate. Es ist allerdings zweifelhaft, ob den Mandanten diese Informationen ausreichen, um qualitativ hochwertige Rechtsberater im hinreichenden Maße zu erkennen. Insbesondere aufgrund der fehlenden Rechtskenntnis vieler Mandanten haben diese vermutlich große Schwierigkeiten, allein aus einer leicht nachprüfbaren Qualitätsinformation die fiir ihren Fall relevante Qualität mit Sicherheit abzulesen. Eine Informationswerbung, die eher unpräzise Angaben vermittelt ("guter" oder "seriöser" Anwalt), ist vom Mandanten nicht nachprüfbar, denn im Falle eines Mißerfolgs kann der Anwalt immer auf den vermeintlich entscheidenden Einfluß der stochastischen und daher von ihm nicht zu beeinflußende Komponente seiner Leistung verweisen. Ein Stück weit wird jedoch die Informationswerbung das Auswahlproblem abbauen können. Werbeaktivitäten mit dem Preis fiir anwaltliehe Leistung sind zwar theoretisch vorstellbar. Der Nutzen fiir die Mandanten ist jedoch eher begrenzt, wenn die Frage der vorhandenen Qualität offen bleiben muß. Somit bleibt als letzte, umfassende Möglichkeit zur Lösung des Problems ungleicher Information, daß allein aus der Tatsache eines werbenden oder im höheren Maße als seine Konkurrenten werblich aktiven Anwalts der Mandant auf hohe Qualität schließen kann. Ein solches Signal ist freilich nur dann glaubhaft, wenn der Erwerb dieses Signals ausschließlich fiir den qualitativ hochwertigen Anwalt vorteilhaft ist. Dazu müssen zwei Bedingungen erfiillt sein: - Nur ein qualitativ hochwertiger Anwalt muß mit Wiederholungskäufen rechnen können; in diesem Falle ist es ihm möglich, mit Werbung höhere Erträge als die schlechteren Standeskollegen zu erzielen. Das Ziel, Wiederholungskäufe zu akquirieren, entspricht vollständig den Motiven eines um einen guten Ruf bemühten (reputierlichen) Anwalts, so daß die Voraus-
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setzungen für den Aufbau von Reputation auch hier gegeben sein müssen (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.5.2). - Für die qualitativ schlechten Anwälte muß es nutzensteigernd sein, auf Werbung als Signal zu verzichten: Sie werben überhaupt nicht oder im erkennbar geringeren Maße als ihre Kollegen. Eine Möglichkeit, die diese Bedingung verletzt, wäre dann gegeben, wenn auch ein qualitativ schlechter Anwalt durch Werbemaßnahmen die Zahl der Mandanten in solch einem Maß steigern kann, daß er Größenvorteile (vgl. Abschnitt 3.3.8.2) realisieren und damit seinen Gewinn maximieren kann. Ausschließlich unter diesen beiden Voraussetzungen ist zu erwarten, daß sich ein separierendes Gleichgewicht zwischen guten und schlechten Anwälten durch Imagewerbung herausbildet. 3.3.6.3 Fazit In einer Prinzipal-Agent-Beziehung "Nachfrager-Anbieter" kann die Werbung drei Formen annehmen: Informations- und Preiswerbung sowie reine Imagewerbung. Im Rahmen der Informationswerbung ist nur eine Offenlegung leicht nachprüfbarer Merkmale zu erwarten; allen anderen Informationen, welche die Anbieter preisgeben, fehlt es an der notwendigen Glaubwürdigkeit. Werbemaßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Preises sind für den Nachfrager nur dann von hohem Vorteil, wenn ex ante und ex post kein Qualitätsproblem auftritt. Die reine Imagewerbung kann als Signalinginstrument für hohe Qualität eingesetzt werden. Dies setzt voraus, daß Werbeaktivitäten überhaupt oder solche Aktivitäten im höheren Ausmaß nur für die Anbieter hoher Qualität und nicht auch für die Produzenten niedriger Qualität vorteilhaft sind. Insbesondere müssen Anbieter hoher Qualität mit vermehrten Wiederholungskäufen rechnen können; insofern ist diese Art der Werbung untrennbar mit dem Reputationsmechanismus und dessen Voraussetzungen verbunden. Im Anwaltsmarkt muß sich die direkte Informationsübertragung auf leicht nachprüfbare Informationen beschränken, deren Nutzen aber für den Mandanten aufgrund der Komplexität der anwaltliehen Leistung eher begrenzt ist; trotzdem sollte man sich dieser Quelle bedienen. Der Nutzen der Preiswerbung ist solange gering, wie das Qualitätsproblem nicht gelöst ist, denn ein durch Werbung intensivierter Preiswettbewerb ist ohne die Möglichkeit, den Preis der Qualität zuzuordnen, wirkungslos. Die Signalingwirkung einer Imagewerbung setzt voraus, daß die qualitativ hochwertigen Anwälte durch Werbung die Stellung eines reputierlichen Anbietcrs erreichen und sich die qualitativ geringwer9 Wein
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tigen Rechtsbeistände im Falle des Verzichts auf das Werbesignal besser stellen. Unter diesen beiden Voraussetzungen ergibt sich das gewünschte separierende Gleichgewicht, bei dem nur die guten Anwälte werben ode~ diese sich für die Mandanten erkennbar im höheren Maße auf Werbeaktivitäten als ihre Standeskollegen stützen. Imagewerbung stellt also eine spezielle Form des Reputationsmechanismus dar, so daß dessen Einschränkung auch hier zu beachten sind (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.5).
3. 3. 7 Aufbau von Franchisesystemen Bereits Akerlof (1970, S. 499 f.) hat darauf hingewiesen, daß es sinnvoll sein kann, auf Reisen Hotels oder Restaurants zu bevorzugen, die über Franchiseverträge miteinander verbunden sind ("Ketten"). Zwar mag es am jeweiligen Ort immer bessere Hotels bzw. Restaurants geben, aber im Durchschnitt wird die Qualität der Kette höher ausfallen. Der Franchisegeber kann bei den selbständigen Franchisenehmern über regelmäßige Qualitätskontrollen, Inputvorgaben oder dergleichen durchsetzen, daß sie zu einer bestimmten Qualitätsstufe anbieten. M.a.W.: Der Franchisegeber ist dazu in der Lage, den Ruf seiner Kette zu steuern. Unter dem Abschnitt 3.3.7.1 behandele ich die Funktionsweise von Franchising im allgemeinen. Inwieweit ist es denkbar, die juristische Dienstleistung des Anwalts durch ein solches System zu erbringen? Diese Möglichkeit wird unter Punkt 3.3.7.2 behandelt. Abschnitt 3.3.7.3 faßt die Ergebnisse zusammen. 3.3. 7.1 Das Wesen des Franchisesystems
Franchisesysteme liegen zwischen dem anonymen Markt und der vertikalen Integration eines bisher selbständigen Unternehmens in ein anderes (vgl. Mathewson!Winter 1985, S. 503). Franchisegeber und Franchisenehmer, beide bisher und weiterhin selbständig, kooperieren freiwillig, um ein bestimmtes (oder mehrere) Ziel(e) zu erreichen, indem sie ihre Geschäftspolitik in gewissem Maße harmonisieren; Franchisevereinbarungen beziehen sich immer auf eine vertikale Zusammenarbeit der Unternehmen (vgl. Tietz 1988, S. 205). In der Regel sind folgende Charakteristika im Rahmen eines Franchisevertrages vorzufinden (vgl. Tietz 1985, S. 206 und Mathewson/Winter 1985, S. 503): - Die Zusammenarbeit wird in einem Vertrag geregelt und ist auf Dauer angelegt.
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- Gegenstand des Vertrages ist die Erlaubnis für den Franchisenehmer ("franchisee", Systempartner), über bestimmte Rechte des Franchisegebers ("franchisor", Systemträgers) gegen eine einmalige Zahlung und/oder gegen ein laufendes Entgelt zu verfUgen. Die Rechte können sich auf die Nutzung eines Marken- bzw. Firmennamens, auf die Erlaubnis zur Herstellung und zum Vertrieb eines Gutes bzw. Gütergruppe, auf den Einsatz eines Produktionsverfahrens bzw. Rezeptur oder auf die Verwendung eines Absatzprogramms beziehen. - Der Franchisegeber unterstützt den Franchisenehmer bei der Herstellung oder beim Vertrieb des Gutes. - Durch die Vereinbarung werden dem Franchisenehmer bestimmte Pflichten auferlegt, wie die zur Offenlegung von Informationen, zur Verwendung der vertraglich vereinbarten Inputstoffe oder zur Beachtung von vorgegebenen Sorgfaltsregeln. - Eine einseitige Kündigungsmöglichkeit durch den Franchisegeber ist nicht unüblich. Franchiseverträge sind in der Praxis im Automobilhandel, in Werkstätten, bei Tankstellen, in weiten Bereichen des Einzelhandels, der Gastronomie und Hotellerie sowie in vielen sonstigen Dienstleistungsbereichen zu finden (vgl. Tietz 1988, S. 207). Die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des Franchising lassen sich aus den Vorteilen beider Vertragsparteien ablesen (vgl. zusammenfassend Tietz 1988, S. 266 f.). Vielfach verbessert der Franchisegeber durch Franchising seine Expansionsmöglichkeiten, weil der Finanzbedarf im Vergleich zu anderen Möglichkeiten, wie z.B. dem Aufbau eines Filialsystems, geringer ist und die Aussicht auf eine wirkungsvolle Überwachung des Franchisenehmers besteht. Für den Franchisenehmer liegen die Vorteile darin, daß der Kapitalbedarf bzw. das Risiko gegenüber einer eigenständigen Ausdehnung niedriger ausflillt und auf die vom Franchisegeber organisierte Schulung sowie auf dessen Werbeanstrengungen zurückgegriffen werden kann. Anband eines Franchisesystems im Einzelhandel verdeutlichen Mathewson/Winter (1985) die Probleme, die beim Abschluß eines solchen Vertrages auftreten: Nach Vertragsabschluß kann der Franchisenehmer das Ergebnis beeinflußen, indem er über den Verkaufspreis, den Verkaufsaufwand und den jeweiligen Input (Arbeitszeit, Sorgfalt, Rohstoffe etc.) entscheidet, ohne daß der Franchisegeber dies bemerkt; es droht die Gefahr, daß dem Franchisegeber 9*
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durch das Verhalten des Nehmers Nachteile erwachsen. 57 Im folgenden wird untersucht, ob dieses drohende Problem verborgener Handlungen durch den Abschluß eines Franchisevertrages überwunden werden kann (vgl. hierzu Mathewson/Winter 1985, S. 506-515). Der Franchisegeber hat das Ziel, durch den Einsatz überregionaler Werbemittel einen Markennamen flir das jeweilige Produkt aufzubauen. Der Franchisenehmer erhält das Recht, das Produkt des Gebers in seinem Gebiet zu verkaufen; er übernimmt daftlr die Pflicht, durch die Verwendung bestimmter Inputstoffe, den Einsatz seiner Arbeitskraft etc., die Qualität des Produkts nicht zu verschlechtem oder gar zu verbessern (lokale Qualitätsanstrengungen) und ein Entgelt zugunsten des Gebers zu zahlen, das sich in einen festen, nur zu Vertragsbeginn fälligen und in einen vom Umsatz abhängigen Bestandteil aufspalten kann. Aus diesem Arrangement heraus lassen sich zwei Gefahren ablesen: Zum einen kann der Franchisenehmer vom überregionalen Markenimage profitieren und unerkannt die vereinbarten lokalen Qualitätsanstrengungen unterschreiten (vertikales Trittbrettfahrerverhalten seitens des Nehmers). Zum anderen hat ein Franchisenehmer die Chance, von den Qualitätsanstrengungen seiner lokalen Kollegen zu profitieren, ohne den eigenen Beitrag zu leisten (horizontales Trittbrettfahrerverhalten seitens des Nehmers). Der Franchisegeber soll das Niveau der lokalen Nachfrage und den Erfolg der Verkaufs- sowie Qualitätsanstrengungen des Franchisenehmers nicht bzw. nur unter sehr hohen Kosten erfahren können, d.h. die Nachfrage wird aus seiner Sicht auch durch eine stochastische Komponente beeinflußt; dem Franchisenehmer dagegen sei die "Güte" seiner Verkaufs- und Qualitätsanstrengungen geläufig, so daß er aus der realisierten Nachfrage in Verbindung mit seinen Anstrengungen den tatsächlich vorhandenen stochastischen Anteil ableiten kann. Unter dieser Konstellation ungleicher Information hat folglich der Nehmer die Möglichkeit, ein geringes realisiertes Nachfrageniveau als "natürliche Folge der Marktgegebenheiten" darzustellen, obwohl er dieses Niveau entweder durch horizontales oder durch vertikales Trittbrettfahrerverhalten selbst erzeugt hat. Um die durch diese Trittbrettfahrerprobleme entstehenden "agency costs" zu verdeutlichen, kann man auf den Referenzpunkt eines first-best-Vertrages verweisen. In diesem "first-best"-Vertrag erhält der Nehmer vom Geber gegen eine feste Gebühr das Recht zur Nutzung des Markennamens, die weiteren
57 Allerdings prägt auch der Franchisegeber das Ergebnis mit, je nachdem, wie er den (weiteren) Werbeeinsatz gestaltet, was aber ftlr diese Darstellung vernachlässigt werden soll (vgl. hierzu Mathewson/Winter 1985, S. 520-525).
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Einnahmen fallen allein dem Nehmer zu; ergänzend würde der Geber ein Überwachungssystem gegen die Gefahren des "free riding" aufbauen. Letzteres fUhrt dazu, daß der Franchisenehmer mit den gesamten Kosten einer lokalen Qualitätsreduktion konfrontiert wird; das Prinzipal-Agent-Problem wird ausgeschaltet. Unter dieser Vereinbarung hätte selbstverständlich auch der Geber ein Interesse daran, ein kostengünstiges Überwachungssystem aufzubauen, denn nur dann könnte er seine Rente aus der Franchisevereinbarung maximieren. Die "agency costs" treten in Form der Überwachungskosten auf. Im Falle eines begrenzten Vermögens des Franchisenehmers wird eine Gewinnaufteilung zwischen beiden Parteien unvermeidlich. Denn nur im Falle eines unbegrenzten Vermögens kann der Nehmer ein bestimmtes Ergebnis in der Form zusichern, daß er im Falle eines aufgedeckten Fehlverhaltens den "Schaden" im ausreichenden Maße ersetzt oder gar eine "Strafe" zahlt. Ohne diese Bedingung wäre die Aufdeckung folgenlos. Eine begrenzte Vermögenslage des Franchisenehmers fUhrt also zu einer Gewinnaufteilung zwischen Geber und Nehmer. Über die genaue Gestalt der Gewinnaufteilung lassen sich nur allgemeine Regeln aufstellen: Die dem Nehmer verbleibenden Gewinne im Falle einer geringen Nachfrage müssen so hoch sein, daß der Nehmer noch dazu in der Lage ist, die vereinbarte Franchisegebühr zu entrichten. In einer Situation mit einer hohen Nachfrage muß der Nehmer einen so hohen Gewinn erzielen, daß er ein eigenes Interesse an der Offenlegung dieses Zustandes hat; und die Erträge in einer anderen Verwendung der Arbeitskraft dürfen unabhängig von der realisierten Vermögenslage nicht höher ausfallen als in der Franchisebeziehung. 58 Die Ausruhrungen zum Franchisesystem zeigen, daß es wesentliches Ziel des Franchisegebers ist, einen Markennamen fiir sein Gut oder seine Dienstleistung bzw. die Stellung eines reputierlichen Anbieters aufzubauen. Ein möglicher Weg zum Aufbau dieses Markennamens bzw. der Reputation besteht in der Form, Werbeaktivitäten zu ergreifen. Damit dieser Aufbau möglich ist, müssen auch hier die in den Abschnitten 3.3.5.1 und 3.3.6.1 genannten Voraussetzungen zutreffen. Der wesentliche Unterschied liegt jedoch darin, daß sich in diesem Falle die Herstellung eines guten Namens sich nicht nur auf ein einzelnes, sondern auf einen "losen Zusammenschluß" von Unternehmen bezieht. Der Franchisenehmer geht diese Verbindung im wesentlichen darum ein, um von diesem Markennamen mitzuprofitieren. Als Gegenleistung muß der Nehmer dem Geber in irgendeiner Form ein Entgelt zukommen lassen. Die
5" Beide Vorausssetzungen entsprechen den allgemeinen Nebenbedingungen in der P-A-Theorie, nämlich der "incentive compatibility constraint" und der "participation constraint" (vgl. Abschnitt 3.3.3.1).
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Probleme des Franchisevertrags liegen jedoch auch innerhalb der Vertragsbeziehungen: Der Franchisenehmer hat einen Anreiz, seinen Beitrag zum Erfolg der Franchisevereinbarung zu kürzen (Trittbrettfahrerverhalten), falls dies unerkannt oder ohne Furcht vor Sanktionen möglich ist. Insofern kann man sagen, daß die bestehenden P-A-Probleme zwischen Anbieter und Nachfrager durch ein neues P-A-Verhältnis "Franchisegeber/-nehmer" gelöst werden. Ob freilich das neue P-A-Problem durch eine optimale Entlohnungsstruktur beseitigbar ist, kann man nicht mit Sicherheit beantworten (vgl. hierzu grundsätzlich Abschnitt 3.3.3.1). 3.3. 7.2 Franchise und Anwälte Eine Franchisevereinbarung im Anwaltsmarkt würde dazufuhren, daß selbständige Anwälte bestimmte Funktionen, insbesondere die der Werbung, an ein Anwaltsbüro abgeben. Die weiterhin selbständigen Anwälte treten nach außen unter dem Namen des Anwaltsbüros auf; als Gegenleistung für die Nutzung dieses Rechts müssen die Anwälte ein Entgelt entrichten. Das Anwaltsbüro hat ein Interesse, seine Vertragspartner zu kontrollieren, damit die von ihr verfolgten Qualitätsstandards auch eingehalten werden. Aus Sicht des Mandanten wird die P-A-Beziehung zwischen Mandant und Anwalt insofern umgestaltet, als nun das Anwaltsbüro in die Rolle des Agenten schlüpft. Hinsichtlich der Funktionsweise einer solchen Vereinbarung läßt sich folgendes sagen: Die weiterhin selbständigen Anwälte partizipieren vom guten Ruf des Anwaltsbüros und dessen Werbeanstrengungen. Insofern müssen die in den Abschnitten 3.3.5.2 und 3.3.6.2 genannten Voraussetzungen für die Funktionsflihigkeit des Reputationsmechanismus und des Werbeeinsatzes als Lösung fUr ungleiche Information auch hier gelten. Die Vertragsbeziehung zwischen den selbständigen Anwälten und dem Anwaltsbüro kann man wieder als Prinzipal-Agent-Verhältnis auffassen, in dem es prinzipiell zu zwei Arten des Trittbrettfahrens kommen kann: - Jeder selbständige Anwalt hat ein Interesse daran, seine Bemühungen um eine hohe Qualität unerkannt zu senken, denn die damit möglicherweise verbundenen Einbußen an Reputation fallen zu wesentlichen Teilen beim Anwaltsbüro und nur zu einem geringen Teil bei ihm an (vertikales Trittbrettfahrerverhalten des selbständigen Anwalts). - Treten in einem lokalen Markt des Anwaltsbüros mehrere Anwälte als Franchisenehmer auf, so ist nicht auszuschließen, daß jeder einzelne Anwalt auf Kosten seiner lokalen Kollegen die Qualität unbemerkt senkt. Die Kosten
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der Aufrechterhaltung einer hohen Qualität fallen dem einzelnen Anwalt ausschließlich zu, von den Erträgen in Form eines hohen lokalen Rufes des auf ein Franchisesystem aufgebauten Anwaltsbüros profitieren alle. Diese "asymmetrische" Aufteilung der Kosten und Nutzen provoziert ein horizontales Trittbrettfahrerverhalten der Anwälte. Diese Formen des Trittbrettfahrens seitens der einzelnen Anwälte treten nur dann auf, wenn es filr das Anwaltsbüro unmöglich oder zu teuer ist, die Anwälte zu überwachen, und das Vermögen der Anwälte begrenzt ist. Weist das Anwaltsbüro genügend Überwachungsmöglichkeiten aufund reicht das Vermögen der Anwälte aus, im Falle eines Fehlverhaltens den Schaden zu ersetzen oder gar eine Strafe zu zahlen, ist immer noch der "first-best"-Vertrag möglich, bei dem das Recht zur Nutzung des Firmennamens und der Werbeaktivitäten gegen eine feste Gebühr an die selbständigen Anwälten weiterveräußert wird. Trittbrettfahrerprobleme, die der selbständige Anwalt verursachen könnte, bestehen nicht mehr, denn die dadurch verlorengehenden Erträge fallen durch die Möglichkeit der "Bestrafung" in ausreichender Höhe auf den Verursacher zurück. Das Anwaltsbüro hätte hier ebenfalls ein Interesse daran, ein effizientes Überwachungssystem aufzubauen, denn nur dann gelänge es ihm, die Erträge aus dem Franchisesystem zu maximieren. Sind allerdings die beiden Bedingungen "vorhandene Überwachungsmöglichkeit'' und "unbegrenzte Vermögenslage" nicht erfilllt, muß es eine Gewinnaufteilung zwischen beiden Akteuren geben. Damit nun die potentiell auftretenden Trittbrettfahrerprobleme seitens der Anwälte nicht Wirklichkeit werden, müssen die beiden Vertragsparteien eine Entlohnungsstruktur entwerfen, die dem einzelnen Anwalt im Falle schlechter Zeiten noch soviel beläßt, um die Gebühr zu bezahlen, und die ihn trotzdem von einer Qualitätsreduktion abhält; letzteres impliziert u.a. auch, daß der Anwalt mehr erhalten muß als in der nächstbesten Verwendung seiner Arbeitskraft. Existiert eine solche optimale Entlohnungsstruktur, kann das Anwaltsbüro die Gefahr des Trittbrettfahrens seiner mit ihm durch eine Franchisevereinbarung verbundenen Anwälte ausschließen. Durch den Aufbau eines Franchisesystems zwischen Franchisegeber "Anwaltsbüro" und dem einzelnen Anwalt als Franchisenehmer kann man das P-AProblem zwischen Mandant und Anwalt aufheben, indem der Franchisegeber die Qualität des einzelnen Anwalts kontrolliert; der Mandant kann sich dann ex ante und ex post auf eine hohe Qualität seines beratenden Anwalts verlassen. Unter dem Firmennamen des Franchisegebers bildet sich ein guter Ruf heraus, der darüber hinaus durch Werbeaktivitäten des Franchisegebers noch verstärkt wird. Insofern stellt die marktliehe Lösung "Franchise" keinen eigenständigen Ansatz dar, sondern setzt ergänzend die Anwendbarkeit der anderen lnstrumen-
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te "Reputation und Werbung" voraus, was keinesfalls mit Sicherheit zu erwarten ist. Zusätzlich müssen die beiden Vertragsparteien eine Regelung finden, z.B. in Form einer optimalen Entlohnungsstruktur, welche die bei ihnen auftretenden P-A-Probleme zuverlässig löst, falls die Überwachungsmöglichkeit des Anwaltsbüros und das Vermögen des Einzelanwalts nicht ausreicht. Insgesamt ist also die Idee, das Problem ungleicher Information im Anwaltsmarkt durch einen Franchisevertrag zu lösen, von einer Reihe von Bedingungen abhängig. Das Eintreten des erwünschten Ergebnisses ist daher zumindest fraglich. 3. 3. 7. 3 Zusammenfassung
Im Rahmen einer Franchisevereinbarung hat der Franchisegeber die Aufgabe, einen Markennamen fUr sein Gut oder seine Dienstleistung, d.h. die Stellung eines reputierlichen Anbieters, durch Werbung bzw. Auswahl und Kontrolle des Franchisenehmers dauerhaft aufzubauen. Folglich müssen auf jeden Fall auch hier die bereits weiter oben behandelten Voraussetzungen der Instrumente "Werbung" und "Reputation" zutreffen. Problernt des Franchisevertrags liegen aber auch innerhalb der Vertragsbeziehungen. Wenn Überwachungskosten bestehen und der Franchisenehmer ein begrenztes Vermögen aufweist, hat der Nehmer einen Anreiz, seinen Beitrag zum Erfolg der Franchisevereinbarung zu kürzen. Dieses Prinzipal-Agent-Problem erfordert eine Gewinnaufteilung zwischen den Parteien, um die Anreize zum Trittbrettfahren auszuschalten. Ob eine solche Lösung möglich ist, bleibt fraglich. Insofern wird die Unsicherheit über die Überwindbarkeil des orginären P-A-Problems nur verlagert. Im Markt fiir Rechtsberatung ist vorstellbar, daß selbständige Anwälte sich einem Anwaltsbüro anschließen, indem sie unter dessen Namen auftreten, aber weiterhin die Mandate selbständig abwickeln (Franchising). Diese Konstruktion erlaubt es, vom guten Ruf des Anwaltsbüros sowie dessen Werbeanstrengungen zu partizipieren. Als Gegenleistung hierfUr muß der selbständige Anwalt ein Entgelt entrichten und die notwendigen Maßnahmen zur Sicherung des vom Anwaltsbüro gesetzten Qualitätsstandards dulden. Insofern kann man sagen, daß die Alternative des Franchisings keine eigenständige Lösung des Problems der Qualitätsunkenntnis darstellt, sondern auf die Ansätze Reputation und Werbung beruht. Zusätzlich entsteht durch den Franchisevertrag ein neues P-AProblem zwischen Franchisegeber und -nehmer, dessen Beseitigung durch eine geeignete Vertragskonstruktion keinesfalls zwangsläufig zu erwarten ist. Wenn keine hinreichende Überwachungsmöglichkeit und kein unbegrenztes Vermögen besteht, drohen Trittbrettfahrerprobleme seitens des selbständigen An-
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walts, die u.U. durch eine anreizkompatible Entlohnungsstruktur in Form einer Gewinnaufteilung gelöst werden können; ob ein solcher Vertrag zustande kommt, ist keinesfalls sicher.
3.3.8 Zusammenschluß mit anderen Agenten in Form der Fusion Möglicherweise ist es auch sinnvoll, daß sich mehrere Erzeuger bei der Erbringung einer Dienstleistung oder der Bereitstellung eines Gutes zu einem größeren Unternehmen zusammenzuschließen (Fusion), um Effizienzvorteile zu nutzen. Zu den allgemeinen Gründen filr Zusammenschlüsse vergleiche Abschnitt 3.3.8.1. Unter Punkt 3.3.8.2 behandele ich die im Anwaltsmarkt vorzufindenden Sozietäten, die man als Zusammenschlüsse (ehemals) selbständiger Anwälte auffassen kann. Ein kurzes Fazit bildet den Abschluß dieses Unterkapitels (Punkt 3.3.8.3).
3.3.8.1 Gründe für Fusionen In vielen Bereichen des Wirtschaftens ist zu beobachten, daß sich selbständige Hersteller oder Dienstleister unter dem Dach eines Unternehmens zusammenfinden. Welche "berechtigten" Motive bewegen einzelne Anbieter dazu, ein größeres Unternehmen zu bilden, bzw. warum gibt es eine Tendenz zur Konzentration?s9 Als allgemeingültige Antwort zu dieser Frage kann man sagen, daß die Ursachen in der Wahrnehmung von Effizienzvorteilen liegen. Effizienzvorteile können entweder auf Einsparungen bei den Produktionskosten oder bei den Transaktionskosten beruhen. Effizienzvorteile auf der Ebene der Produktionskosten, die sich durch einen horizontalen Zusammenschluß mehrerer Anbieter realisieren lassen, äußern sich entweder in Größenvorteilen bei der Erstellung eines Gutes oder Verbundvorteilen im Mehrgüterfall (vgl. hierzu Fritsch!Wein/Ewers 1993, S. 124 f. und 131 f.). Die Größenvorteile können auf mehreren Ursachen beruhen:
- Mindesteinsatzmengen bei den Produktionsfaktoren. Benötigt man zur Herstellung eines Gutes bestimmte Mindesteinsatzmengen, so können diese in der Regel eher erreicht werden, wenn man sich zusammenschließt. Als
59 Die Motive ftlr Fusionen können natürlich auch im Bereich der Wettbewerbsbeschränkungen und des Aufbaus von Marktmacht liegen (vgl. allgemein z.B. Herdzina 1991); dieser Aspekt wird hier vernachlässigt.
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3 Ungleiche lnfonnation
Spezialfalle kann man Losgrößen- und Spezialisierungsvorteile ansehen. Losgrößenvorteile lassen sich realisieren, wenn bei der Umrüstung von der Produktion eines Gutes auf die Herstellung eines anderen mit steigender Produktion die anfallenden Umrüstkosten je produzierter Mengeneinheit abnehmen. Vielfach ist es auch sinnvoll, sich auf die Bereitstellung bestimmter Güter zu spezialisieren, falls hierfilr eine bestimmte Qualifikation oder eine spezifische Verhaltensweise (z.B. Markterschließungsstrategie) erforderlich ist. - "Zwei-Drittel-Regel". Bei Kapitalgütern wie z.B. Öfen, Tanks, Röhren, Destillationsanlagen und Kabeln läßt sich die Kapazität durch eine Vergrößerung des Umfangs erhöhen. Wenn sich in diesen Fällen die Kapazität in Form des Volumens um eine Einheit erhöht, steigen die Materialkosten, die durch den vergrößerten Umfang zunehmen, nur in Höhe von zwei Dritteln an. - Stochastische Größenersparnisse. Mit ansteigender Betriebsgröße ist es in der Regel leichter, zufallsbedingte Ereignisse zu kalkulieren, da eher die Voraussetzungen zur Anwendung des Gesetzes der großen Zahl zutreffen. Aus diesem Grunde ist beispielsweise der Bedarf an Ersatzteilen filr mehrere gleichartige Maschinen genauer planbar als filr eine einzelne Anlage, so daß der Lagerbestand optimiert werden kann. - Prinzip des kleinsten gemeinsamen Vielfachen. Bestehen bei aufeinander aufbauenden Fertigungsstufen unterschiedliche mindestoptimale Kapazitäten, so ergibt sich die optimale Gesamtkapazität beim kleinsten gemeinsamen Vielfachen der mindestoptimalen Teilkapazitäten.
Verbundvorteile bei der Produktion mehrerer Güter äußern sich beispielsweise in folgender Form: - Im Falle der Kuppelproduktion entstehen bei der Herstellung eines Gutes zwangsläufig andere Güter mit. - Unter der Voraussetzung nicht voll ausgelasteter Anlagen bzw. Kapazitäten ist es denkbar, daß die Anlagen oder Kapazitäten filr die Produktion weiterer Güter genutzt werden können. - Unternehmen greifen auf Portfolioeffekte bei Forschung und Entwicklung sowie auf die Vorteile gemeinsamer Vermarktung zurück. Die Neuentwicklung von Produkten ist in der Regel mit nicht unerheblichen Risiken verbunden. Insbesondere ist unsicher, inwiefern ein Produkt technisch machbar ist
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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und ob es vom Markt überhaupt angenommen wird. Ein MehrproduktUnternehmen kann solche Risiken durch gleichzeitige Entwicklung unterschiedlicher Produkte quasi "auf mehrere Schultern" verteilen (Portfolioeffekt). Im Falle der Vermarktung bestimmter Güter kann es ebenfalls sinnvoll sein, den hohen Bekanntheitsgrad bei einem Produkt durch geeignete (Werbe-)Maßnahmen auf ein anderes Produkt zu übertragen. Eine weitere Erklärung fiir Konzentration, insbesondere fiir vertikale Zusammenschlüsse, ergibt sich aus dem Transaktionskostenansatz (vgl. Coase 193 7 und zusammenfassend Michaelis 1985). Die mit dem Austausch vom Property Rights verbundenen Kosten werden als Transaktionskosten bezeichnet, wobei man zwischen folgenden Kategorien unterscheiden kann: - Anbahnungskosten, z.B. die Kosten der Informationssuche und -beschaffung über potentielle Transaktionspartner und deren Konditionen; - Vereinbarungskosten, z.B. die mit der Intensität und zeitliche Ausdehnung von Verhandlungen sowie dem Ausmaß des Vertrages variierenden Aufwendungen; - Kontrollkosten, z.B. die Ausgaben zur Sicherstellung der Einhaltung von Termin-, Qualitäts-, Mengen-, Preis- und evtl. Geheimhaltungsvereinbarungen; sowie - Anpassungskosten, z.B. die Kosten zur Durchsetzung von Termin-, Qualitäts-, Mengen und Preisänderungen aufgrund veränderter Bedingungen während der Laufzeit der Vereinbarung.
Der Transaktionskostenansatz nach Coase, als Begründer dieser Richtung, unterscheidet zwischen zwei separaten Mechanismen der Koordination bzw. Faktorallokation: Auf Märkten erfolgt die Koordination über Preise und in Unternehmen über Anweisungen/Hierarchien. Der Gebrauch des Preismechanismus ist mit Kosten, den oben beschriebenen Transaktionskosten, verbunden, die sich vermeiden bzw. reduzieren lassen, wenn die Faktorallokation statt über Märkte in Unternehmen erfolgt. Folglich lassen sich Transaktionen in einer Unternehmung günstiger durchfUhren als über Märkte. Es werden freilich nicht alle ökonomischen Transaktionen in einer einzigen großen Unternehmung als Extremform der Konzentration durchgefiihrt, weil auch die hierarchische Koordination von Aktivitäten in Unternehmen mit Kosten, vor allem in Form einer zunehmenden Bürokratisierung, verbunden ist. Die Abgrenzung der Koordination über Märkte bzw. über Unternehmen unterliegt folglich einer speziellen Version des Marginalprinzips: Eine Unternehmung wird so viele Transaktionen
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3 Ungleiche Information
vom Markt übernehmen und intern koordinieren, bis die Organisationskosten fiir die Einbeziehung einer weiteren Transaktion mit den Kosten der Koordination durch den Preismechanismus übereinstimmen.60 Zusammenfassend kann man sagen, daß es entsprechend dem Transaktionskostenansatz fiir die Individuen solange sinnvoll ist, den arbeitsteiligen Produktionsprozeß innerhalb von Firmen zu organisieren, wenn die damit verbundenen Transaktionskosten unter (oder gerade) den Kosten liegen (entsprechen), die bei Nutzung des Marktes (des Preissystems) entstehen würden. Neben dieser Erklärung fiir vertikale Konzentration sollte man keinesfalls die Bedeutung der Produktionskosten fiir die horizontale Firmenbildung aus den Augen lassen. 3.3.8.2 Sozietäten Den Zusammenschluß von Anwälten in Sozietäten kann man nur durch Vorteile auf der Ebene der Produktionskosten erklären, denn die Fragestellung des Transaktionskostenansatzes weist in eine andere Richtung: Der Transaktionskostenansatz zeigt, warum bestimmte Güter nicht über den Markt bezogen, sondern selbst erstellt werden; ftlr den Rechtsberatungsmarkt bedeutet dies, daß sich der Mandant durch die Einstellung eines Syndikus behilft. Die Reichweite des Syndikus als Lösung des Problems ungleicher Information habe ich bereits im Rahmen des Abschnittes 3.3.1.2 behandelt. Welche Vorteile sind auf der Ebene der Produktionskosten ersichtlich, die den Aufbau einer Anwaltsfirma lohnend machen? Im Falle von Anwaltsfirmen, die als Einprodukt-Unternehmen organisiert sind (immer gleichartige Mandate), schlagen sich die Spezialisierungsvorteile der Überwachung und des Aufbaus eines Markennamens nieder. Erst mit zunehmender Kanzleigröße lohnt es sich u.U., daß ein Anwalt, vielfach der Seniorpartner, in die (ausschließliche) Rolle des Überwachers seiner Kollegen schlüpft; bei einer größeren Klientel sind möglicherweise bestehenden Mindestgrößen fiir Werbemaßnahmen eher zu erreichen. Sieht man eine Anwaltsfirma als Mehrprodukt-Unternehmen an, d.h. es werden sehr verschiedenartige Mandate ausgefiihrt, besteht der Anreiz und die Möglichkeit, den guten Ruf, den man sich in einem bestimmten Rechtsgebiet erworben hat, auf andere Gebiete zu übertragen. Da durch den Über-
60 Williamson (1990, S. 21-95) hat diesen Ansatz in den siebzigerund achtziger Jahren verfeinert. Er verweist in Ergänzung zu den Märkten und den Unternehmen noch zu~ätzlich auf die Existenz sogenannter relationaler Verträge (Kooperationen; z.B. langfristige Lieferverträge). Relationale Verträge stellen Austauschbeziehungen dar, in denen wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den Vertragsparteien bestehen.
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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gang von einem Einzelanwalt zu einer Sozietät ein zusätzliches PrinzipalAgent-Verhältnis zwischen dem(n) "ausfilhrenden" und dem(n) "überwachenden" Anwalt (Anwälten) entsteht, stellt sich die Frage, wie eine solche Zusammenarbeit funktionieren kann; ferner ist von Interesse, wann ein Mandant zu einer Sozietät überwechseln wird (vgl. zum folgenden Carr/Mathewson 1990, S. 309-320). Dem Modell von Carr/Mathewson liegen folgende Annahmen und Vereinfachungen zugrunde: - Die Zuverlässigkeit des Anwalts beeinflußt das Ergebnis der anwaltliehen Tätigkeit: Die Auszahlung des Mandanten aus der Rechtsstreitigkeit verringert sich um einen bestimmten Betrag, falls der Anwalt seine Qualität senkt und der Mandant dies nicht bemerkt. Es existiert eine zwischen Null und Eins liegende Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung betrügerischen Verhaltens, wobei die Aufdeckung nicht noch zusätzlich von Durchsetzungsschwierigkeiten vor Gericht behindert werden soll. Von Mandanten erkanntes, qualitativ geringwertiges Verhalten des Anwaltes zieht eine Schadensersatzpflicht nach sich; Strafen, die über den vom Anwalt angerichteten Schaden hinausgehen, bleiben jedoch ausgeschlossen. - Zwischen den Mandaten kann eine erhebliche Varianz im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit bestehen, das Fehlverhalten eines Anwalts zu erkennen. Fälle mit hoher juristischer Komplexität zeichnen sich durch eine niedrige Aufdeckungswahrscheinlichkeit aus, ebenso Angelegenheiten von Personen mit geringen juristischen Kenntnissen. Es ist auch vorstellbar, daß man sich aufgrund der Einfachheit des rechtlichen Problems allein helfen kann oder allerhöchstens einen im geringen Maße ausgebildeten Rechtsbeistandes benötigt, insofern steigen die Chancen filr die Aufdeckung eines Fehlverhaltens. - Zwischen Anwalt und Mandant findet nur eine einmalige Transaktion statt. Reputation hat jedoch in der Form eine Bedeutung, daß Einzelanwälte ihre Fähigkeiten durch Investitionen in eine juristische Ausbildung und Anwaltsfirmen durch Aufbau eines Markennamens signalisieren können; letzteres schlägt sich nieder in Werbeausgaben, sei es durch formale und informale Verbreitungsformen (Mund-zu-Mund-Werbung), in Ausgaben filr die Akquisition neuer Klienten, in dem mit Kosten verbundenen Versuch, einen Pool zufriedener Kunden zu schaffen, in einer kostenlosen Beratung der Mandanten, in nicht kostendeckenden Engagements bei Präzedenzflillen oder in Verlusten durch Lehrtätigkeiten an juristischen Ausbildungsstätten.
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3 Ungleiche Infonnation
Um den Nutzen einer Anwaltsfirma für den unvollständig informierten Mandanten zu verdeutlichen, kann man zunächst als Referenzpunkt den Einzelanwalt heranziehen. Es soll nur ein Mandant existieren, und in diesem Modell gibt es nur zwei Formen des Einzelanwalts: Der Spezialist mit der intensiven, unwiederbringlich verlorenen Ausbildung und der "Handwerker" mit den geringen Kenntnissen. Bei Einschaltung des Spezialisten muß der Klient eine (Reputations-)Prämie zahlen, um ein Betrügen nach Vertragsschluß zu verhindern. Diese Prämie muß so hoch sein, daß der erwartete Ertrag des Anwalts aus dem Betrügen eine nichtlohnende Alternative darstellt. Da von einem bestreitbaren Anwaltsmarkt ausgegangen wird, tendieren im Wettbewerb die Gewinne des spezialisierten Anwalts gegen Null, was durch die angenommenen Sunk-costInvestitonen sichergestellt wird (analog zum Reputationsmodell von Klein/Leffler 1983). Insofern sind auch hier wieder die Voraussetzungen des Reputationsmodells relevant (vgl. Abschnitt 3.3.5.1). In Abhängigkeit vom Aufwand für den Fall und der Entdeckungswahrscheinlichkeit des Betrügens entscheidet der Mandant, ob er den Spezialisten einschaltet und eine Prämie zahlt (damit dieser ihn nicht betrügt) oder den "Handwerker" beauftragt. Folgende Ergebnisse sind aus dem beschriebenen Modell ableitbar: - Unter den Voraussetzungen, gegebene Entdeckungswahrscheinlichkeit für einen Betrug, d.h. vereinfachend bei gegebener Komplexität des Falls, und veränderlichen Gewinnen aus einem betrügerischen Verhalten des Anwalts, kann man folgende Tendenzaussagen machen: Solange die Gewinne des Betrügens für den Anwalt in Form von Kosteneinsparungen bei schlechter Qualität nur im geringen Maße anfallen, reichen die erwarteten hohen Kosten der Entschädigung aus, daß der "handwerkliche" Anwalt vor Betrügereien zurückschreckt. Im Falle steigender Gewinne aus betrügerischem Verhalten genügt die Aussicht auf die Reputationsprämie, den Anwalt von dem Betrug abzuhalten; deshalb schaltet man einen Spezialisten ein, der die Reputationsprämie als Gegenleistung für seine spezifische, mit sunk costs verbundene Ausbildung erhält. Bei weiter steigenden Gewinnen durch betrügerisches Verhalten ist eine noch mehr zunehmende Reputationsprämie erforderlich, was sich dann aber für den Mandanten nicht mehr lohnen würde; der Mandant geht wieder zum "Handwerker". - Hält man die potentiellen Gewinne des Betrügens konstant, ergibt sich eine symmetrische Interpretation: Bei hoher Entdeckungswahrscheinlichkeit verhalten sich auch die "Handwerker" vorsichtig, und sie erhalten deshalb auch das Mandat; bei sinkender Entdeckungswahrscheinlichkeit erhalten die Spezialisten den Auftrag und werden durch eine Reputationsprämie für ihre
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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sunk costs entlohnt; im Falle einer extrem unwahrscheinlichen Entdeckung ist die Zahlung einer Reputationsprämie unwahrscheinlich, so daß die "Handwerker" wieder zum Zuge kommen. Wie verändern sich diese Ergebnisse, wenn man die Möglichkeit einer Sozietät zuläßt? Unter bestimmten, im folgenden noch zu präzisierenden Voraussetzungen ist eine Sozietät gegenüber einem Einzelanwalt im Vorteil, da die Sozietät mit Hilfe ihrer Möglichkeiten der internen Überwachung bzw. der Bestrafung betrügerischen Verhaltens innerhalb der eigenen Organisation hohe Qualität aufrechterhalten kann; die Mandanten müssen jedoch diese Überwachungskosten tragen. Allerdings muß in einer Sozietät weiterhin (wie beim spezialisierten Einzelanwalt) der Anreiz bestehen, nicht zu betrügen. Da aber in einer Sozietät die Einnahmen (in irgendeiner Form) geteilt werden, steigt der Anreiz des einzelnen Sozius, die Qualität zu senken. Folglich müssen die erwarteten negativen Folgen des Betrügens diesen Anreiz überwiegen. Sollten die Gewinne aus dem Betrügen zu- oder die Entdeckungswahrscheinlichkeit fiir ein Fehlverhalten abnehmen, müssen die Überwachungsaktivitäten verstärkt werden. Um die dadurch höheren Kosten des Überwachers zu decken, ist es notwendig, daß die erwarteten Erträge in Form der Gewinnanteile der Überwacher ansteigen. Wann wird sich eine solche Art der Vereinbarung im Markt durchsetzen? Bei einer geringen Komplexität des Falles, d.h. einer hohen Entdeckungswahrscheinlichkeit für betrügerisches Verhalten, lohnt es sich fiir einen "Handwerker" nicht, den Mandanten zu betrügen. Im Falle steigender Komplexität wird der Mandant einen Spezialisten einschalten, und erst ab einer hohen Komplexität ist eine Sozietät vorteilhaft. Bei ganz hoher Komplexität müßte die Reputationsprämie so stark steigen, daß der Mandant die Möglichkeit der Einschaltung einer Sozietät außer acht läßt; die "Handwerker" kommen gezwungenermaßen zum Einsatz. Die Überlegungen zeigen, daß mit abnehmender Entdeckungswahrscheinlichkeit fiir betrügerisches Verhalten die Sozietät Effizienzvorteile hat, da sie eine konstengünstige Überwachungstechnologie aufweist. Die Überwacher kontrollieren nicht aus intrinsischen Motiven, sondern weil sie zusätzliche Gewinne in Form von Reputationsprämien erzielen wollen. Insofern stellt die Sozietät keine eigenständige Lösung zum Problem ungleicher Information dar; die Annahmen der Reputationsmodelle, die im Rechtsberatungsmarkt nicht unproblematisch sind, müssen beachtet werden. Ferner haben es Sozietäten über das Modell von Carr/Mathewson ( 1990) hinaus leichter, Mindesteinsatzmengen beim Werbeeinsatz zu überwinden (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.6.2). Treffen diese Voraussetzungen zu, haben die Sozietäten erhebliche Vorteile gegenüber der Beratung durch den Einzelanwalt
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3 Ungleiche Information
3.3.8.3 Fazit
Zusammenschlüsse von Unternehmen werden angestrebt, um Effizienzvorteile zu nutzen. Diese Effizienzvorteile können sich in Einsparungsmöglichkeiten bei den Produktions- und den Transaktionskosten niederschlagen. Im Falle des Zusammenschlusses selbständiger Anwälte sind nur die Produktionskostenvorteile einschlägig: Zum einen können größere Kanzleien die Spezialisierungsvorteile eines Einprodukt-Unternehmens in Form des Aufbaus und der Überwachung eines Markennamens wahrnehmen sowie vielfach bestehende Mindestgrößen beim Werbeeinsatz überspringen. Die Überwachung innerhalb der größeren Kanzlei mag sich in der Form einspielen, daß sich ein Anwalt auf die Kontrolle seiner Kollegen spezialisiert; der überwachende Anwalt hat dann auch ein Interesse daran, daß sich ein guter Ruf filr das gesamte Unternehmen herausbildet. Betrachtet man eine Kanzlei nicht nur als Einprodukt-Untemehmen, das seine Dienste innerhalb eines umgrenzten Rechtsgebiets anbieten möchte, sondern als Mehrprodukt-Untemehmen, so besteht die Möglichkeit, den Ruf als qualitativ hochwertige Kanzlei filr ein Rechtsgebiet auf andere Rechtsgebiete zu übertragen. M.a.W.; die Verbundvorteile erstrecken sich auf die leichtere Vermarktung einer großen Kanzlei. Diese Analyse zeigt, daß der Zusammenschluß von Anwälten zu einer großen Kanzlei ein Mittel zum Abbau einer asymmetrischen Informationsverteilung zu Lasten der Mandanten darstellen kann, wobei aber wieder auf die bekannten Instrumente der Werbung und der Reputation zurückgegriffen wird. Insofern stellt die Lösung "Zusammenschluß von Anwälten" keinen selbständigen Ausweg bei Vorliegen von Qualitätsunkenntnis dar. Die Voraussetzungen filr den Einsatz von Werbeaktivitäten und für den Aufbau von Reputation müssen auch hier zutreffen. Zusätzlich entsteht innerhalb der Anwaltsfirma ein Prinzipal-Agent-Problem: Der Prinzipal "Überwacher" muß die Handlungen des Agenten, des ausführenden Anwalts, in gewissem Maße kontrollieren können, ansonsten droht ein Trittbrettfahren. Die Überlegungen des vorherigen Abschnittes zeigen, daß mit steigender Komplexität des Falles, d.h. einer geringen Entdeckungswahrscheinlichkeit eines Fehlverhaltens, der Einsatz einer Anwaltsfirma wahrscheinlicher wird. Diese Aussage gilt allerdings nicht unbegrenzt, denn ab einem bestimmten hohen Komplexitätsniveau muß die qualitätssichemde Reputationsprämie so hoch werden, daß sich dies filr den Mandanten nicht mehr lohnt. Die Anwaltsfirma wird sich dann in diesem "Qualitätssegement" nicht etablieren können.
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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3.3.9 Zusammenfassung der marktliehen Möglichkeiten im Rechtsanwaltsmarkt Die Prinzipal-Agent-Beziehung zwischen Anwalt und Mandant stellt insofern ein Problem dar, als hinsichtlich der Verfiigbarkeit an Informationen die Mandanten benachteiligt sind: Sie sehen sich dem Auswahlproblem, d.h. der Frage nach dem hinreichend qualifizierten Anwalt, und dem Kontrollproblem während der Mandatsabwicklung gegenüber. Im Rahmen des Abschnittes 3.3 bin ich der Frage nachgegangen, inwieweit der Markt ohne staatliche Hilfe selbst dazu in der Lage ist, dieses Problem ungleicher Information zu lösen. Anders ausgedrückt war die Zielrichtung folgende: Was kann ein Bürger, ohne sich an den vielfach gegebenen staatlichen Eingriffen im Rechtsberatungsmarkt zu orientieren, vom Markt an Lösungen erwarten? Die Ergebnisse dieser Überlegung werden im folgenden teilweise verbal und teilweise tabellarisch zusammengefaßt. Hinsichtlich der ersten Möglichkeit, der Informationsnachfrage seitens des Mandanten, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie meist nicht im nennenswerten Unfang zustande kommen dürfte: Vielfach fehlt es den Mandanten an den notwendigen Kenntnissen, oder den hohen Kosten der Informationsnachfrage stehen nur geringe individiuelle Erträge gegenüber. Die indirekte Form der Informationsnachfrage über die Einschaltung Dritter bereitet ebenfalls Probleme, da das Problem ungleicher Information u.U. nur auf den Dritten verlagert wird, kein Angebot aufgrund von positiven Externalitäten vorhanden ist oder die Hilfe eines Dritten zu spät kommt (vgl. zusammenfassend Übersicht 2). Allein große Unternehmen können durch den Einsatz eines Syndikus die Informationsprobleme selbst lösen, weil sie diesen kostengünstig auswählen und leicht überwachen können sowie sich sein Einsatz fiir sie lohnt. Im Rechtsberatungsmarkt ist auch denkbar, daß die Rechtsanwälte glaubwürdige Garantieversprechen abgeben. Hinsichtlich der darin konkretisierten Ersatzpflicht werden die meisten Mandanten eine Garantie im weiteren Sinne (Haftung) verlangen, denn ein erstattetes Honorar, was bestenfalls bei der Garantie im engeren Sinne denkbar wäre, ist nur ein geringes "Trostpflaster" im Falle eines schlechten Anwalts; deshalb wurde die Garantie im engeren Sinne hier vernachlässigt. Die Rechtsanwälte können ihre Garantie im weiteren Sinne grundsätzlich auf zwei Faktoren beziehen: Zusicherungen hinsichtlich ex post leicht nachprüfbarer Kriterien und Garantie eines bestimmten Nutzenniveaus, das mit dem Ausgang des Verfahrens variieren kann. Leicht nachprüfbare Kriterien stellen persönliche Merkmale wie Art und Umfang der absolvierten Ausbildung oder die Zahl der erfolgreich abgeschlossenen Mandate in den vergangeneo Jahre dar, deren Richtigkeit man mit einem Garantieversprechen 10 Wein
3 Ungleiche Information
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Übersicht 2: Marktliehe Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt Informationsnachfrage und Garantie
Funktionsweise
Voraussetzungen
Bewertung
Informationsnachfrage seitens des Mandanten
Garantieversprechen der Rechtsanwälte
Mandant selbst oder mit Hilfe Dritter prilft ex ante die Qualität des Anwalts bzw. überwachtexpost den eingeschalteten Rechtsbeistand.
Qualitativ hochwertige Anwälte sichern den Mandanten ein festes Nutzenniveau zu (Voll-); schlechte Anwälte übernehmen nur ein Teil des Risikos (Teilversicherung).
Spezialwissen des Mandanten vorhanden, existentielle Angelegenheit, häufiger Beratungsbedarf, nachträgliche Kontrolle ergibt Beweisbares oder Anwalt kann wenig verschleiern; Dritte nur einsetzbar, wenn kein Auswahlproblern vorliegt, Angelegenheit Zeit hat und keine Gefahr fiir positive Externalitäten besteht.
Anwälte können besser als ihre Mandanten Risiken tragen, nur mäßiges stochastisches Risiko, keine nichtbeseitigbare ungleiche Information zu Lasten des Anwalts, nur zivilrechtliche Anspüche voll versicherbar, Irrelevanz immaterieller Nutzen beim Mandanten und Vollversicherung fiir Mandant nutzenmaximierend.
Voraussetzungen sind meist zu restriktiv; Problem ungleicher Information kann man dadurch wahrscheinlieh nicht lösen.
Viele, häufig nicht erfiillte Voraussetzungen; beschriebene Lösung nur in Ausnahmetallen zu erwarten.
glaubwürdig unterstreichen kann. Solche Merkmale werden zwar vermutlich wahrheitsgemäß offengelegt, weil sie leicht nachprOfbar sind, aber sie geben nur Auskunft über die ex ante vorhandene Qualität, d.h. sie bekämpfen ausschließlich das "hidden-information"-Problem und nicht auch die Gefahr der "hidden action". Ferner ist fraglich, ob zwischen den offengelegten Merkmalen und der fiir den jeweiligen Fall notwendigen Fähigkeit des Anwalts immer ein inhaltlich enger Zusammenhang besteht. Insofern ist kaum zu erwarten, daß
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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diese Form des Garantieversprechens das Problem ungleicher Information wesentlich löst. Die zweite Alternative des Garantieversprechens würde sich darin niederschlagen, daß nur qualitativ hochwertige Anbieter bereit sind, ein konstantes Nutzenniveau (Vollversicherung) den Mandanten zuzusichern; die qualitativ schlechten Anwälte rechnen viel zu sehr mit einem Scheitern und werden daher nur teilweise das Risiko dem Mandanten abnehmen (Teilversicherung). Aus der Bereitschaft der Anwälte eine bestimmte Form des Garantieversprechens (Voll- oder Teilversicherung) abzugeben, ist dann zweifelsfrei die wahre Qualität des Anwalts erkennbar. Ein solches separierendes Gleichgewicht ist nur in Ausnahmefallen zu erwarten (vgl. hierzu Übersicht 2), so daß die Hoffnung, durch Garantieversprechen hohe Qualität zu signalisieren, nur sehr begrenzt aufrechterhalten werden kann. Im Falle eines glaubwürdigen Preissignals werden qualitativ hochwertige Anwälte dem Mandanten teilweise das Erfolgsrisiko abnehmen und nur einen geringen Betrag als Festpreis verlangen (gemäßigtes Erfolgshonorar). Schlechtere Anwälte akzeptieren dagegen ausschließlich Festpreise (nur vom Streitwert abhängige Gebühren oder Stundenhonorare). Es ergibt sich ein separierendes Gleichgewicht, so daß Probleme verborgener Information ex ante nicht mehr bestehen. Theoretisch wäre auch denkbar, daß ein solches gemäßigtes Erfolgshonorar verborgene Handlungen unterbindet und trotzdem den Nutzen des Anwalts maximiert, was von den in der Übersicht 3 genannten Bedingungen abhängt. Ob sich ein solches Ergebnis einstellt, ist eine empirische Frage. Für Deutschland ist diese Frage nicht beantwortbar, denn das Standesrecht verbietet Erfolgshonorare. Die spärlichen empirischen Untersuchungen in den USA zu diesem Thema deuten auf ein Weiterbestehen des "hidden-action"-Problems hin. Weitere empirische Untersuchungen wären hier allerdings wünschenswert. Eine Zusatzqualifikation wie der Erwerb einer Fachanwaltsausbildung oder einer Promotion könnten die Anwälte in die Gruppe der schlechten und der guten Rechtsbeistände trennen: Nur fähige Rechtsvertreter weisen diese ergänzenden Abschlüsse auf. Dieses separierende Gleichgewicht würde die während der Berufsausbildung erworbenen Kenntnisse eindeutig offenlegen (kein "hidden-information"-Problem mehr). Die Zusatzqualifikationen haben möglicherweise keinen Einfluß auf die Produktivität der guten Anwälte, was man nicht als Fehlallokation ansehen kann, da dadurch ungleiche Information überwunden wird. Voraussetzungen für dieses separierende Gleichgewicht sind für die tahigeren Anwälte niedrigere Grenzkosten für den Erwerb der Zusatzqualifikation, für die fähigen Anwälte ihr Gewinnmaximum im Zustand mit Zusatzqualifikationen bzw. für die weniger fähigen ohne eine solche Zusatzausbildung und für die Mandanten keine Anreize sowie Möglichkeiten, das erge-
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Übersicht 3: Marktliehe Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt Preis und Ausbildung
Funktionsweise
Voraussetzungen
Bewertung
Glaubwürdige Preissignale durch den Anwalt
Ausbildungsinvestitionen der Rechtsanwälte
Qualitativ hochwertige Anwälte gehen auf Honorar mit hohen Erfolgsanteil und geringen Festgebühren ein (gemäßigtes Erfolgshonorar); relativ schlechte Anwälte arbeiten nur zu Festpreisen.
Zusatzqualifikationen wie Fachanwaltsbezeichnungen und Promotionen zeigen dem Mandanten an, welcher Anwalt ex ante hohe Qualität aufweist: Nur gute Anwälte erwerben diese Zusatzfähigkeiten.
Das gemäßigte Erfolgshonorar muß allein den richtigen Anwalt ansprechen, dessen Nutzen in einer anderen Verwendung ersetzen und ihn jederzeit zur gewünschten Handlung anreizen; unter Wettbewerbsbedingungen muß diese Entgeltform bestehen bleiben.
Ein solches separierendes Gleichgewicht besteht, wenn Fähigere diese zu geringeren Kosten erwerben können und dabei ihren Gewinn maximieren, die Schlechteren ohne Zusatzausbildung sich besser stellen sowie der Wettbewerb das Ergebnis nicht zerstören kann.
Existenz einer solchen perfekten Entlohnungsform ist empirische Frage; empirische Ergebnisse aus den USA stimmen nicht optimistisch, zumindest hidden action weiter relevant.
Zusatzqualifikationen lösen theoretisch das Problem verborgener Information, empirische Bestätigung muß offen bleiben; Problem verborgener Handlungen dadurch nicht lösbar.
bende Gleichgewicht durch Veränderung der Zahlungsbereitschaft oder des von ihnen geforderten Niveaus an Zusatzqualifikationen zu zerstören. Empirische Untersuchungen zu diesem Thema fehlen (vgl. Übersicht 3). Qualitativ hochwertige Anwälte können die Probleme ungleicher Information umgehen, indem sie sich langfristig um hohe Qualität bemühen. Die Man-
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe - Lösungsmöglichkeiten
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danten werden dies im Lauf der Zeit erkennen, so daß sich diese Rechtsvertreter eines guten Rufes erfreuen können. Die qualitativ hochwertigen Anwälte setzen das Einfiihrungshonorar in der ersten Periode so niedrig an, daß kein schlechter Anwalt anbieten kann. Ob ein solches separierendes Gleichgewicht besteht, ist von drei zentralen Voraussetzungen abhängig. Der Mandant muß erstens nach Abschluß der anwaltliehen Beratung beurteilen können, ob die Leistung qualitativ hochwertig war. Die fehlende Sachkenntnis des Mandanten und dessen geringer Informationsanreiz stellen einerseits die Gegenargumente dar. Andererseits kann eine Gerichtsentscheidung oder die Entgegnung der Gegenseite Informationsprobleme ex post im erheblichen Maße und ohne zusätzliche Kosten beseitigen. Zweitens: Langfristig müssen die reputierlichen Anwälte zur Lösung des "hidden-information"-Problems mehr verdienen, als wenn sie die Gewinnchance einer kurzfristigen Qualitätsverschlechterung wahrnehmen. Diese Bedingung wird um so eher erfiillt, je höher die Zahlungsbereitschaft der Mandanten filr eine qualitativ hochwertige Beratungsleistung bei Sicherheit ist und je geringer die Kostenunterschiede zwischen niedriger und hoher Qualität ausfallen. "Hidden action" ist nur zu vermeiden, wenn die Mandanten bereit sind, den um hohe Qualität bemühten Anwälten einen zusätzlichen Gewinn in Form einer Reputationsprämie zuzugestehen; Anwälte, die zu irgendeinem Zeitpunkt auf niedrige Beratungsqualität überwechseln, so die Annahme, verspielen endgültig diese Gewinnmöglichkeit Drittens ist fiir das Problem verborgener Handlungen erforderlich, daß die Mandanten sich entsprechend dem Extrapolationsprinzip verhalten oder eine gewisse Zahl "von Natur aus" vertrauenswürdigen Anwälten gegeben ist. Diese drei Bedingungen sind relativ restriktiv, so daß auf der theoretischen Ebene Skepsis, zumindest fiir eine nur auf Reputation basierende Lösungsmöglichkeit, angebracht scheint. Aus der vorliegenden empirischen, aber äußerst geringen Evidenz kann man die Befiirchtungen kaum abschwächen. Jede weitere empirische Untersuchung wäre hier wünschenswert, was aber große Umsetzungsprobleme bereitet (vgl. Übersicht 4) Anwälte, die sich auf Werbung verlassen, können versuchen, direkte Informationen über die eigene Person zu übertragen, Preisangaben bekanntzugeben oder nur eine Imagewerbung zu betreiben. Hinsichtlich der direkten Informationen können nur die leicht nachprüfbaren Angaben das Qualitätsproblem lösen, denn andere direkte Informationen sind fiir den Mandanten nicht glaubwürdig. Den Nutzen leicht nachprüfbarer Angaben sollte man allerdings nicht überschätzen, denn viele Anwaltsleistungen sind aus Sicht des Mandanten so komplex, daß er mit den wenigen, leicht nachprüfbaren Informationen kaum einen umfassenden Überblick über die Ex-ante-Qualifikation des Anwalts bekommt. Die Werbung mit Preisangaben ist solange funktionslos, wie der Mandant die Qualität des Rechtsvertreters nicht beurteilen kann. Ein separierendes
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Übersicht 4: Marktliehe Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt Reputation und Werbung
Funktionsweise
Voraussetzungen
Bewertung
Aufbau einer Reputation als qualitativ hochwertiger Anwalt
Werbeaktivitäten der Rechtsanwälte
Beide Probleme ungleicher Information werden dadurch überwunden, daß sich Anwälte mit guter Qualität im Laufe der Zeit einen guten Ruf erwerben; schlechte Anwälte werden als solche erkannt.
Nur qualitativ hochwertige Anwälte betreiben reine lmagewerbung, die nur über ihre Existenz informiert; alle anderen Rechtsanwälte verzichten auf das Signal bzw. wenden es im erkennbar geringeren Umfang an.
Mandant muß nach Abschluß die anwaltliehe Leistung beurteilen können; reputierliehe Anwälte müssen mit kontinuierlich hoher Qualität mehr verdienen; kein hidden action setzt zusätzliche Gewinnmöglichkeiten und die Gültigkeit des Extrapolationsprinzips bzw. einige vertrauenswürdige Anwälte voraus.
Trennendes Gleichgewicht in der beschriebenen Form erfordert es, daß Imagewerbung nur filr gute Anwälte lohnend ist, Mandanten dieses auch erkennen können und zusätzlieh die Voraussetzungen filr den Reputationsmechanismus vorliegen.
Alle drei Bedingungen sind nicht ohne weiteres zu erwarten; Annahme nachträglicher Überprüfbarkeil anwaltlicher Tätigkeit ist besonders kritisch; höhere Preise; weiterer empirischer Forschungsbedarf.
Imagewerbung stellt also kein eigenständiges Instrument dar, so daß zu den nicht unproblematischen Annahmen filr Reputation noch weitere kritische Faktoren hinzukommen; Skepsis ist daher durchaus angebracht.
Gleichgewicht mit Imagewerbung, die den Mandanten nur über die Existenz des jeweiligen Anwalts informiert, setzt voraus, daß nur filr die qualitativ hochwertigen Anwälte ein solches Signal gewinnmaximierend ist; alle anderen
3.3 Der Rechtsanwaltsmarkt ohne staatliche Eingriffe- Lösungsmöglichkeiten
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Anbieter müssen sich durch den Verzicht auf das Signal besser stellen (vgl. ebenfalls Übersicht 4). Für die Mandanten muß die Trennung erkennbar sein, d.h. nur die guten Anwälte werben oder nur die guten betreiben einen erkennbar größeren Aufwand. Werbung für qualitativ hochwertige Anwälte ist letztendlich nur dann vorteilhaft, wenn sie Wiederholungskäufe erzielen können. Insofern sind die nicht unproblematischen Annahmen für die Funktionsfahigkeit des Reputationsmechanismus hier ebenfalls einschlägig. Da Imagewerbung zusätzliche Bedingungen voraussetzt, vermindert sich der Optimismus, das Problem ungleicher Information durch Werbeaktivitäten zu lösen, noch weiter. Selbständige Anwälte können sich einem großen Anwaltsbüro anschließen; danach treten sie unter dessen Namen auf, wickeln aber weiterhin die Mandate selbständig ab (Franchising). Ein solche Franchisesystem erlaubt es, vom guten Ruf des Anwaltsbüros sowie dessen Werbeanstrengungen zu profitieren. Ein solches System ist aber für den Anwalt nicht kostenlos, und er muß die Qualitätsvorschriften sowie Überwachungsmaßnahmen des Anwaltsbüros hinnehmen. Insofern stellt die Alternative des Franchising keine eigenständige Lösung des Problems ungleicher Information dar, sondern greift auf die Ansätze "Reputation" und "Werbung" zurück. Der Franchisevertrag begründet allerdings eine neue P-A-Beziehung zwischen selbständigem Anwalt als Agent und Anwaltsbüro als neuer Prinzipal. Wenn keine ausreichende Überwachungsmöglichkeit und kein unbegrenztes Vermögen besteht, drohen Trittbrettfahrerprobleme seitens des selbständigen Anwalts, die man u.U. durch eine anreizkompatible Entlohnungsstruktur lösen könnte: Beide Parteien vereinbaren eine Gewinnaufteilung in der Form, daß der selbständige Anwalt die aus Sicht des Anwaltsbüros optimale Handlungen ergreift. Die vielen Voraussetzungen erzeugen Zweifel, ob der Markt ein solche, allerdings interessante Lösung erzeugt (vgl. Übersicht 5). Selbständige Anwälte können durch einen Zusammenschluß mit anderen Anwälten in Form einer Sozietät erhebliche Effizienzvorteile auf der Ebene der Produktionskosten realisieren: Größere Kanzleien nehmen die Spezialisierungsvorteile eines Einproduktunternehmens in Form des Aufbaus und der Überwachung eines Markennamens wahr und überspringen eher Mindestgrößen beim Werbeeinsatz. Vorteil der Sozietät ist auch, daß sie die Auswahl qualifizierter Anwälte und die laufende Überwachung effizient gestalten kann, was die Probleme ungleicher Information im erheblichen Maße mindert. Eine Sozietät, die nicht nur als Einprodukt- innerhalb eines umgrenzten Rechtsgebiets, sondern als Mehrprodukt-Untemehmen tätigen werden will, kann den Ruf als qualitativ hochwertige Kanzlei für ein Rechtsgebiet auf andere Gebiete übertragen. Der Zusammenschluß von Anwälten zu einer großen Kanzlei stellt also ein schlagkräftiges Instument zum Abbau von ungleicher Information dar,
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3 Ungleiche lnfonnation
Übersicht 5:
Marktliehe Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt Franchising und Sozietäten Aufbau eines Franchisesystems
Zusammenschluß in einer Sozietät
Selbständige Anwälte treten im Namen eines großen Anwaltsbüros auf, wickeln aber ihr Mandate weiterhin eigenverantwortlich ab; Anwälte partizipieren vom guten Ruf und von der Werbung des Büros, dafUr müssen sie ein Entgelt entrichten und sich der Überwachung des Anwaltsbüros unterwerfen.
Anwälte geben ihre Selbständigkeit auf, um sich mit anderen Kollegen in einer Sozietät zusammenzuschließen; dadurch können sie leichter werben, durch interne Überwachungsmöglichkeiten ein gutes Ansehen anstreben bzw. aufrechterhalten und den guten Ruf auf viele Rechtsgebiete übertragen.
Voraussetzungen
Voraussetzungen des Reputationsmechanismus und der Werbung müssen auch hier zutreffen; das neue entstehende P-A-Problem zwischen Anwalt und Anwaltsbüro muß durch eine geeignete Entgeltform lösbar sein, falls Überwachung des Büros nicht ausreicht.
Wieder wird auf die Funktionsfähigkeit von Reputation und Werbung gesetzt; ferner geht man von einer wirksamen Kontrollmöglichkeit innerhalb des Unternehmens aus: Ein spezialisierter Sozius wählt gut ausgebildete Mitglieder aus und überwacht sie.
Bewertung
Voraussetzungen fUr die Funktionsflihigkeit nehmen im Vergleich zu Reputation und Werbung noch zu; sollte diese Lösung zustande kommen, wäre sie eine interessante Variante.
Falls Reputation und Werbung möglich sind, sprechen die Vorteile der Überwachung und des erleichterten Einsatzes von Werbemittel für eine hohe Verbreitung von Sozietäten.
Funktionsweise
wenn man auf die Instrumente der Werbung und der Reputation zurückgreifen kann. Die Sozietät ist folglich kein selbständiges Instrument bei Vorliegen von Qualitätsunkenntnis (vgl. Übersicht 5).
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
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Die Analyse der acht marktliehen Instrumente, die zur Überwindung von ungleicher Information allgemein und im besonderen bei Anwälten in Frage kommen, zeigt, daß Signaling durch Preise, Ausbildungsinvestitionen und Reputation die theoretisch zentralen Instrumente darstellen. Die Ansätze "Informationsnachfrage der Mandanten" und "Garantien" kann man mit ziemlicher Sicherheit für den Rechtsberatungsmarkt bereits auf der theoretischen Ebene als irrelevant einstufen. "Werbung", "Franchise" und Sozietäten" sind zwar theoretisch ebenfalls möglich, setzen aber zumindest die Funktionsfähigkeit des Reputationsmechanismus voraus. Die vorliegenden empirischen Untersuchungen zum Preismechanismus in Form des Erfolgshonorars deuten daraufhin, daß zumindest das "hidden-action"-Problem nicht gelöst wird. Ausbildungsinvestitionen, wenn sie sich empirisch bestätigen lassen, können nur das "hidden-information"-Problem abschwächen. Der Reputationsmechanismus weist die vielversprechendsten empirischen Befunde auf, seine relativ restriktiven theoretischen Voraussetzungen legen allerdings erhebliche Skepsis nahe. Insofern sind weitere empirische Untersuchungen wünschenswert. Allerdings ist kaum zu erwarten, daß diese empirischen Arbeiten aufgrund der Schwierigkeit, geeignete Daten in von Staatseingriffen weitgehend freien Märkten zu finden, ein eindeutiges Ergebnis erbringen. Wenn man dann die theoretischen Hürden aller Instrumente kritisch bewertet, gibt es wenig Anlaß für einen großen Optimismus, daß der Markt ohne staatliche Hilfe das P-A-Problem zwischen Mandant und Anwalt in den Griff bekommt. Insofern ist es notwendig, die Möglichkeiten des Staates bei ungleicher Information in das Blickfeld zu rücken, was im folgenden Abschnitt 3.4 getan wird.
