Recht der Unternehmensbewertung [8 ed.] 9783814557861

Wie bewerte ich ein Unternehmen? Welche Maßstäbe sind anzulegen? Welche Prognoseverfahren wende ich an? Präzise beantwor

121 73 3MB

German Pages 377 [449] Year 2016

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Recht der Unternehmensbewertung [8 ed.]
 9783814557861

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Großfeld/Egger/Tönnes Recht der Unternehmensbewertung

RWS-Skript 359

Recht der Unternehmensbewertung 8., neu bearbeitete Auflage 2016

von Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf Dr. Ulrich Egger Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt und Steuerberater Dipl.-Kfm. Wolf Achim Tönnes, Münster

begründet und bis zur 7. Auflage bearbeitet von Prof. Dr. Bernhard Großfeld, Münster

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH ˜ Köln

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2016 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: CPI books, Leck

Vorwort zur 8. Auflage Das Recht der Unternehmensbewertung hat mich in meinem Berufsleben begleitet und begeistert; das Fach hat sich rasant entwickelt. Unternehmensbewertung als Begegnungsfach von Rechtswissenschaft und Betriebswirtschaft ist aktueller denn je. Dieses Buch ist den vergangenen drei Jahrzehnten auf so große Resonanz gestoßen, dass es nun in der 8. Auflage vorliegt. Mir ging es stets darum, die juristisch-richterliche Sicht und die betriebswirtschaftliche Sicht der Unternehmensbewertung zu verbinden. Ich freue mich daher, dass ich als Autoren zwei sehr kompetente Nachfolger gefunden habe, die diese Sicht widerspiegeln. Ich bin überzeugt, dass Richter am Oberlandesgericht Dr. Ulrich Egger und Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer Wolf-Achim Tönnes das Anliegen dieses Buches auch in Zukunft fortsetzen werden.

Münster, im September 2016

Bernhard Großfeld

Wir freuen uns sehr, dass wir dieses grundlegende Werk der Unternehmensbewertung in der 8. Auflage fortführen können. Wir danken Prof. Dr. Großfeld für sein Vertrauen. Das Werk soll weiterhin – allgemein verständlich und anschaulich – das System der Unternehmensbewertung und dessen Berechnungsmethoden erläutern. Wir haben es daher um zusätzliche Beispiele, Übersichten und grafische Darstellungen erweitert. Schwerpunkt wird daneben auch in Zukunft sein, die Vorteile, Schwachpunkte und Stellschrauben der jeweiligen Bewertungsregeln aufzuzeigen und diese zu diskutieren. Das Buch berücksichtigt den Rechtszustand September 2016, einschließlich der Anfang 2016 ergangenen, grundlegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur Unternehmensbewertung.

Münster, im September 2016

Ulrich Egger Wolf-Achim Tönnes

V

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

Vorwort zur 8. Auflage .................................................................................. V Abkürzungsverzeichnis ............................................................................ XXV Literaturverzeichnis ................................................................................. XXXI Erster Teil Recht und Unternehmensbewertung ............................................... 1 ........ 1 A. Rechtsmaterie ............................................................................... 2 I. Allgemeines ........................................................................... 3 II. Hilfen ................................................................................... 10 1. IDW-Standards ............................................................ 10 2. Institut der Wirtschaftsprüfer .................................... 13 III. Bilanzrecht ........................................................................... 14 IV. Mathematik .......................................................................... 17 1. Zahlenwelt .................................................................... 18 2. Schätzungsfreiheit ....................................................... 25 3. Juristenstrategie ........................................................... 35 V. Empfängerhorizont ............................................................. 38 VI. Rechtsvergleichung ............................................................. 42 VII. Gutachter ............................................................................. 44 1. Unabhängigkeit ........................................................... 45 2. Grenzüberschreitende Erfahrung ............................... 47 3. Quellen ......................................................................... 48 4. Hilfspersonen .............................................................. 49 VIII. Unterlagen ........................................................................ 50 IX. Klarheit ................................................................................ 54

........ 1 ........ 1 ........ 2 ........ 2 ........ 3 ........ 3 ........ 4 ........ 4 ........ 6 ........ 8 ........ 8 ........ 9 ...... 10 ...... 10 ...... 11 ...... 11 ...... 11 ...... 11 ...... 12

B.

55 55 55 55 56 58

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12 12 12 12 13 13

59 60 61 64 64

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13 14 14 14 14

Ausgangslagen ............................................................................ I. Abfindung ............................................................................ 1. Personengesellschaft .................................................... a) Ausgangspunkt ................................................... b) Fortführungswert ............................................... c) Schätzung ............................................................ d) Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung .......................................................... 2. Gesellschaft mit beschränkter Haftung ..................... 3. Aktiengesellschaft ........................................................ II. Verschmelzung .................................................................... 1. Grundmodell ................................................................

VII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

67 68 69 70 71 72 74 75 76

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16 16 16 16 16 17 17 17 18

C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle ....................................... 79 I. Gesellschaft mit beschränkter Haftung ............................. 80 II. Aktiengesellschaft ............................................................... 82 1. Beherrschungsvertrag .................................................. 82 a) Abfindung ........................................................... 83 aa) Grundsatz .................................................... 83 bb) Höhe ............................................................ 84 b) Ausgleich ............................................................. 87 aa) Grundsatz .................................................... 87 bb) Ausgleich und Abfindung ........................... 92 2. Ausschluss von Minderheitsaktionären ..................... 94 a) Eingliederung ...................................................... 94 b) Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out .......... 96 c) Aktienrechtlicher Squeeze-out .......................... 98 d) Übernahmerechtlicher Squeeze-out ................ 100 3. Ausgleich und Squeeze-out ....................................... 104 a) Vorlagebeschluss OLG Frankfurt ................... 105 aa) Ausgangslage ............................................. 106 bb) Vorlagefrage ............................................... 109 b) OLG Düsseldorf und OLG München ............ 113 c) Bundesgerichtshof ............................................ 116 d) Stellungnahme ................................................... 122 4. Übertragende Auflösung .......................................... 127 5. „Delisting“ ................................................................. 129 a) Echtes und unechtes Delisting ......................... 129 b) Entwicklung der Rechtsprechung .................... 131 c) Reaktion des Gesetzgebers ............................... 134 d) Stellungnahme ................................................... 138 e) Übertragbarkeit auf „unechtes“ Delisting ....... 145 6. Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE) ........................................... 147

...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

18 18 19 19 19 19 19 20 20 21 22 22 22 23 23 24 24 25 26 26 27 28 29 30 30 30 31 32 33

...... 34

D. Verfahren .................................................................................. I. Ablauf ................................................................................ 1. Vorverfahren .............................................................. 2. Spruchverfahren .........................................................

...... ...... ...... ......

III. IV. V.

VI.

VIII

2. Verschmelzung durch Aufnahme ............................... 3. Europäische Dimension .............................................. Spaltung ............................................................................... Umwandlung ....................................................................... Bilanzrecht ........................................................................... 1. Einzelabschluss ............................................................ 2. Konzernabschluss ........................................................ 3. Steuerrecht ................................................................... Sonstige Anlässe .................................................................

148 148 148 152

34 34 34 35

Inhaltsverzeichnis Rn.

3. Rechts- und Plausibilitätskontrolle .......................... 4. Begutachtung ............................................................. 5. Kosten ........................................................................ II. Einzelne Faktoren ............................................................. E.

157 163 166 168

Seite

...... ...... ...... ......

36 37 38 38

Gründungsprüfung ................................................................... 170 ...... 39

Zweiter Teil „Wert“ des Unternehmens ............................................................. 171 ...... 41 A. Einführung ................................................................................ I. „Als ob“-Wert ................................................................... II. Zukunftserfolgswert ......................................................... III. Barwert ............................................................................... IV. Subjektiver Wert ............................................................... V. Grenzwerte ........................................................................ 1. Begriff ......................................................................... 2. Bedeutung .................................................................. VI. Einigungswert .................................................................... VII. Marktwert ..........................................................................

172 174 175 176 179 182 182 183 186 189

...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

41 41 42 42 43 43 43 44 44 45

B.

Normwert ................................................................................. I. Grundlagen ........................................................................ II. Ausweitung ........................................................................ III. Rechtsprägung ................................................................... 1. Hinweise .................................................................... 2. Rechtsbeziehung ........................................................ a) Allgemeines ....................................................... b) Privatautonomie ................................................ c) Schätzung .......................................................... 3. Normorientierung ..................................................... IV. Typisierter Wert ................................................................ V. Leitgedanke ....................................................................... VI. Gleichheitssatz .................................................................. 1. Innensicht/Außensicht ............................................. 2. Aufteilung .................................................................. VII. Methodenwahl ..................................................................

191 191 194 199 199 201 201 206 208 212 215 222 225 226 229 231

...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

46 46 46 47 47 48 48 49 49 50 50 52 53 53 54 54

C. Bewertungskonventionen ........................................................ I. Rechtsprechung ................................................................. II. IDW-Standards ................................................................. 1. Überblick ................................................................... 2. IDW S 1 2000 ............................................................. 3. IDW S 1 2005 ............................................................. a) Zuflussprinzip ................................................... b) Alternativanlage ................................................ 4. IDW S 1 2008 .............................................................

232 232 234 234 236 237 237 238 239

...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

54 54 55 55 55 56 56 56 56

IX

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

D. Rückwirkung ............................................................................. I. Einführung ........................................................................ II. Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf ........................... 1. Ausgangslage .............................................................. 2. Vorlagefrage ............................................................... a) Keine Rückwirkung von IDW-Standards ........ b) Wertbildende Bewertungsmethode ................. III. OLG Frankfurt ................................................................. IV. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ...................... 1. Tatsachenfeststellung – Rechtsfrage ........................ 2. Kein Vertrauensschutz .............................................. 3. Geschäftsgrundlage ................................................... 4. Stichtagsprinzip ......................................................... 5. IDW S 1 2005 ............................................................. V. Stellungnahme ...................................................................

242 243 246 247 252 253 257 260 261 262 264 268 269 271 272

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57 57 58 58 59 59 60 60 61 61 61 62 62 62 63

E.

278 278 280 285 286 286 289 290 292 293

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64 64 65 66 66 66 67 67 67 68

Anteilswert ................................................................................ I. Teil des Gesamtwertes ...................................................... II. Marktwert .......................................................................... III. Methoden ........................................................................... 1. Indirekte Methode ..................................................... a) Grundlagen ........................................................ b) Aufteilung ......................................................... 2. Direkte Methode ....................................................... 3. Vermischung .............................................................. IV. Börsenwert .........................................................................

Dritter Teil Wertberechnung .............................................................................. 297 ...... 69 A. Bewertungsmethoden ............................................................... 297 ...... 69 B.

Einzelne Bewertungsverfahren ................................................ I. Ertragswertverfahren ....................................................... II. Discounted-Cashflow-Verfahren ................................... III. Börsenwert ....................................................................... IV. Vorerwerbspreis ............................................................... V. Buchwert .......................................................................... VI. Substanzwert – Rekonstruktionswert ............................ VII. Liquidationswert .............................................................. VIII. Multiplikatorverfahren .................................................... IX. Stuttgarter Verfahren ...................................................... X. Nicht finanzieller Nutzen ...............................................

300 300 303 309 312 315 318 322 325 327 330

...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

69 69 70 71 71 72 73 73 74 74 75

C. Zukunftserfolgswert ................................................................. 332 ...... 75 I. Grundsatz .......................................................................... 332 ...... 75 II. Nationale Sicht .................................................................. 340 ...... 77

X

Inhaltsverzeichnis Rn.

D. Prognose ................................................................................... I. Zukunftswert ..................................................................... II. Grundlagen ........................................................................ III. Mittlere Erwartungen ........................................................ IV. International Financial Reporting Standards ...................

344 345 346 347 350

Seite

...... ...... ...... ...... ......

78 78 78 79 79

E.

Gesamtbewertung ..................................................................... 352 ...... 80

F.

Eigenständigkeit ....................................................................... 354 ...... 80

G. Stichtagsprinzip ........................................................................ I. Grundsatz .......................................................................... II. Vergangenheit/Zukunft .................................................... III. Wurzeltheorie .................................................................... 1. Grundsatz ................................................................... 2. Anhaltspunkte ........................................................... 3. Aufhellung ................................................................. 4. Beispiele ...................................................................... IV. Bewertungsmethode ......................................................... V. Plausibilität ........................................................................ VI. Aufzinsung/Abzinsung ....................................................

357 357 362 364 364 367 368 372 373 374 378

H. Einzelne Wertelemente ............................................................ I. Vermögen .......................................................................... 1. Betriebsnotwendiges Vermögen ............................... 2. Nicht betriebsnotwendiges (neutrales) Vermögen ................................................................... II. Verbundvorteile ................................................................. 1. Überblick ................................................................... 2. Echte Verbundvorteile .............................................. a) Diskussion ......................................................... b) Stellungnahme ................................................... c) Beispiele ............................................................. d) USA ................................................................... 3. Unechte Verbundvorteile .......................................... 4. Abgrenzung ............................................................... III. Verbundnachteile .............................................................. IV. Unternehmensleitung ...................................................... V. Ausschüttungen ................................................................ VI. Schätzung ........................................................................... 1. Informationen ............................................................ 2. Abwägung .................................................................

380 ...... 87 380 ...... 87 382 ...... 87 383 386 386 388 388 399 405 409 413 415 416 417 421 424 425 429

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81 81 82 83 83 84 84 85 85 85 86

87 88 88 88 88 90 92 93 94 94 95 95 95 96 96 97

Vierter Teil Analyse des Unternehmens ........................................................... 432 ...... 99 A. Vergangenheit ........................................................................... 433 ...... 99 I. Grundlagen ........................................................................ 433 ...... 99 1. Pfadabhängigkeit ....................................................... 433 ...... 99 XI

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

2. Anzahl der Jahre ........................................................ 3. Branchenanalyse ........................................................ 4. Verlaufsanalyse .......................................................... Substanz ............................................................................. Wesentliche Positionen .................................................... Bereinigungen .................................................................... Sonderproblem: Konzernbeziehungen ............................ Gewichtung .......................................................................

434 436 438 441 442 447 451 454

...... 99 ...... 99 .... 100 .... 101 .... 101 .... 102 .... 103 .... 104

Zukunft ..................................................................................... I. Grundsätze ........................................................................ 1. Going Concern .......................................................... 2. Schwebende Geschäfte .............................................. 3. Stille Reserven ............................................................ 4. Neutrale Sicht ............................................................ 5. Nominalrechnung/Realrechnung ............................. 6. Plandaten .................................................................... II. Einzelne Planungsschritte ................................................ 1. Planung des EBIT ...................................................... 2. Investitionen .............................................................. 3. Working Capital ........................................................ 4. Finanzplanung und Kapitalstruktur ......................... 5. Beteiligungen ............................................................. 6. Planung der Ertragsteuern ........................................ 7. Planung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens ................................................................. III. Analyse der Planung ......................................................... 1. Planungshoheit .......................................................... 2. Perspektive ................................................................. 3. Konsistenz und Richtigkeit ....................................... 4. Plausibilität ................................................................. 5. Planungsgüte .............................................................. IV. Sonderproblem: Konzernbeziehungen ............................ 1. Verrechnungspreise ................................................... 2. Ergebnisabführungsverträge ..................................... 3. Synergien .................................................................... V. Sonderproblem: Schadensersatzansprüche ...................... VI. Neues Eigenkapital ........................................................... VII. Veränderung durch Ausscheiden ..................................... 1. Abzug von Sachmitteln ............................................. 2. Finanzierung der Abfindung .....................................

456 456 456 459 460 463 466 468 471 471 475 477 478 482 483

.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

104 104 104 105 105 106 107 107 108 108 109 109 110 111 111

485 487 487 491 493 494 496 499 499 503 506 507 511 513 513 514

.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

111 111 111 113 113 113 114 114 114 116 116 116 117 118 118 118

II. III. IV. V. VI. B.

Fünfter Teil Prognoseverfahren .......................................................................... 517 .... 119 A. Phasenmethode ......................................................................... 517 .... 119 I. Allgemeines ....................................................................... 517 .... 119 XII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

II. Nähere Phase ..................................................................... 520 .... 119 III. Fernere Phase .................................................................... 521 .... 120 IV. Übergangsphase ................................................................ 526 .... 121 B. Mehrwertige Schätzungen ........................................................ 528 .... 122 I. Grundlage .......................................................................... 528 .... 122 II. Technik .............................................................................. 531 .... 122 C. Grenzen ..................................................................................... 537 .... 123 Sechster Teil Unternehmenswert und Steuern .................................................. 540 .... 125 A. Geschichte ................................................................................. I. Vorsteueransatz ................................................................. II. Nachsteueransatz .............................................................. 1. Wandel ........................................................................ 2. Gerichtspraxis ............................................................

540 540 544 544 554

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125 125 126 126 127

B.

556 556 556 561 569 573 574 574 577 579 579 581 582

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128 128 128 129 131 132 133 133 134 134 134 135 135

Einzelheiten .............................................................................. I. Typisierung ........................................................................ 1. Allgemeines ................................................................ 2. Unmittelbare vs. mittelbare Typisierung ................. 3. Anwendungsfälle ....................................................... 4. Anteilseigner im Ausland .......................................... II. Steuersätze ......................................................................... 1. Beteiligung an Kapitalgesellschaften ........................ 2. Beteiligung an Personengesellschaften ..................... 3. Ausschüttungsquote .................................................. a) Allgemeines ....................................................... b) Bestimmung ...................................................... c) Konsequenzen ...................................................

C. Intertemporale Regeln .............................................................. 588 .... 136 D. Abwägung ................................................................................. 594 .... 138 Siebter Teil Ausschüttungsquote ....................................................................... 602 .... 141 A. Bedeutung ................................................................................. 602 .... 141 B.

Höhe .......................................................................................... I. Nähere Phase ..................................................................... II. Fernere Phase .................................................................... 1. Ausgangslage .............................................................. 2. Vergangenheit ............................................................

608 608 609 609 610

.... .... .... .... ....

142 142 143 143 143

C. Beurteilung ................................................................................ 613 .... 144 D. Thesaurierte Überschüsse ........................................................ 619 .... 145 XIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

Achter Teil Kapitalisierung ................................................................................ 623 .... 149 A. Begriff ........................................................................................ 623 .... 149 B.

Arten ......................................................................................... 626 .... 149 I. Einstufige Nettokapitalisierung ....................................... 627 .... 149 II. Mehrstufige Bruttokapitalisierung ................................... 628 .... 149

C. Kapitalstruktur .......................................................................... 629 .... 150 D. Rentenformel ............................................................................ I. Begrenzte Lebensdauer ..................................................... II. Unbegrenzte Lebensdauer ................................................ 1. Grundlagen ................................................................ 2. Formel ........................................................................

631 632 635 636 637

.... .... .... .... ....

150 150 151 152 152

E.

639 640 642 645

.... .... .... ....

153 153 153 154

Ein Beispiel ................................................................................ I. Nähere Phase ..................................................................... II. Fernere Phase .................................................................... III. Schlussrechnung ................................................................

Neunter Teil Kapitalisierungszinssatz ................................................................. 649 .... 155 A. Zinsmacht .................................................................................. I. Zinsstruktur ....................................................................... II. 72er-Regel .......................................................................... III. „Ewige Rente“ ................................................................... IV. Phasenmethode ................................................................. B.

650 650 653 655 660

.... .... .... .... ....

155 155 155 156 156

Sorgfalt ...................................................................................... 665 .... 157

C. Alternativrendite ....................................................................... I. Grundlage .......................................................................... II. Anleihen ............................................................................. III. Aktienmarkt ......................................................................

668 669 671 677

.... .... .... ....

158 158 158 160

Zehnter Teil Basiszins ........................................................................................... 681 .... 161 A. Ausgangslage ............................................................................. 681 .... 161 B. Frühere Methode ...................................................................... I. Laufzeitäquivalenz ............................................................ II. Zinsprognose ..................................................................... III. Zinsentwicklung ................................................................

683 684 687 689

.... .... .... ....

161 161 162 162

C. Zinsstrukturkurve ..................................................................... 691 .... 163 I. Wechsel .............................................................................. 691 .... 163 II. Struktur .............................................................................. 695 .... 164 XIV

Inhaltsverzeichnis Rn.

III. IV. V. VI.

Formel ................................................................................ Verdichtung ....................................................................... Glättung ............................................................................. Rundung ............................................................................

703 705 708 710

Seite

.... .... .... ....

166 167 168 168

D. Begrenzte Lebensdauer ............................................................ 712 .... 169 E. Gleichbehandlung ..................................................................... 713 .... 169 F.

Interner Zins ............................................................................. 715 .... 169

Elfter Teil Risikolage ......................................................................................... 716 .... 171 A. Risikoscheu ............................................................................... 717 .... 171 B. Unterschiedliche Risiken ......................................................... 720 .... 172 C. Doppelerfassung ....................................................................... 725 .... 172 D. Stellungnahme ........................................................................... 736 .... 175 E.

Einzelheiten .............................................................................. I. Zinsmacht ......................................................................... II. Unsicherheit ..................................................................... III. Außergewöhnliche Risiken ............................................. IV. Politische Risiken ............................................................ V. Kapitalstruktur ................................................................. VI. Bestehen eines Unternehmensvertrags ........................... VII. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen ........................... VIII. Risiken und Chancen .......................................................

741 742 744 746 749 750 752 753 754

.... .... .... .... .... .... .... .... ....

176 176 176 177 177 178 178 178 178

Zwölfter Teil Risikozuschlag: Traditionelle Ermittlung ................................... 755 .... 179 A. Fremdkapitalzinsen .................................................................. 758 .... 179 I. Risikoanpassung ................................................................ 758 .... 179 II. Ermittlung ......................................................................... 760 .... 180 B. Verlässlichkeit ........................................................................... 761 .... 180 C. Risikoanteil ............................................................................... 762 .... 181 D. Anleihevergleich ....................................................................... 764 .... 181 E.

Verhältnis zum Basiszins .......................................................... 765 .... 182

F.

Verhältnis zum Überschuss ..................................................... 767 .... 182

G. Eigenkapitalisierung ................................................................. 770 .... 183 H. CAPM-Daten ........................................................................... 771 .... 183

XV

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

I.

Rating ........................................................................................ 772 .... 183

J.

Beispiele ..................................................................................... 773 .... 183

K. Unterschiedlicher Zuschlag ..................................................... 775 .... 184 L.

Schätzungsermessen ................................................................. 776 .... 184

Dreizehnter Teil Risikozuschlag: CAPM .................................................................. 780 .... 187 A. Grundlagen ............................................................................... I. Wende ................................................................................ II. Eigenart .............................................................................. III. Rückwirkung .....................................................................

781 782 794 801

.... .... .... ....

187 187 189 191

B.

Modellcharakter ........................................................................ I. Risikoscheuer Anleger ...................................................... II. Anlagehorizont ................................................................. III. Vollkommener Markt ....................................................... IV. Bewertung ..........................................................................

802 803 809 812 818

.... .... .... .... ....

191 191 192 193 195

C. Probleme der praktischen Anwendung ................................... I. Marktrendite ...................................................................... 1. Allgemeines ................................................................ 2. Aktienindex ................................................................ 3. Betrachtungsperiode .................................................. 4. „Arithmetisches“ vs. „geometrisches“ Mittel .......... 5. Zukunftsbezug ........................................................... a) Allgemeines ....................................................... b) Finanzkrise 2008 ............................................... c) Niedrigzinsphase .............................................. 6. Fragen ......................................................................... II. Risikoloser Zinssatz .......................................................... III. Betafaktor .......................................................................... 1. Allgemeines ................................................................ 2. Ermittlung .................................................................. 3. Raw Beta ..................................................................... 4. Adjusted Beta ............................................................. 5. Total Beta ................................................................... 6. Levered Beta/Unlevered Beta ................................... a) Allgemeines ....................................................... b) Berechnung ........................................................ c) Umfang des Fremdkapitals .............................. 7. Ausländische Betafaktoren ........................................ 8. Zukunftsbetas ............................................................ 9. Belastbarkeit ...............................................................

825 826 826 828 832 840 854 854 855 861 866 868 873 873 877 881 887 889 894 894 897 900 903 907 908

.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

196 197 197 197 198 200 203 203 203 204 206 206 207 207 208 209 210 211 212 212 212 213 214 214 215

XVI

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

IV. Peer Group ........................................................................ 1. Allgemeines ................................................................ 2. Vergleichbarkeit ......................................................... 3. Squeeze-out ................................................................ 4. Fazit ............................................................................

912 912 914 916 918

.... .... .... .... ....

216 216 216 217 218

D. Rechtsprechung ........................................................................ I. CAPM ................................................................................ II. Betafaktoren ...................................................................... III. Finanzkrise 2008 ...............................................................

923 923 932 935

.... .... .... ....

219 219 221 222

Würdigung ................................................................................ 943 I. Parteienbezogenheit .......................................................... 948 II. Alternativrendite ............................................................... 950 III. Wechselbeziehung ............................................................. 954 IV. Markteffizienz ................................................................... 956 1. Grundlagen ................................................................ 957 2. Skepsis ........................................................................ 959 a) unvollkommene Informationen ....................... 962 b) Beeinflussung von Unternehmenswerten durch Bilanzpolitik ........................................... 965 c) Blasenbildung .................................................... 970 V. Unternehmensrisiko/Anteilsrisiko ................................ 973 VI. Doppelter Ansatz ............................................................ 981 VII. Quotaler Wert/Anteilswert ............................................ 983 VIII. Technische Aspekte ........................................................ 989 IX. Ergebnis ........................................................................... 992 1. Modellvertrauen ......................................................... 992 2. Komplexität ............................................................. 1001

.... .... .... .... .... .... .... ....

224 225 225 226 227 227 227 228

.... .... .... .... .... .... .... .... ....

229 230 231 232 233 234 234 234 236

Rechtsvergleichung: USA ...................................................... I. Vergleichung der Normwerte ......................................... II. Parteigutachter ................................................................ III. Richter ............................................................................. IV. Interkulturelles Unternehmensrecht .............................

1003 1004 1008 1013 1015

.... .... .... .... ....

237 237 238 239 239

G. Alternativen ............................................................................ I. Arbitrage Pricing Theory ................................................ II. Modell der impliziten Kapitalkosten ............................. III. Dividend Discount Model .............................................. IV. § 203 Abs. 1 BewG ..........................................................

1016 1016 1020 1022 1024

.... .... .... .... ....

240 240 240 241 241

E.

F.

Vierzehnter Teil Nachsteuer – Capital Asset Pricing Model (Tax-CAPM) ........ 1029 .... 243 A. Überblick ................................................................................ 1029 .... 243 B.

Konsequenzen ......................................................................... 1037 .... 245

XVII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

C. Höhe des Risikozuschlags ...................................................... 1043 .... 247 I. Historische Entwicklung ................................................ 1043 .... 247 II. Spannweiten ..................................................................... 1054 .... 250 D. Rechtsprechung ...................................................................... 1057 .... 251 E.

Abwägung ............................................................................... 1062 .... 253

Fünfzehnter Teil Weitere Zuschläge ......................................................................... 1067 .... 255 A. Auslandsrisiko ........................................................................ I. Allgemeines ..................................................................... II. Unternehmen im Ausland .............................................. III. Unternehmen mit Auslandsgeschäft ............................. IV. Rechtsprechung ...............................................................

1067 1067 1070 1077 1078

.... .... .... .... ....

255 255 256 257 257

B. Immobilitätszuschlag ............................................................. 1079 .... 258 I. Veräußerungsbeschränkungen ....................................... 1079 .... 258 II. Zugang zum Kapitalmarkt .............................................. 1081 .... 259 C. Unternehmerische Mitbestimmung ...................................... 1090 .... 260 Sechzehnter Teil Wachstumsabschlag ...................................................................... 1091 .... 261 A. Grundlagen ............................................................................. 1091 .... 261 B.

Einzelheiten ............................................................................ I. Nominales Wachstum ..................................................... II. Reales Wachstum ............................................................ III. Thesaurierungsbedingtes Wachstum ............................. IV. Zusammenhänge .............................................................

1099 1099 1107 1110 1113

.... .... .... .... ....

262 262 265 265 266

C. Rechtsprechung ...................................................................... 1115 .... 267 Siebzehnter Teil Verfahren der Nettokapitalisierung ........................................... 1121 .... 269 A. Grundlagen ............................................................................. 1121 .... 269 B.

Zahlenbasis .............................................................................. I. HGB-Zahlen vs. IFRS-Zahlen ........................................ II. Ermittlung der finanziellen Überschüsse ...................... 1. Verfahren .................................................................. 2. Einzelheiten ............................................................. a) Reinvestitionsrate ........................................... b) Finanzplanung ................................................. c) Ausschüttungssperren ....................................

XVIII

1124 1124 1127 1127 1131 1131 1134 1136

.... .... .... .... .... .... .... ....

269 269 270 270 271 271 272 272

Inhaltsverzeichnis Rn.

C. Kapitalisierungszins ................................................................ I. Grundsatz ........................................................................ II. Verschuldungsgrad .......................................................... III. Finanzierungsstrategien ..................................................

1137 1137 1139 1147

Seite

.... .... .... ....

273 273 273 275

Achtzehnter Teil Verfahren der Bruttokapitalisierung .......................................... 1149 .... 277 A. Überblick ................................................................................ 1149 .... 277 B.

Zahlenbasis .............................................................................. I. Free Cashflows ................................................................ II. Marktwert des Fremdkapitals ......................................... III. Nachsteuerbetrachtung ..................................................

1152 1152 1156 1161

.... .... .... ....

277 277 278 279

C. Kapitalisierung ........................................................................ 1162 .... 279 I. WACC-Ansatz ................................................................ 1162 .... 279 II. Konzept der angepassten Barwertformeln (APV-Ansatz) ................................................................. 1170 .... 281 D. Kritik ....................................................................................... 1175 .... 283 Neunzehnter Teil Nicht betriebsnotwendiges (neutrales) Vermögen ................... 1178 .... 285 A. Begriff ...................................................................................... 1179 .... 285 B.

Bewertung ............................................................................... 1186 .... 286

C. Einzelfälle ................................................................................ I. Grundstücke .................................................................... II. Beteiligungen ................................................................... III. Liquide Mittel .................................................................. IV. Forderungen .................................................................... V. Verlustvortrag ................................................................. VI. Schulden und Rückstellungen ........................................

1190 1190 1194 1197 1198 1200 1204

.... .... .... .... .... .... ....

287 287 288 289 289 289 290

Zwanzigster Teil Vergleichswerte/Multiplikatorverfahren ................................... 1205 .... 291 A. Einführung .............................................................................. 1205 .... 291 B. Eigene Anteilspreise ............................................................... 1206 .... 291 C. Vergleichsunternehmen ......................................................... 1212 .... 292 D. Multiplikatorverfahren ........................................................... I. Grundlagen ...................................................................... II. Verfahren ......................................................................... III. Kritik ................................................................................

1213 1213 1215 1218

.... .... .... ....

293 293 294 294

XIX

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

Einundzwanzigster Teil Börsenwert ..................................................................................... 1222 .... 297 A. Grundlagen ............................................................................. 1222 .... 297 B. Sonderfall Verschmelzung ..................................................... 1234 .... 300 C. Gesetzlich geregelte Fälle ....................................................... 1242 .... 302 D. Nur die Börse zählt? ............................................................... I. Börsenkursberechnung ................................................... 1. Stichtagskurs ............................................................ 2. Bezugszeitraum ........................................................ a) Dauer ............................................................... b) Zeitpunkt ......................................................... II. Marktenge ........................................................................ III. Marktgeschehen .............................................................. IV. Mehrere Börsenplätze .....................................................

1244 1247 1247 1249 1249 1251 1260 1268 1270

.... .... .... .... .... .... .... .... ....

303 304 304 304 304 305 307 309 309

E. Erwerb außerhalb der Börse ................................................... 1271 .... 310 F.

Börsenkurs und IDW S 1 2005/2008 ..................................... 1276 .... 311

G. Stellungnahme ......................................................................... I. Kurzfristiger Anlagehorizont ......................................... II. Börseneffizienz ................................................................ III. „Effektive Informationsbewertung“ .............................. IV. Zeichenwirkung ............................................................... V. Ergebnis ...........................................................................

1279 1283 1285 1289 1293 1294

.... .... .... .... .... ....

311 312 312 313 314 314

Zweiundzwanzigster Teil Liquidationswert ........................................................................... 1296 .... 315 A. Allgemeines ............................................................................. 1296 .... 315 B.

Untergrenze ............................................................................ 1300 .... 315

C. Einzelheiten ............................................................................ 1305 .... 317 Dreiundzwanzigster Teil Besonderheiten einzelner Unternehmen ................................... 1308 .... 319 A. Junge Unternehmen ............................................................... 1309 .... 319 B.

Wachstumsstarke Unternehmen ........................................... 1313 .... 320

C. Ertragsschwache Unternehmen/Bewertung in der Krise ..... 1315 .... 321 D. Kleine und mittelgroße Unternehmen .................................. I. Überblick ......................................................................... II. Besonderheiten der Bewertung ...................................... 1. Informationen .......................................................... XX

1322 1323 1325 1326

.... .... .... ....

322 322 323 323

Inhaltsverzeichnis Rn.

2. Personalstruktur ...................................................... 3. Risikoaspekte ........................................................... 4. Vermögensabgrenzung ............................................ III. Kapitalisierung .................................................................

1327 1329 1333 1334

Seite

.... .... .... ....

323 323 324 325

E. Vorgesellschaften .................................................................... 1335 .... 325 F.

Öffentliche Unternehmen ..................................................... 1337 .... 326

G. Freiberufliche Praxen ............................................................. 1340 .... 326 Vierundzwanzigster Teil Substanzwert ................................................................................. 1343 .... 329 Fünfundzwanzigster Teil Konzernbewertung ....................................................................... 1346 .... 331 A. Allgemeines ............................................................................. 1346 .... 331 B. Bewertungsmethode ............................................................... 1350 .... 331 C. Verfahren ................................................................................ 1353 .... 332 D. Wertansätze ............................................................................. 1354 .... 332 Sechsundzwanzigster Teil Anteilsbewertung .......................................................................... 1355 .... 333 A. Ausgangslage ........................................................................... 1355 .... 333 B. Abschlag/Zuschlag ................................................................. 1359 .... 333 C. Niedriger/Höherer Wert für Übernehmer ........................... 1363 .... 334 D. Kosten des Ausscheidens/der Wiederanlage ......................... 1364 .... 334 Siebenundzwanzigster Teil Atypische Anteile ......................................................................... 1365 .... 335 A. Problem ................................................................................... 1365 .... 335 B.

Methode .................................................................................. 1366 .... 335

C. Gleichbehandlung ................................................................... 1367 .... 335 D. Gleiche Beschränkungen ........................................................ 1368 .... 335 E.

Mehrstimmrechte ................................................................... 1370 .... 336

F.

Stammaktien/Vorzugsaktien ................................................. 1371 .... 336 I. Stammaktien .................................................................... 1371 .... 336 II. Vorzugsaktien ................................................................. 1373 .... 336

G. Vinkulierte Namensaktien ..................................................... 1375 .... 337 XXI

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

H. Nicht notierte Aktien ............................................................. 1377 .... 337 I.

Eigene Aktien ......................................................................... 1378 .... 338

J.

Abweichender Verteilungsschlüssel ...................................... 1379 .... 338

K. Abfindungsbeschränkungen .................................................. 1380 .... 338 L.

Unterschiedliche Liquidationserlöse ..................................... 1381 .... 338

Achtundzwanzigster Teil Unternehmensbewertung im Bilanzrecht ................................. 1383 .... 339 A. Einführung .............................................................................. 1383 .... 339 B. Einzelabschluss ....................................................................... I. Beteiligung ....................................................................... 1. Grundlagen .............................................................. 2. Anwendbare Verfahren ........................................... 3. Subjektiver Wert ...................................................... 4. Objektivierter Wert ................................................. II. Geschäfts- oder Firmenwert ...........................................

1386 1388 1388 1392 1393 1397 1401

.... .... .... .... .... .... ....

339 340 340 341 341 342 343

C. HGB-Konzernabschluss ........................................................ 1405 .... 344 D. IFRS-Konzernabschluss ......................................................... I. Grundlagen ...................................................................... II. Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts .................... III. Bestimmung des Nutzungswertes .................................. IV. Kapitalkosten ...................................................................

1408 1408 1413 1414 1416

.... .... .... .... ....

344 344 345 346 346

Neunundzwanzigster Teil Steuerrecht ..................................................................................... 1417 .... 347 A. Gemeiner Wert ....................................................................... I. Grundlagen ...................................................................... II. Vereinfachtes Ertragswertverfahren .............................. III. Ausländische Gesellschaften .......................................... IV. Diskussionserweiterung .................................................. B.

1418 1418 1424 1427 1429

.... .... .... .... ....

347 347 349 350 351

Teilwert ................................................................................... 1431 .... 351 I. Allgemeines ..................................................................... 1431 .... 351 II. Anwendung von IDW-Standards ................................... 1435 .... 352

C. Fremdvergleichspreise ............................................................ 1436 .... 352 D. Ergebnis ................................................................................... 1441 .... 353 Dreißigster Teil Internationale Unternehmensbewertung .................................. 1443 .... 355 A. Ausgangslage ........................................................................... 1444 .... 355 B.

Problem ................................................................................... 1449 .... 356

XXII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

C. Abfindung ............................................................................... I. Internationales Gesellschaftsrecht ................................. II. Internationale Zuständigkeit .......................................... III. Bilanzrecht ....................................................................... 1. Komplexität ............................................................. 2. Anwendbares Recht ................................................. 3. Gutachter ................................................................. 4. Kulturunterschiede ..................................................

1452 1452 1455 1456 1456 1458 1460 1461

.... .... .... .... .... .... .... ....

357 357 358 358 358 358 359 359

D. Ausländische Töchter ............................................................. I. Auslandsrisiko ................................................................. II. Internationales Steuerrecht ............................................ III. Ausländische Anteilseigner ............................................

1462 1462 1463 1464

.... .... .... ....

359 359 360 360

E. Grenzüberschreitende Verschmelzung ................................. 1466 .... 360 I. Grundsatz ........................................................................ 1466 .... 360 II. Wertungsebene ................................................................ 1468 .... 360 Einunddreißigster Teil Abfindungsklauseln ...................................................................... 1470 .... 363 A. Allgemeines ............................................................................. 1470 .... 363 B.

Wirksamkeit ............................................................................ 1474 .... 363 I. Grundsätze ...................................................................... 1474 .... 363 II. Familiengesellschaften ................................................... 1477 .... 364

C. Folgen der Unwirksamkeit .................................................... 1478 .... 364 D. Einzelne Klauseln ................................................................... I. Buchwert der Handelsbilanz .......................................... II. Buchwert der Steuerbilanz .............................................. III. Teilwert/Einheitswert ..................................................... IV. Vereinfachtes Ertragswertverfahren .............................. V. Stuttgarter Verfahren ...................................................... VI. Zwei-Personen-Gesellschaft ...........................................

1479 1479 1482 1483 1484 1485 1487

.... .... .... .... .... .... ....

365 365 365 365 365 365 366

E. Neue Bewertungsregeln ......................................................... 1489 .... 366 I. Ausgangspunkt ................................................................ 1489 .... 366 II. Rückwirkung ................................................................... 1490 .... 366 F.

Stundung ................................................................................. 1495 .... 367

G. Verzinsung .............................................................................. 1496 .... 367 H. Verfahren ................................................................................ 1497 .... 367 Zweiunddreißigster Teil Schluss ............................................................................................ 1498 .... 369 Stichwortverzeichnis ................................................................................... 371 XXIII

Abkürzungsverzeichnis A. 2d a. A. a. F. a. a. O. a. E. Abl. EG Abl. EU Abs. Abschn. AG AktG Az. Am. J. Comp. Law Anm. AO APV arg. Art. AStG Aufl.

Atlantic Report, Second Series anderer Ansicht alte Fassung am angegebenen Ort am Ende Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Abschnitt Aktiengesellschaft (Jahr und Seite) Aktiengesetz Aktenzeichen American Journal of Comparative Law Anmerkung Abgabenordnung Adjusted Present Value argumentum Artikel Außensteuergesetz Auflage

BAG BAnz. BayObLG BB BewertungsPraktiker

Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater (Jahr und Seite) Bewertungsservice von Der Betrieb und der IACVA-Germany (Zeitschrift) Band Beschluss Betriebsverfassungsgesetz Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs (Band und Seite) Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Jahr und Seite) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (Teil, Jahr und Seite) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Band und Seite) Bundessteuerblatt (Teil, Jahr und Seite)

Bd. Beschl. BetrVerfG BewG BFH BFHE BFuP BGB BGBl. BGH BGHZ BStBl.

XXV

Abkürzungsverzeichnis

BVerfG BVerfGE bzgl. bzw.

Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band und Seite) bezüglich beziehungsweise

ca. CAPM

circa Capital Asset Pricing Model

d. h. DB Del. Diss. DM DR DRiG Drucks. DStR DStBl.

das heißt Der Betrieb (Jahr und Seite) Delaware Dissertation Deutsche Mark Deutsches Recht (Jahr und Seite) Deutsches Richtergesetz Drucksache Deutsches Steuerrecht (Jahr und Seite) Deutsches Steuerblatt (Jahr und Seite)

ebd. EDV EFG

ebenda Elektronische Daten-Verarbeitung Entscheidungen der Finanzgerichte (Jahr und Seite) Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch EG-Vertrag Erbschaftsteuerrichtlinien Einkommensteuer Einkommensteuergesetz Europäischer Gerichtshof eventuell Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Paragraph, Heft/Jahrgang, Seite) Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Jahr und Seite)

EG EGAktG EGBGB EGHGB EGV ErbStR Est EStG EuGH evtl. EWiR EWIV EWS

f./ff. FamRZ FAZ

XXVI

folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (Jahr und Seite) Frankfurter Allgemeine Zeitung

Abkürzungsverzeichnis

Finanz-Betrieb FG FGG FGO FG Praxis Fn. FN-IDW FS GAAP GenG GewSt GewStG GG GmbH GmbHG GmbHR GVG HansOLG Helaba HFA

Zeitschrift für Unternehmensfinanzierung und Finanzmanagement Finanzgericht Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (Jahr und Seite) Fußnote Fachnachrichten des Instituts der Wirtschaftsprüfer Festschrift Generally Accepted Accounting Principles Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Gewerbesteuer Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Jahr und Seite) Gerichtsverfassungsgesetz

Hrsg.

Hanseatisches Oberlandesgericht Landesbank Hessen-Thüringen Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Jahr und Seite) Handelsgesetzbuch Höchstrichterliche Rechtsprechung (Jahr und Seite) Herausgeber

IAS i. d. F. i. S. d. i. S. v. IDW IDW S IFRS InsO IStR i. V. m.

International Accounting Standards in der Fassung im Sinne der/des im Sinne von Institut der Wirtschaftsprüfer IDW Standard International Financial Reporting Standards Insolvenzordnung Internationales Steuerrecht (Jahr und Seite) in Verbindung mit

HFR HGB HRR

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

J JoF JuS JZ

Journal Journal of Finance Juristische Schulung (Jahr und Seite) Juristen-Zeitung (Jahr und Seite)

Kap. KfH KG KSt KStG

Kapitel Kammer für Handelssachen Kommanditgesellschaft; Kammergericht Körperschaftsteuer Körperschaftsteuergesetz

L. J. L. R. LG LPG

Law Journal Law Review Landgericht Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft

m. abl. Anm. m. Anm. m. w. N. Mio.

mit ablehnender Anmerkung mit Anmerkung(en) mit weiteren Nachweisen Million(en)

N. E. 2d n. F. NJW NJW-RR

NZZ

North Eastern Report, Second Series neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Jahr und Seite) Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Jahr und Seite) Neue Zürcher Zeitung

o. Ä. o. g. OHG OLG

oder Ähnlich(es) oben genannt Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht

p. a.

per annum

RA RabelsZ

Rechtsanwalt Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Regierungsentwurf Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Band und Seite)

Nr. NZG

RegE RG RGZ

XXVIII

Abkürzungsverzeichnis

RIW Rn. Rspr.

Recht der Internationalen Wirtschaft (Jahr und Seite) Randnummer Rechtsprechung

S. S. M. U. sog. SolZ SolZG SPE st. Respr. str. StuB

Seite Southern Methodist University sogenannte/r/s Solidaritätszuschlag Solidaritätszuschlagsgesetz Societas Privata Europaea ständige Rechtsprechung streitig Steuern und Bilanzen (Jahr und Seite)

Tax-CAPM typ. Tz.

Tax-Capital Asset Pricing Model typisiert Textziffer

u. a. U. S. u. U. UmwG Urt.

unter anderen, (-m); und andere United States unter Umständen Umwandlungsgesetz Urteil

v. vgl. VO

vom, von vergleiche Verordnung

WACC WM WP WPg WpHG WpÜG WuB

Weighted Average Cost of Capital Wertpapier-Mitteilungen (Jahr und Seite) Wirtschaftsprüfer Die Wirtschaftsprüfung (Jahr und Seite) Wertpapierhandelsgesetz Wertpapiererwebs- und Übernahmegesetz Wirtschafts- und Bankrecht

z. B. z. T. ZEV ZfB ZfbF

zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Betriebswirtschaft (Jahr und Seite) Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (Jahr und Seite) Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen (Jahr und Seite)

ZfgG

XXIX

Abkürzungsverzeichnis

ZGR ZHR ZIP zit. ZPO Zsteu ZVglRWiss

XXX

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Jahr und Seite) Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr und Seite) zitiert Zivilprozessordnung Zeitschrift für Steuern und Recht (Jahr und Seite) Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (Band, Jahr und Seite)

Literaturverzeichnis Aders Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform auf die Ertragswertmethode und objektivierte Unternehmenswerte, BewertungsPraktiker Nr. 1/2007, S. 2 Adolff Konkurrierende Bewertungssysteme bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ZHR 173 (2009), 67 Albrecht Asset Allocation und Zeithorizont, 1999 American Institute of Certified Public Accountants (AICPA) Statement on Standards for Valuation Services No. 1 – Valuation of a Business, Business Ownership Interest, Security or Intangible Asset, 2007 Angermayer-Michler/Oser Berücksichtigung von Synergieeffekten bei der Unternehmensbewertung, in: Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl., 2015, S. 977 Ariely Predictably Irrational. The Hidden Forces That Shape Our Decisions, New York, 2007 Auer Der Rückzug von der Börse als Methodenproblem, JZ 2015, 71 – 79 Authers The Fearful Rise of Markets, 2010 Bachl Freiräume und Grenzen des gutachterlichen Ermessens in der Unternehmensbewertung, in: FS Mandl, S. 27b Backhaus/Bonus Die Beschleunigungsfalle oder der Triumph der Schildkröte, 3. Aufl., 1998 Baetge Januskopf: DCF-Verfahren in der Unternehmensbewertung und in der Bilanzierung, BB 2005, Heft 30, 1 Baetge/Krause Die Berücksichtigung des Risikos in der Unternehmensbewertung, BFuP 1194, 450 f. Baetge/Niemeyer/Kümmel/Schulz Darstellung der Discounted Cashflow-Verfahren (DCF-Verfahren) mit Beispiel, in: Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 6. Aufl., 2015, S. 349 XXXI

Literaturverzeichnis

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LXIX

Erster Teil Recht und Unternehmensbewertung „Valuation is a rather inexact science.“1) „Valuation is an art rather than a science.“2)

1

A. Rechtsmaterie „Bilanz- und Bewertungsrecht sind elementar für die Rechtsordnung.“3)

2

I. Allgemeines Die hier behandelte Unternehmensbewertung sucht zwischen Partnern einer 3 rechtlichen Beziehung (Gesellschaftsvertrag, Satzung) potentielle Preise für Unternehmen und Anteile daran („parteienbezogener Wert“). Damit ist sie Teil der Jurisprudenz. Das zeigen viele gerichtliche Entscheidungen vor allem zu Ausgleichszahlungen und zu Abfindungen an ausscheidende Aktionäre. Auch das Bundesverfassungsgericht befasst sich wiederholt damit.4) Wir stoßen auf zwei Probleme: Der Kaufmann gibt für das Vergangene 4 „nichts“; deshalb ist die Unternehmensbewertung zukunftsbezogen. Wir müssen künftige Überschüsse schätzen; aber die Zukunft ist „dunkel“! Sodann müssen wir den Wert der Überschüsse zum Stichtag (Barwert) ermitteln. Dafür vergleichen wir sie mit Überschüssen aus einer anderen Anlage (z. B. mit Anleihen oder mit Aktien): „Bewerten heißt vergleichen.“ Doch jeder Vergleich „hinkt“! Wir betreten also ein zweifach unsicheres Feld. Der Ausdruck „Unternehmensbewertung“ klingt „betriebswirtschaftlich“ – 5 und in der Tat galt das Fach einmal als „Königsdisziplin“ der Betriebswirtschaft.5) Aber inzwischen haben sich die Gerichte der Sache angenommen und die Jurisprudenz neben die Betriebswirtschaft gestellt.6) Wir stoßen auf viele Rechtsfragen; Luttermann7) formuliert gar: „Bewertungsrecht bildet die Unternehmensverfassung.“ Die Unternehmensbewertung verlangt daher Zusammenarbeit zwischen Juristen und Betriebswirten. So beurteilt sich etwa die Frage nach der geeigneten Bewertungsmethode 6 nach der wirtschaftswissenschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Bewertungstheorie und -praxis; hingegen ist es eine Rechtsfrage, ob eine vom Tatrichter gewählte Bewertungsmethode oder ein innerhalb der Bewertungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen ___________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

Thompson Jr., Journal of Corporation Law 21 (1996), 457, 462. In Re Shell Oil Co., 607 A.2d 1213, 1221 (Delaware 1992). Luttermann, IPRax 2012, 55, 61. Vgl. etwa BVerfG, 11.7.2012, BVerfGE 132, 99 = NZG 2012, 826. Ebke, in: FS Karsten Schmidt, S. 289. Großfeld/Merkelbach, NZG 2008, 241. Luttermann, ZErb 2009, 77 f.

1

Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

widerspricht.8) Wir dürfen daher eine Bewertungsmethode, die wir einer Schätzung zugrunde legen wollen, nicht ungeprüft übernehmen.9) Erst recht darf das Gericht nicht etwa „sehenden Auges“ eine als unrichtig erkannte betriebswirtschaftliche Bewertungsmethode anwenden. 7 Unternehmensbewertung ist ein „Begegnungsfach“: „Wirtschaftliche Analyse des Rechts“ und „Rechtliche Analyse der Wirtschaft“ durchdringen sich; das stete Gespräch der Fächer miteinander ist unverzichtbar.10) Das verlangt eine beiderseits offene Sprache. 8 Der Satz „judex non calculat“11) („Der Richter rechnet nicht“) sollte Juristen nicht schrecken: Tatsachen gehen dem Rechnen voraus (für das man Finanzmathematiker heranziehen kann). In der richterlichen „Kunst“ („ars aequi et boni“ = „Kunsthandwerk des Angemessenen und Guten“) geht es zunächst darum, Sachverhalte zu erfassen und anschaulich darzustellen; bei ihnen mag die „Rechnerei“ ansetzen. Wirtschaftsdaten werden so zur Grundlage einer disziplinierten, fächerübergreifenden Unternehmensbewertung.12) 9 Danach beginnt eine methodisch geordnete Diskussion. Sach- und Rechtsfragen gehen ineinander über, doch gilt zuerst „da mihi facta, dabo tibi ius“ („Gib mir die Tatsachen, dann gebe ich Dir das Recht“).13) Gerhard Kegel ergänzte das sinngemäß mit „ein Gramm Tatsachen ist wichtiger als ein Kilo Jurisprudenz“.14) Außenseiterkontrolle im Sinne einer Plausibilität und richterliche Unabhängigkeit sind ebenfalls unersetzbar. II. Hilfen 1. IDW-Standards 10 Neben Gesetz und Rechtsprechung sind Verlautbarungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) wichtig. Im Zentrum steht der IDW-„Standard“: „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ (IDW S 1): Die letzte Fassung ist vom 2.4.2008 (IDW S 1 2008).15) Der „Standard“ ist keine Rechtsnorm, wird aber als vom Berufsstand der Wirtschaftsprüfer anerkannte Expertenauffassung bei Unternehmensbewertungen beachtet.16) Er enthält allgemeine Grundsätze; jede Bewertung verlangt indes eine eigene Lösung.17) ___________ 8) BGH, 12.1.2016 – II ZB 25/14, AG 2016, 359 = NZG 2016. 9) A. A. Steinle/Liebert/Katzenstein, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, § 24 Rn. 103, 105, 142. 10) Großfeld, 36 Wake Forest L. Rev. 167 (2001), S. 169 ff. 11) In Wahrheit gewährt er Schätzungsermessen, zum Hintergrund Heintzen, in: FS Kruschwitz, S. 21. 12) Dazu Großfeld/Merkelbach, NZG 2008, 241. 13) Großfeld/Frantzmann, in: FS Beuthien, S. 155. 14) Diskussionsbeitrag, in: Unsere Sprache: Die Sicht des Juristen, S. 48. 15) FN-IDW 2008, 271. 16) OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. 17) IDW S 1 2008 Tz. 1.

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A. Rechtsmaterie

Die Neufassung 2008 gilt seit dem 7.7.2007. Sie behandelt vor allem die Aus- 11 wirkungen der Unternehmenssteuerreform seit 1.1.2009 (Abgeltungsteuer). Im Allgemeinen werden wir danach zitieren (IDW S 1 2008). Für das Bilanzrecht sei verwiesen auf die IDW-Stellungnahme zur Rech- 12 nungslegung: „Anwendung der Grundsätze des IDW S 1 bei der Bewertung von Beteiligungen und sonstigen Unternehmensanteilen für die Zwecke eines handelsrechtlichen Jahresabschlusses“ (IDW RS HFA 10).18) Die Bewertung immaterieller Vermögenswerte behandelt der Standard „Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte“ (IDW S 5).19) 2. Institut der Wirtschaftsprüfer Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) ist ein privater Verein, dem rund 13 80 % der Wirtschaftsprüfer angehören.20) Seine Empfehlungen, „Standards“, spiegeln die Berufsauffassung dieses Kreises und leiten dessen Arbeit – auch zur Absicherung gegen eine Haftung. Wie schon erwähnt, sind die Standards keine Rechtsnormen; sie sind nicht allgemein verbindlich, wirken aber tief in die Praxis hinein und fließen ein in die Beratungen der Gerichte.21) Emmerich sieht dies kritisch und fragt, ob Wirtschaftsprüfer hier nicht als Ersatzgesetzgeber agierten.22) Unternehmensbewertung in den hier behandelten Fällen hat infolge seiner Konzentrationsrelevanz hohe sozialpolitische Bedeutung. Die Regeln dafür sind weit mehr als die Konvention eines Berufsstandes; sie müssen dem Recht folgen. Wir dürfen sie nicht ungeprüft anwenden. Der Gutachter ist vor Gericht nicht an die Standards gebunden. III. Bilanzrecht Die Unternehmensbewertung erobert auch das Bilanzrecht.23) Das bewirken 14 vor allem die International Financial Reporting Standards/International Accounting Standards (IFRS/IAS).24) Sie sind das Europäische Bilanzrecht (bei uns noch begrenzt auf Konzernabschlüsse – § 315a HGB) und als solche Kern des modernen Unternehmensrechts.25) Danach ist vielfach der Fair Value (Zeitwert) für Tochterunternehmen anzugeben (IFRS 3/IAS 36). Solche Vorstellungen dringen auch ein in das Recht des Einzelabschlusses. 15 Für das Bilanzrecht des Handelsgesetzbuchs liegt vor die IDW-Stellung___________ 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24) 25)

FN-IDW 2005, 718; FN-IDW 1/2012, 24. FN-IDW 7/2011, 467; FN-IDW 8/2015, 447. Vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 52. Vgl. OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. Emmerich, EWeRK 2016, 153. Zu Einzelheiten siehe Rn. 1383. Großfeld/Tönnes, NZG 2010, 921; Großfeld, in: Ebke/Elsing/Großfeld/Kühne, S. 217. Großfeld, in: Liber Amicorum Roberto MacLean, S. 143.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

nahme zur Rechnungslegung: „Anwendung der Grundsätze des IDW S 1 bei der Bewertung von Beteiligungen und sonstigen Unternehmensanteilen für die Zwecke eines handelsrechtlichen Jahresabschlusses“ (IDW RS HFA 10).26) 16 Ein weltweites Bilanzrecht deutet sich an. Damit entstehen „globale“ Bewertungen; die Unternehmensbewertung erhält internationale Dimensionen. Die Einbettung in die jeweilige lokale Kultur wird zu einem zentralen Thema.27) IV. Mathematik “When I heard the learn’d astronomer,

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When the proofs, the figures, were ranged in columns before me, When I was shown the charts and diagrams, to add, divide, and measure them, When I sitting heard the astronomer where he lectured with much applause in the lecture-room, How soon unaccountable I became tired and sick”.28)

1. Zahlenwelt 18 Die Unternehmensbewertung setzt an bei der Rechnungslegung, also bei Zahlen.29) Deshalb hat sie mit Mathematik zu tun, einem Zeichenmodell, das Juristen nicht vertraut sein mag; sie können sich aber im hier notwendigen Umfang einarbeiten. Die betriebswirtschaftliche Literatur „glänzt“ zunehmend mit mathematischen Formeln, Indizes oder IT-gestützter kleinteiliger Berechnung. Unternehmensbewertung wird so leicht zu einem von außen schwer überschaubaren Feld für „Insider“ und deren „Rechnerlogik“. 19 Eine mathematische „Rhetorik“ unter Berufung auf „vollkommene Märkte“ und gleiche Informationen aller Beteiligten30) tut es indes nicht; stets kommt es zuerst an auf die tatsächlichen Voraussetzungen:31) „Zahlen beweisen gar nichts! Sie sind nichtssagende Quantitäten, die anhand des internationalen Umfeldes im Einzelfall qualifiziert erläutert werden müssen.“32)

20 Zahlen vermitteln oft die Fiktion der Nachprüfbarkeit und wirken daher als vertrauenswürdig. Wir müssen uns aber hüten vor dem „delusional impact of numbers“,33) vor einer „Dompteursprache“,34) vor einer „Vertechnisierung“.35) ___________ 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32)

FN-IDW 2005, 718; FN-IDW 1/2012, 24. Großfeld, in: FS Koresuke Yamauchi, S. 123. Walt Whitman, 1819 – 1892. Vgl. zum Ganzen Großfeld, Zeichen und Zahlen im Recht. Dazu Großfeld/Heppe, Law and Business Review of the Americas 15 (2009), 713. Großfeld/Frantzmann, in: FS Beuthien, S. 155. Luttermann, Anmerkung, JZ 2003, 417, 419; vgl. Bernau, FA Sonntagszeitung v. 3.5.2009, S. 51. 33) Carrington, J. of Legal Education 53 (2003), 301, 302. 34) Dieter Schneider, in: FS Dieter Rückle, S. 67, 80. 35) Hommel, Anmerkung, BB 2008, 1056.

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A. Rechtsmaterie

Zahlen vermitteln den Eindruck von Objektivierung („safety in numbers“); sie können einen „Zeichenvorsprung“ begründen und subjektive Wertungen „verdecken“ („Psychologie der Zahlen“). Leicht bleibt unklar, wo Mathematik aufhört und Meinung anfängt. Entscheidend sind stets die Eingabedaten und die Prämissen, die zuerst auf Tatsachen beruhen sollten, nicht auf Modellen. Eine Kontrolle von außen muss möglich bleiben; sonst läuft das Recht leer. Das wird zu einem zentralen Problem:

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„One of the greatest misconceptions with respect to financial information held by users (and judges) is that because financial statements contain numbers, they have a degree of accuracy that is equivalent to the mathematical precision of 2 + 2. The fact is that the presence of ‘numbers’ overstates the degree of accuracy that is present in financial information. Almost every facet of a financial statement involves some element of judgment (inherent in which is some predictive requirement) as to which reasonable minds can differ. Whether it be the need for and the amount of reserve for debts or the value (and obsolescence) of unsold inventory, judgements must constantly be made which, with the ‘wisdom’ of hindsight, will rarely ever turn to be exactly accurate.“36)

Logisch erscheinende Schlüsse sind verführerisch; sie sind oft aus „Modellen“ 22 abgeleitet, deren (unsichere?) Voraussetzungen zu klären sind.37) Die von Gerichten zu beurteilenden Sachverhalte („organisiertes Chaos“) „kümmern“ sich indes wenig um Logik und um Modelle. Der große amerikanische Jurist Oliver Wendell Holmes (1841 – 1935) sagte: “You can give any conclusion a logical form”.38) Der Eleganz mathematischer Modelle ist daher mit Vorsicht zu begegnen:39) 23 Die Wirklichkeit der Wertbildung ist nicht elegant; ein Unternehmenswert lässt sich nicht „punktgenau“ festlegen.40) „Die Welt bleibt unberechenbar“; Formeln geben nur wertvolle „partielle Hilfe“.41) Modelldenken kann zu einem „Gitter“ für „Experten“ werden; es kommt im Recht bald an Grenzen.42) Wir können allenfalls einen Zustand „mittlerer Zufriedenheit“ erreichen, vielleicht auch nur „mittlerer Unzufriedenheit“. Unternehmensbewertung muss beginnen mit einer sorgfältigen Analyse der 24 „Verhältnisse“ des Unternehmens. Es kommt an auf dessen „bisherige Ertragslage“ (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG, § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG) und „künftige Ertragsaussichten“ (§ 304 Abs. 2 Satz 1 AktG). Von dort entfaltet sich die Dynamik, von daher öffnen sich marktorientierte und mathematische Muster, ___________ 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42)

Ligio, Wirtschaftsprüferkammer Mitteilungen, Juni 1997, S. 139. Großfeld, Zeichen und Zahlen im Recht. Oliver Wendell Holmes, Jr., in: The Holmes Reader (Julius Marke ed.), S. 69. Ausführlich dazu Kruschwitz/Löffler, WPg 2008, 803. Vgl. BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. Kuri, Die Welt bleibt unberechenbar, FAZ v. 4.6.2010 Nr. 126, S. 36. Dobelli, Warum vermutlich auch Sie Ihr Wissen systematisch überschätzen, FAZ Nr. 218 v. 26.9.2010, S. 29.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

erwächst auch die Disziplin für die „Einbettung“ in „Modelle“ und Methoden. Angesichts der so stets mitgedachten Unsicherheiten muss die Bewertung diskussionsoffen bleiben; das verlangt ein Bild der „tatsächlichen Verhältnisse“ (vgl. $§§ 264 Abs. 2 Satz 1, 297 Abs. 2 Satz 2 HGB) und eine Plausibilität vermittelnde Sprache.43) 2. Schätzungsfreiheit „Durch das Einfache geht der Eingang zur Wahrheit.“44)

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26 Die anfänglich erhoffte Sicherheit bei der Anwendung von „wissenschaftlichen“ Formeln erwies sich als trügerisch; ein „Königsweg“ fehlt.45) Auch einen „wahren“ Unternehmenswert gibt es nicht; er lässt sich „mathematisch“ nicht feststellen.46) 27 Unternehmensbewertung ist keine exakte Wissenschaft; sie ist ein mit vielen „Unsicherheiten, Fiktionen und Wertungen versehener Denkweg“47) – also „Jurisprudenz“ (= „Rechtsklugheit“) im besten Sinne. Die Verfahren dafür sind keine „Algorithmen“ (in sich geschlossene Rechenformeln), sondern Anweisungen zu einer disziplinierten Diskussion um einen akzeptablen Kompromiss. Antworten heißt Herantasten. 28 Eine vollständige Kenntnis der entscheidenden Daten fehlt zumeist; das setzt der „Rationalität“ Grenzen. Immer bleibt eine Bandbreite: Geringfügige Unterschiede in den Bewertungen sind hinzunehmen.48) Eine Differenz von 1,5 % zwischen Gutachtern ist kein Anlass für ein weiteres Gutachten.49) Das OLG Frankfurt50) geht von 5 % aus; gelegentlich werden 7 %51) oder 10 % als hinnehmbare Differenzen genannt.52) 29 Im Übrigen muss das Gericht den Wert „schätzen“ (vgl. § 738 Abs. 2 BGB, § 260 Abs. 2 Satz 3 AktG). Die mit den jeweiligen Methoden ermittelten Werte sind nur „einem Vertretbarkeitsurteil zugänglich“53) und bieten nur „einen An___________ 43) 44) 45) 46) 47) 48)

49) 50) 51) 52) 53)

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Vgl. zum Ganzen Großfeld, Bildhaftes Rechtsdenken. Georg Christoph Lichtenberg, 1742 – 1799. Barthel, DB 2011, 719. BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035; BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. LG Dortmund, 1.4.2004, NZG 2004, 723; LG Frankfurt, 13.6.2006, NZG 2006, 868. BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035; OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 797 = NZG 2012, 1260; OLG Karlsruhe, 22.6.2015, AG 2015, 789 = NZG 2015, 915. OLG München, 14.5.2007, AG 2007, 701 = FGPrax 2007, 197. OLG Frankfurt, 29.1.2016, ZIP 2016, 716. OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883. OLG Frankfurt, 26.1.2015, AG 2015, 504 = Der Konzern 2015, 378; OLG Stuttgart, 19.1.2011, AG 2011, 205. LG Frankfurt, 16.12.2014, AG 2015, 409 = NZG 2015, 635; OLG Stuttgart, 8.7.2011, AG 2011, 795.

A. Rechtsmaterie

haltspunkt für die Schätzung des Verkehrswertes“.54) Das Gericht entscheidet nach „freier Überzeugung“ (§ 287 Abs. 2 ZPO, § 260 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 17 Abs. 1 SpruchG i. V. m. § 37 Abs. 1 FamFG).55) Das ist mehr als eine Billigkeitskontrolle; vielmehr sind die einzelnen Parameter rechtlich zu bewerten und festzulegen. Die Schätzung ist als Rechtsfrage „Sache des Gerichts“, nicht des Gutachters. Daher dürfen wir ein Berechnungsmodell nicht ungeprüft übernehmen. Auch 30 wenn eine Bewertungsmethode „in der Wirtschaftswissenschaft anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist“, muss sich das Gericht davon überzeugen, dass die Methode sachgerecht ist.56) Eine übliche oder gebräuchliche Methode kann fehlerhaft sein. Eine als fehlerhaft erkannte Methode kann nicht den „wahren Unternehmenswert“ und eine angemessene Abfindung ermitteln. So hat auch der Bundesgerichtshof den über mehrere Jahre als „anerkannt und gebräuchlichen“ IDW S 1 2000 in der Sache überprüft, bei dem Standard „Unzulänglichkeiten“ gesehen und daher dann im Ergebnis auf den späteren IDW S 1 2005 abgestellt.57) Aufwand und Länge des Spruchverfahrens, teilweise mehr als zehn Jahre, 31 müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen zum Erkenntnisgewinn. So kann ein Spruchverfahren sich etwa allein dadurch verlängern, wenn der Unternehmenswert anhand eines erst nach dem Bewertungsstichtag geänderten Bewertungsstandards ermittelt wird.58) Wegen objektiver Ungenauigkeiten und subjektiver Einschätzung existiert 32 eine Bandbreite angemessener Bewertung (Bewertungsspielraum).59) Dabei ist auch zu bedenken, dass in der Rechtsprechung unterschiedliche Ansichten vertreten werden:60) Es gibt einen „großen Spielraum vertretbarer Annahmen“.61) Das Gericht muss hieraus einen Wert festsetzen, der angesichts der Unsicherheiten als plausibel erscheint. Insofern ist richtig: „Judex non calculat“! Immer bleibt ein „Balanceakt zwischen Rationalität und Intuition“.62) „Schätzen“ ist mehr als ein „Dürfen“, es ist auch ein „Sollen“: Das Gericht 33 „entscheidet“ als Träger öffentlichen Vertrauens. Wir dürfen uns der Macht ___________ 54) OLG Stuttgart, 8.7.2011, AG 2011, 795. 55) OLG Stuttgart, 1.4.2014, BeckRS 2014, 20592; OLG Düsseldorf, 12.12.2012, AG 2013, 226 = NZG 2013, 304. 56) A. A. aber anscheinend OLG Stuttgart, 17.7.2014, AG 2015, 580; Steinle/Liebert/ Katzenstein, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, § 24 Rn. 103, 105, 142. 57) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. 58) Vgl. BGH, 29.9.2015, AG 201106, 135 = DStR 2016, 424; OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. 59) BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035. 60) OLG Stuttgart, 3.4.2012, BeckRS 2012, 08486. 61) OLG Frankfurt, 20.2.2012, AG 2013, 647 = NZG 2013, 69; Lauber, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 28 Rn. 27. 62) Kruschwitz/Löffler/Sloane, in: FS Mandl, S. 365, Siegel, in: FS Mandl, S. 609.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

von Zeichensystemen nicht ausliefern und müssen Komplexität handhabbar halten.63) Die „Zahlensicherheit“ nimmt ab. Die Finanzkrise 2008 hat gezeigt: Es wird immer wichtiger, zu plausibilisieren.64) 34 Dieses Ethos verlangt plausible Vereinfachungen, die den Parteien und der Öffentlichkeit einsichtig sind. Das richterliche Ermessen darf nicht gepresst werden in das Zeichenkorsett anderer – evtl. heimlich Interessierter. Das stellt zugleich Ansprüche an die Nutzung des Freiraums durch eigene Urteilsbildung.65) Tatsachen gehen allen Modellen vor! 3. Juristenstrategie „Ob der rechte Rechtsverstand je sei worden wem bekannt, ist zu zweifeln: allem Meinen will stets was zuwider scheinen. Ist also, was zweifelhaft, schwerlich eine Wissenschaft.“66)

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36 Wir Juristen schrecken vor Mathematik nicht zurück, konzentrieren uns aber auf die Voraussetzungen der jeweiligen Formeln und prüfen deren Bezug zur Realität. Bei Feinheiten der Rechenformeln können wir uns zumeist auf Finanzmathematiker, Statistiker und die Deutsche Bundesbank bzw. die Europäische Zentralbank verlassen. Wir müssen aber die „Glaubensgrundlagen“, die „Sensitivitäten“ durchleuchten, Scheingenauigkeiten erkennen und plausible Erläuterungen einfordern. Nur Disziplin und Nähe zum jeweiligen Sachverhalt schützen vor einer „Beliebigkeit der Bewertung“.67) 37 Wir verbleiben nicht bei Zahlensymbolen (die oft nicht standardisiert sind), sondern lassen uns die Formeln in den Grundlagen wörtlich erläutern (von Angesicht zu Angesicht) und an einem Beispiel mit konkreten Zahlen vorführen. Das erspart eine Übersetzung und erlaubt „selbst“ dem Juristen eine Plausibilitätskontrolle. Er kann durch Fragen nach den Grundlagen und durch das Bestehen auf konkreten Zahlen weiter kommen, als es zunächst scheinen mag. V. Empfängerhorizont 38 Wie der Jurist schon im ersten Semester lernt (BGB Allgemeiner Teil), entscheidet im Recht der „Empfängerhorizont“. So auch hier: „Es mangelt aber an der Professionalität, wenn Algorithmen verwendet werden, die für den Adressaten nicht oder nur schwer nachvollziehbar sind bzw. die

___________ 63) 64) 65) 66) 67)

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Ballwieser, Unternehmensbewertung und Komplexitätsreduktion. Großfeld/Tönnes, NZG 2010, 921. Vgl. Diederichsen, in: Classen/Mühlenbrock, S. 205. Friedrich von Logau (1604 – 1655). Vgl. LG Frankfurt, 24.11.2014, NZG 2015, 707.

A. Rechtsmaterie Unternehmensbewertung zu einer Geheimwissenschaft formt, die nur der Anwender selbst versteht.“68)

Das setzt der Komplexität Grenzen!

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Immer geht es um ein „den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild“ 40 („true and fair view“) – allerdings eingeschränkt durch die allgemeinen Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze.69) Die Bewertungsansätze müssen daher nachvollziehbar, anschaulich („Bild“) und überprüfbar sein.70) Sie sind nicht isoliert darzustellen, sondern in ihrer Wechselbeziehung. Bloße Hinweise auf Datenbanken genügen nicht. Maßgeblich ist die Plausibilität für Außenseiter („Dritten“).71) Ein „Modelldenken“ tut es nicht (es mag Wunschdenken sein). Bei alledem gilt: „Die Gerichtssprache ist deutsch“72) – auch für die Beschrei- 41 bung einer „Zahlenwelt“. VI. Rechtsvergleichung Die Unternehmensbewertung erhält durch ausländische Anteilseigner, durch 42 grenzüberschreitende Unternehmensverbindungen und durch europäische Unternehmensformen globale Dimensionen.73) Daher ist sie ein zentrales – oft vernachlässigtes74) – Feld der Rechtsvergleichung. Nach deren allgemeinen Grundsätzen ist bei der Übernahme ausländischer Darstellungen, Regeln und Daten Vorsicht geboten:75) „Ein getreues Bilanzrecht entsteht aus dem jeweiligen Kulturbezug.“76) Marktsichten, Finanztheorien und Zahlen beruhen auf lokalen Vorgaben. Immer handelt es sich um kulturelle Mathematik; sie ist nicht leicht übersetzbar. Deshalb müssen wir die Bewertung zunächst „verorten“: Location, Location, Location!77) Das gilt selbst für Zahlenvergleiche; sie verlangen globale Kooperation.78) Die Anforderungen an die Objektivität, an deren Typik und an deren Be- 43 glaubigung ergeben sich auch aus den jeweiligen Haftungsregeln für den Berufsstand und aus dem Grad der Unabhängigkeit der Gutachter vor Gericht. ___________ 68) Barthel, Unternehmenswert: Glaubwürdigkeitsattribution von Argumentationswerten, Finanz-Betrieb 2006, 463, 470. 69) § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB; dazu EuGH, Slg 1996 I 3133 (Tomberger); zum Ganzen siehe Großfeld, in: Leffson/Rückle/Großfeld, S. 112. 70) IDW S 1 2008 Tz. 66. 71) Vgl. § 238 Abs. 1 Satz 2 HGB; IDW S 1 2008 Tz. 15, 81, 142 – 144, 167, 178. 72) § 184 Abs. 1 Satz 1 GVG. 73) Großfeld, BB 2001, 1836; Berger/Knoll, BewertungsPraktiker Nr. 4/2009, S. 2; Luttermann, NZG 2007, 611. 74) Ballwieser, WPg 2008, S 102. 75) Großfeld, in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/Ishikawa, S. 71; Großfeld, RIW 2010, 504. 76) Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, S. 27. 77) Großfeld, Michigan L. Rev. 82 (1984), 1510; Großfeld, Dreaming Law: Comparative Legal Semiotics, S. 11. 78) Vgl. Großfeld, J. of South African L. (TSAR), S. 648.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

Das ist wichtig bei heute gängigen Verweisungen auf die USA; dort ist manches anders als bei uns.79) Bei Bewertungslehren „von außerhalb“ ist immer zu prüfen, inwieweit das andere rechtliche Umfeld hineinspielt (geht es um den Normwert?);80) ist es mit dem unsrigen vergleichbar? „Sobald wir Grenzen überschreiten ändert sich das Bezugssystem – und bei der Erforschung des Unbekannten und oft Unerwarteten kann keines der beiden Fächer ohne das Wissen des anderen bestehen: Das was der Jurist bei uns unbewusst an Wirtschaft voraussetzt und der Wirtschaftswissenschaftler an Recht, lässt sich im Ausland nicht erwarten. Der ‚Geldstrom des Rechts‘ läuft dort anders. So bleibt nur das Herantasten ‚mit allen Sinnen‘, d. h. in einem ständigen Austausch der Fächer.“81)

VII. Gutachter „The first kindness is competence.“82)

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1. Unabhängigkeit 45 Die Unternehmensbewertung ist ein weites Arbeitsfeld für Gutachter als Berater, Vermittler oder Neutrale; es entwickelt sich national und international ein „gutes Bewertungsgeschäft“.83) Wir denken bei diesem Buch vor allem an Gutachter vor Gericht und an Richter und Handelsrichter, die oft vor schwierigen und weitreichenden Entscheidungen stehen. 46 Die „Goldwährung“ des Gutachters vor Gericht ist seine Unabhängigkeit, die – bei aller Geschäftigkeit – von außen erkennbar bleibt.84) Er muss selbstständig, neutral und objektiv die Kriterien der Bewertung entwickeln, die Innen- und Außensicht verbinden. Er darf von den Prognosen des Unternehmens nach oben und nach unten abweichen – zumindest dann, wenn er dies mit der Geschäftsführung erörtert hat.85) Er soll dem Gericht eine Plausibilitätskontrolle ermöglichen;86) deshalb muss seine Methodik nachvollziehbar sein. Gesucht wird gern ein einziger Unternehmenswert, aber auch Wertspannen können angemessen sein.87) ___________ 79) Großfeld, in: Gedächtnisschrift Albert Bleckmann, 2007, S. 169, 181; Großfeld, RabelsZ 39 (1975), 5. 80) Siehe Rn. 191. 81) Großfeld, in: FS Dieter Rückle, S. 31. 82) David Schiedermayer, in: Bard/Mayo/Tovino, Scholarly Works, Paper 75. 83) Ballwieser, WPg 2008, S 102; vgl. auch Siegel, in: FS Dieter Rückle, S. 537. 84) Zum Interessenkonflikt Sachverständiger und vormals tätiger Abschlussprüfer oder vorheriger Beauftragtung siehe OLG Düsseldorf, AG 2015, 439; OLG Düsseldorf, AG 2006, 754. 85) OLG Düsseldorf, AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71; anders noch OLG Celle, 19.4.2007, AG 2007, 865 = ZIP 2007, 2025. 86) BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035. 87) IDW S 1 2008 Tz. 80, 175.

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A. Rechtsmaterie

2. Grenzüberschreitende Erfahrung Gutachter müssen mehr kennen als mathematische Methoden und Daten- 47 banken. Sie müssen sich in Geschäftstätigkeiten, Branchen und Märkte, in Chancen und Risiken einarbeiten. Internationale Erfahrung (d. h. mehr als Literaturkenntnis) ist oft unerlässlich, schon um die inländische Wettbewerbslage und die hereinströmenden ausländischen „Standards“ oder „Vergleiche“ einigermaßen zu verstehen; sonst ist selbst für das Inland keine angemessene Bewertung zu erwarten. Das gilt noch mehr bei grenzüberschreitenden Vorgängen, wie etwa bei einer Europäischen Aktiengesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft. 3. Quellen Der Gutachter muss darlegen, aus welchen Quellen er seine Annahmen ablei- 48 tet. Das gilt vor allem für den Basiszins, den Risikozuschlag und den Wachstumsabschlag, ferner bei Marktrisikoprämie und Betafaktor sowie bei der Zusammensetzung einer Peer Group. Er muss begründen, warum seine Indizes und Zeitspannen vorzugswürdig sind gegenüber anderen.88) 4. Hilfspersonen Der Gutachter darf andere Personen in beschränktem Umfang zur Mitarbeit 49 heranziehen (§ 407a Abs. 2 ZPO). VIII. Unterlagen Für die Bewertung werden üblicherweise die IDW-Standards genutzt. Da sie 50 keine Rechtsnormen sind, entscheidet letztlich das daran nicht gebundene Gericht. Unternehmenswerte hängen ab von der jeweiligen Rechnungslegung. Der 51 Gutachter muss aber keinen Jahresabschluss oder Konzernabschluss erstellen; er soll sich grundsätzlich auf testierte Abschlüsse stützen.89) Sie geben „Anknüpfungstatsachen“.90) Wichtig für die Prognose sind besonders der Lagebericht (§ 289 Abs. 1 Satz 4 HGB) und der Konzernlagebericht (§ 315 Abs. 1 Satz 5 HGB). Das gilt auch für Abschlüsse nach den International Financial Reporting Standards/International Accounting Standards (IFRS/IAS); sie eignen sich ebenfalls für eine Unternehmensbewertung. Das mag man kritisch sehen,91) namentlich nach den „Bilanzierungsenttäu- 52 schungen“ 2008/2009.92) Einige Besonderheiten sind jedenfalls zu beachten: ___________ 88) 89) 90) 91) 92)

Vgl. Bachl, in: FS Mandl, S. 27b. IDW S 1 2008 Tz. 83. BGH, 7.12.2009, ZIP 2010, 83 = NZG 2010, 112, 113. Luttermann, NZG 2007, 611; Großfeld/Tönnes, NZG 2010, 921. Großfeld, RIW 2010, 504.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

Das Eigenkapital kann sich sehr unterscheiden von dem des HGB;93) die Fair Value-Bewertung birgt Überraschungen.94) Deshalb können Korrekturen erforderlich sein.95) Nach den Erfahrungen mit der Finanzkrise 2008 und angesichts steigender Komplexität bieten sich stichprobenartige Prüfungen an. Die Prüfungsdichte ist einzelfallabhängig. 53 Ein Anspruch auf Einsicht in die Unterlagen besteht nur, wenn das Gericht die Vorlage für notwendig hält.96) IX. Klarheit 54 Trotz aller Komplexität muss das Gutachten nachvollziehbar sein.97) Der Gutachter darf sich der Komplexität nicht „ausliefern“; er muss deutlich machen, welches seine wesentlichen Annahmen sind und bei welchen Typisierungen er ansetzt. Es muss zu erkennen sein, ob es seine eigenen Annahmen sind oder von anderen abgeleitete. B. Ausgangslagen I. Abfindung 1. Personengesellschaft a) Ausgangspunkt 55 Traditioneller Ausgangspunkt für die rechtliche Unternehmensbewertung sind die Regeln für die Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts beim Ausscheiden eines Gesellschafters. Einschlägig ist § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB; er gilt auch für die Offene Handelsgesellschaft (§ 105 Abs. 3 HGB), die Kommanditgesellschaft (§ 161 Abs. 2 HGB) und die atypische stille Gesellschaft: Dem Ausscheidenden ist danach „dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre“. Die Bewertung beginnt also bei dem Unternehmen als Ganzem und schwenkt dann über auf den Anteil.98) Das ist hier schon deshalb so, weil der Gesellschafter über seinen Anteil nicht verfügen kann (§ 719 Abs. 1 BGB); der Anteil hat keinen eigenständigen Marktwert.

___________ 93) Wüstemann/Bischof, ZHR 175 (2011) 210; Kleindiek, ZHR 2011, 247. 94) Kritisch Thiele, in: FS Baetge, S. 625: siehe auch Kirchner, in: FS Dieter Rückle, S. 299, 307; von der Lage/Reusch, NZG 2009, 245; zur Unternehmensbewertung und IFRS vgl. ausführlich Cassel, Unternehmensbewertung im IFRS-Abschluss. 95) Ergün/Juchler/Müller, BB 2012, 435; Einzelheiten siehe Blum, BB 2008, 2170. 96) OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 797 = NZG 2012, 1260; OLG Frankfurt, 21.12.2010 – 5 W 15/10 zum Umfang vgl. Tissen, NZG 2016, 848. 97) IDW S 1 2008 Tz. 66. 98) Wiechers, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 911 ff.

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B. Ausgangslagen

b) Fortführungswert § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB deutet auf einen Wert, der sich bei der Auflösung 56 ergibt (vgl. § 730 – 734 BGB). Das Reichsgericht verstand ihn aber schon bald als Wert eines fortbestehenden Unternehmens:99) Das Ausscheiden beendet ja die Gesellschaft nicht, vielmehr wächst der Anteil den verbleibenden Gesellschaftern zu (§ 738 Abs. 1 Satz 1 BGB); sie führen die Gesellschaft weiter. Deshalb ist der Betrag anzusetzen, der sich erzielen lässt bei einer Veräußerung „als Einheit“.100) Der Ausscheidende soll dann erhalten, was seine Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert ist.101) Man geht also aus von der Fortführung des Unternehmens102) („going con- 57 cern“, vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 2 Abs. 2 HGB). Dieser Ansatz erfasst den Geschäfts- (Firmen-)Wert, den „Goodwill“, d. h. die Wahrscheinlichkeit, „that the old customers will resort to the old place“ (Lord Eldon, 1810). Schwebende Geschäfte sind zu berücksichtigen (§ 740 BGB).103) Zu suchen ist der volle Wert, es sei denn, der Gesellschaftsvertrag bestimmt anderes. Der Liquidationswert ist normalerweise nicht maßgeblich.104) c) Schätzung Die Bewertung ist gerichtlich überprüfbar; der Wert des Gesellschaftsver- 58 mögens ist dann zu schätzen (§ 738 Abs. 2 BGB, § 287 Abs. 2 ZPO). Der Abfindungsanspruch richtet sich gegen die Gesellschaft als Gesamthand; er ist „Gesamthandsverbindlichkeit“, die zu einer persönlichen Haftung werden kann (§ 739 BGB). d) Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Dieses Grundmodell gilt ebenfalls für die Europäische Wirtschaftliche Inte- 59 ressenvereinigung (EWIV). 2016 existierten in Deutschland weniger als 300 EWIV.105) Bei ihr wird die Abfindung „auf der Grundlage des Vermögens der Vereinigung“ ermittelt, wie es vorhanden ist „im Zeitpunkt des Ausscheidens des Mitglieds“ (Art. 33 Abs. 1 EWIV-VO). Im Vordergrund steht das Unternehmen als Ganzes und dessen Fortführungswert.

___________ 99) RG, 22.12.1922, RGZ 106, 128. 100) BGH, 16.12.1991, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257. 101) BVerfG, 7.8.1962, BVerfGE 14, 263 = NJW 1962, 1667 („Feldmühle“); BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 99, 566 („DAT/Altana“); BGH, 21.7.2003, BGHZ 156, 57 = DB 2003, 2168 („Ytong“); zum Ganzen siehe Brähler, WPg 2008, 209. 102) BGH, 21.4.1955, BGHZ 17, 130, 136. 103) Dazu Rn. 459. 104) Dazu Rn. 322, 1296. 105) Walter/Schmidt, BB 2016, 1923.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

2. Gesellschaft mit beschränkter Haftung 60 Die geschilderte Methode beruht auf dem Charakter der Personengesellschaft als Gesamthandsgemeinschaft. Sie erfasst aber im Wesentlichen auch die GmbH als eigenständige juristische Person (§ 13 Abs. 1 GmbHG). Doch sind Anteile an einer GmbH grundsätzlich veräußerlich (§ 15 Abs. 1 u. 5 GmbHG); die Abtretung bedarf der notariellen Form (§ 15 Abs. 3 GmbHG). Deshalb ist u. U. auf Vergleichspreise zu achten. 3. Aktiengesellschaft 61 Die Methode ist stärker anzupassen bei Gesellschaften mit frei übertragbaren (verkehrsfähigen) Anteilen (vor allem Aktien) auf einem organisierten Markt („Börse“). Die Aktie vermittelt nicht nur eine Beteiligung am Unternehmen (Unternehmensbewertung): Sie ist selbst verkehrsfähig, unterliegt der unmittelbaren Verfügung durch den Aktionär und hat einen eigenen „Verkehrswert“ (Anteilsbewertung).106) Wir sehen hier eine „Doppelnatur“ der Aktie als (verkehrsfähiges) Wertpapier einerseits und (verbriefter) Eigentumsanteil an dem zu bewertenden Unternehmen andererseits.107) Deshalb ist der Börsenkurs zu berücksichtigen.108) 62 Den Standard für die Bewertung setzt § 305 AktG. Ausgangspunkt ist auch hier der Gesamtwert des Unternehmens (arg. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG); dessen Verhältnisse sind zu „berücksichtigen“ (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG). Der Unternehmenswert wird sodann auf die „Zahl aller“ Anteile „verteilt“.109) Der Börsenkurs bildet den Mindestwert des Anteils. 63 Ein Beschluss der Hauptversammlung ist nicht anfechtbar wegen unzureichender Informationen über Abfindung, Ausgleich oder Zuzahlung, wenn für die Bewertung ein Spruchverfahren vorgesehen ist (§ 243 Abs. 4 Satz 2 AktG). Für das Verfahren gilt das Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren (Spruchverfahrensgesetz – Spruchgesetz). II. Verschmelzung 1. Grundmodell 64 Bewertungsfragen stellen sich, wenn Gesellschaften („Rechtsträger“) miteinander verschmelzen. Dabei unterscheiden wir „Verschmelzung durch Aufnahme“ (§§ 4 – 35 UmwG) und „Verschmelzung durch Neugründung“ (§§ 36 – 38 UmwG). Leitlinien für das angemessene Umtauschverhältnis bei nationalen und internationalen Verschmelzungen geben § 320b Abs. 1 Satz 4 AktG und ___________ 106) OLG Stuttgart, 6.7.2007, AG 2007, 705. 107) Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411 ff. 108) IDW S 1 2008 Tz. 15, 142; allgemein Hüttemann, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 1 Rn. 62 ff. 109) OLG München, 19.10.2006, AG 2007, 287.

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B. Ausgangslagen

§§ 15, 29 f., 34, 122h UmwG. Maßgeblich ist die Verschmelzungswertrelation110) zum Stichtag; ihr muss im Allgemeinen eine gründliche Bewertung der beteiligten Gesellschaften vorausgehen.111) Beide Unternehmen sind nach denselben Grundsätzen zu bewerten. Der jeweilige Wert bestimmt sich danach, wie die Gesellschaften ohne die Verschmelzung zu sehen wären. Sind die Beteiligten allerdings börsennotiert an „liquiden Märkten“, kommt auch eine Bewertung nach dem Verhältnis der Börsenkurse in Betracht.112) Nicht ausreichend ist die alleinige Prüfung, ob das Umtauschverhältnis durch einen „ordnungsgemäßen Verhandlungsprozess der beteiligten Vorstände zustande gekommen ist.113) Zu ermitteln ist die Beteiligungsquote für alle Mitglieder an dem Rechtsträ- 65 ger, der aus der Verschmelzung entsteht. Es kommt nicht an auf das Verhältnis der Verkehrswerte der einzelnen Anteile vor und nach der Verschmelzung; maßgebend ist das Verhältnis der auf die einzelnen Mitglieder entfallenden Unternehmenswerte (quotaler Unternehmenswert).114) Entscheidend ist das gesamte Vermögen der beteiligten Unternehmen.115) Bewertungsgegenstand ist also nicht der einzelne Anteil, sondern das jeweilige Unternehmen als Ganzes. Das Gericht ist bei der Überprüfung der Angemessenheit nicht gebunden an das von den Verschmelzungspartnern vereinbarte Verfahren.116) Es kann z. B. statt des Ertragswertverfahrens die Werte schätzen anhand der Börsenkurse. Der Verschmelzungsbeschluss kann nicht mit der Begründung angefochten 66 werden, das Umtauschverhältnis sei unangemessen (vgl. §§ 14 Abs. 2, 122h Abs. 1 UmwG). Die Anteilseigner der übertragenden Gesellschaft können aber von der übernehmenden Gesellschaft eine „bare Zuzahlung“ verlangen (§§ 15 Abs. 1, 196 UmwG).117) Umgekehrt können die Aktionäre der aufnehmenden Gesellschaft den Verschmelzungsbeschluss anfechten (§ 255 Abs. 2 AktG), wenn sie der Auffassung sind, durch eine zu „günstige“ Verschmelzungsrelation benachteiligt worden zu sein. „Des einen Freud’, des anderen Leid.“ ___________ 110) BVerfG, 20.12.2010, ZIP 2011, 170 = NZG 2011, 235. 111) OLG Frankfurt, 20.4.2012, AG 2012, 919 = NZG 2013, 104. 112) OLG Frankfurt, 15.1.2016 – 21 W 22/13, BeckRS 2016, 09636; OLG Frankfurt, 3.9.2010 BeckRS 2010, 21665; bestätigt durch BVerfG, 26.4.2011 BeckRS 2011, 50695 („T-Online“); OLG München, 26.7.2012 BeckRS 2012, 17631; a. M. OLG Stuttgart, 6.7.2007 BeckRS 2007, 13212. 113) BVerfG, 24.5.2012, BeckRS 2012, 55224 = WM 12, 1683; anders noch OLG Stuttgart, 8.3.2006, BeckRS 9998, 40600. 114) Baums, in: FS Schindhelm, S. 63, 73. 115) BVerfG, 20.12.10 BeckRS 2011, 46600 = ZIP 2011, 170; OLG München, 14.5.2007 BeckRS 2007, 08755 = AG 2007, 701. 116) Vgl. BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. 117) Decher, in: Lutter, UmwG, § 15 Rn. 1 ff.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

2. Verschmelzung durch Aufnahme 67 Bei der Verschmelzung durch Aufnahme muss die übernehmende Gesellschaft widersprechenden Anteilseignern der übertragenden Gesellschaft eine „angemessene Barabfindung“ bieten (§ 29 Abs. 1 UmwG). Die Abfindung muss „die Verhältnisse des übertragenden Rechtsträgers im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Verschmelzung berücksichtigen“ (§ 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Auch hier ist der Verschmelzungsbeschluss nicht deshalb angreifbar, weil die Barabfindung unangemessen ist (§ 32 UmwG). Immer gibt es eine gerichtliche Überprüfung (§§ 15 Abs. 1 Satz 2, 34 UmwG). 3. Europäische Dimension 68 Das Gebiet erhält eine weitere Dimension durch grenzüberschreitende Verschmelzungen (§§ 122a – 122l UmwG) und durch die Verschmelzungen bei der Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea) (Art. 24 Abs. 2 SE-VO, § 6 Abs. 4, § 7 SEAG). Die Europäische Kommission hat 2014/2015 Konsultationen eingeleitet, um den Rechtsrahmen stärker zu vereinheitlichen.118) III. Spaltung 69 Ein (übertragender) Rechtsträger kann sein Vermögen aufspalten, indem er es auf einen anderen (übernehmenden) Rechtsträger überträgt. Die Eigner des übertragenden Rechtsträgers erhalten dann Anteile des übernehmenden Rechtsträgers (§ 123 UmwG). Die §§ 15 und 29 f. UmwG gelten entsprechend (§ 125 Abs. 1 Satz 1 UmwG).119) IV. Umwandlung 70 Ein Rechtsträger kann durch Umwandlung eine andere Rechtsform annehmen (§ 190 Abs. 1 UmwG). Auch dann kann es Zuzahlung (§ 196 UmwG) und Barabfindung (§§ 207 – 212 UmwG) geben. Nicht auszugleichen sind Nachteile, die alle Anteilseigner gleichmäßig treffen; sie liegen in der Natur eines Formwechsels.120) Im Übrigen gelten die Grundsätze wie bei anderen Abfindungen. V. Bilanzrecht 71 Die Unternehmensbewertung wandert immer stärker in das Bilanzrecht,121) namentlich bei Beteiligungen.122) Sie wird auch von daher ein Grundpfeiler ___________ 118) Vgl. Walter/Schmidt, BB 2016, 1923. 119) Vgl. Heckschen, GmbHR 2015, 897 – 909. 120) Vgl. Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, § 196 Rn. 10. 121) Großfeld/Stöver/Tönnes, NZG 2006, 521; Großfeld/Tönnes, NZG 2010, 921. 122) Zwirner/Mugler, DB 2011, 2559.

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B. Ausgangslagen

des Unternehmensrechts. Einzelheiten werden wir uns später ansehen;123) hier nur ein kurzer Überblick. 1. Einzelabschluss Ein erworbener Geschäfts- oder Firmenwert ist anzusetzen „als zeitlich be- 72 grenzt nutzbarer Vermögensgegenstand“ (§ 246 Abs. 1 Satz 4 HGB); er ist sodann planmäßig abzuschreiben (§ 253 Abs. 3 Satz 1 HGB), ggf. außerplanmäßig (§ 253 Abs. 3 Satz 3 HGB). Das erfordert eine Unternehmensbewertung. Der Wertansatz ist beizubehalten, auch wenn der Wert wieder gestiegen ist (§ 253 Abs. 5 Satz 2 HGB). Unternehmensanteile i. S. v. § 271 HGB sind auszuweisen mit ihren Anschaffungskosten (§§ 253 Abs. 1, 255 Abs. 1 HGB). Sie sind danach abzuschreiben auf den jeweiligen beizulegenden Wert, den Zeitwert (§ 253 Abs. 3 Satz 3 HGB). Der beizulegende Wert wird ermittelt durch eine Unternehmensbewertung aus der Sicht des bilanzierenden Unternehmens (subjektiver Unternehmenswert).124) Im Übrigen spielt die Unternehmensbewertung im Einzelabschluss nur aus- 73 nahmsweise eine Rolle, wie etwa für die Unterbilanzhaftung bei der GmbH.125) 2. Konzernabschluss Die Unternehmensbewertung innerhalb des Konzernabschlusses börsenno- 74 tierter Unternehmen beruht vor allem auf den Regeln der International Financial Reporting Standards (IFRS) über die Verschmelzung: Die Verschmelzung gilt als Kauf, sodass grundsätzlich der volle Erwerbspreis, einschließlich des Geschäfts- oder Firmenwerts (Goodwill) auszuweisen ist (anders noch § 24 UmwG).126) Der Geschäfts- oder Firmenwert wird nicht regelmäßig abgeschrieben; er ist jährlich auf eine Wertminderung hin zu testen. Das erfordert einen „impairment test“ = „Werthaltigkeitstest“127) und damit eine Unternehmensbewertung. 3. Steuerrecht Im Bilanzsteuerrecht kommt der „Teilwert“ als steuerlicher Zeitwert in Be- 75 tracht. Das ist der Betrag „den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt“ (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Auch hier werden wir uns Einzelheiten später ansehen.128) ___________ 123) 124) 125) 126) 127)

Siehe Rn. 1383. IDW S 1 2008 Tz. 48 – 58, 123. BGH, 16.1.2006, BGHZ 135, 391 = DB 2006, 775. Zu Möglichkeiten einer Full Goodwill Methode Pellens/Amshoff/Sellhorn, BB 2008, 602. Müller/Stawinoga/Reinke, DStR 2014, 2251; Hachmeister, in: Ballwieser/Beyer/Zelger, S. 191. 128) Siehe Rn. 1417, 1431.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

VI. Sonstige Anlässe 76 Unternehmen sind zu bewerten, wenn sie als Einlage in eine Gesellschaft (§§ 5 Abs. 4, 9 Abs. 1, 56 GmbHG, §§ 27, 36a, 183, 255 Abs. 2 AktG) eingebracht werden. 77 Bewertungsanlässe entstehen auch beim Zugewinnausgleich (§§ 1373, 1376 BGB),129) weil Anfangs- (§ 1374 BGB) und Endvermögen (§ 1375 BGB) miteinander zu vergleichen sind (§ 1376 BGB). Ähnliche Fragen ergeben sich im Pflichtteilsrecht (§§ 2303, 2311 BGB).130) 78 Selbst in das Strafrecht dringt das Bewertungsrecht ein, namentlich im Zusammenhang mit der „Untreue“ (§ 266 StGB).131) Das Bundesverfassungsgericht verlangt dort die Feststellung eines bezifferten Vermögensnachteils;132) dafür muss das Strafgericht u. U. einen Sachverständigen zuziehen. C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle 79 Bei Ausgleich und Abfindung hat sich die Ausgangslage aufgefächert. I. Gesellschaft mit beschränkter Haftung 80 Hier ist zu bewerten, wenn die gesellschaftsrechtliche Bindung durch die Einziehung von Geschäftsanteilen (§ 34 GmbHG) und bei Austritt oder Ausschluss von Gesellschaftern aufgehoben wird.133) Gleiches gilt bei einem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag (analog §§ 304 Abs. 1, 305 Abs. 1 AktG), dann ist ein Ausgleich oder eine Abfindung zu zahlen. 81 Das GmbH-Gesetz schweigt zur Ermittlung der Abfindung. Doch ist analog § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB auszugehen vom vollen Wert der Gesellschaft. Bei einer analogen Anwendung des Aktienrechts sind zu beachten die stärker personenrechtliche Prägung der GmbH und die fehlende Börsenfähigkeit der Anteile (vgl. § 15 Abs. 3 – 5 GmbHG). Häufig enthält allerdings der Gesellschaftsvertrag der GmbH Regelungen zur Ermittlung der Abfindung. Diese haben Vorrang vor der gesetzlichen Regelung, sofern sie nicht im Einzelfall zu sittenwidrigen Ergebnissen führen.

___________ 129) Für Bewertungen im Familien- und Erbrecht siehe IDW S 1 2008 Tz. 11, 42; BGH, NJW 2014, 294; Münch, DStR 2014, 806; Kuckenburg, NZFam 2015, 390; zum Ganzen siehe Klenner, Unternehmensbewertung im Zugewinnausgleich: unter besonderer Berücksichtigung kleiner Familienunternehmen. 130) IDW S 1 2008 Tz. 11; OLG Köln, 10.1.2014, ZEV 2014, 660 (auch zum Anspruch auf Einholung eines Sachverständigengutachtens); OLG München, 4.4.2012, FamRZ 2013, 329; BGH, 2.2.2011, BGHZ 188, 249 = NZG 2011, 945; BGH, 13.3.1991, NJW-RR 1991, 900. 131) Florstedt, wistra 2007, 441; Schlitt, NZG 2006, 925; Jahn, JZ 2011, 340. 132) BVerfG, 23.6.2010, NJW 2010, 3209. 133) Strohn, in: MünchKomm, GmbHG, § 34 Rn. 205.

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C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle

II. Aktiengesellschaft 1. Beherrschungsvertrag Beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags ist 82 den außenstehenden Aktionären ein „angemessener Ausgleich“ (§ 304 Abs. 1 Satz 1 AktG) zu gewähren oder eine „angemessene Abfindung“ (§ 305 Abs. 1 AktG) zu zahlen.134) Schuldner ist nicht die beherrschte Gesellschaft, sondern der andere Vertragsteil (vgl. § 5 Nr. 1 SpruchG). Als Maßstab wird auch herangezogen § 5 Abs. 1 – 3 Angebotsverordnung zum Wertpapierübernahmegesetz.135) a) Abfindung aa) Grundsatz Die Abfindung ist oft eine „Barabfindung“ (Einzelheiten in § 305 Abs. 2 83 AktG). Sie muss „die Verhältnisse der [abhängigen] Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Vertrag berücksichtigen“ (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG). Der hier genannte Stichtag gilt auch, wenn schon eine faktische Konzernbeziehung bestand. bb) Höhe Die Abfindung muss dem „vollen Wert der Beteiligung an dem arbeitenden 84 Unternehmen“ entsprechen.136) Auszugehen ist vom Wert der Gesellschaft im Ganzen. Alle wertbildenden Faktoren sind anzusetzen; zu berücksichtigen sind selbst Gesichtspunkte der Billigkeit, die sich zahlenmäßig nicht klar fassen lassen.137) Die Abfindung spiegelt den vollen Wert der Beteiligung am Ganzen wider.138) Sie ist zu verzinsen (§ 305 Abs. 3 Satz 3 AktG). Zu beachten ist der Börsenwert;139) dafür sind nach dem Umsatz gewichtete 85 Kurse heranzuziehen.140) Maßgeblich ist ein Zeitraum von drei Monaten vor Bekanntgabe der „Strukturmaßnahme“.141) Dies ist zum einem dem Umstand geschuldet, dass die „Strukturmaßnahme“ bereits den Börsenkurs beeinflussen kann und zum anderen technischen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Wertes auf den Tag der beschließenden Hauptversammlung. ___________ 134) Ebke, in: FS Karsten Schmidt, S. 289; Mühl/Wagenseil, NZG 2009, 1253. 135) Vgl. BVerfG, 16.5.2012, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907. 136) OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683; Vorlagebeschluss OLG Frankfurt, 15.10.2014, AG 2015, 205 = ZIP 2014, 2439; BVerfG, 7.8.1962, BVerfGE 14, 263. 137) Seetzen, WM 1999, 565. 138) BVerfGE 14, 263; BGH, JZ 1980, 105. 139) Siehe Rn. 293, 1222. 140) Zur Berechnung des relevanten Börsenkurse siehe BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 („Stollwerck“); OLG Düsseldorf, 9.9.2009, AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427. 141) BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 („Stollwerck“).

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

86 Der addierte Preis der Kleinanteile entspricht aber nicht notwendig dem Wert des Ganzen („minority discount“); das Ganze kann mehr wert sein als die Summe seiner Teile („1 + 1 = 3“).142) In den USA liest man dazu: „Therefore, the value of the enterprise itself necessarily exceeds the trading value of its shares. An explanation proffered for this distinctive viewpoint is that the shares and the entity are separate commodities; the shares have limited rights and, in particular, limited control, and therefore inherently do not reflect the full value of the enterprise itself”.143)

b) Ausgleich aa) Grundsatz 87 Der feste oder variable Ausgleich tritt an die Stelle der künftigen Dividende,144) die jetzt wegen der Abführung des Ergebnisses an die herrschende Gesellschaft nicht mehr anfällt. Anzusetzen ist „mindestens“ der Betrag, der „voraussichtlich als durchschnittlicher Gewinnanteil auf die einzelne Aktie verteilt werden könnte“ (§ 304 Abs. 2 Satz 1 AktG). Zuzusichern ist der „voraussichtlich verteilungsfähige durchschnittliche Bruttogewinnanteil je Aktie vor Körperschaftsteuer in Höhe des jeweils gültigen Steuertarifs“.145) Dafür ist das abhängige Unternehmen zu bewerten nach seinen künftigen Ergebnisaussichten ohne Bindung durch den Beherrschungsvertrag (Ansatz von echten Synergieeffekten ist streitig).146) Der Börsenwert spielt bei einem festen Ausgleich keine Rolle.147) Den für die Barabfindung ermittelten Ertragswert nach Steuern rechnet man sodann um in eine „ewige“ Dividende (§ 304 Abs. 2 AktG) – Verrentung – mit dem Kapitalisierungszinssatz vor Steuern. Da nunmehr die Dividende nicht mehr von dem beherrschten Unternehmen erwirtschaftet werden muss, sondern von dem beherrschenden Unternehmen „garantiert“ wird, wird der Risikozuschlag im Kapitalisierungssatz nur zur Hälfte angesetzt.148) 88 Erträge aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen sind zu berücksichtigen, wenn und soweit sie zum Ertrag des Unternehmens beitragen.149) Da der Unternehmenswert in eine „ewige“ Dividende umgerechnet wird, ist es methodisch nicht möglich, eine Veräußerung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens zu planen. Wir müssen dann natürlich den Wertbeitrag des nicht betriebs___________ 142) 143) 144) 145)

146)

147) 148) 149)

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Koppensteiner, Österr. Jur. Blätter 125 (2003), 707. Hamermesh/Wachter, Boston College L. Rev. 50 (2009), 1021, 1045. BGH, 21.7.2003, BGHZ 156, 57 = AG 2003, 627. BGH, 21.7.2003, BGHZ 156, 57 = AG 2003, 627 („Ytong“); OLG Frankfurt, 18.12.2014, AG 2015, 241 = ZIP 2015, 371; OLG Karlsruhe, 13.5.2013, AG 2013, 880 = Der Konzern 2013, 499. OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28 = BB 2007, 2395; OLG Stuttgart, 4.2.2000, AG 2000, 428 = NZG 2000, 744; BGH, 4.3.1998, AG 1998, 286 = NJW 1998, 1866; zu Verbundvorteilen/Synergieeffekten siehe Rn. 386. BGH, 13.2.2006, AG 2006, 331 = NJW 2006, 1663. LG Frankfurt, 4.8.2010 – 3-5 O 73/04. Siehe Rn. 383, 485, 1178.

C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle

notwendigen Vermögens vorab aus dem Unternehmenswert herausrechnen. Behalten wir den Wert im Unternehmenswert, müssen wir Annahmen über die Wiederanlage des „hypothetischen Verkaufspreises“ treffen. Gleiches gilt für Verlustvorträge.150) Der Anspruch entsteht jedes Jahr neu mit dem Ende der auf das Geschäfts- 89 jahr folgenden ordentlichen Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft.151) Die Ausgleichszahlung unterliegt der Abgeltungsteuer; deshalb ist anzusetzen ein Zinssatz vor Steuern.152) Wird das Unternehmen mit dem Liquidationswert erfasst, soll der Ausgleich regelmäßig auf Null fallen.153) Die Ausgleichsoption erlischt weder durch eine ordentliche noch durch eine 90 vorzeitige Beendigung des Unternehmensvertrags.154) Der Ausgleichsanspruch besteht im Falle eines nachfolgenden Squeeze-out nur für den Zeitraum bis zur Eintragung des Hauptversammlungsbeschlusses in das Handelsregister.155) Grundsätzlich wird der Ausgleich gleichmäßig festgesetzt für die gesamte Dauer 91 des Unternehmensvertrags.156) Überwiegend wird angenommen, dass eine spätere Änderung der Verhältnisse nicht zu einer Anpassung führt.157) Ausnahmsweise mag ein Wegfall der Geschäftsgrundlage anzunehmen sein, wenn sich die Verhältnisse völlig unvorhersehbar verändern und der Ausgleich als ganz unangemessen erscheint.158) Grundsätzlich muss der Aktionär es hinnehmen, wenn die tatsächliche Entwicklung besser ist als beim Abschluss des Unternehmensvertrags vorausgesehen.159) Umgekehrt kann das Unternehmen sich nicht darauf berufen, die spätere Geschäftsentwicklung sei schlechter als geschätzt.160) bb) Ausgleich und Abfindung Da die Abfindungsansprüche verzinslich sind (§ 305 Abs. 3 AktG), können 92 sie mit Ausgleichzahlungen zusammentreffen, die der ausscheidende Aktionär bis zum Zeitpunkt des Ausscheidens erhalten hat. Der Bundesgerichtshof hat dazu entschieden, dass zur Vermeidung einer „Überkompensation“ die ___________ 150) OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28 = BB 2007, 2395. 151) BGH, 19.4.2011, BGHZ 189, 261 = DB 2011, 1385 (Wella AG I). 152) OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = ZIP 2010, 274; OLG Frankfurt, 15.2.2010, AG 2010, 789 = Der Konzern 2011, 179; Einzelheiten siehe Popp, WPg 2008, 23; OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883. 153) BGH, 13.2.2006, BGHZ 166, 195 = NZG 2006, 349; siehe auch OLG Düsseldorf, 28.1.2009, AG 2009, 667; vgl. zum Liquidationswert Rn. 1296. 154) OLG Düsseldorf, 4.10.2006, AG 2007, 325 = NZG 2007, 36. 155) OLG München, 31.3.2008, OLGR München 2008, 450; OLG Frankfurt, 26.8.2009, AG 2010, 368 = NZG 2010, 389. 156) OLG Stuttgart, 28.1.2004, AG 2004, 271. 157) OLG Frankfurt, 30.3.2010, Der Konzern 2011, 59 = NZG 2010, 664. 158) OLG Frankfurt, 30.3.2010, Der Konzern 2011, 59 = NZG 2010, 664; OLG Stuttgart, 1.10.2003, AG 2004, 43 = ZIP 2004, 712. 159) OLG Stuttgart, 1.10.2003, AG 2004, 43 = ZIP 2004, 712. 160) OLG Düsseldorf, 30.9.2015, I-26 W 10/12 (AktE).

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

erhaltenen Ausgleichszahlungen auf die Abfindungszinsen angerechnet werden können. Dies erfolge nicht in einer Gesamtbetrachtung, sondern periodenweise,161) sodass dem Aktionär „überhängende Spitzen“ verbleiben. 93 Mit der Übertragung der Aktien – diese kann freiwillig oder unfreiwillig („squeeze out“) erfolgen – verliert der Aktionär seine Ansprüche auf weitere Ausgleichzahlungen. Scheidet er in einem laufenden Geschäftsjahr aus, steht ihm auch für dieses Jahr kein Anspruch auf Ausgleich mehr zu. An ihre Stelle tritt der Abfindungsanspruch. Erfolgt der Ausschluss durch „Squeeze-out“, ist der Abfindungsanspruch aber erst ab der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister verzinslich (§ 327b Abs. 2 AktG); die hieraus resultierende „Verzinsungslücke“ ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hinzunehmen.162) 2. Ausschluss von Minderheitsaktionären a) Eingliederung 94 Eine Aktiengesellschaft kann sich in eine andere Aktiengesellschaft eingliedern, wenn dieser anderen 95 % oder mehr der Aktien der einzugliedernden Gesellschaft gehören (§ 320 Abs. 1 Satz 1 AktG). Mit der Eingliederung gehen alle Aktien auf die Hauptgesellschaft über (§ 320a Satz 1 AktG), die eingegliederte Gesellschaft geht in der Hauptgesellschaft auf. Die ausgeschiedenen Aktionäre können eine „angemessene Abfindung“ in Aktien der Hauptgesellschaft verlangen (§ 320b Abs. 1 Satz 1 AktG), u. U. können sie eine „angemessene Barabfindung“ wählen (Satz 3). Die Barabfindung muss „die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über die Eingliederung berücksichtigen“ (Satz 5). Der Anspruch richtet sich gegen die Hauptgesellschaft.163) 95 Die Eingliederung ist zu prüfen (§ 320 Abs. 3 AktG). Die Prüfung erstreckt sich dabei insbesondere auch auf die Angemessenheit der Abfindung und verweist auf die für Unternehmensverträge geltenden Grundsätze der §§ 293c – 293e AktG). Beide Unternehmen sind zu bewerten nach denselben Grundsätzen, weil andernfalls die Verschmelzungswertrelation verfälscht wird. b) Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out 96 Bei der Verschmelzung überträgt der übertragende Rechtsträger sein Vermögen als Ganzes im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gegen Gewährung von Anteilen auf den übernehmenden Rechtsträger (§ 2 1. Alt. UmwG). Grundlage ist ein Vertrag zwischen den beiden Rechtsträgern, der der Zustimmung der Hauptversammlungen beider Gesellschaften mit jeweils einer Mehrheit von 75 % bedarf (§§ 13, 65 UmwG). Gehören dem übernehmenden Rechtsträger ___________ 161) BGH, 16.9.2002, AG 2003, 43 = NZG 2002, 1057. 162) BVerfG, 5.12.2012, AG 2013, 255 = ZIP 2013, 260. 163) Vgl. § 1 Nr. 2, § 5 Nr. 2 SpruchG.

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C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle

bereits mindestens 90 % des Grundkapitals der übertragenden Gesellschaft, so kann er innerhalb von drei Monaten nach Abschluss des Verschmelzungsvertrags einen Beschluss nach § 327a AktG („aktienrechtlicher Squeeze-out“) fassen lassen. Dies ist bereits im Verschmelzungsvertrag zu vereinbaren (§ 62 Abs. 5 Satz 2 UmwG); das „Squeeze-out“ dient daher der erleichterten Durchführung der Verschmelzung einer 100 %-Beteiligung.164) Der Verschmelzungsvertrag ist zu prüfen; § 60 UmwG verweist auf die 97 §§ 9 – 12 UmwG. Die Prüfung erstreckt sich auch hier auf die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses (§ 12 Abs. 2 UmwG) und setzt deswegen auch hier die Bewertung beider Unternehmen voraus. Zusätzlich erfolgt eine Prüfung nach den für das „Squeeze-out“ geltenden Regelungen, falls ein solches beschlossen wurde. c) Aktienrechtlicher Squeeze-out Gehören 95 % der Aktien einem Hauptaktionär, so kann die Hauptversamm- 98 lung beschließen, die Aktien von Minderheitsaktionären auf den Hauptaktionär zu übertragen „gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung“ (§ 327a Abs. 1 AktG). Anders als bei der Eingliederung entfällt die Notwendigkeit der Abfindung in Aktien der Hauptgesellschaft. Wir sprechen von einem aktienrechtlichen „Squeeze-out“ (= Herausdrängen). Der Hauptaktionär kann den Zeitpunkt frei bestimmen.165) Die Abfindung muss wiederum „die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung berücksichtigen“ (§ 327b Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Minderheitsaktionäre können auch noch nach Auflösung der Gesellschaft ausgeschlossen werden.166) Für den Verlust ihrer Aktien ist ihnen „voller Wertersatz“ zu leisten; die Entschädigung muss den „wirklichen” oder „wahren” Wert des Anteilseigentums widerspiegeln.167) Die angebotene Abfindung ist durch einen sachverständigen Prüfer zu begut- 99 achten; § 327c Abs. 2 Satz 2 AktG verweist auf die Vorschriften der §§ 293c – 293e AktG. d) Übernahmerechtlicher Squeeze-out Daneben gibt es einen übernahmerechtlichen Squeeze-out.168) Dessen Einzel- 100 heiten sind geregelt in §§ 31, 35, 39a Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG). ___________ 164) Stephanblome, AG 2012, 814. 165) Vgl. zur anteiligen Ausgleichszahlung und sog. Verzinsungslücke BVerfG, 5.12.2012, AG 2013, 255 = ZIP 2013, 260. 166) BGH, 18.9.2006, AG 2006, 887 = NZG 2006, 905. 167) BVerfG, 5.12.2012, AG 2013, 255 = ZIP 2013, 260. 168) BVerfG, 16.5.2012, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907; BGH, 19.4.2011, BGHZ 189, 261 = DB 2011, 1385 (Wella AG I); Koch, in: Hüffer, AktG, § 327a Rn. 2; Hentzen/Rieckers, DB 2013, 1159; zu Familienunternehmen siehe Hippeli/Schmiady, ZIP 2015, 705.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

101 Anzubieten ist danach eine „angemessene Gegenleistung“; grundsätzlich sind zu berücksichtigen der „durchschnittliche Börsenwert der Aktien der Zielgesellschaft und Erwerbe von Aktien der Zielgesellschaft durch den Bieter“ (§ 31 Abs. 1 WpÜG). Unter Umständen ist eine Geldleistung anzubieten (Abs. 3).169) Die Gegenleistung erhöht sich, wenn der Erwerber innerhalb einer bestimmten Zeit einen höheren Preis gewährt oder vereinbart hat (Abs. 4 u. 5). Als sachgerecht gilt der durchschnittliche nach Umsätzen gewichtete Börsenkurs der letzten drei Monate vor Bekanntgabe der Strukturmaßnahme (§ 31 Abs. 1 WpÜG). Mehr dazu findet sich in den §§ 4 – 7 der Angebotsverordnung (WpÜGAngVO), die bei anderen Abfindungen u. U. analog anwendbar sind.170) 102 Gehören dem Anbieter dann mindestens 95 %171) des stimmberechtigten Grundkapitals, kann er die Übertragung der restlichen Aktien gegen eine „angemessene Gegenleistung“ verlangen (§ 39a Abs. 1 WpÜG). Die Abfindung gilt als angemessen, wenn der Bieter aufgrund seines Angebots mindestens 90 % des betroffenen Grundkapitals erworben hat.172) Die Annahmequote ist getrennt zu ermitteln für stimmberechtigte und für stimmrechtslose Aktien.173) 103 Die Regelung WpÜG löst sich damit fast vollständig von der Notwendigkeit einer Unternehmensbewertung und ermittelt den Wert der Anteile der ausscheidenden Aktionäre allein aus den Börsenkursen. 3. Ausgleich und Squeeze-out 104 Besteht zur Zeit des Squeeze-outs ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, so war bislang die Höhe der Abfindung streitig:174) Ergibt sie sich aus der Ausgleichsverpflichtung oder aus dem neu ermittelten Gesamtwert des Unternehmens? a) Vorlagebeschluss OLG Frankfurt 105 Das OLG Frankfurt175) hatte 2014 dem Bundesgerichtshof diese umstrittene Frage zur Entscheidung vorgelegt. Das Gericht hatte die Auffassung vertreten, dass sich die angemessene Barabfindung bei einer fortbestehenden Gewinn___________ 169) BGH, 18.10.2010, AG 2010, 910 = NZG 2010, 1344; dazu Meckner/Schmid-Bendun, NZG 2011, 10. 170) Zur Berücksichtigung des nach § 5 WpÜB-AngVO ermittelten Wertes im Squeezeout: OLG Düsseldorf, 9.9.2009, AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427. 171) Bungert/Wettich, DB 2010, 2545. 172) Für eine unwiderlegliche Vermutung siehe OLG Stuttgart, 5.5.2009, AG 2009, 707 = NZG 2009, 950; offengelasssen durch OLG Frankfurt, 9.12.2008, AG 2009, 86 = BB 2009, 122. 173) OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822. 174) OLG Düsseldorf, 4.7.12, AG 2012, 716 = NZG 2012, 1181; a. A. Vorlagebeschluss OLG Frankfurt, 15.10.14, AG 2015, 205 = ZIP 2014, 2439 m. w. N.; vgl. zum Streitstand Koch, in: Hüffer, AktG, § 327b Rn. 5 m. w. N. 175) Zum Ganzen siehe OLG Frankfurt, 15.10.14, AG 2015, 205 = ZIP 2014, 2439; siehe auch Schüppen, ZIP 2016, 1413.

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C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle

abführungspflicht der Gesellschaft allein anhand des Barwerts der im Unternehmensvertrag vorgesehenen Ausgleichszahlungen ergebe. aa) Ausgangslage Die Antragsgegnerinnen hatten im Mai 2001 einen Gewinnabführungsvertrag 106 geschlossen und eine Barabfindung i. H. v. 285,64 € festgesetzt. Das Landgericht hatte die Abfindung auf 316 € und eine Ausgleichszahlung vor Steuern i. H. v. 24,60 € bestimmt. Bereits vor dem Abschluss dieses (ersten) Spruchverfahrens hatte die Hauptaktionärin (Antragsgegnerin zu 2) beabsichtigt, die Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft (Antragsgegnerin zu 1) auszuschließen. Die Barabfindung für den folgenden Squeeze-out nach § 327b AktG wurde 107 anhand einer Unternehmensbewertung auf 281,98 € festgesetzt. Der relevante durchschnittliche Börsenkurs hatte zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des geplanten Squeeze-out 296,25 € betragen; der Börsenkurs war aber als nicht aussagekräftig eingeschätzt worden. Es gab keine Bestrebungen, den zwischen den beiden Antragsgegnerinnen bestehenden Unternehmensvertrag zu beenden. Der vom Landgericht beauftragte Gerichtsgutachter ermittelte für den Squeeze- 108 out nach dem Ertragswertverfahren einen Unternehmenswert i. H. v. 323,65 €. Das Landgericht setzte allerdings die Barabfindung auf 316 € fest: Die Höhe der Barabfindung bestimme sich nicht nach dem vom Gerichtsgutachter errechneten Ertragswert, sondern nach dem Barwert der im Gewinnabführungsvertrag vorgesehenen Ausgleichszahlung. Auf diesen Betrag hatten sich auch – bis auf einen Minderheitsaktionär – alle Antragsteller in einem Vergleich geeinigt. Das OLG Frankfurt folgte in der Sache dem Landgericht, korrigierte die Barabfindung jedoch auf 317,24 €, weil dem Landgericht ein „konstruktiver Fehler“ unterlaufen sei. Der Bundesgerichtshof hielt hingegen den vom Gerichtsgutachter ermittelten Wert i. H. v. 323,65 € für angemessen. Es ergaben sich damit folgende Werte: Barabfindung

Ausgleich

Gewinnabführungsvertrag

285,64 €

15,34 €

LG Frankfurt Spruchverfahren Gewinnabführungsvertrag

316,00 €

24,60 €

Börsenkurs Bekanntgabe Squeeze-out Mai 2002

296,25 €

Börsenkurs Hauptversammlung Squeeze-out Juli 2002

290,96 €

Barabfindungsangebot Squeeze-out

281,98 €

LG Frankfurt Spruchverfahren Squeeze-out Gerichtsgutachter

323,65 €

LG Frankfurt Spruchverfahren Squeeze-out (Barwert Ausgleichszahlung)

316,00 €

OLG Frankfurt Spruchverfahren Squeeze-out (Barwert Ausgleichszahlung)

317,24 €

BGH

323,65 €

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

bb) Vorlagefrage 109 Das OLG Frankfurt sah sich an einer Entscheidung gehindert, weil seine Auffassung von der des OLG Düsseldorf und des OLG München abweiche. Das OLG Frankfurt ging davon aus, dass sich die angemessene Barabfindung bei einem fortbestehenden (Beherrschungs- und) Gewinnabführungsvertrag allein anhand des Barwerts der Ausgleichszahlungen zum Bewertungsstichtag ergebe. 110 Zur Begründung verweist das OLG Frankfurt darauf, dass der Wert des Anteils sich nach den Zahlungen bemesse, die einem Minderheitsaktionär aufgrund seiner Beteiligung in der Zukunft zuflössen. Im Normalfall erhalte der Minderheitsaktionär – bei einem nicht zur Gewinnabführung verpflichteten Unternehmen – einen Anteil an den ausgeschütteten Gewinnen. In diesen Fällen sei eine Berechnung anhand des Ertragswertverfahrens zutreffend. 111 Hingegen sei es anders zu beurteilen, wenn die Gesellschaft als beherrschtes Unternehmen einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag mit fester Ausgleichszahlung abgeschlossen habe. In diesem Fall erhalte der Minderheitsaktionär kein Recht mehr an dem anteiligen Unternehmensgewinn. Die Aktie beinhalte nur noch die im Unternehmensvertrag vereinbarte Ausgleichszahlung nach § 304 Abs. 1 AktG. Weder wirke sich eine Steigerung des Ertrages der Gesellschaft während der Laufzeit des Unternehmensvertrags noch ein Verlust auf die festgesetzte Ausgleichszahlung aus. Der sich aus zukünftigen Erträgen ergebende Unternehmenswert spiele daher für den Wert des dem Minderheitsaktionär entzogenen Anteils keine Rolle mehr. Andernfalls orientiere sich der Wert der angemessenen Abfindung an einer Wertbestimmung anhand zukünftiger Zahlungen, auf die der Minderheitsaktionär keinen Anspruch habe. 112 Auch das OLG Stuttgart176) tendierte dazu, auf den Barwert der Ausgleichszahlungen abzustellen, verwies darauf, dass dies nicht „per se abgelehnt“ werden könne. Auf die Frage kam es seinerzeit nicht an, weil der Barwert unterhalb der angebotenen Barabfindung gelegen hatte. b) OLG Düsseldorf und OLG München 113 Das OLG Düsseldorf177) und OLG München178) halten es hingegen für sachgerecht, die Barabfindung – nach allgemeinen Grundsätzen – im Rahmen einer Unternehmensbewertung zum Stichtag der Squeeze-out-Entscheidung vorzunehmen. Die Barabfindung anhand des Barwerts der künftigen Ausgleichszahlungen zu ermitteln, sei nicht sachgerecht. ___________ 176) OLG Stuttgart, 17.3.2010, AG 2010, 510. 177) OLG Düsseldorf, 11.5.2015, AG 2015, 573 = ZIP 2015, 1336; OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 716 = NZG 2012, 1181. 178) OLG München, 26.10.2006, ZIP 2007, 375 = Der Konzern 2007, 356.

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C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle

Sie verweisen auf den Wortlaut des § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG, wonach die 114 Barabfindung „die Verhältnisse der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung berücksichtigen“ müsse. Der Abfindungsanspruch sei auch kein verrenteter Ausgleichsanspruch. Abfindung und Ausgleich berechneten sich zwar weitgehend gleich, seien aber nicht vollständig identisch. So werde das nicht betriebsnotwendige Vermögen bei der Ermittlung der Abfindung, aber nicht bei der Höhe des Ausgleichs berücksichtigt. Ermittle sich die Barabfindung anhand des Barwerts der Ausgleichsbeträge, werde der Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens nicht erfasst. Außerdem sichere der Ausgleich nur die jährliche Gewinnbeteiligung, wäh- 115 rend die Barabfindung den Minderheitsaktionär für das Ausscheiden aus dem Unternehmen und den Verlust seiner Herrschaftsrechte entschädige. Dass diese mitgliedschaftlichen Rechte durchaus einen „Wert“ hätten, zeige sich darin, dass das Unternehmen überhaupt den Squeeze-out-Weg beschreite („Lästigkeitswert“ der Minderheitsaktien). c) Bundesgerichtshof Der Bundesgerichtshof179) hat 2016 festgestellt, dass für die Höhe der Barab- 116 findung maßgeblich ist der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Anteil des Unternehmenswerts. Dies gelte jedenfalls dann, wenn dieser Wert höher sei als der Barwert der aufgrund des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zustehenden Ausgleichszahlungen. Das Stichtagsprinzip schließe nicht aus, auch Verhältnisse, die sich aus dem 117 Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ergäben, zu berücksichtigen. Dieser Unternehmensvertrag bestimme bei anzunehmendem Fortbestand auch die Erträge des Aktionärs zum gemäß § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Stichtag. Entscheidend sei, dass die Entschädigung den „wirklichen“ oder „wahren“ Wert des Anteilseigentums widerspiegle. Als Anteilswert komme der Börsenwert oder eine Schätzung nach der Ertragswertmethode als grundsätzlich geeignete Methode in Betracht. Auch andere anerkannte Methoden könnten nach den Umständen des Einzelfalls zur Schätzung herangezogen werden. Der Börsenkurs sei hierbei als Untergrenze zu beachten. Der Bundesgerichtshof verweist auf die Rechtsprechung des Bundesverfas- 118 sungsgerichts: Das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) vermittele sowohl die mitgliedschaftliche Stellung des Aktionärs in der Gesellschaft als auch vermögensrechtliche Ansprüche. In vermögensrechtlicher Hinsicht umfasse die Beteiligung an einem Unternehmen nicht nur die Aussicht auf eine Dividende, die vorliegend vorübergehend durch den festen Ausgleichsanspruch ersetzt werde, sondern darüber hinaus den Anteil an der ___________ 179) Zum Ganzen siehe BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016, 461; siehe auch Schüppen, ZIP 2016, 1413.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

Vermögenssubstanz, auf den bei Auflösung und Liquidation ein Anspruch bestehe.180) 119 Werde die Abfindung nur anhand der Ausgleichszahlung berechnet, decke die so berechnete Abfindung unter Umständen nicht den vollständigen, „wahren“ Wert der Beteiligung ab. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich – wie im Vorlagefall – der Unternehmenswert seit dem Stichtag erhöht habe. Der Gesellschaftsanteil habe sich durch die Entscheidung des Aktionärs, die Aktien zu behalten und nicht aus der Gesellschaft auszuscheiden, nicht dahingehend gewandelt, dass sich sein Wert allein nur noch über die Ausgleichszahlung bestimme und der Aktionär im Übrigen nicht mehr am Unternehmenswert teilnehme. 120 So könnten sich die Verhältnisse ändern, auch wenn ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen worden sei. Dann wäre der Aktionär wieder an den tatsächlichen Erträgen der Gesellschaft zu beteiligen. Es sei hierbei unbeachtlich, dass der Aktionär aufgrund seiner wenigen Anteile keinen relevanten Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen könne. Der Bundesgerichtshof erwähnt als Beteiligungsrechte das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung, das Auskunftsrecht nach § 131 AktG und das Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 243 AktG. 121 Ausdrücklich offengelassen hat der Bundesgerichtshof die Frage, ob der Barwert der Ausgleichszahlungen ähnlich dem Börsenwert als Mindestwert einer angemessenen Abfindung anzusetzen sein kann, wenn dieser Barwert den anteiligen Unternehmenswert übersteigt. d) Stellungnahme 122 Der Bundesgerichtshof hat in dieser seit Langem umstrittenen Frage für Rechtsklarheit gesorgt. Die Abfindung berechnet sich nach dem anteiligen Ertragswert, ggf. auch nach dem Börsenwert. Der Barwert des festen Ausgleichs spiegelt hingegen in der Regel nicht die Verhältnisse zu dem für den Squeeze-out maßgeblichen Stichtag wider. 123 Überzeugend weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass dem Minderheitsaktionär Beteiligungsrechte zustehen, wenn diese auch im Einzelfall nicht immer Gewicht haben werden. Der Gesetzgeber hatte im Übrigen gerade wegen dieser für einen Hauptaktionär durchaus „lästigen“ Minderheitsrechte die Einführung der Squeeze-out-Regelungen geschaffen.181) 124 Zudem ist das neutrale, nicht betriebsnotwendige Vermögen im Ausgleich nicht erfasst. Der Ausgleich berücksichtigt üblicherweise nur die Erträge des ___________ 180) Vgl. BVerfG, 20.12.2010, AG 2011, 128 = NZG 2011, 235; BVerfGE, 7.8.62, BVerfGE 14, 263 = NJW 1962, 1667. 181) BT-Drucks. 14/7034, S. 32 f.

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C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle

laufenden Geschäftes und nicht die (einmalige) Verwertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens. Berechnet sich die Abfindung allein nach dem Barwert des Ausgleichs, fehlt deswegen dieser Wertbestandteil. Das herrschende Unternehmen darf das neutrale Vermögen zwar veräußern, stille Rücklagen auflösen und Gewinne daraus an sich abführen; aber so lange das nicht geschehen ist, gehören die Vermögenswerte dem abhängigen Unternehmen und bestimmen dessen Wert mit. Dass nicht einfach der Barwert der Ausgleichszahlung aus dem vorangegan- 125 genen Unternehmensvertrag zugrunde gelegt werden kann, wird insbesondere dann deutlich, wenn dieser Vertrag schon viele Jahre läuft. Dann sind eher zufällige Ergebnisse kaum auszuschließen, die sich nicht mehr am „wahren“ Unternehmenswert orientieren werden. So hatte sich etwa in einem vom OLG Düsseldorf182) entschiedenen Fall als Barwert der Ausgleichszahlung ein Betrag von rund 70 € ergeben, der Ertragswert hingegen mehr als 600 € betragen. In einer anderen Entscheidung des OLG Düsseldorf183) lag der umgekehrte Fall vor: Die nach dem Ertragswertverfahren ermittelte und angebotene Barabfindung war mit 611,07 € und der Barwert der Ausgleichszahlungen mit mehr als 1.200 € berechnet worden. Der Bundesgerichtshof hat ferner überzeugend darauf hingewiesen, dass ein 126 Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag durchaus geändert oder aufgehoben werden kann. Diese Unternehmensverträge werden regelmäßig nach einer festen Anfangsfrist von meist fünf Jahren als jährlich kündbar vereinbart. Dass auch lang laufende Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge gekündigt werden, zeigt ein Verfahren vor dem OLG Frankfurt.184) So bestand in dem dort entschiedenen Fall der Unternehmensvertrag im Zeitpunkt der Squeeze-out-Entscheidung bereits 24 Jahre. Gleichwohl ist der Vertrag dann vergleichsweise kurze Zeit nach der Squeeze-out-Entscheidung, gut zwei Jahre später, gekündigt worden. Aktionäre partizipierten dann nicht an dem gesteigerten Unternehmenswert, wenn für die Abfindung auf den Barwert der Ausgleichszahlungen abgestellt worden wäre. 4. Übertragende Auflösung Die übertragende Auflösung fällt unter § 179a AktG: Eine Aktiengesell- 127 schaft überträgt gegen Entgelt – außerhalb des Umwandlungsgesetzes – ihr ganzes Vermögen an eine andere Gesellschaft. Sie löst sich danach auf und verteilt den Liquidationserlös an ihre Aktionäre. So können Minderheitsaktionäre durch den Mehrheitsaktionär aus dem Unternehmen herausgedrängt

___________ 182) OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG, 2012, 716 = NZG 2012, 1181. 183) OLG Düsseldorf, 29.7.2009, BeckRS 2009, 87264. 184) OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG, 2012, 716 = NZG 2012, 1181; OLG Frankfurt, 30.3.2010, Der Konzern 2011, 59 = NZG 2010, 664.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

werden.185) Mit den Squeeze-out-Regeln (§§ 327a ff. AktG) hat sich die praktische Bedeutung der übertragenden Auflösung reduziert.186) 128 Die übertragende Auflösung kann problematisch sein, wenn der Großaktionär das erwerbende Unternehmen beherrscht: Er mag interessiert sein an einem niedrigen Preis. Dann ist den Minderheitsaktionären gemäß Art. 14 Abs. 1 GG eine volle Entschädigung zu gewähren – nach dem Wert ihrer Beteiligung.187) § 327b Abs. 1 Satz 1 HGB („Verhältnisse der Gesellschaft“) deutet auf das ganze Unternehmen als Gegenstand der Bewertung. Sind die Gesellschafter nach Abschluss des Unternehmensvertrags noch wirtschaftlich involviert? Die neuere BGH-Rechtsprechung könnte dafür sprechen, die Abfindung nach den allgemeinen Regeln zu bewerten.188) 5. „Delisting“ a) Echtes und unechtes Delisting 129 Eine Aktiengesellschaft kann sich durch ein „going private“ von der Börse zurückziehen und vom öffentlichen Kapitalmarkt entfernen (sie wird „delisted“). Die Aktien sind dann schwerer handelbar und verlieren evtl. an Wert: „Der Verkehrswert und die jederzeitige Möglichkeit seiner Realisierung sind danach Eigenschaften des Aktieneigentums.“189) 130 Der Rückzug von der Börse kann als sog. „echtes“ oder „reguläres“ Delisting erfolgen. Durch Verwaltungsakt wird auf Antrag die Börsenzulassung widerrufen (§ 39 Abs. 2 BörsG).190) Beim „Downgrading“ wechselt die Aktiengesellschaft vom regulierten Markt in den sog. Freiverkehr (§ 48 BörsG). Im Fall des „unechten“ oder „kalten“ Delisting entfallen die Voraussetzungen für die Börsenzulassung aufgrund anderer Umstände, z. B. bei der Verschmelzung einer börsennotierten auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft.191) b) Entwicklung der Rechtsprechung 131 Seit der Macrotron-Entscheidung192) des Bundesgerichtshofes war lange anerkannt, dass auch in Delisting-Fällen eine Abfindung zu zahlen war, die im Spruchverfahren überprüft werden konnte. ___________ 185) Stein, in: MünchKomm, AktG, § 179a Rn. 71. 186) Vgl. Koch, in: Hüffer, AktG, § 179a Rn. 1. 187) Keine Lücke im Minderheitenschutz sieht Kubis, in: MünchKomm, AktG, § 1 SpruchG Rn. 29. 188) Vgl. zum Squeeze-out BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016; ablehnend Kubis, in: MünchKomm, AktG, § 1 SpruchG Rn. 29. 189) BGH, 25.11.2002, BGHZ 153, 47 = NZG 2003, 280 („Macrotron“). 190) Vgl. Wicke, DNotZ 2015, 488. 191) OLG Düsseldorf, 19.11.2015, AG 2016, 366 = NZG 16, 509. 192) BGH, 25.11.2002, BGHZ 153, 47 = NZG 2003, 280 („Macrotron“).

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C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle

2012 entschied dann das Bundesverfassungsgericht,193) dass der Widerruf der 132 Börsenzulassung für den regulierten Markt auf Antrag des Emittenten („echtes“ Delisting) nicht den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG berühre. Geschützt sei das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, nicht aber der Bestand einzelner wertbildender Faktoren, wie etwa eine „möglicherweise gesteigerte Verkehrsfähigkeit der Aktie“ durch die Handelbarkeit der Papiere an der Börse. Es werde nicht die Substanz des Aktieneigentums tangiert. Die Innenstruktur der Gesellschaft erfahre keine Veränderung dadurch, dass sie sich aus dem regulierten Markt der Börse zurückziehe. Die Fachgerichte seien nicht verpflichtet, aber auch nicht daran gehindert, in diesen Fällen eine Abfindung und in entsprechender Anwendung des SpruchG ein Spruchverfahren für erforderlich zu halten. Dies hat den Bundesgerichtshof dann 2013 zu einer Kehrtwende veranlasst. 133 Er hat in der Frosta-Entscheidung194) entschieden, dass den Aktionären bei einem Widerruf der Börsenzulassung zum Handel im regulierten Markt kein Anspruch auf eine Barabfindung zustehe: Das Aktieneigentum sei nicht beeinträchtigt. Es sei nicht erforderlich, eine Barabfindung analog § 207 UmwG oder analog § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG zu gewähren. Der Widerruf der Börsenzulassung sei keine Strukturmaßnahme, die Binnenstruktur der Gesellschaft werde nicht verändert. Anleger seien ggf. nach § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG geschützt, wonach das Delisting nicht „dem Schutz der Anleger widersprechen“ dürfe. Im Übrigen sei ein Kursverlust bei einem Rückzug von der Börse nicht feststellbar.195) c) Reaktion des Gesetzgebers Der Gesetzgeber hat reagiert, im Ergebnis den früheren Zustand teilweise 134 wiederhergestellt und nun die Zahlung einer Abfindung angeordnet.196) § 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BörsG bestimmt seit dem 26.11.2015, dass bei einem Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag des Emittenten „bei Antragstellung unter Hinweis auf den Antrag eine Unterlage über ein Angebot zum Erwerb aller Wertpapiere“ veröffentlicht wird. Als Mindestbetrag ist der 6-MonatsDurchschnittsbörsenkurs vor der Veröffentlichung anzubieten (§ 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG, § 31 WpÜG). Entscheidend soll damit der Börsenkurs sein. Eine Unternehmensbewertung, etwa anhand des Ertragswertverfahrens, er- 135 folgt nur ausnahmsweise, etwa bei Verstößen gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht des § 15 WpHG oder gegen das Marktmanipulationsverbot des ___________ 193) BVerfG, 11.7.2012, BVerfGE 132, 99 = NZG 2012, 826. 194) BGH, 8.10.2013, AG 2013, 877 = NZG 2013, 1342; vgl. dazu Paschos/Klaaßen, AG 2014, 33; Wieneke, NZG 2014, 22, Auer, JZ 2015, 71; Buckel, AG 2015, 373. 195) BGH, 8.10.2013, AG 2013, 877 = NZG 2013, 1342; so auch OLG Thüringen, 20.3.2015, AG 2015, 450. 196) Vgl. dazu Bayer, NZG 2015, 1169; Groß, AG 2015, 812; Mense/Klie, DStR 2015, 2782.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

§ 20a WpHG.197) Dies gilt aber auch nur dann, wenn die Verstöße sich nicht nur unwesentlich auf den Durchschnittskurs ausgewirkt haben (§ 39 Abs. 3 Satz 3 a. E. BörsG). Auch sofern der Börsenkurs nicht aussagekräftig ist, innerhalb des 6-Monats-Zeitraums an weniger als einem Drittel der Börsentage Kurse festgestellt und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 Prozent voneinander abweichen, soll ebenfalls eine Unternehmensbewertung erfolgen (§ 39 Abs. 4 Satz 4 BörsG). 136 Ansprüche sind nicht nach dem Spruchverfahren, sondern nach dem des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) durchzusetzen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG). Hintergrund soll gewesen sein, einerseits einen DelistingSchutz zu gewähren, andererseits aber eine aufwendige Unternehmensbewertung nach dem SpruchG zu vermeiden.198) 137 Die Neuregelung gilt auch für bis November 2015 gestellte, noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Delisting-Verfahren (§ 52 Abs. 9 BörsG). d) Stellungnahme 138 Das Bundesverfassungsgericht hatte es den Fachgerichten im Ergebnis freigestellt, ob künftig eine Abfindung bei einem regulären Delisting angeboten werden müsse oder nicht. 139 Der Bundesgerichtshof hat nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dann aber seine bisherige Rechtsprechung geändert. Die BGH-Entscheidung überzeugt nur bedingt. Es war – jedenfalls bis zur gesetzlichen Neuregelung des „echten“ Delisting – fraglich, ob der bloße Hinweis auf § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG und die Möglichkeit, gegen den Widerruf der Zulassung vorzugehen, einen ausreichenden Schutz gewähren. 140 So wird das Delisten als solches nur selten erfolgreich angegriffen werden können. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seiner Stellungnahme vor dem Bundesverfassungsgericht erläutert, dass die mit dem Delisting in Zusammenhang stehende Fragen und der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz bislang nicht höchstrichterlich geklärt seien.199) Bayer verweist darauf, dass seinerzeit nur ein „höchst unzulänglicher“ verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz bestanden habe.200) 141 Die fehlende Handelbarkeit an der Börse mag zwar nicht den Kernbereich des Aktieneigentums betreffen, hat aber gleichwohl nicht unerhebliche Auswirkungen, ein erheblicher Kursverfall ist zu erwarten.201) Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht haben hier anscheinend übersehen, dass frü___________ 197) 198) 199) 200) 201)

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Vgl. Bayer, NZG 2015, 1169. Vgl. Bayer, NZG 2015, 1169. BVerfG, 11.7.2012, BVerfGE 132, 99 = NZG 2012, 826. Bayer, NZG 2015, 1169. Vgl. die Nachweise bei Wicke, DNotZ 2015, 488.

C. Ausgleich und Abfindung: Einzelfälle

her tatsächlich ein Kursverlust nicht feststellbar gewesen war, dies aber eben darauf beruhte, dass Aktionäre wegen der seit Jahren gefestigten Rechtsprechung auf eine Abfindung auf der Basis des bisherigen Börsenkurses als Mindestwert vertrauen konnten. Das IDW hatte vor dem Bundesverfassungsgericht auf diese Problematik hingewiesen und erläutert, dass „Börsenrückzüge in Deutschland seit Jahren, spätestens seit der Macrotron-Entscheidung des Bundesgerichtshofs, durch die Rechtsprechung nicht nur beeinflusst, sondern von ihr determiniert“ worden seien.202) Es überrascht daher nicht, dass es nach der Frosta-Entscheidung zu einer re- 142 gelrechten Welle von Börsenrückzügen mit für Anleger erheblichen Kursverlusten kam.203) In einem aktuellen Fall hat z. B. die bloße Ankündigung des Mehrheitsaktionärs, die Börsennotierung der IKB-Bank einstellen zu wollen, für einen Kurssturz von rd. 40 % innerhalb eines Tages gesorgt. Für Kleinund Privatanleger ist die Handelbarkeit von Aktien für ihre Anlageentscheidung wichtig, wenn nicht entscheidend. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte in seiner Stellungnahme vor dem Bundesverfassungsgericht noch zu bedenken gegeben, dass einem Aktionär durch das reguläre Delisting die Handelsplattform genommen werde, er künftig „potentielle Käufer mühselig, etwa durch Zeitungsanzeigen, ausfindig machen müsse“.204) Bereits in der Macrotron-Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof, darauf hingewiesen, dass der Verkehrsfähigkeit einer börsennotierten Aktie „für die Wertbestimmung der Anteile eine besondere Bedeutung beizumessen“ sei.205) Aber auch institutionelle Anleger investieren – oft durch Satzung oder inter- 143 ne Vorgaben bestimmt – nur in börsennotierte Unternehmen. Im Falle des Delisting fehlen dann diese Käufer, der Preis sinkt. Der Gesetzgeber hat hier ebenfalls eine „Lücke“ und Handlungsbedarf gesehen 144 und will eine Barabfindung sicherstellen. e) Übertragbarkeit auf „unechtes“ Delisting Die geschilderte Rechtsentwicklung betrifft das „echte“ Delisting und ist nicht 145 ohne Weiteres auf das „unechte“ Delisting übertragbar.206) So unterscheidet sich das „unechte“ Delisting vom „echten“ dadurch, dass 146 bei einem „unechten“ Delisting die Innenstruktur der Gesellschaft verändert wird, z. B. durch Umwandlung einer AG in eine GmbH oder Verschmelzung auf eine nicht börsennotierte AG. Hierfür existieren bereits Schutzvorschriften zugunsten der Minderheitsaktionäre (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 2. Alt UmwG). ___________ 202) 203) 204) 205) 206)

BVerfG, 11.7.2012, BVerfGE 132, 99 = NZG 2012, 826. Wicke, DNotZ 2015, 488. BVerfG, 11.7.2012, BVerfGE 132, 99 = NZG 2012, 826. BGH, 25.11.2002, BGHZ 153, 47 = NZG 2003, 280. OLG Düsseldorf, 19.11.2015, AG 2016, 366 = NZG 16, 509.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

So verliert ein Aktionär etwa im Falle der Verschmelzung seine Mitgliedschafts- und Vermögensrechte an der bisherigen Gesellschaft. 6. Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE) 147 Die europäische Dimension der Bewertung begegnet uns bei der Gründung oder der Sitzverlegung einer Europäischen Aktiengesellschaft.207) Die Anzahl dieser Gesellschaften steigt kontinuierlich an; inzwischen existieren mehr als 2.600 Societas Europaea.208) Es sind dann Zuzahlungen oder Barabfindungen zu zahlen (§§ 6, 7, 9, 11, 12 SE-Ausführungsgesetz). D. Verfahren I. Ablauf 1. Vorverfahren 148 Um die Höhe der Abfindung zu bestimmen, werden in Zusammenhang mit der Unternehmensmaßnahme Berichte erstellt, die die angewendete Methode erörtern und die (Bar-)Abfindung berechnen sollen.209) 149 Das Gesetz sieht zur Überprüfung vor, einen „sachverständigen Prüfer“, „Vertragsprüfer“ oder „Verschmelzungsprüfer“ zu bestellen (§§ 327c Abs. 2 Satz 2, 293c AktG, §§ 9 Abs. 1, 60 UmwG). Dieser wird durch das Gericht bestellt und prüft regelmäßig parallel mit der Erstellung des Berichts durch den Vorstand oder Hauptaktionär (§ 327c Abs. 2 Satz 3 AktG). Der Umstand der gleichzeitigen Prüfung begründet für sich genommen keine Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des vom Gericht bestellten Prüfers.210) 150 Die Bestellung durch das Gericht soll Distanz zum Hauptaktionär schaffen und dem „Eindruck der Nähe der Prüfer zum Hauptaktionär…von vornherein entgegenwirken“.211) Dies schließt nicht aus, dass das Gericht den Prüfer auf Vorschlag des Hauptaktionärs bestellt. Durch die Bestellung eines externen Sachverständigen bereits im Rahmen der Unternehmensmaßnahme sollen Spruchverfahren und die Einholung weiterer Gutachten im gerichtlichen Verfahren vermieden werden.212)

___________ 207) Vgl. Art. 2, 8 SE-VO; zum Formwechsel siehe Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174. 208) Vgl. Walter/Schmidt, BB 2016, 1923. 209) Vgl. etwa für den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag § 293a Abs. 1 Satz 1, § 293e AktG; für die Eingliederung § 319 Abs. 3 Nr. 3 AktG; für den Squeeze-out § 327c Abs. 3 Nr. 3 AktG; für die Verschmelzung § 63 Abs. 1 Nr. 4 UmwG. 210) LG München I, 31.7.2015, AG 2016, 51. 211) BT-Drucks. 14/7477, S. 54. 212) BT-Drucks. 14/7477, S. 54.

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D. Verfahren

Der sachverständige Prüfer kann ggf. im späteren Spruchverfahren angehört 151 werden. Das Gericht ist nicht gehindert, ein (weiteres) Bewertungsgutachten einzuholen. 2. Spruchverfahren Minderheitsaktionäre haben bei ihrem Ausschluss einen Justizgewährungs- 152 anspruch (Garantie effektiven Rechtsschutzes) unabhängig von der Zahl ihrer Anteile.213) Das Spruchverfahren sichert dies verfahrensrechtlich.214) Das Verfahren kann durch die Einholung eines Bewertungsgutachtens und die Beteiligung vieler Antragsteller, oft 50 und mehr, lange dauern. Nachdem Spruchverfahren früher oft zehn und mehr Jahre dauerten, hat sich die durchschnittliche Verfahrensdauer mit dem Spruchgesetz trotz steigender Komplexität inzwischen auf rund vier bis sieben Jahre verkürzt.215) Das Bundesverfassungsgericht hielt eine Verfahrensdauer von 22 Jahren vor einem Landgericht für „überlang“ und damit für verfassungswidrig.216) Immer wieder gibt es Überlegungen, die Verfahrensdauer weiter zu verrin- 153 gern, etwa indem die Oberlandesgerichte erstinstanzlich zuständig sein sollen.217) Die Verfahren weiter wesentlich zu verkürzen, dürfte – wenn der Rechtsschutz nicht unerheblich eingeschränkt werden sollte – aber kaum möglich sein. Unternehmensbewertung und das Zusammentreffen von rechtsund betriebswirtschaftlichen Fragen ist in der Sache komplex und vielschichtig. Änderungen im Prozessrecht können hier nur bedingt zur Beschleunigung beitragen. So kann es etwa einschließlich ergänzender Stellungnahmen teilweise mehrere Jahre dauern, ein Bewertungsgutachten einzuholen. Eine Begutachtung dauert aus der Sache heraus, nicht nur in Spruchverfahren. Auch in Bau-, Architekten- oder Arzthaftungsprozessen sind mehrjährige Prozesse keine Seltenheit, wenn aufwändige Begutachtungen erforderlich sind. Es wird derzeit – problematisch – versucht, durch den Bezug auf leicht zu ermittelnde und vermeintlich „sichere Börsenkurse“ eine Beschleunigung zu erreichen.218) Für die Geltendmachung der Ansprüche auf Ausgleich und Abfindung gilt 154 zumeist das Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren (§ 1 Spruchverfahrensgesetz – SpruchG). Grundsätzlich gelten die Regeln des Familienverfahrensgesetzes (FamFG). 155 Damit herrscht das Prinzip der Amtsermittlung (§ 17 Abs. 1 SpruchG i. V. m. ___________ 213) BVerfG, 9.12.2009, AG 2010, 160 = NZG 2010, 902. 214) Puszkajler/Sekera-Terplan, NZG 2015, 1055; Einzelheiten siehe Kubis, in: MünchKomm, AktG, §§ 1 ff. SpruchG. 215) Puszkajler/Sekera-Terplan, NZG 2015, 1055; Lorenz, AG 2012, 284. 216) BVerfG, 6.12.2011, ZIP 2012, 367 = NZG 2012, 345. 217) Vgl. etwa zur Evaluierung des Spruchverfahrens die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2014, 1144. 218) § 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BörsG; vgl. zum Börsenkurs: BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

§ 26 FamFG). Der Amtsermittlungsgrundsatz bedeutet aber nicht, dass das Gericht von sich aus Umstände zu prüfen hätte, die nicht angegriffen worden sind oder allen denkbaren Möglichkeiten nachzugehen hätte.219) 156 Das Gericht entscheidet nach seiner „freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung“ (§ 17 Abs. 1 SpruchG i. V. m. § 37 Abs. 1 FamFG, vgl. 286 ZPO). Das FamFG ergänzt so verfahrensrechtlich das SpruchG, z. B. für die Anschlussbeschwerde nach § 66 FamFG. Wert- und Kostenvorschriften finden sich im Gerichts- und Notarkostengesetz (vgl. §§ 74, 79 GNotKG). Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 95 Abs. 2 GVG. Die Bundesländer haben häufig durch Konzentrationsverordnungen bestimmte Land- oder Oberlandesgerichte für örtlich zuständig erklärt.220) 3. Rechts- und Plausibilitätskontrolle 157 Das Gericht findet den Unternehmenswert gemäß § 287 Abs. 2 ZPO durch eine Rechts- und Plausibilitätskontrolle. 158 Es wird häufig eine Ertragsprognose eines Unternehmens plausibilisieren, ohne eine eigene neue Schätzung anzustellen. Es ist dem Gericht aber nicht verwehrt, eine eigene Prognose, etwa mit Hilfe eines Gutachters, vorzunehmen, wenn sich die unternehmerische Ertragsplanung als unzureichend oder lückenhaft herausstellt.221) 159 Die Antragsteller müssen konkrete Bewertungsrügen vorbringen (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Satz 1 SpruchG); formelhafte Wendungen reichen nicht.222) Das Gericht darf sich beschränken auf die Prüfung schlüssiger Einwände; es muss nicht „ins Blaue hinein“ ermitteln.223) Aufwand, Kosten und Dauer des Verfahrens sollen nicht außer Verhältnis stehen zum Gewinn an Erkenntnis. Deshalb wird häufig der sachverständige Prüfer anzuhören sein, ohne ein neues Bewertungsgutachten einzuholen (vgl. § 8 Abs. 2 SpruchG).224) 160 Eine „mehrheitskonsensuale Schätzung“, die Abfindung z. B. anhand eines mit der Mehrheit der Minderheitsaktionäre abgeschlossenen Vergleichs zu berechnen, scheidet aus.225) ___________ 219) OLG München, 5.5.15, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683; LG Frankfurt, 16.12.2014, AG 2015, 409 = NZG 2015, 635; für eine sehr weitgehende Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes: Steinle/Liebert/Katzenstein in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, § 24 Rn. 16 ff. 220) Vgl. etwa für Nordrhein-Westfalen die KonzentrationsVO Gesellschaftsrecht v. 8.6.2010. 221) OLG Düsseldorf, 30.9.2015 – I-26 W 10/12 (AktE); LG Frankfurt, 27.5.2014, NZG 2015, 1028. 222) Koch in: Hüffer, AktG, § 4 SpruchG Rn. 8. 223) OLG München, 5.5.15, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683; LG Frankfurt, 16.12.2014, AG 2015, 409 = NZG 2015, 635. 224) OLG Düsseldorf, 11.5.2015, AG 2015, 573 = ZIP 2015, 1336; OLG Stuttgart, 14.9.2011, AG 2012, 221. 225) OLG Düsseldorf, 8.8.2013, AG 2013, 807; OLG Düsseldorf, 31.10.2013, BeckRS 2014, 22094; OLG Frankfurt, 15.10.2014, AG 2015, 205 = ZIP 2014, 2439.

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D. Verfahren

Die Gerichte halten Abweichungen ermittelter Barabfindungs- und Ausgleichs- 161 beträge von bis zu 5 %226) oder gar 10 % für unerheblich.227) Da eine „punktgenaue“ Wertberechnung nicht möglich ist, ist eine Bandbreite vertretbarer Werte denkbar.228) Es erscheint aber zweifelhaft, auf starre Prozentsätze abzustellen; vielmehr ist eine einzelfallbezogene Abwägung sachgerecht.229) Der Ermessensspielraum des Gerichts erweitert sich angesichts der wachsenden 162 Komplexität der Bewertung, verschiedener Bewertungsmethoden, grenzüberschreitender Sachverhalte und vielen betriebswirtschaftlichen Meinungen. Das bringt die Unabhängigkeit des Gerichts zur Geltung. 4. Begutachtung Das Gericht kann Gutachter als Gehilfen einschalten. Das Gericht ist an des- 163 sen Ergebnis nicht gebunden. Es kann das Ergebnis übernehmen, den Prüfer als sachverständigen Zeugen anhören oder auch ein neues Gutachten einholen. Findet eine gerichtliche Überprüfung mithilfe eines gerichtlich bestellten 164 Sachverständigen statt, wird häufig eine vollständige Neuermittlung beauftragt. Denkbar ist aber auch – und kann verfahrensökonomisch sinnvoll sein –, den Gutachter nur hinsichtlich bestimmter Teilbereiche zu beauftragen, etwa nur bestimmte Teile der Planung oder einzelne Faktoren des Kapitalisierungszinssatzes überprüfen zu lassen. Ein nur beschränkter Prüfungsauftrag kann das Verfahren beschleunigen, kann andererseits aber – je nach den Einwänden der Beteiligten zum Gerichtsgutachten – auch eine ergänzende Beauftragung erfordern. Der gerichtlich bestellte Gutachter kann seinerseits Hilfskräfte nutzen.230) In den hier behandelten Fällen dürfte im Allgemeinen eine Begutachtung ge- 165 boten sein: Die bloße „Papierform“ genügt oft nicht.231) Zudem bedarf es einer „Innensicht“; nur dadurch erhalten die Parteien eine gleiche und das Gericht eine unabhängige Information. Eine bloße Außensicht aufgrund der Börsenkurse schafft das nicht: Großaktionär und Kleinaktionär haben normalerweise andere Wissensstände und damit andere „Bilder“ für die Wertermittlung; die Informationslage ist ungleich. Die Prüfungsberichte sind oft knapp und nicht immer aussagekräftig. Ein Einsichtsrecht für Kleinaktionäre besteht nicht oder allenfalls eingeschränkt.232) Kleinaktionäre können daher häufig nur Berechnungsparameter der Bewertung angreifen; ihnen fehlen vertiefte Einblicke in ___________ 226) OLG Frankfurt, 29.1.2016, ZIP 2016, 716. 227) OLG Frankfurt, 26.1.2015, AG 2015, 504 = Der Konzern 2015, 378; OLG Stuttgart, 19.1.2011, AG 2011, 205. 228) OLG Düsseldorf, 19.12.2013, BeckRS 2015, 01650. 229) So OLG Frankfurt, 26.1.2015, AG 2015, 504 = Der Konzern 2015, 378. 230) OLG Düsseldorf, 10.3.2014, AG 2015, 439. 231) Großfeld/Heppe, Law and Business Rev. of the Americas 15 (2009), 713. 232) OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 797 = NZG 2012, 1260; zum Umfang vgl. Tissen, NZG 2016, 848.

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Erster Teil: Recht und Unternehmensbewertung

die Unternehmenskalkulation. Dieses Mehr oder Weniger soll die Amtsermittlung ausgleichen und damit gleiche Argumentationsgrundlagen schaffen. Insiderwissen ist preiserheblich!233) 5. Kosten 166 Schuldner der Gerichtskosten ist nicht der Minderheitsaktionär, sondern die Antragsgegnerin (§ 23 Nr. 14 GNotKG); der Schuldner muss einen hinreichenden Vorschuss zahlen (§ 14 Abs. 3 Satz 2 GNotKG). Die Gerichtskosten können ganz oder zum Teil den Antragstellern auferlegt werden, wenn das „der Billigkeit entspricht“ (§ 15 Abs. 1 SpruchG). Die Rechtsprechung ist im Hinblick auf die oft geringe Zahl gehaltener Aktien zurückhaltend, den antragstellenden Minderheitsaktionären Gerichtskosten aufzuerlegen.234) Die Antragsgegnerin hat die notwendigen Kosten der Antragsteller zu erstatten, „wenn dies unter Berücksichtigung des Ausgangs des Verfahrens der Billigkeit entspricht“, etwa Abfindung und Ausgleich im Spruchverfahren erhöht worden sind (§ 15 Abs. 2 SpruchG). Die Antragsgegnerin, das Unternehmen, trägt ihre Kosten immer selbst.235) 167 Sachverständige verlangen im Allgemeinen mehr, als das Justizvergütungsund Entschädigungsgesetz (JVEG) vorsieht. Das Gericht kann die Zustimmung des Antragsgegners zur höheren Vergütung ersetzen, sofern nicht das Doppelte des an sich vorgesehenen Honorars überschritten wird (§§ 9, 13 JVEG).236) Wollte man die Zustimmung des Antragsgegners verlangen, würde das die Wahl des Gutachters und die Gutachterpraxis beeinflussen. II. Einzelne Faktoren 168 Unternehmensbewertung ist Rechtsfrage. Das Gericht bestimmt die rechtlichen Faktoren der Bewertung, den rechtlichen Rahmen der Bewertung. Das Gericht entscheidet nach freier Überzeugung (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 17 Abs. 1 SpruchG, § 37 Abs. 1 FamFG). 169 Die tatsächlichen Grundlagen müssen richtig sein, wie z. B. Daten, Umsätze, Jahresergebnisse, Börsenwerte, Zinssätze und Zinsstrukturen. Planungen und Prognosen müssen auf realistischen Annahmen beruhen; sie müssen plausibel und nachvollziehbar sein, dürfen sich nicht widersprechen. Die Planung ist nur begrenzt überprüfbar.237) Eine realistische plausible Planung der ___________ Vgl. Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 41. Vgl. die Nachweise bei Koch, in: Hüffer, AktG, § 15 SpruchG Rn. 4. BGH, 13.12.2011, AG 2012, 173 = NZG 2012, 191. § 9 JVEG i. V. m. Anlage 1: „Unternehmensbewertung“ Honorargruppe 11, entspricht 115 € pro Stunde; zur Anfechtbarkeit OLG Frankfurt, 3.11.2008, AG 2009, 551 = FGPrax 2009, 140 zum Umfang vgl. Tissen, NZG 2016, 848. 237) BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035; OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418; LG Frankfurt, 27.5.2014, NZG 2015, 1028; vgl. auch die Nachweise in Wüstemann/Brauchle, BB 2016, 1644.

233) 234) 235) 236)

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E. Gründungsprüfung

Geschäftsführung darf es nicht durch seine Sicht ersetzen.238) Fehlen allerdings belastbare Daten, etwa zur Unternehmensentwicklung, hat der gerichtlich bestellte Gutachter eine eigene Planung zu erstellen.239) So bestand die „Ertragsplanung“, die von Unternehmensseite in einem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall vorgelegt worden war, ohne eingehendere Erläuterungen aus einer Übersicht von „vier Seiten mit sieben Zahlen“.240) Der Gutachter hatte daher selbst zu planen. E. Gründungsprüfung Die Unternehmensbewertung hat einen weiteren „Schub“ durch § 33a AktG 170 erhalten. Er erlaubt eine Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung, wenn übertragbare Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente eingebracht werden zu ihrem „gewichteten Durchschnittspreis“ während der letzten drei Monate vor dem Tag ihrer tatsächlichen Einbringung (Abs. 1 Nr. 1). Das gilt auch für „andere Vermögensgegenstände“, wenn ein Wert angesetzt wird, den ein unabhängiger Sachverständiger ermittelt hat „nach den allgemein anerkannten Bewertungsgrundsätzen mit dem beizulegenden Zeitwert“ zu einem Stichtag von nicht mehr als sechs Monaten vor dem Tag der Einbringung (Abs. 1 Nr. 2). Das soll nicht gelten, wenn der Durchschnittspreis durch „außergewöhnliche Umstände erheblich beeinflusst“ wurde oder wenn der Zeitwert am Tag der Einbringung „aufgrund neuer oder neu bekannt gewordener Umstände erheblich niedriger ist“ als der angenommene Wert (Abs. 2). Die Regeln gelten auch für die effektive Sachkapitalerhöhung und Nachgründung.241)

___________ 238) OLG Düsseldorf, 20.6.2016 – I-26 W 3/14 (AktE); OLG Düsseldorf, 25.5.2016 – I-26 W 2/15 (AktE); LG Frankfurt, 27.5.2014, NZG 2015, 1028. 239) OLG Düsseldorf, 30.9.2015 – I-26 W 10/12 (AktE). 240) OLG Düsseldorf, 30.9.2015 – I-26 W 10/12 (AktE). 241) Vgl. hierzu Bayer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 33a Rn. 2 ff.

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Zweiter Teil „Wert“ des Unternehmens Das Institut der Wirtschaftsprüfer definiert den „objektivierten Unterneh- 171 menswert“ so:242) „Der objektivierte Unternehmenswert stellt einen intersubjektiv nachprüfbaren Zukunftserfolgswert aus Sicht der Anteilseigner dar. Dieser ergibt sich bei Fortführung des Unternehmens auf Basis des bestehenden Unternehmenskonzepts und mit allen realistischen Zukunftserwartungen im Rahmen der Marktchancen, -risiken und finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens sowie sonstiger Einflussfaktoren. Wegen der Wertrelevanz der persönlichen Ertragssteuern sind zur Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts anlassbezogene Typisierungen der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner erforderlich.“

A. Einführung „Wert des Unternehmens“ ist ein Begriff mit vielen Facetten. Wir müssen ihn 172 ermitteln aus einer bestimmten Beziehung heraus, nämlich aus dem Verhältnis der Gesellschafter zueinander; es geht uns also um den „parteienbezogenen Wert“. Gesucht ist der Preis, der bei einer Veräußerung am Stichtag zu erlösen wäre unter konkret betroffenen, unabhängigen Partnern einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung. Das Recht schreibt keine Bewertungsmethode vor.243) Werte für Unternehmen und Anteile daran orientieren sich danach, wie Käu- 173 fer und Verkäufer den künftigen Nutzen des Unternehmens einschätzen. Wichtig mag der Einfluss des Anteilseigners auf das Unternehmen sein: Alleineigentum, qualifizierte oder einfache Mehrheit, Sperrminorität oder Streubesitz („sonstige Einflussfaktoren“).244) Zu beachten ist die Veräußerbarkeit (börsennotiert oder nicht?). Das Unternehmen ist eingebettet in eine externe Umwelt, zu ihr gehört der Kapitalmarkt. I. „Als ob“-Wert Als Wert suchen wir daher den Preis, der sich bilden würde bei einer freiwil- 174 ligen Veräußerung unter Rechtspartnern auf einem freien Markt:245) Tatsächlich gibt es das aber bei unseren Fällen nicht. Deshalb müssen wir auf eine „fiktive Realität“ schauen: Was hätten sachkundige, vertragswillige und voneinander unabhängige Partner unter marktüblichen Bedingungen am Stichtag vereinbart?246) Wir setzen also einen „Als ob“-Wert an (Simulation einer ___________ 242) 243) 244) 245) 246)

IDW S 1 2008 Tz. 29. BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035. IDW S 1 2008 Tz. 29. IDW S 1 2008 Tz. 13. Vgl. IFRS/IAS 16.6, 38.7.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

Verhandlungslösung).247) Dafür müssen wir eine Marktlage „erfinden“ – was nur begrenzt möglich ist. Jedenfalls müssen wir wissen (oder „ahnen“?), welche Faktoren zum Stichtag den Wert im Verhältnis der Gesellschafter zueinander bilden. II. Zukunftserfolgswert 175 Ein Unternehmen soll für die Eigentümer in der Zukunft finanzielle Überschüsse erwirtschaften („shareholder value“). Als Überschüsse sehen wir die Ertrags- oder die Einnahmeüberschüsse (Cashflows) an.248) Daher leiten wir den Wert grundsätzlich ab aus der Fähigkeit, dieses Ziel zu erreichen.249) Es geht somit um den Wert des fortgeführten Unternehmens (Fortführungswert), um den Zukunftserfolgswert.250) Dafür suchen wir den jetzigen Wert (Barwert) der künftigen Nettozuflüsse an die Eigner (Nettoeinnahmen).251) III. Barwert 176 Überschüsse „heute“ sind mehr wert als Überschüsse „morgen“ (in einer ungewissen Zukunft). Der Unterschied liegt im Zins, der sich in der Zeit zwischen „heute“ und „morgen“ erzielen lässt. Deshalb zinsen wir die künftigen Überschüsse ab auf den Barwert am Stichtag, wir „kapitalisieren“ sie. Den Kapitalisierungszinssatz finden wir aus dem Vergleich mit der Rendite einer vergleichbaren anderen Anlagemöglichkeit.252) Als Leitbild dafür kommen in Betracht die Renditen an Anleihe- oder Aktienmärkten.253) 177 Oft lassen sich nicht betriebsnotwendige Teile (neutrales Vermögen) veräußern, ohne die zukünftigen Überschüsse zu gefährden. Den Barwert des Erlöses daraus fügen wir als „Sonderwert“ hinzu.254) Es kann auch mehr bringen, das Unternehmen zu beenden; dann ist der Liquidationswert anzusetzen.255) Das ist der Mindestwert, also die Untergrenze, wenn eine Gesellschaft keine Überschüsse erwirtschaftet oder wenn sie liquidiert werden soll.256) Der Liquidationswert scheidet aus, wenn ein rechtlicher oder tatsächlicher Zwang besteht, das Unternehmen fortzusetzen.257)

___________ 247) 248) 249) 250) 251) 252) 253) 254) 255) 256) 257)

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Jonas, WPg 2007, 835, 841. IDW S 1 2008 Tz. 27. IDW S 1 2008 Tz. 29. IDW S 1 2008 Tz. 5, 7. IDW S 1 2008 Tz. 4. IDW S 1 2008 Tz. 4. IDW S 1 2008 Tz. 115 – 118. IDW S 1 2008 Tz. 5; Einzelheiten siehe Tz. 59, 112, 125, 132. IDW S 1 2008 Tz. 5, 140; siehe Rn. 1296. OLG München, 17.7.2014, AG 2014, 714 = NZG 2014, 1230. IDW S 1 2008 Tz. 130.

A. Einführung

Der Substanzwert (= Nachbaukosten des Unternehmens) hat keine eigen- 178 ständige Bedeutung.258) IV. Subjektiver Wert „Twenty men crossing a bridge

179

Are twenty men crossing twenty bridges.”259)

Einen „objektiven“ Unternehmenswert gibt es nicht: Werte sind „Meinungen“: 180 Sie hängen ab von persönlichen Sichten, von Voraussetzungen und Empfindungen der jeweils Beteiligten, von bevorzugten Daten und von der Rechtsbeziehung zwischen ihnen. Ausgangspunkt ist daher der subjektive Unternehmenswert.260) Das ist auch zu beachten bei grenzüberschreitenden Bewertungen, etwa durch die Europäische Übernahmerichtlinie (Art. 15).261) Juristen lernen schon im ersten Semester, dass der „Wert“ keine objektive 181 Eigenschaft eines Gegenstandes ist, deshalb berechtigt z. B. ein Irrtum darüber nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB. Der Wert hängt davon ab, was als Wert empfunden wird: In der Wüste kann ein Glas Wasser mehr wert sein als ein Glas Brillanten. Der jeweilige zukünftige Nutzen in einem bestimmten Umfeld zu einer bestimmten Zeit macht den Wert aus (Raum und Zeit entscheiden im Recht über „Kopf und Kragen“).262) Der Unternehmenswert ist für verschiedene Personen unterschiedlich hoch; am besten kennen ihn die Beteiligten (Insider) selbst. Die Bezeichnung „objektivierter Unternehmenswert“263) darf uns daher nicht irreführen. V. Grenzwerte 1. Begriff Für Veräußerer und Erwerber können sich so unterschiedliche Werte erge- 182 ben. Wir sprechen von „Grenzwerten“ oder „Grenzpreisen“ und meinen damit den Mindestverkaufspreis einerseits und den Höchstkaufpreis andererseits.264) Wie viel müsste ein vernünftiger Veräußerer mindestens erlösen, was ist seine Preisuntergrenze? Welchen Preis wird ein vernünftiger Erwerber höchstens zahlen, was ist seine Preisobergrenze? Wir finden so einen Grenz-

___________ 258) 259) 260) 261) 262)

IDW S 1 2008 Tz. 6, 170. Wallace Stevens, 1879 – 1955, Metaphors of a Magnifico. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 18. Art. 15 RL 2004/25/EG v. 21.4.2004. Josef Kohler, zit. nach Großfeld, in: FS 200 Jahre Juristische Fakultät der HumboldtUniversität zu Berlin, S. 375. 263) IDW S 1 2008 Tz. 12. 264) Vgl. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 31, 482 ff.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

wert jeweils für den Veräußerer und für den Erwerber. Es ist dann zu „ertasten“, zu „erfühlen“, wo sich die Parteien innerhalb dieses Rahmens treffen mögen.265) 2. Bedeutung 183 Der Grenzpreis des Veräußerers (des Ausscheidenden) ist die Untergrenze. Eine Abfindung in dieser Höhe ist aber nur „angemessen“ (§§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1, 327a Abs. 1 AktG), wenn sie die „Verhältnisse der Gesellschaft“ berücksichtigt (§§ 305 Abs. 3 Satz 2, 320b Abs. 1 Satz 5, 327b Abs. 1 Satz 1 AktG). Das bedarf auch der Sicht des Erwerbenden (des verbleibenden Gesellschafters). Nur wenn dessen Grenzpreis höher oder gleich hoch ist, würde ein freiwillig ausscheidender Gesellschafter eine solche Abfindung hinnehmen. 184 Ist der Grenzpreis des Erwerbenden höher, möchte der Veräußerer daran teilhaben. Im Allgemeinen wird daher der Zwischenbetrag irgendwie geteilt. Die angemessene Abfindung liegt dann zwischen den Grenzpreisen. Das ist ein Ausscheiden „ohne Nachteile“. 185 Die Anteile können für den Erwerber wertvoller sein, weil sie seinen Zugriff auf das Unternehmen verfestigen und er weniger Rücksicht nehmen muss, oder weil er das Unternehmen leichter in seine Pläne einfügen kann. Ferner entfallen evtl. Kontrollkosten. Zu denken ist auch an die Steigerung von Marktanteilen; ein freiwillig ausscheidender Gesellschafter wird versuchen, einen Preis zu erzielen, der diese Hoffnungen berücksichtigt. Das wird uns bei den Synergieeffekten (Verbundvorteilen) noch beschäftigen.266) VI. Einigungswert 186 Wenn wir einen für mehrere Beteiligte verbindlichen Wert suchen, wird die Bewertung intersubjektiv. Deshalb genügen für unsere Zwecke einseitige Investitionssichten nicht; denn hier tritt immer eine weitere Sicht hinzu. Die unterschiedlichen Sichten sind auszugleichen, sind kunstvoll „auszubalancieren“. Der Wert muss grundsätzlich zwischen den Grenzwerten der Parteien liegen, um für sie „angemessen“ zu sein. Wir sprechen vom „Einigungswert“ oder „Vermittlungswert“; ihm begegnen wir in den hier erörterten Fällen. Er ist unparteiisch zu ermitteln. 187 Der Einigungswert ist nicht Grundlage einer Abfindung für ausscheidende Aktionäre. Haben etwa die meisten außenstehenden Aktionäre einem Vergleich über die Höhe einer Barabfindung zugestimmt, kann eine solche „konsensuale Schätzung“ nicht kraft Mehrheitsauffassung als angemessen ___________ 265) Vgl. etwa zur Bestimmung von sachgerechten Verrechnungspreisen § 1 Abs. 3 Außensteuergesetz. 266) Siehe Rn. 386.

44

A. Einführung

angesehen werden.267) Eine solche Betrachtung liefe auf einen Zwangsvergleich für den nicht beteiligten außenstehenden Aktionär hinaus. Dieser hat jedoch einen Anspruch darauf, dass er eine Abfindung in angemessener Höhe erhält und muss sich nicht auf zwischen Dritten vereinbarte Werte verweisen lassen. Er soll „jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt der unternehmensrechtlichen Maßnahme erhalten hätte“.268) Dieser Gedanke gilt auch für die Berücksichtigung von Paketzuschlägen. 188 Solche Zuschläge, die etwa der andere Vertragsteil bei dem Erwerb von Anteilen zahlen kann, stehen nach der Rechtsprechung regelmäßig in keiner Beziehung zum „wahren Wert“ des Aktieneigentums des außenstehenden Aktionärs.269) VII. Marktwert Die subjektive Bewertung geht aus von der konkreten Lage auf unvollkom- 189 menen Märkten. Dieser Ansatz konkurriert zunehmend mit einer anonymen (oft „objektiviert“ genannten) Beurteilung von börsenmäßig organisierten, angeblich „vollkommenen“ Kapitalmärkten. Daraus soll für alle Teilnehmer – unabhängig von ihrer individuellen Risikoneigung – derselbe Wert und damit derselbe Preis entstehen. Diese Annahmen werden ihrerseits als wirklichkeitsfremd kritisiert, als Versuch, in einer „idealisierten Denkwelt“ Unsicherheiten modellhaft zu bewältigen.270) Hier ist indes festzuhalten: Vollkommene Kapitalmärkte gibt es nicht271), 190 ebenso keine gleichen Informationen für alle Beteiligten; es bestehen Informationsasymmetrien. Das OLG München hat im Einzelnen erläutert, wie stark in der Finanzkrise die Informationsasymmetrie zwischen Markt und Vorstand der Hypo Real Estate Holding AG (HRE) gewesen war, der Markt bewusst in die Irre geführt und kursrelevante Informationen verschleiert worden waren.272)

___________ 267) OLG Düsseldorf, 8.8.2013, AG 2013, 807; OLG Düsseldorf, 31.10.2013 – I-26 W 28/12 (AktE); OLG Frankfurt, 15.10.2014, AG 2015, 205 = ZIP 2014, 2439; a. A.: Drescher, in: Spindler/Stilz, § 11 SpruchG Rn. 7. 268) OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683; BVerfG, 20.12.2010, AG 2011, 128 = NZG 2011, 235. 269) BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 („DAT/Altana“); Veil, in: Spindler/Stilz, § 305 AktG Rn. 66; a. A.: Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 39, 40, 41b. 270) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 26; ausführlich Cornell/Rutten, Market Efficiency, Crashes and Securities Litigation; Grossman/Stiglitz, The American Economic Review June 1980, 393. 271) Franken/Schulte/Luksch, BewertungsPraktiker Nr. 1/2012, S. 28, 31. 272) OLG München, Musterentscheid v. 15.12.2014, BeckRS 2015, 04649.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

B. Normwert I. Grundlagen 191 Bei Bewertungen innerhalb gesellschaftsrechtlicher Beziehungen begegnen wir dem „Normwert“. Er beschreibt, aus welcher rechtlichen Perspektive und mit welchen rechtlichen Vorgaben eine Bewertung erfolgen soll. Gerichte und Sachverständige bewegen sich bei der Wertermittlung keineswegs in einem rechtlichen Vakuum, sondern sind gehalten, dem jeweiligen Normzweck Geltung zu verschaffen („normzweckkonforme Unternehmensbewertung“).273) Betriebswirtschaftliche Sichten sind wichtig: Der Wert ist „nach betriebswirtschaftlichen Methoden“ zu berechnen.274) Sie sind aber einzufügen in ein bestimmtes Rechtsverhältnis; sie erhalten von daher Stellung und Gewichtung.275) Die Unternehmensbewertung wird ein „Begegnungsfach“ zwischen Wirtschaftswissenschaftlern und Juristen mit globalen Dimensionen. 192 Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Gesellschaftsrechts (vgl. § 53a AktG) gebietet, auszugehen von der gemeinsamen Grundlage, dem Gesamtunternehmen (Normwert). Der Wert einzelner Anteile ist daher unabhängig davon, ob sie zu einer Mehrheit oder Minderheit gehören. Das Zivilrecht enthält konkrete Vorschriften für die Unternehmensbewertung nur für den „Ertragswert eines Landguts“276). In § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG findet sich für die „angemessene Abfindung“277) der Hinweis auf die „bisherige Ertragslage der Gesellschaft und ihre künftigen Ertragsaussichten“. § 30 Abs. 1 UmwG stellt für die „Barabfindung“ ab auf die „Verhältnisse des übertragenden Rechtsträgers“. 193 Deshalb suchen wir bei der Bewertung von Anteilen den „quotalen Unternehmenswert“:278) Auszugehen ist vom Unternehmen als Ganzem, nicht von den einzelnen Anteilen. Abzustellen ist dafür auf die „bestmögliche Veräußerung im Ganzen“; es geht also um den Preis des Unternehmens „als Einheit“; der Anteilswert ist dann daraus abzuleiten.279) II. Ausweitung 194 Die Unternehmensbewertung ist inzwischen ein weites Gebiet für die Gerichte. Schiedsgerichte befassen sich ebenfalls damit. 195 Das erstaunt nicht angesichts der zunehmenden gesetzlichen Regelungen. Sie gehen inzwischen weit hinaus über die Standardprobleme beim Ausscheiden aus einer Gesellschaft; wir begegnen ihnen bei Scheidungs- und Erbrechts___________ 273) 274) 275) 276) 277) 278) 279)

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Fleischer, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 13 Rn. 17. Vgl. nur OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683. Brösel/Karami, in: FS Mandl, S. 421, 427. Siehe die Zusammenstellung in Art. 137 EGBGB. Knoll, in: FS Meilicke, S. 321. Hüttemann, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 1 Rn. 40. Hüttemann, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 1 Rn. 40.

B. Normwert

fragen, bei Existenzvernichtung,280) bei Kapitalaufbringung (Sacheinlagen)281) und Due Diligence beim Erwerb von Unternehmen.282) Das weitet sich vor allem aus auf das Bilanzrecht (eine Rechtsmaterie). Es 196 beginnt im Jahresabschluss bei „außerplanmäßigen Abschreibungen“ („voraussichtlich dauernde Wertminderung“ – § 253 Abs. 3 Satz 3, 4 HGB) und setzt sich fort beim Ansatz des „Zeitwerts“ (§ 255 Abs. 4 HGB). Von dort geht es weiter in den Konzernabschluss z. B. bei „Zweckgesellschaften“ (§ 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB). Einen mächtigen Anstoß gibt vor allem die Fair Value-Bilanzierung nach den 197 International Financial Reporting Standards (IFRS) (§ 315a HGB). Die (bisher nicht bewältigte) Komplexität vermittelt die Definition des „beizulegenden Zeitwertes“ nach IFRS 13: „In diesem IFRS wird der beizulegende Zeitwert als Preis definiert, der in einem geordneten Geschäftsvorfall zwischen Marktteilnehmern am Bemessungsstichtag für den Verkauf eines Vermögenswertes eingenommen bzw. für die Übertragung einer Schuld gezahlt würde (IFRS 13.9). Ein Unternehmen bemisst den beizulegenden Zeitwert eines Vermögenswertes oder einer Schuld anhand der Annahmen, die Marktteilnehmer bei der Preisbildung für den Vermögenswert bzw. die Schuld zu Grunde legen würden. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Marktteilnehmer in ihrem besten wirtschaftlichen Interesse handeln (IFRS 13.22). Der beizulegende Zeitwert ist der Preis, zu dem unter aktuellen Marktbedingungen am Bemessungsstichtag in einem geordneten Geschäftsvorfall im Hauptmarkt oder vorteilhaftesten Markt ein Vermögenswert verkauft oder eine Schuld übertragen würde; d.h. es handelt sich um einen Abgangspreis. Dabei ist unerheblich, ob dieser Preis unmittelbar beobachtet ist oder mit Hilfe einer anderen Bewertungstechnik geschätzt wird (IFRS 13.24).“

An diese Definition sollte man denken, wenn man sich auf Börsenkurse ein- 198 lässt. Ist der „Fair Value“ eine zuverlässige Basis für die Unternehmensbewertung angesichts der damit verbundenen Wahl- und Schätzmöglichkeiten? Die Erfahrungen mit der Lehman Brother Bilanz lassen aufhorchen.283) III. Rechtsprägung 1. Hinweise Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht Unternehmensbewertungen als Rechtsfragen 199 zwischen bestimmten Parteien. § 738 Abs. 2 sagt uns, dass der Wert „im Wege der Schätzung“ zu ermitteln sei. Nach § 1376 Abs. 4 ist ein „land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb“ anzusetzen mit dem „Ertragswert“; § 2049 Abs. 1 ver___________ 280) 281) 282) 283)

BGH, 9.2.2009, BGHZ 179, 344 = NZG 2009, 545. Hennrichs, in: FS Uwe Schneider, S. 489. Berens/Brauner/Strauch, Due Diligence bei Unternehmensakquisationen. Großfeld, RIW 2010, 504.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

weist für ein „Landgut“284) auf den „Ertragswert“ und definiert ihn in Abs. 2 so: „Der Ertragswert bestimmt sich nach dem Reinertrag, den das Landgut nach seiner bisherigen wirtschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung nachhaltig gewähren kann.“

200 Das Bürgerliche Gesetzbuch als Recht einer Marktordnung enthält mehr wirtschaftliche „Weisheit“285) als eine spätere „Fälledogmatik“ daraus „ausziseliert“ hat.286) Immer sind die statistischen Wirkungen einzelner Entscheidungen zu beachten (statistisches Rechtsdenken).287) 2. Rechtsbeziehung a) Allgemeines 201 Das gilt vor allem für Ausgleich und Abfindung: Die Unternehmensbewertung ist hier Teil einer schon bestehenden Rechtsbeziehung und von daher rechtsgeprägt: Es gilt Bürgerliches Recht, GmbH-Recht oder Aktienrecht und darüber hinaus Verfassungsrecht: Nur die volle Abfindung im Rahmen des jeweiligen Rechtsverhältnisses ist „angemessen“, ein klassischer unbestimmter Rechtsbegriff. Das Bundesverfassungsgericht erklärt dazu: „Das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) gewährleistet das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum (…). Der Schutz erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft, die das Aktieneigentum vermittelt. Aus dieser Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche.“288)

202 Geschützt ist nicht nur das Verhältnis zu Dritten, sondern gerade auch der Schutz innerhalb der Gesellschaft, zwischen Aktiengesellschaft, Haupt- und Minderheitsaktionär. Die Barabfindungsregeln sind Ausprägung dieses Spannungsverhältnisses (vgl. z. B. §§ 304 f., 327a AktG). 203 Das Bundesverfassungsgericht macht so deutlich, dass Aktieneigentum mehr ist als bloßer Börsenwert. Der Börsenwert wird zwar auch durch die vermögensrechtlichen Ansprüche und Leitungsbefugnisse beeinflusst und geprägt. Er kann aber vom „wahren Wert“ abweichen. Es ist daher konsequent, dass das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, dass der Börsenwert regelmäßig die Untergrenze der Abfindung sein kann und unmissverständlich formuliert, dass „Art. 14 Abs. 1 GG keine Entschädigung zum Börsenkurs, sondern ___________ 284) Siehe die Zusammenstellung in Art. 137 EGBGB. 285) Vgl. Mataja, Recht des Schadensersatzes vom Standpunkt der Nationalökonomie. Dieses Buch nahm die spätere „ökonomische Analyse des Rechts“ vorweg. Dazu Winkler, Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 26 (2004), 262. 286) Großfeld, in: FS Jayme, Bd. 2, S. 1103. 287) Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, S. 86. 288) BVerfG, 7.9.2011, AG 2011, 873 = NZG 2011, 1379.

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B. Normwert

zum „wahren“ Wert, mindestens aber zum Verkehrswert verlangt“.289) Soweit in jüngerer Zeit verstärkt die Tendenz besteht, (nur) auf Börsenkurse abzustellen, wird dieser Grundsatz ausgehöhlt (vgl. jetzt etwa § 39 BörsG).290) Wir suchen daher den Wert zwischen rechtlich verbundenen Partnern (par- 204 teiabhängiger Wert) beim Eingriff in das Rechtsverhältnis zwischen ihnen. Immer geht es um eine „angemessene“ Lösung (vgl. § 305 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AktG), die am Rechtsverhältnis „gemessen“ wird. Das bezieht sich z. B. auf die Methode zur Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG bildet dafür den Rahmen:291) Der Gesellschafter soll den Betrag erhalten, den er bei einem freiwilligen Ausscheiden hätte „erhandeln“ können. Die Angemessenheit zu bestimmen, ist Rechtsfrage.292) Letztlich entscheidet 205 das Gericht. b) Privatautonomie Im Privatrecht begegnen sich gegenseitige Freiheitssphären in einer herr- 206 schaftsfreien Ordnung.293) Es ist daher Rücksicht zu nehmen auf die Privatautonomie aller Beteiligten als wertbildenden Faktor: Entscheidend ist der Preis zwischen grundsätzlich Gleichberechtigten und Gleichinformierten (gesellschaftsrechtlicher Gleichheitssatz, vgl. 53a AktG). Die Lage ist damit anders als bei Vorgängen an der Börse zwischen typi- 207 scherweise unverbundenen Teilnehmern. Die untere Grenze ergibt sich allerdings aus dem Verkehrswert des Anteils, namentlich bei Aktien; das ist der Wert, der sich durch die Verkehrsfähigkeit der Aktie ergibt unter nicht rechtlich Verbundenen.294) c) Schätzung Allgemeine Grundlage für das Vorgehen der Gerichte ist § 738 Abs. 2 BGB:

208

„Der Wert des Gesellschaftsvermögens ist, soweit erforderlich, im Wege der Schätzung zu ermitteln.“

Schätzung – nicht Berechnung!295) Einzubeziehen sind – wie dies etwa bei 209 Freiberufler-Sozietäten praxisrelevant ist – sonstige Ansprüche aus dem Gesellschafterverhältnis, z. B. der Wert mitgenommener Mandate.296) ___________ 289) 290) 291) 292) 293)

BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 („DAT/Altana“). Vgl. dazu Bayer, NZG 2015, 1169. Vgl. zum Delisting BVerfG, 11.7.2012, BVerfGE 132, 99 = NZG 2012, 826. Veil, in: Spindler/Stilz, § 305 AktG Rn. 70. Vgl. Immanuel Kant, „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann“; zit. nach Bürgi, in: FS Claus-Wilhelm Canaris, S. 59, 61. 294) BGH, 12.3.2001, BGHZ 147, 108 = NZG 2001, 603. 295) Vgl. für den Wert des Nachlasses § 2311 Abs. 2 Satz 1 BGB. 296) Vgl. Westermann, in: Erman, § 738 BGB Rn. 17 f.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

210 Dem entspricht § 287 ZPO. Das Gericht entscheidet beim Schaden „unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung“ (Abs. 1 Satz 1). Das gilt „bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen“ (Abs. 2). Es steht im Ermessen des Gerichts, einen Sachverständigen heranzuziehen (§ 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Das Gericht ist an Beweisanträge nicht gebunden. Zu schätzen ist nach objektiven Gesichtspunkten; eine „in der Luft hängende“ Schätzung ist unzulässig.297) 211 Bei Abfindungen urteilt das Gericht „nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung“ (§ 17 Abs. 1 SpruchG, § 37 Abs. 1 FamFG). Hier gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 17 Abs. 1 SpruchG, § 26 FamFG), der allerdings in der Praxis wesentlich eingeschränkt ist (vgl. § 4 Abs. 2, § 10 Abs. 3 SpruchG). Die Entscheidung muss plausibel sein und ist zu begründen (§ 11 Abs. 1 SpruchG). Angesichts der Verknüpfung mit ökonomischen Theorien und mathematischen Formeln ist ihnen gegenüber Offenheit geboten. Maßgeblich ist aber auch § 184 Satz 1 GVG: „Die Gerichtsprache ist deutsch“: Formeln genügen nicht. 3. Normorientierung 212 Damit prägt der rechtliche Zusammenhang innerhalb eines Unternehmens unter bestimmten Parteien die Bewertung (normorientierte Bewertung). Wir wählen die Methode und erfassen die wertbildenden Eigenschaften vom Rechtsverhältnis her, das den Zweck vorgibt. 213 Deshalb sind die Grundlagen zu beachten, die das Rechtsverhältnis prägen; das sind z. B. die Treuepflicht und die Gleichbehandlung (zu ihr gehört die Angleichung der Informationslage). Nur dann ist die Bewertung zweckgerecht. Nicht entscheidend ist das im Verkehr „Übliche“, sondern das vom Recht her „Erforderliche“ (vgl. § 276 Abs. 2 BGB). Die Bewertung muss zunächst „rechtsgerecht“ sein und in diesem Rahmen „realitätsgerecht“ (Recht ist selbst Teil der Realität). 214 Der Unternehmenswert ist also ein Normwert. Es zählt, was das Unternehmen zwischen den Parteien von Rechts wegen wert ist (Konsenswert, simulierte Verhandlungslösung).298) IV. Typisierter Wert 215 Die Sicht der Beteiligten ist oft schwer zu erfassen; dennoch müssen wir uns festlegen. Dabei ist zu beachten, dass eine gerichtliche Festsetzung den Parteien einen „Preis“ aufzwingt. Der Interessenausgleich dafür verlangt norm___________ 297) Greger, in: Zöller, ZPO, § 287 Rn. 6. 298) Nahe liegt eine Parallele zum „Fair Value“ nach International Accounting Standards 16: „Fair value is the amount of which an asset could be exchanged between knowledgeable, willing parties in an arm’s length transaction“.

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zweckorientierte Sichten. An die Stelle individueller Vorstellungen tritt eine marktgerechte Typisierung (markttypischer Wert). Wir sprechen von einem „typisierten“, „objektivierten“ Unternehmenswert.299) Das Unternehmen ist dafür einzuschätzen und zu „bepreisen“ aus der Sicht 216 eines unabhängigen Dritten. Das kennen wir von Willenserklärungen: Wir legen nach objektiven Maßstäben aus, aber berücksichtigen die Sicht der Partner (parteienbezogene Auslegung). Das wiederum lässt sich nur im Hinblick auf den typischen wirtschaftlichen Zweck der Rechtsbeziehung beurteilen. Die typisierende Betrachtung soll mangelnde oder schwer erhältliche Informationen ausgleichen. Wichtig sind namentlich fünf Faktoren: Bezugspersonen, Bewertungsverfahren, Bewertungsfaktoren, Plausibilität und Nachprüfbarkeit. Sie besagen je nach Gesellschaftsform Unterschiedliches zum Grad der Typi- 217 sierung. Bei einer Personengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung können wir stärker „individualisieren“. Bei der Aktiengesellschaft als Massengesellschaft oft anonymer Anteilseigner (Inhaberaktien) gilt mehr ein statistisches Rechtsdenken.300) Hier berücksichtigen wir etwa die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner nur „typisierend“, während wir bei einem überschaubaren Gesellschafterkreis oder gar einem Einzelgesellschafter die individuell geltende Steuer ansetzen können. Auch die Beweglichkeit der Anteile ist anders; das führt bei der Aktiengesellschaft eher zur Beachtung eines selbstständigen Marktwertes (z. B. Börsenwert), aber auch der Chancen, die sich aus freier Übertragbarkeit ergeben. Wirksam werden nur individuelle Faktoren, die wichtig sind für den gemein- 218 samen Zweck. Keine Rolle spielen die Zahl der Kinder oder das Interesse, sie im Unternehmen zu versorgen. Persönliche Steuern werden heute typisierend erfasst. Es ist fraglich, wie lange das angesichts steigender Komplexität, angesichts von Steueroasen und Globalisierung noch möglich ist und ob nicht Vereinfachungen notwendig sind.301) Wir unterstellen etwa bei der Berechnung der zu berücksichtigen Ertragsteuer, dass die Aktien in Privathand gehalten werden, obwohl die Mehrzahl von in- und ausländischen Investoren und Unternehmen gehalten werden.302) Die deutsche Typik lässt sich grenzüberschreitend kaum ermitteln und nicht in das Ausland übertragen. Sind die daran erlernten Techniken international einsetzbar? Der IDW S 1 2008 spricht angesichts der Typisierungen von einem “objekti- 219 vierten Wert des Unternehmensanteils“, er entspreche „dem quotalen Wertanteil am objektivierten Gesamtwert des Unternehmens“.303) ___________ 299) 300) 301) 302) 303)

Vgl. etwa LG München I, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124. Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, S. 86. Vgl. die Nachweise in OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. IDW S 1 2008 Tz. 13, Vor Rn. 29, 114.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

220 Der Ausdruck „objektiviert“ ist fraglich. Er kann die parteibezogene Angemessenheit unzulässig einschränken. Er führt zum Vergleich mit „objektiven“ Börsenwerten, was seine „Attraktivität“ begründet. Die neu geschaffenen Abfindungsregeln, die für Delisting-Fälle nunmehr weitgehend auf Börsenkurse abstellen, zeigen dies (§ 39 BörsG).304) Die Wahl dieses Maßstabs beruht aber ihrerseits auf modellgesteuerten „Vorlieben“. Vorsicht ist geboten, wenn Objektivierung mehr sagen soll als „neutraler Beobachter“ und Angleichung der Informationslagen. 221 Wenn auch angesichts der Komplexität von Bewertungsfällen Typisierungen praktisch unumgänglich sind, so ist doch jedes Mal zu hinterfragen, ob die Typisierung noch innerhalb des Normzwecks der Bewertung liegt. V. Leitgedanke 222 Tragend sind die Leitgedanken des Gesellschaftsrechts: Die gesellschaftliche Treuepflicht, die Pflicht zur Gleichbehandlung, die Schutzaufgabe von Ausgleich und Abfindung sowie ihre evtl. Konzentrationsneutralität.305) Das entspricht der wertgebundenen Ordnungsaufgabe des Zivilrechts.306) Angesichts globaler Geldströme ist auch zu denken an die Kontrolle von Investitionen mit politischen oder militärischen Zielen (Sovereign Wealth Funds = Staatsfonds). China und Dubai geben uns zu denken. 223 Rechtspolitisch und volkswirtschaftlich geht es um die Herrschaft über Unternehmen und damit um ein Gleichgewicht, wie es das Privatrecht durch die Privatautonomie sichern soll als System von Macht und Gegenmacht. Deshalb steht im Vordergrund die Machtzuordnung des Unternehmens als Ganzes, nicht der Preis des einzelnen Anteils. Wir sehen den Anteil nicht zuerst von seiner Marktstellung, sondern von seinem Machtpotential her – darüber aber entscheidet die Rechtsbeziehung innerhalb des Unternehmens. 224 Zu denken ist an eine Vergleichbarkeit mit ausländischen Bewertungen: In der Europäischen Union sind Unternehmenswerte ein Teil der Niederlassungsfreiheit:307) Bewertungen dürfen Anteilseigner in anderen Mitgliedstaaten nicht benachteiligen. Die Rechtsvergleichung dringt von daher auch ein in die gerichtliche Praxis.308) Für die Unternehmensbewertung ist dabei die geographische und kulturelle „Einbettung“ sorgfältig zu beachten.

___________ 304) Vgl. Bayer, NZG 2015, 1169; Groß, AG 2015, 812. 305) Dazu Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, S. 50 ff. 306) Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, S. 89. 307) Vgl. EuGH, 23.2.2006, C-253/03 (CLT-UFA SA/Finanzamt Köln-West). 308) Hondius, in: FS Schwenzer, S. 759.

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VI. Gleichheitssatz Überragend ist der Gleichheitssatz als zumeist ungeschriebenes Grundprin- 225 zip jeder Gesellschaft. Der Grundsatz ist Ausprägung der Treuepflicht und verbietet eine von Vertrag oder Satzung abweichende unterschiedliche Behandlung.309) In § 53a AktG ist er für die Aktiengesellschaft festgelegt; er erfasst ebenfalls Abfindungen.310) Auszugehen ist von der gemeinsamen Grundlage, dem Gesamtunternehmen. Abzustellen ist auf die „bestmögliche Veräußerung im Ganzen“,311) auf einen Verkauf „als Einheit“312). Daraus wird dann der Anteil, der „quotale Unternehmenswert“ berechnet.313) Der Wert des Anteils ist also abzuleiten aus dem Wert des ganzen Unternehmens. 1. Innensicht/Außensicht Der Gleichheitssatz verlangt regelmäßig eine Innensicht der Gesellschaft 226 vermittelt durch einen unabhängigen Gutachter: Nur sie vermittelt eine gleiche Information für alle Beteiligten. Darauf deutet IDW S 1 2008 Tz. 14: Bewertungen beruhen auf der „i. d. R. dem Kapitalmarkt und einer weiteren Öffentlichkeit nicht zugänglichen Planungsrechnung und dem Unternehmenskonzept“. Der Großaktionär hat dieses Wissen, der Kleinaktionär nicht. Daher ist zunächst eine gleiche Informationslage zu schaffen als Grundlage der für beide Seiten zugänglichen Information. Außensicht und Innensicht sind dann miteinander abzuwägen. Die Börse schafft vor allem eine Außensicht. Sie hat zudem eine eigene Dy- 227 namik, ist eigenständiger Risikofaktor, schafft und vernichtet Werte. Starke Gruppen sind an Börsenwerten interessiert: Das Management, die Analysten, die Banken und die Börse selbst. Unternehmen sind der Versuchung ausgesetzt, „to play games with their valuations“. Insiderwissen ist dem Außenseiter verschlossen; es ist preiserheblich, kann den Börsen- oder Marktpreis beeinflussen (vgl. § 13 Abs. 1 WpHG). Die Gerichte stehen für eine tatsachen- und parteiennahe unabhängige In- 228 nensicht – auch frei von Modellen und deren „Gittern“. Außensicht und Innensicht finden zusammen. Am Anfang steht normgemäß der Blick auf das Ganze. Die so von den Gerichten gefundenen Ansätze beeinflussen die Werterwartungen der Parteien und prägen damit die „Angemessenheit“ mit.

___________ 309) 310) 311) 312) 313)

Koch, in: Hüffer, AktG, § 53a Rn. 2. Zu Vorzugs- und Stammaktien siehe OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822. LG Köln, 24.7.2009, AG 2009, 835 = ZIP 2012, 1200; Knoll, in: FS Meilicke, S. 321. BGH, 24.9.1984, DB 1985, 167 = NJW 1985, 192. BVerfG, 20.12.2010, AG 2011, 128 = NZG 2011, 235.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

2. Aufteilung 229 Der Unternehmenswert ist gleichmäßig aufzuteilen, er ist nicht vorab einem Gesellschafter zuzuweisen (vgl. §§ 738 Abs. 1 Satz 2, 734 BGB); es gibt daher auch keinen Grundsatz der Meistbegünstigung für ausscheidende Aktionäre.314) Anders ist es, wenn Unterschiede nach Gesetz („Angemessenheit“, „Treu und Glauben“), Vertrag oder Satzung zu erfassen sind. Anteile gleicher rechtlicher Ausstattung aber haben im Verhältnis der Gesellschafter zueinander gleichen Wert. Das gilt unabhängig davon, ob sie zu einer Mehrheit oder zu einer Minderheit gehören. 230 Der Gleichheitssatz hat große makroökonomische Bedeutung: Er hat eine konzentrationsneutrale Wirkung und schützt die Machtbalance im Markt. Er steht so in besonderem Maße für die wettbewerbliche Aufgabe des Gesellschaftsrechts als Teil einer öffentlichen Gesamtordnung.315) Sie können wir nach den Erfahrungen mit der Finanzkrise 2008 nicht dem Markt allein überlassen. VII. Methodenwahl 231

In der Praxis konkurrieren miteinander „fundamentalanalytische“ (z. B. Ertragswert) mit „marktorientierten“ (z. B. Börsenwert) Methoden. Das Verfassungsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) verlangt keine bestimmte Methode der Unternehmensbewertung;316) Wie der Unternehmenswert zu ermitteln ist, ist in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts.317) C. Bewertungskonventionen I. Rechtsprechung

232 Mit dem Normwert tritt für die hier behandelten Gegenstände die Rechtsprechung nach vorne. Die langjährige Praxis bei Spezialgerichten in vielen Verfahren schafft einen Hintergrund für den Ausgleich verschiedener Sichten und Methoden; Handelsrichter bringen oft eigene berufliche Erfahrungen ein. 233 Das gilt vor allem bei der Höhe des Zinssatzes für die Kapitalisierung, für die Einschätzung der Kraft des Unternehmens und die mitunter eigenständige Dynamik von Finanzmärkten. Die Finanzkrise 2008 offenbarte undurchsich-

___________ 314) LG Frankfurt, 16.12.2014, AG 2015, 409 = NZG 2015, 635. 315) Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, S. 12, 80; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, S. 136. 316) BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035. 317) BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035.

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C. Bewertungskonventionen

tige Bilanzierungsregeln, Bilanzierungspraktiken (z. B. Lehman Brothers,318) Zweckgesellschaften319) und unsichere Prüfungen.320) II. IDW-Standards 1. Überblick Wie schon erwähnt,321) orientiert sich die Praxis vielfach an Verlautbarungen 234 des Instituts der Wirtschaftsprüfer. Den Beginn machte die Stellungnahme HFA 2/1983: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen von 1983.322) Es folgte der IDW Standard S 1: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen vom 28.6.2000 (IDW S 1 2000).323) Er lag seit dem 18.10.2005 in neuer Fassung vor (IDW S 1 2005).324) Seit dem 2.4.2008 haben wir eine weitere Neufassung, die ab 7.7.2007 gilt (IDW S 1 2008). Die mehrfachen Änderungen in der Vergangenheit waren im Wesentlichen durch die Änderungen des Steuerrechts begründet, brachten aber auch teilweise andere Sichtweisen und bemühten sich um die Konsistenz und Plausibilität des Bewertungsmodells. Seit 2008 hat sich der Bewertungsstandard nicht mehr geändert – nicht zuletzt deswegen, weil er in einigen (steuer-) kritischen Bereichen weiter gefasst wurde als die Vorgänger-Version. Die praktische Bedeutung der IDW Standards ist hoch, manche meinen zu 235 hoch,325) weil sich Haupt- und Minderheitsaktionäre, Wirtschaftsprüfer, Gerichte und Gerichtsgutachter ganz überwiegend danach richten und entsprechend bewerten. Gleichwohl dürfen die Gerichte die Standards nicht ungeprüft übernehmen. Anhand eines „falschen“ Standards kann keine angemessene Abfindung berechnet werden. So hat auch der Bundesgerichtshof geprüft, ob der IDW S 1 2000 „Unzulänglichkeiten“ aufgewiesen hat.326) 2. IDW S 1 2000 Der IDW S 1 2000 brachte die Bewertung nach Steuern unter Berücksichtigung 236 der Halbeinkünftebesteuerung; er setzte weiter die Vollausschüttung der Er-

___________ 318) Großfeld, RIW 2010, 504; Sellhorn/Hahn/Müller, DB 2010, 2117. 319) Sandrock, in: FS Graf von Westphalen, S. 581; Jürgen Hoffmann, in: FS Meilicke, S. 223. 320) Großfeld/Heppe, Law and Business Review of the Americas 15 (2009), 723; Meyer, Der Konzern 2010, 226; Europäische Kommission, Green Paper on Audit Policy, Lessons from the Crisis, COM (2010), 561 final 13.10.2010. 321) Siehe Rn. 10. 322) WPg 1983, 468. 323) WPg 2000, 825. 324) FN-IDW Nr. 11/2005, S. 690. 325) Emmerich, EWeRK 2016, 153. 326) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424.

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träge voraus.327) Er bejahte das Capital Asset Pricing Model (CAPM) neben der bisherigen Methode des risikoadjustierten Zinssatzes (Risikozuschlag), aber als „Regel“ „grundsätzlich“ nur bei börsennotierten Unternehmen.328) 3. IDW S 1 2005 a) Zuflussprinzip 237 Der IDW S 1 2005 korrigierte den IDW S 1 2000 (ohne von „Korrektur“ zu sprechen): Angesichts der Halbeinkünftebesteuerung gab er die Annahme einer Vollausschüttung auf zugunsten des „Zuflussprinzips“:329) Wegen der unterschiedlichen Besteuerung von thesaurierten und ausgeschütteten Gewinnen ist ein Kernproblem die Prognose der Nettozuflüsse an die Anteilseigner. Man stellt dazu ab auf das Ausschüttungsverhalten (Ausschüttungsquote).330) Für den Basiszinssatz „kann zur Orientierung“ die Zinsstrukturkurve herangezogen werden,331) wie sie die Deutsche Bundesbank veröffentlicht. Diese Kurven beruhen auf finanzmathematischen Grundlagen und bewerten Wertpapiere. In Spruchverfahren wird die Zinsstrukturkurve, die den Basiszins abbilden soll, regelmäßig nach der sog. „Svensson-Methode“ berechnet. b) Alternativanlage 238 Für den risikoadjustierten Zinssatz (Risikozuschlag) ist prägend die Wende zu einer anderen Alternativanlage, die gleichartig ist bei Fristigkeit, Risiko und Besteuerung.332) Während man bisher auf den Anleihemarkt abstellte, zieht man jetzt auch den Aktienmarkt heran. 4. IDW S 1 2008 239 IDW S 1 2008 setzt diese Linie fort. Die Regeln gehen aus vom Zuflussprinzip („Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner“) und stellen damit in den Vordergrund die „Zahlungsstromorientierung“.333) Deshalb kommt es an auf die „entziehbaren künftigen finanziellen Überschüsse“.334) Zu schauen ist aber auch auf die thesaurierten Beträge: Sie können ja die Erträge steigern; Be-

___________ 327) 328) 329) 330) 331) 332) 333) 334)

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IDW S 1 2000 Tz. 24, 37 – 40, 44. IDW S 1 2000 Tz. 98 spricht von “kann”, Rn. 135 f. IDW S 1 2005 Tz. 4, 24 – 26. IDW S 1 2008 Tz. 35 – 37. IDW S 1 2008 Tz. 117. IDW S 1 2005 Tz. 124. IDW S 1 2008 Tz. 4, 24, 25. IDW S 1 2008 Tz. 25.

D. Rückwirkung

schränkungen der Ausschüttungsfähigkeit sind zu beachten.335) Deshalb ist die Ausschüttungsquote wichtig. Die Kernaussage lautet:336) „Der Wert eines Unternehmens wird durch die Höhe der Nettozuflüsse an den Investor bestimmt, die er zu seiner freien Verfügung hat. Diese Nettozuflüsse sind unter Berücksichtigung der inländischen und ausländischen Ertragsteuern des Unternehmens und grundsätzlich der aufgrund des Eigentums am Unternehmen entstehenden persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner zu ermitteln.“

Die Neufassung berücksichtigt die Abgeltungsteuer, die seit 2009 gilt. Wegen 240 des einheitlichen Steuersatzes (Abgeltungsteuer plus Solidaritätzuschlag) von 26,375 % deutet das auf eine Vereinfachung hin. Doch werden für Anteilserwerbe ab 1.1.2009 auch realisierte Kursgewinne (Veräußerungsgewinne) besteuert; das lässt sich indes beliebig hinausschieben. Deshalb heißt es in IDW S 1 2008:337) „So sind bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften bei differenzierter Effektivbesteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen zusätzliche Annahmen, z. B. über den Zeitraum des Haltens der Unternehmensanteile, zu treffen.“

Die Annahmen können unsicher sein; die Bewertung bleibt komplex. So sieht 241 der IDW S1 2008 zwar die seit 2009 geltende Steuerpflicht von Kursgewinnen vor, unterstellt hierbei dann eine lange Haltedauer der Anteile von 40 Jahren.338) Aufgrund des Barwerteffekts ergibt sich eine geringere Steuerbelastung für Kursgewinne von nur 13,19 %. Aber halten Anleger Wertepapiere heute noch 40 Jahre? Die Einzelheiten erläutern wir später.339) D. Rückwirkung „Time present and time past. Are both perhaps present in time future, And time future present contained in time past. If all time is eternally present. All time is unredeemable”.340)

242

I. Einführung Wertvorstellungen sind zeitabhängig. Wir haben gesehen, dass sich Bewer- 243 tungsstandards oder -konventionen ändern können. Es stellt sich die Frage, welches Bewertungsregime zugrunde zu legen ist, das am Bewertungsstichtag geltende oder dass zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung? ___________ 335) 336) 337) 338)

IDW S 1 2008 Tz. 26. IDW S 1 2008 Tz. 28. IDW S 1 2008 Tz. 44. OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418; Dörschell/Franken/ Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 126. 339) Siehe Rn. 337, 574, 840, 1032. 340) T. S. Eliot, Burnt Norton.

57

Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

244 Die Auswirkungen für die Unternehmensbewertung können gravierend sein, wie etwa der Wechsel vom IDW S 1 2000 zu IDW S 1 2005 zeigt. Mit der Änderung sind die Unternehmenswerte – allein durch den Wechsel der Bewertungskonventionen – um rund 20 % – 30 % gesunken. 245 Die Rückwirkungsproblematik war in Rechtsprechung und Literatur viele Jahre umstritten.341) Mit der Entscheidung vom 29.9.2015342) hat der Bundesgerichtshof diese Frage entschieden und klargestellt, dass meist der neuere Bewertungsstandard anzuwenden ist. II. Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf 246 Das OLG Düsseldorf hatte 2014343) dem Bundesgerichtshof die Frage vorgelegt, inwieweit ein bestimmter Bewertungsstandard rückwirkend anzuwenden sei. 1. Ausgangslage 247 Eine Deutsche Bahn-Tochter hatte im Jahr 2002 99,71 % der Aktien an der Stinnes AG gehalten. Im Oktober 2002 hatte die Hauptaktionärin beschlossen, ein Squeeze-out-Verfahren durchzuführen, und den Minderheitsaktionären 39,85 € je Aktie angeboten. In Zusammenhang mit einer Anfechtungsklage war die Barabfindung dann in einem Vergleich auf 52 € je Aktie zugunsten aller Minderheitsaktionäre erhöht worden (Reduzierung des Betafaktors von 1,0 auf 0,6). 248 Der sachverständige Prüfer hatte die Bewertung zum Stichtag 17.2.2003 auf der Basis des IDW S 1 2000 durchgeführt, war u. a. von einer Vollausschüttung der finanziellen Überschüsse ausgegangen. Er hatte in seinem Gutachten erläutert, dass das Bewertungsverfahren in Theorie und Praxis gesichert und anerkannt sei. Er errechnete einen Unternehmenswert i. H. v. 3,03 Milliarden €, woraus sich der zunächst angebotene Betrag von 39,85 € ergab. 249 Das Landgericht Düsseldorf ließ eine vollständige Neubewertung vornehmen. Der gerichtlich bestellte Gutachter ermittelte unter Berücksichtigung persönlicher Steuern Unternehmenswerte i. H. v. 4,98 Milliarden € (IDW S 1 2000, Kapitalisierungszinssatz 4,782 %) und 3,72 Milliarden € (IDW S 1 2005, Kapitalisierungszinssatz 6,16 %). Als Unternehmenswert vor persönlichen Steuern errechnete der Gutachter auf Basis des IDW S 1 2000 einen Betrag in Höhe von 3,41 Milliarden €. 250 Er ging hierbei angesichts der dynamischen Entwicklung in der Logistikbranche von einem deutlich stärkeren Wachstum aus. Das Landgericht hatte ausge___________ 341) Vgl. die Nachweise in OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418; OLG Düsseldorf, 29.2.2012, BeckRS 2012, 10495; OLG Düsseldorf, 21.12.2011, BeckRS 2012, 09271. 342) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. 343) Zum Ganzen siehe OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418.

58

D. Rückwirkung

hend von dem gerichtlich eingeholten Gutachten Kürzungen und andere Anpassungen vorgenommen, u. a. den Wachstumsabschlag von 1 % auf 1,2 % erhöht, und dann einen gekürzten Unternehmenswert von 4,39 Milliarden € ermittelt. Es ergaben sich damit folgende Werte: IDW S 1 Sachverständiger Prüfer

Unternehmenswert Mrd. € 2000

Barabfindung

3,03

39,85 € 52,00 €

Vergleich

2000

Gerichtsgutachter

2000

4,98

65,48 €

Gerichtsgutachter

2005

3,72

48,94 €

Gerichtsgutachter

2000 (vor Steuern)

3,41

44,78 €

2000

4,39

Landgericht Börsenkurs

57,77 € unter 52,00 €

Danach versprach eine Beschwerde nur dann Erfolg, wenn ein höherer Ab- 251 findungsbetrag als 52 € festgesetzt werden würde und die Bewertung anhand des am Bewertungsstichtag geltenden IDW S 1 2000 erfolgte. 2. Vorlagefrage Das OLG Düsseldorf schloss sich der Auffassung des Gerichtsgutachters an 252 und hielt – berechnet auf der Basis des IDW S 1 2000 – eine Barabfindung i. H. v. 65,48 € für angemessen. Es sah sich allerdings im Hinblick auf die umstrittene Frage der rückwirkenden Anwendung des IDW-Standards an einer Entscheidung gehindert. a) Keine Rückwirkung von IDW-Standards Das OLG Düsseldorf hielt hier eine rückwirkende Anwendung des IDW S 1 253 2005 nicht für sachgerecht. Das Gericht verweist darauf, dass es sich bei den IDW-Standards um Empfehlungen handle, die keine Rechtsnormqualität hätten. Grundsätzlich sei eine rückwirkende Anwendung neuerer Erkenntnisse und damit späterer Standards nicht ausgeschlossen. So hatte auch das OLG Düsseldorf bei der Ermittlung des Basiszinssatzes und der Anwendung der Zinsstrukturkurve neuere Erkenntnisse zur Plausibilisierung berücksichtigt.344) Eine Rückwirkung komme allerdings dann nicht in Betracht, wenn durch die 254 rückwirkende Anwendung die Bewertung der seinerzeitigen Unternehmensmaßnahme in ihrem Kern so gravierend infrage gestellt werde, dass die Beteiligten seinerzeit nicht damit rechnen mussten. ___________ 344) OLG Düsseldorf, 29.2.2012, BeckRS 2012, 10495; OLG Düsseldorf, 21.12.2011 BeckRS 2012, 09271.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

255 Aus Gründen der Rechtssicherheit, des Stichtagsprinzips und des Vertrauensschutzes scheide eine Anwendung eines neueren Bewertungsstandards aus, der – nur aufgrund einer veränderten Berechnungsmethode – zu bis 30 % geringeren Unternehmenswerten führe. 256 Die Hauptaktionärin hatte im Verfahren geltend gemacht, dass die behaupteten Unzulänglichkeiten des IDW S 1 2000 bereits seinerzeit allgemein bekannt gewesen seien. Das OLG Düsseldorf hat hingegen erläutert, dass diese Frage 2002/2003 seinerzeit ungeklärt gewesen, insbesondere die Konsequenzen noch nicht absehbar gewesen seien. Das Gericht weist nach, dass die Literatur erst unmittelbar mit der Einführung des IDW S 1 2005 und danach teilweise den früheren Standard als nicht sachgerecht eingestuft habe. So habe auch der seinerzeitige sachverständige Prüfer nicht auf etwaige Probleme des Bewertungsstandards hingewiesen, vielmehr auf die Akzeptanz der damaligen Bewertungsregeln hingewiesen. b) Wertbildende Bewertungsmethode 257 Das OLG Düsseldorf hat darauf abgestellt, dass die angewandten Bewertungsregeln für die Minderheitsaktionäre wertbildende Grundlage ihrer Entscheidung gewesen seien, ob sie die angebotene Barabfindung akzeptieren oder ein Spruchverfahren einleiten sollten. 258 Zwar sei eine rückwirkende Anwendung rechtlich unverbindlicher, aber faktisch als Standard anerkannter Bewertungsregeln an sich möglich. Jedenfalls aber dann, wenn die rückwirkende Anwendung des Standards, die bloße Änderung der Methodik zu einer Reduzierung der Unternehmenswerte von 25 % oder 30 % führe, komme eine Anwendung des neueren Standards nicht in Betracht. 259 Zur Begründung verweist das Gericht auch auf den – in anderen Rechtsbereichen anerkannten – Rechtsgedanken der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Die Minderheitsaktionäre hätten nur eine eingeschränkte Außensicht, könnten im Wesentlichen überhaupt nur die Bewertungsmethode als solche überprüfen. Nähere Einblicke in die Unternehmensentwicklung hatten sie – anders als die Hauptaktionärin – gerade nicht. Die rückwirkende Anwendung der IDW-Empfehlungen führe im Streitfall dazu, dass sich selbst die gravierende Fehleinschätzung des sachverständigen Prüfers hinsichtlich der Unternehmensentwicklung nicht mehr auswirke. III. OLG Frankfurt 260 Auch das OLG Frankfurt345) hatte diese Problematik gesehen. Es änderte zwar seine frühere Auffassung und hatte nunmehr auf den neueren Standard abgestellt. Das Oberlandesgericht berücksichtigte etwaige Restzweifel und das Gebot der Rechts- und Planungssicherheit aber dadurch, dass es die neuen ___________ 345) OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822; OLG Frankfurt, 15.10.2014, AG 2015, 205 = ZIP 2014, 2439.

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D. Rückwirkung

Bewertungserkenntnisse „zurückhaltend“ anwenden wollte. Das OLG Frankfurt reduzierte die an sich nach IDW S 1 2005 vorgesehene Marktrisikoprämie von 5,5 % auf 4,5 % und setzte einen tendenziell eher hohen Wachstumsabschlag i. H. v. 1,83 % fest. Im Ergebnis ergaben sich im dortigen Fall dann nach beiden Bewertungsstandards ähnlich hohe Unternehmenswerte. IV. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 29.9.2015346) die Frage 261 entschieden, inwieweit ein Bewertungsstandard rückwirkend anwendbar ist. Maßgeblich kann – unter bestimmten Voraussetzungen – der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung anerkannte Bewertungsstandard sein. 1. Tatsachenfeststellung – Rechtsfrage Der Bundesgerichtshof stellt klar, dass die Frage nach der geeigneten Bewer- 262 tungsmethode Tatsachenfeststellung ist. Welche Berechnungsweise im konkreten Fall geeignet und sachgerecht ist, entscheidet der Tatrichter im Rahmen seines Schätzungsermessens. Dies gilt auch, wenn solche Vorgaben in fachlichen Regelwerken (IDW-Standards) genannt werden. Das Gericht weist – wie allgemein anerkannt war – erneut darauf hin, dass die fachlichen Berechnungsgrundsätze, also die Empfehlungen des IDW (IDW-Standards), keine Rechtsnormqualität haben. Rechtsfrage sei es hingegen, ob eine vom Tatrichter gewählte Bewertungsme- 263 thode oder innerhalb der Berechnungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen widerspreche. Da das OLG Düsseldorf sich im Hinblick auf Rechtssicherheit, Stichtagsprinzip und Vertrauensschutz gehindert sehe, den neueren Bewertungsstandard anzuwenden, liege im Hinblick auf die anderslautende Entscheidung des OLG Frankfurt347) ein durch den Bundesgerichtshof zu entscheidender Abweichungsfall vor. 2. Kein Vertrauensschutz In der Sache geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass die geänderte Be- 264 rechnungsweise weder den Vertrauensschutz noch das Gebot der Rechtssicherheit unzulässig beeinträchtige. Ausgangspunkt sei die wirtschaftlich volle Entschädigung des Minderheitsaktionärs für den Verlust seiner mitgliedschaftlichen Stellung. Die Entschädigung habe den „wirklichen“ oder „wahren“ Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln. Die Ertragswertmethode sei eine grundsätzlich geeignete Methode der Schätzung, wobei aber auch andere Methoden denkbar seien, etwa eine marktorientierte Bewertung nach dem Börsenkurs. ___________ 346) Zum Ganzen siehe BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424; dazu vgl. Mennicke, DB 2016, 520; Fleischer, AG 2016, 185; Handke, BB 2016, 306; Mense/Klie, GWR 2016, 55; Mock, WM 2016, 1261; Meyer, WuB 2016, 337. 347) OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

265 Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes ist es unerheblich, ob die neue Berechnungsweise vorhersehbar gewesen sei. Ohne nähere Begründung stellt der Bundesgerichtshof fest, dass die Berechnungsweise „auch nicht selbst ein wertbildender Umstand (sei), für den das Stichtagsprinzip“ gelte. 266 Die Hauptaktionärin müsse schon aufgrund der gesetzlichen Vorschriften damit rechnen, dass im Spruchverfahren eine höhere Abfindung festgesetzt werde. So existiere kein exakter, einzig richtiger Unternehmenswert. 267 Auch die Minderheitsaktionäre könnten nicht darauf vertrauen, dass die Abfindung nach der vom Hauptaktionär im Abfindungsangebot zugrunde gelegten Berechnungsweise ermittelt werde. Diese seien ausreichend durch die Kostenvorschriften geschützt, nach denen sie grundsätzlich nicht mit den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin belastet werden können. Außerdem könne das Gericht keine niedrigere Abfindung festsetzen, als vom Hauptaktionär angeboten. Das Gericht sei auch nicht an bestimmte Einwendungen der Beteiligten bei der Berechnung des Unternehmenswertes gebunden. 3. Geschäftsgrundlage 268 Der Bundesgerichtshof verneint ferner eine Störung der gemeinsamen Geschäftsgrundlage, weil sich weder Umstände noch wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage eines Vertrags geworden seien, geändert hätten. Auf § 327a AktG seien die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) im Übrigen nicht anwendbar. 4. Stichtagsprinzip 269 Auch das Stichtagsprinzip stehe der Anwendung einer neueren Berechnungsweise nicht grundsätzlich entgegen. Berechnungsweise und Schätzmethoden seien – soweit sie nicht wirtschaftliche oder steuerrechtliche Veränderungen abbildeten – keine Informationen, die die wirtschaftliche oder rechtliche Situation am Bewertungsstichtag beträfen. 270 Eine neuere Berechnungsweise, die auf einer Veränderung der wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse nach dem Stichtag beruhe, komme allerdings dann nicht in Betracht, wenn diese nicht am Stichtag bereits angelegt oder vorhersehbar sei. Andererseits sei eine neuere Berechnungsweise anzuwenden, wenn sie auf Veränderungen der wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse reagiere, die am Bewertungsstichtag bereits eingetreten oder angelegt gewesen, in der alten/bisherigen Berechnungsweise aber noch nicht berücksichtigt worden seien. In den übrigen Fällen sei es Sache des Tatrichters zu entscheiden, inwieweit ein neuerer Bewertungsstandard angewandt werden solle. 5. IDW S 1 2005 271 Der Bundesgerichtshof hält den IDW S 1 2005 gegenüber dem früheren IDW S 1 2000 für vorzugswürdig und sieht eine methodische Verbesserung. 62

D. Rückwirkung

Realitätsnäher gehe der neuere Standard nicht mehr von einer Vollausschüttung aus und stelle auf eine Alternativanlage in Aktien statt in festverzinslichen Wertpapieren ab. Ob eine Nachsteuer- oder Vorsteuerbetrachtung sachgerecht ist, lässt das Gericht explizit offen. Auch die Frage, ob eine Schätzung nach dem CAPM geboten ist, entscheidet der Bundesgerichtshof nicht, weil beide Standards, alter und neuer, das CAPM nutzten. V. Stellungnahme Es ist zu begrüßen, dass der Bundesgerichtshof die seit vielen Jahren umstrit- 272 tene Frage entschieden hat. In zahlreichen Spruchverfahren war die Frage des anzuwendenden Bewertungsstandards aufgrund der erheblichen finanziellen Auswirkungen immer wieder thematisiert worden. Soweit der IDW S 1 2000 angewendet worden ist, werden sich nicht wenige Spruchverfahren durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Sache erledigen, weil höhere Unternehmenswerte sich – selbst wenn ein Gericht gravierende Bewertungsfehler feststellen sollte – nur noch in Ausnahmefällen nach einer IDW S 1 2005-Berechnung ergeben werden. Zutreffend verweist der Bundesgerichtshof darauf, dass neuere Erkenntnisse, 273 hier durch den IDW S 1 2005, im Grundsatz eine rückwirkende Anwendung erlauben. Allerdings erscheint es problematisch, Vertrauensschutz-Gesichtspunkte und die Funktion des Bewertungsstandards als wertbestimmend vollständig auszublenden. Indem der Bundesgerichtshof ohne nähere Begründung davon ausgeht, dass die Berechnungsmethode nicht wertbildend sei, wird von vornherein eine Vertrauensschutz-Diskussion ausgeschlossen. Schüppen fordert, dass diese Frage hätte aufgeklärt werden müssen.348) Alle Beteiligten, Hauptaktionärin, Wirtschaftsprüfer und die Fachwelt, ein- 274 schließlich IDW, waren seinerzeit von einer bestimmten Berechnungsmethode ausgegangen und hatten diese Methode anerkannt und als wertbestimmend akzeptiert. Dass Berechnungsmethoden wertbildend sein können, machen etwa die verschiedenen Multiplikatorverfahren deutlich, die zur Wertbestimmung herangezogen werden (z. B. Kurs/Gewinn-Verhältnis bei Aktien, Faktoren zur Wirtschaftlichkeitsberechnung von Mietobjekten). Da die Minderheitsaktionäre keine Innensicht des Unternehmens hatten, 275 mussten sie sich zur Plausibilitätsprüfung auf die angewandte Bewertungsmethode und deren Parameter verlassen. Das war für sie der – einzig sicher für sie überprüfbare – maßgebliche wertbildende Maßstab. Prüfungsberichte schildern die Berechnungsmethodik, sind darüber hinaus aber häufig wenig aussagekräftig. So fällt es Minderheitsaktionären in Spruchverfahren regelmäßig schwer, substantiierte Angaben zu einer etwaigen anderen Unternehmensentwicklung zu machen. Ihnen fehlt die Innensicht. ___________ 348) Schüppen, ZIP 2016, 393.