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
3. 4. I Das Problem Der Abschnitt 3.3 hat die verschiedenen Möglichkeiten des Marktes einer kritischen Analyse unterzogen. Als Ergebnis kann man festhalten, daß es kaum Anlaß zu großem Optimismus gibt: Die diversen Ansätze weisen auf der theoretischen Ebene einige, teilweise schwer vorstellbare Voraussetzungen fiir ihre Existenz auf, und die wenigen empirischen Arbeiten sprechen zumindest nicht eindeutig für die Funktionsfähigkeit des Marktes. Insofern ist zu vermuten, daß ein unregulierter Anwaltsmarkt weiterhin das Problem ungleicher Information zu Lasten der Mandanten in Form von "hidden action" und "hidden information" aufweist. Der an einem funktionsfähigen Rechtsberatungsmarkt interessierte Bürger wird daher danach fragen, ob nicht in diesem Falle ein staatlicherseits regulierter Markt zu einem besseren Ergebnis fUhrt. In den nachfolgenden Abschnitten 3.4.2 bis 3.4.4 beschreibe ich die Handlungspotentiale des
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3 Ungleiche Information
Staates im Falle ungleicher Information und gehe auf die Voraussetzungen, Schwierigkeiten sowie Nachteile einer solchen Politik ein. Es sei zunächst unterstellt, daß sich die staatlichen Akteure in ihren Entscheidungen ausschließlich an der Wohlfahrt der Bürger orientieren. Möglicherweise entspricht dieses "Weltbild" jedoch nicht der Wirklichkeit, sondern die staatlichen Entscheidungsträger weisen als Zielfunktion die Maximierung des eigenen Nutzens auf, woraus sich auch Auswirkungen auf die Auswahl und Ausgestaltung der Instrumente im Falle einer asymmetrischen Informationsverteilung ergeben können. Diese eher pessimistische Sichtweise wird im Rahmen des Punktes 3.4.5 auf die Handlungspotentiale des Staates im Rechtsberatungsmarkt angewandt. Unter dem Abschnitt 3.4.6 fasse ich dann die Ergebnisse zu den Möglichkeiten und Grenzen des Staates zusammen. Unabhängig von den unten genannten Maßnahmen liegt weitgehend unbestritten eine wichtige Aufgabe des Staates darin, zur Sicherung der Funktionsfähigkeit eines jeden Marktes und damit auch des Anwaltsmarkts eine effiziente Rechtsordnung zu etablieren und durchzusetzen (vgl. z.B. Fritsch/Wein!Ewers 1993, S. 5 f.). Für den Fall der Rechtsanwälte zeigt sich dies sehr deutlich bei verborgenen Handlungen des Anwalts: Der Staat muß hier die üblicherweise als vertragswidrig anzusehenden Verhaltensweisen im Rahmen der Rechtsordnung, z.B. innerhalb des Zivilrechts, definieren und den privaten Vertragsparteien Durchsetzungsinstitutionen wie die Gerichte (gegen Entgelt) zur Verfügung stellen; die Privaten können dann entscheiden, ob sie sich dieser Institutionen bedienen. Der Staat hat hier gegenüber den Privaten komparative Vorteile, da er vertragswidriges Verhalten mit Hilfe seines Sanktionsapparates (Gerichtsvollzieher, Polizei), u.U. unter Zuhilfenahme von Gewalt, besser ahnden und damit die Kosten eines solchen Verhaltens leichter erhöhen kann (vgl. Tietzei/Weber 1991, S. 128). Die Entscheidungsfreiheit der privaten Akteure bleibt zumindest ex ante unangetastet, so daß die staatliche Eingriffsintensität durch Einführung einer Rechtsordnung sehr gering ist. Auch unter der Annahme, daß der Staat eine effiziente Rechtsordnung etabliert und durchsetzt, liegt der Verdacht nahe, daß weitere Maßnahmen erforderlich sind, da der Informationsstand der Akteure weiterhin nicht ausreicht, "hidden action" und "hidden information" zu verhindern. Einen ersten Schritt des Staates, diesen "Mißstand" zu beseitigen, besteht darin, den Informationsaustausch zwischen den Akteuren zu erleichtern (vgl. Abschnitt 3.4.2). Falls eine private Bereitstellung der Informationen infolge der Unmöglichkeit, sich Property Rights an dem relevanten Wissen zu sichern, nicht erfolgt, ist eine staatliche Bereitstellung erwägenswert (vgl. hierzu Tietzel/Weber 1991 , S. 128 f). Aufgrund fehlender Property Rights hat der Erzeuger relevanten Wissens keine Chance, seine Kenntnisse gegen Entgelt weiterzugeben, er muß freilich
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
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die Kosten der Erzeugung tragen. Mit abnehmender Schutzwirkung der Property Rights und/oder steigenden Kosten der Informationserzeugung nimmt die Wahrscheinlichkeit filr die Existenz einer privaten Lösung ab. Der Staat umgeht diese Probleme durch eine Steuerfinanzierung, derer man sich als Einzelner nicht entziehen kann (vgl. zur staatlichen Informationsbereitstellung Abschnitt 3.4.3). Die Erleichterungen des Informationsaustausches und die staatliche Bereitstellung von Informationen haben den Vorteil, weder die Präferenzen der Nachfrager noch die der Anbieter (bei den Anbietern hinsichtlich der zu verwendenden Produktionstechnologie, des Angebotsverhaltens etc.) zu beschränken. Insofern schlagen Fehler des Staates, die er bei der Umsetzung dieser Eingriffe begehen könnte, insbesondere Fehler aufgrund unzureichendender Information oder übertriebener Risikoneigung, nicht zu Buche; die Intensität dieser staatlichen Eingriffe ist folglich nicht sehr hoch. Falls diese Maßnahmen fehlschlagen oder sich als nicht ausreichend erweisen, existieren noch strengere staatliche Instrumente, nämlich die Parameter der Vertragsbeziehung festzulegen oder gar das Zustandekommen einer Transaktion zu erzwingen. Zweck dieser Eingriffe ist es, mit Sicherheit eine Benachteiligung der weniger informierten Marktseite zu verhindern. Auf welche Parameter man einen solchen Eingriff ausrichten kann und welche Gefahren aber auch Vorteile hierbei entstehen, analysiere ich unter Punkt 3.4.4.
3.4.2 Erleichterter Informationsaustausch zwischen den Parteien Eine im Ausgangszustand bestehende asymmetrische Informationsverteilung wäre u.U. überwindbar, wenn der Staat bestehende Hemmnisse des Informationsaustausches beiseite räumt. Abschnitt 3.4.2.1 behandelt die verschiedenen Ansatzpunkte im allgemeinen Zusammenhang; im Rahmen des Abschnitts 3.4.2.2 gehe ich auf die Einsatzmöglichkeiten des erleichterten Informationsaustausches bei Anwälten ein. 3.4.2.1 Erleichteter Informationsaustausch - Möglichkeiten und Gefahren
Der qualitativ hochwertige Anbieter hat zwar durchaus die Absicht, seine Qualität wahrheitsgemäß bekanntzugeben, da dies seinen Gewinn steigern würde. Aber der schlechtinformierte Nachfrager ist nicht dazu in der Lage, ihn aus der Vielzahl der anderen, möglicherweise qualitativ schlechten Anbieter heraus zu erkennen. Inwieweit besitzt der Staat Möglichkeiten, diese Situation zu· verbessern? Der einfachste Ansatz ist im Abbau staatlicher Beschränkungen des Informationsaustausches zu sehen (Abschnitt 3.4.2.1.1 ). Der Informations-
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3 Ungleiche Information
austausch zwischen den privaten Akteuren wird auch dann erleichtert, wenn der Staat wirksam irrefUhrende oder falsche Infonnationen ausschließt (Punkt 3.4.2.1.2). In ähnlicher Richtung, aber mit einem höheren staatlichen Engagement verbunden, wirkt das Setzen von Standards seitens des Staates, so daß die schlechtinfonnierte Marktseite Orientierungspunkte erhält, anhand derer sie die Angaben der Anbieterbesser einschätzen kann (vgl. Abschnitt 3.4.2.1.3). Keiner wird freiwillig Infonnationen offenlegen, die ihm schaden (vgl. Abschnitt 3.3.3); durch eine staatlicherseits verordnete Pflicht zur Offenlegung werden auch "negative" Infonnationen bekannt. Ein solcher Eingriff ist insofern recht weitgehend, da er die Handlungsfreiheit der besser infonnierten Marktseite beschränkt; insofern nähert man sich hier den in Abschnitt 3.4.4 noch zu behandelnden, relativ weitgehenden staatlichen Eingriffen an (vgl. Punkt 3.4.2.1.4). Innerhalb des Gliederungspunktes 3.4.2.1.5 fasse ich die Möglichkeiten und Gefahren zusammen, die sich aus dem Bemühen des Staates ergeben können, den Infonnationsaustausch zwischen den Akteuren zu erleichtern. 3.4.2.1.1 Beseitigung von Beschränkungen des Infonnationsaustausches Als ersten Ansatzpunkt staatlichen Handeins kann man den Versuch ansehen, staatliche und private Markteintrittsbarrieren der Infonnationsmärkte zu beseitigen (vgl. hierzu Spulher 1989, S. 452 und ausfUhrlieh Beales/Craswell/Salop 1981, S. 514-516). Beispielsweise sollte der Staat bestehende Werbeverbote oder Beschränkungen im Werbeverhalten abschaffen oder die Vertragsfreiheit der Parteien akzeptieren, indem er alle denkbaren Vertragsklauseln zuläßt. Die Funktionstahigkeit des Reputationsmechanismus steigt mit der Möglichkeit an, Erfahrungen mit einer bestimmten Marke zu machen; Markennamen erleichtern es daher, ein Gut "wiederzuerkennen". Diesen Nutzen sollte der Staat mitberücksichtigen, wenn er ein Verbot von Markennamen erwägt, um den Marktzutritt neuer Anbieter zu erleichtern und somit den Wettbewerb zu intensivieren (vgl. hierzu Shapiro 1983a, S. 532). Sicherlich stellt es einen wichtigen Hinweis dar, daß staatliche Beschränkungen des lnfonnationsaustausches die Funktionsfähigkeit der Infonnationsmärkte erschweren. Es ist aber durchaus möglich, daß diese Restriktionen aus anderen Gründen wirtschaftspolitisch gerechtfertigt sind: Ein Werbeverbot verhindert z.B. die volkswirtschaftliche Verschwendung von Ressourcen, falls Werbung keine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Funktion, wie die des Signalings oder die der Infonnationsübertragung (vgl. Abschnitt 3.3 .6.1), übernimmt. Eine zwingende Haftungserweiterung zugunsten der schlechtinfonnierten Marktseite kann dieser Marktseite einen Schutz angedeihen lassen, der gesamtwirtschaftlich erwünscht ist und durch private Vereinbarungaufgrund von Infonnations-
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
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mängeln nicht zustande kommt (vgl. Abschnitt 3.4.4.2). Insofern ist eine Abwägung der Kosten und Nutzen des Einzelfalls notwendig. Private könnten sich u.U. weigern, die Leistung der Informationsbereitstellung und die der Dienstleistung getrennt voneinander anzubieten, um rur beides einen Auftrag zu erhalten; eine Trennung verbessert demgegenüber die Möglichkeiten der Konsumenten, Qualitätsinformationen einzuholen (vgl. Beales/Crasweli/Salop 1981, S. 515). Eine solche private Beschränkung ist aber nur möglich, wenn die Marktgegenseite keine (hinreichende) Ausweichmöglichkeit besitzt. Private Behinderungen des Informationsaustausches setzen also voraus, daß Marktmacht besteht (vgl. hierzu z.B. Herdzina 1991). Der geeignete Lösungsweg im Falle privater Beschränkungen wäre daher, an der Marktmacht im Rahmen der Wettbewerbspolitik anzusetzen. 3.4.2.1.2 Falsche Informationen verhindern Kennzeichen einer Situation mit ungleicher Information ist, daß der wenig Informierte an der Glaubwürdigkeit der von der Marktgegenseite offengelegten Angaben (zu Recht) zweifelt. Dem Staat kann daher die Aufgabe zukommen, täuschende bzw. irreruhrende Informationen zu unterbinden und stattdessen wahrheitsgemäße Angaben zu unterstützen (vgl. zusammenfassend Shapiro 1983a, S. 534-536 und ausruhrlieh Beales/Craswell/Salop 1981, S. 495-501 und 516-521). In den USA hat beispielsweise die "Federal Trade Commission" (FTC) den Auftrag,falsche oder irreführende Werbung zu verbieten, wobei die Auslegung der Begriffe "falsch" oder "irreruhrend" problematisch ist. Man kann z.B. die These vertreten, daß jede unvollständige Information irreruhrend sei; vollständige Angaben sind allerdings aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten kaum möglich. Darüber hinaus besteht selbst im Falle einer umfassenden Bekanntgabe noch immer die Gefahr einer verzerrten Wahrnehmung durch den Empfänger. In der Praxis zeigt sich auch, daß subjektive Angaben im Vergleich zu objektiven juristisch weitaus weniger als falsch oder irreruhrend angreifbar sind; folglich steigt langfristig der Anteil subjektiver Werbeelemente an. Die FTC hat sich aufgrundder genannten Schwierigkeiten zunehmend darauf konzentriert, wahre Werbeangaben zu unterstützen, z.B. indem sie versucht, Hemmnisse fiir wahrheitsgemäße Werbung abzuschaffen (vgl. Abschnitt 3.4.2.l.l) bzw. die Verbreitung der vergleichenden Werbung zu fördern. Der im folgenden beschriebene Weg "Aufbau von Standards" kann in diesem Zusammenhang ebenfalls sehr hilfreich sein, da er die Möglichkeiten zum Vergleich von Gütern verbessert.
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3 Ungleiche Infonnation
3.4.2.1.3 Standardisierung Der Staat senkt die Suchkosten der Privaten, indem er durch die Etablierung von Standards den Vergleich zwischen den Gütern erleichtert (vgl. hierzu kurz Shapiro 1983a, S. 531 und ausruhrlieh Beales/Craswell/Salop 1981, S. 522527): Er setzt Standards in Form von Meßskalen oder Indizes, wie z.B. über die Helligkeit von Glühlampen oder über die Gesund.heitsgefiihrdung durch Zigaretten (Teer- und Nikotinwerte). Die Hersteller behalten zwar grundsätzlich die Freiheit, Informationen nach ihren Wünschen offenzulegen; beziehen sie sich aber auf diese Meßskalen, kommt dem Staat oder einer von ihm beauftragten Institution die Aufgabe zu, den Wahrheitsgehalt der Angabe zu prüfen. Theoretisch sind jedoch auch private Testinstitute zur Überprüfung denkbar. Da allerdings der Nachfrager die Vertrauenswürdigkeit des Testinstituts nicht einschätzen kann, ist es vermutlich sinnvoll, daß der Staat diese Aufgabe aufgrund seiner höheren Glaubwürdigkeit (insbesondere aufgrund des bei ihm fehlenden Gewinninteresses) gegen Entgelt übernimmt. 61 Ein weiteres Beispiel fiir die Standardsetzung bezieht sich auf das Niveau an Humankapitalinvestitionen einer Person, über das der Staat ein Zertifikat ausstellen kann (vgl. Shapiro 1986, S. 852 f.): Erfiillt einAnbietereinen vorgegebenen (Mindest-)Standard hinsichtlich erfolgreich abgeschlossener Humankapitalinvestitionen, darf er einen entsprechenden Titel fUhren (z.B. geprüfter Berater in einem Sachgebiet); im Gegensatz zur qualitativen Marktzugangsbeschränkung (vgl. Abschnitt 3.4.4.1) bleibt jedoch ein Angebot auch ohne ein solches Zertifikat möglich.62 Durch die bei Standards weiterhin bestehende Möglichkeit zur Außenseiterkonkurrenz befindet sich der Staat bzw. die ausruhrende Behörde unter Druck, sich um die relevanten Informationen zu kümmern. Denn vernachlässigen die Bürokraten ihre Aufgabe, orientieren sich die Nachfrager zwangsläufig an anderen Inforrnationsquellen. Warum benötigt man dann noch die Behörde?
61 Prinzipiell wäre auch theoretisch ftlr die privaten Tester denkbar, den Reputationsmechanismus als Lösungsmöglichkeit ftlr das Glaubwürdigkeitsproblem einzusetzen. Die Ausfuhrungen des Abschnittes 3.3.5.1 zeigen allerdings, daß zur Funktionsflthigkeit dieses Instruments die Prinzipale dazu in der Lage sein müssen, schlechte Qualitltt ex post zu erkennen. Folglich wird das Problem ungleicher Infonnation von der ursprünglichen P-A-Beziehung auf das Verhältnis Tester-Nachfrager übertragen. Und ob der Nachfrager schlechte Testqualität erkennen kann, erscheint sehr fraglich. 62 Unter den Voraussetzungen, daß der Standard existiert, der Anbieter seine Angaben kostenlos offenbaren kann und nur wahre Angaben möglich sind, zwingt bereits der Wettbewerbsdruck jeden Anbieter dazu, sein wahres Qualitätsniveau von selbst offenzulegen (vgl. Shapiro 1986, S. 853-855). Da aber diese Voraussetzungen nur sehr selten aufueten (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.2.1), ist ein staatlicher Eingriff hier durchaus erwägenswert.
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
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Kann man erwarten, daß die Anbieter selbst ein Interesse und die Möglichkeit haben, Standards zu entwickeln? Bei den Standards handelt es sich um öffentliche Güter (vgl. Beales/Craswell/Salop 1981, S. 523), da keiner von der Verwendung des Standards ausgeschlossen werden kann; eine marktliehe Bereitstellung erfolgt daher nicht (vgl. zur Definition der öffentlichen Güter z.B. Fritsch/Wein/Ewers 1993, S. 255 f.). Der öffentliche Gutscharakter sowie die fehlende Glaubwürdigkeit einer privaten Überprüfung der Herstellerangaben legen eine staatliche Bereitstellung und Kontrolle der Standards nahe. An sich handelt es sich bei dieser Art des Staatseingriffs um eine Maßnahme, die mit keinen Nachteilen verbunden ist, da sie die Handlungsfreiheit der Akteure unangetastet läßt und trotzdem fur den schlechter Informierten eine beträchtliche Hilfe darstellt. Dreh- und Angelpunkt einer vorteilhaften Standardsetzung ist allerdings die Frage, inwieweit der Staat dazu in der Lage ist, tatsächlich das Informationsbedürfnis der Nachfrager zu stillen: Welche Merkmale eines Gutes interessieren alle schlechter Informierten oder zumindest die überwiegende Mehrzahl dieser Personengruppe, und inwieweit kann man diese zutreffend in der Meßskala beschreiben? M.a. W.; Der Nutzen eines solchen Eingriffs steht und fallt mit der Frage, ob der Staat die Gefahr der "Anmaßung von Wissen" umgehen kann. Unterliegt er hier einer Fehleinschätzung, besteht die Gefahr, daß die Anbieter zwar langfristig die in die Skala eingehenden Merkmale verbessern, aber alle unberücksichtigten, aus Sicht der Nachfrager trotzdem relevanten Variablen vemachlässigen.63 3.4.2.1.4 Pflicht zur Offenlegung Wie die Ausfuhrungen des Abschnittes 3.3.2 zeigen, ist es keineswegs selbstverständlich, daß die besser informierten Marktakteure die relevanten Informationen offenlegen, insbesondere wenn jene auf eine eigene schlechte Qualität hindeuten. Folglich liegt es nahe, daß der Staat den Akteuren vorschreibt, bestimmte Informationen in einer verständlichen Form bekanntzugeben. Insbesondere im Falle eines hohen zu erwartenden Schadens aus einem Gut (z.B. bei Arznei- und Lebensmitteln) schreibt der Staat eine Kennzeich-
63 Eine Antwort hierzu könnte darin bestehen, die Anzahl der zu beobachtenden Variablen zu vergrößern, was freilich den Informationsgehalt des Standards aufgrund der abnehmenden Übersichtlichkeit reduziert (vgl. Beales/Crasweli/Salop 1981, S. 525). Geht man in die andere Richtung mit wenigen, ordinalen Meßskalen (sehr gut, gut, befriedigend ...), indem man die verschiedenen Variablen zusammenfaßt, erhöht sich zwar die Übersichtlichkeit, dafür ist die Frage der adäquaten Zusammenfassung der Variablen häufig nur willkürlich beantwortbar (vgl. Beales/Crasweii/Salop 1981, S. 526).
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3 Ungleiche Information
nungspflicht (hinsichtlich Inhaltsstoffen, Wirkungsweisen, Gefahren, Nebenwirkungen etc.) vor (vgl. Tietzei/Weber 1991, S. 129 und Meyer 1990, S. 111). Vielfach verpflichtet man auch die Anbieter, zu den im Abschnitt 3.4.2.1.3 beschriebenen Meßskalen die Werte ihrer Produkte darzulegen, z.B. die Inhaltsstoffe ihrer Zigaretten in einer bestimmten Weise bekanntgeben. Eine relativ einfach durchzufUhrende Offenlegungspflicht ist bezüglich der Preise denkbar; die in der Bundesrepublik Deutschland geltende Preisauszeichnungspflicht im Einzelhandel wäre hierfilr ein Beispiel. Folglich könnte man diese Pflicht auf andere Wirtschaftsbereiche, z.B. auf die Freien Berufe, ausdehnen (zum Beispiel bejahend Faure/Van den Bergh 1990, S. 28). Der Nutzen der herkömmlichen Offenlegungspflicht liegt besonders darin, daß sich der Informationsstand des schlecht informierten Marktakteurs insofern verbessert, als jener vor allem auch filr die Marktgegenseite negative Angaben erhält; insbesondere wenn eine freiwillige Offenlegung der "unerfreulichen" Merkmale eines Produkts nicht zu erwarten ist, bietet sich förmlich ein solcher Eingriff an. Neben der im Abschnitt über die Standardsetzung bereits angeschnittenen Frage, ob der Staat die notwendigen Informationen über die aus Sicht des Nachfragers tatsächlich relevanten Produkteigenschaften besitzt, treten im Falle der Offenlegungspflicht weitere Probleme auf (vgl. Spulher 1989, S. 453): Die Offenlegung an sich mag filr den Anbieter mit hohen Kosten verbunden sein (z.B. beträchtliche Prüf- und Publikationskosten), die er auf den Nachfrager zu überwälzen versucht; und der Staat muß u.U. sehr kostenintensiv die Einhaltung der Vorschrift beobachten. Informationsprobleme des Staates schlagen sich hier möglicherweise gravierend nieder, da eine falsch ausgerichtete Offenlegungspflicht jene Anbieter benachteiligt, die bei den zugrundegelegten Kriterien offenkundig schlecht abschneiden, obwohl diese aus Sicht der Nachfrager gar nicht zutreffen. Es hängt also vom Einzelfall ab, ob man sich neben den oben bereits behandelten Informationsproblemen noch weitere Kosten aufbürden soll. Insbesondere wenn der Nutzen einer Offenlegung in Form der Vermeidung eihes hohen potentiellen und irreparablen Schadens (z.B. Kunstfehler eines Arztes) groß ist, neigt sich vermutlich die Waage hin zu einer Einfilhrung der Offenlegungspflicht. 3.4.2.1 .5 Zusammenfassung Der Staat hat sicherlich die Aufgabe, den Informationsaustausch zwischen den privaten Marktakteuren nicht zu behindern und soweit als möglich zu erleichtern. Behinderungen des Informationsaustausches können staatlicher oder privater Natur sein. In Bezug auf die zu beseitigenden staatlichen Reglementie-
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
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rungenwären Beschränkungen hinsichtlich des Werbeverhaltens, insbesondere das Werbeverbot, des Vertragsrechts sowie der Verwendung von Markennamen zu nennen. Im Einzelfall mag es jedoch wirtschaftspolitisch berechtigte Gründe geben, die eine staatliche Behinderung des Informationsaustausches rechtfertigen können. Eine Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen, die aus einem Abbau staatlicher Reglementierungen des Informationsaustausches zu erwarten sind, ist in jedem Einzelfall erforderlich. Von Privaten aufgebaute Beschränkungen des Informationsaustausches müssen mit Marktmacht einhergehen, ansonsten sind sie nicht durchsetzbar. Wirtschaftspolitisch sollte man daher auch eher über die Wettbewerbspolitik an der verursachenden Marktmacht ansetzen. Der Staat kann die Aufgabe haben, falsche oder irreruhrende Informationen zu unterbinden und stattdessen wahrheitsgemäße Angaben zu unterstützen. Bei der Umsetzung dieser Vorgaben gibt es allerdings erhebliche Probleme, da die Begriffe "falsch, irrefiihrend" auf der einen und "wahrheitsgemäß" auf der anderen Seite vielfach große Auslegungsschwierigkeiten verursachen. Das Ziel, der Wahrheit entsprechende Werbung zu fördern, kann sogar konterkarrieft werden, wenn der Nachweis von objektiven Angaben sehr schwer fällt und daher zunehmend subjektive Angaben gemacht werden. Standards erleichtern es fiir die schlecht informierte Marktseite, die von der Gegenseite bekanntgegebenen Informationen zu bewerten; da der Staat die Angaben der Hersteller selbst überprüfen sollte, verbessert sich ihr Informationsstand noch zusätzlich. Aufgrund der vielfach zu beobachtenden Nichtausschließbarkeit von der Nutzung eines Standards ist zu vermuten, daß eine spontane private Entwicklung der Standards nicht erfolgt. Der Staat muß daher die entstehende Lücke schließen. Je besser es dem Staat gelingt, mit den Standards die fiir die schlecht informierte Marktseite relevanten Informationen, zumindest fiir eine Vielzahl der schlecht Informierten, abzubilden, um so größer ist der Nutzen dieses Eingriffs. Infolge der trotzdem bestehenden Möglichkeit der Außenseiterkonkurrenz werden andere Transaktionen durch die Standardsetzung nicht ausgeschlossen; im Falle einer stetigen Mißachtung der staatlichen Standards steigt der Rechtfertigungsdruck filr die entsprechende Behörde, und sie wird sich deshalb um geeignetere Standards bemühen. Der Staat kann die gut informierte Marktseite dazu verpflichten, bestimmte Informationen über das jeweilige Gut oder die jeweilige Dienstleistung zu offenbaren. In der Praxis bedeutet dies vielfach, daß ein Angebot nur dann möglich ist, wenn man die von den Standards genannten Kriterien offenlegt Vor allem in jenen Fällen, in denen eine freiwillige Bekanntgabe nicht erfolgt, wäre ein solcher Eingriff plausibel. Neben den bereits erwähnten Informationsproblemen des Staates kommt als Gegenargument bei einem solchen Eingriff hinzu, daß der Staat den Anbietern u.U. hohe Kosten der Informationsgenerierung und Informationsverbreitung aufbürdet, die letztendlich auf die Nachfrager überwälzt werden. Alle genannten staatlichen Maßnahmen zum verbesserten InformaII Wein
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3 Ungleiche Information
tionsaustausch können nur einen Beitrag zur Lösung des "hidden-information"Problems leisten, denn sie "hellen" nur die ex ante vorhandene Qualität der Anbieter auf; ob diese ex post hohe Qualität aufrechterhalten, bleibt offen. 3.4.2.2 Erleichterte Informationsübertragung im Markt für Rechtsberatung
Für den Bereich der Rechtsberatungsmärkte kann es selbstverständlich ebenfalls Aufgabe des Staates sein, den Informationsaustausch zwischen den Mandanten und der Anwaltschaft zu erleichtern bzw. nicht zu beschränken. Behinderungen, die er selbst verursacht, könnte man in den Begrenzungen des Werbe- und des Gebührensetzungsverhaltens der Anwälte sehen. Wie der Abschnitt 3.3.6.2 gezeigt hat, spricht einiges dafiir, daß im Falle der Rechtsanwälte das Instrument der Werbung wenig dazu geeignet ist, als Signalinginstrument fiir hohe anwaltliehe Qualität zu fungieren; diese Beschränkung rührt vor allem daher, daß ein enger Zusammenhang zwischen Werbung und Reputation besteht und die Funktionsfähigkeit des Reputationsmechanismus im Anwaltsmarkt vermutlich eher begrenzt ist sowie weitere restriktive Bedingungen fiir ein separierendes Gleichgewicht hinzukommen (Abschnitt 3.3.5.2). Insofern wären Einschränkungen hinsichtlich des Werbeverhaltens wirtschaftspolitisch begründbar, wenn der Staat Werbung in Form der Imagewerbung, d.h. Werbung ohne jeglichen oder mit geringem Informationsgehalt, ausschließt. Allerdings sollte er reine Informationswerbung zulassen, da sie zwar nicht vollständig, aber zum Teil das Auswahlproblem des Mandanten lösen kann. In der Praxis wäre und ist es freilich schwierig, zwischen beiden Formen zu trennen. Restriktionen hinsichtlich der anwaltliehen Gebührenfestsetzung lassen sich, wie die Abschnitte 3.3.2. und 3.3.3 zeigen, kaum ableiten: Zwar ist fraglich, ob sich qualitativ hochwertige Anwälte alleine aufgrund ihrer Bereitschaft, eine bestimmte Gebühr(enstruktur) zu akzeptieren, von den anderen Anbietern abheben können; es spricht aber nichts dagegen, den Anwälten eine solche Vorgehensweise zu verbieten. Auch sollte der Staat jene Regulierungen unterlassen, die den Aufbau eines Markennamens erschweren. Hier wäre an Beschränkungen bei der Firmenbildung zu denken: Die Anwälte in Deutschland können sich nur in der Form der Personengesellschaft zusammenschließen (vgl. Abschnitt 2.2.2); die nicht erreichbaren Kapitalgesellschaften wären jedoch weitaus besser geeignet, das fiir den Aufbau von Reputation u.U. notwendige Kapital aufzubringen (vgl. Abschnitt 3.3.8.2). Man sollte daher diese Einengung der Handlungsfreiheit überprüfen.64
64 Inwieweit eine eingeengte Wahl der Rechtsformen aus Gründen einer staatlicherseits zu verordnenden Haftungsverschärfung gerechtfertigt wäre, vgl. Abschnitt 3.4.4.2.2.
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
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Private Beschränkungen der Informationsbereitstellung in der Form, daß Anwälte ihre Leistungen nicht in die reine Bereitstellung qualitätsrelevanter Informationen (Angaben über die Qualität eines Kollegen, über die Erfolgsaussichten eines Falles) und die ausschließliche Dienstleistung (Bearbeiten des Falls) aufteilen wollen, sind bei der Vielzahl der in Deutschland tätigen Anwälte nur dann möglich, wenn das Standesrecht als eine kollektive Vereinbarung der Anwälte eine solche Aufsplittung verbietet; im Falle einer Weigerung haben dann die Mandanten keine Ausweichmöglichkeit. Aus dem Standesrecht heraus entsteht dann eine Form von unerwünschter Marktmacht Es gibt also keine Gründe, die eine Beschränkung des Informationsaustausches auf dem Markt filr Rechtsberatung rechtfertigen; es sei denn, es handelt sich um Werbeverbote. Letztere sollten möglicherweise darauf abzielen, die reine Imagewerbung zu verbieten, wenn sich diese Art der Werbung nicht als Signalinginstrument filr hohe Qualität eignet. Hiervon unberührt bleibt der volkswirtschaftliche Nutzen einer Werbung, die den Informationsstand der Mandanten tatsächlich verbessert. Die Trennung in Informations- und Imagewerbung erfordert freilich vom Staat einen hohen Informationsstand, der bei ihm nicht unbedingt vorhanden sein muß. Möglicherweise besteht eine Aufgabe des Staates darin, falsche oder irreführende Informationen seitens der Anwaltschaft zu verhindern. Es gibt keine wirtschaftspolitisch gerechtfertigten Argumente (siehe oben), die Informationswerbung der Anwälte zu verbieten. Jedoch führt die Frage nach den Unterschieden zwischen Informationswerbung und anderen Arten der Werbung direkt zum Problem, was eine falsche oder irreführende Information im Rahmen der anwaltliehen Werbung darstellt. Der Staat wird falsche Angaben über die absolvierte Ausbildung, z.B. welche Universität besucht oder welche Abschlußnote erreicht wurde, leicht rügen können. Komplexere Angaben, wie z.B. eine besondere Eignung für ein Rechtsgebiet oder für spezifische Rechtsprobleme, sind schon als wesentlich problematischer anzusehen, denn vielfach ist die Abgrenzung der Rechtsgebiete unklar, die Qualität der dort erworbenen Kenntnisse kaum objektiv meßbar oder die Relevanz einzelner Qualifikationen für den Einzelfall umstritten. Diese zur Lösung des "hidden-information"-Problems sicherlich wichtigen Gesichtspunkte sind somit kaum objektivierbar, was aber für die Kennzeichnung als falsch oder richtig notwendig wäre. Legt der Staat hier sehr hohe Maßstäbe an, werden die Anwälte solche "harten Tatsachen" nicht mehr offenlegen und sich stattdessen auf eher subjektive Angaben wie "erfahren in allen Rechtsgebieten, Oberaus kenntnisreich" konzentrieren. Diese subjektiven Angaben sind freilich für den Mandanten zur Lösung des Auswahlproblems kaum verwendbar. Unabhängig von diesen Schwierigkeiten kann natürlich auch hier die Offenlegung der Information nur das "hiddenJJ•
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information"-Problem lösen, denn der Anreiz zu verborgenen Handlungen seitens der Anwälte bleibt wie bisher bestehen. In der Summe sollte man also von der Möglichkeit des Staates, falsche oder irrefuhrende Informationen zu verhindern, auch im Anwaltsmarkt nicht zuviel erwarten; durch die Verdrängungseffekte hin zur subjektiven Information ist sogar eine abnehmende Transparenz bei den Mandanten möglich. Die Standardisierung im Bereich der Anwaltschaft würde sich vermutlich auf die Definition bestimmter Ausbildungsniveaus beziehen: Der Staat legt fiir die Anwälte eine Mindestqualifikation fest, die von einem qualifizierten Rechtsanwalt zu erwarten wäre; er überprüft gegen Entgelt die Einhaltung der Anforderungen und erkennt den Bewerbern dann einen bestimmten Titel (z.B. staatlich geprüfter Rechtsanwalt) zu, da er gegenüber privaten Testern einen erheblichen Glaubwürdigkeitsvorteil hat. Jedem anderen Akteur bleibt jedoch das Angebot an Rechtsberatung erlaubt. In diesem Zusammenhang wäre es auch durchaus vorstellbar, daß mehrere Qualifikationsstufen (z.B. Rechtsberater, Rechtsanwalt, Fachanwalt fiir ...) geschaffen werden. Grundsätzlich kann man auch bei den Anwälten kaum erwarten, daß sie selbst solche Qualifikationsstufen entwickeln: Denn der Nutzen eines solchen Standards kommt allen Anwälten zugute ("Jeder kann sich eines solchen Titels bedienen"), so daß keiner bereit sein wird, die Kosten der Entwicklung zu tragen. Der Staat muß also die Entwicklung der Standards übernehmen. Die Mandanten erhalten durch einen solchen Eingriff eine wesentliche Informationshilfe, ohne daß ihre Wahlfreiheit aufgrund des weiterhin bestehenden offenen Marktzugangs eingeschränkt wird. Der Wert als Informationshilfe hängt letztendlich aber davon ab, ob jeder einzelne Mandant (oder zumindest eine Vielzahl von Klienten) fiir sein (ihr) konkretes Rechtsproblem mit der Mindestqualifikation oder den verschiedenen Qualifikationsstufen etwas anfangen kann (können). Je besser den Bedürfnissen der Mandanten entsprochen wird, um so größer der Nutzen. Verlangt der Staat aber die falschen Qualifikationen, bleibt die asymmetrische Informationsverteilung bestehen. Die Informationserfordernisse an den Staat sind also nicht zu unterschätzen, so daß die Einbeziehung der Standesorganisationen, die aufgrund ihrer größeren Praxisnähe besser informiert sein dürften, erforderlich ~in könnte (vgl. Abschnitt 3.5.2). Ein nicht zu unterschätzender Vorteil eines solchen Eingriffs ist allerdings darin zu sehen, daß der Staat die Anforderungen nicht überziehen kann, denn ein Angebot ohne Einhaltung der Mindestqualifikation oder der verschiedenen Qualifikationsstufen bleibt möglich. Die Möglichkeit zur Konkurrenz hat den weiteren Vorteil, daß eine Regulierungsinstanz, deren Standards auf dem jeweiligen Markt ohne große praktische Bedeutung bleiben, schnell unter öffentlichen (Rechtfertigungs-)Druck gerät und sich daher quasi vorauseilend um relevante Standards sorgt. Ein erfolgreicher Standard kann ebenfalls nur das Auswahl- und nicht auch das
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Kontrollproblem lösen, d.h. es liegt nur eine Entschärfung des Problems verborgener Information vor. Eine Offenlegungspflicht im Anwaltsmarkt könnte dahingehen, daß die Anwälte ihre Qualifikation (z.B. welche Universität, welcher Abschluß, welche Note, welche Vertiefungsgebiete etc.) in jedem Fall bekanntgeben müssen. Die Mandanten hätten dann den Vorteil, daß auch für den einzelnen Anwalt weniger günstige Angaben bekannt werden, was ohne eine Offenlegungspflicht nur unter recht restriktiven Bedingungen zu erwarten wäre (vgl. Abschnitt 3.3.2.2). Fraglich wäre jedoch auch hier, welchen Nutzen der einzelne Mandant aus diesen Informationen für sein konkretes Anliegen ziehen kann. Gibt es hier große Schwierigkeiten, d.h. die Bekanntgabe irreführender Charakteristika wird erzwungen, führt ein solcher Eingriff zu einer erheblichen und ungerechtfertigten Diskriminierung bestimmter Anwaltsgruppen. Langfristig hat diese Maßnahme dann zur Folge, daß sich die "nachwachsende Anwaltsgeneration" den Kriterien anzupassen versucht, ohne die "wahre", d.h. die aus Sicht der Mandanten bedeutsame, Qualität der Anwälte zu verbessem. 65 Der drohende Diskriminierungseffekt wäre vermutlich eher hinzunehmen, wenn durch die Einschaltung eines qualitativ geringwertigen Anwalts, die durch eine Offenlegungspflicht verhindert werden könnte, ein hoher und vor allem irreparabler Schaden entsteht. Für das Verwaltungs- und Zivilrecht ist diese Voraussetzung kaum gegeben; anderes gilt eher für das Strafrecht, bei dem ein Fehlurteil für den Mandant gravierende negative Konsequenzen haben kann. Allerdings bleibt dem Mandant immer noch die Hoffnung, in der(n) höheren Instanz(en) mit einem besseren Anwalt den "Schaden" zu reparieren. Im Einzelfall, z.B. einer falschen Verteidigungsstrategie, die der Staatsanwaltschaft ohne Not die Beweise zugespielt hat, mag der Schaden irreparabel sein. Um gravierende negative Konsequenzen zu vermeiden, ist eine Offenlegungspflicht trotz der Gefahr "Anmaßung von Wissen" eher akzeptabel. Ebenso wie bei den anderen Instrumenten bezieht sich eine Offenlegungspflicht nur auf das "hiddeninformation"-Problem, weil sie nur die Ex-ante-Qualifikation bekanntgibt Die Offenlegungspflicht hinsichtlich des zu erwartenden Honorars erhöht bei einem Wettbewerbsparameter die Transparenz des Anwaltsmarktes, so daß sich der Preiswettbewerb zwischen den Anwälten intensiviert. Eine solche Maßnahme wäre letztendlich nur dann gesamtwirtschaftlich erwünscht, wenn die Mandanten die Qualität des Anwaltes beurteilen können. Trifft dies nämlich
"' Die Kosten, die den Anwälten durch die Offenlegung und dem Staat filr die Durchsetzung entstehen, spielen vermutlich im Vergleich zu anderen Märkten eine geringe Rolle, denn die Bekanntgabe z.B. von Ausbildungsniveaus am Praxisschild und die staatliche Überprüfung derselben ist leicht möglich.
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nicht zu, führt ein sich verschärfender Preiswettbewerb auch zu einem erhöhten Konkurrenzdruck für jene Anwälte, die um hohe, dadurch aber auch mit höheren Kosten verbundene Qualität bemüht sind, sie passen sich dann an und senken die Qualität auf das Niveau der freiwillig mit niedrigem Honorar kalkulierenden Anwälte; die Offenlegungspflicht verschlechtert dann gar das Marktergebnis. Wie der gesamte Abschnitt 3.3 gezeigt hat, ist es aber fraglich, ob die Marktkräfte ausreichen, die drohende Qualitätsunkenntnis bei den Mandanten zu verhindern. Daher wäre nur dann ein intensivierender Preiswettbewerb sinnvoll, wenn durch andere staatliche Maßnahmen die Qualitätsunkenntnis abgewendet werden könnte und sollte. Zusammenfassend zu den staatlichen Maßnahmen, die den Informationsaustausch zwischen den Mandanten und den Anwälten erleichtern, kann man festhalten, daß der Staat ungerechtfertigte Restriktionen wie die des Verbots der Informationswerbung, der Beschränkungen im Gebührensetzungsverhalten und der Wahl der Rechtsform bei Anwaltsfirmen fallen lassen sowie Standards hinsichtlich der Mindestqualifikation und weiterer Qualitätsstufen erlassen bzw. kontrollieren sollte. Mit diesen Maßnahmen werden allerdings nur die Probleme bekämpft, die sich aus "hidden information" ergeben; die Probleme aus "hidden action" bleiben unberührt. Versuche, irrefiihrende und falsche Informationen seitens der Anwälte zu verbieten, erscheinen als wenig erfolgsversprechend, und eine Offenlegungspflicht dürfte zumindest in vielen Fällen über das Ziel hinausschießen; es sei denn, gravierende Schäden werden dadurch vermieden.
3. 4. 3 Informationsbereitstellung Sollte es dem Markt nicht gelingen, die erforderlichen Informationen, auch unter Nutzung der in Abschnitt 3.4.2 genannten Möglichkeiten des Staates, bereitzustellen, kann der Staat selbst die Lücke schließen. Punkt 3.4.3.1 behandelt die Möglichkeiten und Gefahren einer staatlichen Informationsbereitstellung. Dieser Ansatz wird unter Abschnitt 3.4.3.2 auf den Rechtsanwaltsmarkt übertragen. 3.4. 3. 1 Staatliche Informationsbereitstellung und -Verbreitung
Nicht selten wird argumentiert, daß zu hohe Transaktionskosten gesamtwirtschaftlich erwünschte Transaktionen verhindern, und es deswegen Aufgabe des Staates sei, die Transaktionskosten zu senken (vgl. z.B. Eickhof 1986, S. 471 oder Lohmann 1992, S. 59-62). Die staatliche Informationsbereitstellung stellt
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einen Weg dar, die Transaktionskosten filr die Marktakteure zu vermindern. Ob staatliches Handeln in dieser Form erforderlich ist, hängt jedoch von den Möglichkeiten des Marktes zur Informationsbereitstellung (und damit auch zur Minimierung eines wichtigen Bestandteils der Transaktionskosten) ab. Eine Bereitstellung der Information durch Private erfolgt sicherlich dann nicht, wenn der Informationserzeuger die Weitergabe nicht verhindern kann (fehlende oder unzureichend durchsetzbare Property Rights), so daß die verbleibenden Erträge nicht ausreichen, die Kosten der Erstellung zu decken; kein Privater wird diese Art der Information bereitstellen. Daß die Frage unzureichenden Property Rights über die marktliehe Bereitstellung entscheidet, zeigt zum Beispiel die Existenz privater Auskunfteien: Private Auskunfteien besorgen sich Informationen über die Bonität und das Geschäftsgebahren einzelner Unternehmen und geben ihre Erkenntnisse gegen Entgelt an Dritte weiter (vgl. hierzu Meyer 1990. S. ll 0); offensichtlich besteht hier die Möglichkeit, das erworbene Wissen geheimzuhalten. Des weiteren sehen Tietzel/Weber (1991, S. 128 f.) als zusätzliche Begründung filr die Unabdingbarkeit einer staatlichen Informationsbereitstellung den Fall eines eklatanten Mißverhältnisses zwischen den individuellen Kosten und Nutzen. Ist zum einen der private Nutzen einer Information sehr gering, sei es, weil das zu handelnde Gut einer geringen Wertschätzung unterliegt, man die Wahrscheinlichkeit, ein Gut schlechter Qualität zu bekommen, als gering ansieht oder die sich aus einem qualitativ geringwertigen Gut resultierenden Folgen niedrig bewertet, können auch schon niedrige private Kosten einer individuellen Lösung entgegenstehen. Eine fehlende private Nachfrage nach Informationen kann zum anderen auch auf hohen, vom Einzelnen zu tragenden Kosten beruhen; da diese Informationen aber filr eine Vielzahl von Nutzern relevant sind und die Kosten der Erstellung nur einmal auftreten sollen (Fixkostenproblem), soll der Staat die Bereitstellung übernehmen (vgl. auch Abschnitt 3.3.1.1). Als Beispiel filr ein bestehendes Mißverhältnis zwischen individuellen Nutzen und Kosten kann man auf die Begründung der Solvenzregulierung im Versicherungswesens verweisen (vgl. hierzu auch Blankart/Wein 1989, S. 51-53): In vielen Versicherungssparten (z.B. Hausrat, Haftpficht) lohnt es sich filr die meisten Versicherungsnehmer nicht, sich ex ante über die Konkurswahrscheinlichkeit des Versicherungsunternehmens zu informieren: Der Konkursfall und der daraus zu erwartende finanzielle Verlust mag recht unwahrscheinlich bzw. gering sein; der Aufwand, die Solvenz eines Versicherers zu beurteilen, ist zumindest filr die meisten privaten Versicherungsnehmer sehr hoch. Wenn man nun davon ausgeht, daß Mittelsmänner, wie private Bewerter der Solvenz von Versicherungsunternehmen, nicht mit einer unkontrollierten Verbreitung ihrer Ergebnisse rechnen müssen (keine Gefahr der
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positiven Extemalitäten) (was in diesem Falle zumindest fraglich ist), gibt es dann noch Argumente filr eine staatliche Informationsbereitstellung hinsichtlich der Solvenz von Versicherungsuntemehmen? Diese These ist in sich nicht stimmig, denn sie setzt implizit weiter voraus, daß Defekte auf der Ebene der Property Rights zu erwarten sind. Denn im Falle existierender und durchsetzbarer Property Rights filr die jeweilige Information ist es einem Informationsbroker möglich, die hohen Kosten der Bereitstellung auf sich zu nehmen und die Informationen an jeden einzelnen Nachfrager zu verkaufen. (Es sei denn, die Verkaufserlöse decken nicht die Kosten; dann wäre aber auch eine Bereitstellung gesamtwirtschaftlich unerwünscht.) Ein eklatantes Mißverhältnis zwischen Kosten und Nutzen auf der Ebene der Individuen kann dann allerhöchstens zum Problem des natürlichen Monopols filhren, 66 bei dem die Bereitstellung des Wissens zwar erfolgt aber in einem zu geringen Umfang und zu teuer (vgl. ähnlich Beales/Crasweii/Salop 1981, S. 505). Handelt es sich um Informationen, die ausschließlich einen lokalen Markt, wie z.B. örtliche Dienstleistungen, betreffen, ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Monopols aufgrund der geringeren Marktausdehnung höher (vgl. Shapiro 1983a, S. 537). Zusammenfassend gesehen, ist also kein weiteres durchgreifendes Argument als das der unzureichenden Property Rights ersichtlich, bei dem die staatliche Informationsbereitstellung notwendig wird; bei den einzelnen Akteuren bestehende zu hohe Kosten oder zu niedrige Nutzen aus der Informationsbeschaffung fUhren im Extremfall ausschließlich zu einem Regulierungsbedarf hinsichtlich des dann sich einstellenden monopolistischen Anbieters. 67 In Falle unzureichender Property Rights wäre es erwägenswert, analog zu den öffentlichen Gütern eine staatliche Bereitstellung vorzunehmen: 68 Der Staat sammelt für die betroffenen Güter und Dienstleistungen die Qualitätsinformationen, indem er sie nach bestimmten Kriterien testet ("Produkttests"), und stellt die Ergebnisse zu Grenzkosten (den Verbreitungskosten, die vielfach nahe Null liegen) zur Verfügung; die öffentliche Hand finanziert aus dem
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Vgl. hierzu ausfllhrlich Fritsch/Wein/Ewers (1993, S. 123-162).
Insofern besteht hier auch ein eklatanter Widerspruch zu der von Lohmann (1992, S. 91) vertretenen Ansicht, daß die neoklassische Theorie (und damit auch die Theorie des Marktversagens; vgl. Fritsch!Wein!Ewers 1993, Teil II) keine Argumente liefern könne, wann der Staat im Falle zu hoher Transaktionskosten eingreifen soll. 67
68 Staatliche Bereitstellung bedeutet nur, daß der Staat fllr eine Finanzierung des Gutes sorgt; die Produktion des Gutes "lnfonnation" kann man dann meist privaten Anbietern überlassen (vgl. Fritsch!Wein/Ewers 1993, S. 67-70), was auch in diesem Fall zu erwarten ist (siehe unten).
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
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Steueraufkommen die Erstellung der Informationen (vgl. auch Beales/Crasweli/Salop 1981, S. 519). M.a. W.; der Staat nimmt eine vergleichende Beurteilung der Produzenten vor. Inhaltlich kann der Staat Angaben über die Qualität von Gütern, die Qualifikation von Personen, die verwendeten Inputs und die Verhaltensweise eines Anbieters in der Vergangenheit (z.B. über die Kulanz) verbreiten. Eine besondere Rolle spielen hier die Berichtsmöglichkeiten über vergangene Verhaltensweisen, d.h. über das Ausmaß an "hidden action" in den Vorperioden, denn der "hidden-action"-Aspekt war nach den bisherigen Ausruhrungen zu den staatlichen Lösungen nur im Rahmen des Aufbaus einer effizienten Rechtsordnung und dort nur in sehr geringem Maße beeinflußbar. Mit Hilfe der staatlichen Verbreitung von Angaben über vergangenes Verhalten wird nun die Funktionsfci.higkeit des Reputationsmechanismus verbessert, weil nach Vertragsschluß die sich als qualitativ geringwertig verhaltenden Anbieter eher bekannt werden (vgl. auch Abschnitt 3.3.5). In der Bundesrepublik Deutschland werden vom Staat ftlr eine Reihe von Produkten Informationen bereitgestellt, wobei der Staat diese Aufgabe nicht selbst wahrnimmt, sondern an Dritte delegiert hat und im Gegenzug daftlr Subventionen zahlt (vgl. hierzu zusammenfassend Schöppe 1983, S. 556-562). Im wesentlichen handelt es sich hierbei um die folgenden Institutionen: Das "Verbraucherinstitut", die "Stiftung Warentest", die "Verbraucherzentralen" und die "Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher (AgV)". - Das "Verbraucherinstitut", eine seit 1978 bestehende und vollständig vom Staat finanzierte Einrichtung, konzentriert sich auf eine allgemeine Aufklärung der Verbraucher über Multiplikatoren (z.B. Journalisten) und auf die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien. - Die "Stiftung Warentest", die 1964 durch die Bundesregierung gegründet wurde, hat es sich zum Ziel gesetzt, die Öffentlichkeit über die objektiven Eigenschaften der Produkte sowie deren Verwendungsmöglichkeiten zu informieren. Zu diesem Zweck werden an externe Institutionen Tests vergeben. Der Testphase voraus gehen Überlegungen, welche Eigenschaften die Nützlichkeit eines Gutes beeinflußen (Handhabbarkeit, Sicherheit etc.), durch welche Kriterien diese erfaßbar sind und wie sie zueinander gewichtet werden sollen; letzteres ist notwendig, um zu einem Gesamturteil zu kommen. Die "Stiftung Warentest" veröffentlicht diese Tests in monatlichen oder jährlichen Publikationen. Durch die hohen Auflagen ihrer Druckerzeugnisse, deren Erlöse den staatlichen Finanzierungsbedarf erheblich mindern, und den zu verzeichnenden bedeutenden Aufmerksamkeitswert ftlr ihre Ergebnisse kommt der Arbeit dieser Organisation einen hohen Stellenwert zu. Insbesondere muß ein Anbieter eines Gutes oder einer Dienstleistung, der in
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einem Test der "Stiftung Warentest" schlecht abgeschnitten hat, mit einem enormen Ansehensverlust und in dessen Folge mit einem drastischen Umsatzrückgang rechnen. - Die "Verbraucherzentralen" in den einzelnen Bundesländern beraten vor Ort Verbraucher in rechtlichen Fragen, zum Energiesparen und über technische Geräte. Zwar verlangen die "Verbraucherzentralen" zunehmend auch Gebühren fur ihre Leistung, aber trotzdem bleibt ihr Selbstfinanzierungsgrad deutlich unter dem der Stiftung Warentest Neben der Beratung verbreiten auch die "Verbraucherzentralen" ihre Erkenntnisse über die lokalen Medien. - Die "Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher" fuhrt allein oder in Zusammenarbeit mit den Verbraucherverbänden lokale Preisvergleiche, insbesondere fur Konsumgüter durch. Mitglied der "Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher" sind z.B. der Deutsche Frauenring, der Deutsche Familienverband, die "Verbraucherzentralen" und eine kleine Anzahl ausgewählter Persönlichkeiten. Die staatliche Informationsbereitstellung, insbesondere die Erstellung und Verbreitung von Produkttests, ist nicht mit unerheblichen Problemen und Kosten verbunden (vgl. Meyer 1990, S. 111): - Die Bereitstellung dieser Informationen belasten teilweise die Steuerzahler. - Die testende Institution sieht sich auch hier dem Problem gegenüber, aus der Vielzahl der Produkteigenschaften die aus Sicht des Nachfragers relevanten auszuwählen und in geeigneter Weise zu messen; die Gewichtung der Kriterien zueinander kann vielfach nur willkürlich vorgenommen werden. - Tests weisen immer eine Schlagseite zu den bereits länger am Markt existierenden Gütern und Dienstleistungen auf, denn Produkte, die erst nach dem Testzeitpunkt in den Markt eingefuhrt werden, bleiben selbstverständlich unberücksichtigt; die Markteintrittsbarrieren erhöhen sich. - Auf die besonderen Probleme der Preisvergleiche weist Schöppe (1983, S. 562) hin: Preisvergleiche vernachlässigen Unterschiede in der Erreichbarkeit des Anbieters, im Service etc. Im Extremfall erzeugen sie einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil fur alljene Anbieter, die z.B. keinen Service aufweisen oder schlecht erreichbar sind; die Folge ist, daß die anderen Anbieter langfristig dieser unerwünschten Entwicklung folgen müssen, um konkurrenzflihig zu bleiben.
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Der Staat sollte nur dann eine vergleichende Informationsbereitstellung erwägen, wenn ein spontane Lösung durch die Marktakteure nicht zu erwarten ist. Insbesondere unzureichende Property Rights bewirken einen staatlichen Handlungsbedarf. Bei der Umsetzung dieses Eingriffs kommt es darauf an, die vorhandenen Informationsprobleme hinsichtlich der Auswahl, Bewertung und Gewichtung der Kriterien zu minimieren. Ergänzend sollte der Staat sein Handeln so ausrichten, daß er die u.U. auftretenden Wettbewerbsverzerrungen auf ein Mindestmaß beschränkt. 3.4.3.2 Informationsbereitstellung über die Qualität von Rechtsanwälten Eine staatliche Informationsbereitstellung über die Qualität der verschiedenen Rechtsanwälte ist nur dann erforderlich, wenn die privaten Akteure in Form von Informationsbrokern aufgrund von positiven Extemalitäten eine solche Leistung nicht anbieten. Positive Extemalitäten drohen filr alle Informationen, die relativ leicht weitergegeben werden können und von einer Vielzahl von Mandanten verwendbar sind; folglich kommt es für diese Angaben zu Marktversagen. Eine solche Charakterisierung triffi bei den Anwälten eher für relativ allgemeine Informationen über die Qualifikation, die Honorarhöhe und die in der Vergangenheit beobachtbaren Verhaltensweisen wie Kulanz, Sorgfalt sowie Prozeßneigung zu. Sobald es um die Übereinstimmung zwischen dem spezifischen Anforderungsprofil eines Mandanten auf der einen und den speziellen Fähigkeiten des Anwalts auf der anderen Seite geht, bedarf es einer mandantenbezogenen Beratung, so daß eine Bekanntgabe dieser Erkenntnisse keinen Nutzen für andere erzeugt. Die staatliche Informationsbereitstellung ist also zusammenfassend bei allgemeinen Informationen erforderlich und ergänzt die von Privaten u.U. angebotenen spezialisierten Angaben. Da die Verbreitungskosten solcher Angaben sehr gering sind, sollte der Staat diese weitgehend kostenlos zur Verfugung stellen und die Bereitstellung aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanzieren. Inhaltlich wird es dann bei den Anwälten darum gehen, die anwaltliehen Fähigkeiten in groben Zügen bekanntzumachen, Preistransparenz bei den Honoraren herzustellen sowie die Erfahrungen bisheriger Mandanten mit dem jeweiligen Anwalt zu sammeln, zu bewerten und zu verbreiten. In Bezug auf die Fähigkeiten muß der Staat nach allgemein gefragten Qualifikationsmerkmalen der Anwälte Ausschau halten, deren Vorhandensein beim einzelnen Anwalt prüfen und in geeigneter Weise vergleichend bekanntmachen. Hierbei gibt es eine Vielzahl von Informationsproblemen, denen sich die staatlichen Entscheidungsträger gegenübersehen: Welche Angaben über die Qualifikation sind für die potentiellen Mandanten von Relevanz, und durch welche
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Faktoren kann man das bisherige Verhalten des Anwalts hinsichtlich des "hidden-action"-Problems kennzeichnen? Wie kann man die "Leistungen" in diesem Punkt vergleichend bewerten? Neben den Informationsproblemen sollte man sich auch die gewaltigen Verwaltungsaufwendungen einer solchen Politik vergegenwärtigen: Die fachliche Qualität eines jeden einzelnen Anwalts und seine Art der Mandatsausübung muß durch die Verwaltung regelmäßig überprüft und verschiedenen Kategorien zugeordnet werden. Sowohl die beträchtlichen Informationsanforderungen als auch die vermutlich außerordentlich hohen Verwaltungsaufwendungen lassen vermuten, daß sich die staatliche Informationsbereitstellung zwangsläufig auf einige zentrale Bewertungskriterien verengen muß. Sind dies aber dann die richtigen Kriterien, und wie gewichtet man sie zueinander, um ein Gesamturteil zu erhalten? Diese Informationsprobleme sollte man als wesentliche Argumente gegen zu große Erwartungen an dieses Instrument bewerten.69 Als Alternative zum staatlichen Handeln wäre eine Bereitstellung durch das kollektive Organ der Anwaltschaft denkbar, da dieses vermutlich geringere Informationskosten aufweist (vgl. hierzu Abschnitt 3.5.2). Honorarvergleiche sind dagegen filr den Staat leichter möglich, filhren aber bei weiterhin bestehender Qualitätsunkenntnis zu unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen, da der Wettbewerbsparameter "Preis" betont und die anderen qualitätsrelevanten Faktoren vernachlässigt werden. In der Summe gilt daher, daß Marktversagen in Form von positiven Externalitäten eine staatliche Informationsbereitstellung zwar nahelegt, aber die damit verbundenen Kosten und die Gefahren aufgrund der bestehenden Informationsdefizite zum Ergebnis filhren, daß ein Handeln des Staates in dieser Richtung mit großen Problemen behaftet sein kann. Man sollte sich daher die Einfilhrung nicht leicht machen sowie nach der Einfilhrung die Kosten und Nutzen der Maßnahme genau prüfen. Eine regelmäßige Wirkungsanalyse über die Informationsbereitstellung hinsichtlich der anwaltliehen Qualität ist daher auf jeden Fall unabdingbar.
3.4.4 Regulierung der Transaktionen Wenn alle bisherigen staatlichen Maßnahmen nicht ausreichen, das Problem ungleicher Information zu lösen, wofilr es durchaus Anzeichen gibt, kann man
69 Infonnationsbroker, die sich im Falle fehlender Extemalitäten sowohl auf lokaler als auch auf oberregionaler Ebene spontan bilden können, weisen die gleichen lnfonnations- und Kostenprobleme auf; zusätzlich müssen sie durch geeignete Vorkehrungen wie den Einbezug von unabhängigen Sachverständigen oder Investitionen in das Reputationskapital filr die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben gegenüber den Mandanten sorgen, was mit zusätzlichen erheblichen Kosten verbunden sein dürfte. Alle drei Argumente legen die Vennutung nahe, daß ein privates Angebot nicht zustande kommt, was aufgrund der hohen Kosten gesamtwirtschaftlich auch effizient wäre.
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erwägen, den Staat in die Transaktionen, sowohl in die laufenden als auch in die zukünftigen, eingreifen zu lassen: - Es ist denkbar, geringwertige Qualitätsstufen von vornherein auszuschließen oder Qualitätsverschlechterungen während der laufenden Vertragsbeziehung zu sanktionieren (vgl. Abschnitt 3.4.4.1). - Der Staat kann über das privat vereinbarte Ausmaß an Garantien bzw. an freiwillig übernommener Haftung hinausgehen und den Anbietern weitergehende Garantien bzw. eine umfassendere Haftung vorschreiben (vgl. Punkt 3.4.4.2). - Ziel eines staatlichen Eingriffs mag auch sein, die durch ungleiche Information entfallenden Transaktionen zwangsweise herbeizuführen (vgl. Abschnitt 3.4.4.3). 3.4.4.1 Regulierung der Produktqualität
Eine staatliche Regulierung der Qualität von Gütern und Dienstleistungen zielt darauf ab, der besser informierten Marktseite, hier die der Anbieter, ein Angebot schlechter Qualität zu untersagen (Regulierung der Produktqualität; vgl. hierzu Shapiro 1983a, S. 538 f.) Gibt es keine einzige Person, die eine durch die Regulierung ausgeschlossene Qualität nachzufragen beabsichtigt, steigt die Wohlfahrt aller. Kosten einer solchen Qualitätsregulierung entstehen erst dann, wenn man Gütertypen ausschließt, für die es eine Nachfrage gibt. Der Staat muß also immer eine Abwägung zwischen einer zu vermeidenden Begrenzung der Produktvielfalt und dem Unterdrücken unerwünschter Qualitäten vornehmen. Abschnitt 3.4.4.1.1 beschreibt die Vorgehensweise und Probleme eines solchen Eingriffs. Ich wende dieses Wissen unter Punkt 3.4.4.1.2 auf die Rechtsanwälte an. 3 .4.4.1.1 Regulierung der Produktqualität - Möglichkeiten und Grenzen Es existieren eine Reihe von Angriffspunkten, um die Qualität der Produkte zu regulieren. Der Staat kann im Falle des Marktzutritts die Produktqualität kontrollieren, indem er das Gut nur bei Erfiillung des vorgegebenen Mindestqualitätsstandards bzw. bei Erfiillung der qualitativen Anforderungen hinsichtlich der verwendeten Inputs zuläßt (qualitative Marktzugangsbeschränkungen). Ziel der qualitativen Marktzugangsbeschränkung ist es, zumindest zum Teil "hidden information" zu verhindern. Zusätzlich kann der Staat permanent die
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angebotene Qualität, ersatzweise die jeweils eingesetzten Inputstoffe, überprüfen (laufende Qualitätskontrolle), um "hidden action" zu erschweren. Qualitative Marktzugangsbeschränkungen werden in vielen Wirtschaftszweigen eingesetzt. Die Qualität des Gutes selbst steht zum Beispiel im Mittelpunkt der Armeimittelzulassung, bei der man die Fragen der Wirksamkeit des Präparats und die kurz- bzw. langfristig zu erwartenden Nebenwirkungen untersucht: Die Hersteller neuer Medikamente müssen vielfältige Tests durchführen, die von der Zulassungsstelle bewertet werden (zu der Zulassungspraxis in den USA vgl. ausführlich Spulher 1989, S. 387-391). Eine Regulierung des Inputs erfolgt bei der Lebensmittelkontrolle oder bei den Zulassungsbeschränkungen für die Freien Berufe. Der deutsche Gesetzgeber macht die Zulassung zu den Freien Berufen von der Erfüllung bestimmter Mindeststandards hinsichtlich des Ausbildungsniveaus abhängig (subjektive Marktzugangsschranke nach Art. 12 GG): Die Niederlassung als Arzt erfordert die Approbation, der Rechtsanwalt muß das zweite juristische Staatsexamen bestanden haben, und der Apotheker muß die für die Ausübung seines Berufes erforderliche Sachkunde durch den erfolgreichen Abschluß des Pharmaziestudiums nachweisen (vgl. z.B. Tietzel/Weber 1991, S. 129 oder Meyer 1990, S. 112).
Qualitative Marktzugangsbeschränkungen haben den Vorteil, bereits ex ante ein qualitativ schlechtes Angebot zu verhindern. Im Falle der Inputregulierung laufen die Konsumenten nicht mehr Gefahr, Güter mit geringwertigen Inputs (z.B. schädliche Lebensmittelzusätze) oder mit zu wenigen Inputs (z.B. unzureichendes Ausbildungsniveau) zu erhalten. Treffen die uninformierten Konsumenten ihre Entscheidungen nach der durchschnittlich zu erwartenden Qualität (Erwartungswert) und schneidet eine solche Marktzugangsbeschränkung das qualitativ geringwertige Marktsegment ab, nimmt dadurch aus Sicht der Nachfrager die zu erwartende Qualität zu; die drohende Gefahr der adversen Auslese aufgrund von "hidden information" wird gemildert, wenn nicht sogar beseitigt (vgl. Leland 1979, S. 1335-1337 und auch Abschnitt 3.2.1.2). Der Nutzen einer solchen Beschränkung ist besonders offenkundig bei jenen Gütern und Dienstleistungen, die der Nachfrager ex ante und ex post qualitativ schwer einschätzen kann, die auf lokalen Märkten angeboten werden (eine private Informationsbereitstellung lohnt sich kaum; vgl. auch Abschnitt 3.4.3) und die im Falle geringer Qualität gravierende Schäden hervorrufen können (vgl. Shapiro 1986, S. 845). Die Eingriffe zugunsten hochwertiger Lebensmittel und sicherer, wirkungsvoller Pharmazeutika gehen eindeutig in diese Richtung (vgl. z.B. Shapiro 1983a, S. 539 und Spulher 1989, S. 386). Die sowohl ex ante als auch ex post beschränkten privaten Prüfmöglichkeiten hinsichtlich der Standfestigkeit von Gebäuden und der Sicherheit von Flugzeugen sowie die
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drastischen Folgen schlechter Qualität legen hier sicherlich ebenfalls qualitative Marktzugangsbeschränkungen nahe (vgl. TietzeVWeber 1991, S. 129).70 Qualitative Marktzugangsbeschränkungen weisen darüber hinaus noch weitere Vorteile auf: Sie können negative externe Effekte internalisieren, die durch den Konsum eines Gutes bei Dritten entstehen. Beispielsweise mag durch das Aufsuchen eines Arztes geringer Qualität die Wahrscheinlichkeit einer Anstekkung zunehmen (vgl. Leffler 1978, S. 174). Noch deutlicher wird das Problem der Externalitäten bei der Einschaltung sogenannter "Gefahrenhandwerker": Schlecht ausgebildete Elektro- und Gasinstallateure, Kfz-Mechaniker oder Bauhandwerker geflihrden nicht nur ihre Kunden, sondern auch Dritte wie Nachbarn, Passanten oder andere Verkehrsteilnehmer (vgl. hierzu, aber die Gefahren unterschätzend Deregulierungskommission 1991, Tz. 497). 71 In all diesen Fällen kann es sinnvoll sein, qualitative Marktzugangsbeschränkungen zu erlassen. Die beschriebene Regulierung des Marktzugangs hat natürlich auch eine Reihe von (potentiellen) Nachteilen. Sie beschränkt die Konsumentensouveränität in der Form, daß eine Nachfrage unterhalb des Standards nicht mehr möglich ist. Jene Konsumenten, die ein solches Gut in einem unregulierten Markt nachfragen würden, erleiden einen Wohlfahrtsverlust Entweder verzichten sie völlig auf den Kauf, so daß die ansonsten erzielbare Konsumentenrente entflillt oder die Rente verringert sich, denn höhere Qualität zieht aufgrund der meist damit verbundenen höheren Kosten einen höheren Preis nach sich. Nur bei einem sehr hohen Informationsstand des Staates gelingt es ihm, die Qualität auf das Niveau anzuheben, bei dem kein Nachfrager zu einer nicht von ihm gewünschten Qualität gezwungen wird. Im Falle einer staatlicherseits verordneten höheren Sicherheit liegen ähnliche Probleme vor: Insbesondere für die
70 Das beispielsweise von Spulher (1989, S. 389 f.) vorgebrachte Argument, daß der Erlaß und die Durchsetzung von Marktzugangsbeschränkungen hinsichtlich der Qualität zu gesamtwirtschaftlichen Kostenersparnissen in erheblichem Ausmaße ftlhre und eine private Prüfung aufgrund fehlender Spezialkenntnisse gar nicht möglich sei, ist nicht stichhaltig: Hohe Kosten der Beurteilung fuhren nur dann zu einem fehlenden Angebot, wenn der Erzeuger des komplexen Wissens keine Property Rights an seinen Erkenntnissen festmachen kann. Ansonsten entsteht im schlimmsten Fall ein natürliches Monopol. Im Falle unzureichender Property Rights wäre eine staatliche Informationsbereitstellung, nichtjedoch der Ausschluß dieser Qualität adäquat (vgl. auch Abschnitt 3.4.3.1).
71 Unabhängig vom Extemalitätenproblem wird diskutiert, daß u.U. die Nachfrager die Risiken eines Gutes unterschätzen und daher der angeblich besserinformierte Staat sie vor sich selbst schützen müsse (vgl. Leffier 1978, S. 175 f. oder Meyer 1990, S. 112). Sollte dieser Fall empirisch relevant sein, wUrden aber zusätzliche Informationen über die Risiken ausreichen (vgl. dazu auch Fritsch/Wein/Ewers 1993, S. 251-253).
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pharmazeutische Industrie wird diskutiert, ob die Zulassungsbehörde die Gefahren der Medikamente nicht überschätze und deswegen wirkungsvollen Präparaten ungerechtfertigter Weise die Zulassung verweigere (vgl. Spulher 1989, S. 389). Dieser Vorwurfgeht über den Pharmamarkt hinaus, denn immer dann, wenn die abstrakte Charakterisierung schlechter Qualität umstritten ist, treten Informationsprobleme des Staates auf. Der für eine Marktzulassung erforderliche Zeitraum verkürzt auch den monopolistischen Vermarktungszeitraum bei patentgeschützten Innovationen. Dieser Effekt und die mit der Zulassung verbundenen Kosten vermindern die Innovationsanreize, was im besonderen Maße für die Forschung und Entwicklung bei Arzneimitteln diskutiert wird (vgl. Shapiro 1983a, S. 539 und Spulher 1989, S. 389). All diese möglicherweise auftretenden Fehlentwicklungen müssen dann gegebenenfalls der Kostenseite des staatlichen Eingriffs "Marktzugangsbeschränkung" zugerechnet werden. Nachteilig kann sich auch die durch eine Marktzugangsbeschränkung verbesserte Stellung der Anbieterauswirken (vgl. Meyer 1990, S. 113): Der Marktzutritt neuer Anbieter wird erschwert, so daß Kartellabsprachen mit der Folge überhöhter Preise leichter zu bewerkstelligen sind; die in ihrem Ausmaß verminderte Außenseiterkonkurrenz erlaubt es auch eher, daß ineffiziente Anbieter im Markt bleiben. Als Indiz für solche Fehlentwicklungen könnte man eine Zunahme schattenwirtschaftlicher Aktivitäten im geschützten Markt ansehen. Der letzte Kritikpunkt an den Marktzugangsbeschränkungen zur Sicherung hoher Qualität leitet zur laufenden Qualitätskontrolle über: Die Marktzugangsbeschränkungen haben nur die zu einem bestimmten Zeitpunkt angebotene Qualität im Griff, inwieweit danach der Anbieter die Qualität selbst absenkt, z.B. qualitativ schlechtere Inputstoffe verwendet oder die anzuwendenden Fähigkeiten weder erhält noch im erforderlichen Maße verbessert, bleibt offen (vgl. Meyer 1990, S. 112).72 Die laufende Qualitätskontrolle zielt darauf ab, die Anbieter daran zu hindem, die vertraglich zugesicherte und zu Beginn des Vertrages vorhandene Qualität zu· verringern. Ein mögliches Instrument hierfür ist sicherlich wieder, eine hohe anfängliche Qualität oder eine hohes Ausbildungsniveau vorzuschreiben. Wenn dadurch die zusätzlichen Kosten für dauerhaft hohe Qualität sinken, besteht ein abnehmender Anreiz zu "hidden action" (vgl. Shapiro 1986, S.
72 Als ein Extrembeispiel der möglichen Gefahren einer qualitativen Marktzugangsbeschränkung kann man auf Darby/Kami (1973, S. 84) verweisen, die eine Bestechung der staatlichen Entscheidungsträger mit dem Ziel einer besseren Qualitätsbeurteilung zugunsten des bestechenden Anbieters filr sehr wahrscheinlich halten. Auf diesen Punkt werde ich in Abschnitt 3.4.5 zurückkommen.