63

Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

276 Der Gerichtsgutachter und das Gericht hatten im Vorlagefall die Planungen des sachverständigen Prüfers ersichtlich für sehr fehlerhaft gehalten und aufgrund geänderter Planungsannahmen einen rund 65 % höheren Unternehmenswert errechnet. Derart gravierende Abweichungen sind im Spruchverfahren sehr selten, regelmäßig liegt die Erhöhung der Abfindung im Spruchverfahren deutlich unterhalb von 50 %.349) Gleichwohl wirkte sich diese Fehleinschätzung des sachverständigen Prüfers nicht aus, weil nachträglich ein anderer Bewertungsstandard anzuwenden war, mit dem seinerzeit keiner rechnete. Es war nicht notwendig, auf den neueren Standard abzustellen. Das Verfassungsrecht fordert nicht, den jeweils „neuesten Standard“ anzuwenden.350) 277 Es bleibt abzuwarten, wie die Instanzgerichte die BGH-Entscheidung umsetzen werden. Das OLG Düsseldorf hat inzwischen unter Bezug auf die BGHEntscheidung eine Erhöhung der Barabfindung abgelehnt.351) In einem anderen, seit annähernd eineinhalb Jahrzehnten anhängigen Verfahren hat das Gericht hingegen davon abgesehen, den IDW S 1 2005 anzuwenden. Angesichts der Verfahrensdauer sei eine Neubegutachtung nicht mehr vertretbar.352) E. Anteilswert I. Teil des Gesamtwertes 278 Bei Abfindungen suchen wir den Wert der rechtlichen Beteiligung am Unternehmen, den quotalen Anteil an dessen Gesamtwert, den „quotalen Unternehmenswert“.353) Wir schauen zunächst auf das ganze Unternehmen, nicht auf den einzelnen Anteil. Dabei beachten wir den gesellschaftsrechtlichen Gleichheitssatz (vgl. § 53a AktG): Unterschiede je Anteil, etwa zwischen Vorzugs- und Stammaktien, machen wir nur insoweit, als das Gesellschaftsrecht sie vorsieht (vgl. § 11 Abs. 2 AktG). Es gilt das rechtliche Verhältnis der einzelnen Anteile zu einander, gleichgültig ob sie zu einer Mehrheit oder zu einer Minderheit gehören. Täte man das nicht, hinge der Wert ab vom Verhalten des jeweiligen Partners. 279 In IDW S 1 2008 heißt es:354) „Während sich der Unternehmenswert als Gesamtwert des Unternehmens auf alle Unternehmenseigner bezieht, entspricht der Wert eines Unternehmensanteils dem jeweiligen Anteil eines Unternehmenseigners am Unternehmen… Der objektivierte Wert des Unternehmensanteils entspricht dem quotalen Wertanteil am objektivierten Gesamtwert des Unternehmens.“

___________ 349) Hachmeister/Kühnle/Lampenius, WPg 2009, 1234. 350) BVerfG, 30.5.2007, AG 2007, 697 = NZG 2007, 629. 351) OLG Düsseldorf, 6.6.2016 – I-26 W 4/12 (AktE); OLG Düsseldorf, 20.6.2016 – I-26 W 3/14 (AktE). 352) OLG Düsseldorf, 15.8.2016 – I-26 W 17/13 (AktE). 353) IDW S 1 2008 Tz. 13; BVerfG, 20.12.2010, AG 2011, 128 = NZG 2011, 235. 354) IDW S I 2008 Tz. 13.

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E. Anteilswert

II. Marktwert Der Marktpreis des Anteils ist nicht entscheidend, weil er sich aufgrund 280 freiwilliger Entscheidungen unter rechtlich unverbundenen Parteien bildet. So mag ein Mehrheitsaktionär aus strategischen Gründen bereit sein, „Paketzuschläge“ zu zahlen.355) Auch ein Preis, auf den sich in einem Vergleich die meisten Aktionäre geeinigt haben, ist nicht relevant.356) Deshalb beginnt die „Sicherung der außenstehenden Aktionäre“ (Titel Vierter 281 Abschnitt, Vor § 304 AktG) mit einer „auf die Anteile am Grundkapital bezogenen wiederkehrenden Geldleistung“, der Ausgleichszahlung als angemessenem Ausgleich (§ 304 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Ausgleichszahlung umfasst „die jährliche Zahlung des Betrags …, der nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten …voraussichtlich als durchschnittlicher Gewinnanteil auf die einzelne Aktie verteilt werden könnte“. Das ist der Ausgangspunkt für die folgenden Sonderregeln: Das Gesetz spricht dort von einer „angemessenen Abfindung“, nicht vom „Marktpreis des Anteils“. Zu „berücksichtigen“ sind die „Verhältnisse der Gesellschaft“ (vgl. § 305 Abs. 3 Satz 2). Gleiches gilt für die Barabfindung bei einem Squeeze-out oder einer Umwandlung (§ 327a Abs. 1 AktG, § 30 Abs. 1, 207 Abs. 1 UmwG). Der Preis des Anteils am Markt hängt demgegenüber ab von Angebot und 282 Nachfrage und von dem Einfluss einzelner Eigner auf das Unternehmen (Alleineigentum, qualifizierte oder einfache Mehrheit, Sperrminorität oder Streubesitz); er kann abweichen vom quotalen Anteil am typisierten Gesamtquotenwert.357) Er ist nicht Leitbild der Bewertung, ist grundsätzlich nicht maßgebend. Deshalb dienen zeitnah gezahlte Preise für Unternehmen und Anteile daran 283 nur der Orientierung („Plausibilität“); sie ersetzen aber keine Unternehmensbewertung.358) Das gilt auch für den Börsenwert; er ist ebenfalls zu beachten im Rahmen der Plausibilität und kann als Mindestwert anzusetzen sein.359) Zu bedenken ist die ungleiche Informationslage zwischen Groß- und Klein- 284 aktionär. Der Großaktionär hat stets Außen- und Innensicht, der Kleinaktionär nur Außensicht; eine „informationelle Effizienz“ oder – wie der Bundesgerichtshof jetzt formuliert – „effektive Informationsbewertung“ wird häufig nicht vorliegen.360) Das schafft ungleiche Argumentationslagen. Es ist daher bedenklich, dass – „um bürokratische Hürden abzubauen“ – zunehmend nur ___________ 355) Vgl. etwa LG München, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124. 356) OLG Düssseldorf, 30.10.2013, BeckRS 2014, 22094; a. A. Noack, NZG 2014, 92. 357) IDW S 1 2008 Tz. 13; zu Paketzuschlägen vgl. etwa LG München, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124. 358) IDW S 1 2008 Tz. 13. 359) IDW S 1 2008 Tz. 14, 142; BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 (DAT/ Altana); BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016; vgl. auch IDW S 1 2008 Rn. 16. 360) Ruthardt, NZG 2015, 1387; BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

auf „einfach festzustellende Börsenkurse“ abgestellt wird, um so eine aufwendigere Unternehmensbewertung zu vermeiden (vgl. für Delisting-Fälle etwa § 39 BörsG-E).361) Ruthardt verweist darauf, dass der fundamentale Wert einer Aktie regelmäßig von ihrem Börsenkurs abweiche, sobald man „von dem Sonderfall eines sehr kurzen Anlagehorizonts“ abstrahiere.362) III. Methoden 285 Der Wert eines Anteils lässt sich indirekt oder direkt ermitteln,363) aber jeweils bezogen auf den Gesamtwert. Bei der eben geschilderten indirekten Ermittlung stellen wir zunächst fest den Wert des Unternehmens; bei der direkten Ermittlung leiten wir den Wert des Anteils ab aus den Zahlungsströmen zwischen dem Unternehmen und dem Anteilseigner. Das ist auch zu bedenken bei der Schau auf Börsenwerte als Alternativinvestition. 1. Indirekte Methode a) Grundlagen 286 Sie steht traditionell im Vordergrund.364) Nach § 738 Abs. 2 BGB ist mit dem „Wert des Gesellschaftsvermögens“ zu beginnen. Wir setzen bei dem an, was die Gesellschafter gemeinsam haben, also beim Unternehmen als die sie verbindende Plattform. Die Rechte und Pflichten der Gesellschafter kreisen um die Drehscheibe des Gesamthandvermögens. 287 Auch bei Kapitalgesellschaften bestimmt das Ganze den Wert des Anteils. Deshalb verlangt § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG bei Aktien (Abs. 1) „die Verhältnisse der Gesellschaft“ zu „berücksichtigen“. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG gilt das „für die Verhältnisse des übertragenden Rechtsträgers“. Diese Formulierungen sind schwächer als bei der BGB-Gesellschaft. Aktien werden eben selbstständig gehandelt und sind eigenen Markteinflüssen ausgesetzt. Deshalb sind bei ihnen die Chancen und Risiken aus freier Übertragbarkeit wichtig; ergänzend ziehen wir Börsenwerte heran im Rahmen des § 287 Abs. 2 ZPO.365) 288 Der Bundesgerichtshof billigt die indirekte Methode bei Personen- und Kapitalgesellschaften: „Der vermögenswerte Gehalt der Beteiligung liegt in der Mitberechtigung am Unternehmen und der anteiligen Nutzungsmöglichkeit des Unternehmenswertes. Der Umfang der Beteiligung am Unternehmen und der Unternehmenswert bilden daher im Regelfall die wesentlichen Grundlagen für die Bemessung des Wertes der Beteiligung. Damit ist die Ertragslage des Unterneh-

___________ 361) Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drucks. 18/6220, S. 84; vgl. Bayer, NZG 2015, 1169; kritsch auch: Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 41. 362) Ruthardt, NZG 2015, 1387. 363) IDW S 1 2008 Tz. 13. 364) OLG Düsseldorf, 10.6.2009, AG 2009, 907 = Der Konzern 2010, 132. 365) IDW S 1 2008 Tz. 15 f.

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E. Anteilswert mens nicht nur für den Goodwill des Unternehmens selbst, sondern mittelbar auch für den Wert der Unternehmensbeteiligung von Bedeutung.“366)

b) Aufteilung Bei der BGB-Gesellschaft teilen wir den Unternehmenswert auf nach dem 289 Schlüssel für die Gewinnverteilung (§§ 738 Abs. 1 Satz 2, 734 BGB) – falls der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsieht. Bei Personenhandelsgesellschaften ist ein evtl. Liquidationserlös zunächst zu übertragen auf die Kapitalanteile gemäß der Gewinnverteilung; danach ist grundsätzlich zuzuweisen nach Kapitalanteilen (§§ 155 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB). Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung entscheidet im Allgemeinen das Verhältnis der Gesellschaftsanteile zueinander (§ 72 GmbHG). Bei § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG wird entsprechend den Nennbeträgen der Aktien aufgeteilt (vgl. §§ 60 Abs. 1, 271 Abs. 2 AktG). Immer gilt ein rechtliches Maß unabhängig von Mehrheit oder Minderheit. Das steht hinter dem Ausdruck „angemessene“ Abfindung (Normwert!). 2. Direkte Methode Hier bewerten wir den Anteil direkt aus den Zahlungsströmen zwischen dem 290 Unternehmen und dem Anteilseigner. Nahe liegt auch ein Vergleich mit dem Preis anderer Anteile. Das ist schwierig bei Personengesellschaften und bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, weil es dafür keine organisierten Märkte gibt (vgl. § 719 Abs. 1 BGB, § 15 Abs. 3 GmbHG). Selbst bei Personengesellschaften können aber Preise für andere Anteile bekannt sein, wenn sie frei übertragbar sind, wie z. B. bei einer Publikums-KG.367) Das Problem liegt in der „Ähnlichkeit“. Das Ergebnis kann abweichen vom quotalen Anteil am Gesamtwert,368) der aber letztlich entscheidet. Aktien werden oft an Börsen gehandelt; sie unterliegen dort einer eigenen 291 Marktdynamik. Zeitnahe Preise sind zu beachten. Das folgt auch aus § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG, der verlangt, „die Verhältnisse der Gesellschaft“ zu „berücksichtigen“. Wie schon erwähnt, ist deshalb der Börsenwert heranzuziehen im Rahmen der Plausibilität; er gilt bei einigen Anlässen als Mindestwert.369) 3. Vermischung Direkte und indirekte Wertermittlung lassen sich nicht scharf voneinander 292 trennen. Immer geht es aber um den Ausgangspunkt beim Unternehmen und nicht darum, die eine Methode gegen die andere auszuspielen. Die Sicht vom Unternehmen her (Innensicht) und die Sicht vom Anteil her (Außen___________ 366) 367) 368) 369)

BGH, 10.10.79, BGHZ 75, 195 = NJW 80, 229. Dazu Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, S. 2. IDW S 1 2008 Tz. 13. Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 15 f.; BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 (DAT/Altana); jetzt aber offener: BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016.

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Zweiter Teil: „Wert“ des Unternehmens

sicht) können sich gegenseitig ergänzen. Gerade das ist die Stärke einer Unternehmensbewertung – wie sie im Folgenden dargestellt wird – gegenüber einer Börsenbewertung. IV. Börsenwert „Die Orientierung der Höhe der Abfindung am einfach festzustellenden Börsenkurs … ermöglicht im Regelfall ein transparentes und rechtssicheres Verfahren, das auch für die betroffenen Emittenten handhabbar ist und keine übermäßigen bürokratischen Hürden aufbaut.“370)

293

294 Die Anziehungskraft der Wertermittlung anhand des Börsenkurses ist groß. Einfach und schnell kann eine Zahl bestimmt werden, aber ist dies auch die „angemessene“ Abfindung? Der Börsenwert ist wichtig; er ist deshalb grundsätzlich zu berücksichtigen, auch zur Beurteilung der Plausibilität und u. U. als Mindestwert.371) Als verbindlicher allgemeiner Unternehmenswert scheidet er indes meist aus: An der Börse werden überwiegend Anteile im Streubesitz (Minderheitsanteile) gehandelt; sie unterliegen oft einem Minderheitsabschlag („minority discount“).372) Die Kurse geben zumeist wieder das Risiko des Kleinaktionärs – das aber für die Bewertung des gesamten Unternehmens nicht entscheidend ist. Börsen spiegeln zudem Meinungen und die Außensicht wider. Der Blick des Gerichtsgutachters ist wohl realitätsnäher und gelangt daher eher zu einem „den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bild“ (vgl. §§ 264 Abs. 2 Satz 1, 297 Abs. 2 Satz 2 HGB). 295 Hier nur so viel: Der Kurs spiegelt Machtverhältnisse und interne Verschiebungen innerhalb des Unternehmens, die aber die Rechtssicht nicht verändern. Ein Minderheitsabschlag ist bei der Unternehmensbewertung (Normwert) nicht erlaubt: Er verstößt gegen den gesellschaftsrechtlichen Gleichheitssatz.373) 296 Dem ist nicht mit dem Argument zu begegnen, dass der Aktionär mit der Abfindung eine gleichwertige Anlage an der Börse neu erwerben kann. Das kann er nicht; sein Hoffnungshorizont verändert sich wegen des veränderten Umfeldes: Er wird zu einem von ihm nicht bestimmten Zeitpunkt aus einer vertrauten Lage herausgedrängt, in der sich seine Synergiehoffnung vielleicht gerade erfüllt; er wird auf eine Lage verwiesen, in der eine neue Hoffnung keimen mag. Das kann aber – auch wegen seiner mangelnden Innensicht – eine „nuda spes“ sein. ___________ 370) Begründung zur Ergänzung des § 39 BörsG, Beschlussempfehlung und Bericht, BTDrucks. 18/6220, S. 84. 371) BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 „Stollwerck“; BVerfG, 20.12.2010, AG 2011, 128 = NZG 2011, 235; BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 (DAT/Altana); OLG Karlsruhe, 22.6.2015, AG 201 5, 789 = NZG 2015, 915; IDW S 1 2008 Tz. 14 – 16, 142; vgl. zur Relvanz des Börsenkurses Puszkajler/Sekera-Terplan, NZG 2015, 1055; Land/Hallermayer, AG 2015, 659; Gärtner/Handke/Strauch, BB 2015, 2307; Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 455; Bungert/Leyendecker-Langner, BB 2014, 521; Fleischer, AG 2014, 97; Noack, NZG 2014, 92; Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 41. 372) Vgl. zum Streitstand Koch, in: Hüffer, AktG, § 305 Rn. 32. 373) Vgl. die Nachweise bei Koch, in: Hüffer, AktG, § 305 Rn. 32.

68

Dritter Teil Wertberechnung A. Bewertungsmethoden Wir kennen verschiedene Methoden der Unternehmungsbewertung, unter- 297 scheiden zwischen Einzelbewertungs- und Gesamtbewertungsverfahren. Beide Verfahren können auch kombiniert werden. In gerichtlichen Verfahren hat sich das Ertragswertverfahren durchgesetzt. 298 In der übrigen Bewertungspraxis hat das Discounted-Cashflow-Verfahren erhebliche Bedeutung.374) Die verschiedenen Bewertungsverfahren können wie folgt gegliedert werden: 299 Sonstige Verfahren (z. B. „Stuttgarter Verfahren“)

Gesamtbewertungsverfahren

Barwertorientierte Verfahren

BruttoMethoden

APVAnsatz

WACCAnsatz

Multiplikatorverfahren

NettoMethoden

EquityAnsatz

(Brutto-) EntityMultiplikatorAnsätze

Einzelbewertungsverfahren Substanzwertkalkül)

Rekonstruktionswert

Liquidationswert

(Netto-) EquityMultiplikatorAnsätze

Ertragswertmethode

Abb. 1: Bewertungsverfahren

B. Einzelne Bewertungsverfahren I. Ertragswertverfahren Das Ertragswertverfahren geht davon aus, dass sich der Wert eines Unter- 300 nehmens nach den erwarteten finanziellen Überschüssen richtet. Wir schätzen, welche Erträge das Unternehmen in Zukunft dauerhaft erwirtschaften kann. Diese Zukunftserträge zinsen wir auf den Bewertungsstichtag ab. Das Bewertungsgesetz sieht für die Schenkung- und Erbschaftsteuer in bestimmten Fällen ein vereinfachtes Ertragswertverfahren vor, das aber auf Vergangenheitswerten aufbaut (§§ 11 Abs. 2, 199 – 203 BewG). Das Ertragswertverfahren ist bei den Gerichten führend und entspricht der 301 nahezu durchgängigen Praxis.375) Für die Überprüfung des Verschmelzungs___________ 374) Vgl. den Überblick bei Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 122 ff.; Hüttemann, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 1 Rn. 52 ff.; Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 9 Rn. 1 ff. 375) Vgl. etwa OLG Düsseldorf, 25.5.2016 – I-26 W 2/15 (AktE) und die Nachweise bei Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 51; Paulsen, in: MünchKomm, AktG, § 305 Rn. 80, 83 ff. und Koch, in: Hüffer, AktG, § 305 Rn. 24 ff.; IDW S 1 2008 Tz. 102 – 123.

69

Dritter Teil: Wertberechnung

verhältnisses nach § 15 UmwG bevorzugt indes das OLG Frankfurt als „marktorientierte Methode“ (Außensicht) die Heranziehung des Börsenwertes.376) 302 Die Ertragswertmethode, insbesondere in der Form des CAPM/Tax-CAPM, stößt auf Widerstand wegen ihrer Scheingenauigkeit.377) II. Discounted-Cashflow-Verfahren 303 Auch die Discounted-Cashflow-Verfahren ermitteln die zukünftige finanzielle Situation des Unternehmens. Der Unternehmenswert ergibt sich durch die Diskontierung von Cashflows. Wir unterscheiden Bruttoverfahren (EntityVerfahren) und Nettoverfahren (Equity-Verfahren). 304 Bei den Bruttoverfahren schauen wir auf die erwarteten Zahlungen an Eigenund Fremdkapitalgeber und erhalten durch die Kapitalisierung dieser Cashflow einen Gesamtvermögenswert.378) Es wird zwischen WACC-Verfahren (Weighted Average Cost of Capital; weiter unterteilt zwischen Free-Cash-FlowVerfahren und Total-Cash-Flow-Verfahren379)) und APV-Verfahren (Adjusted Present Value) differenziert. 305 Das Nettoverfahren berechnet den Wert des Eigenkapitals anhand der Cashflows an die Eigenkapitalgeber. Das Ertragswertverfahren und das Discounted-Cashflow-Verfahren sind grundsätzlich gleichwertig und führen bei gleichen Bewertungsannahmen zu identischen Ergebnissen.380) 306 Matsche/Brösel381) sehen die Discounted-Cashflow-Verfahren, insbesondere die Bruttoverfahren, kritisch. Was „Free Cash Flow“ sei, werde unterschiedlich definiert, erlaube so erhebliche Definitions- und Argumentationsspielräume. Die Methode berechne etwa beim WACC-Ansatz zirkelschlüssig, weil ein bestimmter Verschuldungsgrad vorgegeben werde, der dann aber vermeintlich erst „ermittelt“ werde.382) Die Annahme sei fraglich, dass die Kapitalstruktur eines Unternehmens keinen Einfluss auf den Gesamtkapitalmarktwert in einer bestimmten Risikoklasse habe. Die Modellannnahmen seien wirklichkeitsfremd.383) Darauf werden wir noch eingehen.384) ___________ 376) OLG Frankfurt, 3.9.2010, AG 2010, 751 = NZG 2010, 1141 („T-Online“); dazu BVerfG, 26.4.2011, ZIP 11, 1051 = NZG 2011, 869; kritisch dazu: Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 41; a. A. OLG Düsseldorf, 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE). 377) Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 52a, 54, 64a, 69b; zum Streitstand OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. 378) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 607 ff.; Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 9 Rn. 6 ff. 379) Vgl. hierzu Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 713. 380) IDW S 1 2008 Tz. 101, 124 – 139; vgl. OLG Karlsruhe, 30.4.2013, AG 2013, 765 = ZIP 2013, 1469. 381) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 699 ff., 727 f. 382) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 709 ff. 383) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 729. 384) Vgl. Rn. 1121, 1149.

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B. Einzelne Bewertungsverfahren

Die Internationalen Standards der Rechnungslegung (International Financial 307 Reporting Standards – IFRS) und die International Accounting Standards (IAS) werden dazu beitragen, dass Discounted-Cashflow-Verfahren stärker in den Vordergrund treten. Die Standards regeln zwingend den Konzernabschluss börsennotierter Gesellschaften (§ 315a HGB), werden aber zur internationalen Sprache der Rechnungslegung385) und dringen „osmotisch“ in den Einzelabschluss ein. Sie erfassen auch selbsterstellte immaterielle Vermögenswerte386) und den Goodwill. Häufig stellen sie ab auf „beizulegende Zeitwerte“ („Fair Values“, vgl. IFRS 13). Die Discounted-Cashflow-Verfahren entfalten internationalen Charme, weil 308 sie angeblich kaum kulturellen Wertungen unterliegen. Wir können uns aber dem internationalen Trend auf Dauer kaum entziehen, wenn wir bei der Unternehmensbewertung international wettbewerbsfähig bleiben wollen. Seit dem IDW S 1 2000 sehen diese Empfehlungen das Discounted-CashflowVerfahren als Alternative zur Ertragswertermittlung vor. III. Börsenwert Eine Unternehmensbewertung kann auch anhand des Börsenkurses erfolgen. 309 Das Bundesverfassungsgericht hat in der DAT/Altana-Entscheidung387) deutlich gemacht, dass der Börsenkurs im Regelfall die Untergrenze der Abfindung bildet. Die Entschädigung darf jedenfalls nicht unter dem Verkehrswert liegen. In jüngerer Zeit will man verstärkt den Börsenkurs als Maßstab für den Wert 310 eines Unternehmens ansetzen und auf eine Unternehmensbewertung im eigentlichen Sinne verzichten (vgl. z. B. für das Delisting § 39 BörsG). Auch der Bundesgerichtshof388) tendiert in diese Richtung. Der Börsenkurs kann jedoch unsicher sein. Er kann durch kurzfristige Ein- 311 flüsse beeinflusst sein, spiegelt immer nur die Außensicht eines Unternehmens wider. Ruthardt/Hachmeister stellen überzeugend dar, dass der Börsenkurs allenfalls den kurzfristigen Anlagehorizont abbilden kann.389) Wir werden uns später genauer mit dieser Frage befassen.390) IV. Vorerwerbspreis Denkbar ist auch, den Wert eines Unternehmens oder von Anteilen anhand 312 von in anderem Zusammenhang gezahlten Preisen zu bewerten. ___________ 385) Großfeld, Globale Rechnungslegung, in: Ebke/Elsing/Großfeld/Kühne, S. 217. 386) Dazu IDW Standard: Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte (IDW S 5) FN-IDW 7/2011, 467 ff., FN-IDW 8/2015, 447. 387) BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 („DAT/Altana“). 388) BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016, 461. 389) Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411. 390) Siehe Rn. 1222.

71

Dritter Teil: Wertberechnung

313 In Spruchverfahren wird häufig eingewandt, dass sich die Höhe der Abfindung auch an außerbörslich gezahlten Preisen zu orientieren habe, etwa an einem Erwerbspreis, den ein Hauptaktionär gezahlt hat. Derartige Preise haben allerdings allenfalls eingeschränkte Bedeutung für den „wahren“ Wert des Aktieneigentums. So wird ein Hauptaktionär häufig einen sog. „Paketzuschlag“ zahlen, auf den ein Minderheitsaktionär keinen Anspruch hat.391) 314 Gleichwohl können solche Preise Anhaltspunkte für eine Plausibilisierung geben, erlauben etwa eine Einschätzung der aus Sicht des Erwerbers zu erwartenden echten Synergieeffekte. Das Verhalten der Beteiligten, die „es wissen müssen“, kann Hinweise geben. Führen sie ein schwächelndes Unternehmen weiter, so deutet das auf bessere Zukunft. V. Buchwert 315 Eine Bewertung anhand des Buchwertes („Bilanzwert“) ist kaum aussagekräftig. Denn die Bilanz sagt über den Wert eines Unternehmens im Ganzen wenig. Wir begegnen vor allem Einzelwerten. Im Hinblick auf das Niederstwertprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) ist er prima facie jedenfalls Mindestfortführungswert (§ 252 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 HGB). Eine Abfindung darunter ist schwer zu begründen.392) 316 Nach wie vor erscheinen historische Werte, z. B. für Grundstücke; namentlich fehlt der eigene Geschäfts-(Firmen-)Wert, also der Wert über die Summe der Vermögensgegenstände hinaus (Goodwill). Auch allgemeine Risiken sind nicht voll erfasst; so findet sich z. B. der Sozialplan nach § 112 BetrVerfG normalerweise nicht in der Bilanz.393) Werden Anteile in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft eingebracht, kann das übernommene Vermögen unter bestimmten Umständen mit dem Buchwert angesetzt werden (vgl. §§ 20, 24 UmwG). 317 Das ändert sich nur graduell mit den Internationalen Standards der Rechnungslegung (IFRS/IAS). Danach erscheinen selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte.394) Häufiger gilt der „beizulegende Zeitwert“ („fair value“); zudem dringen Grundsätze der Unternehmensbewertung verstärkt in die Bilanz ein.395)

___________ 391) Koch, in: Hüffer, AktG, § 305 Rn. 31; a. A.: Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 39, 40, 41b. 392) BGH, 19.6.95, WM 1995, 1410 = NJW 1995, 3115. 393) Mock, in: Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 162. 394) IDW S 5: Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte, FN-IDW 7/2011, 467, FN-IDW 8/2015, 447. 395) Großfeld/Stöver/Tönnes, NZG 2006, 521.

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B. Einzelne Bewertungsverfahren

VI. Substanzwert – Rekonstruktionswert Man ist schnell geneigt, bei den bewertungsfähigen Vermögensgegenständen 318 im Unternehmen anzusetzen, also bei der Substanz. Wir sprechen vom „Substanzwert“.396) Er gilt als „Rekonstruktionswert“, weil er die Aufwendungen erfassen soll, die nötig sind, um ein gleiches Unternehmen zu errichten. Setzt man die Vermögenswerte an, so entsteht der „Bruttorekonstruktionswert“, zieht man die Schulden ab so erhält man den „Nettorekonstruktionswert“. Der Ausdruck „Substanzwert“ täuscht jedoch. Denn er umschließt nicht den 319 „gewachsenen Geschäftswert“, d. h. nicht die – oft entscheidende – Werterhöhung aus dem Zusammenspiel der Vermögensgegenstände, nicht die Qualität der Verwaltung und nicht den Geschäfts-(Firmen-)Wert (Goodwill). Der Geschäftswert zeigt sich ja daran, dass der Markt das Unternehmen höher einschätzt als die Summe der Vermögensgegenstände darin.397) Deshalb ist der Substanzwert nur ein Teilrekonstruktionswert, der für die Unternehmensbewertung grundsätzlich nicht zählt.398) Gelegentlich nutzen wir ihn aber: Der Bundesgerichtshof tat das für die 320 Landwirtschaft wegen des dortigen „Sachwertdenkens“;399) das mag sich inzwischen geändert haben. Auch bei gemeinnützigen, nicht gewinnorientierten Unternehmen kommt der Substanz- oder Rekonstruktionswert regelmäßig nicht in Betracht.400) Wichtig ist aber, die Substanz des Unternehmens zu ermitteln. Denn daran 321 sieht man, was sich aus dem Vorhandenen „machen lässt“, was für die Zukunft zu erwarten, was abzuschreiben und was neu zu investieren ist. Die Zusammenfassung zu einem Substanzwert ist aber grundsätzlich nicht hilfreich. VII. Liquidationswert § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB legt eine Unternehmensbewertung zum Liquida- 322 tionswert nahe. Wir haben jedoch bereits gesehen, dass der Liquidationswert i. d. R. keine Rolle spielt, sondern bei der Bewertung von der Fortführung des Unternehmens auszugehen ist.401) Liquidationswerte werden nur dann herangezogen, wenn das Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht fortgeführt werden kann oder wenn das Unternehmen so ertragsschwach ist und voraussichtlich bleiben wird, dass eine Liquidation die wirtschaftlich sinnvollere Alternative ist. ___________ 396) 397) 398) 399) 400) 401)

IDW S 1 2008 Tz. 170 – 172. BGH, 23.11.77, BGHZ 70, 224 = NJW 1978, 884. IDW S 1 2008 Tz. 6, 171. BGH, 8.5.1998, ZIP 1998, 1161 = NZG 1998, 644. OLG Düsseldorf, 28.1.2009, AG 2009, 667. Siehe Rn. 175, siehe auch Rn. 334, 345, 456.

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Dritter Teil: Wertberechnung

323 Der Liquidationswert ist der Barwert der finanziellen Überschüsse, der sich bei Liquidation des gesamten Unternehmens ergibt (Veräußerung der Vermögensgegenstände abzüglich Liquidationskosten und Schulden). Die Liquidationskosten können oft erheblich sein, weil im Rahmen der Liquidierung zusätzliche Kosten, etwa für Sozialpläne der Mitarbeiter anfallen können. Anders als bei dem Substanz- und Rekonstruktionswert, bei dem es um die Wiederbeschaffungswerte geht, kommt es bei dem Liquidationswert auf die Möglichkeit an, die vorhandenen Gegenstände verkaufen zu können (Absatzmarkt).402) 324 Der Liquidationswert kann von Bedeutung sein bei der Berechnung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens und dann, wenn der Liquidationswert den Fortführungswert übersteigt.403) Auch kann der Wert bei der Bewertung ertragsschwacher, dauerhaft Verluste erwirtschaftender Unternehmen zu erwägen sein.404) Kann das Unternehmen ohne bestimmte Leitungspersönlichkeiten nicht mehr fortgeführt werden, ist ggfs. ebenfalls der Liquidationswert zu ermitteln.405) VIII. Multiplikatorverfahren 325 Eine Wertermittlung kann auch durch Multiplikatoren, etwa mengen- oder umsatzorientierte Vervielfältiger geschätzt werden.406) Derartige Verfahren können genutzt werden, um die Unternehmensbewertung nach anderen Methoden zu plausibilisieren. 326 So kann z. B. anhand eines Kurs/Gewinn-Verhältnisses die Rendite einer Zielanlage überschlagsartig geschätzt werden. Durch die Multiplikation von EBIT und EBITDA mit einem branchentypischen Multiplikator kann ein Unternehmenswert errechnet werden. Auch Vergleichsunternehmen (Peer Group), die in einem vergleichbaren Segment tätig sind, können zur Bewertung herangezogen werden. Für das Vergleichsunternehmen wird dann ein Multiplikator gebildet und mit den Kennzahlen des zu bewertenden Unternehmens multipliziert. IX. Stuttgarter Verfahren 327 Nicht notierte Anteile an Kapitalgesellschaften schätzte die Finanzverwaltung lange nach dem Stuttgarter Verfahren gemäß der „Übergewinnmethode“.407) ___________ 402) Fleischer, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 8 Rn. 1. 403) IDW S 1 2008 Tz. 5, 42, 60. 404) Vgl. zum „Nullausgleich“ OLG Düsseldorf, 28.1.2009, AG 2009, 667; vgl. zum Streitstand Fleischer, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 8 Rn. 15 ff. 405) IDW S 1 2008 Tz. 42. 406) Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 8 Rn. 3; Hachmeister/ Ruthardt, DStR 2015, 1702 und 1769. 407) Vgl. BFH, 1.2.2007, BFHE 215, 508 = DB 2007, 834; Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 10 Rn. 84, 89.

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C. Zukunftserfolgswert

Das Verfahren ging aus vom Wert des Betriebsvermögens (Substanzwert) und erfasst daneben die Erträge von fünf Jahren. Berechnet wurden die Summe der einzeln bewerteten Wirtschaftsgüter und ein zeitlich begrenzter Ertragswert. Die Rechtsprechung billigte das Verfahren als geeignetes Verfahren, von dem 328 nur in Einzelfällen abgewichen werden könne,408) nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts war es nicht zweifelhaft.409) Das Stuttgarter Verfahren wurde 2008 durch das vereinfachte Ertragswertverfahren abgelöst.410) Damit entsteht jedoch ein Rechtsproblem. Da das Stuttgarter Verfahren we- 329 gen seiner einfachen Handhabung gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen sehr beliebt war, nehmen viele Gesellschaftsverträge (immer noch) auf das „Stuttgarter Verfahren“ Bezug. Wie ist hier zu verfahren, wenn ein aktueller Bewertungsfall ansteht? Wahrscheinlich wird dem Verfahren noch ein langes Leben beschieden sein.411) X. Nicht finanzieller Nutzen Im Allgemeinen bewerten wir das Unternehmen „unter der Voraussetzung aus- 330 schließlich finanzieller Ziele“ „allein aus seiner Ertragskraft, d. h. seiner Eigenschaft …, finanzielle Überschüsse für die Unternehmenseigner zu erwirtschaften“.412) Es herrscht die Sicht des homo oeconomicus. Etwas anderes kann sich u. U. aus dem Rechtsverhältnis ergeben („Normwert“). 331 Das Betriebsgelände mag etwa schön gelegen sein, oder das Unternehmen verkörpert eine Familientradition. Stellt das zwischen den Beteiligten einen Vermögenswert dar? Es kommt darauf an, ob nicht finanzielle Nutzenerwartungen einbezogen sind in das Verhältnis der Beteiligten untereinander. Daher meinte das OLG Hamm zur „angemessenen Barabfindung“, dass „auch Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die nicht eindeutig vermögensmäßig greifbar sind“.413) Das kann eine Rolle spielen bei Personengesellschaften und bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, kaum bei Aktiengesellschaften. C. Zukunftserfolgswert I. Grundsatz Der Nutzwert hängt ab von den erwarteten Überschüssen, von Chancen und 332 Risiken. Die Bewertung ist so auf die Zukunft gerichtet: Der Unternehmenswert ist ein Zukunftsüberschusswert (Zukunftserfolgswert).414) ___________ 408) 409) 410) 411) 412) 413) 414)

BFH, 26.1.2000, BFHE 191, 393 = DStR 2000, 773. BVerfG, 7.11.2006, BVerfGE 117, 1 = DStR 2007, 235. Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 10 Rn. 89. Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 10 Rn. 92. IDW S 1 2008 Tz. 4. Koppenberg, Bewertung von Unternehmen, S. 99, 106. Siehe Rn. 175, 345, 456.

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Dritter Teil: Wertberechnung

333 Maßstab dafür sind der Ertragsüberschuss (= Ertrag ./. Aufwand) oder der Einnahmeüberschuss (Cashflow = Einnahmen ./. Ausgaben).415) Beide Ansätze beruhen auf grundsätzlich gleichen Rechenwerken.416) Daher stehen das Ertragswertverfahren und Discounted-Cashflow-Verfahren nebeneinander; diese Verfahren sind anerkannt und zulässig.417) Sie bilden den geordneten Rahmen, um den Unternehmenswert zu schätzen. Das Grundgesetz schreibt keine bestimmte Methode vor, schon gar nicht eine vergleichende Betrachtung verschiedener Bewertungsmethoden.418) Eine gewählte Methode muss aber zu sachgerechten und vertretbaren Ergebnissen führen. 334 Bei den Zukunftserfolgswertverfahren ergibt sich der Unternehmenswert aus der Fähigkeit, in Zukunft finanzielle Überschüsse für die Eigner zu erwirtschaften.419) „Für das Vergangene gibt der Kaufmann nichts!“ Daher gehen wir grundsätzlich von der Fortführung des Unternehmens aus (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 HGB, „Going Concern“). Der Liquidationswert kommt nur als Mindestwert in Betracht.420) 335 Wir bestimmen den Zukunftserfolgswert danach, was Veräußerer und Erwerber aus dem Unternehmen „herausholen“ können, ohne das Unternehmenskonzept zu ändern: „A stock is worth only what you can get out of it“.421) Der Zukunftswert ist ein Entnahmewert. Entscheidend sind die nachhaltig zufließenden Geldüberschüsse, ist der Zahlungsstrom. Daher sind zunächst zu schätzen die finanziellen Überschüsse aus dem betriebsnotwendigen Vermögen; danach ist hinzuzufügen der Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens. Alles muss angemessen, widerspruchsfrei und plausibel geschehen.422) 336 Basis sind die künftigen Zuflüsse (Zahlungsströme) an die Eigner, sind deren Nettoeinnahmen (Zuflussprinzip).423) Daher ziehen wir seit IDW S 1 2005 die (typisierten) persönlichen Steuern der Eigner und die von ihnen zu erbringenden Einlagen ab.424) Den typisierten Steuersatz benutzten wir selbst dann, wenn wir die persönlichen steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner kennen.425) Dadurch bleibt der Unternehmenswert unabhängig von individu___________ 415) 416) 417) 418) 419) 420) 421) 422) 423) 424) 425)

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IDW S 1 2008 Tz. 7, 26, 101. IDW S 1 2008 Tz. 27. IDW S 1 2008 Tz. 101; Stephan, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 305 Rn. 50. BVerfG, 16.5.2012, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907; BVerfG, 26.4.2011, AG 2011, 511 = NZG 2011, 869. IDW S 1 2008 Tz. 4, 7. Vgl. zum Meinungsstand Fleischer, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 8 Rn. 16 ff. Williams, The Theory of Investment Value, S. 57. IDW S 1 2008 Tz. 68. IDW 2008 Tz. 4. Siehe Rn. 1029. IDW S 1 2005 Tz. 53; das findet sich in IDW S 1 2008 so nicht mehr, vgl. dort Tz. 43 – 47.

C. Zukunftserfolgswert

ellen Steuersätzen. Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer berücksichtigte der IDW S 1 2005 nicht.426) Seit der Abgeltungsteuer ab 2009 (§§ 32d, 43 Abs. 1 Nr. 1, 52a EStG) gilt ein 337 fester Steuersatz von 25 % (+ Solidaritätszuschlag); er fällt auch an bei einer Veräußerung der Anteile (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG). IDW S 1 2008 spricht von einer „anlassbezogenen“, einer „sachgerechten“ Typisierung und macht keine Vorgabe für die Höhe des Ertragsteuersatzes.427) Es seien „zusätzliche Annahmen“ zu treffen „z. B. über den Zeitraum des Haltens der Unternehmensanteile“.428) Die unterstellte Haltedauer beeinflusst den anzusetzenden Ertragsteuersatz und damit die Höhe des Unternehmenswertes und der Abfindung.429) Die erste Frage lautet daher: Mit welchen Zahlungen ist über welchen Zeit- 338 raum zu rechnen? Die nächste Frage ist dann: Was sind diese Zahlungen am Stichtag wert? Da- 339 für zinsen wir sie ab mit einem Zinssatz (Kapitalisierung). Auch bei ihm beachten wir die persönlichen Steuern; wir wählen also den Zinssatz nach Steuern.430) Kernproblem ist: Welchen Zinssatz wählen wir? Die Antwort: Er soll die Rendite widerspiegeln, die sich bei einer vergleichbaren anderen Investition erzielen lässt. II. Nationale Sicht Bei deutschen Unternehmen bewerten wir – angesichts der Nachsteuerbe- 340 trachtung – aus der Sicht einer inländischen, unbeschränkt steuerpflichtigen Person (vgl. § 1 Abs. 1 EStG „Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt“ im Inland) als Eigner. Wir schauen aber auch darüber hinaus. Risiken und Wachstumschancen eines Unternehmens werden häufig auch vom internationalen Kontext abhängen. Die steuerliche Belastung der Unternehmenseigner bewerten wir aus natio- 341 naler Sicht; man nimmt an, dass sie bei uns ansässig sind („inländische unbeschränkt steuerpflichtige natürlich Person als Anteilseigner“).431) Die so lokalisierte Perspektive bezieht sich auf die Fortführung des Unternehmens in unverändertem Konzept mit allen Erwartungen, Chancen und Risiken. Einbe-

___________ 426) IDW S 1 2005 Tz. 53. 427) IDW S 1 2008 Tz. 29, 43; vgl. zur Berechnung Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 125 f. 428) IDW S 1 2008 Tz. 44. 429) Siehe Rn. 583. 430) IDW S 1 2008 Tz. 31, 93, 119 f. 431) IDW S 1 2008 Tz. 31.

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Dritter Teil: Wertberechnung

zogen sind finanzielle Möglichkeiten des Unternehmens und „sonstige Einflussfaktoren“.432) 342 Für die Planung der künftigen Erträge kommt es dagegen auf das „Sitzland“ des Unternehmens an. Dabei ist „Sitzland“ nicht rechtlich, sondern wirtschaftlich zu verstehen. Es kommt darauf an, in welchem wirtschaftlichen Umfeld ein Unternehmen tätig ist, wo und unter welchen Rahmenbedingungen es seine Umsätze erzielt und seine Kosten bestreitet. 343 Die regionale Anbindung der Eigner an den „Sitz“ des Unternehmens ist zweifelhaft angesichts globaler Finanzmärkte, Steueroasen und HedgeFonds433). Könnte sie ein eher zufälliges Anknüpfungsmerkmal sein, das immer weniger „typisch“ ist?434) Die Hälfte der Aktionäre deutscher Gesellschaften sind Ausländer.435) In Spruchverfahren wehren sich bislang allerdings ganz überwiegend Minderheitsaktionäre, die in Deutschland leben, oder Unternehmen, die nach deutschem Recht gegründet wurden. Wir müssen bedenken, dass ein Nachsteuerzinssatz den Unternehmenswert maßgeblich beeinflussen kann. D. Prognose „Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.“436)

344

I. Zukunftswert 345 Wir suchen den Wert des fortgeführten Unternehmens, also dessen Zukunftswert („Going Concern, vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB); von diesem Grundsatz ist abzuweichen „in begründeten Ausnahmefällen“ (Abs. 2). Es gilt das Prinzip der Zukunftsbezogenheit; die Bewertung ist ein Prognoseverfahren. Die Zukunft ist jedoch dunkel; sie ist ein „closed book“. II. Grundlagen 346 Zukunft beruht aber auf Herkunft. Deshalb gehen wir aus von der Rechnungslegung, namentlich von den testierten Abschlüssen.437) Wir analysieren die Gewinn- und Verlustrechnungen der Vergangenheit in Hinblick auf die Erfolgsfaktoren der Gegenwart („rückwärtsblickend vorwärtsschauen“).438) Die Informationen sind nur insoweit wichtig, wie sie es erlauben, die Zukunft zu schätzen.439) Sodann benötigen wir Informationen über den geplan___________ 432) 433) 434) 435) 436) 437) 438) 439)

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IDW S 1 2008 Tz. 29. Großfeld, Internationales Bilanzrecht, S. 36. Ebke, in: Ebke/Elsing/Großfeld/Kühne, S. 175. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 63. Unbekannter Autor. IDW S 1 2008 Tz. 83. Friedrich Wilhelm Weber, Dreizehnlinden; IDW S 1 2008 Tz. 32. IDW S 1 2008 Tz. 68.

D. Prognose

ten Absatz, über Kosten und Preise nach Abzug von Erlösschmälerungen. Verlangt wird eine einfühlsame Plausibilitätssicht.440) Bei alledem sind wir vorsichtig beim Weiterdenken statistischer Werte; wir vermeiden „erroneous leaps of statistical faith“.441) III. Mittlere Erwartungen Anders als im Bilanzrecht nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB gilt das Vorsichts- 347 prinzip bei der Unternehmensbewertung nicht.442) Die abzufindenden Gesellschafter „haben ein Anrecht auf Beteiligung an den Entwicklungschancen des Unternehmens und brauchen sich nicht auf dasjenige verweisen zu lassen, was im ungünstigsten Fall mit Sicherheit als Ertrag zu erwarten ist“.443)

Auszugehen ist daher von mittleren Erwartungen bei allen Bewertungsfaktoren, 348 also vom wahrscheinlichsten Wert. Manchmal gewichten Szenarioanalysen Best- und Worst-Case-Alternativen, um sich einem realistischeren Erwartungswert zu nähern.444) Die Zukunftserwartung zeigt sich bei der Einschätzung der Überschüsse und/ 349 oder beim Risikozuschlag im Kapitalisierungszinssatz. Dasselbe Risiko darf nicht zweimal angesetzt werden. Auf Einzelheiten kommen wir zurück. IV. International Financial Reporting Standards Wie zu prognostizieren und zu bewerten ist, regeln nicht nur nationale Emp- 350 fehlungen, etwa die IDW Standards. Länderübergreifende Bewertungsregeln werden wichtiger. Von Bedeutung sind die International Financial Reporting Standards (IFRS), die auch bei deutschen Unternehmen (namentlich bei Konzernbilanzen) verbreitet sind (vgl. § 315a HGB). Es können sich neue Unsicherheiten ergeben. Die „Deutsche Prüfstelle für 351 Rechnungslegung e. V.“ (DPR) ermittelte eine „hohe Fehleranfälligkeit“.445) Die Prüfstelle veröffentlicht Fehlerbekanntmachungen im Bundesanzeiger. Sie hat etwa bei einer UBS-Tochter (Jersey) festgestellt, dass Anleihen in Höhe von fast 1 Mrd. € statt als Verbindlichkeit als Eigenkapital ausgewiesen worden waren und die WestLB-Nachfolgerin Portigon AG ausgegebene Anleihen statt zum Zeitwert von 10,8 Mio. € mit dem Buchwert von 167,5 Mio. € an-

___________ 440) 441) 442) 443) 444) 445)

IDW S 1 2008 Tz. 107 f. Pontzen/Peris, Cambridge Alumni Magazine, Issue 61, Michaelmess 2010, S. 40, 42. IDW S 1 2008 Tz. 64 f. KG Berlin, 15.12.1970, OLGZ 1971, 260. Vgl. etwa OLG Düsseldorf, 10.6.2009, AG 2009, 907 = Der Konzern 2010, 132. Bischof/Hettich, BB 2011, 2557.

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Dritter Teil: Wertberechnung

gesetzt hatte.446) Die Gerichte akzeptieren im Grundsatz eine Bewertung anhand der IFRS/IAS-Bewertung.447) E. Gesamtbewertung 352 Ein Unternehmen erwirtschaftet Überschüsse durch das Zusammenspiel vieler Kräfte; dieses wertsteigernde Miteinander ist entscheidend: Das Ganze ist mehr wert als die Summe seiner Teile.448) Anders als im Bilanzrecht (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB) bewerten wir daher nicht die einzelnen Vermögenswerte, Schulden, Chancen und Risiken (Einzelbewertung), sondern das Unternehmen als Einheit (Gesamtbewertung).449) Wir sprechen vom Prinzip der Bewertungseinheit (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BewG): „Das Bewertungsobjekt muss nicht mit der rechtlichen Abgrenzung des Unternehmens identisch sein; zugrunde zu legen ist vielmehr das nach wirtschaftlichen Kriterien definierte Bewertungsobjekt (z. B. Konzern, Betriebsstätte, strategischen Geschäftseinheit).“450)

353 Zu beachten sind alle wesentlichen Aspekte des Unternehmens. Dazu gehören Branche,451) Absatz- und Bezugsbeziehungen, Märkte, Forschung und Entwicklung (Urheberrechte, Marken, Patente), Struktur und Organisation, Stand der Technik, Auslandsverflochtenheit, Konzernverbindungen, strategische Allianzen und Verrechnungspreise. Künftig mag auch die zunehmende Vernetzung der Unternehmen untereinander zunehmend eine Rolle spielen („Industrie 4.0“).452) Es kommt an auf „realistische Zukunftserwartungen“; unbeachtlich sind noch nicht hinreichend konkretisierte Maßnahmen und nur hypothetische Entwicklungen.453) F. Eigenständigkeit 354 Bisher bewerten wir das Unternehmen danach, wie es sich als selbstständige Einheit fortentwickelt hätte (Stand-alone-Ansatz);454) der Bewertungsanlass soll unbeachtlich sein. 355 Doch muss das Unternehmen am Stichtag wirklich allein stehen? Das betrifft besonders Unternehmensverträge (§§ 304, 305 AktG), Squeeze-outs (§ 327a ___________ 446) Verstoß gegen IAS 32.11 ff., veröffentlicht am 4.3.2013; Portigon: Verstoß gegen IAS 39 AG8, veröffentlicht am 30.1.2014. 447) Vgl. etwa LG Hamburg, 29.6.2015 – 412 HKO 178/12; LG Frankfurt, 16.12.2014, AG 2015, 409 = NZG 2015, 635; OLG Stuttgart, 17.10.2011 – 20 W 7/11. 448) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 4. 449) IDW S 1 2008 Tz. 18 – 21. 450) IDW S 1 2008 Tz. 19. 451) Vgl. Drukarczyk/Ernst, Branchenorientierte Unternehmensbewertung. 452) Ihlau/Barth, BB 2016, 1068. 453) IDW S 1 2008 Tz. 29, 32. 454) OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683 (HRE AG); vgl. IDW S 1 2008 Tz. 33 f.

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G. Stichtagsprinzip

AktG) und Umwandlungen (§ 30 UmwG). Wir ermitteln den künftigen Überschuss, als ob das Unternehmen nicht eingebunden wäre und durch die Umwandlung nicht verändert würde.455) Heute ist dieser Ansatz zunehmend streitig, insbesondere die Frage, wie 356 Verbundvorteile („Synergieeffekte“) zu bewerten sind.456) G. Stichtagsprinzip I. Grundsatz Werte sind zeitabhängig.457) Die Unternehmensbewertung bezieht sich daher 357 auf ein bestimmtes Datum. Maßgeblich ist die „Zeit seines Ausscheidens“ (§ 738 Abs. 1 BGB), der „Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung“ (§§ 305 Abs. 3 Satz 2, 327b Abs. 1 Satz 1 AktG), der „Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Verschmelzung“ (§ 30 UmwG). Wir sprechen vom Stichtag und vom Stichtagsprinzip:458) Spätere Veränderungen und Erkenntnisse zählen grundsätzlich nicht. Der Unternehmenswert soll ja den Preis spiegeln, den die Parteien zum Stichtag vereinbart hätten; die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens soll den Wert nicht beeinflussen. Der Stichtag legt fest, ab wann Überschüsse den bisherigen Eignern ab- und 358 den neuen Eignern zuzurechnen sind.459) Es kommt an auf die Lage und auf die Erwartungen am Stichtag.460) Wie sah es damals aus, was war vorhersehbar? Was wusste man, was konnte man bei „angemessener Sorgfalt“ wissen, womit konnte man rechnen?461) Das gilt auch für die Belastung der finanziellen Überschüsse mit Ertragsteuern; doch ist sie kaum erahnbar. Maßgeblich ist das am Stichtag geltende oder mit Wirkung für die Zukunft schon beschlossene Steuerrecht.462) Politische Entscheidungen können Erwartungen enttäuschen. So stritt man 359 etwa im Dahlbusch-Verfahren um die Frage, wie lange – aus Sicht eines Bewertungsstichtags in 1989 – verpachtete Bergbaugruben im Ruhrgebiet noch zu betreiben seien und Förderpacht verdient werden könnte, bis zum Jahr 2000 oder bis zum Jahr 2047.463) Der Gerichtsgutachter mittelte eine Pacht aus einem Worst-Case- und Best-Case-Szenario, wobei er eher zu einem Förderstopp in 2047 tendierte. Tatsächlich wurde der Betrieb aber schon ___________ 455) 456) 457) 458) 459) 460) 461) 462) 463)

Vgl. zu echten und unechten Synergien Zwirner, DB 2013, 2874. Siehe Rn. 386. Großfeld, in: Backhaus/Bonus, S. 91. Zum Stichtagsprinzip und Berücksichtigung politischer Verhältnisse (Krim-Annexion) LG München, ZIP 2015, 2124. IDW S 1 2008 Tz. 22. Vgl. Paulsen, in: MünchKomm, AktG, § 305 Rn. 84. IDW S 1 2008 Tz. 23. IDW S 1 2008 Tz. 23. OLG Düsseldorf, 10.6.2009, AG 2009, 907 = Der Konzern 2010, 132.

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Dritter Teil: Wertberechnung

1997 eingestellt. Das Gericht bewertete gleichwohl anhand der Berechnung des Gutachters, weil 1989 das vorzeitige Kohle-Aus noch nicht absehbar gewesen sei. Ähnliche Probleme werden sich vermutlich im Rahmen der sog. Energiewende und der damit verbundenen vorzeitigen Stilllegung von Kernkraftwerken stellen. 360 Bei Ausgleich (§ 304 AktG) und Abfindung (§ 305 AktG) kann die Gesellschaft schon „faktisch beherrscht“ sein. Ist der Stichtag dann auf das Datum des Eintritts der Beherrschung vorzuziehen, um den damaligen Stand zu erfassen? Grundsätzlich gilt: Eine Beherrschung ist „per se“ kein Grund, „vom Stichtagsprinzip des § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG abzurücken“.464) 361 Das Stichtagsprinzip scheint von unantastbarer Objektivität zu sein und wird deshalb kaum kritisiert. Es ist aber zu bedenken, dass alles Wirtschaften und alles Bewerten zeitabhängig ist. Die Parteien einigen sich bei freier Veräußerung auch über den Zeitpunkt der Bestimmung des Preises. Das ist in unseren Fällen nicht so: Nur eine Partei wählt den Stichtag und bestimmt damit den Zeitwert. Sie wird dafür einen für sie günstigen „Zeitpunkt“ suchen, der dann prägend ist (Zeitvorsprung). Der Bundesgerichtshof sieht dieses Ungleichgewicht auch und erläutert, dass die Gesellschaft durch die Wahl des Zeitpunkts der Bekanntgabe seines Übernahmebegehrens möglicherweise eine ungünstige Kursentwicklung für sich nutzbar machen könnte.465) Deshalb ist der Stichtag im dynamischen Verlauf zu sehen und eine Mitte zu finden zwischen den „Zeitvorstellungen“ („Zeitmoment im Zivilrecht“).466) Das ist bei aller „Genauigkeit“ zu beachten: „Stichtagsvergleiche“ sind problematisch. II. Vergangenheit/Zukunft 362 Für die Bewertung kommt es an auf die künftigen, also auf die Überschüsse nach dem Stichtag. Doch planen wir nach den bilanzrechtlichen Vorgaben in Jahresabschnitten (Geschäftsjahr, § 242 Abs. 1 HGB).467) Das erste Planjahr ist damit das Geschäftsjahr, in dem der Stichtag liegt. Wenn also das Geschäftsjahr das Kalenderjahr ist und der Stichtag der 1.4.2017, so ist das Jahr 2017 das erste Planjahr.468) Das Ergebnis dieses Jahres mag aber schon „in der Wurzel angelegt“ sein. 363 Die Abgrenzung kann schwierig sein, wenn der Stichtag am Beginn des neuen Geschäftsjahres liegt, der handelsrechtliche Jahresabschluss des Vorjahres aber noch nicht festgestellt ist. Das LG Dortmund sieht dann das Vorjahr als Prognosejahr an.469) Es sei zu unterstellen, dass das gerichtliche Verfahren ___________ 464) 465) 466) 467) 468) 469)

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Vgl. Paulsen, in: MünchKomm, AktG, § 305 Rn. 72 f. BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 „Stollwerck“. Großfeld, in: Backhaus/Bonus, S. 91. OLG Düsseldorf, 19.5.2010, DB 2010, 1454 = NZG 2010, 1355. Vgl. LG München, 25.2.2002 AG 2002, 563. LG Dortmund, 19.3.2007, AG 2007, 792 = ZIP 2007, 2029.

G. Stichtagsprinzip

„nur eine ‚juristische Sekunde’ andauert“. Sonst träten mit jedem festgestellten Jahresabschluss dessen Zahlen jeweils an die Stelle der prognostizierten Erträge. Entscheidend dürfte aber sein, dass die Ergebnisse schon im Vorjahr erzielt waren, also Vergangenheit sind. Sieht man es anders, ergeben sich „Verschiebebahnhöfe“. III. Wurzeltheorie 1. Grundsatz Das Stichtagsprinzip spiegelt eine Genauigkeit vor, die es im Leben nicht 364 gibt; es schafft Scheingenauigkeit:470) Der Stichtag unterbricht einen fließenden Strom, dessen Dynamik sich nicht scharf erfassen lässt; stets kommt es zu gleitenden Übergängen zwischen heute und morgen. Zu beachten sind daher alle Faktoren, die am Stichtag „in der Wurzel angelegt“ sind („Wurzeltheorie“).471) Maßgeblich ist die Wahrscheinlichkeit künftiger Ergebnisse zum Stichtag. Grundsätzlich darf man die Prognose nicht durch eine Betrachtung im Nachhinein ersetzen, um Rückschaufehler („hindsight bias“) zu vermeiden.472) Zu berücksichtigen ist nur der Informationsstand, den ein „sorgfältig arbeitender Bewerter … berücksichtigt“ hätte.473) Der Bundesgerichtshof formuliert:474)

365

„Nach dem Stichtag insoweit eintretende Entwicklungen sind grundsätzlich nur zu berücksichtigen, wenn sie am Stichtag schon angelegt waren.“

Nicht zu beachten sind spekulative Hoffnungen oder Befürchtungen. Die 366 Abgrenzung ist schwierig. Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass es mit der Wurzeltheorie vereinbar sei, ein am Bewertungsstichtag bereits angelegtes Ereignis, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit zwar sehr gering, aber nicht gleich Null ist, vollständig bei der Ertragsplanung und damit der Unternehmensbewertung unberücksichtigt zu lassen.475) Konkret ging es dabei um einen in Aussicht stehenden Großauftrag, der nach seiner Erteilung den Wert des Unternehmens innerhalb von vier Jahren verdreifacht hatte.

___________ 470) Großfeld, in: Backhaus/Bonus, S. 91. 471) Vgl. nur OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683; OLG Düsseldorf, 11.5.2015, AG 2015, 573 = ZIP 2015, 1336; OLG Karlsruhe, 23.7.2015, AG 2016, 220; Veil, in: Spindler/Stilz, § 305 AktG Rn. 78; Paulsen, in: MünchKomm, AktG, § 305 Rn. 84; Meyer, AG 2015, 16; Ruthardt/Hachmeister, WPg 2012, 455; Popp/Ruthardt, AG 2015, 857. 472) OLG Düsseldorf, 30.9.2015, I-26 W 10/12 (AktE); OLG Stuttgart, 14.9.2011, AG 2012, 221; Veil, in: Spindler/Stilz, § 305 AktG Rn. 78. 473) OLG Stuttgart, 14.9.2011, AG 2012, 221. 474) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. 475) OLG Frankfurt, 29.1.2016, ZIP 16, 716.

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Dritter Teil: Wertberechnung

2. Anhaltspunkte 367 Rückblickend erscheint Späteres häufig als am Stichtag schon angelegt; das ist zu beachten.476) Insoweit muss man die Rückschau abwägen mit einer unsicheren Zukunftsprognose: Ist die Geschäftspolitik gleich geblieben, so verweisen spätere Entwicklungen auf das, was in der Wurzel angelegt war, vor allem, wenn sie eine Planung des Unternehmens bestätigen (Plausibilitätskontrolle).477) Ergeben sich gravierende Abweichungen zwischen Planung und tatsächlicher Entwicklung, muss die Planung nicht falsch sein. Es sind die Ursachen zu prüfen, ob die Grundlagen für die Entwicklung schon am Bewertungsstichtag angelegt waren. 3. Aufhellung 368 Die Einprägsamkeit des Begriffes verdeckt ein Problem. Kommt es für die Einbeziehung auf die objektive oder (auch) die subjektive Erkennbarkeit an? 369 Der Bundesgerichtshof formuliert unterschiedlich. In einer Entscheidung vom 4.3.1998 heißt es:478) „Entwicklungen, die erst später eintreten, aber schon in den am Stichtag bestehenden Verhältnissen angelegt sind, müssen berücksichtigt werden“. Nur wenig später am 8.5.1998 stellt das Gericht auch auf die Erkennbarkeit ab, erläutert, dass „die spätere tatsächliche Entwicklung nach der sog. Wurzeltheorie nur berücksichtigt werden darf, sofern sie in ihren Ursprüngen bereits am Stichtag angelegt und erkennbar war.“479) 370 Unseres Erachtens hängt die Beantwortung der Frage von dem konkreten Bewertungsfall ab („normzweckkonforme Bewertung“).480) Gehen wir – im Regelfall – von einer objektivierten Unternehmensbewertung aus, muss auch die Frage nach der Erkennbarkeit bestimmter Entwicklungen objektiv beantwortet werden; auf die Verhältnisse und die Erkenntnismöglichkeiten beider Parteien kommt es hier gerade nicht an. Das IDW verlangt hier „die Beachtung des Informationsstandes, der bei angemessener Sorgfalt zum Bilanzstichtag hätte erlangt werden können“.481) Anders ist es, wenn die Bewertung subjektiv für einen begrenzten Adressatenkreis erstellt wird; hier ist darauf abzustellen, was gerade für diese Adressaten erkennbar war. Auch hier ist es aber fraglich, ob eine solche Regelung in einem Gesellschaftsvertrag getroffen werden könnte.482) ___________ 476) Veil, in: Spindler/Stilz, § 305 AktG Rn. 78; OLG Stuttgart, AG 2012, 221. 477) OLG Stuttgart, 14.9.2011, AG 2012, 221; IDW S 1 2008 Tz. 23; Popp/Ruthardt, AG 2015, 857. 478) Vgl. BGH, 4.3.1998, BGHZ 138, 136 = NZG 1998, 379. 479) BGH, 8.5.1998, BGHZ 138, 371= NZG 1998, 644. 480) BGH, 4.12.2012, ZIP 2013, 358 = NZG 2013, 233. 481) IDW S 1 2008 Tz. 23. 482) OLG Köln, 26.3.1999, OLGR Köln 1999, 281 = NZG 1999, 1222.

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G. Stichtagsprinzip

Neue Erkenntnisse sind zu berücksichtigen, wenn sie die Lage am Stichtag 371 aufhellen und Schlüsse erlauben „auf den Wert der Gegenstände am Stichtag“ („retrospektive Plausibilitätskontrolle“).483) Dann ist der spätere Verlauf beachtlich. Es gilt Ähnliches, wie für die Abgrenzung wertbeeinflussender und wertaufhellender Umstände im Jahresabschluss (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB).484) Verwirklichen sich schon am Stichtag bestehende konkrete Chancen oder Risiken? Dafür sind zu beachten am Stichtag erkennbare eingeleitete oder hinreichend konkretisierte Maßnahmen.485) 4. Beispiele Eine „Verwurzelung“ ist zu bejahen, wenn Verhandlungen vor dem Stichtag 372 begannen oder Investitionen vorher geplant waren. Ertragschancen müssen im Ansatz geschaffen sein.486) Später entdeckte „Altlasten“ zählen, wenn sie nach der Unternehmensgeschichte zu befürchten waren.487) Bei der Frage, ob mit einer Verbindlichkeit zu rechnen ist, kann man auf die folgende Entwicklung schauen, wenn sie schon risikomäßig erkennbar angelegt war.488) IV. Bewertungsmethode Auch für die Frage, welche Bewertungsmethode wir anwenden, fragen wir, 373 ob diese am Stichtag „in der Wurzel“ angelegt war. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass eine neuere Berechnungsweise anzuwenden ist, wenn sie auf „Veränderungen der wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse reagiert, die am Bewertungsstichtag bereits eingetreten oder angelegt waren, in der alten Berechnungsweise aber noch nicht berücksichtigt waren“.489) Hingegen ist eine neuere Berechnungsweise nicht anzuwenden, die auf einer Veränderung der wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse nach dem Stichtag beruht und seinerzeit noch nicht angelegt und vorhersehbar war. In den übrigen Fällen, in denen das Stichtagsprinzip die Anwendung einer neuen Berechnungsweise nicht vorgibt, entscheidet der Tatrichter. Hier sicher abzugrenzen, kann im Einzelfall schwierig sein. V. Plausibilität Es ist schwierig, sich in eine vergangene Zeit „zurückzufühlen“; Einzelheiten 374 lassen sich oft nur „erahnen“. Heutige Tatsachen sind allemal sicherer als ___________ 483) LG Dortmund, 1.4.2004, Der Konzern 2004, 496 = NZG 2004, 723; vgl. auch OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683. 484) Vgl. die Beispiele bei Krumm, in: Blümich, § 5 EStG Rn. 279 ff. 485) Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 32, 34. 486) BGH, 9.11.1998, ZIP 1998, 2151 = NZG 1999, 70. 487) OLG Düsseldorf, 2.4.1998, AG 1999, 89 = WM 1998, 2058. 488) Vgl. BFH, 27.3.1996, BStBl. II 1996, 470, 472. 489) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424.

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Dritter Teil: Wertberechnung

„Prognosen“ aus vergangener Sicht. Auch deshalb kann man bei normalem Verlauf Ereignisse als Indiz für das in der Wurzel Angelegte nehmen.490) Das Tatsächliche erlaubt und gebietet ein kritisches Überdenken;491) sonst wären wir wirklichkeitsfremd. Weicht die spätere Entwicklung ab, werden Beteiligte Abweichungen im Spruchverfahren aufgreifen, um die Planung als vermeintlich unplausibel darzustellen. Das ist dann zu prüfen. Das Gericht kann neu schätzen, wenn die Prognosen oberflächlich oder ganz unplausibel sind.492) 375 Ein „alles oder nichts“ ist zu vermeiden; eine gewisse Flexibilität ist angesagt.493) So lässt sich etwa an eine partielle Verwurzelung der Folgen denken. Vielleicht lag schon etwas „in der Luft“, war mit Ergebnissen zu rechnen – aber nicht in dieser Höhe. Das mag zu einem plausiblen Ergebnis führen oder zu einem Vergleich, der keine Seite ganz befriedigt – entsprechend dem Kompromisscharakter vieler Unternehmensbewertungen. 376 All das zwingt uns zu einer argumentativen Disziplin. Adolf Moxter warnt: „Das Wertaufhellungsprinzip stellt keinen Freibrief dar für die Zurückbeziehung von Informationen auf den Bewertungsstichtag. Der Bewerter (oder Richter), der die Wert bestimmenden Verhältnisse, wie sie sich am Bewertungsstichtag bei angemessener Sorgfalt präsentieren, der späteren Entwicklung dieser Verhältnisse gleichsetzt, erleichtert sich seine Aufgabe in ungebührlicher Weise; denn diese Gleichsetzung kann dazu führen, dass eine Partei erheblich benachteiligt wird“.494)

377 Das Stichtagsprinzip verhindert, dass Prognosen in Spekulation und Wunschdenken ausufern; es sichert den Zeitbezug der wertbildenden Faktoren. Das ist grundlegend, weil jede Bewertung zeitabhängig ist. Disziplin und Plausibilität sind gleichermaßen gefragt. VI. Aufzinsung/Abzinsung 378 Wenn der Stichtag (z. B. 1.4.2016) vor dem Ende (z. B. 31.12.2016) des für die Planung angesetzten Geschäftsjahres liegt, so ist das Ergebnis abzuzinsen auf den Stichtag. Ist der Stichtag nach dem Ende des Geschäftsjahres, so wird entsprechend aufgezinst.495) 379 Besser erscheint es jedoch, die Zukunftserfolge auf den Beginn (1.1.2016) und auf das Ende (31.12.2016) des Geschäftsjahres abzuzinsen. Die Differenz zwischen den beiden Werten ist die Werterhöhung im laufenden Geschäftsjahr. Sie ist entsprechend der am Stichtag vergangenen Monate aufzu___________ 490) 491) 492) 493) 494) 495)

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Seetzen, WM 1999, 565. OLG Stuttgart, 16.2.2007, BeckRS 2007, 05049, Leitsätze NZG 2007, 478. OLG Düsseldorf, 30.9.2015 – I-26 W 10/12 (AktE). Emmerich, in: FS Ernst-Joachim Mestmäcker, S. 137, 143. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, S. 169. OLG Frankfurt, 15.2.2010, AG 2010, 798 = Der Konzern 2011, 179.

H. Einzelne Wertelemente

teilen. Der Wert zum 1.1.2016 ist also um ¼ der Differenz zu erhöhen, der Wert zum 31.12.2016 um ¾ der Differenz zu kürzen. H. Einzelne Wertelemente I. Vermögen Im Allgemeinen muss das Unternehmen Vermögen vorhalten, um seine Leis- 380 tung zu erbringen. Das umfasst betriebsnotwendiges und nicht betriebsnotwendiges Vermögen; beides fließt ein in die Bewertung. Unternehmen benötigen eine materielle Substanz, um Leistungen zu erbringen. 381 Daher sind Annahmen zu machen über Erhalt, Wachsen oder Schrumpfen der Substanz und über die finanziellen Folgen. Danach bestimmen sich Abschreibungen, Reinvestitionen, Reparaturkosten und Kapitalbedarf. 1. Betriebsnotwendiges Vermögen Das betriebsnotwendige Vermögen kennzeichnet die sachliche Leistungs- 382 kapazität (die sich allerdings erst durch eine persönliche entfalten kann); deshalb sind die Überschüsse daraus zentral für die Bewertung. Dazu gehören Anlagegüter, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Geldmittel. Das betriebsnotwendige Vermögen ist fortlaufend zu bestimmen gemäß der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung. 2. Nicht betriebsnotwendiges (neutrales) Vermögen Ein Unternehmen hat häufig Vermögen, das für den Betrieb nicht notwendig 383 ist, z. B. betrieblich nicht genutzte Gebäude oder Grundstücke ohne Beziehung zum Betrieb. Dieses nicht betriebsnotwendige Vermögen ist „neutral“, d. h. es kann veräußert werden, ohne die Aufgabe des Unternehmens zu beeinträchtigen (funktionale Abgrenzung).496) Es ist gesondert zu ermitteln, weil dies nicht oder nicht so wie das betriebsnotwendige Vermögen zu den Erträgen beiträgt.497) Es stellt einen gesonderten Rechnungsposten dar und ist mit der bestmöglichen Verwertungsmöglichkeit zu berücksichtigen; dies wird regelmäßig der Liquidationswert sein.498) Den Wert ermitteln wir im Allgemeinen gesondert. Wir unterstellen dann, 384 dass dieses Vermögen veräußert und an die Gesellschafter ausgeschüttet wird. Falls dies nicht zum Stichtag möglich ist, muss ggf. noch eine Veräußerungsperiode geplant werden, in der die Aufwendungen und Erträge geson___________ 496) IDW S 1 2008 Tz. 59 – 63. 497) Zu Einzelheiten siehe Rn. 1178; Koch, in: Hüffer, AktG, § 305 Rn. 27. 498) IDW S 1 2008 Tz. 60; vgl. etwa LG München I, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124; OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418; OLG Karlsruhe, 1.4.2015, AG 2015, 549 = Der Konzern 2015, 442; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 72, 74.

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Dritter Teil: Wertberechnung

dert berücksichtigt werden; im „Grenzfall“ kann auch auf die Planung einer Veräußerung verzichtet und das nicht betriebsnotwendige Vermögen gesondert mit dem Ertragswert im Unternehmenswert erfasst werden. Minderheitsaktionäre wenden häufig ein, ein Unternehmensteil sei nicht betriebsnotwendig, weil der (zusätzliche) Ertragswert eines einzelnen Unternehmensteils, z. B. eines unbebauten Grundstücks, im konkreten Fall häufig geringer ist als der Liquidationswert. 385 Sichert das Vermögen einen Kredit, so kann eine Entnahme die Finanzlage des Unternehmens verändern.499) Vermögensbestandteile können betriebsnotwendig sein, wenn sie etwa zur Besicherung und damit für den Unternehmenszweck zwingend erforderlich ist. II. Verbundvorteile 1. Überblick 386 Verbundvorteile (Verbundeffekte = Synergieeffekte) sind „Wertsteigerungspotentiale“.500) Sie entstehen, wenn sich die Überschüsse durch die Verbindung zweier oder mehrerer Unternehmen steigern.501) Dann können Steigerungs-, Rationalisierungs- oder Kooperationsvorteile erwachsen nach dem Schema 2 + 2 = 5 (sic!). Der Großaktionär hat kein Informationsdefizit, er weiß, „was in dem Unternehmen steckt“ und kann es beeinflussen (verringertes Agency-Problem). Häufig hofft er, dass er das Unternehmen in weitergehende Pläne, in seine Sphäre einbinden und so den Wert steigern kann. Dieses Ungleichgewicht der Informationen lässt sich zumeist nur ausgleichen durch Begutachtung. 387 Wir unterscheiden insoweit echte und unechte Verbundvorteile. Echte Synergieeffekte ergeben sich aus dem Bewertungsanlass und lassen sich nur erzielen mit dem ins Auge gefassten Partner. Nach dem Stand-alone-Ansatz sollen sie unbeachtlich sein.502) Unechte Synergieeffekte lassen sich auch ohne den Bewertungsanlass realisieren.503) 2. Echte Verbundvorteile a) Diskussion 388 Ob und inwieweit echte Verbundvorteile zu berücksichtigen sind, ist umstritten. ___________ 499) IDW S 1 2008 Tz. 63. 500) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 5. 501) Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 33 f.; Veil, in: Spindler/Stilz, § 305 AktG Rn. 78a; Paulsen, in: MünchKomm, AktG, § 305 Rn. 135 ff.; Koch, in: Hüffer, AktG, § 305 Rn. 33. 502) IDW S 1 2008 Tz. 50 f.; vgl. zum Streitstand: Paulsen, in: MünchKomm, AktG, § 305 Rn. 135 ff.; Koch, in: Hüffer, AktG, § 305 Rn. 33. 503) IDW S 1 2008 Tz. 34.

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H. Einzelne Wertelemente

Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass Fragen der Unternehmens- 389 wertermittlung auf der Ebene des einfachen Rechts zu beantworten seien.504) Dies erfasse Methode, Prognoseverfahren und die Einschätzung künftiger Erträge. So war das Verfassungsgericht auch nicht näher eingegangen auf den Einwand eines Beschwerdeführers, Synergieeffekte seien zu berücksichtigten. Die Rechtsprechung der Fachgerichte ist in Abfindungsfällen bislang ableh- 390 nend. Der Bundesgerichtshof hat erläutert, dass echte Verbundeffekte „von vornherein aus der Betrachtung“ ausschieden.505) Auch die Instanzgerichte berücksichtigen echte Verbundeffekte regelmäßig nicht.506) Begründet wird dies damit, dass die außenstehenden Aktionäre nicht mehr erhalten sollen, als ihnen zustünde, wenn der Unternehmensvertrag nicht geschlossen worden wäre.507). Das Unternehmen sei so zu bewerten, wie es ohne den Bewertungsanlass stünde.508) Auch das BayObLG wollte echte Verbundvorteile im Grundsatz nicht be- 391 rücksichtigen, schloss eine Relevanz aber nicht aus, „wenn solche Effekte im beherrschten Unternehmen bereits in der Form vorhanden sind, daß sie sich bei Verbindung mit nahezu jedem anderen Unternehmen der Branche positiv und objektivierbar auswirken“.509)

Entscheidungen, die echte Verbundvorteile berücksichtigen wollen, sind bis- 392 lang eher selten.510) Das OLG Wien511) meint hingegen, dass bei einer Verschmelzung die Syner- 393 gievorteile für die übernehmende Gesellschaft anzusetzen seien. Generell wird die Berücksichtigung von echten Synergien im österreichischen Schrifttum stärker vertreten.512) Wird ein Unternehmen in der Insolvenz bei der Planerstellung bewertet, sol- 394 len echte Synergieeffekte berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass ein Interessent wegen möglicher Synergieeffekte einen höheren Preis zahlen werde, als es dem Wert des Unternehmens in der Hand des Schuldners entspreche.513) ___________ 504) BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035. 505) BGH, 4.3.1998, BGHZ 138, 136 = NJW 1998, 1866. 506) LG München I, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124; OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822; OLG Stuttgart, 5.6.2013, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897; BayOLG München, 19.10.1995, AG 1996, 127 = DB 1995, 2590; OLG Celle, 31.7.1998, AG 1999, 128 = NZG 1998, 987; OLG Düsseldorf, 19.10.1999, AG 2000, 323 = NZG 2000, 693. 507) OLG Düsseldorf, 19.10.1999, AG 2000, 323 = NZG 2000, 693. 508) OLG Stuttgart, 5.6.2013, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897. 509) BayObLG, 11.12.1995, AG 1996, 176 = BB 1996, 687. 510) OLG Stuttgart, 6.7.2007, AG 2007, 705 = OLGR Stuttgart 2007, 1022; LG Frankfurt, 29.3.2006, AG 2007, 42. 511) OLG Wien, (österr.) Zeitschrift für Gesellschafts- und Steuerrecht 2005, 276, 281. 512) Winner, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 14 Rn. 25. 513) Spliedt, in: Schmidt/Uhlenbruck, A. Der Insolvenzplan 8.8; Vallender/Spliedt in: Schmidt/ Uhlenbruck, IV. Planentscheidung 8.77.

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Dritter Teil: Wertberechnung

395 Ballwieser sagt zu Synergieeffekten: „Dass bei Mergers and Acquisitions Synergieeffekte berücksichtigt werden, scheint mir ganz unstrittig zu sein. Denn Sie zahlen für das, was Sie herausholen können. So einfach ist das.“514)

396 Die Literatur neigt zunehmend dazu, Synergieeffekte jedenfalls teilweise zu berücksichtigen.515) Die mit den echten Synergieeffekten verbundenen Chancen, den Unternehmenswert zu steigern, seien Teil des Unternehmensvermögens.516) Dies bilde „wesentlich treffender die Realität“ ab.517) Eine Aufteilung zwischen echten und unechten Verbundvorteilen sei oft schwierig.518) Teilweise wird vorgeschlagen, Synergieeffekte entsprechend der Unternehmenswerte aufzuteilen oder notfalls hälftig zu teilen.519) Manche wollen nach der Art der Abfindung unterscheiden.520) 397 Nach Busse von Colbe ist eine Aufteilung „dem Rechtsfrieden dienlicher als ihre völlige Vernachlässigung“.521) Es geht aber um mehr als einen „gefühlten“ Rechtsfrieden, nämlich um die Auslegung des Gesetzes: Nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG bemisst sich die „Ausgleichszahlung“ auch nach den „künftigen Ertragsaussichten“, zu ihnen tragen Synergien bei. 398 Der IDW S 1 2008 unterscheidet zwischen der Erwerber- und Veräußerersicht. Für einen Käufer seien echte und unechte Verbundeffekte bewertungsrelevant, für einen Veräußerer hingegen nicht, weil dann nur Synergien zu berücksichtigen seien, die auch ohne den Bewertungsanlass hätten erzielt werden können (unechte Verbundvorteile).522) b) Stellungnahme 399 Die Diskussion ist neu entfacht aus der Sicht einer normorientierten Bewertung. Die Hoffnung auf Wertsteigerung gehört zum „Vermögen“ aller Anteilseigner. Die Verbundvorteile sind für Erwerber wie Verkäufer eines Unternehmens wichtig. Ein freiwillig ausscheidender Gesellschafter würde einen Preis verlangen, der den Vorteil für den Erwerber widerspiegelt:523) Es ist der Preis für die im Unternehmen liegende Chance, Baustein eines größeren ___________ 514) Ballwieser, in: Weltweite Rechnungslegung und Prüfung, S. 255, 264. 515) Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 70; Veil, in: Spindler/Stilz, § 305 AktG Rn. 78a; Ruthardt, NZG 2015, 1387; Hachmeister/Ruthardt/Gebhard, Der Konzern 2011, 600; Reuter, AG 2007, 881, 893, 896; Rathausky, Finanz-Betrieb 2008, 114, 118. 516) Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 71. 517) Jonas, WPg 2007, 835, 841. 518) Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 70. 519) Veil, in: Spindler/Stilz, § 305 AktG Rn. 78a. 520) Winner, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 14 Rn. 44 ff. 521) Busse von Colbe, ZGR 1994, 595, 609. 522) IDW S 1 2008 Tz. 50 f. 523) Busse von Colbe, in: FS Lutter, S. 1053, 1062; Jonas, WPg 2007, 835.

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H. Einzelne Wertelemente

Verbundes zu werden.524) Berücksichtigt man das nicht, erwirbt der Übernehmer aus konzentrationspolitischer Sicht zu billig.525) Ein Erwerber ist bereit, für Verbundvorteile zu zahlen, ein Veräußerer will 400 für sie einen Preis. Übernahmen von etwa Youtube oder der Verkauf von WhatsApp an Facebook zeigen, dass durch die Einbindung in eine neue Unternehmensstruktur Synergien erwartet werden. Geldgeber nehmen gezielt jahrelang Verluste von Start-ups in Kauf, warten auf die Chance, Teil eines Großen Ganzen zu werden, um dann von den Verbundvorteilen zu profitieren. So wurde WhatsApp – obwohl das Unternehmen jahrelang nur Verluste erwirtschaftete – für 19 Milliarden US-Dollar verkauft. Ein freiwillig ausscheidender Gesellschafter will sich auch die Chance vergüten lassen wollen, die künftig in dem Unternehmen steckt. Das ist kein Minderheitsaufschlag als „Preis für Privatautonomie“, sondern der Preis für eine im Unternehmen steckende Chance, „Baustein“ zu werden. Die neuere Literatur verweist zunehmend auf die Gleichsetzung der Abfin- 401 dung mit dem Ergebnis einer Verhandlungssituation.526) Werden echte Synergieeffekte in der Abfindungsberechnung nicht berücksichtigt, werde dem Minderheitsaktionär ein Preis aufgezwungen, dem er in einer freien Verhandlungssituation nicht zustimmen würde.527) Verwiesen wird auch darauf, dass der Gesetzgeber im Falle des verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out nach § 62 Abs. 5 UmwG Bar- und Sachabfindung so eng miteinander verzahnt hat, dass die bar abgefundenen Minderheitsgesellschafter (auch) dafür entschädigt werden müssen, dass sie an den Chancen der Teilnahme an den echten Synergien infolge der Verschmelzung nicht mehr teilhaben können.528) Auch der Gesetzgeber kennt das Verfahren, wenn es darum geht, Vorteile 402 einer Funktionsverlagerung ins Ausland zwischen dem deutschen und dem ausländischen Unternehmen aufzuteilen: In § 1 Abs. 3 AStG wird hierfür ein hypothetischer „Einigungsbereich“ aus den Preis- und Wertvorstellungen beider Seiten gebildet und im Zweifel der Mittelwert als „Einigungswert“ gewählt werden.529) Eine stärkere Berücksichtigung von Synergien könnte auch deshalb geboten 403 sein, weil eine auf Börsendaten gestützte Ermittlung des Kapitalisierungszinses, wie sie z. B. dem CAPM zugrunde liegt, stärker „Übernahmephantasien“ berücksichtigt; sie schlagen sich in Börsenkurse nieder und beeinflussen damit die (Börsen-)Marktrendite. Nach dem Äquivalenzgedanken (gleiche Grundannahmen in Zähler und Nenner des Bewertungskalküls) wären daher auch ___________ 524) 525) 526) 527) 528) 529)

Hüttemann, WPg 2007, 812, 815. Großfeld, in: Gedächtnisschrift Lüderitz, S. 233. Hachmeister/Ruthhardt/Gebhardt, Der Konzern 2012, 600. Paulsen, in: MünchKomm, AktG, § 305 Rn. 137. Watrin/Stöver, WPg 2012, 999, 1002. Vgl. Pohl, in: Blümich, AStG, § 1 Rn. 114 ff.

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Dritter Teil: Wertberechnung

bei der Ertragswertermittlung solche „Phantasien“, wie sie sich in den „echten“ Synergien widerspiegeln, stärker zu berücksichtigen. Hüttemann erläutert:530) „Zudem ist es unstimmig, einerseits den Börsenkurs oder tatsächlich gezahlte Preise für Unternehmensanteile als Kontrollwerte zu berücksichtigen, bei der Feststellung des wahren Wertes aber ausschließlich auf das vorhandene Unternehmenskonzept abzustellen.“

404 Aus dieser Sicht ist der gemeinsame Vorteil zwischen den Parteien zu teilen;531) das bedeutet nicht unbedingt Hälftung, zu denken ist an eine ertragswertanteilige Zuweisung.532) Da die Initiative vom Übernehmer ausgeht, mag es angemessen erscheinen, ihm mehr zuzuweisen;533) dagegen spricht, dass er den Vorteil der Zeitbestimmung erhält. c) Beispiele 405 Dass Aktionäre auf Verbundeffekte hoffen, belegen zahlreiche Beispiele. Ende 2015 kündigte Air Liquide an, die amerikanische Airgas zur Stärkung ihrer Marktmacht zu übernehmen, und bot 143 Euro je Aktie. Der Börsenkurs hatte in den Jahren zuvor unter 100 Euro gelegen, sprang dann nach Bekanntgabe der geplanten Übernahme im November 2015 auf mehr als 130 Euro.534) 406 Nachdem das Versicherungsunternehmen ACE Mitte 2015 angekündigt hatte, den amerikanischen Versicherungskonzern Chubb zu kaufen, stieg der Chubb-Börsenkurs binnen zweier Handelstage von 95,14 USD auf 121,47 USD. Bei der Übernahme des Lebensmittelkonzerns Kraft durch Heinz wurde den Kraft-Aktionären eine Sonderdividende von 27 % des Börsenpreises angeboten.535) Im Zuge der Übernahme des SABMiller Brauereikonzern durch Anheuser-Busch InBev wurde den SABMiller-Aktionären die Übernahme mit einer 50 % über dem Börsenkurs liegende Barzahlung schmackhaft gemacht.536) 407 Auch die Übernahme des Fitness-App Unternehmens Runtastic GmbH durch den Adidas-Konzern im Sommer 2015 zeigt, welche Hebeleffekte manchmal erwartet werden. Der Runtastic-Unternehmenswert war bei der Übernahme auf 220 Millionen Euro geschätzt worden und Adidas hatte darauf hingewiesen, dass man „dank der Kombination der Kompetenzen beider Unternehmen“ nun hervorragend positioniert sei.537) Springer hatte erst knapp ___________ 530) Hüttemann, WPg 2007, 812, 815. 531) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 663. 532) Angermayer-Michler/Oser, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 977, 991, 994. 533) Kuhner, Unternehmensbewertung, S. 831; Rathausky, Finanz-Betrieb 2008, 114, 122. 534) Pressemitteilung Air Liquide v. 17.11.2015. 535) Pressemitteilung Kraft Heinz Company v. 25.3.2015. 536) Pressemitteilung Anheuser-Busch InBev v. 11.11.2015. 537) Pressmitteilung Adidas v. 5.8.2015.

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H. Einzelne Wertelemente

zwei Jahre zuvor 50,1 % der Runtastic-Anteile übernommen; seinerzeit war der Unternehmenswert noch mit 22 Millionen Euro angegeben worden. Ähnliches gilt für die bereits geschilderte Übernahme von WhatsApp durch Facebook. Wir dürfen uns aber von den erfolgreichen Fällen mit erheblichen Wertstei- 408 gerungen nicht täuschen lassen und Verbundeffekte als quasi sicher einschätzen. Oft werden sich die Erwartungen nicht erfüllen, die Zukunft bleibt ungewiss. d) USA Mario Weiss538) erklärt zu den USA:

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„Nach und nach fand dann allerdings die im Schrifttum geäußerte Ansicht, es handle sich bei den Synergiepotentialen eines Unternehmens um ein allen Anteilseigner zustehendes Vermögensgut, eine immer breitere Zustimmung in Wissenschaft und Praxis. Wie auch einige Kommentatoren … konstatieren, gebiete es die Fairness, dass die Kompensation für die ausscheidenden Minderheitsaktionäre auch die aus der Transaktion entstehenden Synergievorteile umfassen müsse.“

So sieht es wohl der Delaware Court of Chancery. Er sagt mit Blick auf den 410 „minority discount“,539) notwendig sei „the additon of a premium that spreads the value of control over all shares equally“.540) Dafür steht auch das American Law Institute. Es meint in § 7.22 (c) Standards for Determining Fair Value: “… the court generally should give substantial weight to the highest realist price that a willing, able, and fully informed buyer would pay for the corporation as an entity. In determining what such a buyer would pay, the court may include a proportionate share of any gain reasonably to be expected from the combination unless special circumstances would make such an allocation unreasonable.“541)

Die Kommentierung erklärt für eine Verschmelzung:542)

411

„Under § 7.22 (c), the court should generally permit dissenting shareholders to share proportionately in synergy gains … Rather, the concept underlying § 7.22 (c) is that in the case of less than perfect markets that courts regularly encounter, the court often may best determine the price that a fully informed buyer would pay, at least in part” by first determining the synergy gains from the combination, and then allocating those gains proportionately between the two entities.”

___________ 538) Weiss, Der Ausschluss von Minderheitsaktionären nach Art. 33 Börsengesetz; Margolin/ Kursh, 30 Delaware J. of Corporate L. (2005), 413. 539) Siehe Rn. 86, 294, 973. 540) Doft & Co. v. Travelocity.com, Inc., 2004 Del.Ch. LEXIS 75, 46 f. 541) American Law Institute, in: Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations, Bd. 2, Part VII, S. 315. 542) American Law Institute, a. a. O., S. 326.

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Dritter Teil: Wertberechnung

412 Section 623 (h) (4) New York Business Corporation Law sagt: “In fixing the fair value of the shares the court shall consider the nature of the transaction giving rise to the shareholder’s right to receive payment for shares and its effects on the corporation and its shareholders, the concepts and methods then customary in the relevant securities and financial markets for determining fair value of shares of a corporation engaging in similar transactions under comparable circumstances and all other relevant factors”. “The statutory language does not, however, prevent the courts from considering post-transaction factors in assessing the fair value of the shares. … The 1982 amendment eliminated this exclusion because ‘experience has demonstrated that large premiums over market price are commonplace in mergers and in asset acquisitions’. It may be an abuse of discretion in some circumstances for the court not to consider post-transaction changes in value.“543)

3. Unechte Verbundvorteile 413 Diese Vorteile lassen sich ohne den Bewertungsanlass oder mit nahezu beliebigen Partnern aus dem Unternehmen selbst „heben“. Bestehen am Stichtag solche Chancen, so sind sie zu berücksichtigen.544) Dazu können gehören Rezepturen, optimale Ablaufsteuerungen, Größenvorteile oder steuerliche Verlustvorträge.545) Die Maßnahmen müssen am Stichtag bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sein.546) 414 Problematisch sind auch hier die Bewertung und die Zurechnung auf die „Partner“. 4. Abgrenzung 415 Echte und unechte Verbundvorteile sind manchmal schwer zu unterscheiden. Die Übergänge sind fließend. Echte Vorteile folgen aus der Verbindung zweier bestimmter Partner aufgrund der spezifischen Gegebenheiten und führen so zu einer Hebelwirkung. Es war für Facebook so reizvoll WhatsApp und für Microsoft so attraktiv das Karrriere-Netzwerk LinkedIn zu übernehmen, weil durch die Einbindung gerade dieser beiden Unternehmen jeweils besondere Verbundvorteile erwartet wurden (Marktmacht, übergreifende Datennutzung usw.). Unechte Vorteile lassen sich hingegen mit jedem Unternehmen ___________ 543) Kantrowitz/Slutsky, in: White New York Business Entities, Vol. 2, 2005, 6 – 500; vgl. für Delaware Margolin/Kursh, 30 Delaware J. of Corporate L. (2005), 413; vgl. Weinberg v. UOP, Inc., 457 A.d 701, 713 (Del. 1983); In Cede Co. v. Technicolor, 542 A. 2d 1182 (Del. 1988) bezog das Gericht für den künftigen Wert Erkenntnisse ein, die der Markt noch nicht hatte und die die Börsenkurse noch nicht beeinflussten. 544) BGH, 12.3.2001, BGHZ 147, 108 = NZG 2001, 603, IDW S 1 2008 Tz. 34; OLG Stuttgart, 5.6.2013, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897; Koch, in: Hüffer, AktG, § 305 Rn. 33. 545) IDW, WP-Handbuch 2014, Rn. A 89. 546) IDW S 1 2008 Tz. 34; Winner, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 14 Rn. 3, 28.

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H. Einzelne Wertelemente

erzielen und Synergien können unabhängig vom Bewertungsanlass erzielt werden.547) III. Verbundnachteile Sie sind dem Ausscheidenden nicht anzulasten; der Übernehmer trägt sie al- 416 lein.548) Etwaige Verbundnachteile sind – aus der Perspektive des Stichtags – jedoch eher theoretisch. Das Unternehmen erwartet durch die Verbindung mit einem anderen Unternehmen regelmäßig Vorteile durch den Zusammenschluss. IV. Unternehmensleitung Zu bewerten ist die übertragbare Leistungskraft des Unternehmens. „Manage- 417 mentfaktoren“ können die Ertragskraft beeinflussen. Daher ist zu prüfen, ob man mit der bisherigen Leitung weiter rechnen kann.549) Einzelunternehmen und Personengesellschaften sind oft geprägt von be- 418 stimmten Personen. Der Wert eines Start-Ups beruht häufig entscheidend auf der Gestaltungskraft eines Ideengebers oder Initiators. Wir müssen dann bedenken die positiven oder negativen Wirkungen eines Ausscheidens. Steht die bisherige Leitung nicht mehr bereit und lässt sich das Unternehmen 419 dann nicht weiterführen, so bleibt der Liquidationswert.550) Gleiches gilt, wenn bei Ansatz eines Unternehmerlohns der Überschusswert den Liquidationswert unterschreitet.551) Einflüsse aus einem Unternehmensverbund, die nicht mit übergehen, sind 420 auszuscheiden. Gleiches gilt für persönliche oder familiäre Beziehungen.552) Das kann entscheidend sein bei der Bewertung ausländischer Unternehmen.553) V. Ausschüttungen Ausschüttbar ist nur, was gesellschaftsrechtlich erlaubt ist.554) Zu befolgen 421 sind also die Regeln über den Bilanzgewinn oder den handelsrechtlichen Jahresüberschuss.555) Verlustvorträge oder Pflichtrücklagen können eine Ausschüttung verhindern, wenn sie sich nicht vermeiden lassen (z. B. Auflösung eines Verlustvortrags mittels Gewinnrücklagen). ___________ 547) Winner, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 14 Rn. 3. 548) Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 70; Winner, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 14 Rn. 41. 549) IDW S 1 2008 Tz. 38 – 42. 550) IDW S 1 2008 Tz. 42. 551) IDW S 1 2008 Tz. 42; zur Bestimmung des Unternehmerlohns siehe Tz. 160. 552) IDW S 1 2008 Tz. 41. 553) Vgl. Großfeld, in: Großfeld/Yamauchi/Ehlers/Ishikawa, S. 71, 82. 554) IDW S 1 2008 Tz. 26. 555) IDW S 1 2008 Tz. 35.

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Dritter Teil: Wertberechnung

422 Das ist zentral bei der Einnahmeüberschussrechnung: Hier sind die Ertragsüberschüsse stets ergänzend zu erfassen,556) weil sich die handelsrechtlichen Regeln zur Ausschüttbarkeit auf sie beziehen. 423 Stets müssen wir die finanziellen Folgen der Ausschüttung, d. h. den Finanzierungssaldo zeigen.557) Ein Mittelbedarf lässt sich durch Fremdkapital, durch Thesaurierung oder durch neues Eigenkapital finanzieren. Einen Mittelüberschuss kann man zur Schuldentilgung oder zur Ausschüttung an die Eigner nutzen. Das verändert das Zinsergebnis und damit die Überschüsse. VI. Schätzung 424 Der Wert ist nach § 287 Abs. 2 ZPO innerhalb einer Bandbreite unterschiedlicher Werte zu schätzen. Es gibt keinen mathematisch exakten einzig richtigen Unternehmenswert.558) 1. Informationen 425 Es ist auf der Basis zuverlässiger Informationen zu schätzen; diese bestimmen die Qualität der Analyse. Die Angaben müssen unternehmens- und marktorientiert sein; sie sollen auf die Zukunft hinweisen. Heranzuziehen sind interne Planungen, Marktanalysen, Angaben zur Marktstellung und zum allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Umfeld. Immer ist plausibel zu schätzen.559) 426 Der Gutachter kann sich auf testierte Abschlüsse stützen, die evtl. zu bereinigen sind.560) Bei nicht geprüften Abschlüssen hat er die Basisdaten „abzuklopfen“. Das Unternehmen muss eine Vollständigkeitserklärung abgeben. Die Plausibilität der Planungen und Prognosen beurteilt der Gutachter;561) er stellt sie sodann klar für das „Außenseiterverständnis“. 427 Entscheidend ist die Qualität der Daten und der Methoden. Qualität und Umfang der vorhandenen Daten bestimmen die Qualität der Analyse.562) Deshalb ist stets zu sagen, welche faktischen und methodischen Annahmen zugrunde liegen.563)

___________ 556) 557) 558) 559) 560) 561) 562) 563)

96

IDW S 1 2008 Tz. 26. IDW S 1 2008 Tz. 26. Vgl. nur OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683. IDW S 1 2008 Tz. 81. IDW S 1 2008 Tz. 82 – 84. IDW S 1 2008 Tz. 84. IDW S 1 2008 Tz. 69. IDW S 1 2008 Tz. 66.

H. Einzelne Wertelemente

Schätzungen sind nie ganz objektiv; umso wichtiger ist, dass sie widerspruchs- 428 frei und nachvollziehbar (plausibel) sind.564) Dafür sind Vergangenheit, Stichtag und Zukunft zu analysieren. 2. Abwägung Das Gericht muss sich um Richtigkeit bemühen; sie geht der „Wahrschein- 429 lichkeit“ i. S. v. § 738 Abs. 2 BGB, § 287 Abs. 2 ZPO vor. Zu schätzen ist, wenn eine weitere Aufklärung nicht realistisch oder mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. § 260 Abs. 2 Satz 3 AktG). Der Verweis auf „schätzen“ meint mehr als nur ein „Dürfen“. Das Gericht soll sein eigenes Ermessen einbringen und urteilen „unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung“ (§ 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO, vgl. § 260 Abs. 2 Satz 1 AktG). Zu den „Umständen“ zählt auch die Abwägung zwischen einer zeitlich ange- 430 messenen Entscheidung und einer späteren vielleicht genaueren. So wird die Dauer von Spruchverfahren häufig als problematisch angesehen, und es besteht zunehmend die Tendenz, etwa in Delisting-Fällen, (nur noch) auf der Basis von Börsenkursen abzurechnen.565) Bei der Komplexität ist Maß zu halten: Eine „punktgenaue Messung“ lässt 431 sich nicht erreichen.566) Es gibt keine exakt mathematische Bewertung: Die Mathematik dient der Bewertung, führt sie aber nicht. Geboten sind plausible Vereinfachungen, die den Parteien und der Öffentlichkeit einsichtig zu machen sind. Es ist ein „den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild“ zu geben (vgl. §§ 264 Abs. 2 Satz 1, 297 Abs. 2 Satz 2 HGB). Hinweise auf Modelle, Formeln oder nicht rechtsvergleichend überprüfte Beispiele aus dem Ausland genügen nicht.

___________ 564) Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 81. 565) Vgl. BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016; § 39 BörsG-E; Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drucks. 18/6220, S. 84; vgl. Bayer, NZG 2015, 1169. 566) Vgl. nur OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683.

97

Vierter Teil Analyse des Unternehmens „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“567)

432

A. Vergangenheit I. Grundlagen 1. Pfadabhängigkeit Der Unternehmenswert ist zukunftsbezogen, er wächst aber aus der Vergan- 433 genheit („Zukunft braucht Herkunft“).568) Deshalb ist das Unternehmen zunächst vergangenheits- und stichtagsorientiert zu analysieren (Grundsatz der Vergangenheitsanalyse).569) Die Ergebnisse der Vergangenheit sind zwar nicht ausschlaggebend, aber sie setzen Maßstäbe und geben den Schlüssel für die Zukunft. Unternehmen sind „pfadabhängig“. Es gilt deswegen, ein grundsätzliches Verständnis für das Geschäftsmodell des Unternehmens zu entwickeln, um daraus die „Werttreiber“ zu ermitteln, die die künftige Entwicklung bestimmen können. 2. Anzahl der Jahre Die Anzahl der Jahre, die für die Analyse der Vergangenheit heranzuziehen 434 sind, hängt von der Branche ab, in der das Unternehmen tätig ist. Bei Unternehmen mit kurzen Geschäftszyklen, wie z. B. in der Mode- und Konsumgüterindustrie, mögen wenige Jahre ausreichen. Bei langen Geschäftszyklen, wie wir sie z. B. in der Investitionsgüterindustrie vorfinden, müssen eher mehr Jahre in den Blick genommen werden, um zu einem fundierten Verständnis zu gelangen. Umgekehrt kann die Vergangenheitsanalyse eingeschränkt werden, wenn aufgrund von „Brüchen“, wie sie sich z. B. aus einer weitreichenden Umstrukturierung ergeben können, aus der Vergangenheit keine Erkenntnisse für die Zukunft mehr abgeleitet werden können.570) Wir gehen im Allgemeinen etwa drei bis fünf Jahre vor den Stichtag zurück.571)

435

3. Branchenanalyse Zuerst analysieren wir die Branche (Branchenstruktur). Wir fragen nach der 436 Wettbewerbsintensität der Branche, der Bedrohung durch neue Wettbewerber ___________ 567) Wilhelm von Humbold. 568) Vgl. OLG Düsseldorf, 27.2.2004, AG 2004, 324 = NZG 2005, 280; OLG Düsseldorf, 14.4.2000, AG 2001, 189 = NZG 2000, 1079. 569) IDW S 1 2008 Tz. 72 – 74. 570) IDW, WP Handbuch 2014, Bd. 2, Rn. A 230. 571) OLG Karlsruhe, 12.7.2013, BeckRS 2013, 13603.

99

Vierter Teil: Analyse des Unternehmens

oder Ersatzprodukte sowie der Verhandlungsmacht des Unternehmens selber und seiner Lieferanten und Kunden.572) Gibt es Markteintrittsbarrieren? Haben die Produkte des Unternehmens Alleinstellungsmerkmale aufgrund besonderen Know-how? Schützen Patente – wenn ja, wie lange? Bestehen Abhängigkeiten von Lieferanten oder Kunden? 437 Von einem Unternehmen, das sich in einer schwierigen Branche mit hohem Wettbewerbsdruck erfolgreich behauptet hat, nehmen wir an, dass es sich auch künftig weiter im Markt halten oder sogar seine Position ausbauen kann. Wir fragen deshalb auch nach der Position des Unternehmens im Markt. Liegt das Unternehmen im, über oder unter dem Branchentrend? Dies hat auch Bedeutung für die Beurteilung der künftigen Planung. 4. Verlaufsanalyse 438 Für die Vergangenheitsanalyse ziehen wir heran die Gewinn- und Verlustrechnungen, Kapitalflussrechnungen und die Bilanzen des Unternehmens. Soweit für die betreffenden Jahre geprüfte Jahresabschlüsse vorliegen (§§ 316 ff. HGB), können wir diese einschließlich der Prüfungsberichte heranziehen. Zu beachten ist aber, dass diese „externe Rechnungslegung“ häufig anders strukturiert ist, als die für die Planung verwendete „interne Rechnungslegung“. Letztere dient der Steuerung des Unternehmens und ist deswegen oftmals wesentlich detaillierter aufgebaut, z. B. nach Kunden- und Produktgruppen oder als – ggf. mehrstufige – Deckungsbeitragsrechnung.573) Wir benötigen dann zusätzlich Überleitungsrechnungen, die die Zahlen der Vergangenheit und die Plandaten der Zukunft vergleichbar machen, um „Brüche“ zu vermeiden. 439 Wir berücksichtigen auch, dass die Ertragsverläufe der Vergangenheit durch bilanzpolitische Maßnahmen „verdeckt“ sein können. Verzichtet das Unternehmen auf die Aktivierung von Entwicklungsaufwendungen (Wahlrecht nach § 248 Abs. 2 HGB), so kann die Ertragslage der Vergangenheit zu ungünstig dargestellt sein, obwohl gerade hier die Wachstumstreiber für die Zukunft geschaffen wurden. 440 Umgekehrt können Risiken in Tochtergesellschaften „ausgelagert“ worden sein; „berühmt“ geworden sind hier Zweckgesellschaften (§ 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB), die wir uns deswegen besonders anschauen. Ebenfalls zu berücksichtigen sind nicht in die Bilanz aufgenommene Geschäfte, die – soweit sie von Bedeutung für die Beurteilung der Gesellschaft sind – aus dem Anhang entnommen werden können (§ 285 Nr. 3, 3a HGB): Genannt werden zum Beispiel Factoring, Pensionsgeschäfte, Konsignationslagervereinbarungen, Verträge mit unbedingter Zahlungsverpflichtung („Take or pay“-Verträge), For___________ 572) Porter, Competitive Strategy: Techniques for Analysing Industries and Competitors, S. 3 ff. 573) Zur Deckungsbeitragsrechnung Götze, Kostenrechnung und Kostenmanagment, S. 153 ff.

100

A. Vergangenheit

derungsverbriefungen über gesonderte Gesellschaften oder nicht rechtsfähige Einrichtungen, Verpfändungen von Aktiva, Leasingverträge.574) II. Substanz Der Substanzwert spielt i. d. R. an dieser Stelle keine Rolle;575) deshalb sind 441 stille Rücklagen nicht eigens zu erfassen. Aber die Substanz (ihr technischer Stand, ihr Erhaltungsgrad) beeinflusst doch künftige Überschüsse. Deshalb ist sie für die Investitions- und Finanzplanung zu beachten. III. Wesentliche Positionen Aus der Gewinn- und Verlustrechnung analysieren wir die Umsatzerlöse und 442 die Kostenstruktur. Wir fragen nach den wichtigsten Produkt- und Kundengruppen und nach den jeweils verkauften Mengen (Absatzstruktur). Die Kostenstruktur analysieren wir darauf, inwieweit Kosten von der Produktionsmenge abhängig sind („variable Kosten“) oder unabhängig von der Produktion entstanden sind („fixe Kosten“). Wichtig ist auch, in welchem Umfang die Kosten zwangsläufig sind oder von der Unternehmensleitung beeinflusst werden können. Zur ersten Gruppe gehören zum Beispiel Mieten für Gebäude und Anlagen oder Gebühren und Abgaben; zur zweiten Gruppe Marketing- und Vertriebsaufwendungen. Aus der Gegenüberstellung von Erlösen und Aufwendungen lassen sich 443 Kennzahlen ermitteln. Zu den wichtigsten gehören die Material- und Personalkostenquote. Bedeutsam sind aber auch alle Kennzahlen, die Einblick in die Entwicklung des Unternehmens ermöglichen. Analysiert werden können so die Entwicklung der Preise für die verkauften Produkte, Umsatz und Deckungsbeitrag je Kunde/Kundengruppe oder auch der Marketing-Aufwand im Verhältnis zum Umsatz. Diese Kennzahlen helfen uns, die spätere Planung zu beurteilen, wenn wir die entsprechenden Kennzahlen dort erneut ermitteln. Aus der Bilanz ermitteln wir das zur Produktion erforderliche Vermögen 444 („working capital“576)). Dies besteht in der Regel aus den Vorratsbeständen, den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie sonstigen kurzfristigen Vermögenswerten einerseits und den Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sowie den kurzfristigen Bank- und sonstigen Verbindlichkeiten andererseits. Wir beurteilen das „working capital“ in seinem Verhältnis zu der Produktivität des Unternehmens und ermitteln zum Beispiel die Umschlagshäufigkeit der Vorräte und die Länge der von Kunden oder dem Unternehmen selbst in Anspruch genommenen Zahlungsziele. Wir schauen aber ___________ 574) Vgl. z.B Grottel, in: Beck’scher Bilanzkommentar, § 285 Rn. 54. 575) Siehe aber zur Rolle als Untergrenze des Unternehmenswertes Rn. 1343. 576) Definition: Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Working Capital.