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844). Reicht dies nicht aus, kann der Staat auf laufende Kontrollen zurückgreifen oder die Bildung eines besonderen Berufsethos fördern, das eine Qualitätsverschlechterung wirksam als Fehlverhalten brandmarkt. Die Lebens- und Arzneimittelherstellung werden beispielsweise einer regelmäßigen Kontrolle unterzogen (vgl. z.B. Spulher 1989, S. 389). Die regelmäßige Überwachung und die Herausbildung eines besonderen Berufsethoses in den Freien Berufen erfolgen im Rahmen der Selbstregulierung, wobei der Staat hierzu gewisse Hoheitsrechte abtritt (vgl. Punkt 3.5.1). Im Falle der Lebens- und Arzneimittelproduktion sind die Gefahren aus schlechter Qualität in besonderer Weise vorhanden, da ein schlechtes Produkt die Gesundheit des Nachfragers schädigen kann; bei den Freien Berufen trifft dies z.B. auch bei den Ärzten und Apothekern zu. Die laufende Qualitätskontrolle wäre daher in diesen Bereichen mit einem sehr hohen (potentiellen) Nutzen verbunden. Die Regulierung der Produktqualität ist grundsätzlich dann zu begrüßen, wenn unterhalb der gesetzten Mindestqualität keine Nachfrage vorhanden und der Staat zur Qualitätseinschätzung in der Lage ist. Die beschriebenen Nachteile der qualitativen Marktzugangsbeschränkungen liegen hier freilich ebenfalls vor. Zusätzlich treten natürlich Kosten der Durchsetzung und u.U. unerwünschte Nebenwirkungen wie die der zunehmenden Kartellneigung auf. Diese sind in die wirtschaftspolitische Abwägung "Regulierung der Produktqualität - Ja oder Nein" mit einzubeziehen. Trifft allerdings im nennenswerten Umfang die Annahme einer fehlenden Nachfrage unterhalb der Mindestqualität nicht zu, verändert sich vermutlich die Beurteilung deutlich in negativer Richtung; in jenem Fall ist dann zu fragen, ob nicht eine staatliche Standardsetzung oder eine Bereitstellung der Information ausreicht. 3.4.4.1.2 Staatliche Regulierung der anwaltliehen Qualität Um das "hidden-information"-Problem beim Gut "Rechtsberatung" in den Griff zu bekommen, kann der Staat zunächst eine subjektive Marktzugangsschranke errichten, wonach nur Anwälte mit einer bestimmten Mindestqualifikation die Zulassung erhalten. Rechtsberater unterhalb dieses Ausbildungsniveaus können nicht mehr auftreten. Richten sich die Mandanten nach der zu erwartenden Qualität, erhöht sich durch diesen Eingriff der Erwartungswert, wodurch die auf "hidden information" beruhende Gefahr der adversen Auslese gebremst, wenn nicht sogar verhindert wird. Unabhängig davon ist eine solche Beschränkung filr jene Mandanten von großem Nutzen, welche die anwaltliehe Qualität nur sehr schwer einschätzen können, die durch einen schlechten Anwalt erheblich geschädigt werden und die den Anwalt in einem kleinen lokalen
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Markt auswählen, in dem sich von Privaten bereitgestellte Informationen über die Fähigkeiten der lokalen Anwälte kaum lohnen. 73 Nachteilig ist ein solcher Eingriff in all jenen Fällen, in denen Mandanten eine Rechtsberatung unterhalb des von der Seite des Staates geforderten Niveaus an Fähigkeiten bevorzugen. Sie werden zu einer Nachfrage bei höher qua1ftzierten Anwälten gezwungen und müssen die durch die höhere Qualifikation entstehenden Kosten mittragen. Die qualitative Marktzugangsbeschränkung kann dazu fUhren, daß die Zahl der Anwälte künstlich verknappt wird, wenn die fachlichen Anforderungen über das erforderliche Maß hinausgehen oder gar in Abhängigkeit von der Marktlage bestimmt werden; es ergibt sich eine Tendenz zur Kartellbildung mit der Folge, daß die Honorare steigen. Ferner ist es fraglich, ob eine Marktzugangsbeschränkung dauerhaft die gewünschten Fähigkeiten sichert. Nur zu Beginn der Berufslaufbahn findet eine entsprechende Prüfung statt; ob die Fähigkeiten den sich verändernden Anforderungen angepaßt werden, obliegt unter dieser Regulierung allein der Verantwortung der Anwälte: Entweder sind sie intrinsisch motiviert oder marktliehe Instrumente, wie z.B. der Reputationsmechanismus, üben einen Druck in die gewünschte Richtung aus, dann kommen sie dieser "Verpflichtung" nach; ansonsten wird die Qualität nicht angepaßt. Am letzten Kritikpunkt setzt das zweite Standbein der Regulierung der Produktqualität an: Durch eine laufende Qualitätskontrolle kann man das Fähigkeitspotential dauerhaft auf dem gewünschten Niveau halten. Ferner ist man unter Zuhilfenahme der Qualitätskontrolle dazu in der Lage, nach vertragswidrigen Qualitätsverschlechterungen, wie die der mangelnden Sorgfalt, der fehlenden Verschwiegenheit, der unsachgemäßen Beratung über den richtigen Ausstiegszeitpunkt aus einem Fall etc., permanent Ausschau zu halten; regelmäßige Kontrollen, die Herausbildung eines entsprechenden Berufsethos und geeignete, d.h. ausreichend abschreckende, Sanktionsmechanismen stellen die wesentlichen Instrumentarien einer solchen Regulierungspolitik dar. In Verbindung mit der subjektiven Marktzugangsbeschränkung ist im Idealfall das gesamte Problem ungleicher Information beseitigt. Die Informationserfordernisse und Überwachungsaufwendungen einer solchen Maßnahme sind aller-
73 Ein potentieller Vorteil von qualitativen Marktzugangsbeschränkungen, nämlich negative Extemalitäten zu begrenzen, ist bei den Anwälten nur in Ausnahmefllllen relevant: Zum Beispiel bei familienrechtlichen Streitigkeiten ist es denkbar, daß eine geringe Qualität des Anwalts Kinder als nicht Verfahrensbeteiligte tangiert; diese Gefahr wird jedoch durch die Einschaltung bestimmter staatlicher Stellen (Jugendfürsorge) gebannt. Das Problem, ob qualitativ schlechte Anwälte negative Extemalitäten in Fonn von unnötigen Gerichts- und Anwaltskosten erzeugen, behandelt das vierte Kapitel.
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dings so beträchtlich, daß allerhöchstens eine grobe Annäherung an den Idealzustand denkbar wäre. Hinsichtlich der erforderlichen Infonnationen wäre die Selbstregulierung der Anwälte aufgrund des dort vorhandenen größeren Sachverstandes u.U. praktikabler (vgl. Abschnitt 3.5.2). Die Regulierung der Produktqualität bei den Anwälten, die auf eine qualitative Marktzugangsbeschränkung und einer laufenden Qualitätskontrolle beruht, kann theoretisch die beiden Probleme einer asymmetrischen Infonnationsverteilung zu Lasten der Mandanten vollständig in den Griff bekommen, wenn die erheblichen Infonnationsprobleme gelöst werden; allerdings ist dies nicht einmal annähernd zu erwarten. Von der Fähigkeit des Staates, die Mindestqualifikation auf das optimal niedrige Niveau anzuheben, hängt vor allem das Ausmaß an potentiellen Nachteilen ab. Die laufenden Qualitätskontrollen sind zwar von großem Wert, werden u.U. aber den Staat ebenfalls überfordern.
3.4.4.2 Pflicht zur Garantie/Verschärfte Haftung Neben der direkten Qualitätsregulierung kann sich der Staat auch darauf beschränken, zwar die Möglichkeit eines Angebots schlechter Qualität nicht auszuschließen, dafUr aber den Anbieter im Falle eines qualitativ schlechten Angebots dazu verpflichten, hohe Qualität nachzuliefern und/oder den Nachfrager von den Folgen schlechter Qualität freizustellen (Garantie und Haftung). Innerhalb des Abschnittes 3.4.4.2.1 beschreibe ich diese Möglichkeiten. Eine Anwendung der Ergebnisse auf die Rechtsanwälte erfolgt im Rahmen des Gliederungspunktes 3.4.4.2.2. 3.4.4.2.1 Garantieverpflichtungen und das Haftungsrecht als Mittel zur Qualitätssicherung Grundsätzlich besteht natUrlieh die Möglichkeit, die privat vereinbarten Garantien fUr GUter sowie Dienstleistungen durch staatliche Eingriffe zugunsten der Konsumenten zu erweitern. Eine Garantie des Herstellers oder des Verkäufers befreit den Nachfrager von der Sorge, ein qualitativ geringwertiges Gut mit all seinen negativen Folgen zu kaufen (vgl. zusammenfassend Finsinger 1991, S. 208-211 und Abschnitt 3.3.2.1): Der Käufer erhält durch die Garantie den Anspruch entweder auf die vollständige Reparatur des fehlerhaften Gutes, auf die Nachlieferung eines fehlerfreien Gutes oder auf die RUckabwicklung des Vertrages (Garantie im engeren Sinne). Im Falle der (Produkt)Haftung geht es darilber hinaus um Folgeschäden, die dem Konsumenten aus einem fehlerhaften Produkt entstehen können (Garantie im weiteren Sinne). 12•
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Gerade im Bereich der Produkthaftung wird diskutiert, inwieweit eine staatlicherseits verordnete Verschärfung notwendig sei, die Grundgedanken dieser Diskussion werden im folgenden nachgezeichnet (vgl. um- und zusammenfassend Finsinger 1991, S. 239-247 und S. 250-254).74 Der sich im 19. Jahrhundert durchsetzende Gedanke der Handlungs- und Vertragsfreiheit prägte die Lastenverteilung des Zivilrechts: Grundsätzlich trägt jener den Schaden aus einem fehlerhaften Produkt, bei dem er anfallt; entsteht z.B. ein Schaden beim Käufer, muß er den Schaden tragen; es sei denn, es handelt sich um eine vertraglich zugesicherte Eigenschaft (§ 480 S. 2 BGB) oder es liegt ein Verschulden des Herstellers vor (§ 823 I BGB).75 Folglich ist der Käufer gehalten, sich vorsichtig zu verhalten ("Caveat Emptor"). Eine Verschärfung der Haftung würde dazu fiihren, daß man von diesem Grundsatz abginge, indem man eine Gefahrdungshaftung einfiihrt: Auch ohne ein Verschulden des Herstellers wird der Hersteller dem Käufer gegenüber ersatzpflichtig; der Hersteller ist also gehalten, sich vorsichtig zu verhalten ("Caveat Fabricator"). Um die Vor- und Nachteile einer Haftungsverschärfung analysieren zu können, ist eine Wirkungsanalyse beider Rechtsgrundsätze erforderlich. Vereinfachend kann man zunächst unterstellen, daß die Akteure sich risikoneutral verhalten, nur die Käufer dem Risiko aus einem fehlerhaften Produkt ausgesetzt sind und die Kunden die Risiken vollständig kennen (d.h. die Produktsicherheit des Gutes ist mit dem tatsächlichen Erwartungswert fiir den Schaden abschätzbar). Folglich ist der Konsument zum Zeitpunkt des Kaufes in der Lage, die Kosten vermehrter Sicherheit, die sich fiir ihn in der Form eines höheren Preises76 niederschlagen, mit dem Nutzen eines geringeren Erwartungsschadens abzuwägen; der Konsument wählt bei "Caveat Emptor" die fiir ihn günstigste Stufe der Sicherheit. Da jeder Konsument dem gleichen Kalkül folgt, ergibt sich eine gesellschaftlich optimale Allokation hinsichtlich der gewählten Produktsicherheitsniveaus.
74 Neben der Produkthaftung spielt hier auch die Haftung in bestimmten (Dienstleistungs)Berufen eine bedeutende Rolle. Inwieweit die in diesem Abschnitt angestellten Überlegungen auch fur die Berufshaftung von Relevanz sind, soll beispielhaft an dem Beruf des Anwaltes im nächsten Abschnitt verdeutlicht werden.
75 Die Diskussion dreht sich hier nur um den Hersteller, denn das Verschulden des Verkäufers im Falle eines Produktfehlers ist recht unwahrscheinlich. 76 Der Preisaufschlag entspricht unter der Annahme der vollständigen Konkurrenz den zusätzlich anfallenden Kosten steigender Sicherheit.
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Unter der Regel "Caveat Fabricator" ist der Käufer indifferent, ob der Schaden eintritt oder nicht, so daß er nur den Preis und den Nutzen des Gutes ohne den zu vermeidenden Schaden berücksichtigt. Stattdessen wird der Hersteller die zu erwartenden Schäden in Form der u.U. auf ihn zukommenden Ersatzleistungen und die möglichen Aufwendungen flir erhöhte Sicherheit gegeneinander abwägen. Folglich kann sich das gleiche Niveau an Produktsicherheit ergeben wie unter dem Grundsatz "Caveat Emptor". Im Falle des "Caveat Emptor" wägt allerdings der Käufer den Preis und seine erwarteten Schäden gegeneinander ab. Unter der Regel "Caveat Fabricator" berücksichtigt der Hersteller die zu erwartenden Durchschnittsschäden der Käufer. Folglich besteht der große Unterschied darin, daß die Regel "Caveat Emptor" auf die individuellen Schäden und "Caveat Fabricator" auf die Durchschnittsschäden als Referenzgröße Bezug nimmt: Sind alle Konsumenten hinsichtlich der erwarteten Schäden gleichartig, ergibt sich kein Unterschied im realisierten Niveau der Produktsicherheit; bei Differenzen wird das mittlere Niveau an Sicherheit realisiert und hohe bzw. niedrige Sicherheiten ausgeschlossen. Im Vergleich zu "Caveat Emptor" ergeben sich unter "Caveat Fabricator" Fehlallokationen: Unter "Caveat Emptor" fragen die Nachfrager mit geringen (hoher) Schadeoserwartungen Güter mit geringen (hohen) Sicherheitsanforderungen zum niedrigen (hohen) Preis nach; im Falle des "Caveat Fabricators" müssen alle die "mittlere Qualität" zum mittleren Preis nachfragen, so daß die Nachfrager mit geringer Schadenserwartungen zu viel Sicherheit mit einem fiir sie zu hohen Preis erhalten; die Nachfrager mit hoher Schadenserwartungen verfehlen ebenfalls die von ihnen gewünschte Sicherheit. Es findet also eine interne Subventionierung zugunsten der Konsumenten mit hohem Schadenspotential und zu Lasten der Nachfrager mit niedrigem Potential statt.77 Wie verändern sich die Ergebnisse, wenn man ein mögliches Mitverschulden der Käufer berücksichtigt? Unter "Caveat Emptor" hat der Käufer selbst ein Interesse daran, den Schadenseintritt und das -ausmaß zu verhindem bzw. zu begrenzen, wenn er dies kann. Insofern liegt eine optimale Allokation vor. Im Falle von "Caveat Fabricator" muß man dem Käufer die Regel des Mitverschuldens auferlegen, damit er einen Anreiz zur optimalen Schadensprävention erhält. Idealerweise sollte man fiir jeden einzelnen Käufer die Frage des Mitverschuldens, also liegt Fahrlässigkeit und Verschulden vor, prüfen, d.h. fiir jeden das optimale Sorgfaltsniveau bestimmen. Die Rechtsprechung dürfte jedoch überfordert sein, das optimale Sorgfaltsniveau bei jedem Einzelnen durch Aufstellen geeigneter Maßstäbe zu erreichen: Die Gerichte und die Her77 Diese Fehlallokation ist allerdings nicht zwangsläufig, denn die Hersteller haben u.U. die Möglichkeit, durch Produktdifferenzierung die Gruppe der Konsumenten in hinsichtlich der erwarteten Schäden homogene Teilgruppen aufzuspalten.
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steiler haben es schwer, die mitverschuldensrelevanten Tatbestände zu erkennen bzw. nachzuweisen; es ist kaum möglich, die u.U. für jede Person unterschiedlichen optimalen Sorgfaltsniveaus durch Abgrenzung von sogenannten Verkehrskreisen zu bestimmen; neben der Sorgfalt des Konsumenten spielt auch die Häufigkeit der Nutzung eine erhebliche Rolle für die Frage des Schadenseintritts und des -ausmaßes, was ebenfalls kaum berücksichtigbar ist. Folglich ist hinsichtlich der Frage eines möglichen Mitverschuldens des Käufers "Caveat Emptor" der Regel "Caveat Fabricator" überlegen. Hebt man die Annahme der vollständigen Information seitens der Konsumenten auf und geht stattdessen davon aus, daß sie die Risiken des Produkts falsch einschätzen, hat "Caveat Fabricator" Vorteile gegenüber "Caveat Emptor". Unterschätzen die Nachfrager die Risiken, nehmen sie zu viele Risiken auf sich; im umgekehrten Falle der Überschätzung tragen sie zu wenige Risiken, indem sie ein zu hohes Sicherheitsniveau verlangen. Die Fehleinschätzung der Konsumenten schlägt bei "Caveat Emptor" auf die optimale Allokation durch. Unter der Regel "Caveat Fabricator" haben die Wahrnehmungen der Käufer keinen Einfluß auf das realisierte Sicherheitsniveau, so daß die optimale Allokation nicht verzerrt wird; diese Allokation ist aber nur dann optimal, wenn die Konsumenten hinsichtlich ihrer Risikopräferenzen sich homogen verhalten und kein Mitverschulden des Käufers vorliegt. 78 Die bisherigen Überlegungen erlauben es, Schlußfolgerungen für ein optimales Produkthaftungsrecht zu ziehen: Nur wenn die Käufer die Gefahren des Produkts nicht einschätzen können, ist der Übergang von "Caveat Emptor" zu "Caveat Fabricator" vorteilhaft. Daher sollte man nur für diesen Fall die Handlungsfreiheit der Akteure beschränken, indem ausschließlich jene Produktfehler ersetzt werden, die auch ein ausreichend informierter, um einen sorgfaltigen Umgang mit dem Gut bemühter Konsument unter- oder überschätzt (informationelle Produktfehlerbegrift). Vorteile eines solchen Rechtsbegriffs wären, daß - der Hersteller ein Anreiz hätte, auf die möglichen Gefahren in einer dem verständigen Kunden zugänglichen Form hinzuweisen; - der Käufer die Freiheit behält, auch gefiihrliche Produkte zu kaufen;
78 Unterliegen nicht die Konsumenten, sondern die Hersteller Fehleinschätzungen, ist die Regel "Caveat Emptor" aus analogen Gründen vorzuziehen; allerdings wird der Hersteller durch seine Ersatzpflicht zum Hinzulernen gezwungen, so daß u.U. das Ausmaß seiner Fehleinschätzung abnimmt.
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- die vom Nutzer nicht zu erkennenden Produktions- und Instruktionsfehler vom Hersteller getragen werden müssen; - ein gefährlich konstruiertes Gut nur im Falle der Unterschätzung seitens des verständigen Nutzers zur Haftung fiihrt und - der Nutzer einen Anreiz erhält, sich über die Risiken des Produkts zu informieren. Grundsätzlich ist der Übergang zu "Caveat Fabricator" nur in Fällen der Fehleinschätzung seitens der Konsumenten, bei weitgehend homogenen Konsumenten und bei einer zufriedenstellenden Lösung des Mitverschuldens-Problems (Ausschluß der moral-hazard-Gefahr) vorteilhaft. Wenn man sich auf den informationeilen Fehlerbegriff stützt, kommt man den relevanten Fällen der Fehleinschätzung sehr nahe. Allerdings sollte man nicht erwarten, daß ein richtig ausgestaltes Produkthaftungsrecht die gesamten Probleme der Produktsicherheit lösen kann. Folgende vier Gründe schränken die Reichweite eines jeden Produkthaftungsrechts ein (vgl. Finsinger 1991, S. 262-264): - Gerichte können nur nachweisbare Tatsachen berücksichtigen. Es ist jedoch fiir eine optimale Produktsicherheit auch erforderlich, vermutete Zusammenhänge zu berücksichtigen. Hier muß der Staat mit Sicherheitsstandards (vgl. Abschnitt 3.4.4.1) ersatzweise eintreten. - Jede einzelne Partei vergleicht bei der Entscheidung, ob sie einen Anspruch durchsetzen soll, ihre erlittenen Schäden mit den Durchsetzungskosten. Bei geringen Schäden ist es wahrscheinlich, daß man auf die Klage verzichtet, obwohl möglicherweise die Summe der Schäden aller bedeutend ist (z.B. bei Umweltschäden oder belasteten Lebensmitteln). Der Schadensminderungsanreiz beim Hersteller flillt zu gering aus. Verbandsklagen können dieser Fehlentwicklung entgegenwirken (vgl. einschränkend Abschnitt 4.2). Daher sollte auch das deutsche Produkthaftungsrecht Bagatellschäden (Schäden unter 1200 DM) von der gerichtlichen Durchsetzung nicht ausnehmen. Ferner führen nicht umgesetzte Regreßansprüche Dritter zur Notwendigkeit staatlichen Handelns. - Die Schwierigkeit eines Kausalitätsnachweises verhindert vielfach die Rechtsdurchsetzung und senkt dann das realisierte Sorgfaltsniveau auf eine suboptimale Höhe. Zum Beispiel ist der Nachweis des Zusammenhangs zwischen zunehmender Umweltverschmutzung, steigender Schadstoffbela-
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stung in Lebensmitteln einerseits, und erhöhter Erkrankungswahrscheinlichkeit andererseits kaum nachweisbar, geschweige denn gerichtlich umsetzbar. - Das Haftungsrecht läuft leer, wenn das Vermögen des Herstellers nicht ausreicht, den eintretenden Schaden zu tragen. Risikoreiche Tätigkeiten werden dann in Unternehmen mit geringem Eigenkapital verlagert, und der das Eigenkapital überschießende Erwartungsschaden bleibt dann unberücksichtigt; das optimale Sorgfaltsniveau wird wieder unterlaufen. 3.4.4.2.2 Verschärfte Garantie und Haftung bei Anwälten Im folgenden gehe ich der Frage nach, ob der Staat die von den Mandanten und Anwälten selbständig vereinbarten Garantien ausdehnen soll. Wie bereits im Rahmen des Abschnittes 3.3.3.2 filr den Fall der Rechtsanwälte analysiert, kommt hinsichtlich des Umfangs der Garantie im wesentlichen nur eine umfassende Ersatzpflicht, insbesondere hinsichtlich der Folgeschäden, in Frage (Garantie im weiteren Sinne = Haftung), denn in den meisten Fällen ist der Verlust durch das Honorar weitaus weniger gravierend als die Konsequenzen eines verlorenen Rechtsstreits. Folglich kann man sich auf die Haftungsverschärfung konzentrieren. Nach der heutigen Rechtslage (Grundsatz der positiven Forderungsverletzung, § 823 I BGB) muß der Anbieter einer Dienstleistung, z.B. auch der Rechtsanwalt, nur dann dem Nachfrager, also auch dem Mandanten, den Schaden ersetzen, wenn der Anbieter den Schaden fahrlässig oder vorsätzlich verschuldet hat; es bleibt selbstverständlich den Parteien unbenommen, die Haftung zu Lasten des Dienstleisters zu erhöhen. Sollte also der Staat die Haftung der Anwälte analog zur Diskussion im Produkthaftungsrecht gegenüber der von den Privaten gewählten Situation verschärfen? Bei der Produkthaftung geht es darum, das gesamtwirtschaftlich optimale Maß an Produktsicherheit zu erreichen. Da die Produktsicherheit neben zufälligen Einflüssen vor allem von der Sorgfalt des Herstellers bzw. der des Nutzers abhängig und höhere Sicherheit in aller Regel nur durch höhere (Sorgfalts-) Kosten erreichbar ist, spielen diese bei der Auswahl des Produktsicherheitsniveaus eine Rolle. Der Nutzen höhere Produktsicherheit liegt in den vermiedenen Schäden, die vereinfachend nur beim Nutzer anfallen sollen. Sowohl (alle) Kosten als auch (alle) Nutzen müssen in das Kalkül der einzelnen Rechtsregeln "Caveat Emptor" und "Caveat Fabricator" filr eine optimale Produktsicherheit eingehen. Wie lassen sich diese Überlegungen auf das Gut "Rechtsberatung" übertragen? Die "Produktsicherheit" bezieht sich hier auf die Sicherheit, mit der ein Mandant auf die Durchsetzung seiner Ansprüche bzw. die Abwehr von Ansprüchen anderer rechnen kann. Je sorgfältiger der Anwalt
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den Sachverhalt des Mandanten bearbeitet, je eher er über die richtigen Fähigkeiten verfUgt und je bereitwilliger der Mandant ihn hierbei unterstützt, um so wahrscheinlicher wird die Rechtsangelegenheit erfolgreich abgeschlossen; die Sorgfalt sowie die Fähigkeiten des Anwalts und die Bereitwilligkeit des Mandanten sind mit Kosten verbunden; der Schaden im Zivilrecht zum Beispiel entspricht hier dem Nutzenentgang des Mandanten im Falle eines erfolglosen Durchsetzungsverlangens bzw. Abwehrversuches. Auch im Falle des Gutes Rechtsberatung müssen wieder alle Nutzen und Kosten entweder bei der verschuldeosabhängigen oder bei der -unabhängigen Haftung des Anwalts eingehen. Folglich kann man die Überlegungen zum optimalen Produkthaftungsrecht (vgl. Abschnitt 3.4.4.2.1) auf die Anwaltshaftung übertragen: Immer dann, wenn der Mandant die Erfolgsaussichten des anstehenden Falls nicht einschätzen könnte, der Anwalt aber sehr wohl dazu in der Lage ist, sollte man auf die verschuldeosunabhängige Haftung übergehen. M.a.W.; der Anwalt wird nur dann von der verschuldeosunabhängigen Haftung frei, wenn er den Mandanten im ausreichenden Maße über die Erfolgsaussichten informiert hat (verschuldensunabhängige Haftung bei Fehlinformation). Auch die Mandanten haben einen Anreiz, sich ausreichend zu informieren, ansonsten entfallt die Haftung. Die Anreize beider Parteien mindern die Gefahr, daß die Parteien die wahren Erfolgswahrscheinlichkeiten eines Rechtsstreits über- oder unterschätzen, daher nähert man sich unter dieser Regel dem optimalen Ausmaß an Rechtsstreitigkeiten und Prozessen an (vgl. hierzu Abschnitt 4.3.1.1). Gegen eine solche vom Gesetzgeber vorzunehmende Haftungsverschärfung sprechen äußerst gewichtige Gründe, die sich zum einen auf die bei der Produkthaftung genannten Voraussetzungen beziehen (vgl. hierzu Abschnitt 3.4.4.2.1), zum anderen speziell beim Gut "Rechtsberatung" relevant sind (vgl. ausfUhrlieh Abschnitt 3.3.2.2): - Die Übertragung des informationeilen Fehlerbegriffs vom Produkthaftungsrecht in den Bereich der Dienstleistungen ist zwar theoretisch bestechend, es fehlt aber weitgehend an einer Begriffsbestimmung, was eine unvermeidbare Fehleinschätzung des Mandanten und was eine ausreichende Informationsbereitstellung des Anwalts gegenüber dem Mandanten darstellen könnte. - Die Mandanten dürfen sich in ihren erwarteten Nutzenentgängen, d.h. dem Schaden aus einem verlorenen Prozeß, nicht zu weit unterscheiden, denn sonst fUhrt die zwangsläufige Orientierung der Anwälte an den Durchschnittsschäden zu Wohlfahrtsverlusten bei den Mandanten mit hohen und bei denen mit niedrigen erwarteten Nutzenentgängen.
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- Das "hidden-action"-Problem aufgrundungleicher Information zu Lasten der Anwälte ist kaum lösbar. Durch die Haftungsverschiebung zugunsten des Mandanten verliert er das Interesse an einem erfolgreichen Prozeß und trägt daher nicht mehr im ausreichenden Maße zum Prozeßerfolg bei. Bei der Produkthaftung war aus diesem Grund vorgesehen, das Problem verborgener Handlungen dadurch zu lösen, daß der Hersteller bei Mitverschulden des Nachfragers von der Haftung frei wird. Zwar wird auch hier der Anwalt aufgrund seiner hohen Sachkenntnis ein solches Fehlverhalten relativ leicht bemerken (vgl. auch Abschnitt 3.2.2.2), aber es dürfte vor Gericht sehr schwer werden, ein Mitverschulden des Mandanten nachzuweisen. Daher werden die meisten Anwälte vor der Gefahr des ihnen durch die Haftungsverschärfung aufgebürdeten Risikos verborgener Handlungen zurückschrecken und von Anfang an die Mandatsübernahme ablehnen. 79 - Die Haftungsverschärfung überträgt das gesamte stochastische Risiko eines ungünstigen Verlaufs des Rechtsstreits auf die Anwälte. Fällt dieses Risiko zu hoch aus, was sehr leicht möglich ist, bleibt den Anwälten nur wieder die Möglichkeit, diese Art von Mandanten abzulehnen. Insbesondere die Gefahren aus "hidden action" und die Probleme eines hohen stochastischen Risikos sind so wenig lösbar, daß eine Haftungsverschärfung eine enorme Zunahme der Verweigerung von Mandanten nachsichziehen würde; in all diesen Fällen bestünde das letztendlich zu lösende Problem der ungleichen Information weiter. Von einer Übertragung der bestechenden Gedanken im Produkthaftungsrecht in den Bereich der Dienstleistung "Rechtsanwälte" ist daher dringend abzuraten. Einen Nutzen kann man aus dieser Diskussion allerdings doch noch ziehen: Wenn die Anwälte auch unter der Regel der Verschuldeoshaftung wissen, daß die Haftungsansprüche ihr haftendes Vermögen übersteigen, berücksichtigen sie den übersteigenden Anteil in ihrem Kalkül fiir das Sorgfaltsniveau nicht mehr. Entweder dehnt man dann die Haftung der Anwälte auf deren Privatvermögen aus oder man verlangt von ihnen den Abschluß einer entsprechenden Haftpflichtversicherung; der Haftpflichtversicherer hat dann ein Interesse und wahrscheinlich auch eher als der Mandant die Möglichkeit, das Verhalten des Anwalts zu steuern. Die Ausdehnung auf das Privatvermögen hat den Nachteil, daß bei vielen Anwälten das Privatvermögen sehr schnell nicht mehr ausrei-
79 Das Problem von "hidden information" zu Lasten der Anwälte ist dagegen nicht relevant, denn aufgrund der hohen Sachkenntnis eines qualitativ hochwertigen Anwalts ist dieser relativ leicht dazu in der Lage, bereits zu Beginn hochriskante Mandanten zu erkennen und dann auf ihre Vertretung zu verzichten (vgl. auch Abschnitt 3.2.2.4).
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chen wird, eine Schadensdeckung vorzusehen. Daher ist die Haftpflichtversicherung gegenüber der prinzipiell substitutiven Haftung des Privatvennögens vorzuziehen. 3.4.4. 3 Pflichttransaktionen
Asymmetrisch verteilte Infonnationen zwischen den beiden Marktseiten können dazu fUhren, daß von beiden Parteien gewünschte Transaktionenen nicht zustande kommen (vgl. Abschnitt 3.2.1). Eine Reaktionsmöglichkeit des Staats besteht daher darin, die entfallenen Transaktionen zwangsweise herbeizufUhren (vgl. Abschnitt 3.4.4.3.1). Inwieweit dieser Eingriff ein sinnvolle Strategie fiir die durch Infonnationsasymmetrien bedrohten Dienstleistungen zwischen Mandant und Anwalt darstellt, wird im Rahmen des Punktes 3.4.4.3.2 analysiert. 3.4.4.3.1 Pflichttransaktionen als Mittel gegen Infonnationsasymmetrien Sollten alle Gegenmaßnahmen im Falle einer Infonnationsasymmetrie fehlschlagen, liegt es nahe, daß der Staat beide Parteien zu den problematischen Transaktionen zwingt: Jeder Anbieter, der in dem relevanten Markt tätig ist, muß jedes an ihn herangetragene Vertragsangebot annehmen; jeder Nachfrager, fiir den bestimmte Merkmale zu treffen, muß ein solches Angebot aussprechen. Damit aber der Anbieter keine Möglichkeit hat, sein Angebot nachträglich qualitativ auszuhöhlen und somit die zu befiirchtende Qualitätsverschlechterung trotzdem zu realisieren, muß der Staat den Vertrag umfassend über die gesamte Dauer regulieren. Der Endpunkt einer Regulierung, die mit Qualitätsunkenntnis begründet wird, wäre dann erreicht. In der Praxis ist eine solcher Eingriff vor allem im Versicherungswesen im Fonn der Pflichtversicherung zu beobachten (vgl. Fritsch/Wein/Ewers 1993, S. 199 f. und Eisen 1986). Liegt eine asymmetrische Infonnationsverteilung zu Lasten der Versicherer vor, d.h. die Versicherer können die Risikoträchtigkeit des einzelnen Versicherungsnehmers nicht beurteilen, kann sich adverse Auslese einstellen mit dem Ergebnis, daß vor allem die schlechten Risiken eine Versicherung nachfragen und die guten Risiken aufgrund des relativ hohen Preises von einer Versicherung absehen; ein separierendes Gleichgewicht liegt vor. Mit diesem Argument ließe sich eine Versicherungspflicht rechtfertigen, denn nur so erhalten die guten Risiken den erwünschten Versicherungsschutz. Aufgrund der Infonnationsasymmetrie können die Pflichtversicherer allerdings nur eine fiir alle geltende Durchschnittsprämie kalkulieren mit der Folge, daß diese Prämie fiir die
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guten Risiken (im Vergleich zur "aktuarisch fairen" Prämie) zu hoch und für die schlechten Risiken zu niedrig liegt. Eine solche Pflichtversicherung begrenzt also das Problem verborgener Informationen. Versuchen die Versicherer die asymmetrische Informationsverteilung ohne staatliches Eingreifen durch ein Angebot von Verträgen mit Selbstbehalt einzudämmen, so werden nur die guten Risiken zur Wahl von Verträgen mit Selbstbehalt tendieren; einen Teil des Risikos bleibt bei ihnen ungedeckt. Folglich kann es unter bestimmten Voraussetzungen für die guten Risiken sinnvoll sein, daß sie wieder im Rahmen einer Pflichtversicherung, die das gesamte Risiko abdeckt, die schlechten Risiken mitfinanzieren. Die Pflichtversicherung liegt dann im Interesse aller Beteiligten. Die Pflichtversicherung wird häufig durch einen Kontrahierungszwang ergänzt, damit die Versicherer erkennbar schlechte Risiken nicht ausgrenzen, denn jene vermindern die Gewinne der Versicherer. Der Kontrahierungszwang zieht vielfach wieder eine Regulierung des Mindestversicherungsschutzes nach sich, dem eine Prämienregulierung folgt, damit die Versicherer nicht durch unzureichende Konditionen oder höheren Prämien die erkennbar schlechten Risiken trotz Kontrahierungszwang wegdrängen; letztendlich sind aber diese ergänzenden Regulierungen zur Pflichtversicherung unnötig, wenn man den Versicherem erlaubt, erkennbar schlechte Risiken teurer, ihrem hohen Risiko entsprechend zu versichern. Der letzte Punkt deutet schon daraufhin, daß neben dem Wunsch, asymmetrisch verteilte Information zu bekämpfen, bei der Einführung von Pflichttransaktionen verteilungspolitische Überlegungen eine bedeutende Rolle spielen. Das verteilungspolitische Ziel im Bereich des Versicherungswesens besteht in der Regel darin, sicherzustellen, daß risikoreiche Personen, die natürlich eine sehr hohe Prämie zahlen müssen, nicht aufgrund finanziellen Unvermögens auf Versicherungsschutz verzichten müssen. Nur aus diesem Grund schreibt man dann der Pflichtversicherung vor, einheitliche Prämien festzusetzen, so daß sich eine interne Subventionierung der schlechten Risiken durch die guten Risiken ergibt. Darüber hinaus stellt die Pflichtversicherung ein Mittel gegen "Trittbrettfahrerverhalten" dar, welches sich ohne eine solche Pflichtversicherung darin manifestiert, daß Individuen private Vorsorge unterlassen und dabei hoffen, im Schadensfall vom Staat versorgt zu werden. Eine Pflichtversicherung verbessert natürlich auch die Marktstellung der Anbieter ("sichere Nachfrage"), so daß der Staat auf eine drohende Ausbeutung der Versicherten achten muß. Im Extremfall werden alle Parameter des Versicherungsvertrages vom Staat festgelegt.
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3.4.4.3.2 Pflichttransaktionen bei Rechtsanwälten Der vorherige Abschnitt zeigt, daß eine Pflichttransaktion im Bereich des Versicherungswesens (Pflichttransaktion) entweder aus Gründen der asymmetrischen Infonnationsverteilung oder aus Verteilungsaspekten eingeführt wird. Die asymmetrische Infonnationsverteilung, die durch eine Pflichtversicherung bekämpft werden soll, besteht auf Seiten der Versicherer, denn sie sollen die Risiken der Versicherten nicht einschätzen können. Die Pflichtversicherung hat dann in diesem Falle den Vorteil, daß der an sich erwünschte, aber spontan nicht erreichbare Risikoausgleich zwangsweise herbeigeführt wird. Im Falle des Gutes "Rechtsberatung" bezieht sich die asymmetrische Infonnationsverteilung auf die Unfähigkeit des Mandanten, die Qualität des Anwalts ex ante zu beurteilen und ex post zu kontrollieren (vgl. Abschnitt 3.2.2). 80 Im Falle von Pflichttransaktionen im Anwaltsmarkt würden die Mandanten nicht mehr den Anwalt frei auswählen können, sondern ihnen würde der Anwalt zu einem festen, der durchschnittlichen Qualität angemessenen Preis zugewiesen; im Laufe der Zeit, d.h. nach einer Reihe von Mandaten, sollen sich die unterschiedlichen Qualitäten der Anwälte ausgleichen. Ein staatlicher Eingriff mit einem so gearteten "Qualitätsausgleich" ist im einem marktwirtschaftliehen System kaum vorstellbar; es sei denn, man verstaatlicht den gesamten Anwaltsstand und weist den Mandanten nach dem Zufallsprinzip einen beamteten Anwalt zu. 81 In einem verbeamteten System werden zwar die Qualitätsunterschiede zwischen den Anwälten durch eine gleichartige Ausbildung und regelmäßige Überwachung mit einheitlichen Kriterien zurückgehen, aber eine einheitliche Qualität ist insbesondere aufgrund von unvenneidbaren Motivationsunterschiede zwischen den beamteten Rechtsberatern (Gefahr von "hidden action") kaum zu erwarten.82 Aus Sicht der Mandanten wäre nur in einem, allerdings sehr unwahrscheinlichen Ausnahmefall eine solche Vorgehensweise erwägenswert: Der zu erwartende Nutzen aus dem Rechtsstreit ist auch über die Zeit bei allen gleich, dann käme der (Risiko-)Qualitätsausgleich prinzipiell zustande. Trifft dies nicht zu, nützt es einem Mandanten recht wenig, einen guten Anwalt in einer für ihn unwichtigen Streitsache zugewiesen zu bekommen und bei der wichtigen Sache von einem schlechten Anwalt vertreten zu werden. D.h. nur bei sehr homogenen Rechtsangelegenheiten ist eine solche
80 Der andere Fall einer ungleichen Information zu Lasten der Anwälte ist theoretisch vorstellbar, aber wohl praktisch von keiner Relevanz (vgl. ebenfalls Abschnitt 3.2.2). 81
Vgl. auch KnOmann (1975, S. 84-88), der diese Lösung als sehr bedenklich ansieht.
Fraglich wäre dann aber im besonderen Maße, warum der beamtete Anwalt sich um die Interessen seiner Mandanten und nicht um seine eigenen Interessen kümmern sollte (vgl. hierzu Abschnitt 3.4.5.2). 82
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Lösung überhaupt wohlfahrtssteigemd. Die Informationsanforderungen an den Staat bei der Auswahl und Kontrolle der beamteten Anwälte sind ebenfalls als sehr hoch zu veranschlagen. Die verteilungspolitischen Aspekte bei Pflichttransaktionen spielen bei der Rechtsberatung insofern eine Rolle, als im Strafverfahren eine Pflichtverteidigung angeordnet werden kann und die intern subventionierende Gebührenordnung gilt. Das Institut der Pflichtverteidigung soll finanziell Benachteiligten im Falle des rechtspolitisch bedeutsamen Gebiets des Strafrechts helfen; die Gebührenordnung zwingt die Anwälte, Mandate mit niedrigen Streitwert aber u.U. hohen Kosten zu übernehmen. Die Effizienz dieser Eingriffe ist fraglich, und es stellt sich die Frage, ob z.B. nicht durch eine direkte finanzielle Unterstützung der Bedürftigen bessere Ergebnisse erzielbar wären (vgl. ausruhrlieh Kapitel 5). Zusammenfassend zeigt sich also, daß der Eingriff der Pflichttransaktion im Rechtsberatungsmarkt zumindest aus allokativen Gründen mit erheblichen Problemen verbunden wäre.
3.4.5 Staatliche Lösungen bei eigennützigen Akteuren Die bisherigen Erwägungen setzten voraus, daß die staatlichen Eingriffe zur Qualitätssicherung von Akteuren vorgenommen werden, die allein das Wohl ihrer Bürger im Auge haben. Eine solche Annahme ist aber umstritten, denn die staatlichen Entscheidungsträger sollen ebenso wie die Marktakteure nach der Maximierung ihres Nutzens trachten. Abschnitt 3.4.5.1 beschreibt die Motive der einzelnen eigennützigen Entscheidungsträger, die sich daraus ergebenden Folgen fUr die Qualitätsregulierung und die Möglichkeiten, um diese unerwünschten Anreize zu umgehen. Diese Erwägungen werden dann auf die Eingriffe zur Qualitätssicherung bei den Anwälten übertragen (vgl. Abschnitt 3.4.5.2.). 3.4.5.1 Staatliche Qualitätssicherung und eigennützige Akteure
Im Rahmen des Abschnittes 3.4.5.1.1 gehe ich auf die zu erwartenden Ergebnisse einer Qualitätsregulierung mit eigennützigen staatlichen Entscheidungsträgem ein, wenn in der Bundesrepublik Deutschland auf der Ebene des laufenden politischen Prozesses über diese Frage entschieden wird. Neben den bisher genannten Nachteilen staatlichen Handeins auf dem Gebiet der Qualitätsregulierung sind weitere Schwierigkeiten zu erwarten, die auf den bestehenden Freiheitsspielräumen der eigennützigen Entscheidungsträger beruhen. Diese Resultate sind jedoch keinesfalls zwangsläufig, falls man die konstitutionellen
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Regeln und Institutionen, die im Rahmen des Grundkonsens festgelegt werden, entsprechend ausrichtet (vgl. hierzu Punkt 3.4.5 .1.2). 3.4.5.1.1 Die Ebene des laufenden politischen Prozesses Die staatlichen Eingriffe als Mittel gegen ungleiche Information standen in den vorherigen Abschnitten unter dem impliziten Vorbehalt, daß der Staat durch einen an der Wohlfahrt aller interessierten Entscheidungsträger handelt. Dieses Bild hat wenig mit den real zu beobachtenden Entscheidungsprozessen einer repräsentativen Demokratie, wie zum Beispiel denen in der Bundesrepublik Deutschland, gemein: Weder kann man in einem solchen politischen System davon ausgehen, daß nur ein Entscheidungsträger existiert, noch ist das Ziel der Wohlfahrtsmaximierung ohne Zweifel gegeben. Im Gegenteil, Wähler, Politiker, Bürokraten und Interessengruppen beeinflussen staatliche Entscheidungen und verhalten sich (im gewissen Maße) durchaus eigennützig (vgl. hierzu zusammenfassend Fritsch/Wein/Ewers 1993, S. 269-278 und ausführlich Mueller 1989).83 Eigennützige Wähler entscheiden bei politischen Themen nach ihrem eigenen Nutzen, nicht aber anhand des Kriteriums der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt. Insofern sind sie zwar auch an einer optimalen Allokation der Produktionsfaktoren und Güter interessiert, fragen aber darüber hinaus, wie die erzeugten Güter auf sie und andere verteilt werden. Der Verteilungsaspekt ist sogar der entscheidende, denn dem Wähler nützt es nichts, zwar mit Hilfe seiner Stimmabgabe eine bessere Allokation durchzusetzen und selbst aber bei der Verteilung schlechter als bisher dazustehen. Falls die anderen Akteure keinen Einfluß auf die Entscheidungen der Wähler nehmen wollen oder können, kommt es auf die Mehrheit der Wähler bei allen staatlichen Entscheidungen an, und die Mehrheit hat dabei ihren persönlichen Vorteil und nicht unbedingt den der Gesellschaft im Auge. Man kann allerdings nicht davon ausgehen, daß sich die Wähler filr alle Fragen des politischen Lebens im hohen Maße interessieren; im Gegenteil, es wird nur wenige, für die Wähler existentielle Punkte geben, bei denen sich ein Engagement aufgrund der vielfach hohen Informationskosten lohnt. Nur bei diesen Fragen wird vermutlich der Einfluß der Wähler bedeutend sein.
83 Unabhängig von der "Verzerrung" durch eigennütziger Akteure dürfte die Bereitstellung der Zivilrechtsordnung erfolgen, denn die staatlichen Entscheidungsträger können durch die Umsetzung der Rechtsordnung kaum eigene Vorteile erzielen.
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Welche Auswirkungen haben eigennützige Wähler auf die Auswahl und Gestaltung staatliche Eingriffe zur Sicherung hoher Qualität? Nur wenn es sich bei der Qualitätsregulierung im allgemeinen oder filr ein bestimmtes Produkt im besonderen um ein für die Wähler bedeutsames, d.h. mit hohem potentiellen Nutzen und/oder niedrigen Informationskosten verbundenes Thema handelt, ist überhaupt eine Einflußnahme der Wähler in nennenswertem Umfang zu erwarten (wenn nein, entscheiden die anderen Akteure "Politiker, Bürokraten und Interessengruppen" weitestgehend autonom). Unter dieser Voraussetzung werden die Instrumente "erleichterter Informationsaustausch", "staatliche lnformationsbereitstellung" und "verschärfte Haftung" eher eine Nebenrolle spielen: Diese Maßnahmen wirken auf die einzelnen Märkte insofern sehr unspezifisch, als mit ihnen die sich durch den Markt selbst ergebende Verteilung kaum zu ihren Gunsten verändert wird; für den Wähler ist daher der Nutzen dieser Maßnahmen begrenzt. Eine Regulierung der Produktqua)ität, welche die Wähler entscheiden, kann die Wirkung haben, daß ein zu hohes Niveau der Mindestqualität vorgeschrieben wird: Da politische Entscheidungen von den Konsumenten aufgrund ihres überwältigenden Bevölkerungsanteils dominiert werden, setzen sie sich bei Abstimmungen mit ihren Vorstellungen durch; da man nicht davon ausgehen kann, daß die Präferenzen hinsichtlich des Mindestqualitätsniveaus homogen sind, wird die Mehrheit innerhalb der Gruppe der Konsumenten ein relativ hohes Niveau fordern und sich durchsetzen mit der Folge, daß die Minderheit der Nachfrager durch ein zu hohes Qualitätsniveau benachteiligt wird. Insofern ist mit größter Wahrscheinlichkeit ein zu hohes Niveau hinsichtlich der Mindestqualität zu erwarten, wenn es sich um Güter wesentlicher Bedeutung für den Wähler handelt. Pflichttransaktionen sind dagegen mit allokationstheoretischen Argumenten nur sehr schwer und nur in eng umgrenzten Fällen begründbar; sie bieten sich filr die Mehrheit der Wähler allerdings als Mittel zur Umverteilung an, was beispielsweise auch in den Sozialversicherungszweigen zu beobachten ist. Insofern ist zu vermuten, daß die Einführung von Pflichttransaktionen mit verteilungspolitischem Einschlag auch im Bereich der Qualitätsregulierung von der Wählermehrheit gefordert werden. Geht man von eigennützigen Politikern aus, steht bei ihnen, analog zum Ziel der Gewinnmaximierung bei Unternehmen, im Vordergrund, die Wählerstimmen zu maximieren, um die Regierung zu übernehmen und dann den eigenen Interessen zu folgen. Aus dem Ziel der Stimmenmaximierung folgt, daß die Politiker nach Maßnahmen suchen, die wenige Wählerstimmen kosten, aber viele Stimmengewinne nach sich ziehen. Ein solches Verhalten der Politiker wird auch dadurch erleichtert, daß die Wähler die Politiker kaum kontrollieren können: In der Regel besteht eine Informationsasymmetrie zuungunsten der Wähler, da diese nicht über das Insiderwissen der Politiker verfUgen und daher die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen bzw. Handlungsalternativen wesentlich
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schwerer beurteilen können. Deshalb wäre es für den Wähler sehr teuer, wenn nicht sogar unmöglich, vor dem Wahltag die Wahlprograrrune im Detail zu analysieren und die Politiker nachher im Hinblick auf die gemachten Versprechungen zu kontrollieren. Aufgrund derartiger Informationsasymmetrien wird sich der Wähler bei seiner Entscheidung auf die von ihm als wichtig angesehenen Themen konzentrieren. In der Regel sind dies solche Themen, die ihn besonders stark (negativ oder positiv) betreffen oder die er aufgrund seiner beruflichen oder privaten Situation besonders gut kennt (niedrige Informationskosten; siehe oben). Diese Informationsstruktur können sich die Politiker zunutze machen, indem sie Progranune entwerfen, die möglichst viele gut informierte Wähler begünstigen und die Lasten jenen Wählern aufbürden, welche die Implikationen der Programme nur unzureichend durchschauen. Welche Konsequenzen ergeben sich für die Qualitätsregulierung, wenn man von eigennützigen Politikern als dem bestimmenden Faktor ausgeht? Die staatlichen Instrumente des "erleichterten Informationsaustausches", der "Informationsbereitstellung" und der "verschärften Haftung" eignen sich kaum, um bestimmte Wählergruppen einseitig zu begünstigen: Die Vielzahl der Konsumenten ziehen aus diesen Maßnahmen zwar einen Vorteil, der aber eher unmerklich ist und daher kaum die Wahlchancen erhöht; auf der Seite der Produzenten begünstigen diese Maßnahmen zwar die qualitativ hochwertigen Anbieter und benachteiligen die schlechteren Wettbewerber; die Begünstigung der hochwertigen Anbieter ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, denn höhere Qualität ist meistens auch mit höheren Kosten verbunden, so daß "real" für diese Anbietergruppe kein bedeutender Vorteil übrig bleibt. Alle drei Maßnahmen weisen also aus der Sicht des eigennützigen Politikers kaum Vorteile auf. Ein völlig anderes Bild ergibt die Regulierung, die sich auf den Aufbau subjektiver Marktzugangsbeschränkungen konzentriert. Unter der Voraussetzung, daß subjektive Marktzugangsbeschränkungen als Nebeneffekt den Zufluß neuer Konkurrenten behindern, steigen die Preise und Gewinne, folglich haben die bisherigen Anbieter, die ja bereits in der Vergangenheit den Marktzutritt geschafft haben, einen großen Vorteil aus dieser Regulierung; sie "fragen" deshalb einen solchen Eingriff bei den (eigennützigen) Politikern "nach". Für die Politiker ist ein solches Angebot ebenfalls vorteilhaft: Die etablierten Anbieter sind aus den genannten Gründen besonders interessiert und werden gegebenenfalls diese Politik durch Wählerstimmen, Wahlspenden etc. massiv unterstützen; die benachteiligten Konsumenten haben große Schwierigkeiten eine begründete subjektive Marktzutrittsbeschränkung von einer unbegründeten zu unterscheiden, und der Informationsanreiz ihrerseits ist gering, denn die auf den Einzelnen zukommenden Nachteile in Form einer zu hohen Qualität und zu hoher Preise sind vernachlässigenswert, nicht jedoch die Summe der Nachteile bei allen Betroffenen. Für den stimmenmaximierenden Politiker ist es 13 Wein
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daher lohnend, den Marktzugang anband subjektiver Kriterien über das aus Sicht der Qualitätsunkenntnis erforderliche Maß hinaus zu beschränken. An einer laufenden Qualitätskontrolle im Rahmen der Regulierung der Produktqualität und an der Einführung von Pflichttransaktionen ist den etablierten Anbietern weniger gelegen, da sich für sie kaum Vorteile (u.U. abnehmender interner Konkurrenzdruck), aber deutliche Nachteile (Kontrahierungszwang, Preis- und Qualitätskontrollen) einstellen. Allein aus dem stimmenmaximierenden Kalkül der Politiker lassen sich solche Maßnahmen also nicht begründen. Eigennützige Bürokraten streben nach einer Budgetmaximierung (unter den von den Politikern auferlegten Restriktionen), wenn der Nutzen der Bürokraten mit dem auf ihren Zuständigkeitsbereich entfallenden Budgetvolumen ansteigt. Begründet wird die Annahme einer positiven Beziehung zwischen dem Budgetvolumen und dem Nutzenniveau der betroffenen Bürokraten mit dem höheren Prestige und dem stärkeren Einfluß großer Bürokratien. Darüber hinaus ist häufig auch das Einkommen des Leiters einer Behörde positiv mit der Größe des ihm unterstellten Apparates (= Anzahl der Untergebenen) verknüpft. Ein weiterer Anreiz zur Budgetmaximierung ergibt sich daraus, daß die Aufstiegschancen der bereits Eingesessenen bei einer Ausweitung der Bürokratie ansteigen. Stellt eine staatliche Institution selbst bestimmte Güter her, die aus dem Staatshaushalt finanziert werden, so legt die Eigennutzhypothese die Vermutung nahe, daß sie als Umsatzmaximierer handelt, da Gewinne nicht direkt in Gehälter umsetzbar sind; ein höherer Umsatz geht wieder mit einem größeren Behördenapparat einher.
Wenn ein eigennutzorientierter Bürokrat die verschiedenen Ansatzpunkte für eine Qualitätsregulierung Revue passieren läßt, ist zu vermuten, daß sein Hauptaugenmerk auf die Regulierung der Produktqualität, insbesondere auf die laufende Qualitätskontrolle und auf die Pflichttransaktionen flillt. Der Tätigkeitsbereich der Bürokratie bei den Instrumenten "erleichteter Informationsaustausch", "staatliche Informationsbereitstellung" bzw. "Haftungsverschärfung" ist begrenzt; die Haftungsverschärfung erfordert nur die Erarbeitung eines erweiterten gesetzlichen Rahmens sowie den begrenzten Ausbau der Gerichtsbarkeit, und im Falle des erleichterten Informationsaustausches sind in der Regel die Aufgaben bzw. Einflußmöglichkeiten der Bürokratie sehr gering. Die Informationsbereitstellung kann zwar auch auf die Mithilfe der Bürokraten angewiesen sein, vielfach beschränkt sich der Staat aber auf die finanzielle Unterstützung privater Organisationen. Qualitative Marktzugangsbeschränkungen bieten der Bürokratie weitaus höhere Einflußmöglichkeiten als bei den bereits beschriebenen Instrumenten: Der Staat in Gestalt der Bürokratie hat in diesem Falle die durchaus personalintensive Aufgabe, die Fähigkeiten jedes einzelnen Anbieters zu prüfen. Im Vergleich zu der Personalintensität, die eine
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laufende Qualitätskontrolle bzw. eine Regulierung im Rahmen der Pflichttransaktion erfordert, ist der Personalbedarf und damit die Größe des Budgets noch moderat. Insofern werden sich eigennützige Bürokraten fllr die laufende Qualitätskontrolle und die Pflichttransaktion einsetzen, wenn ihnen die Politiker (und indirekt die Wähler) keine anderslautenden Vorgaben machen. Die Interessenverbände stellen ebenfalls eine bedeutende Gruppe von Akteuren dar, die mit Hilfe staatlicher Maßnahmen nach ihrem eigenen Nutzen trachten. Für die Politiker und die Bürokratie besteht ein wesentlicher Vorteil in der Existenz von Interessenverbänden darin, daß diese Organisationen Informationen bereitstellen, und so die staatliche Informationsbeschaffung erheblich vereinfachen. Besitzt eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe eine organisierte Interessenvertretung, so muß man sich häufig nur mit einem oder mit einigen wenigen Ansprechpartnern austauschen, um ein zutreffendes Bild zu erlangen. Nicht unwichtig ist in diesem Zusammenhang auch der interne Interessenausgleich bzw. die Kompromißbildung, den solche Organisationen vielfach leisten. Sofern die BündeJung der Interessen innerhalb eines Verbandes mit der Vereinbarung einer "gemeinsamen Linie" verbunden ist, müssen sich Politiker und staatliche Bürokratie nicht mit einer Unzahl kleiner Interessengruppen auseinandersetzen.s4 Allerdings ist nicht damit zu rechnen, daß die Informationen, die eine Interessenvertretung den Politikern und/oder der Administration zur Verfugung stellt bzw. mit denen sie fllr ihren Standpunkt wirbt, objektiv sind. Die zu erwartende Verzerrung der durch Interessenverbände bereitgestellten Informationen wäre dann relativ unproblematisch, wenn sämtliche relevanten gesellschaftlichen Gruppen bzw. Interessen in ähnlichem Maße organisiert wären und die entsprechenden Präferenzen deshalb im politischen Prozeß gleichermaßen zum Ausdruck kommen könnten. In der wirtschaftspolitischen Praxis ist dies allerdings vielfach nicht der Fall, wofiir folgende Gründe sprechen: - Verbände mit Pflichtmitgliedschaft verfUgen im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Gruppen über einen erheblichen Vorteil, da die Mitglieder staatlicherseits zur Organisation ihrer Interessen gezwungen sind und in finanzieller Hinsicht die Organisationskosten tragen müssen.
84 Darüber hinaus können Interessenverbände den Staat entlasten, indem sie bestimmte Regulierungen des Wirtschaftsgeschehens weitgehend in eigener Regie durchftlhren. Beispielsweise werden viele Bereiche der berufsnahen Ausbildung (etwa die Abnahme von Prüfungen, die Erarbeitung und Festlegung von Ausbildungsinhalten) weitgehend autonom von solchen Verbänden geregelt (vgl. Abschnitt 3.5.1).
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- Kleinere Gruppen können sich leichter organisieren als große, denn mit steigender Zahl der Gruppenmitglieder wird die Kommunikation der Mitglieder untereinander aufwendiger. - In kleinen Gruppen ist für die anderen Mitglieder eine Nichtleistung des Gruppenbeitrags relativ leicht erkennbar und durch sozialen Druck eher als in großen sanktionierbar. - Die Wahrscheinlichkeit filr homogene Präferenzen innerhalb der betreffenden Gruppe und damit filr ein Kompromiß hinsichtlich des Gruppenziels nimmt mit fallender Größe zu. Im Hinblick auf die Qualitätsregulierung läßt sich vermuten, daß sich die Interessen der Konsumenten kaum und die der Produzenten aufgrund der besseren Organisierbarkeit (Pflichtmitgliedschaft, kleine überschaubare Gruppen, Interessenhomogenität) in erheblichen Maße in festen Gruppen widerspiegeln. Wie ich bereits bei den Interessen eigennütziger Politiker gezeigt habe, stellen sich die Politiker am besten, wenn sie den Wünschen der Produzenten hinsichtlich einer Regulierung in Form einer subjektiven Marktzugangsbeschränkung nachkommen. Daher werden die Produzenteninteressengruppen vorrangig an diesem Punkt ansetzen; sollte sich die Bürokratie im Hinblick auf ihre Vorliebe mit der laufenden Qualitätskontrolle und der Pflichttransaktionen im politischen Prozeß durchsetzen, wird die Interessengruppe der Produzenten alles daran setzen, die Bürokratie in jene Bahnen zu lenken, die auch im Interesse der Produzenten liegen. Die Analyse der verschiedenen Akteure unter der Annahme eigennützigen Verhaltens zeigt insgesamt eine Schlagseitigkeit hin zu staatlichen Eingriffen mit steigender Eingriffsintensität: Alle relevanten, d.h. in der Frage der Qualitätsregulierung sich wahrscheinlich durchsetzenden Akteure (Mehrheit der Wähler, gewählte Politiker, filr die Frage der Qualitätsregulierung zuständige Bürokratie und die Interessengruppe "Produzenten") präferieren eine Regulierung der Produktqualität und die Einfilhrung von Pflichttransaktionen, ohne die Frage der Notwendigkeit dieser Regulierung bzw. milderer staatlicher Mittel (ausreichend) in Betracht zu ziehen. M.a.W.; im laufenden politischen Prozeß ist einer Schlagseitigkeit zu einem Zuviel an Qualitätsregulierung zu erwarten. 3.4.5.1.2 Die Ebene des Grundkonsens Die beschriebenen Einflußmöglichkeiten der eigennützigen Akteure bezogen sich auf den laufenden politischen Prozeß (vgl. hierzu Frey 1981, S. 10 f.),
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indem in der Regel mit einfacher Mehrheit unter dem Bewußtsein jedes Einzelnen hinsichtlich der individuellen Betroffenheit über die Qualitätsregulierung entschieden wird; in diesem Rahmen sind die geschilderten Abweichungen geradezu unvermeidlich (so auch allgemein Frey 1993, S. 57). Wenn man also andere Ergebnisse im laufenden politischen Prozeß erzeugen will, muß man die Frage der geeigneten Qualitätsregulierung vor dem Hintergrund anderer, eher zur Begrenzung des Eigennutzes geeigneter Regeln und Institutionen diskutieren, wobei diese Abwägung auf der Ebene des Grundkonsens erfolgen sollte und die Neuregelung in der Verfassung festgeschrieben werden muß (vgl. zusammenfassend Frey 1993, S. 57-61). Drei Merkmale kennzeichnen nach Frey (1981, S. 9 f. und S. 22-33) die Ebene des Grundkonsens: - Nur grundsätzliche Fragen ohne tagespolitischen Bezug bzw. ohne kurzfristigem Interesse sind Gegenstand der Diskussion. - Die Individuen entscheiden unter Ungewißheit, wie die einzelne Maßnahme auf sie oder ihre Nachkommen zurückwirkt ("Schleier der Unwissenheit" nach Rawls). - Entscheidungen fallen einstimmig (Freiwilligkeitsprinzip), so daß man keinen Akteur benachteiligen kann. Die Forderung nach Einstimmigkeit verhindert zwar, daß eine Mißachtung bestimmter Gruppen oder Individuen eintritt, wie sie im laufenden Prozeß geradezu zwangsläufig ist. In aller Regel fiihrt aber diese Forderung zu einem sehr umständlichen und kostenträchtigen Verfahren, insbesondere weil jede Maßnahme Verlierer und Gewinner induzieren wird. Für viele Fragen wird es daher kaum möglich sein, Einstimmigkeit zu erzielen. Ein Ausweg könnte darin bestehen, ein zweistufiges kollektives Entscheidungsverfahren zu organisieren (vgl. zusammenfassend Blankart/Stoetzer 1991, S. 165 f.): Aufder Ebene des Grundkonsens wird mit Einstimmigkeit bestimmt, welche Regeln auf der Ebene des laufenden politischen Prozesses in welcher Frage Anwendung finden sollen. Dazu gehört natürlich auch, inwieweit ein bestimmter Bereich überhaupt durch die Politik (Wahlen, Bürokratie, Interessengruppen) (mit)beeinflußt werden soll. Diese Regeln müssen dann in der Verfassung festgeschrieben werden, um sie vor einer Aushöhlung durch den laufenden politischen Prozeß zu schützen. Reformen der Verfassung, die aus vielerlei Gründen, z.B. veränderten Rahmenbedingungen, notwendig werden können, bedürfen dann wieder der Einstimmigkeit.
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Da also auf der Ebene des Grundkonsens nur über Regeln und Institutionen entschieden wird, bleiben tagespolitische bzw. kurzfristige Fragen außerhalb der Diskussion. Gegen dieses Konzept der kollektiven Enscheidungsfindung wird vielfach eingewandt, daß trotz der Beschränkung auf den Regelkonsens keine einstimmigen Entscheidungen zustande kommen dürften, denn jeder Einzelne könne die Wirkung der Regel auf seine Wohlfahrt voraussehen, so daß die Verlierer nicht zustimmen würden. Eine Möglichkeit, diesem Problem zu entkommen, besteht darin, die Individuen unter dem Zustand der Ungewißheit entscheiden zulassen ("Schleier der Unwissenheit/veil of ignorance"; vgl. zusammenfassend Kirsch 1993, S. 128-131 und Frey 1993, 58 f.). Unter der Annahme der Ungewißheit wissen die einzelnen Individuen nicht, in welcher Lage sie oder ihre Nachkommen in der Zukunft sich befinden werden; u.U. sind sie sich sogar über ihre zukünftigen Präferenzen nicht im klaren. Insofern werden sie die zu vereinbarenden Regeln weniger unter dem Blickwinkel ihrer gegenwärtigen Interessen betrachten, sondern ein gewisses Maß an "Objektivität" an den Tag legen. Einstimmigkeit über die Verfassungsregeln und Institutionen wird wahrscheinlicher. Es ist jedoch sehr fraglich, ob diese weitgehende Form der Ungewißheit in realen Verfassungsdiskussionen tatsächlich erreichbar ist. Um trotzdem das Postulat der Einstimmigkeit erfUllen zu können, sind zwei Alternativen denkbar: - Hebt man die implizite Annahme auf, daß in der Verfassungsdiskussion nur ein Thema diskutiert wird, und geht stattdessen von einer Mehrdimensionalität aus, kann die Wahrscheinlichkeit fUr einstimmige Entscheidungen zunehmen ("sich überschneidende Kriterienlcross-cutting cleavages"; vgl. hierzu Kirsch 1993, S. 131-136): Sind fUr ein Individuum mehrere Fragen relevant und kann er nicht erwarten, daß er in allen Fragen auf Seiten der Mehrheit steht, muß er Kompromisse hinsichtlich der Verfassungsregeln eingehen, um überhaupt die Vorteile aus der Verfassung realisieren zu können. Einstimmigkeit ist erreichbar, auch ohne die problematische Annahme der Ungewißheit hinnehmen zu müssen. - Statt die Gesamtheit der Individuen die kostenträchtige Diskussion auf der Ebene des Grundkonsens fUhren zu lassen, könnte man nach von Hayek zwei verschiedene Parlamente, die Regierungsversammlung und die legislative Versammlung, wählen lassen (vgl. von Hayek 1969, S. 199-205 sowie zusammenfassend Blankart/Stoetzer 1991, S. 168 f. und Hoppmann 1993, S. 24-26): Die legislative Versammlung ist ausschließlich dafiir da, die grundlegenden Gesetze, die den individuellen Freiheitsspielraum schützen und die Grenzen des Staates bestimmen, zu beschließen. Durch das fUr diese Kam-
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mergeltende besondere Wahlverfahren, z.B. daß die Altersgruppe zwischen 40 und 55 Jahre einmal in ihrem Leben aus ihrer Gruppe heraus nicht wiederwählbare Repräsentaten filr eine 15-jährige Amtszeit wählen darf, wird letztendlich nichts anderes versucht, als Vertreter zu bestimmen, die aufgrund der fehlenden Wiederwählbarkeit sich der tagespolitischen Diskussionen entziehen können und aufgrund der "geringen Restlebenszeit" ihre gegenwärtigen Interessen weniger beachten. M.a.W.: Das besondere Wahlverfahren soll ein Entscheidungsverhalten erzeugen, wie man es unter dem Zustand der Ungewißheit erwarten würde. Die Regierungsversammlung mit dem üblichen parlamentarischen Wahlverfahren soll diese Gesetze ausfUhren, indem sie die Exekutive bestimmt. Die Diskussion zeigt, daß Möglichkeiten bestehen, auf der Ebene des Grundkonsens Einstimmigkeit über die Einführung neuer Regeln und Institutionen herbeizufilhren, diese in der Verfassung zu verankern und damit das Ergebnis des laufenden politischen Prozesses zu steuern. Für den Bereich der Qualitätsregulierung wären folgende Regeln denkbar, um die Freiheitsspielräume der eigennützigen Akteure zu begrenzen: - In einem bestimmten Bereich (z.B. Handwerker, Ärzte, Anwälte) verläßt man sich völlig auf die marktliehen Lösungsmöglichkeiten und läßt deshalb keine Regulierung zu. - Nur der Staat, nicht aber Interessengruppen dürfen regulierend eingreifen. - Bestimmte staatliche Maßnahmen der Qualitätsregulierung mit großen politökonomischen Kosten bleiben gänzlich ausgeschlossen (z.B. wäre die Regel denkbar, daß subjektive Marktzugangsbeschränkungen in einer bestimmten Branche nicht zugelassen sind, denn sie können leicht zum Ausschluß unliebsamer Konkurrenz mißbraucht werden). - Die Kompetenzen der Bürokratie werden beschränkt (z.B.: Die Bürokratie darf allerhöchstens Standards setzen oder qualitative Marktzugangsbeschränkungen anordnen, nicht jedoch eine laufende Qualitätskontrolle einführen). - Gesonderte Entscheidungsverfahren sind einzuhalten (das ob und wie einer laufenden Qualitätskontrolle wird von einer Behörde getroffen, die Ausfilhrung von einer anderen übernommen). All diese Regeln erlauben es, den Nutzen einer Qualitätsregulierung zu realisieren, ohne die sich im laufenden politischen Prozeß beinahe automatisch ergebenden Folgen hinnehmen zu müssen. Über diese einfachen Regeln kann
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man auf der Ebene des Grundkonsens einstimmig entscheiden, wenn sich die Individuen in den Zustand der Unwissenheit hinein versetzen können, wenn die Frage der Qualitätsregulierung eine von mehreren diskutierten Verfassungsfragen darstellt und dabei die Individuen aufgrund sich überschneidender Kriterien sich selbst zum Kompromiß zwingen oder wenn man auch diese Entscheidung einer legislativen Kammer nach von Hayek überträgt. 3.4.5.2 Folgen für die Regulierung der Rechtsanwälte Welchen Einfluß hat die Existenz eigennütziger Akteure auf die Regulierung der Anwaltschaft? Im Falle einer staatlichen Entscheidung über das Gut "Rechtsberatung" stammt die erdrückende Anzahl der Wähler von der Nachfrage (Mandanten-)seite, denn die Anzahl der Anwälte (ca. 56 000 im Jahre 1990; Deregulierungskommission 1991, Tz. 429) und deren Angehörigen sowie vergleichbarer verwandter Berufe wie Richter, Staatsanwälte etc. und deren Angehörigen (die beiden zuletzt genannten Gruppen haben vennutlich die gleichen oder ähnliche Interessen wie die Anwälte) ist im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sehr gering. Allerdings ist sehr fraglich, ob die Mehrheit der Wähler ein großes Interesse an der Anwaltsregulierung zeigen wird: Für den durchschnittlichen Wähler ist die Leistung des Anwalts nur selten von Bedeutung (potentiell geringer Nutzen einer mandantenfreundlichen Anwaltsregulierung), und er müßte hohe Infonnationskosten über die Vor- und Nachteile der einzelnen Möglichkeiten der Qualitätsregulierung der Anwälte aufwenden (z.B. was sind die unbedingt erforderlichen Mindestqualifikationen, die man beim Marktzutritt von einem Anwalt verlangen sollte?). Beide Faktoren lassen vermuten, daß die Wähler ihre Einflußmöglichkeit über politische Abstimmungen zum Thema "Anwaltsregulierung" kaum wahrnehmen werden. Sollte in Ausnahmetallen dieser Themenkomplex eine hohe tagespolitische Relevanz annehmen, beispielsweise nach Aufdeckung eklatanter Mißstände, wird die Mandantenmehrheit alle Maßnahmen präferieren, die sie begünstigen: Der erleichterte Infonnationsaustausch, die staatliche Infonnationsbereitstellung und die verschärfte Haftung verbessern sicherlich die Marktstellung gegenüber den Anwälten bzw. vennindern das Ausmaß an Qualitätsunkenntnis im Anwaltsmarkt, insofern werden die Wähler diese Maßnahmen nicht ablehnen. Allerdings wäre vennutlich eine Regulierung der Produktqualität, die auf einfache und kostengünstige Weise von der Mehrheit der Wähler bzw. der Mandanten nicht gewünschte Qualität ausschließt, filr die Mehrheit mit einem höheren, aufgrund der weitaus höheren Zielgerichtheit und Schnelligkeit des Eingriffes, Nutzen verbunden; die Minderheit würde in diesem Ausnahmefall gegen ihren Willen zu einer höheren Qualität (und zu höheren Kosten in Fonn überhöhter Honorare) genötigt. In der Regel wird seitens der Wähler freilich ein Desinteresse an
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den Fragen der Anwaltsregulierung bestehen, so daß für die Ausgestaltung der Qualitätsregulierung in diesem speziellen Markt die anderen kollektiven Akteure einen weitaus höheren Einfluß haben dürften. Die eigennützigen Politiker können sich die auf der Ebene der Mandanten bestehenden geringen Anreize, die Konsequenzen der Anwaltsregulierung zu durchdenken, zu Nutze machen: Sie erlassen Maßnahmen, welche die kleine Gruppe der Anwälte eindeutig begünstigen und den Mandanten die Nachteile unmerklich anlasten: Subjektive Marktzugangsbeschränkungen mit dem Nebeneffekt, den Marktzutritt über Gebühr zu erschweren, eignen sich in dieser Hinsicht hervorragend, da sie die etablierten Anwälte eindeutig bevorteilen und die Nachteile wie überhöhte Honorare oder schlechte Qualität weitgehend unbemerkt auf die Vielzahl der Mandanten verteilen können. Es ergibt sich also die Erwartung, daß die Interessen der eigennützigen Politiker eine intensiv ausgeübte, subjektive Kontrolle des Marktzugangs in den Vordergrund bringen, die sich in Richtung einer objektiven, die Anzahl der Anbieter begrenzenden Marktzugangsbeschränkungen entwickelt wird. 85 Aufgrund der hohen Personalintensität, die für eine adäquate laufende Qualitätskontrolle oder umfassende Pflichttransaktionen in Form der Verbeamtung der Anwälte erforderlich ist, und der sich daraus ergebenden Tendenz zur Budgetausweitung haben die Bürokraten eine Präferenz für diese beiden Regulierungsformen. Ob sich diese Tendenz durchsetzen kann, ist von der Überwachungsmöglichkeit der Politiker und dem Interesse an Überwachung seitens der Wähler abhängig; je größer die Autonomie der Bürokratie, um so umfassender wird die laufende Qualitätskontrolle bzw. die Pflichttransaktion ausgestaltet. Die staatliche Informationsbereitstellung wird vermutlich an private Institutionen übertragen, so daß sich die Bürokratie durch diese Maßnahme kaum ausweiten kann.
"' Eine solche Tendenz ist aktuell in Deutschland weniger bei den Anwälten als bei den Medizinern zu beobachten. Ursächlich ftlr den in Deutschland beschränkten Gebrauch subjektiver Marktzugangsbeschränkungen als Mittel zur Begrenzung der Außenseiterkonkurrenz ist vermutlich die Existenz des Bundesverfassungsgerichts: Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit, Marktzugangsbeschränkungen vor dem im Art. 12 GG festgelegten Grundsatz der Berufsfreiheit auf ihre Angemessenheil hin zu überprüfen; nur bei der Gefahr der Verletzung überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter ist das Gericht bereit, den Übergang von subjektive zu objektiven Marktzugangsbeschränkungen zu tolerieren (vgl. Breuer 1989, S. 969-1000). Insofern stellen die Existenz des Bundesverfassungsgerichts und der Art. 12 GG Paradebeispiele ftlr Lösungsmöglichkeiten auf der Ebene des Grundkonsens dar, wie man die Einflußmöglichkeiten eigennützigen Akteure wirksam begrenzen kann.
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Als letzten Akteur in diesem Entscheidungsprozeß sollte man auf die Einflußmöglichkeiten von Interessengruppen verweisen. Im Anwaltsmarkt ist mit großer Sicherheit zu vermuten, daß es den Anwälten im Gegensatz zu den Mandanten sehr leicht fallt, ihre Interessen zu bündeln und sie in die Entscheidungsprozesse der Bürokraten und Politiker bestimmend einzuftlhren: Die Interessen der Anwälte sind relativ homogen, zumindest in kleineren lokalen Märkten ist die Anzahl der Anbieter überschaubar, die Politiker bzw. Bürokraten sind in der Umsetzung der Regulierung nicht zum unerheblichen Teil auf das ausschließlich bei den Anwälten vorhandene Wissen angewiesen (z.B. welche Qualifikationen sind erforderlich?) und in Deutschland besteht der Vorteil, daß die Anwälte in der Anwaltskammer Mitglied werden müssen; insbesondere letzterer Punkt deutet auf einen wesentlichen Vorteil der Anbieterseite hin. Die Mandanten sind dagegen vielzählig, haben häufig divergierende Interessen und benötigen nur in unregelmäßigen Abständen einen Anwalt; insofern besteht ftlr die Mandanten kaum eine Chance, eine Interessengruppe zu bilden, die im politischen Entscheidungsprozeß ihre Belange artikulieren und durchsetzen könnte. Die berurchtete Schlagseitigkeit tritt ein, so daß es den Anwälten relativ leicht fallen dürfte, die eigennützigen Interessen der Politiker und Bürokraten im Hinblick auf die Qualitätsregulierung zu nutzen: Sie setzen bei den Politikern die ftlr sie günstigen, überzogenen subjektiven Marktrugangsbeschränkungen durch und einigen sich mit der Bürokratie auf eine laufende Qualitätsregulierung, die beiden Parteien dient; energischen Widerstand leisten sie gegen Pflichttransaktionen in Form einer Verbeamtung, da eine solche Maßnahme die Existenzberechtigung des gesamten Standes in Frage stellt. Als Ergebnis des laufenden politischen Prozesses muß man erstens erwarten, daß bei der Anwaltsregulierung die Interessen der überwiegenden Anzahl der Wähler, die das Potential an Mandanten darstellen, mißachtet werden. Wenn wider Erwarten der Anwaltsregulierung zeitweise eine hohe Aufmerksamkeit zu kommt, ergibt sich eine Tendenz zur Regulierung der Mindestqualität auf einem Niveau, bei dem die Minderheit zu einer zu hohen Qualität gezwungen wird. In der Regel werden aber die Politiker, Bürokraten und die Interessengruppe der Anwälte eine Regulierung der anwaltliehen Qualität durchsetzen, die ihre Belange wahrt. Instrumentell eignet sich hierfiir die Einfiihrung der subjektiven Marktzugangsbeschränkung und der laufenden Qualitätskontrolle, die jedoch in ihrer Ausgestaltung über das erforderliche Maß hinausgehen. Der Ausweg aus diesen drohenden Fehlentwicklungen liegt darin, daß man auf der Ebene des Grundkonsens über die im Anwaltsmarkt geltenden Regeln und geeigneten Institutionen entscheidet, z.B. in dem man folgende Fragen beantwortet:
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- Soll der Markt allein das Problem ungleicher Information lösen, oder soll es eine staatliche Regulierung des Marktes fur Rechtsanwaltsdienstleistungen geben? - Welche staatlichen Entscheidungsträger sollen die Ausgestaltung der Regulierung entwerfen und überwachen: Die staatliche Bürokratie oder die Interessenvertretung der Anwälte? - Wenn eine Qualitätsregulierung als erforderlich angesehen wird, werden alle denkbaren Maßnahmen zugelassen oder sollte man bestimmte von vornherein ausschließen? - Soll die Frage, ob die geeigneten Instrumente durch die Bürokratie eingesetzt werden, von einer anderen bürokratischen Institution, die des Verfassungsgerichts, jederzeit Oberprüfbar sein? Vorteil einer derartigen Lösung im Rahmen des Grundkonsens ist, daß die Möglichkeit besteht, bestimmte Lösungen mit zweifelhaftem Nutzen hinsichtlich des Problems ungleich verteilter Information, aber vermutlich hohen ökonomischen und polit-ökonomischen Kosten ganz auszuschließen, einen wirksamen Minderheitenschutz einzubauen, die Interessenwahrnehmung der Bürokraten und anwaltliehen Interessengruppen zu erschweren oder institutionelle Sicherungsmöglichkeiten, wie z.B. die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts, vorzunehmen. All diese Varianten erschweren das eigennützige Verhalten der Akteure und begünstigen das Ziel der Wohlfahrtsmaximierung bei einem staatlichen Eingriff. Diese Überlegungen sollen anband der folgenden Zusammenfassung weiter konkretisiert werden.
3.4. 6 Qualitätssicherung durch den Staat im Markt für Rechtsanwaltsdienstleistungen - Möglichkeiten und Gefahren auf der Ebene des Grundkonsens In die Abwägung, ob man dem Staat die Qualitäts·sicherung bei Rechtsanwälten Obertragen soll, müssen die Handlungsmöglichkeiten des Staates, die potentiellen Nachteile im Falle wohlfahrtsmaximierender Entscheidungsträger und die Gefahren mit eigennutzorientierten Akteuren einbezogen werden. Unter Beachtung dieser Aspekte wird der Bürger dazu in die Lage versetzt, Entscheidungen Ober die Notwendigkeit und Gestalt staatlicher Eingriffe in diesem Bereich fur die langfristige Ebene des Grundkonsens zu treffen.
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3 Ungleiche Infonnation
Unbestritten ist vermutlich, daß der Staat eine effiziente Rechtsordnung aufzubauen und aufrechtzuerhalten hat. Für das Problem ungleicher Information bei Anwälten bedeutet dies, vertragswidriges Verhalten im Falle von "hidden action" im Gesetz zu regeln und mit Hilfe der Gerichte zu sanktionieren; hinsichtlich der Sanktionierung hat der Staat gewisse Vorteile, da er auf spezielle Institutionen wie Polizei und Gerichtsvollzieher setzen kann. Die Eingriffsintensität des Staates ist hier gering, denn die Parteien haben im Rahmen der Vertragsfreiheit die Möglichkeit, andere Regelungen zu vereinbaren. Abweichungen politökonomischer Art sind bei diesem "Instrument" nicht zu befiirchten. Auf der Verfassungsebene wird man sich daher ohne Schwierigkeiten auf die Notwendigkeit einer effizienten Rechtsordnung einigen können. Eine staatliche Maßnahme leicht höherer Eingriffsintensität stellen alle Vorhaben zur Erleichterung des privaten Informationsaustausches dar. Im einzelnen kommen in Frage: Abbau unnötiger Beschränkungen, Verhinderung falscher Informationen, Standardisierung und Offenlegungspflicht. Zur Funktionsweise, zu den Vor- und Nachteilen sowie zu einer Bewertung dieser Instrumente vergleiche die Übersichten 6 und 7. Die Gefahr, daß eigennützige Wähler, Politiker, Bürokraten und Interessengruppen diese Eingriffsinstrumente vom wohlfahrtsökonomischen Zweck her entfernen und zu ihrem eigenen Nutzen einsetzen, ist nicht zu erwarten, denn zur Verfolgung eigennütziger Ziele sind sie kaum geeignet. Insofern sind auf der Ebene des Grundkonsens aus Sicht des Bürgers keine Notwendigkeiten fiir verfassungsrechtlichen Beschränkungen bezüglich der genannten Instrumente erkennbar. Die Maßnahmen zum erleichterten Informationsaustausch sind aus wohlfahrtsökonomischer Sicht relativ unproblematisch, wenn bestimmte Beschränkungen beachtet werden; allein die Offenlegungspflicht sollte man einer kritischen Prüfung unterziehen. Zu große Erwartung hinsichtlich der Möglichkeit, das Problem ungleicher Information zu Lasten der Mandanten mit diesen Instrumenten zu lösen, insbesondere weil allerhöchstens das Auswahlproblem dadurch angegangen wird, sollte man freilich nicht haben. Das Auftreten von positiven Extemalitäten wird es vermutlich verhindern, daß private Anbieter in Form von Informationsbrokern vergleichende Informationen über die Anwälte, die man leicht weitergeben kann, bereitstellen. Der Staat kann diese Lücke schließen, indem er über die Ex-ante-Qualifikation der Anwälte und deren bisheriges Ex-post-Verhalten zu Grenzkosten informiert; die nicht abgedeckten Kosten finanziert er aus allgemeinen Steuermitteln. Der Verwaltungsaufwand ist hierfiir hoch, und es ist fraglich, ob sich der Staat die erforderlichen Informationen beschaffen kann. Insofern sollte man vor der Einfiihrung eines solchen Instruments den Bedarf und die Möglichkeiten des Staates genau prüfen und bei Einfiihrung eine regelmäßige Wirkungsanalyse
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
Übersicht 6: Staatliche Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt Erleichterter Informationsaustausch I
Funktionsweise
Vorteile
Nachteile
Bewertung
Erleichterter InfonnationsaustauschAbbau staatlicher Beschränkungen
Erleichterter lnfonnationsaustausch - Keine falschen oder irreführenden Infonnationen
Soviel Markt wie möglieh, indem man alle staatliehen Beschränkungen des Infonnationsaustausches aufhebt.
Falsche oder irrefuhrende Infonnationen seitens der Anwaltschaft werden durch den Staat unterbunden.
Verbessert die Möglichkeiten des Marktes, ungleiche Infonnation zu überwinden; Infonnationserfordemisse an den Staat sind sehr niedrig.
Die Transparenz auf seiten der Mandanten erhöht sich, da falsche oder irrefuhrende Infonnationen zurückgedrängt werden.
Keine direkten Nachteile erkennbar, da Beschränkung der Handlungsfreiheit entfällt; benötigen jedoch Konsens über wirtschaftspolitisch gerechtfertigte Beschränkungen, z.B. Verbot von Imagewerbung.
Wenige Fakten sind objektiv als falsch oder irrefiihrend bewertbar; verdrängt juristisch angreifbare Tatsaeben, provoziert subjektive Angaben; Preisangaben sind schädlich; nur fur "hiddeninfonnation"-Problem geeignet.
Keine Probleme, wenn man andere wirtschaftspolitische Argumente berücksichtigt; fraglich Verbot der Jmagewerbung; allerdings geringer Nutzen.
Die zu erwartende Verbesserung des Infonnationsstandes bei den Mandanten wird eher begrenzt sein; kann sogar die Transparenz senken.
205
206
3 Ungleiche Information
Übersicht 7: Staatliche Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt Erleichterter Informationsaustausch II
Funktionsweise
Vorteile
Nachteile
Bewertung
Erleichterter InformationsaustauschAbbau staatlicher Beschränkungen
Erleichterter Informationsaustausch - Keine falschen oder irreführenden Informationen
Staat legt Mindestqualifikation für die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" fest, prüft das Vorhandensein dieser Qualität, läßt aber andere Anbieter unter anderem "Namen" zu.
Staat zwingt die Anwälte auch Informationen offenzulegen, die gegen sie sprechen: Schlechter Abschluß, hohes Honorar etc.
Überblick über die Exante-Qualität der Anwälte verbessert sich; überwindet Externalitäten bei der Erstellung der Standards, sichert Glaubwürdigkeit der Angaben und läßt Außenseiterkonkurrenz zu.
Mandanten erhalten mehr Informationen; Auswahlproblem verringert sich; insbesondere kann Mandant gravierende negative Konsequenzen voraussehen und daher durch seine eigene Entscheidung verhindern (Konsumentensouveränität bleibt).
Staat muß die von den meisten Mandanten geforderten Fähigkeiten kennen und in Prüfungen berücksichtigen können; keine Lösung von "hidden action".
Falsche staatliche Anforderungen diskriminieren ungerechtfertigt und führen langfristig zu unerwünschten Anpassungen; nur "hidden information".
Verbessert Informationsstand wesentlich, wenn Staat die von den meisten gewünschten Fähigkeiten kennt.
Schon eher problematisch, aber zumindest bei erheblichen negativen Konsequenzen erwägenswert.
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
207
verankern (vgl. Übersicht 8). Da der Staat meist die Informationserstellung auf private Institutionen überträgt, schwindet das Interesse seitens der Bürokratie an der Erhaltung einer solchen Leistung drastisch. Auf der Verfassungsebene Übersicht 8: Staatliche Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt Informationsbereitstellung und Regulierung der Transaktionen I Informationsbereitstellung und Informationsverbreitung Funktionsweise
Vorteile
Nachteile
Bewertung
Regulierung der Transaktion ISubjektive Marktzugangsbeschränkungen
Staat gibt vergleichende Informationen über die Fähigkeiten der Anwälte und deren Verhalten in der Vergangenheit zu Grenzkosten bekannt.
Staat beschränkt den Marktzugang, indem er nur Anwälte mit bestimmter Mindestqualifikation zuläßt; ein Angebot unterhalb dieses Niveaus ist nicht möglich.
Schließt aufgrund von pos. Extemalitäten bestehende Informationslücken; ungleiehe Information nimmt ab; keine politökonomischen Verzerrungen.
Auswahlproblem wird begrenzt: Uninformierte, von bedeutenden Nachteilen bedrohte und auf kleine lokale Märkte angewiesene Mandanten profitieren.
Was sind relevante Kriterien fiir Ex-post-Verhalten und Ex-ante-Qualität des Anwalts, wie mißt man beides, und wie kommt man zum Gesamturteil? Hoher Verwaltungsaufwand; Honorarvergleiche verschlimmem u.U. das Problem.
Möglicherweise werden von Mandanten gewünschte Qualifikationsstufen ausgeschlossen; Anforderungen können eigennützige Politiker überziehen, was zu hohe Honorare nach sich zieht; es wird nur das Auswahlproblem angegangen.
Es besteht zwar ein Marktversagen. Staat muß aber auch erhebliche Informationsanforderungen überwinden. Eine regelmäßige Wirkungsanalyse wäre angezeigt.
Sehr wirksames Instrument, nur fiir Auswahlproblem; Grundsatzentscheidung über Qualfikationsniveaus in der Verfassung; Minderheitenschutz fiir laufende Ebene
208
3 Ungleiche Information
reicht es als Gegengewicht vermutlich aus, die private Produktion von Informationen festzuschreiben und zwingend die Wirkungsanalyse als regelmäßige Prüfung bei einer unabhängigen Institution anzusiedeln; letzteres macht gegebenenfalls die Unsinnigkeit oder Vorteilhaftigkeit der Erstellung öffentlich, so daß im laufenden politischen Prozeß eine unverzerrte Entscheidung eher möglich wird. Die Qualitätsregulierung bei den Anwälten kann sich auf eine Regulierung der Produktqualität in Form einer subjektiven Marktzugangsbeschränkung oder auf eine laufende Qualitätskontrolle beziehen. Die subjektive Marktzugangsbeschränkung schneidet das Qualifikationsniveaus des unteren Randes ab, so daß fiir die Mandanten das Auswahlproblem zurückgeht und der Erwartungswert hinsichtlich des am Markt angebotenen Qualitätsniveau zunimmt. Letzteres mindert die Tendenz zur adversen Auslese, wie sie sich als Folge von "hidden information" durchaus ergeben könnte. Die Vor- und Nachteile der subjektiven Marktzugangsbeschränkung stehen und fallen mit der Frage, ob der Staat nur unerwünschte Qualität oder auch die von einigen Mandanten präferierte Qualität ausschließt. Überzogene Anforderungen fiihren zu Wohlfahrtsverlusten und errichten ungerechtfertigte Marktzutrittsschranken; letzteres schlägt sich dann z.B. in überhöhten Honoraren nieder. Die Interessengruppe der etablierten Anwälte fragen bei den Politikern eine solche Regulierungsform aufgrund der leicht erreichbaren Monopolvorteile, z.B. in Form der überhöhten Honorare, intensiv nach; fiir die Politiker ist ein Nachgeben lohnend, weil dadurch die Wählergruppe "Anwälte" deutlich begünstigt und alle anderen weitgehend unmerklich belastet werden. Um diese Verzerrungen zu verhindern, ist es daher fiir den Bürger sinnvoll, wenn er eine subjektive Marktzugangsbeschränkung einfUhren will, dies auf der Ebene des Grundkonsens zu entscheiden und in der Verfassung zu verankern, einen wirksamen Minderheitenschutz fiir die laufende Ebene vorzusehen sowie dies alles durch eine unabhängige Institutionen, wie z.B. das Bundesverfassungsgericht, zu kontrollieren (vgl. Übersicht 8). Im Idealfall stellt die laufende Qualitätskontrolle die perfekte Ergänzung zur subjektiven Marktzugangsbeschränkung dar, so daß beide zusammen das Problem ungleicher Information zu Lasten der Mandanten unterbinden. Extrem hohe Informationsanforderungen an den Staat und die hohen Kontrollkosten bremsen den Optimismus in beträchtlichem Maße, die perfekte Lösung fiir das Problem ungleicher Information gefunden zu haben. Im laufenden politischen Prozeß ist eine erhebliche Verzerrung dieser Maßnahme durch eigennützige Politiker, die Interessengruppe der Anwälte und die an einer umfassenden Qualitätskontrolle interessierte Bürokratie zu erwarten, der sich die Wähler aufgrund hoher Informationskosten und geringen potentiellen Nutzen kaum zur
3.4 Staatliche Eingriffe in den Rechtsanwaltsmarkt
209
Wehr setzen können. Folglich gibt es einige gute Gründe, auf der Verfassungsebene die laufende Qualitätskontrolle auszuschließen (vgl. Übersicht 9). Übersicht 9:
Staatliche Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt Regulierung der Transaktionen II und 111 Regulierung der Transaktion II Laufende Qualitätskontrolle
Regulierung der Transaktion III Haftung bei Fehlinformation
Staat prüft regelmäßig Fähigkeiten des Anwalts, achtet auf laufende Qualitätsverschlechterung und setzt ausreichenden Sanktionsmechanismus.
Verschuldeosunabhängige Haftung des Anwalts, wenn er die Mandanten nicht im ausreiehenden Maße über die Erfolgsaussichten informiert hat.
Vorteile
Anwälte werden davon abgehalten, ihre Mandanten während der Mandatsabwicklung zu benachteiligen; sichert auch dauerhaft hohe Qualifikation.
Anwälte ermitteln ex ante die tatsächlichen Erfolgschancen; die Mandanten nehmen diese auch wahr; man nähert sich tier optimalen Zahl an Rechtsstreiten.
Nachteile
Informationsprobleme des Staates sind enorm, ebenso die Kontrollkosten; Gefahr politökonomischer Verzerrungen am höchsten, da sich starke Koalition aus Politiker, Anwälte und Bürokratie bildet.
Umsetzung sehr schwierig; "Hidden-action"-Problem seitens der Mandanten aufgrund der Beweisschwierigkeit kaum lösbar; gesamtes stochastisches Risiko geht auf Anwalt über; Interessen der Mandanten sind vielfach inhomogen.
Es gibt extrem viele Nachteile, die vermutlich auch durch Maßnahmen auf der Verfassungsebene nicht lösbar sind; u.U. in Verfassung verbieten.
Theoretisch bestechend; kann kaum in Gesetzesform umgesetzt werden; Risiko filr die Anwälte wäre so hoch, daß sie nur ausnahmsweise Mandate akzeptieren.
Funktionsweise
Bewertung
14 Wein
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3 Ungleiche Infonnation
Eine weitere Möglichkeit ftlr staatliche Eingriffe in eine Transaktion wäre die Ausdehnung der freiwillig übernommenen Garantie und der abgegebenen Haftungserklärung. Die Garantien spielen filr den Rechtsanwaltsmarkt keine Rolle, da für die meisten Mandanten der Verlust in Form des Honorars, der in der Garantie abgedeckt werden könnte, weitaus geringer ist als der (Folge-) Schaden aus einer schlechten Leistung; letzteres wäre durch eine umfassende Haftung gedeckt. Wenn man die Überlegung zum Produkthaftungsrecht auf die Dienstleistung "Rechtsberatung" überträgt, wäre eine Übergang von der verschuldensahhängigen Haftung des Anwalts, die heute besteht, zur verschuldensunabhängigen dann sinnvoll, wenn es der Anwalt versäumt, die Mandanten über die Erfolgsaussichten des Falls zutreffend zu informieren (Haftung bei Fehlinformation; vgl. Übersicht 9). Diese Lösung ist zwar theoretisch sehr eindrucksvoll, aber aufgrund des hohen stochastischen Risikos und des Risikos zu verborgenen Handlungen seitens der Mandanten, die beide der Anwalt übernehmen muß, würden meistens die Anwälte die Mandatsübernahme ablehnen, selbst wenn eine zufriedenstellende rechtliche Lösung gefunden werden kann; letzteres wäre ebenfalls nicht zu erwarten. Insofern würde in all diesen Fällen das bedeutende Problem ungleicher Information zu Lasten der Mandanten weiter bestehen. Auch wenn man also den Anwälten keine verschuldensunabhängige Haftung bei Fehlinformation aufzwingen sollte, kann man aus dieser Diskussion eine nicht unwichtigte Schlußfolgerung ziehen: Potentielle Haftungsansprüche, die das Vermögen des haftenden Anwalts übersteigen, werden in ihr Kalkül, welches Sorgfaltsniveau sie anstreben sollen, nicht aufgenommen. Insofern sind Personengesellschaften besser geeignet, da sie in der Regel auf ein größeres Haftungsvermögen in Form des Privatvermögens als Kapitalgesellschaften zurückgreifen können. Weil aber das Privatvermögen nicht unbegrenzt ist, wäre es durchaus plausibel, eine obligatiorische Haftpflichtversicherung zu verlangen und alle Rechtsformen zuzulassen. Da sich im Rechtsberatungsmarkt der relevante Fall ungleicher Information auf eine Benachteiligung des Mandanten bezieht, wäre eine Pflichtversicherung nur in der folgenden Form denkbar: Der Staat weist den Mandanten einen beamteten Anwalt zu, filr den sie ein der zu erwartenden durchschnittlichen Qualität angemessenes Honorar entrichten müssen; durch eine gleichartige Ausbildung und stetige Überwachung wird der Staat zwar versuchen, die Qualität der Anwälte zu vereinheitlichen, aber insbesondere aufgrund von Unterschieden in der Motivation der Anwälte bleiben Qualitätsunterschiede bestehen. Ein solche Extremform des Staatseingriffs hebt das Prinzip der Allokation über den Markt völlig auf. Für die Mandanten wäre eine solche Form der Pflichtversicherung nur dann wohlfahrtssteigemd, wenn sich filr sie im Zeitablauf schlechte und gute Qualität ausgleichen. Ferner erfordert die Verbeamtung einen hohen Informationsstand vom Staat, denn er muß die geeigneten Bewer-
3.5 Rechtsanwaltsmarkt und kollektive Lösungen
211
her auswählen und regelmäßig kontrollieren. Aufgrund hoher Kontrollkosten fiir die staatliche Überwachungsebene ist aber gerade zu vermuten, daß die beamteten Anwälte zumindest zum Teil ihren eigenen Interessen folgen können. Insofern ist es aus der Sicht des Bürgers auf der Verfassungsebene äußerst fraglich, ob er diesen letzten Schritt tatsächlich tun soll; folglich wäre eine solche Lösung, die quasi den Eigennutz der Anwälte vom Gewinninteresse vollständig auf die typischen Motive der Bürokratie umlenkt, allerhöchstens als ultima ratio denkbar. Zusammenfassend kann man sagen, daß alle Maßnahmen des erleichterten Informationsaustausches relativ unproblematisch sind; deren Wirkung, ungleiche Information zu Lasten der Anwälte zu verringern, wird allerdings in der Regel auch sehr schwach ausfallen; die Standardsetzung als eine Möglichkeit des erleichterten Informationsaustausches kann jedoch mehr bewirken. Die staatliche Informationsbereitstellung und die subjektive Marktzugangsbeschränkung erreichen deutlich mehr; letztere muß aber durch verfassungsrechtliche Beschränkungen vor Mißbrauch geschützt werden. Die laufende Qualitätskontrolle und die Pflichttransaktion in Form der Verbeamtung versprechen einerseits eine umfassende Lösung, andererseits erfordern sie einen hohen Informationsstand des Staates und man liefert sich vermutlich erheblichen Gefahren durch eigennützige Akteure aus; fiir die laufende Qualitätskontrolle und die Verbeamtung sind kaum wirksame verfassungsrechtliche Schranken zu erwarten.
3.5 Rechtsanwaltsmarkt und kollektive Lösungen In der Bundesrepublik Deutschland gibt es die Tendenz, sich möglichst lange auf die Selbsthilfe der Wirtschaft zu verlassen. Erst wenn es sich zeigt, daß diese Hoffnung nicht trägt, greift der Staat ein (vgl. Schöppe 1983, S. 553). Im Abschnitt 3.5.1 gehe ich auf die Begründung fiir kollektive Lösungen sowie deren Wirkungsweise und Gefahren ein. Punkt 3.5.2 umfaßt die Anwendung der kollektiven Lösung auf die Anwaltschaft.
3. 5.1 Kollektive Lösungen und Qualitätsunsicherheit In Deutschland gibt es eine Reihe von kollektiven Maßnahmen mit dem Ziel, Standards zu entwickeln und zu überprüfen (vgl. hierzu Schöppe 1983, S. 550-552). Zu nennen wären hier das Deutsche Institut fiir Normung (DIN), der Deutsche Werberat, der Deutsche Presserat, die Schieds- und Schlichtungsstellen in einzelnen Branchen, die Industrie- und Handelskammern, die Hand14*
212
3 Ungleiche Information
werkskammern, der Ausschuß für Lieferbedingungen und Gütesicherung (RAL) sowie die Deutsche Gesellschaft für Produkt-Information (DPGI). Hierbei handelt es sich um Institutionen, die einer Selbstverwaltung unterliegen und in denen eine Beteiligung der Konsumenten nicht zwingend ist. Im Rahmen der Schieds- und Schlichtungsstellen geht es darum, Streitigkeiten innerhalb der Branche und mit Außenstehenden außergerichtlich zu lösen. Der Deutsche Presserat bzw. der Werberat haben eine vergleichbare Funktion im Bereich der Werbung und der Presse. Mittelbarer Zweck letzterer Institutionen ist es auch, schärfere gesetzliche Beschränkungen des Werbeverhaltens zu verhindern. Durch die vielfache Aufstellung von DIN-Nonnen kommt in Deutschland dieser Institution für die Standardsetzung eine hohe Bedeutung zu. Der Staat subventioniert den DIN-Haushalt mit etwa 15%. Jeder kann die DIN-Nonn zur Kennzeichnung seiner Güter verwenden, ohne die Einhaltung der Nonn nachweisen zu müssen. Um hierbei einen Mißbrauch zu verhindern, hat man das Symbol ("DIN geprüft") eingeführt. Dieses Gütesiegel darf nur verwendet werden, wenn vor der Produkteinführung und auch danach regelmäßig eine Kontrolle der Nonnen stattgefunden hat; die Tests müssen zugelassene Prüfbehörden durchführen. Das DIN spielt bei der Prüfung eine eher untergeordnete Rolle. Der "Verband Deutscher Elektrotechniker" (VDE), der sein eigenes Symbol "VDE" vergibt, prüft dagegen selbst. Der TÜV setzt keine eigenen Standards, sondern überwacht nur Nonnen Dritter. Die Symbole "DIN, VDE und TÜV geprüft" haben sicherlich eine sehr große Bedeutung bei der Verwirklichung des Ziels, den Verbrauchern einen Orientierungspunkt bei den von den Herstellern freiwillig gemachten Angaben zu geben; sie sichern somit auf freiwilliger Basis quasi einen Mindeststandard hinsichtlich der Qualität. Die branchenweit aufgestellten "RAL-Standards" übernehmen ebenfalls diese Funktion, weil nur jene Güter, welche die "RAL-Standards" erfüllen, ein solches Symbol tragen dürfen. Bei der Aufstellung dieser Standards wollte man alle Aspekte der Nützlichkeit in einem Indikator abbilden. Im Falle der "RALTestate" und den Produktinformationen (PI), letztere gibt die DPGI seit 1978 heraus, werden wichtige Informationen über das Gut uncodiert offengelegt Die Pis werden anband einheitlicher Checklisten erstellt, und die teilnehmenden Unternehmen müssen sich dazu verpflichten, in der Werbung keine den Informationsgehalt der Pis beeinträchtigende Aussage zu treffen und die durch die Pis gesetzten Standards durch regelmäßige Kontrollen prüfen zu lassen sowie bei Abweichungen eine Verbesserung herbeizuführen. Die genannten Maßnahmen der Standardsetzung seitens der kollektiven Institutionen, analog zur Standardsetzung des Staates (vgl. Abschnitt 3.4.1.3), sind nur dazu in der Lage, das "hidden-infonnation"-Problem zu lösen.
3.5 Rechtsanwaltsmarkt und kollektive Lösungen
213
Da man mit diesem Ergebnis vielfach nicht zufrieden ist, kann man sich auch kollektive Selbstbindungen der besserinformierten Marktteilnehmer vorstellen mit dem zusätzlichen Ziel, ein nachträgliches Ausnützen von Informationsvorsprüngen zu verhindern. M.a.W.: Kollektive Selbstbindungen beschränken die Gefahren aus "hidden action" (vgl. hierzu und zum folgenden Tietzel/Weber 1991, S. 130 -132). Als Beispiele sei aufdie "Ethik des ehrbaren Kaufmanns", den Berufsethos der Freiberufler und die Kartellabsprachen über Konditionen verwiesen. Im Falle einer wirksamen Selbstbindung gewinnt ein jeder der gut informierten Akteure einen lohnenden "Moralkapitalbestand", denn die Nachfrager sind eher bereit, Transaktionen zu tätigen, die ansonsten aufgrund einer asymmetrischen Informationsverteilung nicht zustande kämen. M.a.W.; verhindert eine Selbstbindung das Eintreten des moralischen Risikos, steigt der Ruf der Gebundenen am Markt, und sie erzielen höhere Gewinne. Freilich bergen die kollektiven Selbstbindungen immer die Gefahr der Selbstzerstörung in sich: Jeder durch eine kollektive Vereinbarung Gebundene stellt sich noch besser, wenn er als einziger die Verpflichtung mißachtet; er streicht die Vorteile geringer Qualität in Form geringerer Kosten ein; die Nachteile in Form eines schleichenden Vertrauensverlustes treffen alle und damit ihn nur zu einem geringen Anteil. Da prinzipiell alle Gebundenen dieser Versuchung unterliegen, ist die Stabilität der Vereinbarung gefährdet. Je geringer die Sanktionsdrohung und die Entdeckungswahrscheinlichkeit im Falle eines Bruchs der Selbstbindung ist, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit der Zerstörung. Es hängt also von den Möglichkeiten des Kollektivs, ein solches Verhalten zu entdecken und zu sanktionieren, ab, welche Überlebenschancen eine solche Vereinbarung hat. Meist ist jedoch zu beobachten, daß ein gewisses Maß an Vertragsbrüchigen von den anderen Kollektivmitgliedern toleriert wird, d.h. sie halten sich weiterhin an die Vereinbarung, so daß der vorhandene Moralkapitalbestand unberührt bleibt. Erst wenn eine "kritische Masse" an Vertragsbrüchigen überschritten wird, verliert die Selbstbindung ihre Wirksamkeit, und alle kündigen dann die Vereinbarung auf. Sollten allerdings bei den informierten Marktakteuren neben dem Ziel der Nutzenmaximierung andere Motive, wie z.B. der Wunsch nach Ehrlichkeit und moralisch einwandfreien Verhaltens, eine Rolle spielen, wird der Zusammenbruch erst bei einem höheren Anteil Vertragsbrüchiger erfolgen. Um die Selbstzerstörung der Selbstbindung zu verhindern, wird die kollektive Lösung nicht selten um staatliche Eingriffe zur Stützung des Zusammenhalts ergänzt; man spricht dann von Selbstregulierung. Diese Bezeichnung wurde auch deshalb gewählt, weil kollektive Organe über die Zulassung neuer Anbieter entscheiden, die Berufsausübung aller bisherigen Anbieter regeln und kontrollieren oder die Preise filr alle festlegen (vgl. Faure/Van den Bergh
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3 Ungleiche lnfonnation
1990, S. 30 und Shaked/Sutton 1991, S. 217). Insofern überträgt der Staat die Regulierung der Produktqualität in Fonn von subjektiven Marktzugangsbeschränkungen und der laufenden Qualitätskontrolle auf die Kollektivorgane (vgl. hierzu auch Abschnitt 3.4.4.1). Der Zweck der Selbstregulierung liegt insgesamt darin, die Qualität der am Markt gehandelten Güter nach oben zu regulieren (vgl. Shaked/Sutton 1981, S. 217) und dabei die Infonnationsvorteile der Regulierten, die den staatlichen Entscheidungsträgem nicht zugänglich wären, und damit erhebliche Kostenvorteile zu nutzen (vgl. Faure!Van den Bergh 1990, S. 33). Darüber hinaus spricht man der Selbstregulierung eine höhere Flexibilität hinsichtlich der Zulassung von Innovationen zu, und sieht es als Vorteil an, daß die Kosten der Regulierung von den jeweiligen Märkten übernommen werden (vgl. Curran 1990, S. 2). Insbesondere bei hochgradig uninfonnierten Nachfragern und der Gefahr empfindlicher Schäden wird zum Instrument der Selbstregulierung gegriffen (vgl. Shapiro 1983a, S. 541 f.). Den Vorteilen stehen natürlich auch erhebliche Nachteile gegenüber. Theoretisch läßt sich eindeutig zeigen, daß mit Ausnahme des Falles eines altruistisch motivierten Selbstregulierers die qualitative Marktzugangsbeschränkung, z.B. in Fonn des verlangten Ausmaßes an Humankapitalinvestitionen, über das gesamtwirtschaftlich erforderliche Niveau hinaus angehoben wird, denn die Gruppe der selbstregulierten Anbieter verhält sich wie ein gewinnmaximierender Monopolist, der ebenfalls eine geringere als die gesamtwirtschaftlich gewünschte Menge anbietet (vgl. Leland 1979, S. 1337-1339 und Shaked/Sutton 1981 ). Das Ziel der Einkommensmaximierung gewinnt also gegenüber dem Wunsch nach Qualitätssicherung die Oberhand, wenn eigennützige Selbstregulierer die Entscheidungsgewalt über den Marktzugang erhalten. Folglich müßten die durch die Selbstregulierung geschützten Anbieter zusätzliche Gewinne erzielen, was aber empirisch sehr schwer nachweisbar ist (vgl. hierzu z.B. sehr optimistisch Faure!Van den Bergh 1990, S. 40-43 und sehr pessimistisch Leffler 1978). Ferner sollen im Falle einer Selbstregulierung durchaus vorhandene Qualitätsunterschiede zwischen den Anbietern eher verschleiert als erhellt, der Wettbewerb untereinander durch die Selbstregulierung eher behindert und Infonnationsanstrengungen zugunsten der Nachfrager unterbunden werden (vgl. Faure!Van den Bergh 1990, S. 33 f.). Schöppe (1983, S. 546-549) behandelt die in der Bundesrepublik Deutschland praktizierte Selbstregulierung im Überblick, also die Regulierung der Freien Berufe, wie sie z.B. bei den Apothekern, Architekten, Ärzten, Steuerberatern, vereidigten Buchprüfern, Anwälten und Notaren anzutreffen ist. Wie in anderen Berufszweigen auch, z.B. in der Handwerkerschaft, werden die Freiberufler in Kammern mit Pflichtmitgliedschaft zusammengefaßt, der Marktzugang ist beschränkt und die Gebühren werden reguliert. Die Kammern
3.5 Rechtsanwaltsmarkt und kollektive Lösungen
215
als Körperschaften öffentlichen Rechts weisen die Funktion eines Bindegliedes zu den staatlichen Einrichtungen auf, da sie bestimmte Aufgaben zur Verwirklichung des öffentlichen Interesses wahrnehmen sollen. Neben den gesetzlichen Bestimmungen gibt es in diesem Feld noch Berufsordnungen der Standesorganisationen. Innerhalb der Berufsordnungen wird das Verhalten untereinander, zu den Vertragspartnern und zur Standesorganisation selbst geregelt; ferner schränken sie die wettbewerbliehe Freiheit ein, indem sie ungewöhnliche und unfaire Verhaltensweisen ausschließen, was durch die Standesorganisation kontrolliert und von speziellen Berufsgerichten sanktioniert werden kann.
3.5.2 Anwaltskammern In Anbetracht der Vielzahl an Anwälten in Deutschland, auch auf der Ebene der meisten lokalen Märkte, ist es fraglich, ob kollektive Selbstbindungen, die permanent eine hohe Qualität aufrechterhalten sollen, lebensflihig sind: Mit steigender Anzahl der Anwälte wird es immer schwieriger, Qualitätsverschlechterungen eines Anwalts zu erkennen und "Vertragsbrüchige" durch soziale Sanktionen wie Ansehensentzug zu beeinflußen. Zwar mag ein hoher Anteil intrinsisch motivierter Anwälte zunächst verhindern, daß die Mehrzahl der Anwälte dem Verhalten eines Vertragsbrüchigen folgen, aber mit steigender Anzahl der Vertragsbrüchigen wird dies immer unwahrscheinlicher. Folglich besteht die in der Bundesrepublik Deutschland gewählte kollektive Lösung in Form einer Selbstregulierung, d.h. der Staat überträgt hoheitliche Kompetenzen teilweise auf die selbstregulierende Körperschaft ("Verkammerung"; vgl. Abschnitt 2.2.2). Gegenstand der übertragenen Kompetenzen sind Befugnisse, an der Auswahl der in den Markt eintretenden Anwälte mitzuwirken (Verhinderung von "hidden information" durch subjektive Marktzugangsbeschränkungen) und die laufenden Qualitätskontrolle durchzuführen (Maßnahme gegen "hidden action"); letzteres ermöglicht es, eine höhere Stabilität der Selbstbindung zu erreichen. Den unbestrittenen Vorteilen einer solchen Lösung, nämlich einem höheren Informationsstand des Regulierers, größere Flexibilität und eine finanzielle Entlastung der öffentlichen Hand aufgrund der Pflicht zur Selbstfinanzierung der Kammer, stehen eine Reihe von Nachteilen gegenüber: - Nur im Falle altruistisch motivierter Selbstregulierer bleibt mit Sicherheit die qualitative Marktzugangsbeschränkung auf dem gesamtwirtschaftlich erwünschten Niveau hinsichtlich der Humankapitalanforderungen; ansonsten besteht die (empirisch schwer nachzuweisende) Gefahr, daß die Kammer sich als gewinnmaximierender Monopolist verhält, indem sie die angebotene
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3 Ungleiche Information
Menge im unerwünschten Maße beschränkt; in der Folge dieses Eingriffs steigt dann das Honoramiveau, u.U. geht die Qualität zurück. Insbesondere wenn eine Marktzugangsbeschränkung so ausgelegt werden kann, daß sie die bisherigen Anwälte schützt und Neuanbieter vom lukrativen Markt fernhalten kann, ist eine solche Verzerrung besonders wahrscheinlich. - Die kollektive Institution hat wenig Interesse daran, die bestehenden Qualitätsunterschiede zwischen den Anwälten zu offenbaren, denn dies würde nur den Wettbewerbsdruck untereinander erhöhen. - Auf der Ebene des laufenden politischen Prozesses sind die Kontrollkosten fiir den Wähler sehr hoch, die Anwaltskammer über das mehrstufige Prinzipal-Agent-Verhältnis "Wähler-Politiker-Bürokrat-Anwaltskammer" zu überwachen. Für die Politiker ist es besonders lohnend, mit Hilfe der Verkammerung die Stimmen der etablierten Anwälte anzuziehen, da die meisten Wähler die Kosten der Regulierung gar nicht bemerken. Auch die Bürokratie hat ein Interesse an der Selbstregulierung, wenn ihr noch genügend Kompetenz (und damit ein ausreichendes Budget) fiir die Kontrolle der Kammer verbleibt. Besonders vorteilhaft ist die Zwangsmitgliedschaft in der Kammer fiir die Interessengruppe der Anwälte, da der staatliche Zwang sicherstellt, daß die Organisationskosten ihrer Gruppe getragen werden; insofern ist es wahrscheinlich, daß die Interessengruppe der Anwälte in Verhandlungen mit den Politikern und Bürokraten eine fiir sie alle zufriedenstellende Form der Selbstregulierung zu Lasten des überwiegenden Teils der Wähler(= Mandanten) durchsetzen kann. Die sich somit auf der Ebene des laufenden politischen Prozesses ergebende Benachteiligung der Mandanten ist auch auf der Ebene des Grundkonsens durch eigennutzbegrenzende Regeln kaum änderbar: Das Wesen einer Selbstregulierung in der beschriebenen Form besteht gerade darin, daß man vorab keine bindenden Regeln aufstellen kann, sondern man insbesondere im Falle der laufende Qualitätskontrolle eine Einzelfallentscheidung wünscht. Insofern bestehen auf der Verfassungsebene nur die Alternativen "diese Form der Selbstregulierung oder völliger Verzicht". Aufgrund der beschriebenen, schwergewichtigen Probleme kann man trotz des unbestreitbar besseren Informationsstandes der Kammer durchaus den Verzicht rechtfertigen (vgl. zusammenfassend Übersicht 10). Unbenommen bleibt natürlich, daß die Interessenvertretung der Anwälte Standards setzt und kontrolliert, wenn das Prinzip der Freiwilligkeit gewahrt bleibt; allerdings stellt dies nur eine Lösung des "hidden-information"-Problems dar (vgl. oben und Abschnitt 3.4.2.2).
3.6 Ungleiche Infonnation im Rechtsanwaltsmarkt - Zusammenfassung
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Übersicht 10: Kollektive Möglichkeiten im Rechtsberatungsmarkt Verkammerung Funktionsweise
Staat überträgt der Rechtsanwaltskammer teilweise die Regulierung des Marktzugangs (subjektive Marktzugangsbeschränkung) und die Aufgabe der laufenden Qualitätskontrolle.
Vorteile
Die Kammer ist im Vergleich zum Staat wesentlich besser informiert und kann daher das hidden-information- und das hidden action-Problem eher lösen; die Anwälte müssen die entstebenden Kosten selbst tragen; höhere Flexibilität ist zu erwarten.
Nachteile
Bewertung
Bei eigennützigen Regulierern besteht die Gefahr überzogener Marktzutrittsbeschränkungen mit der Folge überhöhter Honorare, schlechter Qualität; Qualitätsunterschiede werden nicht bekannt; Politiker, Anwälte und Bürokraten bilden Koalition gegen Mandanten. Auch durch verfassungsrechtliche Beschränkungen nicht lösbar; insofern ist ein Verzicht auf diese Lösung erwägenswert; die Kammer darf jedoch freiwillige Standards setzen.
3.6 Ungleiche Information im RechtsanwaltsmarktZusammenfassung Ungleiche Information zwischen Anwälten und Mandanten ist ein zentrales Argument für die in der Bundesrepublik Deutschland vorzufindende Regulierung der Anwaltschaft. Theoretisch kann man dieses Problem umfassend durch die P-A-Theorie beschreiben, in der dem Mandanten die Rolle des Prinzipals und dem Anwalt die des Agenten zukommt. Der Prinzipal "Mandant" befindet sich in der ungünstigen Position, daß er vor Vertragsschluß die Qualität des Anwalts in Form seiner fachlichen und persönlichen Qualifikation kaum beurteilen kann (Auswahlproblem); insofern stellt die Qualität eine verborgene Information dar. Im Extremfall fiihrt das "hidden-information"-Problem zu einer vollständigen Verdrängung hoher Qualität und nur schlechte Qualität überlebt (adverse Auslese). Gesetzt den Fall, der Mandant habe einen qualifizierten Anwalt gefunden, ist es ebenfalls wichtig, daß sich der Agent "Anwalt" nach Vertragsschluß mit der notwendigen Sorgfalt und mit der erforderlichen Einsatzbereitschaft um ein erfolgreiches Ende des Falls bemüht. Da das Ergeh-
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3 Ungleiche Information
nis nicht nur vom Verhalten des Anwalts, sondern auch von anderen Faktoren (Zufiilligkeiten, Verhalten der Gegenseite etc.; "stochastische Komponente") abhängt, ist der Mandant nicht dazu in der Lage, zweifelsfrei von einem unbefriedigenden Ergebnis auf eine unzureichende Anwaltsleistung rückzuschließen (Kontrollproblem). M.a.W.; es besteht die Gefahr von verborgenen Handlungen ("hidden action"), die wiederum im Extremfall in der adversen Auslese endet. Die P-A-Theorie mit ihren beiden Bereichen "hidden action" und "hidden information" stellt also einen allgemeinen Ansatz dar, der ohne Schwierigkeiten die speziellen Probleme ungleicher Information im Rechtsberatungsmarkt beschreibt. Insofern ist es denkbar und sinnvoll, die zu den P-A-Theorien entwickelten Lösungsansätze, die sich entweder auf den spontan agierenden Markt, den Staat oder auf kollektives Handeln verlassen, zuerst zusammenzufassen und dann auf den Anwaltsmarkt anzuwenden. Dies wurde in den Abschnitten 3.3 bis 3.5 versucht, und die Ergebnisse kann man wie folgt resümieren. Hinsichtlich der Möglichkeiten des Marktes muß man vorab bemerken, daß der vielfach zu findende Optimismus, der von staatlichen Eingriffen freie Markt könne die Probleme verborgener Information und Handlungen lösen, zumindest fi.ir die Beziehung "Mandant-Anwalt" weitgehend unangebracht ist. Zu allen Varianten des Marktes kann man festhalten, daß auf der theoretischen Ebene eine Reihe von Bedingungen gegeben sein müssen, damit die Mandanten selbst durch eigene Informationsanstrengungen das Problem lösen oder die qualitativ hochwertigen Anwälte durch "strategisches Verhalten" ein separierendes Gleichgewicht in gute und schlechte Anwälte herbeifi.ihren können. Bei den einzelnen Instrumenten sind besonders der Preis in Form des "gemäßigten Erfolgshonorars", strategische Ausbildungsinvestitionen und Reputation von Interesse. Theoretisch ist es denkbar, daß nur qualitativ hochwertige Anwälte ein Honorar mit hohem Erfolgsanteil und geringen Festgebühren eingehen ("gemäßigtes" Erfolgshonorar); die schlechten Anwälte arbeiten ausschließlich zu Festpreisen. Auch fi.ir diese spezielle Preisbildungsform gibt es eine Reihe von restriktiven theoretischen Bedingungen, die ein solches trennendes Gleichgewicht unwahrscheinlich machen. Die sehr wenigen empirischen Untersuchungen zu diesem Thema zeigen, daß zumindest das Problem verborgener Handlungen bei den Anwälten weiterbestehen kann; insofern besteht Skepsis über die Existenz der marktliehen Lösung "gemäßigte Erfolgshonorare". Strategische Ausbildungsinvestitionen, z.B. Fachanwaltsqualifikation oder Promotion, stellen filr qualitativ hochwertige Anwälte einen interessanten Ansatz dar, mit dem sich diese Gruppe der Anwälte von ihren Konkurrenten abheben kann. Allerdings wird nur damit bestenfalls das "hidden-information"-
3.6 Ungleiche Information im Rechtsanwaltsmarkt-Zusammenfassung
219
Problem überwunden, denn der Anreiz, nach Vertragsschluß wieder schlechte Qualität zu liefern, ändert sich nicht ("hidden action"). Eine wichtige Voraussetzungen filr die Funktionsflihigkeit dieses Ansatzes besteht in der Annahme, daß sich die qualitativ hochwertigen Anwälte zu geringeren (Grenz-)Kosten diese Zusatzausbildung als die anderen Rechtsvertreter aneignen können. Diese Lösung setzt nicht voraus, daß die Zusatzqualifikation produktivitätserhöhend wirkt; insofern kann ihr einziger Nutzen in der Reduzierung ungleicher Information bestehen. Empirische Untersuchungen, welche die Existenz eines solchen Gleichgewichts verifizieren, sind nicht bekannt. Der Reputationsansatz ist im Gegensatz zur strategischen Ausbildungsinvestition durchaus in der Lage, beide Probleme ungleicher Information zu lösen. Für seine Funktionsfähigkeit muß theoretisch u.a. der Mandant nach Abschluß der anwaltliehen Beratung die Leistung beurteilen können, langfristig eine zusätzliche Gewinnmöglichkeit bestehen (höhere Honorare) und das Extrapolationsprinzip gelten bzw. ein gewisser Anteil an "von Natur aus" vertrauenswürdigen Anwälten vorhanden sein. Ob sich eine solche Form des Gleichgewichts im Anwaltsmarkt einstellt, bedarf weiterer empirischer Forschung. Die anderen Instrumente des Marktes "Werbung", "Aufbau eines Franchisesystems" und "Zusammenschluß in einer Sozietät" bauen auf den Reputationsmechanismus auf und stellen daher keine eigenständigen Lösungsansätze dar. Die Informationsnachfrage des Mandanten und der Garantiemechanismus sind vermutlich ungeeignet, weil deren Voraussetzungen filr die Funktionsfiihigkeit des Marktes zu restriktiv sind. Im Ergebnis gibt es also nicht unerhebliche Zweifel, daß der Markt spontan und ohne staatliche Hilfe ungleiche Information überwindet. Wenn man sich nun den staatlichen Möglichkeiten zuwendet, kommt zu allererst der erleichterte Informationsaustausch ins Blickfeld. Der Staat kann staatliche Beschränkungen des Informationsaustausches abbauen, falsche oder irrefUhrende Informationen bekämpfen, Standards entwickeln bzw. deren Einhaltung kontrollieren und die Anwälte zur Offenlegung bestimmter Informationen zwingen. All diese Maßnahmen sind relativ unproblematisch, da sie die Informationsanforderungen an den Staat gering halten und kaum Raum filr politökonomische Verzerrungen bieten. Der Nutzen ist dagegen auch beschränkt: Sie wirken nur in Richtung eines Abbaus von verborgenen Informationen, wobei hier vor allem die Standards und die Offenlegungspflicht einen größeren Beitrag leisten. Die Offenlegungspflicht kann allerdings zu Fehlentwicklungen fUhren, wenn der Staat auf falsche, d.h. vom Mandanten nicht gewünschte Informationen Wert legt. Insofern wäre aus diesen vier Maßnahmen des erleichterten Informationsaustausches die staatliche Standardsetzung und -kontrolle besonders erwägenswert; darüber hinaus bleibt dort durch den weiterhin bestehenden offenen Marktzugang Konkurrenz möglich, was die
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3 Ungleiche Infonnation
Gefahr überzogener oder ungeeigneter Standards deutlich mindert. Eine staatliche Informationsbereitstellung über die allgemeine Qualifikation von Anwälten oder deren "hidden-action"-Verhalten in der Vergangenheit wird aufgrund der Gefahr der unentgeltlichen Weitergabe (positive Extemalitäten) nicht zustande kommen; der Staat wäre in der Lage und auch dazu aufgefordert, diese Lücke zu schließen, wenn er sich die entsprechenden Informationen beschaffen kann. Hier besteht schon mehr Skepsis, ob der Staat diese Funktion übernehmen kann. Subjektive Marktzugangsschranken stellen ein wirkungsvolles staatliches Instrument gegen "hidden information" dar, bergen aber die Gefahr der Mißachtung der Präferenzen für niedrige Qualität in sich. Sie sind ebenfalls leicht für politökonomische Zwecke umleitbar. Die wohlfahrtsökonomischen Vorteile der subjektiven Marktzugangsbeschränkungen lassen sich vermutlich über Beschränkungen in der Verfassung wieder herstellen. Laufende Qualitätskontrollen schließen die Lücke der subjektiven Marktzugangsbeschränkungen, da sie in Abhängigkeit vom Informationsstand des Regulierers und der Wirksamkeit seines Sanktionsmechanismus verborgene Handlungen erkennen, bestrafen und bestenfalls bereits von vornherein verhindem können. Auch hier ist sehr kritisch auf das Informationsproblem für den Staat hinzuweisen. Die Möglichkeiten der staatlichen Entscheidungsträger, diese Eingriffe zu den eigenen Zwekken umzuformen, sind beträchtlich und auch kaum durch Verfassungsbeschränkungen lösbar. Eine verschuldeosunabhängige Haftung der Anwälte einzuführen, wenn der Anwalt seinen Informationspflichten dem Mandanten gegenüber nicht nachkommt, stellt keine gangbare Alternative staatlichen Handeins dar, da erhebliche Nachteile drohen: Das gesamte stochastische Risiko und das Problem verborgener Handlungen seitens der Mandanten werden auf die Anwälte übertragen, so daß sie viele Mandate nicht mehr bearbeiten werden; eine rechtliche Umsetzung dieser Regel scheint kaum möglich. Pflichttransaktionen in Form der Verbeamtung der Rechtsanwälte und nachfolgend eine zufallsabhängige Zuteilung der Rechtsanwälte wären allerhöchstens bei schwerwiegenden Nachteilen aus qualitativ schlechten Anwälten diskussionswürdig, denn die Informationsprobleme des beaufsichtigenden Staates sind extrem hoch; es ist zu befürchten, daß eine solche Maßnahme zwar das Gewinninteresse der Anwälte erlahmen läßt, welches letztendlich ursächlich für die Probleme aus "hidden action" und "hidden information" ist, dafür aber die gesamte Bandbreite unerwünschten bürokratischen Verhaltens auftritt. Neben dem Rückgriff auf staatliche und marktliehe Lösungen kann man auch daran denken, die Qualitätsregulierung dem Kollektivorgan der Anwälte, der Kammer, zu übertragen, denn diese verfügt im Vergleich zum Staat über
3.6 Ungleiche Infonnation im Rechtsanwaltsmarkt - Zusammenfassung
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mehr und qualitativ bessere Informationen, was besonders bei der Umsetzung einer laufenden Qualitätskontrolle bedeutsam sein kann. Diese Maßnahme überträgt allerdings soviel Macht auf die Kanuner, daß sich bei eigennützigen Kanunem eine deutliche Verschlechterung des Marktergebnisses einstellen dürfte. Über die Verfassung ist dieses Problem kaum lösbar, da eine wirksame Regulierung in dieser Form dem Entscheidungsträger genügend Spielraum belassen muß. Von daher spricht einiges dafiir, auf eine Verkanunerung zu verzichten. Die Schlußfolgerungen zum Problem "ungleiche Information bei Anwälten und marktliehen Lösungsmöglichkeiten" blieben relativ vage, was auch an der weitgehend noch umzusetzenden empirischen Überprüfung liegt. Auf der Ebene der staatlichen und kollektiven Lösungen mußte auch vieles offen bleiben, da man den erreichbaren Grad der Informiertheil seitens des Staates kaum abschließend einschätzen und ebenfalls die Frage nach der Motivation der Akteure "Wohlfahrtsmaximierung oder Eigennutz" nicht mit hinreichender Sicherheit beantworten kann. Durch die Einfiihrung des Grundkonsens bzw. die Möglichkeit zu einer Verfassung kann man bestimmte Probleme eigennützigen Verhaltens bei den Entscheidungsträgem zumindest mildem, indem man Konsens über die im Anwaltsmarkt anzuwendenden Regeln und Institutionen herstellt. Folgende Alternativen bieten sich an: Rechtsberatungsmarkt ohne staatliche Eingriffe zur Lösung des Problems ungleicher Information, Regulierung nur durch Bürokratie und nicht auch durch die Interessengruppe "Anwaltskammer", Ausschluß bestimmter Instrumente oder Einfiihrung besonderer Entscheidungsverfahren in der Bürokratie. Auf der Ebene des Grundkonsens sollte über diese Regeln einstimmig entschieden werden, wobei die Einstimmigkeit dadurch erreicht werden kann, daß die Annahme der ungewissen Zukunft zutrifft, die Anwaltsregulierung im Kontext mit anderen Verfassungsfragen diskutiert wird oder man die Entscheidung einer legislativen Kanuner nach von Hayek überträgt. Meiner Meinung nach könnten folgende Kriterien die Suche nach dem Regelkonsens erleichtern: - Risikoeinstellung des Verfassungsbürgers. Je weniger der Bürger das Risiko scheut, daß im Einzelfall ein Markt mit hoher Qualität nicht zustande kommt, umso eher wird er sich auf den Markt verlassen und vom Staat bzw. der kollektiven Lösung Abstand nehmen. Wenn der Verfassungsbürger der Meinung ist, daß er im Fall des Falles mit Sicherheit zumindest auf einigermaßen akzeptable Qualität zugreifen können muß, ist ein Staatseingriff in Form von einer subjektiven Marktzugangsbeschränkung, einer laufenden
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3 Ungleiche Information
Qualitätskontrolle oder gar einer Verbeamtung der Anwälte erste Wahl. Die anderen staatlichen Eingriffe geringer Intensität und die marktliehen Alternativen können diese nicht gewährleisten. Denkbar wäre, daß man auf der Verfassungsebene Rechtsbereiche benennt, in denen einigermaßen hohe Qualität auf jeden Fall erreicht wird, weil die potentiellen negativen Konsequenzen als zu problematisch angesehen werden (z.B. nur fiir das Strafrecht; nur fiir Mandate Privater, denn gewerbliche Akteure haben größere Anreize zur Informationsnachfrage). - Wunsch nach Lösung des "hidden-information"-Problems steht im Vordergrund. Sind die Bürger mit einer Lösung des Auswahlproblems zufrieden, z.B. weil sie sich zur Lösung des Kontrollproblems selbst in der Lage fiihlen, verbessern sich die Chancen des Marktes deutlich: Strategische Ausbildungsinvestitionen werden möglich, die Funktionsfiihigkeit des Reputationsmechanismus verbessert sich und das "gemäßigte" Erfolgshonorar muß nur die anflinglich vorhandene Qualität signalisieren. - Großes Vertrauen hinsichtlich der Lösungsfähigkeit des Staates bei Informationsproblemen. Eine solche Haltung wischt natürlich eine Reihe von Bedenken weg, die bei der staatlichen Informationsbereitstellung, der laufenden Qualitätskontrolle, der subjektiven Marktzugangsbeschränkung und der Verbeamtung genannt wurden. Marktliehe Lösungen aber auch die Verkammerung als kollektive Lösung verlieren relativ dagegen. - Fehlender Glaube an der intrinsischen, wohlfahrtsmaximierenden Motivation der staatlichen Entscheidungsträger, stattdessen Annahme einer weiten Verbreitung des Eigennutzstrebens. In diesem Fall gewinnen die unvollständig funktionierenden marktliehen Alternativen als geringeres Übel an Boden gegenüber den noch schlechter arbeitenden staatlichen und kollektiven Lösungen. - Vertrauen auf die Wirksamkeit von Verfassungsbeschränkungen, die den Eigennutz staatlicher Akteure eingrenzen. Wenn man dieser Haltung zustimmt, wird man sich weniger auf den Markt verlassen und wieder etwas mehr Staat akzeptieren.
Letztendlich muß jeder Verfassungsbürger anband seiner Präferenzen selbst entscheiden, fiir welche Alternative er stimmen will. Die vorliegende Abwägung kann und will ihm diese Entscheidung nicht abnehmen; weitere empirische Untersuchungen sind zwar wünschenswert, werden vermutlich aber auch nie soweit gehen, daß der Verfassungsbürger eine Entscheidung unter Sicher-
3.6 Ungleiche Infonnation im Rechtsanwaltsmarkt-Zusammenfassung
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heit treffen kann. Insofern soll diese Arbeit einen kleinen Beitrag leisten, die Handlungsmöglichkeiten, -potentiale und -Voraussetzungen bei ungleicher Information im speziellen Fall des Rechtsanwaltsmarkts im Sinne einer positiven Theorie auszuleuchten, damit der Verfassungsbürger diese Entscheidung leichter als bisher treffen kann. Für viele andere Bereiche der Qualitätsunkenntnis wird meiner Ansicht nach letztendlich an einer ähnlichen, zwangsläufig nicht eindeutigen, positiven Beschreibung kein Weg vorbeigehen.
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung 4.1 Problemstellung Die Regulierung der Anwaltschaft wird auch mit dem Ziel der Kostenminimierung begründet (vgl. ausführlich Kapitel 2): - Der Gesetzgeber betrachtet den Rechtsanwalt als ein Organ der Rechtspflege. Aus dieser Charakterisierung leitet man auch die Pflicht fiir den Anwalt ab, alle kostensteigemden und nicht für die Rechtsfindung notwendigen Handlungen zu unterlassen. - Mit dem Lokalisierungsprinzip, der Kanzleipflicht, der Beschränkung der anwaltliehen Nebentätigkeit sowie dem Verbot auswärtiger Sprechtage und Zweigstellen wird bezweckt, die allzeitige Erreichbarkeit des Anwalts durch die Mandanten, Gerichte und Behörden sicherzustellen. - Sinn des Lokalisierungsprinzips ist es u.a., die Terminfestlegung zu erleichtern, das Verfahren zu verkürzen und die Reisekosten zu minimieren. - Das Verbot der Simultanzulassung am Landgericht und am Oberlandesgericht soll sicherstellen, daß eine am Landgericht abschlägig behandelte Rechtssache von einem anderen Rechtsanwalt noch einmal unvoreingenommen geprüft wird, damit bei fehlender Aussicht auf Erfolg auf die Anrufung der höheren, mit zusätzlichen Kosten verbundenen Instanz verzichtet wird. - Der am Bundesgerichtshof praktizierte Numerus Clausus im Hinblick auf die Zulassung ausschließlich speziell qualifizierter Anwälte wurde eingeführt, um die Rechtsfindung zu erleichtern. - Die Regelung, die anwaltliehe Prozeßantrags-, Verhandlungs- und Beweisgebühr unabhängig vom konkreten Arbeitsanfall festzulegen, erzeugt keinerlei unerwünschte Anreize seitens der Anwälte, z.B. unnötige Schriftsätze zu verfassen, überflüssige Beweisanträge zu stellen oder vermeidbare Verhandlungstage zu provozieren.
4.1 Problemstellung
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- Man erwartet aus der Zulassung von Erfolgshonoraren, daß Anwälte zunehmend verzichtbare Prozesse heraufbeschwören. Aus diesem Grund wurde in Deutschland diese Art der Honorarvereinbarung verboten. - Das in Deutschland in der Vergangenheit praktizierte, sehr weitgehende Werbeverbot verfolgte den Zweck, zusätzliche Mandate zu verhindern; weniger Mandate verringern auch die Zahl der Prozesse und damit die Inanspruchnahme der Beratungs- und Prozeßkostenhilfe. - Subjektive Marktzugangsbeschränkungen (vor allem in Form beider juristischer Staatsexamen) und Ausübungsvorschriften (im Extremfall die Drohung mit ehrengerichtliehen Verfahren) zwingen die Anwälte dazu, Mindestqualifikationen zu erwerben und aufrechtzuerhalten, mit der Folge, daß sie eher als unqualifizierte Rechtsberater die richtigen und nur die erforderlichen Rechtsmittel einlegen. Eine höhere Qualifikation trägt somit auch zur Kostensenkung bei. All diese Maßnahmen zur Kostenminimierung gehen implizit von der Annahme eigennütziger Akteure aus, was, wie im Kapitel 2 beschrieben, dem u.a. vom Gesetzgeber unterstellten "Weltbild" des nicht an Gewinn interessierten, uneigennützigen Anwalts widerspricht. Denn unnötige Kosten sind bei uneigennützigen Anwälten nicht zu erwarten: Diese Anwälte verursachen nur jenen Aufwand, der zur Umsetzung des Rechts unbedingt erforderlich ist; sie würden beispielsweise nur einen Prozeß anstrengen, wenn eine außergerichtliche Einigung unmöglich ist oder beantragen nur die filr die Rechtsfindung unverzichtbaren Verfahrensmaßnahmen vor Gericht. Die gerade beschriebene Regulierung ist folglich unter der Annahme uneigennütziger Anwälte nicht erforderlich. M.a.W.; das Ziel der Kostenminimierung, das ich anband der unterschiedlichen Motive der Rechtsanwälte, der Mandanten bzw. des Staates im folgenden auf seine Plausibilität hin untersuche, ist nur dann wirtschaftpolitisch bedeutsam, wenn man von der Existenz eigennützig motivierter Anwälte ausgehen muß. Die Rechtsanwälte haben ein Interesse daran, ihre Kosten und die der Gerichte nach oben zu treiben, wenn damit ihr Nutzen zunimmt. Unter der Annahme, daß ein solches Verhalten seitens der Anwälte den Nutzen der Mandanten verringert, befindet man sich wieder beim Problem einer nicht funktionierenden Prinzipal-Agent-Beziehung, die ich im dritten Kapitel ausfilhrlich behandelt habe. Für dieses Kapitel gehe ich daher davon aus, daß der Anwalt den Interessen des Mandanten folgen muß; somit kann das Verhalten des Rechtsanwalts keine eigenständige Erklärung filr unerwünscht hohe Kosten liefern, so
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4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
daß eine Beschränkung der Analyse auf die Motive der Mandanten und des Staates möglich wird. Die Mandanten könnten aus einer Reihe von Gründen unnötige Kosten in Form von vermeidbaren Prozessen verursachen. Zum Beispiel wäre zu nennen, daß sie die Erfolgswahrscheinlichkeiten einer Klage überschätzen, durch den Gang vor Gericht Verzugsgewinne realisieren wollen, nicht alle Kosten des Rechtsstreits tragen müssen oder sich strategisch verhalten. Ferner läßt ein unpräzise gesetzter Rechtsrahmen unnötige Kosten entstehen. Diese Argumente, die für den Bereich der Zivilgerichtsbarkeit entwickelt wurden, sind für die Verwaltungs- und Strafgerichtsbarkeit möglicherweise nicht anwendbar; sie sind zu modifizieren oder durch weitere Argumente zu ergänzen. Abschnitt 4.2 behandelt die Frage, ob die Mandanten unnötige Kosten und Prozesse verursachen. Der Staat hat ebenfalls ein Interesse an der Minimierung der Kosten des Rechtswesens, wenn er: - keine kostendeckenden Gerichtsgebühren erhebt; - im Verwaltungsgerichts-undStrafverfahren gegen "seinen Willen" Prozesse führt, ohne daß die entstehenden Kosten ersetzt werden, und - für die Prozeßkosten- und Beratungshilfe aufkommen muß. Diese Fragen werden im Abschnitt 4.3 angesprochen. Im Rahmen des Punktes 4.4 gehe ich zusammenfassend auf die Plausibilität des Ziels "Kostenminimierung durch die Regulierung der Anwälte" ein.
4.2 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung Inwieweit Private unnötige Kosten, insbesondere verzichtbare Prozesse erzeugen, sollte man getrennt nach den verschiedenen Gerichtsbarkeiten (Zivil-; Verwaltungsgerichts- und Strafgerichtsbarkeit) beantworten, denn im Bereich der Straf- und Verwaltungsgerichtsbarkeit sind nicht nur Private beteiligt. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit klagt der Private, der Bürger, gegen den Staat; im Rahmen des Strafverfahrens "klagt" der Staat gegen den Bürger. Dieser "Rollenwechsel" hat möglicherweise auch Rückwirkungen auf die Frage nach den falschen Anreizen der Privaten. In den Abschnitten 4.2.1 - 4.2.3 komme ich auf diese Fragen zurück. Unter Punkt 4.2.4 werden die Ergebnisse zusammengefaßt.
4.2 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung
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4.2.1 "Falsche" Anreize zur Kostensteigerung in der Zivilgerichtsbarkeit In der Zivilgerichtsbarkeit steht ein privater Akteur, der Kläger, dem anderen Privaten, dem Beklagten, gegenüber, und der Kläger versucht, das eigene Recht gegenüber dem Beklagten durchzusetzen. Die inhaltliche Spannbreite bei den strittigen Rechten wird deutlich, wenn man sich die Funktionen des Zivilrechts vergegenwärtigt. Vereinfachend kann man drei Teilbereiche des Zivilrechts unterscheiden: - Mit Hilfe des Schadensersatzrechts will man Schäden im weitesten Sinne verhindern (Prävention) und einen Ausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem herbeiführen (Kompensation). Bei der Präventionsfunktion geht es vor allem um die Fragen, inwieweit die Verhinderung des Schadenseintritts sinnvoll ist und ob die Kosten der Schadensabwicklung minimiert werden. Im Rahmen der Kompensationsfunktion stehen im Mittelpunkt Gesichtspunkte wie die, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe der Geschädigte einen Ersatz seines Schadens vom Schädiger verlangen kann (vgl. zusammenfassend Schäferlütt 1986, S. 134). Gegenstand einer rechtlichen Auseinandersetzung in diesem Zivilrechtsgebiet können daher alle Fragen sein, die sich im Spannungsverhältnis zwischen Geschädigten und Schädiger ergeben und nicht ohne Schwierigkeiten von den privaten Parteien selbst beseitigt werden können. - Das Vertragsrecht stellt jene Normen zur Verfügung, über die sich die Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit nicht geeinigt haben. Insofern kann es die Transaktionskosten zwischen Vertragspartnern senken, die ohne ein vom Staat kodifiziertes Vertragsrecht vermutlich im hohen Ausmaße anfallen (vgl. zusammenfassend Schäferlütt 1986, S. 250). Zweck einer rechtlichen Auseinandersetzung im Bereich des Vertragsrechts ist es daher, sowohl Auslegungsprobleme hinsichtlich des staatlichen Vertragsrechts als auch über die von den Privaten selbst vereinbarten Vertragsbestimmungen auszuräumen. - Eine besondere Rolle im Zivilrecht spielt das Familienrecht, das meist bindende Regeln aufstellt, wie Ehen geschlossen werden, welcher rechtliche Rahmen innerhalb der Ehe gilt und wie eine Ehe wieder aufgelöst werden kann ("Spezielles Vertragsrecht") sowie welche (Schutz-)Rechte den Kindern zukommen ("Spezielles Schadens(verhinderungs)recht"; vgl. zusammenfassend Posner 1977, S. 101-118).
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4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
Aufgrund des sehr speziellen Charakters des Familienrechts beschränke ich im folgenden die Analyse auf die rechtlichen Auseinandersetzungen des Vertrags- und Schadensrechts. Weiter vereinfachend gehe ich davon aus, daß Gegenstand der nachstehenden Überlegungen Fälle wie diese sind: Der Kläger als Vertragspartner verlangt vom Beklagten die Erfilllung einer bestimmten Leistung (Lieferung einer Ware, ersatzweise Zahlung eines Kaufpreises), bzw. der Kläger als Geschädigter besteht auf den Ersatz seines Schadens in Geld. Um diesen Anspruch durchzusetzen, wird sich in der Regel der Kläger zunächst im außergerichtlichen Bereich - u.U. unter Inanspruchnahme anwaltlieber Dienstleistungen- um eine Einigung mit dem Beklagten bemühen. Wenn eine außergerichtliche Einigung (Vergleich) nicht zustande kommt, kann der Kläger vor Gericht gehen. 1 Das Gericht trifft dann eine bindende Entscheidung für beide Parteien. Nach welchem Kalkül werden Kläger und Beklagten in diesem Falle ihre Entscheidungen treffen? Eine der Grundannahme der ökonomischen Analyse (vgl. hierzu Frey 1990, Kapitel I) ist die der Nutzenmaximierung der Akteure, die daher auch auf die Entscheidung der Privaten in Zivilrechtsstreitigkeiten angewandt werden kann (vgl. hierzu grundlegend Adams 1981, S. 3 f.): Ein Kläger bzw. ein Beklagter wird bei der Frage "Vergleich oder Klage" immer jene Alternative wählen, die seinen Nutzen maximiert. Nutzenmaximierung bedeutet hier, daß die privaten Akteure nicht nur alle materiellen Kosten und Nutzen (z.B. Gerichtskosten bzw. Schadensersatzsumme), sondern auch ihre immateriellen Kosten und Nutzen (Ärger im Prozeß bzw. Wunsch nach Gerechtigkeit) in ihr Kalkül einbeziehen. Cooter/Rubinfeld (1989, S. 1074 f.) verweisen ergänzend darauf, daß in das Kalkül der Parteien nicht nur die Nutzen und die Kosten aus dem aktuellen Rechtsstreit eingehen müssen. Erstens, ein Beklagter, der sich den Ruf eines unnachgiebigen Gegners aneignen möchte, wird aus einem wenig kompromißbereit geführten Rechtsstreit einen zusätzlichen Nutzen ziehen. Ein Anspruchsgegner ist zweitens u.U. wesentlich nachgiebiger, wenn er in der Öffentlichkeit keinesfalls das Bild eines streitsüchtigen Vertragspartners erwecken will. In diesem Fall berücksichtigt die Partei in ihrem Kalkül auch andere Kosten außerhalb des konkreten Streits. Auch diese Kosten und Nutzen sind ohne Schwierigkeiten in die folgende Analyse mit einbeziehbar.
1 Von der durchaus bestehenden Möglichkeit, erst vor Gericht einen Vergleich zu schließen, soll aus Gründen der Vereinfachung abstrahiert werden.