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Vierter Teil: Analyse des Unternehmens

auch, ob in diesen Posten Überbestände enthalten sind, die als nicht betriebsnotwendiges Vermögen zu qualifizieren sind.577) 445 Die Investitionen der Vergangenheit prüfen wir darauf, ob es sich um Ersatzoder Erweiterungsinvestitionen handelte und wie sie finanziert worden sind. Wir schauen uns an, ob die vorhandenen Kapazitäten ausreichend waren, um die erreichten Mengen zu produzieren oder ob Teile der Produktion ausgelagert worden sind. Wir fragen nach dem Alter der vorhandenen Anlagen, um abschätzen zu können, wann künftig neue Investitionen anstehen. Dies ist insbesondere dann von besonderer Bedeutung, wenn es sich um Großanlagen handelt, die nur in größeren Zyklen angeschafft bzw. ersetzt werden. 446 In diesem Zusammenhang hilft uns ein Blick in die Kapitalflussrechnung, die die Zahlungsströme eines Geschäftsjahres in Zahlungsströme für das operative Geschäft, Investitionen und Finanzierungen zerlegt. Sie zeigt uns, in welchem Umfang investiert wurde, ob diese Investitionen aus dem laufenden Zahlungsfluss finanziert werden konnten oder ob Fremdkapital aufgenommen bzw. abgebaut wurde. IV. Bereinigungen 447 Die Vergangenheitsergebnisse bedürfen einer Bereinigung, um außerordentliche, nicht wiederkehrende Einflüsse („Sondereffekte“) zu eliminieren, damit die für die Zukunft wirksamen „Werttreiber“ deutlicher sichtbar werden. 448 Die erste Gruppe der Bereinigungen betrifft die periodengerechte Zuordnung der Ergebnisse: x

Abschreibungsdauer, die nicht der wirtschaftlichen Nutzungsdauer entsprechen, müssen korrigiert werden.

x

Halbfertige Arbeiten sind – sofern sie größeren Umfang haben – periodengerecht mit anteiligen Erlösen anzusetzen („percentage of completion“); Entsprechendes gilt für die Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen.

x

Die Bildung und Auflösung von Rückstellungen ist rückschauend daraufhin zu untersuchen, ob bei der ursprünglichen Bildung die Belastung zutreffend ermittelt wurde; ertragswirksame Auflösungen nicht benötigter Beträge in späteren Jahren sind ein Indiz dafür, dass dies nicht der Fall war.

x

Für Pensionsrückstellungen genügt nicht eine Orientierung an § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 6a EStG; die tatsächliche demographische Entwicklung („Älterwerden“) ist zu berücksichtigen.578)

___________ 577) Siehe. Rn. 1178, 1197. 578) OLG München, 18.2.2014, AG 2014, 453 = NJW-RR 2014, 473; LG Hamburg, 23.2.2016, BeckRS 2016, 04711; LG Dortmund, 19.3.2007, AG 2007, 792 = ZIP 2007, 2029; Hachmeister/Ruthardt, DStR 2013, 2530, 2531.

102

A. Vergangenheit

x

Außerordentliche Aufwendungen und Erträge sind zu eliminieren.

x

Sofern Bilanzierungs- oder Bewertungsmethoden geändert wurden, sind die hieraus resultierenden Einflüsse zu bereinigen. Das gleiche gilt für bilanzpolitische Maßnahmen, die zum Beispiel aus steuerlichen Gründen Ergebnisverschiebungen bewirkt haben.

In der zweiten Gruppe der Bereinigungen finden sich Anpassungen, die durch 449 die Bewertung selbst verursacht sind: x

Herauszunehmen sind die Aufwendungen und Erträge des nicht betriebsnotwendigen Vermögens.579)

x

Unternehmerlohn: Insbesondere wenn der Inhaber des Unternehmens sich als Geschäftsführer zu hohe oder zu niedrige Vergütungen bewilligt, ist ein angemessener „drittüblicher“ Unternehmerlohn zu berücksichtigen.

x

Besondere Ergebnisfaktoren, die zum Beispiel aus einem Konzernverbund resultieren, müssen eliminiert werden, wenn Faktoren künftig nicht mehr fortwirken.

Die Folgewirkungen der vorgenommenen Bereinigungen sind zu berücksich- 450 tigen. In der Regel werden die Korrekturen auch dazu führen, dass ergebnisabhängige Steuern und Tantiemen auf Unternehmensebene neu berechnet und berücksichtigt werden müssen. V. Sonderproblem: Konzernbeziehungen Ist Gegenstand der Bewertung nicht ein einzelnes Unternehmen, sondern 451 ein Konzern, so ergeben sich im Grundsatz keine besonderen Probleme. Da im Konzernabschluss die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der einbezogenen Unternehmen so darzustellen ist, als ob diese Unternehmen insgesamt ein einziges Unternehmen wären (§ 297 Abs. 3 HGB), kann für die Vergangenheitsanalyse prinzipiell auf die Konzernabschlüsse zurückgegriffen werden. Dies reicht allerdings nur dann aus, wenn auch die Planung der zukünftigen 452 Ergebnisse auf Konzernebene erfolgt. Dies ist häufig bei stark integrierten Strukturen der Fall, wo die einzelnen Konzernunternehmen jeweils Funktionen im betrieblichen Prozess übernehmen (z. B. Produktionsgesellschaften, Vertriebsgesellschaften, Finanzierungsgesellschaften). Wo dies nicht der Fall ist, müssen die einzelnen Konzernunternehmen separat analysiert und die Ergebnisse in einem Konzernergebnis zusammengefasst werden. Zuweilen wird der Konzern in Sparten geplant, die nicht unbedingt mit der rechtlichen Struktur von Mutter- und Tochtergesellschaften identisch sind. In diesen Fällen nehmen wir auch die Vergangenheitsanalyse entlang dieser Sparten

___________ 579) Siehe Rn. 1178 ff.

103

Vierter Teil: Analyse des Unternehmens

vor, um eine Vergleichbarkeit der Vergangenheitsdaten mit der zukünftigen Planung zu erreichen. 453 Wenn dagegen das zu bewertende Unternehmen in einen Konzern eingebunden ist, besteht weitgehende Einigkeit, dass die am Stichtag bestehende Struktur hinzunehmen ist.580) Aus der Sicht des Bewertenden sind die rechtlichen Verhältnisse nämlich in gleicher Weise wertbeeinflussend wie das tatsächliche Unternehmensumfeld.581) Trotzdem sind Durchbrechungen möglich.582) Wird z. B. die Zukunft ohne die Konzernbeziehung geplant, so sind auch die Vergangenheitswerte entsprechend zu bereinigen, um die Vergleichbarkeit herzustellen. Auf die besonderen Probleme der Berücksichtigung von Synergien haben wir bereits hingewiesen.583) VI. Gewichtung 454 Es liegt auf der Hand, dass die näher zum Stichtag liegenden Vergangenheitsperioden eine höhere Aussagekraft für die künftig zu erwartenden Überschüsse haben. Die Überschüsse werden bedeutsamer mit zunehmender Nähe zum Stichtag. 455 Diesem Gedanken wurde in der Vergangenheit häufig dadurch Rechnung getragen, dass die „stichtagsnäheren“ Perioden übergewichtet wurden.584) Hierfür – und insbesondere auch für ein schematisches Vorgehen – gibt es jedoch keine plausible Begründung.585) Dies schon deswegen, weil die Vergangenheitsanalyse ja nicht das Ziel verfolgt, einen „eindeutigen“ Überschuss des Unternehmens zu ermitteln, sondern Tendenzen und „Werttreiber“ aufzudecken, die Grundlage für eine Plausibilisierung der Zukunftsplanung sein können. Es bleibt damit dem konkreten Fall vorbehalten, ob und wie die Ergebnisse der Vergangenheit in die Zukunft „fortgeschrieben“ werden können. B. Zukunft I. Grundsätze 1. Going Concern 456 Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass das Unternehmen operativ fortgeführt wird („going concern“). Dies bedeutet zum einen, dass wir die zukünf___________ 580) OLG Frankfurt, 16.7.2010, BeckRS 2011, 05382; OLG Celle, 19.4.2007, AG 2007, 865 = ZIP 2007, 2025; LG München I, 6.11.2013, BeckRS 2013, 21493. 581) Riegger/Wasmann, in: FS Goette, S. 433, 435 f. 582) Siehe Rn. 499 ff. 583) Siehe Rn. 386. 584) Barthel, Finanz-Betrieb 2008, 520, 524. 585) Auch der Gesetzgeber geht in § 201 BewG („vereinfachtes Ertragswertverfahren“) nur noch von einer Mittelung der Vergangenheitsergebnisse aus – anders als noch im sog. „Stuttgarter Verfahren“.

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B. Zukunft

tigen Zuflüsse bei den Anteilseignern nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung ermitteln und zum anderen, dass wir eine unbegrenzte Lebensdauer des Unternehmens unterstellen. Die Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung ergeben sich für das deutsche 457 Handelsrecht aus den §§ 252 ff. HGB. Planungsrechnungen können aber auch nach internationalen Grundsätzen (IFRS, US-GAAP) erstellt werden. In diesem Fall ist zu beachten, dass die nach diesen Grundsätzen ermittelten Ergebnisse möglicherweise nicht ausschüttungsfähig sind, weil insoweit der handelsrechtliche (HGB-)Jahresabschluss und ggf. gesellschaftsrechtliche Restriktionen maßgeblich sind. Dies gilt es auch in Konzernfällen zu beachten, weil die Ableitung der finanziellen Überschüsse auf der Grundlage einer konsolidierten Planungsrechnung erfolgt, die Ausschüttungen aber gesellschaftsrechtlich an Einzelabschlüsse anknüpfen.586) Die „unbegrenzte Lebensdauer“ des Unternehmens ist infrage gestellt, wenn 458 das zugrunde liegende Geschäftsmodell zeitlich begrenzt ist, z. B. weil künftig gesetzliche Restriktionen zu erwarten sind oder die Dauer des Unternehmens von vornherein nur zeitlich begrenzt sein soll. Das allgemeine Insolvenzrisiko führt dagegen nicht zu einer Begrenzung der Lebensdauer, sondern ist im Rahmen des Kapitalisierungszinses zu berücksichtigen; hierauf werden wir noch eingehen.587) 2. Schwebende Geschäfte Nach § 740 BGB nimmt der Ausgeschiedene an dem Ergebnis der schwe- 459 benden Geschäfte teil. Sie sind aber nicht gesondert abzurechnen, weil sie schon bei der Prognose der Überschüsse erfasst sind. Ein Erwerber würde die schwebenden Geschäfte nicht zusätzlich vergüten. 3. Stille Reserven Stille Reserven entstehen, wenn der Wert eines Vermögensgegenstandes größer 460 ist, als dies im (bilanziellen) Buchwert zum Ausdruck kommt. Dies kann beruhen auf einer im Zeitverlauf eingetretenen Wertsteigerung (z. B. bei über lange Zeit gehaltenen Grundstücken) oder auf von der Gesellschaft wahrgenommenen Bewertungswahlrechten (z. B. „Lifo-Bewertung“588) bei Vorratsbeständen). Für einzelne Branchen mögen auch gesetzliche Vorschriften bestehen, die die Legung stiller Reserven ermöglichen (z. B. Vorsorge für allgemeine Bankrisiken; § 340f HGB; Schwankungsrückstellungen in der Versicherungsbranche; § 341h HGB).

___________ 586) Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 5 Rn. 10. 587) Siehe Rn. 720, 1318. 588) „Last in first out“.

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Vierter Teil: Analyse des Unternehmens

461 Da wir i. d. R. von der unbegrenzten Fortdauer des Unternehmens ausgehen, bleiben die stillen Reserven möglicherweise ebenfalls unbegrenzt „still“ und gehen deswegen nicht in den Unternehmenswert ein. Wird die Unternehmensplanung auf der Grundlage des HGB vorgenommen, gilt explizit der Grundsatz des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB („Realisationsprinzip“), wonach Gewinne erst dann zu berücksichtigen sind, wenn sie sich im Umsatzprozess realisiert haben. Wird dagegen nach den IFRS geplant, werden stille Reserven eher aufgedeckt, weil dort einzelne Bilanzposten unabhängig vom Umsatzprozess mit ihren tatsächlichen Werten angesetzt werden können („Fair-ValueBewertung“).589) 462 Wir prüfen deswegen, ob die Bilanzwerte des Unternehmens am Stichtag stille Reserven enthalten und ob sich diese im Laufe der weiteren Planung auflösen und damit in den Ertragswert einfließen. Vermögensgegenstände mit signifikanten stillen Reserven untersuchen wir darauf, ob sie dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen zugeordnet werden können. Bilanzierungswahlrechte, die die Bildung stiller Reserven begünstigen, müssen auf „marktnähere“ Wahlrechte umgestellt werden. Aufwendungen und Erträge, die zur Veränderung der stillen Reserven führen, müssen eliminiert werden.590) 4. Neutrale Sicht 463 Die Zukunft beurteilen wir aus der Sicht eines neutralen Dritten. Das bilanzielle Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) findet keine Anwendung, weil es vom Grundsatz des Gläubigerschutzes geprägt ist591) und damit die Interessen von Gläubigern und Anteilseignern nicht angemessen ausbalanciert.592) Chancen und Risiken sind vielmehr gleichmäßig einzubeziehen. Es sind daher die aus der Sicht des Bewertungsstichtages am realistischsten erscheinenden Werte einzusetzen („Erwartungswerte“); ggf. müssen wir mehrwertig planen.593) 464 Die Berücksichtigung von Risiken (und Chancen) in der Planung führt bei einem solchen Vorgehen nicht zu einer Doppelberücksichtigung von Risiken – etwa „zusätzlich“ durch den Risikozuschlag im Kapitalisierungszins. Unternehmerische Risiken werden vielmehr ausschließlich durch den Risikozuschlag erfasst. Wir verzichten auf die Aufteilung zwischen „allgemeinen“ Risiken, die wir im Risikozuschlag erfassen, und „speziellen“ Risiken, die in der Planung berücksichtigt werden.594) ___________ 589) Wagenhofer, IRZ 2006, 31. 590) Für Schwankungsrückstellungen siehe OLG Düsseldorf, 14.1.2004, AG 2004, 614 = NZG 2004, 429; LG Köln, 7.8.2015, BeckRS 2016, 01395. 591) Großfeld, AG 1997, 433; Hennrichs, Status:Recht 2009, 127. 592) OLG Frankfurt, 29.4.2011, AG 2011, 832 = Der Konzern 2011, 427; IDW S 1 2008 Tz. 64. 593) Siehe Rn. 528 ff. 594) Hachmeister/Ruthardt/Eitel, WPg 2013, 762.

106

B. Zukunft

Nur betrieblich bedingte Überschüsse sind anzusetzen; Überschüsse aus 465 dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen erfassen wir – falls erforderlich – getrennt.595) 5. Nominalrechnung/Realrechnung Künftige höhere Überschüsse ergeben sich oft aus der Geldentwertung (In- 466 flation). Wir können sie auf zwei Arten erfassen: Wir setzen die Überschüsse mit den nominalen Werten (Nominalrechnung) oder auf der Basis des Preisniveaus am Stichtag (Realrechnung) an. Heute regiert bei der Unternehmensplanung die Nominalrechung,596) weil sie die Basis für die abzuziehenden Ertragsteuern des Unternehmens und der Anteilseigner ist. Sie sichert den Bezug zum Basiszinssatz, der ebenfalls eine Nominalgröße ist (Homogenitätsprinzip).597) Wir prüfen daher, ob sich steigende Kosten auf die Kunden überwälzen lassen. Es ist zu schätzen, wie das geschehen kann und ob sich Mengen oder Strukturen ändern.598) Die Inflationsrate bleibt aber wichtig für den Wachstumsabschlag, den wir 467 uns später ansehen.599) 6. Plandaten Für die Planung benötigen wir nicht nur die Plan-/Ergebnisrechnungen, 468 sondern auch Planbilanzen und Finanzbedarfsrechnungen. Zwar werden die künftig erwarteten Überschüsse primär aus der Gewinn- und Verlustrechnung ermittelt, das Zinsergebnis und die Ermittlung der ausschüttungsfähigen Beträge (z. B. wegen bestehender Ausschüttungssperren) ergeben sich jedoch erst durch Einbeziehung der weiteren Unterlagen. Der Zusammenhang ergibt sich aus der nachfolgenden Übersicht:

469

___________ 595) 596) 597) 598) 599)

Siehe Rn. 1178. IDW S 1 2008 Tz. 94 – 98; OLG Stuttgart, BeckRS 2010, 006900. IDW S 1 2008 Tz. 94; OLG Stuttgart, 1.10.2003, AG 2004, 43 = Der Konzern 2004, 128. IDW S 1 2008 Tz. 96. Siehe Rn. 1091 ff.

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Vierter Teil: Analyse des Unternehmens Bilanz 01 Anlagevermögen Umlaufvermögen

Eigenkapital verzinsliche Verbindlichkeiten Rückstellungen, übrige Verbindlichkeiten

Bilanz 02 Anlagevermögen

Umlaufvermögen

Eigenkapital verzinsliche Verbindlichkeiten

Gewinn/Verlust 02 Finanzbedarf 02 (−) Anlagevermögen übrige Verb. (+) langfr. Kredite (=) Eigenkapital

Aufwendungen

Erträge

Zinsaufwand Jahresergebnis

Rückstellungen, übrige Verbindlichkeiten

Abb. 2: Zusammenhang zwischen Planungsdaten

470 Die geplanten Aufwendungen und Erträge setzen auch eine Planung des „working capital“ voraus, mit dem das betriebliche Ergebnis erzielt werden soll. Dessen Veränderungen beeinflussen wiederum den Finanzbedarf. Wird dieser durch Kreditaufnahme gedeckt (externe Finanzierung), werden die Zinsen Bestandteil der Ertragsplanung. Erfolgt die Finanzierung durch Eigenkapital, muss dies durch Thesaurierungen berücksichtigt werden. II. Einzelne Planungsschritte 1. Planung des EBIT 471 Üblicherweise beginnt die Unternehmensplanung mit der Planung des EBIT („earnings before interest and taxes“). Hier kann in der Regel auf die im Unternehmen vorliegenden operativen Planungen zurückgegriffen werden. 472 Wir beginnen mit den Umsatzplanungen des Unternehmens und korrigieren sie eventuell. Wir schauen auf die Umsätze und Absatzmengen und deren Verteilung auf Produkt- und Kundengruppen, Absatzmärkte und Sparten. Wir beurteilen die Auftragsbestände und fragen nach saisonalen Einflüssen (z. B. Weihnachtsgeschäft). Bestimmte Umsätze sind vielleicht nur im Kon-

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B. Zukunft

zernverbund zu erreichen.600) Wir ziehen übliche Schmälerungen des Ergebnisses ab (Rabatt, Skonto, kaufrechtliche Minderung). Materialkosten, Personalkosten und sonstige Kosten beurteilen wir nach fixen 473 und variablen Anteilen. Bei variablen Kosten fragen wir, ob die Relationen zu den Bezugsgrößen konstant geblieben sind bzw. welche Gründe für die Änderung der Kennziffern maßgeblich waren. Bei den fixen Kosten schauen wir auf die von der Geschäftsleitung zugrunde gelegten Prämissen. Wir beziehen absehbare Lohn- und Gehaltssteigerungen ein, ferner einen Stellenaus- oder -abbau. Wenn Aufwendungen und Zahlungen für Pensionen weit auseinander fallen, prüfen wir die Folgen für Finanzierung und Besteuerung. Bei der Beurteilung der Planung helfen uns die bei der Vergangenheitsanalyse 474 durchgeführten Geschäftsumfeld- und Branchenanalysen sowie die ermittelten Kennzahlen und Werte.601) Die Planung muss vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse plausibel sein. 2. Investitionen Wir prüfen, ob die vorhandene Kapazität ausreichend ist, um die künftig ge- 475 plante Produktion erstellen zu können. Aufgrund der Altersstruktur der vorhandenen Anlagen sind rechtzeitige Ersatzinvestitionen zu planen. Bei größeren Investitionen ist auch deren Finanzierung zu berücksichtigen. Erfolgt diese aus eigenen Mitteln, kann das Einfluss auf künftige Ausschüttungen haben; bei Einsatz von Fremdkapital sind entsprechende Zinsaufwendungen zu planen. Da die Unternehmensplanung mit dem Ziel der Ermittlung ausschüttungs- 476 fähiger Beträge erfolgt, sind Abschreibungen auf die Anlagen nicht zu berücksichtigen, weil sie nicht zu Ausgaben führen. Stattdessen sind die tatsächlichen Auszahlungen für die Investitionsobjekte anzusetzen. Haben die Investitionen nur einen geringen oder einen im Zeitablauf konstanten Umfang, können wir die Ausgaben mit den Abschreibungen gleichsetzen, was die Komplexität der Planung deutlich reduziert. 3. Working Capital Die Erbringung der betrieblichen Leistungen setzt eine bestimmte Vermö- 477 gensausstattung voraus. Wir prüfen, ob die Entwicklung des Umlaufvermögens („working capital“) mit der geplanten Umsatz- und Kostenentwicklung abgestimmt ist. Veränderungen des Umlaufvermögens lösen Finanzierungsbedarf aus oder setzen Finanzmittel frei, was im Rahmen der Planung des Finanzergebnisses zu berücksichtigen ist. Auch hier helfen uns wieder die ___________ 600) OLG Düsseldorf, 19.10.1999, AG 2000, 324 = NZG 2000, 693. 601) Siehe Rn. 436.

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Vierter Teil: Analyse des Unternehmens

Kennzahlen der Vergangenheitsanalyse, deren Fortschreibung in der Planung plausibel begründet werden muss. 4. Finanzplanung und Kapitalstruktur 478 Die Finanzplanung berücksichtigt sämtliche Änderungen der Bilanzstruktur, die sich aus den vorstehenden Planungsschritten ergeben. Sie zeigt als Ergebnis den periodenbezogenen Finanzierungsbedarf bzw. -überschuss. Wir prüfen, ob ein externer Finanzbedarf durch bestehende Kreditlinien gedeckt ist oder gedeckt werden kann und welche Zinskosten hieraus resultieren können. 479 Zur Planung der Kapitalstruktur gehört auch die Planung der vorgesehenen Ausschüttungen, weil ausgeschüttete Beträge nicht mehr für die (Innen-)Finanzierung des Unternehmens zur Verfügung stehen und ggf. zu einer Verschlechterung der Kapitalstruktur bzw. zu der Notwendigkeit führen, zusätzliches Fremdkapital aufzunehmen. 480 Das Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital ist für die Finanzierungskosten wichtig (Zinskosten als Zitterprämie?). Die Verminderung oder Vermehrung der Fremdmittel verbessert oder verschlechtert die Risikolage (Kapitalstruktur-Risiko), weist hin auf Tendenzen und beeinflusst den Diskontierungszins.602) Deshalb müssen wir schon hier darauf achten und das Verhältnis von Eigenkapital zur Bilanzsumme ermitteln (Eigenkapitalquote). Wenn die Gewährung oder Aufrechterhaltung von Krediten von der Einhaltung bestimmter Bilanzrelationen abhängig gemacht worden ist („Covenants“), kann von der Bilanzstruktur auch die Verfügbarkeit von Fremdkapital direkt abhängig sein. Im Übrigen ist die Kapitalstruktur wichtig für den Risikozuschlag im Kapitalisierungszinssatz. 481 Das Unternehmen hat zwei Möglichkeiten der Planung der Finanzierung:603) x

Bei der „autonomen Finanzierungspolitik“ wird der Fremdkapitalbestand explizit geplant mit der Folge, dass sich die EK/FK-Relation im Laufe der Zeit verändern kann. Als Folge können sich auch die von den Kapitalgebern geforderten Zinsen (Fremdkapitalzinsen und Renditeforderungen der Anteilseigner, ausgedrückt im Kapitalisierungszins) verändern.

x

Bei der „wertorientierten Finanzierungspolitik“ bleibt die EK/FK-Relation im Zeitablauf unverändert. Folglich bleiben auch die von den Kapitalgebern geforderten Zinsen gleich. Da der Kapitalbedarf dann aber nicht mehr explizit geplant werden kann, ist Voraussetzung, dass Eigen- und Fremdkapital „unbegrenzt“ verfügbar ist.

___________ 602) Siehe Rn. 629 ff. 603) Auf Einzelheiten kommen wir noch zu sprechen (siehe Rn. 1147, 1174).

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B. Zukunft

5. Beteiligungen Zu trennen ist zwischen inländischen und ausländischen Beteiligungen. Das 482 ist wegen oft anderer Marktverhältnisse notwendig, aber auch, um die Steuerlast richtig zu berechnen. Bei inländischen Beteiligungen stellen wir ab auf den Nettozufluss; bei ausländischen Beteiligungen achten wir auf eine Anrechnung der ausländischen auf die deutsche Steuer. 6. Planung der Ertragsteuern Die geplanten Ergebnisse müssen auf der Ebene des Unternehmens um die 483 dort gezahlten (Ertrag-)Steuern vermindert werden. Zu berücksichtigen sind deswegen grundsätzlich die Gewerbesteuer und bei Kapitalgesellschaften zusätzlich die Körperschaftsteuer. Bei Personengesellschaften fallen auf der Ebene der Gesellschaft keine weiteren Ertragsteuern an. Die Frage, ob zusätzlich auch die auf Ebene des Gesellschafters anfallenden 484 Ertragsteuern zu berücksichtigen sind, wird differenziert beantwortet.604) Wir kommen hierauf noch zurück.605) 7. Planung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens Die Behandlung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens planen wir ge- 485 sondert. In der Regel unterstellen wir, dass das nicht betriebsnotwendige Vermögen sofort zum Stichtag veräußert wird. Sofern wir davon ausgehen müssen, dass die Veräußerung längere Zeit in Anspruch nimmt, berücksichtigen wir dies bei der Planung und setzen für die Zwischenzeit möglicherweise zusätzliche Nutzungsentgelte (Mieten, Zinsen usw.) an. Wegen der unterstellten Veräußerung sind Steuern auf einen erwarteten Veräußerungsgewinn in Abzug zu bringen. Bei unbegrenzter Lebensdauer verbinden wir sodann den Barwert der Über- 486 schüsse aus dem betriebsnotwendigen Vermögen mit dem aus dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen.606) Bei begrenzter Lebensdauer fügen wir hinzu den Barwert der Überschüsse aus der Aufgabe oder Liquidation des Unternehmens am Ende der geplanten Lebensdauer.607) III. Analyse der Planung 1. Planungshoheit Planungen und Prognosen obliegen in erster Linie der Geschäftsführung. Sie 487 beruhen auf unternehmerischen Entscheidungen der Leitungsorgane der Ge___________ 604) 605) 606) 607)

IDW S 1 2008 Tz. 30, 45. Siehe Rn. 544 ff. IDW S 1 2008 Tz. 86. IDW S 1 2008 Tz. 87.

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Vierter Teil: Analyse des Unternehmens

sellschaft und sind seitens des Gerichtes nur daraufhin zu überprüfen, ob sie auf zutreffenden Annahmen beruhen und plausibel sind.608) Der Bewerter ist nicht befugt, die Geschäftspolitik an sich zu ziehen.609) Dies ist auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden.610) 488 Zur Rolle des (gerichtlichen) Gutachters in diesem Zusammenhang meint das OLG Stuttgart:611) „Der von dem Unternehmen beauftragte Bewerter kann seiner Bewertung nicht eine seiner Einschätzung nach unplausible Unternehmensplanung zu Grunde legen, da dann der von ihm ermittelte Ertragswert nicht sachgerecht wäre und einem Abfindungsangebot nicht zu Grunde gelegt werden könnte. Hält der Bewerter deshalb Planungsannahmen nicht für plausibel, hat er dies dem Vorstand mitzuteilen. Ob der Vorstand seine Planungen deshalb anpasst, ist von diesem zu entscheiden. Passt er die Planung an, ist fortan diese neue Planung als solche des Vorstands anzusehen, von der im Zuge der weiteren Unternehmensbewertung und sodann auch in dem gerichtlichen Spruchverfahren auszugehen ist. Etwas anderes würde nur bei eigenmächtigen Änderungen der Planung des Vorstands durch den Bewertungsgutachter gelten.“

489 Dies bedeutet jedoch nicht, dass ersichtlich unzutreffende Annahmen übernommen werden müssen, wenn die Unternehmensleitung keine Planänderungen vornimmt. Sind die Planungsrechnungen nicht nachvollziehbar oder fehlen solche, hat der Sachverständige Anpassungen vorzunehmen.612) Es ist dann zu erläutern, warum den Planungswerten des Unternehmens nicht gefolgt wurde (Transparenzgrundsatz). Andererseits sind als plausibel erachtete Planzahlen für die Bewertung zu übernehmen; kann die Unternehmensleitung vernünftigerweise annehmen, ihre Planung sei realistisch, darf diese Planung nicht durch andere – letztlich ebenfalls nur vertretbare – Annahmen des Gerichts oder des Gutachters ersetzt werden.613) 490 Anspruchsteller haben im Spruchverfahren keinen Anspruch darauf, dass zur Berechnung ihres Ausgleichs von ihnen für nachteilig gehaltene, nicht bewertungsanlassbezogene unternehmerische Entscheidungen fiktiv korrigiert werden, um zu einem höheren Ausgleich zu gelangen.614)

___________ 608) OLG Düsseldorf, 25.5.2016 – I-26 W 2/15 (AktE); OLG Frankfurt, 15.11.2014, AG 2015, 205 = ZIP 2014, 2439; OLG Stuttgart, 24.7.2013, AG 2013, 840 = NZG 13, 1179. 609) OLG Düsseldorf, 12.11.15, AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71. 610) BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035. 611) OLG Stuttgart, 24.7.2013, AG 2013, 840 = NZG 2013, 1179. 612) OLG Düsseldorf, 28.8.14, ZIP 2014, 2388 = NZG 2014, 1418; OLG München, 14.7.2009, ZIP 2009, 2339 = WM 2009, 1848. 613) OLG Frankfurt, 18.12.2014, AG 2015, 241 = ZIP 2015, 371; OLG Stuttgart, 17.10.2011, BeckRS 2011, 24586. 614) OLG Stuttgart, 24.7.2013, AG 2013, 840 = NZG 2013, 1179.

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B. Zukunft

2. Perspektive Das Unternehmen mag veräußert, es mag umstrukturiert oder verlagert werden. 491 Auf wessen Sicht kommt es bei der Beurteilung der Zukunft an? Einige Autoren schauen auf die Pläne der verbleibenden Gesellschafter: Ein Streit über die Richtung des Unternehmens sei in der Gesellschafterversammlung oder in der Hauptversammlung zu lösen; das sei nicht Sache eines Gutachters. Dem ist nicht zu folgen. Das Ausscheiden löst die Bindung an den Willen 492 der Verbleibenden. Bliebe es bei deren Planung, könnten sie die Höhe der Abfindung bestimmen. Daher sind die Alternativen zu beurteilen aus der Sicht eines neutralen Dritten und dann mit ihrer Wahrscheinlichkeit anzusetzen. Das geschieht durch alternative Überschussreihen.615) 3. Konsistenz und Richtigkeit Auch wenn eine Unternehmensplanung wegen der vorhandenen Bewer- 493 tungsspielräume nicht „richtig“ oder „falsch“ sein kann, muss sie doch rechnerisch richtig und konsistent sein. Wir prüfen daher zunächst die Planungsunterlagen darauf, ob die enthaltenen Werte rechnerisch und zutreffend ermittelt sind und ob die verwendeten Daten aus den zugrunde gelegten Datengrundlagen und zutreffend übergeleitet sind.616) Da die Planungen regelmäßig IT-gestützt erstellt werden, prüfen wir die vorgenommenen Rechenoperationen und Verknüpfungen innerhalb der Planungsdateien und zu den mit ihnen verbundenen Dateien. 4. Plausibilität Die Plausibilität der Planung prüfen wir vor dem Hintergrund unserer Un- 494 tersuchungen zur Entwicklung der Branche und des Unternehmens innerhalb der Branche.617) Wir fragen nach den Prämissen der Planung und deren Ableitung aus den Ergebnissen der Vergangenheit: „Was (Ziel) wollte das Unternehmen in der Vergangenheit wie (Strategie) erreichen und wie gut (Entwicklung in der Vergangenheit) hat sich das Unternehmen unter welchen Rahmenbedingungen (Markt- und Wettbewerbsanalyse) tatsächlich entwickelt?“618) Wir können uns für die Plausibilisierung der Planung auf interne Unterlagen 495 stützen, die uns von dem Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, oder auch eigene Recherchen vornehmen. Geeignete Quellen sind z. B. die Jahresberichte von Verbänden, Geschäftsberichte von anderen Unternehmen der Branche, aber auch der von dem Unternehmen selbst erstellte (letzte) Lage___________ 615) 616) 617) 618)

Siehe Rn. 528 ff. IDW S 1 2008 Tz. 81. Siehe Rn. 436 ff. Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 5 Rn. 118.

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Vierter Teil: Analyse des Unternehmens

bericht, der eine Prognose der zukünftigen Entwicklung mit ihren Chancen und Risiken enthalten muss (§ 289 Abs. 1 Satz 4 HGB).619) 5. Planungsgüte 496 Die Güte der Planung kann ebenfalls zur Beurteilung herangezogen werden. Wir prüfen den primären Zweck der Planung. Die Pläne sind gelegentlich zu „schön“; positive Entwicklungen werden leicht überschätzt, negative verdrängt. Eine für Zwecke der Unternehmenssteuerung erstellte Planung mag aus Gründen der Motivation oder weil den Mitarbeitern „ambitionierte Ziele“ gesetzt werden sollten, ein zu günstiges Bild darstellen. Muss sich die Gesellschaft an solchen überambitionierten Planungen festhalten lassen (Gedanke des „venire contra factum proprium“)? Die Pläne können aber auch wegen befürchteter Abfindungen an ausscheidende Gesellschafter nach unten tendieren. Immer ist Distanz geboten; gefragt ist eine „erwartungswertneutrale“ Planung.620) 497 Da Unternehmensbewertungen häufig lange Zeit nach dem Bewertungsstichtag durchgeführt werden, wenn es zum Streit über Abfindungen kommt, liegt die Versuchung nahe, die Planungsgüte auch anhand von „Plan-Ist-Abweichungen“ ex post zu analysieren. Damit verstieße man aber angesichts der Vielzahl der denkbaren Ursachen für die später eingetretene Entwicklung gegen das Stichtagprinzip. Danach ist der Unternehmenswert nach den Verhältnissen der Gesellschaft zum Bewertungsstichtag zu ermitteln, sodass spätere Entwicklungen grundsätzlich nur berücksichtigt werden können, wenn sie zum Bewertungsstichtag im Kern bereits angelegt waren.621) Wir haben darauf bereits hingewiesen.622) 498 In der Praxis werden wir jedoch auf diese Erkenntnisquelle nicht verzichten wollen. Wir müssen jedoch die Ist-Werte sorgfältig darauf untersuchen, inwieweit sie durch Sondereffekte geprägt sind, die aus der Sicht des Bewertungsstichtages nicht erkennbar waren. Die Ursachen eingetretener „PlanIst-Abweichungen“ sind zu untersuchen und mit der Unternehmensleitung zu diskutieren. IV. Sonderproblem: Konzernbeziehungen 1. Verrechnungspreise 499 Ist das zu bewertende Unternehmen in einen Konzern eingebunden, so bestehen in der Regel vielfache Verflechtungen in Form von vertraglichen Ver___________ 619) Zu Einzelheiten siehe Grottel, in: Beck´scher Bilanzkommentar, § 289 Rn. 60, § 315 Rn. 115 ff. 620) Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 5 Rn. 106. 621) OLG Stuttgart, 16.2.2007, AG 2007, 596. 622) Siehe Rn. 364.

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B. Zukunft

einbarungen, wie Konzern- und Managementumlagen oder Verrechnungspreise für bezogene oder abgegebene Lieferungen und Leistungen, die von „üblichen“ Marktpreisen abweichen mögen. Auch faktische Beziehungen sind zu berücksichtigen, wenn zum Beispiel das Unternehmen auf eine eigene Marktbearbeitung zugunsten anderer Konzernunternehmen verzichtet oder Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen zurückgefahren werden, um anderswo im Konzern Kapazitäten aufzubauen.623) Dient die Bewertung dem Zweck eines Verkaufes des Unternehmens, müssen 500 diese Konzernbeziehungen bei der Beurteilung der Planung identifiziert und korrigiert werden („Stand-alone-Bewertung“). Geht es dagegen um die Abfindung einzelner Gesellschafter bei grundsätzlich 501 fortbestehenden Konzernverbund – wie z. B. bei einem „Squeeze-out“ (§ 327b AktG) – kommen Zweifel auf. Einerseits ist die Konzernverflechtung Teil des „Umfeldes“, in die das Unternehmen eingebettet ist.624) Andererseits ist das herrschende Unternehmen – sofern kein Beherrschungs- und/oder Ergebnisabführungsvertrag besteht (dazu nachfolgend) – gehindert, die abhängige Gesellschaft zu veranlassen, ein für sie nachteiliges Rechtsgeschäft vorzunehmen oder Maßnahmen zu ihrem Nachteil zu treffen oder zu unterlassen, ohne dass diese Nachteile ausgeglichen werden (§ 311 Abs. 1 AktG). Dies legt ein differenziertes Vorgehen nahe: x

Die Existenz der Konzerneinbindung als solche muss bei der Bewertung hingenommen und berücksichtigt werden. Wenn man dies anders sehen würde, wäre dies faktisch gleichbedeutend mit einer Rückverlegung des Bewertungsstichtages auf einen Zeitpunkt vor Beginn der Konzernierung.625)

x

Die Angemessenheit der innerhalb der Konzerneinbindung verrechneten Preise kann jedoch auf die Drittüblichkeit untersucht werden.626) Hier greift das Schädigungsverbot des § 311 AktG ein, das ggf. zu einem Schadensersatzanspruch nach § 317 AktG führt. Auf eine bestimmte Art der Geschäftsführung hat der Aktionär aber keinen Anspruch, solange sich diese im gesetzlich und vertraglich festgesetzten Rahmen bewegt.627) Die Anwendung der Grundsätze des „faktischen Konzerns“ (§§ 311 ff. AktG) werden für das Spruchstellenverfahren zwar von einem Teil der Rechtsprechung abgelehnt, weil sein Vorliegen nicht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sondern im ordentlichen Zivilverfahren zu klären sei.628) Allerdings dürften die Voraussetzungen des § 311 AktG nur in

___________ 623) 624) 625) 626) 627) 628)

Meichelbeck, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 840 f. Siehe Rn. 453 und die dortigen Nachweise. OLG Stuttgart, 17.3.2010, AG 2010, 510. OLG Stuttgart, 15.10.2013, AG 2014, 208 = ZIP 13, 2201. OLG Düsseldorf, 28.1.2009, AG 2009, 667. OLG Stuttgart 4.2.2000, AG 2000, 428 = NZG 2000, 744; a. M. OLG Düsseldorf, 16.10.1990, AG 1991, 106 = ZIP 1990, 1474.

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Vierter Teil: Analyse des Unternehmens

seltenen Fällen umstritten sein, weil eine Beherrschung bei Vorliegen einer Mehrheitsbeteiligung vermutet wird (§ 17 Abs. 2 AktG). 502 Wir prüfen deswegen, ob die konzerninternen Verrechnungspreise im Rahmen der Planung anzupassen sind oder alternativ, ob ein Schadensersatzanspruch nach § 317 AktG als Bestandteil des nicht betriebsnotwendigen Vermögens angesetzt werden muss. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass sich aus Geschäften zwischen Konzernmitgliedern auch Vorteile ergeben können.629) 2. Ergebnisabführungsverträge 503 Bestehende Ergebnisabführungsverträge sind grundsätzlich als Element des rechtlichen Umfeldes des Unternehmens hinzunehmen. 504 Allerdings sind solche Verträge nach einer – steuerlich bedingten (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 KStG) – Mindestlaufzeit von fünf Jahren jederzeit kündbar. Gestützt hierauf ist das OLG Düsseldorf630) der Auffassung, ein bestehender Ergebnisabführungsvertrag sei nicht zu berücksichtigen. Weiterhin werde der Unternehmenswert nicht allein durch die Dividende/den Ausgleich bestimmt, sondern durch die mit der Beteiligung verbundenen Teilhabe- und Herrschaftsrechte, denen ein eigener (Mehr-)Wert zukomme. Dem hat der Bundesgerichtshof zugestimmt.631) Wir haben uns damit bereits beschäftigt.632) 505 Ist Bewertungsanlass der Verkauf des Unternehmens, also die Loslösung aus dem Konzernverbund, ist der Ergebnisabführungsvertrag in keinem Fall zu berücksichtigen, weil er regelmäßig im Zusammenhang mit dem Verkauf und Gesellschafterwechsel aufgehoben wird. 3. Synergien 506 Auf die Notwendigkeit, auch Synergien zu berücksichtigen, haben wir bereits hingewiesen.633) V. Sonderproblem: Schadensersatzansprüche 507 Ein ähnliches Problem wie bei den Verrechnungspreisen begegnet uns bei der Frage der Berücksichtigung von Schadensersatzansprüchen. Auch hier kann ihr Ansatz – und damit dessen Überprüfung im Spruchverfahren – mit der begrenzten Aufgabenstellung des FGG-Verfahrens kollidieren.634) ___________ 629) OLG Celle, 19.4.2007, AG 2007, 865 = ZIP 2007, 2025. 630) OLG Düsseldorf, 11.5.15, AG 2015, 573 = ZIP 2015, 1336; OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 716 = NZG 2012, 1181. 631) BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016, 461. 632) Siehe Rn. 119. 633) Siehe Rn. 386 ff. 634) Schröder/Habbe, NZG 2011, 845.

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B. Zukunft

Im Hinblick darauf, dass der wohl praktisch bedeutsamste Fall, nämlich der 508 Nachteilsausgleich nach §§ 311, 317 AktG, dadurch teilweise entschärft werden kann, dass jedenfalls die Planung der zukünftigen Ergebnisse unter Zugrundelegung angemessener, drittüblicher Verrechnungsbeziehungen erfolgen kann,635) verbleibt hier die Frage des Ersatzes für Schäden, die in der Vergangenheit zugefügt worden sind. Dies betrifft neben den Ansprüchen aus §§ 311, 317 AktG auch solche nach §§ 93, 116 AktG aus Verletzung von Sorgfaltspflichten der Gesellschaftsorgane. Die Rechtsprechung tendiert dazu, solche Ansprüche zu berücksichtigen, 509 wenn mit ihrer Durchsetzung ernstlich zu rechnen ist, was im streitigen Fall wohl mindestens deren gerichtliche Geltendmachung voraussetzt.636) Solche Ansprüche „aus der Vergangenheit“ sind dann dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen zuzurechnen. Wir stimmen dem für den Fall der Ansprüche aus §§ 93, 116 AktG zu. Billigt 510 man dem Unternehmensbewerter die Möglichkeit zu, für die Zukunft die Beziehungen der Gesellschaft zu anderen Konzernunternehmen nach dem Grundsatz der „Drittüblichkeit“ und ggf. entgegen der tatsächlich bestehenden rechtlichen Vereinbarungen anzupassen, warum sollte das nicht auch für die Vergangenheit gelten? „Legitimiert“ sich nicht diese Anpassungsbefugnis aus dem Gedanken, dass anderenfalls eben Schadensersatzansprüche aus §§ 311, 317 AktG planerisch zu berücksichtigen wären? Wie ist die Lage bei Unternehmen anderer Rechtsform, die nicht den strikten Regeln des Nachteilsausgleiches wie Aktiengesellschaften unterliegen? VI. Neues Eigenkapital Grundsätzlich sind nur Alternativen zu beachten, die kein neues Eigenkapital 511 erfordern.637) Es kann aber – insbesondere in Sanierungsfällen – notwendig sein, für den Fortbestand des Unternehmens eine Finanzierungslücke zu schließen. Falls das durch Fremdkapital geschieht, erhöhen sich die Zinsen. Bei neuem Eigenkapital gibt es zwei Möglichkeiten: Man kann die davon erhofften Zusatzerfolge weglassen. Üblich ist jedoch, sie einzubeziehen und dann den Unternehmenswert zu kürzen um den Barwert der künftigen Kapitalzuführung. Dabei ist der Nominalbetrag des zugeführten Kapitals mit dem Kapitalisierungszins aufzuzinsen. Das sieht so aus: Unternehmenswert nach Zuführung neuen Eigenkapitals

450.000 €

Abzüglich Barwert des zuzuführenden Eigenkapitals

100.000 €

Berichtigter Unternehmenswert

350.000 €

___________ 635) Siehe Rn. 501. 636) Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 61. 637) Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, S. 96.

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Vierter Teil: Analyse des Unternehmens

512 Es muss jedoch geprüft werden, wie wahrscheinlich eine solche Kapitalzuführung ist, sodass eine solche Planung i. d. R. nur dann akzeptabel erscheint, wenn bereits ein Investor „bereitsteht“. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass eine „nicht hinreichend konkretisierte Maßnahme“638) zum Gegenstand der Bewertung gemacht und damit gegen die „Wurzeltheorie“ verstoßen wird. VII. Veränderung durch Ausscheiden 1. Abzug von Sachmitteln 513 Wenn der ausscheidende Gesellschafter Gegenstände – z. B. ein Grundstück – zurückerhält, die er der Gesellschaft überlassen hat (§ 738 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BGB), kann das die künftigen Überschüsse verändern. Zu welchen Bedingungen kann die Gesellschaft Ersatz erhalten? Der Gesellschafter erhält eine niedrigere Abfindung: Er kann nicht mit einer Abfindung rechnen, als ob der Gegenstand noch in der Gesellschaft wäre. 2. Finanzierung der Abfindung 514 Bei Personengesellschaften zahlt das Unternehmen die Abfindung (§§ 707, 733, 734 BGB); bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann es nach dem Gesellschaftsvertrag ähnlich sein. Das verschlechtert die Liquidität: Barvermögen fließt ab; oft entstehen Schulden. Das ist bei der Aktiengesellschaft anders, weil nicht sie die Abfindungen zahlt, sondern das herrschende Unternehmen oder der Übernehmer der Aktie. 515 Dennoch vernachlässigt die Praxis die Kosten der Finanzierung. Das ist richtig. Nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB soll der Ausscheidende erhalten, was er bei Auflösung der Gesellschaft und der Veräußerung des Unternehmens im Ganzen erhielte. Dann taucht das Finanzierungsproblem nicht auf. Bei der Abfindung liegt auch eine Parallele zum Kauf des Anteils nahe: Dort ist die Finanzierung allein Sache des Käufers. 516 Verfährt man anders, so finanziert der Ausscheidende den Erwerb seines Anteils zum Teil selbst – und damit den Zuwachs bei den Verbleibenden. In deren Händen liegt die Finanzierung, die der Ausscheidende nicht beeinflussen kann; deshalb kann sie nicht zu seinen Lasten gehen. Unter Umständen mag die gesellschaftliche Treuepflicht eine Ratenzahlung gebieten oder erlauben.

___________ 638) IDW S 1 2008 Tz. 32.

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Fünfter Teil Prognoseverfahren A. Phasenmethode I. Allgemeines Die Prognose der Zukunft beginnt mit der Analyse der Vergangenheit und 517 der Gegenwart.639) Deren Ergebnisse lassen sich nicht mechanisch fortdenken. Vielmehr sind sie sensibel in die Zukunft zu projizieren (Prognoserechnung). Die Zukunft ist aber ungewiss, ist „a closed book“! Wir müssen daher lernen mit Unsicherheit umzugehen – davon entbinden uns keine Zahlen. Aussichten lassen sich für eine nähere Zeit noch einigermaßen erkennen, schließlich bleiben nur generelle Annahmen;640) Die Schätzung wird unsicherer mit wachsender Entfernung vom Bewertungsstichtag. Man darf sich dadurch nicht schrecken lassen; denn Schätzfehler können sich ausgleichen. Auch führt die Abzinsung der späteren Überschüsse zu immer geringeren Werten: der sinkende Einfluss der künftigen Ergebnisse kann die unsichere Schätzung kompensieren. Die nähere Zukunft ist leichter zu beurteilen als die fernere, für die nur noch 518 pauschale Annahmen zu machen sind. Daher teilt man die Zukunft ein in zwei Phasen (analytische Methode):641) x

Die nähere Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die einzelnen Überschüsse und ihre Zusammensetzung sicherer prognostizieren und plausibilisieren lassen; sie endet am „Planungshorizont“.

x

Die fernere Phase, in der die Quantifizierung der Überschüsse nur noch aufgrund von globalen Annahmen erfolgen kann.

Diese Phasenaufteilung ist der heutige Standard. Sie wird gelegentlich durch 519 eine Überleitungsphase ergänzt, in der nur noch einzelne Komponenten des Überschusses geplant oder fortgeschrieben werden, bis der Gleichgewichtszustand der ferneren Phase erreicht ist. II. Nähere Phase Die nähere Phase (Detailplanungsphase) ist nicht vom Recht normiert. Hier 520 spielen die Größe und Struktur des Unternehmens sowie die Branche eine Rolle. Unternehmen mit langen Fertigungszyklen (z. B. Anlagenbauer) werden in der Regel über längere Detailplanungen verfügen als kurzfristig agierende ___________ 639) IDW S 1 2008 Tz. 72, 75; OLG Karlsruhe, 1.4.2015, AG 2015, 549 = Der Konzern 2015, 442; OLG Stuttgart, 5.6.2013, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897; LG München, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124; LG München, 21.6.2013, AG 2014, 168 = NZG 2014, 498. 640) IDW S 1 2008 Tz. 76. 641) IDW S 1 2008 Tz. 77, 125.

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Fünfter Teil: Prognoseverfahren

Unternehmen (z. B. Handelsunternehmen, Modeproduzenten). Die Phase umfasst zumeist drei bis fünf Jahre,642) Unter Umständen können zwei Jahre genügen; für die Baubranche akzeptierte der Bundesgerichtshof sogar ein Jahr.643) Regelmäßig wird das laufende Geschäftsjahr einbezogen.644) Für jedes Jahr werden die Überschüsse detailliert prognostiziert. III. Fernere Phase „From here to eternity.“

521 Für die fernere Phase gehen wir regelmäßig aus von einer unbegrenzten Lebensdauer des Unternehmens („ewige Rente“);645) gemeint sind damit ca. 30 – 35 Jahre.646) Dazu setzen wir die Sicht der näheren Phase langfristig fort im Sinne einer Trendentwicklung.647) 522 Dies kann in einer „einfachen“ Fortschreibung des Ergebnisses des letzten Jahres der näheren Phase erfolgen, wenn das Markt- und Wettbewerbsumfeld des Unternehmens am Ende dieser ersten Phase voraussichtlich nur noch geringen zukünftigen Veränderungen unterliegen wird. Es kommen aber auch punktuelle Anpassungen bis hin zur Bildung von Durchschnittswerten in Betracht, wenn z. B. die Detailplanungsphase einen vollständigen Produkt- oder Konjunkturzyklus mit entsprechenden Schwankungen im Ertrag abbildet.648) Unterliegt das Unternehmen stärkeren konjunkturellen Schwankungen, kann es angemessen sein, den Durchschnitt der Planjahre anzusetzen; Boom- oder Rezessionsphasen würden sonst dauernd in die Zukunft fortgeschrieben.649) 523 In den Zeitraum der Vergangenheitsanalyse und der Detailplanungsphase können „Umbruchjahre“ fallen, weil Unternehmensmaßnahmen bereits eingeleitet worden sind. So können etwa (nur) in diesem Zeitraum Sozialplanaufwendungen angefallen sein, die im Rahmen der ewigen Rente aber nicht mehr wertmindernd zu berücksichtigen sind.650) ___________ 642) IDW S 1 2008 Tz. 77; z. B. 5 Jahre: LG München I, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124; OLG Düsseldorf, 30.9.201 – I-26 W 10/12 (AktE); 3 Jahre: OLG Frankfurt, 15.10.2014, AG 2015, 205 = ZIP 2014, 2439; LG München I, 21.6.2013, AG 2014, 168 = NZG 2014, 498; OLG Stuttgart, 1.4.2014 – 20 W 4/13; 38 Jahre bei Energieversorger aufgrund besonderer Umstände: LG Mannheim, 16.9.2013 – 24 10/03 (AktE), zit. nach Gärtner/Handke/Strauch, BB 2015, 2307; 6 Jahre: OLG Saarbrücken, 11.6.2014, AG 2014, 866 = DStR 2014, 1727. 643) 2 Jahre: OLG München, 11.9.2014 – 31 Wx 278/13, zit. nach Gärtner/Handke/Strauch, BB 2015, 2307; OLG Stuttgart, 16.2.2007, AG 2007, 596; 1 Jahr: BGH, 21.7.2003, AG 2003, 627 = NZG 2003, 1017. 644) OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220. 645) IDW S 1 2008 Tz. 85 f. 646) Wallmeier, in: FS Kruschwitz, S. 139. 647) IDW S 1 2008 Tz. 78f. 648) Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 5 Rn. 53. 649) OLG München, 31.3.2008, OLGR München 2008, 450 = BeckRS 2008, 11183. 650) OLG Düsseldorf, 30.9.2015 – I-26 W 10/12 (AktE): Durch die geringen Erträge in der Detailplanungsphase machte die ewige Rente 97,7 % des Unternehmenswert aus.

120

A. Phasenmethode

Auch hier müssen wir deswegen begründen, warum der eine oder andere Weg 524 gewählt wird. Entscheidend ist, dass sich das Unternehmen am Beginn der ferneren Phase in einem „Gleichgewichts- oder Beharrungszustand“ befindet.651) Dies bedeutet allerdings nicht unbedingt, dass künftig mit gleich bleibenden Überschüssen gerechnet wird. Angesichts der mit zunehmender Entfernung vom Bewertungsstichtag wachsenden Unsicherheit reicht die Annahme aus, dass positive und negative Entwicklungsfaktoren sich ausgleichen oder ggf. zu einem weiteren Wachstum des Unternehmens führen, das aber mit einer konstanten Rate angesetzt werden kann. Kurz: Stellt eine konstante Rate die Überschüsse angemessen dar? Der finanzielle Überschuss dieser Phase ist auf ihren Beginn zu diskontieren 525 („ewige Rente“). Das geschieht mit dem nominalen Kapitalisierungszinssatz, der gekürzt ist um persönliche Ertragsteuern652) und meist um einen Wachstumsabschlag.653) Das so erzielte Ergebnis wird dann weiter mit dem nominalen Kapitalisierungszinssatz nach Abzug der Ertragsteuern auf den Bewertungsstichtag abgezinst – ohne Wachstumsabschlag.654) IV. Übergangsphase Stellt sich heraus, dass bei Beginn der ferneren Phase der gewünschte und er- 526 forderliche „eingeschwungene Zustand“ noch nicht erreicht ist, so liegt es zunächst nahe, die nähere Phase weiter auszudehnen und zusätzliche Jahre explizit zu planen. Wenn die hierzu erforderlichen detaillierten Unterlagen allerdings nicht vorhanden sind, besteht eine Alternative darin, lediglich die Parameter zu „modellieren“, die für die Erreichung des eingeschwungenen Zustandes relevant sind. Die übrigen Komponenten der Bilanz und der Ertragsrechnung bleiben unverändert. Ist zum Beispiel ein bestehender handelsrechtlicher Verlustvortrag am Ende 527 der näheren Planungsphase noch nicht aufgebraucht, sodass Ausschüttungen (noch) nicht vorgenommen werden können, so bietet es sich an, in weiteren Perioden die Überschüsse so weit fortzuschreiben, bis die Verlustvorträge rechnerisch verbraucht sind. Sofern am Ende der ersten Planungsphase ein Investitionszyklus noch nicht vollständig abgebildet ist, bietet es sich an, so lange fortzuplanen, bis die nächste (Groß-)Investition ansteht. Ist das „working capital“ am Ende der Detail-Planungsphase noch nicht im Einklang mit den künftig geplanten Umsätzen, können auch hier Anpassungen – mit den entsprechenden Mittelzu- und Mittelabflüssen und den daraus resultierenden Effekten auf das Zinsergebnis – modelliert werden.655) ___________ 651) IDW S 1 2008 Tz. 78; beispielhafte Auflistung der zu prüfenden Sachverhalte in IDW S 1 2008 Tz. 79. 652) IDW S 1 2008 Tz. 98. 653) IDW S 1 2008 Tz. 98. 654) IDW S 1 2008 Tz. 98. 655) Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 5 Rn. 52.

121

Fünfter Teil: Prognoseverfahren

B. Mehrwertige Schätzungen I. Grundlage 528 Trotz der Unsicherheiten der Prognose wird oft nur eine Überschussreihe ermittelt und nur ein Risikoszenario angesetzt. Da es aber um Pläne und Schätzungen geht, sind andere Sichten möglich. Es kann deshalb zweckmäßig oder notwendig sein, mehrwertig zu schätzen, so das Maß der Unsicherheit offenzulegen und im Gespräch eine Lösung zu finden.656) Das gilt vor allem, wenn die Unternehmensleitung nur allgemeine Vorstellungen hat.657) Dadurch lassen sich auch „Anhaltspunkte [gewinnen] für die Berücksichtigung der Unsicherheit im Rahmen des Bewertungskalküls“,658) d. h. für den Risikozuschlag. Was aber wann und wo am wahrscheinlichsten ist, bleibt ein springender Punkt. Das muss das Gericht entscheiden; es darf sich nicht dem Gutachter „ausliefern“. 529 Deshalb kann der Gutachter nicht irgendwelche Zu- und Abschläge machen für unwägbare Risiken; er muss dann mehrwertig schätzen, indem er die Bandbreite der möglichen Überschüsse zeigt und mehrere Möglichkeiten angibt (Ermittlung der Überschussskala, Reihe von Alternativwerten). Sodann ist „das Für und Wider der grundlegenden Alternativentwicklungen“ zu erörtern.659) 530 Die unterschiedlichen Erwartungen mit ihren jeweiligen Wahrscheinlichkeiten sind anzuführen und zu gewichten.660) Dabei sind zu beachten unternehmensspezifische Unsicherheiten (z. B. Wettbewerbslage, Führungsproblem, Branchenlage, technische Entwicklung) und allgemeine Risiken (z. B. Konjunktur, Globalisierung). Die Kriterien für die Schätzung sind offenzulegen; nur dann kann das Gericht abschließend urteilen. II. Technik 531 Technisch verfährt man so:661) 532 Zunächst sind z. B. für vier Zukunftslagen („Szenarien“) die Überschusswerte zu ermitteln; sie werden nebeneinander geschrieben, z. B.: Zukunftslage

1

2

3

4

Überschusswert

600.000

1.200.000

1.800.000

2.400.000

___________ 656) Barthel, DB 2010, 2242; Barthel, DB 2009, 1025, 1031; Frey/Rapp/Barthel, DB 2011, 2105, 2107. 657) IDW S 1 2008 Tz. 163. 658) IDW S 1 2008 Tz. 80. 659) Moxter, in: FS Loitlsberger, S. 409, 413. 660) OLG Düsseldorf, 10.6.2009, AG 09, 907; vgl. Wüstemann, BB 2010, S. 1717. 661) Zu einem detaillierten Beispiel der Risikosimulation siehe Gleißner, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 881 ff.

122

C. Grenzen

Danach ordnen wir jedem Wert eine Wahrscheinlichkeit des Eintritts zu, 533 wobei wir die verschiedenen Chancen und Risiken ins Auge fassen, die auf die Szenarien einwirken. Zum Beispiel 0,2 (= 20 %), 0,3 (= 30 %), 0,4 (= 40 %), 0,1 (= 10 %). Die Addition muss jeweils 1 (= 100 %) ergeben. Das Bild sieht jetzt so aus:

534

Zukunftslage

1

2

3

Überschusswert

600.000

1.200.000

1.800.000

4 2.400.000

Wahrscheinlichkeit

0,2

0,3

0,4

0,1

(= 20 %)

(= 30 %)

(= 40 %)

(= 10 %)

Anschließend wird jeder Wert mit seinem Wahrscheinlichkeitsfaktor multip- 535 liziert. Die Werte addiert man und erhält so den Überschusswert, der in den Unternehmenswert eingeht. Unsere Aufstellung weist das schließlich so aus: Zukunftslage

1

2

3

4

Überschusswert

600.000

1.200.000

1.800.000

2.400.000

Wahrscheinlichkeit 0,2 Überschusswert

Summe

0,3

0,4

0,1

(= 20 %)

(= 30 %)

(= 40 %)

(= 10 %)

1,0 (=100 %)

120.000

400.000

720.000

240.000

1.480.000

Die mehrwertige Planung hat einen Vorteil: Sie verdeutlicht die Grenzen der 536 Unsicherheit. Das ist eine Hilfe für die Wahl des Risikozuschlags beim Kapitalisierungszinssatz.662) Andererseits führt die Notwendigkeit der begründeten Ableitung von Wahrscheinlichkeiten und die Abschätzung der Wirkung der verschiedenen Chancen und Risikofaktoren auf die verschiedenen Szenarien zu neuen Unsicherheiten. C. Grenzen „Mein Freund, die Kunst ist alt und neu. Es war die Art zu allen Zeiten, Durch Drei und Eins und Eins und Drei Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten“.663)

537

Trotz aller Prognosen darf man die Vergangenheit nicht gering schätzen: 538 Euphorie und Spekulation sind zu meiden – das verlangt Disziplin und unabhängiges Urteil. Die Zukunft, namentlich die spätere, ist und bleibt unsicher. Bei Unternehmen geht es um ungewisse Chancen und Risiken! Es gibt keine mathematische Sicherheit; an die Stelle von „richtig“ und „falsch“ 539 tritt „glaubhaft“ oder „unglaubhaft“. Auf „Nachvollziehbarkeit“ auf „Plausibilität“ kommt es an. Die Teilplanungen müssen aufeinander abgestimmt, der Zeitablauf muss durchsichtig sein.664) ___________ 662) IDW S 1 2008 Tz. 80. 663) Johann Wolfgang von Goethe. 664) IDW S 1 2008 Tz. 81.

123

Sechster Teil Unternehmenswert und Steuern A. Geschichte I. Vorsteueransatz Lange ermittelte man den Wert des Unternehmens gemäß den Einkünften vor 540 Abzug von Steuern (Vorsteueransatz). Man beachtete zwar die anfallenden Steuern beim Unternehmen (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer), nicht aber die auf der Ebene der Eigner anfallenden Steuern (Einkommensteuer). Daher zog man die Ertragsteuern der Eigner von den ausgeschütteten Überschüssen nicht ab. Die Unternehmensbewertung ohne Berücksichtigung persönlicher Steuern ist nach wie vor auch international am weitesten gebräuchlich.665) Die Meinung, dass der Unternehmenswert allein auf die Verhältnisse des Un- 541 ternehmens abzustellen hat und persönliche Verhältnisse des Gesellschafters keine Rolle spielen, drückte z. B. das OLG Düsseldorf im Jahre 1999 so aus:666) „Nach § 304 Abs. 2 S. 1 AktG ist für die Bemessung des angemessenen Ausgleichs auf die Ertragslage der Gesellschaft abzustellen, so wie sie zum Bewertungsstichtag zu erwarten ist. Der Ausgleich ist angemessen, wenn er dem voraussichtlich auf jede einzelne Aktie zu verteilenden Gewinn entspricht. Das Gesetz stellt mithin ausschließlich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens ab. D.h. aber, dass mittelbare oder unmittelbare steuerliche Gegebenheiten, die bei dem einzelnen Aktionär eintreten, die Höhe des angemessenen Ausgleichs nicht beeinflussen und damit nicht Gegenstand der gerichtlichen Bestimmung des Ausgleichs sind.“

Andere Gerichte stellten darauf ab, dass die individuellen Verhältnisse der 542 Gesellschafter nicht standardisiert werden könnten, sodass es schwierig sei, einen gleichmäßig geltenden individuellen Steuersatz zu ermitteln. Exemplarisch führte das LG München dazu im Jahre 2002 aus:667) „Nach Überzeugung der Kammer ist es nicht sachgerecht … die steuerlichen Auswirkungen auf den einzelnen Anteilsinhaber zu berücksichtigen. Dies ergibt sich schon daraus, dass weder ein Durchschnittssteuersatz … zu ermitteln ist, noch davon ausgegangen werden kann, dass die steuerlichen Verhältnisse am Stichtag auf einen längeren Zeitraum – geschweige denn auf die Ewigkeit – unverändert bleiben. …Ein typisierter Steuersatz von 35 % ist, soweit für die Kammer erkennbar, durch keinerlei empirische Untersuchung untermauert. Er berücksichtigt zudem nicht den Umstand, dass Aktien in zunehmendem Maße von institutionellen Anlegern (Fonds) gehalten werde diese wurden abgelöst durch dien, die z. B. wegen ihres Auslandssitzes der inländischen Steuer gar nicht unterliegen.“

___________ 665) Großfeld/Stöver/Tönnes, BB-Special 7/2005, 1, 10. 666) OLG Düsseldorf, 19.10.1999, AG 2000, 323 = NZG 2000, 693. 667) LG München, 25.2.2002 AG 2002, 563.

125

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern

543 Die Unternehmensbewertung „vor persönlichen Steuern“ entsprach auch der Auffassung des IDW. Eine Nachsteuer-Bewertung komme allenfalls in einem zweiten Schritt und aufgrund eines besonderen Auftrages in Betracht.668) II. Nachsteueransatz 1. Wandel 544 Das hat sich gewandelt. 545 Siepe wies im Jahre 1997 darauf hin, dass bei Vorliegen schwankender Jahresergebnisse, von nicht betriebsnotwendigem Vermögen und von steuerlichen Verlustvorträgen die persönlichen Ertragsteuern einen erheblichen Einfluss auf den Unternehmenswert haben können. Die vom HFA vertretene Auffassung, der Unternehmenswert vor und der Unternehmenswert nach Einkommensteuer würden sich kaum ändern, sei aufgrund von zwischenzeitlichen Gesetzesänderungen nicht mehr aufrechtzuerhalten.669) 546 Wenn wir als Unternehmenswert die (kapitalisierte) Summe der beim Gesellschafter zur Verfügung stehenden Erträge aus dem Unternehmen ansehen, ist die Ansicht von Siepe eine logische Konsequenz. Wir müssen dann auch in Kauf nehmen, dass der Wert des Unternehmens aus der Sicht verschiedener Gesellschafter unterschiedlich hoch sein kann. 547 Zwingend ist das aber nicht. Schließlich fließen die Erträge aus dem Unternehmen den Gesellschaftern zunächst „vor persönlichen Steuern“ zu und unterliegen nicht „als solche“ der persönlichen Einkommensteuer. Die Einkommensteuer ist vielmehr eine Jahressteuer, in die sämtliche Einkünfte des betreffenden Jahres aus allen Einkunftsquellen einfließen die dann als „Gesamtbetrag der Einkünfte“ besteuert werden (§ 2 Abs. 1 – 5 EStG). Hängt dann der Wert eines Unternehmens, das z. B. am 1.3. eines Jahres verkauft wird, davon ab, ob der Gesellschafter aus der Beteiligung an einem weiteren Unternehmen bis zum Jahresende einen (einkunftsmindernden) Verlust erleidet oder den erzielten Veräußerungsgewinn in ein „Steuersparmodell“ reinvestiert – insbesondere dann, wenn er von diesen beiden Alternativen am 1.3 noch keinerlei Kenntnis hatte? 548 Vor diesem Hintergrund kann die von Siepe angestoßene und dann von dem IDW S 1 2000 übernommene Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern bei der Unternehmensbewertung durchaus als „Modelländerung“ angesehen werden. 549 IDW S 1 2000 führt aus:670) „Der Wert eines Unternehmens wird durch die Höhe der Nettozuflüsse an den Investor bestimmt, die er zu seiner freien Verfügung hat. Diese Nettozu-

___________ 668) IDW HFA 2/1983 WpG 1983, 468, 477, 478. 669) Siepe, WPg 1997, 1, 2. 670) IDW S 1 2000 Tz. 32, 37.

126

A. Geschichte flüsse sind unter Berücksichtigung der Ertragsteuern des Unternehmens und der aufgrund des Eigentums an dem Unternehmen entstehenden Ertragsteuern der Unternehmenseigner zu ermitteln. Ertragsteuern der Unternehmenseigner (Einkommensteuer, ggf. Kirchensteuer, Solidaritätszuschlag), die mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbunden sind, müssen bei der Bewertung berücksichtigt werden.“

Diese Ausführungen finden sich wortgleich auch in IDW S 1 2005.671)

550

Der aktuelle IDW S 1 2008 verzichtet allgemein darauf, ein bestimmtes Steu- 551 ersystem in Bezug zu nehmen, und führt lediglich allgemein aus:672) „Von der Unternehmensbewertungstheorie und -praxis sowie der Rechtsprechung ist die Notwendigkeit der Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern allgemein anerkannt. Daher sind die wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswertes im Bewertungskalkül sachgerecht zu typisieren.“

Für das zu berücksichtigende Steuersystem allgemein und die Höhe der Er- 552 tragsteuerbelastung speziell ist das am Stichtag geltende oder das vom Gesetzgeber für die Zukunft beschlossene Steuerrecht maßgeblich.673) Hier helfen die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze: maßgeblich ist der Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses im Bundestag.674) Die internationalen Folgen der Bewertung nach Steuern sind bisher kaum 553 erörtert.675) 2. Gerichtspraxis Die Gerichte folgten der Nachsteuerbetrachtung mit Verzögerung. Das LG 554 München fand den Ansatz des IDW S 1 2000 „nicht überzeugend“.676) Das BayObLG verweist für Altfälle darauf, dass die Einbeziehung der persönlichen Steuern dem HFA 2/1983 „grundsätzlich fremd“ sei.677) Das OLG Düsseldorf konnte die Frage im Jahr 2000 noch offenlassen.678) Zwischenzeitlich ist die Berücksichtigung der persönlichen Steuern allerdings 555 nicht mehr umstritten.679) Bedenken werden allenfalls noch hinsichtlich des

___________ 671) 672) 673) 674) 675) 676) 677) 678) 679)

IDW S 1 2005 Tz. 32, 37. IDW S 1 2008 Tz. 43. IDW S 1 2008 Rn. 23; OLG Stuttgart, 18.12.2009 AG 2010, 513 = ZIP 2010, 274. BVerfG, 3.12.1997, BVerfGE 97, 67 = NJW 1998, 1547. Knoll/Wenger/Tartler, ZSteu 2011, 47, 52 f. LG München, 25.2.2002 AG 2002, 563. BayObLG, 28.10.2005, AG 2006, 41 = NZG 2006, 156. OLG Düsseldorf, 14.4.2000, AG 2001, 189 = NZG 2000, 1079. OLG Stuttgart, 19.1.2011, AG 2011, 205; OLG München, 14.7.2009, ZIP 2009, 2339 = WM 2009, 1848; OLG Frankfurt, 30.3.2010, NZG 2010, 664.

127

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern

anzuwendenden „typisierten Steuersatzes“ geltend gemacht. Das OLG Stuttgart meint dazu:680) „Bedenken könnten sich allerdings daraus ergeben, dass die empirischen Grundlagen dieses Werts unklar oder umstritten sind und wohl nicht nur die Unsicherheit künftiger Steueränderungen, sondern auch die zunehmende Globalisierung der Kapitalmärkte außer acht lassen, die vermehrt die Beteiligung institutioneller und ausländischer Anleger mit unterschiedlicher, durch Typisierungen kaum mehr fassbarer Besteuerung zur Folge hat.“

B. Einzelheiten I. Typisierung 1. Allgemeines 556 IDW S 1 2000 bediente sich – ebenso wie Siepe – erstmals des „typisierten Steuersatzes“ von 35 % für die Ertragsteuerbelastung der Anteilseigner.681) Die Höhe war wohl abgeleitet aus Daten des Statistischen Bundesamtes.682) Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer sind in dieser Typisierung implizit enthalten und werden nicht zusätzlich berücksichtigt. Man unterstellte, dass die Unternehmenseigner in Deutschland ansässig und daher hier unbeschränkt steuerpflichtig sind, ferner, dass sie ihre Anteile im Privatvermögen halten.683) Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel erläutern, wie dieser Satz ermittelt wurde:684) „Der typisierte Steuersatz von 35 % wurde ursprünglich in Anlehnung an die durchschnittliche Belastung der Einkünfte überwiegend aus Gewerbebetrieb und überwiegend aus Kapitalvermögen, wie sie aus Veröffentlichungen des statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1995 für das Jahr 1989 erkennbar sind, festgesetzt. Danach beträgt die Durchschnittsbelastung für Einkünfte überwiegend aus Gewerbebetrieb 34,8 % und diejenige für Einkünfte überwiegend aus Kapitalvermögen 38 %. Grundlagen der Daten sind rund 23 Mio Steuerpflichtige. … Bei der Einkommensteuerstatistik des statistischen Bundesamtes handelt es sich um eine Sekundärstatistik, d.h. die Finanzbehörden stellen für die Steuerstatistikdaten zur Verfügung, die im Rahmen des Steuerveranlagungund Steuerfestsetzungsverfahren anfallen.“

557 Aktuellere Untersuchungen liegen nicht vor, weil das Statistische Bundesamt die hierfür erforderlichen Ausgangsdaten nicht mehr ermittelt hat. 558 IDW S 1 2005 verwendet ebenfalls den Steuersatz von 35 %, „der nach statistischen Untersuchungen als vertretbar angesehen wird.“685) IDW S 1 2008 enthält keine Angaben mehr zum „typisierten Steuersatz“, weil dieser Standard unabhängig von einem konkreten Steuersystem formuliert wurde. ___________ 680) 681) 682) 683) 684) 685)

128

OLG Stuttgart, 16.2.2007, AG 2007, 596. Zur Begründung siehe IDW S 1 2000 Anhang. Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 7.1, S. 24 f., 1998 S. 16 f. IDW S 1 2005 Tz. 53. Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005, 1013. IDW S 1 2005 Tz. 53.

B. Einzelheiten

Die Rechtsprechung akzeptierte die „Konvention“.686) Das OLG Stuttgart 559 meinte dazu:687) „Zwar dürfte der typisierte volle Steuersatz von 35 % vom persönlichen Grenzsteuersatz vieler Anteilseigner abweichen, zumal wenn es sich dabei um Kapitalgesellschaften oder um Ausländer handelt. Die Verwendung eines typisierten Steuersatzes ist aber die notwendige Folge einer objektiven Bewertung des Unternehmens, die sich nicht auf die Betrachtung der subjektiven Verhältnisse eines Anteilseigners beschränken darf.“

Das OLG München lehnte es ab, unterschiedliche Unternehmenswerte für 560 natürliche Personen einerseits und Körperschaften anderseits zu ermitteln und begründete dies damit, dass der ermittelte Unternehmenswert „niemals ein exakter Wert“ sein könne.688) 2. Unmittelbare vs. mittelbare Typisierung Die Berücksichtigung von persönlichen (Ertrag-)Steuern in der Unterneh- 561 mensbewertung erfolgt grundsätzlich sowohl als Abzug von den Erträgen, die dem Anteilseigner zustehen (im „Zähler“) als auch als Minderung des Kapitalisierungszinses (im „Nenner“). Dies beruht auf dem Gedanken, dass auch die Erträge aus der Alternativanlage, die im Nenner des Bewertungskalküls pauschaliert abgebildet sind, der Steuer unterliegen („Steueräquivalenz“).689) Dies trifft auf das einfache Modell gleichbleibender Überschüsse zu. Nimmt 562 man einen konstanten Ertrag von 100 und einen Kapitalisierungszins von 6,0 % an, so ergibt sich ein Unternehmenswert „vor Steuern“ von 1.666,67: Jahr

1

Überschüsse vor Steuern

2

3

4 ff

100

100

100

100

100

100

100

abzgl. Steuern Überschüsse nach Steuern "ewige Rente"

100 1.666,67

Kapitalisierungszins vor Steuern

6,00 %

abzgl. Steuern

0,00 %

nach Steuern

6,00 %

Unternehmenswert

1.666,67

94,34

89,00

83,96

1.399,37

___________ 686) OLG Frankfurt, 2.5.2011, AG 2011, 828; OLG Stuttgart, 6.7.2007, AG 2007, 705; OLG München, 19.10.2006, AG 2007, 287. 687) OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = ZIP 2010, 274. 688) OLG München, 19.10.2006, AG 2007, 287. 689) Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 15 Rn. 2.

129

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern

563 Der gleiche Wert ergibt sich, wenn sowohl bei den Überschüssen als auch beim Zinssatz jeweils Abschläge von 35 % für persönliche Steuern vorgenommen werden: 1

Jahr Überschüsse vor Steuern abzgl. Steuern

35 %

Überschüsse nach Steuern

2

3

4 ff

100

100

100

100

–35

–35

–35

–35

65

65

65

"ewige Rente"

65 1.666,67

Kapitalisierungszins vor Steuern

6,00 %

abzgl. Steuern

–2,10 %

nach Steuern

3,90 %

Unternehmenswert

1.666,67

62,56

60,21

57,95

1.485,94

564 Wir erkennen aber bereits, dass das Ergebnis allein darauf zurückzuführen ist, dass der Wert der „ewigen Rente“ in dem Modell „mit Ertragsteuern“ höher ausfällt als in dem Modell „ohne Ertragsteuern“. In den ersten Jahren ist dies umgekehrt; die Überschüsse „nach Steuern“ sind deutlich niedriger als die Überschüsse „vor Steuern“. Allerdings fällt die Differenz von Jahr zu Jahr niedriger aus und ab einem gewissen Zeitpunkt690) kehrt sie sich komplett um. Die Überschüsse der folgenden Jahre „nach Steuern“ sind höher als die Überschüsse „vor Steuern“. Dieser Effekt tritt grundsätzlich auf, sodass es nicht verwundert, wenn bei schwankenden Überschüssen die Unternehmenswerte „vor Steuern“ und „nach Steuern“ unterschiedlich ausfallen. 565 Diese ausdrückliche Einbeziehung von persönlichen Ertragsteuern in das Bewertungskalkül nennen wir „unmittelbare Typisierung“691) – Typisierung deswegen, weil der Steuersatz mit 35 % typisiert ist. 566 Wenn wir davon ausgehen können, dass die Nettozuflüsse aus dem zu bewertenden Unternehmen und der Alternativinvestition auf der Ebene der Anteilseigner der gleichen Besteuerung unterliegen, kann nach Auffassung des IDW auf die explizite Berücksichtigung der Ertragsteuern verzichtet werden. Wir nennen das „mittelbare Typisierung“.692) Die mittelbare Typisierung kommt dem Bedürfnis nach Vereinfachung entgegen; sie bedeutet faktisch das Weglassen der persönlichen Steuern im Bewertungskalkül.693) ___________ 690) Der Zeitpunkt ist abhängig von der Differenz der Kapitalisierungszinssätze „vor Steuern“ und „nach Steuern“. 691) In Anlehnung an die Begrifflichkeiten des IDW S 1 2008; vgl. auch Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 15 Rn. 15 ff. 692) IDW S 1 2008 Tz. 30. 693) Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 15 Rn. 15 ff.

130

B. Einzelheiten

Wir haben allerdings im obigen Beispiel gesehen, dass das Weglassen der per- 567 sönlichen Steuern nur bei konstanten Überschüssen und nur dann zu gleichen Ergebnissen führt, wenn die Unternehmensbewertung hinreichend lange Zeiträume („ewige Rente“) in Betracht nimmt. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, kommt es zu Differenzen im Bewertungsergebnis „nach Steuern“. Der Vorteil der Vereinfachung muss deswegen gegen den Nachteil einer Un- 568 genauigkeit abgewogen werden. Da in praktischen Fällen der Wertanteil der „ewigen Rente“ den maßgeblichen Teil des Unternehmenswertes ausmacht, sind die „Ungenauigkeiten“ verhältnismäßig gering. Würde man in dem vorstehenden Beispiel z. B. die Überschüsse ab dem Jahre 4 verdoppeln, so würde sich der Unternehmenswert „vor Steuern“ von bisher 1.666,67 auf 3.066,03 erhöhen; der Unternehmenswert nach Steuern stiege von ebenfalls 1.666,67 auf 3.152,61. Die Differenz beträgt mithin lediglich 86,58 bzw. 2,8 %. Wegen des oben genannten Effektes aus der Abzinsung steigt dabei der Unternehmenswert „nach Steuern“ stärker als der Unternehmenswert „vor Steuern“. 3. Anwendungsfälle IDW S 1 2008 verlangt „wegen der Wertrelevanz der persönlichen Ertrag- 569 steuern“ „anlassbezogene Typisierungen der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner“.694) Die „wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner“ seien „im Bewertungskalkül sachgerecht zu typisieren“.695) Weiter heißt es:696) „Die künftigen Nettozuflüsse werden bei unmittelbarer Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern um diese gekürzt und mit einem ebenfalls durch die persönlichen Ertragsteuern beeinflussten Kapitalisierungszinssatz diskontiert. Die praktische Umsetzung der Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern im Rahmen der objektiven Unternehmensbewertung erfordert daher grundsätzlich Typisierungen hinsichtlich der Höhe des effektiven persönlichen Steuersatzes des Anteilseigners als Ausfluss seiner steuerlich relevanten Verhältnisse und Verhaltensweisen. So sind bei der Bewertung von Kapitalgesellschaften bei differenzierter Effektivbesteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen zusätzlichen Annahmen, z. B. über den Zeitraum des Haltens der Unternehmensanteile zu treffen.“

Für gesetzliche oder gesellschaftsvertragliche Bewertungsanlässe empfiehlt 570 der Standard die unmittelbare Typisierung. Dazu wird Folgendes gesagt:697) „Bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Bewertungsanlässen (z. B. Squeeze-out) wird der objektivierte Unternehmenswert im Einklang mit der langjährigen Bewertungspraxis und deutschen Rechtsprechung aus der Perspektive einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner ermittelt. Bei dieser Typisierung sind demgemäß zur un-

___________ 694) 695) 696) 697)

IDW S 1 2008 Tz. 29. IDW S 1 2008 Tz. 43. IDW S 1 2008 Tz. 44. IDW S 1 2008 Tz. 31, 46.

131

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern mittelbaren Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuer sachgerechte Annahmen zu deren Höhe sowohl bei den finanziellen Überschüssen als auch bei Kapitalisierungszinssatz zu treffen. Für Unternehmensbewertungen aufgrund gesellschaftsrechtlicher oder vertraglicher Vorschriften, insbesondere zur Ermittlung eines Abfindungsanspruchs bei Verlust von Eigentums- und Gesellschafterrechten, z. B. Squeezeout, sind wegen der Typisierung einer unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner weitergehende Analysen zu den effektiven Auswirkungen der persönlichen Steuern auf die künftigen Nettozuflüsse und den Kapitalisierungszinssatz erforderlich. Die dabei getroffenen Annahmen sind in der Berichterstattung zu erläutern.“

571 Für die Bewertung im Rahmen unternehmerischer Initiativen (z. B. bei Kaufpreisverhandlungen) lesen wir:698) „Im Hinblick auf das Informationsbedürfnis und die Informationserwartungen der Adressaten der Bewertung sowie vor dem Hintergrund der Internationalisierung der Kapitalmärkte und der Unternehmenstransaktionen ist in diesen Fällen eine mittelbare Typisierung der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner sachgerecht. Hierbei wird die Annahme getroffen, dass die Nettozuflüsse aus dem Bewertungsobjekt und aus der Alternativinvestition in ein Aktienportfolio auf der Anteilseignerebene einer vergleichbaren persönlichen Besteuerung unterliegen. Im Bewertungskalkül wird dann auf eine explizite Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse und des Kapitalisierungszinssatzes verzichtet. Bei Unternehmensbewertungen im Rahmen von Unternehmensveräußerungen und anderen unternehmerischen Initiativen ist eine mittelbare Typisierung sachgerecht, die davon ausgeht, das im Bewertungsfall die persönliche Einkommensteuerbelastung der Nettozuflüsse aus dem zu bewertenden Unternehmen der persönlichen Ertragsteuerbelastung der Alternativinvestition in ein Aktienportfolio entspricht. Entsprechend dieser Annahme kann in diesen Fällen auf eine mittelbare Berücksichtigung persönlicher Steuern bei den finanziellen Überschüssen verzichtet werden.“

572 Für die Bewertung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften heißt es:699) „Die Bewertung eines Einzelunternehmens oder einer Personengesellschaft erfordert stets eine Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern, wenn – wie im Fall des derzeitigen Steuersystems – die persönliche Einkommensteuer teilweise oder ganz an die Stelle der in der Alternativrendite bereits berücksichtigten Unternehmenssteuer tritt.“

4. Anteilseigner im Ausland 573 IDW S 1 2008 spricht von einer „anlassbezogenen Typisierung der steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner“.700) Ferner heißt es: „Daher sind die wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner bei der Ermittlung des objek___________ 698) IDW S 1 2008 Tz. 30, 45. 699) IDW S 1 2008 Tz. 47. 700) IDW S 1 2008 Tz. 29.

132

B. Einzelheiten

tivierten Unternehmenswertes im Bewertungskalkül sachgerecht zu typisieren“.701) Hingewiesen wird auf die „Internationalisierung der Kapitalmärkte“;702) doch ist der „objektivierte Unternehmenswert“ „im Einklang mit der langjährigen Bewertungspraxis und deutschen Rechtsprechung“ zu ermitteln „aus der Perspektive einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner“.703) Die Typisierung soll auch gelten für Anteilseigner im Ausland:704) „Ebenso wie bei der steuerlichen Belastung der Minderheitsaktionäre kann hier nicht auf konkrete einzelne steuerliche Belastungen Rücksicht genommen werden, sondern es ist im Rahmen der pauschalierten Betrachtungsweise auch hier der durchschnittliche Steuersatz für unbeschränkt steuerpflichtige Steuerinländer anzusetzen.“

II. Steuersätze 1. Beteiligung an Kapitalgesellschaften Bis einschließlich 2008 galt für Einkünfte aus Kapitalvermögen das sog. 574 „Halbeinkünfteverfahren“. Nach § 3 Nr. 40d EStG blieben die Hälfte der bezogenen Dividenden steuerfrei. Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften waren nach Ablauf der sog. „Spekulationsfrist“ von einem Jahr (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG) vollständig steuerfrei; wurden die Anteile in ein Betriebsvermögen gehalten, waren die Veräußerungsgewinne ebenfalls zur Hälfte steuerbefreit (§ 3 Nr. 40a EStG). Ausgehend von dem vollen „typisierten“ ESt.-Satz von 35,0 % führte dies zu einem Steuersatz von 17,5 %. Seit 2009 gilt die Abgeltungsteuer. Sie erfasst gleichmäßig Zinsen, Dividenden 575 und Veräußerungsgewinne (§§ 20, 32d Abs. 1 EStG). Zur Abgeltungsteuer von 25 % tritt hinzu der Solidaritätszuschlag (5,5 % von 25 %; §§ 1, 4 SolzG), insgesamt sind das rd. 26,38 %. Da Veräußerungsgewinne bis 2008 steuerfrei waren, gibt es aber für Anteile, die bis zum 31.12.2008 erworben worden sind, einen Bestandsschutz, der die zeitlich unbeschränkte Steuerbefreiung der Gewinne im Fall der Veräußerung sicherstellt. Nicht realisierte Veräußerungsgewinne bleiben weiter steuerfrei (§ 52a Abs. 10 Satz 1 EStG). Dies alles gilt nur für den Fall, dass die betreffenden Anteile im Privatvermögen 576 eines „Kleinanlegers“ gehalten werden, dessen Beteiligung an der Gesellschaft weniger als 1,0 % beträgt. Ist die Grenze überschritten, gelten die Dividenden und realisierten Gewinne als gewerbliche Einkünfte (§ 17 Abs. 1 EStG). Sie werden dann ebenso wie Anteile, die ohnehin in einem Betriebsvermögen gehalten werden, zu 60 % steuerlich erfasst; 40 % bleiben steuerfrei (§ 3 Nr. 40d Nr. 1 EStG). ___________ 701) 702) 703) 704)

IDW S 1 2008 Tz. 43. IDW S 1 2008 Tz. 30. IDW S 1 2008 Tz. 31. LG Frankfurt, 13.9.2006 BeckRS 9998, 42775 = NZG 06, 868.

133

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern

2. Beteiligung an Personengesellschaften 577 Personengesellschaften gelten für die Einkommensteuer als transparent; d. h. die Einkünfte aus einer Personengesellschaft werden unmittelbar den Gesellschaftern zugerechnet und unterliegen dort der Einkommensteuer. Allerdings hält das Steuerrecht noch einige Besonderheiten bereit, die sich um Begriffe wie „Sonder- und Ergänzungsbilanzen“ und „Sonderbetriebseinnahmen“ ranken, sodass das steuerliche Ergebnis nicht ohne Weiteres aus dem nur für die Unternehmensbewertung maßgeblichen handelsrechtlichen Ergebnis abgeleitet werden kann. Einzelheiten überlassen wir den Steuerjuristen. 578 Anders als Kapitalgesellschaften haben Personengesellschaften oftmals nur wenige Gesellschafter, sodass für die Ermittlung des Steuersatzes im Prinzip die steuerlichen Verhältnisse der einzelnen Gesellschafter herangezogen werden können. Sofern dies zum Beispiel aufgrund einer Vielzahl von Gesellschaftern mit unterschiedlichen persönlichen Ertragsteuersätzen nicht durchführbar ist, stellt sich jedoch auch hier die Frage der Typisierung.705) Nach Auffassung von Ruiz de Vargas/Zollner, die sich dabei auf statistische Untersuchungen beziehen, kann hier ein durchschnittlicher Steuersatz von 35 % angenommen werden.706) Häufig verwendet wird allerdings auch der Grenzsteuersatz der höchsten Einkommensstufe von derzeit 42 % bzw. – unter Einschluss der sog. „Reichensteuer“ – von 45 % (§ 32a Abs. 1 EStG). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach § 35 EStG die von dem Unternehmen gezahlte Gewerbesteuer teilweise auf die Einkommensteuer anrechenbar ist, sodass die tatsächliche Steuerbelastung auf jeden Fall unter der Grenzbelastung bleibt. 3. Ausschüttungsquote a) Allgemeines 579 Wir haben gesehen, dass bis zum Jahre 2008 Kursgewinne im Privatvermögen im Regelfall steuerfrei blieben. Im Regelungssystem der Abgeltungsteuer (ab 2009) und bei Anteilen, die im Betriebsvermögen gehalten werden, sind Kursgewinne zwar steuerpflichtig, die Besteuerung kann aber hinausgeschoben werden, wenn auf die Gewinnrealisierung verzichtet wird. Das legt nahe, zu unterscheiden zwischen einbehaltenen (thesaurierten) Überschüssen, die (nur) den Wert des Unternehmens steigern, und solchen, die den Eignern tatsächlich zufließen (Zuflussprinzip). Unabhängig davon entspricht es auch praktischer Erfahrung, dass Unternehmen nicht ihre vollen Jahresüberschüsse ausschütten, sondern in Teilen einbehalten. 580 Seit IDW S 1 2005 geht man daher aus von der Ausschüttung der Überschüsse, „die nach Berücksichtigung des zum Bewertungsstichtag dokumentier___________ 705) Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch der Unternehmensbewertung, § 15 Rn. 67. 706) Ruiz de Vargas/Zollner, WPg 2012, 606, 610.

134

B. Einzelheiten

ten Unternehmenskonzepts und rechtlicher Restriktionen … zur Ausschüttung zur Verfügung stehen“.707) Ins Zentrum tritt die Ausschüttungsquote. b) Bestimmung Für die Bestimmung der Ausschüttungsquote greifen wir in der Detailpla- 581 nungsphase auf die Planungen der zu bewertenden Gesellschaft zurück. Für die Planung der ewigen Rente wird i. d. R. eine markt- oder branchenübliche Ausschüttungsquote unterstellt. Einzelheiten schauen wir uns im nächsten Teil an.708) c) Konsequenzen Wenn wir Thesaurierung zulassen, müssen wir eine Annahme darüber treffen, 582 wie die durch die Thesaurierung eingetretene Wertsteigerung des Unternehmens dem Anteilseigner zugutekommt. Der Anteilseigner hat eine „TaxTiming-Option“; er kann bestimmen, wann er die aufgelaufene Wertsteigerung realisieren und damit die Besteuerungsfolgen auslösen will. Da die zukünftige steuerliche Belastung bei einer Barwertbetrachtung aus der Sicht des Bewertungsstichtages eine geringere Belastung darstellt, kann so die künftig anfallende nominale Besteuerung effektiv gemindert werden.709) Wiese hat die sich ergebenden effektiven Steuersätze für verschieden lange 583 Halteperioden und unterschiedliche Wachstumsraten untersucht. Das Ergebnis zeigt die nachfolgende Tabelle:710) Jahre

1

5

10

20

30

Wachstum 1%

26,4 %

26,0 %

25,5 %

24,6 %

23,6 %

3%

26,4 %

25,2 %

23,8 %

21,4 %

19,1 %

5%

26,4 %

24,5 %

22,4 %

18,7 %

15,7 %

8%

26,4 %

23,5 %

20,4 %

15,5 %

12,0 %

10 %

26,4 %

22,9 %

19,2 %

13,8 %

10,3 %

Bei lediglich einjähriger Haltedauer entspricht der Steuersatz für die Ge- 584 winnrealisierung dem Steuersatz für die laufenden Ausschüttungen von ___________ 707) 708) 709) 710)

IDW S 1 2005 Tz. 45; IDW S 1 2008 Tz. 35. Siehe Rn. 608 ff. Jonas, WPg 2008, 836, 830. Wiese, WPg 2008, 368, 371; eigene Berechnung unter Einbeziehung des SolZ von 5,5 %.

135

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern

26,38 %. Je länger die Halteperiode und je stärker das Wachstum wird, umso stärker sinkt der effektive Gewinnsteuersatz. 585 Untersuchungen über die durchschnittliche („typisierte“) Haltedauer von Anteilen liegen für den deutschen Markt nicht vor. Das IDW hat sich deswegen für einen Gewinnsteuersatz in Höhe der Hälfte des für die laufende Besteuerung geltenden Satzes ausgesprochen und diesen mit 12,5 % zuzgl. Solidaritätszuschlag (= 13,2 %) angesetzt.711) Damit wird eine Haltedauer von deutlich mehr als 30 Jahren unterstellt. 586 Die vorstehenden Überlegungen gelten aber nur für Kapitalgesellschaften, wo über die Ausschüttungsquote bestimmt werden kann, welcher Teil des Ergebnisses (auch) der persönlichen Einkommensteuer des Gesellschafters unterliegt. Für die „steuerlich transparenten“ Personengesellschaften gilt dies in der Regel nicht. 587 Allerdings hat der Gesetzgeber mit dem § 34a EStG eine Regelung geschaffen, die auf Antrag eine begünstigte Besteuerung nicht entnommenen Gewinns ermöglicht. Werden die Gewinne später entnommen, müssen sie mit 25 % (zuzgl. Solidaritätszuschlag) nachversteuert werden. Ziel war es, „ertragsstarken und im internationalen Wettbewerb stehenden Personenunternehmen“ das Recht einzuräumen, die Belastung nicht entnommener Gewinne an die von Kapitalgesellschaften anzunähern.712) Die Regelung hat allerdings in der Praxis keine besondere Bedeutung erlangt; es lässt sich zeigen, dass der mit der Regelung verbundene Steuerstundungseffekt erst bei Einkommensteuersätzen von mehr als 39 % wirksam wird.713) C. Intertemporale Regeln 588 Es entspricht mittlerweile langjähriger deutscher Bewertungspraxis, dass Unternehmensbewertungen unter Berücksichtigung der persönlichen steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner vorgenommen werden. Dies wird auch von den Gerichten anerkannt.714) Die Frage einer rückwirkenden Anwendung des Nachsteueransatzes dürfte sich deswegen praktisch nicht mehr stellen. 589 Auch die Frage der Anwendung bestimmter steuerlicher Systeme (z. B. Halbeinkünfteverfahren, Abgeltungsteuer) dürfte keine praktischen Schwierigkeiten bereiten: Ein bestimmtes Besteuerungssystem ist nur dann der Bewertung zugrunde zu legen, wenn es zum Bewertungsstichtag (mindestens) im Bundestag verabschiedet war.715) Zukünftige steuerliche Regelungen sind nur dann ___________ Wagner/Saur/Willershausen, WPg 2008, 731, 736. Schmidt/Wacker EStG, § 34a Rn. 2. Ruiz de Vargas/Zollner, WPg 2012, 606, 611. OLG Stuttgart, 19.1.2011, AG 2011, 205; OLG Frankfurt, 17.6.2010, AG 2011, 717 = Der Konzern 2011, 47; OLG München, 11.7.2006, AG 2007, 246 = ZIP 2006, 1722. 715) Siehe Rn. 552.

711) 712) 713) 714)

136

C. Intertemporale Regeln

zu berücksichtigen, wenn sie vom Gesetzgeber beschlossen sind.716) Das OLG Stuttgart meint dazu grundsätzlich:717) „Die Verschmelzungspartner hatten in der ersten Jahreshälfte 1999 keinen Anlass, den Wechsel zum Halbeinkünfteverfahren durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 vorherzusehen oder gar vorwegzunehmen. Es gibt auch keinen Grund, abweichend vom Stichtagsprinzip die Rechtslage zugrunde zu legen, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung gilt.“

Spekulationen auf das, was kommen könnte, dürfen sich schon in Hinblick 590 auf die schwierige und von vielen Interessengruppen beeinflusste Materie verbieten. Das OLG Stuttgart verweist auf den unsicheren Durchschnittssteuersatz und 591 darauf, dass für Anteilseigner oft unterschiedliche Steuersätze gelten. Institutionelle und ausländische Anleger würden häufig „auch nicht annähernd zutreffend erfasst“:718) „Hinzu kommt, dass gerade das deutsche Steuerrecht u. a. wegen seiner sozialen, wirtschaftlichen und globalen Relevanz einem hohen Reformdruck unterliegt. Auch aus der Sicht eines bestimmten Stichtags sind deshalb Annahmen, die auf eine Perpetuierung der derzeit geltenden Regeln hinauslaufen, nicht gerade zwingend.“

Davon zu trennen ist, wie die verschiedenen Fragen zu beantworten sind, die 592 mit der Berücksichtigung der Ertragsteuern auf der Ebene der Anteilseigner verbunden sind. Der Bundesgerichtshof719) unterscheidet zwischen Berechnungsweisen, die lediglich zu einer anderen (wissenschaftlichen) Sicht auf das zu lösende Problem führen, und solchen, die auf einer Änderung der rechtlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse beruhen. Lediglich die zuletzt genannten Berechnungsweisen unterliegen nach Auffassung des Gerichtes dem Stichtagsprinzip und können nicht rückwirkend angewendet werden. Dagegen stehen einer rückwirkenden Anwendung lediglich anderer Berechnungsmethoden weder Gründe des Vertrauensschutzes noch das Stichtagsprinzip entgegen. Wir haben das bereits erörtert.720) Die Frage des Umgangs mit Ertragsteuern auf der Ebene der Gesellschafter 593 ist keine Frage geänderter rechtlicher oder wirtschaftlicher Verhältnisse, sondern eine andere Sicht der Dinge. Das LG Dortmund und – ihm folgend – das OLG Düsseldorf721) führt aus:722) „Der Umstand, dass auf Unternehmens- und Anteilseignerebene Ertragsteuern anfallen, ist aber keine neue wissenschaftliche Erkenntnis, sondern kann als

___________ 716) 717) 718) 719) 720) 721) 722)

IDW S 1 2008b Tz. 23. OLG Stuttgart, 8.3.2006, AG 2006, 420. OLG Stuttgart, 8.3.2006, AG 2006, 420. BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. Siehe Rn. 261 ff. OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220. LG Dortmund, 19.3.2007, AG 2007, 792 = ZIP 2007, 2029.

137

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern allgemein bekannt gelten. Was mit dem IDW S 1 als ‚Nachsteuerbetrachtung’ eingeführt wurde, ist deshalb nichts anderes als eine neue Betrachtungsweise, ein anderes Kalkül.“

D. Abwägung 594 Die Berücksichtigung der steuerlichen Situation der Anteilseigner wirft – wie wir gesehen haben – eine Vielzahl zusätzlicher Fragen auf und erhöht damit die Komplexität der Bewertung. Charakteristisch ist, dass die „Empfehlungen zur Umsetzung“ des IDW S 1 2008723) diesem Thema neun von sechzehn Seiten widmen. Sie weisen darauf hin, dass in der „angelsächsischen Bewertungspraxis“ die Berücksichtigung von Steuer „aus Komplexitätsgründen aus den Bewertungskalkülen ausgeklammert wird“.724) 595 Die Wertunterschiede zwischen einer Bewertung mit und ohne Berücksichtigung persönlicher Steuern sind schwer zu greifen. Wir haben gesehen, dass in dem „einfachen“ Grundfall keine Unterschiede bestehen. In anderen Fällen sind die isoliert auf die Einführung der Besteuerung zurückgehenden Unterschiede gering und liegen möglicherweise innerhalb eines Schätzungsrahmens, der bereits durch die Variation anderer Bewertungsparameter eröffnet ist. „Diese tatsächlich zumeist existierenden Unterschiede dürften sich allerdings im Zeitablauf nivellieren. Im nachhaltigen Ergebnis i. S. eines eingeschwungenen Zustands dürften sie regelmäßig vernachlässigbar sein.“725)

596 Rechtfertigt dies die erhöhte Komplexität, die auch gegenüber den Beteiligten des Bewertungsverfahrens zu begründen ist? „Lohnt“ sich eine Nachsteuerbewertung, die ein erweitertes „Zahlenmanagement“ erfordert und die „Durchsicht“ erschwert? 597 Die Entwicklung des Steuerrechts lässt sich kaum voraussehen. Namentlich für die „ewige Rente“, die wir mit 30 – 34 Jahren ansetzen.726) Das belastet die Bewertung mit der „erratischen und letztlich unkalkulierbaren Steuergesetzgebung“.727) Für das IDW war dies ein Grund, anders als in den Vorgängerversionen in den Standard IDW S 1 2008 keine expliziten Bezüge auf bestehende Steuersysteme mehr aufzunehmen, was die „Halbwertszeit“ der Standards deutlich erhöht hat. Auch wurde mit der Einführung der „mittelbaren Typisierung“ ein Schritt in Richtung auf Komplexitätsverminderung getan, indem für bestimmte Bewertungssituationen auf die Berücksichtigung der persönlichen Steuern verzichtet wird. ___________ 723) Wagner/Saur/Willershausen, WPg 2008, 731. 724) Wagner/Saur/Willershausen, WPg 2008, 731, 739. 725) Jonas, Finanz-Betrieb 2006, 485; ähnlich Dausend/Schmitt, Finanz-Betrieb 2007, 287, 292: stärker differenzierend jedoch Wiese, Unternehmensbewertung unter neuen steuerlichen Rahmenbedingungen, S. 374. 726) Siehe Rn. 636. 727) Emmerich, in: FS Ernst-Joachim Mestmäcker, S. 137.

138

D. Abwägung

Die Berücksichtigung der Steuer wirkt auch in anderer Weise in die Bewer- 598 tung hinein: „Die Problematik von sich im Zeitablauf ändernden Steuersätzen ist aber nicht nur hinsichtlich der zukünftigen Anpassungen bewertungsrelevant. Die Bewertungspraxis berechnet den (Netto-)Eigenkapitalkostensatz [Rendite des Eigenkapitals] häufig unter Rückgriff auf an realen Kapitalmärkten beobachtbaren Daten. Dabei werden nicht selten historisch ermittelte Marktrisikoprämien fortgeschrieben, die aus Zeiträumen stammen, in denen Steuerreformen zu verzeichnen waren. … Eine Vernachlässigung dieser Veränderungen verstößt sowohl gegen das Zukunftsbezogenheits- als auch das Verfügbarkeitsäquivalenzprinzip. Die resultierenden Verwerfungen sind daher, so fordert die Literatur, durch den jeweiligen Bewerter im Rahmen seines gutachterlichen Ermessens [zu] schließen’. Ob durch diese Vorgehensweise ein verstärkt objektivierter und ermessensfreier Unternehmenswert resultiert, darf bezweifelt werden.“728)

Die Nachsteuerbetrachtung gerät daher wieder unter Kritik.729) Sie schaffe 599 eine „Scheingenauigkeit, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang zu bringen ist“730) und sich in bewertungsfremden Maßstäben „verliert“.731) Es sei „ernsthaft zu befürchten, dass die bereits überbordende Komplexität im Steuerrecht auf den Bereich der Unternehmensbewertung überschwappt“.732) „Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt einer Bewertung vor persönlichen Steuern wäre, dass die Ergebnisse von Unternehmensbewertungen wieder leichter zu kommunizieren, vergleichen und verstehen wären.“733)

Hachmeister/Ruthardt/Lampenius halten dagegen:734) Die „weiter zunehmende 600 Komplexität … sollte nicht dazu führen, die theoretische richtige Nachsteuerbetrachtung in Frage zu stellen“. Eine stimmige Lösung ist schwierig. Die Abwägung zwischen anzunehmen- 601 der Komplexität und theoretischer Exaktheit, die sich oft allerdings auch nur als Scheingenauigkeit entpuppt, gleicht der Fahrt zwischen Scylla und Charybdis; ein unsicherer Kompromiss erscheint annehmbar.735) Insgesamt scheint die Frage derzeit wieder offener zu sein, als es noch vor einigen Jahren den Anschein hatte.

___________ 728) Hommel/Dehmel/Pauly, BB Spezial 7/2005, 13, 18. 729) Hüttemann, WPg 2007, 812, 821; Hennrichs, ZHR 164 (2000), 453; siehe auch OLG Stuttgart, 16.2.2007, AG 2007, 209 = NZG 2007, 302. 730) Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e. V. (SdK), AG 2005, Sonderheft, Fair Valuations, S. 42. 731) Barthel, Finanz-Betrieb 2007, 508, 510. 732) Barthel, Finanz-Betrieb 2007, 508, 510. 733) Aders, BewertungsPraktiker Nr. 1/2007, S. 7. 734) Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 829, 839. 735) Vgl. Strauch/Wilke, Der subjektive und typisierte Steuersatz des Anteilseigners in der DCF-Unternehmensbewertung, S. 24.

139

Siebter Teil Ausschüttungsquote A. Bedeutung Wertbestimmend sind die finanziellen Überschüsse, die an die Eigentümer 602 gelangen (Nettoeinnahmen), die bei Kapitalgesellschaften an sie ausgeschüttet werden (Zuflussprinzip).736) Deren Höhe hängt auch ab von den thesaurierten Überschüssen und deren Verwendung; denn solche Überschüsse schaffen die Basis für künftige Ausschüttungen.737) Bis zur Neufassung von IDW S 1 im Jahr 2005 galt die Annahme zur Aus- 603 schüttung, dass alle Überschüsse vollständig in Form von Dividenden ausgekehrt werden.738) Mit der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens wurde diese Prämisse als nicht länger realistisch bezeichnet. Es wurde argumentiert, dass aufgrund der Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen Anreize zur Thesaurierung bestünden, weil es den Unternehmen möglich war, ihre Überschüsse durch Aktienrückkäufe steuerfrei auszukehren.739) Folglich würde der Unternehmenswert nur im Vollthesaurierungsfall maximiert.740) Die Vollausschüttungsannahme wurde daher verworfen und eine explizite Berücksichtigung des Ausschüttungsverhaltens mit seinen steuerlichen Wirkungen im Bewertungskalkül vorgesehen.741) Das aktuelle (deutsche) Steuerregime sieht die Möglichkeit der steuerfreien 604 Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nicht mehr vor. Bei Anteilen an Kapitalgesellschaften, die im Privatvermögen gehalten werden, werden Dividenden/Ausschüttungen und Gewinne aus der Veräußerung gleichmäßig mit einer Einkommensteuer von 25 % zuzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag – und ggf. Kirchensteuer – belastet (§§ 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 43 Abs. 1, 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG). Gewinne aus und die Veräußerung von Anteilen an Personengesellschaften unterlagen schon immer der Besteuerung zum individuellen Steuersatz des Gesellschafters (§§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 1 EStG) – ebenfalls zuzgl. Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer. Damit ist das Problem jedoch nicht erledigt. Zum einen fallen – jedenfalls bei 605 Kapitalgesellschaften – die Steuern auf Ebene des Gesellschafters nicht an, wenn die Gewinne der Gesellschaft nicht ausgeschüttet, sondern thesauriert werden. Auch wenn die Veräußerung der Anteile nicht mehr steuerfrei ist, kommt es zumindest zu Steuerstundungseffekten, weil die Veräußerung der ___________ 736) 737) 738) 739) 740) 741)

IDW S 1 2008 Tz. 25. IDW S 1 2008 Tz. 26. IDW S 1 2000 Tz. 44. Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005, 1012. Laitenberger/Tschöpel, WPg 2003, 1357, 1363. Schultze/Fischer, WPg 2013, 421; IDW S 1 2008 Tz. 35 f.

141

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern

Anteile – und damit die darauf entfallende Steuer – erst am Ende des Bewertungszeitraums in das Bewertungskalkül eingeht. Letzteres gilt auch für Personengesellschaften. Dort werden zwar alle Gewinne unabhängig von der Ausschüttung sofort besteuert (die Personengesellschaft gilt insoweit als „steuerlich transparent“). Dies gilt jedoch nur für realisierte Gewinne.742) Werden in der Gesellschaft im Lauf der Zeit stille Reserven gebildet, bleiben diese steuerfrei und werden erst bei der Veräußerung der Anteile realisiert. 606 Zum anderen hat eine Thesaurierung Finanzierungseffekte, wenn hierdurch Fremdkapital eingespart wird oder durch ein verbessertes „Rating“ die Zinsbelastung des Fremdkapitals generell sinkt. Dabei erhöht zwar die Thesaurierung den Wert des Unternehmens; ist dies jedoch mit der Ausgabe zusätzlicher Anteile verbunden – z. B. im Rahmen einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 207 ff. AktG) –, so sinkt der Wert des einzelnen Anteils, weil der höhere Unternehmenswert auf eine größere Zahl von Anteilen entfällt. Dies ist die Folge daraus, dass Eigenkapital „teurer“ ist als Fremdkapital („LeverageEffekt“); hierauf kommen wir noch zurück.743) 607 Deshalb müssen wir trennen zwischen thesaurierten und ausgeschütteten Überschüssen.744) Die Annahmen über deren Verhältnis zueinander bilden die Ausschüttungsquote. Als Ausschüttungszeitpunkt kommt der Realität nahe die Mitte des Folgejahres; vereinfachend wird aber auch akzeptiert das Ende des betrachteten Geschäftsjahres.745) B. Höhe I. Nähere Phase 608 Für die nähere Phase (Detailplanungsphase)746) bestimmen wir die Ausschüttungsquote nach dem Unternehmenskonzept, wie es am Bewertungsstichtag dokumentiert ist. Wir beachten dabei bestehende handels- oder gesellschaftsrechtliche Beschränkungen (z. B. § 30 GmbHG, § 57 AktG).747) Wir schauen auf die bisherige und die geplante Ausschüttungspolitik und die steuerlichen Rahmenbedingungen.748) Die Ausschüttungsquote hängt ab von der Kapitalstruktur (Verschuldungsstruktur): Bei hoher Verschuldung wird weniger ausgeschüttet. Daher sind Kapitalstruktur und Ausschüttungsquote aufeinander abzustimmen.749) Die Quote verändert sich wohl mit der Höhe der Überschüsse: Steigen sie, so wird evtl. prozentual mehr ausgeschüttet. Zu beachten ___________ 742) 743) 744) 745) 746) 747) 748) 749)

142

Vgl. Reichert/Düll, ZIP 2008, 1248. Siehe Rn. 1139. IDW S 1 2008 Tz. 28, 35 – 37. OLG Frankfurt, 2.5.2011, BeckRS 2011, 19452 = AG 11, 828. Zu den Planungsphasen siehe Rn. 517 ff. IDW S 1 2008 Tz. 35; LG Nürnberg-Fürth, 28.3.13, BeckRS 2014, 04176. IDW S 1 2008 Tz. 36. IDW S 1 2008 Tz. 37.

B. Höhe

ist die Finanzierung der Ausschüttung sowie die Erhaltung der ertragbringenden Substanz. Wie sich das im Einzelnen verändert, kann man nur ahnen. II. Fernere Phase 1. Ausgangslage Für die fernere Phase („ewige Rente“) schlägt das IDW vor, das Ausschüt- 609 tungsverhalten „äquivalent“ zum Ausschüttungsverhalten der Alternativanlage zu planen, es sei denn, es bestehen andere Besonderheiten der Branche, der Kapitalstruktur oder der rechtlichen Rahmenbedingungen.750) Wohl auf Berücksichtigung der Branchenbesonderheiten zielen Entscheidungen, die das Ausschüttungsverhalten der „peer group“ heranziehen.751) Andere Entscheidungen akzeptieren eine Fortschreibung der in der Vergangenheit und in der Detailplanungsphase gezeigten Quoten.752) Einige Gerichte bezogen sich auf mehrere Methoden, die sie plausibilisierend verglichen.753) 2. Vergangenheit In den vergangenen Jahren (2011 – 2014) lag die durchschnittliche Ausschüt- 610 tungsquote aller DAX-Unternehmen nach Untersuchungen der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young relativ konstant zwischen 42,2 % und 45,5 %; im Jahre 2014 betrug die Quote 43,8 %.754) Hinter diesem Wert verbergen sich allerdings im Schwerpunkt Werte zwischen 30 % und 54 %. In 2015 war ein weiterer leichter Anstieg zu verzeichnen, die Quote liegt aber weiter unter 50 %. Im MDAX, der die 50 Werte enthält, die auf die DAXWerte folgen und damit mittelgroße Unternehmen enthalten soll, liegt die Quote etwas höher und näherte sich zuletzt der 50 %-Marke an. Der TecDAX mit den 30 größten „Technologie-Werten“, der in der Vergangenheit etwas niedrigere Quoten auswies, näherte sich zuletzt den Werten des DAX an; die Quote hat sich deutlich über 40 % etabliert.755) In der gerichtlichen Spruchpraxis werden im Allgemeinen Ausschüttungs- 611 quoten als plausibel beurteilt, die sich zwischen 40 % und 60 % bewegen.756) ___________ 750) IDW S 1 2008 Tz. 37; vgl. OLG Stuttgart, 5.6.2013, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897. 751) OLG Düsseldorf, 12.11.15, AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71. 752) OLG Frankfurt, 18.12.14, AG 2015, 241 = ZIP 2015, 371; LG Hamburg, 15.10.15, BeckRS 2015, 20433. 753) OLG München, 5.5.15, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683; LG Dortmund, 4.11.2015, BeckRS 2015, 20235. 754) Ernst & Young, Dividenden der DAX-Unternehmen – Geschäftsjahr 2014, 1–10, abrufbar unter: http://www.ey.com. 755) Frère/Röhl, DIPS/DWS Dividendenstudie 2014, abrufbar unter: http://www.dsw-info.de. 756) OLG Düsseldorf, 11.5.15, AG 2015, 573 = ZIP 2015, 1336; OLG Stuttgart, 5.6.2013, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897; LG Dortmund, 4.11.2015, BeckRS 2015, 20235, LG München, 31.7.15, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124; alle jeweils unter Hinweis auf Wagner/ Jonas/Ballwieser/Tschöpel, Wpg 2006, 1005, 1009.