4.2 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung
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Für den so beschriebenen Bereich der Zivilgerichtsbarkeit soll nachstehende These untersucht werden: Eine Regulierung der Anwälte mit dem Ziel der Kostenminimierung ist deswegen notwendig, da die privaten Akteure durch den Einsatz des Anwalts vermeidbare Kosten im Rechtswesen erzeugen. Eine Antwort auf die Frage, welche Kosten vermeidbar sind, ist allerdings nur dann zu erwarten, wenn es gelingt, einen Referenzstandard zu bestimmen. Der Abschnitt 4.2.1.1 wird zeigen, daß unter restriktiven Voraussetzungen jeder Prozeß vermeidbar und stattdessen eine außergerichtliche Einigung im jeden Falle von Vorteil ist; die entstehenden Kosten der gerichtlichen Auseinandersetzung sind unnötig. In der Realität kann man allerdings regelmäßig Prozesse beobachten, was durch verschiedene Ursachen erklärt werden könnte: - Existenz inkonsistenter Erfolgswahrscheinlichkeiten bei den Parteien (Abschnitt 4.2.1.2), - Beklagte realisieren durch den Gang vor Gericht Verzugsgewinne (Abschnitt 4.2.1.3). - Nicht erstattete immaterielle Kosten bzw. immaterielle Nutzen aus dem Prozeß verändern die Prozeßneigung (Abschnitt 4.2.1.4). - Die Risikoeinstellung der Parteien beeinflußt die Prozeßbereitschaft (Abschnitt 4.2.1.5). - Ein unzureichend definierter Rechtsrahmen bewirkt Unsicherheiten über den Prozeßausgang, was eine übersteigerte Prozeßneigung zur Folge haben kann (Abschnitt 4.2.1.6). - Das Auftreten strategischen Verhaltens verhindert an sich mögliche Vergleiche, vermehrt die Zahl der unnötigen Prozesse und erhöht über Gebühr den rechtlichen Aufwand (Abschnitt 4.2.1. 7). Welche Argumente letztendlich die zu beobachtende Prozeßtätigkeit erklären können und ob dann die Regulierung der Anwälte ein geeignetes Mittel zu Kostenminimierung darstellt, behandele ich zusammenfassend im Abschnitt 4.2.1.8. 4.2. 1.1 Der Referenzstandard
Die Frage nach dem zu verwendenden Referenzstandard läßt sich beantworten, indem man zunächst das Kalkül beider Parteien zwischen Klage und Ver-
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
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gleich nachzeichnet. Auch aus diesem Kalkül sind dann die Bedingungen ableitbar, unter denen es zu keinen Prozessen kommt. 2 Kläger und Beklagte entscheiden in dem folgenden Modell allein anband der zu erwartenden materiellen Kosten (PK) und Nutzen (einklagbarer Zahlungsanspruch S), ob sie einen Vergleich eingehen oder sich auf eine Gerichtsentscheidung verlassen. 3 Diese materiellen Größen stehen stellvertretend ftlr die gesamten Auszahlungen der beiden Alternativen, also auch ftlr die immateriellen Nutzen und Kosten. Ferner vereinfache ich hinsichtlich des Verhaltens der Parteien: Der Ausgang des Prozesses stellt ein unsicheres Ereignis dar, und die beiden Akteure berücksichtigen die Unsicherheit, indem sie sich risikoneutral verhalten; formal bedeutet dies, daß sie ftlr zukünftige Ereignisse den Erwartungswert bilden und dann jene Alternative wählen, die den höchsten Erwartungswert aufweist. 4 Um die Abwägung "Prozeß versus Vergleich" nachzeichnen zu können, ist es sinnvoll, die Überlegungen des Beklagten und die des Klägers getrennt zu betrachten.
K 8
EW
vo
1
Vgl. zum folgenden Modell ausftlhrlich Adams (1981, S. 4-19).
3
Notation: Kläger. Beklagter. Prozeßkosten (=Rechtsdurchsetzungskosten) des Klägers. Prozeßkosten (=Rechtsdurchsetzungskosten) des Beklagten. subjektiv wahrgenommene Wahrscheinlichkeit des Klägers, daß er den Prozeß gewinnen wird; 0 ~ pK ~ I. subjektive "Verlustwahrscheinlichkeit" des Klägers; pK + (1-pK) = I. subjektiv wahrgenommene Wahrscheinlichkeit des Beklagten, daß er den Prozeß gewinnen wird; 0 :S p8 :S I. subjektive "Verlustwahrscheinlichkeit" des Beklagten; p8 + (l-p 8 ) = I. Streitwert (Eingeklagter Zahlungsanspruch des Klägers bzw. Schaden, den der Beklagte im Unterliegensfall zu zahlen hat); beide Parteien stimmen hinsichtlich der Erwartungen Ober die Höhe des einklagbaren Anspruchs Uberein: S8 = SK. Erwartungswert des risikoneutralen Klägers/Beklagten hinsichtlich des Prozeßverlaufes. maximale Summe, die der Beklagte zur Abwendung des Prozesses im Vergleich an den Kläger zu zahlen bereit ist; V8 < 0. Mindestsumme, die der Kläger im Vergleich vom Beklagten erhalten muß, damit er auf die prozessuale Durchsetzung verzichtet; VK > 0.
• Realistischer ist vermutlich, daß sich auch die Mandanten, wie die meisten Individuen (vgl. z.B. von der Schulenburg 1992, S. 401), zumindest bei hohen auf dem Spiel stehenden Beträgen risikoscheu verhalten. Formal adäquat zu behandeln wäre dann dieses Phänomen, indem man auf die Annahme der Maximierung des Erwartungsnutzens übergeht. Auch hier zeigt wieder Adams (1981, S. 93-101) sehr anschaulich, daß auch bei Risikoaversion prinzipiell die gleichen Überlegungen angestellt werden (vgl. auch Abschnitt 4.2.1.6).
4.2 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung
231
Die Sicht des Beklagten: Der Beklagte wird es auf einen Prozeß ankommen lassen, wenn er erwartet, im Prozeß weniger bezahlen zu müssen, als der Kläger im Vergleich fordert: (1) Der Kläger wird nur dann bereit sein, einen Vergleich einzugehen, wenn er beim Vergleich mindestens soviel bekommt, wie er als Ergebnis des Prozesses erwarten kann. Ich gehe davon aus, daß bei gleichem Nutzen durch den Prozeß und den Vergleich der Kläger den Vergleich vorzieht. 5
(2) Aus der Verknüpfung von ( l) und (2) ergibt sich die Bedingung, wann der Beklagte sich verklagen läßt, statt sich zu vergleichen.
(3)
Die Sicht des Klägers: Der Kläger wird solange prozessieren, wie das Vergleichsangebot des Beklagten niedriger ist als der von ihm subjektiv wahrgenommene Erwartungswert des Prozesses. (4) Der Beklagte wird dem Kläger als Ausgleichszahlung im Vergleich maximal nur soviel anbieten, wie er im Falle des Prozesses erwartet, wenn man davon ausgeht, daß auch der Beklagte bei gleichem Nutzen zwischen Prozeß und Vergleich den letzteren wählen wird.
(5) Der Kläger wird folglich dann zum Prozeß schreiten, wenn
(6) (6a)
' Ferner sei unterstellt, daß der Vergleich kostenlos möglich ist. Für dieses Thema hier ist allerdings nur entscheidend, daß der Vergleich auf jeden Fall geringere Kosten als die Auseinandersetzung vor Gericht (PK beider Parteien) verursacht.
232
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
Da (3) und (6a) übereinstimmen, entscheiden Kläger und Beklagter formal nach dem gleichen Kalkül, wann sie vor Gericht ziehen oder einen Vergleich akzeptieren. Ob es zu einem Prozeß kommt, hängt jedoch auch davon ab, wer die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. In Deutschland muß im Zivilprozeß der Verlierer auch die Kosten des Gewinners übernehmen (Unterliegensprinzip, § 91 ZPO). Genauer gesagt, der Verlierer ist verpflichtet, die vollen Gerichts- und Anwaltsgebühren bis zur Höhe des gesetzlich Erlaubten zu ersetzen, d.h. darüber hinausgehende, privat vereinbarte Gebühren werden nicht erstattet (vgl. Abschnitt 2.2.2). Ich verstehe vereinfachend unter dem Unterliegensprinzip, daß der Unterlegene alle Prozeßkosten tragen muß.6 Unter Zugrundelegung des Unterliegensprinzips kann man die Voraussetzungen ftlr das Auftreten eines Prozesses wie folgt präzisieren. Der Kläger erwartet aus dem Prozeß: (7)
Der Beklagte bildet ftlr den Prozeßausgang folgenden Erwartungswert: (8)
Unter dem Unterliegensprinzip kommt es nach (3) bzw. (6a) zum Prozeß, wenn (9)
Die Gleichungen (7) und (8) in den Ausdruck (9) eingesetzt, ergibt
6 In den USA gilt das (eingeschränkte) Alleintragungsprinzip, da der Verlierer nur die gesamten Gerichtskosten bezahlen muß; der Gewinner bleibt immer auf seinen Anwaltskosten sitzen (vgl. Posner 1977, S. 435). In Großbritannien wurde dagegen das volle Unterliegensprinzip eingefllhrt, d.h. die siegreiche Partei muß keinerlei (materielle) Kosten tragen. Vgl. zu einer ausfllhrlichen Beschreibung und Analyse verschiedener Kostenzurechnungsregeln z.B. Shavell (1982a), Hause (1989) und Synder!Hughes (1990). In dieser angelsächsischen Literatur gibt es auch eine breite Diskussion Ober die Vor- und Nachteile verschiedener Kostenzurechnungsregeln. FUr meine positiv ausgerichtete Arbeit kann dieser Vergleich unberücksichtigt bleiben, denn das Unterliegensprinzip gilt in Deutschland, und es geht hier nur darum zu klären, wie sich unter Zugrundelegung des Unterliegensprinzips verschiedene Einflußfaktoren auf die zu beobachtende Prozeßneigung der Parteien und damit auf die Gefahr der Kostenerhöhung auswirken.
4.2 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung
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Umgeformt: (IOa)
Gleichung (IOa) zeigt die Bedingung für das Zustandekommen eines Prozesses auf: Da die Prozeßkosten beider Parteien immer positiv sind sowie kein negativer Streitwert auftreten kann, ist die linke Seite der Gleichung immer größer als 1; folglich ist ein Prozeß objektiv nicht möglich, wenn sich die subjektiven Erfolgswahrscheinlichkeiten zu Eins aufaddieren (konsistente Wahrscheinlichkeiten). Die Bedingung der konsistenten Erfolgswahrscheinlichkeiten ist immer dann erfüllt, wenn die beiden Parteien die Erfolgsaussichten des Rechtsstreits übereinstimmend beurteilen. Schätzt z.B. der Kläger seine Erfolgschancen auf 80% (pK = 0,8), und der Beklagte seine Chance auf 20% (p8 = 0,2), gibt es keinen Grund, eine Einigung erst vor Gericht zu suchen, sondern ein außergerichtlicher Vergleich ist immer vorteilhafter. Konsistente Erfolgswahrscheinlichkeiten sind gleichbedeutend mit vollständiger Information hinsichtlich Prozeßgegenstand, Beweis- und Rechtslage. Aus Gleichung (l Oa) kann man auch ablesen, daß ein gewisses Maß an Inkonsistenz noch nicht zu einem Prozeß führen muß, denn die "zusätzlichen" Rechtsdurchsetzungskosten beider Parteien (PKK + PK8 ) im Zähler des Bruches auf der linken Seite der Gleichung bremsen die Prozeßbereitschaft, auch wenn die Summe der Erfolgswahrscheinlichkeiten größer als Eins ist. M.a.W.; der Streit vor Gericht erzeugt Kosten, die durch einen Vergleich vermieden werden. Unter der Annahme der vollständigen Information bei allen Akteuren läßt sich daher zeigen, daß Prozesse völlig unnötig sind, da sich die Parteien freiwillig außergerichtlich einigen; 7 die Zuhilfenahme eines Anwaltes, um den Anspruch an den potentiellen Beklagten zu richten, erübrigt sich ebenfalls: Aufgrund der beidseitigen vollständigen Information wird der Anspruchssteiler nur eine realistische Forderung stellen und der Anspruchsgegner die Begründetheit dieser Forderung sofort erkennen. Da keine Prozesse entstehen, wäre es völlig unplausibel, eine prozeßkostenminimierende Anwaltsregulierung zu implementieren. In der Realität kann man aber eine Vielzahl von Prozessen beobachten, so daß sich die Frage nach den Ursachen für diese Entwicklung stellt.
7 Die Existenz der Zivilgerichte ist trotzdem notwendig, denn die KlägermUssen die Möglichkeit haben, mit der Einschaltung des Gerichts zu drohen. Vgl. hierzu ausftlhrlicher Abschnitt 4.3.2.4.
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4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
4.2.1.2 Inkonsistente Erfo/gswahrschein/ichkeiten
Eine mögliche Erklärung für die rege Prozeßtätigkeit könnte natürlich in der Existenz inkonsistenter Erfolgswahrscheinlichkeiten zwischen den Parteien liegen, was gleichbedeutend mit der Aufhebung der Annahme "vollständiger Information" ist. Die erwarteten Rechtsdurchsetzungskosten, d.h. in Deutschland im Prinzip die Gerichts- und Anwaltskosten beider Parteien multipliziert mit der erwarteten Verlustwahrscheinlichkeit, mindern dann zwar die Prozeßbereitschaft jeder Partei. Aber je mehr eine Partei ihre Verlustwahrscheinlichkeit unterschätzt (und damit weniger informiert ist), um so weniger fallen für sie die Rechtsdurchsetzungskosten ins Gewicht; die Prozeßneigung steigt an. Das Ausmaß, inwieweit es aus Inkonsistenzen zu Prozessen kommt, hängt davon ab (vgl. Adams 1981, S. 19-22 und S. 80 f.), ob - sich jede Partei über die geltende Rechtslage informieren kann; - jede Partei den vorliegenden Sachverhalt der Rechtslage zuordnen kann; - der Kläger oder der Beklagte die für ihn günstigen Tatsachen vor Gericht zu beweisen vermag und - jede Partei die Beweisfiihigkeit der Gegenpartei zutreffend einschätzt. Im weiteren Sinne kann man auch unter inkonsistenten Erwartungen das Problem verstehen, daß der Kläger die ihm potentielle zustehende Schadensersatzsumme über- oder der Beklagte die zu erwartende Zahlungen in ihrer Höhe unterschätzt (S ist unbekannt), was in dem obigen Modell jedoch ausgeschlossen wurde. Zwar werden Prozesse aufgrund inkonsistenter Erwartungen in einer Welt der vollständigen und kostenlosen Information nicht auftreten, da aber diese Welt mit der realen nichts gemein hat, sind Prozesse unvermeidlich. Allerdings 'Sollte man dabei einen Gesichtspunkt nicht vergessen: Inkonsistente Wahrscheinlichkeiten sind die Kehrseite des Rechts jedes Bürgers, seine Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. In der deutschen Anwaltsregulierung schlägt sich das Problem der inkonsistenten Erfolgswahrscheinlichkeiten in drei Vorschriften nieder: Erstens, das Verbot der Simultanzulassung am LG und OLG kann man auch dahingehend erklären, daß ein anderer Anwalt nochmals unvoreingenommen die Sache prüfen soll, bevor die nächsthöhere Instanz angerufen wird. M.a.W.; durch die Einschaltung eines zweiten Anwalts hofft man, eine zutreffendere Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeiten zu bewirken. Zweitens soll das Verbot von
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Erfolgshonoraren verhindern, daß der Rechtsanwalt die Erfolgsaussichten des Falls zu positiv darstellt, so daß er die subjektiv wahrgenommene Erfolgswahrscheinlichkeit nach oben treibt und somit inkonsistente Erwartungen erzeugt. Drittens stellt das Werbeverbot u.U. sicher, daß weniger Mandate an die Anwälte herangetragen werden; folglich geht die verzerrende Einflußmöglichkeit der Anwälte zurück. Inwieweit sind diese Eingriffe plausibel, um das Ziel "weniger Prozesse" zu erreichen? Viele Mandanten bedienen sich der anwaltliehen Dienstleistung, um die Erfolgsaussichten einer rechtlichen Auseinandersetzung besser abschätzen zu können. Folglich könnte man am Verhalten der Anwälte ansetzen, um das Ausmaß inkonsistenter Erwartungen und damit auch die Zahl vermeidbarer Prozesse zu vermindern (vgl. auch Adams 1981, S. 29). Um sich ein abschließendes Urteil über die Geeignetheit dieser speziellen Regulierungsform bilden zu können, sollte man zwei Gesichtspunkte berücksichtigen: - Ungleiche Information zu Lasten der Mandanten nach Vertragsschluß kann selbstverständlich dazu filhren, daß eigennützige Anwälte die Erfolgsaussichten zu rosig darstellen und somit die Prozeßneigung verstärken (so auch Adams 1981, S. 30). Allerdings habe ich bereits weiter oben darauf hingewiesen, daß dieser Aspekt Thema des dritten Kapitels ist.8 - Durch die Einschaltung eines Anwalts, der vom Mandanten im ausreichenden Maße überwacht wird, kann es zu Fehleinschätzungen der Erfolgswahrscheinlichkeiten kommen (vgl. zusammenfassend Adams 1981, S. 29 f.): Die Anwälte sind immer wieder auf die Aussagen ihrer Mandanten und u.U. von Zeugen angewiesen, deren Wahrheitsgehalt fragwürdig sein mag; dem Anwalt können auch Fehler hinsichtlich der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts unterlaufen. Beide Faktoren führen zusätzliche Unsicherheitselemente über den zu erwartenden Ausgang des Prozesses ein, ohne daß ungleiche Information zu Lasten der Mandanten vorliegt und eigennützige Anwälte existieren. In diesem Zusammenhang ist aber die Richtung der Fehleinschätzung offen, denn die Anwälte können auch die Erfolgschancen zu pessimistisch einschätzen mit der Folge einer zurückgehenden Prozeßneigung. Folglich ist nach Adams nicht auszuschließen, daß dieser Faktor rein
8 Adams (1981 , S. 30 f.) verweist selbst darauf, daß der Reputationsmechanismus die Anwälte von einer Benachteiligung ihrer Mandanten abhalten kann. Ferner schließt er nicht aus, daß die Mandanten mit einer Verzerrung seitens der Anwälte rechnen und deswegen die Aussagen ihres Anwalts mit Vorsicht aufnehmen und gegebenenfalls einen systematischen Abschlag vornehmen. Diese Faktoren können dazu fuhren, daß die prozeSsteigemden Einflüsse seitens der Anwälte nicht zum Zuge kommen.
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zufallsbedingt auftritt und keine systematische Verzerrung verursacht. Meiner Ansicht nach sollte man darüber hinaus die Bedeutung der durch den Anwalt zusätzlich hineingetragene Unsicherheit nicht überschätzen, denn welche andere Person als der juristisch ausgebildete und erfahrene Rechtsvertreter wird besser die Erfolgsaussichten bewerten können, indem er die beteiligten Akteure eingehend befragt, Beweise einfordert und den Lebenssachverhalt auf die passende Rechtslage überträgt (vgl. hierzu die Abschnitte 3.2.2.2 und 3.2.2.4)? Der hinreichend überwachte und qualizierte Anwalt wird also eher das Ausmaß an Fehleinschätzungen senken. Insofern kann man aus diesem Argument nicht herauslesen, daß eine Regulierung der Anwaltschaft notwendig wäre, um eine auf der Ebene der Mandanten bestehende Inkonsistenz hinsichtlich der Bewertung der Erfolgsaussichten zu beseitigen. Die in Deutschland ergriffenen Regulierungen bei der Anwaltschaft mit dem Ziel, Fehleinschätzungen der Mandanten zu vermindern, sind ohne Vorliegen ungleicher Information als wenig sinnvoll anzusehen. Das Problem ungleicher Information wurde bereits im dritten Kapitel in einer umfassenden Betrachtung erörtert. Sollte man freilich dort zum Ergebnis gelangen, daß ungleiche Information zu Lasten der Mandanten nicht beseitigbar ist, wäre es möglicherweise sinnvoll, mit Hilfe der Anwaltsregulierung das Ausmaß an inkonsistenten Erfolgswahrscheinlichkeiten zu senken. 4.2. 1.3 Verzugsgewinne
Eine weitere Ursache ftlr vermeidbare Prozesse kann man in der Tatsache sehen, daß der Anspruchsgegner durch den Gang vor Gericht Verzugsgewinne realisieren kann, die er im Falle des Unterliegens nicht zurückerstatten muß. Im Zivilrecht muß auch der sich zweifellos im Recht befindliche Anspruchssteiler das Gericht einschalten, falls sich der Anspruchsgegner weigert, denn Selbsthilfe ist ausgeschlossen. Dieser "Umweg" kann dauern; in der Zwischenzeit entstehen u.U. dem Anspruchssteiler Verzugsschäden (vgl. hierzu Adams 1981, S. 60). Sind ftlr den Anspruchsgegner die erwarteten Erträge aus einem langwierigen Prozeß höher als die erwarteten Kosten, ist es ftlr ihn nutzenmaximierend, sich verklagen zu lassen, im Extremfall die Rechtsangelegenheit bis in die letztmögliche Instanz zu tragen. Die Kosten eines chancenlosen Anspruchsgegners, auf Zeit zu spielen, stellen die Gerichts- und Anwaltskosten beider Parteien dar, die nach Ende des Gerichtsverfahrens nach § 91 ZPO selbst auf ihn zurückkommen. Vom Staat subventionierte Gerichtsgebühren senken ftlr ihn die erwarteten Kosten des
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Rechtsstreits; fiir die Bundesrepublik Deutschland gibt es deutliche Anreize fiir nicht kostendeckende Gerichtsgebühren (vgl. Abschnitt 4.3.1), so daß die Realisierung von Verzugsgewinnen erleichtert wird. Die Erträge eines langwierigen Verfahrens können verschiedener Natur sein: - Nach § 288 BGB und nach § 352 HGB erhält ein Gläubiger nur vier bzw. fiinf Prozent als Verzugszinsen; es sei denn, der Gläubiger kann nachweisen, daß ihm ein höherer Verlust am Kapitalmarkt entstanden ist. In der Regel gelingt es allerhöchstens Kaufleuten, einen solchen Beweis zu führen. All jene, die einen solchen Beweis nicht erbringen können, tatsächlich jedoch einen höheren Verlust aufweisen, erteilen ihrem Schuldner einen unzureichend verzinsten Zwangskredit; für den Anspruchsgegner stellt die Zinsdifferenz den Ertrag eines aussichtslosen Prozesses dar (vgl. Adams 1981, S. 60-63). - Möglicherweise kann man einen Mieter erst mit großer Zeitverzögerung zur Aufgabe der Wohnung zwingen, selbst wenn das Kündigungsverlangen ohne Zweifel berechtigt ist. Der Mieter wird dann besonders auf seine bisherige Wohnung beharren, wenn er für eine andere Wohnung mehr bezahlen muß oder gar keine neue Wohnung findet. Der Mieter realisiert einen Verzugsgewinn (vgl. Kotzorek 1985a, S. 10).9 Immer dann, wenn die Verzugsgewinne höher sind als die anfallenden (zu erwartenden) Rechtsdurchsetzungskosten, ist es für jede Partei nutzenmaximierend, sich verklagen zu lassen, obwohl von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg besteht. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht stellen solche Prozesse allerdings eine Verschwendung dar, da die Rechtslage für alle eindeutig ist und daher ohne das Vorliegen eines Verzugsgewinnes eine außergerichtliche Einigung ohne weiteres möglich wäre. Welche Möglichkeiten hat man, diese Verschwendung zu beseitigen? Der Staat kann erstens die Gerichtsgebühren auf ein kostendeckendes Niveau anheben (vgl. hierzu Abschnitt 4.3.1). Mit diesem Schritt würden viele Fälle, in denen heute noch der Anspruchsgegner durch seine hartnäckige Haltung einen Nettonutzen erzielt, nicht mehr vor Gericht kommen. Zweitens ist es möglich, den Ertrag eines verschleppten Prozesses zu senken, indem man dem Gläubiger
9 Kotzorek ( 1985a, S. I 0) argumentiert, daß der Inhaber eines Arbeitsplatzes einen Verzugsgewinn realisieren könnte, wenn er erst durch ein Gerichtsurteil aus seinem Arbeitsplatz wirksam gekündigt werden kann. Allerdings sollte man sich hier vergegenwärtigen, daß in der Regel der Arbeitgeber kündigt und der Arbeitnehmer auf Weiterbeschäftigung klagt; Verzugsgewinne kann daher letzterer nicht realisieren.
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einen höheren, marktgerechten Verzugszinssatz zukommen läßt. Im Falle des Mietverhältnisses z.B. müßte das Gericht dann im Kündigungsschutzurteil dem unterlegenen Mieter einen höheren, den tatsächlichen Knappheitsverhältnissen entsprechenden Mietzins flir die Prozeßdauer auferlegen. Man kann drittens die Anwälte durch eine entsprechende Ausgestaltung ihrer Berufsregulierung dazu anhalten, daß sie die Mandanten, die ausschließlich zum Zwecke der Realisierung eines Verzugsgewinnes klagen, vom Prozeß abhalten. In Deutschland schlägt sich dies in der Rechtsfigur "Der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege" nieder. Damit dieser Weg erfolgreich sein kann, müssen alle Anwälte uneigennützig handeln und deswegen auf solche Mandate bzw. auf die daraus folgenden Honorareinnahmen verzichten. Vermutlich wird es aber immer einige eigennützige Anwälte geben, die auch ausschließlich mit Verzugsgewinnen motivierte Prozesse übernehmen, insbesondere wenn sie freie Kapazitäten haben.10 Verweigert sich unter dieser Bedingung ein uneigennütziger Anwalt, wird der Mandant nach einem anderen Standesvertreter suchen, der sich weniger als ein "Organ der Rechtspflege" versteht. Selbst ein freiwillig der Gerechtigkeit verpflichteter Anwalt wird diese Ausweichmöglichkeit voraussehen und daher vielfach von Anfang an dem Verlangen eines solchen Mandanten nachgeben. Aus meiner Sicht erscheint die Erhöhung der Gerichtsgebühren auf ein kostendeckendes Niveau der sinnvollste Weg zu sein, um das Ausmaß an Prozessen zu minimieren, die nur aufgrunddes Strebens nach Verzugsgewinnen eingegangen werden. Denn wie im Abschnitt 4.3.1 gezeigt wird, wäre der "Preiserhöhungseffekt" so hoch, daß vermutlich in vielen Fällen die Erträge aus langwierigen Prozessen nicht mehr ausreichen, die Kosten zu decken. Die zweite Alternative, die Berechnung der Verzugsschäden neu zu regeln, wäre als flankierende Maßnahme erwägenswert. Der Weg über die Anwaltsregulierung hat vermutlich den großen Nachteil, daß er nicht funktioniert: In der Regel werden die Anwälte sich eigennützig verhalten, oder der Wettbewerbsdruck innerhalb der Anwaltschaft ist so groß, daß uneigennütziges Verhalten zumindest auf Dauer nicht aufrechterhalten wird. 4.2.1.4 Immaterielle Kosten und Nutzen
Die für den Verlierer geltende Kostenerstattungspflicht des § 91 ZPO beruht auf dem im Zivilrecht allgemein geltenden materiellen Kostenbegriff, so daß
10 Vgl. hierzu auch Abschnitt 3.5.2, der sehr deutlich die Umsetzungsprobleme einer solchen Politik zeigt.
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immaterielle Kosten wie zum Beispiel die psychische Belastung eines Beklagten, der zu Unrecht in einen Rechtsstreit verwickelt wird, selbst im Fall des Obsiegens unersetzt bleiben. Die nicht ersetzten immateriellen Kosten senken den Erwartungswert fiir den Prozeß und erhöhen damit die Vergleichsbereitschaft; die Prozeßneigung der Parteien geht zurück (vgl. zusammenfassend Adams 1981, S. 49-52). Man hat also hier eine Erklärung gefunden, warum die Beteiligten selbst vor einer Einschaltung der Gerichte zurückschrecken. Insofern dämpft die Existenz immaterieller Kosten die anderen in diesem Abschnitt 4.2 behandelten kostensteigenden Ursachen; eine kostendämpfende Anwaltsregulierung aufgrunddes Nichtersatzes immaterieller Kosten wäre unsinnig. Gerade eine gegengerichtete Wirkung ist von der Existenz eines "Prozeßhansels" zu erwarten, der unabhängig vom Ausgang des Prozesses eine Nutzenerhöhung erflihrt: Er prozessiert, weil es Freude macht und Feinde schafft. Im Falle eines "Prozeßhansels" verringert sich daher die Wahrscheinlichkeit eines Vergleichs und die filr einen Prozeß erhöht sich (vgl. Adams 1981, S. 52). Formal kann man den Fall des "Prozeßhansels" der Analyse der Verzugsgewinne zuordnen, denn jene Gewinne und der Nutzen des "Prozeßhansels" stellen zusätzlichen Nutzenbestandteile des Prozesses dar; beide Faktoren erhöhen die Prozeßneigung. Wie bei dem Problem der Verzugsgewinne bereits beschrieben, ist es fraglich, ob eine hierauf gerichtete Anwaltsregulierung durchfuhrbar ist: Der "Prozeßhansel" wird solange nach einem nicht intrinsisch motivierten Anwalt suchen, bis er einen findet; da die Anwälte dies voraussehen können, werden sie zumindest bei freien Kapazitäten dem Verlangen der "Streitsüchtigen" nachgeben. 4.2.1.5 Risikoeinstellung
In dem Abschnitt 4.2.1.1 habe ich risikoneutrale Parteien unterstellt, und nach der Analyse innerhalb dieses Gliederungspunktes sieht man, daß Prozesse gar nicht auftreten dürften. Risikoneutralität stellt aber nur eine Form der möglichen Risikoeinstellungen dar, die weiteren Formen sind Risikoaversion und Risikofreude. Im folgenden soll daher untersucht werden, wie der bisher vernachlässigte Faktor "Risikoeinstellung" die Prozeßneigung beeintlußt. Im Falle der Risikoneutralität schätzt ein Individuum ein unsichereres Ereignis gleich ein wie ein sicheres, wenn der Erwartungswert des unsicheren Ereignisses dem Endvermögen bei Sicherheit entspricht; in Bezug auf die Entscheidung "Vergleich oder Prozeß" ist es filr die risikoneutralen Prozeßparteien unerheblich, daß der Prozeßausgang mit Unsicherheit behaftet ist. Risikoaverse
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Akteure scheuen gerade diese Ungewißheit und werden u.U. deshalb in Abhängigkeit vom Ausmaß ihrer Risikoscheuheil bzw. der Nutzendifferenz zwischen dem sicheren Vergleich und dem unsicheren Prozeß den Vergleich akzeptieren, obwohl der Erwartungswert des Prozesses höher ist als das sichere Endvermögen beim Vergleich (vgl. Adams 1981, S. 66). Im Falle der Risikofreude gilt der umgekehrte Zusammenhang, d.h. der Prozeß wird u.U. sogar dann vorgezogen, wenn der Erwartungswert des Prozesses geringer ist (vgl. allgemein Varian 1991, S. 200-211). Wie wirkt sich die Risikoeinstellung auf die Prozeßneigung insgesamt aus? Adams (1981, S. 69-73) zeigt sehr ausführlich, daß risikoaverse Parteien fiir den unsicheren Ausgang des Prozesses quasi eine Risikoprämie ansetzen. Sie werden also beim Erwartungswert fiir den Prozeß einen Abschlag vornehmen. Ceteris paribus bewirkt also die Risikoaversion, daß die Parteien weniger klagen und sich mehr vergleichen. Man kann unterstellen, daß sich die meisten Personen zumindest bei Risiken, die ihr Vermögen im erheblichen Ausmaß bedrohen, risikoaversverhalten (vgl. z.B. Franke 1988 oder Von der Schulenburg 1992, S. 401). Für das Rechtswesen folgt daraus, daß sich ftir den Fall hoher Streitwerte eine abnehmende Tendenz zu vermeidbaren Prozessen ergibt und sich damit die Gefahr unnötiger Kosten abschwächt. Eine Anwaltsregulierung mit dem Ziel der Kostenminimierung ist aus diesem Grund im Falle hoher Streitwerte nicht erforderlich. Im Falle geringer Streitwerte mag dies anders aussehen. Bevor man hier allgemein auf das Verhalten der Anwälte einwirkt, sollte man sich die Höhe der Gebühren ansehen. Wie bereits im Abschnitt 2.2.2 vorgestellt und wie noch in Abschnitt 4.3.1 ausführlich behandelt wird, sind in Deutschland die Gerichts- und Anwaltsgebühren im Vergleich zu den tatsächlich anfallenden Kosten gerade filr die niedrigen Streitwerte zu gering. Insofern kann man nicht ausschließen, daß der Staat filr diese Gruppe der Rechtsangelegenheiten es durch zu niedrige Gebühren ermöglicht, sich risikofreudig zu verhalten. Die Erhebung kostendeckender Gebühren ist daher zu allerst erwägenswert, falls sich im speziellen Fall niedriger Streitwerte tatsächlich risikofreudiges Verhalten empirisch nachweisen läßt. Eine Regulierung der Anwälte aus diesem Grund wäre daher wohl kaum ursachenadäquat 4.2.1.6 Unzureichend gesetzter Rechtsrahmen
Ein unzureichend gesetzter Rechtsrahmen im Zivilrecht erzeugt Rechtsunsicherheit, was sich auch in vermeidbaren Prozessen niederschlägt (vgl. zusammenfassend Adams 1981, S. 28 f.). In vielen Bereichen des Zivilrechts existieren unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklause1n, die von den Parteien ex ante kaum eingeschätzt werden können. Auch durch zusätzliche Informations-
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anstrengungen der Parteien, z.B. durch die Einschaltung von sachverständigen Rechtsanwälten, ist in diesem Falle kaum eine merkliche Besserung zu erwarten. Erst wenn der Rechtsstreit in der letzten Instanz entschieden ist, entfallt die Rechtsunsicherheit Diese Unsicherheit macht den Ausgang des Prozesses kaum vorhersehbar. Die subjektiven Erfolgswahrscheinlichkeiten der Parteien können sich nicht an den objektiven Wert annähern, so daß die Frage "Prozeß oder Vergleich" dem Zufall überlassen bleibt. Zu viele Prozesse sind daher möglich. Hier die Anwaltsregulierung als Gegenmittel einzusetzen, ist kaum von Erfolg gekrönt, denn die Rechtsanwälte können die Rechtsunsicherheit auch nicht wesentlich beseitigen. Um diese Quelle vermeidbarer Prozesse zu verstopfen, kann man nur an der Ursache ansetzen, d.h. Gesetze mit weniger Rechtsunsicherheit erlassen. 11 4.2.1. 7 Strategisches Verhalten
Strategisches Verhalten einer (oder beider) Prozeßpartei(en) kann ebenfalls dazu führen, daß ein außergerichtlicher Vergleich nicht erreicht wird, obwohl er objektiv möglich wäre (vgl. hierzu Abschnitt 4.2.1.1). Folgende Faktoren können zu einem strategischen Verhalten der Parteien fiihren, das vermeidbare Prozesse heraufbeschwört: - Bisher gingen wir davon aus, daß sich jede Partei an ihrem Erwartungswert für den Prozeß orientiert und entsprechend ein Vergleichsangebot abgibt. Wird sich aber ein Kläger mit der Mindestforderung begnügen oder nicht versuchen, einen höheren Ertrag aus dem Rechtsstreit herauszuholen? Ebenfalls ist nicht a priori einzusehen, daß ein Beklagter dem Anspruchssteiler gleich sein Höchstangebot im Rahmen des Vergleichs offeriert (vgl. zusam-
11 in der amerikanischen Literatur wird auch darOber diskutiert, ob ein Rechtsrahmen, der die Property Rights adäquat zuordnet, ausreicht, eine effiziente Allokation zu gewährleisten: Eine effiziente Allokation ergäbe sich nur, wenn der Rechtsverletzter mit einer gerichtlichen Durchsetzung der gegen ihn gerichteten Ansprüche rechnen muß; vgl hierzu Shavell (1982a), Mene/1 (1983), Kaplow (1986), Rose-Ackerman/Geistfeld (1987). Diese Frage ist aber ftlr die Erklärung des in Deutschland diskutierten Wunsches nach Kostenminimierung irrelevant, denn nur unter der amerikanischen Kostenzurechnungsregel (auch der Gewinner trägt seine Rechtsanwaltskosten) kann ein eindeutiger Rechtsverletzer darauf hoffen, daß im Falle eines geringen Nutzens des Geschädigten, des Klägers, dieser aufgrund der sicher auf ihn zurückfallenden Rechtsanwaltskosten auf eine Klage verzichten wird; in diesem Falle könnte der Rechtsverletzter von der effizienten Rechtsordnung abweichen. Nach deutschem Kostenrecht muß der eindeutige Rechtsverletzer sehr wohl mit einem verlorenen Prozeß rechnen, denn der Kläger trägt im eindeutigen Falle kein Kostenrisiko und geht deshalb auf jeden Fall vor Gericht.
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menfassend Adams 1986). Verlangt der Kläger aber zuviel, bzw. bietet der Beklagte zu wenig an, kann es passieren, daß die Forderung des Klägers höher liegt als das Angebot des Beklagten; im außergerichtlichen Verfahren wird eine Einigung verfehlt, und die Parteien finden sich vor Gericht wieder. Es handelt sich dann um einen vermeidbaren Prozeß, denn hätten sich beide Parteien nicht strategisch verhalten (keine taktischen Vergleichsangebote), wäre eine außergerichtliche Einigung erfolgt. Ein solches Verhalten ist aber nicht risikolos, denn bei Scheitern des Vergleichs kommt es zum kostenintensiven Prozeß. Folglich werden die Parteien im Geheimen eine Abwägung treffen, bei der sie die erwarteten Ertragsmöglichkeiten strategischen Verhaltens mit den erwarteten Kosten vergleichen. Bei dieser Abwägung bilden sie Vorstellungen heraus, wie die Gegenpartei auf das eigene Vergleichsangebot reagieren wird. Wenn sie dabei die Konzessionsbereitschaft der Gegenpartei überschätzen, schädigen sie sich ungewollt selbst, indem sie Prozeßkosten ganz oder teilweise tragen müssen. Ob ein solches Problem strategischen Verhaltens, das man analog zum bilateralen Monopol als Stehvermögenswettstreit bezeichnen kann, in der Realität tatsächlich auftritt, hängt vor allem von zwei Bedingungen ab: Je weniger es einer Partei gelingt, ihren strategischen Verhandlungsspielraum geheimzuhalten, um so besser kann die Gegenpartei auf die potentiellen Nachteile eines Prozesses verweisen (zurückgehende Glaubwürdigkeit); je mehr Verhandlungsrunden stattfinden, in denen die Parteien ihre Erwartungen revidieren können, um so unwahrscheinlicher wird eine Fehleinschätzung der Vergleichsbereitschaft und damit das Auftreten eines Prozesses. Die Relevanz dieses Faktors sollte man empirisch überprüfen. - Cooter/Rubinfeld (1989, S. 1072 f.) diskutieren die These, daß die Ausgaben vor Gericht, die eine Partei tätigt, eine wichtige Signalfunktion übernehmen. Im Zivilprozeß (aber auch im Strafprozeß) soll es den Gerichten an Informationen fehlen, inwieweit die jeweilige Rechtsvorschrift im konkreten Fall anwendbar ist. Das Gericht würde nach dieser These allein aus der Beobachtung hoher Prozeßausgaben einer Partei ablesen, daß deren Behauptungen zutreffen. Als strategische Variable könnte dann jede Partei diesen Zusammenhang in der Form nutzen, die eigenen Rechtsausgaben vor Gericht auf ein sehr hohes Niveau auszudehnen. Ob diese These zutrifft, ist letztlich eine empirisch noch nicht beantwortete Frage. Auf der theoretischen Ebene gibt es allerdings ebenfalls Zweifel über die Relevanz dieses Effekts, denn eine ökonomische Begründung filr die Glaubwürdigkeit dieses Signals wird bei Cooter/Rubinfeld (1989) nicht gegeben. Aus ökonomischer Sicht ist der Zusammenhang zwischen Prozeßausgaben und Erfolgschancen keinesfalls eindeutig: Warum sollte sich der Richter, falls er nicht selbst zu einem Urteil in der Lage ist, allein von der Tatsache, daß eine Partei besonders viele
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Ausgaben tätigt, beeindrucken lassen? Eine Erklärung wäre zwar bezogen auf das arnerikanische System der Kostenzurechnung (auch der Sieger trägt seine Anwaltskosten selbst) nicht unplausibel: Prozeßkosten, die eine Partei unabhängig vom Verfahren tragen muß, stellen sunk costs dar, die nur eine Partei, die von der Begründetheit ihres Anspruchs überzeugt ist, tätigen wird. In Deutschland gilt aber das Unterliegensprinzip (Verlierer zahlt prinzipiell alles), so daß eine unter hohen Kosten prozessierende Partei darauf hoffen kann, die übersteigerten Kosten auf den Gegner zu überwälzen; der sunk-cost-Charakter der Prozeßkosten wird fragwürdig, die Glaubwürdigkeit des Signals "Prozeßkosten" ist dann umstritten. Insofern habe ich große Skepsis, zumindest für Deutschland, ob diese These eine brauchbare Erklärung dafür darstellt, warum es zu unnötigen Kosten und vermeidbaren Prozessen kommt. - Anschließend an das letzte Argument kann sich auch strategisches Verhalten der Parteien im Extremfall dahingegehend niederschlagen, daß jede Partei von der Gegenpartei einen maximalen Aufwand im Hinblick auf die Rechtsdurchsetzungskosten erwarten wird und deshalb auf das höchstmögliche Niveau an Ausgaben gedrängt wird. M.a.W., es droht die Gefahr, daß durch die rationale Verfolgung individueller Interessen ein kollektiv irrationales Ergebnis erzeugt wird (vgl. grundlegend Fritsch 1983, S. 83-87). Diese Gefahr des Gefangenendilemmas hat ihren Ausgangspunkt bei der Überlegung, daß jede Partei nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen für den Prozeß anwaltliehe Dienstleistungen und andere "Prozeßinputs" nachfragen wird, um die eigene Erfolgswahrscheinlichkeit vor Gericht zu erhöhen.12 Dieses Verhalten erzeugt allerdings zusätzliche Kosten, welche die Parteien in ihrem Kalkül berücksichtigen werden. Die Akteure werden solange anwaltliehe Hilfe u.a. nachfragen, bis der Grenzertrag in Form verbesserter Erfolgsaussichten den Grenzkosten entspricht (vgl. hierzu auch Posner 1977, S. 445). Unter dem in Deutschland geltenden Unterliegensprinzip muß man den Begriff der Grenzkosten spezifizieren, denn es handelt sich bei den Grenzkosten um keine sichere, sondern um eine unsichere Größe: Die für jede Partei relevanten Grenzkosten sind Erwartungsgrößen, d.h. die anfallenden Kosten werden mit der erwartenden Verlustwahrscheinlichkeit (1-pK) multipliziert; mit Ausnahme einer erwarteten Verlustwahrscheinlichkeit von (1-pK) gleich Eins fallen niedrigere Grenzkosten für die Partei als z.B. beim amerikanischen Kostenzurechnungsprinzip an Geder trägt seine Anwaltskosten selbst), so daß ein höheres Ausgabenniveau erwartet wird (vgl. auch
12 Im Modell des Abschnitts 4.2.1 wurde diese Möglichkeit ausgeschlossen, da man die subjektiven Erfolgswahrscheinlichkeiten als gegeben annahm.
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Snyder/Hughes 1990, S. 3 51 ). 13 Darüber hinaus existiert noch ein weiterer Faktor: Die Entscheidung über die Ausgaben für den Anwalt und vor Gericht stellt ein spieltheoretisches Problem dar: Jede Partei kann u.U. Maßnahmen einleiten, die ihre Erfolgswahrscheinlichkeit verbessert; zieht allerdings die Gegenpartei nach, geht die Erfolgswahrscheinlichkeit auf den Ausgangswert zurück. Keine Partei kann es allerdings unterlassen (Unterlassen= "Kooperation"), Maßnahmen zu ergreifen, denn, wenn die Gegenpartei trotzdem in die Rechtsauseinandersetzung investiert, gehen die eigenen Erfolgschancen noch weiter zurück. Beide Parteien werden also u.U. gezwungen, anwaltliehe Dienstleistungen u.ä. nachzufragen ("Defektion"), die nur Kosten verursachen, jedoch die Erfolgschancen nicht mehr verbessern. Posner (1977, S. 445) glaubt allerdings nicht, daß es zu diesem gesamtwirtschaftlich unerwünschten Ergebnis kommt, denn im Prozeß seien nur zwei Personen verwickelt, so daß beide Parteien die Unsinnigkeit dieses Handeins erkennen und daher zu kostenbegrenzenden impliziten Vereinbarungen kommen würden. Wenn man sich die empirischen Ergebnisse über die Möglichkeiten einer Kooperation vor Augen führt (vgl. grundlegend Axelrod 1984, zusammenfassend Weck-Hannemann 1988 und Locher 1991), kann man den Optimismus von Posner nur für jene Prozesse teilen, die über einen längeren Zeitraum ablaufen. In diesen Verfahren, die quasi über mehrere, zeitliche unbegrenzte Runden ablaufen, sind kooperative Verhaltensformen wahrscheinlich. Das Problem des Gefangenendilemmas ist aber filr alle anderen Fälle nicht von der Hand zu weisen, was allerdings empirisch noch zu testen wäre. Die Überlegungen zeigen, daß überzogene Forderungen im Vergleich und die Gefahr des Gefangenendilemmas die Tatsache vermeidbarer Prozesse und unnötiger Kosten erklären können; die Relevanz dieser Faktoren ist bisher allerdings empirisch nicht geklärt. Unterstellt, daß man mit diesem Problem rechnen muß, geht es im zweiten Schritt um die Frage, ob die in Deutschland praktizierte Regulierung der Anwälte einen gangbaren Weg aufzeigt, die Gefahr strategischen Verhaltens zu mindern. Ich gehe hier davon aus, daß die Anwälte die perfekten Agenten der Mandanten darstellen (vgl. zu dieser Diskussion Abschnitt 4.2.1.2). Was könnte man den Anwälten auferlegen, um strategisches Verhalten zu verhindern?
13 Adams (1981 , S. 83-86) und Posner (1977, S. 453) verweisenjedoch zu Recht darauf, daß als Vorteil steigender Ausgaben die Wahrscheinlichkeit ftlr fehlerhaft entschiedene Prozesse abnimmt.
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Von Vorteil wären insbesondere jene Maßnahmen, die für beide Parteien gleichzeitig und glaubwürdig strategisches Verhalten unterbinden: - Die Regelung, daß die anwaltliehe Prozeß-, Verhandlungs- und Beweisgebühr unabhängig vom konkreten Arbeitsaufwand ist, motiviert die Anwälte, strategisches Verhalten der Mandanten zu begrenzen. - Die Vorschrift, das Unterliegensprinzip auf die gesetzlichen Gebühren zu beschränken, mindert die Gefahr des Gefangenendilemmas: Über die Gebührenordnung hinausgehende Honorarvereinbarungen gehen auch im Falle des Obsiegens zu Lasten der vereinbarenden Partei; die Anreize zum strategischen Verhalten vermindern sich in diesem Falle, denn die erwarteten Grenzkosten des Rechtsstreits (Gebühren x erwartete Verlustwahrscheinlichkeit) können nicht mehr auf Null zurückgehen. - Wenn es gelänge, alle Anwälte zum intrinsischen Verhalten anzuhalten, 14 könnte man strategisches Verhalten unter Mithilfe der Anwälte unterbinden. Unter dieser Voraussetzung verringert sich insbesondere die Gefahr zum strategischen Verhalten, das in ein Gefangenendilemma mündet, denn jede Partei kann sicher sein, daß die Gegenseite keine unnötigen Schritte einleitet. Wie bereits betont, ist jedoch kaum zu erwarten, daß die Umsetzung intrinsischen Verhaltens durch das Standesrecht bei allen Anwälten möglich ist; in diesem Fall werden auch die intrinsisch motivierten Anwälte voraussehen, daß die Mandanten letztendlich einen zu strategischem Verhalten bereiten Kollegen finden werden. Warum sollten sie sich dann nicht selbst auch so verhalten? Die Gefahren strategischen Verhaltens stellen gewichtige, allerdings noch empirisch zu prüfende Argumente für eine kostenminimierende Anwaltsregulierung dar. Die konkrete Umsetzung ist jedoch schwierig: Vom Arbeitsaufwand unabhängige Gerichtsgebühren des Anwalts und die eingeschränkte Anwendung des Unterliegensprinzips mindern zwar die Gefahr strategischen Verhaltens; die "umfassende" Lösung über intrinsisch motivierte Anwälte dürfte jedoch kaum möglich sein.
14 Verweigern unnötige Schriftsätze, Beweisanträge etc., stellen keine überzogenen Vergleichsforderungen bzw. unterbreiten keine unzureichenden Vergleichsangebote.
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4.2.1.8 Zusammenfassung: Die ''privaten" Ursachen der Zivilprozesse - Die Anwaltsregulierung als Lösung?
Das Ziel des Gesetzgebers, mit Hilfe der Anwaltsregulierung die Kosten des Rechtswesens zu minimieren, wurde auf seine Plausibilität unter dem Blickwinkel möglicherweise bestehender verzerrender Anreize der privaten Akteure, der Mandanten, im Bereich des Zivilrechts untersucht. Gegenstand des Zivilrechts sind vereinfachend folgende Sachverhalte: Der Kläger verlangt vom Beklagten die Erftillung einer bestimmten Leistung oder besteht auf den Ersatz eines Schadens, beides in Geld; zur Durchsetzung dieser Ansprüche hat der Kläger die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt einzuschalten und/oder vor Gericht zu gehen. Entsprechend dem ökonomischen Ansatz werden Kläger und Beklagter ihr Verhalten in der rechtlichen Auseinandersetzung von einer·Abwägung der Kosten und Nutzen jeder Alternative abhängig machen; in die Kosten und Nutzen fließen selbstverständlich nicht nur die materiellen Komponenten (z.B. zu erstreitende Summe, Gerichts- und Anwaltskosten), sondern auch die immateriellen Bestandteile (Aufregung und Ärger in der gerichtlichen Auseinandersetzung, Wunsch nach Gerechtigkeit) ein. Um die Frage nach den "falschen" Anreizen der Mandanten im Zivilprozeß beantworten zu können, benötigt man einen Referenzstandard. Mit Hilfe eines einfachen Modells ließ sich zeigen, daß sich in einer Welt vollständiger Information ftir beide Parteien keine Prozesse ergeben, denn es ist immer vorteilhaft, sich außergerichtlich zu einigen und damit die materiellen Gerichtskosten einzusparen. Folglich wäre eine die Kosten des Rechtswesens minimierende Regulierung unnötig. Vollständige Information bedeutet hier eine übereinstimmende Beurteilung beider Parteien hinsichtlich der Erfolgsaussichten des Prozesses (konsistente Erfolgswahrscheinlichkeiten). Da in der Realität aber Prozesse in nicht unbeträchtlicher Zahl vorkommen, muß dieses einfache Modell um andere Einflußfaktoren ergänzt werden. Folgende Faktoren kann man zur Erklärung der Wirklichkeit heranziehen: - Inkonsistente Erfolgswahrscheinlichkeiten bei den Parteien machen die zu beobachtende Prozeßtätigkeit plausibel. Im einfachen Modell mindern die zu erwartenden Prozeßkosten, die in Deutschland nach dem Unterliegensprinzip der Verlierer zu tragen hat, die Prozeßbereitschaft; je mehr ceteris paribus eine Partei ihre Verlustwahrscheinlichkeit unterschätzt, um so weniger an Gewicht kommt diesem bremsenden Einfluß zu, die Wahrscheinlichkeit ftir das Auftreten eines Prozesses steigt. Die Erklärung "inkonsistente Erfolgswahrscheinlichkeiten" scheint sehr wirklichkeitsnah zu sein, da in der Regel die Parteien Schwierigkeiten haben werden, die geltende Rechtslage zu kennen, den Lebenssachverhalt der Rechtsvorschrift zuzuordnen und die Be-
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weismöglichkeiten abzuschätzen. Die Kernfrage fiir dieses Kapitel ist jedoch, ob man versuchen sollte, das Ausmaß an Prozessen (und damit auch die Höhe der Rechtsdurchsetzungskosten) zu senken, indem man die Anwälte in diese Richtung hin reguliert. 15 Natürlich kann auch ein hinreichend kontrollierter Anwalt einer Fehleinschätzung der Erfolgsaussichten unterliegen und damit die Prozeßneigung bzw. die Kosten erhöhen. Dies erscheint mir aber als wenig einleuchtend: Die Richtung der Fehleinschätzung ist nicht eindeutig, denn der Anwalt kann nicht nur die Verlustaussichten unter-, sondern auch überschätzen; eine Fehleinschätzung seitens des Anwaltes ist zusätzlich recht unwahrscheinlich, denn der Anwalt wird aufgrund seiner guten Ausbildung am ehesten in der Lage sein, die Erfolgsaussichten zutreffend zu beurteilen und daher seinem Mandanten nur dann zum Prozeß raten, wenn es sinnvoll ist. M.a.W.; ausreichend kontrollierte, gut qualifizierte Anwälte mindern eher die Prozeß- und Kostenflut, so daß eine kostenminimierende Anwaltsregulierung aus diesem Grund wenig sinnvoll ist. - Die Möglichkeit, Verzugsgewinne zu realisieren, erklärt, warum sich Beklagte trotz klarer Rechtslage (konsistente Erfolgswahrscheinlichkeiten) und der Existenz von Prozeßkosten vor Gericht verklagen lassen. Durch den Zeitbedarf einer gerichtlichen Auseinandersetzung und die dabei entstehenden Verzugsgewinne (Zinsgewinne, Erhalt einer Mietwohnung) kann es sich fiir einen Beklagten lohnen, sich in einen aussichtlosen Gerichtsprozeß verwickeln zu lassen und anschließend die Prozeßkosten zu tragen. Um diese Ursache fiir vermeidbare Prozesse auszuschalten, kann man die Gerichtsgebühren auf ein kostendeckendes Niveau bringen, die Möglichkeiten fiir Verzugsgewinne durch Gesetzesänderungen einschränken oder die Anwälte über die Anwaltsregulierung dazu anhalten, solche Mandante abzulehnen. Wie der Abschnitt 4.3.1 zeigen wird, liegen die Gerichtsgebühren in Deutschland auf einem nichtkostendeckenden Niveau, was natürlich die Neigung zur Realisierung von Verzugsgewinnen verstärkt; hier wäre zu allererst anzusetzen. Die Verzugsgewinne können auch zurückgehen, indem man marktgerechte Verzugszinsen oder Mieten ansetzt; auch dieser Weg wäre erwägenswert. Der Ansatz über die Anwaltsregulierung, d.h. die Anwälte intrinsisch zu motivieren und damit zur Ablehnung solcher Mandate
ll Bewertet man die Analyse des dritten Kapitels als Indiz ftlr die Funktionsunfllhigkeit des Marktes, das Problem ungleicher Information zu Lasten des Mandanten zu lösen, besteht natürlich die Gefahr, daß der Anwalt das Ausmaß an Inkonsistenz noch verstärkt, wenn er damit seine Interessen verfolgen kann. In diesem Fall wären kostenminimierende Regulierungen gerechtfertigt, die aber letztendlich auf ungleiche Information zu Lasten der Mandanten und nicht auf "falschen" Anreizen der Privaten beruhen.
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zu bewegen, ist kaum durchführbar, da die Mandanten einfach nach weniger intrinsisch motivierten Anwälten suchen werden. - Immaterielle Kosten und Nutzen des Prozesses beeinflußen die Prozeßneigung. Der materielle Kostenbegriff des Zivilrechts gilt auch für die Kostenerstattungspflicht des Verlierers im Zivilprozeß, so daß die verbleibenden immateriellen Kosten der gerichtlichen Auseinandersetzung, die mit Sicherheit auch dem Sieger nicht ersetzt werden, den Erwartungswert für den Prozeß mindern und damit die Vergleichsbereitschaft erhöhen. Die Existenz immaterieller Kosten deuten daher eher auf ein "zu wenig" als auf ein "zuviel" an Prozessen hin. Immaterielle Nutzen aus dem Prozeß erhöhen die Bereitschaft, vor Gericht zu gehen, was sich am Fall des "Prozeßhansels" zeigt, der aus dem Prozeß selbst eine Befriedigung erflihrt. Wie bei der Analyse des Einflusses von Verzugsgewinnen ist auch hier fraglich, ob eine gegengerichtete Anwaltsregulierung mit dem Ziel, die Anwälte intrinsisch zu motivieren, von Erfolg gekrönt ist. Immaterielle Nutzen oder Kosten können also eine kostenminimierende Anwaltsregulierung nicht begründen. - Risikoaverses (-freudiges) Verhalten der Parteien mindert (erhöht) die Bereitschaft, einen Prozeß zu führen. Im Gegensatz zum Vergleich stellt der Ausgang des Prozesses für die Parteien ein unsicheres Ereignis dar. Risikoaverse Parteien werden daher den Erwartungswert mit einem "Abschlag" versehen und daher tendenziell weniger Prozesse nachfragen; eine auf Kostenminimierung ausgerichtete Regulierung der Anwälte ist bei risikoaversen Parteien unnötig. Risikofreudige Parteien lassen sich vom unsicheren Ausgang des Prozesses nicht abschrecken, im Gegenteil sie ziehen in gewissem Maße das unsichere Ereignis dem sicheren Vergleich vor, obwohl der Erwartungswert des Prozesses geringer ausfallt als das Endvermögen unter dem Vergleichsangebot Die Bereitschaft, vor Gericht zu gehen, würde gegenüber dem Referenzmodell bei risikofreudigen Mandanten ansteigen. Welche Relevanz wird dieses Argument haben? Allgemein gilt, daß risikofreudiges Verhalten in der Regel nur bei geringen Vermögenswerten, im Zivilrecht bei Angelegenheiten mit niedrigem Streitwert, zu beobachten ist; ansonsten herrscht risikoaversesVerhalten vor. Zusätzlich wird in Deutschland die Struktur der Gerichts- und Anwaltsgebühren dahingehend verzerrt, daß hohe Streitwerte zu Honoraren über den Kosten und niedrige Streitwerte zu nicht kostendeckenden Honoraren bearbeitet werden müssen. Beide Faktoren führen dazu, daß risikoaverses Verhalten bei Angelegenheiten mit hohem Streitwert zu erwarten ist; für diese Fälle wird sich eher eine Tendenz zu einer geringeren Anzahl an Prozessen einstellen. Allerhöchstens bei den niedrigen Streitwerten wäre risikofreudiges Verhalten und damit ein Zuviel an Prozessen bzw. Kosten denkbar; für diesen Fall, wenn er sich empirisch
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bestätigt, sollte man eher an eine kostenorientierte Gebührenordnung als an die Anwaltsregulierung im herkömmlichen Sinne denken. - Ein unzureichender Rechtsrahmen erzeugt zu viele Prozesse. Da in einigen Bereichen des Zivilrechts keine eindeutige Rechtslage besteht, wird die Annäherung der subjektiven an die objektiven Erfolgswahrscheinlichkeiten erschwert, was unnötige Prozesse verursachen kann. Dieses Problem sollte man durch präzisere Gesetze und nicht durch eine Regulierung der Anwälte angehen. - Strategisches Verhalten der Parteien kann zu unnötigen Prozessen fUhren. Erstens geraten beide Parteien trotz der Möglichkeit zu einem Vergleich vor Gericht, weil sie sich über die Aufteilung des Gewinns, der aus dem Verzicht auf einen Prozeß anfallt, nicht einigen können. Zweitens verhindert die strategische Möglichkeit einer Partei, prozeßrelevante Informationen möglichst lange zum eigenen Vorteil zurückzuhalten, daß eine frühzeitige Annäherung der subjektiven Erfolgswahrscheinlichkeiten stattfindet. Drittens besteht die Gefahr des Gefangenendilemmas zwischen den Parteien in der Form, daß die Ausgaben fiir die Anwälte und fii1 das Gericht auf ein fiir beide Seiten unnötiges Niveau ansteigen. Alle drei, theoretisch möglichen Formen strategischen Verhaltens sind im Hinblick auf ihre Relevanz empirisch zu untersuchen. Unter der in diesem Kapitel geltenden Voraussetzung, daß die Anwälte die perfekten Agenten der Mandanten darstellen, sind dann jene Maßnahmen der kostenminimierenden Anwaltsregulierung plausibel, die beide Parteien (gleichzeitig) zum Verzicht auf strategische Verhaltensweisen bewegen können. Insbesondere der Versuch, mit Hilfe des Standesrechts uneigennütziges Verhalten bei allen Anwälten zu erzeugen, was die Gefahr strategischen Verhaltens drastisch mindern würde, ist jedoch kaum verwirklichbar. Im Ergebnis zeigt sich, daß zwar im Vergleich zum Referenzstandard "vollständige Information beider Parteien" zu viele Prozesse und damit zu viele Kosten im Rechtswesen entstehen können; insofern bestehen "falsche" Anreize der Privaten im Zivilrecht. Es ist allerdings sehr fraglich, ob die Anwaltsregulierung der geeignete Ansatz darstellt, diese "Fehlentwicklung" zu bekämpfen. Nur aus den verschiedenen Spielarten strategischen Verhaltens ergaben sich auf der theoretischen Ebene Gründe in Form von "falschen" privaten Anreizen, bei denen eine kostenminimierende Anwaltsregulierung geeignet wäre, die freilich in der Praxis nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten durchfUhrbar ist.
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4.2.2 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit Die Frage nach den "falschen" Anreizen privater Akteure in der Verwaltungsgerichtsbarkeit kann man beantworten, wenn man die Unterschiede zwischen Verwaltungs- und Zivilrecht kennt. Folglich gehe ich im Abschnitt 4.2.2.1 kurz auf das Wesen des Verwaltungsrechts und der -gerichtsbarkeit ein. Unter Punkt 4.2.2.2 werden dann die kostensteigernden Anreize in diesem Rechtsbereich behandelt. 4. 2. 2.1 Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit
Unter den Begriff des Verwaltungsrechts fallen alle Rechtsnormen, die den Aufbau der öffentlichen Verwaltung und deren interne Organisation, Entscheidungsverfahren sowie Aufgaben regeln. Insofern hat das Verwaltungsrecht einerseits eine interne Funktion, als es die Tätigkeiten der Verwaltungsorgane gegeneinander abgrenzt; andererseits beschreibt dieses Rechtsgebiet Rechte und Pflichten des Bürgers gegenüber der Verwaltung (vgl. Eichhorn 1985, S. 996). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erlaubt es daher dem Bürger, mit gerichtlicher Hilfe die Handlungsweise der öffentlichen Verwaltung zu korrigieren; das Verwaltungsgericht ist der Ort, an dem der Bürger seine Recht gegenüber dem Staat einklagen kann (vgl. Eichhorn 1985, S. 980). Bisbop (1990, S. 505 f.) hält diese sich an die Funktion des Zivilrechts, der Durchsetzung von Ansprüchen einer privaten Partei gegen die andere, anlehnende Sichtweise zwar nicht für falsch, aber filr wenig informativ. Im Zivilrecht beanspruchen die privaten Parteien ökonomische Ressourcen, über die sie im Falle des Obsiegens anschließend frei verfügen können; im Verwaltungsrecht geht es selten um die Verfügbarkeil von Ressourcen, sondern im Falle des Obsiegens des Bürgers erhält die Verwaltung die Information, daß ihr Verhalten rechtswidrig war und bestimmte weitere prozedurale Schritte erforderlich sind. Bisbop (1990) erweitert daher das Bild des Verwaltungsrechts dahingehend, daß er die Prinzipal-Agent-Theorie (vgl. auch Kapitel 3.2) auf die öffentliche Verwaltung anwendet und das Verwaltungsgericht als eine Maßnahme ansieht, Prinzipal-Agent-Probleme zu verhindern. In der öffentlichen Verwaltung müssen die Spitzen des Staates oder die Bürger als Prinzipale die Beschäftigten in der Verwaltung (Agenten) überwachen; da diese Überwachung nicht perfekt funktionieren kann (hohe Informationskosten), gibt es Abweichungen in Form zunehmender Ineffizienz bzw. abnehmender Leistungsanreize; das Verwaltungsrecht und die darauf aufbauende richterliche Kontrolle soll diese Kontrolle verbessern und ergänzen (vgl. Bisbop 1990, S. 490 f.) Das Prinzipal-
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Agent-Problem in der Verwaltung wird noch erweitert, da die Regierung nicht nur bei der Kontrolle der Verwaltung an Leistungsgrenzen gerät, sondern selbst ihren Aufgabenbereich gegen den Willen des Bürgers vergrößert: Die Regierung kümmert sich nicht nur um die allgemein anerkannten Aufgaben des Staates, wie Definition der Property Rights, Produktion öffentlicher Güter, Korrektur von Externalitäten etc., sondern greift auch verteilungsbedingt ein (vgl. Bisbop 1990, S. 495-501). Zusammenfassend sieht Bisbop (1990, S. 504 f.) drei Gründe, warum die Verwaltung als Agent vom Willen des Prinzipals "Bürger" abweicht: Die Regierung stellt sich erstens als eine Vielzahl miteinander verbundener Monopole dar, bei denen der Bürger nachfragen muß. Die Regierung besteht zweitens aus Politikern und Verwaltungsangestellten, deren Interessen nicht mit denen der Bürger übereinstimmen. Drittens sind die Überwachungsmöglichkeiten der Prinzipale begrenzt. Ein erfolgreiches Verwaltungsrecht und die damit verbundene Möglichkeit, vor Gericht zu gehen, kann daher als ein begrenztes, jedoch nützliches Mittel gesehen werden, um die Agenten zu einer optimalen Erzeugung der öffentlichen Dienstleistungen anzuregen (vgl. Bisbop 1990, S. 504). Konkret kann man vier Aufgabenbereiche des Verwaltungsrechts und des-gerichtsaus dieser allgemeinen Definition ablesen: - Die Möglichkeit, vor ein Verwaltungsgericht zu gehen, stellt sicher, daß die Politiker als Agenten der Bürger die Verfassung einhalten. Darüber hinaus kann das Verwaltungsrecht durchsetzen, daß die Bürokratie autonom keine Änderungen auf der konstitutionellen Ebene vornimmt (vgl. ausruhrlieh Bisbop 1990, S. 506-509). - Verwaltungshandeln ist vielfach mit Ermessensspielräumen der Akteure verbunden; das Verwaltungsgericht soll sicherstellen, daß diese Spielräume ausschließlich im öffentlichen Interesse ausgeübt werden; z.B. indem der Richter von den Bürokraten eine Kosten-Nutzen-Abwägung verlangt (vgl. ausruhrlieh Bisbop 1990, S. 509-515). - Das Verwaltungsrecht kann die Bürokraten dazu zwingen, vor ihrem Handeln möglichst viele Informationen nachzufragen und diese gegebenenfalls dem Gericht gegenüber offenzulegen (vgl. ausfUhrlieh Bisbop 1990, S. 515518). - Im Rahmen des Verwaltungsrechts ist es möglich, die Bürokratie an bestimmte Verfahrensregeln zu binden, damit die externe Kontrolle so leicht und so billig wie möglich wird (vgl. ausfUhrlieh Bisbop 1990, S. 518-523).
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Das Verwaltungsrecht bleibt allerdings filr den Bürger nur ein Baustein, um die Fehlanreize in der Verwaltung zu minimieren; andere Maßnahmen, wie z.B. eine bessere Ausbildung der Verwaltungsangehörigen, sind denkbar (vgl. ausfilhrlich Bisbop 1990, S. 523-529). Der Optimismus, mit Hilfe des Gerichts die Verwaltung kontrollieren zu können, mag auf den ersten Blick verwunderlich sein, denn Gerichte stellen letztendlich nichts anderes als einen Teil des Staates und damit der Bürokratie dar. Warum sollten diese dann andere Teile des Staates kontrollieren (vgl. hierzu Bisbop 1990, S. 492-494)? Diese optimistische Sicht beruht darauf, daß Richter anderen Anreizen als Politiker und Bürokraten unterliegen: Sie müssen nicht wiedergewählt werden; zwar werden sie teilweise von Politikern filr höhere Gerichte vorgeschlagen, dieser Karriereanreiz ist aber schwächer ausgeprägt als bei den Politikern und Bürokraten; nachdem sie einmal als Richter auf Lebenszeit ernannt sind, existiert filr sie u.U. nur ein Lebenszweck: Als Richter zu arbeiten und keine Karriere außerhalb des Gerichts anzustreben; letzteres wird durch die vielfach bestehenden Beschränkungen, am öffentlichen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen (lnkompatibilitätsbeschränkungen), verstärkt. Dieser optimistischen Sicht sollte man aber einige potentielle Mängel entgegenhalten: Da nicht unbedingt klar ist, was das öffentliche Interesse ist, haben die Richter Entscheidungsspielräume. Möglicherweise werden diese Spielräume durch die Vergangenheit des Richters, seinem Wissensstand und seinen persönlichen Ansichten ausgefilllt; insofern verfolgen auch Richter mit der Rechtssprechung, zumindest teilweise, ihre eigenen Interessen. Diese "Fehlanreize" sind nicht völlig von der Hand zu weisen, vermutlich gibt es jedoch keine andere Institution als die des unabhängigen Richtertums, die besser dazu geeignet ist, dem Bürger bei der Kontrolle der Verwaltung zu helfen. 4.2.2.2 Kostensteigerung durch Private im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit Wie wirken sich die Anreize der Privaten aus, vor Gericht zu gehen und damit u.U. unnötige Kosten der Rechtsdurchsetzung zu erzeugen, wenn der Private seine Interessen im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit durchsetzen will? Da ich in den Abschnitten 4.2.1.1 bis 4.2.1. 7 ausfilhrlich auf die Anreize der Privaten eingegangen bin, reicht es hier aus, nur die im Zivilrecht relevanten Argumente anzusprechen und die Unterschiede in der Verwaltungsgerichtsbarkeit herauszuarbeiten: Im Verwaltungsrecht gilt ein anderer Referenzc;tandard als im Zivilrecht, denn neben der vollständigen Information der Parteien muß hier hinzutreten,
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daß in der Verwaltung kein Prinzipal-Agent-Problem besteht; nur dann gibt es keine Verwaltungsgerichtsprozesse. Beide Annahmen scheinen kaum haltbar, so daß es in der Verwaltung zu Abweichungen vom Bürgerwillen kommen wird. Ein Gegenmittel dazu stellt die Anrufung des Verwaltungsgerichts dar. Die Bedeutung des Verwaltungsrechts hängt nun von den internen Anreizen und Sanktionsmechanismen in der Verwaltung ab, z.B. welche persönlichen Konsequenzen sich fiir einen Verwaltungsangestellten ergeben, wenn er vor dem Verwaltungsgericht unterliegt. Je geringer die Sanktionsdrohung in der Verwaltung, um so weniger reicht die Möglichkeit zur Anrufung des Verwaltungsgerichts aus, das P-A-Problem in der Verwaltung zu lösen; daher muß der Bürger das Verwaltungsgericht einschalten, um sein Recht zu bekommen. Insofern treten vermeidbare Prozesse auf. Diese vermeidbaren Prozesse beruhen jedoch nicht auf "falschen" privaten Anreizen, sondern auf der fehlenden Kontrolle oder den eigennützigen Interessen in der Verwaltung. Eine Anwaltsregulierung mit dem Ziel der Kosten- und Prozeßminimierung würde folglich am falschen Punkt ansetzen und darüber hinaus die legitimen Rechte der Bürger beschneiden. - Die für den Zivilprozeß relevante Einflußgröße, inkonsistente Erfolgswahrscheinlichkeiten zwischen den Parteien, kann in der Verwaltungsgerichtsbarkeit selbstverständlich auch auftreten, denn vollständige Information der Bürger oder der Verwaltungsangestellten hinsichtlich der Rechtlage, der Beweisbarkeit etc. kann man nicht erwarten. Insofern gelten im Verwaltungsrecht ebenfalls die Schlußfolgerungen des Abschnittes 4.2.1 .2: Die Einschaltung der hinreichend kontrollierten, hoch qualifizierten Anwälte vermindert auch hier eher das Ausmaß an inkonsistenten Erfolgswahrscheinlichkeiten, eine kostenminimierende Anwaltsregulierung ist daher nicht notwendig. - Die Realisierung von (privaten) Verzugsgewinnen ist durch ein Verwaltungsgerichtsverfahren ebenfalls denkbar. Beispielsweise bewirkt die möglicherweise aufschiebende Wirkung im Rahmen eines Asyl- oder eines Aufenthaltsverfahrens für die Privaten ähnliche Vorteile wie die im Zivilrecht üblichen Verzugsgewinne. Jedoch wie auch im Zivilrecht sollte man hier den Weg suchen, die Verzugsgewinne durch Gesetzesänderung zu verhindern, anstatt die Anwälte entsprechend zu regulieren. - Selbstverständlich wirkt auch ein unzureichend gesetzter Rechtsrahmen im Verwaltungsrecht prozeßtreibend. Auch hier wäre es sinnvoller, den Rechtsrahmen zu verbessern, anstatt die Anwälte zu regulieren.
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- Strategisches Verhalten in der Verwaltungsgerichtsbarkeit erscheint im Vergleich zur Zivilgerichtsbarkeit weniger relevant, denn die andere Partei stellt keine private Person, sondern einen Behördenvertreter dar: Ein Behördenvertreter wird zwar auch seine eigenen Interessen verfolgen, die aber eher in Richtung Budgetmaximierung gehen. Budgetmaximierung hat aber in der Regel wenig damit zu tun, sich dem Verlangen des Bürgers mit allen Mitteln zu widersetzen, so daß von dem Behördenvertreter ein geringeres Ausmaß an strategischem Verhalten erwartet werden kann. Die Gefahren, die im Abschnitt 4.2.1.7 diskutiert werden, sind daher in der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Tendenz nach weniger relevant. Wesentlicher Unterschied hinsichtlich der "falschen" Anreize Privater im Verwaltungsrecht im Vergleich zum Zivilrecht ist der Referenzstandard: Je weniger die Verwaltung den Präferenzen der Prinzipale "Politiker oder Wähler" folgt, um so notwendiger ist das Korrektiv "Verwaltungsgerichtsprozeß".
4.2.3 "Falsche" Anreize der Privaten zur Kostensteigerung in der Strafgerichtsbarkeit Die Anreize der Privaten im Bereich der Strafgerichtsbarkeit, zu viele Kosten zu erzeugen, werden vor dem Hintergrund der Funktionen des Strafrechts näher umrissen (Abschnitt 4.2.3.1). Anschließend fiillt es dann leichter, die Anreizstruktur der in Strafverfahren verwickelten Privaten herauszuarbeiten (Abschnitt 4.2.3.2). 4.2.3.1 Strafrecht und Strafgerichtsbarkeit
Inhalt und Umfang der Möglichkeiten des Staates, seine Bürger zu bestrafen, sind in den Rechtsnormen des Strafrechts zusammengefaßt. Im materiellen Strafrecht ist geregelt, wann die Strafbarkeit einer Handlung vorliegt und welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben. Überwiegend stehen diese Rechtsnormen im Strafgesetzbuch, jedoch auch in anderen Gesetzen (z.B. im Aktien- und Betäubungsmittelgesetz) sind solche Vorschriften zu finden. Ferner existieren noch besondere Strafgesetze wie das Wehrstrafgesetz oder das Wirtschaftsstrafgesetz. Im formellen Teil des Strafrechts, der Strafprozeßordnung, wird der Verfahrensablauf bestimmt (vgl. zusammenfassend Creifeld 1978, S. 1075). Die Strafgerichtsbarkeit als Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist filr die Durchführung der Strafprozesse zuständig (vgl. Creifeld 1978, S. 1073). Vor Gericht vertritt die Interessen des Staates an der Strafverfolgung die Staats-
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bzw. bei kleineren Verfahren und größeren Gerichten die Amtsanwaltschaft; der Beschuldigte als Privatperson wird als Angeklagter bezeichnet. Als ökonomischen Zweck des Strafrechts kann man den Schutz von Rechtsgütern wie Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum ansehen. Da jedoch unter bestimmten Voraussetzungen eine Verletzung dieser Rechtsgüter bereits zivilrechtlich zu einem Schadensersatz führt, und somit ein Anreiz zur Vermeidung der Straftat besteht, muß das Strafrecht nur jene Tatbestände verfolgen, in denen keine (z.B. bei immateriellen Schäden) oder keine ausreichende zivilrechtliche Kompensation erfolgt. Ferner sollte man jene Handlungen strafrechtlich bekämpfen, die das öffentliche Gut "Rechtsfriede" bzw. "Innere Sicherheit" zerstören, denn nur wenn die Bürger erkennen, daß allgemein mißbilligte Handlungen strafrechtlich verfolgt werden, sind sie bereit, an der Aufklärung von Delikten mitzuwirken, was die Informationskosten der Strafverfolgungsbehörden ungemein senken kann. Vereinfachend gesagt, stellt das Strafrecht einen "Kodex an Wohlfahrtsregeln" dar, der Handlungen, die zu Wohlfahrtseinbußen führen, unterbinden sollen (vgl. zusammenfassend Kunz 1993, S. 183-187). Die ökonomische Funktion der Strafgerichtsbarkeit ergibt sich daraus, daß sich die Normen des Strafrechts nicht von selbst, sondern nur mit Hilfe staatlichen Zwangs durchsetzen lassen. Zu diesem Zweck bedient sich der Staat zweier Verfahrensmittel: Er legt die Höhe des Strafmaßes fest und sorgt dafür, daß im Falle der Übertretung der Übeltäter (mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit) bestraft wird. Für die Glaubwürdigkeit der Sanktionsdrohung ist es notwendig, freilich auch mit nicht unerheblichen Kosten verbunden, Einrichtungen wie Polizei, inklusive Staatsanwaltschaft, Gefangnisse und ebenfalls (Straf-)Gerichte vorzuhalten (vgl. auch Kunz 1993, S. 186). 4.2.3.2 Kostensteigerung durch Private im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit
Die Existenz der Strafgerichte ist also erforderlich, um das mit dem Strafrecht verfolgte Ziel, der Verhinderung von Wohlfahrtseinbußen zu erreichen. Strafgerichte müssen daher als glaubwürdige Drohung bestehen; die Kosten für den Aufbau dieser Gerichtsbarkeit sind somit aus wohlfahrtsökonomischer Sicht unvermeidbar. Wie steht es aber mit den laufenden Kosten des Gerichts? Eine umfassende Strafandrohung würde alle Straftäter von der Straftat abhalten; eine solche Drohung ist aber weder möglich noch erwünscht (vgl. Posner 1977, S. 164-172): 16 Die Frage, ob jemand straffällig wird, ergibt sich aus
16 Ein solche Überlegung setzt allerdings voraus, daß der potentielle Übeltäter sich nutzenmaximierend verhält, was zumindest außerhalb des Kreises der Ökonomen kritisch gesehen wird (vgl. Kunz 1993, S. 187-204 und Ehrlich 1987, S. 721-723).
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ökonomischer Sicht aus dem Erwartungswert für die (potentielle) Straftat: D.h. der Nutzen aus der Tat abzüglich der Kosten der Straftat, insbesondere die zu erwartende Strafe, wobei sich jene, wie oben schon beschrieben, aus dem Produkt "Strafhöhe und Wahrscheinlichkeit der Bestrafung" ermitteln läßt. Um jede Straftat verhindem zu können, müßte man entweder die Strafhöhe auf unendlich festlegen oder mit Sicherheit eine Bestrafung herbeiführen können. Ersteres ist unmöglich, da die finanziellen Mittel zur Begleichung der Strafe bei den meisten Straftätern sehr schnell erschöpft sind; letzteres würde sehr hohe Überwachungskosten erfordern. Folglich wird es immer Straftaten geben, und daher müssen Gerichte nicht nur als Drohung existieren, sondern auch tatsächlich Straftaten verfolgen. Im Falle der Strafgerichtsbarkeit kann man also ebenfalls nicht von vermeidbaren Prozessen sprechen. Trotzdem wäre jede Anwaltsregulierung, welche die Kosten der Strafgerichtsbarkeit auf ein Minimum reduziert, durchaus plausibel, soweit sie nicht die verfassungsrechtlich garantierten Schutzrechte des Angeklagten außer Kraft setzt. Eine solche Regelung beruht aber nicht auf "falschen" Anreizen der Privaten, sondern auf dem fiskalischen Interesse des Staates, die Kosten zu minimieren (vgl. Abschnitt 4.3.2). Für die unter Gliederungspunkt 4.2.1 genannten falschen, d.h. prozeßfördemden Anreizen der Privaten in Form von inkonsistenten Erfolgswahrscheinlichkeiten, Verzugsgewinnen, immatrieller Nutzen aus dem Prozeß, risikofreudiges Verhalten und unpräzisen Gesetzen gibt es hier ebenfalls keinen Raum, da der Angeklagte nicht freiwillig einen Strafprozeß eingeht. Verfahrensverlängernde und damit kostenerhöhende Anreize der Privaten, genauer der Angeklagten, die man unter dem Begriff des strategischen Verhaltens subsumieren könnte, sind hier nur plausibel, wenn sie die Rechtsprechung der Gerichte zugunsten des Angeklagten verändern könnten, was dann aber weniger in der Anwaltsregulierung und eher in der Strafprozeßordnung zu regeln wäre.
4.2.4 Fazit Der Frage, ob aufgrund der Anreize privater Akteure unnötige Kosten und vermeidbare Prozesse entstehen, was mit Hilfe der Regulierung der Anwälte zurückgedrängt werden müßte, bin ich anhand der drei Gerichtsbarkeiten "Zivil-, Verwaltungs- und Strafgerichtsbarkeit" nachgegangen. Im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit wird es bei vollständiger Information beider Parteien zu keinen Prozessen kommen, da mit der Alternative "außergerichtlicher Vergleich" immer die Gerichtskosten eingespart werden können. In der Realität ergeben sich jedoch eine Vielzahl an Zivilprozessen; insofern existieren "falsche" Anreize der Privaten. In den meisten Fällen ist freilich die Anwaltsregulierung ungeeignet, diese "Fehlentwicklung" zu bekämpfen. Die Ursache "inkonsistente Erfolgswahrscheinlichkeiten" durch die Anwaltsregulierung anzuge-
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hen, wäre u.U. nur im Falle unzureichend kontrollierter Anwälte sinnvoll, was aber innerhalb des dritten Kapitels behandelt wurde. Die Möglichkeit zu Verzugsgewinnen erklärt die Prozeßbereitschaft auch im aussichtlosen Fall, jedoch wäre es weitaus effektiver, kostendeckende Gerichtsgebühren zu erheben oder die Verzugsgewinne über Gesetzesänderungen einzuschränken, anstatt den wenig erfolgsversprechenden Weg der Anwaltsregulierung zu gehen. Aus den Argumenten der Nichtberücksichtigung immaterieller Kosten oder Nutzen und der Rechtsunsicherheit kann man ebenfalls keine Argumente filr eine kostenminimierende Anwaltsregulierung herausfiltem. Nur risikofreudiges Verbalten der Mandanten würde ein Übermaß an Prozessen und Rechtsdurchsetzungskosten erwarten lassen, was allein bei Angelegenheiten geringer Bedeutung (geringe Streitwerte und damit niedrige Gebühren) auftreten dürfte; statt einer kostenminimierenden Anwaltsregulierung wäre hier eine kostenorientiertere Gebührenordnung ursachenadäquat Allerdings sind mehrere Spielarten strategischen Verhaltens beider Parteien denkbar, die filr unnötige Prozesse und Kosten verantwortlich sind; die Relevanz dieser Faktoren muß noch empirisch untersucht werden. Hier wäre die Anwaltsregulierung notwendig, was aber in der Praxis schwer umsetzbar ist. Im Bereich des Verwaltungsrechts verändert sich der Referenzstandard, denn eine sich selbst überlassene Verwaltung erzeugt Nachteile, die durch die Möglichkeit, vor das Verwaltungsgericht zu gehen, gemindert werden können. Zwar ist nicht unbedingt zu erwarten, daß sich die Verwaltungsrichter uneigennützig für die Verwirklichung des Rechts einsetzen; da sie aber nicht den verzerrenden Anreizen der Bürokratie unterliegen und keine besser geeignete Kontrollinstanz in Sicht ist, können sie ein wirksames Gegengewicht darstellen. Für die Notwendigkeit einer kostenminimierenden Anwaltsregulierung ergibt sich daraus, daß die Verfolgeung des Ziels "möglichst wenig Verwaltungsprozesse" die Interessenwahrnehmung der Bürger behindern würde. Für fast alle anderen im Zivilrecht relevanten "falschen Anreize der Privaten" gelten die dort gezogenen Schlußfolgerungen auch im Verwaltungsrecht Die Gefahr strategischen Verhaltens nimmt allerdings tendenziell ab, da auf der Gegenseite keine private Person mehr steht, sondern ein Behördenvertreter: Der Behördenvertreter hat vermutlich kein so ausgeprägtes Interesse am Prozeßerfolg wie der Private, so daß er sich im geringeren Maße strategisch verhält. Die Existenz der Strafgerichtsbarkeit ist notwendig, um die Drohung des Staates, Straftaten zu verfolgen, glaubwürdig zu machen. Da weder die Strafhöhe auf unendlich festgelegt werden noch mit Sicherheit eine Bestrafung erfolgen kann, wird es immer Straftaten geben, die dann die Staatsanwaltschaft und die Strafgerichte aufgreifen müssen. Auch die laufenden Kosten für die Strafgerichtsbarkeit sind daher unvermeidbar. Eine Anwaltsregulierung, die 17 Wein
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diese Kosten auf ein Minimum reduziert, ohne die Rechte des Angeklagten zu schmälern, wäre zwar plausibel, beruht aber nicht auf "falschen" Anreizen der Privaten; denn die Angeklagten werden keine Strafprozesse gegen sich anstrengen; verfahrensverlängernde, zugunsten des Angeklagten sich auswirkende strategische Handlungen im Prozeß sollten nicht Gegenstand der Anwaltsregulierung, sondern der Strafprozeßordnung sein. Zusarmnenfassend kann man sagen, daß die Privaten in der Verwaltungsund der Zivilgerichtsbarkeit zwar vermeidbare Prozesse und Kosten erzeugen. Mit Ausnahme strategischen Verhaltens wäre aber eine darauf ausgerichtete Anwaltsregulierung zumindest nicht das Mittel erster Wahl, wenn nicht sogar eine ungeeignete Maßnahme. Die Gefahr strategischen Verhaltens könnte man allerdings durch die Anwaltsregulierung mindern, was aber schwierig umzusetzen ist. In der Strafgerichtsbarkeit sind keine Anzeichen filr "falsche" Anreize der Privaten erkennbar, die mit Hilfe der Anwaltsregulierung zu lösen wären.
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung Der Staat hat ein Interesse an geringen Kosten, wenn er keine kostendekkenden Gerichtsgebühren erhebt (Abschnitt 4.3.1) oder selbst Partei ist bzw. ersatzweise die Kosten der Privaten tragen muß (Abschnitt 4.3.2). Diese Punkte wären aus Sicht des Staates plausible Argumente dafilr, über den Weg der Anwaltsregulierung die Kosten zu drücken. Unter Punkt 4.3.3 werden die Ergebnisse zusarmnengefaßt.
4. 3.1 Nicht kostendeckende Gerichtsgebühren Eine Erklärung filr die in der Bundesrepublik Deutschland vorzufindende Regulierung der Anwälte könnte man aus dem Interesse des staatlichen Entscheidungsträgers ableiten, den sich ergebenden Finanzierungsbedarf seitens der öffentlichen Hand aufgrund zu niedriger Gerichtsgebühren zu minimieren. Um diesen Finanzierungsbedarf abschätzen zu können, beschreibe ich zunächst kurz das in Deutschland filr die einzelnen Gerichtsbarkeiten geltende Gerichtsgebührenrecht (Abschnitt 4.3 .1.1 ). Aus den Haushalten der Länder und dem Haushalt des Bundes kann man einen erheblichen Deckungsbedarf erkennen, wobei darüber hinaus zu beobachten ist, daß der Grad der Kostendeckung zwischen den Gerichtsbarkeiten und den Instanzen erheblich differiert (Abschnitt 4.3.1.2). Die vorgegebenen Grundsätze zur Berechnung der Gerichtsgebühren wirken sich nicht nur auf das Kostendeckungsniveau aus, sondern erzeugen auch eine bestimmte Struktur. Im Rahmen des Punktes 4.3.1.3 weise
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
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ich auf diese verzerrte Struktur und deren Auswirkungen ftir die Rechtsverfolgung hin. Welche Erklärungen kann man anfUhren, daß der Staat zu niedrige und in ihrer Struktur von den anfallenden Kosten losgelöste Gerichtsgebühren erhebt (vgl. Abschnitt 4.3.1.4)? 4.3.1.1 Rechtlicher Rahmen der Gerichtsgebühren
Die zentrale Gesetzesgrundlage filr die Erhebung der Gerichtskosten stellt das Gerichtskostengesetz (GKG) dar (vgl. zum folgenden zusammenfassend Creifeld 1978, S. 469 und 672). Die Vorgehensweise bei der Gebührenberechnung läßt sich zur Einfilhrung am besten am Beispiel der Zivilgerichtsbarkeit erläutern. Für die zivilrechtliehen Parteien fallen durch das Einschalten des Gerichts Gerichtsgebühren an, gebeneofalls erhöht um den Ersatz der gerichtlichen Auslagen. Die gerichtlichen Auslagen beziehen sich auf die Erstattung der Schreib-, Post- und Fernmeldegebühren sowie die Beiträge an Zeugen und Sachverständigen. Die Gerichtsgebühren orientieren sich zum einen am Wert des Streitgegenstandes (Streitwert), wobei in der Gebührentabelle mit zunehmenden Streitwert die Höhe der Gebühren degressiv zunimmt (vgl. Kotzorek l985a, S. 3). Zum anderen setzt das Gericht jeweils eine Prozeß-, Beweisund/oder Urteilsgebühr in Höhe des ein- bis zweifachen Wertes der in der Gebührentabelle filr den entsprechenden Streitwert genannten Gebühr fest, falls es zu einem Prozeß, 17 zu einer Beweisaufnahme oder zu einem Urteil kommt. 18 In der Berufungsinstanz erhöhen sich die Gebühren auf 150% und in der Revisionsinstanz auf200% der erstinstanzliehen Gebühren. Diese Gebühren werden jedoch pauschal, d.h. unabhängig vom konkreten Arbeitsaufwand, erhoben. Allerdings ist auch allein schon durch die Orientierung am Streitwert zu erwarten, daß in den allermeisten Fällen keine Äquivalenz zwischen tatsächlich anfallenden Gerichtskosten und zu entrichtenden Gerichtsgebühren hergestellt wird. Denn eine Äquivalenz bestünde nur dann, wenn man davon ausgehen könnte, daß der Arbeitsaufwand der Gerichte mit zunehmenden Streitwert, wie in der Gebührentabelle angelegt, degressiv steigt bzw. in der Berufung nur um 50% und in der Revision nur um I 00% zunimmt. In vielen Fällen wird aber der Arbeitsaufwand der Gerichte schon bei einem geringen Streitwert hoch sein bzw. bei hohem Streitwert nicht weiter oder nur sehr gering zunehmen; ebenso ist filr die zweite und dritte Instanz allein schon durch das dort teilweise praktizierte Kammer- bzw. Senatsprinzip (Vorsitzender Richter und mehrere Beisitzer) eine Kostensteigerung zu erwarten, die den "Gebührenauf-
17*
17
Es sind auch Teilgebühren (z.B. die 1/2 fache Gebühr im Mahnverfahren) möglich.
18
Entftlllt die Begründung des Urteils, ist nur die einfache Gebühr fllllig.
260
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
schlag" von 50% bzw. 100% überwiegen dürfte (vgl. auch Kotzorek 1985a, S. 7). Die im Zivilprozeß anfallenden Gerichtskosten muß im Grundsatz der Unterlegene tragen; im Falle eines Vergleichs oder durch eine richterliche Entscheidung können die Gerichtskosten beiden Parteien anteilig angelastet ("gequotelt") werden (vgl. auch Kotzorek 1985a, S. 3). Die Gebührenerhebung in der Verwaltungs-, Finanz- und Arbeitsgerichtsbarkeit wird ebenfalls auf der Grundlage des Gerichtskostengesetzes vorgenommen, wobei in der Arbeitsgerichtsbarkeit einige Besonderheiten vorliegen. In der Arbeitsgerichtsbarkeit, in der zusätzlich das Arbeitsgerichtskostengesetz existiert, gilt eine gesonderte Gebührentabelle, die niedrigere Werte als in der sonstigen Zivilgerichtsbarkeit ausweist (vgl. auch Kotzorek 1985b, S. 315 f.). Für die Berufungs- und Revisionsinstanz fallen ebenfalls geringere Gebühren als in der Zivilgerichtsbarkeit an; 9 und im Falle eines Vergleichs sind gar keine Gebühren zu zahlen. In Kündigungsschutzverfahren verringert sich der Streitwert im Vergleich zur sonstigen Zivilgerichtsbarkeit weiter: Im Falle eines Arbeitsverhältnisses entspricht der Streitwert höchstens dem vierteljährlichen Arbeitsentgelt; in allen anderen zivilrechtliehen Dauerschuldverhältnissen wird in der Regel der Jahresbetrag als Streitwert angesetzt. Für die freiwillige Gerichtsbarkeit richten sich die Gebühren nach dem Geschäftswert. Bei Prozessen vor den Sozialgerichten sehen sich die Privaten keinem Gerichtskostenrisiko gegenüber; es sei denn, sie verursachen bestimmte Kosten mutwillig, verschleppen das Verfahren oder fUhren das Gericht irre. Die Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts als sozialgerichtliche Verfahrensbeteiligte werden auch im Falle des Obsiegens zu einer Kostenbeteiligung herangezogen. In der Strafgerichtsbarkeit richtet sich die Gerichtsgebühr nach der Höhe der Strafe; zuzüglich können noch die Kosten der Strafvollstreckung anfallen. Beide Belastungen treffen den Angeklagten natürlich nur, wenn er rechtskräftig verurteilt wird (und wenn er zahlungsfii.hig ist). Im Falle eines Freispruchs trägt die Staatskasse die Kosten. Die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts ist bis auf Ausnahmetalle gebührenfrei. In der Verwaltungs-, Finanz-, Straf- und Sozialgerichtsbarkeit sowie auf der Ebene des Bundesverfassungsgerichts stellt der Staat auch eine Partei dar, so daß er u.U. selbst ein Interesse an niedrigen Kosten hat (vgl. hierzu Abschnitt 4.3.2). Der kurze Überblick über die Rechtslage hinsichtlich der Zurechnung der Gerichtsgebühren und gerichtlichen Auslagen hat gezeigt, daß mit der vermutlich quantitativ eher unbedeutenden Ausnahme der gerichtlichen Auslagen keine Äqui-
19 Berufungsinstanz "Landesarbeitsgericht": 12/10 filr den Prozeß, Urteil mit schriftlicher Begründung 6/10 und ohne 3/10; vor dem Revisionsgericht "Bundesarbeitsgericht": 16/10 filr den Prozeß, Urteil mit schriftlicher Begründung 16/10 und ohne 8/10.
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
261
valenz zwischen den bei Gericht entstehenden Aufwendungen und den von den Prozeßbeteiligten zu tragenden Gebühren hergestellt wird. 4.3.1.2 Grad der Kostendeckung in den Gerichtsbarkeilen und Instanzen Anschließend soll untersucht werden, ob und in welchem Ausmaß die öffentliche Hand Steuergelder für die deutschen Gerichte bereitstellt. Diese Frage, die sich also auf das Kostendeckungsniveau der Gerichte bezieht, wird vermutlich in den verschiedenen Gerichtsbarkeiten und Instanzen unterschiedliche Antworten zu Tage fördern, denn bereits die Zusammenstellung des gesetzlichen Rahmens im vorhergehenden Abschnitt zeigte Unterschiede. Ferner ist zu erwarten, daß erhebliche Differenzen hinsichtlich des Arbeitsaufwandes bei den verschiedenen Gerichtsarten bestehen, so daß eine zweiter, die Kostendeckung beeinflußender Faktor hinzutreten dürfte. Die Kostendeckung der Gerichtsbarkeiten läßt sich feststellen, wenn man für die Gerichte die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand zusammenstellt (vgl. Tabelle 1). Als einzig verfügbare präzise Datengrundlage20 stehen hierzu die Haushaltspläne der einzelnen Bundesländer für die Gerichte bis zur Stufe der Oberlandesgerichte, der Oberwaltungsgerichte, der Landesarbeitsgerichte, der Landessozialgerichte und der Bundeshaushaltsplan für die in der Zuständigkeit des Bundes stehenden Obersten Gerichte (vor allem Bundesverfassungs-, Bundesverwaltungs-, Bundessozial- und Bundesarbeitsgericht sowie Bundesgerichts- und Bundesfinanzhof) zur Verfügung. Für die Länderebene wurde nur Berlin herausgegriffen. Die Bewertung auf der Ebene der Bundesländer ist insofern problematisch, als in den Haushaltsplänen im Falle der ordentlichen Gerichtsbarkeit keine Trennung zwischen der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit vorgenommen wird, was aufgrund der Unterschiede hinsichtlich der Motive der beteiligten Akteure (Privat/Privat versus Privat/Staat) und den verschiedenartigen Zielsetzungen der beiden Gerichtszweige (vgl. Abschnitt 4.2) für eine differenzierte ökonomische Analyse wünschenswert wäre. Darüber hinaus fehlt es bei der Verwaltungsgerichts-, der Sozial- und der Arbeitsgerichtsbarkeit an einer Trennung zwischen erster und zweiter Instanz; nur die Zahlen zum Finanzgericht beziehen sich auf eine Instanz, da es in dieser Gerichtsbarkeit auf Länderebene nur ein Rechtszug gibt. Auf der Bundesebene entfallen die beschriebenen Schwierigkeiten hinsichtlich der Datenlage. 2° Kotzorek (1985a und 1987, S. 126-131) berechnet dagegen aufgrundvon Schätzwerten den Kostendeckungsgrad erstinstanzlicher Zivilgerichtsverfahren und den der schleswig-holsteinischen Arbeitsgerichte bzw. den des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein, um Struktureffekte der Gerichtsgebühren zu verdeutlichen (vgl. hierzu Abschnitt 4.3.1.3).
262
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
Tabelle 1: Kostendeckungsgrade verschiedener GerichtsbarkeiteR durchschnittlieber Kostendeckungsgrad 1b
durchschnittlieber Kostendeckungsgrad 2c
50,5
51,0
Bundesgerichtshof (Zivil- und Strafsenate)
17,4
18,9
Finanzgerichtsbarkeit Berlin (Finanzgericht)
17,1
17,2
Bundesfinanzhof
11, I
13,2
Verwaltungsgerichtsbarkeit Berlin (Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht)
9,6
10,2
Arbeitsgerichtsbarkeit Berlin (Arbeits- und Landesarbeitsgericht)
9,3
10,8
Bundesarbeitsgericht
4,2
6,0
Bundesverwaltungsgericht
4,2
4,6
Sozialgerichtsbarkeit Berlin (Sozial- und Landessozialgericht)
2,7
3,0
Bundessozialgericht
2,1
5,1
Bundesverfassungsgericht
1,6
2,6
Gerichtsbarkeiten• Zivil- und Strafgerichtsbarkeit Berlin (inklusive Familiensachen und freiwillige Gerichtsbarkeit beim Kammergericht, bei den Land- und Amtsgerichten)
• Vgl. zu den Daten die Tabellen Al-All im Anhang. b
'
Gehuhreneinnahmen (GerichtsgebUhren, Geldbußen, Geldstrafen etc.)/Gesamtausgaben x 100 (in%) als arithmetisches Mittel der Jahre 1987-1991. Gebühreneinnahmen und "gerichtsfremde" Erlöse I Gesamtausgaben x 100 (in%) als arithmetisches Mittel der Jahre 1987-1991.
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
263
Aus der Tabelle 1 läßt sich ablesen, daß der geringste staatliche Zuschußbedarf bei der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit besteht; jedoch muß der Staat, hier das Land Berlin, auch filr diese Gerichtsbarkeiten annähernd filnfzig Prozent der Ausgaben über die allgemeinen Steuereinnahmen finanzieren. An "zweiter Stelle" liegt der Bundesgerichtshof als oberste Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die Finanz-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit belegen die "weiteren Plätze", und das Bundesverfassungsgericht erfordert den höchsten prozentualen Zuschuß seitens des Staates. Anhand der Tabelle 1 zeigt sich auch sehr deutlich, daß die Obersten Bundesgerichte der jeweiligen Gerichtsbarkeiten eine geringere Kostendeckung erreichen als die Landesgerichte. Da diese Angaben recht undifferenziert die Ebene der Landesgerichte abbilden bzw. keine Trennung zwischen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit erlauben, liegt es nahe, die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zur Rechtspflege heranzuziehen, was aber zu kaum überwindbaren Schwierigkeiten filhrt. Diese Statistik (vgl. z.B. Statistisches Bundesamt 1988) erlaubt es, auf der Seite der Einnahmen nur filr Teile der Zivilgerichtsbarkeit (Zivilgerichtsbarkeit ohne Familienstreitsachen und freiwillige Gerichtsbarkeit, Familiengerichtsbarkeit) und ausschließlich durchschnittliche Streitwerte zu berechnen, ohne dabei einen Bezug zwischen Streitwert bzw. Art der Erledigung vor Gericht (z.B.: Vergleich, Urteil ohne oder mit schriftlicher Begründung) und den tatsächlich angefallenen Gebühren herstellen zu können. Die Ausgaben der ordentlichen Gerichtsbarkeit (z.B. Landeshaushaltsplan Berlin 1992) werden nur sehr grob (anhand der Zuordnung der Richterstellen auf die einzelnen Gerichte) differenziert. Da jedoch die Zuordnung der Richterstellen auf die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit fehlt, die man gegebenenfalls als Anhaltspunkt filr die Aufteilung der anfallenden Kosten auf die Zivil- bzw. Strafgerichtsbarkeit verwenden könnte, ist kaum eine zuverlässige Schätzung der Kostenunterdeckung auf einer niedrigeren als die im Haushaltsplan angegebene Aggregationsebene möglich. Die Schwierigkeiten einer solchen Schätzung zeigen sich auch bei Kotzorek (1985b, S. 316 f.), der die Subventionsgrade der schleswig-holsteinischen Arbeitsgerichtsbarkeit insgesamt, der dortigen Arbeitsgerichte und des ansässigen Landesarbeitsgerichts sowie die durchschnittliche Kosten bzw. Subvention je Verfahren filr das Jahr 1980 berechnet hat. Hierzu greift er ebenfalls auf den Landeshaushaltsplan zurück. Aus diesem Landeshaushalt kann man die Ausgaben filr die Berufsrichter und die ehrenamtlichen Richter2 1 sowie den personellen und sachlichen Verwaltungsaufwand entnehmen. Kotzorek teilt die aus21 Die im Landeshaushalt erhobenen Personalkosten wurden noch kUnstlieh um unterstellte Sozialbeiträge in Höhe von 33% erhöht, die er aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Bundesdurchschnitt entnommen hat.
264
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
gewiesenen Ausgaben für Beamte und Richter entsprechend dem Stellenplan auf die beiden Instanzen auf. Ferner wurden die Einnahmen entsprechend der erledigten Verfahren den beiden Instanzen zugeordnet, wobei die Einnahmen vor dem Landarbeitsgericht im Durchschnitt doppelt so hoch sein sollen wie vor dem Arbeitsgericht. Kotzorek berechnet einen Subventionsgrad (Kostendeckungsgrad) von 92% für die Arbeitsgerichtsbarkeit insgesamt sowie von 90% für die Arbeitgerichte und 97% für das Landesarbeitsgericht Außerdem wurden die Gesamtkosten der Arbeitsgerichte und des Landesarbeitsgerichts auf die Zahl der erledigten Verfahren in der jeweiligen Instanz umgelegt, es ergeben sich die durchschnittlichen Kosten bzw. die durchschnittliche Subvention je Verfahren: Für jedes Arbeitsgerichtsverfahren fielen im Durchschnitt 317,- DM und für jedes Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht 2204,- DM an Subventionen an. Die Analyse von Kotzorek ( 1985a) kann für die Arbeitsgerichtsbarkeit Unterschiede hinsichtlich des Subventionsbedarfs für die jeweilige Instanz und damit natürlich auch bezüglich der Kostendeckung schätzen, deren Validität aber nicht unumstritten sein dürfte. Da die Arbeitsgerichtsbarkeit haushaltsrechtlich allein erfaßt wird, kann man zwar anband der Zahl der Richter und der vorhandenen Zuordnung auf die beiden Instanzen eine Näherungsgröße für die Kostenunterschiede bilden, was prinzipiell für das Land Berlin auch im Bereich der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit nicht jedoch in der ordentlichen Gerichtsbarkeit (s.o.) möglich wäre. Wie auch die nachfolgenden Ausführungen zur Struktur der Ausgaben aber zeigen werden, ist eine solche Rechnung problematisch: Der anfallende Arbeitsaufwand läßt sich nicht nur an der Zahl der Köpfe seitens der Richter festmachen, sondern hängt vom Schwierigkeitsgrad des Falls, der Art der Erledigung (z.B. Vergleich oder Urteil) und von der Arbeitsweise des Gerichts (Einzelrichter oder Kammerprinzip) ab; es ist ebenfalls problematisch, die Unterschiede bei den Einnahmen nur anband der Anzahl der erledigten Fälle und einer angenommen doppelten Einnahmenhöhe vor dem Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen; z.B. ist die Prozeßgebühr vor dem Landesarbeitsgericht nur um 2/ I0 höher als vor dem Arbeitsgericht. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten habe ich für das Land Berlin keine Schätzungen hinsichtlich der Unterschiede bei den Kostendeckungsgraden zwischen den verschiedenen Instanzen vorgenommen. Die vorliegenden Zahlen aus den Haushaltsplänen zeigen aber sehr deutlich, daß der Staat das Gerichtswesen mit Steuergeldem subventioniert; bei der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit ist das Ausmaß der Kostenunterdeckung noch relativ moderat, steigt aber bei den außerordentlichen Gerichtsbarkeilen bis zum höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht, immer mehr an.
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
265
4. 3.1. 3 Struktur der Kostenunterdeckung
Die im letzten Abschnitt festgestellten Kostenunterdeckungen in den verschiedenen Gerichtsbarkeilen und Instanzen legen natürlich die Frage nach den Ursachen dieser "Verzerrung" nahe. Der Gesetzgeber gibt quasi durch den rechtlichen Rahmen, z.B. durch den Erlaß des Gerichtskosten- und des Arbeitsgerichtskostengesetzes, das "Preisgerüst" vor. Die potentiellen Prozeßbeteiligten entscheiden auch unter Berücksichtigung des Preisgerüstes, ob und wie sie mit Hilfe der staatlichen Gerichte ihr Recht verfolgen; insofern erzeugen sie das "Mengengerüst". Für die Frage der Kostenunterdeckung ist freilich auch der Aufwand der Gerichte entscheidend, mit dem sie jeden Fall behandeln. Die Struktur der Kostenunterdeckung ist folglich eine Funktion des "Mengengerüsts", des "Preisgerüsts" und des bei Gericht anfallenden Aufwandes. Im folgenden werden empirische Untersuchungen zur Struktur der Kostenunterdekkung zusammenfaßt sowie die aus dieser Struktur zu erwartenden Rückwirkungen auf das "Mengengerüst" beschrieben. Kotzorek (l985a, S. 6-8) schätzt den Zuschußbedarf der öffentlichen Hand ftlr die erstinstanzliehen Zivilprozesse (ohne Familiensachen) am Amts- und am Landgericht ftlr das Jahr 1981 in Abhängigkeit vom Streitwert. Unter Zugrundelegung der Personalkosten eines Richters am Amtsgericht mit einem "durchschnittlichen" Familienstand, den unterstellten Sozialbeiträgen in Höhe von 33% der Personalkosten und den aus einer anderen Untersuchung übernommenen Gemeinkostenzuschlägen ftlr den personellen und sachlichen Verwaltungsaufwand beliefen sich die durchschnittlichen Ausgaben fiir einen Amtsrichter im Jahre 1981 auf 315 000,- DM. Da nach der Personalbedarfsplanung ohne Rücksicht auf die Art der Erledigung ein Richter am Amtsgericht 640 Rechtsfälle im Jahr bearbeitet, ergeben sich pro Verfahren vor dem Amtsgericht ca. 500,- DM als Kosten. Im Falle eines erstinstanzliehen Verfahrens vor dem Landgericht kann man in ähnlicher Weise aus den Personalkosten der Kammer, die aus zwei beisitzenden Richtern und einem Vorsitzenden Richter besteht, den geschätzten Sozialbeiträgen und den Gemeinkostenzuschlägen jährliche Kosten von 984 000,- DM errechnen. Nach der Personalbedarfsplanung befassen sich die drei Richter mit durchschnittlich 420 Zivilsachen pro Jahr; folglich ergaben sich vor dieser Instanz durchschnittliche Kosten in Höhe von knapp 2350,- DM. Die Einnahmen der Gerichte wurden überschlägig aus dem durchschnittlichen Gebührensatz, der die unterschiedlichen Sätze nach Art der Erledigung des Rechtsstreits mit der entsprechenden Häufigkeit der Erledigungsart gewichtet, ftlr die einzelnen Streitwertklassen ermittelt. Folgende Ergebnisse erbrachte diese Modellrechnung:
266
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
- Für erstinstanzliehe Zivilsachen fielen im Jahre 1981 ca. 210 Millionen DM an Einnahmen und rund 1,1 Milliarden an Ausgaben an. Folglich ergab sich ein Kostenunterdeckungsgrad von ca. 19%. - Es kommt zu besonders vielen Prozessen mit niedrigem Streitwert, so daß den dort erzielten geringen Einnahmen eine hohe Bedeutung für das in der Zivilgerichtsbarkeit entstehende Defizit zukommt; das Ausmaß der Kostenunterdeckung nimmt mit zunehmenden Streitwert ab, was aufgrund der degressiv steigenden Gebühren plausibel ist. - Die Kostenunterdeckung wird insbesondere durch die Landgerichte und weniger von den Amtsgerichten erzeugt; ursächlich sei hierfür das Kammerprinzip beim Landgericht, wonach drei Richter für einen Fall zuständig sind. Gegen die Validität der Ergebnisse von Kotzorek (1985a) lassen sich einige Kritikpunkte vorbringen: - Der von ihm ermittelte Kostendeckungsgrad von 19% liegt weit unter der für die aus dem Berliner Landeshaushalt ermittelten Zahl (vgl. hierzu Tabelle 1). Welche Erklärungsmöglichkeiten gibt es für diese Abweichung? Zum einen blendet er die Familiensachen aus, die aber im Durchschnitt einen höheren Streitwert aufweisen und damit höhere Gebühreneinnahmen versprechen (vgl. Tabelle 2): In der ersten Instanz sind die durchschnittlichen Gebührenstreitwerte bei Familiensachen höher als bei den übrigen Zivilsachen (ohne freiwillige Gerichtsbarkeit); nur in der zweiten Instanz ergibt sich ein umgekehrtes Bild, was aber aufgrund der geringen Zahl der erledigten Fälle in Familiensachen vor dem Kammergericht quantitativ kaum ins Gewicht fallen dürfte.11 Zum anderen bleibt bei Kotzorek (1985a) die freiwillige Gerichtsbarkeit (z.B. Eintragungen in das Handelsregister und das Grundbuch) unberücksichtigt, in der bei Eintragungen mit hohem Geschäftswert hohe Einnahmen enstehen, ohne daß hierfür vermutlich entsprechend hohe Kosten anfallen. Beide Faktoren könnten die Diskrepanz zwischen meinen Ergebnissen und denen von Kotzorek erklären. Allerdings vernachlässigt Kotzorek in seiner Berechnung die Existenz der Prozeßkosten- und Beratungshilfe; in diesen Fällen erzielt der Staat keine Einnahmen, im Gegenteil die Ausgaben für die Prozeßkosten- und Beratungshilfe erhöhen gar die staatlichen Aufwendungen für die Gerichte. Würde Kotzorek den verzerrenden Effekt der Prozeßkosten- und der Beratungshilfe mitberücksichti-
22 Ferner ist zu berücksichtigen, daß Kotzorek die Ebene der Oberlandesgerichte bzw. des Kammergerichts gar nicht geschätzt hat.
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
267
Tabelle 2: Durchschnittliche Gebührenstreitwerte 1988 Zivilgerichte des Landes Berlin• Durchschnittlicher Gebührenstreitwert
Zahl der erledigten Fälle
Erste Instanz: Amtsgericht
2 281
77 282
Zweite Instanz: Landgericht
19 161
19 841
12 290
7 815
abgetrennte Folgesachen/ allein anhängige andere Familiensachen
6 147
8 465
Zweite Instanz Kammergericht
9 016
I 129
Zivilsachen (ohne Familiensachen und freiwillige Gerichtsbarkeit)
Familiensachen Erste Instanz (Amtsgericht) Ehesachen
.................................................. ...................................................... ......................................................
• Daten aus: Statistisches Bundesamt (1988, S. 26, 41, 91 und 103).
268
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
gen, ginge das von ihm ermittelte Ausmaß an Kostendeckung noch weiter zurück. Ferner fließen in die Zahlen aus dem Landeshaushalt auch die Aufwendungen und Einnahmen der Strafgerichtsbarkeit ein, die vermutlich aufgrund der Orientierung der Gebühren an der Strafhöhe noch weniger als die der Zivilgerichtsbarkeit kostendeckend sind; ein aus den Zahlen des Haushalts berechneter Kostendeckungsgrad für die Zivilgerichtsbarkeit würde daher besser ausfallen und somit die Diskrepanz zu Kotzorek vergrößern. Letztendlich ist es aufgrundder unzureichenden Datenlage kaum beantwortbar, welche der genannten Faktoren in welchem Ausmaß zutrifft und ob daher die Modellrechnung von Kotzorek die tatsächlichen Kosten nicht über- bzw. die Einnahmen nicht unterschätzt. - Der hohe Subventionsbedarf für das Landgericht, wie er von Kotzorek abgeleitet wurde, verkennt, daß nach § 348 ZPO unter bestimmten Voraussetzungen das Verfahren einem Mitglied der Kammer zur einzelrichterliehen Entscheidung zugewiesen werden kann, worauf er zwar selbst auch hinweist, aber dies nicht in seine Berechnungen einbezieht. Diese Möglichkeit verringert den durchschnittlichen Arbeitsaufwand am Landgericht, so daß die von Kotzorek festgestellte unterschiedliche Kostendeckung beim Amts- bzw. beim Landgericht fragwürdig ist. Daß die Ursache der Kostenunterdeckung vor allem bei der Vielzahl der Prozesse mit niedrigen Streitwerten liegt, ist eine Folge der Annahme, daß der Arbeitsaufwand der Richter nicht mit dem Streitwert variieren soll. 23 Letztendlich gibt es aber keine plausiblen Gründe dafür, daß ein steigender Arbeitsaufwand in dem Maße, wie es die Struktur der Kostenunterdeckung nahelegt, relevant ist. Insofern erscheint die von Kotzorek abgeleitete Struktur der Kostendeckung als recht plausibel. Für die anderen Ergebnisse Kotzoreks hinsichtlich des Niveaus sind Zweifel angebracht. 24 Welche Rückwirkungen sind von so verzerrten Gebühren auf das Verhalten der Parteien (das Mengengerüst) zu erwarten? Wenn es möglich ist, meiden die Parteien Prozesse mit hohem Streitwert (vgl. Kotzorek 1985a, S. I 0). Dies ist
23
unten.
Sowie der Annahme, daß die Gebührenordnung keine Anpassungsreaktionen erzeuge; siehe
24 Kotzorek (1985b, S. 317-322) berechnet in einem ähnlichen, jedoch etwas präziseren Verfahren die Kostendeckung der Arbeitsgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein in Abhängigkeit vom Streitwert filr das Jahr 1980. Neben den bereits in Abschnitt4.3.1.1 angesprochenen Faktoren, die zu einer noch geringeren Kostendeckung in der Arbeitsgerichtsbarkeit im Vergleich zur sonstigen Zivilgerichtsbarkeit filhrt, zeigt sich auch hier wieder die mit dem steigendem Streitwert abnehmende Kostenunterdeckung.
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
269
darauf zurückzuführen, daß hohe Gerichtskosten den Vergleichsbereich vergrößern und somit die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer außergerichtlichen Einigung steigt (vgl. auch Abschnitt 4.2.1.1 ). Der Grad der Kostenunterdeckung nimmt weiter zu. Offenkundig rechtswidrige Ansprüche, die nur zum Zwecke der Erzielung eines Verzugsgewinns erhoben werden, lohnen sich dagegen eher (vgl. Kotzorek 1985a, S. 10 und Abschnitt 4.2.1.3). 4.3.1.4 Ökonomische Erklärungsversuche für Niveau und Struktur der Gerichtsgebühren
Welche Erklärungen kann man heranziehen, daß man kein kostendeckendes Niveau auf der Ebene der Gerichtskosten erreichen und bestimmte Verzerrungen durch das Gebührenrecht anstreben soll? In einem marktwirtschaftliehen System soll jeder Akteur seine von ihm verursachten Kosten tragen (keine negative Extemalitäten), um eine effiziente Allokation der Güter und Produktionsfaktoren sicherzustellen (vgl. z.B. Fritsch/Wein!Ewers 1993, S. 12-31 und S. 54-61). Folgende Erklärungen für nicht kostendeckende Gerichtsgebühren in der Bundesrepublik Deutschland kann man heranziehen: (i)
Die Erfassung und die Zurechnung der Gerichtskosten ist schwierig;
(ii) Gerichtsurteile vermindern Rechtsunsicherheit; (iii) die Existenz der Gerichte ermöglicht erst außergerichtliche Einigungen; (iv) nicht kostendeckende Gerichtsgebühren für Rechtssachen mit niedrigem Streitwert sollen für Einkommenschwache die Rechtsdurchsetzung erleichtem und (v) der Staat ist in einigen Gerichtsbarkeiten selbst Partei bzw. muß die Prozeßkosten- und Beratungshilfe tragen. (zu i) Die Erfassung der Kosten ist schwierig. Unter dem Grundsatz kostendeckender Gerichtsgebühren würde der Richter alle Kosten des Verfahrens erfassen und dem Prozeßverursacher, also dem Unterlegenen, zurechnen. Es ist schwierig zu bestimmen, welche Kosten insgesamt der Prozeß verursacht. Insbesondere die Aufteilung der Gemeinkosten auf den einzelnen Fall ist keine einfach zu lösende Aufgabe. In der Praxis wird es daher unvermeidlich sein, mit einer gewissen Standardisierung und Vereinfachung zu arbeiten. Das Ausmaß und die Struktur der in Deutschland zu beobachtenden Kostenunter-
270
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
deckung ist freilich allein durch die bestehenden Erfassungsschwierigkeiten nicht zu erklären. (zu ii) Gerichtsurteile vermindern Rechtunsicherheiten. Wenn Gerichtsurteile insofern auf andere Akteure als die der Prozeßbeteiligten ausstrahlen, als sie deren Rechtsunsicherheiten, insbesondere über die Auslegung der Gesetze, beseitigen (positive Externalitäten), kann schon ein aus individueller Sicht relativ unbedeutendes Urteil einen großen gesamtwirtschaftlichen Nutzen erzeugen, falls von dieser Streitfrage eine Vielzahl von Personen betroffen sind. Müßten in solchen Fällen die Prozeßbeteiligten mit ihrem relativ unbedeutenden Nutzen die kostendeckenden Gebühren tragen, würden diese vor der gerichtlichen Klärung der Streitfrage zurückschrecken. Die Rechtsfortbildung würde nicht erfolgen. Der Staat kann aus diesem Grund die Parteien subventionieren, indem er die Gerichtsgebühren senkt. Wann ist jedoch dieser Sachverhalt zu erwarten? In der Regel wird die so beschriebene Rechtsfortbildung in den oberen Instanzen entstehen (vgl. zusammenfassend Kotzorek 1985a, S. 30 und ausführlich Adams 1981, S. 77-81 ). Dieses Argument würde es also nahelegen, bei den Obergerichten (also den Bundesgerichten, den Oberlandesgerichten und den Landesobergerichten der speziellen Gerichtsbarkeiten) die Gerichtsgebühren unterhalb des kostendeckenden Niveaus anzusetzen, wobei das Niveau der Kostenunterdeckung bei den Bundesgerichten aufgrund der dort zu erwartenden hohen Wahrscheinlichkeit der Rechtsfortbildung besonders hoch sein müßte. Die in den Abschnitten 4.2.1.2 und 4.2.1.3 genannten Angaben zeigen eine solches Muster der Kostenunterdeckung, wobei aber der Grad der Kostcounterdeckung bei den Landesobergerichten aufgrund der fehlenden Daten kaum oder nur sehr vage bestimmbar ist. Dagegen kann man die auf der erstinstanzliehen Ebene der Amts- und Landgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie bei den ersten Instanzen der speziellen Gerichtsbarkeit trotz aller empirischer Unwägbarkeit deutlich erkennbare Kostenunterdeckung durch dieses Argument kaum erklären, da nur in Ausnahmefällen von den ersten Instanzen eine Rechtsfortbildung zu erwarten und eine solche letztlich auch gar nicht beabsichtigt ist. Ferner wird die in Deutschland praktizierte interne Subventionierung geringer Streitwerte dadurch nicht plausibel, denn es gibt keine Hinweise, daß die Wahrscheinlichkeit der Rechtsfortbildung besonders bei Rechtsfällen mit niedrigen Streitwert zu erwarten ist. (zu iii) Die Existenz der Gerichte ermöglicht erst außergerichtliche Einigungen. Dadurch, daß Gerichte existieren, können Parteien in Zivilrechtsstreitigkeiten mit einem Prozeß drohen und die außergerichtliche Einigung erzwingen. Der Prozeß selbst wird gar nicht nötig. Viele ziehen somit einen Nutzen
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
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aus der Existenz der Gerichte, ohne sie einzuschalten (positive Externalitäten im erheblichen Ausmaß bzw. Gerichte als öffentliches Gut). Folglich müßte der Staat die Existenz der Gerichte filr alle garantieren, indem er die Fixkosten der Gerichte aus Steuergelder finanziert, wie dies Schwartz/Tullock (1975, S. 78 und 81) gefordert haben (vgl. zusammenfassend zu diesem Argument Kotzorek 1987, S. 122).25 Wie man in Abschnitt 4.2.1 gesehen hat, kommt es unahängig von der Höhe der Gerichtsgebühren, insbesondere aufgrund inkonsistenter Erfolgswahrscheinlichkeiten, zu einer Nachfage nach Gerichtsentscheidungen, so daß man die Kosten des Zivilgerichtswesens vollständig über diese "Transaktionen" finanzieren kann, ohne eine Verzerrung zu verursachen. Der von Schwartz/Tullock beschriebene positive externe Effekt bleibt somit für die Kostengestaltung der Gerichte folgenlos. (zu iv) Mit der internen Subventionierung niedriger Streitwerte, in deren Folge es zu massiven Kostenunterdeckungen kommt, wird vielfach das verteilungspolitische Ziel der Unterstützung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten verbunden (vgl. zusammenfassend Kotzorek 1985a, S. 11 ). Dahinter liegt der Gedanke, daß im Falle eines drohenden Rechtsstreits die risikoscheuere Partei eher nachgeben wird und deshalb schneller einen ungünstigeren Vergleich akzeptiert, da sie das sichere Ergebnis aus dem Vergleich höher als die Gegenpartei bewertet (vgl. auch Abschnitt 5.1). Ferner ist zu erwarten, daß mit fallendem Einkommen eine Partei zunehmend risikoscheu wird; insofern werden einkommensschwache Personen mehr und vor allem ungünstigere Vergleiche akzeptieren als wirtschaftlich besser gestellte Akteure. Vor diesem Hintergrund erhöht natürlich eine interne Subventionierung der niedrigen Streitwerte, wenn hiervon besonders einkommensschwächere Personenkreise betroffen sind, die Chancen zur Rechtsdurchsetzung. Es ist allerdings fraglich, ob die Annahme über die besondere Betroffenheit zutrifft (vgl. hierzu Kotzorek 1985a, S. 21 und Abschnitt 5.2); niedrige Gerichtsgebühren begünstigen darüber hinaus auch die Gegenpartei, so daß sich dieser Effekt tendenziell wieder ausgleicht. Folglich wäre es durchaus erwägenswert, die bedürftigen Personen direkt zu unterstützen (in Form der Prozeßkostenhilfe oder noch besser ohne Bindungswirkung z.B. über das Steuerrecht; vgl. hierzu Kotzorek 1987, S. 116) als die
25 Kotzorek diskutiert dort auch die Frage, ob man dieses Problem durch Ausgabe von Optionsscheinen lösen könnte: Individuen dürften nur dann Gerichte einschalten, wenn sie ex ante einen Berechtigungsschein erworben haben; die Drohung mit dem Gericht wäre nur glaubwürdig, wenn man einen solchen Berechtigungsschein besitzt. Die Summe der Erlöse aus dem Verkauf der Berechtigungsscheine decken dann die Fixkosten. Diese sehr marktnahe Lösung, letztendlich werden durch den Verkauf an Optionsscheinen Property Rights an dem "Drohpotential" der Gerichte verkauft, erfordert allerdings ein hohes Ausmaß an Verwaltungskosten, so daß vermutlich eine Steuerfinanzierung kostengünstiger sein dürfte.
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4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
Gerichtskosten unter das kostendeckende Niveau zu senken bzw. die Gebühren von dem tatsächlich entstehenden Aufwand zu entkoppeln. Vergleiche hierzu ausführlich die Ausruhrungen im fünften Kapitel.
(zu v) In der Verwaltungs-, Finanz-, Straf- und Sozialgerichtsbarkeit sowie auf der Ebene des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat auch Partei, so daß er u.U. selbst ein Interesse an niedrigen Kosten hat; allerdings fuhrt dieses Argument nicht notwendigerweise dazu, daß er insgesamt die Gerichtsgebühren senken oder sie in einer verzerrenden Weise erheben muß, denn er könnte allen Parteien, unabhängig davon, ob sie private bzw. juristische Personen oder staatliche Körperschaften darstellen, im Einzelfall die angemessenen Kosten anlasten und müßte nur bei eigener Betroffenheit die Gerichtskosten tragen; dadurch würde seine finanzielle Belastung im Gegensatz zu heute deutlich zurückgehen. Ähnliches gilt zu dem Argument, daß der Staat die Gerichtskosten auf ein nicht kostendeckendes Niveau senken soll, weil er Prozeßkostenund Beratungshilfe für sozial Schwache tragen oder für Pflichtverteidigungen aufkommen muß (vgl. auch Abschnitt 4.3.2): Es wäre wenig treffsicher, fiir alle die Gerichtsgebühren zu senken, wenn man nur bestimmte Personengruppen unterstützen will.26 Die vorgetragenen Argumente können also nur fUr die Obergerichte nicht kostendeckende Gerichtsgebühren definitiv rechtfertigen. Der verteilungspolitische Gesichtspunkt muß noch ausfUhrlieh im fünften Kapitel berücksichtigt werden. Wenn man davon ausgeht, daß auch der letzte Punkt den gegenwärtigen Zustand nicht erklärt, wie könnte man sich sein Vorhandensein trotzdem plausibel machen? Die geeignete These wäre, daß Politiker, Wähler, Interessengruppen und Bürokraten27 kein Interesse an kostendeckenden Gebühren haben. Unzureichende Gebühren erhöhen die Nachfrage nach Anwaltsleistungen, wodurch die Politiker bei den Anwälten mehr Wählerstimmen gewinnen als sie aufgrund der Unmerklichkeit der sich daraus ergebenden Steuermehrbelastung bei den Steuerzahlern verlieren. Eine nicht kostendeckende Gebührenpolitik stärkt also die Wiederwahlchancen der Politiker und wird daher der vermutlich effektiveren Einzelunterstützung der Bedürftigen (z.B. Prozeßkostenhilfe; vgl. ausfuhrlieh Kapitel 5) vorgezogen (vgl. ausfuhrlieber Kotzorek 1987, S. 58-64). Die Interessengruppe der Anwälte, die aufgrund der in
26 Jedoch auch bei kostendeckenden Gerichtsgebühren kann aus den genannten Verpflichtungen des Staates heraus ein Interesse bestehen, das Ausmaß der Gerichtstätigkeit zu begrenzen (vgl. hierzu Abschnitt 4.3.2). 27 Zu den grundsätzlichen Interessen dieser Akteure vergleiche die Zusammenfassung im Abschnitt 3.4.5 und Fritsch/Wein!Ewers (1993, S. 269-278.).
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
273
Deutschland bestehenden Pflichtmitgliedschaft in der Anwaltskammer keine Organisationsprobleme aufweist (vgl. Abschnitt 3.5.2), hat infolge der erhöhten Nachfrage ein hohes Interesse an einer Politik der Kostenunterdeckung; insofern werden sie die Politiker (und die Bürokraten) in einer solchen Politik bestärken. Die Bürokraten haben ein eigenes Interesse an der Kostenunterdekkung, denn die damit verbundene Nachfragesteigerung weitet den juristischen Apparat aus, was mit dem üblichen Ziel der Bürokratie, der Budgetmaximierung, voll kompatibel ist. 28 Um diese "Fehlanreize" zu mindern, ist es aus Sicht des Wählers vorteilhaft, auf der Ebene des Grundkonsens (vgl. hierzu Abschnitt 3.4.5.1) kostendeckende Gerichtsgebühren festzuschreiben; es sei denn, es handelt sich um die Obergerichte (u.U. auch aus verteilungspolitischen Gründen). Bei kostendeckenden Gerichtsgebühren gibt es dann keine Notwendigkeit, eine kostenminimierende Anwaltsregulierung einzufiihren. Für die Obergerichte werden aufgrund der unvermeidlichen Kostenunterdeckung jedoch bestimmte Elemente der Anwaltsregulierung plausibel: Das Verbot der Simultanzulassung am LG und OLG kann sicherstellen, daß wenig aussichtsreiche Verfahren durch die erneute Begutachtung eines anderen Anwaltes frühzeitig abgebrochen werden, wodurch die Inanspruchnahme der subventionierten OLG-Stufe verhindert und damit auch die fiskalische Belastung des Staates abnimmt. Auch der praktizierte Numerus Clausus bei den BGH-Anwalten fiihrt tendenziell dazu, daß die Beteiligten sich besser untereinander kennen, als wenn jeder Anwalt am BGH auftreten könnte, wodurch die Rechtsfindung effektiver und damit kostengünstiger würde. Durch den Numerus Clausus kommt es auch zu einer Spezialisierung, welche die Effektivität des Verfahrens verbessert?9 Ferner sorgt der Numerus Clausus fiir ein auskömmliches Einkommen, so daß die dortigen Anwälte einen geringeren Anreiz als die stärker im Wettbewerb stehenden anderen Anwälte haben, unnötige Prozesse zu fiihren; das Ausmaß der Kostenunterdeckung geht zurück.
28 Wenn die Wähler dem Thema Gerichtsgebühren Autinerksamkeit schenken, wäre folgende, zum gleichen Ergebnis ftlhrende Argumentation denkbar: Nicht kostendeckende Gebühren kommen dem Medianwähler, der letztendlich mit seinen Präferenzen die Wahl entscheidet (vgl. Frey 1977, S. 121-128), zu gute, dagegen hilft die Prozeßkostenhilfe gezielt nur den wenigen Bedürftigen (vgl. auch Abschnitt 5.3); zwar müssen zur Abdeckung des Defizits bei den Gerichten die Steuern erhöht werden, was aber insbesondere bei einer progressiven Einkommensbesteuerung den Medianwähler nicht gravierend trifft. 29 Dieser Spezialisierungseffekt könnte sich freilich auch von selbst einstellen, denn die Mandanten haben auch ein Interesse daran, die am besten qua1ftzierten Anwälte vor den Obergerichten einzuschalten, wenn sie die Kosten der Obergerichte voll tragen müssen oder weil sie sich dadurch eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit ausrechnen können.
IK Wein
274
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
4.3.2 Fiskalische Interessen des Staates Auch wenn der Staat kostendeckende Gerichtsgebühren erheben würde, hätte er trotzdem ein (fiskalisches) Interesse an einer effizienten Rechtsfindung und wenigen Prozessen, da er z.B. die Prozeßkosten- und Beratungskostenhilfe aufbringen muß und im Verwaltungsgerichts-, Finanzgerichts-, Sozialgerichts- und Strafverfahren eine Partei darstellt. Der Staat als Partei ist dann ein Reflex der Notwendigkeit des Strafrechts oder des Verwaltungsrechts, letzterem kann man auch im weiteren Sinne das Finanz- und Sozialrecht zu ordnen (vgl. Abschnitt 4.2.2 und 4.2.3). Zumindest für den Strafprozeß kann man aus der Tabelle 3 (Ausgaben des Staates im Falle des eigenen Unterliegens; Spalte 3) einen Eindruck über die Größenordnung der fiskalischen Belastung durch die Strafgerichtsbarkeit gewinnen. 30 Wenn sich die Verwaltung und die Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung, ob sie einen Prozeß "anstreben" oder nicht, nur von den (wohlfahrtsökonomisch) wohlbegründeten Zwecken leiten lassen, sind diese fiskalischen Belastungen unvermeidlich; 31 es gibt dann keinen Grund, die Gerichtskosten unter das Niveau der tatsächlich vorhandenen Kosten zu senken. Neben dem Argument des Staates als betroffene Partei können auch die Belastungen aus der direkten finanziellen Unterstützung sozial Schwacher im Gerichtswesen ein Interesse an geringst möglichen Kosten erklären. Hierzu wäre zu allererst die Prozeßkosten- und Beratungskostenhilfe zu nennen (vgl. Spalte 4 in Tabelle 3). Damit alle Bürger ihr Recht durchsetzen können, gibt es, meist nur in Familiensachen, die Prozeßkostenhilfe für Bürger mit niedrigem Einkommen, die in Raten zurückgefordert werden kann. Sie erhalten, bei Erfüllung der Einkommens- und Vermögensvoraussetzungen und wenn das Begehren Aussicht auf Erfolg hat bzw. nicht mutwillig ist(§ 114 ZPO), die Gerichtskosten und die eigenen Anwaltskosten ersetzt, nicht jedoch im Fall des Unterliegens die Aufwendungen des Gegners (vgl. Kotzorek 1985a. S. 5). Die Beratungshilfe wird für die außergerichtliche Beratung bei Rechtsanwälten und Gerichten bei Unterschreiten bestimmter Einkommensgrenzen und Nicht-Mutwilligkeit bewilligt, wobei eine Eigenbeteiligung gefordert wird (vgl. Kotzorek 1985a, S. 6). Seit 1990 gibt es auch noch verteilungspolitisch motivierte Auf-
30 Diese Belastung wUrde bei kostendeckenden Gebühren noch höher ausfallen (vgl. Abschnitt 4.3.1.2).
31 Im Verwaltungsrecht im weitesten Sinne ist dies nicht unbedingt zu erwarten, da die Bürokratie u.U. ihren eigenen Zwecken folgt und deswegen vermeidbare Prozesse erzeugt. Solange es jedoch keine bessere Kontrollmöglichkeiten ftlr die Bürokratie gibt, muß man mit diesen Abweichungen leben; insofern sind die daraus entstehenden fiskalischen Belastungen aus dem Gerichtswesen ebenfalls hinzunehnmen.
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
275
Tabelle 3:
Ausgabenstruktur des Gerichtswesens - Land Berlin Gesamtausgaben ordentliche Gerichtsbarkeit• (1)
Davon:
Anteil "nicht-originärer" Ausgaben in%
"Direkte" Ausgabenb (2)
Unterliegendes Staatesc (3)
Erstattungen an zivilrechtliehe Parteiend (4)
((Sp. 3 + Sp. 4)/ Sp. 1 X 100) (5)
1988°
465 490
408 490
25 000
32 000
12,2
1989f
426 109
354 109
33 000
39 000
16,9
19908
323 069
281 069
21 000
21 000
13,0
199lh
319 134
280 134
19 500
19 500
12,7
1992;
306 429
268 429
19 000
19 000
12,4 13,4i
• Gesamtausgaben ftlr die ordentliche Gerichtsbarkeit (Zivii-/Strafgerichtsbarkeit) in TDM. b
Ausgaben ftlr Personal, Gebäude etc in TDM; eigene Berechnungen (Sp.l - (Sp. 3 + Sp. 4)).
'
Ausgaben des Staates im Strafjlrozeß in TDM, wenn er vor Gericht unterliegt: Entschädigung von Zeugen, Sachverständigen, Ausgaben fllr Übersetzungen und Ersatz der notwendigen Auslagen, Anwaltskosten.
~
Staatliche Erstattungen an private zivilrechtliche Parteien in TDM, zu denen die öffentliche Hand aufgrund eines Gesetzes verpflichtet ist: Prozeßkostenhilfe, Entgelte an Pflichtverteidiger und Aufwendungen ftlr Beratungshilfe (inklusive Ausgaben nach dem Betreuungsgesetz seit September 1990).
• Quellen ftlr die Spalten I, 3, 4: Landeshaushaltsplan Berlin (1989, Bd. I, S. 200 und S. 205). r Quellen ftlr die Spalten I, 3, 4: Landeshaushaltsplan Berlin (1990, Bd. I, S. 204 und S. 209). s Quellen ftlr die Spalten I, 3, 4: Landeshaushaltsplan Berlin (1991, Bd. I, S. 221 und S. 226). h
Quellen ftlr die Spalten I, 3, 4: Landeshaushaltsplan Berlin (1992, Bd. I, S. 245 und S. 251).
; Quellen ftlr die Spalten I, 3, 4: Landeshaushaltsplan Berlin (1993, Bd. I, S. 251 und S. 258). i 18*
Arithmetisches Mittel der "nicht-originären" Ausgaben aus den Jahren 1988-1992.
276
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
wendungen für die spezielle Beratungshilfe im Zusammenhang mit dem Erlaß von Ptlegschaften. Auch die Institution der Pflichtverteidiger entspringt ähnlichen Motiven. Wenn man im fünften Kapitel zum Ergebnis käme, daß dieser Weg der richtige wäre, das sicherlich vorhandene, verteilungspolitische Ziel der Begünstigung sozial Schwacher zu verwirklichen, sind auch diese Belastungen unvermeidlich. Aus der Tabelle 3 kann man die fiskalische Belastung des Landes Berlin mit diesen "nicht-originären" Ausgaben (Spalten 3 + 4) ablesen. Im Durchschnitt ergibt sich hier ein Anteil von 13,4% an den Gesamtausgaben der ordentlichen Gerichtsbarkeit, folglich ist das fiskalische Motiv in der Praxis nicht zu unterschätzen. Wenn der Staat nur jene Prozesse anstrengt, die unvermeidlich sind, und diese indirekte Unterstützung der effiziente Weg zur Realisierung des Verteilungsziels ist (vgl. hierzu ausfUhrlieh Kapitel 5), kann man diese nicht unerhebliche Belastung des Staates nicht umgehen. Insofern ergeben sich aus dem Argument der fiskalischen Belastung des Staates keine Gründe, die Kosten des Rechtswesens über die Anwaltsregulierung zu senken.
4.3.3 Zusammenfassung Das Interesse des Staates, die Anwälte zu einer Minimierung der Kosten und der Prozesse zu verpflichten, könnte man dadurch erklären, daß er aus bestimmten Gründen nicht kostendeckende Gerichtsgebühren erhebt, selbst Partei ist bzw. die Gerichtskosten fiir Dritte tragen muß. Nach den vorliegenden Quellen zeigt sich trotz aller methodischer Probleme ein deutlicher Subventionsbedarf, da die Gerichtsgebühren die anfallenden Kosten bei weitem nicht decken. In der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit der unteren Ebene ist die Kostenunterdeckung noch relativ moderat, die unteren Instanzen der außerordentlichen Gerichtsbarkeit weisen bereits einen höheren und die Obergerichte den höchsten Deckungsbedarf auf. Nicht nur das Niveau sondern auch die Gebührenstruktur ist verzerrt: Bei Prozessen mit niedrigem Streitwert ist der Kostenunterdeckungsgrad höher als bei Angelegenheiten mit hohem Streitwert, denn in aller Regel variieren die entstehenden Kosten kaum mit der Höhe des Streitwerts. Die privaten Akteure passen sich insofern an diese Struktur an, als sie Prozesse mit hohem Streitwert meiden und verstärkt bei niedrigen Streitwerten vor Gericht gehen. Beide Faktoren verstärken das Kostenunterdeckungsniveau. Grundsätzlich sollte jeder Akteur die Kosten tragen, die er verursacht (keine negativen Externalitäten). Gibt es besondere Gründe, die ein Abweichen von diesem Grundsatz im Falle der Gerichtsgebühren plausibel machen? Folgende Argumente werden genannt:
4.3 Interesse des Staates an einer Kostenminimierung
277
- Zwar mag eine Zurechnung der Kosten auf die einzelnen Verfahren nicht ohne Schwierigkeiten möglich und damit auch ein gewisses Maß an Ungenauigkeit unvermeidbar sein. Das in Deutschland zu beobachtende Ausmaß der Kostenunterdeckung ist aber dadurch nicht zu erklären. - Urteile auf der Ebene der Obergerichte erzeugen vielfach neben der Streitschlichtung im Einzelfall positive externe Effekte, da sie dazu beitragen, bestehende Rechtslücken zu schließen. Kostendeckende Gebühren in diesen Verfahren würden die Parteien vor einer Einschaltung der Obergerichte abhalten, die erwünschte Rechtsfortbildung entfiele. Die Praxis der steuerfinanzierten Gerichtsbarkeiten geht jedoch über diese Gerichte und Verfahren weit hinaus. Aus diesem Argument kann man folglich keine Notwendigkeit fiir die zu beobachtende, außerordentlich hohe und in allen Instanzen verbreitete Kostenunterdeckung ableiten. - Die Kläger in Zivilrechtsstreitigkeiten sind zwar zur Durchsetzung ihrer Ansprüche darauf angewiesen, mit der Existenz der Gerichte drohen zu können. Da aber bereits aus anderen Gründen (insbesondere inkonsistente Erfolgswahrscheinlichkeiten) Prozesse unvermeidlich entstehen, kann man diesen Parteien die Fixkosten der Gerichte, die aus der Existenz der Gerichte anfallen, zurechnen. Nicht kostendeckende Gerichtsgebühren sind aus diesem Argument heraus verzichtbar. - Die Subventionierung der Gerichte wird vielfach mit dem verteilungspolitischen Ziel, der Begünstigung sozial Schwacher, begründet. Sozial Schwache sollen nach dieser These in der Regel nur Rechtsstreitigkeiten mit niedrigem Streitwert fiihren, deshalb müsse man die Gebührenstruktur entsprechend verzerrt anlegen. Die Tragfähigkeit dieses Arguments kann man letztendlich nur durch einen Vergleich der verschiedenen Alternativen zur Begünstigung dieser Personen bewerten, was im fiinften Kapitel ausruhrlieh erfolgen wird. - In den außerordentlichen Gerichtsbarkeiten und im Strafprozeß ist der Staat selbst Partei, bzw. er muß die Mittel fl.lr die Beratungs- und Prozeßkostenhilfe aufbringen. Anstatt die Gerichtskosten fiir alle Prozeßbeteiligten zu senken, wäre es weitaus effektiver, kostendeckende Gerichtsgebühren zu verlangen und in jenen Fällen, in denen er einspringen muß, zu zahlen. Nur fiir die Rechtsfortbildung der Obergerichte sind plausible Argumente erkennbar, eine Kostenunterdeckung herbeizufiihren, was jedoch nur einen kleinen Teil der praktizierten Steuerfinanzierung erklären kann. Worauf könnte man den gegenwärtigen Zustand noch zurückfuhren? Für die Politiker, Interessengruppen und Bürokraten als bestimmende Faktoren des laufenden politi-
278
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
sehen Prozesses ist die gegenwärtige Situation eigennutzerhöhend: Die Politiker gewinnen bei den Anwälten Stimmen, da das niedrige Gebührenniveau die Nachfrage nach anwaltliehen Dienstleistungen erhöht; auf den Stimmenanteil aus dem Kreis der übrigen Wähler wirkt sich dies nicht negativ aus, da jeder einzelne die sich daraus ergebende Steuermehrbelastung kaum bemerken wird. Die durch staatliche Hilfe gut organisierte Interessengruppe der Anwälte, die nach dem Prinzip der Zwangsmitgliedschaft arbeitende Anwaltskammer, wird auf einen solchen Eingriff drängen. Für die Bürokraten "Teilgruppe Justiz" weiten die niedrigen Gebühren den Stellenapparat aus. Um die Kostenunterdeckung auf den unbedingt erforderlichen Bereich der Obergerichte zu begrenzen, sollte man daher auf der Verfassungsebene den Grundsatz kostendeckeoder Gerichtsgebühren festschreiben. Wenn keine Kostenunterdeckung mehr bestünde, können alle kostenminimierenden Maßnahmen der Anwaltsregulierung entfallen. Dies betrifft aber nicht die Ebene der Obergerichte, denn dort ist eine Kostenunterdeckung notwendig. Ergänzende Vorschriften wie das Verbot der Simultanzulassung am LG und OLG und der praktizierte Numerus Clausus am BGH sind auf dieser Ebene plausibel. Trotz kostendeckender Gerichtsgebühren hat der Staat ein Interesse daran, daß die Rechtsfindung effizient erfolgt und nur wenige Prozesse entstehen, wenn er selbst Partei ist (in den speziellen Gerichtsbarkeiten und in der Strafgerichtsbarkeit) oder im Rahmen der Beratungs-, der Prozeßkostenhilfe und für die Pflichtverteidigungen Kostenersatz leisten muß. Empirisch gesehen ist diese Belastung, z.B. für das Land Berlin, nicht unbedeutend. Wenn man das Verteilungsziel über diesen Weg erreichen will und der Staat, insbesondere die Bürokratie, nur die unvermeidbaren Prozesse in den betroffenen Rechtsgebieten ansteuert, so sind diese Belastungen hinzunehmen; folglich ist aus diesem Grund auch eine kostenminimierende Regulierung der Anwälte nicht begründbar.
4.4 Anwaltsregulierung als Mittel zur Kostenminimierung - Ein Irrweg? Eine Reihe von Vorschriften des anwaltliehen Standesrechts deuten daraufhin, daß der Staat über dieses Instrumentarium die Zahl der Prozesse und die damit verbundenen Kosten minimieren möchte. Die Plausibilität dieses Ziels habe ich anhand der Motive privater und staatlicher Akteure untersucht. Verzerrende Einflußmöglichkeiten seitens der Anwälte sind durchaus gegeben, wenn die Mandanten die Anwälte nicht im hinreichenden Maße kontrollieren können; dieses Prinzipal-Agent-Problem wurde sehr ausführlich im dritten Kapitel behandelt und deshalb hier nicht angesprochen.