143

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern

612 Fraglich ist, ob diese Ausschüttungsquote auch für Personengesellschaften herangezogen werden kann.757) Soweit ersichtlich, existieren hierzu keine empirischen Untersuchungen. C. Beurteilung 613 Die Ausgangslage ist schwierig. Die Entscheidung über die vorzunehmende Ausschüttung wird häufig von der Geschäftsleitung der Gesellschaft getroffen, zumindest aber vorbereitet. Die Frage spielt eine Rolle, in welchem Ausmaß das Unternehmen eigen- oder fremdfinanziert werden kann; hiervon hängt auch die künftige Entwicklung der auf das Eigenkapital entfallenden Ergebnisse ab („Leverage-Effekt“). Bei börsennotierten Gesellschaften kommt der Vergleich mit anderen Unternehmen der gleichen Branche oder des gleichen Aktien-Index hinzu („ Dividendenrendite“), die die Attraktivität der Aktie und damit die Möglichkeit weiterer Kapitalaufnahmen beeinflusst. Eine steuerliche Gesamt-Optimierung unter Einbeziehung der Steuersituation der Anteilseigner, wie sie gelegentlich in Spruchverfahren gefordert wird, dürfte hingegen nur selten im Blickpunkt der Entscheider stehen und wird deswegen in den gerichtlichen Verfahren auch zurecht verworfen. 614 Es ist deswegen auch fraglich, ob sich die bisher angenommenen Ausschüttungsquoten mit der Einführung der Abgeltungsteuer in 2009 geändert haben, wie dies zunächst angenommen wurde.758) In der Praxis sind hierfür bisher jedenfalls noch keine Anhaltspunkte erkennbar. 615 Die Angleichung der Ausschüttungsquote an das Ausschüttungsverhalten der Alternativanlage, wie sie vom IDW gefordert von den gerichtlichen Entscheidungen im Regelfall akzeptiert wird,759) kann mit dem Gedanken gerechtfertigt werden, dass sich ein Unternehmen auf die Dauer – und in der ferneren Phase geht es um die „Ewigkeit“ – nicht anders als der „Markt“ verhalten wird. Dies bedarf allerdings der Begründung. Wieso schüttet ein Unternehmen in Zukunft so aus, wie der Durchschnitt der anderen Unternehmen das in der Vergangenheit tat? Kann man nur „in den Rückspiegel“ schauen? Es reicht nicht aus, nur auf das „Äquivalenzprinzip“ zu verweisen und zu unterstellen, das Bewertungsmodell selber erfordere gleiche Ausschüttungsquoten für das zu bewertende Unternehmen und die Referenzunternehmen. Gerade die „Inäquivalenz“ gegenüber der Referenzgruppe kann ein entscheidendes (Wert-)Merkmal des zu bewertenden Unternehmens sein. 616 Näher liegt ein Vergleich mit Unternehmen der gleichen Branche. Hierzu zieht man dieselbe Peer Group heran wie beim Betafaktor. Man meint auch, dass Betafaktoren etwas über die Ausschüttungspolitik aussagen: Niedrige Betas gehen mit hohen Ausschüttungen, hohe Betas mit niedrigen Ausschüt___________ 757) Ruiz de Vargas/Zollner, WPg 2012, 606, 611 f. 758) Wagner/Saur/Willershausen, WPg 2008, 731, 733. 759) Zum Beispiel OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG2010, 513 = ZIP 2010, 274.

144

D. Thesaurierte Überschüsse

tungen einher. Unternehmen, die sich sicher fühlen, schütten eben mehr aus.760) Hier stellt sich aber die Frage der Vergleichbarkeit mit allen damit verbundenen Unsicherheiten, auf die wir beim Betafaktor näher eingehen werden.761) Die Fortschreibung der Ausschüttungsquoten der Vergangenheit oder der 617 für die nähere Phase angesetzten Werte kann angesichts des „EwigkeitCharakters“ ebenfalls nicht ohne Weiteres vorgenommen werden, weil sich das Umfeld, in dem die Ausschüttungsentscheidung getroffen wird, im Laufe der Zeit ändern mag. Die Ausschüttungsquote ist danach „vorausschauend“ gestaltbar und erlaubt 618 eine „Wertsteuerung“. Der Verweis auf den Durchschnitt des Marktes oder einer Referenzgruppe gibt ebenfalls Gestaltungsspielraum. Die künftige Ausschüttungsquote ist schwer zu bestimmen; die Quote kann sich ändern mit niedrigeren oder höheren Erträgen. Die subjektiven Elemente lassen sich kaum objektivieren; das gilt namentlich für die „ewige Rente“. Im Ergebnis wird es deswegen darauf ankommen, wie im Einzelfall die Ausschüttungsquote begründet und plausibilisiert werden kann. D. Thesaurierte Überschüsse Die Festlegung der Ausschüttungsquote wirft zugleich die Frage auf, wie mit 619 den thesaurierten Überschüssen umzugehen ist. In der Detailplanungsphase finden wir die Antwort darauf in der Planung selbst. Dort werden die Zahlungsströme und ihre Verwendung explizit dargestellt. Die Thesaurierung kann genutzt werden zur Investition, zur Tilgung von Fremdkapital oder für den Aufbau des „working capital“. In der ferneren Phase wird dagegen eine Planung der Verwendung von thesaurierten Beträgen nicht mehr vorgenommen. Ist für die Thesaurierung nichts geplant, so wird i. d. R. eine „kapitalwert- 620 neutrale Anlage“ unterstellt;762) d. h. es wird angenommen, dass sich der thesaurierte Betrag genau mit dem Kapitalisierungssatz vor Unternehmenssteuern verzinst. Dies ergibt dann folgendes Bild:

___________ 760) Jonas, Finanz-Betrieb 2006, 479. 761) Siehe Rn. 873 ff. 762) IDW S 1 2008 Tz. 37.

145

Sechster Teil: Unternehmenswert und Steuern Situation ohne Thesaurierung ewige Rente

Jahr

1

2

3

Ergebnis vor Steuern

75,00

88,00

100,00

110,00

75,00 –22,50

88,00 –26,40

100,00 –30,00

110,00 –33,00

Thesaurierung (50 %)

52,50 0,00

61,60 0,00

70,00 0,00

77,00 0,00

Nettoflüsse beim Investor

52,50

61,60

70,00

77,00

Kapitalisierungssatz

8,00 %

8,00 %

8,00 %

8,00 %

kapitalisierter Überschuss ("ewige Rente") Barwertfaktor

0,9259

0,8573

0,7938

962,50 0,7938

48,61 5,3 %

52,81 5,7 %

55,57 6,0 %

764,06 83,0 %

1

2

3

75,00

88,00

100,00

110,00

3,00

6,64

10,91

Ergebnis beitrag Thesaurierung Ergebnis vor Steuern Unternehmenssteuern (30 %) Ausschüttung

Barwert zum Stichtag in % des Unternehmenswertes Summe der Barwerte (unternehmenswert)

921,05

Situation mit Thesaurierung Jahr Ergebnis vor Steuern Ergebnisbeitrag Thesaurierung Ergebnis vor Steuern Unternehmenssteuern (30 %) Ausschüttung

ewige Rente

75,00

91,00

106,64

120,91

–22,50

–27,30

–31,99

–36,27

52,50

63,70

74,65

84,63

–26,25

–31,85

–37,32

0,00

26,25

31,85

37,32

84,63

Kapitalisierungssatz

8,00 %

8,00 %

8,00 %

8,00 %

kapitalisierter Überschuss ("ewige Rente") Barwertfaktor

0,9259

0,8573

0,7938

1.057,92 0,7938

Barwert zum Stichtag

24,31

27,31

29,63

839,81

in % des Unternehmenswertes

2,6 %

3,0 %

3,2 %

91,2 %

Thesaurierung (50 %) Nettozuflüsse beim Investor

Summe der Barwerte (unternehmenswert)

146

921,05

D. Thesaurierte Überschüsse

Bei einem Kapitalisierungszins von 8,0 % und Unternehmenssteuern von 30 % 621 muss der Zinssatz für die Wiederanlage mit 8% (100  30) / 100

11,43 %

angesetzt werden, damit der Unternehmenswert vor und nach Thesaurierung gleich bleibt. In der Phase der „ewigen Rente“ wird keine Thesaurierung mehr angesetzt, da der Ertrag der „ewigen Rente“ natürlich den Anteilseignern zufließen muss. Die Thesaurierung führt damit dazu, dass sich die ausschüttungsfähigen Über- 622 schüsse jährlich um die Zinsen auf die kumulierten Thesaurierungen erhöhen. Wir werden auf diesen Effekt bei der Diskussion des Wachstums noch zurückkommen.763) Daneben zeigt sich exemplarisch, dass sich – bei gleichbleibendem Ergebnis – das „Gewicht“ des Unternehmenswertes weiter auf die „ewige Rente verlagert.

___________ 763) Siehe Rn. 1110 ff.

147

Achter Teil Kapitalisierung A. Begriff Den Unternehmenswert finden wir, indem wir die künftigen Überschüsse 623 auf den Bewertungsstichtag abzinsen. Das nennen wir „kapitalisieren“ (diskontieren). Damit stellen wir die Beziehung zu einer anderen Anlage her und ermitteln so den Wert, der bei einer realistischen Rendite die gleichen Erträge bringt wie das Unternehmen. Die Methode beruht auf folgendem Gedanken: Eine spätere Zahlung ist weniger wert als eine sofortige; denn in der verstrei- 624 chenden Zeit entgehen Renditen, die Zahlung kann erst später investiert werden. Deshalb machen wir wegen der späteren Zahlung einen Abschlag für den Renditeausfall, wir zinsen sie also ab. Das geschieht mit Hilfe des Kapitalisierungszinssatzes; er schafft zugleich einen Vergleich mit dem Wert der künftigen Überschüsse aus einer anderen Anlage, z. B. Bundesanleihen oder Aktien. Das Ergebnis ist der Barwert der künftigen Überschüsse am Stichtag. So können wir verschiedene Investitionen bezogen auf einen bestimmten Stichtag vergleichen. Der Abzinsungssatz ist so ein zentraler Faktor der Bewertung. Ein hoher 625 Zinssatz führt zu einem niedrigen, ein niedriger Zinssatz zu einem hohen Wert! B. Arten Der Unternehmenswert lässt sich durch eine direkte (einstufige) Nettokapi- 626 talisierung oder durch eine indirekte (mehrstufige) Bruttokapitalisierung ermitteln.764) I. Einstufige Nettokapitalisierung Wir suchen den Wert für die Anteilseigner. Von den Überschüssen ziehen 627 wir daher die Kosten (Zinsen) für das Fremdkapital ab (Nettokapitalisierung). Den danach verbleibenden Überschuss kapitalisieren wir in einem Schritt. So machen wir es im Allgemeinen beim Ertragswertverfahren765) und beim EquityAnsatz766) als Variante des Discounted-Cashflow-Verfahrens. II. Mehrstufige Bruttokapitalisierung Wir können auch ausgehen von allen Überschüssen, die das Unternehmen 628 für Eigentümer und Gläubiger erwirtschaftet. Wir setzen dann die Zinsen ___________ 764) IDW S 1 2008 Tz. 99 f; vgl. den Überblick bei Keim/Jeromin, in: Hölters, Handbuch Unternehmenskauf Rn. 2.49 ff. 765) IDW S 1 2008 Tz. 102. 766) IDW S 1 2008 Tz. 124.

149

Achter Teil: Kapitalisierung

nicht ab; stattdessen kürzen wir das Ergebnis um den Marktwert des Fremdkapitals. So machen wir es beim Konzept der gewogenen Kapitalkosten (Weighted Average Cost of Capital, WACC-Ansatz) und beim Konzept des angepassten Barwerts (Adjusted Present Value-Ansatz, APV-Ansatz);767) das sind Varianten des Discounted-Cashflow-Verfahrens.768) C. Kapitalstruktur 629 Bei jeder Form der Kapitalisierung sind zu beachten die Kapitalstruktur des Unternehmens und ihr Einfluss auf die Kapitalisierungszinssätze. Maßgeblich dafür sind Marktwerte, nicht Buchwerte. Man schaut also auf den Marktwert des Fremdkapitals im Verhältnis zu dem des Eigenkapitals. Ein hoher Verschuldungsgrad deutet auf ein entsprechendes finanzielles Risiko hin und damit auf einen höheren Risikozuschlag.769) Wenn sich die Kapitalstruktur absehbar ändert, ist der Risikozuschlag anzupassen.770) 630 Wird der Zinssatz kapitalmarktorientiert abgeleitet, so soll auch die Kapitalstruktur mittels eines Marktmodells erfasst werden. Als solches gilt z. B. das „Modigliani-Miller-Theorem“771); es soll – namentlich beim DCF-Verfahren – den Wert des Steuervorteils (Tax Shield) aus der anteiligen Fremdfinanzierung erfassen. D. Rentenformel 631 Die künftigen Überschüsse stellen eine fortlaufende Reihe dar. Deren Barwert errechnen wir nach der Formel für eine nachschüssige (d. h. jeweils am Ende des Jahres zu zahlende) Rente (Rentenformel). Für das Ergebnis ist entscheidend, wie lang wir die Zukunft sehen; das wiederum hängt davon ab, wie wir die Lebensdauer des Unternehmens einschätzen. Wir unterscheiden zwischen Unternehmen mit begrenzter (endlicher) und unbegrenzter (unendlicher) Lebensdauer.772) I. Begrenzte Lebensdauer 632 Sie ist eher die Ausnahme. Sie kann sich z. B. aus der Laufzeit eines Gesellschafts- oder eines Miet- oder Pachtvertrags ergeben. Der Unternehmenswert ist dann gleich dem Barwert der künftigen Überschüsse aus dem betriebsnotwendigen Vermögen für die Lebensdauer des Unternehmens. Hinzu tritt der Barwert des Liquidationserlöses; er wird ebenfalls diskontiert, da er erst am Ende der Lebensdauer anfällt.773) Etwa vorhandenes nicht be___________ 767) 768) 769) 770) 771) 772) 773)

150

IDW S 1 2008 Tz. 124; Enzinger/Kofler, in: FS Mandl, S. 185. Siehe Rn. 1121, 1149. IDW S 1 2008 Tz. 100. IDW S 1 2008 Tz. 100. Siehe Rn. 1143. IDW S 1 2008 Tz. 85 – 87. IDW S 1 2008 Tz. 87.

D. Rentenformel

triebsnotwendiges Vermögen ist zusätzlich anzusetzen; es wird nachfolgend aus Vereinfachungsgründen nicht berücksichtigt. Die Formel ist für Juristen recht kompliziert; sie bildet ab den Barwert aller 633 Ertragsüberschüsse (erster Teil der Formel) und den Barwert des Liquidationserlöses (zweiter Teil der Formel): m

UW

Et

¦ (1  r)

t



t 1

L (1  r )m

mit:774) UW

= Unternehmenswert

Et

= (variabler) Ertragsüberschuss jeder Periode t

L

= Liquidationserlös

r

= Kapitalisierungszins (Eigenkapitalrendite)

m

= letztes Jahr der Lebensdauer des Unternehmens

Bildlich sieht das so aus:

634 m

E

L (1 + r )m

∑ (1 + tr) t

t =1

t1

t2 +

110

t3 +

100

t4 +

130

t5 +

140

Liquidationserlös

+ 100

120

(1+r) (1+r)2 Unternehmenswert

(1+r)3

(1+r)4 (1+r)5

(1+r)5

Abb. 3: Diskontierung von Ertragsüberschüssen

II. Unbegrenzte Lebensdauer Im Allgemeinen gehen wir aus von einer unbegrenzten Lebensdauer.775) 635 Dann entspricht der Unternehmenswert dem Barwert der künftigen Überschüsse aus dem betriebsnotwendigen Vermögen. Ein Liquidationserlös fällt ___________ m

774) Das Zeichen

¦

ist das Summenzeichen. Es heißt: Addition der einzelnen Werte der

t 1

näheren Phase beginnend mit dem Jahr 1 (untere Summationsgrenze) bis zum Jahr 5 (obere Summationsgrenze) plus Wert der ewigen Rente. 775) Vgl. nur LG Düsseldorf, 3.9.2014 – 33 O 55/07 (AktE); BGH, JZ 1992, 156, 157; IDW S 1 2008. Tz. 85; kritisch dazu Frühling, Finanz-Betrieb 11 (2009), 200; vgl. Knoll, DB 2016, 544.

151

Achter Teil: Kapitalisierung

nicht an, da ja definitionsgemäß von unbegrenzter Lebensdauer ausgegangen wird. An seine Stelle tritt die „ewige Rente“ als eine unendliche Reihe gleichbleibender Überschüsse. Den Wert eines etwa vorhandenen nicht betriebsnotwendigen Vermögens wollen wir wieder vernachlässigen. 1. Grundlagen 636 Die Annahme des „ewigen“ Unternehmens beruht auf drei Gründen: x

Man geht erstens davon aus, dass es gelingt, das ursprünglich eingesetzte Kapital zu erhalten, sodass das Kapital „ewig“ bestehen bleibt.

x

Man nimmt zweitens an, dass die künftigen Überschüsse als unendliche Reihe gleich hoher Beträge fließen („ewige Rente“). Das ist zwar nicht realistisch, aber die Lebensdauer eines Unternehmens ist zumeist nicht bekannt und nicht abschätzbar. Es kommt hinzu, dass die künftigen Überschüsse mit wachsender Entfernung vom Bewertungsstichtag immer schwerer planbar werden und unterstellt deswegen vereinfachend, dass sich „Ausreißer“ nach oben und unten ausgleichen; das Unternehmen befindet sich im „eingeschwungenen Zustand“.

x

Diese Vereinfachung leisten wir uns auch im Zeitalter der Tabellenkalkulation ohne Skrupel,776) weil der Barwert einer ewigen Rente dem Barwert einer 30 – 34-jährigen Rente nahezu gleichkommt. Für weit in der Zukunft liegende Überschüsse wird eben in der Gegenwart kaum etwas gezahlt.

2. Formel 637 Finanzmathematisch lautet die Formel für den (nachschüssigen) Barwert einer unendlichen Zahlungsreihe: BW

E r

mit: BW = Barwert der Zahlungsreihe E

= (konstanter) „ewiger“ Ertragsüberschuss

r

= Kapitalisierungszins

638 Der Barwert gibt den „Wert“ des Zahlungsstroms am Beginn der ersten Periode an, wenn die Zahlungszuflüsse jeweils am Ende jeder Periode („nachschüssig“) erfolgen. Das entspricht dem Modell der „ewigen Rente“. Wir müssen jedoch beachten, dass die „ewige Rente“ erst am Ende der Detailplanungsphase beginnt; deswegen müssen wir sie noch über den gesamten Lauf ___________ 776) Kritisch aber Knoll, DB 2016, 544; Kruschwitz/Löffler, DB 1998, 1041.

152

E. Ein Beispiel

dieser Detailplanungsphase abzinsen. Entsprechend haben wir gerade auch den Liquidationserlös behandelt; die Formel für den Unternehmenswert bei unbegrenzter Lebensdauer ist daher ebenfalls ähnlich und lautet: m

UW

Et

¦ (1  r)

t



t 1

E m 1 (1  r )m

mit: UW

= Unternehmenswert

Et

= (variabler) Ertragsüberschuss jeder Detailperiode t

Em+1 = „ewiger“ Ertragsüberschuss aller Perioden ab m+1 r

= Kapitalisierungszins (Eigenkapitalrendite)

m

= letztes Jahr der Detailplanungsphase

E. Ein Beispiel Nehmen wir an, das zu bewertende Unternehmen plant für die folgenden 639 5 Jahre („nähere Phase“) Überschüsse von jährlich je 120 T€. Der Einfachheit halber wird dieser Überschuss auch für alle weiteren Perioden geplant. Der Diskontierungszins soll 10 % betragen. Der Unternehmenswert berechnet sich dann wie folgt: I. Nähere Phase Die jährlichen diskontierten Überschüsse (E1 – E5) betragen: Erstes Jahr:

E1

Zweites Jahr: E2

Drittes Jahr:

E3

120.000 10 · § ¨ 1  100 ¸ © ¹ 120.000

109.090,91 €

2

99.173,55 €

3

90.157,78 €

10 · § ¨ 1  100 ¸ © ¹ 120.000 10 · § ¨ 1  100 ¸ © ¹

640

Ebenso verfahren wir mit den anderen einzeln ermittelten Jahren (4. und 641 5. Jahr). Das gibt dann die weiteren Barwerte 81.916,62 € und 74.510,56 €. II. Fernere Phase Haben wir so den Barwert der einzelnen Jahresüberschüsse ermittelt, fragen 642 wir jetzt nach dem Wert der Überschüsse, die ab dem sechsten Jahr anfallen.

153

Achter Teil: Kapitalisierung

Dazu bedarf es zweier rechnerischer Schritte: Zuerst ist festzustellen, was die fortlaufende Reihe („ewige Rente“) zu Beginn des sechsten Jahres wert ist. Dann zinsen wir den ermittelten Betrag weiter auf den Stichtag ab und erhalten so dessen Barwert. 643 Aus dem zu erwartenden (konstanten) Überschuss der Perioden K6 ff bilden wir zunächst den Barwert. Das ergibt folgendes Bild: 120.000 u 100 10

1.200.000 €

644 Das Ergebnis bezieht sich auf den Beginn des sechsten Jahres; es fällt dort gewissermaßen mit dem Ergebnis des fünften Jahres zusammen Wir müssen es daher wie das Ergebnis von E5 auf den Bewertungsstichtag abzinsen nach der Formel: 120.000 10 · § ¨ 1  100 ¸ © ¹

5

745.106 €

III. Schlussrechnung 645 Zum Schluss addieren wir die so ermittelten Barwerte der einzelnen Jahre und den Barwert der „ewigen Rente“: 1. Jahr

109.090,91 €

2. Jahr

99.173,55 €

3. Jahr

90.157,78 €

4. Jahr

81.916,62 €

5. Jahr Barwert der „ewigen Rente“ Summe (rd.)

74.510,56 € 745.105,59 € 1.200.000,00 €

646 Wir sehen zunächst, wie stark das Ergebnis der ewigen Rente den Unternehmenswert prägt. Es macht hier rd. 62 % des Gesamtwertes des Unternehmens aus. Wir ahnen auch, dass dieser Anteil deutlich ansteigen würde, wenn wir – was bei Unternehmensplanungen „üblich“ ist -– mit weniger Detailplanungsjahren und steigenden Überschüssen im Zeitablauf rechnen. 647 Wir sehen weiter, dass der Unternehmenswert hier auch direkt nach der Formel für die „ewige Rente“ (E/i) hätte berechnet werden können. Dies ist auch nicht verwunderlich, da wir hier – vereinfachend – die Überschüsse aller Perioden gleichgesetzt haben. 648 So einfach ist das!

154

Neunter Teil Kapitalisierungszinssatz „Zeit ist Geld.“777)

649

A. Zinsmacht I. Zinsstruktur Die Kapitalisierungsformel zeigt: Der geschätzte Überschuss und der Zins- 650 satz entscheiden über den Barwert. Der Zinssatz verdichtet die Überschüsse auf eine Größe am Stichtag.778) Wir sahen auch: Ein niedriger Zinssatz ergibt einen hohen, ein hoher Zinssatz einen niedrigen Barwert. Der Zinssatz wird so zur Schlüsselfrage: „Keine Größe scheint bei der Bewertung von Unternehmen in der Praxis so umstritten zu sein wie der Kalkulationszinsfuß … Sein Hebeleffekt ist bekannt und berüchtigt: Schon geringe Verminderungen des Zinssatzes können den Wert überproportional erhöhen; Erhöhungen des Zinssatzes senken den Unternehmenswert. Diese Effekte machen ihn bei Parteien, die Einfluss auf den Wert nehmen wollen, so beliebt.“779)

John D. Rockefeller (1839 – 1937) hielt Zins und Zinseszins für das „achte Welt- 651 wunder“, Albert Einstein (1879 – 1955) meinte, sie seien „stärker als die Wasserstoffbombe“. In der Tat sind es die stärksten sozialen Elemente, die Menschen gefunden haben. Das erklärt, warum Zins und Zinseszins auch kulturell so umstritten sind.780) Wir beginnen mit einem Basiszinssatz,781) den wir um einen „Risikozuschlag“ 652 erhöhen782) und bei der „ewigen Rente“ evtl. um einen „Wachstumszuschlag“ mindern.783) Wir beachten die Steuerbelastung.784) Wir wollen uns das der Reihe nach ansehen. II. 72er-Regel Die überragende Kraft des Zinssatzes785) sehen wir an der Faustformel 653 („72er-Regel“): 72 geteilt durch den Zähler des Zinssatzes führt zur Zahl der Jahre, in denen 654 sich ein Anspruch oder eine Schuld jeweils verdoppelt. Bei 6 % ergibt das ___________ 777) 778) 779) 780) 781) 782) 783) 784) 785)

Vgl. Benjamin Franklin, 1706 – 1790: „Time is money“. Hachmeister/Wiese, WPg 2009, 54. Ballwieser, WPg 2002, 736. Großfeld/Hoeltzenbein, ZVglRWiss 104 (2005), 31. IDW S 1 2008 Tz. 115 f. IDW S 1 2008 Tz. 115. IDW S 1 2008 Tz. 98. IDW S 1 2005 Tz. 37 – 40; IDW S 1 2008 Tz. 28. Vgl. Baums, in: FS Norbert Horn, S. 249.

155

Neunter Teil: Kapitalisierungszinssatz

72 72 = 12 Jahre, bei 9 % = 8 Jahre. Die Verdoppelung wiederholt sich 6 6 dann alle 12 bzw. 8 Jahre. Eine Schuld von 120 € wächst so in 24 Jahren bei 6 % auf 480 € (4-fach), bei 9 % auf 960 € (8-fach) und bei 12 % auf 1.920 € (16-fach). Eine Verdoppelung des Zinssatzes von 6 % auf 12 % führt also in 24 Jahren zu einer Vervierfachung des Betrages: Statt 480 € sind es 1.920 €!

III. „Ewige Rente“ 655 Diese Macht entfaltet sich auch bei der Abzinsung, wie uns das Beispiel der „ewigen Rente“ zeigt. Wir erinnern uns, dass wir sie berechnen nach der Formel E , r

wobei r der Kapitalisierungszinssatz ist. Aus der Formel ergibt sich: Je höher der Kapitalisierungszinssatz, desto niedriger der Wert der ewigen Rente und umgekehrt. 656 Kapitalisiert man z. B. einen Ertragsüberschuss von 120.000 € mit einem Zinssatz von 8 % so lautet die Formel: 120.000 u 100 8

657 Sie führt zu einem Wert von 1.500.000 €. 658 Setzt man den Kapitalisierungszinssatz mit 12 % an, so folgt aus der Formel 120.000 u 100 12

ein Wert von 1.000.000 €. Der Wert der ewigen Rente sinkt also umgekehrt proportional zum Anstieg des Zinssatzes. 659 Deshalb kann man bei unterschiedlichen Überschüssen durch die Wahl eines anderen Zinssatzes zum selben Wert gelangen. Ein Überschuss von 120.000 € bringt bei einem Zinssatz von 12 % nach der Formel E r

einen Wert von 1.000.000 €; zu diesem Ergebnis führt auch ein Überschuss von 100.000 €, wenn man ihn mit 10 % kapitalisiert. IV. Phasenmethode 660 Ähnlich wirkt der Kapitalisierungszinssatz, wenn wir nach der Phasenmethode die Barwerte der Überschüsse der einzelnen Jahre ermitteln. Wir benutzen dafür die Formel: K

156

Kt qt

B. Sorgfalt

Auch hier zeigt sich: Je höher der Zinssatz, desto niedriger der Barwert und 661 umgekehrt. Bei einem Überschuss von 120.000 € im zweiten Jahr und einem Zinssatz 662 von 8 % gelangen wir nach der Formel: 120.000 8 · § ¨ 1  100 ¸ © ¹

2

zu einem Barwert von 102.880,65 €. Nehmen wir als Zinssatz 10 %, so folgt aus der Formel:

663

120.000 10 · § ¨ 1  100 ¸ © ¹

2

ein Barwert von 99.173,55 €. Bei einem Ansatz von 12 % ergibt sich aus der Formel:

664

120.000 12 · § ¨ 1  100 ¸ © ¹

2

ein Barwert von 95.663,27 €. B. Sorgfalt Die Beispiele zeigen: Schon kleine Änderungen des Zinssatzes wirken stark 665 auf den Barwert. Daran sehen wir: Zinsen sind stärker als Überschüsse. Zinsen steigen infolge von Zins und Zinseszins in geometrischer Proportion, Überschüsse wachsen linear. Das beweist die überragende Bedeutung des Zinsfaktors. Alle Verfeinerun- 666 gen bei der Prognose der Überschüsse zählen wenig, wenn der Zinssatz nicht angemessen ist. Deshalb muss man bei ihm sehr sorgfältig sein. Schon kleine Änderungen bei den Ausgangsannahmen können große Wirkung entfalten. Um ihn wird daher lebhaft gestritten. Zugleich muss man der Versuchung widerstehen, alle Probleme auf den Zins- 667 satz zu verlagern; dadurch ließe sich der Barwert kräftig steuern. In der Praxis schwanken die Zinssätze zwischen 6 % – 12 %. Bei einem Überschuss von 120.000 € ergibt das für die „ewige Rente“ nach der Formel

E Werte i

zwischen 1.000.000 € und 2.000.000 €.

157

Neunter Teil: Kapitalisierungszinssatz

C. Alternativrendite „Erst wo die Dinge vergleichlich, lässt sich ihr Wert bestimmen. Feuer, die nur noch glimmen wärmen nicht sehr; jedoch reichlich wärmen sie, wo es friert.“786)

668

I. Grundlage 669 Durch die Abzinsung machen wir die finanziellen Überschüsse des Unternehmens vergleichbar mit Anlagealternativen. Wir finden den Betrag, der bei einer anderen Anlage Überschüsse erwirtschaftet, wie sie denen des Unternehmens entsprechen (Alternativinvestition).787) Wenn wir also für ein Unternehmen einen Wert von 1.000 T€ bei einem Kapitalisierungssatz von 12 % ermitteln, dann wissen wir jetzt, dass wir die gleiche Summe auch verwenden können, um eine „ewige Rente“ von jährlich 120 T€ zu kaufen, was einer Verzinsung von 12 % entspricht. Sollte der Markt allerdings nur noch 6 % „hergeben“, müssen wir für den Erwerb dieses Zahlungsstroms bereits 2.000 T€ aufwenden. Dies führt zu der nicht ohne Weiteres einleuchtenden Aussage, dass der Wert einer Sache nicht absolut ist, sondern von den Alternativen abhängt. Allgemein formuliert: „Je schlechter die Alternative desto wertvoller das Vorhandene.“

670 Den Kapitalisierungszinssatz leiten wir daher ab aus einer am Markt beobachtbaren Rendite einer anderen (Alternativ-)Anlage.788) Wir zerlegen sie in einen Basiszinssatz und in einen Risikozuschlag und kürzen ggf. um einen Wachstumsabschlag.789) II. Anleihen 671 Traditionell sah man das Vergleichsmuster bei Anleihen und den dafür zu zahlenden Zinsen. 672 Das Institut der Wirtschaftsprüfer unterschied in seiner Stellungnahme HFA 2/1983, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen,790) zwischen dem „speziellen Unternehmerrisiko“ im Hinblick auf die Prognose der Überschüsse und dem „generellen Unternehmerrisiko“ („generelles Unternehmerwagnis“) für den Zinssatz. Nur das generelle Unternehmerrisiko könne zu einem Risikozuschlag auf den Zinssatz führen. Das gehe so: „Zur Abschätzung des generellen Unternehmerwagnisses kann die bankübliche Verzinsung von Großkrediten an Unternehmen Anhaltspunkt bieten,

___________ 786) 787) 788) 789) 790)

158

Brennink, Reifezeit, S. 68. IDW S 1 2008 Tz. 123. IDW S 1 2008 Tz. 114. IDW S 1 2008 Tz. 115. IDW, WPg 1983, Abschn. B 3, S. 471.

C. Alternativrendite wobei zu beachten ist, dass die Beteiligung an haftendem Kapital gegenüber der Gläubigerposition noch weitere Unterschiede aufweist und jeder Zinssatz nur in Bezug auf die jeweilige Anlage zu sehen ist … Es bleibt damit Angelegenheit des pflichtmäßigen gutachterlichen Ermessens auf der Grundlage der dargelegten Zusammenhänge unter Würdigung der gegebenen Sachlage … Zuschläge wegen des generellen Unternehmerrisikos vorzunehmen.“791)

Zu beachten ist, dass das „generelle Unternehmerrisiko“ nicht auf das zu be- 673 wertende Unternehmen bezogen ist, sondern das Risiko unternehmerischer Tätigkeit allgemein betrifft. Wegen der Unsicherheit der Zahlungsströme aus unternehmerischer Tätigkeit (einschließlich des Insolvenzrisikos) wird ein Investor für die Anlage in ein Unternehmen einen höheren Zinssatz verlangen. Das BayObLG stellte ab auf die Differenz zwischen Basiszinssatz und der 674 banküblichen Verzinsung von Großkrediten (Kontokorrentkredite); es fand im Jahre 1995 1,2 %.792) Schauen mag man auch auf die Renditedifferenz zwischen Bundesanleihen 675 und investitionsfähigen Unternehmensanleihen (den „credit spread“). Solche Spreads werden tagesaktuell von Kapitaldienstleistern (z. B. Bloomberg) zur Verfügung gestellt. Dabei werden die Zinsverläufe der risikolosen Zinsstrukturkurve793) mit den Zinsverläufen des zu bewertenden Unternehmens selber oder einer „peer group“ gleicher Branche und Rating-Einstufung verglichen (z. B. Industrieanleihen von Emittenten der Ratingklasse „A“).794) Die Spreads können auch abgeleitet werden aus den Kosten für Kreditabsicherungen („credit default swaps“– CDS), die an Börsen gehandelt werden; sie liegen aktuell zwischen 0,5 % und 4 % je nach Bonität der „peer group“ und der Laufzeit.795) Bei Verwendung solcher Daten in konkreten Bewertungsfällen muss berück- 676 sichtigt werden, dass bereits die Möglichkeit, Anleihen an Kapitalmärkten emittieren zu können, eine gewisse Bonität des Kreditnehmers voraussetzt, sodass die „Grundgesamtheit“ der betrachteten Unternehmen positiv verzerrt ist. Die relevanten Risikoprämien dürften daher eher am oberen Rand der Bandbreiten oder sogar darüber liegen.

___________ 791) Dem folgte BayObLG, 19.10.1995, AG 1996, 127 = DB 1995, 2590; vgl. OLG München, 11.9.2001, BeckRS 2001, 30203918. 792) BayObLG, 19.10.1995, AG 1996, 127 = DB 1995, 2590. 793) Siehe Rn. 691. 794) Zu Einzelheiten siehe Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 298 ff. 795) iTRAXX Europe-Indexgruppe.

159

Neunter Teil: Kapitalisierungszinssatz

III. Aktienmarkt 677 Das Institut der Wirtschaftsprüfer bevorzugt jetzt einen Vergleich mit Kapitalmarktrenditen eines Aktienportfolios an der Börse:796) „Den Ausgangspunkt für die Bestimmung der Rendite der Alternativanlage bildet die beobachtete Rendite einer Anlage in Unternehmensanteile.“

678 Es unterscheidet nicht zwischen dem besonderen (speziellen) und dem allgemeinen (generellen) Risiko: Das gesamte Unternehmerrisiko soll erfasst werden im Kapitalisierungszinssatz.797) Im Zähler der Formel sind dann die „Erwartungswerte“ der Überschüsse anzusetzen.798) Das führt zu spürbaren Wertveränderungen. 679 Auch hier bedeutet „Unternehmerrisiko“ wieder das allgemeine Risiko unternehmerischer Tätigkeit. Wir bemühen uns allerdings, dieses Risiko auf gleiche Unternehmen („peer group“) und weitergehend sogar auf das zu bewertende Unternehmen selbst („Beta-Faktor“) zu fokussieren. Trotzdem dürfen die beiden Risikoarten nicht miteinander vermengt werden, um Doppelerfassung zu vermeiden. 680 Das werden wir im Einzelnen diskutieren beim CAPM und beim TaxCAPM.799)

___________ 796) 797) 798) 799)

160

IDW S 1 2008 Tz. 114 f. IDW S 1 2008 Tz. 90. IDW S 1 2008 Tz. 90. Siehe Rn. 780, 1029.

Zehnter Teil Basiszins A. Ausgangslage Wir schätzen die Überschüsse als Nominalgrößen. Entsprechend wählen wir 681 einen Zinssatz als Nominalgröße ohne Inflationsabschlag.800) Wir suchen ihn aus der Sicht beider Parteien und wählen einen für beide typischen Bezugsrahmen. Damit erstreben wir einen Zinssatz, „wie ihn ein vernünftig wirtschaftlich denkender Mensch sicher erzielen kann“.801) Wir vergleichen daher zunächst mit der Rendite einer (quasi-)risikofreien Anlage am Kapitalmarkt802); „(quasi-)risikofrei“, weil es eine völlig sichere Anlage nicht gibt. Selbst erste Adressen können wanken, wie wir es in der „Subprime Mortgages“-Krise erlebten.803) Die Griechenland-Krise hat verdeutlicht, dass auch Staatsanleihen in Europa unsicher sein können. Als Basiszinssatz wählt man den „landesüblichen Zinssatz“ für eine (quasi-)ri- 682 sikofreie inländische Anlage.804) Als (quasi-)risikofrei gelten nur öffentliche Anleihen. Daher stellen wir auf die langfristig erzielbare Rendite öffentlicher Anleihen ab.805) Es geht um die Prognose einer Zinsentwicklung, nicht um den Stichtagseffekt. B. Frühere Methode Früher berechnete man den Basiszins anhand langlaufender Anleihen der öf- 683 fentlichen Hand. Heute rechnen wir mit Hilfe der Zinsstrukturkurve. I. Laufzeitäquivalenz Wir müssen die langfristige Anlage im Unternehmen mit einer ähnlich lang- 684 fristigen anderen Anlage vergleichen. Da wir eine unendliche Lebensdauer ansetzen, müssten wir eigentlich auf eine zeitlich unbegrenzte Anleihe der öffentlichen Hand schauen. Die gibt es aber bei uns nicht. Deshalb wählte man Anleihen mit mindestens zehnjähriger Laufzeit und länger, soweit möglich auch 30-jährige Anleihen.806) Die Angaben finden sich in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank.807) ___________ 800) 801) 802) 803) 804) 805) 806) 807)

IDW S 1 2008 Tz. 94. OLG Düsseldorf, 19.10.1999, DB 2000, 82 = NZG 2000, 639. IDW S 1 2008 Tz. 116. Vgl. Großfeld, RIW 2010, 504. IDW S 1 2008 Tz. 114 – 117. IDW S 1 2008 Tz. 116. Überblick bei Schmitt/Dausend, Finanz-Betrieb 2006, 233, 234. Statistisches Beiheft 2 zum Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Kapitalmarktstatistik.

161

Zehnter Teil: Basiszins

685 Der Zinssatz kann für die Bewertungsphasen unterschiedlich sein. Es war also zulässig, zweiphasig vorzugehen, weil das die Prognosegenauigkeit erhöhen mag.808) Vorzuziehen ist aber ein einheitlicher Zinssatz, weil sich die Planungsphasen nicht klar abgrenzen lassen.809) 686 Bei Unternehmen mit zeitlich begrenzter Lebensdauer gilt der Zins für Anleihen vergleichbarer Laufzeit.810) II. Zinsprognose 687 Der Basiszinssatz ist zukunftsbezogen; nicht entscheidend ist seine Höhe am Stichtag.811) Wir suchen die Verzinsung, die aus der Sicht des Stichtags auf Dauer zu erzielen ist,812) also den von kurzfristigen Einflüssen befreiten Normalzinssatz. 688 Für die Nachhaltigkeit orientierte man sich auch am Durchschnitt der Vergangenheit. IDW S 1 2000 sagte: „Für die dabei erforderliche Wiederanlage kann zur Orientierung die Zinsentwicklung der Vergangenheit herangezogen werden“.813) Man ging daher 15 – 30 Jahre zurück und erwog dann, ob sich am Zinstag eine Tendenz zu höheren oder niedrigeren Zinsen zeigt. Den Zinssatz wählte man sodann für die nähere Phase; für die fernere Phase („ewige Rente“) kann man ihn ggf. ändern. III. Zinsentwicklung 689 In den 90-iger Jahren wurden häufig Basiszinssätze zwischen 6 % und 7,5 % angenommen.814) Anfang der 2000er-Jahre sank der angewendete Basiszins

___________ 808) BayObLG, 28.10.2005, AG 2006, 41 = NZG 2006, 156; Schiedsspruch, 4.11.2005, SchiedsVZ 2007, 219. 809) OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28. 810) IDW S 1 2008 Tz. 117. 811) BayObLG, 28.10.2005, AG 2006, 41 = NZG 2006, 156; LG Frankfurt, 13.6.2006, NZG 2006, 868. 812) OLG Stuttgart, 3.4.2012 – 20 W 7/09; OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220; OLG Stuttgart, 4.2.2000, AG 2000, 428 = NZG 2000, 744. 813) IDW S 1 2000 Tz. 121. 814) Stichtag März 1989, 7,7 %: BayObLG, NZG 2006, 156; Stichtag Ende 1990, 7,8 %, Stichtag Ende 1992, 57,5 %: OLG Stuttgart, Der Konzern 2004, 128; Stichtag April 1993, 7,5 %: OLG Celle, 29.12.2006 – 9 W 41/06; Stichtag 1995, 7,5 %: OLG München, OLG München, 30.11.2006 – 31 Wx 059/06; Stichtag Juni 1995, 7,35 %: OLG Düsseldorf, 31.3.2006 – I-26 W 5/06 (AktE); Stichtag Ende 1997, 6,5 %: OLG München, AG 2008, 29; Stichtag Ende 1999, 6 %: OLG Stuttgart, AG 2008, 510.

162

C. Zinsstrukturkurve

dann auf 5,5 %.815) Das IDW empfahl zunächst 6,0 %, ab 1.1.2003 5,5 %,816) ab 1.1.2005 5 %817) und ab 19.7.2005 4,25 %818). Ab etwa 2005 reduzierte sich der Basiszins auf rund 4 %, dann auf teilweise unter 3 %.819) Seither sinkt der Basiszins aufgrund der Niedrigzinsentwicklung weiter. Der 690 anhand der Zinsstrukturkurve anzusetzende Basiszins beträgt inzwischen 1,5 %. Die Auswirkungen für Unternehmenswerte sind erheblich: Niedrigere Basiszinssätze bedeuten höhere Unternehmenswerte und höhere Abfindungen. C. Zinsstrukturkurve I. Wechsel Die traditionelle Methode ist zwar nach wie vor zulässig. Heute hat sich aber 691 die Ausrichtung an der aktuellen Zinsstrukturkurve für Staatsanleihen durchgesetzt, wie sie die Deutsche Bundesbank nutzt und international verbreitet ist.820)

___________ 815) Stichtag Februar 2000, 5,9 %: OLG Düsseldorf, 27.5.2009 – 26 W 5/07; Stichtag Februar 2000, 6 %: LG Dortmund, BeckRS 2007, 05697; Stichtag August 2000, 6 %: OLG Düsseldorf, NZG 2006, 911; Stichtag Dezember 2000, 6 %: OLG Celle, ZIP 2007, 2025; Stichtag November 2000, 5,5 %: OLG Stuttgart, AG 2007, 596; Stichtag März 2001, 6,5 %: OLG Stuttgart, AG 2007, 705; Stichtag Dezember 2001, 5,5 %: OLG Düsseldorf, 25.8.2014 – I-26 W 24/12 (AktE); Stichtag Mitte 2002, 6 %: OLG München, ZIP 2006, 1722; Stichtag Februar 2002, 6 %: LG Dortmund, BeckRS 2007, 05697; Stichtag August 2002, 5,75 %: OLG Stuttgart, NZG 2007, 112; Stichtag November 2002, 5,4 %: LG Frankfurt, NZG 2006, 868; Stichtag September 2003, 5,2 %: LG Frankfurt, AG 2007, 42; Stichtag Juni 2002, 6 %: Stichtag Februar 2003, 5,5 %: OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418; OLG München, OLGR München 2008, 450; Stichtag November 2002, 5,5 %: OLG München, ZIP 2009, 2339; Stichtag Mai 2003, 5,28 %: OLG München, BeckRS 2007, 09107; Stichtag Mai 2002, 5,7 %: LG Berlin, AG 2011, 627; Stichtag Juni 2002, 5,5 %:, Stichtag Februar 2004, 5,25 %: OLG Stuttgart, AG 2008, 783; Stichtag Juli 2004, 5,2 %: OLG Stuttgart, 14.2.2008 – 20 W 10/06; Stichtag Februar 2007, 4 %: OLG Stuttgart, 17.10.2011 – 20 W 7/11; Stichtag Februar 2007, 5,2 %: LG Frankfurt, 4.8.2010 – 3-5 73/04; Stichtag April 2005, 4 %: Verschmelzung der Allianz Aktiengesellschaft und der RIUNIONE ADRIATICA DI SICURA – Verschmelzungsdokumentation der Allianz Aktiengesellschaft, S. 226. 816) FN-IDW Nr. 1-/2003, S 26. 817) FN-IDW Nr. 1-2/2005, S. 70. 818) FN-IDW Nr. 8/2005, S. 555 f. 819) Vgl. etwa für Stichtag August 2006, 4,25 %; August 2007: 2,93 % und 3,31 %: OLG Düsseldorf, 12.11.2015, AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71. 820) Vgl. nur OLG Frankfurt, 29.1.2016, ZIP 2016, 716; OLG Frankfurt, 26.1.2015, AG 2015, 504; OLG Düsseldorf, 12.11.2015, AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71; OLG Stuttgart, 17.7.2014, AG 2015, 580; OLG Stuttgart, 15.10.2013, AG 2014, 208 = ZIP 2013, 2201; OLG München, 14.7.2009, ZIP 2009, 2339; Eine ähnliche Datenreihe ermittelt auch die EZB auf der Grundlage öffentlicher Anleihen des EURO-Raumes: vgl. Dörschell/ Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 347 ff.

163

Zehnter Teil: Basiszins

692 Nach IDW S 1 2008 „empfiehlt es sich“, den Basiszinssatz aus „aktuellen Zinsstrukturkurven und zeitlich darüber hinausgehenden Prognosen abzuleiten“.821) Erstmal war die Methode im IDW S 1 2005 „zur Orientierung“ erwähnt worden.822) Man greift zurück auf die Datenbasis der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Zentralbank (vgl. § 247 Abs. 1 BGB). 693 Die Rechtsprechung hat die Zinsstrukturkurve auch rückwirkend angewendet, jedenfalls zur Plausibilisierung genutzt, auf Bewertungsstichtage, an denen die Berechnungsmethode sich noch nicht durchgesetzt hatte.823) Das OLG Stuttgart wählte die Zinsstrukturkurve schon für Stichtag Ende 1999 und 2002824); das LG Frankfurt wandte sie an für Stichtage zwischen 2002 und 2004.825) Auch das OLG Düsseldorf,826) OLG Frankfurt827) und das OLG Karlsruhe828) akzeptieren die Zinsstrukturkurve. Mit Hilfe neuerer Erkenntnisse werde im Wege der Sachaufklärung versucht, sich einem realistischen Basiszins zum Stichtag zu nähern.829) 694 Das Bundesverfassungsgericht schreibt keine bestimmte Berechnungsmethode vor, überlässt dies den Fachgerichten.830) II. Struktur 695 Die Zinsstrukturkurve geht aus von Nullkuponanleihen, wie sie auf dem Markt tagesgenau zu einem bestimmten Zeitpunkt für verschiedene Laufzeiten gelten. Nullkuponanleihen sind Anleihen mit einem hohen Disagio (Abschlag) statt jährlicher Zinszahlungen bis zur Rückzahlung des Nominalbetrages. Es gibt also nur eine Zinseinschätzung (Verhältnis zwischen Rückzahlungswert und aktuellem Kurs), damit lediglich eine Unbekannte.831) Sie folgt aus dem Kurs der Anleihe am Stichtag. ___________ 821) IDW S 1 2008 Tz. 117. 822) IDW S 1 2005 Tz. 127. 823) OLG Düsseldorf, 29.2.2012 – I-26 W 2/10 (AktE); OLG Düsseldorf, 21.12.2011 – I-26 W 2/11 (AktE); OLG München, 19.10.2006, AG 2007, 287; OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28; OLG Stuttgart, 26.10.2006, AG 2007, 128 = NZG 2007, 112; vgl. zur Abgrenzung bei der rückwirkenden Anwendung eines Bewertungsstandards: OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418; BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. 824) OLG Stuttgart, 17.7.2014, AG 2015, 580; OLG Stuttgart, 19.3.2008, AG 2008, 510 = ZIP 2008, 2020. 825) LG Frankfurt, 13.6.2006, NZG 2006, 868; LG Frankfurt, 21.3.2006 – 3-05 O 153/04; LG Frankfurt, 4.8.2010 – 3-5 O 73/04. 826) OLG Düsseldorf, 29.2.2012 – I-26 W 2/10 (AktE). 827) OLG Frankfurt, 29.3.2011 – 21 W 12/11. 828) OLG Karlsruhe, 16.7.2008, NZG 2008, 791. 829) OLG Düsseldorf, 29.2.2012 – I-26 W 2/10 (AktE). 830) BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = NZG 1999, 931. 831) LG Frankfurt, 4.8.2010 – 3-5 O 73/04.

164

C. Zinsstrukturkurve

Aufgrund der unterschiedlichen Laufzeiten der Nullkoupon-Anleihen ermög- 696 lichen sie einen Blick auf die vom Markt erwartete Zinsentwicklung. Wenn wir heute eine solche Anleihe mit einer Restlaufzeit bis zum 31.12.2025 kaufen, spiegelt der Preis der Anleihe – funktionierende Märkte vorausgesetzt – genau den Diskont wieder, den der Käufer dafür erwartet, dass die Rückzahlung der Anleihe nicht „heute“, sondern erst am 31.12.2025 erfolgt. Es handelt sich um den abgezinsten Wert einer Zahlung, die erst am 31.12.2025 erfolgt. Damit sind Nullkupon-Anleihen theoretisch ideal dafür geeignet, den vom 697 Markt erwarteten Wert eines Zahlungsstroms zu ermitteln, dessen Raten in 1, 2, 3, … Jahren fällig werden. Genau das ist auch die Fragestellung, die uns bei der Unternehmensbewertung begegnet: wir suchen den aktuellen Wert einer Zahlung, die erst in mehreren Jahren fällig wird. Der Rentenmarkt kennt nur wenige (quasi-)risikofreie Nullkuponanleihen: 698 Gut besetzt ist das Spektrum für Laufzeiten bis zu zehn Jahren; für längere Laufzeiten bis zu 30 Jahren liegen weniger Daten und ab 30 Jahren keine Daten mehr vor.832) Da jedoch für die Diskontierung des Zahlungsstroms Werte für jedes Jahr und auch für Laufzeiten von mehr als zehn Jahren benötigt werden, werden die Werte für Nullkuponanleihen aus vorhandenen Kuponanleihen zurückgerechnet833) und es werden die vorhandenen Werte extrapoliert; d.h. es werden Werte für die vorhandenen Lücken errechnet, die den tatsächlichen Werten – wenn es sie denn gäbe – möglichst nahe kommen. Die in der Fachliteratur diskutierte Frage, ob die „spot rates“ für Laufzeiten 699 jenseits der Grenze von 30 Jahren ebenfalls auf diese Weise extrapoliert werden können oder ob stattdessen der extrapolierte Wert für das 30. Jahr konstant angesetzt werden kann, überlassen wir den Fachleuten.834) Das Ergebnis ist die Zinsstrukturkurve. Sie ermittelt für jeden Zeitpunkt der 700 Zukunft einen marktangemessenen Zinssatz (sog. „spot rate“).

___________ 832) Fleischer/Hüttemann, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 6 Rn. 19 ff. 833) Jonas/Wieland-Blöse/Schiffahrt, Finanz-Betrieb 2005, 647. 834) Vgl. dazu Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 65 ff.

165

Zehnter Teil: Basiszins

Zinssatz

invers flach normal S-förmig

Laufzeit

Abb. 4: Zinsstrukturkurve835)

701 Der „normale“ Verlauf ist die häufigste Struktur. Anleger werden für längerfristige Anlagen i. d. R. höhere Zinsen verlangen als für kurzfristige. 702 Wählt man öffentliche Anleihen mit begrenzter Laufzeit, ist die Wiederanlage zu berücksichtigen, weil ja grundsätzlich eine unbegrenzte Lebensdauer des Unternehmens angenommen wird.836) III. Formel 703 Die von der Deutschen Bundesbank benutzte Formel für die Zinsstrukturkurve erscheint Juristen als kompliziert.837) Ursprünglich von anderen ent___________ 835) Hewicker/Cremers, Frankfurt School Working Paper Series Nr. 165, May 2011 S. 9. 836) OLG München, 19.10.2006, BeckRS 2006, 13715 = ZIP 2006, 1722; OLG München, 30.11.2006 – 31 Wx 059/06. 837) Die Formel ist wiedergegeben bei Obermaier, Finanz-Betrieb 2006, 472. Sie sieht so aus: z (Tß) = ß0 + ß1

(1  exp (  T /W1) (T /W1)

+ß2

(1  exp (  T /W1) (  T)  exp (T /W1) W1

+ß3

(1  exp (  T /W2) (  T)  exp (T /W2) W2

z (T, ȕ) bezeichnet den Zinssatz für Laufzeit T als Funktion des Parametervektors ȕ. ȕ0, ȕ1, ȕ2, ȕ3, IJ1 und IJ2 stehen für die zu schätzenden Parameter dieses Vektors.

166

C. Zinsstrukturkurve

wickelt, erweiterte Svensson sie um den Term ȕ3, um günstigere Schätzstatistiken zu liefern.838) Deshalb spricht man von der „Svensson-Methode“. Sie konvergiert zu einem sehr langfristigen Grenzwert als Zinssatz. Die Deutsche Bundesbank weist diese Zinssätze aus ohne Beachtung eines Ausfallrisikos.839) Das OLG Frankfurt840) sieht den aus der Zinsstrukturkurve ermittelten ZeroBond-Zinssatz für eine Restlaufzeit von dreißig Jahren als nachhaltigen Schätzer für Zinssätze längerer Laufzeiten an. Wir lassen die Einzelheiten der Formel auf sich beruhen und vertrauen auf 704 die Mathematiker der Deutschen Bundesbank. Sie veröffentlicht die Daten börsentäglich in ihrer Zeitreihen-Datenbank im Internet. IV. Verdichtung Es läge nahe, die Diskontierung der Zahlungsströme aus dem Unternehmen 705 mit den (unterschiedlichen) Zinssätzen vorzunehmen, die sich aus der Zinsstrukturkurve jeweils ergeben.841) Die Praxis beschreitet diesen Weg jedoch nicht, sondern verdichtet die unterschiedlichen „spot rates“ zu einem konstanten, einheitlichen Zinssatz, der zum gleichen Unternehmenswert führt wie bei der Verwendung periodenspezifischer Werte (sog. „barwertäquivalente Zinssatz“). Es handelt sich letztlich um eine Vereinfachung, mit der das gleiche Ergebnis erzielt werden soll, als wäre jeder einzelne Jahresüberschuss der künftigen – unendlichen – Zahlungsüberschüsse mit der für dieses Jahr geltenden „spot rate“ abgezinst worden (was mittels eines Tabellen-Kalkulationsprogramms mit hinreichender Genauigkeit ohne Weiteres dargestellt werden könnte). Allerdings enthält die Berechnung eine weitere Annahme: der barwertäquiva- 706 lente Zinssatz wird auf der Grundlage einer konstant wachsenden Zahlungsreihe errechnet. Dabei soll grundsätzlich jene Rate angesetzt werden, die im konkreten Bewertungsfall aufgrund thesaurierungs- und/oder inflationsbedingten Ertragswachstums angenommen wird.842) Indes legt das IDW seinen Berechnungen pauschal eine konstante Wachstumsrate von 1,0 % p.a. zugrunde. Da der Ergebniseffekt dieser Typisierung als sehr gering einzuschätzen ist, 707 stellt sie durchaus eine annehmbare Vereinfachung dar. Grob kann man davon ausgehen, dass eine Erhöhung (Verminderung) der Wachstumsrate um 0,5 % den Basiszins um 0,01 % erhöht oder vermindert. Weicht diese typisierte Wachstumsrate allerdings deutlich ab von den angenommenen nach___________ L. E. O. Svensson, IWF Working Paper 114, Sept. 1994. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Oktober 1997, S. 61, 64. OLG Frankfurt, 29.1.2016, ZIP 2016, 716. Baetge/Niemeyer/Kümmel/Schulz, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 379; Reese/Wiese, ZBB 2007, 38, 42. 842) Wiese/Gampenrieder, BB 2008, 1725.

838) 839) 840) 841)

167

Zehnter Teil: Basiszins

haltigen Wachstumsraten des konkreten Bewertungsfalls, so sind letztere für die Ermittlung des barwertäquivalenten Zinssatzes heranzuziehen.843) V. Glättung 708 Bei der Zinsstrukturkurve streitet man sich – wie bei der Berechnung des relevanten Börsenkurses – über Stichtagswert und Durchschnittswert.844) Angelehnt an den Dreimonatszeitraum bei Börsenwerten, stellt das IDW und die Rechtsprechung ab auf einen Zeitraum von drei vollen Monaten.845) Das LG Frankfurt präzisiert, dass es die letzten drei Monate vor dem Bewertungsstichtag sein müssen, weil „sich die generalisierende Annahme eines Basiszinssatzes für einen bestimmten Zeitraum verbietet“.846) 709 Als Grund für die Glättung wird die Beseitigung kurzfristiger Marktschwankungen und von Schätzfehlern genannt. Dies ist u. E. aber nicht zwingend erforderlich. Während die Durchschnittsbildung bei Aktienkursen der Manipulation bei geringer Handelsaktivität entgegenwirkt, ist der Basiszins unabhängig vom Bewertungsanlass; die Berechnungsmethode ist fest vorgegeben und die Berechnungsparameter werden manipulationsunanfällig von einer objektiven, öffentlichen Quelle zur Verfügung gestellt. Die Ermittlung des Basiszinses ist auch statistisch stabiler als ein Börsenkurs. Der Basiszins basiert selber auf Schätzungen der erwarteten Renditen künftiger Anlagezeiträume, sodass sich Fehlschätzungen bezüglich einzelner Zeiträume schon innerhalb der Zinsermittlung ausgleichen mögen. Insbesondere dann, wenn innerhalb des Dreimonatszeitraums eine eindeutige Tendenz des Basiszins in eine Richtung erkennbar ist, lässt sich die Durchschnittsbetrachtung u. E. nicht rechtfertigen;847) sie kommt gleich einer Verschiebung des Bewertungsstichtages.848) VI. Rundung 710 Der einheitliche Basiszinssatz soll nach Meinung des IDW auf 0,25 %-Punkte gerundet werden, z. B. von 4,14 % auf 4,25 %.849) Im Hinblick auf die Niedrigzinsphase soll bei einem Zinssatz von unter 1 % auf ein Zehntel gerundet werden.850) Das OLG Frankfurt851) sieht keinen Grund für eine Rundung, eine merkliche Rundung zulasten der Minderheitsaktionäre sei unzulässig. Das Gericht rundet auf zwei Nachkommastellen auf und begründet wie folgt: ___________ 843) Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005, 1016. 844) Obermaier, Finanz-Betrieb 2008, 474. 845) IDW, WP Handbuch 2014, Bd. 2, Rn. A 355; IDW-FN 2005, 556; OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 797 = NZG 2012, 1260; OLG Stuttgart, 14.9.2011, AG 2012, 221; OLG Frankfurt, 29.1.2016, ZIP 2016, 716. 846) LG Frankfurt, 13.6.2006, Der Konzern 2007, 56 = NZG 2006, 868. 847) Hachmeister/Ruthardt, ZfCM 2012, 184. 848) Gebhardt/Daske, WPg 2005, 649. 849) IDW, IDW-FN 2005, 555; offengelassen durch OLG Stuttgart, 3.4.2012 – 20 W 7/09. 850) Vgl. Popp, WPg 2016, 926. 851) OLG Frankfurt, 29.1.2016, ZIP 2016, 716.

168

D. Begrenzte Lebensdauer „Eine solche Aufrundung ist nicht geboten und entbehrt zugleich einer zwingenden Rechtfertigung. Allein der Umstand, dass der Fachausschusses für Unternehmensbewertung (FAUB) eine solche Rundung empfiehlt (vgl. WP Handb. 2008 Abschnitt A Rn 291; FN-IDW 2005, 555 ff.) und dies in der Literatur ohne nähere Begründung als sinnvolle Vereinfachung (vgl. Jonas et. al, FB 2005, 647, 653) bezeichnet wird, vermag die darin begründete Abweichung von dem ermittelten exakten Wert nicht zu begründen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Rechnung mit einem Zins von 3,75 % weniger aufwändig oder schwieriger nachvollziehbar wäre, als eine Rechnung mit einem auf zwei Stellen nach dem Komma zutreffend ausgewiesener Zins in Höhe von 3,66 %.“

Das OLG Frankfurt stellt klar, dass die IDW-Empfehlungen die Gerichte nicht 711 binden. Das Gericht verdeutlicht, dass dies eine vom Gericht zu überprüfende Rechtsfrage ist. Zutreffend weist das Gericht darauf hin, dass ein Rechenvorteil oder eine Vereinfachung nicht zu erkennen ist. Im Gegenteil – verfügbare exakte Daten werden nicht genutzt.852) D. Begrenzte Lebensdauer Bei Unternehmen mit zeitlich begrenzter Lebensdauer ist der für diese Frist 712 geltende Zinssatz zu wählen.853) Für die danach erforderliche Wiederanlage kann man die aktuelle Zinsstrukturkurve heranziehen.854) E. Gleichbehandlung Großanleger können oft höhere Zinsen erzielen als Kleinanleger. Setzte man 713 für Letztere aber höhere Zinsen an, so ermäßigte sich der Barwert der künftigen Überschüsse und damit der Wert ihrer Anteile. Die Antwort folgt aus dem Rechtsverhältnis, das die Bewertung regiert: Im 714 Aktienrecht schauen wir auf die einzelne Aktie (§§ 1 Abs. 2, 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 AktG); daher ist an den Gesellschafter mit der kleinsten Stückelung anzuknüpfen. Bei Personengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung gelangen wir zum selben Ergebnis, weil der gesellschaftsrechtliche Gleichheitssatz („Gleiche Brüder gleiche Kappen“) einen einheitlichen Zins verlangt. Der Basiszins erweist sich so als guter Kompromiss. F. Interner Zins Der Basiszinssatz zeigt die (quasi-)risikofreie Alternativanlage am Kapital- 715 markt. Er kann anders sein als der Zinssatz, den das Unternehmen selbst bei seinen Anlagen erzielt oder den es intern ansetzt (z. B. bei Pensionsrückstellungen oder bei Konzernbeziehungen).855) Der interne Zinssatz ist zwar wichtig für die Ermittlung der Überschüsse, nicht aber für die Kapitalisierung beim typisierten Unternehmenswert. ___________ 852) 853) 854) 855)

Wiese/Gampenrieder, BB 2008, 1725. IDW S 1 2008 Tz. 117. IDW S 1 2008 Tz. 117. OLG Celle, 31.7.1998, AG 1999, 128 = NZG 1998, 987.

169

Elfter Teil Risikolage „Was ist das Schwerste von Allem, Was Dir am leichtesten dünket? Mit den Augen zu sehen, Was vor den Augen Dir liegt.“856)

716

A. Risikoscheu Der Basiszins bezieht sich auf (quasi-)risikofreie festverzinsliche öffentliche 717 Anleihen. Er ist der feste Preis für die zeitweise Überlassung des Geldes in bestimmter Höhe „quasi“ ohne Verlustrisiko: Das Geld wird voll zurückgezahlt. Solche Papiere sind an Börsen leicht zu veräußern; sie sind oft, aber nicht immer liquide, wie wir etwa bei den „Subprime Mortgages“ gesehen haben. Bei der Anlage in einem Unternehmen ist das im Allgemeinen anders. Über- 718 schüsse schwanken dort; immer bleibt es eine risikobehaftete, volatile Anlage; das angelegte Geld kann leichter ganz verloren gehen.857) Die Liquidität mag geringer sein. Das OLG Frankfurt erläutert:858) „Vielmehr sind Industrieanleihen regelmäßig unsicherer und damit auch höher verzinslich als Bundesanleihen. Mithin muss nicht gewährleistet sein, dass sich der entzogene Kapitalbetrag in gleicher Höhe verzinsen muss, wenn er in eine Bundesanleihe reinvestiert wird, wie wenn der Minderheitsaktionär die Aktien behalten darf und weiterhin den festen Ausgleichsbetrag erhält. Vielmehr ist es durchaus gerechtfertigt, dass die Verzinsung im Fall der Reinvestition in eine Bundesanleihe reinvestiert wird.“

Zudem gewichten Anleger Risiken stärker als Chancen. Das zeigt jede Versi- 719 cherung: Man versichert sich gegen Verluste, nicht gegen entgehende Chancen. Ein Anleger will im Allgemeinen lieber einen (quasi-)sicheren Zins von 10 % als einen Zins, der zwischen 0 % und 20 % schwankt. Wir sprechen von Risikoscheu, von Risikoaversion.859) Die Risikoscheu kann in unsicheren Zeiten steigen.860) Daher erwarten Anleger in Unternehmen eine höhere Renditechance („Zitterprämie“)861), sie sind nicht risikoneutral.

___________ 856) Johann Wolfgang von Goethe, 1749 – 1832. 857) BGH, 13.2.2006, AG 2006, 331 = NZG 2006, 347; OLG Stuttgart, 16.2.2007 AG 2007, 209 = NZG 2007, 302. 858) OLG Frankfurt, 30.3.2010, NZG 2010, 664. 859) IDW S 1 2008 Tz. 88. 860) Vgl. zur Risikoaversion und Finanzkrise OLG Frankfurt, 5.2.2016, ZIP 2016, 918 = DStR 2016, 978. 861) OLG Stuttgart, 26.10.2006, AG 2007, 128 = NZG 2007, 112.

171

Elfter Teil: Risikolage

B. Unterschiedliche Risiken 720 Wir unterscheiden das besondere (spezielle) Risiko und das allgemeine (generelle) Risiko.862) 721 Das spezielle Unternehmensrisiko berücksichtigt das auf ein Unternehmen bezogene Risiko. Die österreichischen Leitlinien formulierten: „Hierzu zählen etwa die Konkurrenzsituation, die Managementqualifikation, besondere Einkaufs- und Absatzverträge, Stand der Produktinnovation, Art der Unternehmensorganisation, Finanzierungs- und Kapitalstrukturverhältnisse, die Flexibilität des Unternehmens, das heißt die Fähigkeit, sich ändernden Umwelteinflüssen mehr oder weniger rasch anzupassen, das Alter und die Eignung von Vermögensausstattung des Unternehmens, der Umfang und die Qualität der Forschung und Entwicklungstätigkeit, Qualifikation der Mitarbeiter, die Wettbewerbssituation, der das Unternehmen ausgesetzt ist.“863)

722 Das allgemeine Risiko erfasst hingegen die Gefahr von Konjunkturschwankungen, nicht vorhersehbaren Umwelteinflüssen, Politik, Umwelt und Problemen, die sich aus der Branche des Unternehmens ergeben.864) Im Vordergrund steht das Risiko eines Totalverlustes (Insolvenzrisiko, Immobilitätsrisiko).865) Das allgemeine Risiko ist das unternehmerische Risiko „an sich“. 723 Hinter dieser Abgrenzung steckt das Gefühl, dass trotz sorgfältigster und vorausschauender Planung die künftige Entwicklung doch anders (negativer) verlaufen könnte, als wir uns das vorgestellt haben. Es ist deswegen auch nachvollziehbar, dass das Risiko nicht durch einen Abschlag auf die erwarteten finanziellen Überschüsse („Ergebnisabschlagsmethode“), sondern durch einen Zuschlag zum Kapitalisierungszins („Zinszuschlagmethode“) berücksichtigt wird.866) 724 Das LG Frankfurt formuliert so:867) „Der Zuschlag auf den Basiszins soll nur außergewöhnliche Risiken wie allgemeines Unternehmensrisiko, Störungen durch höhere Gewalt, Substanzverluste durch Betriebsstilllegungen oder Umstrukturierungen, Insolvenzen wichtiger Abnehmer und das eigene Insolvenzrisiko abdecken.“

C. Doppelerfassung 725 Zwischen allgemeinem und besonderem Unternehmensrisiko zu unterscheiden, ist schwierig. Äußere Einflüsse wirken sich auf die individuelle Situation ___________ 862) Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, S. 125 ff. 863) Kammer der österreichischen Wirtschaftstreuhänder (2005): Entwurf des Fachgutachtens Unternehmensbewertung, zitiert nach Seicht, in: FS Dieter Rückle, S. 97, S. 99. 864) Vgl. Kammer der österreichischen Wirtschaftstreuhänder (1989): Unternehmensbewertung (KFS/BW 1), 20.12.1989, Fachgutachten Nr. 74, Abschn. 7.2.2. 865) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 373 ff; Seicht, FS Dieter Rückle, S. 97, 125; LG Frankfurt, 29.3.2006, AG 2007, 41. 866) IDW S 1 2008 Tz. 89 f. 867) LG Frankfurt, 29.3.2006, AG 2007, 41.

172

C. Doppelerfassung

eines Unternehmens aus. Die frühere Unterscheidung wurde daher weitgehend aufgegeben.868) So differenzieren etwa auch die österreichischen Leitlinien nicht mehr:869) „Jede Investition in ein Unternehmen ist mit dem Risiko verbunden, dass künftige finanzielle Überschüsse nicht im erwarteten Umfang anfallen, d. h. sie können sowohl niedriger als auch höher ausfallen als erwartet.“

Eine Entscheidung des OLG Celle beleuchtet das Problem. Es heißt dort:870)

726

„Ferner soll ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass ein Unternehmen durch außergewöhnliche Ereignisse betroffen werden kann, die der Sachverständige in seine Ertragsprognose nicht einbezogen hat und die sich einer Berücksichtigung regelmäßig entzieht (Betriebsstörungen durch höhere Gewalt, Substanzverluste aus Betriebsstillegungen, Aufwendungen für Umstrukturierungsmaßnahmen, Insolvenzen wichtiger Abnehmer, Belegschaftsveränderungen und ähnliches).“

Und weiter:

727

„Gegen die Berücksichtigung eines solchen Risikozuschlages spricht aber, dass die besonderen Chancen und Risiken des Unternehmens bereits bei der Ermittlung des nachhaltigen Unternehmensertrages berücksichtigt sind und somit ein Zuschlag hierfür von vornherein ausscheidet. Berücksichtigt werden könnte daher allenfalls das generelle Unternehmerrisiko, welches die Kapitalanlage in einem Unternehmen von einer „quasi-sicheren” Kapitalanlage in fest verzinslichen Wertpapieren unterscheidet.“

Das OLG Celle meinte, dass die besonderen Chancen und Risiken schon bei 728 den zukünftigen Überschüssen beachtet seien; das allgemeine Unternehmensrisiko sei „in exakten Zahlen nicht fassbar“. Das Gericht vermischt hier jedoch Elemente des besonderen Risikos (Betriebsstilllegungen, Umstrukturierung) mit solchen des allgemeinen Risikos (höhere Gewalt, Insolvenzen wichtiger Abnehmer) und möchte beides der Unternehmensplanung zuordnen. Deutlich wird das Problem auch in einer Entscheidung des OLG Düsseldorf:871) 729 „Der Risikozuschlag soll aber dem Umstand Rechnung tragen, dass eine Kapitalanlage in einem Unternehmen regelmäßig mit höheren Risiken verbunden ist als eine Anlage in öffentlichen Anleihen. Hierher gehören nicht nur solche Umstände, die bei der Ertragsprognose grundsätzlich berücksichtigt werden können, sondern auch außergewöhnliche Umstände wie Betriebsstörungen durch höhere Gewalt, Substanzverluste durch Betriebsstilllegungen, Aufwendungen für Umstrukturierungsmaßnahmen, Insolvenzen wichtiger Abnehmer, Belegschaftsveränderungen und Ähnliches sowie das stets vorhandene Konkursrisiko.“

___________ 868) Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 90. 869) Kammer der österreichischen Wirtschaftstreuhänder (2014): Unternehmensbewertung (KFS/BW 1), 26.3.2014, Rn. 99. 870) OLG Celle, 31.7.1998, AG 1999, 128 = NZG 1998, 987. 871) OLG Düsseldorf, 19.10.1999, NZG 2000, 693; ähnlich LG Frankfurt, 2.5.2006, AG 2007, 42.

173

Elfter Teil: Risikolage

730 In der Tat könnte es die „mittleren Erwartungen“872) beeinflusst haben; sie lassen sich ohne Beachtung von Risiken nicht schätzen: „Da der Manager auch bei jeder Entscheidung intuitiv das Risiko berücksichtigt, wird es immer zweimal bewertet.“873)

731 Die Gefahr der doppelten Berücksichtigung von Risiken – ebenso wie von Chancen – ist daher durchaus praktisch. Es gilt, die „Risikoniveaus“ der Unternehmensplanung und der Kapitalisierung (Risikozuschlag) in Einklang zu bringen. Eine Doppelerfassung läge vor, wenn einerseits die Unternehmensplanung besonders pessimistisch („worst case“) andererseits der Risikozuschlag besonders hoch ausfiele. 732 Ist das allgemeine Unternehmensrisiko schon bei den Überschüssen berücksichtigt, darf es nicht erneut im Kapitalisierungszinssatz erscheinen.874) Denn dann würde es zweimal wertmindernd erfasst.875) Darauf ist zu achten bei dem gewichteten Durchschnitt verschiedener Verläufe und bei der Nutzung von Marktrisikoprämien.876) 733 Im Übrigen hängt die Höhe des Risikozuschlags davon ab, welche besonderen Risiken wir bei der Schätzung der Überschüsse einbezogen haben; der Risikozuschlag ist dann entsprechend höher oder niedriger.877) Bei einer Begutachtung ist das miteinander abzustimmen. 734 Das IDW formuliert das so:878) „Wegen der Problematik einer eindeutigen Abgrenzung sollte nicht zwischen unternehmensspeziellen und allgemeinen Risiken unterschieden und das gesamte Unternehmerrisiko ausschließlich im Kapitalisierungszins berücksichtigt werden. Im Zähler der Bewertungsformeln sind dann die Erwartungswerte anzusetzen. Planungen des Unternehmens sind entsprechend zu korrigieren, wenn sie andere Werte widerspiegeln.“

735 Die Stellungnahme wird indes relativiert:879) „Am Markt beobachtete Risikoprämien sind hierfür geeignete Ausgangsgrößen, die an die Besonderheiten des Bewertungsfalls anzupassen sind. Eine bloße Übernahme beobachteter Risikoprämien scheidet grundsätzlich aus, weil sich das zu bewertende Unternehmen in aller Regel hinsichtlich seiner – durch externe und interne Einflüsse (z. B. Standort-, Umwelt- und Brancheneinflüsse, Kapitalstruktur, Kundenabhängigkeit, Produktprogramm) geprägten – spezifischen Risikostruktur von den Unternehmen unterscheidet, für die Risikoprämien am Markt

___________ 872) OLG Düsseldorf, 22.1.1999, AG 1999, 321. 873) Knoll, ZSteu 2006, 468, 469. 874) BayObLG, 19.10.1995, AG 1996, 127; OLG Celle, 31.7.1998, NZG 1998, 987; OLG München, 19.10.2006, AG 2007, 287; OLG München, 26.10.2006, ZIP 2007, 375. 875) OLG Celle, 31.7.1998, NZG 1998, 987. 876) Zu Einzelheiten siehe OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = WM 2010, 654. 877) OLG Düsseldorf, 22.1.1999, AG 1999, 321 = DB 1999, 681; KG Berlin, 19.5.2011, BeckRS 2011, 16443. 878) IDW S 1 2008 Tz. 90. 879) IDW S 1 2008 Tz. 91.

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D. Stellungnahme beobachtet worden sind. Darüber hinaus müssen für die Vergangenheit beobachtete Risikoprämien angepasst werden, wenn für die Zukunft andere Einflüsse erwartet werden. Dabei hat der unternehmensspezifische Risikozuschlag sowohl das operative Risiko aus der Art der betrieblichen Tätigkeit als auch das vom Verschuldungsgrad beeinflusste Kapitalstrukturrisiko abzudecken.“

D. Stellungnahme Die Erfassung des allgemeinen Risikos war anfangs umstritten. Der Schöpfer 736 des AG-Konzernrechts Ernst Geßler, hatte erklärt: „Wer das Ausscheiden von Gesellschaftern erzwingen oder sich eine Rechtsposition verschaffen will, die nach Auffassung des Gesetzgebers Gesellschafter zum Ausscheiden berechtigt, kann nicht sein künftiges Unternehmensrisiko zum Teil auf die Abfindung des Ausscheidenden abwälzen und diese darum kürzen. Das bis zu seinem Eintritt fragliche Unternehmensrisiko kann nicht vorweg als sicher dem Ausscheidenden angelastet werden, ihm verbleiben auch nicht dessen Chancen.“880)

Diese Auffassung vermischt wiederum Aspekte des allgemeinen und des be- 737 sonderen Risikos. Der Verkäufer eines Unternehmens wie auch der Erwerber (Investor) muss das allgemeine Risiko – nämlich „dass es auch anders kommen könnte“ – tragen. Dies wird dazu führen, dass der aus dem Unternehmen generierte Zahlungsstrom, der den Wert des Unternehmens ausmacht, als grundsätzlich unsicher angesehen wird. Der Investor wird hierfür einen Risikozuschlag verlangen und der Veräußerer wird ihn hinnehmen müssen. Bei der Beteiligung an einem Unternehmen stehen nicht begrenzte Chancen 738 den Risiken eines Totalverlustes gegenüber. Doch ist zweifelhaft, ob sie sich ausgleichen: Die Chancen sind über das Steuerrecht und das Arbeitsrecht stärker sozialisiert als die Risiken – jedenfalls wird das so empfunden. Das gilt auch für Großunternehmen, die im Zeichen globaler Märkte stärker exponiert sind. Der Preis für die Überlassung des Geldes aber richtet sich nach dem Unternehmenswagnis, das zunehmend global „vernetzt“ ist.881) Folgerichtig wird der Risikozuschlag, der das allgemeine Unternehmensri- 739 siko abbildet, heute aus Kapitalmarktdaten abgeleitet. Der Gedanke ist, dass ein Investor für die Investition in ein Unternehmen wegen des Risikos eine höhere Rendite verlangen wird als für eine Investition in eine „quasi“-sichere Anleihe. Wir gehen also aus von dem allgemeinen Unternehmerrisiko. Auch wenn wir die Sicht später auf das Unternehmen selbst – durch Ermittlung des Beta-Faktors verengen – ändert dies nichts. Der Betafaktor verdeutlicht lediglich, ob das allgemeine Risiko des Unternehmens höher oder niedriger als das des Gesamtmarktes eingeschätzt wird. Wir werden hierauf im Einzelnen noch zurückkommen.882) ___________ 880) GEBERA-Schriften, Bd. 1, 1977, S. 121, 134 f.; vgl. LG Berlin, AG 1983, 137. 881) Rosario E. Heppe/Hansjörg Heppe, in: Liber Amicorum Roberto MacLean, London 2002, S. 169. 882) Siehe Rn. 780, 873.

175

Elfter Teil: Risikolage

740 Ein Weiteres kommt hinzu: Der Gutachter bezieht bei der Schätzung der Überschüsse besondere Risiken ein; das zeigt sich z. B. bei dem Ansatz der geschätzten Ergebnisse für die ewige Rente. Er kann und soll das beim Risikozuschlag „ausbalancieren“. Das unterbleibt jedoch beim Ansatz der Marktrisikoprämie. Zwei Messtechniken (die des Gutachters und die der Börse) sind zu koordinieren. E. Einzelheiten 741 Fassen wir die Einzelheiten noch einmal zusammen. I. Zinsmacht 742 Die Kraft der Zinsen zeigt sich erneut im Risikozuschlag: Er mindert den Barwert u. U. erheblich. Nach der früheren Zuschlagsmethode waren geringe Risikozuschläge üblich, häufig 0,5 % – 2 %.883) Seither haben sich die Risikozuschläge spürbar erhöht und führen zu geringeren Unternehmenswerten, insbesondere seit der Nutzung des IDW S 1 2005.884) 743 Zinsen wir einen Überschuss von 120.000 € im dritten Jahr mit 8 % ab, so ist der Barwert 95.261 €, bei 12 % ist er 85.415 €. Ähnlich ist es bei der „ewigen Rente“. Bei einem Überschuss von 120.000 € und 8 % kommen wir zu 1.500.000 € und bei 12 % zu 1.000.000 €. Zinst man diese Ergebnisse wiederum auf den Bewertungsstichtag ab, so erhalten wir 81.632 € bzw. 68.182 €. Deshalb ist ein Risikozuschlag bei denen beliebt, die eine Abfindung zahlen müssen. II. Unsicherheit 744 Der Risikozuschlag ist ein Gestaltungsinstrument erster Ordnung.885) Seine Höhe ist nicht exakt in Zahlen zu ermitteln, lässt sich nicht pauschal angeben.886) Vorgänge am Markt sind Anhaltspunkte, die sich nicht mechanisch übernehmen lassen. Die Vergleichbarkeit mit der Alternativanlage ist häufig Glaubenssache, lässt sich „wissenschaftlich“ „typisierend“ nicht ganz klären.887) Die Einflüsse aus Standort, Umwelt und Branche sind oft anders: Produkt, Kundenbeziehungen (Abhängigkeit von Großkunden) und Kapitalausstattung unterscheiden sich. Das gilt namentlich bei Vergleichen mit dem Ausland; die Annahme leichter Vergleichbarkeit deutet auf fehlende Auslandserfahrung. Hierbei müssen wir etwa bei der Auswahl der „peer group“ achten. ___________ 883) 884) 885) 886)

Vgl. die Nachw. bei LG Dortmund, 1.4.2004, NZG 2004, 723. Vgl. OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28; dazu Knoll, ZSteu 2006, 468. Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, S. 179. 887) Vgl. IDW Standard S 1 2008 Tz. 91.

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E. Einzelheiten

Risikozuschläge aus der Vergangenheit sind mit Vorsicht zu nehmen, weil 745 das zukünftige Risiko zählt. Zuschläge bei anderen „Vorgängen“ am Markt können wir nicht einfach übernehmen; wir müssen darauf achten, ob sich das zu bewertende Unternehmen durch innere und äußere Umstände unterscheidet.888) III. Außergewöhnliche Risiken Nach dem traditionellen Verständnis sollte der Zuschlag für das allgemeine 746 Unternehmensrisiko889) nur außergewöhnliche Risiken abdecken890); denn die „normalen“ Risiken seien ja schon beachtet bei den künftigen Überschüssen.891) Außergewöhnlich sind z. B. Störungen durch höhere Gewalt, Substanzverluste durch Betriebsstilllegungen oder Umstrukturierungen, Insolvenzen wichtiger Abnehmer892) und das Insolvenzrisiko.893) Hinzu tritt das allgemeine Schätzungsrisiko. Der Risikozuschlag entfällt, wenn schon bei den Überschüssen ein entspre- 747 chender Abschlag gemacht wurde, sonst erschiene das Risiko zweimal wertmindernd.894) Wenn man das gesamte Risiko in einem Zuschlag erfassen will, soll er sowohl das operative Risiko abdecken als auch das Kapitalstrukturrisiko.895) Das ist auch beim CAPM zu beachten. Erfasst der Zuschlag das gesamte Risiko, so ist sorgfältig zur Prognose der Überschüsse abzugrenzen. Der Zuschlag ist zukunftsorientiert. Am Markt beobachtete Risikoprämien 748 geben Anhaltspunkte, sind aber nicht einfach zu übernehmen. Zu beachten sind das unternehmensspezifische Risiko aus der besonderen betrieblichen Tätigkeit, der Grad und die Qualität der Corporate Governance.896) Eine schwache Corporate Governance erhöht den Risikozuschlag. IV. Politische Risiken Politische Risiken blenden wir bisher aus, weil wir die Verhältnisse in 749 Deutschland als „(quasi-)stabil“ ansehen. Im „Euroland“ (Griechenland) und vor allem darüber hinaus mag das anders sein. Hier begegnen wir Länderrisiken, namentlich bei der Bewertung ausländischer Unternehmen. ___________ 888) 889) 890) 891) 892) 893) 894)

IDW S 1 2008 Tz. 91. OLG Celle, 31.7.1998, AG 1999, 128 = NZG 1998, 987. BayObLG, 19.10.1995, AG 1996, 127. OLG Köln, 26.3.99, OLGR Köln 1999, 281 = NZG 1999, 1222. IDW S 1 2008 Tz. 91. OLG Köln, 26.3.99, OLGR Köln 1999, 281 = NZG 1999, 1222. BayObLG, 19.10.1995, AG 1996, 127; OLG Celle, 31.7.1998, AG 1999, 128 = NZG 1998, 987; OLG München, 19.10.2006, AG 2007, 287; OLG München, 26.10.2006, ZIP 2007, 375; OLG Düsseldorf, 22.1.1999, AG 1999, 321. 895) IDW S 1 2008 Tz. 91. 896) IDW S 1 2008 Tz. 91.

177

Elfter Teil: Risikolage

V. Kapitalstruktur 750 Wichtig für den Risikozuschlag sind die Kapitalstruktur und die Liquidität.897) Beim Vergleich mit dem Anleihemarkt ist die Sicht eines Gläubigers maßgeblich, der sicher sein möchte, sein Geld zurückzuerhalten. Deshalb ermitteln wir die Eigenkapitalquote; u. U. ist bei einzelnen Posten auf Markt-, nicht auf Buchwerte, abzustellen. Da bleibt nur eine Schätzung der einzelnen Vermögenswerte und Schulden, weil der gesamte Wert des Eigenkapitals durch die Unternehmensbewertung erst noch zu ermitteln ist (Gefahr eines Zirkelschlusses). Der Risikozuschlag ist anzupassen, wenn sich die Kapitalstruktur voraussichtlich ändern wird. 751 Entsprechendes gilt, wenn der Risikozuschlag von der Aktienbörse898) abgeleitet wird. Dann soll die Kapitalstruktur mittels eines Marktmodells zu erfassen sein, z. B. eines Arbitragemodells, das auf dem Modigliani-MillerTheorem basiert.899) Das ist jedoch nicht zwingend; eine stattdessen gewählte Methode ist zu erläutern und zu begründen.900) VI. Bestehen eines Unternehmensvertrags 752 Auch wenn zu dem Unternehmen als abhängiger Gesellschaft ein Unternehmensvertrag besteht, ist ein Risikozuschlag anzusetzen. Der Unternehmensvertrag ändert nicht den Charakter der Aktie als Risikopapier; es verspricht keine feste Verzinsung des Kapitals.901) Außerdem kann der Unternehmensvertrag gekündigt werden, Verhältnisse können sich ändern.902) VII. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen 753 Zu beachten ist auch das nicht betriebsnotwendige Vermögen. Wenn dem Anteilseigner über die fiktive Veräußerung dieses Vermögens mehr zugerechnet wird, muss er auch die fiktive Erhöhung des Risikos tragen.903) VIII. Risiken und Chancen 754 Der Risikozuschlag darf nicht genutzt werden, um Risiken einseitig dem Ausscheidenden aufzulasten. Zu denken ist auch an die Chance, dass sich die Lage verbessert; das gilt selbst angesichts der „Risikoscheu“. ___________ 897) IDW S 1 2008 Tz. 100; vgl. auch Rieg, Rechnungswesen und Controlling 2016, 130. 898) IDW S 1 2008 Tz. 92. 899) Dazu siehe IDW S 1 2008 Tz. 100; kritisch hierzu Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 699. 900) IDW S 1 2008 Tz. 100. 901) BGH, 13.2.2006, BGHZ 166, 195 = NZG 2006, 347; OLG München, 2.4.2008, OLGR München 2008, 446. 902) So nunmehr ausdrücklich BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016. 903) Forster, in: FS Claussen, S. 91, 100.

178

Zwölfter Teil Risikozuschlag: Traditionelle Ermittlung „Nah beieinander wohnen die Gedanken, Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.“904)

755

Bis zum IDW S 1 2000905) galt eine typisierende Einschätzung des Risikozu- 756 schlags durch das Gericht. Diese gelegentlich „pauschal“ genannte Methode steht heute nicht mehr im Vordergrund und wird kaum noch genutzt; sie ist aber nach wie vor nicht ausgeschlossen.906) Bei ihr verbinden sich Innen- und Außensicht. Das erlaubt die Beachtung aller Unternehmensdaten mit Blick auf eine hohe, normale oder niedrige Risikostruktur. Der Ermessenscharakter der richterlichen Entscheidung bleibt deutlich und damit diskutierbar – er verblasst nicht hinter „Mathematik“. Michael Hommel begründet die Methode so: „Der Unternehmensbewertung droht derzeit eine Vertechnisierung. Die von der Literatur vorgeschlagenen ‚richtigen’ Bewertungsformeln werden theoretisch immer exakter und (formal) genauer. Sie basieren jedoch auf so zahlreichen offenen und verdeckten Modellannahmen, dass ihre Verwendung im Einzelfall keineswegs zu einem ‚besseren’ Unternehmenswert führen muss. Allzu oft widersetzt sich die Realität hartnäckig den ausgefeilten Annahmen, die den Denkmodellen zugrunde liegen.“907)

Die traditionelle Methode wollen wir daher zuerst behandeln und uns danach 757 den neueren Sichten zuwenden. A. Fremdkapitalzinsen I. Risikoanpassung Hier bestimmt man den Kapitalisierungszinssatz durch risikoangepasste Zu- 758 schläge auf den Zinssatz festverzinslicher Wertpapiere.908) Man verfolgt also weiter den Weg über den Anleihevergleich, wie man ihn mit dem Basiszinssatz beschritten hat. Das BayObLG sagt dazu:909) „Die Bewertung dieses Risikos ist in exakten Zahlen praktisch nicht fassbar. Der Senat hält es für die zuverlässigste Methode, als Anhaltspunkt den Vergleich zwischen Basiszinssatz und der banküblichen Verzinsung von Großkrediten zu nehmen und davon ausgehend die Risiken nach oben oder unten auf den Einzelfall abzustimmen.“

___________ 904) Friedrich von Schiller, Wallenstein. 905) IDW S 1 2000 Tz. 94 – 98. 906) Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 92: „Kann insbesondere… vorgenommen werden“; vgl. zur Methode Seicht, in: FS Dieter Rückle, S. 97; Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 829. 907) Hommel, Anmerkung, BB 2008, 1056. 908) Reuter/Lenz, DB 2006, 1689. 909) BayObLG, 19.10.1995, AG 1996, 127.

179

Zwölfter Teil: Risikozuschlag: Traditionelle Ermittlung

759 Das IDW erläuterte die Methode ursprünglich so: „Zur Bemessung des Kapitalisierungszinssatzes wird nach den Umständen des Einzelfalls von einer bestimmten Renditeerwartung ausgegangen oder eine bestimmte oder die günstigste der den jeweils Beteiligten erreichbaren Alternativinvestitionen abgeschätzt. Sofern typisierenderweise eine langfristige Anlage am Kapitalmarkt unterstellt wird, muss das generelle Unternehmerwagnis, welches mit der Kapitalanlage in einer unternehmerischen Beteiligung untrennbar verbunden ist, zum Zwecke der Vergleichbarkeit mit dem risikoärmeren erwarteten Kapitalmarktzins in den Kapitalisierungszinssatz einbezogen werden. Auf diese Weise wird der Zinssatz langfristiger risikoärmerer Kapitalanlagen zum Zinssatz der Investition in Unternehmen modifiziert. Zur Abschätzung des generellen Unternehmerwagnisses kann die bankübliche Verzinsung von Großkrediten an Unternehmen Anhaltspunkte bieten, wobei zu beachten ist, dass die Beteiligung am haftenden Kapital gegenüber der Gläubigerposition noch weitere Unterschiede aufweist und jeder Zinssatz in Bezug auf die jeweilige Anlage zu sehen ist. Die Modifizierung des erwarteten Kapitalisierungszinssatzes unter Einbeziehung der generellen Unternehmerrisiken berücksichtigt die meist vergleichsweise höheren Unternehmerwagnisse. Chancen und Risiken können zwar im Einzelfall in gewisser Weise zu einem Ausgleich kommen, dennoch bietet die Anlage in ein Unternehmen generell weniger Sicherheit und Fungibilität als dies für die Anlage in einem festverzinslichen Wertpapier zutrifft.“910)

II. Ermittlung 760 Der Risikozuschlag wird nicht „pauschal“ gegriffen.911) Vielfach vergleicht man den Basiszins (für quasi-sicheres Fremdkapital) mit dem höheren Zinssatz (Basiszinssatz plus „credit spread“) von Bankkrediten an Unternehmen (für ausfallbedrohtes Fremdkapital).912) Einen ersten Hinweis erhält man durch die Höhe der Zinsen, die das Unternehmen bei eigenen Anleihen zahlen muss. Eine schematische Übernahme scheidet indes aus: Der „credit spread“ erfasst nicht nur das Risiko, sondern auch Kosten der Kreditvergabe und Kreditbeobachtung.913) Der Gläubiger bekommt einen festen Zins und hat in der Insolvenz eine bessere Chance; er nimmt aber nicht teil an steigenden Überschüssen. Der Aktionär erhält eine variable Rendite und steht in der Insolvenz hinter den Gläubigern; er ist besser geschützt gegen Inflation. B. Verlässlichkeit 761 Der Zinssatz für Bankkredite zielt auf das ganze Unternehmen, nicht auf den einzelnen Anteil. Das entspricht dem Grundansatz der Unternehmensbewer___________ 910) 911) 912) 913)

180

IDW – HFA, WPg 1983, Abschn. B 3, S. 472. So aber OLG Stuttgart, 16.2.2007, AG 2007, 209 = NZG 2007, 302. Vgl. IDW – HFA, WPg 1983, 472. Knoll/Vorndran/Zimmermann, Finanz-Betrieb 2006, 380.

C. Risikoanteil

tung, für die vom ganzen Unternehmen auszugehen ist.914) Der Zinssatz beruht oft auf einer Kenntnis des jeweiligen Unternehmens, die einer Innensicht nahekommt; er spiegelt das Urteil von Profis wider, die auf das Unternehmen einwirken können (z. B. über Aufsichtsrat oder Beirat). Deren Urteile sind oft denen des Kapitalmarktes überlegen.915) Das ist statistisch relevant. Ein Teil des Risikos besteht für den Gläubiger darin, dass er sich auf die Geschäftsleitung verlassen, also „agency costs“ tragen muss. Insoweit ist sein Risiko höher als das des Mehrheitsgesellschafters, der zuerst auf sich selbst vertrauen kann. C. Risikoanteil Für das Ausfallrisiko eines Gläubigers werden zwischen 10 % bis mehr als 762 50 % des Zinssatzes angesetzt.916) Das BayObLG fand 8,6 % als Durchschnittsatz für Großkredite und einen Basiszinssatz von 7,4 %. Das Gericht setzte die Differenz von 1,2 % nur zur Hälfte als Risikozuschlag an, weil das Unternehmerrisiko gering sei.917) Das LG München wies darauf hin, dass Banken ihr Risiko durch Sicherheiten begrenzten; sie hätten zudem einen zeitnäheren Einblick in das Unternehmen. Es hielt daher einen Zuschlag von 3 % für angemessen.918) „Sicherheiten“ an Grundstücken eines Unternehmens verlieren aber oft rasch ihren Charakter, wenn das Unternehmen nicht fortgeführt wird; es kann eine Industriebrache entstehen. Es bleibt indes dabei, dass die Begutachtung im Spruchverfahren einen „zeitnäheren Einblick“ vermittelt. Unter der allgemeinen Geltung von Basel III ist ein Vergleich mit Bankkrediten 763 wohl unentbehrlich, weil die Zinshöhe auf Risikoeinstufungen beruht. Hinweise geben die vom Unternehmen gezahlten Zinsen i. V. m. den geleisteten Sicherheiten. Sie verraten eine zeit- und ortsnahe Einschätzung. D. Anleihevergleich Zu denken ist an einen Vergleich der Zinsen von (quasi-sicheren) öffent- 764 lichen Anleihen mit den Zinsen bei Unternehmensanleihen (risikoangepasster Zinssatz). Dazu benutzt man Zusammenstellungen von „credit spreads“. Sie zeigen die Zinsdifferenz, die Unternehmen Kapitalgebern zahlen im Vergleich zu (quasi-)sicheren Staatsanleihen.919) In Deutschland lag der Marktzins für Unternehmensanleihen mit guter Bonität (Investment-Grade) 2003 im Durchschnitt 2 % über der zehnjährigen Bundesanleihe, Mitte Juni 2007 ___________ 914) 915) 916) 917) 918) 919)

Siehe Rn. 352. Vgl. Jonas, WPg 2007, 840. Knoll/Vorndran/Zimmermann, Finanz-Betrieb 2006, 382. BayObLG, 19.10.1995, AG 1996, 127. LG München, 3.12.1998, DB 1999, 684. Menz, Finanz-Betrieb 2006, 375.

181

Zwölfter Teil: Risikozuschlag: Traditionelle Ermittlung

betrug der Abstand 0,4 %.920) Er stieg wieder nach dem „Subprime Mortgages“-Fiasko bis Mitte 2008 auf ca. 1,8 %.921) E. Verhältnis zum Basiszins 765 Die Höhe des Risikozuschlags richtet sich auch nach dem Verhältnis zum Basiszins.922) Ist der Basiszins z. B. 5 %, so erhöht ihn ein Zuschlag von 3 % auf 8 % um ca. 67 %. Ist der Basiszinssatz 6 % und fügt man 3 % hinzu, steigt der Zins auf 9 %, also um 50 %. Eine eindeutige Relation gibt es nicht. Der Bundesfinanzhof ging von 50 % – 60 % aus.923) Gelegentlich wird eine Relation 70/30 als plausibel dargestellt;924) sie könnte stehen hinter dem Ansatz von 2 % durch das Bayerische Oberste Landesgericht.925) 766 Bei anderen Basiszinssätzen senkt der gleiche Zuschlag den Barwert der Überschüsse unterschiedlich stark. Erhöht man also den Basiszinssatz, so sinkt grundsätzlich der Risikozuschlag; vermindert man den Basiszinssatz, so steigt grundsätzlich der Risikozuschlag.926) Wenn man Risikozuschläge vergleicht, ist daher darauf zu achten, auf welchen Basiszins sie sich beziehen. F. Verhältnis zum Überschuss 767 Die Höhe des Zuschlags hängt zusammen mit dem Ansatz der Überschüsse.927) So sagte das LG München:928) „Der Sachverständige hat das ab 1993 als nachhaltig angenommene Unternehmensergebnis mit ca. 30 % über dem durchschnittlichen Ergebnis der Jahre 1987 bis 1991 angesetzt. Dies macht einen relativ hohen Risikozuschlag für die Jahre 1993 ff. notwendig und ist als Äquivalent für die generellen Risiken überaus plausibel.“

768 Das Bayerische Oberste Landesgericht meinte knapp: „Es kann daher die Höhe des Risikozuschlags nicht losgelöst vom Ansatz der Ertragswerte ermittelt werden.“929)

___________ 920) 921) 922) 923)

924) 925) 926) 927) 928) 929)

182

Herres, Warten auf den großen Einbruch, FAZ v. 22.6.2007 Nr. 142, S. 21. Handelsblatt, Finanzzeitung, 20./21./22.6.2008 Nr. 118, S. 21. BayObLG, 11.9.2001, AG 2002, 392 = NZG 2001, 1137; Knoll, DStR 2007, 1053. BFH, 13.4.1983, BStBl. II 1983, 667 = DStR 1983, 688. So im Ergebnis auch Peemöller/ Popp/Kunowski, BilanzWert, Unternehmensbewertung am PC, Version 2.0, Benutzeranleitung, S. 29. Knoll, DStR 2007, 1053; Knoll, ZSteu 2006, 468. BayObLG, 28.10.2005, AG 2006, 41 = NZG 2006, 156. Seicht, in: FS Dieter Rückle, S. 97, S. 111 m. w. N. BayObLG, 11.9.2001, AG 2002, 392 = NZG 2001, 1137. LG München, 3.12.1998, AG 1999, 476 = DB 1999, 684. BayObLG, 11.9.2001, AG 2002, 392 = NZG 2001, 1137.

G. Eigenkapitalisierung

So sieht es auch Ballwieser:

769

„Mein Argument war, dass ein Risikozuschlag nur begründet werden kann, wenn das Risiko offengelegt wird. Zu diesen Zwecken müssen Szenarien für die Erträge entwickelt werden. An der Bandbreite der Erträge – als des ‚Zählers’ der verschiedenen Szenarien – kann man den Risikozuschlag verankern. Was mich jedoch ärgert, sind Gutachten, die keine Auseinandersetzung mit der Ertragsprognose enthalten, in denen aber lang und breit über den Risikozuschlag diskutiert wird. In diesem Fall haben sie keinerlei Bezugsbasis …“930)

G. Eigenkapitalisierung Eine große Rolle spielen die Eigenkapitalquote und die Überdeckung des An- 770 lagevermögens mit Eigenkapital.931) H. CAPM-Daten Auch bei der traditionellen Methode spielen CAPM-Daten eine Rolle; sie 771 sollten herangezogen werden, um die Plausibilität zu prüfen.932) I. Rating Wichtig ist nach wie vor das Urteil von Rating Agenturen. Sie dürfen nicht als 772 „Wert-Schicksal“ genommen werden, mögen aber taugen als Indizien für das relative Risiko im Verhältnis zu anderen Unternehmen. Der Fall „Enron“ und die Finanzkrise 2008 haben indes Zweifel geweckt an Prognosefähigkeit und Unabhängigkeit des Ratings.933) Ist die Höhe der Rating-Gebühr abhängig vom Ergebnis? Double A „Mortgages“ fielen zunächst auf 65 % des Nennwertes und vom 19. zum 29.10.2007 auf 50 %.934) Wurden die komplexen Hypothekenbindungen analysiert und die Eigenart der Grundstücke, wurden die sehr langen Texte in den USA gelesen und verstanden? Waren sie mehr als „Chinesisch“?935) J. Beispiele Die Gerichte setzten den Zuschlag zwischen 0,5 %936) und 4,1 % („sehr hoher 773 Risikozuschlag“)937) an, haben häufig Aufschläge von 2 % oder 2,5 % akzep___________ 930) Ballwieser, in: Weltweite Rechnungslegung und Prüfung, S. 268. 931) LG Dortmund, 19.3.2007, AG 2007, 792 = BeckRS 2007, 05697. 932) Vgl. OLG München, 2.4.2008, OLGR München, 2008, 450; Watrin/Stöver, Corporate Finance 2012, 119. 933) Großfeld/Heppe, Law and Business Rev. of the Americas 15 (2009), 713. 934) Mollenkamp/Taylor/Hudson, Banks’ woes may persist, The Wall Street J. Europe, Tuesday, Oct. 30, 2007, S. 1, 32. 935) Großfeld, RIW 2010, 504; Großfeld/Heppe, Law and Business Rev. of the Americas 15 (2009), 713. 936) HansOLG Hamburg, 3.8.2000, NZG 2001, 471 (Wohnungsunternehmen); vgl. die Nachw. in LG Dortmund, 1.4.2004, NZG 2004, 723. 937) OLG Düsseldorf, 31.1.2003, AG 2003, 329 = NZG 2003, 588 („Nixdorf“).

183

Zwölfter Teil: Risikozuschlag: Traditionelle Ermittlung

tiert. Durch das CAPM sind die Risikozuschläge tendenziell gestiegen und die Unternehmenswerte gesunken. Typische Risikozuschläge (RZS) waren etwa: Gericht

Datum

Fundstelle

Maßnahme

Entscheidung OLG Düsseldorf

Branche

RZS

22.1.1999

AG 1999, 321

1985

Zucker

0,5 %

19.10.1995

AG 1996, 127

1987

Brauerei

0,6 %

BGH

21.7.2003

AG 2003, 627

1992

Bau

OLG Düsseldorf

31.3.2006

I-26 W 5/06 AktE

1995

Maschinenbau

3,5 %

1.4.2004

NZG 2004, 723

1995

MaschinenApparatebau

1,65 %

BayOBLG

LG Dortmund LG Hamburg

2% (1. Jahr), dann 3 %

3.4.2007

414 O 26/97

1996

Ölmühle

1,5 %

OLG München

17.7.2007

AG 2008, 28

1997

Tissue

2,5 %

LG Dortmund

19.3.2007

AG 2007, 792

2000

Sanitär

1%

OLG München

19.10.2006

AG 2007, 287

2001

Energie

2%

OLG Stuttgart

16.2.2007

AG 2007, 209

2002

Grundstücke

0,81 %

OLG München

26.10.2006

BeckRS 2006, 13711

2002

Rückversicherer

2,5 %

OLG München

31.3.2008

OLGR München, 2008, 450

2002

Wälzlager

2.5.2006

AG 2007, 42

2003

Brauerei

LG Frankfurt

3% 1,5 %

774 In 30 % der Fälle waren es mehr als 2 %.938) Der Durchschnitt lag bei 1,86 %, bei Benutzung der Marktrisikoprämie und des Betafaktors bei 2,86.939) K. Unterschiedlicher Zuschlag 775 Oft wählt man für die ganze Prognosezeit einen einheitlichen Zuschlag. Bei der Phasenmethode kann es jedoch angemessen sein, den Risikozuschlag mit dem Beginn der „ewigen Rente“ zu verändern, etwa im Hinblick auf traditionelle Zyklen von Wachstums- und Abschwungsphasen.940) Das ist abzustimmen mit dem „Wachstumsabschlag“. L. Schätzungsermessen 776 Die traditionelle Ermittlung des Risikozuschlags beruht auf dem Schätzungsermessen und der Schätzungspflicht des Gerichts nach § 287 Abs. 2 ZPO. Sie ist mathematisch nicht voll ableitbar. Die Parallelität zum Anleihemarkt ___________ 938) Metz, Der Kapitalisierungszinssatz bei der Unternehmensbewertung, S. 162; OLG Stuttgart, 1.10.2003, AG 2004, 43 = Der Konzern 2004, 128. 939) Wüstemann, BB 2007, 2223. 940) Vgl. BayObLG, 11.9.2001, AG 2002, 392 = NZG 2001, 1137; LG München, 25.2.2002, AG 2002, 563.

184

L. Schätzungsermessen

führt aber in die Nähe von unternehmensnahen Sichten: Der risikoadjustierte Zins stellt ab auf das Unternehmen im Ganzen, nicht auf das spezielle Risiko des Kleinaktionärs. Innen- und Außensicht treffen sich; dank der Einschaltung eines Gutachters entsteht eine „Begegnungssicht“. CAPM/Tax-CAPM versuchen, genauer zu rechnen. Hierbei ist jedoch dar- 777 auf zu achten, dass vermeintlich sichere Zahlen auf unsicheren Annahmen beruhen können. Wir müssen „hinter die Kulisse schauen“. Die Subprime-Mortgages-Krise hat die Probleme offengelegt. Ein kurzer 778 Blick auf die „Papierflut“ bei amerikanischen Mortgages (mehrere hundert Seiten), bei der Bündelung in Wertpapiere („structured investments“ = Auseinanderfallen von Vertriebsgebühr und Risiko) und bei den „special purpose“ hätte schnell zu einem „den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bild“ (§ 264 Abs. 2 Satz 1 HGB) geführt.941) Die Übernahme betriebswirtschaftlicher Modelle ohne Einbettung in den 779 rechtskulturellen, geographisch geprägten Normwert genügt ebenfalls nicht:942) Recht bleibt trotz aller Globalisierung im Kern lokal943) – jede Zahl in der Unternehmensbewertung ist kulturgebunden,944) ist „cultural mathematics“.

___________ 941) Großfeld/Heppe, Law and Business Rev. of the Americas 15 (2009), 713. 942) Großfeld, in: FS Buxbaum, S. 329; Seidman, Wisconsin L. Rev. 1972, 697. 943) Großfeld, Michigan L. Rev. 82 (1984), 1510; Großfeld/Heppe, Law and Business Rev. of the Americas 15 (2009), 713. 944) Großfeld, ZVglRWiss. 101 (2002), 1.

185

Dreizehnter Teil Risikozuschlag: CAPM „Kleider machen Leute.“945)

780

A. Grundlagen „Im Ganzen haltet euch an Zahlen, So geht ihr durch des Zweifels Qualen Zur Ruhe der Gewissheit ein.“946)

781

I. Wende Noch der IDW S 1 2000 befand sich in der „Tradition“ von HFA 2/1983. Es 782 heißt in IDW S 1 2000 zur Bestimmung des Basiszins in Tz. 120: „Für den objektivierten Unternehmenswert ist bei der Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes von dem landesüblichen Zinssatz für eine (quasi-) risikofreie Kapitalmarktanlage auszugehen (Basiszinssatz). Daher wird für den Basiszinssatz grundsätzlich auf die langfristig erzielbare Rendite öffentlicher Anleihen abgestellt.“

Diese Formulierung findet sich inhaltlich auch in IDW S 1 2005 (Tz. 126) und 783 wurde dann wortgleich in IDW S 1 2008 (Tz. 116) übernommen. Zur Ermittlung des Risikozuschlags heißt es in IDW S 1 2000 (Tz. 94 und 97):

784

„Ein unternehmerisches Engagement ist stets mit Chancen und Risiken verbunden. Die Übernahme dieser unternehmerischen Unsicherheit (des Unternehmerrisikos) lassen sich Marktteilnehmer durch Risikoprämien abgelten; Theorie und Praxis gehen übereinstimmend davon aus, dass die Wirtschaftssubjekte zukünftige Risiken stärker gewichten als zukünftige Chancen (Risikoaversion). Die konkrete Höhe des Risikozuschlags wird in der Praxis insbesondere hinsichtlich des Grades der Risikoaversion vielfach nur mit Hilfe von Typisierungen festzulegen sein. Am Markt beobachtete Risikoprämien können dabei als Anhaltspunkt dienen, die an die Besonderheiten des Bewertungsfalles anzupassen sind.“

Das CAPM „leuchtete“ aber bereits im Hintergrund, wenn es in Tz. 98 heißt:

785

„Eine marktgestützte Ermittlung des Risikozuschlags kann insbesondere nach den Grundsätzen des Kapitalmarktpreisbildungsmodells (Capital Asset Pricing Model, CAPM) vorgenommen werden.“

Ansätze dazu lassen sich allerdings schon viel früher feststellen.947) Das LG 786 München wandte das Verfahren schon an unter der Geltung des HFA

___________ 945) Gottfried Keller, Kleider machen Leute. 946) Wilhem Dilthey, 1833 – 1911, Der Mensch und die Zahlen, 1862. 947) Etwa Ballwieser, WPg 1995, 119, 123.

187

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

2/1983 für den Stichtag 14.12.1995.948) Ebenso tat es das OLG Düsseldorf – allerdings nur zur Verprobung eines nach der „traditionellen Methode“ ermittelten Zuschlags.949) 787 Der Standard IDW S 1 2005 übernahm die Formulierungen des IDW S 1 2000 wörtlich in den Tz. 96, 99 und 100, im IDW S 1 2008 finden sie sich in den Tz. 88, 91 und 92. 788 Geändert hat sich deswegen nur die Methode, mit der Basiszins und Risikozuschlag miteinander kombiniert werden. Hierzu heißt es in IDW S 1 2000: „Der auf diese Weise festgelegte Basiszins ist um einen Risikozuschlag zu erhöhen.“

und verweist auf die bereits zitierten Tz. 94, 97 und 98. 789 Im IDW S 1 2005 heißt es dagegen in den Tz. 124 und 128: „Der Kapitalisierungszins repräsentiert die Rendite aus einer zu Investitionen in das zu bewertende Unternehmen adäquaten Alternativanlage… Der Ausgangspunkt für die Bestimmung der Rendite der Alternativanlage bildet die beobachtete Rendite einer Anlage in Unternehmensanteilen… Aus den am Kapitalmarkt empirisch ermittelten Aktienrenditen können mithilfe von Kapitalmarktpreisbildungsmodellen (CAPM, Tax-CAPM) Risikoprämien abgeleitet werden.“

790 Im IDW S 1 2008 finden sich die entsprechenden Formulierungen in Tz. 114 und 118. 791 IDW S 1 2005 enthielt somit zwei Neuerungen, die zwar miteinander verknüpft waren, jedoch inhaltlich nichts miteinander zu tun hatten: x

Rückgriff auf ein Aktienportfolio anstelle des bisher gewohnten Rentenportfolios und

x

Einführung des CAPM als Grundlage für die Bestimmung des Risikozuschlag anstelle der bisherigen „freien Zuschätzung“.