4.4 Anwaltsregulierung als Mittel zur Kostenminimierung - Ein Irrweg?
279
Bei den falschen Anreizen der Privaten ist eine getrennte Analyse nach den Rechtsgebieten erforderlich. Im Zivilrecht schlägt nur das Argument des strategischen Verhaltens durch, was im Extremfall zur Konstellation eines Gefangenendilemmas führen kann; die Bedeutung dieses Arguments ist aufgrund einer fehlenden empirischen Überprüfung noch schwer einschätzbar. Maßnahmen, wie die Beschränkung des Unterliegensprinzips auf die gesetzlichen Gebühren, vom konkreten Arbeitsaufwand unabhängige Rechtsanwaltsgebühren und eine die alle Anwälte umfassende intrinsische Motivation, wären hier sinnvoll; der letzte, theoretisch bedeutsamste Punkt dürfte schwer umsetzbar sein. Innerhalb des Verwaltungsrechts verändert sich der Referenzstandard, da im Gegensatz zum Zivilrecht nicht alle Prozesse unvermeidbar sind, sondern zwangsläufige Folge eigennützigen Verhaltens seitens der Bürokratie sind; eine auf Kostenund Prozeßminimierung gerichtete Regulierung der Anwälte würde daher die Interessen der Bürger mißachten. Auch im Verwaltungsrecht kann strategisches Verhalten ein Problem darstellen, da jedoch auf der Gegenseite kein Privater, sondern ein Behördenvertreter steht, der nicht so sehr am Erfolg des Prozesses interessiert sein dürfte, nimmt diese Gefahr ab. Die Vorkehrungen im anwaltliehen Standesrecht gegen strategisches Verhalten können im Verwaltungsrecht gering bleiben. "Falsche" Anreize der Privaten für die Strafgerichtsbarkeit sind nicht ersichtlich. Hinsichtlich den Interessen des Staates an einer kostensenkenden und prozeßverhindernden Anwaltsregulierung gibt es zwei Thesen: Der Staat muß nicht kostendeckende Gerichtsgebühren erlassen und ist in manchen Bereichen selbst Partei bzw. muß für die Kosten anderer aufkommen. Die zu beobachtende Kostenunterdeckung ist nur für die Obergerichte plausibel, die durch ihre Urteile Rechtsunsicherheit abbauen. Die weitaus höhere und sehr weitgehende Steuerfinanzierung der Gerichte kann man durch eigennützige Interessen der Politiker, der Bürokraten und der anwaltliehen Interessengruppe erklären. Auf der Verfassungsebene sollte man daher die Kostenunterdeckung grundsätzlich auf die Obergerichte beschränken. Zusätzlich kann man bei den Obergerichten ergänzende Vorschriften in der Anwaltsregulierung, wie das Verbot der Simultanzulassung am LG bzw. OLG und einen Numerus Clausus am BGH, erlassen. Die fiskalische Belastung des Staates, wenn er selbst Partei ist (Verwaltungs-, Strafgerichte etc.) und bei der verteilungspolitisch motivierten Übernahme der Prozeß- bzw. Beratungskosten Dritter bzw. bei den Auslagen für Pflichtverteidigungen, sind unvermeidlich; für die verteilungspolitisch motivierten Ausgaben könnte es jedoch einen effektiveren Weg geben (vgl. Kapitel 5). Eine Notwendigkeit für die Regulierung der Anwälte läßt sich aus dem Argument der fiskalischen Belastungen nicht ableiten.
280
4 Anwaltsregulierung als Instrument zur Kostenminimierung
Zusammenfassend gesehen bleiben aus der Vielzahl der Argumente filr eine kostenminimierende Regulierung nur die Gefahr strategischen Verhaltens und die Notwendigkeit der Subventionierung der Obergerichte übrig; die Regulierung müßte deshalb auf diese beiden Motive zurückgeschnitten werden, was einer wesentlichen Einengung gegenüber dem heutigen Zustand gleich käme; die Anwaltsregulierung als Mittel zur Kostenminimierung befindet sich folglich zwar nicht auf dem Irrweg, aber zumindest auf einer "zu breit ausgebauten Straße".
5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung 5.1 Das Problem Weisen die Mandanten Unterschiede im Hinblick auf ihr Einkommen und Vermögen auf, kann dies auch die Durchsetzung des Rechts beeinflußen. Je geringer die Zahlungsfaltigkeil eines Mandanten, um so weniger wird er zum einen in der Lage sein, die Kostenbelastungen durch Gericht und Anwälte vorzufinanzieren; seine Bereitschaft, sich außergerichtlich zu einigen und dabei auf ihm zustehende Rechtspositionen zu verzichten, nimmt daraufhin gegenüber anderen Parteien zu, die ein höheres Einkommen oder Vermögen aufweisen. Zum anderen wird ein risikoaversesVerhalten der Mandanten, das man in der Regel (mit Ausnahme von Handlungen, die nur einen kleinen Teil des Vermögens beeinflußen können) als vorherrschende Risikoeinstellung annehmen kann (vgl. z.B. Franke 1988, S. 89 oder von der Schulenburg 1992, S. 401), mit fallendem Einkommen und Vermögen bedeutsamer; gibt es Unterschiede hinsichtlich der Risikoeinstellung in Rechtsstreitigkeiten, werden sich die risikofreudigeren zu Lasten der risikoscheueren Mandanten durchsetzen: Die Risikoscheuen bewerten das sichere Ereignis des Vergleichs höher als das zu erwartende, unsichere Ergebnis im Prozeß, obwohl der Erwartungswert des unsicheren Ereignisses dem Endvermögen bei Sicherheit entspricht (vgl. auch Abschnitt 4.2.1.5). Insofern könnte eine risikofreudigere Partei allein schon durch die Androhung eines Prozesses das Einlenken der risikoscheuen Partei herbeifilhren. Nicht nur aus Verteilungsgründen wäre eine solche Verzerrung unerwünscht, denn ist die Rechtsordnung allokationseffizient ausgestaltet, d.h. die Property Rights sind wohlfahrtsoptimal gesetzt (vgl. hierzu beispielsweise Behrens 1986, S. 116-130), würden unterschiedliche Durchsetzungschancen zu einer anderen, nicht mehr effizienten Umsetzung der Rechtsordnung filhren; Unterschiede in der Verteilung bewirken also auch Wohlfahrtseinbußen (vgl. Adams 1981, S. 98-103). Bereits im Grundgesetz wird daher das Prinzip festgehalten, daß die Umsetzung des Rechts nicht ausschließlich vom vorhandenen Einkommen und Vermögen der Bürger abhängen soll; stattdessen besteht im gewissen Maße der Wunsch nach Chancengleichheit (vgl. zusammenfassend Ridder 1984, S. 697 f.): Aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I GG), dem Gleichheitsgrundsatz, insbesondere vor Gericht (Art. 3 I GG), dem Wunsch nach Aufrechterhaltung
282
5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
der Rechtswegegarantie (Art. 19 IV GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) wird die Notwendigkeit einer Unterstützung wirtschaftlich schwacher Mandanten abgeleitet. Dieses Ziel schlägt sich ebenfalls in der Anwaltsregulierung nieder (vgl. ausführlich Kapitel 2): - Für die Rechtsanwälte gibt es eine besondere soziale Verpflichtung durch die Gebührenordnung, die eine interne Subventionierung zwischen den Mandaten beabsichtigt. Die soziale Komponente spielt hierbei insofern eine wichtige Rolle, als man davon ausgeht, daß sozial Schwächere vor allem Fälle mit niedrigem Streitwert aufweisen. 1 - Die soziale Bindung des Anwaltes manifestiert sich auch in der Pflicht zur Übernahme von (nicht kostendeckenden) Mandaten im Rahmen der Prozeßkosten- und der Beratungshilfe. - Der Syndikus wird zwar als Rechtsanwalt zugelassen, darf aber für seinen Dienstherrn nicht vor Gericht auftreten. Man kann dies auch damit erklären, daß Unternehmen, die einen Syndikus beschäftigen und damit zu jeder Zeit auf einen Anwalt zurückgreifen können, keine Vorteile vor Gericht gegenüber anderen Mandanten erzielen sollen. Die Neutralisierung wirtschaftlicher Macht ist offensichtlich das Grundziel der hier vorgestellten Vorschriften, wobei vermutlich der Gebührenordnung die größte Bedeutung zukommt; von daher steht im folgenden dieser Teil der Anwaltsregulierung im Vordergrund (vgl. Abschnitt 5.2). Ob die Unterschiede in der Vermögensverteilung auf die Rechtsdurchsetzung durchschlagen, ist wieder von der Motivation der Anwälte abhängig. Fühlen sich die Anwälte ausschließlich dem Recht verpflichtet, d.h. ihr Arbeitsaufwand für einen speziellen Fall ist völlig unabhängig von der damit verbundenen Gewinnmöglichkeit, werden sie alle Mandate so bearbeiten, wie dies erforderlich ist. Eine Regulierung der Anwälte ist hier entbehrlich. Ein eigennütziger Anwalt dagegen wird sich bei gegebenen Kosten um so intensiver um ein Mandat bemühen, je höher die daraus erzielbare Einnahme ist. Um eine von der Zahlungsfahigkeit der Mandanten ausgehende Verzerrung zu unterbinden, sind eine Reihe von weiteren Lösungsmöglichkeiten denkbar, deren Funktionsweise, Vor- und Nachteile im folgenden ebenfalls beschrieben werden:
1
Vgl. hierzu bereits sehr kritisch Knümann (1975, S. 64-67).
5.2 Interne Subventionierung mit Hilfe der anwaltliehen Gebührenordnung
283
- Direkte Unterstützung durch den Staat (Abschnitt 5.3); - Kreditaufnahme am Kapitalmarkt (Abschnitt 5.4); - Mandate unter Erfolgshonoraren (Abschnitt 5.5) und - Abschluß einer Rechtsschutzversicherung (Abschnitt 5.6). Im Rahmen des Punktes 5.7 gehe ich zusammenfassend der Frage nach, welche Bedeutung eine Anwaltsregulierung mit dem Ziel des Ausgleichens von Einkommens- und Vermögensdifferenzen im Vergleich zu den genannten Alternativen hat.
5.2 Interne Subventionierung mit Hilfe der anwaltlieben Gebührenordnung Prinzipiell werden die Anwaltsgebühren in gleicher Weise berechnet wie die Gerichtsgebühren (vgl. hierzu Abschnitt 4.3.1.1): Sie nehmem mit steigendem Streitwert degressiv zu; da freilich in der Regel der Arbeitsaufwand der Anwälte nicht mit dem Streitwert ansteigen dürfte, gibt es auch bei den Anwälten der Tendenz nach eine interne Subventionierung zugunsten der niedrigen und zu Lasten der hohen Streitwerte. M.a.W.; die bei den Gerichtsgebühren zu beobachtende Struktur der Kostenunterdeckung trifft fiir die Anwälte ebenfalls zu. Anders als im Gerichtswesen sind jedoch die Anwaltsgebühren prinzipiell in ihrem Niveau so angelegt, daß es insgesamt zu einer Kostendeckung kommen soll. Die anwaltliehen Gebühren aus der Gebührenordnung dürfen von den Rechtsanwältenaufgrund (allgemein anerkannter) Grundsätze des Standesrechts nicht unterschritten werden; eine Überschreitung ist jedoch im beiderseitigen Einverständnis zwischen Anwalt und Mandant möglich (vgl. auch Abschnitt 2.2.2). Mit Hilfe dieser Art von anwaltlieber Gebührenordnung sollen sozial schwächere Persönen eher ihr Recht durchsetzen können, weil sie in der Regel nur Fälle mit niedrigem Streitwert aufweisen. Da die zu begünstigenden Personen indirekt über die modifizierte Gebührenordnung unterstützt werden, kann man hier von einer speziellen Art der Objektförderung sprechen.2 Wie wirkt sich die Gebührenordnung in der Realität unter der Voraussetzung aus, daß die Anwälte sich als eigennützige Akteure verhalten (vgl. zum folgenden zusammenfassend Kotzorek 1985a, S. 19-21 und S. 23-25)?
2
Vgl. zu weiteren Varianten der Objektfl)rderung Fritsch!Wein!Ewers (1993, S. 264-266).
284
5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
- Da mit der Gebührenordnung einerseits das Ziel verfolgt wird, Fälle mit niedrigem Streitwert nicht voll mit ihren tatsächlichen Kosten zu belasten, andererseits es den Anwälten möglich sein soll, mit der Gesamtheit der Gebühreneinnahmen ihre insgesamt anfallenden Kosten zu bestreiten, tragen die Angelegenheiten mit hohen Streitwerten die Last der Kostendeckung. Weil zumindest bei zivilrechtliehen Streitigkeiten (ohne Familienrecht) Angelegenheiten mit niedrigem Streitwert (vgl. auch Tabelle 2) häufiger auftreten als Fälle mit hohem Streitwert, müssen in der Praxis die Gebühren fiir die letzteren weitaus mehr erhöht werden. Ist z.B. fiir den Anwalt der Kostenaufwand bei jedem Fall gleich (z.B. 100,- DM), treten die Verfahren mit niedrigem und hohem Streitwert in einem Verhältnis von 4: 1 auf und erhält der Anwalt laut Gebührenordnung nur 75,- DM fiir ein Mandat niedrigen Streitwertes, so entsteht fiir den Anwalt aus der Summe der Fälle mit niedrigem Streitwert ein Subventionsbedarf in Höhe von 100,- DM; das Mandat mit dem höheren Streitwert muß diesen Bedarf durch eine überhöhte Gebühr von 200,- DM allein tragen. Die Modellrechnung zeigt deutlich, daß die Gebührenordnung das Kostenrisiko auf die hohen Streitwerte um so stärker verlagert, je mehr Fälle mit niedrigem Streitwert im Verhältnis zu den hohen auftreten. - Die interne Subventionierung in der Gebührenordnung wäre aus Sicht des verteilungspolitischen Ziels der Begünstigung sozial Schwacher dann folgerichtig, wenn jene Bevölkerungsgruppe ausschließlich Rechtsangelegenheiten mit niedrigem Streitwert aufweist. Im Verkehrs-, Bau-, Erb- und Familienrecht sind freilich regelmäßig auch Fälle mit höheren Streitwerten zu beobachten, zum Beispiel liegt der durchschnittliche Gebührenstreitwert fiir Scheidungsangelegenheiten in der ersten Instanz deutlich höher als fiir andere erstinstanzliehe zivilrechtliche Streitigkeiten (vgl. auch Tabelle 2). Für die genannten Rechtsgebiete, insbesondere fiir das Verkehrs- und Familienrecht, ist die Wahrscheinlichkeit, daß hiervon auch sozial Schwächere betroffen sind, nicht als vernachlässigenswert anzusehen. Insofern ist die "soziale Treffsicherheit" der Gebührenordnung eher begrenzt. - Die Gebührenordnung kann auch zu Verzerrungseffekten fiihren, denn im Falle der Mandate mit niedrigen Streitwerten und der damit verbundenen Kostenunterdeckung werden eigennützige Anwälte den Aufwand fiir diese Mandate verringern: Sie minimieren den Arbeitsaufwand und senken die Sorgfalt; im Extremfall sträuben sie sich gegen die Übernahme solcher Fälle. Verteilungspolitisch ist ein solches eigennütziges Verhalten bedenklich, da dadurch die zu begünstigende Zielgruppe in qualitativ schlechter Weise von den Anwälten vertreten wird. Die Anwälte streben dagegen nach einer Übernahme von Mandaten mit hohen Streitwerten, indem sie sich um Perso-
5.3 Direkte Unterstützung durch den Staat
285
nengruppen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit filr solche Fälle bemühen (z.B. frühzeitige "Kontaktaufnahme" mit Managern und Unternehmern) und bei den erfolgreich in dieser Klientel erworbenen Mandaten intensiv mit der Materie befassen, letzteres um lukrative Folgeaufträge zu akquirieren; dies kann verteilungspolitisch unerwünscht sein, wenn entweder die Gegenseite eine zu begünstigende Person darstellt oder der Anwalt sein Zeitbudget einseitig zu Lasten dieser Personen urnverteilt. - Die anwaltliehe Gebührenordnung kann die Art der Erledigung von Rechtsstreitigkeiten beeinflussen. Es hängt von der relativen Höhe der Vergleichsgebühr, der Prozeßgebühr in den verschiedenen Instanzen und dem Arbeitsaufwand des Anwalts ab, welche Art der Rechtserledigung der Anwalt anstrebt: Droht in einer Rechtsangelegenheit filr die nächste Stufe der Rechtsverfolgung ein ungünstiges Ertrags-/Kostenverhältnis, wird ein eigennütziger Anwalt den Mandanten unabhängig von den tatsächlichen Erfolgschancen dahingehend zu beeinflußen versuchen, daß dieser den Vergleich annimmt bzw. das Gerichtsurteil anerkennt. Gerade Fälle mit niedrigem Streitwert werden vermutlich aufgrund der niedrigen Gebühreneinnahmen und dem nicht zu unterschätzenden zusätzlichen Arbeitsaufwand vor Gericht vorzeitig abgebrochen. Der Anwalt ist zu einem solchen, den Mandanten schädigenden Verhalten nur in der Lage, wenn der Mandant dies nicht erkennen kann (vgl. hierzu Kapitel 3). Im Hinblick auf das Verteilungsziel wäre dann wieder festzustellen, daß die zu Begünstigenden trotz staatlicher Intervention erneut geringere Chancen zur Rechtsdurchsetzung als materiell besser gestellte Personenkreise aufweisen. Grundsätzlich entkoppelt also die anwaltliehe Gebührenordnung die Kosten der Rechtsdurchsetzung von den tatsächlichen Aufwandsverhältnissen, wodurch die Rechtsverfolgung filr "Bagatellsachen" im Sinne niedriger Streitwerte erleichtert und filr "schwere Fälle" mit hohem Streitwert erschwert wird; die "soziale Treffsicherheit" dieser Objektförderung ist sehr fraglich, die Rückwirkungen auf das anwaltliehe Verhalten und die Art der Erledigung von Streitfällen sind ebenfalls nicht zu vernachlässigen.
5.3 Direkte Unterstützung durch den Staat Neben der verzerrten Gebührenordnung als Instrument zur Unterstützung sozial Schwacher gewährt der Staat betroffenen Personen in Abhängigkeit vorn Einkommen direkt Unterstützung3, indem er Prozeßkosten- und Beratungshilfe leistet; aufgrund der direkten Hilfe an die Person handelt es sich hier um eine
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5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
Form der Subjektförderung. Im folgenden stelle ich kurz diese Förderinstrumente und deren Wirkungen vor. Erstes Instrument der betriebenen Subjektförderung ist die Unterstützung in Form der Prozeßkostenhilfe (vgl. zum folgenden zusammenfassend Ridder 1984, S. 699), die nach Prüfung der sachlichen und persönlichen Voraussetzungen des AntragssteHers gewährt wird. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragsstellers muß sachlich hinreichend Aussicht auf Erfolg versprechen und darf nicht mutwillig sein (§ 114 ZPO). Persönlich setzt die Vergabe von Prozeßkostenhilfe voraus, daß die beantragende Partei die Kosten der Prozeßfiihrung nicht oder nur teilweise tragen kann; d.h. die Partei muß die Einkommensvoraussetzungen der Sozialhilfeunterstützung in besonderen Lebenslagen erfiillen. Innerhalb dieser Grenzen erhalten die Berechtigten die Prozeßkostenhilfe als nicht zurückzuzahlenden Zuschuß. Werden die Einkommensgrenzen nicht zu sehr überschritten, kann man noch einen zinslosen, maximal innerhalb von vier Jahren zurückzuzahlenden Kredit erhalten. Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe muß beim zuständigen Gericht und zusätzlich fiir jeden Rechtszug gestellt werden. Vor der Entscheidung über die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe hat die Gegenpartei die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben, u.U. lädt gar das Gericht beide Parteien zu einer mündlichen Erörterung, um eine Einigung zu versuchen. Im Rahmen der Prozeßkostenhilfe erstattet der Staat dem Berechtigten die Gebühren des Gerichts und die des Anwalts. Für letzteren werden die Gebühren jedoch nur dann übernommen, wenn das bewilligende Gericht die Einschaltung des Rechtsanwalts empfohlen hat. Das Gericht sieht einen Anwalt als erforderlich an, wenn Anwaltszwang besteht, der Gegner einen Anwalt mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt hat oder die Hinzuziehung eines Anwalts erforderlich erscheint. Der Berechtigte hat die freie Wahl des Anwalts, wobei allerdings der Anwalt nur bei Rechtsangelegenheiten bis zu einem Streitwert von 5600,- DM die vollen gesetzlichen Gebühren erhält. Im Falle des Unterliegens bleibt jedoch der Prozeßkostenhilfeberechtigte in der Pflicht, die Kosten der gegnerischen Partei zu erstatten; nach Ansicht von Kotzorek (1985a, S. 5) wird dies aufrechterhalten, um die Belastung der öffentlichen Haushalte zu minimieren und um eine wirksame Schranke gegen ein mißbräuchliches Verhalten des Antragstellers aufzubauen. Die Prozeßkostenhilfe wird auch in arbeits- und sozialgerichtlichen
3 Blankenburg et al. (1982, S. 12-16) wollen ftlr die Definition der sozial Schwachen nicht nur an den fehlenden finanziellen Ressourcen anknüpfen, sondern weitergehend auf die Zugehörigkeit zu bestimmten Randgruppen der Gesellschaft (z.B. Arbeitslose, Sozialhilfeempfllnger, straffitllig Gewordene) abstellen, die zur Rechtsdurchsetzung mehr benötigten als Geld; jenen Personen fehle es insbesondere an der notwendigen Wahmehmungsfllhigkeit, Handlungsbereitschaft etc. zur Durchsetzung ihrer Rechte.
5.3 Direkte Unterstützung durch den Staat
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Verfahren gewährt. Empirische Untersuchungen von Kotzorek (l985a, S. 14) zeigen, daß beispielsweise in erstinstanzliehen Familiensachen mehr als vier Fünftel der Prozeßbeteiligten Prozeßkostenhilfe beziehen. An einem wichtigen Streitgegenstand der Familiengerichtsbarkeit, den Scheidungsverfahren, verdeutlicht Kotzorek (l985a, S. 14 f.), wie die Vergabe von Prozeßkostenhilfe die Rechtsverwirklichung beeinflußen kann; insbesondere steht im Vordergrund seiner Analyse, ob das Eingreifen des Staates nur dazu fUhrt, wirtschaftliche Nachteile einer Partei zu kompensieren. In Scheidungsverfahren ist es meist so, daß diejenige Partei, die Unterhaltsansprüche stellt, Prozeßkostenhilfe erhält. Im Unterliegensfall muß diese Partei ebenfalls nur eine geringe finanzielle Belastung aus der gerichtlichen Auseinandersetzung befiirchten, da vielfach in Scheidungsangelegenheiten die Gerichtskosten geteilt und jede Partei die außergerichtlichen Kosten selbst trägt. Der unterhaltspflichtige Ehegatte hat in der Regel nur einen Anspruch auf einen zinslosen Ratenkredit und muß deshalb über kurz oder lang seine Kosten selber tragen. In einer solchen, angeblichen recht häufig auftretenden Konstellation hat im Ergebnis der eine Ehegatte fast gar keine und der andere die Hälfte der rechtlichen Scheidungskosten zu tragen. Wenn man darüber hinaus noch beachtet, daß nach den Grundsätzen des Unterhaltsrechts im Falle der Scheidung die Einkommensverhältnisse gerade nicht allzu sehr auseinander fallen sollen, wird fraglich, ob die beschriebene asymmetrische Kostenbelastung zwischen den Kontrahenten verteilungspolitisch zu rechtfertigen ist. Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe erzeugt Aufwendungen der Gerichte, denn sie müssen die sachlichen und persönlichen Angaben des AntragssteHers prüfen; insbesondere die Prüfung der Erfolgsaussichten und der Einkommensverhältnisse belastet die Gerichte nicht unerheblich. Zur Arbeitsentlastung der Richter wird deshalb an einer weitgehenden Übertragung dieser Aufgaben an die Rechtspfleger gedacht (vgl. Kotzorek 1985a, S. 15). Ergänzend zu den genannten Auswirkungen des Prozeßkostenhilferechts sollte man auf die Gebührensenkung filr Anwälte hinweisen, wenn der Streitwert die kritische Marke von 5600,- DM überschreitetet. Zunächst verringert sich fiir die Anwälte durch diese Begrenzung weiter die Möglichkeit, den bei niedrigen Streitwerten entstehenden Subventionsbedarf durch Fälle mit hohen Streitwerten zu decken, so daß nun die gesamte Last der internen Subventionierung auf die Rechtsangelegenheiten mit hohem Streitwert und ohne Anspruch auf Prozeßkostenhilfe verlagert wird; filr die betroffenen Mandanten verstärkt sich ihr Gebührenrisiko nochmals (vgl. hierzu auch Abschnitt 5.2).4
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5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
Neben der Prozeßkostenhilfe gibt es aber auch ergänzend die Möglichkeit, für den außergerichtlichen Bereich als sozial Schwacher Beratungshilfe zu bekommen (vgl. zum folgenden zusammenfassend Ridder 1984, S. 700). Ob ein solcher Antrag bewilligt wird, hängt wieder von den persönlichen und sachlichen Voraussetzungen des AntragssteUers ab. Sachlich bedeutet hier nur, daß die fragliche Angelegenheit nicht mutwillig sein darf.5 Bei den persönlichen Voraussetzungen gelten prinzipiell die Ausführungen zur Prozeßkostenhilfe. Werden allerdings die Einkommensgrenzen der Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen überschritten, besteht kein Anspruch auf Beratungshilfe, die auf Raten zurückzuzahlen wäre; ebenfalls entfällt für einen Berechtigten mit Rechtsschutzversicherung die Möglichkeit der Beratungshilfe. Bezogen auf die einzelnen Rechtsgebiete gibt es Unterschiede: Im Zivil-, Verwaltungs-, und Verfassungsrecht existiert bundesweit eine Beratungsmöglichkeit, filr das Arbeits- und Sozialrecht nur in einigen Bundesländem;6 das Steuerrecht und ausländische Rechtsfragen sind überall von der Beratungshilfe ausgeschlossen. Es hängt vom "Schwierigkeitsgrad" der Rechtsangelegenheit ab, ob das für den Antrag auf Beratungshilfe zuständige Amtsgericht selbst oder ein Anwalt für die Auskunftserteilung zuständig ist. Einfache Fälle (Hinweise über die zuständige Stelle, Aufnahme eines Antrags oder einer Erklärung) erledigen die Amtsgerichte selbst.7 Ansonsten sind in den meisten Bundesländern die Anwälte zuständig, wobei die Beratungswilligen die freie Wahl des Anwaltes haben. Zielsetzung dieser Regelung ist es, daß dieser Personenkreis auf die gleichen
' Kotzorek (1986, S. 241) zweifelt ferner die Richtigkeit der bei der Prozeßkostenhilfe zugrundeliegenden Einkommensgrenzen an. Denn das Ausmaß an Risikoscheuheit, die wesentlich die Prozeßbereitschaft bestimmt, variiere nicht nur mit dem Einkommen, sondern sei auch eine Funktion der individuellen Risikopräferenzen. Wenn man nun den vermögenderen, aber u.U. trotzdem risikoscheuen Personen auch noch die Versicherungsmöglichkeit verweigert, wie dies z.B. ftlr das Familien- und das Erbrecht der Fall ist (vgl. hierzu Abschnitt 5.6.2), wird die Grenzziehung beim Einkommen besonders problematisch. Die "soziale Treffsicherheit" der Prozeßkostenhilfe stehe daher in Frage. Allerdings muß sich Kotzorek fragen lassen, nach welchen Kriterien man stattdessen die Prozeßkostenhilfe vergeben soll. Ich denke, daß hierauf keine befriedigende Antwort möglich ist, folglich vernachlässige ich im weiteren diesen Aspekt. 5 Der in der Prozeßkostenhilfe zusätzlich zu berücksichtigende Punkt, Aussicht auf Erfolg, kann und soll hier in die Prüfung nicht miteintließen, denn die Frage nach den Erfolgsaussichten ist wesentlicher Inhalt der vorzunehmenden Rechtsberatung.
6 Aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts plant der Gesetzgeber diese Einschränkung aufzuheben; vgl. Handelsblatt (1994, S. 4). 7 Der Mandant kann auch selbst den Anwalt seiner Wahl aufsuchen und diesen bieten, den Antrag auf Beratungshilfe in seinem Namen zu stellen; der Anwalt darf allerdings ein solche Vorgehensweise ablehnen (vgl. Ridder 1984, S. 705).
5.3 Direkte Unterstützung durch den Staat
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Rechtsberater wie alle anderen Bevölkerungsteile zurückgreifen kann. Im Falle der Beratung durch den Anwalt muß eine Eigenbeteiligung von 20,- DM entrichtet werden. Welche Wirkungen auf das Verhalten eigennütziger Anwälte von einer solchen Form der Beratungshilfe ausgehen, kann man nur unter hinreichender Berücksichtigung der Kosten und Erträge im Einzelfall prognostizieren. Die Erträge der Anwälte setzen sich aus der Eigenbeteiligung des Beratenen (20,DM) und der Erstattung aus der Staatskasse zusammen, letztere kann höchstens 100,- DM betragen. Kotzorek (l985a, S. 16) zitiert aus einer empirischen Untersuchung aus den Jahren 1981-1983, wonach nur in 7% der Fälle der Höchstbetrag gezahlt wurde, in der Hälfte der Fälle 50,- DM und in 40% der Fälle 30,- DM. Würden die Anwälte direkt vom Mandanten honoriert, kommt das anwaltliehe Gebührenrecht zum Zuge, bei dem sich die Höhe des Honorars aus dem Streitwert errechnet. Da es sich hierbei um eine Beratung handelt, schreibt die BRAGO vor, daß mindestens fünf Zehntel der beim jeweiligen Streitwert relevanten Gebühr fiillig wird. Bei einem Streitwert von 10 000,- DM z.B. wären nach Kotzorek 280,- DM an Gebühren fiillig. Man kann also sagen, daß der Anwalt mit zunehmenden Streitwert durch die Übernahme eines Mandats in der Beratungshilfe im Vergleich zur üblichen privaten Honorierung nach der BRAGO einen steigenden Einkommensverlust hinnehmen muß. 8 Folglich wäre von eigennützigen Anwälten zu erwarten, daß sie nach Mitteln und Wegen suchen, möglichst wenige solche Fälle zu akquirieren oder die Beratungsdauer zu verkürzen. Verteilungspolitisch bedeutet dies wieder eine Umkehrung des Bezweckten: Die Bedürftigen haben erstens Schwierigkeiten, die besten Anwälte zu beauftragen, denn jene können vermutlich immer argumentieren, sie seien überlastet. Zweitens werden sie schlechter beraten als besser bemittelte Klienten. Neben den Verzerrungseffekten sollte man auch die nicht unerheblichen Verwaltungskosten der Beratungshilfe berücksichtigen (vgl. Kotzorek 1985, S. 16): Die Anspruchsvoraussetzungen müssen geprüft werden und der Anwalt muß mit dem Amtsgericht abrechnen.
8 In Ergänzung zu Kotzorek sollte man an dieser Stelle vermehrt noch herausstellen, wann man von einem Einkommensverlust im Vergleich zur BRAGO sprechen kann. Ob ein tatsächlicher Einkommensverlust entsteht, hängt davon ab, ob dem Anwalt dadurch ein anderes Einkommen entgangen ist. Ferner wäre die Frage, ob der Anwalt auch in einem Anwaltsmarkt ohne BRAGO mit dieser Art der Beratung einen Verlust macht. Geht man vereinfachend davon aus, daß der Arbeitsaufwand fllr solche Fälle im Durchschnitt eine Stunde beträgt, so erscheinen selbst I 00,DM + 20,- DM pro Stunde fllr einen hochqualifizierten Akademiker mit nicht unerheblichen Gemeinkosten im Vergleich zu anderen Stundenhonorare, z.B. von Handwerkern, relativ wenig. Hinzu kommt noch, daß dieser Betrag, zumindest nach der genannten Untersuchung, nur in 7% der Fälle ausgezahlt wurde.
19 Wein
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5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
Der Verzerrungseffekt, die Verwaltungskosten, der Subventionsbedarf und die Eigenbeteilung stellen die gesamtwirtschaftlichen Kosten dar, die dem gesamtwirtschaftlichen Nutzen der besseren Rechtskenntnis, Rechtsdurchsetzung oder Rechtszufriedenheit des Berechtigten gegenüberzustellen sind. Im Vergleich zur Objektförderung "Gebührenordnung" ist fiir die Prozeßkosten- und Beratungshilfe vor allem die weitaus höhere "soziale Treffsicherheit" und die abnehmende Gefahr von Verzerrungen herauszustellen. Die beschriebenen Nachteile legen es trotzdem nahe, nach anderen, vielleicht einfacheren und effektiveren Methoden zu fragen, um das gleiche Ziel zu erreichen.9 Wenn man dort zum Ergebnis käme, daß diese Alternativen ebenfalls erhebliche Nachteile aufweisen, sollte man überlegen, ob die Subjektförderung nicht besser als heutzutage umgesetzt werden könnte.
5.4 Kreditaufnahme am Kapitalmarkt Eine weitere Möglichkeit, Einkommens- und Vermögensunterschiede zu kompensieren, besteht in der Kreditaufnahme am Kapitalmarkt: Der Anspruchsberechtigte muß das Ende des Prozesses bzw. des Rechtsstreites abwarten, um entsprechende Zahlungen vom Gegner zu erhalten. Fehlt es ihm an Einkommen und Vermögen, um den Prozeß vorzufinanzieren, wäre es naheliegend, daß er zunächst die Kosten des Prozesses durch Kreditaufnahme am Kapitalmarkt deckt (vgl. hierzu eingehend Adams 1981, S. 63 f. und auch Posner 1977, S. 448). Nach Ansicht von Adams wird diese Möglichkeit nicht zustande kommen, denn die Beurteilung der Kreditwürdigkeit erfordere so hohe Kosten, daß die Zinsen auf ein sehr hohes Niveau ansteigen müßten. Bei diesen hohen Zinsen wären vermutlich nur sehr risikoreiche Kreditnehmer bereit, auf diese Bedingungen einzugehen. Die hohen Beurteilungskosten führen also zur adversen Auslese. 10 Nicht nur die hohen Beurteilungskosten, sondern auch das Wesen eines Zivilprozesses verhindert nach Adams eine Kreditierung: Im Falle eines Zivilprozesses handelt es sich um einen reinen Verteilungskampf zwischen den Parteien, ohne daß es zu Produktivitäts- und damit zu Einkommenszuwächsen kommt; folglich erzeugt das Führen eines Prozesses keine zusätzlichen Werte, 9 Hierzu vergleiche die weiteren Abschnitte dieses Kapitels (Rechtschutzversicherung, Erfolgshonorare, Beleihen am Kapitalmarkt). 10 Die Informationsprobleme können auch dazu ftlhren, daß es zum Phänomen der Kreditmarktrationierung kommt (vgl. Stiglitz/Weiss 1981): Die Kreditgeber sind aufgrundder zunehmenden Wahrscheinlichkeit, schlechte Risiken zu attrahieren, nicht bereit, den Zinssatz auf ein beliebiges Niveau zu heben. Eine darüber hinausgehende Kreditnachfrage wird nicht befriedigt.
5.5 Vereinbarung von Erfolgshonoraren
291
die sich ein Kreditgeber bei Rückzahlungsverzug in Rahmen der Zwangsvollstreckung aneignen könne. Beide Argumente von Adams zeigen, daß die Kompensation von Einkommens- und Vermögensunterschieden durch eine Kapitalmarktfinanzierung kaum zu erwarten ist. 11
5.5 Vereinbarung von Erfolgshonoraren Im Falle eines Erfolgshonorare macht sich der Anwalt ganz oder teilweise vom Erfolg des Verfahrens abhängig: Im Mißerfolgsfall bekommt er kein oder nur ein geringes Honorar, im Erfolgsfall dagegen einen Teil der erstrittenen Summe. Im folgenden werden nach kurzen Ausführungen zur Bedeutung dieser Honorierungsart die Vor- und Nachteile beschrieben; eine abschließende Bewertung erfolgt dann am Ende dieses Abschnitts. In den USA, in denen im Gegensatz zu Deutschland die Erfolgshonorare erlaubt sind (vgl. hierzu Abschnitt 2.2.2), greifen 90% der Anwälte auch auf diese Honorarform zurück (vgl. zusammenfassend Kotzorek 1985a, S. 34 f. ). In aller Regel wird bei Schadensersatzklagen im Falle einer Körperverletzung ein Erfolgshonorar vereinbart (so auch Miceli/Segerson 1991, S. 381 und Thomason 1991, S. 187). Man vermutet, daß die erheblich stärkere Verbreitung der Rechtsschutzversicherung in Europa im Vergleich zu den USA durch das in vielen europäischen Ländern geltende Verbot der Erfolgshonorare erklärt wird (ebenfalls Hempfing 1987, S. 1). Im Vergleich zum Honorar nach der Anzahl der geleisteten Stunden werden folgende Vorteile des Erfolgshonorars herausgestellt (vgl. zusammenfassend Miceli/Segerson 1991, S. 381): - Parteien mit nicht ausreichendem Vermögen und Einkommen können sich die anwaltliehe Dienstleistung gegen den erwarteten Ertrag leihen; insofern hat das Erfolgshonorar Ähnlichkeiten zur Kreditaufnahme am Kapitalmarkt, wobei hier der Anwalt die Funktion des "Darlehnsgebers" übernimmt. - Risikoaverse Parteien haben bei einem Erfolgshonorar die Möglichkeit, das Mißerfolgsrisiko auf den beauftragten Anwalt zu übertragen, der aufgrund der Möglichkeit, das einzelne Risiko über die Gesamtzahl seiner Mandate zu verteilen, eher als der einzelne Mandant zur Risikoübernahme in der Lage 11 Posner (1977, S. 448) vermutet zwar, daß in diesem Fall die Kreditinstitute durch staatliche Eingriffe dazu gezwungen werden, sich risikoavers zu verhalten; eine Begründung hierftlr gibt er aber nicht.
19•
292
5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
ist. Posner (1977, S. 448) präzisiert dies, indem er davon ausgeht, daß ein auf Erfolgshonorare spezialisierter Anwalt, mehrere Ansprüche zusammenfassen und damit die Varianz seiner Rückflüsse vermindern kann. M.a.W.; die Institution "Erfolgshonorar" erlaubt es, "stochastische Größenvorteile" zu realisieren (vgl. hierzu Fritsch/Wein/Ewers 1993, S. 125). - Erfolgshonorare erzeugen rur den Anwalt einen Anreiz, tatsächlich im Interesse des Mandanten zu arbeiten. Nach der Vereinbarung eines Erfolgshonorars entflillt daher auch die Notwendigkeit, die vom Anwalt rur den jeweiligen Fall verwendete Zeit zu überprüfen. Man verbindet also mit Erfolgshonoraren die Erwartung, das "hidden-action"-Problem zu Lasten der Mandanten zu lösen (vgl. hierzu ausruhrlieh Abschnitt 3.3.5.2). - Ferner kann der juristisch gut ausgebildete Anwalt Risiken besser als ein Bankier oder jede andere Person abschätzen (vgl. Posner 1977, S. 448). - Die Anwälte sind über ihre Fähigkeiten besser informiert als die potentiellen Mandanten. Unter der Vereinbarung eines Stundenhonorars oder einer anderen Art nicht erfolgsabhängiger Entlohnung hat der Anwalt einen Anreiz, seine Fähigkeiten zu übertreiben. Mit Hilfe der Bereitschaft, ein Erfolgshonorar zu akzeptieren, signalisieren qualitativ hochwertige Anwälte ihre Qualität ( vgl. Rubinfeld/Scotchmer 1992, S.l und S. 12-16 und insbesondere Kapitel 3.3.5.2). 12 Das System der Erfolgshonorare soll aber nicht nur Vor- sondern auch Nachteile aufweisen (vgl. zusammenfassend Miceli/Segerson 1991, S. 381 f.): - Die zunehmende Verbreitung der Erfolgshonorare erzeugt zu viele Prozesse (vgl. hierzu ausruhrlieh unten). - Erfolgshonorare verzerren die Anreize des Anwalts dahingehend, daß die Anwälte Vergleiche akzeptieren, wenn ein Prozeß rur die Mandanten besser wäre, und umgekehrt. In diesem Falle wird also das Problem "hidden
12 Es ist theoretisch denkbar, daß ex ante der Mandant über den Sachverhalt und dessen Erfolgsaussichten besser informiert ist als der Anwalt. Übernähme in dieser Situation der Anwalt den Fall gegen eine Erfolgsprämie anstatt einer festen Gebühr, hätte ein Mandant mit einer geringen Erfolgswahrscheinlichkeit einen Anreiz, seine Prozeßaussichten zu übertreiben (vgl. Rubinfeld/Scotchmer 1992, S. I). Diesen Fall habe ich bereits im Abschnitt 3.2 ausgeschlossen, denn der Anwalt mit seinen spezifischen Rechtskenntnissen wird zumindest nach Aufbringung gewisser Informationskosten in der Lage sein, die Erfolgsaussichten mit hinreichender Genauigkeit einzuschätzen.
5.5 Vereinbarung von Erfolgshonoraren
293
action" zu Lasten der Mandanten diskutiert (vgl. hierzu ausruhrlieh Abschnitt 3.3.5.2). - Durch die Übernahme von Mandanten in Form von Erfolgshonoraren ergibt sich eine Tendenz zu überhöhten Gebühren. Posner (1977, S. 448 f.) verweist freilich zu Recht darauf, daß diese Argumentation das Wesen des Erfolgshonorars verkennt: Ein Erfolgshonorar muß höher ausfallen als die übliche Gebühr (z.B. ein Stundenhonorar), denn das Erfolgshonorar entschädigt den Anwalt nicht nur fiir das Erbringen, sondern auch für das Entleihen seiner Dienstleistung. Für letzteres muß der Zinssatz hoch sein, denn der Anwalt trägt das Ausfallrisiko in Form des Scheiteros vor Gericht oder der Nichtdurchsetzung des Anspruchs im außergerichtlichen Verfahren. Folglich bleibt als einziger hier zu behandelnder Nachteil, die Frage des Zusammenhangs zwischen Erfolgshonoraren und zu vielen Prozessen. Obwohl diese These weit verbreitet ist, gibt es wenig theoretische und empirische Unterstützung fiir sie (vgl. hierzu ausführlich Miclei/Segerson 1991). Die beiden verweisen als Ausnahme auf Danzon, die anband eines theoretischen Modells die Bedingungen fiir diese These aufzeigt; allerdings bezieht sich ihr Modell nur auf die Rückwirkungen verschiedener Gebührenarrangements auf den Aufwand der Anwälte. Sie ignoriert dagegen die Wirkung der Gebührenregelung auf die Anreize des Schädigers, sich sorgfaltig zu verhalten und damit Prozesse zu vermeiden: Sobald unterschiedliche Gebührenarrangements die Anreize zum Klagen beeinflussen, kann sich auch die Klagewahrscheinlichkeit im Falle eines Unfalls verändern; bemerken potentielle Verletzer diesen Zusammenhang, erzeugt eine größere Neigung vor Gericht zu gehen, größere Vorsicht und damit u.U. eine geringere Anzahl an Prozessen. Unabhängig von dieser Rückwirkung gibt es auf jeden Fall zwei Argumente fiir zusätzliche Prozesse, die bereits bei den Vorteilen des Erfolgshonoras genannt wurden. Durch die Akzeptanz von vielen Mandanten auf Erfolgshonorarbasis ist es zum einen dem Anwalt möglich, einen Risikoausgleich herbeizufiihren; folglich wird das risikoaverseVerhalten der Mandanten abgeschwächt, so daß zwangsläufig die Prozeßbereitschaft und damit auch die Zahl der Prozesse zunimmt (vgl. auch Abschnitt 4.2.1.4). Zum anderen, unzureichende finanzielle Ressourcen der Mandanten schlagen bei der Möglichkeit, Erfolgshonorare zu vereinbaren, weniger durch; folglich steigt die Prozeßbreitschaft, c.p. wird sich somit die Zahl der Prozesse erhöhen. Die beklagte Zunahme der Prozesse ist somit nur ein Reflex auf die verbesserten Durchsetzungschancen durch Erfolgshonorare. Wenn die Zahl der schadensverursachenden Ereignisse nicht konstant ist und stattdessen eine größere Prozeßbereitschaft die ausgeübte
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5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
Sorgfalt erhöht, geht sogar die Menge der SchadensverursachendenHandlungen und damit u. U. auch die Zahl der Prozesse zurtick 13 Zusanunenfassend kann man also sagen, daß durch die Vereinbarung von Erfolgshonoraren das verteilungspolitisch Ziel, der Begünstigung sozial Schwacher, ebenfalls erreicht werden kann. Der vielfach genannte Nachteil, daß Erfolgshonorare mehr Prozesse erzeugen, ist auf jeden Fall kurzsichtig, denn die zunehmende Prozeßneigung ist eine logische und erwünschte Konsequenz besserer Durchsetzungsmöglichkeiten im rechtlichen Bereich. Allerdings wurde in diesem Abschnitt das Problem einer zunehmenden Gefahrvon "hidden action" aufgrundungleicher Information zu Lasten der Mandanten ausgeklammert (vgl. Kapitel 3, insbesondere Punkt 3.3.5.2).
5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung Ein weiteres Mittel zur Begrenzung von Risikoaversion und zum Ausgleich von Einkommens- und Vermögensunterschieden im Zusanunenhang mit der Durchsetzung von Rechten könnte der Abschluß einer Rechtsschutzversicherung darstellen: Risikoaverse oder gering vermögende potentielle Mandanten schließen vorab einen Versicherungsvertrag, der sie von den fmanziellen Risiken eines Prozesses freistellt; dafür müssen sie Prämien an das Versicherungsunternehmen entrichten. Abschnitt 5.6.1 beschreibt dieses theoretische Kalkül im Detail. In Deutschland existiert die Möglichkeit der Rechtsschutzversicherung, wobei aber nicht alle Rechtsgebiete und nicht der gesamte Rechtsberatungsbedarf versichert werden kann; diese Einschränkungen sind zum Teil auf die Existenz von einheitlichen Versicherungsbedingungen zurückzuführen, die das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen den Versicherem vor-
13 Gravelle/Waterson (1993) geben einen Überblick über die Anreizwirkungen verschiedener Honorarvereinbarungen hinsichtlich der Bereitschaft, ein Vergleichsangebot zu akzeptieren, der Größe des Vergleichsbereichs, der Zahl der Schädigungen, dem Ausmaß an Prozessen und der sich ergebenden Wohlfahrtseffekte. Der Neuigkeitsgrad dieser Veröffentlichung liegt in der vergleichenden Betrachtung altbekannter Formen des Etfolgshonorars mit der in England und Wales neugeschaffenen Möglichkeit der Etfolgshonorierung im Zivilrecht (außer in Familiensachen): Im Falle des Unterliegens erhält nach dieser neuen Regel der Anwalt kein Honorar, im Etfolgsfall eine feste Gebühr zuzüglich eines Etfolgszuschlages. Ferner behandeln die Autoren den Zusammenhang zwischen Etfolgshonorar und verschiedenen Kostenzurechnungsregelungen bzw. fassen einige weitere in diesem Zusammenhang entscheidenden Variable als endogene Größen auf. Für meine Fragestellung, der Rolle des Etfolgshonorars als Lösungsmöglichkeit ftlr das Verteilungsproblem, reicht es aus, wie bereits oben geschehen, die Grundzüge der Vor- und Nachteile der Erfolgshonorierung darzustellen.
5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung
295
schreibt (vgl. Punkt 5.6.2). Sowohl aus der Theorie als auch auch aus der bundesdeutschen Praxis kann man zwei Problemkreise der Rechtsschutzversicherung ableiten: Nicht alle Teilgebiete in dieser Versicherungssparte sind versicherbar, und der wachsende Anteil an rechtsschutzversicherten Bürgern soll zu einer Überinanspruchnahme der Gerichte bzw. zu einer zu geringen Vergleichsbereitschaftder Parteien fiihren (vgl. Punkt 5.6.3). Im Rahmen des Abschnittes 5.6.4 wird abschließend versucht, die Geeignetheit der Rechtsschutzversicherung zum Ausgleich von risiko-und einkommensbedingten Verzerrungen im Rechtswesen abzuschätzen.
5. 6.1 Funktionsweise einer Rechtsschutzversicherung Die Frage der Funktionsweise einer Rechtsschutzversicherung kann man aus der Sicht beider Marktseiten beantworten: Die Versicherer wägen ab, ob sie Versicherungsschutz fiir ein bestimmtes Risiko gewähren sollen oder nicht, und die potentiell zu Versichernden entscheiden nach bestimmten Kriterien, ob sie eine Versicherung nachfragen. Zunächst soll letztere Überlegung anband eines einfachen Modells verdeutlicht werden (vgl. zum folgenden allgemein von der Schulenburg 1992, S. 400-402). Folgende Annahmen liegen dem Modell zur Versicherungsnachfrage zugrunde: Der möglicherweise von einem Rechtsproblem bedrohte Mandant soll ein Anfangsvermögen W aufweisen, das durch das Risiko, sein Recht durchzusetzen und dafiir KostenKaufwenden zu müssen, bedroht ist. Die Wahrscheinlichkeit fUr das Eintreten eines solchen Ereignisses soll p und die des Nichteintretens 1-p betragen (nur zwei Ereignisse sind möglich, so daß p+{l-p)=I); in diesem Modell existiert ein Rechtsschutzversicherer, der im Falle eines Rechtsstreites einen Teil (a) der Kosten durch Zahlung der Versicherungsleistung I=aK übernimmt. Als Gegenleistung muß der Versicherte eine Prämie in Höhe von P=ql leisten, wobei q dem Preis fiir eine DM Versicherungsleistung entspricht. Zunächst gehe ich davon aus, daß ein Versicherungsangebot vorliegt und der Versicherer, aufgrund der Möglichkeit, viele Kontrakte abzuschließen, vom Gesetz der großen Zahl ausgehen kann. Folglich kann er mit dem Erwartungswert der Schadenszahlung als Kosten kalkulieren:
{I)
E[I]
= pl = paK.
Der Versicherer erzielt als Einnahmen P = qi. Wenn p = q ist, wird der Versicherer nicht anbieten, denn er hat nicht nur die Kosten fiir die Versicherungs-
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5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
Ieistungen in Form des Erwartungsschadens, sondern auch Ausgaben fi.ir Akquisition und Verwaltung der Verträge, fi.ir das vorzuhaltende Sicherheitskapital, fi.ir den Rückversicherungsschutz bzw. fi.ir die Verzinsung des Eigen- sowie Fremdkapitals (inkl. des Gewinnzuschlages). Insofern wird der Versicherer auf den Erwartungsschaden einen Zuschlag v (v > 0) nehmen. Als Angebotspreis des Rechtsschutzversicherers ergibt sich daher: (2)
P
= (1 +v)E(J).
Wann wird ein Individuum eine Rechtsschutzversicherung nachfragen? Anhand einer Ereignismatrix, die das Vermögen am Ende der Periode (wij) in Abhängigkeit von der Versicherung (Zustand j=n keine Versicherung; j=v Versicherung) und des Eintretens eines Prozesses (Zustand i= I kein Prozeß; i=2 Prozeß) angibt, kann man diese Frage beantworten (vgl. Tabelle 4). Tabelle 4: Ereignismatrix mitlohne Rechtsschutzversicherung und Prozeß
Kein Prozeß w;=l Prozeß w;=2
ohne Rechtsschutzversicherung wj=n
mit Rechtsschutzversicherung wj=v
w ••=w
w 1v=W-P
w2.=W-K
w2v=W-P-K+I
Für den potentiellen Mandanten ergibt sich folgender Erwartungswert fi.ir das Endvermögen ohne Rechtsschutzversicherung: (3) Aus der Tabelle 4 die Vermögensentwerte entnommen und in die Formel eingesetzt, ergibt: (4) Geht man stattdessen davon aus, daß sich der Mandant versichert, liegt folgender Erwartungswert vor:
5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung
(5)
297
E [w.]= pw2• + (1-p)w 1v
Diesen Zusammenhang kann man umformen, indem man aus der Tabelle 4 die entsprechenden Werte herausnimmt und einsetzt: (6)
E [w.]= W - pK + pl - P.
Unter Berücksichtigung der Gleichungen (1) und (2) ergibt sich: (7)
E [w.]= W - pK - vpa.K.
Ein risikoneutraler potentieller Mandant wird sich nur dann versichern, wenn der Erwartungswert aus der Versicherung E[wvJ größer ist als der Erwartungswert der Nichtversicherung E[w.]; bei gleichen Erwartungswerten ist der Mandant indifferent. Durch Vergleich der Gleichungen (4) und (7) zeigt sich, daß von ihm nur, wenn v negativ ist, eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen wird. Da freilich in aller Regel ein solcher Wert für v nicht zu erwarten ist, z.B. nur wenn sich die Versicherer verkalkuliert haben, kann man unter der Annahme risikoneutralen Verhaltens keine Nachfrage nach Rechtsschutzversicherungen ableiten. In der Realität ist allerdings eine solche Nachfrage zu beobachten, was dadurch erklärt werden kann, daß sich die Individuen nicht am Erwartungswert, sondern am Erwartungsnutzen orientieren. Die Analyse mit Hilfe des Erwartungsnutzens ermöglicht es, die Risikoeinstellung der Akteure zu berücksichtigen: Die Erwartungsnutzenfunktion E [u(w)] stellt eine Verbindung zwischem dem Nutzen eines Individuums und dem Vermögen her. Der Erwartungsnutzen im Falle einer Nicht-Versicherung beträgt allgemein: (8) Fällt der Nutzen mit steigendem Vermögen, liegt Risikoaversion vor; insbesondere wenn es um größere Beträge geht, kann man davon ausgehen, daß die meisten Akteure sich risikoavers verhalten. Ausgedrückt im Rahmen der Erwartungsnutzentheorie ordnen risikoaverse Individuen dem unsicheren Ereignis nicht den Nutzen entsprechend dem Erwartungswert, sondern einen geringeren (Erwartungs-)Nutzen zu (E[u(w.)] < E[w.]). Folglich ist ein risikoaverser Akteur u.U. bereit, ftlr die Vermeidung des unsicheren Ereignisses eine Prämie an ein Versicherungsunternehmen als Gegenleistung für die Risikoübernahme zu zahlen; insofern muß nicht mehr beim Erwartungswert für die Versicherung E
5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
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[wJ v gleich Null oder gar negativ sein, damit eine Versicherungsnachfrage zustande kommt. Diese eher intuitive Erklärung kann man noch präzisieren, wenn man sich darüber hinaus fragt, in welchem Ausmaß a sich ein Akteur versichern wird. Analytisch bedeutet dies, daß folgende Gleichung zu lösen ist:
(9)
max E[u(w)J = max pu(w2.) a
a
+
(1-p)u(w1.) .
Aus der Tabelle 4 und den Gleichungen (1) und (2) ergeben sich folgende Beziehungen: (10)
(11)
w 1• = W -P =W -(1 +v)paX.
w2•
= W- P-K+I =W-(1 +v)paK-(1-a)K.
Setzt man die Formeln (10) und (11) in Gleichung (9) ein, bildet die erste Ableitung und setzt diese gleich Null, ergibt sich folgende Bedingung für das Optimum: (12)
1 -p -vp 1 -p-vp +v
Aus dem Optimum lassen sich zwei zentrale Aussagen über die Versicherungsnachfrage ableiten: - Kalkuliert die Rechtsschutzversicherung mit dem Erwartungswert (v=O), so werden die Individuen einen Vollversicherungsschutz nachfragen. Ist nämlich v=O, kann Gleichung (12) nur erfüllt sein, wenn u'(w2v)=u'(w 1J; diese Bedingung ist nur bei w2v=wtv erfüllt. - Erhebt die Rechtsschutzversicherung einen Zuschlag auf den Erwartungswert (v > 0), wird der Versicherte keine Versicherung mit Volldeckung nachfragen (a < 1; Versicherung mit Selbstbehalt oder Bruchteilsversicherung). Wenn nämlich v > 0 gilt, ist im Optimum u' (w 1.) < u'(w2J. Der Grenznutzen u' filllt bei risikoaversem Verhalten mit dem Endvermögen w, so daß die Ungleichung gerade dann erfüllt ist, wenn das Endvermögen im Nichtprozeßfall mit Versicherung (w 1J größer ist als im Falle des Prozesses mit Versicherung {w2J. Dies ist nur bei a < 1 gegeben.
5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung
299
Zusammenfassend kann man für die Rechtsschutzversicherung folgende Schlüsse ziehen. Erstens, kalkulieren die Versicherer mit einer höheren Prämie als dem Erwartungswert, setzt Versicherungsnachfrage Risikoaversion voraus. Risikoaverse Versicherungsnehmer versichern sich zweitens im vollen Umfang, falls die Versicherer den Erwartungswert für ihre Prämie zugrunde legen; liegt die Prämie höher als der Erwartungswert, werden die risikoaversen Versicherungsnehmer nur einen Vertrag mit Selbstbehalt eingehen. Da in der Regel vom Erwartungswert aufgrund der Vertriebs-, Verwaltungs-, Kapital- und Rückversicherungskosten der Versicherung nach oben abgewichen wird, deckt die Institution der Rechtsschutzversicherung das Problem der verteilungsbedingten Verzerrungen nicht vollständig ab. Neben dem Aspekt der Versicherungsnachfrage ist, wie oben bereits angedeutet, für die Funktionsweise eines Rechtsschutzversicherungsmarktes relevant, ob überhaupt ein Versicherungsangebot zustande kommt. M.a.W.; wann ist ein Anbieter bereit, die Risiken des Prozesses und der außergerichtlichen Auseinandersetzung zu decken? Ein fehlendes Angebot wäre dann zu erwarten, wenn (vgl. zusammenfassend Fritsch/Wein!Ewers 1993, S. 188-193 und S. 209-211): - der Schaden nicht monetär bewertbar ist. Gerade im Bereich der Rechtsdurchsetzung entstehen den Klägern oder den Beklagten u.U. Schäden immaterieller Art wie schwindendes Vertrauen in das Rechtssystem oder der Ärger über den Prozeß. Solche Schäden sind nicht monetär ausdrückbar, so daß sie auch von der Versicherung nicht ersetzt werden können. Für den Teilbereich der immateriellen Schäden ist daher ein fehlendes Angebot zu erwarten; 14 - der Versicherer Schadenshöhe und Schadenswahrscheinlichkeit nicht hinreichend genau ermitteln kann. Aufgabe eines (Rechtsschutz-)Versicherungsunternehmens ist es, eine Vielzahl von Versicherten zusammenzufassen, so daß die Voraussetzungen zur Anwendung des Gesetzes der großen Zahl (voneinander unabhängige Risiken, ausreichende Zahl der Versicherten) gegeben sind. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann das Unternehmen zutreffend den Erwartungswert und die Varianz schätzen, so daß aus einer Vielzahl von unsicheren Risiken ein quasi sicheres Ereignis wird. Der Umkehrschluß allerdings, daß bei Nichtanwendbarkeit des Gesetzes der großen Zahl der Fall der Nichtversicherbarkeit eintrete, ist aus der Praxis heraus
14 Vgl. hierzu auch die ökonomische Rechtfertigung ftlr den im Zivilrecht geltenden Grundsatz, daß Nicht-Vermögensschäden unersetzt bleiben; siehe Adams (1989).
300
5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
nicht zu halten: Es gibt eine Reihe von Risiken, die versichert werden (z.B. Gesundheit von Schauspielern), ohne daß man das Gesetz der großen Zahl anwenden kann. Letztendlich kommt es nur darauf an, daß es einen (mehrere) Risikoträger gibt, der (die) das Risiko übernimmt (übernehmen). Insofern geht die Versicherbarkeit weiter, als man es aus dem Gesetz der großen Zahl ablesen könnte (vgl. auch Lucius 1979, S. 200-228 und Borch/Aase/Sandmo 1990, S. 315-317). Trotzdem mag es auch im Bereich der Rechtsschutzversicherungen Risiken geben, die von den Versicherern nicht abgedeckt werden; - das Problem ungleicher Information zu Lasten der Versicherer nicht lösbar ist. Für den Rechtsschutzversicherer stellt sich zum einen folgendes Problem: Kann er ex ante mit Sicherheit schlechte Risiken wie z.B. "Prozeßhansel" erkennen (vgl. auch Punkt 4.2.1.4), die selbst wissen, daß sie ein schlechtes Risiko darstellen? In aller Regel wird der Rechtsschutzversicherer unter Aufwendung von Informationskosten (z.B. mit Hilfe eines Fragebogens zu bisherigen Rechtsproblemen und besonderen Risiken) dazu in der Lage sein, dieses Problem zu lösen; ich vernachlässige es daher im folgenden. Zum anderen liegt ein gewichtiges Ex-post-Problem vor: Inwieweit ist es dem Versicherer möglich, die mutwilligen und kaum zum Erfolg ruhrenden Anträge der Versicherten auf Deckung zu erkennen und somit moralische Risiken auszuschließen? Je geringer die Fähigkeiten der Versicherer in dieser Richtung ausgeprägt sind, um so höher die Schadensumme und um so höhere Tarife setzt der Versicherer an. Bei hohen Tarifen haben die guten Risiken einen Anreiz, sich nicht zu versichern. Infolgedessen verschlechtert sich der Bestand des Versicherers, der daraufhin die Prämie erhöhen muß. Wieder verlassen relativ gute Risiken den Bestand, usw., usf. Am Ende bleiben nur die schlechten Risiken mit sehr hohen Prämien übrig. Für alle anderen fehlt es an einem angemessenen Versicherungsschutz (vgl. hierzu ausruhrlieh Abschnitt 3.2.1). Ob eine solche Entwicklung im Markt rur Rechtsschutzversicherungen eintreten wird, ist davon abhängig, inwieweit die Versicherer tatsächlich so schlecht informiert sind und ob sie die Versicherten nicht dazu anregen können, moralische Risiken zu begrenzen. Auf die Frage nach dem fehlenden Angebot einer Rechtsschutzversicherung werde ich in Abschnitt 5.6.3 zurückkommen.
5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung
301
5.6.2 Institutionelle Besonderheiten der Rechtsschutzversicherung in Deutschland Ende des vergangeneo Jahrhunderts gab es vereinzelte Bestrebungen, eine Form des privaten Rechtsschutzes zugunsten sozial Schwacher zu verankern. An einzelnen Orten in Deutschland bauten die Wohlfahrtsverbände der Kirchen, die Gewerkschaften und die Gemeinden Rechtsauskunftsstellen fiir bedürftige Personen auf, die zum Teil auch fiir ihr Klienten Schriftsätze entwarfen oder gar fiir sie vor Gericht und vor anderen Institutionen auftraten. Daneben entwickelte sich aus dem Zusammenschluß von Interessengruppen Verbände, deren Zweck auch darin bestand, Rechtsberatung zu erteilen; zum Beispiel wurde der "Deutsche Feuer-Versicherungs-Schutzverband" von industriellen Verbänden, den Handelskammern und einzelnen Unternehmen gegründet (vgl. Ridder 1984, S. 702 f.). Der Übergang zu Rechtsschutzversicherungen im engeren Sinne, bei der die Versicherten Rechtsansprüche erhalten, begann erst Anfang dieses Jahrhunderts. Die Geschworenen- und Tagegeldversicherungen, die Verdienstausfälle bei Teilnahme an Schwurgerichtssitzungen ersetzten, sowie die Gruppenversicherung einer Berufsgenossenschaft mit dem Zweck, die Kosten der Strafverfolgung und der -Verteidigung zu decken, blieben praktisch ohne Bedeutung. Als erste deutsche Rechtsschutzversicherung kann man daher den "Schutzverein Deutscher Rheder" ansehen, der 1901 in Harnburg gegründet wurde. Gegenstand dieser Versicherung war (und ist) es, Rechtsschutz bei Streitigkeiten aus Fracht- und Versicherungsverträgen, bei Havarie und bei Beschädigung der Ladung zu gewähren. Bis 1966 entschied allein der Vorstand, ob der Schutzverein die Kosten des Rechtsstreites übernahm. Seit 1966 ist gegen eine Entscheidung des Vorstandes die Anrufung des Schiedsgerichts möglich. Die Vereinsmitglieder mußten zunächst aus eigener Tasche die Kosten vorstrecken, und es gab einen Selbstbehalt in Höhe von 10% der Schadensumme. Insgesamt zeigte sich, daß der Schutzverein nur relativ selten die Prozeßfiihrung alimentierte, denn die meisten Anträge wurden mangels Aussicht auf Erfolg abgelehnt (vgl. Ridder 1984, S. 703 f.). 1910 wurde in Gelsenkirchen ein "Versicherungsverein fiir Haus- und Grundbesitzer" gegründet, um im Falle von Rechtsstreitigkeiten bei entstandenen Bergschäden Rechtsschutz zu gewähren} 5 Für diesen Verein gab es eine besondere wirtschaftliche Notwendigkeit, denn vielfach benötigte man zur
15 Auch in Duisburg und Beuthen entstanden solche Vereine, die aber während der Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahre ihre Tätigkeit einstellten.
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5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei Bergschäden teure Sachverständigengutachten von Markscheidern. Der Verein hat vor einigen Jahren seine Tätigkeit wegen zu hoher Schadenskosten eingestellt (vgl. Ridder 1984, s. 704). 16 Mitte der zwanziger Jahre wurden die ersten Versicherungsgesellschaften gegründet, deren Zweck auf die Abdeckung des Verkehrsrechtsschutzes gerichtet war. Lange Zeit war umstritten, ob es sich bei diesen Unternehmen um Versicherungsgesellschaften handelte, denn die Unternehmen beschränkten sich nicht nur darauf, die Kosten der Rechtsdurchsetzung zu tragen, sondern berieten in rechtlichen Fragen ihre "Versicherten" selbst bzw. vertraten in der außergerichtlichen Schadensregulierung ihre Versicherungsnehmer, wie dies in anderen Ländern durchaus auch heute noch üblich ist (z.B. in den Niederlanden; vgl. Blankenburg 1989, S. 45-47). Erst nachdem die Rechtsschutzversicherer sich auf eine Kostenerstattung beschränkten, wurden sie als Versicherungsunternehmen vom Aufsichtsamt anerkannt (vgl. zusammenfassend Ridder 1984, S. 704 f.). Mit steigender Motorisierung der Bundesrepublik Deutschland nahm die Bedeutung des Verkehrsrechtschutzes erheblich zu. 17 Im Jahre 1949 wurden in den Verkehrsrechtsschutz durch Genehmigung neuer einheitlicher Rechtsschutzversicherungsbedingungen seitens des Aufsichtsamtes auch Unfalle mit nicht-motorisierten Fahrzeugen aufgenommen. 1952 hat man den sogenannten "aktiven Schadensersatzrechtsschutz" und den Strafrechtsschutz eingeführt. Seit 1954 ist es in Deutschland möglich, Ansprüche aus Arbeits- und Dienstverträgen sowie den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit in einer Rechtsschutzversicherung abzudecken. 1969 genehmigte das Bundesaufsichtsamt völlig neue Musterbedingungen, die den versicherten Bereich wesentlich ausdehnten; z.B. wurde das gesamte Schuld- und Sachenrecht einbezogen. 1972 kam es zur Einführung eines speziellen Rechtsschutzes für Grundstückseigentum und Miete sowie eines besonderen Angebots an Gewerbetreibende und Freiberufler (vgl. Hempfing 1987, S. 2). Wieder in Zusammenarbeit mit den Rechtsschutzversicherem modifzierte das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen im Jahre 1975 die allgemeinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen (ARB). Diese Bedingungen
16 Nach § 4 I der Allgemeinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen werden heutzutage Bergschäden aus dem Versicherungsschutz ausgenommen. Begrundet wird der Ausschluß damit, daß das subjektive Risiko sehr groß sei, denn nur Grundeigentümer im Bergbaugebiet schlössen eine solche Versicherung ab; vielfach könnten die Grundeigentümer den Schaden auch vorhersehen (vgl. Ridder 1984, S. 704). Siehe hierzu unten. 17
1984 waren 50,7% aller PKW-Besitzer rechtsschutzversichert (vgl. Hempfing 1987, S. 2).
5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung
303
gelten prinzipiell noch heute, wurden aber in der Zwischenzeit durch eine Vielzahl von Sonderbedingungen und Klauseln nach dem Baukastenprinzip ergänzt: Zum einen gibt es Rechtsschutz für neue Rechtsgebiete (z.B. Finanzgerichtsbarkeit, Datenrecht), zum anderen für besondere Personengruppen (z.B. Fußgänger, Steuerberater). Daneben ist zu beobachten, daß die Versicherer zunehmend Risikoausschlüsse des § 4 ARB (siehe unten) aufheben (vgl. Ridder 1984, S. 725 f.). Mit der dritten EU-Richtlinie zur Schaden- und Lebensversicherung entfällt auch für den Bereich der Rechtsschutzversicherung die Genehmigungspflicht hinsichtlich der allgemeinen Versicherungsbedingungen, was bis spätestens zum 1.7.94 in nationales Recht umgesetzt werden muß (vgl. hierzu Bundesminister für Wirtschaft 1993, S. 3). Insofern ist in der Zukunft zumindest theoretisch eine größere Vielfalt bei den Bedingungen zu erwarten.18 Wie sieht das Angebot der Rechtsschutzversicherungen nun in Deutschland tatsächlich aus? § 4 I, II und IV ARB schließt für bestimmte Risiken die Erstattung der Gerichts- und Anwaltskosten aus; es sei denn, es gelten Sonderbedingungen oder im Versicherungsvertrag wird eine Einzelvereinbarung abgeschlossen. 19 Die Versicherungsausschlüsse werden entweder mit der Vorhersehbarkeit des Schadens, mit dem massenhaften Auftreten der Schäden oder mit der Subjektivität des Risikos begründet (vgl. Ridder 1984, S. 754-762). Zu den Prozeßkosten, die eine Rechtsschutzversicherung zu ersetzen hat, gehören neben den durch den Prozeß anfallenden Gerichts- und Anwaltskosten auch die Kosten des sogenannten "verdeckten Beratungsrechtsschutz": Damit der potentielle Mandant seine Erfolgsaussichten einschätzen kann, muß er in aller Regel den Anwalt einschalten. Diese Aufwendungen werden nach § 20 I Satz 3 der BRAGO den nachfolgenden Kosten des Rechtsstreits (Vergleichs-,
18 Seit Ende der 50er Jahre kam es zu vermehrten Markteintritten in die Rechtsschutzversicherungssparte, so daß in Deutschland 1982 dreißig Gesellschaften in dieser Sparte tätig waren. Das Prämienaufkommen stieg von 9,3 Mio. DM 1953, über 82,5 Mio. DM 1960 auf 1816 Mio. DM 1981. Eine Umfrage aus dem Jahre 1978 hat ermittelt, daß etwa 41% der Bevölkerung eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben (vgl. Ridder 1984, S. 705 f.). 19 In folgenden Rechtsgebieten und bei den folgenden Schäden sind die Versicherer zum Ersatz der Prozeßkosten nicht verpflichtet, nämlich AnsprUche infolge von Kriegsereignissen; Bergbauschäden bzw. Nuklearschäden; das Rechtsgebiet der Handelsgesellschaften, der Genossenschaften bzw. der bergrechtliehen Gewerkschaften; Anstellungsverträge gesetzlicher Vertreter juristischer Personen; Urheber- sowie Patentrecht; Handelsvertreterrecht; Spiel- und Wettverträge; Bürgschafts-, Garantie-, Schuldübernahme- und Versicherungsverträge; der Bereich des Familienund Erbrechts; das Bauherrnrisiko; Kirchen-, Steuer sowie sonstiges Abgabenrecht; Konkurs-, Planfeststellungs-, Flurbereinigungs-, Umlegungs- sowie Enteignungsverfahren; die freiwillige Gerichtsbarkeit und verfassungsrechtliche Streitigkeiten (vgl. Ridder 1984, S. 754-762).