792 Die ab IDW S 1 2005 gleichsam geltende „retrograde Ermittlung“ des Kapitalisierungszinses kommt auch in der Definition des Vergleichsmarktes zum Ausdruck. Es heißt in Tz. 125 (gleichlautend IDW S 1 2008 Tz. 115): „Als Ausgangsgrößen für die Bestimmung von Alternativrenditen kommen insbesondere Kapitalmarktrenditen für Unternehmensbeteiligungen (in Form eines Aktienportfolios) in Betracht. Diese Renditen für Unternehmensanteile lassen sich grundsätzlich in einen Basiszinssatz und in eine von den Anteilseignern aufgrund der Übernahme unternehmerischen Risikos geforderte Risikoprämie zerlegen.“

793 Die Folgen sind spürbar: Oft ergibt sich ein höherer Risikozuschlag, der zu Unternehmenswerten führt, die um 20 % – 30 % niedriger liegen als nach der bis___________ 948) LG München, 25.2.2002, AG 2002, 563. 949) OLG Düsseldorf, 23.1.2008 AG 2008, 822.

188

A. Grundlagen

her gebräuchlichen Methode.950) Es kommt daher darauf an, ob der so ermittelte Risikozuschlag Maßstab sein kann für einen parteienbezogenen Normwert. II. Eigenart „Erfinder“ des CAPM sind die Amerikaner William Sharpe und Harry Marko- 794 witz, die dafür 1990 den Wirtschaftsnobelpreis erhielten. Das CAPM ist ein Gedankenmodell, das versucht, den „Preis“ für die Übernahme von Risiken („Risikoprämie“) zu bestimmen. Ausgangspunkt ist der Gedanke eines „effizienten“ Portfolios: Ein Investor 795 hat die Möglichkeit, ein Portfolio aus verschiedenen Vermögensanlagen in unterschiedlichen Anlageklassen und in beliebiger Kombination zusammenzustellen, wobei jede Vermögensanlage gekennzeichnet ist durch ein bestimmtes Risiko, diese Rendite tatsächlich zu erreichen. Dieser Investor wird sich wie folgt entscheiden: x

Von zwei Anlagen mit der gleichen Rendite, aber unterschiedlichen Risiken, wird er die risikoärmere Anlage wählen (Alternative A statt B).

x

Von zwei Anlagen mit dem gleichen Risiko wird er eher diejenige wählen, die die höhere Rendite verspricht (Alternative D statt C).

Insgesamt wird der Investor so lange Anlagen gegeneinander austauschen bis er 796 für jedes denkbare Risiko die maximal erreichbare Rendite bzw. für jede Rendite das minimale Risiko „zusammenkombiniert“ hat. Grafisch entsteht dabei eine Effizienzlinie, die alle erreichbaren Rendite/Risiko-Kombinationen abbildet: Rendite

Effiziente Portfolios

D C A

B Aktien

Risiko

Abb. 5: Effizienzlinie (IDW S 1 2005, Anhang)

___________ 950) Paulsen, WPg 2007, 824.

189

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

797 In einem zweiten Schritt erhält der Investor die Möglichkeit, auch risikofreie Anlagen zu tätigen, die eine entsprechend niedrigere Rendite haben („ risikofreie Staatsanleihen“). Die daraus möglichen Kombinationen haben zwei fixe Punkte, nämlich „nur risikofreie Anlagen = Rendite Staatsanleihen“ und „nur risikobehaftete Anlagen = Effizienzlinie“. Der Berührungspunkt definiert das effiziente Vermögensanlagen-Portfolio (= Marktportfolio). Risikoscheue Investoren sollten nicht in risikoärmere Anlagen gehen, sondern das Marktportfolio mit risikofreien Anlagen mischen (Alternative E statt F); risikobereite Investoren sollten nicht und zusätzliche riskantere Anlagen kaufen, sondern sich zum risikofreien Zins verschulden und in das Marktportfolio investieren (Alternative G statt H).951) Grafisch sieht das dann so aus: Kapitalmarkt -linie

Rendite

G

H

Marktportfolio E

Staatsanleihen

F

Risiko ß=1

Abb. 6: Kapitalmarktlinie (IDW S 1 2005, Anhang)

798 Die entstandene Linie definiert die Kapitalmarkt-Linie, die durch folgende Formel beschrieben wird: rQSt

ri  ( rm  ri ) E

mit: rȞSt = Eigenkapitalrendite der Anlage ri

= risikoloser Zinssatz

rm

= Marktrendite des Anlagenportfolios

ȕ

= Betafaktor

799 Die Linie beschreibt den Zusammenhang zwischen verschiedenen Stufen des Risikos und der hiermit verbundenen Renditeerwartung. Ausgehend von der ___________ 951) Vgl. Anhang zu IDW S 1 2005.

190

B. Modellcharakter

Rendite einer risikolosen Anlage („Staatsanleihe“) steigt die Renditeerwartung mit zunehmendem Risiko an. Der Anstieg selber wird dabei durch den Betafaktor beschrieben. Dabei hat 800 das Marktportfolio selber den Betafaktor 1; die Rendite des Marktportfolios setzt sich dann zusammen aus dem risikofreien Zins (ri) und einem Risikozuschlag (rm – ri). Ein weiteres hinzukommendes Wertpapier kann dann ein individuelles Risiko haben, das dem Marktrisiko entspricht (ȕ = 1), ein geringeres Risiko (ȕ < 1) oder ein höheres Risiko (ȕ > 1) hat. Dies geht dann einher mit einer niedrigeren oder höheren Renditeforderung. III. Rückwirkung Die Frage, ob der Standard IDW S 1 2005 rückwirkend auch auf Bewertungs- 801 sachverhalte angewendet werden kann, die vor seinem Inkrafttreten lagen, war Gegenstand der bereits genannten BGH-Entscheidung vom 29.9.2015.952) Der Bundesgerichtshof kam zu dem Schluss, dass einer Rückwirkung weder Gründe des Vertrauensschutzes noch das Stichtagsprinzip entgegenstehen.953) B. Modellcharakter Das CAPM ist ein Modell. Wir müssen deswegen danach fragen, ob die An- 802 nahmen,954) die diesem Modell zugrunde liegen, die Praxis und den rechtlichen Rahmen der Unternehmensbewertung zutreffend abbilden. Im Hinblick auf den Normwert ist entscheidend, ob das Modell der rechtlichen Wertung entspricht; ist es ein normorientiertes Modell? Die Hinnahme „vieler“ wirklichkeitsfremder Annahmen ist fraglich, wenn nicht mit angesetzt ist die „Wirklichkeit“ der gesellschaftsvertraglichen Beziehung. I. Risikoscheuer Anleger Das Modell geht zunächst davon aus, dass Anleger risikoscheu sind, also bei 803 mehreren Anlagemöglichkeiten diejenige wählen, die bei gleicher erwarteter Rendite das geringere Risiko enthält oder bei gleichem Risiko die höhere Rendite bringt. Dies dürfte im Allgemeinen zutreffend sein. Seit jeher werden in der Unternehmensbewertung Risikozuschläge berücksichtigt. Die Annahme geht allerdings von rational handelnden Akteuren („homo oe- 804 conomicus“) aus. Die Spieltheorie und die “behavioural economics” haben diese Annahmen in Zweifel gezogen und auf die Kraft emotionaler Antriebe hingewiesen.955) Die Finanzkrise 2008 vermehrte diese Zweifel. Haben diese ___________ 952) Siehe Rn. 261 ff. 953) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424; anders noch OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418, als Vorinstanz. 954) Übersicht zu den Modellrestriktionen siehe Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 272. 955) Nguyen/Schüssler, Der Betriebswirt 2012, 15; Ariely, Predictably Irrational. The Hidden Forces That Shape Our Decisions.

191

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

Zweifel einen solchen Umfang bereits erreicht, dass sie das Modell bereits hier infrage stellen? 805 Ein weiterer Widerspruch mag darin gesehen werden, dass als (Alternativ-)Anlage der Aktienmarkt herangezogen wird und risikoärmere Anlagemöglichkeiten ausgeblendet werden. Wie wir gesehen haben, wurde gerade mit der Einführung des IDW S 1 2005 die „Wende“ bei den Alternativanlagen weg vom Rentenmarkt und hin zum Aktienmarkt vorgenommen. 806 Dieses Problem ist allerdings nicht dem CAPM anzulasten, das in seiner Ursprungsform alle Möglichkeiten der Anlage in Betracht zieht, also auch Werte wie Gold, Immobilien oder internationale Aktien. Die Begrenzung der Anlagealternativen auf einen nationalen Aktienmarkt erfolgte lediglich zur „Vereinfachung“.956) 807 Die Gründe für die Hinwendung zum Aktienmarkt werden so beschrieben:957) „Der Rückgriff auf eine festverzinsliche Anlage als Alternativinvestitionen zu einem unternehmerischen Investment ist für viele Bewertungsanlässe der Praxis nicht realitätsnah und aus risikotheoretischer Sicht problematisch. Es kann angenommen werden, dass ein Anteilseigner, der unter Berücksichtigung seiner individuellen Risikoeinstellung bereit ist, in ein riskantes Investment wie das zu bewertende Unternehmen zu investieren, als risikoäquivalente Alternativanlage regelmäßig keine festverzinsliche Anlage wählen wird. Vielmehr ist eine Alternativinvestition in andere Unternehmensanteile mit vergleichbarer Risikostruktur konsequent.“

808 Hieran mag man zweifeln. Das LG Frankfurt weist hin auf „die hohe Subjektivität und Komplexität bei der Bestimmung subjektiver Risikonutzenfunktionen“.958) Im Auge behalten werden muss aber, dass der Wert des Unternehmens für den auf diese Weise risikoscheuen Gesellschafter infolge eines niedrigeren Kapitalisierungszinses höher ausfällt. Dies ist „modelltheoretisch“ richtig, belohnt jedoch den Gesellschafter, der entgegen seiner Risikopräferenz in das Unternehmen investiert hat. Ist eine solche „Zitterprämie“ gerechtfertigt?959) II. Anlagehorizont 809 Der Planungszeitraum des CAPM ist eine Periode. Das ist nicht zu verwechseln mit einem Jahr, sondern bedeutet lediglich, dass der Investor sich über einen bestimmten Zeitraum in seiner Entscheidung festlegt. Dieser Zeitraum kann auch mehrere Jahre betragen.

___________ 956) Baetge/Niemeyer/Kümmel/Schulz, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 393; Watrin/Stöver, Corporate Finance 2012, 119. 957) Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2004, 889, 891. 958) LG Frankfurt, 13.6.2006, Der Konzern 2007, 56 = NZG 2006, 868. 959) Zum Problem siehe auch LG Dortmund, 19.3.2007, AG 2007, 792 = ZIP 2007, 2029.

192

B. Modellcharakter

In der Unternehmensbewertung reden wir über eine unbegrenzte Anlage- 810 dauer („ewige Rente“) – praktisch über einen Zeitraum von 30 – 34 Jahren. Dagegen können Entscheidungen über Anlagen in börsennotierten Wertpapieren täglich – wenn man Transaktionskosten außer Betracht lässt auch minütlich („Hochfrequenz-Handel“) – neu getroffen werden. Der Investor in ein Aktienportfolio kann daher innerhalb des Anlagezeitraums unterschiedliche Entscheidungen treffen und damit die Rendite seines Portfolios beeinflussen. Der sich hieraus ergebenden Diskrepanz zwischen den Entscheidungsmög- 811 lichkeiten bei einer Investition in ein einzelnes Unternehmen oder in ein Aktienportfolio kann dadurch begegnet werden, dass der Anlagezeitraum – also die „Periode“ – für die Alternativanlage ebenfalls verlängert wird („Laufzeitäquivalenz“). Dies hat Konsequenzen für die Bestimmung der Marktrendite; hierauf kommen wir noch zurück.960) III. Vollkommener Markt Das CAPM geht von einem vollkommenen Markt aus. Alle marktbeeinflussen- 812 den Informationen stehen allen Anlegern gleichzeitig als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung. Alle Anleger haben die gleiche Erwartung hinsichtlich der Risikosituation des Marktportfolios. Stehle definiert das so:961) „Es wird nur ein einziger abgeschlossener Kapitalmarkt analysiert. Kredite zum risikolosen Zinssatz können von allen Marktteilnehmern in unbegrenzter Höhe aufgenommen werden. Im Hinblick auf den Markt wird betont, dass als Folge der Annahme ‚vollkommener Kapitalmarkt’ alle Marktteilnehmer von ‚praktisch’ identischen Wahrscheinlichkeitserwartungen (homogenen Erwartungen) ausgehen.“

Eher ironisch schreibt ein anderer Autor:962)

813

“In plain English, that means that everyone is assumed to be equally rational, have equal bargaining power, and that there is no asymmetry of information.”

Zurückgehend auf Fama werden jedoch verschiedene Stufen der Informati- 814 onseffizienz von Kapitalmärkten unterschieden:963) x

Bei der schwachen Form werden lediglich die Informationen über die vergangene Kursentwicklung im aktuellen Marktpreis berücksichtigt; die Praxis versucht, sich dies als „technische Wertpapieranalyse“ nutzbar zu machen.

x

Unter mittelstrenger Informationseffizienz wird eine Situation verstanden, in der der Marktpreis alle öffentlich zugänglichen Informationen berücksichtigt. Das schließt u. a. Informationen mit ein, die sich aus ver-

___________ 960) 961) 962) 963)

Siehe Rn. 810 und 832 ff. Stehle, WPg 2004, 906, 912. Janet M. Dine, Global Business and Development L. J. 20 (2007), 263, 276. Fama, Journal of Finance 1970, 383.

193

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

gangenen Kursbewegungen gewinnen lassen. Jedoch werden hier zudem noch alternative öffentliche Informationsquellen, wie Informationen aus der externen Rechnungslegung, Analysteneinschätzungen etc. hinzugezählt. Wir nennen dies „Fundamentalanalyse“. x

Die strenge Informationseffizienz berücksichtigt darüber hinaus auch alle nicht öffentlich zugänglichen Informationen. Sie entspricht der Sicht des „Unternehmens-Insiders“ (Innensicht).

815 Tatsächlich scheitert die vom CAPM vorausgesetzte vollständige Information aller Marktteilnehmer bereits daran, dass nur die „Insider“ – also das Management und möglicherweise Mehrheitsgesellschafter964) – über die unternehmensinternen Informationen verfügen, die für eine vollständige Sicht auf das Unternehmen erforderlich sind. Selbst die Außensicht auf ein Unternehmen kann verfälscht sein, wenn die Gesellschaft zur Erreichung bestimmter Ziele Bilanzpolitik betreibt. Die Diskussion über die Analyseoffenheit globaler Rechnungslegung gibt ebenfalls Anlass zum Nachdenken.965) Die Bilanzierungstechnik der Lehman Brothers Corporation („Verschönerung“ jeweils zu den Bilanzstichtagen) ist dafür ein „leuchtendes“ Beispiel.966) 816 Seit „Feldmühle“967) und „DAT/Altana“968) fordert das Bundesverfassungsgericht für den ausscheidenden Aktionär die „volle Entschädigung“, die jedenfalls nicht unter dem Aktienkurs liegen darf. Der für die Bestimmung einer Abfindung geforderte „volle Wert der Beteiligung“ erfordert die Berücksichtigung sämtlicher für den Wert des Unternehmens relevanten Informationen – und damit die „strenge Informationseffizienz“ im Sinne von Fama. Dass diese nicht besteht, ergibt sich bereits daraus, dass die Zivilgerichte auf der Grundlage von „DAT/Altana“ häufig eine „Doppelbewertung“ vornehmen, um festzustellen, ob der „wahre Wert“ über dem Börsenwert liegt. Dies wäre entbehrlich, wenn der Börsenwert bereits der „wahre Wert“ wäre.969) 817 Der Bundesgerichtshof tendiert nun aber anscheinend dazu, im Grundsatz eine „effektive Informationsbewertung“ des Marktes anzunehmen.970) Das ist zweifelhaft. Eine vollkommene Informationseffizienz des Marktes kann nicht unterstellt werden. Damit steht und fällt jedoch die ungeprüfte Übernahme des CAPM in Bewertungsfällen.

___________ 964) 965) 966) 967) 968) 969) 970)

194

Vgl. dazu aber die Gleichbehandlungsregeln der §§ 53a, 131 Abs. 4 AktG. Großfeld, Internationales Bilanzrecht, S. 13. Großfeld, RIW 2010, 504. BVerfG, 7.8.1962, BVerfGE 14, 263 = NJW 1962, 1667 (Feldmühle). BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = NZG 1999, 931. Hüttemann, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 1 Rn. 30. BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016.

B. Modellcharakter

IV. Bewertung Das IDW begründet die Anwendbarkeit des Modells so:971)

818

„Eine in vielen wissenschaftlichen Beiträgen und Untersuchungen fundierte Modellbetrachtung stellt das Capital Asset Pricing Model (CAPM) an. Wenngleich in den verschiedenen Modellvarianten explizit und implizit viele, z. T. nicht mit der Wirklichkeit im Einklang stehende Annahmen getroffen werden, finden Grundgedanken des CAPM auch in der Unternehmensbewertungspraxis zunehmend Anwendung. Das CAPM ist einer pauschalen Ermittlung von Risikozuschlägen bei Ermittlung des Kapitalisierungszinsfußes deutlich überlegen, weil es die Ermittlung des Risikozuschlags besser nachprüfbar macht.“

Jonas fasst die Schwächen des Modells zusammen:972)

819

„Relevant bleibt damit die Frage, wie weit die Fiktion eines funktionierenden Marktes gehen darf. Da Bewerten Vergleichen heißt, verläuft die Grenze zwischen Bewertungsobjekt und Vergleichsobjekt. Das Bewertungsobjekt wird mit seinen internen, i. d. R. nur Insidern bekannten Eigenschaften (i. d. R. Zahlungserwartungen) abgebildet. Bewertet werden diese Zahlungserwartungen mit den Eigenschaften des Vergleichsobjekts (d. h. mit der Rendite der Alternativanlage = Kapitalisierungszinssatz). Da dem Gutachter für das Vergleichsobjekt keine Insiderinformation zur Verfügung stehen, kann er hier nur auf Kapitalmarktdaten zurückgreifen und dabei (wirklichkeitsfremd) einen vollkommenen Kapitalmarkt unterstellen. Objektivierte Kapitalisierungszinssätze können daher modelllogisch nur aus den Kapitalkosten vergleichbarer börsennotierter Unternehmen (Peer Group) gewonnen werden.“

Die Rechtsprechung erkennt mittlerweile das CAPM überwiegend an. Das 820 OLG Stuttgart fasst das so zusammen:973) „Grundlage der Schätzung des Gerichts können demnach vom Grundsatz her sowohl Wertermittlungen sein, die auf fundamentalanalytischen Wertermittlungsmethoden wie dem Ertragswertverfahren, als auch solche, die auf marktorientierten Methoden wie einer Orientierung an Börsenkursen basieren. Entscheidend ist, dass die jeweilige Methode in der Wirtschaftswissenschaft anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist. Als anerkannt und gebräuchlich in diesem Sinne ist derzeit nicht nur, aber jedenfalls auch das anzusehen, was von dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in dem Standard IDW S 1 sowie in sonstigen Verlautbarungen des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vertreten wird. Die Verlautbarungen des IDW stellen eine anerkannte Expertenauffassung dar und bilden als solche eine Erkenntnisquelle für das methodisch zutreffende Vorgehen bei der fundamentalanalytischen Ermittlung des Unternehmenswerts… Entscheidend ist freilich, dass die Verlautbarungen des IDW – trotz aller dagegen im Allgemeinen oder in Einzelfragen vorgebrachten Kritik – von dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer anerkannt sind und bei Unternehmensbewertungen in der Praxis ganz überwiegend beachtet werden. Sie leisten somit einen erheblichen Beitrag dazu, die Gleichmäßigkeit und Kontinuität der Unternehmensbewertung im Rahmen der fundamentalanalytischen Bewertungsmethoden zu sichern, was zugleich zur Kontinuität der Rechtsprechung führt, soweit diese Methoden zur Schätzung des Unternehmenswerts in Spruchverfahren herangezogen werden.“

___________ 971) IDW S 1 2005 Anhang Abs. 2; dazu Jonas, WPg 2007, 835. 972) Jonas, WPg 2007, 835, 840. 973) OLG Stuttgart, 17.7.14, AG 2015, 580.

195

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

821 Der Bundesgerichtshof hält – unter Verweis auf die Methodenoffenheit der Bewertung – das CAPM (IDW S 1 2005) für eine sachgerechte Methode, frühere Unzulänglichkeiten der Bewertung zu korrigieren:974) „Die Berechnung nach dem IDW S 1 2005 ist vorzugswürdig. Der IDW S 1 2005 ist methodisch eine Verbesserung gegenüber dem IDW S 1 2000. Er ist keine Reaktion auf wirtschaftliche oder rechtliche Veränderungen seit dem IDW S 1 2000, sondern behebt Unzulänglichkeiten bei der Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens und der unterschiedlichen Besteuerung der Alternativanlage im IDW S 1 2000 … Die Abkehr von der Vollausschüttungshypothese ist ebenfalls eine methodische Verbesserung, weil eine Vollausschüttung in der Wirklichkeit nicht vorkam und mit der Umstellung der der Berechnung zugrunde liegenden Alternativanlage in Aktien statt in festverzinslichen Wertpapieren die Abkehr folgerichtig war.“

822 Kann vielleicht auch die Tatsache, dass Unternehmensbewertungen explizit oder implizit zunehmend auf das CAPM zurückgreifen, selbst wertbestimmend werden? Der Bundesgerichtshof meint hingegen, dass die Berechnungsweise nicht ein wertbildender Faktor sei.975) Dies ist zweifelhaft.976) 823 Das CAPM ist in der Praxis bisher noch nicht getestet worden977) – im Gegenteil: Es dürfte sich auch Tests weitgehend entziehen, weil für viele Vermögensklassen entweder keine fortlaufenden Preisermittlungen stattfinden oder entsprechende statistische Reihen nicht zur Verfügung stehen.978) Tests, die allein auf Aktienmärkte beschränkt waren, haben sogar „Anomalien“ aufgedeckt, die nicht mit dem CAPM vereinbar sind; z. B. den „Valueeffekt“, den „Small CapEffekt“ und den „Momentumeffekt“. Hierauf kommen wir noch zurück.979) 824 Angesichts dieser Unsicherheiten empfahl schon Sharpe, das Modell „nicht anhand seiner Prämissen, sondern nach der Annehmbarkeit seiner Implikationen zu überprüfen“.980) Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als dass die mittels CAPM ermittelten Risikowerte jeweils kritisch zu hinterfragen sind. Gegenüber der traditionellen Ermittlung des Risikozuschlags bedeutet dies aber zumindest eine größere Transparenz und möglicherweise einen eingeschränkten Schätz- oder Plausibilitätsrahmen. Fama/French formulierten 1996: „A CAPM is wanted – dead or alive“. C. Probleme der praktischen Anwendung 825 Folgen wir – mit aller Skepsis – dem Gedankenmodell des CAPM, so sind die Probleme damit noch nicht erledigt. Vielmehr beginnen jetzt die Probleme der praktischen Anwendung. ___________ 974) 975) 976) 977) 978) 979) 980)

196

BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. Siehe Rn. 273. Ballwieser, WPg 2008, S 102, 105. Watrin/Stöver, Corporate Finance 2012, 119, 122. Siehe Rn. 845. Sharpe, A Theory of Market Equilibrium under Conditions of Risk, JoF 1964, 425; ähnlich: Löffler, WPg 2007, 808, 810; Ballwieser, WPg 2008, S 102, 105.

C. Probleme der praktischen Anwendung

I. Marktrendite 1. Allgemeines Ausgangspunkt des CAPM ist die Ermittlung einer Marktrendite, aus der 826 sich durch Vergleich mit der Rendite der risikolosen Anleihe der vom Markt erwartete Risikozuschlag ergeben soll. Wir haben bereits gesehen, dass die Marktrendite eines Portfolios sämtlicher denkbarer Anlagen kaum zu ermitteln ist, sodass in der Regel auf Aktienindizes zurückgegriffen wird. Wie wird daher die Marktrendite eines Aktienindex ermittelt, wie die Rendite der risikolosen Anleihe? Grundsätzlich kommt es auch hier an – wie in der Unternehmensbewertung 827 allgemein – auf die zukünftige Entwicklung.981) Sie ist aber aus Marktdaten nicht direkt ableitbar. Deshalb halten wir uns „notgedrungen“ an historische Daten. Wir bewerten damit aus dem Rückspiegel heraus – kann man damit in die Zukunft globaler Finanzmärkte fahren? 2. Aktienindex Da die Grundkonzeption des CAPM das Anlageverhalten des Investors be- 828 rücksichtigt, sollte der Aktienindex, der für die Ermittlung der Rendite des Marktportfolios herangezogen wird, entsprechend strukturiert sein. Sinnvoll ist deswegen der Rückgriff auf das „übliche Investitions-Universum“ des Anlegers.982) Dabei kann berücksichtigt werden, dass ein inländischer Anleger in internationale Märkte investiert. Es ist allerdings nachweisbar, dass ein Anleger die heimischen Märkte übergewichtet („home bias“).983) Je nach Bewertungsobjekt, Bewertungsanlass und dem Kreis der Investoren 829 können daher unterschiedliche Indizes herangezogen werden. Eine generell verbindliche Aussage ist nicht möglich.984) Es kann deshalb plausibel sein, einen marktbreiten deutschen Aktienindex – wie den CDAX985) – heranzuziehen; auf europäischer Ebene bietet sich der STOXX 600986) an und international der MSCI World Index.987) Wichtig für die Auswahl ist auch die Unterscheidung zwischen „Kursindex“ 830 und „Performanceindex“. Während der Kursindex allein aus den Kursen der ___________ 981) LG Frankfurt, 13.6.2006, NZG 2006, 868; OLG München, 26.10.2006, ZIP 2007, 375. 982) Meitner/Streitferdt, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 541. 983) Albrecht, Asset Allocation und Zeithorizont, S. 10; zum Ganzen siehe Szczecki, Internationale Portfoliodiversifikation und „Home Bias“ aus der Sicht deutscher Anlager. 984) Franken/Schulte/Dörschell, Kapitalkosten für die Unternehmensbewertung, S. 50. 985) Enthält alle Werte, die an Frankfurter Wertpapierbörse im General Standard und im Prime Standard gelistet sind. 986) Enthält die 600 größten börsennotierten Unternehmen, die in 18 europäischen Ländern notiert sind. 987) Enthält mehr als 1.000 Unternehmen aus den „entwickelten“ Ländern mit Schwerpunkte auf USA (56,8 %; Stand April 2015).

197

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

einbezogenen Aktien errechnet wird, bezieht der Performanceindex auch die ausgeschütteten Dividenden in die Berechnung ein und unterstellt jeweils eine Wiederanlage in den betreffenden Aktien. Für unsere Zwecke brauchbar sind allein Performance-Indizes. 831 Die Gründe für die Wahl eines Index müssen daher offengelegt und von dem Gericht auf Angemessenheit und Plausibilität geprüft werden. 3. Betrachtungsperiode 832 Es gibt empirische Studien zur Bestimmung historischer Marktrisikoprämien in großer Zahl. Sie kommen zu teilweise sehr unterschiedlichen Ergebnissen, was insbesondere auf die Anzahl der in die Betrachtung einbezogenen Jahre zurückzuführen ist. Dörschell/Franken/Schulte haben z. B. 37 Studien aufgelistet, die Zeiträume von 4 – 116 Jahren umfassten und dabei zu Marktrenditen von 5,7 % – 18,9 % gelangt sind.988) 833 Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) veröffentlicht jährlich das „Renditedreieck“, das die Entwicklung des DAX für jeden beliebigen Zeitraum von 1965 bis heute zeigt.989) Da der DAX erst seit 1988 berechnet wird, wurde für die davor liegenden Jahre auf die Rückrechnung von Stehle zurückgegriffen. Die Daten zeigen deutlich, wie stark die über die Zeit ermittelten Renditen Schwankungen unterworfen sind. Dabei „glätten“ sich aber die Ergebnisse, je länger die gewählten Anlagezeiträume sind. 834 Die nachfolgende Tabelle auf der Basis der DAI-Daten zeigt die gemittelte Rendite verschiedenen langer Untersuchungszeiträume; verwendet wurde das arithmetische Mittel: „arithmetisch“ Anlagezeitraum endet

Untersuchungszeitraum in Jahren 5

1990

3,0 %

1995 2000

10

20

30

gesamt

17,6 %

11,6 %

10,5 %*

11,5 %

7,2 %

12,3 %

10,6 %

25,0 %

18,3 %

17,9 %

13,8 %

12,7 %

2005

1,6 %

13,3 %

10,3 %

12,6 %

11,3 %

2010

8,8 %

5,2 %

11,7 %

13,7 %

11,0 %

2015

10,4 %

9,6 %

11,5 %

10,1 %

11,0 %

*Zeitraum von 25 Jahren

___________ 988) Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 119; vgl. auch Ballwieser, Unternehmensbewertung und Komplexitätsreduktion; Creutzmann/ Heuer, DB 2010, 1301. 989) DAI, Renditedreieck, jeweils aktuell abrufbar unter: https://www.dai.de.

198

C. Probleme der praktischen Anwendung

Das DAI veröffentlicht auf der gleichen Website ein weiteres „Renditedrei- 835 eck“ für den STOXX 50990) basierend auf den Werten ab 1986. Wie wir sehen, hat die Diskussion über die Länge des Ermittlungszeitraums 836 erhebliches Gewicht: x

Wird lediglich eine geringe Anzahl von Jahren vor dem Bewertungsstichtag herangezogen, spricht die Aktualität für eine besondere Eignung zur Prognose. Besonderheiten der Vergangenheit (Kriege, Boomphasen) führen nicht zu Verfälschungen; umgekehrt werden Änderungen in der Effizienz der Märkte (z. B. Risikoreduzierungen durch Diversifikation991)) berücksichtigt.

x

Bei der Auswahl eines längeren Zeitraums entsteht eher ein repräsentativer Durchschnitt und wird der Einfluss eines einzelnen „Ausreißerjahres“ zurückgedrängt. Beispielsweise beinhaltet die oben ermittelte Durchschnittsrendite von 1,6 % eines fünfjährigen Anlagezeitraums, der in 2005 endet, die schlechteste je beobachtete Jahresrendite von –41,9 %, „erzielt“ im Jahre 2001.

Berücksichtigt werden muss auch, dass bestimmte Indizes noch keine lange 837 Historie aufweisen. So existiert der DAX erst seit 1988 und der CDAX seit 1993. Die Autoren der Studien rechnen zwar in der Regel die Indizes zurück.992) Berücksichtigt man aber, dass die „Mitglieder“ des Index regelmäßig ausgetauscht werden, wenn sie die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft nicht mehr erfüllen, dürfte dies mit zusätzlichen Unsicherheiten verbunden sein. Die Rechtsprechung ist unentschieden. Das OLG Frankfurt hält einen Be- 838 trachtungszeitraum von 50 Jahren für zu kurz und führt aus:993) „Ebenso vermag sich der Senat der Auffassung der Antragsteller nicht anzuschließen, bei der Ermittlung der historischen Marktrisikoprämie seien die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts auszuschließen. Im Gegenteil verweist der Sachverständige zu Recht darauf, dass der Erhebungszeitraum möglichst umfangreich gewählt werden solle, da von einer weitgehenden Konstanz der Prämie im Zeitablauf ausgegangen wird.“

Demgegenüber heißt es beim OLG Düsseldorf:994)

839

„Aufgrund der sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelten Welt dürften Studien, die bis in die 50-iger Jahre des letzten und sogar in die 70-iger Jahre des vorletzten Jahrhunderts zurückreichen, für die Einschätzung der Marktrisikoprämie allenfalls von untergeordneter Bedeutung sein.“

___________ 990) 991) 992) 993) 994)

Enthält die 50 größten börsennotierten Unternehmen der EURO-Zone. Stehle, WPg 2004, 906, 921. Stehle/Huber/Maier, Kredit und Kapital 96, 277. OLG Frankfurt, 26.1.15, AG 2015, 504 = Der Konzern 2015, 378. OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418.

199

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

4. „Arithmetisches“ vs. „geometrisches“ Mittel 840 Eng verbunden mit der Frage der Untersuchungszeiträume ist die Frage, wie die für diese Anlagezeiträume ermittelten Jahresrenditen gemittelt werden sollen. Die Diskussion ist verbunden mit den Begriffen „arithmetisches“ und „geometrisches“ Mittel; sie ist bis heute nicht entschieden. 841 Beim arithmetischen Mittel wird unterstellt, dass die Wertpapiere jedes Jahr verkauft werden und der Erlös mit den Erträgen wieder angelegt wird. Beim geometrischen Mittel werden die Wertpapiere nur zu Beginn des Untersuchungszeitraums gekauft und an dessen Ende verkauft; die jeweiligen Erträge werden jährlich wieder angelegt.995) Das arithmetische liegt regelmäßig über dem geometrischen Mittel.996) So heben sich 50 % Kurssteigerungen und 50 % Kursrückgang arithmetisch auf, geometrisch über die beiden Jahre ergibt sich jedoch ein Verlust von 25 %. 842 Die nachfolgende Tabelle führt das obige Beispiel der DAI-Werte fort und zeigt jeweils das geometrische Mittel: „geometrisch“ Anlagezeitraum endet 1990

Untersuchungszeitraum in Jahren 5 –1,2 %

10 13,0 %

20 8,2 %

30

gesamt

7,1 %*

1995

10,0 %

4,2 %

9,0 %

7,6 %

2000

23,3 %

16,5 %

14,7 %

10,6 %

9,7 %

2005

–3,4 %

9,1 %

6,7 %

9,0 %

8,0 %

2010

5,0 %

–0,8 %

6,8 %

9,2 %

7,1 %

2015

9,2 %

7,1 %

8,1 %

6,8 %

7,8 %

*Zeitraum von 25 Jahren

843 Die Wahl des Mittelungsverfahrens hängt von der Frage ab, ob die Renditen der einzelnen Jahre stochastisch unabhängig (in diesem Fall ist dem arithmetischen Mittel der Vorzug zu geben) oder stochastisch abhängig sind (es ist das geometrische Mittel vorzuziehen). 844 Vereinfacht lässt sich sagen, dass stochastische Abhängigkeit vorliegt, wenn die Rendite eines bestimmten Anlagejahres von der Rendite der Vorjahre abhängt, also wenn zum Beispiel auf ein “gutes“ Anlagejahr mit hoher Rendite stets oder jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit ein „schlechtes“ Anlagejahr folgt. Stochastische Abhängigkeit liegt auch dann vor, wenn auf ein „gutes“ Anlagejahr mit hoher Rendite mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiteres „gutes“ Anlagejahr folgt. Ist hingegen die Aufeinanderfolge von „guten“ und „schlechten“ Anlagejahren (vollständig) zufallsabhängig, sind die Renditen stochastisch unabhängig. ___________ 995) Baetge/Krause, BFuP 1194, 450 f.; Ballwieser, WPg 1995, 119, 125. 996) Einzelheiten siehe Reese, Schätzung von Eigenkapitalkosten, S. 18; Stehle, WPg 2004, 906, 919; Großfeld/Stöver, BB 2004, 2801.

200

C. Probleme der praktischen Anwendung

Die Frage der stochastischen Abhängigkeit wird in der Kapitalmarkttheorie 845 mit dem Begriff „momentum“ beschrieben. Wir sind dem Begriff bereits bei der Bewertung des CAPM begegnet.997) Zur Frage der Abhängigkeit von Marktrenditen im Zeitverlauf gibt es viele 846 Studien, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.998) Dörschell/Franken/ Schulte beschreiben, dass sowohl vollständige Unabhängigkeit als auch vollständige Abhängigkeit der Realität nicht gerecht werden.999) Im Falle einer vollständigen Unabhängigkeit der Renditen ist z. B. die Situation denkbar, dass über einen längeren Zeitraum in jeder Periode extrem hohe positive Renditen oder extrem negative Renditen auftreten. Beide Situationen sind nicht sehr plausibel, weil sie unrealistische Szenarien be- 847 schreiben, in denen der Markt sich entweder besser entwickelt als jemals in der Realität beobachtet oder aber aufgrund von ständigen stark negativen Renditen zusammenbricht. Es kann folglich nicht von einer vollständigen Unabhängigkeit der Renditen ausgegangen werden. Indes ist es auch nicht sachgerecht, eine vollständige Abhängigkeit der Renditen anzunehmen. Folgte auf jedes „gute“ Jahr stets ein „gutes“ oder ein „schlechtes“, gliche sich die Unsicherheit über zwei Perioden aus und es bestünde Sicherheit über die zukünftige Rendite. Der vorstehende Gesichtspunkt spricht für die Anwendung des geometrischen 848 Mittels aber nur, wenn der Anleger sein Investment über längere Zeit hält, sodass sich die Abhängigkeiten tatsächlich auswirken können. Wird dagegen das Anlageportfolio jährlich neu zusammengestellt, sind die jährlichen Renditen der Portfolien (eher) voneinander unabhängig, sodass das arithmetische Mittel zur Anwendung kommt. Dies führt uns zu der Frage der „optimalen Anlagedauer“. Blicken wir noch einmal auf das DAI-Renditedreieck und untersuchen die 849 möglichen Jahresrenditen in Abhängigkeit von der Haltedauer der Aktien (geometrisches Mittel): Anlagezeitraum Jahren

Zahl der Kombinationen

Rendite Minium

Rendite Maximum

5

46

–7,4 %

29,2 %

10

41

0,5 %

16,5 %

15

36

3,2 %

15,3 %

20

31

6,0 %

15,2 %

30

21

6,8 %

10,9 %

50

1

7,8 %

7,8 %

___________ 997) Siehe Rn. 823. 998) Ruiz de Vargas, DB 2012, 813; Gränitz, Der Momentum-Effekt und Momentum-Handelsstrategien. 999) Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 101 f.

201

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

850 Es zeigt sich, dass die maximal mögliche Rendite mit zunehmender Anlagedauer sinkt. Die Chance, die deswegen mit kürzeren Anlagedauern verbunden ist, wird aber mit dem Risiko erkauft, ggf. auch negative Renditen zu erzielen, was bei längeren Anlagedauern nicht mehr der Fall ist. Für einen rational handelnden, d. h. seine Rendite maximierenden, Anleger ist es folglich von Vorteil, sein Anlageportfolio in kurzen Abständen zu überprüfen und unter Umständen neu zu strukturieren. Eine „Buy and hold“-Strategie ist hinsichtlich der Renditemaximierung nicht die beste Anlagestrategie. Hierdurch wird die Messung der Renditeentwicklung der Aktienanlage bei kurzer Haltedauer sachgerecht. Indes muss der Anleger nicht zwangsläufig bei jeder Überprüfung seines Portfolios sämtliche Aktien durch neue Anlagepapiere ersetzen, sodass der Fall auftreten kann, dass trotz jährlicher Überprüfung einzelner Aktien mehrere Jahre im Portfolio verbleiben. Es treten Transaktionskosten hinzu; auch steuerliche Aspekte sind zu berücksichtigen, die tendenziell für längere Haltedauern sprechen.1000) 851 Bei diesen Unsicherheiten wählt man häufig den Mittelwert zwischen beiden Mitteln, also „das Mittel von Mitteln“, „solange nicht ausschließlich auszugehen ist von einem langfristigen Anlagehorizont“.1001) Nach gegenwärtigem Wissensstand gelte weder die eine noch die andere Methode als „allein richtige“.1002) 852 Zu überlegen ist aber der Vorschlag von Copeland/Koller/Murrin.1003) Sie. berücksichtigen, dass ein Portfolio innerhalb einer grundsätzlich längeren Anlagedauer mehrfach umgeschichtet wird und wollen deswegen ein arithmetisches Mittel auf der Grundlage einer zweijährigen Anlage nutzen. Die Untersuchung ist auf der Basis des amerikanischen Aktienmarkts entstanden; auf der Grundlage der Werte des DAI- Renditedreiecks scheint uns ein Anlagezeitraum von drei Jahren eine angemessene Balance zwischen Renditeerwartung und Anlagerisiko darzustellen. Es ergibt sich dann folgendes Bild, wobei die Anlagezeiträume an eine durch „3“ teilbare Dauer angepasst wurden: Anlagezeitraum Jahren

Zahl der Kombinationen

Rendite Minium

Rendite Maximum

6

45

–2,6 %

25,4 %

12

39

0,3 %

17,9 %

15

36

3,9 %

16,5 %

21

28

8,2 %

14,9 %

30

21

7,5 %

11,1 %

48

3

8,4 %

8,7 %

___________ 1000) Siehe Rn. 582 ff. 1001) BGH, 27.1.2015, NVwZ-RR 2015, 452 = ZNER 2015, 129; OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. 1002) OLG Stuttgart, 17.7.14, AG 2015, 580; OLG Frankfurt, 5.3.12, AG 2012, 417 = NZG 2012, 549; KG Berlin, 19.5.2011, AG 2011, 627 = NZG 2011, 1302. 1003) Copeland/Koller/Murrin, Unternehmenswert – Methoden und Strategien für eine wertorientierte Unternehmensführung S. 271.

202

C. Probleme der praktischen Anwendung

Nach alledem bleibt festzuhalten, dass exakte Untersuchungen zu diesem Punkt 853 (noch) nicht vorliegen. Solche Untersuchungen dürften voraussichtlich auch zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, weil der optimale Anlagezeitraum immer auch von der individuellen Risikopräferenz des Investors – nämlich zur Erzielung besserer Anlageergebnisse ggf. auch Verluste hinzunehmen – abhängt. 5. Zukunftsbezug a) Allgemeines Bei alledem darf auch nicht außer Acht bleiben, dass die Marktrisikoprämie 854 nach dem CAPM zukunftsbezogen ermittelt werden muss. Hierauf hat bereits Stehle hingewiesen und einen Abschlag auf die historische Marktrendite 1,0 bis 1,5 % als „vertretbar“ bezeichnet.1004) Dem sind die Gerichte teilweise gefolgt.1005) Wir bewerten also wieder aus dem Rückspiegel heraus. b) Finanzkrise 2008 Am 25.9.2008 begann mit der Insolvenz von Lehman Brothers die Finanz- 855 krise.1006) Dies hat der IDW-Fachausschuss Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) zum Anlass für eine Empfehlung genommen, „im Zusammenhang mit der derzeit beobachtbaren erhöhten Unsicherheit am Kapitalmarkt und der damit zum Ausdruck kommenden gestiegenen Risikoaversion“ zu prüfen, ob eine Anpassung der Marktrisikoprämien erforderlich sei. Im Ergebnis empfahl er im Vergleich zu der bis dahin „geltenden“ Empfehlung eine Erhöhung der Marktrisikoprämie um 1,0 – 1 ,5 % (vor persönlichen Steuern).1007) Die Vermutung einer steigenden Marktrendite und damit auch einer steigen- 856 den Marktrisikoprämie ist mit dem Modell des CAPM vereinbar. Es kann erwartet werden, dass Anleger in „unsicheren Zeiten“ ihre Risikoaversion steigern und damit für die Übernahme von Risiken höhere Renditen erwarten. Dies führt zu sinkenden Unternehmenswerten. Tatsächlich hätte ein Anleger, der Anfang 2008 ein DAX-Portfolio erworben 857 hätte, bis zum Ende 2008 einen Verlust von 40,4 % erlitten. Wer jedoch Ende 2008 Aktien kaufte, hätte bis Ende 2009 bereits wieder einen Gewinn von 23,8 % erzielt. Auch der „unglückliche“ Anleger, der Anfang des Jahres 2008 kaufte, hätte seinen Verlust auf 14,1 % reduziert, wenn er die Aktien ein Jahr länger gehalten hätte.1008) ___________ 1004) Stehle, WPg 2004, 906, 921. 1005) OLG München, BeckRS 2006, 13711. 1006) Großfeld, RIW 2010, 504. 1007) IDW Fachnachrichten 2012, S. 569. 1008) Werte jeweils aus dem DAI-Renditedreieck, jeweils aktuell abrufbar unter: https:// www.dai.de.

203

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

858 Wir stellen daher zunächst fest, dass sich in kurzer Sicht aufgrund der starken Kursstürze im unmittelbaren Zeitraum nach der Finanzkrise negative Marktrenditen ergeben haben. Hierdurch verringert sich rechnerisch die als Differenz zwischen Aktienrendite und risikolosem Zinssatz gemessene historische Marktrisikoprämie, wo wir doch gerade eine höhere Prämie erwartet hätten. Es ist fraglich, wie dieser Befund zu würdigen ist.1009) 859 Aus heutiger Sicht kann aber wohl festgestellt werden, dass die kurzfristigen Schocks der Finanzkrise keine signifikanten Auswirkungen auf die Marktrendite gehabt haben – zumal die Auswirkungen der Krise durch die anschließende Niedrigzinspolitik wohl stark abgemildert worden sind. Hierauf kommen wir im nächsten Abschnitt zurück. 860 Hower schreibt zusammenfassend:1010) „Es mag sein, dass in ruhigeren Börsenzeiten mit dem CAPM eine bessere Näherung an die tatsächlich am Markt beobachteten Renditen möglich ist. Ausgelöst z. B. durch lokale Krisen mit globaler Auswirkung reagieren die Marktteilnehmer heute jedoch deutlich schneller auf solche Ereignisse. Als aktuelles Beispiel kann hier die Hypothekenkrise in den USA genannt werden. (Über-) Reaktionen führen zu steigender Volatilität an den Börsen. So ist anzunehmen, dass es immer schwieriger wird, auf der Basis vergangener Marktdaten künftige Schätzungen abzuleiten.“

c) Niedrigzinsphase 861 Wagner et. al. haben den deutschen Aktienmarkt in der ersten Phase der aktuellen Niedrigzinsphase untersucht und festgestellt, dass sich die realen Aktienmarktrenditen vor Steuern praktisch nicht verändert haben.1011) Dies legt den Schluss nahe, dass die Anleger ihre Renditeforderungen nicht oder nicht vollständig an das jeweilige Zinsniveau anpassen. Da jedoch der Basiszins deutlich zurückgegangen ist, führt dies zu der Annahme einer – als Restgröße – steigenden Marktrisikoprämie in Niedrigzinsphasen. Die Autoren führen allerdings die gestiegenen Risikoprämien auf die Finanzmarktkrise und eine damit einhergehende „veränderte Risikotoleranz“ zurück. 862 Der Rückgriff auf den Basiszins für die Ermittlung der Marktrisikoprämie ist u. E. allerdings ein Irrweg. Für die Ermittlung der Marktrisikoprämie darf nicht der „Punktwert“ des Basiszinses mit dem zeitraumbezogenen „Periodenwert“ der (Aktien-)Marktrendite verglichen werden, sondern es muss der Periodenwert der Rentenrendite herangezogen werden. Fällt z. B. der Basiszins um 2 % würde sich unter den von Wagner et al. gesetzten Bedingungen die Marktrisikoprämie um den gleichen Satz erhöhen. Allerdings hätten wir in diesem Fall auch deutliche Kurssteigerungen am Rentenmarkt und damit auch eine höhere ___________ 1009) Bassimir/Gebhardt/Ruffing, WPg 2012, 882; Jonas, Finanz-Betrieb 2008, 541. 1010) Hower, Unternehmensbewertung mit dem Tax-CAPM: Fortschritt oder nichtpragmatische Komplexitätssteigerung, S. 230. 1011) Wagner/Mackenstedt/Schiezl/Lenckner/Willershausen, WPg 2013, 948.

204

C. Probleme der praktischen Anwendung

Rentenrendite beobachtet. Gehen wir so vor, stellen wir fest, dass die Differenz zwischen Aktienmarkt- und Rentenrendite – also die Marktrisikoprämie – um ca. 0,5 % zurückgegangen ist.1012) Dies könnte damit zu erklären sein, dass die „risikoscheuen“ Investoren Rentenwerte gegenüber Aktienanlagen bevorzugt haben. Belastbare Aussagen sind in der heutigen Zeit der politisch beeinflussten Zinssätze wohl aber nur schwer möglich. Wagner et al. beziehen sich auch auf praktisch unveränderte Kurs-Gewinnver- 863 hältnisse (KGV) der im DAX enthaltenen Aktien. Das KGV drückt das jeweilige Kursniveau als Multiplikator der von Analysten erwarteten Gewinne für das laufende bzw. folgende Geschäftsjahr aus. Ein KGV für den Aktienmarkt von z. B. 10 entspricht also auf Basis der kurzfristig erwarteten Gewinne einer Gesamtrenditeerwartung (Marktrendite) von 10 %. Genau dies ist aber nicht der Fall. Wie sich aus der nachstehenden Tabelle 864 ergibt, sind die KGVs in der Tat seit etwa 2012 im Einklang mit dem Anstieg des DAX selber bis zum Frühjahr 2012 deutlich angestiegen. Das bedeutet, dass die Marktrenditen gesunken sind, was bei sinkendem Basiszins zumindest nicht auf steigende Marktrisikoprämien hindeutet. Dies erweckt Zweifel an den Befunden von Wagner et al. 35,48 31,62 28,18 25,12 22,39 19,95 17,78 15,85 14,13 12,59 11,22 10,00 8,91 7,94 7,08 1980

1985

1990

1995

2000

2005

2010

2015

Abb. 7: Kurs-Gewinn-Verhältnisse (Quelle: http://www.boerse.de/dax-kgv)

___________ 1012) Wagner/Mackenstedt/Schiezl/Lenckner/Willershausen, WPg 2013, 948, 951.

205

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

865 Auch das Modell des CAPM würde es nahelegen, dass Investoren in einem Umfeld rückläufiger Renditen ihres Marktportfolios den Wert einzelner, konstant bleibender Zahlungsströme höher einschätzen; d. h. sie werden bereit sein, für ein Unternehmen mit einem solchen Zahlungsstrom mehr zu bezahlen, und damit ihre geforderte Marktrisikoprämie eher reduzieren. 6. Fragen 866 Die Fragen liegen auf der Hand: Über welchen Zeitraum misst man die Marktrendite? Welcher Index ist repräsentativ für das Unternehmen? Wie weit stehen die Ergebnisse für die Zukunft? Welche Rolle spielen die Kosten der Wiederanlage? Sie sind in den Untersuchungen nicht angesprochen, sind aber wesentlich für die Marktrendite des Kleinanlegers: „The average investor earns substantially less than the market return.“1013) 867 Zu bedenken ist auch, dass die jeweilige Besteuerung die Höhe von Marktrenditen beeinflusst. Inwieweit lässt sich ein langfristiger Durchschnitt ermitteln aus Renditen unter dem System der Anrechnungsteuer, des Halbeinkünfteverfahrens und der Abgeltungsteuer? Hierauf kommen wir noch zurück. II. Risikoloser Zinssatz 868 Bisher haben wir die Marktrendite betrachtet. Im zweiten Schritt geht es jetzt darum, den risikolosen Zinssatz zu ermitteln, da sich nach dem CAPM die Marktrisikoprämie als Differenz zwischen Marktrendite und dem risikolosen Zinssatz ergibt. 869 Die Ermittlung der Rendite einer risikolosen Anleihe kann nicht losgelöst von der Ermittlung der Marktrendite erfolgen. Wenn wir also die Marktrendite anhand eines deutschen, europäischen oder weltweiten Aktienindex ermitteln, müssen wir auch die Rendite der risikolosen Anleihen nach einem entsprechenden Index berechnen; gleiches gilt für die Wahl der Betrachtungsperiode und die Art der Mittelwertbildung.1014) Dieser Einklang ist erforderlich, da eine Änderung des Zinsniveaus nicht nur die Anleihenrendite, sondern auch die Aktienrendite beeinflusst. Sind diese Renditen jedoch korreliert und bewegen sich jeweils in die gleiche Richtung, so bleibt die Risikoprämie unverändert oder verändert sich zumindest nicht in dem gleichen Maße, wie dies allein aufgrund der Änderung der Marktrendite zu erwarten wäre. 870 Die Ermittlung der Rendite risikoloser Anleihen erfolgt seit Stehle praktisch durchgängig auf der Grundlage des REX-P. Der Index ist ein PerformanceIndex, der „repräsentativ“ den Markt abbildet für deutsche Staatsanleihen ___________ 1013) Milkier, Improving Investors’ Average, Wall Street J. Europe, Wednesday, April 11, 2007, S. 12; vgl. Bogle, The Little Book of Common Sense Investing. 1014) Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 6 Rn. 58.

206

C. Probleme der praktischen Anwendung

mit einer Laufzeit zwischen 0,5 und 10 Jahren. Der Berechnung liegen keine tatsächlich gehandelten, sondern 30 „idealtypisch definierte“ (synthetische) Anleihen zugrunde.1015) Teilweise wird für die Berechnung des risikolosen Zinssatzes auf die Basis- 871 zins-Berechnungen der Zentralbanken zurückgegriffen.1016) Hierbei wird jedoch die Performance der Anleihe ausgeblendet. Die Performance ergibt sich daraus, dass bei einem Rückgang des allgemeinen Zinsniveaus die Kurse der „Altanleihen“, die noch die alte, höhere Verzinsung aufweisen, so lange ansteigen, bis ihre laufende Rendite wieder dem aktuellen (erhöhten) Zinsniveau entspricht. Die Anleger in diesen Anleihen erzielen neben den Zinserträgen auch Kursgewinne. Eine 6 %ige Anleihe mit einer Restlaufzeit von zehn Jahren wird am 1.1.2017 872 einen Kurswert von 100 haben, wenn das Kapitalmarktniveau ebenfalls allgemein 6 % beträgt. Ist am 31.12.2017 das Kapitalmarktniveau auf 3 % abgesunken, hat diese Anleihe gemessen am Kapitalmarktniveau eine Überrendite. Zur Anpassung an das gesunkene Kapitalmarktniveau wird der Kurs auf 127 ansteigen, weil zu jedem niedrigeren Kurs ein Anleger mit dem Kauf dieser Anleihe eine Rendite von mehr als 3 % erzielen kann. Dabei ist berücksichtigt, dass diese Anleihe jetzt nur noch neun Jahre Restlaufzeit hat; für eine „synthetische“ Anleihe mit einer Restlaufzeit von (weiterhin) zehn Jahren, wie sie häufig für die Bildung von Rentenindices verwendet wird, würde sich ein Kurs von 130 ergeben. Der Kurs ist deswegen höher, weil der Anleger jetzt ein weiteres Jahr in den Genuss der „Überrendite“ kommt. III. Betafaktor 1. Allgemeines Der Betafaktor beschreibt im Modell des CAPM das Verhältnis zwischen der 873 (erwarteten) Rendite eines einzelnen Wertpapiers und der (erwarteten) Rendite des Marktportfolios. Die Nutzung des Betafaktors beruht auf der Annahme, dass die Breite von Kursschwankungen (Volatilität) ein Maßstab ist für das unternehmensindividuelle Risiko: je geringer die Volatilität umso niedriger, je stärker die Volatilität umso höher das Risiko.1017) Das IDW beschreibt das so:1018) „Der unternehmensindividuelle Betafaktor ergibt sich als Kovarianz zwischen den Aktienrenditen des zu bewertenden Unternehmens oder vergleichbarer Unternehmen und der Rendite eines Aktienindex, dividiert durch die Varianz des Aktienindexes. Die Prognoseeignung von Betafaktoren ist im jeweiligen

___________ 1015) Siehe Deutsche Börse Group, REX® und REXP®, abrufbar unter: http://www.daxindices.com. 1016) Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 6 Rn. 58. 1017) Großfeld, NZG 2009, 1204. 1018) IDW S 1 2008 Tz. 121.

207

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM Einzelfall zu würdigen (Zukunftsausrichtung, Datenqualität, Angemessenheit im Hinblick auf die Kapitalstruktur, Übertragung ausländischer Betafaktoren).“

874 Sind Volatilität des Marktportfolios und die des Unternehmens gleich, so ist der Betafaktor 1. Ist die Volatilität des Unternehmens größer, so ist das Risiko höher; der Betafaktor steigt (z. B. auf 1,2). Die Folge ist ein niedrigerer Unternehmenswert. Liegt der Betafaktor unter 1 (z. B. 0,8) so ist das Risiko geringer, der Unternehmenswert somit höher. Mit dem Betafaktor multiplizieren wir anschließend die Marktrisikoprämie und finden so den Risikozuschlag. 875 Betafaktoren haben eine große Wertrelevanz: Wer gut bewertet sein will, strukturiert sein Unternehmen in einer Form, die gleichmäßige Gewinnausschüttungen ermöglicht oder wählt eine Bilanzierungstechnik, die Ergebnisvolatilitäten ausgleicht. Das ist im Modell des CAPM angelegt: Je mehr die ausschüttungsfähigen Ertragsüberschüsse einem konstanten Anleihenzins gleichen, umso niedriger wird der Risikozuschlag und umso höher wird unter sonst gleichen Bedingungen der Unternehmenswert. 876 Die Berechnung führt zu einer linearen Beziehung zwischen dem Risiko (ausgedrückt durch den Betafaktor) und dem sich daraus ergebenden Risikozuschlag. Dies muss aber nicht so sein; es könnte sein, dass der Beta-Wert über- oder unterproportional zum Risiko ansteigt. Studien für den deutschen Kapitalmarkt zeigen wenig empirische Bestätigung.1019) 2. Ermittlung 877 Die Ermittlung des Betafaktors erfolgt mittels „linearer Regression“. Es werden Renditepaare bestehend aus der Wertentwicklung der zu bewertenden Aktie und des Referenzindex gebildet, die in einem Diagramm aufgetragen werden können. Daraus entsteht eine „Punktewolke“, durch die nach der „Methode der kleinsten Quadrate“ eine Gerade gelegt wird. Die Steigung dieser Gerade bezeichnet den Betafaktor. 878 Hier stoßen wir auf Fragen der Statistik, die wir im Einzelnen nicht darstellen möchten. Klarstellend verweisen wir darauf, dass die entstehende Gerade nicht identisch ist mit der oben dargestellten Kapitalmarkt-Linie. Hier geht es darum, den Wert zu ermitteln, um den das Risiko und damit der Risikozuschlag von dem „Standard“-Betawert abweicht, der für das Marktportfolio gilt. 879 Betafaktoren werden von Kapitaldienstleistern bereitgestellt – etwa von Bloomberg, Datastream oder Reuters. Diese Dienste sind allerdings kostenpflichtig. Kostenlose Daten gibt es bei verschiedenen Online-Brokern; dort wird allerdings in der Regel nicht mitgeteilt, wie die Werte ermittelt worden sind. Jedoch können wir mit Hilfe von frei verfügbaren Kursdaten und einem ___________ 1019) Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 27.

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C. Probleme der praktischen Anwendung

Tabellenkalkulationsprogramm vergangenheitsorientierte Beta-Werte für börsennotierte Gesellschaften selber ermitteln.1020) Nur in seltenen Fällen wird sich die Unternehmensbewertung auf eine börsen- 880 notierte Gesellschaft beziehen, für die Betawerte ermittelt werden können. In den anderen Fällen behelfen wir uns damit, Betawerte für Unternehmen zu verwenden, die Ähnlichkeiten mit dem zu bewertenden Unternehmen aufweisen („peer group“). Wir unterstellen, dass diese Unternehmen eine ähnliche Risikostruktur haben. 3. Raw Beta Wenn wir vorgehen, wie gerade beschrieben, erhalten wir das „raw beta“. 881 Dieser Wert ist jedoch nicht eindeutig, sondern hängt davon ab, wie die Renditepaare berechnet werden. Als Erstes fragen wir nach dem Referenz-Index. Wir haben gesehen, dass dies 882 aus theoretischer Sicht ein möglichst breiter Index sein muss, der das „AnlageUniversum“ des Investors abbildet.1021) Trotzdem wird in der Praxis in den überwiegenden Fällen der DAX oder wenigstens der marktbreitere C-DAX herangezogen und damit allein deutsche Aktien als Anlagealternative unterstellt. Ist dies im Zeitalter zunehmender Verflechtung und Globalisierung noch zeitgemäß? Danach entscheiden wir, über welchen Zeitraum und wie viele Renditepaare 883 gebildet werden sollen. Häufige Kombinationen sind:1022) x

fünf Jahre Beobachtungszeitraum, monatliche Renditeintervalle (ca. 60 Datenpunkte)

x

zwei Jahre Beobachtungszeitraum, wöchentliche Renditeintervalle (ca. 104 Datenpunkte)

x

ein Jahr Beobachtungszeitraum, tägliche Renditeintervalle (ca. 260 Datenpunkte).

Aus der Sicht der Statistik ist es günstig, über möglichst viele Datenpunkte 884 zu verfügen, da dies die Güte der „linearen Regression“ verbessert. Jedoch fragen wir auch hier, ob Besonderheiten des konkreten Bewertungsfalls für oder gegen einen bestimmten Zeitraum sprechen. Es könnte sein, dass sich zwischenzeitlich die Risikoeinschätzung des Unternehmens durch den „Markt“ (die Börse) geändert hat, was zum Beispiel auf die Erschließung neuer Märkte, Einführung neuer Produkte oder die Stellung von Kernprodukten im Pro___________ 1020) Einzelheiten siehe Meitner/Streitferdt, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 543; Großfeld/Stöver, BB 2004, 2799, 2805 ff. 1021) Siehe Rn. 795 und 828. 1022) Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 158.

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Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

duktlebenszyklus zurückgeführt werden kann. Bei aktienrechtlichen Bewertungsverfahren kommt häufig hinzu, dass vorzeitig Informationen zu geplanten Strukturmaßnahmen „durchsickern“ und entsprechend den Aktienkurs beeinflussen. Auch Finanz- und Kapitalmarktkrisen können zu geänderten Einschätzungen und damit zu „Ausreißern“ bei den ermittelten Betawerten führen. Als Reaktion auf die Finanzkrise 2008 sah es das IDW als sachgerecht an, „nicht als nachhaltig anzusehende Einflüsse“ auszuschalten durch die „Eliminierung dieses zeitlichen Abschnitts“.1023) 885 Doch beeinflusst die Wahl des Zeitintervalls die Höhe des Betafaktors (Intervalling-Effekt). Das gilt vor allem bei einem unregelmäßigen Handel von Aktien und beruht darauf, dass bei kurzen Renditeintervallen die Aktie möglicherweise mangels Handel „noch keine Möglichkeit hatte“, auf Marktveränderungen zu reagieren; der Betafaktor ist in diesen Fällen tendenziell zu niedrig.1024) In solchen Fällen liegt es nahe, die Aktienrendite nur zwischen den Tagen zu ermitteln, an denen es Umsätze gab („Trade-to-trade“-Verfahren).1025) 886 Für die Messperiode gilt Gleiches wie für die Ermittlung des Börsenkurses: Sie muss spätestens enden am Tage der Bekanntmachung der Maßnahme.1026) 4. Adjusted Beta 887 Teilweise werden für die Bewertung auch „adjusted Beta“-Werte herangezogen. Der Ansatz geht zurück auf Blume, der für den amerikanischen Aktienmarkt nachgewiesen hat, dass die Beta-Werte von Unternehmen langfristig auf den Wert „1“ des Marktportfolios hintendieren. Blume setzte deswegen einen Beta-Wert an, der zu 1/3 auf dem Wert „1“ und zu 2/3 auf dem tatsächlichen raw Beta basierte.1027) Liegt also zum Beispiel das „raw Beta“ bei 0,4 ergibt sich ein „adjusted Beta“ von (1/3 + 2/3 × 0,4 =) 0,6. 888 Das Modell des „adjusted Beta“ wird vielfach infrage gestellt und ist auch ökonomisch nicht zwingend.1028) Letztlich bringt es in die Bewertung eine weitere Unsicherheit.

___________ 1023) IDW FN 2009, S. 696, 698; vgl. Ruiz de Vargas/Zollner, BewertungsPraktiker Nr. 2/2010, S. 2. 1024) Meitner/Streitferdt, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 538. 1025) Brüchle/Erhardt/Nowak, ZfB 2008, 455, 462. 1026) Brüchle/Erhardt/Nowak, ZfB 2008, 457, 472; OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = WM 2010, 654. 1027) Blume, JoF 1971, S. 7. 1028) OLG Frankfurt, 18.12.2014, AG 2015, 241 = ZIP 2015, 371; Beumer/Hense, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1218; Dörschell/Franken/ Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 189 f.

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C. Probleme der praktischen Anwendung

5. Total Beta Der „total Beta“-Ansatz geht von der Annahme aus, dass Eigentümer kleiner 889 und mittlerer nicht börsennotierter Unternehmen i. d. R. ihr gesamtes Vermögen in ihrem Unternehmen gebunden haben und deswegen nicht „optimal diversifiziert“ im Sinne des CAPM sind. Während ein breit aufgestellter Investor deswegen davon ausgehen kann, dass sich die „unsystematischen“ Risiken seiner Anlagen durch die breite Diversifizierung gegenseitig aufheben, hat ein Kleininvestor diese Möglichkeiten nicht. Als Folge wird er sich das Risiko, sein Geld nur in einem Unternehmen anlegen zu können, zusätzlich vergüten lassen.1029) Rechnerisch lässt sich ermitteln, dass ein „total Beta“ je nach Branche zwi- 890 schen 30 % und 100 % über dem „raw Beta“ liegt.1030) Damit einher gehen deutlich verminderte Unternehmenswerte. Gegen den „total Beta“-Ansatz wird vorgebracht, dass es ebenso wenig wie 891 einen „optimal diversifizierten“ Anleger einen „komplett nicht diversifizierten“ Anleger gibt, dass jedoch schon wenige zusätzliche Anlagen zu signifikanten Diversifikationseffekten und damit sinkenden Risikofaktoren führten.1031) Weiter wird eine Durchbrechung des Grundsatzes angemerkt, dass unternehmensspezifische Risiken nicht im Kapitalisierungszins, sondern bei der Planung der Überschüsse zu berücksichtigen seien.1032) Das IDW lehnt die Anwendung des „Total Beta“ für Fälle der objektivierten Unternehmensbewertung ab.1033) Ihlau/Duscha identifizieren Fälle, in denen die Voraussetzungen des „total 892 Beta“-Ansatzes erfüllt sein könnten.1034) Im Übrigen scheint es aber tatsächlich so zu sein, dass für kleine und mittlere Unternehmen unter sonst gleichen Bedingungen geringere Kaufpreise gezahlt, also offenbar höhere Risikozuschläge gefordert werden. Die Zeitschrift „Finance“ veröffentlicht monatlich eine Übersicht zu Unternehmenstransaktionen, aus der sich für „Small Caps“1035) niedrigere Unternehmenswerte als für „Large Caps“ und noch niedrigere als für börsennotierte Gesellschaften ableiten lassen.1036) Wir müssen deswegen ggf. prüfen, ob die Anwendung des „total Beta“ vor 893 dem Hintergrund der vom Gesetz geforderten „vollen Abfindung“1037) zu realistischeren Ergebnissen führt. Dabei erinnern wir uns, dass wir oben den ___________ 1029) Damodaran, Investment Valuation, S. 667 f; Balz/Bordemann, Finanz-Betrieb 2007, 737. 1030) Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489, 495; Berechnungsformel bei Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 373. 1031) Jonas, WPg 2008, Sonderheft, 117, 120. 1032) Schulz, Größenabhängige Risikoanpassung in der Unternehmensbewertung, S. 122. 1033) IDW S 1 2008 Tz. 114; vgl. auch Kruschwitz/Löffler, Corporate Finance 2014, 263. 1034) Ihlau/Duscha, WPg 2012, 489, 496. 1035) Definiert als Unternehmen mit Umsätzen unter 50 Mio €. 1036) FINANCE-Multiples, jeweils monatsaktuell abrufbar unter: http://www.financemagazin.de. 1037) Siehe Rn. 201.

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Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

„Small-Cap-Effekt“ als eine Anomalie des CAPM identifiziert haben.1038) In der Praxis werden Näherungslösungen vorgeschlagen, zum Beispiel das Mittel zwischen „raw Beta“ und „total Beta“.1039) 6. Levered Beta/Unlevered Beta a) Allgemeines 894 Unabhängig davon, welche Bewertungsmethode angewendet wird, ist der Einfluss der Kapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens auf die Kapitalisierungszinssätze zu berücksichtigen.1040) Es wird davon ausgegangen, dass ein höher verschuldetes Unternehmen mit einem höheren Risiko belastet ist, weil das Fremdkapital nicht an Verlusten beteiligt ist. Potentielle Verluste schlagen daher nur auf das Eigenkapital durch und erhöhen damit die Volatilität des Ergebnisses. Wir haben bereits gesehen, dass dies den „risikoscheuen Investor“ veranlasst, eine höhere Risikoprämie zu verlangen.1041) 895 In der Regel ist der Verschuldungsgrad des zu bewertenden Unternehmens und der herangezogenen Vergleichsunternehmen („peer group“) nicht identisch. Es werden dann die Betafaktoren der Vergangenheit der verschuldeten Unternehmen der „peer group“ in unverschuldete Betafaktoren umgerechnet („unlevern“).1042) Danach passen wir den unverschuldeten Betafaktor die unverschuldeten Betafaktoren auf den Verschuldungsgrad des zu bewertenden Unternehmens an („relevern“).1043) 896 Aber auch das zu bewertende Unternehmen selbst kann im Zeitablauf unterschiedliche Beta-Werte aufweisen. Der Fall tritt immer dann ein, wenn sich die Eigenkapital/Fremdkapital-Relation im Laufe der Planungsperioden verändert. Steigt die Verschuldung im Laufe der Zeit an, führt dies zu höheren Beta-Werten. Auch hierauf kommen wir noch zu sprechen.1044) b) Berechnung 897 Die (einfachen) Formeln lauten für das „unlevern“: Eu

E FK · § ¨ 1  EK ¸ © ¹

___________ 1038) Siehe Rn. 823. 1039) Kniest, in FS Mandl, S. 318. 1040) IDW S 1 2008 Tz. 100. 1041) Siehe Rn. 803. 1042) OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = WM 2010, 654. 1043) Zu den Einzelheiten der Formeln Großfeld/Stöver, BB 2004, 2799; Dörschell/Franken/ Schulte, WPg 2008, 444. 1044) Siehe Rn. 1139.

212

C. Probleme der praktischen Anwendung

und für das „relevern“: E Eu

E FK · § ¨ 1  EK ¸ © ¹

oder E Eu  Eu

FK EK

mit ȕ

= Betafaktor des verschuldeten Unternehmens

ȕu

= Betafaktor des unverschuldeten Unternehmens

EK = Marktwert des Eigenkapitals FK = Marktwert des Fremdkapitals. Die Formeln gelten unter der Annahme, dass die Fremdkapitalgeber keinem 898 Ausfallrisiko unterliegen. Das erscheint praxisfern, weil auch Fremdkapitalgeber eine Risikoprämie in Abhängigkeit von der Bonität des Kreditnehmers („Rating“) in ihre Zinsberechnung aufnehmen – den „credit spread“.1045) Diese Fälle können in den Formeln zum „unlevern“ und “relevern“ aufgenommen werden. Sie werden dann deutlich komplizierter,1046) ohne dass sich an dem grundsätzlichen Vorgehen etwas ändert. Deswegen möchten wir hier nicht weiter darauf eingehen. In einfachen Bewertungsfällen wird in der Regel auf die Berücksichtigung des 899 Kapitalstruktur-Risikos verzichtet. Dies ist dann möglich, wenn die Kapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens der der Alternativanlage nahezu entspricht und im Zeitablauf kaum schwankt. c) Umfang des Fremdkapitals Als Fremdkapital beim „unlevern“ und „relevern“ werden üblicherweise die 900 „zinstragenden Verbindlichkeiten“ in Form von Krediten angesehen.1047) Da sie den gleichen Einfluss auf das Kapitalstrukturrisiko haben, sind aber auch die „nicht-zinstragenden Verbindlichkeiten“ – z. B. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen – zu berücksichtigen. Verfügt ein Unternehmen über hohe Barmittelbestände oder Geldanlagen, so 901 sind die hieraus resultierenden Zahlungsströme als „Sicherungspuffer“ denkbar, sodass in Umkehrung der obigen Überlegung ein niedrigeres Beta vorliegen könnte.

___________ 1045) Siehe. Rn. 764. 1046) Vgl. das Formel-Tableau bei Meitner/Streitferdt, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 560. 1047) Meitner/Streitferdt, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 561.

213

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

902 Liegt es dann nahe, diese Geldbestände mit den Kreditverbindlichkeiten zu saldieren? Was ist mit Pensionsrückstellungen, denen auf der Aktivseite ein Deckungsvermögen gegenübersteht (§ 246 Abs. 2 Satz 2 HGB)? Diese Fragen müssen bei der Bewertung berücksichtigt und die Ergebnisse in Bewertungsgutachten entsprechend offengelegt werden. 7. Ausländische Betafaktoren 903 Das OLG Celle hält den Rückgriff auf eine internationale Peer Group „durchaus“ für „eine seriöse Methode“:1048) „Dass hierbei – weil entsprechende inländische Unternehmen nicht vorhanden sind – auf eine Gruppe internationaler Unternehmen zurückgegriffen wird, ist nicht zu beanstanden, weil zum einen die Kapital- und Aktienmärkte eng miteinander verflochten sind, was für eine Vergleichbarkeit spricht, zum anderen diese Vergleichbarkeit auch aus dem Umstand folgt, dass es sich weitgehend um Konkurrenten des zu bewertenden Unternehmens handelt.“

904 Doch ist Vorsicht geboten:1049) Ausland ist nicht Inland! Hier dürfte das folgende Zitat im Zusammenhang mit der „Subprime mortgage“-Krise analog gelten: „Medium-size banks find foreign markets particularly appealing, but only because they don’t really understand the risks.“1050)

905 Das Zeichensystem „Zahlen“ scheint weltweit einheitlich: „Das ist verführerisch. Zahlen suggerieren Klarheit und Exaktheit. Insoweit wirken gerade Zahlenwerke der Bilanz … mathematisch genau. Die bilanzielle Ausgewogenheit zeigt Gleichgewicht und bedient wohl ein ureigenes menschliches Bedürfnis.“1051)

906 Zahlen sind nicht Symbole für gleiche Erfahrungen; sie abstrahieren, bannen die Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse eines Unternehmens in ein formallogisches System, das jeweils in eine andere Kultur eingebettet ist. Andere Kapitalmärkte mögen Risiken aufgrund historischer Erfahrungen anders einschätzen und bewerten. Das führt zu unterschiedlichen Beta-Werten. 8. Zukunftsbetas 907 Die geschilderten Betafaktoren sind aus der Vergangenheit abgeleitet. Die Unternehmensbewertung zielt aber auf die Zukunft; das gilt auch für den Betafaktor: Er ist ein „Zukunftswert“. Daher zählen an sich die künftige Markt___________ 1048) OLG Celle, 19.4.2007, AG 2007, 865 = ZIP 2007, 2025, ebenso OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220. 1049) Vgl. IDW S. 1 2008 Tz. 121; zur Frage der Berücksichtigung von Währungsschwankungen bei internationalen Investments: Meitner/Streitferdt, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 566. 1050) Hagerty a. o., Germany sets shaky precedent with bailout of wobbling lender, Wall Street J. Europe, Monday, August 6, 2007, S. 15. 1051) Luttermann/Luttermann, RIW 2007, 434, 436.

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C. Probleme der praktischen Anwendung

rendite und die künftigen Volatilitäten. Aber wer kann das einschätzen? Finanzdienstleiter bieten Prognosen für Betafaktoren an; deren Eignung ist jeweils zu prüfen.1052) Auch hier kommt es an auf Datenqualität und Angemessenheit für die Kapitalstruktur. 9. Belastbarkeit Die Statistik kann uns helfen bei der Frage, inwieweit ein für die Vergangen- 908 heit ermittelter Betafaktor auch für die Zukunft herangezogen werden kann. Sie liefert eine Kenngröße, die die Abhängigkeit der Entwicklung eines Wertes (also z. B. des Kurses einer einzelnen Aktie) von einem anderen Wert (also zum Beispiel eines Aktienindex) zeigt. Dies erfolgt zwar ebenfalls für die Vergangenheit. Wir unterstellen jedoch, dass ein in der Vergangenheit beobachteter Zusammenhang umso eher auch für die Zukunft gilt, je enger dieser Zusammenhang ist. Bezogen auf den Betafaktor unterstellen wir, dass die hierin ausgedrückte Risikoeinschätzung auch für die Zukunft gilt, sofern sich die (Risiko-)Struktur des zu bewertenden Unternehmens nicht deutlich verändert. Die genannte Kenngröße ist das Bestimmtheitsmaß R².1053) Sie beträgt „1“ 909 bei einer perfekten Korrelation und „0“, wenn die Aktie überhaupt nicht auf die Änderungen des Referenzindex reagiert. Die Literatur verlangt Bestimmtheitsmaße von mindestens 0,1. In der Praxis gelten Werte bis 0,2 bereits als gut, insbesondere dann, wenn der Betafaktor besonders niedrig (ȕ < 1) ist.1054) Wir haben gesehen, dass für die Bestimmung der Marktrendite verschiedene 910 Indizes herangezogen werden können1055) und dass für die Bestimmung der Betawerte verschiedene Renditepaare gebildet werden können.1056) Deswegen wird das Bestimmtheitsmaß häufig auch verwendet zur Bestimmung des am besten geeigneten Referenzindex und der Renditeintervalle.1057) Die Verwendbarkeit des Bestimmtheitsmaßes für diesen Zweck wird allerdings in letzter Zeit in Zweifel gezogen1058) – und zwar insbesondere unter Hinweis auf die verzerrende Wirkung des „Intervalling“-Effektes.1059) Es soll deswegen zusätzlich die „Liquidität“ des Marktes berücksichtigt werden, um daraus festzustellen, wie schnell der Markt Informationen zu dem zu bewertenden Unternehmen in die Kurse „einpreist“. ___________ 1052) IDW S 1 2008 Tz. 121. 1053) Zu Einzelheiten siehe Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, S. 175 ff. 1054) Dörschell/Franken/Schulte/Brütting, WPg 2008, 1159; vgl. auch Knoll, WPg 2010, 1106. 1055) Siehe Rn. 829. 1056) Siehe Rn. 883. 1057) Meitner/Streitferdt, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung. 1058) Franken/Schulte, WPg 2010, 1110. 1059) Siehe Rn. 885.

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Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

911 Blicken wir noch einmal auf das Modell des CAPM, muss das für die Marktrendite herangezogene Portfolio möglichst breit gestreut sein und in der praktischen Anwendung deswegen einen möglichst breit aufgestellten (internationalen) Aktienindex verwenden.1060) Könnte das dazu führen, dass die Signifikanz weiter abnimmt und damit die Belastbarkeit der aus der Vergangenheit ermittelten Betafaktoren sinkt? IV. Peer Group 1. Allgemeines 912 Bisher sind wir davon ausgegangen, dass das zu bewertende Unternehmen selber börsennotiert ist und deswegen „eigene“ Betafaktoren zur Verfügung stehen. Die Mehrzahl der in der Praxis auftretenden Bewertungsfälle bezieht sich aber auf nicht börsennotierte Unternehmen. Selbst bei einem börsennotierten Unternehmen sind die historischen Kursdaten nicht aussagefähig, wenn z. B. kein hinreichend breiter Handel in der Aktie stattfand oder ein „Strukturbruch“ vorliegt, der die Übertragung der Risikoeinschätzung der Vergangenheit in die Zukunft erschwert. Es bleibt nur der Rückgriff auf die Marktrisikoprämie einer Peer Group („peer group“ = Vergleichsgruppe) anderer börsennotierter Unternehmen, deren Betas bekannt sind, oder die Nutzung von „Branchenbetas“. Auch eine internationale Peer Group kann herangezogen werden.1061) 913 Eine Peer Group können wir selber aus geeigneten Unternehmen zusammenstellen. Wir ermitteln dann die Beta-Werte jedes einzelnen Unternehmens der Gruppe und gewichten diese zu einem Gesamtwert, was i. d. R. durch Bildung eines Mittelwertes erfolgt. Weniger üblich ist die direkte Ermittlung des Betawertes aus den Kursbewegungen der gesamten Gruppe („Vergleichsportfolio“), diese Möglichkeit begegnet uns bei der Verwendung von Branchenindizes und daraus abgeleiteten Branchen-Betas, die man als „synthetische Peer Groups“ ansehen kann. 2. Vergleichbarkeit 914 Kern der Bestimmung von Peer Groups ist die Vergleichbarkeit mit dem zu bewertenden Unternehmen. Das Problem beschreibt das LG Frankfurt:1062) „Das Grundproblem ist zunächst die sachgerechte (Vor)Auswahl der Peer Group. Gerade für hoch spezialisierte Unternehmen wird es vielfach schwer sein, börsennotierte Vergleichsunternehmen zu finden. Als Alternative bietet es sich dann an, Unternehmen heranzuziehen, die zumindest der gleichen Branche angehören … Fraglich ist, wie viele Unternehmen eine aussagekräftige

___________ 1060) Siehe Rn. 829. 1061) OLG Stuttgart, 17.10.2011, BeckRS 2011, 24586; OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220; OLG Celle, 19.4.2007, AG 2007, 865 = ZIP 2007, 2025. 1062) LG Frankfurt, 13.6.2006, Der Konzern 2007, 56 = NZG 2006, 868.

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C. Probleme der praktischen Anwendung Peer Group enthalten sollte. Zu beachten ist dabei, dass ein Mehr von Unternehmen in aller Regel mit einem Weniger an Übereinstimmung hinsichtlich der Geschäftstätigkeit verbunden ist. So ist im Einzelfall zu entscheiden, ob bereits eine Peer Group von drei bis vier Unternehmen ausreichend sein kann.“

Meitner/Streitferdt verlangen bei der Auswahl der Peer Group die Beachtung 915 folgender Punkte:1063) x

Identität der Branche, der Unternehmensgröße und der operativen Diversifikation: Die Unternehmen müssen hinsichtlich der Branche, der Größe und ihrer Geschäftsfelder (weitgehend) identisch sein. Dabei spielt die Diversifikation eine bedeutsame Rolle. Breit aufgestellte Unternehmen – dies sind in der Regel Großunternehmen – schätzt der Markt mit einem geringeren Risiko ein, weil sich die Risiken der einzelnen Geschäftssparten ausgleichen sollen. Auch die Rentabilität spielt eine Rolle; sonst identische Unternehmen weisen stark unterschiedliche Betafaktoren auf, wenn sie unterschiedlich rentabel sind.

x

Bewertung der unverschuldeten Unternehmen: Den Einfluss der Verschuldung auf den Betafaktor haben wir bereits beleuchtet.1064) In der Praxis ergeben sich aber möglicherweise Schwierigkeiten, die für das „Unlevern“ erforderlichen Daten zu erhalten.

x

Gewichtung der einzelnen Unternehmen der Gruppe: Üblicherweise wird der Betafaktor der Peer Group als arithmetisches Mittel der Betafaktoren der einbezogenen Unternehmen gebildet.

x

Beachtung der statistischen Abhängigkeit der Unternehmen der Gruppe: Tendenziell bewegt sich der gemittelte Betafaktor auf den Wert „1“ zu, je mehr Unternehmen in ein Vergleichsportfolio einbezogen werden, wenn die Renditen der einbezogenen Unternehmen miteinander korreliert sind. Bei einer Peer Group aus branchengleichen Unternehmen ist genau dies zu erwarten („Branchenkonjunktur“).

3. Squeeze-out Einwände gegen die Heranziehung einer Peer Group finden sich besonders 916 beim Squeeze-out. Die Ermittlung des Marktrisikos setze einen funktionierenden Kapitalmarkt voraus; bei einem Squeeze-out sei der Kapitalmarkt verzerrt (dominierte Situation).1065) Das Risiko des Tochterunternehmens sei wegen des starken Hauptaktionärs sehr gering („nahe 0“); jedenfalls lasse es sich nicht ermitteln (Marktrisiko-Entkoppelung).1066) Deshalb scheide eine ___________ 1063) Meitner/Streitferdt, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 565 f. 1064) Siehe Rn. 894 ff. 1065) Ehrhardt/Nowak, AG, 2005, 3. 1066) LG Frankfurt, 2.5.2006, AG 2007, 42; Popp, AG 2010, 1; Brüchle/Erhardt/Nowak, ZfB 2008, 455, 468 ff.

217

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

Vergleichbarkeit mit Unternehmen aus, von denen viele Aktien an der Börse gehandelt werden.1067) 917 Im Vorfeld von Squeeze-outs gibt es zumeist nur einen geringen Streubesitz; deshalb ist die Liquidität der Aktie gering.1068) Man mag daher – namentlich bei Unternehmen in derselben Branche – als Anhaltspunkt den Betafaktor des Mutterunternehmens wählen und ihn ggf. verringern.1069) Die oft geübte Heranziehung einer Peer Group sollte man jedenfalls bedachtsam angehen.1070) 4. Fazit 918 Das LG Hamburg sieht einen „ganz entscheidenden Nachteil“ der Vergleichsgruppe in fehlender Transparenz. Das Gericht könne meistens nicht überprüfen, ob die Geschäftsdaten der Peer Group vergleichbar seien.1071) 919 Das LG Frankfurt1072) kommt zu folgendem Schluss: „Zudem sind der Ermittlung des Betafaktors abweichend von dem individuellen Betafaktor anhand einer sog. Peer durch die gesetzlichen Bestimmungen des § 327b Abs. 1 AktG Grenzen gesetzt. Der Gesetzgeber hat hier ausdrücklich die Bemessung der Abfindung hauptsächlich auf die Verhältnisse der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Beschlussfassung abgestellt. Auf historische Betas oder solche anderer Gesellschaften kann es daher hier nicht entscheidend ankommen.“

920 In der neueren Rechtsprechung scheint sich ein abgestuftes Vorgehen abzuzeichnen, das einen Rückgriff auf Peer Groups immer dann vorsieht, wenn die eigenen Betawerte des zu bewertenden Unternehmens nicht hinreichend aussagekräftig sind.1073) Franken/Schulte entwickeln eine Prüfungsfolge, nach der auf Beta-Werte in folgender Reihenfolge zurückgegriffen werden soll:1074) x

eigener Betafaktor des zu bewertenden Unternehmens

x

Betafaktoren unmittelbar vergleichbarer Unternehmen

x

Betafaktoren von Unternehmen der gleichen Branche

x

Betafaktoren für Unternehmen mit vergleichbaren Risiken

x

Betafaktor des Marktes (ȕ = 1)

___________ 1067) Schmitt/Dausend, Finanz-Betrieb 2006, 233, 241. 1068) OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = WM 2010, 654. 1069) So LG Hannover, 27.5.2003 – 26 AktE 3/89, S. 16; OLG Celle, 29.10.2004 – 9 W 100/03, S. 11. 1070) Brüchle/Erhardt/Nowak, ZfB 2008, 455, 472. 1071) LG Hamburg, 3.4.2007 – 414 O 26/97. 1072) LG Frankfurt, 13.11.2007, BeckRS 2008, 19899. 1073) OLG Frankfurt, 18.12.14, AG 2015, 241 = ZIP 2015, 371; OLG Stuttgart, 17.7.2014, AG 2015, 580. 1074) Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch der Unternehmensbewertung, § 6 Rn. 85.

218

D. Rechtsprechung

Dem folgen wir. Das Ausweichen auf Peer-Group-Betas scheint aber wegen 921 vermehrter Komplexität in eine höhere Unsicherheitsstufe zu führen. Je weiter wir uns von den Verhältnissen des zu bewertenden Unternehmens entfernen, umso größer wird die Notwendigkeit, die Angemessenheit des gefundenen Ergebnisses mit Blick auf das zu bewertende Unternehmen zu begründen. Das OLG Stuttgart führt aus:1075) „Betafaktoren können aber nicht nur aus Branchendaten, sondern auch aus anderen Umständen der Wirtschaftstätigkeit abgeleitet werden, etwa der Erkenntnis, dass Versorgungsunternehmen in der Regel ein geringeres und Technologieunternehmen in der Regel ein höheres Risiko als das Marktportfolio aufweisen. Dies entspricht der Empfehlung des IDW S1 Stand 18.10.2005, bei der Bemessung des Risikozuschlags die durch externe und interne Einflüsse wie Standort-, Umwelt- und Brancheneinflüsse, Kapitalstruktur, Kundenabhängigkeit und Produktprogramm geprägte spezifische Risikostruktur des Bewertungsobjekts zu berücksichtigen.“

Wie weit werden hierdurch noch „die Verhältnisse der Gesellschaft“ abgebildet? 922 D. Rechtsprechung I. CAPM Die Gerichte haben in der Vergangenheit das CAPM entweder nicht ange- 923 wendet oder aber jedenfalls dem Verfahren keinen besonderen Vorrang eingeräumt.1076) Das hat sich geändert. Paulsen führt aus:1077)

924

„Die Methode wird … zu Recht als State of the Art angesehen. Die Gründe für die allgemeine Akzeptanz liegen in dem breit akzeptierten theoretischen Fundament; die erzielten Ergebnisse sind nicht perfekt, aber akzeptabel. … Für die Anwendung des CAPM spricht …, dass bei der Feststellung des Unternehmenswerts nachvollziehbare Grundsätze angewendet und dabei Kapitalmarktdaten zugrunde gelegt werden. Es gibt kein anderes Modell, das wie das Capital Asset Pricing Model (CAPM) die Bewertung risikobehafteter Anlagemöglichkeiten durch den Kapitalmarkt erläutert. Das CAPM ist bis heute das wichtigste Modell zur Handhabung risikogerechter Kapitalkosten. Ein überzeugender Bewertungsansatz, der das CAPM verdrängen könnte, hat sich bisher nicht etabliert. „The capital asset pricing theory is the best-known model of risk and return.“

Die Rechtsprechung akzeptiert das CAPM mittlerweile jedenfalls grundsätz- 925 lich,1078) kommt in Einzelfällen zu anderen Gewichtungen. Nachfolgend einige Einzelheiten. ___________ 1075) OLG Stuttgart, BeckRS 2010, 00900. 1076) BayObLG, 28.10.2005, AG 2006, 41 = NZG 2006, 154; OLG München, 26.10.2006, ZIP 2007, 375 = Der Konzern 2007, 356; OLG München, 14.7.2009, WM 2009, 1848 = ZIP 2009, 2339; OLG München, 31.3.2008, OLGR München 2008, 450; OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28 = BB 2007, 2395. 1077) Paulsen, in: MünchKomm, AktG, § 305 Rn. 126. 1078) OLG Stuttgart, 5.11.2013, AG 2014, 291 = NZG 2014, 140; OLG Frankfurt, 13.8.2012, BeckRS 2012, 20564; OLG München, 18.2.2014, AG 2014, 453 = NJW-RR 2014, 473; OLG Düsseldorf, 12.11.2015, AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71.

219

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

926 Das OLG Düsseldorf wendete das CAPM bereits für einen Stichtag im August 2000 an.1079) Demgegenüber beruhe die traditionelle Methode für die Ermittlung des Risikozuschlags „auf freier Schätzung“1080) nach „Gefühl und Wellenschlag“.1081) Das Gericht betont in neueren Entscheidungen aber auch die Möglichkeit, einen Risikozuschlag „aus Erfahrungswerten zu greifen“ und stellt beide Möglichkeiten als gleichwertig dar.1082) 927 Sowohl das OLG Düsseldorf1083) wie auch das OLG Stuttgart1084) weisen darauf hin, dass die Marktrisikoprämie und die Studien, aufgrund derer diese ermittelt worden sei, letztlich nur eine Grundlage für die Schätzung des Risikozuschlags durch das Gericht (§ 287 Abs. 2 ZPO) seien. Beide Gerichte sowie das OLG Karlsruhe1085) meinen auch, dass die Schätzung schon deswegen geboten sei, weil eine genaue Festlegung der Marktrisikoprämie nach dem aktuellen Stand der Wirtschaftswissenschaften nicht möglich sei. Das OLG Stuttgart betont:1086) „Die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion zur Bestimmung der Marktrisikoprämie ist weiterhin nicht abgeschlossen. Zur Ermittlung der historischen Marktrisikoprämie existieren zahlreiche Studien, die abhängig von der Heranziehung der jeweiligen Anknüpfungspunkte und Berechnungsmethoden teilweise zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Dies beruht darauf, dass die Bestimmung der historischen Marktrisikoprämie eine Vielzahl von Annahmen von der Feststellung des Untersuchungszeitraums über die Bestimmung der Datenquellen für die Ermittlung der unterschiedlichen Renditen bis hin zur Art und Weise der Mittelwertbildung erfordert. Es ist nicht Aufgabe des Spruchverfahrens, einen Beitrag zur Klärung derartiger Fragen zu leisten. Entscheidend ist in diesem Verfahren allein, dass eine nach § 287 Abs. 2 ZPO tragfähige Grundlage für die Schätzung geschaffen ist.“

928 Gleichwohl – so das OLG Stuttgart – sei dem CAPM ein Vorzug einzuräumen:1087) „Gegenüber einer pauschalen Risikobetrachtung verdient das CAPM indessen schon deshalb den Vorzug, weil es durch die Aufgliederung der Risikobetrachtung in das allgemeine Risiko von Anlagen in Aktien einerseits und das spezifische Risiko des zu bewertenden Unternehmens andererseits methodisch transparenter ist.“

___________ 1079) OLG Düsseldorf, 20.10.2005, AG 2006, 287 = NZG 2006, 911. 1080) OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220. 1081) OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220; das Gericht zitiert dafür den Sachverständigen. 1082) OLG Düsseldorf, 25.8.2014, BeckRS 2015, 20304. 1083) OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 797 = NZG 2012, 1260. 1084) OLG Stuttgart, 4.5.2011, AG 2011, 560. 1085) OLG Karlsruhe, 12.7.2013, BeckRS 2013, 13603. 1086) OLG Stuttgart, 17.7.2014, AG 2015, 580. 1087) OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = WM 2010, 654; vgl. auch OLG Frankfurt, 2.5.2011, AG 2011, 828.

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D. Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof hat eine abschließende Bewertung bisher wohl noch 929 nicht vorgenommen. In der Entscheidung vom 29.9.2015 hat er sich zwar für die „Vorzugswürdigkeit“ einer Bewertung nach IDW S 1 2005 gegenüber dem Standard IDW S 1 2000 ausgesprochen; auf die Bestimmung der Risikoprämie nach dem CAPM brauchte er aber nicht eingehen, weil diese nach beiden Verfahren vorgesehen war.1088) Die Länge des Beurteilungszeitraumes für die Ermittlung der Marktrisiko- 930 prämien wird in der Rechtsprechung nur selten problematisiert. Das OLG Frankfurt ist der Auffassung, „die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts“ seien nicht auszublenden, der Erhebungszeitraum möglichst umfangreich gebildet werden müsse, weil die Marktrisikoprämie im Zeitablauf konstant sei.1089) Dagegen ist das OLG Düsseldorf der Meinung, „Studien, die in 50er-Jahre des letzten und sogar in die 70er-Jahre des vorletzten Jahrhunderts zurückreichen“ seien wegen der in den letzten Jahren stark gewandelten Welt „allenfalls von untergeordneter Bedeutung“.1090) Bei der Frage der Anwendung des arithmetischen oder geometrischen Mit- 931 tels neigen die Gerichte zu einer vermittelnden Auffassung. Das LG München zeigt die Probleme der beiden Ermittlungsarten auf und setzt „in ständiger Rechtsprechung“ einen Wert zwischen den beiden Extremen an.1091) Ebenso verfährt das OLG Düsseldorf unter Hinweis auf § 287 Abs. 2 ZPO1092) sowie das OLG Frankfurt unter Hinweis auf die noch nicht abgeschlossene wissenschaftliche Diskussion.1093) Das OLG Karlsruhe lässt die Entscheidung offen.1094) II. Betafaktoren Die Ableitung von Betafaktoren aus einer Peer Group bei fehlender Börsen- 932 notierung ist im Allgemeinen anerkannt.1095) Ist das zu bewertende Unternehmen börsennotiert, so bedarf die ausnahmsweise Verwendung einer Peer Group besonderer Begründung; diese wird in der Regel gefunden in geringem Handel mit der betreffenden Aktie.1096) Dies kommt z. B. in „Squeeze out“Fällen regelmäßig vor. ___________ 1088) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. 1089) OLG Frankfurt, 26.1.2015, AG 2015, 504 = Der Konzern 2015, 378. 1090) OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. 1091) LG München, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124. 1092) OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 797 = NZG 2012, 1260. 1093) OLG Frankfurt, 20.2.2012, AG 2013, 647 = NZG 2013, 69. 1094) OLG Karlsruhe, 12.7.2013, BeckRS 2013, 13603. 1095) OLG Stuttgart, 17.10.2011, BeckRS 2011, 24586; OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 797 = NZG 2012, 1260. 1096) OLG Karlsruhe, 13.5.2013, AG 2013, 880 = Der Konzern 2013, 499; OLG Stuttgart, 17.10.2011, BeckRS 2011, 24586; OLG Frankfurt, 7.6.2011, Der Konzern 2011, 497 = NZG 2011, 990.

221

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

933 Die Wahl der Renditeintervalle (täglich, monatlich, wöchentlich) wird i. d. R. nicht thematisiert. Die Gerichte folgen hier meist den gutachterlichen Stellungnahmen.1097) 934 Ebenfalls anerkannt in der Rechtsprechung ist die Berücksichtigung der Verschuldung des zu bewertenden Unternehmens gegenüber der Peer Group (“unlevern“/“relevern“).1098) III. Finanzkrise 2008 935 Die Finanzkrise 20081099) hat die Haltung der Gerichte unterschiedlich beeinflusst. 936 Das OLG Frankfurt ist der Meinung, wenn die Finanzkrise zu berücksichtigen sei, so lägen deren Auswirkung jedenfalls im Rahmen der Bandbreiten, in denen Marktrisikoprämien ohnehin zu schätzen seien.1100) Im Übrigen sei die Finanzmarktkrise eher im Rahmen der Planung der künftigen Erträge zu berücksichtigen gewesen.1101) Das LG Dortmund wendet sich gegen die Eliminierung der Auswirkungen der Finanzkrise bei der Bestimmung der Marktrisikoprämie;1102) das OLG Düsseldorf berücksichtigt sie in Form einer Erhöhung der Marktrisikoprämie.1103) 937 Die grundsätzliche Anwendbarkeit des CAPM vor dem Hintergrund der Finanzkrise wird in der Rechtsprechung bislang nicht diskutiert. Das OLG Stuttgart führt aus:1104) „Es spricht auch nichts gegen die Annahme eines liquiden Kapitalmarkts. Auf diesem Markt werden faire Preise gezahlt, die mit dem Kapitalwert der Zahlungsüberschüsse zu dem nach CAPM errechneten Kapitalisierungszinssatz übereinstimmen. Alle Marktteilnehmer haben gleichen und kostenlosen Zugang zu allen relevanten Informationen über die Wertpapiere und schätzen daher die künftigen Überschüsse in gleicher Weise ein. Einzelne Marktteilnehmer beeinflussen die Preisbildung nicht.“1105)

938 Das OLG Frankfurt1106) argumentiert in ähnlicher Richtung bei den Wertrelationen einer Verschmelzung. Es betont zunächst, dass der Wert des Anteils ___________ 1097) OLG Karlsruhe, 13.5.13, AG 2013, 880 = Der Konzern 2013, 499. 1098) OLG Frankfurt, 30.8.2012, NZG 2012, 1382; OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 797 = NZG 2012, 1260. 1099) Vgl. auch Zeidler/Tschöpel/Bertram, BewertungsPraktiker Nr. 1/2012, S. 2; Knoll, BewertungsPraktiker Nr. 1/2012, S. 11. 1100) OLG Frankfurt, 29.1.2016, ZIP 2016, 716; vgl. auch OLG München, 18.2.2014, AG 2014, 453 = NJW-RR 2014, 473. 1101) OLG Frankfurt, 26.1.2015, AG 2015, 504 = Der Konzern 2015, 378. 1102) LG Dortmund, 4.11.2015, BeckRS 2015, 20235; Wagner/Mackenstedt/Schieszl/Lenckner/ Willershausen, WPg 2013, 948. 1103) OLG Düsseldorf, 3.9.2012, BeckRS 2014, 22906. 1104) OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = WM 2010, 654. 1105) OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220. 1106) OLG Frankfurt, 3.9.2010, AG 2010, 751 = NZG 2010, 1141.

222

D. Rechtsprechung

nicht zu verstehen sei „als eigenständiges Wirtschaftsgut“, sondern als der darauf gemäß der Beteiligungsquote entfallende „Anteil am Wert des Unternehmens“. Der Preisbildungsprozess für einen Anteil könne anderen Regeln unterliegen als der für ein ganzes Unternehmen. Dann heißt es jedoch: „Der Börsenkurs einer Aktie ist wie jeder Preis eines anderen Gutes als ein geeigneter Anhalt für den Wert des Gegenstandes, also hier des Unternehmensanteils, anzusehen, wobei der Wert des Unternehmens sich sodann aus der Summe der Werte der Unternehmensanteile ergibt.“

„Demgemäß“ sei der Börsenkurs der Verkehrswert des Anteils; das sei „un- 939 mittelbar plausibel“. Es sei die „denkbar einfachste und zudem nahe liegende Bewertungsmöglichkeit“. Selbst angesichts des irrationalen Verhaltens „einzelner Anleger“ ohne „namhafte Informationen“ begründe das eine „mittelstrenge Kapitalmarkteffizienz“. Dahinter steht der Glaube an einen „vollkommenen Markt“. Der ist indes 940 zweifelhaft geworden angesichts der Erfahrungen mit der Übernahme des Begriffs „mortgage“ (andere Risikostruktur als bei uns vorgestellt),1107) mit den Bilanzen von Lehmann Brothers,1108) den Unwägbarkeiten der „fair value“-Bewertung1109) und der Verwirrung durch „Zweckgesellschaften“ (vgl. § 290 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 HGB).1110) Hinzukommt die eigenständige Dynamik globaler Finanzmärkte – die bisher weithin unbekannt ist.1111) „Vollkommenheit“ lässt sich wohl nicht mehr unterstellen.1112) Der Glaube an den „vollkommenen Markt“ ist jedenfalls ins Wanken geraten 941 („absence of reliable data“),1113) ebenso der Glaube an die „gleiche Information“.1114) Fraglich ist auch, ob der Aktienmarkt die vorrangige Orientierung weichender Kleinanleger ist: Lebensversicherer legen das Geld ihrer Versicherten vor allem in Anleihen an.1115) Können wir uns noch verlassen, „auf die breite Mehrheit der Ökonomen“, wie es ein vom OLG Düsseldorf1116) zitierter Autor rät?1117) Diese Fragen bedürfen möglicherweise noch einer Diskussion.

942

___________ 1107) Großfeld/Heppe, Law and Business Rev. of the Americas 15 (2009), 713. 1108) Großfeld, RIW 2010, 504; Sellhorn/Hahn/Müller, DB 2010, 2117. 1109) Meyer, Der Konzern 2010, 226; Küting/Kaiser, Corporate Finance biz 2010, 375. 1110) Großfeld/Tönnes, NZG 2010, 921; Middendorf/Zündorf, DB 2010, 2124. 1111) Vgl. Schildbach, DStR 102010, 2048. 1112) Authers, The Fearful Rise of Markets. 1113) Haldane/Brennan/Madouros, The LSE Report, London 2010, S. 87, 106; dazu Philip Pickert, Das „Wunder“ der Banker, FAZ v. 30.8.2010 Nr. 200, S. 10. 1114) Großfeld, RIW 2010, 504. 1115) Versicherer zeigen sich stark bei Rentenfonds, FAZ v. 26.8.2010 Nr. 197, S. 18. 1116) OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220. 1117) Löffler, WPg 2007, 808, 810.

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Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

E. Würdigung 943 Trotz der zwischenzeitlichen weitgehenden Übernahme des CAPM in der Rechtsprechung bleiben Bedenken. Hering/Brösel sprechen von dem „empirisch längst als gehaltlose Tautologie widerlegten Betafaktor … Die Einwände gegen das … CAPM sind Legion“.1118) Schneider spricht von „Beta-Kokolores“1119) oder „Klumpfuß“.1120) Er warnt vor einer „Unternehmensbewertung als Rhetorik“,1121) vor einer „in ihren Prämissen nicht deutlich gemachten subjektiven präferenzbezogenen Rechnung“.1122) Emmerich weist hin auf „irreale Annahme“ und „pseudo-mathematische Exaktheit“: Er führt aus:1123) „Das CAPM ist ein von zwei amerikanischen Ökonomen entwickeltes kapitalmarkttheoretisches Modell über die Preisbildung auf Kapitalmärkten unter den Bedingungen vollständiger Information, unendlicher Anpassungsgeschwindigkeit sowie streng rationalen Verhaltens aller Marktteilnehmer. Ziel ist die Ermittlung der Gleichgewichtspreise, die sich unter den genannten (völlig irrealen) Bedingungen auf Kapitalmärkten für die verschiedenen Formen von Anlagen bilden. Dazu operiert auch das CAPM mit einem Risikozuschlag und einem Wachstumsabschlag bei dem Basiszinssatz. Der Risikozuschlag wird jedoch nicht nur geschätzt, sondern („wissenschaftlich“) ermittelt aus einer (in Wirklichkeit unbekannten) Marktrisikoprämie und dem sog. Betafaktor. Die Marktrisikoprämie soll den Zinszuschlag abbilden, den Anleger (angeblich) für eine Anlage ihrer Mittel in Aktien statt in öffentlichen Anleihen verlangen. Die Existenz dieser Marktrisikoprämie ist ebenso umstritten wie ihre Berechnung und ihre Höhe. Das IDW schätzt die Marktrisikoprämie auf 4 bis 5 %, – wodurch sich unmittelbar die unvertretbar hohen Kapitalisierungszinssätze erklären, die heute in der Bewertungspraxis zum Nachteil der außenstehenden Aktionäre üblich sind.“

944 Skeptisch ist auch Ballwieser. Zum Tax-CAPM heißt es:1124) „Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass jede Ermittlung des Kalkulationszinsfußes aus den oben beschriebenen einzelnen Komponenten nicht sauber erfolgt. Über den dabei entstehenden Fehler lässt sich nur spekulieren, weil eine Aussage über seine Vernachlässigbarkeit die Kenntnis der richtigen Lösung voraussetzt, welche fehlt.“

945 Meinert1125) dagegen sieht im CAPM eine „taugliche Ausgangsbasis“ für die Schätzung, gibt ihm aber keine „Allgemeingültigkeit“, namentlich im Hinblick auf „unternehmensspezifische Besonderheiten“. ___________ 1118) Hering/Brösel, WPg 2004, 936. 1119) Dieter Schneider, in: Bühner u. a., S. 45, 54. 1120) Dieter Schneider, DB 1999, 1473. 1121) Dieter Schneider, ebd. 1122) Dieter Schneider, ebd. 1123) Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 69 ff. 1124) Ballwieser, Unternehmensbewertung und Komplexitätsreduktion. 1125) Meitner, Neuere Entwicklungen (II), DB 2011, 2457.

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E. Würdigung

Das Institut der Wirtschaftsprüfer meinte:

946

„Das CAPM ist einer pauschalen Ermittlung des Kapitalisierungszinsfußes deutlich überlegen, weil es die Ermittlung des Risikozuschlags besser nachprüfbar gestaltet.“1126)

Schauen wir uns das im Einzelnen an:

947

I. Parteienbezogenheit Das CAPM entstand als Erklärung der Preisbildung auf Kapitalmärkten und 948 will Handlungsentscheidungen für finanzwirtschaftliche Entscheidungen bieten.1127) Entscheidend ist deswegen die Sicht eines Investors, der über verschiedene Handlungsmöglichkeiten verfügt. Dies ist anders bei der Bewertung eines Unternehmens, wo genau nur eine Rechtsbeziehung zwischen dem Unternehmen und dem Gesellschafter besteht. Diese schon bestehende Rechtsbeziehung unterscheidet sich von offenen Marktkontakten bei anonymer Begegnung. Was für den Erwerber eine hinreichende Basis sein mag, kann für den Abgeber anders sein. Das gilt vor allem, wenn nur eine Partei den Zeitpunkt festlegt für die Bewertung (den Stichtag) und damit für die Realisierung einer Hoffnung. Alle Bewertungen aber sind zeitbezogen.1128) In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird versucht, diesem Prob- 949 lem mit dem „total Beta“-Ansatz zu begegnen.1129) Hier wird aber die Investorensicht bevorzugt; der Investor, der nur eine „undiversifizierte“ Anlage tätigen kann wird für das Risiko des „totalen Scheiterns“ eine zusätzliche Prämie verlangen. Dies führt zu niedrigeren Unternehmenswerten. Will aber der Veräußerer, der ebenfalls nur ein Investment hat, zu diesem niedrigeren Preis verkaufen? Muss er sich zu diesem Wert aus dem Unternehmen herausdrängen lassen? II. Alternativrendite Beim Vergleich schauen wir auf die Rendite der nächstbesten alternativen 950 Kapitalverwendung aus der Sicht des Minderheitsaktionärs.1130) Dabei wird seit IDW S 1 2005 angenommen, dass die Abfindung wieder in Aktien angelegt wird, die Aktienbörse also die Alternativrendite bestimmt. Dahinter steht wohl die Meinung, dass der Minderheitsaktionär „bereits eine Investitionsentscheidung getroffen hat und es nur um den Entzug des damit verbundenen Zahlungsstroms geht“.1131) ___________ 1126) IDW S 1 2005 Anhang Abs. 2. 1127) Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 270 f. 1128) Großfeld, in: Backhaus/Bonus, S. 91. 1129) Siehe Rn. 889 ff. 1130) Jonas, WPg 2007, 835, 839. 1131) OLG Frankfurt, 30.3.2010 BeckRS 2010, 11181.

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Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

951 Das muss aber nicht so sein. Die Anlage in Aktien steht als Instrument der Altersvorsorge in Deutschland nicht an erster Stelle. Die Zahl der Personen, die unmittelbar oder mittelbar über Fonds Aktien halten, ging seit 2001 (12,8 Mio.) bis 2010 (8,4 Mio.) kontinuierlich zurück und pendelt seitdem zwischen 8,4 Mio. und 9,5 Mio. Personen.1132) Dies macht also gerade etwas mehr als 10 % der Bevölkerung aus. Der Anleihemarkt ist größer als der Aktienmarkt; beide sind zudem miteinander verknüpft.1133) Die Leitzinsen der Notenbanken bestimmen Stärke oder Schwäche von Börsen und das Verhältnis von Währungen zueinander. Zinsen sind die globale Zeichenmacht.1134) 952 Das Verhältnis von Aktien- und Anleihemarkt zueinander hängt auch von der jeweiligen Steuerbelastung ab. Nach Einführung der Abgeltungsteuer (2009) verlieren Aktien an Attraktivität, weil nunmehr auch Veräußerungsgewinne unbeschränkt steuerpflichtig sind (20 Abs. 2 Nr. 1 EStG). 953 Die Wiederanlage in Unternehmensanteilen ist nur im Modell des CAPM und vor dem Hintergrund der dort getroffenen Annahmen als „konsequent“1135) anzusehen. Wenn die Marktrisikoprämie über das „optimale Portfolio“ bestimmt wird und dieses Portfolio – so eine der einschränkenden Annahmen der Unternehmensbewertung – aus Aktien besteht, so würde eine Wiederanlage in Anleihen eine Änderung der „Risiko/Rendite“-Struktur des Aktionärs voraussetzen. Dies wäre eine zusätzlich zu begründende Annahme. Wir haben bereits gesehen, dass eine solche Annahme den Unternehmenswert erhöhen würde („Zitterprämie“).1136) Anders herum müsste jedoch dieser Anleger einen besonders hohen Kapitalisierungssatz und damit niedrigen Unternehmenswert fordern, wenn er den Veräußerungs- oder Abfindungserlös wieder in ein Unternehmen anlegen wollte. Dies ist die Kehrseite der „Zitterprämie“. III. Wechselbeziehung 954 Nachdenklich stimmt, dass beim CAPM der Basiszinssatz von Anleihen abgeleitet wird, der Risikozuschlag aber von Aktien. Basiszinssatz und Risikozuschlag beeinflussen sich gegenseitig1137) und beide können wiederum von der Steuerbelastung abhängen. Wie passen die Komponenten zusammen? Der Basiszinssatz wird aus der Sicht auf das Unternehmen als Einheit abgeleitet, die Marktrisikoprämie aus der Sicht auf Kleinanteile mit einem besonderen Marktrisiko. Das sind unterschiedliche Bezugsgrößen.

___________ 1132) Siehe Aktionärszahlen des Deutschen Aktieninstituts, abrufbar unter: https:// www.dai.de. 1133) Lahart a. o., Is diversification spent?, Wall Street J. Europe, Monday, August 6. 2007, S. 1. 1134) Großfeld/Hoeltzenbein, ZVglRWiss 104 (2005), 32. 1135) Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2004, 889, 891. 1136) Siehe Rn. 808. 1137) Siehe Rn. 765 f.

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E. Würdigung

Der zukunftsorientierte Basiszinssatz wird mit einer historischen Marktrisi- 955 koprämie verbunden. Die Schwierigkeiten eines konsistenten Zusammenfügens werden kaum erörtert.1138) Wie sehen Anleger die Verknüpfung zwischen den Märkten? Ballwieser hält eine theoretisch saubere Lösung für unmöglich.1139) Hinzu tritt, dass bei Aktienanlagen das „Timing“ entscheidend ist und das Risiko einer Wiederanlage bestimmt. IV. Markteffizienz „What you see is not what you get.“1140)

956

1. Grundlagen Wir hatten bereits gesehen, dass das CAPM effiziente Märkte voraussetzt.1141) 957 Dies bedeutet vollkommene Information und gleiche Erwartungen bezüglich der Renditen der einzelnen Anlagen. Die Renditen werden als von den Anlegern nicht individuell beeinflussbar wahrgenommen.1142) Die Annahme einer „Markteffizienz“ beruht auf der Lehre von der „unsicht- 958 baren Hand“ („invisible hand“), wie sie der Theologe Adam Smith1143) entwickelte. Sie geht aus von der Idee des „deus geometra“ und des „mos mathematicorum“ des hohen Mittelalters (13. Jahrh.). Die „unsichtbare Hand“ ist „Glaubenssache“: Adam Smith wurde angeregt durch Verse in Friedrich Händels Oratorium „Judas Maccabäus“:1144) „How vain is man who boasts in fight The valour of gigantic might! And knows not that a hand unseen Directs and guides the great machine”.1145)

2. Skepsis Wenn eine solche Markteffizienz existierte, wären zumindest für börsenno- 959 tierte Unternehmen komplizierte Bewertungen nicht erforderlich; der Börsenkurs würde zu jedem Zeitpunkt den tatsächlichen Unternehmenswert widerspiegeln.

___________ 1138) Obermaier, Finanz-Betrieb 2008, 493, 504, 506. 1139) Ballwieser, Unternehmensbewertung und Komplexitätsreduktion, S. 108. 1140) Card Jr., A Burger-Flipper’s-Eye View of Fast-Food Management Styles, Wall Street J. Europe, Jan. 19, 2006. 1141) Siehe Rn. 812 ff. 1142) Zusammenfassend: Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 272. 1143) Adam Smith (1723 – 1790), Wohlstand der Nationen, 1776. 1144) Großfeld, Europäisches Erbe als Europäische Zukunft, JZ 2000, 1. 1145) Großfeld, ZVglRWiss 105 (2006), 343, 354.

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Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

960 Tatsächlich existieren jedoch Unvollkommenheiten, die die Markteffizienz infrage stellen. Das LG Frankfurt erklärt:1146) „Tatsächlich ist dieses Verfahren [CAPM] – welches grundsätzlich zur Bewertung einer Aktienanlage entwickelt wurde und nicht zur Bewertung eines Unternehmens – jedoch nur unter der Annahme ‚vollkommener Kapitalmärkte’ sinnvoll, wenn sich alle Informationen korrekt in den Kursen widerspiegeln und unternehmensspezifische Risiken durch Diversifikation keine Relevanz für den Unternehmenswert haben. Die Realität spricht jedoch gegen vollkommene Kapitalmärkte. Gründe für diese Unvollkommenheiten sind Transaktionskosten, Konkurskosten, Informationsdefizite der Aktionäre, schlecht diversifizierte Portfolios sowie Verfahren zur Bewertung der unsicheren Zahlungen und psychologisch bedingte Bewertungsfehler der Investoren am Aktienmarkt.“

961 Zu nennen sind: a) unvollkommene Informationen 962 Unvollkommene Informationen beruhen nicht allein darauf, dass kein Marktteilnehmer in der Lage ist, alle wertbestimmenden Informationen vollständig und sofort zu verarbeiten. Sie beruhen insbesondere auch auf „Insider-Wissen“, das nur der Geschäftsleitung oder den Großaktionären, nicht aber dem „Markt“ und Kleinaktionären bekannt ist. Diese eingeschränkte Verfügbarkeit von Informationen haben wir bereits als „mittelstrenge Informationseffizienz“ kennengelernt; sie steht der vollkommenen Markteffizienz entgegen.1147) 963 Ein vergleichbares Risiko besteht für den Großaktionär nicht. Er kann sich bei der Information mehr auf sich selbst verlassen, muss sich nicht anderen anvertrauen (vermindertes „agency problem“); er kann das Unternehmen nutzen innerhalb seines Netzwerkes. Er kontrolliert nicht nur die tatsächlichen Abläufe, sondern auch die bilanzielle Darstellung und damit die Volatilität der Kurse. Das gibt seinen Anteilen oft einen höheren Wert (Paketzuschlag). 964 Zu den unvollkommenen Informationen gehören auch Erkenntnisse über mögliche Unternehmenszusammenschlüsse und die dabei zu realisierenden echten und unechten Synergien. Diese Potenziale sind in der Regel nur „Insidern“ bekannt. Dies zeigt sich regelmäßig, wenn für Unternehmen Übernahmeangebote eingehen. Als z. B. unlängst Potash Corp. (Kanada) ein Übernahmeangebot an den deutschen Konkurrenten Kali&Salz AG machte, stieg der Kurs der Kali&Salz-Aktie innerhalb eines Tages von rd. 30 € auf 38 € – also rd. 26 % – an, fiel allerdings noch tiefer zurück, nachdem Potash das Angebot zurückgezogen hatte.

___________ 1146) LG Frankfurt, 13.6.2006, Der Konzern 2007, 56 = NZG 2006, 868. 1147) Siehe Rn. 814.

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E. Würdigung

b) Beeinflussung von Unternehmenswerten durch Bilanzpolitik Auch wenn Markteilnehmer die öffentlich verfügbaren Informationen ver- 965 werten, kommt es zu Ineffizienzen. Dies kann zum einen an Fehlinterpretationen liegen, zum anderen aber auch Folge bewusster „Bilanzpolitik“ des Unternehmens sein. Ebke meint dazu:1148) „Hinzukommt, dass Kapitalmärkte bekanntlich nicht vollkommen effizient sind. Nach der heute herrschenden ‚abgemilderten’ (semi-strong) Version besagt die Efficient Capital Market Hypothesis (ECMH), dass der Kapitalmarkt bei der Preisbildung keine Informationen verarbeitet, die nicht öffentlich verfügbar sind. Da Informationen in testierten Jahresabschlüssen im Wesentlichen vergangenheitsbezogen sind, bleiben Ineffizienzen bei der Gewinnung, Verarbeitung und Vermittlung der Informationen im Jahresabschluss selbst bei größter Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt des Abschlussprüfers möglich. Das wiederum hat Auswirkungen auf wesentliche Grundlagen für Entscheidungen der Kapitalmarktteilnehmer.“

Die „Stichworte“ für erlaubte und unerlaubte Bilanzpolitik sind bekannt: Zu 966 erinnern ist an die Namen „Enron“, „IKB“, „Northern Rocks“, „Union Bank of Switzerland“ („UBS“), „Bear Stearns“, „Merril Lynch“,1149) „Lehman Brothers“1150) u. a. Die Begriffe „Subprime Mortgages“ und „Conduits“ („Special purpose Vehicles“, „structured Investment Vehicles“) stehen „dank HGB außerhalb der Bilanz“. Baetge spricht von einer Informationsasymmetrie zugunsten der Bilanzierenden: 967 „Der Bilanzleser kann (gar) nicht seine Wertermittlung dem ermittelten Wert des Bilanzierenden gegenüberstellen, und er kann auch nicht mit ihm über den Wert verhandeln.“ Es bestehe immer die Gefahr, dass die Informationsasymmetrie ausgenutzt wird durch das Management (Moral Hazard).“1151)

Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Beschluss zur Verfassungs- 968 widrigkeit der Erbschaftsteuer hin auf die „vielfältigen Möglichkeiten“ der „Bilanzpolitik“.1152) Deshalb ist für die Unternehmensbewertung eine Überprüfung des „inneren 969 Wertes“ geboten. Sie erfordert einen „Einstieg“ des Gutachters in die Schätzung der Überschüsse aus der „Innensicht“ des Unternehmens heraus. Von dort her kann die Welt anders aussehen als aus der „Außensicht“ der Börse. So entstehen zudem für die Parteien des Spruchverfahrens vergleichbare Argumentationsgrundlagen: „Letztlich ein Unterfall der im Rahmen der Unternehmensbewertung heranzuziehenden Unternehmensplanung ist die Berücksichtigung von Insiderwissen.

___________ 1148) Ebke, in: FS Koresuke Yamauchi, S. 105, 109. 1149) Ng/Mollenkamp, Pioneer of CDOs helped Merril move deeply into business, The Wall Street J. Europe, Friday – Sunday, Oct. 26, 2007, S. 14. 1150) Großfeld, RIW 2010, 504. 1151) Baetge, BB 2005, 1. 1152) BVerfG, 7.11.2006, BVerfGE 117, 1 = NJW 2007, 573.

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Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM Im Gegensatz zu den Minderheitsaktionären einer Aktiengesellschaft sind Haupt- und Mehrheitsaktionär regelmäßig mit den Unternehmensinterna vertraut. Sie vermögen weit besser als die Minderheitsaktionäre, die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft abzuschätzen … Der Haupt- oder Mehrheitsaktionär, der einen Wissensvorsprung hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft hat, der geeignet ist, eine positive Zukunftsprognose zu stützen, beeinflusst die Bewertung zum Nachteil der Minderheitsaktionäre, wenn er seine Kenntnis … unberücksichtigt lässt: Der Haupt- oder Mehrheitsaktionär … bewirkt letztlich die Trennung der Minderheitsaktionäre von ihrer Beteiligung unter Wert.“1153)

c) Blasenbildung 970 Das CAPM geht von einem risikoscheuen Investor aus, dieser soll jedoch jederzeit rational handeln. Das Menschenbild des rational handelnden „homo oeconomicus“ mit vollem Überblick ist ins Zwielicht geraten durch Spieltheorie1154) und durch Behavioral Finance: An den Finanzmärkten ist rationales Handeln wohl eher selten. 971 Über die „subprime mortgages“ lasen wir: „100 %-loan-to-value securized mortgages rated triple-A by irresponsible rating agencies and sold to unsuspecting investors“.1155) Ähnliches gilt aber auch für den deutschen Aktienmarkt. Erinnert sei nur an den Hype um die „New Economy“ und den „Neuen Markt“. Dort waren auf dem Höhepunkt der Euphorie mehr als 300 Unternehmen börsengelistet. Ab dem Jahr 2000 brach der Markt jedoch sukzessive zusammen und verlor innerhalb von 31 Monaten rund 96 % seines Wertes; der „Neue Markt“ wurde im Juni 2003 geschlossen. 972 Nachdenklich stimmt, dass eine Blase auch Einfluss auf den Betafaktor nehmen kann, weil der Betafaktor die Korrelation zwischen dem Kurs des zu bewertenden Unternehmens und dem – „in der Blase befindlichen“ – Aktienindex widerspiegelt.1156) Der Betafaktor kann so bei gleichbleibenden Unternehmensverhältnissen aus dem Börsenumfeld heraus wechseln, wenn z. B. in einem Index eine „Blase“ endet oder sich eine neue bildet. Es bleibt unklar, wie das den Wert des Unternehmens verändert.1157) Erfasst der Betafaktor dann hinreichend „die Verhältnisse der Gesellschaft“, wie es eine normative Bewertung verlangt (vgl. z. B. § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG)? Muss man die Zeit der „Blase“ auslassen? Aber wie erkennt man eine „Blase“?

___________ 1153) Schlitt, NZG 2006, 925, 927; vgl. Emmerich, in: FS Ernst-Joachim Mestmäcker, S. 137, 142. 1154) Bolton/Ockenfels, American Economic Rev. 90 (2000), 166. 1155) Makin, An American Recession, The Wall Street J. Europe, Monday, Sept. 10, 2007, S. 15. 1156) Siehe Rn. 873. 1157) KG Berlin, 16.10.2006, ZIP 2007, 75 = NZG 2007, 71; Koller/Goedhart/Wessels, Valuation. Measuring and Managing the Value of Companies, S. 310.

230

E. Würdigung

V. Unternehmensrisiko/Anteilsrisiko Zu fragen ist auch, ob die Marktrisikoprämie das Unternehmensrisiko spie- 973 gelt oder das Risiko des Anteils. Auf Ersteres aber kommt es an. An der Börse werden zumeist Minderheitsanteile gehandelt. Sie unterliegen eigenen Markteinflüssen und wegen ihrer Einflusslosigkeit einem höheren Risiko (Anteilsrisiko). Das CAPM mag eine weitere Hinwendung zum Preis der Anteile bringen (Minority Discount) und damit eine Abwendung vom Vorrang der Verhältnisse im Unternehmen (innerer Wert).1158) Bei der Unternehmensbewertung suchen wir als Ausgangspunkt für die Abfindung jedoch das Risiko des gesamten Unternehmens, nicht nur eines Anteils daran. Böcking erläutert:1159)

974

„Insofern ist – zumindest für deutsche Kapitalmarktverhältnisse – vor einer allzu plötzlichen Übernahme des Börsenkurses als alleinigem Wertmaßstab für den Unternehmenswert zum gegebenen Zeitpunkt zu warnen. Nicht zuletzt ist vor diesem Hintergrund davor zu warnen, die Marktkapitalisierung eines Unternehmens mit seinem Unternehmenswert gleichzusetzen.“

Koppensteiner erklärt zum Prämissenwechsel (des Ausgangspunktes):1160)

975

„Unabhängig davon gilt, dass sich der Anteilswert ökonomisch nach der subjektiven Einschätzung des Anteilseigners …, der Wert des Unternehmens dagegen nach dem Barwert zukünftiger Barüberschüsse bestimmt. Der Börsenkurs entspricht keinem dieser Maßstäbe. Den ‚inneren Wert’ des Unternehmens könnte er nur dann reflektieren, wenn es einen vollkommenen und informationseffizienten Kapitalmarkt gäbe, was nicht zutrifft…. In Anknüpfung daran fragt sich, ob der nach § 305 Abs. 3 bei der Ermittlung der Abfindung unentbehrliche Blick auf die ‚Verhältnisse der Gesellschaft’ mit dem Börsenkurs als Maßstab vereinbar ist. Die gesetzliche Tatbestandsbildung spricht dafür, das ein Wertbestimmungsfaktor gemeint ist, der auf Spezifika der Gesellschaft, nicht der Minderheitsaktionäre hinweist.“

Zwischen Unternehmensbewertung und Börsenbewertung bestehen Unter- 976 schiede. Ähnliche Überlegungen finden sich in den USA. Moll erklärt:

977

„After all, valuation is contextual, and a buyout in the shareholder oppression setting bears little resemblance to a voluntary sale to outsiders. As this article has argued, it is far more accurate to view an oppression buy out as a compelled redemption by insiders (typically insiders with control), rather than as a willing sale to outsiders. When viewed in this manner, minority shares … represent a partial ownership stake in an existing business venture. When that stake is involuntarily relinquished …, the investor should be compensated for what he has given up, – i.e., a proportionate share of the company’s overall value. The enterprise value interpretation of fair value properly captures this

___________ 1158) KG Berlin, 16.10.2006, ZIP 2007, 75 = NZG 2007, 71. 1159) Zur Bedeutung des Börsenkurses für die angemessene Barabfindung, Richter u. a., Kapitalgeberansprüche, Marktorientierung und Unternehmenswert, S. 59, 85. 1160) Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, Aktiengesetz, § 305 Rn. 53, S. 822 f.

231

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM notion by rejecting discounts and by avoiding the voluntary sales conception that plagues the fair market value approach – a conception that poorly describes the realities of the shareholder oppression setting.“1161)

978 Das American Law Institute sagt in „Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations”, § 7.22 (a):1162) „The fair value of shares … should be the value of eligible holder’s … proportionate interest in the corporation, without any discount for minority status or, absent extraordinary circumstances, lack of marketability.… (The) court generally should give substantial weight to the highest realistic price that a willing, able, and fully informed buyer would pay for the corporation as an entirety. In determining what such a buyer would pay, the court may include a proportionate share of any gain reasonably to be expected to result from the combination, unless special circumstances would make such an allocation unreasonable“.

979 Die neuere deutsche Gesetzgebung geht einen anderen Weg. § 39a WpÜG sieht für den Fall des sog. „wertpapierrechtlichen Squeeze out“ vor, dass dem Mehrheitsaktionär die Anteile der Minderheitsaktionäre durch Gerichtsbeschluss übertragen werden können, wenn der Mehrheitsaktionär zuvor ein Angebot auf Erwerb der Anteile gemacht hat, das von Aktionären, die mehr als 90 % des Grundkapitals vertreten, angenommen wurde. Dieses Angebot wiederum orientiert sich an dem gewichteten Kurs der Aktien der Zielgesellschaft in den letzten drei Monaten vor Abgabe des Angebotes (§§ 3 ff. WpÜGAngebotsVO). 980 Im Hinblick darauf wird in der Literatur eine „wachsende Offenheit der Gerichte für marktbezogene Unternehmensbewertungen“ konstatiert.1163) Wir kommen auf die Einzelheiten noch zurück.1164) VI. Doppelter Ansatz 981 Es ist mittlerweile anerkannt, dass die Risiken des Unternehmens allein im Kapitalisierungszins zu berücksichtigen sind. Das IDW spricht von der „national und international üblicherweise angewandten Zinszuschlagsmethode“ und führt aus:1165) „Wegen der Problematik einer eindeutigen Abgrenzung sollte nicht zwischen unternehmensspeziellen und allgemeinen Risiken unterschieden und das (gesamte) Unternehmensrisiko ausschließlich im Kapitalisierungszins berücksichtigt werden. Im Zähler der Bewertungsformeln sind dann die Erwartungswerte anzusetzen.“

___________ 1161) Moll, 54 Duke L. J. 293 (2005), 382. 1162) The American Law Institute in: Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations, Bd. 2, Part VII, S. 314 f. 1163) Hüttemann, in: Rechtshandbuch der Unternehmensbewertung, § 1 Rn. 64. 1164) Siehe Rn. 1244 ff. 1165) IDW S 1 2008 Tz. 98.

232

E. Würdigung

Ist die Gefahr des doppelten Ansatzes des Risikos damit beseitigt? Man kann 982 das annehmen, wenn in der Planung die jeweils wahrscheinlichsten Werte angesetzt werden („Innensicht“). Die Börse erfasst aber das ganze Risiko, also auch das bei der Schätzung der Überschüsse. Es fehlt die Innensicht und der „Insider“ mag aufgrund seiner besseren Erkenntnis auch das Unternehmensrisiko (statistisch: die Standardabweichung des geplanten Überschusses) niedriger einschätzen. Das legt es nahe, den Risikozuschlag zu senken – aber um wie viel? Gutachter und Börse stimmen sich nicht miteinander ab. Einzelheiten haben wir schon besprochen.1166) VII. Quotaler Wert/Anteilswert Nach § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG muss die Abfindung die Verhältnisse der Ge- 983 sellschaft berücksichtigen. Paulsen nennt das „volle Abfindung“.1167) § 738 Abs. 1 BGB stellt auf den Wert des Auseinandersetzungsguthabens im Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft ab. Das amerikanische Institut meint:1168)

984

„Der Marktpreis einer einzelnen Aktie … mag nicht den angemessenen Preis des Ganzen spiegeln. Deshalb ist der Marktpreis einer Aktie nicht der einzige Maßstab für den angemessenen Preis des Ganzen.“

Das IDW sagt:1169)

985

„Der objektivierte Wert des Unternehmensanteils entspricht dem quotalen Wertanteil am objektivierten Gesamtwert des Unternehmens“,

und das OLG Stuttgart führte im Jahre 2006 aus:1170) „Der Wert der Anteile ist dabei aber nicht der Verkehrswert des Anteils als eigenständiges Wirtschaftsgut …, sondern der auf das Mitgliedschaftsrecht entfallende Anteil am Wert des Unternehmens als Ganzes … Das Umtauschverhältnis ist also dann angemessen, wenn alle Anteilseigner der aus der Verschmelzung hervorgegangenen Gesellschaft im Wesentlichen im Verhältnis ihrer bisherigen Beteiligung am tatsächlichen Unternehmenswert teilhaben, also jeder Gesellschafter an der Summe der Einbringungswerte seinen bisherigen relativen Anteil behält.“

Meinen alle das Gleiche?

986

Das CAPM macht den Wert des Anteils am Markt zur Ausgangsbasis für den 987 Wert des Unternehmens als Ganzem. Das mag zwar für die Marktrendite zu relativieren sein, doch für den Betafaktor gilt es: Er ergibt sich über einen kurzen Zeitraum aus den Kursverläufen von Aktien in Streubesitz. Ange___________ 1166) Siehe Rn. 969. 1167) Paulsen, in: MünchKomm, AktG, § 305 Rn. 74. 1168) US-amerikanischer Financial Accounting Standard Nr. 142. 1169) IDW S 1 2008 Tz. 13. 1170) OLG Stuttgart, 8.3.2006, AG 2006, 420.

233

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

sichts der Macht von Zins und Zinseszins verschiebt er den Ausgangspunkt der Bewertung spürbar zum Preis des Minderheitsanteils hin. 988 Bislang war es so, dass aus Marktpreisen für einzelne Anteilsrechte (Börsenkurs oder gezahlte Kaufpreise) ein Gesamtwert für das Unternehmen abgeleitet werden sollte, „was regelmäßig mehr erfordert als eine schlichte Hochrechnung in Form einer Börsenkurskapitalisierung“.1171) Entscheidend ist die Sicht aller Anleger, nicht überwiegend die der Kleinanleger. Der gesellschaftsrechtliche Gleichheitssatz verlangt, dass auch die Wertsicht des Großanlegers in die Betrachtung eingeht. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Aktionär durch die Wiederanlage eines Abfindungsbetrages ein zusätzliches Risiko eingeht: Er muss relativ Vertrautes für Unbekannteres aufgeben. Das würde bei einem freiwilligen „Tausch“ niemand ohne Zuzahlung machen. Immer würde der Übertragende einen Teil der Vorteile des Erwerbers für sich verlangen. VIII. Technische Aspekte 989 Die technischen Ausgangslagen sind nicht so scharf, wie sie scheinen könnten. 990 Eine Referenzperiode ist nur sinnvoll, wenn deren Verhältnisse am Kapitalmarkt vergleichbar sind mit den heutigen und mit denen am Stichtag. Das ist fraglich, soweit die 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts einbezogen sind. Der wirtschaftliche Aufstieg nach dem Ende des Koreakrieges (1950 – 1953) hatte eine unvergleichliche Dynamik. Schwierigkeiten bereitet auch die hochspekulative Phase von 1996 – 2000, die abrupt endete. Kann man sie mitrechnen oder blendet man sie aus? War die Interneteuphorie ein Ereignis „im Rahmen“? Wie ist es mit den Jahren der Finanzkrise 2008? 991 Vergleichbarkeit verlangt annähernd ähnliche Steuerbelastungen, weil sie im Markt andere Preise bewirken können. Hierauf gehen wir im nächsten Teil ein. IX. Ergebnis 1. Modellvertrauen „Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr.“1172)

992

993 Wenn die Grundannahmen nicht der Wirklichkeit entsprechen, nützt alle Mathematik wenig. Wird der Börsenwert als verbindlicher Unternehmenswert nicht akzeptiert, wirkt die Skepsis auf Börsenvorgänge insgesamt über. Die Börse ist ein eigener Risikofaktor, hat eine innere Dynamik, ist eigenständiger Werteschaffer und -vernichter (z. B. bei Leerverkäufen). ___________ 1171) Hüttemann, in: Rechtshandbuch der Unternehmensbewertung, § 1 Rn. 63. 1172) Johann Wolfgang von Goethe, Faust II, I. Akt, Kaiserliche Pfalz.

234

E. Würdigung

Starke Gruppen sind an Börsenwerten interessiert: Das Management, die 994 Analysten, die Banken und die Börse selbst. Auch darauf antwortet eine hohe Marktrisikoprämie. Die Börse beruht auf unsicheren Bilanzinformationen.1173) Unternehmen sind der Versuchung ausgesetzt, „to play games with their valuations“;1174) das kann in beide Richtungen gehen. Korrigierendes Insiderwissen ist dem Außenseiter verschlossen.1175) Historische Marktdaten haben keinen Objektivierungsvorsprung: Sie allein können nicht maßgebend sein für eine auf die Zukunft gerichtete Bewertung. Die Ableitung des Betafaktors aus dem Vergleich mit einer Peer Group ist unsicher. Der Verschuldungsgrad ist jeweils schwer zu ermitteln. Es kann zu einer doppelten Erfassung des Risikos kommen. Der Marktrisikoprämie fehlen die Sicherheit einer zusätzlichen internen Prüfung und die Informationsgleichheit zwischen den Parteien. Das OLG München1176) kam für das CAPM zu folgendem Ergebnis:

995

„Vielmehr wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass auch hier das Ergebnis in hohem Maße von der subjektiven Einschätzung des Bewerters abhängt. Diese wird nur nicht unmittelbar durch die Schätzung des Risikozuschlags selbst ausgeübt, sondern mittelbar durch die Auswahl der Parameter für die Berechnung von Marktrisikoprämie und Betafaktor. Die rechnerische Herleitung des Risikozuschlags täuscht darüber hinweg, dass aufgrund der Vielzahl von Annahmen, die für die Berechnung getroffen werden müssen, nur eine scheinbare Genauigkeit erreicht wird. Eine mathematisch exakte Berechnung des für die Investition in das Unternehmen angemessenen Risikozuschlags kann nach dieser Methode nicht gelingen … Schließlich werden sowohl Marktrisikoprämie als auch Betafaktor regelmäßig … auf Vergangenheitsdaten ermittelt, während die Unternehmensbewertung zukunftsbezogen zu erfolgen hat. Die Bedeutung der historischen Werte erschöpft sich folglich von vornherein darin, die Prognose der künftigen Entwicklung zu erleichtern … Diese Prognose unterliegt ebenso subjektiver Wertung wie die Auswahl der Parameter, die sowohl Marktrisikoprämie als auch Betafaktor entscheidend beeinflussen.“

Es begegnet uns also eine mathematische Scheingenauigkeit. Die „schönen 996 Berechnungen“ des CAPM beruhen in weitem Umfang auf Schätzungen von Parametern, die ihrerseits nicht mathematisch erfasst werden können. Das zwingt uns, jeden Parameter im Einzelnen zu begründen. Die „Güte“ einer Unternehmensbewertung hängt deswegen davon ab, welches „Gesamtbild“ ___________ 1173) Zu den Gründen im Einzelnen Großfeld, in: Gedächtnisschrift Albert Bleckmann, 2007, S. 169, 181. 1174) Reilly/Taylor, Deutsche Bank takes hit, The Wall Street J. Europe, Thursday, Oct. 4, 2007, S. 136. 1175) Großfeld, 11 Law and Business Rev. of the Americas 185 (2005), 101; Großfeld, International Financial Reporting Standards. 1176) OLG München, 31.3.2008, OLGR München 2008, 450; zustimmend: Hommel, Anmerkung, BB 2008, 1056.

235

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

gezeichnet wird und ob dies für die Parteien, die ja regelmäßig widerstreitende Interessen verfolgen, insgesamt akzeptabel ist.1177) 997 Vor diesem Hintergrund kommt der Erfahrung des Bewerters oder des Richters eine besondere Bedeutung zu. Die „Würdigung aller Umstände“ (§ 297 Abs. 1 ZPO) und die „Schätzung“ (§ 738 Abs. 2 BGB) zeigen, dass hier nicht nur gerechnet werden kann, sondern dass jeder einzelne Fall in das Erfahrungswissen eingeordnet werden muss. Dieses Erfahrungswissen muss zwar alle Unternehmensdaten erfassen, diese jedoch in einen übergeordneten Zusammenhang stellen, z. B. hinsichtlich der Frage, ob es sich um ein Unternehmen mit hoher, normaler oder niedriger Risikostruktur handelt. Hinzu tritt richterliche Erfahrung aus Verhandlungen und Vergleichsgesprächen; Handelsrichter bringen oft die eigene berufliche Anschauung ein. 998 In diesem Sinne gilt nochmals der Satz: „Valuation is an art rather than a science.“1178)

999 Gleichwohl ist das CAPM mittlerweile ein fester Baustein in der Unternehmensbewertung geworden, der möglicherweise schon deswegen nicht mehr hinweggedacht werden kann, weil sich die Parteien hierauf eingestellt haben und damit das Modell selbst in die (Erwartungs-)Wirklichkeit ausstrahlt.1179) Ungeachtet der restriktiven und in der Wirklichkeit nicht anzutreffenden Annahmen ist das Modell „intuitiv einleuchtend“1180) und führt zu – zumindest in gewissen Grenzen – Ergebnissen, die im einzelnen Fall Plausibilität werden können. 1000 Das Fazit lautet wohl: Die Ermittlung des Risikozuschlags nach dem CAPM lässt subjektive Spielräume und führt – entgegen dem Anschein – nicht zu einer mathematisch exakten Bewertung.1181) Der Anspruch auf „Objektivierung“ stößt an Grenzen. Im Rahmen der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO1182) hat sie aber ihren Platz. 2. Komplexität 1001 Angesichts der Komplexität des CAPM, die durch die Einbeziehung der Steuern noch einmal gesteigert wird,1183) fragt sich, wie viel Komplexität verhältnismäßig ist und wie viel wir gemäß § 287 Abs. 2 ZPO akzeptieren dürfen. Danach „entscheidet“ das Gericht als Träger des öffentlichen Vertrauens. ___________ 1177) Ähnlich auch LG München, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124. 1178) In Re Shell Oil Co., 607 A.2d 1213, 1221 (Delaware 1992). 1179) Paulsen, WPg 2008, 109, 112. 1180) Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 281. 1181) OLG München, 26.10.2006, ZIP 2007, 375 = Der Konzern 2007, 356; Hommel, Anmerkung, BB 2008, 1056. 1182) Vgl. OLG Frankfurt, 29.3.2009, AG 2011, 629. 1183) Siehe Rn. 1029 ff.

236

F. Rechtsvergleichung: USA

Das steht für ein Ethos, der Komplexität nicht zu erliegen; es verlangt plausible Vereinfachungen, die den Parteien und der weiteren Öffentlichkeit einsichtig sind. Das für die Sicht eines Investors entwickelte CAPM stößt auf ein parteien- 1002 bezogenes Umfeld, das durch Rechtsbeziehungen wechselseitig gestaltet ist. Dadurch unterscheidet es sich von offenen Marktkontakten bei anonymer Begegnung. Der Sache nach geht es um eine typisierte subjektive Betrachtung aus der Sicht eines objektiven Beurteilers, nicht aber aus der Sicht eines subjektiv für objektiv genommenen anderen Sachverhalts. F. Rechtsvergleichung: USA „Numbers often impress because they seem to be definitive. They rarely are.“1184)

1003

I. Vergleichung der Normwerte Die Entwicklungen namentlich in Richtung CAPM sind vor allem angestoßen 1004 durch Literatur aus den USA.1185) Da es bei Abfindungen um den „Normwert“ geht, reicht aber eine grenzüberschreitende Übertragung betriebswirtschaftlicher Modelle nicht. Vielmehr ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang die so entwickelten Modelle Ausdruck des dortigen „Normwerts“ sind und wie sich dieser verhält zu unseren Vorstellungen.1186) Für den „normative value“, die „normative Analysis“ stößt das CAPM auch dort auf Reserven: „Fair market price cannot be a generally appropriate measure of fair value, and particularly not in the most problematic situation, where a controlling shareholder is squeezing out minority shares.“1187)

Ähnlich geht es mit “Modellen”:

1005

„Rather, the facts and circumstances determine the value of the valuation paradigm.“1188)

Bei der Orientierung am amerikanischen Aktienmarkt ist zu bedenken, dass 1006 er wegen der Struktur der sozialen Sicherungssysteme eine andere Stellung ___________ 1184) Walker, Not Even Fuzzy, New York Times, Sunday, Jan. 28, 2007; siehe auch Berenson, The Number – How the Drive for Quarterly Earnings Corrupted Wall Street and Corporate America. 1185) Jonas/Löffler/Wiese, WPg 2004, 898; Stehle, WPg 2004, 906; vgl. zu Grundlagen der US-Bewertung: Hamermesh/Wachter, Boston College L. Rev. 50 (2009), 1021; Veasey/ Guglielmo, U. Pennsylvania L. Rev., 153 (2005); Damodaran, Valuation Approach and Metrics: A Survey of the Theory and Evidence; Damodaran, The Data Page, http:// pages.stern.nyu.edu/~adamodar/; American Institute of Certified Public Accountants (AICPA), Statement on Standards for Valuation Services No. 1 – Valuation of a Business, Business Ownership Interest, Security or Intangible Asset, 2007. 1186) Hamermesh/Wachter, Boston College L. Rev. 50 (2009), 1021. 1187) Hamermesh/Wachter, Boston College L. Rev. 50 (2009), 1035. 1188) Veasey/Di Guglielmo, Univ. of Pennsylvania L. Rev. 153 (2005), 1399, 1494.

237

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

hat.1189) Die Orientierung daran beruht auch auf dem Glauben, dass der Kapitalmarkt „effizient“ ist, dass er besser informiert ist als Gutachter. Daran sind in den USA nach „Enron“, „Fannie Mae“ und „Lehman Brothers“ Zweifel aufgetreten. Enron war „rating getrieben“ und setzte „alles“ auf einen guten Börsenausweis (das minderte die Kapitalkosten).1190) Fannie Mae1191) als größte amerikanische Hypothekenbank „vermied“ jede Überschuss- und Kursvolatilität (das senkte den Betafaktor und damit die Kapitalkosten)1192); Lehmann Brothers bemühte sich um „schöne“ Bilanzen.1193) 1007 Zwei Autoren sagen zu den praktischen Schwierigkeiten mit dem CAPM, es sei „poor enough to invalidate the way it is used in applications“.1194) In den USA hörte man: „If beta is not dead, then surely it’s wounded“.1195) Es fällt jedenfalls auf, dass ein dortiger Investmentfond, der dem „efficient Market“ verpflichtet ist, doch dem Rat zweier Professoren folgte.1196) II. Parteigutachter „Verkünde mir nur keine Adler-Weisheit! Die Pfründe der hochgebornen war’n immer schon einkalkuliert.“1197)

1008

1009 Die Vorzugsstellung des CAPM mag dem Gefühl in den USA entsprechen; doch ist die Rechtslage in den USA anders als bei uns. Vor den Zivilgerichten der USA gibt es fast nur Parteigutachter, keine gerichtlich bestellten Gutachter.1198) Die Skepsis gegenüber dem Ermessen eines Parteigutachters ist spürbar.1199) Dieser bemüht sich daher, einen objektiven, mathematisch abgesicherten Eindruck zu vermitteln; er stellt den Börsenmarkt dar als neutralen „arbiter“, der sich dem Schätzungsermessen entzieht. Oft handelt es sich dennoch um einen „Argumentationswert“:1200) “Valuing an entity is a difficult intellectual exercise, especially when business and financial experts are able to organize data in support of wildly divergent

___________ 1189) Mohr, Frankfurt fühlt sich als relativer Gewinner der Finanzkrise, FAZ v. 18.1.2011 Nr. 14 S. 17. 1190) Großfeld, 11 Law and Business Rev. of the Americas 185 (2005), 101; Chanos, Short-Lived Lessons – From an Enron Short, Wall Street J. Europe, Wednesday, May 31, 2006. 1191) Bernanke Hits Fannie, The Wall Street J. Europe, Thursday March 8, 2007, S. 11. 1192) Office of Federal Housing Enterprise Oversight, Report of the Special Examination of Fannie Mae, May 2006; The Other Enron, Wall Street J. Europe, Monday, May 29, 2006. 1193) Großfeld, RIW 2010, 504. 1194) Fama/French, Working Paper No. 550 (August 2003), zit. nach Gebhard/Daske, Working Papers Nr. 134, Universität Frankfurt/M. 2004, S. 8, 23. 1195) Siehe Cornell/Rutten, Market Efficiency, Crashes and Securities Litigation. 1196) Zu Einzelheiten siehe Ossinger, The Dimensions of Pioneering Strategy, The Wall Street Journal, Monday, Nov. 6, 2006, S. R1. 1197) Albert Brennink, Bärentaten, S. 32. 1198) Vgl. Daubert v. Merrell, Dow Pharmaceuticals, Inc., 509 U.S. 579 (1993). 1199) Vgl. Reilly, A Narrow Escape: how KPMG weathered a tax-shelter crisis, The Wall Street J. Europe, Friday – Sunday, February 16 – 19, 2007, S. 12. 1200) Vgl. Hering/Brösel, WPg 2004, 936, 940.

238

F. Rechtsvergleichung: USA valuations fort he same entity. For a judge who is not an expert in corporate finance, one can do little more than try to detect gross distortions in the experts’ opinion”.1201)

Gelegentlich hört man:

1010

“There is a false sense of precision in valuation reports”.

Andere Gerichte sprechen von einem “Battle of Experts” und gehen über die 1011 Ergebnisse hinweg:1202) “As Judge Frank Johnson has succinctly noted‚ the examination of a scientific study by a cadre of lawyers is not the same as the examination by others trained in the field of science and medicine”.1203)

Der Börsenansatz ist in diesem kulturellen Umfeld u. U. zuverlässiger als ein 1012 Parteigutachter: Es gibt dort vielleicht keine Alternative zum CAPM. Das ist anders bei einem vom Gericht bestellten unabhängigen Gutachter. Aber auch hier bleibt: “Uncertainty is the name of the game“.1204) III. Richter Auch die Stellung der Richter in den USA ist anders. „Richter“ hier und „Rich- 1013 ter“ dort bedeuten Unterschiedliches. In den Gliedstaaten der USA finden wir auf Zeit (2 – 6 Jahre) gewählte Richter, die mitunter erstaunlich jung sind. Bei den Bundesgerichten gibt es dagegen Richter auf Lebenszeit (also für eine oft lange „Strecke“). Die meisten Urteile verfasst ein Stab von „staff attorneys“. Die Richter stehen der Politik nahe;1205) sie entscheidet über deren Wahl 1014 oder Ernennung.1206) Die „Jury“ aus meistens zwölf Laien spielt im Zivilrecht ebenfalls eine herausragende Rolle. Auch das begünstigt eine eher „objektivierende“ Darstellung. IV. Interkulturelles Unternehmensrecht Wir begegnen einem Musterfall für das Thema „Unternehmensbewertung und 1015 Rechtskultur“.1207) Die andersartige rechtliche Ausgangslage ist zu beachten, wenn es darum geht, Verfahren für die Unternehmensbewertung zu empfehlen. Gerade hier erweist sich die Besonderheit des Normwertes: Er lässt sich nicht gleichsam „neutral“ übertragen von einer Rechtswelt in eine andere. ___________ 1201) Cede & Co. v. Technicolor, Inc., Del. Ch, Civil Action No. 7129, 12/31/03. 1202) Rainforest Café, Inc., v. State of Wisconsin Investment Board, 667 N.W. 2d 443 (Minn. Ct. App. 2004). Zusammenstellung bei Chen/Yee/Yoo, Journal of Accounting, Auditing and Finance, 22 (2007), 573. 1203) Daubert v. Merrell, Dow Pharmaceuticals, Inc. 43 F. 3d 1311, 1318 Fn. 8 (1994). 1204) Aswath Damodaran. 1205) Sunstein/Schkade, Are Judges Political?, Washington, D. C. 2006. 1206) Scherer, Scoring Points, Stanford, Cal. 2005. 1207) Großfeld, in: Liber Amicorum Richard M. Buxbaum; Großfeld, in: Großfeld/Yamauchi/ Ehlers/Ishikawa, S. 71; Großfeld, in: FS Koresuke Yamauchi, S. 123.

239

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM

G. Alternativen I. Arbitrage Pricing Theory 1016 Als Alternativmodell wird gelegentlich angesprochen die Arbitrage Pricing Theory (APT-Modell).1208) Das APT-Modell misst die Rendite einer Aktie nicht über die Marktrendite und den Betafaktor, sondern über verschiedene Risikofaktoren, die entweder aufgrund theoretischer Annahmen oder beobachteter Werte gewichtet werden. Das Vorgehen ähnelt einer Regressionsanalyse: Gesucht wird die Gewichtung der Risikofaktoren, die das tatsächliche Bild am besten abbildet. Allerdings kommt hier hinzu, dass die Risikofaktoren selbst durch das Modell nicht vorgegeben sind, sondern frei bestimmt werden müssen. 1017 Ähnlich wie das APT-Modell ist das „Drei-Faktoren-Modell“ von French/ Fama aufgebaut, das die Rendite einer Aktie neben dem klassischen BetaFaktor auch aus dem Kurs/Buchwert-Verhältnis und der Marktkapitalisierung herleitet; Carhart hat noch den Momentum-Effekt1209) hinzugefügt.1210) 1018 Wenngleich das French/Fama-Modell die Rendite des deutschen Aktienmarktes besser erklärt als das CAPM, bringen beide Modelle doch eine zusätzliche Komplexität: Die einzelnen Risikofaktoren, zumindest aber deren Ausprägung, müssen jeweils zusätzlich ermittelt werden. Da die Modelle zunächst Renditeentwicklungen des Marktes erklären, fehlt es auch noch an einer Überleitung auf die Renditeerwartung einzelner Unternehmen. 1019 Soweit bisher Gerichte mit den Modellen befasst waren, sind sie abgelehnt worden.1211) II. Modell der impliziten Kapitalkosten 1020 Die Schwierigkeiten mit der Fortschreibung der in der Vergangenheit beobachteten Renditen in die Zukunft versucht das Modell der impliziten Kapitalkosten zu umgehen. Die Idee ist, den Zinssatz zu ermitteln, mit dem die Marktteilnehmer die zukünftigen Renditeerwartungen diskontieren.1212) Während also das CAPM aus der Schätzung eines Kapitalisierungszinses den Unternehmenswert ermittelt, geht das Modell der impliziten Kapitalkosten umgekehrt vor und ermittelt aus dem Unternehmenswert den Kapitalisierungszinssatz. Als Unternehmenswert wird dabei regelmäßig die Börsenkapitalisierung des Unternehmens angesetzt. Für die Ermittlung der zukünftigen Renditeerwartungen werden Schätzungen von Finanzanalysten herangezogen, ___________ 1208) Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 563; zur Beschreibung des Modells siehe Peridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 288. 1209) Siehe Rn. 845. 1210) Hanauer/Kaserer/Rapp, BFuP 2013, S. 469; Zimmermann, Schätzung und Prognose von Betawerten, S. 37. 1211) OLG Stuttgart, 17.10.2011, BeckRS 2010, 00900. 1212) Darstellung bei Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 41 ff.

240

G. Alternativen

die aber nur für börsennotierte Unternehmen hinreichend verfügbar sind. Die Meinungen der Analysten weichen oft voneinander ab; es ist deswegen fraglich, ob sie die allgemeinen Markterwartungen überhaupt widerspiegeln.1213) Schon diese kurze Darstellung verdeutlicht, dass mit diesem Ansatz im Er- 1021 gebnis nicht viel gewonnen wird, weil lediglich eine Unsicherheit durch die andere ersetzt wird. III. Dividend Discount Model Als Alternative zum Tax-CAPM erörtert das LG Frankfurt1214) eine Variante 1022 des Dividend Discount Model („Gordon-Modell“). Danach besteht der Risikozuschlag in der Differenz zwischen der Dividendenrendite eines breit diversifizierten Aktienportfolios und dem Basiszinssatz. Die Dividendenrendite (rEK) findet man, indem man die Dividende (D) durch den Wert der Aktie (V) teilt und eine Wachstumsrate (g) hinzufügt, also rEK = D/V + g. Beispiel: 5,5 % = 50/1000 + 0,5. Das Gericht variiert dieses Modell, weil der Hauptaktionär durch den Aus- 1023 schluss der Minderheit in eine konkrete Aktienanlage investiere. Daher sei abzustellen auf die Differenz zwischen der Dividendenprognose aufgrund der Unternehmensplanung und dem Basiszinssatz. Für den Wert der Aktie (V) sei der Tag maßgeblich, an dem der Hauptaktionär bekannt macht, dass er die Minderheit ausschließen will; auf die Kursentwicklung bis zur Hauptversammlung komme es hier nicht an. Der Kurs sei ins Verhältnis zu setzen zur geplanten Dividende abzüglich Steuer (D/V). Die Wachstumsrate der Dividende (g) entspreche dem allgemeinen Wachstumsabschlag. Das Ergebnis sei um die Steuerlast zu kürzen. Das Gericht gelangte damit – vor der Abgeltungsteuer – zu einem Risikozuschlag von 6 %. Die allgemeinen Probleme wegen der Börsensicht bestehen indes auch hier. IV. § 203 Abs. 1 BewG Für Juristen ist die Übertragung von gesetzgeberischen Wertungen auf ana- 1024 loge Sachverhalte oft naheliegend. Hier bieten uns die §§ 199 ff. BewG ein „vereinfachtes Bewertungsverfahren“ und in § 203 Abs. 1 BewG eine „Vorgabe“ für den Kapitalisierungszinssatz: „Der in diesem Verfahren anzuwendende Kapitalisierungszinssatz setzt sich zusammen aus einem Basiszins und einen Zuschlag von 4,5 %.“

Der Bericht des Finanzausschusses sagt dazu:1215)

1025

„Der Zuschlag berücksichtigt pauschal neben dem Unternehmensrisiko auch andere Korrekturposten, z. B. Fungibilitätszuschlag, Wachstumsabschlag oder inhaberabhängige Faktoren. Branchenspezifische Besonderheiten werden in

___________ 1213) Daske/Gebhardt/Klein, SBR 2006, 39. 1214) LG Frankfurt, 13.6.2006, Der Konzern 2007, 56 = NZG 2006, 868. 1215) BT-Drucks. 16/11107 v. 26.11.2008, S. 24.

241

Dreizehnter Teil: Risikozuschlag: CAPM dem hier geltenden typisierten Verfahren durch einen Betafaktor von 1,0 berücksichtigt, weil dann die Einzelrendite wie der Markt schwankt.“

1026 Die Gerichte sind dem teilweise gefolgt.1216) Wenn der Wert von 4,5 % nicht unmittelbar übernommen wurde, so wurde er wenigstens als Anhaltspunkt gesehen. 1027 Aus unserer Sicht sprechen verschiedene Argumente gegen die Übernahme:1217) x

Das Verfahren nach § 199 ff. BewG wird zwar als „vereinfachtes Ertragswertverfahren“ bezeichnet; es ist jedoch anders als das Verfahren nach IDW S 1 nicht zukunftsbezogen. Der künftige, zu kapitalisierende Ertragswert wird vielmehr regelmäßig aus dem Durchschnitt der Betriebsergebnisse der drei letzten abgelaufenen Jahre ermittelt (§ 201 Abs. 1 BewG). Damit werden Änderungen der Ergebnisse in der Zukunft „per Gesetz“ ausgeschlossen.

x

Der Zinssatz ist vor dem Hintergrund der seinerzeitigen IDW-Empfehlung zu sehen, die in einer Bandbreite von 4,0 – 5,0 % lagen. Seitherige Änderungen in der Schätzung von Risikozuschlägen sind nicht berücksichtigt.

x

Die Nichtberücksichtigung eines Wachstumsabschlages ist gleichbedeutend mit der Nichtberücksichtigung möglichen künftigen (nominellen) Ertragswachstums und benachteiligt damit den ausscheidenden Gesellschafter. Dies mag für das Steuerrecht sinnvoll sein, belastet den Steuerpflichtigen jedenfalls nicht, weil es zu niedrigeren Unternehmenswerten führt, widerspricht bei einer Übertragung auf die Ermittlung gesellschaftsrechtlicher Abfindungen jedoch dem Grundsatz der „vollen Entschädigung“.

x

Durch die Normierung des Betafaktors auf einen Wert von 1,0 wird die unternehmensspezifische Komponente des Kapitalisierungszinses abgeschnitten. Hierdurch werden für sämtliche Unternehmen eine gleiche Risikostruktur sowie gleiche Wachstumsannahmen unterstellt.

x

Auch bleiben durch den pauschalen Zuschlag Risikofaktoren, wie etwa die Kapitalstruktur oder Anpassungen an kapitalmarktspezifische Besonderheiten außer Betracht.

1028 Nach unserer Auffassung ist daher der Risikozuschlag des § 203 Abs. 1 BewG zu grob („vereinfacht“) festgesetzt. Er mag der gebotenen Pauschalierung in „steuerlichen Massenverfahren“ dienen, bietet jedoch keine Anhaltspunkte für ein Bewertungsverfahren, dass dem ausscheidenden Gesellschafter den „vollen Ausgleich“ bieten soll. ___________ 1216) OLG München, 18.2.2014, AG 2014, 453 = NJW-RR 2014, 473; LG München I, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124. 1217) Vgl. auch Creutzmann/Heuer, DB 2010, 1301; Kohl, ZEV 2009, 558; Kohl/König, BB 2012, 610.

242

Vierzehnter Teil Nachsteuer – Capital Asset Pricing Model (Tax-CAPM) A. Überblick Das Tax-CAPM erweitert die Gedanken des CAPM um den steuerlichen 1029 Aspekt. Es geht zurück auf Brennan1218) und wurde später auf die Verhältnisse des deutschen Steuersystems (mehrfach) angepasst.1219) Brennan hat die Berechnungen für die Renditen eines risikobehafteten Wert- 1030 papiers um Steueraspekte erweitert und damit Renditen vor Steuern ermittelt, die unter der Annahme differenzierter Steuern angepasst sind.1220) Im Ergebnis erfolgte dies dadurch, dass für jede Komponente der Anlagenrendite im CAPM (rvSt) die steuerliche Belastung explizit berücksichtigt wird. Die uns bereits bekannte Formel für das CAPM1221) r vSt

ri  ( rm  ri ) E

ändert sich dann wie folgt:

r nSt





ri  (1  est )  rmnSt  ri(1  est ) E

rnST

= Eigenkapitalrendite der Anlage (steuerbeeinflusst)

ri

= risikoloser Zinssatz

est

= Steuersatz der Marktteilnehmer

rmnST

= Marktrendite des Anlagenportfolios (nach Steuern)

ȕ

= Betafaktor

Wie wir bereits gesehen haben, ist der Steuersatz der Marktteilnehmer (est) 1031 im Regime der Abgeltungsteuer mit 26,38 % (25 % zuzgl. Solidaritätszuschlag) gesetzlich festgesetzt und unabhängig von der persönlichen Steuer der einzelnen Anleger.1222)

___________ 1218) Brennan, National Tax Journal 1970, 417. 1219) Tax-CAPM mit Halbeinkünfteverfahren siehe Jonas/Löffler/Wiese, WPG 2004, 898; Tax-CAPM mit Abgeltungssteuer siehe Wiese, WPg 2007, 368. 1220) Benhof, Ökonomische Wirkungen einer Veräußerungsgewinnbesteuerung, S. 23 ff. 1221) Siehe Rn. 798. 1222) Siehe Rn. 575.

243

Vierzehnter Teil: Nachsteuer – Capital Asset Pricing Model (Tax-CAPM)

1032 Probleme bereitet deswegen nur die Ermittlung der Rendite des Marktport-





folios nach Steuern rmnST , weil wir am Markt ja nur die Vorsteuerrenditen beobachten können. Da es sich bei dem Marktportfolio annahmegemäß um ein Aktienportfolio handelt,1223) wissen wir aber, x

dass sich die Marktrendite aus der Kursrendite und der Dividendenrendite zusammensetzt und

x

dass die Dividenden ebenfalls mit 26,38 % fest besteuert werden, während die Kursgewinne effektiv mit einem niedrigeren Satz besteuert werden, der von der individuellen Haltedauer und dem Wachstum des Unternehmenswertes abhängt.1224)



1033 Folglich können wir die Marktrisikoprämie nach Steuern r nSt aus der Marktm

risikoprämie vor Steuern



in die Kursrendite kmQSt

rmQSt

rechnerisch ableiten, indem wir die Rendite



und die Dividendenrendite dmQSt

aufspalten und

beide Teile für sich steuerlich belasten. Dabei wählen wir für die Besteuerung

und für die Besteuerung

k kmQSt der Kursrendite den effektiven Steuersatz seff

der Dividendenrendite den Satz von 26,38 %. Das sieht dann so aus: rmnSt

k

QSt m



k  kmQSt u seff  dmQSt  dmQSt u 26,38 %



1034 Wir ersparen uns, diesen Wert für r nSt in die obige Formel einzusetzen. Wir m

sehen aber, dass das Modell des Tax-CAPM neben den bekannten Problemen des CAPM ohne Steuern weitere Probleme aufwirft: x

Die Aufteilung der Marktrendite des Portfolios in Kurs- und Dividendenrendite muss bekannt sein (oder es müssen entsprechende Annahmen getroffen werden).

x

Die effektive Besteuerung der Kursrenditen muss bekannt sein (oder es müssen entsprechende Annahmen getroffen werden).

x

Das Modell geht von deutschen Steuerverhältnissen und einer inländischen natürlichen unbeschränkt steuerpflichtigen Person („Kleinanleger“) aus, die Anteile an Kapitalgesellschaften im Privatvermögen hält.

___________ 1223) Siehe Rn. 826 ff. 1224) Siehe Rn. 583.

244

B. Konsequenzen

Tatsächlich werden solche „Typisierungen“ auch vorgenommen. Wir haben 1035 dies bereits für Annahmen zur Haltedauer gesehen.1225) Auch der „Kleinanleger“ ist eine solche Typisierung. Dagegen kann die Aufteilung der Marktrendite in Kurs- und Dividendenrendite aus den Marktdaten berechnet werden.1226) Jonas/Löffler/Wiese weisen nach, dass diese Typisierungen zugleich die Voraussetzung dafür sind, dass das Tax-CAPM überhaupt – wie gewünscht – für die Bestimmung von Netto-Renditen verwendet werden kann.1227) Die Einführung von Steuern in das CAPM mag theoretisch richtig sein, 1036 führt aber dazu, dass zusätzliche Komponenten in den Unternehmenswert einfließen, die weitere Kenntnisse über die Nutzensicht der Marktteilnehmer verlangen oder „die nicht zu beschaffen sind“.1228) Es müssen dann Annahmen über diese Komponenten getroffen werden, die wiederum begründet werden müssen. Darüber helfen keine Zahlen und Formeln hinweg: Sie bieten „eine intellektuelle Bereicherung“ aber „keine Freude“.1229) B. Konsequenzen

Die Berücksichtigung persönlicher Einkommensteuern bei den zu kapitalisie- 1037 renden Zahlungsströmen machte es erforderlich, diese Steuern auch im Kapitalisierungszins zu berücksichtigen („Grundsatz der Steueräquivalenz“).1230) Das IDW empfiehlt deswegen das Tax-CAPM seit dem Standard S 1 2005. Dort heißt es:1231) „Aktienrenditen und Risikoprämien werden grundsätzlich durch Ertragsteuern beeinflusst … Eine Erklärung der empirisch beobachtbaren Aktienrenditen erfolgt durch das Tax-CAPM, welches das Standard-CAPM um die explizite Berücksichtigung der Wirkungen persönliche Ertragsteuern erweitert. Hierdurch kann insbesondere die unterschiedliche Besteuerung von Zinseinkünften, Dividenden und Kursgewinnen besser abgebildet werden.“

Mit diesem Schwenk einher ging auch die Korrektur einer Inkonsistenz, die 1038 dem Standard S 1 2000 noch anhaftete. Nach IDW S 1 2000 Tz. 99 war nämlich vorgesehen, dass der Kapitalisierungszinssatz insgesamt pauschal um die Steuerbelastung zu kürzen sein sollte. Die Änderung führte zu deutlich niedrigeren Unternehmenswerten als bisher gewohnt.

___________ 1225) Siehe Rn. 583. 1226) Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2004, 889, 896. 1227) Jonas/Löffler/Wiese, WPg 2004, 898. 1228) Ballwieser, Unternehmensbewertung – Prozeß, Methoden und Probleme, S. 105. 1229) Gorny, Besprechung Wiese, Komponenten, WPg 2008, VI. 1230) Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch der Unternehmensbewertung, § 15 Rn. 51; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, S. 177. 1231) IDW S 1 2005 Tz. 122.

245

Vierzehnter Teil: Nachsteuer – Capital Asset Pricing Model (Tax-CAPM)

1039 Für das bis 2008 geltende Halbeinkünfteverfahren sah das so aus:

Basiszins (vor Steuern)

S1 2000

S1 2005

5,00 %

5,00 %

abzgl. 35 % ESt

–1,75 %

Basiszins (nach Steuern) Marktrendite (vor Steuern)

3,25 % 9,50 %

abzgl. Basiszins (= Risikozuschlag) davon Dividenten

4,50 % 4,50 %

abzgl. 17,5 % ESt davon Kursgewinn steuerfrei

3,71 % 5,00 % 5,00 % 8,71 %

abzgl. Basiszins (= Risikozuschlag) abzgl. 35 % ESt

5,46 % 9,50 % –3,33 % 6,18 %

Wert eines Zahlungsstromes von 100 Wertabweichung

1.619,4

8,71 % 1.147,8 –29,12 %

1040 Die differenzierte steuerliche Behandlung der Marktrisikoprämie bewertete letztlich – und zutreffend – die Anlage im Marktportfolio „besser“, weil infolge geringerer steuerliche Abzüge die Nettozuflüsse bei dem Investor höher ausfielen. Folglich sank der Wert der Alternativanlage („Bewerten heißt vergleichen“).

246

C. Höhe des Risikozuschlags

Mit dem System der Abgeltungsteuer (ab 2009) geht die Wertdifferenz wie- 1041 der deutlich zurück und es werden auch gegenüber dem Halbeinkünfteverfahren wieder leicht höhere Unternehmenswerte erzielt: S1 2000 Basiszins (vor Steuern)

5,00 %

abzgl. 25 % ESt

3,75 % 9,50 %

abzgl. Basiszins (=Risikozuschlag) davon Dividenten

4,50 % 4,50 %

abzgl. 25 % ESt davon Kursgewinn abzgl. 12,5 %

5,00 % –1,25 %

Basiszins (nach Steuern) Marktrendite (vor Steuern)

S1 2005

3,38 % 5,00 % 4,38 % 7,75 %

abzgl. Basiszins (=Risikozuschlag) abzgl. 25 % ESt

Wert eines Zahlungsstromes von 100 Wertabweichung

4,00 % 9,50 % –2,38 % 7,13 %

7,75 %

1.403,5

1.290,3 –8,06 %

Der Effekt, dass die Marktrisikoprämie nach Steuern mit zunehmendem Er- 1042 tragsteuersatz – wie dies hier mit dem Übergang auf die Abgeltungsteuer der Fall ist – sinkt, während eigentlich eine Steigerung zu erwarten gewesen wäre, wird in der Literatur als „Steuerparadoxon“ beschrieben.1232) C. Höhe des Risikozuschlags I. Historische Entwicklung

Angesichts der Komplexität und der Schwierigkeiten bei der Beschaffung der 1043 für die Berechnung erforderlichen Daten in Form umfangreicher Statistiken verwundert es nicht, dass aktuelle und nachprüfbare Unterlagen zur Berechnung der Marktrisikoprämien bzw. des Risikozuschlags selten sind. ___________ 1232) Mandl/Rabel, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 64 f.

247

Vierzehnter Teil: Nachsteuer – Capital Asset Pricing Model (Tax-CAPM)

1044 Die erste Untersuchung zur Ermittlung von Marktrisikoprämien in Deutschland wurde durch Stehle im Jahre 2004 vorgenommen.1233) Berücksichtigt wurden die Werte von DAX, C-DAX und REX-P für die Jahre 1955 – 2004. Die Steuerberechnungen erfolgten unter Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens. Soweit die Indizes in früheren Jahren noch nicht existierten, wurden sie synthetisch zurückgerechnet1234) Stehle kommt zu einer Risikoprämie von 4,5 % vor persönlichen Steuern und 5,5 % nach persönlichen Steuern. Aktualisierungen der Kursdaten und der daraus abgeleiteten Marktrisikoprämien liegen bis zum Jahr 2009 vor.1235) 1045 Wagner/Sauer/Willershausen haben im Jahre 2008 unter Bezugnahme auf die Ergebnisse von Stehle eine Umsetzung auf das bevorstehende System der Abgeltungsteuer vorgenommen und kamen dabei für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2009 zu Marktrisikoprämien von 5,0 % vor Steuern und 4,5 % nach Steuern. Sie unterstellten dabei, dass ein Anleger versuchen würde, seine „Nachsteuer-Risikoprämie“ konstant zu halten, was allerdings angesichts der gestiegenen Zahl ausländischer oder institutioneller Investoren nicht in vollem Umfang gelingen sollte.1236) Unabhängig davon steht die Annahme, dass die Investoren überhaupt Einfluss auf die Marktrendite haben, im Widerspruch zu den Grundannahmen des CAPM.1237) 1046 Eine weitere Untersuchung bezog sich auf den Einfluss des in den letzten Jahren signifikant gesunkenen Zinsniveaus auf die Entwicklung der Risikoprämien. Wagner et al. kamen im Jahr 2013 zu dem Ergebnis, dass eine unveränderte Addition der von Stehle ermittelten Risikozuschläge auf einen deutlich niedrigeren Basiszins das „Kurs-Gewinn-Verhältnis“ (KGV) deutlich hätte sinken lassen müssen, was aber tatsächlich nicht zu beobachten gewesen sei. Sie fordern daraus eine Anpassung der Markt Risikoprämien auf eine Bandbreite von 5,5 % – 7,0 % vor Steuern und 5,0 % – 6,0 % nach Steuern. Wir haben uns mit dieser Argumentation bereits befasst.1238) 1047 Der IDW – Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) beschäftigt sich regelmäßig mit der angemessenen Höhe der Marktrisikoprämien. Erstmalig am 9.9.2012 hat der FAUB eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es u. a. hieß:1239) „Die derzeitige Situation an den Kapitalmärkten ist u. a. dadurch gekennzeichnet, dass langlaufende deutsche Staatsanleihen mit einer Rendite von derzeit knapp über 2 % niedriger als je zuvor und auch niedriger als andere EU-Staatsanleihen notieren. Seit mehreren Monaten sind im kurzen Laufzeit-

___________ 1233) Stehle, WPg 2004, 906. 1234) Stehle/Huber/Maier, Kredit und Kapital 1996, 277. 1235) Franken/Schulte/Dörschell, Kapitalkosten für die Unternehmensbewertung, S. 36. 1236) Wagner/Saur/Willershausen, WPg 2008, 731, 740. 1237) Siehe Rn. 812. 1238) Siehe Rn. 863 ff. 1239) IDW Fachnachrichten 2012, 569.

248

C. Höhe des Risikozuschlags bereich auch vermehrt negative Renditen beobachtbar. Die inflationsgeschützten indexierten deutschen Staatsanleihen weisen sogar sämtlich negative Renditen auf. Damit entspricht die derzeitige Kapitalmarktsituation nicht der Konstellation, wie sie im Durchschnitt für die Vergangenheit beobachtbar war. Da für den Handel mit deutschen Staatsanleihen kein Marktversagen beobachtbar ist und auch keine risikoärmere Anlageform mit einem vergleichbaren Marktvolumen erkennbar ist, ist trotz historisch niedriger Renditen die beobachtbare Rendite deutscher Staatsanleihen unverändert der bestmögliche Schätzer für risikofreie Renditen. Anders verhält es sich nach den Analysen und Beratungen des FAUB mit der Marktrisikoprämie: Die bislang bei der Prognose der Marktrisikoprämie angenommenen langfristigen, die für frühere Jahre gemessene Risikoprämie mindernden Trendentwicklungen werden in der aktuellen Finanzmarktkrise von anderen Einflussgrößen überlagert. Dies gilt z. B. für die wegen besserer Diversifikationsmöglichkeiten erwartete gestiegene Risikotoleranz. Deshalb kommt der FAUB zu dem Ergebnis, dass im Vergleich zu den letzten Jahren derzeit von einer höheren Marktrisikoprämie auszugehen ist. Dabei legen Marktbeobachtungen und Kapitalmarktstudien sowie auf Prognosen von Finanzanalysten und Ratingagenturen basierende ex ante-Analysen zu sogenannten implizit ermittelten Marktrisikoprämien eine Orientierung am oberen Ende der Bandbreite historisch gemessener Aktienrenditen bzw. der daraus abgeleiteten Marktrisikoprämien nahe. Diese Einschätzung des FAUB wird bestätigt, wenn man die ausgehend von der Betrachtung historischer Daten vorgenommenen Prognosen ergänzt um Überlegungen zur Entwicklung realer Aktienrenditen

Zusammenfassend kommt der FAUB nach seinen Analysen und Beratungen 1048 zu folgenden Ergebnissen: „2. Bei der Prognose der Marktrisikoprämie sind durch die Finanzmarktkrise veränderte Einflussparameter, insbesondere eine veränderte Risikotoleranz, zu berücksichtigen, sodass sich im Vergleich zu den letzten Jahren derzeit höhere Marktrisikoprämien rechtfertigen lassen. 3. Der FAUB hält es für sachgerecht, sich derzeit bei der Bemessung der Marktrisikoprämien an einer Bandbreite von 5,5 % bis 7 % (vor persönlichen Steuern) bzw. 5 % bis 6 % (nach persönlichen Steuern) zu orientieren.“

Diese „Orientierung“ gilt weiter. Nach der bisher letzten Sitzung, die sich mit 1049 diesem Thema befasste (am 9.11.2015), wurde verlautbart:1240) „Nach der Analyse des FAUB wird derzeit in der Gesamtschau kein Handlungsbedarf gesehen, die Empfehlungen zur Marktrisikoprämie anzupassen. Der FAUB hält es somit weiterhin für sachgerecht, sich bei der Bemessung der Marktrisikoprämien an einer Bandbreite von 5,5 % bis 7 % (vor persönlichen Steuern) bzw. 5 % bis 6 % (nach persönlichen Steuern) zu orientieren.“

So begrüßenswert es auch ist, dass der FAUB sich regelmäßig mit der Frage 1050 der Marktrisikoprämien beschäftigt, so ist doch festzuhalten, dass das System der Ermittlung mittlerweile intransparent wirkt. Die Sache ist schwer zu ___________ 1240) FAUB, abrufbar unter: https://www.idw.de/idw/portal/d658698/index.jsp) (Mitglieder-Bereich) [Stand: 9.11.2015].

249

Vierzehnter Teil: Nachsteuer – Capital Asset Pricing Model (Tax-CAPM)

durchschauen: Welche Elemente gehen in die „Gesamtschau“ ein? Wie tiefgehend ist die „Analyse“? Die Tradition des IDW und des FAUB und die meisten Veröffentlichungen zu dem Thema gehen zurück auf die ursprüngliche Untersuchung von Stehle, „der inzwischen die Marktführerschaft zugesprochen werden darf“.1241) 1051 Dies ist verwunderlich im Hinblick darauf, dass „Empfehlungen“ des FAUB in vielen Bewertungsfällen ungeprüft übernommen werden und damit faktisch Rechtskraft erhalten. Karami meint dazu:1242) „Im Lichte eines effektiven Minderheitenschutzes ist die bloße Übernahme der von Parteigutachtern präsentierten Parameterwerte unzureichend … Es gleicht einer Fehleinschätzung, wenn Juristen die Berufsauffassung von Wirtschaftsprüfern als eine breit akzeptierte ökonomische Lehrmeinung auffassen.“

1052 Aber hat ein Bewerter in kleineren Fällen aus Zeit- und Kostengründen die Möglichkeiten, eigene Studien vorzunehmen? 1053 Inzwischen hat Stehle seine Daten modernisiert; er gelangt zu einer „internationalen Marktrisikoprämie“ von 5,7 % vor Einkommensteuer.1243) In der Literatur wird eine über den Zeitablauf geschrumpfte Risikoprämie diskutiert, die auf verbesserte Diversifikationsmöglichkeiten der Investoren auf den Heimatmärkten und in internationalen Märkten zurückgeführt wird; ferner sollen auch der technologische Wandel und höhere Wachstumsgeschwindigkeiten der Unternehmen eine Rolle spielen.1244) Drukarczyk/Schüler weisen allerdings darauf hin, dass jüngere Daten den vermuteten Rückgang ex post nicht bestätigt hätten.1245) Knoll/Wenger/Tartler bezeichnen eine Marktrisikoprämie von 4 % als „völlig realitätsfern“.1246) II. Spannweiten 1054 Wie wir sehen, veröffentlicht der FAUB seine „Orientierungen“ in Spannweiten. Folgt man diesem Ansatz, so müssen wir im konkreten Bewertungsfall die Schätzung auf einen einzigen Wert verdichten. Dabei sind nicht sämtliche Zwischenwerte innerhalb der Bandbreite im Einzelfall angemessen. Vielmehr ist die exakte Höhe der Marktrisikoprämie durch ergänzende Überlegungen innerhalb der Spannweite festzusetzen. Ausgangspunkt der Überlegung ist dabei – entsprechend dem Konzept des CAPM – die „Risikolage“ des Marktes. Die Risikosituation des zu bewertenden Unternehmens wird erst relativ zum Marktrisiko durch den Betafaktor bestimmt. ___________ 1241) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 247. 1242) Karami, Unternehmensbewertung im Spruchverfahren beim „squezze out“, S. 255; vgl. auch Emmerich, EWeRK 2016, 153. 1243) Creutzmann/Kniest, BewertungsPraktiker Nr. 3/2011, S. 1; kritisch dazu Knoll/Wenger, BewertungsPraktiker Nr. 3/2011, S. 18. 1244) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 247. 1245) Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, S. 252. 1246) Knoll/Wenger/Tartler, ZSteu, 2011, 47, 52.

250

D. Rechtsprechung

Für die Bestimmung der Marktrisikoprämie wählen wir einen Wert im unte- 1055 ren Bereich der Bandbreite, wenn das allgemeine Marktrisiko als „niedrig“ angesehen wird und entsprechend im oberen Bereich, wenn es als „hoch“ angesehen wird. Wird das Marktrisiko als „niedrig“ eingestuft, diskontieren die Anleger den erwarteten Zahlungsstrom aus dem Markt mit einem geringeren Zinssatz, das zu entsprechend höheren Marktwerten führt und umgekehrt. Das ist plausibel und kann an Aktienmärkten täglich beobachtet werden. Exakte Maßgrößen, in welchem „Risikozustand“ sich der Markt jeweils be- 1056 findet, existieren nicht. Zwar gibt es Einschätzungen der Marktteilnehmer (z. B. „überkauft“ oder „überverkauft“), diese gelten aber nur kurz- oder allenfalls mittelfristig. Im Rahmen der Unternehmensbewertung ist jedoch eine langfristige und zukunftsgerichtete Betrachtung geboten. D. Rechtsprechung

Die Anwendung des TAX-CAPM einschließlich der vom FAUB „empfohle- 1057 nen“ Risikozuschläge wird von der Rechtsprechung mittlerweile durchgängig zumindest anerkannt. So führt das bislang kritische OLG München aus:1247) „Der vom Landgericht geschätzte Wert von 4,0 % für die Phase II liegt in der Bandbreite dessen, was sich auch bei Anwendung des in der Bewertungspraxis anerkannten und gebräuchlichen TaxCAPM ergibt. Er entspricht einer Marktrisikoprämie nach Steuern von 4,0 % und einem Beta-Faktor von 1. Beide Werte sind hier vertretbar. Der Fachausschuss für Unternehmensbewertung (FAUB) hat nach Einführung der Abgeltungsteuer für Bewertungsstichtage nach dem 1.1.2009 zunächst den Ansatz einer Marktrisikoprämie nach persönlicher Ertragsteuer von 4 % bis 5 % empfohlen.“

Das OLG Stuttgart geht noch weiter und betont die durch das IDW in das 1058 Bewertungsverfahren gebrachte Kontinuität:1248) „Grundlage der Schätzung des Gerichts können demnach vom Grundsatz her sowohl Wertermittlungen basierend auf fundamentalanalytischen Wertermittlungsmethoden wie das Ertragswertverfahren als auch auf marktorientierten Methoden wie eine Orientierung an Börsenkursen sein. Entscheidend ist, dass die jeweilige Methode in der Wirtschaftswissenschaft anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist. Als anerkannt und gebräuchlich in diesem Sinne ist derzeit nicht nur, aber jedenfalls auch das anzusehen, was von dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in dem Standard IDW S 1 sowie in sonstigen Verlautbarungen des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vertreten wird. Die Verlautbarungen des IDW stellen eine anerkannte Expertenauffassung dar und bilden als Expertenauffassung eine Erkenntnisquelle für das methodisch zutreffende Vorgehen bei der fundamentalanalytischen Ermittlung des Unternehmenswertes. Dabei wird nicht verkannt, dass die Vorgaben des IDW S 1 und die sonstigen Verlautbarungen des IDW keine Rechts-

___________ 1247) OLG München, 18.2.2014, AG 2014, 453 = NJW-RR 2014, 473; anders noch OLG München, 14.7.2009, ZIP 2009, 2339 = WM 2009, 1848. 1248) OLG Stuttgart, 5.6.2013, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897.

251

Vierzehnter Teil: Nachsteuer – Capital Asset Pricing Model (Tax-CAPM) sätze sind, weil ihnen die normative Verbindlichkeit fehlt, da zum einen das IDW eine private Institution ohne Rechtssetzungsbefugnisse ist und es sich zum anderen um allgemeine Erfahrungssätze handelt, die aufgrund fachlicher Erfahrungen gebildet werden und somit vor allem auch einem dynamischen Prozess unterliegen. Entscheidend ist freilich, dass die Verlautbarungen des IDW – trotz aller dagegen im Allgemeinen oder in Einzelfragen vorgebrachten Kritik – von dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer anerkannt sind und bei Unternehmensbewertungen in der Praxis ganz überwiegend beachtet werden. Sie leisten somit einen erheblichen Beitrag dazu, die Gleichmäßigkeit und Kontinuität der Unternehmensbewertung im Rahmen der fundamentalanalytischen Bewertungsmethoden zu sichern, was zugleich zur Kontinuität der Rechtsprechung führt, soweit diese Methoden zur Schätzung des Unternehmenswertes in Spruchverfahren herangezogen werden.“

1059 Auch das OLG Frankfurt sieht das so:1249) „Die Anwendung des (Tax-) CAPM ist nicht nur ein in der Betriebswirtschaftslehre und der Bewertungspraxis anerkanntes Berechnungsmodell für die Festlegung des Risikozuschlags, sondern hat sich auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung weitestgehend durchgesetzt. Für die Anwendung spricht nicht allein der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, sondern auch das Fehlen eines praktisch verwendbaren überlegenen Modells. Denn es ist nicht ersichtlich, dass ein Alternativmodell zur Ermittlung des Risikozuschlags, insbesondere eine pauschale Schätzmethode, dem (Tax-) CAPM überlegen wäre. Aufgrund seiner Herleitung aus beobachtbaren Kapitalmarktdaten ermöglicht dieses vielmehr im Vergleich mit pauschalen Risikozuschlägen zumindest eine gewisse Objektivierung.“

1060 Die mit dem IDW S 1 2005 geänderte Berechnung des Kapitalisierungszinssatzes wird von der Rechtsprechung ebenfalls anerkannt:1250) „Für die Berechnung des Kapitalisierungszinssatzes nach IDW S1 2005 ist außerdem anzuführen, dass das hier verwendete Tax-CAPM die empirisch betrachtbaren Aktienrenditen realitätsnäher zu erklären vermag, indem es die unterschiedliche Besteuerung von Zinseinkünften, Dividenden und Kursgewinnen besser abbildet.“

1061 Das OLG Stuttgart verweist darauf, dass die Reduzierung des Unternehmenswertes durch den IDW S 1 2005 gegenüber dem IDW S 1 2000 in etwa nur die Erhöhung wettmache, die durch den IDW S 1 2000 gegenüber der Vorgängerversion HFA 2/1983 eingetreten sei.1251) Zur Frage der Berechnung der Kapitalisierungszinssätze im CAPM meint das Gericht sodann: „Deshalb hatte der Senat bereits ….die Frage aufgeworfen, wie es ohne Gegenüberstellung eines geeigneteren Modells möglich sein solle, festzustellen, ob die Anwendung des (Tax-) CAPM zu Kapitalisierungszinssätzen führt, die im Verhältnis zum „richtigen“ Wert überhöht sind.“

___________ 1249) OLG Frankfurt, 20.2.2012, AG 2013, 647 = NZG 2013, 69. 1250) OLG Stuttgart, 3.4.2012, BeckRS 2012, 08486. 1251) OLG Stuttgart, 3.4.2012, BeckRS 2012, 08486, unter Hinweis auf die Beispielsrechnungen bei Simon/Leverkus, in: Simon, SpruchG, Anh. § 11 Rn. 151.

252

E. Abwägung

E. Abwägung

Das TAX-CAPM „bereichert“ das konventionelle CAPM um die Berück- 1062 sichtigung der Steuern der Gesellschafter. Dabei vereinfacht uns die von den individuellen Steuersätzen losgelöste Abgeltungsteuer zunächst die Berechnung. Die „finale“ Steuer auf das Wachstum des Unternehmens, das sich nicht in Ausschüttungen widerspiegelt, verlangt jedoch Annahmen über die Haltedauer der Beteiligung, die in gewissem Widerspruch zu der Annahme der mit der „ewigen Rente“ verbundenen unendlichen Haltedauer stehen. Hierzu müssen Annahmen getroffen werden, die „verargumentiert“ werden müssen; empirische Studien für den deutschen Markt fehlen. Hinzu tritt die verengende Annahme, die zu bewertenden Unternehmensan- 1063 teile befänden sich in der Hand eines unbeschränkt steuerpflichtigen inländischen (Klein-)Anlegers. Nach einer Studie der Bundesbank hielten jedoch im Mai 2014 Ausländer 57 % aller deutschen börsennotierten Gesellschaften davon weit überwiegend institutionelle Anleger.1252) Der Anteil dürfte zwischenzeitlich weiter gestiegen sein. Das alles stimmt bedenklich. Das Tax-CAPM ist für die Nachsteuerbetrach- 1064 tung eine Folge des CAPM. Hält man die nach dem CAPM ermittelte Marktrisikoprämie für unsicher, so wirkt sich das aus bei dem darauf fußenden Tax-CAPM. Es steigert die Komplexität; damit stellt sich die Frage nach der „rechtlichen“ Verhältnismäßigkeit. CAPM wie Tax-CAPM enthalten Prämissen, die zwar grundsätzlich plausibel erscheinen, aber in der Realität nicht – oder jedenfalls nicht ohne oft unverhältnismäßig hohen Aufwand – belegt werden können. Kann die Entscheidung über den zutreffenden Unternehmenswert aber davon abhängig gemacht werden, welche Partei die besseren (finanziellen) Möglichkeiten hat, die erforderlichen Marktstudien zu betreiben? Es entsteht eine Scheinsicherheit mit hohen zusätzlichen Kosten.1253) Vielfach werden die Prämissen auch nicht offen dargelegt, sodass die An- 1065 wendbarkeit des Modells auf den konkret zu bewertenden Fall nicht geprüft werden kann. Kann ein auf diesen Prämissen aufgebautes Gutachten eine taugliche Grundlage für eine gerichtliche Schätzung nach § 287 ZPO sein? Können die Empfehlungen des IDW oder des FAUB vor diesem Hintergrund ungeprüft übernommen werden? Eine ältere Entscheidung des OLG München gibt zu denken. Das OLG folg- 1066 te dem Tax-CAPM nicht.1254) Die marktorientierte Ermittlung des Risikozuschlags sei der Festlegung aufgrund von Erfahrungswerten nicht überlegen. Das Gericht weist hin auf die subjektive Auswahl der Parameter für die Be___________ 1252) Deutsche Bundesbank, Deutsche Aktien überwiegend in ausländischer Hand, abrufbar unter: https://www.bundesbank.de (Stand 29.9.2014). 1253) Vgl. Watrin/Stöver, StuW 2011, 60, 62. 1254) OLG München, 14.7.2009, ZIP 2009, 2339 = WM 2009, 1848; ähnlich OLG Frankfurt, 15.2.2010, AG 2010, 789 = Der Konzern 2011, 179.

253

Vierzehnter Teil: Nachsteuer – Capital Asset Pricing Model (Tax-CAPM)

stimmung von Marktrisikoprämie und Betafaktor. Erhebliche Spielräume gebe es bei Messperiode, Intervall, Vergleichsindex, Peer Group sowie Raw- oder Adjusted-Beta. Es werde nur eine scheinbare Genauigkeit erreicht. Das Gericht hielt die traditionelle Methode für vorzugswürdig. Dabei könnten auch die CAPM Daten berücksichtigt werden als eines der Elemente für die Schätzung. Im Lichte neuerer Entscheidungen, die das CAPM und das TaxCAPM anwenden wollen, wird man dies als Hinweis darauf verstehen müssen, auch bei grundsätzlicher Anwendung der Verfahren deren Parameter sorgfältig plausibilisierend zu prüfen.

254

Fünfzehnter Teil Weitere Zuschläge A. Auslandsrisiko I. Allgemeines

Gelegentlich ist an einen höheren Zuschlag zu denken, wenn die Anlage in 1067 einem Unternehmen außergewöhnlich risikoreich ist. Das kann so sein bei einem „exotischen“ Unternehmen in einem fremden Land, z. B. Basisunternehmen im Pazifik – etwa in Niue („hinter“ Samoa), Cook Islands („noch weiter hinter“ Neuseeland) oder bei Cyber Corporations, die nur in Computern „bestehen“.1255) Wir haben bereits festgestellt, dass besondere Risiken, denen ein Unternehmen 1068 ausgesetzt ist, im Kapitalisierungszins und insbesondere im Betafaktor ausgedrückt werden.1256) Genau genommen begegnen uns zwei Risiken: x

Risiken des operativen Geschäftes schlagen sich im erwarteten Zahlungsstrom (also im Zähler des „Bewertungs-Bruches“) nieder. Bei der Unternehmensplanung für Zwecke der Bewertung ist zwar das bilanzrechtliche Vorsichtprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) nicht anwendbar; es ist jedoch das wahrscheinlichste Szenario zu planen. Ist daher die Entwicklung des künftigen Geschäftes mit Risiken belastet, wird das Szenario eher vorsichtig ausfallen; bei erwarteter günstigerer Geschäftsentwicklung eher optimistisch. So werden zum Beispiel Planungen für Brauereien einen seit Jahren anhaltenden Trend zu geringerem Bierkonsum berücksichtigen, während für Unternehmen, die „hippe“ Elektronik-Geräte herstellen oder vermarkten, eher höhere Wachstumsraten und Ergebnisse geplant werden. Im Zweifel können auch mehrwertige Planungen vorgenommen werden.

x

Das allgemeine Unternehmerrisiko – also das Risiko, dass es doch anders als geplant kommen könnte – begegnet uns dagegen im Nenner des „Bewertungs-Bruches“ in Form des Risikozuschlags und des unternehmensspezifischen Betafaktors. Hier kommt die Risikoaversion des Investors zum Ausdruck, der Unsicherheit zu vermeiden sucht. Diese kann sich beziehen auf Investitionen in Unternehmen allgemein (Marktrisikoprämie bzw. Risikozuschlag) oder auch auf Investitionen in eine spezielle Branche oder gar das Unternehmen selbst (Betafaktor).

Danach werden außergewöhnliche Risiken, die das konkrete Unternehmen 1069 betreffen, grundsätzlich im Zahlungsstrom („Zähler“) abgebildet; Risiken, die den Markt oder die Branche betreffen im Kapitalisierungszins („Nenner“). ___________ 1255) Großfeld, 35 The International Lawyer (2001), 1405. 1256) Siehe Rn. 720, 873.

255

Fünfzehnter Teil: Weitere Zuschläge

II. Unternehmen im Ausland 1070 Fraglich ist, ob dies auch für ausländische Unternehmen gilt. Dabei begegnet uns sowohl der Fall, dass ein ausländisches Unternehmen „stand alone“ zu bewerten ist, als auch der Fall, dass ein solches Unternehmen Teil eines inländischen Konzerns ist. Hier begegnet uns das „Länderrisiko“.1257) 1071 COFACE, ein internationaler Kreditversicherer, betrachtet folgende Risiken:1258)

x

die wirtschaftliche, finanzielle und politische Entwicklung eines Landes, wobei zu den Indikatoren die Konjunkturentwicklung, die Zahlungsfähigkeit des Staates, die Devisenreserven, die Höhe der Auslandsverschuldung, die Verfassung des Bankensystems sowie die politische Entwicklung, also geopolitische und rechtspolitische Aspekte, wie z. B. die Sicherheit des Rechtssystems, Anerkennung von Marken, Patenten und Know-how und Schutz vor Enteignungen, gehören;

x

die Zahlungserfahrung mit den Unternehmen dieses Landes bei kurzfristigen Verbindlichkeiten;

x

das dort vorzufindende Geschäftsumfeld.

1072 Diese Risiken zeigen sich als „originäre“ Risiken, wenn sie auf das Land selbst bezogen werden und z. B. Forderungen gegen den ausländischen Staat betreffen. Unternehmen in diesem Staat sind jedoch nur „derivativen“ Risiken ausgesetzt; d. h. sie werden mehr oder minder stark davon betroffen, dass sich ein originäres Risiko tatsächlich manifestiert.1259) Ein Unternehmen, das zwar im Ausland ansässig ist, aber innerhalb eines Konzernverbundes nur als „verlängerte Werkbank“ tätig ist, also Vorprodukte von Konzernunternehmen aus anderen Ländern bezieht und Fertigprodukte dorthin zurückliefert, wird von dem originären Länderrisiko seines Sitzstaates weniger betroffen sein, als ein Unternehmen, das in den Sitzstaat auch wirtschaftlich verankert ist, dort seine Bezugsquellen und Absatzmärkte hat und von der ausländischen Muttergesellschaft nur finanziert wird. 1073 Wir analysieren daher zunächst die wirtschaftliche Verflechtung des ausländischen Unternehmens und bestimmen, in welchem Umfang das Unternehmen von den originären Länderrisiken seines Sitzstaates betroffen ist. Dies lassen wir in den Erwartungswert der Zahlungsströme („Zähler“) einfließen. 1074 Im zweiten Schritt prüfen wir das allgemeine Unternehmerrisiko, dem das Unternehmen unterliegt. Würde ein Investor wegen der bestehenden derivativen Risiken einen höheren Risikozuschlag verlangen? Bewerten wir ein Unternehmen für einen in den gleichen ausländischen Staat ansässigen Investor, ___________ 1257) IDW, FN-IDW 5/2012, 323. 1258) COFACE Deutschland AG, Handbuch der Länderrisiken, S. 13. 1259) Gleißner, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 863.

256

A. Auslandsrisiko

so liegt es nahe, ähnlich wie bei einem „Inlandsfall“ vorzugehen: Wir verwenden den Basiszins und die Marktrisikoprämie des fremden Staates. Hier wird die Abhängigkeit der Bewertung von der Sicht des Investors deutlich: Wie ist vorzugehen, wenn aus der Sicht eines „inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen (Klein-)Anlegers“ zu bewerten ist? Haben wir für die Bewertung des Unternehmens den eigenen Betafaktor oder 1075 den Betafaktor einer „peer group“ herangezogen, so prüfen wir, ob die „peer group“ in gleichem Maße Länderrisiken ausgesetzt ist wie das zu bewertende Unternehmen selbst. In diesem Fall – und erst recht, wenn wir den eigenen Betafaktor des zu bewertenden Unternehmens verwenden – ist das Länderrisiko bereits im Betafaktor der Peer Group enthalten, sodass ein zusätzlicher Zuschlag zu einer Doppelberücksichtigung führen würde. Die Berücksichtigung von Länderrisiken als Zuschlag zum Kapitalisierungs- 1076 zins kommt daher nur dann in Betracht, wenn wir aus der Sicht eines inländischen Gesellschafters bewerten und das Risiko nicht bereits im Betafaktor des „normalen“ Kapitalisierungszinssatzes zum Ausdruck gekommen ist.1260) Eine einheitliche Methode, nach der ein solcher Zuschlag ermittelt werden könnte, ist derzeit noch nicht in Sicht.1261) Wir bewegen uns auf schwankendem Boden. III. Unternehmen mit Auslandsgeschäft

Ein Unternehmen, das nicht über ausländische Tochtergesellschaften im 1077 Ausland tätig wird, sondern lediglich Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhält, also von dort Waren und Dienstleistungen bezieht oder dorthin Waren und Dienstleistungen verkauft, unterliegt dem „derivativen“ Länderrisiko nur in geringem Umfang. Wir können den ausländischen Markt wie einen inländischen Markt betrachten, der in Abhängigkeit von der Wettbewerbsstruktur ebenfalls mehr oder weniger risikobehaftet ist. Der Ansatz eines länderspezifischen Zuschlags im Kapitalisierungszins ist hier deswegen noch weniger gerechtfertigt als im Fall des im Ausland ansässigen Unternehmens. IV. Rechtsprechung

In der Rechtsprechung hat sich – soweit ersichtlich – bislang nur das LG 1078 Hamburg mit dem Länderrisiko beschäftigt.1262) Es ging um die Bewertung einer inländischen Holdinggesellschaft, die ihrerseits an Textilfabriken im Ausland beteiligt war. Das Gericht wählte einen differenzierten Ansatz und entschied zunächst, dass Effekte aus unterschiedlichen Inflationsraten be___________ 1260) Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 363. 1261) Überblick und Kritik der verschiedenen Modelle bei Gleißner, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 864 ff. 1262) LG Hamburg, 21.3.2014, BeckRS 2015, 10054.

257

Fünfzehnter Teil: Weitere Zuschläge

reits in der Unternehmensplanung und deren Fortschreibung berücksichtigt worden seien. Zur Berücksichtigung des Länderrisikos wird dann ausgeführt: „Die Korrektur wegen eines länderspezifischen Risikos hingegen erscheint im Ergebnis vertretbar. Das Risiko von Aktieninvestitionen hängt neben dem eigentlichen Investitionsobjekt selbst nicht unerheblich davon ab, ob der Investitionsstaat leicht und tiefgreifend lenkend in Wirtschaftsabläufe eingreifen kann, ob dort langfristig stabile politische Strukturen bestehen und ob es eine unabhängige und funktionierende Justiz zur Durchsetzung von Aktionärsund Firmeninteressen gibt. Hierzu gibt es in C. nach den Informationen des Gerichts tatsächlich erhebliche Unsicherheiten und Defizite. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass in einer staatlich gelenkten, nicht durch die Judikative kontrollierten Staatswirtschaft auch staatliche Förderungen, Eingriffe zugunsten von exportorientierten Wirtschaftszweigen und Finanzmarktsteuerungen vorkommen, die dem einzelnen Betrieb erheblich förderlich sein können. Das gilt in C. namentlich natürlich für Betriebe, die gesellschaftliche Grundbedürfnisse abdecken, wozu auch die Bereitstellung von genügend Decken gehören dürfte. Aber auch sonstige politische Wirtschaftsziele können für Unternehmen positive Einflüsse zur Folge haben.“

B. Immobilitätszuschlag I. Veräußerungsbeschränkungen 1079 Bei Personengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung wird oft plädiert für einen Immobilitätszuschlag (auch: Fungibilitätszuschlag),1263) weil die Anteile kaum (§ 719 Abs. 1 BGB, §§ 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB) oder schwerer (§ 15 Abs. 3 GmbHG) zu veräußern sind. Sie werden damit regelmäßig niedriger bewertet. Gleiches gilt für vinkulierte Namensaktien (§ 68 Abs. 2 AktG). Solche Abschläge können sich in den USA auf 35 % – 50 % belaufen.1264) 1080 Veräußerungsbeschränkungen für einzelne Anteile an dem zu bewertenden Unternehmen können u. E. einen Wertabschlag nicht begründen. Dies wird zumeist mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Gesellschafter untereinander begründet. Im Verhältnis der Gesellschaft zueinander besteht in der Regel schon aus Billigkeitsgründen keine Rechtfertigung dafür, den Minderheitsgesellschafter auf Kosten der Mehrheit zu benachteiligen oder auch umgekehrt zu begünstigen, wenn es um den Erwerb kontrollvermittelnder Anteile geht („goldene Aktie“). Es kommt hinzu, dass bei einer Ermittlung des Wertes des Unternehmens im Ganzen und einer quotalen Verteilung dieses

___________ 1263) OLG Düsseldorf, 31.3.2006 – I-26 W 5/06; ablehnend OLG München, 14.5.2007, AG 2007, 701 = FGPrax 2007, 197. 1264) Moll, 54 Duke L. J. 293 (2005), 317.

258

B. Immobilitätszuschlag

Wertes auf die Anteile für einen Minderheitsabschlag schon logisch kein Raum verbleibt (vgl. § 738 Abs. 2 BGB, § 72 Satz 1 GmbHG).1265) II. Zugang zum Kapitalmarkt

Von der Frage der Veräußerungsfähigkeit des Anteils ist die Frage zu unter- 1081 scheiden nach der Veräußerungsfähigkeit des gesamten Unternehmens. Wir fragen, ob ein fehlender oder erschwerter Zugang zum Markt Einfluss auf den Wert des Unternehmens als Ganzes hat. Während im anglo-amerikanischen Raum bei kleinen und mittleren Unter- 1082 nehmen Risikozuschläge („size premiums“) auf die Kapitalkosten vorgenommen werden, lehnt der IDW dies ab.1266) Pauschale Risikozuschläge für die Größe eines Unternehmens sind kritisch zu sehen. Kleinere Unternehmen sind nicht zwingend risikoreicher als große. Hingegen können die mit beschränkten Finanzierungsmöglichkeiten verbundenen höheren Finanzierungskosten bei der Ermittlung der Überschüsse zu berücksichtigen sein.1267) Die Bewertungspraxis ist uneinheitlich.1268) Die Rechtsprechung lehnt es meist 1083 ab, einen Immobilitätszuschlag gesondert zu berücksichtigen.1269). Auch das IDW lehnt solche Zuschläge ausdrücklich ab.1270) In jüngerer Zeit wird in diesem Zusammenhang diskutiert, ob nicht bei die- 1084 sen Unternehmen Risikozuschläge anzusetzen seien, weil ein typisierter Investor dort nur begrenzte Diversifikationsmöglichkeiten habe (total-Beta).1271) Dies ist zweifelhaft, der Ansatz bislang nicht ausreichend abgesichert.1272) Das ist aber differenziert zu sehen:

1085

Wenn ein Gesellschafter gegen seinen Willen herausgedrängt wird, entfällt 1086 für diesen Vorgang die Beschränkung der Veräußerbarkeit. Dann kann der Erwerber sich nicht darauf berufen: „Ein Gesellschafter, der unfreiwillig aus einem Unternehmen ausscheidet, braucht sich als wertmindernden Umstand nicht entgegenhalten zu lassen, dass er seine Unternehmensbeteiligung, die er gar nicht aufgeben will, gegen eine wiederum

___________ 1265) OLG Köln, 26.3.1999, NZG 1999, 1222; Fleischer, in: Rechtshandbuch der Unternehmensbewertung, § 18 Rn. 11 ff. 1266) Nestler, BB 2012, 1271. 1267) Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 158. 1268) Vgl. die – nicht repräsentative – Untersuchung von Lorson/Geltinger/Horn/Schünemann, DStR 2012, 1621. 1269) OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 716 = NZG 2012, 1181; OLG München, 18.2.2014, AG 2014, 453 = NJW-RR 2014, 473; LG Stuttgart, 30.9.2011 – 31 O 190/08 KfH AktG; auch nicht im Energierecht: OLG Düsseldorf, 24.4.2013 – VI-3 Kart 54/08 (V); OLG Düsseldorf, 24.4.2013 – 3 Kart 37/08 (V); vgl. auch Peemöller, BB 2014, 1963. 1270) IDW-Praxishinweis 1/2014, WPg Supplement 2/2014, 28. 1271) Nestler, BB 2012, 1271, m. Nachw. zum Streitstand. 1272) Siehe Rn. 889; Peemöller, BB 2014, 1963.

259

Fünfzehnter Teil: Weitere Zuschläge illiquide Finanzanlage eintauschen muss. Für ihn kann es nur darauf ankommen, dass die Abfindung in Zukunft den gleichen Zahlungsstrom erbringt wie die aufgegebene Unternehmensbeteiligung.“1273)

1087 Dem könnte man entgegenhalten, dass erst der Zuschlag die wenig liquide Anlage wertmäßig gleichstellt mit der Anlage in liquide Mittel. Der Erwerber zeigt aber durch die Übernahme, dass er den Anteil so bewertet wie eine mobilere Anlage (im Verhältnis zu ihm wird der Anteil ja mobil). Diese Sicht muss er auch dem Ausscheidenden zubilligen (Gleichheitsgedanke).1274) Bei einem Immobilitätszuschlag erhielte der Ausscheidende u. U. keinen ertragsmäßigen Gegenwert: Er kann regelmäßig nur eine „mobile“ Anlage wieder erwerben und braucht das dafür erforderliche Geld. 1088 Dem Erwerber nützt die mangelnde Mobilität u. U. sogar: Sie schützt gegen „aufgedrängte“ Gesellschafter, gegen „Attacken“ über den Kapitalmarkt („feindliche Übernahme“). Sie kann so den Wert seiner Beteiligung erhöhen („staying private and not going public“), ist jedenfalls zwischen den Gesellschaftern nicht wertmindernd.1275) 1089 In anderen Fällen ist anzusetzen der erzielbare Abfindungsbetrag; dieser mag die mangelnde Fungibilität berücksichtigen. Anders als Fall der Veräußerungsbeschränkungen handelt es sich hier um eine „altehrwürdige Streitfrage der deutschen Betriebswirtschaftslehre“,1276) die sich einer rechtlichen Bewertung nach Normzweck-Gesichtspunkten entzieht. Deswegen ist hier auch zu berücksichtigen, dass solche Abschläge in der Praxis offenbar tatsächlich vorgenommen werden. C. Unternehmerische Mitbestimmung 1090 Die Folgen der Mitbestimmung für den Wert eines Unternehmens sind kaum untersucht. Ein Zuschlag mag darauf antworten, dass eine Gesellschaft der unternehmerischen Mitbestimmung unterliegt. Gelegentlich hört man, dass die Mitbestimmung den Wert nicht berühre.1277) Das mag „political Correctness“ oder Wunschdenken sein. Ein hoher Grad der Mitbestimmung beeinträchtigt u. U. die internationale Flexibilität und damit Chancen. Deutschland wehrte sich jahrelang – insbesondere auch aus Sorge vor einer Aushöhlung der Mitbestimmungsregeln – gegen die Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft.

___________ 1273) Welf Müller, Jus 1974, 424, 428. 1274) Vgl. OLG München, 14.5.2007, AG 2007, 701 = FGPrax 2007, 197. 1275) OLG Köln, 26.3.1999, NZG 1999, 1222; ähnlich Lawson Mardon Wheat, Inc. v. Smith, 734 A. 2d 738, 749 (New Jersey 1999). 1276) Fleischer, in: Rechtshandbuch der Unternehmensbewertung, § 18 Rn. 18. 1277) Baums/Frick, Arbeitspapier 1997, S. 29.

260

Sechzehnter Teil Wachstumsabschlag A. Grundlagen

Normalerweise gehen wir aus von einer unbegrenzten Lebensdauer des zu 1091 bewertenden Unternehmens. In der näheren Phase (Detailplanungsphase) lassen wir die Überschüsse nominal ansteigen; wir kapitalisieren sie sodann mit einem nominalen Zinssatz,1278) den wir kürzen um die persönlichen Ertragsteuern. Das ändert sich in der ferneren Phase („ewige Rente“): Hier setzen wir einen Betrag an, den wir ad infinitum konstant halten. Steigerungen beachten wir nicht mehr; inflationäre Einflüsse bleiben außer Betracht. Das ist eine verkürzte Sicht. Denn das Unternehmen wächst ja wahrschein- 1092 lich weiter (nachhaltiges Wachstum); damit steigt sein Wert. Auch die alternative Anlage am Kapitalmarkt, die auf ein Aktienportfolio gestützt wird, enthält Wachstumskomponenten. Dies muss berücksichtigt werden. Als Treiber für ein solches Wachstum sind mehrere Komponenten denkbar: x

Nominales Wachstum: Nominales Wachstum umfasst das inflationsbedingte Wachstum der finanziellen Überschüsse aufgrund von Änderungen des Preisniveaus. Damit einher geht ein Anstieg des Nominalwertes des investierten Kapitals. Die faktische nominale Substanzmehrung sichert die Konstanz des realen Wertes des investierten Kapitals und somit den Erhalt der realen Leistungsfähigkeit des Unternehmens.

x

Reales Wachstum: Wir berücksichtigen auch ein reales Wachstum aus Mengen- und Strukturänderungen.

x

Thesaurierungsbedingtes Wachstum: Wenn wir nicht mehr von der Vollausschüttung der im Unternehmen erzielten Erträge ausgehen, sondern Teile der Erträge im Unternehmen wieder anlegen („Thesaurierung“), kann sich hieraus ein weiterer Wachstumsimpuls ergeben.

1093

Die drei möglichen Treiber für das Wachstum des Unternehmens in der Phase 1094 der „ewigen Rente“ werden üblicherweise zu einer einheitlichen Wachstumsrate (q) verdichtet. Für die Berücksichtigung dieses Wachstums können wir einen Zahlungsstrom, 1095 dessen Jahreswerte mit der Wachstumsrate (q) von Jahr zu Jahr ansteigen, mit dem Kapitalisierungszins (r) abzinsen. Üblicherweise – und mit dem gleichen rechnerischen Ergebnis – berücksichtigen wir das Wachstum durch ___________ 1278) IDW S 1 2008 Tz. 94.

261

Sechzehnter Teil: Wachstumsabschlag

einen Wachstumsabschlag im Kapitalisierungszins, der für die ewige Rente verwendet wird. Dies führt zu einem höheren Wert der ewigen Rente und damit zu einem höheren Unternehmenswert. Die Formel lautet: EWewige Rente

BWewige Rente

rq

BWewige Rente = Barwert der ewigen Rente EWewige Rente = erwarteter Überschuss je Periode der ewigen Rente r

= Eigenkapitalrendite der Anlage

q

= Wachstumsrate

1096 Die Formel liefert einen Wert der diskontierten Ertragsüberschüsse aller Perioden der ewigen Rente auf den Beginn der ersten Periode der ewigen Rente. Er ist dem Ertragsüberschuss hinzuzurechnen, der sich für das Ende der letzten Periode des Detailplanungszeitraums ergibt. Deswegen zinsen wir ihn ab mit dem Kapitalisierungszins der Detailplanungsphase, der für die letzte Periode des Detailplanungzeitraums gilt. 1097 Halten wir uns noch einmal die Alternativberechnung „Diskontierung eines wachsenden Zahlungsstroms“ vor Augen, sehen wir, dass die Wachstumsrate (q) allein den Zahlungsstrom aus dem Unternehmen widerspiegelt und deswegen von der Berücksichtigung persönlicher Steuern auf Ebene der Anteilseigner unabhängig ist. Deswegen wird die Wachstumsrate (q) auch nicht um die persönlichen Steuern gekürzt. Wollen wir den Barwert der ewigen Rente „nach Steuern“ ermitteln, ist lediglich der Wert (r) durch den Wert (rnSt) zu ersetzen. 1098 Wir nutzen zwei Zinssätze: Den für die nähere Phase (Detailplanungsphase) und den für die fernere Phase („ewige Rente“). Bei der Detailplanungsphase erhöhen wir den Basiszinssatz um den Risikozuschlag und kürzen die Summe sodann um die typisierte Einkommensteuer. Bei der „ewigen Rente“ vermindern wir das so gefundene Ergebnis um den Wachstumsabschlag.1279) B. Einzelheiten I. Nominales Wachstum 1099 Inflationsbedingtes, nominales Wachstum ergibt sich allein dadurch, dass die Preise für Waren und Dienstleistungen ansteigen, ohne dass sich das dahinter stehende „Mengengerüst“ verändert. Man bezieht sich üblicherweise auf die künftig erwartete Inflationsrate.

___________ 1279) IDW S 1 2008 Tz. 98.

262

B. Einzelheiten

Als erwartete Inflationsrate wird seit einiger Zeit ein Wert von 2,0 % angesetzt. 1100 Er ergibt sich aus den Verlautbarungen und den Zielwerten der EZB:1280) „Preisstabilität ist definiert als Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für das Euro-Währungsgebiet von unter 2 % gegenüber dem Vorjahr. Preisstabilität muss mittelfristig gewährleistet werden. Heute hat der EZB-Rat diese Definition (die er im Jahr 1998 angekündigt hat) bestätigt. Gleichzeitig erklärte der EZB-Rat, dass er beim Streben nach Preisstabilität darauf abzielen wird, mittelfristig eine Preissteigerungsrate von nahe 2 % beizubehalten.“

Die künftige Inflationsrate kann indes lediglich als Indiz für das nominale 1101 Wachstum herangezogen werden. Relevant ist vielmehr die für das zu bewertende Unternehmen geltende spezifische Preissteigerungsrate in Abhängigkeit von Preisänderungen auf den Beschaffungs- und Absatzmärkten. Die Höhe des Abschlags für das nominale Wachstum in der Phase der ewigen Rente bemisst sich folglich an der Fähigkeit des Unternehmens, inflationsbedingte Kostensteigerungen auf den Beschaffungsmärkten an die Kunden weiterzugeben.1281) Der spezifische Wachstumsabschlag setzt deswegen eine umfassende Analyse des Unternehmens voraus. Dazu ein Beispiel: Wir betrachten das Ergebnis nach (Unternehmens-)Steuern und sehen, dass 1102 eine vollständige Überwälzung der Inflation – im Beispiel von 5 % – nur dann gelingt, wenn sämtliche Umsatz- und Kostenbestandteile gleichmäßig mit der Inflationsrate wachsen: Periode 0

Inflation

Periode 1

Umsatz

1000

5,0 %

1050

Materialkosten

–500

5,0 %

–525

Rohergebnis

500

525

Personalkosten

–200

5,0 %

–210

sonstige Kosten

–100

5,0 %

–105

Ergebnis vor Steuern

200

210

Unternehmenssteuern (30 %)

–60

–63

Ergebnis nach Steuern

140

5,0 %

147

Wenn wir unter den gleichen Bedingungen unterstellen wollen, dass lediglich 1103 50 % der Inflationsrate in Form von Preissteigerungen an die Kunden weitergegeben werden können, so führt dies zu dem nachfolgend dargestellten ___________ 1280) EZB, Pressemitteilung, abrufbar unter: https://www.ecb.europa.eu. 1281) Vgl. OLG Karlsruhe, 23.7.2015, JA 2016, 220 = NZG 2016, 228.

263

Sechzehnter Teil: Wachstumsabschlag

Ergebnis. Das Unternehmen befände sich in diesem Fall nicht nur nicht im Gleichgewichtszustand; es würde sogar die nachhaltige Existenz infrage gestellt. Periode 0

Inflation

Periode 1

Umsatz

1000

2,5 %

1025

Materialkosten

–500

5,0 %

–525

Rohergebnis

500

500

Personalkosten

–200

5,0 %

–210

sonstige Kosten

–100

5,0 %

–105

Ergebnis vor Steuern

200

185

Unternehmenssteuern (30 %)

–60

–56

Ergebnis nach Steuern

140

–7,5 %

130

1104 Tatsächlich stellen wir mit dem Wachstumsabschlag aber nicht auf den Umsatz ab, sondern auf das Wachstum des Ergebnisses nach Steuern – also den Zahlungsüberschuss. Wenn wir hier ein Wachstum von 2,5 % sehen wollen, müssen wir praktisch die gesamte Inflationsrate an die Kunden überwälzen: Periode 0

Inflation

Periode 1

Umsatz

1000

4,5 %

1045

Materialkosten

–500

5,0 %

–525

Rohergebnis

500

520

Personalkosten

–200

5,0 %

–210

sonstige Kosten

–100

5,0 %

–105

Ergebnis vor Steuern

200

205

Unternehmenssteuern (30 %)

–60

–62

Ergebnis nach Steuern

140

2,5 %

144

1105 In der Praxis werden nicht alle Kostenfaktoren gleichen Inflationseinflüssen unterliegen. Unterstellen wir z. B., dass die sonstigen Kosten nicht inflationär ansteigen, müssen die Umsätze lediglich um 4 % ansteigen, um die „hälftige Überwälzung“ abbilden zu können.

264

B. Einzelheiten

Nach einer Studie von Widmann/Schiezl/Jeromin lag das durchschnittliche 1106 Gewinnwachstum deutscher Industrieunternehmen im langjährigen Durchschnitt bei rd. 45 % der Preissteigerungsrate. Daraus folge bei einer erwarteten langfristigen Inflationsrate von 1,5 % – 2,0 % eine Wachstumsrate von 0,7 % – 0,9 %.1282). Hieraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, dass die betreffenden Unternehmen langfristig „vom Exitus bedroht“ seien,1283) weil immerhin ja weiter ein Wachstum vorhanden ist. II. Reales Wachstum

Die nominalen Überschüsse können auch durch Mengen- und Strukturver- 1107 änderungen steigen (neue Produkte, Einsparung von Kosten).1284) Wir nennen das reales Wachstum. Reales Wachstum darf lediglich insoweit berücksichtigt werden, wie es sich 1108 nicht auf (nachträglichen) Änderungen des Unternehmenskonzepts gründet; es muss also zum Bewertungsstichtag schon „in der Wurzel angelegt“ sein. Schließlich resultiert der objektivierte Unternehmenswert aus der zum Bewertungsstichtag vorliegenden Ertragskraft auf Grundlage des zum Bewertungsstichtag vorliegenden Konzeptes des zu bewertenden Unternehmens. Ist folglich zum Ende des Detailplanungszeitraums nicht von einem zusätzlichen Wachstum der geplanten Überschüsse auf Basis der Ausgangssituation zum Bewertungsstichtag auszugehen, darf zwangsläufig auch kein reales Wachstum in Ansatz gebracht werden.1285) In der Praxis sehen wir gelegentlich statt eines Wachstumsabschlags im Kapi- 1109 talisierungszinssatz eine weitere Grobplanungsphase zwischen der Detailplanungsphase und der Phase der ewigen Rente vor. Die Annahme realen Wachstums hat Folgen für die Kapitalausstattung und Finanzierung des Unternehmens, die auf diese Weise besser und transparenter abgebildet werden können. III. Thesaurierungsbedingtes Wachstum

Thesaurierungsbedingtes Wachstum in der ewigen Rente führt dazu, dass 1110 Annahmen über die Anlage der thesaurierten Ergebnisanteile getroffen werden müssen. In der Detailplanungsphase erfolgt dies durch konkrete Planungen (z. B. zusätzliche Investitionen, Tilgung von Schulden). In der Phase der ewigen Rente ist dies jedoch nicht mehr möglich. ___________ 1282) Widmann/Schiezl/Jeromin, Finanz-Betrieb 2003, 800, 808; zu gegenteiligen Ergebnissen kommt Creutzmann, BewertungsPraktiker Nr. 1/2011, 24; Knoll/Lobe/Tartler, BewertungsPraktiker, Nr. 1/2009, S. 12. 1283) Kruschwitz/Löffler/Essler, Unternehmensbewertung für die Praxis, S. 103; Schüler/ Lampenius, BewertungsPraktiker Nr. 3/2007, 2. 1284) LG Frankfurt, 21.3.2006, – 3-5 O 153/04, S. 24. 1285) Tinz, Die Abbildung von Wachstum in der Unternehmensbewertung, S. 139 ff.

265

Sechzehnter Teil: Wachstumsabschlag

1111 Wir behelfen uns mit der Annahme, dass die thesaurierten Mittel zum Kapitalisierungszins des Unternehmens – also vor Berücksichtigung der Ertragsteuern auf Gesellschafterebene – angelegt werden. Das führt rechnerisch dazu, dass die Erträge aus der Wiederanlage der thesaurierten Beträge nicht mehr berücksichtigt werden müssen, weil sie sich nach Diskontierung wieder auflösen. Die Annahme setzt aber voraus, dass die „innere Rentabilität“ des Unternehmens genauso hoch ist wie die aus der Sicht des Marktes in der Marktrendite ausgedrückte „äußere Rentabilität“. IDW S 1 2008 sagt dementsprechend:1286) „Sofern für die Verwendung thesaurierter Beträge keine Planungen vorliegen und auch die Investitionsplanung keine konkrete Verwendung vorsieht, ist eine sachgerechte Prämisse zur Mittelverwendung zu treffen… Für die thesaurierten Beträge wird die Annahme einer kapitalwertneutralen Verwendung getroffen.“

1112 Das muss aber nicht so sein. IV. Zusammenhänge 1113 Die Treiber für das Wachstum mögen unterschiedlicher Natur sein, es bestehen jedoch Zusammenhänge. Jedes Wachstum erfordert eine hierzu passende Kapitalausstattung. Die Planung nominalen Wachstums ist daher nicht nur von der Frage abhängig, ob es gelingt, inflationsbedingte Kostensteigerungen weiterzuwälzen. Es muss auch berücksichtigt werden, dass die Wiederbeschaffung der für die Produktion eingesetzten Anlagen nur noch zu höheren Preisen möglich ist oder das – ganz allgemein – das für den Betrieb des Unternehmens erforderliche „working capital“1287) zu Nominalwerten ebenfalls ansteigt und refinanziert werden muss. Entsprechend muss ein Anteil der jährlichen Überschüsse für die Refinanzierung zurückgehalten („thesauriert“) werden und steht für Ausschüttungen an die Anteilseigner nicht zur Verfügung. 1114 Dörschell/Franken/Schulte zeigen an einem Beispiel, dass sich unter bestimmten Voraussetzungen die Effekte des nominalen Wachstums und der erforderlichen Thesaurierung auf den Wert des Unternehmens gegenseitig aufheben, sodass der Unternehmenswert unverändert bleibt.1288) Wachstum ist deswegen abhängig von der Finanzierung und kann erst dann realisiert werden, wenn die Finanzierung durch entsprechende Thesaurierung gesichert ist.1289)

___________ 1286) IDW S 1 2008 Tz. 36 f. 1287) Siehe Rn. 444. 1288) Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszins in der Unternehmensbewertung, S. 319 ff. 1289) Meitner, WPg 2008, 248.