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5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
Gerichtsgebühren etc.) zugeordnet und sind deshalb automatisch auch von der Rechtsschutzversicherung abgedeckt. Was ist aber mit jener Beratung, die unabhängig von einer gebührenpflichtigen Gerichtstätigkeit des Anwalts getätigt wird? Zu denken wäre hier an einen mündlichen oder schriftlichen Rat des Anwalts, wie sich jemand in einer bestimmten Situation verhalten soll, oder an eine Auskunft über die Rechtslage in einem speziellen Rechts- oder Sachgebiet. Nach den ARB sind diese Aufwendungen grundsätzlich ausgeschlossen, außer sie beziehen sich auf familien- und erbrechtliche Angelegenheiten bzw. Fragen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, auf Rechtsgebiete also, die in den ARB von der Erstattung der Prozeßkosten ausgeschlossen sind. Dies kann sogar soweit gehen, daß in Fällen, in denen sich aus einer Beratung eine weitere Tätigkeit entwickelt, die Erstattungspflicht der Versicherung tur die Beratung entfällt. Sachlich setzt der Beratungsrechtsschutz voraus, daß die Rechtsberatung erforderlich ist, weil sich z.B. der Mandant nicht aus einer anderen Quelle, wie z.B. den beurkundenden Notar, bereits informiert hat (vgl. zusammenfassend Ridder 1984, S. 751 f.). Zurückkehrend zur Versicherung des Prozeßkostenrisikos kann man festhalten, daß die Rechtsschutzversicherung den Versicherten besser stellt als der Staat den Prozeßkostenhilfeberechtigten: Im Falle des Unterliegens bleibt der Versicherte auch von den Prozeßkosten des Gegners frei, denn diese Ausgaben fallen ebenfalls in die Erstattungspflicht des Versicherungsunternehmens (vgl. Kotzorek l985a, S. 17); im Rahmen der Prozeßkostenhilfe muß der Berechtigte die Kosten des Gegners selbst tragen, wenn er in dem Rechtsstreit unterliegt (vgl. Abschnitt 5.3). Insofern sind Rechtsschutzversicherungen im Gegensatz zur Institution "Prozeßkostenhilfe" eher dazu in der Lage, einkommens- oder risikobedingte Verzerrungen der Rechtsdurchsetzungen zu verhindern. Wie ich im vorhergehenden Abschnitt 5.6.1 bereits gezeigt habe, besteht ein Problem für den Rechtsschutzversicherer, Fälle moralischen Risikos in den Griff zu bekommen. Denn wenn ein Mandant (grenz-)kostenlos prozessieren kann, erzeugt er unnötige Rechtsstreitigkeiten und Prozesse (vgl. Adams 1981, S. 114-116). Ein Mittel, um gegen moralisches Risiko vorzugehen, wäre die Einführung von Rechtsschutzversicherung mit Selbstbehalten, die aber vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen nur vereinzelt beim Firmenrechtsschutz und bei Rahmen- bzw. Gruppenverträgen zugelassen wurden. Stattdessen sieht § 1 I Satz 3 ARB eine Zahlungspflicht der Versicherer nur dann vor, wenn in der Rechtssache hinreichend Aussicht auf Erfolg besteht und die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint. Insofern wird formal nach dem gleichen Kriterien wie bei der Prozeßkostenhilfe vorgegangen (vgl. Abschnitt 5.3 ). Der Versicherer kann zwar nach § 17 I ARB die Deckung verweigern; ist der Versicherte mit dieser Beurteilung aber nicht einverstanden,
5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung
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entscheidet der beauftragte Rechtsanwalt fiir beide Teile bindend, ob die Voraussetzungen des § 1 I, S. 3 ARB vorliegen (sogenannter Stichentscheid; vgl. zum Selbstbehalt und zum Stichentscheid Kotzorek 1985a, S. 17 f.). Der Stichentscheid, wie er bisher in Deutschland praktiziert wurde, genügt nicht mehr den Anforderungen der Europäischen Union, die in ihrer bindenden Rechtsschutz-Versicherungsrichtlinie von 1987 ein objektives Schiedsverfahren vorschreibt (vgl. zusammenfassend Klatt 1992, S. 1401 f.). Da der Anwalt in erster Linie die Interessen des Mandanten vertrete, erfiille der Stichentscheid nicht die europarechtliche Voraussetzung der Objektivität. Zwei Lösungsalternativen werden in diesem Zusammenhang diskutiert: - Der jeweilige Landgerichtspräsident soll analog zur Prozeßkostenhilfe einen Richter auswählen, der die Schiedsfunktion übernimmt. Die Richterschaft und die Justizverwaltungen präferieren diesen Plan. - Schiedsgutachter soll ein vom jeweiligen Rechtsanwaltskammerpräsidenten benannter und beim Oberlandesgericht zugelassener Rechtsanwalt sein. Dieser Vorschlag wird von der Versicherungswirtschaft und vermutlich auch von der Anwaltschaft vorgezogen. Es bleibt also abzuwarten, welche Regelung in den allgemeinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen verankert wird. Allerdings ist aus meiner Sicht nicht einzusehen, warum hier wieder eine einheitliche Lösung gefunden werden muß und nicht im Wettbewerb zwischen den Versicherem die beste Lösung aus der Kombination "Kundenfreundlichkeit/Preis" entdeckt werden kann, soweit die verwendeten Regelungen europarechtlich einwandfrei sind.
5. 6. 3 Probleme der Rechtsschutzversicherung in Deutschland Aus den beiden vorausgehenden Abschnitten kann man zwei Problembereiche des deutschen Rechtsschutzversicherungsmarktes ablesen: - Eine Reihe von Risiken können aufgrund eines fehlenden Angebots der Versicherer nicht gedeckt werden. - Das Problem des moralischen Risikos fiihrt zu einer unerwünschten Prozeßflut oder gar zu einem "Rüstungswettlauf' bei den Rechtsschutzversicherten. Auf beide Probleme soll im folgenden ausfilhrlich eingegangen werden.
20 Wein
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5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
Einfehlendes Angebot in Teilbereichen der Rechtsschutzversicherung wurde weiter oben mit der fehlenden Vorhersehbarkeit des Schadens, des massenhaften Auftreten von Schäden und der Subjektivität des Risikos begründet. Theoretisch sind Konstellationen denkbar, in denen diese Faktoren zutreffen (vgl. Abschnitt 5.6.1). Letztendlich kann jedoch nur der Wettbewerb herausfinden, ob diese Grenzen der Versicherbarkeit bestehen. Durch einen Ausschluß dieser Risiken mit Hilfe einheitlicher Versicherungsbedingungen, wie es in Deutschland bisher geschehen ist, wird dieser Entdeckungsprozeß allerdings gerade verhindert (so auch Kotzorek 1985a, S. 26). Negative Auswirkungen filr den Wettbewerb und filr die berechtigten Interesssen unbeteiligter Versicherungsnehmer sind aus einen solchen Entdeckungsprozeß bei wirksamen Eigenkapitalvorschriften und bei Einrichtung eines Versichertenschutzfonds nicht zu erwarten (vgl. hierzu Deregulierungskommission 1991, Zweites Kapitel, insbes. Tz. 50 f. und Tz. 58-66 und Eisen/Müller/Zweifel 1990). Insofern sollte man auch die Übernahme dieser Risiken nicht von Staats wegen verbieten und die Frage des Angebots von Versicherungen dem Wettbewerb überlassen. Durch die dritte EU-Richtlinie zur Schaden- und Lebensversicherung wird die Genehmigungspflicht filr Versicherungsbedingungen entfallen, folglich kommt man diesem Ziel sehr nahe.
Das Problem des moralischen Risikos im Falle der Rechtsschutzversicherung hat am dramatischsten Adams (zum folgenden ausfUhrlieh Adams 1981, S. 113-122) beschrieben. Zweck der Rechtsschutzversicherung ist es, den Versicherten vom Prozeßkostenrisiko freizustellen. Bei völliger Kostenfreiheit besteht freilich die Gefahr, daß der Versicherte fahrlässig oder bewußt (vermeidbare) Aufwendungen der Rechtsschutzversicherung herbeifUhrt (moralisches Risiko). Wie im vorhergehenden Abschnitt bereits dargestellt, hat die Versicherungsgesellschaft in Deutschland zwar rechtlich die Möglichkeit, bei fehlender Aussicht auf Erfolg oder Mutwilligkeit die Deckung zu verweigern, aber nur in sehr wenigen Fällen erstinstanzlieber Verfahren wird nach einer von Adams zitierten Untersuchung diese Klausel angewandt. 20 Nach seiner Ansicht entfällt daher filr den Versicherten jedes Kostenrisiko, so daß die Zahl der Zivilprozesse ungehemmt zunehme. Der Abschluß einer Rechtsschutzversicherung stelle jedoch nicht nur ein Mittel zum grenzkostenlosen Prozessieren, sondern zusätzlich ein Drohmittel dar: Nicht-Rechtsschutzversicherte tragen das
20 Vertreter der Versicherungswirtschaft bestätigen diese empirischen Ergebnisse: Die Prüfung der Erfolgsaussichten in der ersten Instanz sei zu aufwendig, da hierftlr die Einschaltung eines zweiten Anwaltes erforderlich sei, was zu Kosten in gleicher Höhe wie bei der Deckungszusage ftlhre. Darüber hinaus würde das erwünschte Image der Versicherung, ftlr den Versicherten einzutreten, durch eine restriktive Prüfung der Erfolgsaussichten leiden (vgl. hierzu Justizministerium Baden-Württemberg 1989, S. 143).
5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung
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Prozeßkostenrisiko und geben daher weitaus eher im Vorfeld einer gerichtlichen Auseinandersetzung einer unbegründeten Forderung nach, was zu einer verteilungspolitisch bedenklichen, aber auch allokativ unerwünschten Entwicklung führt (vgl. hierzu auch Abschnitt 5.6.1). Die Nichtversicherten würden die sie bedrohende Ausbeutungsgefahr erkennen und sich c.:benfalls versichern; der einseitige Vorteil wäre damit wieder ausgeglichen. Eine Rückkehr in die Situation ohne Rechtsschutzversicherung ist seiner Ansicht nach selbstverständlich ebenfalls nicht möglich, denn nun müßte der "Rückkehrer" die Nachteile in Form eines höheren Prozeßkostenrisikos und der Gefahr gegnerischer Drohung mit der Deckungszusage der Versicherung tragen; beide Parteien stellen sich freilich schlechter als ohne Rechtsschutzversicherung, denn sie müssen die Prämien aufbringen und können ihre Ansprüche trotzdem nicht besser durchsetzen. M.a.W.; es kommt zu einem Rüstungswettlauf bzw. der Situation eines Gefangenendilemmas (vgl. hierzu auch Abschnitt 4.2.1.7), in der sich alle schlechter stellen. 21 Aufgrund der geschilderten negativen Auswirkungen der Rechtsschutzversicherung geht Adams (1981, S. 125) sogar soweit, daß er in diesem Versicherungszweig zwingend eine Selbstbeteiligung in Höhe von mindestens 50% der Prozeßkosten vorschreiben will. Die von Adams vorgetragene These der steigenden Prozeßflut bei zunehmender Verbreitung der Rechtsschutzversicherung erregte erhebliches Aufsehen. Beispielsweise wird von der Richterschaft weitgehend in Übereinstimmung mit Adams vorgetragen, daß der Tatbestand der Rechtsschutzversicherung die Prozeßbereitschaft der Parteien deutlich erhöhe, die Vergleichsbereitschaft senke, den Anreiz, teure Verfahrensmittel einzulegen, steigere und die Neigung, sein Recht bis zur letzten Instanz zu verfolgen, vergrößere. Diese Tendenzen seien nicht nur im Bereich des Verkehrsrechts, in dem der Anteil der rechtsschutzversicherten Parteien am höchsten ist, sondern auch in allen anderen Gerichtsbarkeiten, sogar mit steigendem Ausmaß, zu beobachten. Insofern müsse man an Gegenmaßnahmen wie strengere Prüfung der Erfolgsaus-
2 1 In der bisherigen Analyse von Adams (1981) ging er davon aus, daß, wenn die Mindestforderung des Klägers nicht das Höchstangebot des Beklagten übersteigt, die Parteien auf einen Prozeß verzichten und einen Vergleich schließen und dabei die Parteien einen Weg finden werden, untereinander den Nutzen aus einem vermiedenen Prozeß im Rahmen der Vergleichsverhandlung aufzuteilen. In einer späteren Veröffentlichung (Adams 1986) zweifelt er dieses Ergebnis grundsätzlich an, denn der Streit zwischen den Parteien über die Aufteilung des Gewinns aus dem Vergleich könne sehr wohl objektiv vorhandene Einigungsmöglichkeiten Oberdecken. Dies bedeutet, daß selbst bei konsistenten Wahrscheinlichkeiten zwischen den Parteien (vgl. Abschnitt 4.2.1.7) keine Einigung zustande kommt. Auch unter dieser Annahme verringert die Existenz einer Rechtsschutzversicherung die Vergleichsbereitschaft, so daß sich die gleichen negativen Folgen wie bisher beschrieben einstellen. Diese Gründe ftlhren bei Adams sogar dazu, daß er ein Verbot der Rechtsschutzversicherung ftlr unumgänglich hält.
20*
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sichten durch die Versicherer oder die Einführung von Selbstbehalten denken (vgl. hierzu stellvertretend Weinmann 1989). Weitgehend anders sieht dieses Problem jedoch Blankenburg,22 der zusammen mit Fiedler anband einer Untersuchung aus den Jahren 1978179 zu einem deutlich anderen empirischen Ergebnis kommt. Anband einer Aktenanalyse von insgesamt 3500 Fällen in Berlin und fünf anderen Orten des Bundesgebiets haben sie nach Unterschieden zwischen Mandanten mit und ohne Rechtsschutzversicherung hinsichtlich der Häufigkeit eines Prozesses, der Berufungs- und Vergleichsbereitschaft, den Erfolgsquoten etc. gesucht, wobei die Vergleiche auf der Ebene übereinstimmender, typischer Prozeßgegenstände durchgeführt wurden. Letzteres ist nach der Ansicht der Autoren notwendig, da sich üblicherweise das Prozeßverhalten nach den Rechtsgebieten unterscheidet: Zum Beispiel liegt die Vergleichsneigung bei Kündigungsschutzprozessen bei 50% und bei Verkehrsunililien bei 5%. Die Analyse zeigte dann, daß mit Ausnahme des Verkehrsrechts keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Verhalten der rechtschutz- und der nichtrechtsschutzversicherten Parteien bestanden. Im Bereich des Verkehrsrechts, d.h. bei Verfahrenaufgrund eines Bußgeldbescheides und eines Strafbefehls sowie bei zivilrechtliehen Auseinandersetzungen infolge eines Verkehrsunfalls, war dagegen eine zwar geringftlgige, aber signifikante Erhöhung der Prozeßbereitschaft und eine Verminderung der Vergleichsbereitschart festzustellen.23 Blankenburg (1989, S. 43-45 und in Deutscher Richterzeitung 1983, S. 358 f.) hat drei Erklärungen dafür, daß seine empirischen Untersuchungen nicht die Modellvoraussagen von Adams bestätigen, und diese sollen seine Vermutung eines fehlenden Zusammenhangs zwischen Rechtsschutzversicherung und Prozeßflut stützen: - Die Überlegungen von Adams beziehen sich seiner Ansicht nach nur auf zivilrechtliche Streitigkeiten, in denen sich private Akteure gegenüberstehen. Diese Fälle waren jedoch bei Blankenburg/Fiedler in der Minderheit (36%). In 39% der untersuchten Fälle ging es um Ordnungswidrigkeiten und Verkehrsstrafsachen, beides sind Rechtsangelegenheiten mit dem Staat als Gegner. In den restlichen 25% der Streitgegenstände handelte es sich um Ver-
22 Vgl. zusammenfassend Blankenburg (1989, insbesondere S. 37-39) und Deutsche Richterzeitung (1983, insbesondere S. 353 f.).
" Eine Vergleichsuntersuchung der Versicherungswirtschaft kam zu ähnlichen Ergebnissen, wobei die erhöhte Prozeßneigung im Verkehrsbereich vor allem auf das Verhalten nicht-privater Versicherungsnehmer (kleinere Unternehmen) zurückzufilhren sei (vgl. Blankenburg 1989, S. 38 f.).
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kehrsunfiille, in denen der versicherte Kläger gegen den Unfallgegner und insbesondere gegen dessen Versicherer vorgeht; Streitigkeiten mit dem Staat bzw. mit der Versicherung stellen sozialungleichgewichtige Situationen dar, so daß der Modellrahmen von Adams ebenfalls nichts anwendbar sei. - Adams berücksichtige nur die finanziellen Kosten des Rechtsstreits und deren Erstattung durch die Versicherer, vernachlässige dagegen die sozialen Kosten wie die Zerstörung einer persönlichen Beziehungen im Falle eines Rechtsstreits. M.a.W.; ein grenzkostenloses Prozessieren aufgrund einer Rechtsschutzversicherung gibt es vielfach nicht, denn die sozialen Kosten des Prozesses sind mitzuberücksichtigen. - Die These von Adams, daß Rechtsschutzversicherte unbegrenzt prozessieren könnten, sei unrichtig, da die Anwälte selbst ein Anreiz hätten, Fälle ohne Aussicht auf Erfolg frühzeitig abzubrechen. Dies liegt daran, daß in der empirischen Untersuchung von Blankenburg/Fiedler in 40% aller Fälle die Versicherten von der Versicherung eine Empfehlung über einen geeigneten Anwalt erhalten haben. Da zusätzlich noch eine starke Konzentration der Rechtsschutzversicherungstalle (22% aller Fälle auf sechs Kanzleien) zu beobachten war, hätten die Anwälte mit rechtsschutzversicherten Mandanten kein Interesse daran, unnötige Fälle vor Gericht zu bringen, denn ansonsten würden sie von den Empfehlungslisten der Versicherer gestrichen. Adams (1986, S. 224) hält dagegen die empirischen Untersuchungen und Schlußfolgerungen von Blankenburg/Fiedler fiir fragwürdig, denn die versicherungstheoretische Literatur sei nur unzureichend berücksichtigt, die vorhandenen Daten seien begrenzt und die Schlußfolgerungen willkürlich. Meiner Ansicht nach sind die empirischen Untersuchungen von Blankenburg/Fiedler zwar fragwürdig, aber auch die Schlußfolgerungen von Adams, die er aus seinem Modell ableitet, keinesfalls zwingend. Die Untersuchung von Blankenburg/Fiedler ist recht alt, regional sehr begrenzt und die Zuordnung der Akten zu gleichen Rechtsgegenständen, als Basis fiir Unterschiede zwischen versicherten und nichtversicherten Mandanten, zumindest strittig; ferner soll der Anteil der vom Versicherer empfohlenen Anwälte je nach Art der Versicherung (dezentral oder zentral agierende Verwaltung) nur zwischen 2% und 8% liegen (vgl. Justizministerium Baden-Württemberg 1989, S. 107). Insofern sollte man die Ergebnisse von Blankenburg/Fiedler relativieren. Die Schlußfolgerungen von Adams sind ebenfalls nicht ohne weiteres überzeugend, denn wie Blankenburg völlig zu Recht festgehalten hat, berücksichtigt Adams bei der Beurteilung der Rechtsschutzversicherung nur den Weg-
310
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fall materieller Kosten des Prozesses. 24 Wenn die materiellen Kosten wegfallen, können die immateriellen Aufwendungen noch immer eine wirksame Schranke gegen die Herantragung des Streits an das Gericht darstellen. Letztendlich bedarf es daher weiterer empirischer Untersuchungen, um den Einfluß der deutschen Rechtsschutzversicherungen auf den Geschäftsanfall der Gerichte beurteilen zu können (so auch Roehl 1986). Zwischenzeitlich liegt eine neue Untersuchung zu diesem Thema vor (vgl. Jagodzinski/Raiser/Riehl 1993). Die Autoren haben ihre Untersuchung aus Kostengründen geografisch auf das Land Hessen beschränkt und versucht, die Daten durch drei verschiedene Wege zu ermitteln: Durch eine Befragung der Rechtsanwälte, durch die Analyse von Anwaltsakten und durch Interviews mit Richtern bzw. Auswertung von Gerichtsakten. Die letzte Alternative "Richterbefragung/Analyse der Gerichtsakten" erbrachte kaum verwertbare Ergebnisse, da in diesen Fällen vielfach das Vorhandensein einer Rechtsschutzversicherung nicht bekannt war. Aus der Befragung der Rechtsanwälte ergab sich eindeutig, daß die Mehrheit der Anwälte fiir alle untersuchten Rechtsgebiete (Arbeits-, Verkehrsstraf-, Zivil- und Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht) eine prozeßerhöhende Wirkung der Rechtsschutzversicheurng beobachtet hatten. Da es sich hierbei aber nur um ein Meinungsbild handelt, besteht die große Gefahr, daß augenfällige Einzelangelegenheiten, die von den Anwälten beobachtet wurden, ein zu großes Gewicht erhielten. Die Analyse der Anwaltsakten, die methodisch analog zu Blankenburg/Fiedler angelegt war (siehe oben), konnte den prozeßtreibenden Effekt vor allem bei rechtlichen Problemen im Verkehrsbereich bestätigen. Insbesondere bei Verkehrsordnungswidrigkeiten und bei zivilrechtlichen Streitigkeiten nach Verkehrsunfällen prozessierten Rechtsschutzversicherte häufiger, hartnäckiger und mit geringerem Erfolg als Nichtversicherte. In den anderen untersuchten Rechtsgebieten war der prozeßtreibende Effekt nicht statistisch nachweisbar, was zum Teil auch daran lag, daß Rechtsschutzversicherte mehr Erfolg hatten als Nichtversicherte; ein solches Ergebnis hat dann aber weniger etwas mit unnötigen Prozessen und mehr mit einer verbesserten Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung zu tun, was letztendlich auch erwünscht ist (vgl. Abschnitt 5.6.1). Die neuen Ergebnisse bestätigen den bisherigen empirischen Erkenntnisstand, wobei freilich auch die gleichen Bedenken wie gegen Blankenburg/Fiedler bestehen mit der Ausnahme, daß die Daten veraltet seien.
24 In seinem Modell des Zivilprozesses bezieht er sich dagegen auf beide Kostenkategorien, d.h auf die materiellen und immateriellen Kosten (vgl. Abschnitt 4.2.1.1 ).
5.6 Abschluß einer Rechtsschutzversicherung
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Neben der Kritik an Adams hinsichtlich der mangelnden empirischen Absicherung kann man auch aus theoretischer Sicht Zweifel an seinen Schlußfolgerungen hegen. Zwar weist er auf die Möglichkeit hin, die Selbstbeteiligung als Korrektiv gegen grenzkostenloses Prozessieren einzusetzen, vernachlässigt es aber, diese Idee umzusetzen (vgl. hierzu wesentlich besser Kotzorek 1985a, S. 26-28 und 1986, S. 241 f.): Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen sollte keine einheitlichen Versicherungsbedingungen in der Rechtsschutzversicherung vorschreiben und es stattdessen den Versicherem überlassen, im Wettbewerb geeignete Konstruktionen des Selbstbebalts und der damit verbundenen Prämiennachlässe zu entdecken. Durch die europarechtliche Vorgabe des Wegfalls der Genehmigungspflicht für Versicherungsbedingungen wird dieses Hindernis beseitigt. Als Selbstbehalt sind folgende Formen denkbar: - Selbstbehalt mit Höchstbetrag Gährlich oder je Versicherungsfall); - Schadensfreiheitsrabatt mit Rückstufungsmöglichkeit analog zur bestehenden Kfz-Haftpflichtversicherung; - Prozentuale Beteiligung an den Kosten; - Eigenbeteiligung in Abhängigkeit vom Streitwert. Jedem potentiell Versicherten bliebe es freigestellt, seine gewünschte Versicherungspolice in Abhängigkeit von seiner Risikoneigung und seinem erwarteten Schaden zu wählen. Risikoreiche Mandanten präferieren dann einen Vollversicherungsvertrag und risikoarme ein Vertrag mit Selbstbeteiligung, so daß es zu einer Selbstselektion der Risiken und einer erheblichen Tarifspreizung kommen könnte. 25 Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren könnte dazu benützt werden, um die Existenz und die Gestalt eines solchen separierenden Gleichgewichts herauszufinden. Gibt es ein solches Gleichgewicht, sind die Vorwürfe gegen die Rechtsschutzversicherung von Adams, nämlich die Gefahr grenzkostenlosen Prozessierens und die des Rüstungswettlaufs vom Tisch, denn ungerechtfertigte, kostenlose Prozesse sind nicht mehr möglich: Dies zieht einen Selbstbehalt oder höhere Prämien nach sich. Ein nicht zu beseitigender Nachteil besteht allerdings darin, daß jene Versicherten, die unvermeidlich in einen Rechtsstreit verwickelt werden, in einem solchen Markt nicht mehr
25 Zu den Bedingungen eines solchen Selbstselektionsgleichgewichts vgl. zum Beispiel Eisen ( 1986) und auch Abschnitt 3.3 .4 .I.
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5 Verteilungsrelevante Aspekte der Anwaltsregulierung
grenzkostenlos, d.h. ohne Selbstbehalt oder steigende Prämien, prozessieren können. Das Problem der verteilungsbedingten Verzerrungen wird nur teilweise gelöst (vgl. auch Abschnitt 5 .6.1 ). Ein weiterer Anwendungsbereich des Wettbewerbs könnte darin bestehen, daß man es den Rechtsschutzversicherem erlaubt, die Rechtsberatung mit eigenem Personal durchzufilhren, wie es in anderen Ländern durchaus üblich ist (so auch Blankenburg 1989, S. 45-47). Möglicherweise ist dies eine kostengünstigere Art, die Rechtsberatung zu gewährleisten, als die Lösung über die Tarifdifferenzierung der Versicherungen. Denn Vorteil dieser Lösung ist es, die Rechtsanwälte durch kundige Versicherer zu "disziplinieren". Auch hier spricht nichts dagegen, die Vorteilhaftigkeil dieser Alternative durch den Wettbewerb erproben zu lassen.
5. 6.4 Zusammenfassung Der Rechtsschutzversicherungsmarkt erscheint aus meiner Sicht grundsätzlich funktionsflihig zu sein. Genannt werden zwar Probleme des moralischen Risikos und der Nichtversicherbarkeit bestimmter Risiken; letzteres weil das Gesetz der großen Zahl nicht anwendbar sei. Nach den Erkenntnissen der "neuen Versicherungstheorie" (vgl. hierzu insbesondere Eisen/Müller/Zweifel 1990) sind diese Probleme weitaus geringer als befilrchtet, so daß nichts dagegen spricht, den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren zur Bestimmung der Grenzen des Rechtsschutzversicherungsmarktes zu nutzen. Der deutsche Versicherungsmarkt war allerdings bisher zu sehr reglementiert, um diese Funktion zu übernehmen. Durch die europarechtlichen Vorgaben wird dieser Weg offen. Sollte sich im Wettbewerb ein funktionsfähiger Rechtsberatungsmarkt herausstellen, bleiben trotzdem einige Probleme ungleichen Einkommens bzw. der Risikoaversion ungelöst: - Da die Versicherer allein schon aufgrund der Verwaltungs- und Vertriebskosten höhere Prämien als den Erwartungswert setzen werden, ist es selbst filr risikoaverse Versicherungsnehmer rational, sich nur zu einem Vertrag mit Selbstbehalt zu versichern; ein Teil des Prozeßkostenrisikos bliebe daher immer ungedeckt. Analog hierzu stellen immaterielle Kosten, die nicht versicherbar sind, automatisch Selbstbehalte dar. Im Wettbewerb würde sich u.U. eine Selbstselektion der Risiken in der Form ergeben, daß die guten Risiken Verträge mit Selbstbehalt und die
5.7 Fazit
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schlechten Risiken Volldeckungsverträge wählen. Wieder würde ein Teil des Prozeßkostenrisikos nicht versichert. - Eine Rechtsschutzversicherung stellt nur eine Alternative für jene Bevölkerungskreise dar, die sich die Prämie leisten können. Als Lösungsansatz wäre hier denkbar, daß der Staat die Rechtsschutzversicherungsprämien in der Sozialhilfe sowie in den Grundfreibeträgen der Lohn- und Einkommensteuer als existenznotwendig berücksichtigt bzw. einkommensabhängige Subventionen zahlt, die zum Abschluß einer solchen Versicherung verwendet werden müssen (vgl. hierzu zusammenfassend Kotzorek 1985a, S. 29). Diese Vorschläge wären alternativ zur Subjektförderung "Prozeßkosten- und Beratungshilfe" zu sehen. Insbesondere die beiden ersten Einwände zeigen die unüberwindbaren, d.h. nicht ohne bestimmte Fehlanreize zu erzeugenden Grenzen einer Rechtsschutzversicherung auf, verteilungsbedingte Verzerrungen aufzuheben.
5.7 Fazit Unterschiede zwischen den Mandanten hinsichtlich des Einkommens und des Vermögens können die Rechtsdurchsetzung beeinflussen: Je geringer das Einkommen bzw. das Vermögen, um so schwer fällt es einem Mandanten, die Kostenbelastung durch das Gericht und die Anwälte vorzufinanzieren bzw. um so wahrscheinlich wird risikoaverses Verhalten; beides kann dazuführen, daß sich unvermögende Parteien auf einen für sie ungünstigeren Vergleich einlassen, um den Prozeß zu vermeiden. Wenn die Rechtsordnung allokationseffizient gesetzt ist, bewirkt eine solche Verzerrung nicht nur die beschriebenen verteilungspolitisch bedenklichen Folgen, sondern auch allokative Verluste. Aus einer Reihe von Artikeln des Grundgesetzes kann man entnehmen, daß insbesondere die verteilungsbedingte Verzerrung unerwünscht ist. Auch aus diesem Grund wird mit der Anwaltsregulierung versucht, eine solche Entwicklung zu verhindern: Die Gebührenordnung der Anwälte bezweckt eine interne Subventionierung zugunsten niedriger Streitwerte, von denen im besonderen Maße sozial Schwache betroffen sein sollen; die Anwälte selbst stehen in einer besonderen Verpflichtung, da sie (nicht-kostendeckende) Mandate im Rahmen der Prozeßkosten- und der Beratungshilfe übernehmen müssen; und die eingeschränkte Einsatzbarkeit des Syndikus zielt auch darauf ab, daß Unternehmen ihre wirtschaftliche Macht vor Gericht nicht voll entfalten können. Die Geeignetheit dieser Eingriffe läßt sich nur beantworten, wenn man alle Alternativen einer so ausgerichteten Verteilungspolitik mit ihren Vor- und Nachteilen kennt. Folgende Handlungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung:
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- Verteilungspolitik mit Hilfe der Gebührenordnung. Die in Deutschland geltende Gebührenordnung der Anwälte fUhrt dazu, daß in der Regel Anwälte Fälle mit niedrigem Streitwert nicht kostendeckend erledigen können. Angelegenheiten, die einen hohen Streitwert aufweisen, erzielen meist ein über den Kosten liegendes Honorar. Diese Regelung soll es auch weniger vermögenden Personen erlauben, zu ihrem Recht zu kommen, da dieser Personenkreis überwiegend nur Fälle mit niedrigen Streitwerten aufweist. Da hier diese Individuen nicht direkt, sondern über den Umweg der Gebührenordnung unterstützt werden, handelt es sich um eine Form der Objektförderung. Die Institution "Gebührenordnung" weist freilich erhebliche Nachteile auf. Da erstens die Anwälte versuchen werden, insgesamt zumindest ihre Kosten zu decken, verlagert sich das Kostenrisiko auf die Angelegenheit mit hohen Streitwerten. Zweitens ist die "soziale Treffsicherheit" der Gebührenordnung sehr fraglich, denn zumindest im Verkehrs- und Familienrecht sind auch hohe Streitwerte üblich, ohne daß hiervon nur vermögendere Mandanten betroffen sein dürften. Drittens werden die Anwälte versuchen, die Kostenunterdeckung bei den Fällen niedrigen Streitwertes zu unterlaufen, indem sie den Arbeitsaufwand und ihre Sorgfalt auf ein Minimum verringern; infolgedessen wäre auch bei einer hohen "sozialen Treffsicherheit" das angestrebte Verteilungsziel stark gefahrdet. Bei den lukrativen Mandaten mit hohem Streitwert ist viertens zu erwarten, daß sich die Anwälte besonders viel Mühe geben, um Folgeaufträge zu akquirieren; dies kann zu Lasten der anderen Mandanten des Anwalts oder der unvermögenden Gegenseite gehen. Fünftens ist gerade bei niedrigen Streitwerten fiir den Anwalt ein besonders ungünstiges Ertrags-/Kostenverhältnis zu erwarten, wenn es um die Fragen "Vergleich!Prozeß" bzw. "Berufung ja/nein" geht; die Chancen zur Rechtsdurchsetzung gehen dann ftlr die zu begünstigenden Mandanten zurück. Die Gebührenordnung bewirkt also erhebliche Verzerrungen, und es ist fraglich, ob sie das verfolgte verteilungspolitische Ziel erreicht. - Unterstützung der Betroffenen in Form der Prozeßkosten- und Beratungshilfe. In Deutschland trägt der Staat ftlr Personen, die ein Einkommen unterhalb der Grenzen der Sozialhilfe ftlr besondere Lebenslagen beziehen, die Prozeßkosten, wenn Aussicht auf Erfolg besteht und die Rechtsverfolgung nicht mutwillig ist. Bei etwas höherem Einkommen hat man noch Anspruch auf einen zinslosen Kredit. Für den außergerichtlichen Bereich gibt es die Möglichkeit der Beratungshilfe, die bei Erftlllung der gleichen sozialhilferechtlichen Einkommensgrenzen und fehlender Mutwilligkeit gewährt wird. Beide Unterstützungsformen sind der Subjektförderung zuzuordnen, denn nur der zu fördernde Personenkreis wird unterstützt. Die bei der Objektförderung zu beobachtenden Gefahren der Verzerrung und der mangelnden Treffsicherheit bestehen hier kaum mehr; trotzdem gibt es eine Reihe von
5.7 Fazit
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Nachteilen. Erstens erzeugen beide Unterstützungsformen nicht unerhebliche Verwaltungskosten. Da zweitens die Anwälte nicht im hinreichenden Maße für ihre Leistungen entgolten werden, insbesondere wenn der Streitwert 5600,- DM übersteigt, versuchen sie, diesen Mandaten auszuweichen oder den Aufwand zu senken, was wiederum verteilungspolitisch bedenklich ist. Drittens kann sich insbesondere in Scheidungssachen eine asymmetrische Kostenbelastung ergeben, obwohl sich die finanzielle Leistungsfii.higkeit beider Parteien kaum unterscheidet. - Kompensation durch Kreditaufnahme am Kapitalmarkt. Die Alternative, die Prozeß- und Anwaltskosten bei fehlendem Vermögen am Kapitalmarkt vorzufinanzieren, ist nicht denkbar, da die hierfür risikoadäquaten Zinsen adverse Ausleseprozesse erzeugen dürften und die rechtliche Auseinandersetzung einen reinen Verteilungskampf darstellt, so daß im Falle der Zwangsvollstreckung keine zusätzlichen Vermögenswerte bereitstehen. - Einsatz von Erfolgshonoraren Das Instrument der Erfolgshonorare, bei dem der Anwalt im Mißerfolgsfall nichts oder nur ein geringes Honorar und im Erfolgsfall einen Teil der erstrittenen Summe erhält, kann einkommens- und vermögensbedingte Verzerrungen bei der Rechtsdurchsetzung verhindern, da der Mandant beim Rechtsanwalt quasi ein Darlehn bis zum Abschluß des Rechtsstreits aufnimmt. Die Anwälte sind zur Ausübung der Funktion eines Darlehnsgebers besonders gut in der Lage: Sie realisieren durch das Zusammenfassen mehrerer Mandate stochastische Größenvorteile, und aufgrund ihrer juristischen Spezialisierung können sie die Risiken eines Rechtsstreits gut abschätzen. Durch die Möglichkeit, Erfolgshonorare zu vereinbaren, gibt es mehr Prozesse, was vielfach als Nachteil empfunden wird; allerdings stellt dieses Mehr nicht anderes als die Kehrseite besserer Durchsetzungschancen dar. Möglicherweise erzeugen Erfolgshonorare das Problem verborgener Handlungen der Anwälte zu Lasten der Mandanten; dieser Punkt wurde im dritten Kapitel ausführlich behandelt. - Gleiche Chancen der Rechtsdurchsetzung durch Abschluß einer Rechtsschutzversicherung. Risikoaverse oder einkommensschwache, potentielle Mandanten schließen einen Versicherungsvertrag ab, wonach sie im Falle einer rechtlichen Auseinandersetzung von den Kosten der Rechtsdurchsetzung freigestellt werden; als Gegenleistung hierfür müssen die potentiellen Mandanten eine Versicherungsprämie entrichten. Ein solcher idealer Versicherungsvertrag verhindert verteilungsbedingte Verzerrungen bei der Umsetzung des Rechts. Leider wird ein ideale Versicherung nicht zustande kommen. Zum einen, auf der Nachfrageseite werden sich in der Regel nur risikoaverse Versicherungsnehmer und dabei nur unter Einschluß
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eines Selbstbebalts versichern; insofern deckt die Möglichkeit der Rechtsschutzversicherung nur einen Teil des Risikos und damit auch die verteilungsbedingten Verzerrungen nicht ganz ab. Zum anderen, auf der Angebotsseite ist eindeutig, daß Schäden, die nicht monetär bewertbar sind, nicht durch die Versicherung ersetzt werden können. Für den Bereich des Rechtsschutzes gilt dies für die immateriellen Kosten des Rechtsstreites. Schwieriger auf der Angebotsseite zu beurteilen sind die Thesen, daß kein Versicherungsschutz bereitgestellt wird, wenn der Versicherer die Schadenshöhe bzw. die Schadenswahrscheinlichkeit nicht hinreichend genau ermitteln und das Problem ungleicher Information in Form des moralischen Risikos nicht lösen kann. Daß die Schadenshöhe und die Schadenswahrscheinlichkeit nicht ermittelbar sei, wird mit der Nichtanwendbarkeit des Gesetzes der großen Zahl begründet; analog hierzu wird auch vertreten, daß bestimmte Schäden vorhersehbar seien oder massenhaft auftreten. All diese Argumente kann man zwar nicht mit Sicherheit zurückweisen, letztendlich sind aber keine Argumente ersichtlich, die dagegen sprechen, die Grenzen der Versicherbarkeit durch den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren austesten zu lassen. Ungleiche Information in Form des moralischen Risikos, d.h. das rechtsschutzversicherte Mandanten ohne Rücksicht auf die Erfolgsaussichten grenzkostenlos prozessieren, kann theoretisch dazu führen, daß für weite Teile der an einer Versicherung interessierten Individuen keine akzeptable Versicherungsmöglichkeit besteht; nur die schlechten Risiken, bei denen moralisches Risiko im besonderen Maße zu erwarten ist, versichern sich. Das Problem des moralischen Risikos wird bei den deutschen Rechtsschutzversicherern formal wie bei der Prozeßkostenhilfe gelöst, d.h. nur bei Aussicht auf Erfolg und keiner Mutwilligkeit besteht ein Anspruch auf Deckung. Es wird von vielen allerdings die These vertreten, daß diese Vorschrift in der Praxis wirkungslos sei; schlimmstenfalls befände sich der deutsche Rechtsschutzversicherungsmarkt in der Situation eines Gefangenendilemmas, d.h. insgesamt verbessern sich die Chancen zur Rechtsdurchsetzung für den Einzelnen zwar nicht mehr, aber darauf zu verzichten, kann sich der Einzelne nicht mehr leisten. Empirisch konnte bisher eine solche Tendenz nur für Verkehrsrechtsstreitigkeiten nachgewiesen werden. Unabhängig von dieser offenen Frage, sollte man berücksichtigen, daß in einem wettbewerbliehen Versicherungsmarkt das Problem vermutlich durch diverse Formen des Selbstbebalts gelöst wird, die das Prozessieren wieder mit Kosten für den Mandanten belegen. Jene Mandanten, die berechtigt den Klageweg beschreiten, werden dadurch allerdings benachteiligt. Man kann jedoch nicht mit Sicherheit sagen, daß der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren
5.7 Fazit
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die optimale(n) Lösung(en) finden wird, da die Existenz eines Gleichgewichts zumindest nicht sicher ist. Da die Gebührenordnung als Kernstück der verteilungspolitisch motivierten Anwaltsregulierung erhebliche Verzerrungen nach sich zieht und vermutlich ihren Zweck gar nicht erreicht, sprechen viele Gründe fiir eine Lösung mit Erfolgshonoraren oder Rechtsschutzversicherungen. Zwar stellen beide Ansätze keine Lösungen ohne Nachteile dar, aber es sind keine Gründe ersichtlich, es dem Wettbewerb nicht selbst zu überlassen, die geeignete(n) Lösung(en) zu entdecken. Insofern ist es hier wichtig, den Wettbewerb nicht zu behindern, indem man Erfolgshonorare verbietet oder einheitliche Versicherungsbedingungen fiir den Rechtsschutz vorschreibt. Wenn man hinsichtlich der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, insbesondere fiir die Existenz entsprechender Gleichgewichte, sehr skeptisch ist, sollte man eher zu der Subjektförderung "Prozeßkosten- und Beratungshilfe" als zur Objektf6rderung "Gebührenordnung" greifen, wobei erstere durchaus noch verbessert werden könnte (und müßte). Aus verteilungspolitischen Gründen sind daher keine Argumente ersichtlich, die eine Gebührenordnung erforderlich machen. Da sich die Alternativen zur Gebührenordnung vielversprechend darstellen (mit Ausnahme der Kreditaufnahme am Kapitalmarkt), kann man auch die weiteren verteilungspolitisch motivierten Eingriffe der Anwaltsregulierung "Soziale Verpflichtung des Anwalts durch Übernahme von Mandaten in der Prozeßkosten- und Beratungshilfe" sowie die "Einschränkungen der Handlungsfreiheit beim Syndikus" zurücknehmen.
6 Zusammenfassung und wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen Für die vorliegende ökonomische Analyse des Rechtsberatungsmarktes wurde der institutionelle Ansatz gewählt: Ausgehend von der in Deutschland vorzufindenden Regulierung der Anwälte habe ich nach den Motiven für diese Eingriffe gefragt und anschließend diese Motive mit Hilfe von vier Thesen aus ökonomischer Sicht erklärt. Diese Vorgehensweise erlaubte es auch, andere Ziel, die über den Umweg der Anwaltsregulierung erreicht werden sollen, als die der Wohlfahrtsmaximierung anzusprechen und weitere Akteure (Politiker, Interessengruppen, Bürokraten) einzubeziehen. Neben diesen positiven Ergebnissen konnten im gewissen Maße auch normative Resultate gewonnen werden, indem auf die Plausibilität der genannten Thesen eingegangen wurde. Der Gesetzgeber bezeichnet die Rechtsanwälte als "unabhängige Organe der Rechtspflege" und ordnet sie den .Freien Berufen zu. Der Anwalt soll sich daher weder durch staatliche Akteure noch von Interessengruppen beeinflussen lassen; gegenüber den Mandanten erwartet der Staat ebenfalls ein gewisses Maß an Unabhängigkeit, was letztendlich nur bei einem "auskömmlichen Einkommen" der Anwälte möglich sei. Die Stellung eines "Organs der Rechtspflege" verdeutlicht die Verpflichtung, neben den Richtern und Staatsanwälten an der Umsetzung des Rechts mitzuwirken. Die anwaltliehe Tätigkeit stellt eine freiberufliche dar, weil das Handeln des Anwaltes nicht eigennützig motiviert sei, sondern im Interesse der Allgemeinheit stünde. Der Gesetzgeber stellt sich folglich den Anwalt nicht als einen eigennützig motivierten "homo oeconomicus", sondern als ein Individuum vor, welches sich allein der "Wahrheit" und der "Gerechtigkeit" verpflichtet filhlt. Für die Zulassung als Rechtsanwalt gelten mehrere Voraussetzungen. Jeder Bewerber muß - das zweite juristische Staatsexamen bestanden haben; - in absehbarer Zeit innerhalb des betreffenden Oberlandesgerichtsbezirks seinen Wohnsitz begründen (Residenzpflicht). Die Bundesregierung plant, die Residenzpflicht aufzuheben;
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- eine Kanzlei am Ort der Zulassung einrichten (Kanzleipflicht); - wesentliche Teile seines Zeitbudgets fiir die anwaltliehe Tätigkeit verwenden (Beschränkung der Nebentätigkeit). Aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts will die Bundesregierung die Nebentätigkeit nur dann beschränken, wenn man mit Berufsausübungsregeln keine zufriedenstellende Lösung finden kann. Die Zulassung ist allerdings örtlich beschränkt: Bestehen seitens des Anwalts familiäre Beziehungen zu den örtlichen Gerichten, wird ein lokales Tätigkeitsverbot ausgesprochen; es ist nicht erlaubt, eine Zweigstelle zu betreiben oder auswärtige Sprechtage abzuhalten; der Rechtsanwalt wird in der Regel nur bei einem Amts- und Landgericht oder nur bei einem Oberlandesgericht bzw. nur beim Bundesgerichtshof zugelassen (Lokalisierungsprinzip; eingeschränkter Grundsatz der Singularzulassung). Nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll das Lokalisierungsprinzip abgeschafft und die Frage der Singularzulassung in das Ermessen der Länder gestellt werden. Die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes ist ebenfalls in vielfaltiger Weise begrenzt: - Der Rechtsanwalt darf nur Mandate übernehmen, die weder seine Unabhängigkeit verletzen noch das Ansehen der Anwaltschaft beeinträchtigen (gegenständliche Tätigkeitsverbote): Nicht in Rechtssachen, die er früher betreut hat, heute fiir die Gegenpartei tätig werden; keine Mandate übernehmen, die er aus einer vorherigen Tätigkeit im öffentlichen Dienst kennt; keine Urkunden, die er als Notar ausgefertigt hat, auslegen; nicht vor Gericht fiir einen Mandanten auftreten, zu dem er in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis steht. - Den Anwälten ist nur "wahre" Informationswerbung gestattet. Eine Werbung um Mandate wird ausgeschlossen. Die Vergabe der Fachanwaltsbezeichnung ist reglementiert. - Rechtsanwälte untereinander dürfen sich nur in der Rechtsform der 8GBGesellschaft zusarnrnenschließen; es ist fraglich, ob die Kooperation von Anwälten, die am Landgericht zugelassen sind, mit am OLG zugelassenen Kollegen möglich ist. Die Verbindung eines Rechtsanwalts mit einem anderen Selbständigen in Form einer Sozietät oder Bürogemeinschaft ist nur zulässig, wenn es sich bei diesem um einen Angehörigen eines anderen, im weiteren Sinne rechtsberatenden, Freien Berufs handelt und dieser Akademiker ist. Diese Regelung soll nach dem Willen der Bundesregierung klarer
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6 Zusammenfassung und wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen
durch eine abschließende Aufzählung im Gesetz, ohne Rücksicht auf die regionale Tätigkeit des Partners, geregelt werden. - Das Gesetz schreibt den Anwälten eine nach unten bindende Gebührenordnung vor, die sich am Streitwert orientiert. Es gilt das "Prinzip des sozialen Ausgleichs", wonach Sachverhalte mit hohem Streitwert jene mit niedrigem Streitwert subventionieren. Die anwaltliehen Gebühren fiir Handlungen bei den Gerichten haben "Festpreischarakter", d.h. die Gebühren fiir die Herantragung des Streits, die Verhandlung selbst und die Beweisaufnahme richten sich nicht nach dem konkreten Arbeitsumfang. Erfolgshonorare sind nicht erlaubt. - Jeder Rechtsanwalt muß Mitglied seiner Rechtsanwaltskammer werden und an sie Gebühren entrichten. Die bisher im Standesrecht geregelte Pflicht zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung fiir den Anwalt soll nunmehr durch ein Gesetz festgeschrieben werden. - Ein Ehrengericht kann gegenüber einem Anwalt, der sich einer Pflichtverletzung zu Schulden kommen läßt, ein zeitlich begrenztes, partielles oder gar globales Vertretungsverbot aussprechen. Im Falle grober Pflichtverletzungen ist die Anordnung eines Berufsverbots möglich. Es zeigte sich also, daß sowohl die Zulassung zum als auch die Ausübung des Anwaltsberufs stark reglementiert ist. Diese Regulierung kann man durch folgende vier Thesen erklären: (i)
Der Anwalt hat die Funktion, das Gericht bei der Wahrheitsfindung zu unterstützen.
(ii) Mit Hilfe der Anwaltsregulierung sollen die Kosten der rechtlichen Auseinandersetzung minimiert werden. (iii) Durch die Vorschriften zum Berufsrecht der Anwälte wird das rechtsbzw. verteilungspolitische Ziel verfolgt, daß alle Bevölkerungsgruppen ihre Rechte ohne Unterschiede hinsichtlich des Einkommens oder des Vermögens wahren können. (iv) Der Mandant ist im Vergleich zum Anwalt schlechter informiert, da er nicht ohne staatliche Hilfe den geeigneten, hinreichend qualifizierten Anwalt auswählen und den beauftragten Anwalt nicht im ausreichenden Maße während der Mandatsabwicklung kontrollieren kann (ungleiche Information) .
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Anband der Ergebnisse zu diesen vier Thesen kann man die wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen ziehen, die sich aus dieser Arbeit ergeben. (zu i) Die These, daß der Anwalt als Parteienvertreter an der Wahrheitstindung der Gerichte mitwirken soll, ist wenig plausibel, denn warum sollte der Richter nicht aus dem Vortrag der Parteien und den Ausruhrungen der Sachverständigen bzw. Zeugen heraus in der Lage sein, ein gerechtes Urteil zu finden. Insofern sind jene Elemente der Anwaltsregulierung, die ausschließlich mit dem Argument der Wahrheitstindung begründet werden, nicht nachvollziehbar: Das lokale Tätigkeitsverbot fiir Anwälte, die eine familiäre Beziehung zum Gericht haben bzw. am jeweiligen Gericht in den letzten fiinf Jahren tätig waren, ist daher hinfällig; das letztendlich hinter dieser Vorschrift stehende Problem eines parteiischen Richters läßt sich viel leichter durch Befangenheitsanträge lösen. (zu ii) Aus einigen Elementen des anwaltliehen Standesrechts kann man deutlich die Motivation des Gesetzgebers ablesen, die Zahl der Prozesse und die damit verbundenen Kosten zu minimieren. Sind die Mandanten nicht dazu in der Lage, ihren Anwalt im hinreichenden Maße zu kontrollieren, mag es wohl zu unnötigen Kosten und vermeidbaren Prozessen kommen, was aber dann im Rahmen des Problems ungleicher Information zu Lasten der Mandanten angesprochen wird (vgl. iv). Falsche, im Sinne von kostenerhöhende Anreize der Privaten sind theoretisch insbesondere im Zivilrecht aufgrund strategischen Verhaltens zu erwarten, empirisch ist dies noch offen. Zielgerichtete Eingriffe wären hier die Beschränkung des Unterliegensprinzips auf die gesetzlichen Gebühren und die vom konkreten Arbeitsaufwand unabhängigen Rechtsanwaltsgebühren vor Gericht. Eine alle Anwälte umfassende intrinsische Motivation wäre zwar ebenfalls sinn- und theoretisch besonders wirkungsvoll, sie dürfte aber kaum umsetzbar sein. Das Interesse des Staates an einer kostensenkenden und prozeßverhindemden Anwaltsregulierung ist nur fiir die Obergerichte aufgrund der unvermeidbar nicht kostendeckenden Gerichtsgebühren einsichtig; die weitverbreitete Kostenunterdeckung bei allen Gerichten läßt sich durch die eigennützigen Interessen der Politiker, Bürokraten und anwaltliehen Interessengruppen erklären, deshalb läge es im Interesse des Bürgers, in der Verfassung die Kostenunterdeckung nur fiir die Obergerichte zuzulassen. Allerdings muß man dann bei den Obergerichten ergänzende, die Kostenunterdeckung eindämmende Vorschriften in der Anwaltsregulierung, wie das Verbot der Simultanzulassung am LG bzw. OLG und einen Numerus Clausus am BGH, einfUhren. Aus dem Argument der Kostenminimierung lassen sich wirtschaftspolitisch weitaus weniger Eingriffe rechtfertigen als zu Beginn der Analyse vermutet; es bleiben nur die Beschränkung des Unterliegensprinzips auf die gesetzlichen Gebühren, vom Arbeitsaufwand unabhängige Gerichtsgebühren 21 Wein
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filr die Anwälte, das Verbot der Simultanzulassung am LG bzw. OLG und der Numerus Clausus am BGH.
(zu iii) Einkommens- und Vermögensunterschiede bei den Mandanten beeinflussen die Rechtsdurchsetzung, da es mit abnehmenden Einkommen bzw. Vermögen einem Mandanten immer schwerer fiillt, die Kostenbelastung durch das Gericht und durch die Anwälte vorzufinanzieren bzw. um so wahrscheinlicher risikoaverses Verhalten wird. Die unvermögendere Partei wird sich u.U. deshalb auf einen filr sie ungünstigeren Vergleich einlassen, um den Prozeß zu vermeiden. Auch aus diesem Grund versucht man mit der Anwaltsregulierung, im speziellen mit der zugunsten der Fälle mit niedrigem Streitwert subventionierenden Gebührenordnung, mit der Pflicht zur Übernahme nicht kostendekkender Mandate in der Prozeßkosten- bzw. Beratungshilfe und den Beschränkungen beim Syndikus, Verteilungspolitik zu betreiben. Die Gebührenordnung ist letztendlich aber ungeeignet, da sie das Kostenrisiko auf die Angelegenheit mit hohem Streitwert verlagert, ihre "soziale" Treffsicherheit fraglich ist und die Anwälte niedrige Streitwerte meiden bzw. mit geringem Aufwand bearbeiten werden. Daher gibt es viele Gründe, eine Lösung über Erfolgshonorare oder Rechtsschutzversicherungen zu versuchen. Beide Ansätze sind nicht völlig unproblematisch, aber man kann es dem Wettbewerb überlassen, die geeignete(n) Lösung(en) zu entdecken. Deshalb sollte man nicht wie in Deutschland die Erfolgshonorare verbieten oder einheitliche Versicherungsbedingungen filr den Rechtsschutz vorschreiben; letzteres wird aufgrund europarechtlicher Vorgaben entfallen. Ersatzweise kann man auch auf die Vergabe von Prozeßkosten- und Beratungshilfe ausweichen, wobei dieses Instrument noch verbessert werden müßte. Da gangbare Alternativen zur Gebührenordnung existieren, sollte man die verteilungspolitisch motivierten Eingriffe in der Anwaltsregulierung aufheben. Aus Sicht der Verteilungspolitik kann daher die Gebührenordnung bzw. die Beschränkungen beim Syndikus entfallen, und die Anwaltsgebühren filr die Mandate in der Prozeßkosten- und Beratungshilfe sind zu erhöhen. (zu iv) Ungleiche Information zwischen Anwälten und Mandanten ist das zentrale Argument filr die Begründung einer Regulierung der Anwaltschaft. Dies kann man durch die P-A-Theorie beschreiben, in der dem Mandanten die Rolle des Prinzipals und dem Anwalt die des Agenten zukommt. Da der Mandant vor Vertragsschluß die Qualität des Anwalts hinsichtlich seiner fachlichen und persönlichen Qualifikation kaum beurteilen kann (Auswahlproblem), stellt die Qualität eine verborgene Information dar. Im Extremfall wird die hohe Qualität bei den Anwälten vollständig verdrängt (adverse Auslese). Selbst wenn der Mandant das Auswahlproblem lösen kann, besteht weiterhin die Gefahr, daß sich der Anwalt weder mit der notwendigen Sorgfalt noch mit der
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erforderlichen Einsatzbereitschaft um ein erfolgreiches Ende des Falls bemüht (Kontrollproblem; verborgene Handlung). Erschwerend kommt hinzu, daß der Mandant aus einem unbefriedigenden Ergebnis nicht mit hinreichender Sicherheit auf eine Schlechtleistung des Anwalts schließen kann, da der Ausgang eines Rechtsstreits vielfach von einer Vielzahl von anderen Faktoren und nicht nur von der anwaltliehen Qualität abhängt. Insofern liefert die P-A-Theorie einen allgemeinen Ansatz, um die speziellen Probleme ungleicher Information im Rechtsberatungsmarkt zu beschreiben. Da im Rahmen der P-A-Theorie eine Reihe von möglichen Lösungsansätzen des Marktes, des Staates und des kollektiven Handeins entwickelt wurden, lag es nahe, diese auf den Markt fiir Rechtsberatung anzuwenden. Bei allen marktliehen Ansätzen muß man auf der theoretischen Ebene eine Reihe von Bedingungen nennen, damit das Problem ungleicher Information spontan durch die Marktkräfte gelöst wird. Ferner zeigt sich aufgrund der theoretischen Analyse, daß nicht allen denkbaren Instrumenten der gleiche Stellenwert zukommt, denn die Variablen "Preis in Form eines gemäßigten Erfolgshonorars", "strategische Ausbildungsinvestitionen des Anwalts" und der "Aufbau einer Reputation" stehen im Vordergrund; die anderen Möglichkeiten des Marktes sind entweder kaum denkbar (lnformationsnachfrage durch den Mandanten und Garantien) bzw. bauen auf den Reputationsmechanismus auf (Werbung, Franchise, Sozietät). Hinsichtlich des Preises ist es theoretisch vorstellbar, daß ausschließlich qualitativ hochwertige Anwälte ein Honorar mit hohem Erfolgsanteil und geringen Festgebühren eingehen ("gemäßigtes" Erfolgshonorar); die schlechten Anwälte arbeiten nur zu Festpreisen. Um allerdings eine solche Trennung herbeizufiihren, müssen eine Reihe von restriktiven theoretischen Bedingungen gegeben sein. Nach der vorliegenden, quantitativ sehr geringen empirischen Evidenz ist nicht auszuschließen, daß auch unter der Vereinbarung eines gemäßigten Erfolgshonorars das Kontrollproblem ungelöst bleibt. Qualitativ hochwertige Anwälte haben u.U. weiter die Möglichkeit, sich durch strategische Ausbildungsinvestitionen (z.B. Erwerb einer Fachanwaltsqualfikation oder Abschluß einer Promotion) von allen anderen Anwälten abzuheben. Sollte sich ein solches Ergebnis im Anwaltsmarkt einstellen, würde ausschließlich das Auswahlproblem gelöst, denn die Anreize, nach Vertragsschluß die Mandanten zu benachteiligen, bestehen in diesem Ansatz weiter. Zentrale Voraussetzung fiir die Existenz eines solchen Gleichgewichts ist, daß sich die qualitativ hochwertigen Anwälte diese Ausbildung zu geringeren Kosten als die schlechten Anwälte aneignen können. Empirische Untersuchungen zu diesem Thema sind nicht bekannt. Die Möglichkeit, daß Anwälte dauerhaft einen guten Ruf als seriöse, fachkundige, zuverlässige Rechtsvertreter anstreben (Reputation), wür21•
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de sowohl das Auswahl- als auch das Kontrollproblem beseitigen. Damit sich dieses Ergebnis einspielt, muß der Mandant nach Abschluß des Verfahrens in irgendeiner Form die Leistung des Anwalts beurteilen, der qualitativ hochwertige Anwalt langfristig eine höheren Gewinn erzielen als ein schlechter Anwalt und der Mandant von der bisherigen Qualität automatisch auf die zukünftige schließen können (Extrapolationsprinzip). Letztere Voraussetzung ist durch die Annahme eines gewissen "natürlichen" Anteils an vertrauenswürdigen Anwälten substituierbar. Die bisherigen, sehr spärlichen empirischen Untersuchungen lassen keinesfalls den Schluß zu, daß im Anwaltsmarkt der Reputationsmechanismus mit hinreichender Sicherheit funktionsflihig ist. Aus der Zusammenstellung der Ergebnisse zu den marktliehen Instrumenten kann man eine wichtige wirtschaftspolitische Schlußfolgerung zur These "ungleiche Information" ableiten: Insbesondere die theoretischen Voraussetzungen rur die Existenz marktlieber Lösungen im Anwaltsmarkt sind sehr hoch, so daß die Erwartungen, ohne staatliche Hilfe das Auswahl- und Kontrollproblem lösen zu können, sehr niedrig anzusetzen sind. Mit Hilfe der vorliegenden empirischen Evidenz kann man diese pessimistische Erwartung kaum umstimmen. Wenn also der Markt im Rechtsberatungsmarkt "versagt", muß man die Handlungsmöglichkeiten des Staates erörtern. Erste Alternative ist die Erleichterung des Informationsaustausches zwischen Anwalt und Mandant, indem der Staat von ihm aufgebaute Beschränkungen des Informationsaustausches abbaut, falsche oder irreruhrende Informationen verbietet, Standards entwickelt und kontrolliert, mit Hilfe derer der Mandant die Ausbildung der Rechtsanwälte besser bewerten kann oder die Anwälte zur Offenlegung bestimmter Informationen zwingt. Für diese Maßnahmen benötigt der Staat relativ wenige Informationen, und eigennützige kollektive Entscheidungsträger bedienen sich kaum dieser Instrumente, da sie rur eigennützige Zwecke nicht einsetzbar sind. Allerdings ist der Nutzen dieser Eingriffe, um ungleiche Information abzubauen, recht beschränkt, bestenfalls wird nur das Auswahlproblem gelöst. Relativ gut schneidet hier noch die Standardsetzung ab, da durch sie die Mandanten die anfängliche Qualität des Anwalts leichter einschätzen können und Außenseiterkonkurrenz möglich bleibt. Der Abbau von Informationshindernissen und das Verbot falscher oder irreruhrender Information sind nicht einfach umsetzbar, und beide Maßnahmen werden in aller Regel nur einen geringen Beitrag zum Abbau des Problems ungleicher Information leisten können. Die Offenlegungspflicht verbindet zwar die Vorteile der Standardsetzung mit der Möglichkeit, die Anwälte auch zur Bekanntgabe von rur sie negativen Merkmalen zu zwingen, verschlimmert aber das Ergebnis, wenn der Staat irrelevante oder insbesondere unerwünschte Angaben zur Pflicht macht, denn dann wird der Wettbewerbsprozeß in die falsche Richtung gelenkt. Insofern erscheint die Standardsetzung zwar keinesfalls umfassend, aber einigermaßen geeignet.
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Die zweite Alternative des Staates liegt darin, Infonnationen über die allgemeine Qualifikation der Anwälte oder deren Verhalten in der Vergangenheit öffentlich zu machen. Eine solche Politik ist immer dann notwendig, wenn bestimmte Irrfonnationen für eine Vielzahl von Mandanten von Nutzen sind und diese relativ leicht weitergegeben werden können. M.a.W.: In diesem Fall werden Irrfonnationen am Markt aufgrund der Gefahr von positiven Extemalitäten nicht bereitgestellt. Fragwürdig ist dabei allerdings, ob sich der Staat diese Irrfonnationen beschaffen kann. Im Vergleich zu den beiden erstgenannten Alternativen ist der dritte Weg in Fonn des Erlasses von subjektiven Marktzugangsbeschränkungen wesentlich wirkungsvoller, da er kraft Gesetz niedrige Qualitätsstufen vom Markt ausschließen kann, worauf auch im deutschen Anwaltsmarkt insbesondere durch das Zulassungserfordernis "Zweites juristisches Staatsexamen" zurückgegriffen wird; insofern leisten zwar subjektive Marktzugangsbeschränkungen einen wesentlichen Beitrag zum Abbau des Auswahlproblems, nicht aber zur Eingrenzung des Kontrollproblems. Diesem Vorteil stehen allerdings auch bedeutende (potentielle) Nachteile entgegen. Setzt der Staat aus Unwissenheit eine zu hohe Mindestqualität an, so werden Mandanten, die niedrigere Qualität präferieren, zu hoher Qualität gezwungen; es entstehen venneidbare Wohlfahrtsverluste. Mit Hilfe der Marktzugangskontrolle ist es auch eigennützigen Entscheidungsträgem möglich, den Marktzugang soweit zu beschränken, daß die Anwälte zu hohe Honorare, u.U. kombiniert mit zu geringer Qualität, fordern können. Möglicherweise besteht ein wirksamer Schutz darin, in der Verfassung die Beschränkung des Marktzugangs allein mit dem Qualitätsargument zuzulassen. Viertens: Für das Kontrollproblem ist zumindest theoretisch eine laufende Qualitätskontrolle geeignet, was freilich vom nicht zu unterschätzenden Informationsstand der staatlichen Regulierungsbehörde und von der Wirksamkeit des zur Verfügung stehenden Sanktionsmechanismus abhängig ist. Ferner besteht hier die große Gefahr, daß eigennützige Akteure die laufende Qualitätskontrolle zu ihren Zwecken hin umfunktionieren; dieses Problem kann man wohl kaum in der Verfassung lösen, denn in der laufenden Qualitätskontrolle muß man dem Regulierer einen weiten Handlungsspielraum belassen. Die beiden letzten staatlichen Alternativen, die verschuldensurrabhängige Haftung der Anwälte, wenn der Anwalt gegenüber dem Mandanten seiner Infonnationspflicht nicht nachkommt, und die Pflichttransaktion in Fonn der Verbeamtung, sind wenig sinnvoll: Die Haftung läßt sich kaum rechtlich umsetzen, bzw. die Anwälte werden dann viele Mandate verweigern, weil sie nicht das gesamte stochastische Risiko tragen wollen, und die Verbeamtung erzeugt vennutlich im hohen Maße bürokratisches Verhalten.
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Ergänzend zu den staatlichen Alternativen ist es auch denkbar, daß man in Anbetracht der genannten großen Informationsprobleme des Staates die laufende Qualitätskontrolle dem Kollektivorgan der Anwälte, der Kammer, überträgt, was in der Bundesrepublik Deutschland auch geschehen ist. Zweifellos nehmen zwar bei einer solchen Lösung die Informationsprobleme des Staates ab, dafür steigt aber die Gefahr eigennützigen Verhaltens zu Lasten der Mandanten deutlich an; letzteres ist vermutlich aus den gleichen Gründen wie bei der laufenden staatlichen Qualitätskontrolle nicht auf der Verfassungsebene lösbar. Hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen zu den staatlichen und kollektiven Lösungen kann man auch kein eindeutiges Ergebnis erzielen: Mit steigender Wirksamkeit der Eingriffe nehmen die Informationsprobleme des Staates und die Gefahr eigennützigen Verhaltens zu bzw. die Kontrollmöglichkeiten des Bürgers über die Verfassungsebene ab. Wie kann man aus diesem Dilemma entkommen? Die eine Möglichkeit besteht darin, anhand weiterer empirischer Untersuchungen die Funktions(un)fähigkeit des Marktes bzw. die Handlungspotentiale des Staates und des Kollektivorgans auszuloten. Dieser Weg ist schwer begehbar, da vermutlich empirische Untersuchungen aufgrund der lückenhaften Datenlage und der geringen Vergleichbarkeit einzelner Länder kaum eindeutige Ergebnisse liefern können. Daher schlage ich als andere Möglichkeit vor, die vorliegende ökonomische Analyse der Rechtsanwälte als Mittel für mehr Transparenz, insbesondere für den Verfassungsbürger, zu nutzen. Die Frage, nach welchen Regeln der Rechtsberatungsmarkt zu organisieren sei, wird auf der Ebene des Grundkonsens entschieden und dann in der Verfassung verankert, um polit-ökonomische Nachteile staatlichen Handeins in diesem Bereich, die im laufenden politischen Bereich zwangsläufig auftreten, zu verringern. Für das Kriterium der Einstimmigkeit sind verschiedene Varianten denkbar: Die Verfassungsbürger entscheiden vor dem Hintergrund einer ungewissen Zukunft, das hiesige Problem ungleicher Information wird mit anderen Fragen verbunden (wodurch der Zwang zur Kompromißbildung zunimmt) oder man überträgt die Entscheidung einer legislativen Kammer, wie sie von Hayek vorgeschlagen hat. Der Verfassungsbürger kann auf der Ebene des Grundkonsens die vorliegende Analyse mit seinen Präferenzen in Verbindung bringen und sich dann für eine angemessene Regulierung entscheiden. Ist z.B. der Verfassungsbürger eher risikoscheu, wird er die restriktiven staatlichen und kollektiven Lösungen wählen. Glaubt der Verfassungsbürger, daß er im Einzelfall das Kontrollproblem selbst lösen kann, gewinnen die marktliehen Alternativen, denn die theoretischen Hürden zur Lösung des Auswahlproblems sind niedriger als die beim Kontrollproblem. Wenn der Bürger erwartet, daß der Staat die erforderlichen Informationen zur Regulierung der Anwälte zusammentragen kann und die
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staatlichen Entscheidungsträger sich von selbst an das Ziel der Wohlfahrtsmaximierung halten bzw. das Eigennutzstreben der Entscheidungsträger durch Verfassungsregeln begrenzbar ist, wird er sich eher auf die staatlichen Alternativen verlassen. Insofern kann ich zum Problem ungleicher Information im Rechtsberatungsmarkt keine abschließende wirtschaftspolitische Schlußfolgerung ziehen, denn dazu ist nur jeder einzelne Bürger in der Lage. Zur Verdeutlichung dieses Ergebnises kann man noch eine Schlußbemerkung zu der in Deutschland geltenden Anwaltsregulierung vornehmen. Wenn man diese Regulierung mit der strengen subjektiven Marktzugangsbeschränkung und der an das Kollektivorgan "Anwaltskammer" übertragenen laufenden Qualitätskontrolle als Ergebnis einer Verfassungsentscheidung interpretiert, so waren offensichtlich die Verfassungsbürger recht risikoscheu. Sie waren sowohl an der Lösung des Auswahl- als auch an der des Kontrollproblems interessiert, sehr optimistisch hinsichtlich der Überwindung von Informationsproblemen beim Staat und aufgrund weitgehend fehlenden verfassungsrechtlicher Beschränkungen hinsichtlich des Eigennutzstrebens vom wohlfahrtsmaximierenden Verhalten der kollektiven Akteure überzeugt. Die Diskussion über das Pro und Contra einer Deregulierung des anwaltliehen Berufsrechts sollte daher damit beginnen, Konsens über diese Grundfragen herzustellen. Ist eine Übereinstimmung möglich, so ergibt sich die konkrete Ausgestaltung der Anwaltsregulierung beinahe automatisch. Eine weitere zentrale wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen dieser Arbeit ist darin zu sehen, daß sich die Plausibilität einer Anwaltsregulierung aus dem Problem ungleicher Information ergibt. Die anderen genannten Argumente bzw. Ziele sind unbegründet (Wahrheitsfindung), überdimensioniert (Kostenminimierung) oder durch andere Instrumente wesentlich effektiver erreichbar (Verteilungsargument). Folglich kann das lokale Tätigkeitsverbot, welches der Wahrheitstindung dienen soll, ersatzlos entfallen. Die Idee, Kostenminimierung über den Weg der Anwaltsregulierung zu verfolgen, ist nur plausibel, um die sinnvollerweise nicht zu kostendeckenden Gebühren arbeitenden Obergerichte zu entlasten und die Gefahr strategischen Verhaltens der Parteien zu mindern; für den letzten Punkt ist es hilfreich, die Anwaltsgebühren für gerichtliche Handlungen vom Arbeitsaufwand zu entkoppeln und die Erstattungspflicht nach dem Unterliegensprinzip auf die gesetzlichen Gebühren zu begrenzen. Für die Obergerichte sind das Verbot der Simultanzulassung und der Numerus Clausus am BGH nicht unplausibel, weil sie mit dazu beitragen können, Kosten zu sparen. Da das Verteilungsargument in der Anwaltsregulierung nicht einschlägig ist, können die ausschließlich aus dem Verteilungsargument abgeleiteten Eingriffe entfallen: Die Gebührenordnung muß nur noch die Funktion eines Referenzstandards für das Unterliegensprinzip übernehmen, und die Be-
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schränkungen des Syndikus vor Gericht sind obsolet; die Prozeßkosten- und Beratungshilfe ist so zu reformieren, daß sie filr die Anwälte kostendeckende Mandate erlaubt. Alle weiteren Elemente der Anwaltsregulierung kann aufgrundder Unwägbarkeiten des Problem ungleicher Information nur jeder VerfassungsbürgeT filr sich allein beantworten.
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Anhang
22 Wein
Anhang
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Tabelle A-1: Zivil- und Strafgerichtsbarkeit Berlin" - Kostendeckungsgrade 1987-1991 Gebührenb
Gesamteinnahmenc
Ausgabend
Fehlbetrag•
Grad lf
Grad 28
1987
145 704
147 219
304 036
156 817
47,9
48,4
1988
155 167
156 766
308 249
151 483
50,3
50,8
1989
160 965
162 487
323 439
160 952
49,8
50,2
1990
174 278
176 137
331 299
155 162
52,6
53,2
I99I
I97 277
198 755
378 467
I79 712
52, I
52,5
50,5h
5l,Oi
Jahr
Quellen fiir die Einnahmen und Ausgaben:
1987: I988: 1989: I990: 199I:
Landeshaushaltsplan Landeshaushaltsplan Landeshaushaltsplan Landeshaushaltsplan Landeshaushaltsplan
Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin
(I989, (1990, (1991, (1992, (1993,
Bd. Bd. Bd. Bd. Bd.
I, 1, 1, 1, I,
S. S. S. S. S.
I97 20I 2I7 241 247
und und und und und
200). 204). 221). 245). 251).
• Inklusive Familiensachen und freiwillige Gerichtsbarkeit beim Kammergericht, bei den Land- und Amtsgerichten b
Einnahmen aus Gebühren, Geldstrafen .und -bußen in TDM.
' In den folgenden Tabellen beziehen sich die Gesamteinnahmen auf die GehUhreneinnahmen (siehe Spalte vorher, die die gerichtsspezifischen Erträge umfassen) und die gerichtsfremden Erlöse (z.B. Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung); Angaben in TDM. d
Angaben in TDM
• Gesamteinnahmen - Ausgaben in TOM. r Kostendeckungsgrad 1: GehUhreneinnahmen I Gesamtausgaben x 100 (in%). s Kostendeckungsgrad 2: Gesamteinnahmen I Gesamtausgaben x 100 (in%). h
Arithmetisches Mittel fUr die Jahre 1987-1991.
; Arithmetisches Mittel fUr die Jahre 1987-1991. 22*
340
Anhang
Tabelle A-2: Arbeitsgerichtsbarkeit Berlin" - Kostendeckungsgrade 1987-1991 Gebührenb
Gesamteinnahmenc
Ausgabend
Fehlbetrag•
Grad If
Grad 28
I987
I 281
I 394
13 548
12 I54
9,4
10,3
I988
1 345
I 409
13 656
12 247
9,8
I0,3
1989
l 39I
l 400
I3 859
12 459
10,0
IO, I
1990
I 382
1 387
13 792
14 296
10,0
10,0
1991
1 240
2 225
16 521
12 405
7,5
13,5
9,3h
10,8;
Jahr
Quellen für die Einnahmen und Ausgaben: 1987: Landeshaushaltsplan Berlin (1989, Bd. 1, S. 687 f.). 1988: Landeshaushaltsplan Berlin (1990, Bd. 1, S. 817 f.). 1989: Landeshaushaltsplan Berlin (1991 , Bd. 1, S. 86I f.). 1990: Landeshaushaltsplan Berlin (1992, Bd. 1, S. 1363 f.). 1991: Landeshaushaltsplan Berlin (1993, Bd. 1, S. 1405 f.).
• Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht b
GehUhreneinnahmen in TOM.
' Gesamteinnahmen im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit Berlin in TOM. d
Angaben in TOM.
' Gesamteinnahmen - Ausgaben in TOM. r Kostendeckungsgrad 1: GehUhreneinnahmen I Gesamtausgaben x 100 (in%). 8
Kostendeckungsgrad 2: Gesamteinnahmen I Gesamtausgaben x 100 (in%).
h
Arithmetisches Mittel filr die Jahre 1987-1991.
' Arithmetisches Mittel ftlr die Jahre 1987-1991.
Anhang
341
Tabelle A-3: Finanzgerichtsbarkeit Berlin" - Kostendeckungsgrade 1987-1991 Gebührenb
Gesamteinnahmen