266

C. Rechtsprechung

C. Rechtsprechung

Angesichts des Gewichtes, das der „ewigen Rente“ innerhalb des Unterneh- 1115 menswertes zukommt, ist es verwunderlich, wie wenig der Wachstumsabschlag in der Rechtsprechung problematisiert wird.1290) Die einschlägigen Urteile nehmen i. d. R. Bezug auf die von Sachverständi- 1116 gen ermittelten Werte; hiergegen bestünden „keine durchgreifenden Bedenken“, sie seien „nachvollziehbar und plausibel“. Es wird Bezug genommen auf „üblicherweise angesetzte Abschläge, die anerkannt und gebräuchlich seien und einen Hinweis auf die Größenordnung lieferten“.1291) Das OLG Frankfurt spricht von „geringer Kontrolldichte“.1292) „Übliche“ Wachstumsabschläge liegen derzeit zwischen 0,5 % und 2,0 %. In 1117 den meisten gerichtlichen Spruchverfahren wird ein Wert von 1,0 % angesetzt.1293) Allgemein anerkannt wird die Berücksichtigung eines Wachstumsabschla- 1118 ges.1294) Das gleiche gilt für die Grundannahme, dass der Abschlag unterhalb der erwarteten Inflationsrate liegen und die Möglichkeit der Überwälzung inflationärer Kostensteigerungen widerspiegeln müsse.1295) Als Gründe dafür werden in der Regel pauschal die Unternehmensplanungen, das Marktumfeld, die branchenspezifische Situation, ein erheblicher Preis- und Wettbewerbsdruck, eine zunehmende Konkurrenz sowie der mögliche Eintritt neuer Wettbewerber genannt.1296) Eine Ableitung aus Studien zum Wachstum der deutschen Industrie insgesamt sei nicht möglich; diese seien „jedenfalls ambivalent“.1297) Die Entwicklung des Börsenkurses kann der Plausibilität dienen.1298) Selten erwähnt werden Ableitungen des Wachstumsabschlages aus den Mög- 1119 lichkeiten realen Wachstums.1299) Ein thesaurierungsbedingtes Wachstum wird als „denkbar“ bezeichnet.1300) Das LG München weist auf den „werterhaltenden“ Charakter von Thesaurierungen hin.1301) Das LG Frankfurt sagt dazu:1302) ___________ 1290) Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 519. 1291) OLG Stuttgart, 17.7.2014, AG 2015, 580. 1292) OLG Frankfurt, 18.12.2014, AG 2015, 241 = ZIP 2015, 371. 1293) Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 519, 529. 1294) OLG Stuttgart, 17.7.2014, AG 2015, 580. 1295) OLG Stuttgart, 17.7.2014, AG 2015, 580; OLG Düsseldorf, 4.7.2012, AG 2012, 797 = NZG 2012, 1260. 1296) Hachmeister/Ruthardt/Lampenius, WPg 2011, 519, 529. 1297) OLG Stuttgart, 17.7.2014, AG 2015, 580; OLG Frankfurt, 30.8.2012, NZG 2012, 1382. 1298) OLG Frankfurt, 15.2.2010, AG 2010, 789 = Der Konzern 2011, 179. 1299) OLG Stuttgart, 19.3.2008, AG 2008, 510 = ZIP 2008, 2020; OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28 = BB 2007, 2395. 1300) OLG Frankfurt, 30.8.2012, NZG 2012, 1382. 1301) LG München I, 30.3.2012, BeckRS 2013, 18344. 1302) LG Frankfurt, 21.3.2006 – 3-05 O 153/04, S. 24 f.

267

Sechzehnter Teil: Wachstumsabschlag „Daraus ergibt sich aber auch, dass zukünftig bei einer Unternehmensbewertung unter Abkehr von der Vollausschüttungsprämisse … die angenommene freiwillige Thesaurierung der Gewinne durch ihre Wiederanlage im Unternehmen zu einer Rendite führen wird, die nach Abzug der Unternehmenssteuern mindestens dem Kalkulationsfuß entspricht und damit zu einem Gewinnwachstum führen wird, der seinen Niederschlag in entsprechenden Wachstumsabschlägen bei dem Zinssatz der Abfindung finden muss.“

1120 Weiter heißt es: „Hinsichtlich der geplanten thesaurierten Beträge muss hier nämlich unterstellt werden, dass diese mindestens in einer kapitalwertneutralen Anlage zum Kapitalisierungszins vor allen Unternehmenssteuern angelegt wird.“

268

Siebzehnter Teil Verfahren der Nettokapitalisierung A. Grundlagen

Hier diskontieren wir die den Eignern künftig zufließenden Überschüsse des 1121 betriebsnotwendigen Vermögens (Barwert), wie sie sich aus den handelsrechtlichen Erträgen ergeben. Die Kosten des Fremdkapitals werden über Zinsen berücksichtigt, die als Aufwand die an die Unternehmenseigner fließenden Erträge mindern. Wir gehen aus von den bereinigten Ergebnissen der Vergangenheit und entwickeln daraus die Prognosen. Der Unternehmenswert wird einstufig ermittelt: Die für die Anteilseigner zur Verfügung stehenden Überschüsse werden in einem Schritt diskontiert. Dann fügen wir hinzu den Barwert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens. Verfahren der Nettokapitalisierung sind das in den vorstehenden Teilen be- 1122 sprochene Ertragswertverfahren und das Equity-Verfahren aus der „Familie“ der „Discounted cash flow“ (DCF)-Verfahren. Während das Ertragswertverfahren die in Deutschland am weitesten verbreitete Bewertungsmethode ist, ist der Equity-Ansatz das international gebräuchlichste Verfahren der Nettokapitalisierung. Das IDW stellt bereits seit der ersten Fassung des IDW S 1 im Jahr 2000 beide Methoden gleichberechtigt nebeneinander.1303) Die Rechtsprechung verwendet bislang ganz überwiegend das Ertragswertverfahren. Erst in jüngerer Zeit werden auch die DCF-Verfahren genannt.1304) Der Equity-Ansatz entspricht der Ertragswertmethode in Bezug auf die ent- 1123 ziehbaren Überschüsse für die Anteilseigner.1305) Unterschiede können sich ergeben bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinses. Bei gleichen Annahmen zum Kapitalisierungszins führen beide Verfahren zum gleichen Ergebnis.1306) B. Zahlenbasis I. HGB-Zahlen vs. IFRS-Zahlen

Bisher ermitteln wir die künftigen Überschüsse aus den handelsrechtlichen 1124 Ergebnissen des betriebsnotwendigen Vermögens im Einzelabschluss (Bilanzrecht des HGB). Sie sind unser „Eichstrich“.1307) Wir gelangen so zu einem Vorsteuerergebnis nach folgendem Muster:

___________ 1303) IDW S 1 2000, Tz. 106; IDW S 1 2008 Tz. 99. 1304) OLG Karlsruhe, 30.4.2013, AG 2013, 765 = ZIP 2013, 1469. 1305) Baetge/Niemeyer/Kümmel/Schulz, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 367. 1306) IDW S 1 2008 Tz. 101. 1307) Knoll, BB 2006, 371.

269

Siebzehnter Teil: Verfahren der Nettokapitalisierung

+ –

Umsatzerlöse Sonstige Erträge Materialaufwand



Personalaufwand



Lineare Abschreibung



Außerordentliche Abschreibung/Sonderabschreibung



Abschreibung auf Finanzanlage



Sonstiger Aufwand

=

Operatives Ergebnis

+

Beteiligungsertrag Inland (netto)

+

Beteiligungsertrag Ausland (brutto)

=

Ergebnis vor Steuern und Zinsen (= EBIT = Earnings before Interests and Taxes)

1125 Das Vordringen der International Financial Reporting Standards (IFRS) mag uns eine andere Basis bringen. Sie können schon jetzt wirksam werden, wenn wir den Konzernabschluss (vgl. § 315a HGB) ergänzend mit heranziehen (z. B. bei Prognose oder Risikoeinschätzung). Die Regeln stellen nicht auf ausschüttbare Gewinne ab (Vorsichtsprinzip; Betrachtung aus der Sicht der Fremdkapitalgläubiger), sondern auf einen „fair view“ (Zeitwerte, Sicht potentieller Eigenkapital-Investoren);1308) sie können zu einem früheren Ausweis des Gewinns und zu einer vorgezogenen Steuerlast führen. 1126 Wir gehen dem hier jedoch nicht weiter nach. In Einzelfällen ist es nahe liegend, alternativ auf HGB-Basis umzurechnen.1309) II. Ermittlung der finanziellen Überschüsse 1. Verfahren 1127 Die finanziellen Überschüsse können wir direkt oder indirekt ermitteln. Bei der direkten Methode verrechnen wir in jedem Jahr die Aufwendungen und Erträge, die zu Zahlungen führen. Weitaus gebräuchlicher ist allerdings die indirekte Methode, die von dem geplanten Ergebnis der operativen Geschäftstätigkeit ausgeht, das wir nach den gerade dargestellten Grundsätzen ermittelt haben. Hieraus wird durch Berücksichtigung finanzwirksamer Vorgänge der finanzielle Überschuss ermittelt, der für die Anteilseigner zur Verfügung steht. 1128 Nach der Ertragswertmethode werden dabei in die Zu- und Abflüsse aus der Finanzierung des Unternehmens nur mittelbar durch die Zinsen auf den Finanzsaldo berücksichtigt:

___________ 1308) Übersicht zu den Abweichungen bei Winkejohann/Büssow, in: Beck’scher Bilanzkommentar, § 252 Rn. 81 ff. 1309) Knoll, BB 2006, 369; vgl. Essler, BewertungsPraktiker Nr. 1/2007, S. 13.

270

B. Zahlenbasis Ergebnis der operativen Geschäftstätigkeit (EBIT) +/–

Abschreibungen/Zuschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen

+/–

Sonstige nicht zahlungswirksame Aufwendungen/Erträge (z. B. Veränderung der Rückstellungen und der Rechnungsabgrenzungsposten



Zinsen auf den Finanzsaldo



Ertragsteuern des Unternehmens

=

Finanzielle Überschuss für die Anteilseigner („flow to equity“)

Der Finanzsaldo selbst wird in einer „Nebenrechnung“ ermittelt und berück- 1129 sichtigt den Finanzierungsbedarf für Investitionen und Veränderungen des „working capital“: Finanzsaldo am Ende des Vorjahres +

Zahlungszuflüsse aus dem Verkauf von immateriellen Vermögensgegenständen und Sachanlagen



Zahlungsabflüsse für Investitionen in immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen

+/–

Rückgang/Zuwachs des benötigten „working capital“ (Saldo aus Vorräten, Forderungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen)

=

Finanzsaldo am Ende des laufenden Jahres

Die Equity-Methode berücksichtigt dagegen die Änderung des Finanzsaldos 1130 in der laufenden Ermittlung: Ergebnis der operativen Geschäftstätigkeit (EBIT) +/–

Abschreibungen/Zuschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen

+/–

Sonstige nichtzahlungswirksame Aufwendungen/Erträge (z. B. Veränderung der Rückstellungen und der Rechnungsabgrenzungsposten

+

Zahlungszuflüsse aus dem Verkauf von immateriellen Vermögensgegenständen und Sachanlagen



Zahlungsabflüsse für Investitionen in immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen

+/–

Rückgang/Zuwachs des benötigten „working capital“



Ertragsteuern des Unternehmens

=

Finanzielle Überschüsse für die Eigen- und Fremdkapitalgeber



Zinsen auf das Fremdkapital

+/–

Einzahlungen aus der Aufnahme/Auszahlungen aus der Tilgung von Fremdkapital

=

Finanzielle Überschüsse für die Anteilseigner („flow to equity“)

2. Einzelheiten a) Reinvestitionsrate

Überschuss ist nur das, was bei Erhaltung der Substanz abgeschöpft werden 1131 kann. Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände und Sachan271

Siebzehnter Teil: Verfahren der Nettokapitalisierung

lagen stellen jedoch keine (finanziellen) Ausgaben dar, sodass sie für die Ermittlung der auszahlbaren Überschüsse zunächst hinzugerechnet werden können. Stattdessen abzuziehen sind jedoch die tatsächlichen Ausgaben für erforderliche Investitionen. 1132 Wenn ein Unternehmen regelmäßig investiert, können die Aufwendungen für Abschreibungen und die Ausgaben für Investitionen gleich sein. Insbesondere in der Phase der „ewigen Rente“ wird wegen der Annahme des eingeschwungenen Zustandes regelmäßig davon ausgegangen, dass dies der Fall ist. Wir können dann vereinfacht die geplanten Abschreibungen mit den Reinvestitionen gleichsetzen. 1133 In Fällen, wo dies nicht der Fall ist, muss der Finanzierungsbedarf für die Investitionen und die daraus folgenden Zinsaufwendungen explizit geplant und bei der Ermittlung der ausschüttungsfähigen Überschüsse berücksichtigt werden. Dies gilt auch, wenn die Abschreibung für die Reinvestition nicht ausreicht, weil die Wiederbeschaffungskosten einer Anlage über den ursprünglichen Anschaffungskosten liegen. Ist z. B. eine Maschine mit 10.000 € abgeschrieben, kostet eine gleiche Maschine jetzt aber 20.000 €, so genügt der Abschreibungsbetrag nicht zur Neuanschaffung. Wir müssen die Reinvestitionsrate ansetzen. Deshalb ist beim Anlagevermögen von Wiederbeschaffungswerten abzuschreiben (Tagesneuwerte). b) Finanzplanung 1134 Der Equity-Ansatz bildet den Finanzbedarf transparent unmittelbar bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse ab. Er berücksichtigt auch Fälle, in denen Finanzmittel aufgenommen werden, um Ausschüttungen an die Anteilseigner vorzunehmen, was – vorbehaltlich gesellschaftsrechtliche Restriktionen – grundsätzlich zulässig ist. Das gleiche gilt für den umgekehrten Fall, dass erwirtschaftete Mittel nicht für Ausschüttungen zur Verfügung stehen, weil entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen Kredite zurückgezahlt werden müssen. 1135 Dagegen berücksichtigt das Ertragswertverfahren die Finanzierung nur mittelbar über Zinsen auf den Finanzsaldo. Dies kann dazu verleiten, Fremdkapital als unbeschränkt verfügbar anzusehen, weil die konkrete Planung des Finanzbedarfes in einer Nebenrechnung erfolgt. Liegen daher Fälle der gerade beschriebenen Art vor, sind zusätzliche Nebenrechnungen erforderlich. c) Ausschüttungssperren 1136 Ebenfalls nicht zur Ausschüttung verfügbar sind die erwirtschafteten Überschüsse, wenn Ausschüttungssperren bestehen. Diese ergeben sich z. B. bei Verlustvorträgen, wenn Ausschüttungen zu einer Minderung des gesetzlich garantierten Kapitals führen (§ 57 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Auch nach den Vorschriften des Bilanzrechts können einzelne

272

C. Kapitalisierungszins

Ergebnispositionen gesperrt sein (vgl. z. B. § 268 Abs. 8 HGB). Eine dritte Gruppe von Ausschüttungssperren ist (Kredit-)vertraglicher Art, wenn zum Beispiel die weitere Gewährung von Krediten von der Einhaltung bestimmter Bilanzrelationen abhängig gemacht wird (sog. „Covenants“). C. Kapitalisierungszins I. Grundsatz

Bislang wurde ein Unterschied zwischen dem Ertragswertverfahren und dem 1137 Equity-Ansatz auch in der Art der Bestimmung des Kapitalisierungszinses gesehen. Diese Wahrnehmung stammt aber wohl noch aus der Zeit vor Einführung des IDW S 1 2000, als insbesondere die Ermittlung des Risikozuschlags noch nicht auf Basis von marktgestützten Modellen erfolgte.1310) Seitdem aber auch bei der Anwendung des Ertragswertverfahrens die Ermittlung des Kapitalisierungszinses weitgehend auf der Grundlage des CAPM bzw. Tax-CAPM erfolgt, gehen beide Methoden vom gleichen Grundsatz aus und führen unter gleichen Voraussetzungen zum gleichen Ergebnis. Es bleibt die Tatsache, dass international – und damit auch im Rahmen der 1138 Equity-Methode – persönliche Ertragsteuern nicht berücksichtigt werden. Sie können jedoch problemlos in das Modell integriert werden. II. Verschuldungsgrad

Wir haben bereits gesehen, dass der Verschuldungsgrad des zu bewertenden 1139 Unternehmens die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber beeinflusst. Dies beruht darauf, dass mit steigender Verschuldung des Unternehmens das Risiko der Investoren ansteigt, die sich das – entsprechend dem Modell des CAPM – mit höheren Renditen bezahlen lassen. Ein Beispiel:

1140

Nehmen wir an, ein Unternehmen erzielt einen Zahlungsstrom (CF) von 100 mit einem Eigenkapital (EK) von 1.250. Die Unternehmensrendite beträgt dann: CF EK

100 1.250

8,00 %

Wenn dieses Unternehmen jetzt ein Teil des Eigenkapitals durch Fremdkapi- 1141 tal (FK) von 500 zu einem Zins (iFK) von 6 % ersetzt, erhöht sich die Verzinsung des Eigenkapitals auf: CF  ( FK u iFK ) EK  FK

100  30 750

9,33 %

___________ 1310) Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 9 Rn. 52.

273

Siebzehnter Teil: Verfahren der Nettokapitalisierung

1142 Wenn dann – unter gleichen Bedingungen – der Zahlungsstrom (CF) um 10 % auf 90 zurückgeht, sinkt für das unverschuldete Unternehmen die Rendite der Eigentümer ebenfalls um 10 % CF EK

90 1.250

7,20 %

während sie für die Eigentümer des verschuldeten Unternehmens um 14,3 % zurückgeht: CF  ( FK u iFK ) EK  FK

90  30 750

8,00 %

1143 Dieser Effekt ist als „Leverage-Effekt“ bekannt. Der Zusammenhang zwischen den Renditeforderungen der Eigentümer eines verschuldeten und eines unverschuldeten Unternehmens ist nach den Wissenschaftlern, die das zuerst formuliert haben, als „Modigliani/Miller-Theorem“ bekannt. Die Formel hierfür lautet: l rEK





u u  rEK i ˜ rEK

EK FK

mit: l rEK = Renditeforderung der Eigentümer eines verschuldeten Unternehmens. u rEK = Renditeforderung der Eigentümer eines unverschuldeten Unternehmens

1144 Wir haben die Auswirkungen des „Leverage-Effektes“ bereits bei der Ermittlung des Betafaktor für verschuldetete und unverschuldete Unternehmen kennengelernt.1311) Das Ertragswertverfahren berücksichtigt aber in seiner üblichen Form den Verschuldungsgrad des Unternehmens nur einmalig. Theoretisch korrekt wäre es jedoch, die Renditeforderung jeweils auch in den einzelnen Planungsperioden anzupassen, wenn sich die EK/FK-Relation verändert, z. B. aufgrund von Thesaurierungen oder der Aufnahme zusätzlichen Fremdkapitals. 1145 Wir begegnen dann aber einem Zirkelschluss. Wenn wir nämlich die Formel für die Kapitalisierung der Zahlungsströme über alle Perioden (t) f

UW

¦ t 1

FTE

1  r l EK

t

mit: UW = Unternehmenswert/Wert des Eigenkapital ___________ 1311) Siehe Rn. 894 ff.

274

C. Kapitalisierungszins

FTEt = Cashflows an die Eigenkapitalgeber in der Periode t „Flows to Equity“ l rEK

= Renditeforderung der Eigentümer eines verschuldeten Unternehmens.

betrachten, stellen wir fest, dass der Wert des Eigenkapitals (UW) zwar „er-

ab-

l wartungsgemäß“ von der Renditeforderung der Eigenkapitalgeber rEK

hängt, dass diese Renditeforderung jedoch ihrerseits nach der oben dargestellten Formel von Modigliani/Miller von dem Wertverhältnis des Eigenkapitals zum Fremdkapital abhängt. Die Lösung dieses Problems überlassen wir den Finanzmathematikern. Praktiker können auch – z. B. mit Unterstützung von Tabellenkalkulationsprogrammen – zu einer „iterativen Lösung“ gelangen.1312) Das Modell zur Ermittlung eines Unternehmenswertes erreicht hier eine 1146 weitere Komplexitätsstufe. Es müssen weitere Annahmen getroffen und „verargumentiert“ werden. III. Finanzierungsstrategien

Wenn die schwankende Renditeforderung nach Modigliani/Miller Folge eines 1147 schwankenden Verschuldungsgrades ist, liegt es nahe, diesen Verschuldungsgrad in der Unternehmensplanung zu steuern. x

Bei einer „unternehmenswertorientierten Finanzierungsstrategie“ wird in der Planung der Verschuldungsgrad konstant gehalten. Steigt oder sinkt der Wert des Eigenkapitals, so muss zusätzliches Fremdkapital aufgenommen oder zurückgezahlt werden. Damit bleibt nach der Modigliani/ Miller-Formel die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber konstant und das Zirkularitätsproblem tritt nicht auf.

x

Bei einer „autonomen Finanzierungsstrategie“ wird der Fremdkapitalbedarf frei geplant. Folge sind im Zeitablauf schwankende Verschuldungsgrade und damit unterschiedliche Diskontierungszinssätze. Das Zirkularitätsproblem entsteht.1313)

Betrachtet man die Sache umgekehrt, liegt dem üblichen Ertragswertverfahren 1148 die „unternehmenswertorientierte Finanzierungsstrategie“ zugrunde, wenn über alle Perioden der gleiche Kapitalisierungszins angewendet wird. Dies muss in der Planung berücksichtigt werden, um Verstöße gegen die Logik des Modells zu vermeiden. ___________ 1312) Baetge/Niemeyer/Kümmel/Schulz, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 405 f; Großfeld/Stöver/Tönnes, BB Spezial 7/2005, 1. 1313) Enzinger/Kofler, BewertungsPraktiker Nr. 4/2011, S. 2.

275

Achtzehnter Teil Verfahren der Bruttokapitalisierung A. Überblick

„Bruttokapitalisierung“ bedeutet, dass der Unternehmenswert zunächst ohne 1149 Berücksichtigung der konkreten Finanzierung bestimmt wird; Zinsen für etwa vorhandenes Fremdkapital werden daher nicht berücksichtigt. Von dem so ermittelten Bruttowert des (hypothetisch) unverschuldeten Unternehmens wird der Marktwert des Fremdkapitals abgezogen. Wir erhalten den Marktwert des Eigenkapitals (= Unternehmenswert).

Bruttowert des Unternehmens „entity value“

Marktwert Eigenkapital „equity value“ Marktwert Fremdkapital

In der Praxis begegnen uns als Verfahren das Konzept der gewogenen Kapi- 1150 talkosten (WACC-Ansatz) und das Konzept des angepassten Barwerts (APVAnsatz). Dabei ist der WACC-Ansatz wegen seiner weiten Verbreitung in der (internationalen) Bewertungspraxis zum Synonym für die DCF-Verfahren insgesamt geworden.1314) Die Bruttokapitalisierung führt bei gleichen Bewertungsannahmen zu gleichen 1151 Ergebnissen wie die Nettokapitalisierung.1315) Ihr Vorteil wird darin gesehen, dass die Wertbestandteile transparenter dargestellt sind.1316) So wird bei Unternehmenstransaktionen häufig der Wert des unverschuldeten Unternehmens („debt free“) zugrunde gelegt, weil der Erwerber die Unternehmensfinanzierung austauscht, wenn er selbst günstigere Finanzierungsquellen hat oder das erworbene Unternehmen in seine Konzernfinanzierung eingliedern will. Es handelt sich jedoch um ein kritisches und komplexes Thema. In der Praxis beeinflusst die jeweilige Methode daher häufig doch das Ergebnis.1317) B. Zahlenbasis I. Free Cashflows

Die Cashflows ermitteln wir wie bei dem Equity-Ansatz nach der direkten 1152 Methode. Dabei korrigieren wir jedoch den Einfluss der Fremdfinanzierung ___________ 1314) Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 9 Rn. 20. 1315) IDW S 1 2008 Tz. 101. 1316) Jonas/Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 9 Rn. 9; kritisch: Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, S. 697 ff. 1317) Vgl. Hering/Brösel, WPg 2004, 936, 937.

277

Achtzehnter Teil: Verfahren der Bruttokapitalisierung

und betrachten ein fiktives unverschuldetes Unternehmen. Wir berücksichtigen deswegen keine gezahlten Zinsen und keine Einzahlungen aus der Aufnahme/den Auszahlungen aus der Tilgung von Fremdkapital. 1153 Weiter ziehen wir ab die Ersparnis, die sich aus der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Zinsen ergibt. Ein fremdfinanziertes Unternehmen hat gegenüber einem eigenkapitalfinanzierten Unternehmen den „Vorteil“, dass es wegen dieser Abzugsfähigkeit weniger Ertragsteuern zahlt. Diesen Ersparniseffekt nennt man „tax shield“. 1154 Die Ermittlung der Überschüsse bezogen auf das unverschuldete Unternehmen sieht dann so aus: Ergebnis der operativen Geschäftstätigkeit (EBIT) +/–

Abschreibungen/Zuschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen

+/–

Sonstige nicht zahlungswirksame Aufwendungen/Erträge (z. B. Veränderung der Rückstellungen und der Rechnungsabgrenzungsposten

+

Zahlungszuflüsse aus dem Verkauf von immateriellen Vermögensgegenständen und Sachanlagen



Zahlungsabflüsse für Investitionen in immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen

+/–

Rückgang/Zuwachs des benötigten „working capital“



Ertragsteuern des Unternehmens



„tax shield“

=

Finanzielle Überschüsse für die Eigen- und Fremdkapitalgeber („free cash flow“)

1155 Auch hier beachten wir die Reinvestitionsrate und etwa bestehende Ausschüttungssperren. Eine Finanzplanung benötigen wir dagegen nicht, da wir von einem unverschuldeten Unternehmen ausgehen. II. Marktwert des Fremdkapitals 1156 Das Fremdkapital umfasst alle zinstragenden Verbindlichkeiten, die der Finanzierung des Unternehmens dienen. Dies sind im Wesentlichen die langfristigen Bankverbindlichkeiten. Dagegen gehören die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen zum betriebsnotwendigen „working capital“. Im Einzelfall kann die Abgrenzung schwierig sein. Wie ist z. B. umzugehen mit kurzfristigen (Kontokorrent-)Bankverbindlichkeiten oder mit Pensionsrückstellungen? Was ist mit Miet- oder Leasingverpflichtungen, die häufig langfristige Bankverbindlichkeiten ersetzen und ebenfalls steuerlich abzugsfähig sind?1318) 1157 Der Marktwert des Fremdkapitals wird häufig vereinfachend mit dem Buchwert gleichgesetzt. Dies muss aber nicht so sein. Auch dieser Wert ergibt ___________ 1318) Kruschwitz/Löffler/Scholze, WPg 2010, 474.

278

C. Kapitalisierung

sich aus einer Diskontierung der Cash Flows (Zinsen) mit den Renditeerwartungen von Fremdkapitalgebern. In Fällen der „marktgerechten Verzinsung“ führt die Diskontierung der Zinsen mit eben diesem Zinssatz wieder zurück auf den Nominalwert. Ist aber der Marktzins zwischenzeitlich abgesunken, so wird der Zahlungsstrom mit einem niedrigeren Zinssatz diskontiert und der (Markt-)Wert der Verbindlichkeit steigt an. Dies ist der Grund dafür, warum z. B. an der Börse Anleihen, deren Nominalzins über dem Marktzins liegt, zu höheren Werten als den Nominalwert gehandelt werden; Entsprechendes gilt eben auch für die Verbindlichkeiten eines Unternehmens. Zu denken ist auch daran, das auch bei Kreditfinanzierung bestehende Aus- 1158 fallrisiko durch Risikozuschläge auf den Marktzins zu erhöhen.1319) Hier kann das Rating des zu bewertenden Unternehmens eine Rolle spielen. Werden Verbindlichkeiten nicht explizit verzinst, so sollen Marktzinsen für 1159 fristadäquate Kredite herangezogen werden.1320) Der so ermittelte Marktwert des Fremdkapitals bezieht sich auf das am Be- 1160 wertungsstichtag vorhandene Fremdkapital. Es wird abgezogen von dem auf den Bewertungsstichtag ermittelten Bruttowert des Gesamtunternehmens („entity value“). III. Nachsteuerbetrachtung

Auch hier bestimmt sich der Wert des Unternehmens nach den Nettoein- 1161 nahmen, die den Unternehmenseignern zufließen (Zuflussprinzip). Deshalb sind hier ebenfalls abzuziehen die Ertragsteuern auf Unternehmensebene (Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer). Wir beachten dabei, dass die Steuerersparnis aus der Fremdfinanzierung („tax shield“) korrigiert wird. Die Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern ist in diesem Verfahren international nicht vorgesehen, kann jedoch national integriert werden. C. Kapitalisierung I. WACC-Ansatz

Den so ermittelten Zahlungsstrom, der Eigen- und Fremdkapitalgebern ge- 1162 meinsam zusteht, müssen wir abzinsen mit dem Kapitalisierungszins (die hier Kapitalkosten genannt werden – „cost of capital“). Dabei diskontieren wir jede Periode mit einem gewichteten Zinssatz aus den unterschiedlichen Renditen des Eigen- und des Fremdkapitals. Der Zinssatz kann sich verändern in jeder Periode des Detailplanungszeitraums entsprechend dem Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital. Hinzu tritt die „ewige Rente“, die hier „Residualwert“ heißt. Für sie nehmen wir die Kapitalkosten i. d. R. als ___________ 1319) Knabe, Die Berücksichtigung von Insolvenzrisiken in der Unternehmensbewertung, S. 104 ff. 1320) IDW S 1 2008 Tz. 134.

279

Achtzehnter Teil: Verfahren der Bruttokapitalisierung

konstant an. Wir sprechen vom „weighted average cost of capital“, von der WACC-Methode. 1163 Für die Rendite des Eigenkapitals nutzt man das Capital Asset Pricing Model (CAPM) und in Deutschland das Tax-CAPM. Dabei greift man zurück auf die Grundsätze wie beim Ertragswertverfahren.1321) Wir begegnen daher den oben geschilderten Problemen.1322) Für das Fremdkapital greift man auf die Zinsforderungen der Gläubiger zurück. 1164 Die Formel für den gewichteten Zinssatz lautet daher: cWACC

rFK ˜ (1  s) ˜

FK EK r ˜ GK EK GK

mit: cWACC = Gewogene durchschnittliche Kapitalkosten rFK

= risikoäquivalente Renditeforderung der Fremdkapitalgeber

rEK

= risikoäquivalente Renditeforderungen der Eigentümer

EK

= Marktwert des Eigenkapitals

FK

= Marktwert des Fremdkapitals

s

= Ertragsteuersatz auf Unternehmensebene.

1165 Die Rendite der Fremdkapitalgeber geht in die Bestimmung des gewogenen Zinssatzes nur in Höhe des „Nettobetrages“ nach Abzug der Unternehmenssteuern ein, weil nur dieser Betrag das Unternehmen tatsächlich belastet. Auch für die Rendite der Fremdkapitalgeber gilt ein „tax shield“. 1166 Die Formel für den Unternehmenswert (UW) ergibt sich dann als die Summe aller Free Cashflows abzüglich des Marktwertes des Fremdkapitals zum Bewertungszeitpunkt: f

UW

CFt

¦ 1  c t 1

WACC



t

 FK0

mit: CFt

= künftig zu erwartende periodenspezifische Free Cashflows

FK0

= Marktwert des verzinslichen Fremdkapitals im Bewertungszeitpunkt

cWACC = Gewogene durchschnittliche Kapitalkosten ___________ 1321) IDW S 1 2008 Rn. 135. 1322) Siehe Tz. 822 ff. und 1059 ff.

280

C. Kapitalisierung

Da die periodenspezifischen Cashflows von der Finanzierungsstruktur un- 1167 abhängig sind, ändert sich der Wert des Unternehmens in Abhängigkeit von der Kapitalstruktur. Wenn wir davon ausgehen, dass die Eigenkapitalgeber wegen des höheren Risikos höhere Renditeforderungen stellen als die Fremdkapitalgeber, sinkt der WACC-Zins (cwacc) und steigt damit der Wert des unverschuldeten Unternehmens mit zunehmendem Anteil der Fremdfinanzierung. Dies entspricht den Erwartungen des „Leverage Effektes“1323). Der Unternehmenswert mag dabei aber womöglich sinken, da mit zunehmender Verschuldung der Wert des Fremdkapitals (FK0) steigt. Wir begegnen auch hier dem Zirkularitätsproblem. Der Diskontierungszins 1168 (cwacc) hängt ab von dem Verhältnis der Marktwerte des Eigen- und Fremdkapitals; der Marktwert des Eigenkapitals (= Unternehmenswert) soll jedoch gerade bestimmt werden. Auch die Renditeforderung der Eigenkapitalgeber (rEK) verändert sich nach 1169 Modigliani/Miller mit dem Verschuldungsgrad. Eine einfache Lösung gibt es deswegen auch hier nur, wenn wir eine „unternehmenswertorientierten Finanzierungsstrategie“ verfolgen und den Verschuldungsgrad in jeder Periode konstant halten. Sonst müssen wir wiederum auf spezielle Lösungsverfahren zurückgreifen.1324) II. Konzept der angepassten Barwertformeln (APV-Ansatz)

Der APV-Ansatz bildet die einzelnen Wertkomponenten des Unternehmens 1170 noch konsequenter als der WACC-Ansatz ab. Er unterscheidet zwischen dem Wert des unverschuldeten Unternehmens, dem Wertbeitrag der Fremdfinanzierung („tax shield“) und dem Marktwert des Fremdkapitals. Die Berechnungsformel fügt diese drei Komponenten zusammen und lautet: UW

V u  'V l  FK0

mit: FK0 = Marktwert des verzinslichen Fremdkapitals im Bewertungszeitpunkt

___________ 1323) Siehe Rn. 895, 1139. 1324) Siehe Rn. 1145.

281

1171

Achtzehnter Teil: Verfahren der Bruttokapitalisierung

1172 Der Wert des unverschuldeten Unternehmens (Vu) ergibt sich wiederum aus einer Diskontierung der zukünftigen Free Cashflow: f

Vu

(2)

CFt

¦1 r

t

EK

t

mit: CFt = periodenspezifische Free Cashflows rEK

= risikoäquivalente Renditeforderungen der Eigentümer eines unverschuldeten Unternehmens

1173 Das „tax shield“ (ǻVl) berechnen wir nach folgender Formel: f

'V l

¦ t 1

s ˜ ir ˜ FKt 1

1  ir

t

mit: ir

= risikoloser Zinssatz

FKt–1 = Bestand an zinspflichtigem Fremdkapital zu Beginn der Periode t s

= Ertragsteuersatz auf Unternehmensebene.

1174 Der APV-Ansatz ermöglicht eine periodengenaue Berechnung des Wertbeitrages des „tax shield“ (ǻVl). Er ist daher problemlos zu kombinieren mit Planungen einer „autonomen Finanzierungsstrategie“. Wird dagegen die „unternehmenswertorientierte Finanzierungsstrategie“ gewählt, stoßen wir wieder auf einen Zirkelschluss: Wir gehen von einem konstanten Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital aus. Damit wird der Wert des „tax shield“ abhängig von dem Wert des Eigenkapitals, weil wir bei steigenden Eigenkapitalwerten zur Aufrechterhaltung der EK/FK-Relation Fremdkapital „nachfinanzieren“ müssen und umgekehrt.

282

D. Kritik

D. Kritik

Schauen wir uns die drei DCF-Verfahren noch einmal im Zusammenhang an: 1175 WACC-Ansatz

APV-Ansatz

Equity-Ansatz

Verfahren

Bruttokapitalisierung Bruttokapitalisierung Nettokapitalisierung

CashflowDefinition

Free Cashflow

Free Cashflow

Free Cashflow

Diskontierungszinssatz

Mischzins aus Renditeforderung der EK-Geber für das verschuldete Unternehmen und FK-Kosten

Renditeforderung der EK-Geber für das unverschuldete Unternehmen

Renditeforderung der EK-Geber für das verschuldete Unternehmen

WACC-Ansatz

APV-Ansatz

Equity-Ansatz

Marktwert des Gesamtkapitals abzgl. Marktwert des verzinslichen FK

Marktwert des unverschuldeten Unternehmens zuzgl. Barwert des Tax Shield abzgl. Marktwert des verzinslichen FK

Marktwert des Eigenkapitals

autonom

unternehmenswertorientiert und autonom (Ausnahme; explizite Planung des Zinsaufwandes)

Ermittlung des Unternehmenswertes

Zirkularität tritt unternehmenswertauf bei folgender orientiert Finanzierungsstrategie

Wir haben schon darauf hingewiesen, dass alle drei Verfahren bei in sich kon- 1176 sistenten Annahmen zu den gleichen Ergebnissen führen. Dabei mag ein Verfahren implizite Annahmen treffen, die in einem anderen Verfahren explizit „modelliert“ werden müssen. Neben den Renditeforderungen der Eigenkapital- und der Fremdkapitalgeber müssen auch die Finanzierungsstrukturen und die (Unternehmens-)Steuersätze identisch sein.1325) Ist dies gewährleistet, können wir uns entscheiden, mit welchem Verfahren 1177 die tatsächlichen Verhältnisse des Unternehmens am besten abgebildet werden können. Alle Modelle hängen von einer Vielzahl von Prämissen und Annahmen ab, die in der Praxis nicht immer zutreffen mögen. Der Berechnungsaufwand ist in allen Fällen hoch und mag aufgrund der unsicheren Basis zu einer vorgetäuschten Genauigkeit führen. Deswegen ist besonders wichtig, die der Bewertung zugrunde gelegten Annahmen offenzulegen. Die Akzeptanz dieser Annahmen durch die Parteien ist die entscheidende Voraussetzung für die Akzeptanz des Bewertungsergebnisses; die Anwendung eines konsistenten Bewertungsverfahrens ist dann „nur noch“ Technik. ___________ 1325) Ballwieser, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 509 ff., bringt ein zusammenfassender Berechnungsbeispiel.

283

Neunzehnter Teil Nicht betriebsnotwendiges (neutrales) Vermögen Wir ermitteln den Zukunftswert eines Unternehmens meist anhand des Er- 1178 tragswert- und des Discounted-Cashflow-Verfahrens. Bestimmte Vermögensbestandteile, das nicht betriebsnotwendige Vermögen, werden jedoch getrennt berechnet und dies dem nach Ertragswert- oder Discounted-CashflowMethode ermittelten Unternehmenswert hinzuaddiert. A. Begriff

Nicht betriebsnotwendiges (neutrales) Vermögen kann frei veräußert werden, 1179 ohne dass davon die eigentliche Unternehmensaufgabe berührt wird (funktionales Abgrenzungskriterium).1326) Betriebsnotwendig sind hingegen diejenigen Vermögensgegenstände und Schulden, die das Unternehmen benötigt, um Überschüsse zu erzielen.1327) Die nicht betriebsnotwendigen Vermögensteile sind für den eigentlichen 1180 Zweck des operativen Geschäfts des Unternehmens nicht erforderlich. Fast immer gibt es Gegenstände, die nur locker oder gar nicht mit Produktion oder Vertrieb verbunden sind und zum Ertrag des gewöhnlichen Geschäftes nichts beitragen. Sie lassen sich veräußern, ohne dass dies den Unternehmensablauf und die Überschüsse sonderlich berührt (Sonderwert).1328) Da wir mit den Ertragswertverfahren Zukunftserträge abbilden, wird der Wert 1181 dieser nicht betriebsnotwendigen, ggfs. keine Erträge erwirtschaftenden Vermögensteile nicht berücksichtigt. So erzielen etwa brachliegende, ungenutzte Grundstücke keine Zukunftserträge, haben aber oft einen erheblichen Verkaufswert. Bewerten wir dieses Vermögen nicht gesondert, ginge es wertmäßig unter. Diejenigen, die etwa im Rahmen eines Squeeze-out ausscheiden, haben daher regelmäßig ein Interesse daran, Vermögensteile möglichst als nicht betriebsnotwendig einzustufen. Erwerber und Unternehmen sehen dies oft anders, versuchen möglichst viel als betriebsnotwendig darzustellen. Die Frage ist daher in Spruchverfahren immer wieder relevant. Wir grenzen funktional zwischen betriebsnotwendig und nicht betriebsnot- 1182 wendig ab, fragen danach, ob eine Veräußerung die eigentliche Aufgabe dieses Unternehmens berühren, wesentlich verändern würde.1329) Wir prüfen nicht abstrakt, sondern konkret die Verhältnisse des Unternehmens, deren Geschäftsmodell. ___________ 1326) IDW S 1 2008 Tz. 59. 1327) BayObLG, 28.10.2005, AG 2006, 41 = NZG 2006, 156; OLG München, 26.10.2006, ZIP 2007, 375 = Der Konzern 2007, 356. 1328) Vgl. z. B. LG Hamburg, 23.2.2016 – 403 HKO 152/14. 1329) IDW S 1 2008 Tz. 5; OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418; vgl. zur funktionalen und wertbezogenen Abgrenzung Hüttemann/Meinert, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 7 Rn. 4 ff.

285

Neunzehnter Teil: Nicht betriebsnotwendiges (neutrales) Vermögen

1183 Es ist umstritten, ob die subjektive Sicht der Unternehmensleitung entscheidend ist, oder eine objektive, wirtschaftlich denkende Sicht, bei der etwa auch eine Änderung des Unternehmenskonzepts in Betracht gezogen wird.1330) Die Gerichte gehen von den Planungen des Unternehmens aus, überprüfen die unternehmerische Entscheidung nur eingeschränkt daraufhin, ob diese unvertretbar sind.1331) Unvertretbar kann die Einordnung als betriebsnotwendig etwa dann sein, „wenn der Liquidationswert den Ertragswert deutlich übersteigen würde und das Unternehmen die Entscheidung für ein Halten der Anteile nicht rechtfertigen könnte“.1332) 1184 Andere wollen ausschließlich auf die Perspektive eines objektiven Beobachters abstellen, weil andernfalls die Höhe der Abfindung von den Absichten des Mehrheitsaktionärs abhinge.1333) Diese Auffassung ist jedoch zweifelhaft, weil wir auch sonst aus guten Gründen auf die Unternehmensplanungen abstellen, diese zur Grundlage der Bewertung machen. 1185 In der Literatur wird die Frage eines negativen nicht betriebsnotwendigen Vermögens diskutiert.1334) Als Beispiel wird die „unterdotierte Pensionsrückstellung“ angeführt. deren erforderliche Auffüllung auf den versicherungsmathematischen Wert rechnerisch vom Unternehmenswert abgezogen werden muss. Ein solcher Sachverhalt ist zu trennen von der „nicht betriebsnotwendigen Verbindlichkeit“, z. B. einem wegen der „guten Verzinsung“ stehengelassenen Gesellschafterdarlehen, das jedoch zurückgezahlt werden könnte. B. Bewertung 1186 Das nicht betriebsnotwendige Vermögen umfasst alle Gegenstände, die sich verkaufen lassen, ohne die Ziele des Unternehmens und den Überschusswert wesentlich zu ändern. Wir gehen aus von einer „bestmöglichen Verwertung“.1335)

___________ 1330) Vgl. zum Streitstand Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875; Hüttemann/Meinert, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 7 Rn. 4 ff. 1331) OLG Düsseldorf, 25.5.2016 – I-26 W 2/15 (AktE); OLG Frankfurt, 17.12.2012, AG 2013, 566; OLG Frankfurt, 2.5.2011, AG 2011, 832; OLG Stuttgart, 14.10.2010, AG 2011, 49; OLG Düsseldorf, 27.2.2004, AG 2004, 324 = NZG 2005, 280; OLG Düsseldorf, 22.6.1995, AG 1995, 416. 1332) OLG Stuttgart, 14.10.2010, AG 2011, 49. 1333) Vgl. die Nachw. bei Hüttemann/Meinert, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 7 Rn. 20 ff. 1334) OLG Frankfurt, 15.10.2014, AG 2015, 205 = ZIP 2014, 2439; LG Hamburg, 23.2.2016, BeckRS 2016, 04711; Buck, DStR 2016, 1178. 1335) IDW S 1 2008 Tz. 60; OLG Stuttgart, 5.6.2013, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897.

286

C. Einzelfälle

Wir bewerten in der Regel anhand der Veräußerungserlöse, des Liquidations- 1187 werts.1336) Könnte durch einen gebündelten Verkauf von Vermögenswerten ein höherer Preis als bei einem Einzelverkauf erzielt werden, ist der höhere anzusetzen. Falls sich die Veräußerung voraussichtlich über einen längeren Zeitraum hinziehen wird, berücksichtigen wir auch das: wir setzen die Veräußerungswerte (diskontiert) erst in späteren Perioden an und berücksichtigen die zwischenzeitlich mit dem Vermögen verbundenen Erträge und Aufwendungen gesondert. Mit dem Vermögenswert zusammenhängende Schulden und (fiktive) Kosten 1188 sind abzuziehen.1337) Wir müssen die Konsequenzen bedenken, wenn wir Vermögensteile als nicht betriebsnotwendig einordnen. Finanzierungskosten können steigen, wenn Grundstücke als nicht betriebsnotwendig eingeordnet werden und nicht mehr als Sicherheit dienen; die Risikostruktur kann sich ändern.1338) Steuerliche Konsequenzen sind zu berücksichtigen.1339) Inwieweit persönliche 1189 Steuern zu erfassen sind, ist umstritten.1340) Falls der Erlös ausgeschüttet werden soll, sind die Steuern der Eigner abzusetzen;1341) bei einer Thesaurierung unterbleibt das. Im Regelfall wird der thesaurierte Ertrag fiktiv zugerechnet; dann werden die persönlichen Ertragsteuern nicht abgesetzt. C. Einzelfälle I. Grundstücke

Zum notwendigen Betriebsvermögen gehören alle Grundstücke, auf denen 1190 das Kerngeschäft betrieben wird.1342) Neutrales Vermögen sind dagegen nicht mehr benötigte Reservegrundstücke, auch Brauereigaststätten,1343) und stillgelegte Anlagen. Gaststättengrundstücke einer Brauerei rechnen z. B. zum neutralen Vermögen, 1191 wenn nur 5 % des Umsatzes über diese Gaststätten laufen.1344) Sähe man das anders, verlöre der Abzufindende einen höheren Sachwert: „Das zeigt, dass brauereieigene Gaststätten in aller Regel nicht betriebsnotwendig sind. Ersichtlich in dieser Erkenntnis hat eine Münchener Großbrauerei ihre brauereieigenen Gaststätten in eine Grundstücksgesellschaft ausgegliedert.“1345)

___________ 1336) IDW S 1 2008 Tz. 60. 1337) IDW S 1 2008 Tz. 61. 1338) Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875. 1339) IDW S 1 2008 Tz. 61. 1340) Vgl. zum Streitstand: Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875; Walther, BewertungsPraktiker Nr. 1/2010, S. 14. 1341) OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28 = BB 2007, 2395; IDW S 1 2008. Tz. 61; vgl. aber LG Frankfurt 29.3.2006, AG 2007, 42. 1342) OLG Düsseldorf, 8.7.2003, AG 2003, 688 = Der Konzern 2003, 841. 1343) BayOLG München, 19.10.1995, AG 1996, 127 = DB 1995, 2590. 1344) BayOLG München, 19.10.1995, AG 1996, 127 = DB 1995, 2590. 1345) BayOLG München, 19.10.1995, AG 1996, 127 = DB 1995, 2590.

287

Neunzehnter Teil: Nicht betriebsnotwendiges (neutrales) Vermögen

1192 Wie erörtert, können Grundstücke betriebsnotwendig sein, wenn sie etwa als Sicherheiten dienen. Ein Vermögen kann aber selbst dann „neutral“ sein, wenn es Kredite sichert. Dann mag die Veräußerung aber die Finanzstruktur des Unternehmens und die Zinslast ändern.1346) 1193 Wir können bewerten anhand von Bodenrichtwerten, Vergleichswerten oder anderen externen Quellen. Der anzusetzende (fiktive) Veräußerungserlös kann sich – etwa bei einem vermieteten Gebäude – auch aus dem Miet-Ertragswert ergeben.1347) Der für das Gebäude ermittelte Ertragswert ist dann der Liquidationswert.1348) Oft wählt man ein Vielfaches der Jahresmiete.1349) Feuerversicherungswerte gelten nur als grobe Wertindikation.1350) II. Beteiligungen 1194 Beteiligungen, die auf einem vergleichbaren Geschäftsfeld – selbst im Ausland – tätig sind, gelten als Betriebsvermögen.1351) Kleinere Beteiligungen können nicht betriebsnotwendig sein, wenn sie in anderen Geschäftsfeldern, nicht mehr tätig oder liquidiert sind.1352) Im Fall der Hypo Real Estate Holding AG wurden 42 Tochtergesellschaften und Beteiligungen als nicht betriebsnotwendig eingestuft.1353) 1195 Zwischen betriebsnotwendig und nicht betriebsnotwendig abzugrenzen, kann problematisch sein, wenn im Zuge der Unternehmensmaßnahme der Verkauf ganzer Unternehmenssparten geplant ist. 1196 Im Stinnes-Verfahren1354) hatte die Mehrheitsaktionärin, eine Deutsche BahnTochter, beabsichtigt, im Wege eines Squeeze-outs alle Anteile zu übernehmen. Ihr ging es im Wesentlichen um die Logistiksparte. So war am Bewertungsstichtag bereits geplant, die beiden Bereiche Chemie und Werkstoffe „zu einem geeigneten Zeitpunkt“ zu verkaufen. Dies erfolgte dann etwa ein Jahr später. Hintergrund für den Verkauf war anscheinend, dass durch den Verkauf die Übernahme finanziert werden sollte. Der Mehrheitsaktionär machte geltend, dass die beiden veräußerten Bereiche nicht betriebsnotwendig seien, daher der niedrigere Verkaufspreis und nicht der für diese beiden Bereiche ermittelte höhere Ertragswert anzusetzen sei. Das OLG Düsseldorf1355) ordnete die Bereiche als betriebsnotwendig ein, weil diese zum Stichtag wesentlicher Unternehmenszweck und beide Bereiche zur Umset___________ 1346) IDW S 1 2008 Tz. 63. 1347) Vgl. Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875. 1348) Vgl. BFH, DB 2010, 2207. 1349) LG Berlin, 22.9.1999, AG 2000, 284; OLG Düsseldorf, 14.4.2000, NZG 2000, 1079. 1350) LG Frankfurt, 29.3.2006, AG 2007, 42. 1351) OLG Düsseldorf, 22.1.1999, AG 1999, 321; OLG München, 30.11.2006, AG 2007, 411. 1352) BayObLG, 28.10.2005, AG 2006, 41 = NZG 2006, 156. 1353) LG München, 21.6.2013, AG 2014, 168 = NZG 2014, 498; OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683. 1354) OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418. 1355) OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418.

288

C. Einzelfälle

zung und Finanzierung der geplanten Maßnahme notwendig gewesen seien. Das Gericht bezweifelte auch, ob die beabsichtige Zerschlagung bereits zum Stichtag „in der Wurzel“ angelegt gewesen sei. III. Liquide Mittel

Ein hoher Bestand an liquiden Mitteln kann für den Betrieb des Unternehmens 1197 nicht notwendig, daher als nicht betriebsnotwendig einzuordnen und damit werterhöhend anzusetzen sein.1356) Häufig wird hier die unternehmerische Entscheidung zugrunde gelegt, die Betriebsnotwendigkeit vermutet.1357) Wir dürfen hierbei aber nicht den Schutz der Minderaktionäre aus den Augen verlieren.1358) IV. Forderungen

Bestimmte Forderungen können nicht betriebsnotwendig sein, etwa Steuer- 1198 guthaben oder Schadenersatzansprüche gegen Organmitglieder oder Dritte.1359) So haben Minderheitsaktionäre im Zuge der Finanzkrise behauptet, dass Schadenersatzansprüche gegen die Unternehmensleitung bestünden, die werterhöhend anzusetzen seien.1360) Ein solcher Sonderwert ist aber nur dann zu berücksichtigen, wenn aus der 1199 Sicht des Stichtages ein Zufluss mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist.1361) Sind Schadenersatzansprüche unbestritten oder rechtskräftig festgestellt, sind sie anzusetzen. In anderen Fällen wird dies häufig daran scheitern, dass die Ansprüche unklar oder nur unsubstantiiert vorgetragen werden.1362) V. Verlustvortrag

Steuerliche Verlustvorträge (§ 10d Abs. 2 EStG, § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG) haben 1200 einen zu diskontierenden Verkehrswert:1363) Der Erwerber kann u. U. Steuervorteile erlangen. Werden künftige Gewinne mit dem Verlustvortrag verrechnet, so entfallen insoweit Gewerbe- und Körperschaftsteuer. Deshalb wirkt ein Ver___________ 1356) OLG Frankfurt, 2.5.2011, AG 2011, 832. 1357) OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28 = BB 2007, 2395; vgl. OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = ZIP 2010, 274; vgl. auch Schwetzler, BewertungsPraktiker Nr. 2/2011, S. 2. 1358) Hachmeister/Ruthardt, BB 2014, 875. 1359) LG München, 21.6.2013, AG 2014, 168 = NZG 2014, 498 (HRE); OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683 (HRE). 1360) LG München, 21.6.2013, AG 2014, 168 = NZG 2014, 498 (HRE); OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683 (HRE). 1361) OLG München, 5.5.2015, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683 (HRE). 1362) Hüttemann/Meinert, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 7 Rn. 49 f. 1363) LG Dortmund, 4.11.2015 – 18 O 52/13 (AktE); LG Düsseldorf, 3.9.2014 – 33 O 55/07 (AktE); OLG München, 14.7.2009, ZIP 2009, 2339 = WM 2009, 1848; OLG Stuttgart, 19.3.2008, AG 2008, 510 = ZIP 2008, 2020; OLG Stuttgart, 6.7.2007, AG 2007, 705; OLG Stuttgart, 28.1.2004, AG 2004, 271; vgl. zum Ganzen siehe Jakobs, in: Haarmann Hemmelrath & Partner, S. 51; Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, S. 100 ff.

289

Neunzehnter Teil: Nicht betriebsnotwendiges (neutrales) Vermögen

lustvortrag grundsätzlich werterhöhend.1364) Entscheidend ist der Barwert der zu erwartenden Steuervorteile;1365) auch er ist anzusetzen nach persönlichen Steuern.1366) Das gilt nicht, wenn ein Unternehmen chronisch defizitär bleibt (Non-Profit-Unternehmen) und eine Verrechnung nach § 8c KStG nicht möglich ist.1367) 1201 Der Verlustvortrag ist als neutrales Vermögen auszuweisen, wenn das Unternehmen ihn selbst nicht hätte ausgleichen können, wohl aber ein Erwerber.1368) Der Verlustvortrag ist mitunter sogar der Anreiz, ein Unternehmen zu erwerben: „Der Verlustvortrag kann nicht mit einem Rationalisierungs-, Verbund- oder Synergieeffekt verglichen werden, der sich nur aus der Kombination der besonderen Strukturen der eingegliederten und der aufnehmenden Gesellschaft ergibt und deshalb möglicherweise nicht zu bewerten ist. Ein steuerlicher Verlustvortrag stellt vielmehr für einen unübersehbar großen Kreis von potentiellen Erwerbern einen Vorteil wegen der damit erzielbaren Steuervorteile dar.“1369)

1202 Die mögliche Verwertung der Verlustvorträge ist allerdings durch § 8c KStG deutlich begrenzt worden. Nach dieser Vorschrift gehen Verlustvorträge quotal unter, wenn mehr als 25 % der Anteile an der Gesellschaft an einen Erwerber übertragen werden; werden mehr als 50 % der Anteile übertragen, geht der Verlustvortrag vollständig unter. Erwerber kann dabei auch ein bereits beteiligter „Altgesellschafter“ sein.1370) 1203 Dies führt dazu, dass in den meisten Fällen, für die Unternehmensbewertungen erstellt werden, etwa vorhandene Verlustvorträge wegfallen dürften. VI. Schulden und Rückstellungen 1204 Nicht betriebsnotwendige Schulden, etwa Gesellschafterdarlehn, können ebenfalls gesondert zu bewerten und dann abzuziehen sein.1371)

___________ 1364) OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28 = BB 2007, 2395; OLG Stuttgart, 28.1.2004, AG 2004, 271; OLG Stuttgart, 4.2.2000, AG 2000, 428 = NZG 2000, 744; OLG Düsseldorf, 14.4.2000, NZG 2000, 1079. 1365) OLG München, 17.7.2007, AG 2008, 28 = BB 2007, 2395. 1366) OLG München, 31.3.2008, OLGR München, 2008, 450. 1367) OLG München, 17.7.2014, AG 2014, 714 = NZG 2014, 1230; LG Dortmund, 16.7.2007, Der Konzern 2008, 241. 1368) Vgl. OLG München, 17.7.2014, AG 2014, 714 = NZG 2014, 1230; OLG Düsseldorf, 11.4.1988, WM 1988, 1052 = NJW-RR 1988, 1499. 1369) OLG Düsseldorf, 11.4.1988, WM 1988, 1052 = NJW-RR 1988, 1499; ähnlich OLG Stuttgart, 6.7.2007, AG 2007, 705. 1370) Einzelheiten siehe Blümich/Brandis, KStG, § 8c Rn. 35 ff. 1371) Hüttemann/Meinert, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 7 Rn. 51.

290

Zwanzigster Teil Vergleichswerte/Multiplikatorverfahren A. Einführung

Die geschilderten Bewertungsverfahren sind Hilfsverfahren und führen nur 1205 zu Annäherungen. Sie sind ungenauer, als sie „mathematisch“ scheinen, lassen dem Ermessen Raum. Deshalb ziehen wir weitere Schätzungsgrundlagen heran, namentlich tatsächlich erzielte Preise, zu denen auch Börsenwerte gehören (Fremdvergleichstest). B. Eigene Anteilspreise

Das LG Köln zog in einem speziellen Fall die tatsächlichen Veräußerungs- 1206 preise einer vollständigen Unternehmensbewertung vor. Es führte aus:1372) „Das Ertragswertverfahren ist nur ein Hilfsverfahren zur Ermittlung des Verkehrswerts des Unternehmens. Ist dieser, etwa aufgrund einer zeitnahen Unternehmensveräußerung, bekannt, bedarf es einer schwierigen, komplexen, kostenträchtigen und mit zahlreichen Unsicherheiten behafteten gutachterlichen Ertragswertberechnung in der Regel nicht. Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Preis für die Unternehmenstransaktion in einer echten Marktsituation gebildet hat. Das erfordert grundsätzlich eine Wettbewerbslage auf Käufer- und Verkäuferseite. Ferner müssen sich gleichwertige Vertragspartner gegenüberstehen, die in der Lage sind, ihre gegenläufigen Interessen auszugleichen. Sonderinteressen von Käufer und Verkäufer, die zu einem höheren oder niedrigen Preis abseits eines akzeptablen Verkehrswertspektrums führen können, dürfen keine Bedeutung haben. Das führt grundsätzlich zu einem für alle Beteiligten angemessenen Preis, der als Verkehrswert gelten kann. Ein Marktpreis ist jeder Schätzung des Marktwertes durch Sachverständige überlegen. Es handelt sich um einen realisierten Wert, in den alle maßgeblichen Marktaspekte einfließen, und nicht um einen theoretischen Laborwert, der sich einseitig auf höchst unsichere Ertragswertaussichten stützt und zudem Marktaspekte völlig ausblendet.“

Die „Vergleichbarkeit der Situation“ ist eine schwer zu überwindende Hürde. 1207 So lehnte es z. B. das OLG Frankfurt in einem Spruchverfahren ab, eine vergleichsweise Einigung der Antragsgegnerin mit nahezu allen Antragstellern für die Bewertung im Fall des einzigen verbleibenden Antragstellers anzunehmen, der den Vergleich nicht angenommen hatte (keine „konsensuale Schätzung“). Das Gericht sagt dazu:1373) „Eine vergleichsweise Einigung auf eine Abfindung … bietet nämlich keinen hinreichenden Anhalt für den tatsächlichen Verkehrswert des Unternehmensanteils. Die Motive für eine derartige Einigung sind auf beiden Seiten vielfältig und nur zum Teil von den Vorstellungen der Beteiligten von dem Verkehrswert des Anteils geprägt. Zugleich ist die Zahl der an dem Vergleich Teilneh-

___________ 1372) LG Köln, 24.7.2009, AG 2009, 835 = Der Konzern 2009, 494. 1373) OLG Frankfurt, 21.5.2014, AG 2015, 547; vgl. auch OLG Düsseldorf, 8.8.2013, AG 2013, 807.

291

Zwanzigster Teil: Vergleichswerte/Multiplikatorverfahren menden gegenüber der Anzahl von mit der Aktie handelnden Marktteilnehmern denkbar gering und vermag schon daher kein Bild der Einschätzung der an der Gesellschaft interessierten Kreise abzubilden.“

1208 Regelmäßig, aber aus unterschiedlichen Gründen keine „vergleichbare Situation“ sieht die Rechtsprechung in sog. „Vorerwerben“ im Rahmen aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen, wenn das herrschende Unternehmen vor Abschluss eines Unternehmensvertrags oder in „Squeeze-out“-Fällen Anteile von einzelnen Anteilseignern erwirbt.1374) Dem ist so allgemein nicht zu folgen: Solche Preise erlauben doch eine Schätzung, auch unter Einschluss echter Synergieeffekte.1375) 1209 Wichtig ist das Verhalten der Beteiligten, die „es wissen müssen“. Führen sie ein schwächelndes Unternehmen weiter, so deutet das auf bessere Zukunft. Indiz ist wohl auch der Preis, den ein Mehrheitsgesellschafter für Anteile gezahlt hat, selbst wenn im Preis ein „Paketzuschlag“ war. Der Zuschlag zeigt, was der Mehrheitsgesellschafter aus den Anteilen der Minderheit herausholen will, ist also seine Einschätzung der Anteile (echte Synergieeffekte).1376) Anders ist es, wenn besondere Umstände den Preis formten, so für die letzte Aktie beim Erwerb einer qualifizierten Minderheit.1377) 1210 Börsenkurse, die ja ebenfalls Veräußerungspreise darstellen, wurden seit der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache „DAT/ Altana“ bisher nur als Wertuntergrenze akzeptiert.1378) Maßgeblich sind die gewichteten Kurse eines Zeitraumes von drei Monaten vor Bekanntgabe der Strukturmaßnahme.1379) 1211 Das ist ins Wanken geraten. Einzelne Gerichte akzeptieren neuerdings Börsenkurse oder tatsächlich gezahlte Preise als geeignete Schätzungsparameter im Rahmen des § 287 Abs. 2 ZPO.1380) C. Vergleichsunternehmen 1212 Nach Auffassung des IDW können tatsächlich gezahlte Preise für Unternehmen und Unternehmensanteile zur Beurteilung der Plausibilität herangezogen werden, sofern eine Vergleichbarkeit mit dem Bewertungsobjekt und hinreichende Zeitnähe gegeben sind. Tatsächliche erzielte Preise für andere Unternehmen helfen bei der Beurteilung der Plausibilität; sie ersetzen keine ___________ 1374) Rechtsprechungsübersicht bei Leverkus, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung 2015 § 17 Rn. 512 ff. 1375) Vgl. LG Köln, 24.7.2009, AG 2009, 835 = Der Konzern 2009, 494; vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 39, 40, 41b. 1376) Siehe Rn. 386. 1377) LG Köln, 16.12.1992, DB 1993, 217. 1378) BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 („DAT/Altana“). 1379) BGH, 19.7.2000, BGHZ 186, 229 = NZG 2010, 939. 1380) Siehe Rn. 1222, 1244; Hüttemann, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 1 Rn. 62 ff.

292

D. Multiplikatorverfahren

Unternehmensbewertung.1381) Abzustellen ist auf das konkrete Unternehmen, nicht auf den Durchschnitt der Branche. Das ist indes leichter gesagt als getan: Kein Unternehmen gleicht dem anderen; die Preise vieler Verkäufe sind unbekannt. Welche Unternehmen sind vergleichbar („peer group“)? Sind die Beziehungen zwischen den Partnern vergleichbar? Das ist etwa zu beachten bei Zahlungen an „lästige“ Gesellschafter.1382) D. Multiplikatorverfahren I. Grundlagen

Multiplikatorverfahren berechnen den Wert eines Unternehmens als Produkt 1213 einer Bezugsgröße und einem Multiplikator. Ausprägungsformen sind insbesondere:1383) x

Faustregeln: Multiplikatoren, die nicht auf fallbezogenen Analysen, sondern auf mehr oder weniger gesicherten „allgemeinen Erkenntnissen“ beruhen, werden häufig bei „kleineren“ Bewertungsfällen angewendet. Typische Fälle sind die Bewertungen von freiberuflichen Praxen. In der Regel kommen Umsatz-Multiplikatoren zum Einsatz.

x

Multiplikatoren vergleichbarer börsennotierter Unternehmen Hier werden Vergleichsdaten anderer Unternehmen fallbezogenen erhoben. Es werden börsennotierte Unternehmen verwendet, da hier die Marktkapitalisierung über die Börsenkurse errechnet werden kann und eine Gruppe vergleichbarer Unternehmen („peer group“) bereits als Service der Datenanbieter zur Verfügung steht.

x

Multiplikatoren vergleichbarer Transaktionen Zurückgegriffen werden kann auch auf vergleichbare Transaktionen, die zeitnah zum Bewertungsstichtag stattgefunden haben. Die Daten hierfür sind allerdings schwer zu beschaffen; auch hier stehen aber Datenanbieter zur Verfügung.

Die verwendeten Multiplikatoren lassen sich in drei Gruppen einteilen; x

1214

„Enterprise value“-Multiplikatoren: Diese Multiplikatoren bestimmen den Gesamtunternehmenswert und setzen daher auf Bezugsgröße vor Abzug der Fremdkapital-Zinsen. Typische Beispiele sind Umsatz- und EBIT-1384) Multiplikatoren.

___________ 1381) IDW S 1 2008 Tz. 13. 1382) HansOLG Hamburg, 3.8.2000, NZG 2001, 471. 1383) Löhnert/Böckmann, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 787. 1384) „Earnings before interest and taxes“ – Gewinn vor Abzug von Zinsen, Abschreibungen und Ertragsteuern des Unternehmens.

293

Zwanzigster Teil: Vergleichswerte/Multiplikatorverfahren

x

„Equity value“-Multiplikatoren: Diese Multiplikatoren bestimmen den Wert des Eigenkapitals, also unmittelbar den Unternehmenswert. Sie setzen auf den Jahresüberschuss oder das Eigenkapital des zu bewertenden Unternehmens.

x

Branchentypische Multiplikatoren: Diese Multiplikatoren setzen auf Kennzahlen, die in der Branche typischerweise herangezogen werden: z. B. „Wert“ je Kundenbeziehung (Telekommunikation), Umsatz pro Mitarbeiter (Beratung), Mieteinnahmen je Quadratmeter (Immobilien).

II. Verfahren 1215 Kernstück des Multiplikatorverfahrens ist die Herstellung der Vergleichbarkeit des zu beurteilenden Unternehmens mit den Unternehmen der „peer group“. 1216 Im ersten Schritt analysieren wir daher das Unternehmen in Hinblick auf seine Vergleichbarkeit mit anderen Unternehmen, die wir als „peer group“ heranziehen wollen. Wir vergleichen die Branchenzugehörigkeit, die Produkt- und Marktstruktur sowie die Umsatz- und Kostenstruktur. Wir bereinigen außerordentliche Einflüsse. Wir gehen dabei genauso vor wie bei den anderen Bewertungsverfahren.1385) Bereinigungen sind allerdings nur soweit erforderlich, wie sie Einfluss auf den gewählten Multiplikator haben; z. B. sind Bereinigungen der Kostenstruktur nicht erforderlich, wenn wir auf einen einfachen Umsatzmultiplikator zurückgreifen wollen. Für die Unternehmen der „peer group“ gehen wir entsprechend vor. 1217 Den geeigneten Multiplikator finden wir durch einen Vergleich des Unternehmens mit der „peer group“. Sinnvoll sind Multiplikatoren, die innerhalb der „peer group“ nur eine geringe Streuung aufweisen und deswegen die Gruppe relativ gut kennzeichnen. Die Bezugsgröße des Multiplikators (z. B. Umsatz, EBIT) sollte gleichzeitig weitgehend manipulationsfrei sein. III. Kritik 1218 Multiplikatorverfahren haben vordergründig den Vorteil der einfachen Wertermittlung und sind – je nach verwendetem Multiplikator – auch bei einer geringen Anzahl zur Verfügung stehenden Informationen anwendbar. Die Berechnungen sind vergleichsweise einfach, was zu einer hohen Akzeptanz in der Praxis geführt hat. 1219 Diesen Vorteilen stehen erhebliche Nachteile gegenüber:

Die Aufbereitung der Daten des zu bewertenden Unternehmens und die Auswahl der „peer group“ ist im Einzelfall nicht weniger schwierig und aufwendig wie bei den barwertorientierten Verfahren (Ertragswert- und DCF-Verfahren). ___________

x

1385) Siehe Rn. 436 ff.

294

D. Multiplikatorverfahren

x

Die Auswahl „einfacher“ Multiplikatoren kann implizite Annahmen enthalten, die für das bewertete Unternehmen nicht zutreffen. Wird z. B. der Unternehmenswert nach einem einfachen Umsatzmultiplikator berechnet, setzt dies voraus, dass das zu bewertende Unternehmen die gleiche Kostenstruktur aufweist wie die „peer group“. Individuelle Gegebenheiten des zu bewertenden Unternehmens werden daher nur bedingt berücksichtigt.

x

Die Errechnung der Multiplikatoren setzt voraus, dass Bezugsgrößen und Unternehmenswerte der „Peer Group“ bekannt sind. Wird aber für die Unternehmenswerte auf börsennotierte Unternehmen und deren Unternehmenswert zurückgegriffen, wird der Wert des Unternehmens mit den gleichen Unsicherheiten behaftet, die bereits die unmittelbare Verwendung von Börsenkursen fragwürdig machen.1386) Bei der Ableitung von Unternehmenswerten aus Transaktionen stoßen wir auf mangelnde Transparenz bei der Auswahl und Vollständigkeit der Transaktionen. Jede Transaktion mag Besonderheiten aufgewiesen haben, die für den konkreten Bewertungsfall nicht gelten. Da Multiplikatoren oftmals für die Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen herangezogen werden, fragt sich, ob die für solche Unternehmen geltenden Wertverhältnisse generell mit denen börsennotierter Unternehmen vergleichbar sind.

x

Die verwendeten Multiplikatoren weisen häufig größere Streubreiten auf, während für die Wertermittlung ein „Punktwert“ benötigt wird. Es muss dann anhand von qualitativen und quantitativen Faktoren eine Positionierung des zu bewertenden Unternehmens innerhalb der Vergleichsunternehmen gefunden werden.1387) Stattdessen können wir auch die Stellung des Unternehmens in Bezug auf unterschiedliche Multiplikatoren untersuchen. Beides bringt zusätzliche Unsicherheiten.

Letztendlich lassen sich die durch die Anwendung von Multiplikatoren ge- 1220 fundenen Ergebnisse weitgehend in Barwerte zurückrechnen. Ein Zahlungsstrom (FTE) von 1.000, der mit einem Zinssatz (rEK) von 8 % diskontiert wird, führt nach der uns bekannten Formel für die „ewige Rente“ UW

FTE rEK

zu einem Unternehmenswert von 12.500. Das entspricht einem Multiplikator von 12,5 auf die Bezugsgröße „FTE“. Das IDW ordnet die Multiplikatorverfahren daher den Verfahren der „verein- 1221 fachten Preisfindung“ zu, die allenfalls Anhaltspunkte für eine Plausibilitätskontrolle der Ergebnisse nach Ertragswert- und DCF-Verfahren bieten.1388) ___________ 1386) Siehe Rn. 1279 ff. 1387) Löhnert/Böckmann, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 802. 1388) IDW S 1 2008 Tz. 143.

295

Einundzwanzigster Teil Börsenwert A. Grundlagen

Der Börsenwert (die Börsenkapitalisierung) ergibt sich aus der Zahl der Ak- 1222 tien multipliziert mit dem Börsenkurs. Lange vernachlässigte man ihn, begegnete ihm sogar „mit Misstrauen“.1389) Er könne durch gezielte oder zufällige Vorgänge, die mit dem inneren Wert des Unternehmens nichts zu tun haben, beeinflusst sein.1390) Er sei zu stark abhängig von „spekulativen Einflüssen und sonstigen nicht wert- 1223 bezogenen Faktoren wie politischen Ereignissen, Gerüchten, Informationen und psychologischen Momenten“.1391) 2007 meinte das OLG Stuttgart, der Kurs habe keine „uneingeschränkte Aussagekraft“ wegen einer „ineffizienten Verarbeitung von Informationen über die für die Unternehmensbewertung entscheidenden Fundamentaldaten durch den insoweit ineffizienten Kapitalmarkt“.1392) Das OLG Hamm hatte 1963 erstmals den Börsenkurs als Untergrenze der 1224 Abfindung gesehen.1393) Das Bayerische Oberste Landesgericht sagte:1394) „Hat die Aktie, deren Wert festgestellt werden soll, einen Börsenwert, der auch aussagekräftig ist, weil er nicht von einem zu engen Markt oder von Manipulationen beeinflusst wird, so wird er in der Regel den ‚Verkehrswert’ ebenso zutreffend angeben, wie eine langwierige Berechung des Unternehmenswertes durch Sachverständige nach der Ertragswertmethode.“

Das Bundesverfassungsgericht griff den Gedanken auf.1395) Gemäß Art. 14 GG 1225 sei die Verkehrsfähigkeit der Aktie bei der Wertbestimmung zu beachten, es sei deswegen unzulässig, eine Abfindung unterhalb des Börsenkurses festzulegen: „Es ist aber mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn dabei der Kurswert der Aktie außer Betracht bleibt. Das ergibt sich daraus, daß die Entschädigung und folglich auch die Methode ihrer Berechnung dem entzogenen Eigentumsobjekt gerecht werden muss. Das Aktieneigentum ist – im Vergleich zu einer Beteiligung an einer Personenhandelsgesellschaft oder an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung –

___________ 1389) BGH, 13.8.1978, BGHZ 71, 40 = NJW 1978, 1316; BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 („Stollwerck“). 1390) OLG Düsseldorf, 17.2.1984, DB 1984, 817; vgl. Gude, Strukturänderungen und Unternehmensbewertung zum Börsenkurs, S. 254 ff. 1391) BGH, 30.3.1967, NJW 1967, 1464; dazu KG, 16.10.2006 – 2 W 148/01. 1392) OLG Stuttgart, 6.7.2007, AG 2007, 705; inzwischen hat das OLG Stuttgart diese Vorbehalte gegen den Börsenkurs nicht mehr: OLG Stuttgart, 1.4.2014, 20 W 4/13, NZG 2104, 1421 (Leitsatz). 1393) OLG Hamm, AG 1963, 218. 1394) BayObLG, 29.9.1998, AG 1999, 43 = NZG 1998, 946. 1395) BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 („DAT/Altana“).

297

Einundzwanzigster Teil: Börsenwert nicht zuletzt durch seine Verkehrsfähigkeit geprägt. Das gilt vor allem für die börsennotierte Aktie. Sie wird an der Börse gehandelt und erfährt dort aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage eine Wertbestimmung, an der sich die Aktionäre bei ihren Investitionsentscheidungen orientieren. Insbesondere Kleinaktionären, die regelmäßig nicht über alle relevanten Informationen verfügen, steht kein anderer Maßstab zur Verfügung, an dem sie den Wert dieses spezifischen Eigentumsobjekts messen könnten. Der Vermögensverlust, den der Minderheitsaktionär durch den Unternehmensvertrag oder die Eingliederung erleidet, stellt sich für ihn als Verlust des Verkehrswerts der Aktie dar. Dieser ist mit dem Börsenkurs der Aktie regelmäßig identisch. Da der Verkehrswert aber die Untergrenze der „wirtschaftlich vollen Entschädigung“ bildet, die Art. 14 Abs. 1 GG für die Entwertung oder Aufgabe der Anteilsrechte fordert, steht es mit diesem Grundrecht grundsätzlich nicht in Einklang, im aktienrechtlichen Spruchstellenverfahren eine Barabfindung festzusetzen, die niedriger ist als der Börsenkurs.“

1226 Der Bundesgerichtshof setzte diese Entscheidung um und entschied, die Abfindung sei entweder nach dem Unternehmenswert (i. d. R. Ertragswert) oder nach dem Börsenkurs festzusetzen, wobei der Börsenkurs den Mindestwert der Abfindung bilden sollte („Meistbegünstigungsprinzip“).1396) 1227 Das Meistbegünstigungsprinzip ist allerdings ins Wanken geraten. In Sachen „T-Online/Deutsche Telekom“ entschied das OLG Frankfurt unter Bezugnahme auf „DAT/Altana“:1397) „Ebenso lässt sich der genannten DAT/Altana – Entscheidung nicht entnehmen, die Heranziehung des Börsenkurses zur Bewertung des Unternehmensanteils diene ausschließlich dem Schutz der außenstehenden Aktionäre und dürfe deswegen nicht dazu missbraucht werden, eine Begrenzung der Abfindung bzw. des Umtauschverhältnisses zulasten der betroffenen Minderheitsaktionäre zu begründen. Zutreffend ist zwar, dass die Börsenkursrechtsprechung zum Schutz der Minderheitsaktionäre vom Bundesverfassungsgericht entwickelt wurde. Hierdurch sollte sichergestellt werden, dass den Aktionären im Fall des Unternehmensvertrages zumindest der Wert zuteil wird, den sie im Rahmen eines freien Verkaufs ihrer Aktien erhalten. Diesem Schutzzweck wird aber auch dann Rechnung getragen, wenn ihnen genau dieser Wert zuerkannt wird, selbst wenn damit gegenüber einem etwaigen Abstellen auf den Ertragswert des Unternehmens eine Beschränkung der Abfindung verbunden ist.“

1228 Das LG Frankfurt als Vorinstanz hatte ausgeführt:1398) „Die Ertragswertmethode gibt zwar ein (komplexes) mathematisches Gebilde vor, doch wird hier angesichts der Ungenauigkeiten und des wissenschaftlichen Streites zwischen den einzelnen Abzinsungsparametern mit einer Scheingenauigkeit gearbeitet, die sie gegenüber der kapitalmarktorientierten Ermittlung eines Unternehmens (-anteils) nicht überlegen macht.“

1229 Interessant an diesem Fall war auch, dass die beiden Parteien sich auf eine Bewertung ihrer Unternehmen nach Ertragswerten geeinigt hatten. Das ___________ 1396) BGH, 12.3.2001, BGHZ 147, 108 = NZG 2001, 603. 1397) OLG Frankfurt, 3.9.2010, AG 2010, 751 = NZG 2010, 1141 („T-Online“). 1398) LG Frankfurt, 13.3.2009, AG 2009, 749 = ZIP 2009, 1322.

298

A. Grundlagen

Landgericht hatte unter Verweis auf die zahlreichen mit dem Ertragswertverfahren verbundenen Probleme dieses Verfahren verworfen und stattdessen auf die Relation der Börsenkurse zurückgegriffen. Das Oberlandesgericht und später auch das Bundesverfassungsgericht1399) haben dies gebilligt: „Das OLG hat weiter zutreffend angenommen, es lasse sich weder dem GG noch der Rechtsprechung des BVerfG entnehmen, die Fachgerichte hätten zur Bestimmung des Unternehmenswerts stets sämtliche denkbaren Methoden heranzuziehen und bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses im Zuge einer Verschmelzung durch Aufnahme die den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers günstigste zugrunde zu legen. Entsprechend begegnet es von Verfassungs wegen keinen Bedenken, wenn sich ein Fachgericht, wie hier das OLG, im Spruchverfahren mit sorgfältiger und ausführlicher, den Streit zur „richtigen” Bewertungsmethode reflektierender Begründung für eine Bewertung beider Rechtsträger anhand des Börsenwerts entscheidet, ohne sich dabei den Blick dafür zu verstellen, dass die Frage nach der vorzuziehenden Methode grundsätzlich von den jeweiligen Umständen des Falles abhängt.“

Das Bundesverfassungsgericht räumt damit den Instanzgerichten eine größere 1230 Freiheit ein, jeweils fallbezogen auf die Bewertungsmethode zurückzugreifen, die nach ihrer Meinung die beste Schätzgrundlage liefert, sofern sie wissenschaftlich anerkannt ist. Der Bundesgerichtshof drückt dies so aus:1400) „Der Unternehmenswert ist dabei im Wege einer Schätzung zu ermitteln (vgl. § 738 Absatz 2 BGB). Zu dieser Schätzung ist bei einem werbenden Unternehmen die Ertragswertmethode eine grundsätzlich geeignete Methode. Das schließt es aber nicht aus, nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles eine andere Methode zur Schätzung des Unternehmenswertes anzuwenden, beispielsweise ihn durch eine marktorientierte Methode nach dem Börsenwert des Unternehmens zu bestimmen, den Unternehmenswert mittels dem der Ertragswertmethode ähnlichen Discounted-Cash-Flow-Verfahren zu ermitteln oder etwa in besonderen Fällen nach dem Liquidationswert. Entscheidend ist, dass die jeweilige Methode in der Wirtschaftswissenschaft oder Betriebswirtschaftslehre anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist.“

In der Literatur gehen die Meinungen auseinander. Stilz sieht den Börsenkurs 1231 als „vorrangig“ an wegen der „Scheinrationalität“ der Ertragswertmethode.1401) Gärtner/Handke zielen in ähnliche Richtung: Die Börse „als Inbegriff des Marktes“ solle gerade den erzielbaren Preis bestimmen; der Börsenkurs sei „eine einfacher handhabbare Größe“.1402) Dagegen wendet sich Burger:1403) Der Börsenwert spiegele nicht den Wert 1232 der Kontrolle wider, den der Hauptgesellschafter realisieren könne; er führe zu ___________ 1399) BVerfG, 26.4.2011, ZIP 11, 1051 = NZG 2011, 869. 1400) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424; ähnlich auch OLG Frankfurt, 5.12.2013, NZG 2014, 464; OLG Stuttgart, 5.6.2013, AG 2013, 724 = NZG 2013, 897; OLG München, 26.7.2012, AG 2012, 749 = Der Konzern 2012, 561. 1401) Stilz, in: FS Goette, S. 529, 534. 1402) Gärtner/Handke, NZG 2012, 247. 1403) Franken/Schulte/Luksch, NZG 2012, 281, 288.

299

Einundzwanzigster Teil: Börsenwert

einem „Minderheitsabschlag“.1404) Ruthardt/Hachmeister verdeutlichen, dass der Börsenkurs nur den kurzfristigen Anlagehorizont widerspiegle.1405) Franken/ Schulte/Luksch begründen ihre kritische Sicht so:1406) „Die Bemessung von Abfindungen nur auf Basis von Börsenkursen setzt die Existenz vollkommener Kapitalmärkte voraus. Diese stellen lediglich theoretische Konzepte dar. Reale Kapitalmärkte sind aber durch eine Vielzahl von Unvollkommenheiten geprägt. Die alleinige Verwendung von Börsenkursen für die Bemessung von Abfindungen birgt die große Gefahr, dass die abzufindenden Minderheitsaktionäre keine volle Entschädigung (Kompensation) für die ihnen zwangsweise entzogenen Aktionärsrechte erhalten. In Phasen der Unterbewertung einer Aktie entschädigt eine Abfindung allein auf Grundlage des Börsenkurses nur für die sofortige Veräußerungsmöglichkeit des Aktionärs. Dem Aktionär wird aber die Möglichkeit genommen, die Aktie so lange zu halten, bis Börsenkurs und „wahrer Wert“ wieder übereinstimmen. Insbesondere der Verlauf der Aktienkurse in der noch andauernden Staatsschuldenkrise zeigt die besondere Relevanz dieser Überlegungen. Die Börsenwerte zahlreicher Aktien sind im zweiten Halbjahr des Jahres 2011 um rd. 50 % eingebrochen. Ein Großteil dieses Rückgangs wurde im Laufe des Börsenaufschwungs zu Beginn des Jahres 2012 wieder aufgeholt. …Aktionäre, die in diesem Zeitraum auf Basis des Börsenkurses zwangsenteignet wären, hätten keine volle Abfindung erhalten. Sie hätte keine Möglichkeit mehr, an der Rückkehr der Normalität and den Kapitalmärkten zu partizipieren. Ertragswerte, die auf Basis der internen Planungen der Unternehmen unter Verwendung einer für Dritten nachvollziehbaren Methodik (und damit transparent und nachprüfbar) ermittelt werden, stellen derzeit die beste Annäherung an den ‚wahren Wert’ von Unternehmen dar. Diese Werte bei der Abfindung zu ignorieren, stellt aus unserer Sicht einen unzulässigen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht dar.“

1233 Adolff sieht in den Börsenkursen den untersten möglichen Wert, weil der Aktionär nicht zu weniger abgefunden werden könne, als er bei einem Verkauf über die Börse erzielen könnte. Ob der Börsenwert zugleich auch der einzige maßgebliche Wert sein könnte, sei dagegen fallbezogen im Rahmen der richterlichen Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO „unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung“ zu bestimmen. Dies liegt wohl auf der jetzigen Linie des Bundesgerichtshofs.1407) B. Sonderfall Verschmelzung 1234 Die Verschmelzung bildet insoweit einen Sonderfall der Bewertung, als die Gesellschafter des übertragenden Rechtsträgers nicht von dem Ertragswert ihrer Gesellschaft abgeschnitten werden. Der Ertragswert des übertragenden Rechtsträgers wird vielmehr mit dem des übernehmenden Rechtsträgers ver___________ 1404) Franken/Schulte/Luksch, NZG 2012, 281, 289. 1405) Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411. 1406) Franken/Schulte/Luksch, BewertungsPraktiker Nr. 1/2012, S. 28, 32; ähnlich Schulte/ Köller/Luksch, WPg 2012, 380. 1407) Adolff, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 16 Rn. 67 ff.

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B. Sonderfall Verschmelzung

schmolzen und die Gesellschafter nehmen hieran dadurch teil, dass sie Gesellschaftsanteile der aufnehmenden Gesellschaft erhalten. Entscheidend ist daher die Quote, zu der die Gesellschafter an der aufneh- 1235 menden Gesellschaft beteiligt werden. Die Beteiligung muss dem Wertanteil entsprechen, der durch das übertragene Unternehmen in die aufnehmende Gesellschaft eingebracht wird. Weicht die Quote hiervon ab, werden entweder die Gesellschafter der übertragenden oder die Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft benachteiligt. Bei der Verschmelzung müssen deswegen beide Gesellschaften bewertet wer- 1236 den. Hier kann die Situation auftreten, dass das Verhältnis der Ertragswerte der beteiligten Gesellschaften für den (Minderheits-)Aktionär der übertragenden Gesellschaft ungünstiger ist als das Verhältnis der Börsenkurse; d. h., dass er bei Ausscheiden gegen Barabfindung und Wiederanlage in Aktien der übernehmenden Gesellschaft mehr Aktien erhalten würde. Es stellt sich dann die Frage, ob der Börsenkurs der aufnehmenden Gesellschaft einen Höchstwert darstellt. Die Frage, ob in Verschmelzungsfällen beide Gesellschaften nach der gleichen 1237 Methode bewertet werden müssen (also entweder Börsen- oder Ertragswert), ist in der Literatur umstritten.1408) Hier könnte die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Wahl der Bewertungsmethode1409) jetzt Bewegung bringen: Die Verlagerung des Schwerpunktes auf das Ergebnis einer Schätzung des Unternehmenswertes könnte die Möglichkeit schaffen, die beteiligten Gesellschaften nach unterschiedlichen, jedoch jeweils den „bestgeeigneten“ Methoden, zu bewerten. Damit wäre der bisher in der Rechtsprechung entwickelte „Grundsatz der Methodengleichheit“1410) neu zu überprüfen. Denkbar, aber nicht unproblematisch, wäre dann auch die Verwendung von Börsenkursen, wenn nur eins der beteiligten Unternehmen börsennotiert ist.1411) Bei einer Verschmelzung unter unabhängigen Partnern gilt der Börsenwert 1238 nicht als Mindestwert. Das sich aus den Ertragswerten ergebende Verhältnis soll vorrangig sein, auch wenn dies zu einer für die (Minderheits-)Aktionäre der übertragenden Gesellschaft ungünstigeren Quote führt.1412)

___________ 1408) Nachweise bei Adolff, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 16 Rn. 82. 1409) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. 1410) OLG Frankfurt, 3.9.2010, AG 2010, 751 = NZG 2010, 1141 („T-Online“); OLG München, 14.5.2007, AG 2007, 701 = FGPrax 2007, 197; OLG Düsseldorf, 31.1.2003, AG 2003, 329 = NZG 2003, 588 („Nixdorf“); vgl. die Nachweise bei Fleischer/ Hüttemann, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 20 Rn. 17 ff. 1411) Anders noch OLG München, 14.5.2007, AG 2007, 701 = FGPrax 2007, 197. 1412) BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035 („Daimler/Chrysler“); siehe auch OLG Düsseldorf, 18.8.2016 – I-26 W 12/15 (AktE); vgl. hierzu: Hüttemann, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 16 Rn. 54 ff.

301

Einundzwanzigster Teil: Börsenwert

1239 Das OLG Stuttgart1413) hatte in Verschmelzungsfällen zeitweise auch das „Verhandlungsmodell“ angewandt, wonach ein in einer marktkonformen Verhandlung gefundener Preis als angemessen angesehen werden sollte. Die Interessen der Aktionäre seien dabei im Regelfall bereits dann ausreichend gewahrt, wenn bei einem Zusammenschluss unabhängige Unternehmensvorstände miteinander verhandelten. Bei pflichtgemäßem Handeln der Verhandlungsführer werde die Entscheidung für den Zusammenschluss und den ausgehandelten Verschmelzungsvertrag nicht nur von verschiedenen unternehmerischen Erwägungen getragen, sondern vor allem auch von dem Ziel der Festlegung auf ein angemessenes Umtauschverhältnis, das die Vermögens- und Mitgliedschaftsinteressen der Anteilseigner des vertretenen Unternehmens hinreichend berücksichtigt. 1240 Das Bundesverfassungsgericht1414) verwarf diesen Ansatz. Die Überprüfung lediglich des Verhandlungsprozesses stelle nicht hinreichend sicher, dass das vereinbarte Umtauschverhältnis die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers wirtschaftlich voll entschädige. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein zwischen den Vorständen zweier unabhängiger, gleichberechtigter Aktiengesellschaften mit gegenläufigen Interessen („unter Gleichen“) ausgehandelter „Preis“ grundsätzlich als angemessen zu beurteilen sei. Neben der Festlegung des Umtauschverhältnisses könnten die Verhandlungen von vielfältigen weiteren unternehmerischen Erwägungen getragen sein. 1241 Das Verhandlungsmodell ist nicht geeignet, den „wahren Wert“ zu ermitteln. Häufig werden bei derartigen Fusionsentscheidungen nicht allein Umtauschverhältnisse im Vordergrund stehen, vielmehr wird vorrangig um Machtbalance, die Verantwortung und Zuordnung oder Aufteilung bestimmter Firmensegmente gestritten. Die Sicht der Minderheitsaktionäre wird hierbei – wenn überhaupt – allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. C. Gesetzlich geregelte Fälle 1242 In einer weiteren Entscheidung setzte das Bundesverfassungsgericht diese Linie fort.1415) Es beanstandete nicht den in § 39a Abs. 3 WpÜG vorgesehenen „Markttest“. Das Grundgesetz schreibe keine bestimmte Bewertungsmethode vor, es müsse nicht stets eine Ertragswertberechnung erfolgen.1416) Ebenso wenig ist stets jede denkbare Methode der Unternehmensbewertung heranzuziehen und die Abfindung nach dem Meistbegünstigungsprinzip zu berechnen.1417)

___________ 1413) OLG Stuttgart, 14.10.2010, AG 2011, 49 („Daimler/Chrysler“); dazu BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035 („Daimler/Chrysler“). 1414) BVerfG, 24.5.2012, AG 2012, 674 = NZG 2012, 1035; vgl. dazu Klöhn/Verse, AG 2013, 2. 1415) BVerfG, 16.5.2012, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907. 1416) BVerfG, 16.5.2012, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907. 1417) BVerfG, 16.5.2012, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907.

302

D. Nur die Börse zählt?

Nach § 39a Abs. 1 WpÜG kann ein Hauptaktionär den Ausschluss der übrigen 1243 Aktionäre verlangen, wenn er 95 % des Grundkapitals hält. Anzubieten ist ein Preis, der mindestens dem Durchschnitts-Börsenpreis der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Maßnahme entspricht. Das Angebot darf ferner nicht niedriger sein als der Preis, den der Bieter während der letzten sechs Monate vor dem Übernahmeangebot gezahlt hat. Nehmen dann 90 % der Betroffenen das Angebot an, vermutet das Gesetz die Angemessenheit des Preises. Das Bundesverfassungsgericht führt aus:1418) „Die eine hohe Akzeptanz durch den betroffenen Markt voraussetzende, zusätzlich mindestens den Börsenkurs garantierende und bei Fehlen eines funktionierenden Marktes auf eine Unternehmensbewertung abstellende Regelung in § 39a Abs. 3 Satz 2 WpÜG sichert dem Aktionär eine angemessene Abfindung, die dem Verkehrswert der Aktie entspricht… Das Oberlandesgericht führt nachvollziehbar aus, dass eine Unternehmensbewertung, die – wie die Ertragswertmethode – vornehmlich auf die künftig ausschüttbaren Ertragsüberschüsse abstellt und daher mit naturgemäß unsicheren Prognosen arbeiten muss, keine „richtigeren“ Ergebnisse zeitigt als der „Markttest“… Ausschlüsse, bei denen die Abfindung der ausgeschlossenen Aktionäre nach der Ertragswertmethode bemessen wird, sind wegen der besonders komplexen Bewertungsfragen einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, in Verfahrenslaufzeiten zu münden, die dem Gebot effektiven Rechtsschutzes kaum noch zu genügen vermögen.“

D. Nur die Börse zählt?

Die Sicht auf den Börsenwert geht inzwischen über seine „Berücksichtigung“ 1244 hinaus; er kann auch allein wertentscheidend sein. Der Bundesgerichtshof sieht den Börsenwert gegenüber einer Unternehmensbewertung jetzt im Wesentlichen als gleichwertig an. Eine Unternehmenswertberechnung anhand des Börsenkurses soll nur dann nicht möglich sein, wenn auf Seiten der Marktteilnehmer nicht von einer „effektiven Informationsbewertung“ ausgegangen werden könne:1419) „… (Der wahre Wert) kann … grundsätzlich als quotaler Anteil an dem durch eine geeignete Methode der Unternehmensbewertung ermittelten Wert des Unternehmens (mittelbar) berechnet oder auf andere Weise (unmittelbar) festgestellt werden, insbesondere unter Rückgriff auf den Börsenwert der Anteile…. Die eine oder andere Methode scheidet nur dann aus, wenn sie aufgrund der Umstände des konkreten Falles den „wahren“ Wert nicht zutreffend abbildet. Auch bei der zum Schutz der Minderheitsaktionäre gebotenen Berücksichtigung des Börsenwerts wird der Wert eines Anteils aber nicht unabhängig vom Wert des Unternehmens ermittelt. Denn die Berücksichtigung des Börsenwerts beruht auf der Annahme, dass die Marktteilnehmer auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglich-

___________ 1418) BVerfG, 16.5.2012, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907. 1419) BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016.

303

Einundzwanzigster Teil: Börsenwert keiten die Ertragskraft des Unternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewerten und sich die Marktbewertung im Börsenkurs der Aktien niederschlägt (vgl. BGH, Beschl. v. 12.3.2001 – II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, 116). Kann im konkreten Fall von der Möglichkeit einer solchen effektiven Informationsbewertung nicht ausgegangen werden, sodass der Börsenkurs keine verlässliche Aussage über den (mindestens zu gewährenden) Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung erlaubt, ist der Anteilswert aufgrund einer Unternehmensbewertung zu ermitteln (vgl. BVerfG, ZIP 2011, 170 Rn. 13 f.; ZIP 2011, 1051 Rn. 25; ZIP 2012, 1408 Rn. 20)…“

1245 Der Bundesgerichtshof geht damit davon aus, dass bei Vorliegen der von uns erläuterten mittelstrengen Informationseffizienz1420) allein der Börsenkurs maßgeblich sein soll. 1246 Wir schauen uns deswegen Einzelheiten zur Berücksichtigung der Börsenkurse an. I. Börsenkursberechnung 1. Stichtagskurs 1247 Der Stichtagskurs ist für den Börsenwert wenig hilfreich. Das Leben verläuft nicht punktuell (Zeit ist nicht „gepunktet“). Der Begriff „Zeitpunkt“ stammt von den „gepunkteten“ Gebetszeiten der Zisterzienser innerhalb einer geometrisierten Umwelt (Architektur „more geometrico“).1421) Die Praxis orientiert sich an § 5 Abs. 3 WpÜG–Angebotsverordnung:1422) „(3) Der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs ist der nach Umsätzen gewichtete Durchschnittskurs der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bundesanstalt) nach § 9 des Wertpapierhandelsgesetzes als börslich gemeldeter Geschäfte.“

1248 Gewichtet wird nach den jeweiligen Umsätzen (Umsatzvolumen).1423) 2. Bezugszeitraum a) Dauer 1249 Es fehlt eine Methode, um den Bezugszeitraum (Referenzperiode) sicher festzulegen. Der Bundesgerichtshof hält drei Monate für angemessen.1424)

___________ 1420) Siehe Rn. 814. 1421) Dazu Landes, Revolution in Time, S. 58: “Nothing was as important as the punctuality of the collective prayer circle”. 1422) Vgl. OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822; OLG Frankfurt, 30.3.2010, Der Konzern 2011, 59 = NZG 2010, 664. 1423) Vgl. nur OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822. 1424) BGH, 28.6.2011, AG 2011, 590; BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 („Stollwerck“).

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D. Nur die Börse zählt?

Dabei ist man sich bewusst, dass das im Einzelfall problematisch sein kann. 1250 Das OLG Stuttgart schildert einen Fall,1425) in dem sich folgende Kurse ergaben: Drei Monate: 79,70 €, sechs Monate: 74,85 €, zwölf Monate: 71,20 €. Es meint: „Angesichts dieser Bewegungen erscheint es eher willkürlich, die Betrachtung auf einen Zeitraum von drei Monaten … zu beschränken“. Gleichwohl hat sich ein Zeitraum von drei Monaten durchgesetzt. b) Zeitpunkt

Damit ist nicht die Frage beantwortet, auf welchen Zeitraum man abstellen 1251 soll, einen Drei-Monats-Zeitraum vor Beginn der Hauptversammlung oder einen solchen vor Ankündigung der Unternehmensmaßnahme. Der Bundesgerichtshof wählte anfangs die drei Monate „unmittelbar vor der 1252 Hauptversammlung der beherrschten AG“; er tat das wegen der „größtmöglichen“ Nähe zum Stichtag.1426) Er rechnete also vom Tag der Hauptversammlung drei Monate zurück. Verfassungsrechtlich ist aber auch nicht zu beanstanden, wenn der Bezugszeitraum die Zeit nach Bekanntmachung der Maßnahme umfasst; die Frage habe „keinen verfassungsrechtlichen Gehalt“.1427) Auf den Zeitpunkt vor Beginn der Hauptversammlung abzustellen, stieß je- 1253 doch zunehmend auf Kritik:1428) Der Börsenkurs werde durch die Ankündigung der Maßnahme und durch die Bekanntgabe der zu erwartenden Abfindung nachhaltig beeinflusst.1429) Zum Zeitpunkt der Erstellung des Übertragungsberichts könne wegen der zu beachtenden Einberufungsfrist (§ 123 Abs. 1 AktG) der relevante Börsenkurs noch nicht feststehen.1430) Es bestehe Gefahr eines Missbrauchs, weil etwa bei einem Squeeze-out eine vergleichsweise geringe Nachfragemacht und Spekulationen weniger Aktionäre zu starken Kursanstiegen führen könnten.1431) Auf Vorlage des OLG Düsseldorf1432) änderte der Bundesgerichtshof seine 1254 Meinung: Der Börsenwert sei grundsätzlich zu ermitteln „aufgrund eines nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung der Maßnahme“.1433) Dieser Wert müsse allerdings hochgerechnet werden, ___________ 1425) OLG Stuttgart, 6.7.2007, AG 2007, 705. 1426) BGH, BGHZ 147, 108 = NZG 2001, 603. 1427) BVerfG, 29.11.2006, AG 2007, 119 = NZG 2007, 228. 1428) Vgl. die Übersicht des Streitstands in OLG Düsseldorf, 9.9.2009, AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427. 1429) OLG Düsseldorf, 9.9.2009, AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427; OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883. 1430) OLG Düsseldorf, 9.9.2009, AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427. 1431) OLG Düsseldorf, 9.9.2009, AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427. 1432) OLG Düsseldorf, 9.9.2009, AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427. 1433) BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 („Stollwerck“).

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Einundzwanzigster Teil: Börsenwert „entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung unter Berücksichtigung der seitherigen Kursentwicklung…wenn zwischen der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme als dem Ende des Referenzzeitraums und dem Tag der Hauptversammlung ein längerer Zeitraum verstreicht und die Entwicklung der Börsenkurse eine Anpassung geboten erscheinen lässt“.1434)

1255 Einen solchen „längeren Zeitraum“ nahm das Gericht an bei siebeneinhalb Monaten. Im Hinblick auf eine Anpassung sei „die Entwicklung der allgemeinen oder branchentypischen Aktienkurse dieser Zeit“ festzustellen.1435) Dann soll ein Börsenkurs gelten, der entstanden wäre bei einer „allgemeinen“ oder „branchentypischen“ Kursentwicklung. Angesprochen ist damit der Börsenund der Branchenindex. Das OLG Frankfurt und OLG Karlsruhe gehen davon aus, dass die Kursentwicklung nicht nur zugunsten, sondern auch zulasten des Minderheitsaktionärs zu berücksichtigen sei. So nahm das OLG Frankfurt im Hinblick auf einen entsprechenden DAX-Verlust 2001/2002 bei einem 11-Monats-Zeitraum einen Abschlag von 25 %, das OLG Karlsruhe für einen 12-Monats-Zeitraum 2002/2003 von 20 % vor.1436) Ein „Hochrechnen“ des Börsenkurses ist aber nicht die Regel. Häufig ist der Zeitraum zwischen Bekanntgabe der Maßnahme und der Hauptversammlung deutlich kürzer als sechs oder sieben Monate, sodass keine Anpassung erforderlich sein wird. 1256 Der Bundesgerichtshof definiert nicht näher, was die Bekanntmachung einer „Strukturmaßnahme“ ist (sie muss nicht nach § 15 WpHG erfolgen).1437) Als „Bekanntgabe“ mit „Kursbeeinflussungspotential“ gelten indes nicht „vage Absichtserklärungen“; erforderlich ist die „unbedingte Ankündigung“ von „Maßnahmen“, die eine Umsetzung der Strukturänderung „in naher Zukunft“ erwarten lasse.1438) Das mag zu einer Vorverlegung des Stichtags um fast sechs Monate führen.1439) Unerheblich ist, ob die geplante Strukturmaßnahme mit oder ohne den Willen des Mehrheitsaktionärs bekannt geworden ist.1440) Bloße Gerüchte oder vage Absichtserklärungen genügen aber nicht.1441) 1257 Die BGH-Entscheidung ist über den Squeeze-out hinaus für vergleichbare Maßnahmen zu beachten, so für § 305 Abs. 3 und § 320b Abs. 1 AktG, für

___________ 1434) BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 („Stollwerck“), unter Bezug auf Weber, ZGR 2004, 280. 1435) BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 („Stollwerck“). 1436) OLG Frankfurt, 15.1.16 – 21 W 22/13, BeckRS 2016, 09636; OLG Karlsruhe, AG 2015, 789 = ZIP 2015, 1874 m. w. N. 1437) BGH, 28.6.2011, AG 2011, 590; BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = AG 2010, 629 („Stollwerck“). 1438) OLG Frankfurt, 21.12.2010 – 5 W 15/10. 1439) OLG Frankfurt, 21.12.2010 – 5 W 15/10; kritisch dazu Meinert, DB 2011, 2460. 1440) OLG Karlsruhe, AG 2015, 789 = ZIP 2015, 1874. 1441) OLG München, AG 2015, 508 = NZG 2015, 683.

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D. Nur die Börse zählt?

§§ 29, 125, 207 UmwG, wohl ebenfalls bei einer Verschmelzung gemäß §§ 2 ff., 60 ff. UmwG.1442) Im Ganzen zeigt sich so eine Verbesserung. Es eröffnen sich indes auch Spiel- 1258 räume für den Betreiber des Vorgangs, den maßgeblichen Zeitpunkt in seinem Sinne zu steuern. Das Fazit lautet: Es ist weiterhin Vorsicht geboten. Der Börsenwert ist selbst 1259 als Mindestwert unsicherer als er manchmal erscheint. II. Marktenge

Der Börsenwert ist unbeachtlich, wenn er nicht den Verkehrswert der Aktien 1260 widerspiegelt.1443) Daher sagt der IDW S 1 2008:1444) „Dies gilt jedoch nicht, wenn der Börsenwert – z. B. bei fehlender Marktgängigkeit oder Manipulation des Börsenkurses – nicht dem Verkehrswert der Aktien entspricht.“

Das ist anzunehmen, wenn sich Aktien aufgrund einer Marktenge nicht ver- 1261 äußern lassen, etwa bei einem nur „marginalen Handel“.1445) Wir müssen hierbei bedenken, dass etwa bei einem Squeeze-out 95 % der Aktien schon in der Hand des Hauptaktionärs sind, diese Aktien damit faktisch nicht mehr handelbar sind. Dies allein begründet jedoch keine Marktenge.1446) Der Börsenkurs käme sonst nie zum Tragen. Eine Marktenge darlegen und beweisen muss im Grundsatz der zur Abfin- 1262 dung Verpflichtete.1447) Allerdings ist die – wenn auch eingeschränkte – Amtsaufklärungspflicht des Gerichts zu beachten. Wann eine Marktenge vorliegt, ist einzelfallabhängig. Helfen können die Kri- 1263 terien des § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebotsVO.1448) Danach liegt eine Marktenge vor, sofern kumulativ während der drei relevanten Monate an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt wurden oder wenn nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 % voneinander abgewichen sind. Diese Wertung hat jetzt § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG für das „echte“ Delisting übernommen.

___________ 1442) Bungert/Wettich, BB 2010, 2227. 1443) BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = NZG 1999, 931. 1444) IDW S 1 2008 Tz. 16. 1445) OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883; Einzelheiten in OLG Düsseldorf, 13.3.2008, AG 2008, 498. 1446) OLG Düsseldorf, 9.9.2009, AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427. 1447) OLG Stuttgart, 16.2.2007, AG 2007, 209 = NZG 2007, 302; OLG Frankfurt, 30.3.2010, Der Konzern 2011, 59 = NZG 2010, 664. 1448) OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822; OLG Frankfurt, 30.3.2010, Der Konzern 2011, 59 = NZG 2010, 664.

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Einundzwanzigster Teil: Börsenwert

1264 Es gibt keine schematischen Lösungen.1449) Der Bundesgerichtshof verneint eine Marktenge, wenn 2,5 % – 3,7 % der Aktien eines Unternehmens gehandelt werden.1450) Das OLG München sieht keine Marktenge bei einem freien Aktienanteil (Freefloat) von 0,45 %, wenn 7,6 % des Freefloat gehandelt wurden.1451) Das OLG Stuttgart hält einen freien Aktienanteil von 0,73 % bei einem Handelsvolumen von über 7,6 % für ausreichend.1452) Eine Marktenge liege auch nicht vor, wenn nur 2,4 % der Aktien handelbar seien.1453) Ein Streubesitz von ca. 4,87 % schließe „für sich genommen“ die Heranziehung von Börsenkursen noch nicht aus.1454) Das OLG Frankfurt sieht keine Marktenge, wenn 1,4 % der ausgegebenen Aktien gehandelt werden können.1455) Das OLG Celle bejaht eine Marktenge, wenn nur 1,13 % der Aktien im Streubesitz sind und es sich um höchstens 1.360 Aktien handelt.1456) 1265 Auf ein Mindestvolumen des Marktes kommt es nicht an.1457) Der Börsenkurs muss ein „reales Marktgeschehen“ wiedergeben.1458) Entscheidend ist, ob Minderheitsaktionäre an vielen Tagen die Möglichkeit hatten, die Aktien zu verkaufen (so wenn Geldkurse ausgewiesen werden).1459) Entscheidend ist nicht die relative Anzahl der handelbaren Aktien, sondern die absolute Zahl tatsächlich gehandelter Aktien. Nur bei absolut geringer Zahl ist die Gefahr einer Kursmanipulation hoch und zugleich die Liquidität des Marktes niedrig. 1266 Ebenso ist unerheblich, ob alle oder fast alle Minderheitsaktionäre ihre Beteiligung hätten veräußern können. Maßgeblich ist vielmehr die Chance für den einzelnen Minderheitsaktionär; denn er soll ja erhalten, was er bei einer freien Deinvestitionsentscheidung erlangt hätte. Ohne den Squeeze-out hätten aber nur einzelne Aktionäre veräußern wollen, nicht aber alle Minderheitsaktionäre zusammen.1460) 1267 Entscheidend ist eine „Gesamtbetrachtung der Marktumstände im Einzelfall“. Auch bei wenigen Handelstagen könne ein „relativ stabiles Kursgeschehen“ als Anhalt genügen.1461)

___________ 1449) BGH, 12.3.2001, BGHZ 147, 108 = NJW 2001, 2080. 1450) BGH, 12.3.2001, BGHZ 147, 108 = NJW 2001, 2080. 1451) OLG München, 11.7.2006, AG 2007, 246 = ZIP 2006, 1722. 1452) OLG Stuttgart, 16.2.2007, AG 2007, 209 = NZG 2007, 302. 1453) OLG Stuttgart, 4.5.2011, AG 2011, 560. 1454) OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883. 1455) OLG Frankfurt, 30.3.2010, Der Konzern 2011, 59 = NZG 2010, 664. 1456) OLG Celle, 10.7.2008 – 9 W 10/08 II 4. 1457) BGH, 12.3.2001, BGHZ 147, 108 = NJW 2001, 2080. 1458) OLG Stuttgart, 6.7.2007, AG 2007, 705. 1459) OLG München, 11.7.2006, AG 2007, 246 = ZIP 2006, 1722. 1460) OLG Frankfurt, 30.3.2010, Der Konzern 2011, 59 = NZG 2010, 664. 1461) OLG Stuttgart, 6.7.2007, AG 2007, 705.

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D. Nur die Börse zählt?

III. Marktgeschehen

Der Börsenkurs ist nur zu beachten, wenn er aussagekräftig ist. Das setzt 1268 voraus „eine zu einigermaßen konstantem Kurs anhaltende Nachfrage nach den Aktien“.1462) Eine Marktenge an sich steht nicht entgegen. Das OLG Stuttgart verneint aber einen realen Markt, wenn nicht einmal 2 % des Freefloat = 0,1 % der gesamten Aktien an weniger als einem Drittel der Handelstage gehandelt werden.1463) Nicht zu berücksichtigen sind „außergewöhnliche oder sprunghafte Entwicklungen binnen weniger Tage, die sich nicht verfestigen – gleichgültig ob es sich um steigende oder fallende Kurse handelt“.1464) Das gilt vor allem für stark schwankende Kurse nach der Bekanntmachung.1465) Stets ist abzustellen auf einen „geeigneten Durchschnittskurs“; dafür sind die Gegebenheiten des Einzelfalls zu beachten.1466) Die Praxis1467) orientiert sich dafür an § 5 Abs. 1 der WpÜG-Angebotsverordnung. Zieht man die Zeit vor der Bekanntmachung heran, so können auch längerfristige Tendenzen berücksichtigt werden.1468) Oft verändern sich die Kurse, wenn der Markt „Wind bekommt“. von einer 1269 bevorstehenden Abfindung. Das Verbot der Marktmanipulation reicht nicht immer (Art. 12 und 15 EU-Marktmissbrauchsverordnung (EU) 596/2014). Die ursprüngliche Bestimmung des Bezugszeitraums durch den Bundesgerichtshof ermutigte, zulasten des abfindenden Unternehmens zu spekulieren.1469) Es gab Squeeze-out-Fonds, die auf den Kursanstieg nach der Ankündigung der Maßnahme setzten. Das hat sich (in Grenzen) geändert. IV. Mehrere Börsenplätze

Aktiengesellschaften sind häufiger an mehreren Börsen notiert. In der Regel 1270 ist dann der Durchschnittskurs aller Notierungen an den verschiedenen Börsenplätzen zu bilden.1470) Man muss dann ansetzen den gewichteten Durchschnitt der mittleren Tageskurse an diesen Börsenplätzen.

___________ 1462) OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883. 1463) OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883. 1464) BGH, 12.3.2001, BGHZ 147, 108 = NJW 2001, 2080. 1465) OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883. 1466) IDW S 1 2008 Tz. 16. 1467) OLG Düsseldorf, 9.9.2009, AG 2010, 35 = NZG 2009, 1427; Bungert/Wettich, BB 2010, 2227. 1468) OLG Stuttgart, 18.12.2009, AG 2010, 513 = WM 2010, 654; LG Frankfurt, NZG 2007, 40 = Der Konzern 2006, 553. 1469) Deshalb bevorzugt das OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883, drei Monate vor der Ankündigung. 1470) Vgl. etwa OLG Düsseldorf, 11.5.2015, AG 2015, 573 = BeckRS 2015, 10199; OLG Frankfurt, 15.11.2012, AG 2013, 353 = NZG 2014, 67; siehe auch BGH, 12.3.2001, BGHZ 147, 108 = NJW 2001, 2080.

309

Einundzwanzigster Teil: Börsenwert

E. Erwerb außerhalb der Börse 1271 Unbeachtlich sollen Preise sein, die das erwerbende Unternehmen außerhalb der Börse gezahlt hat, sog. Vorerwerbspreise.1471) Sie seien u. U. motiviert durch den Grenznutzen für den Großaktionär, spiegelten einen Paketzuschlag.1472) Das Bundesverfassungsgericht hielt das für unbedenklich: „Der Preis, den ein Mehrheitsaktionär an die Minderheitsaktionäre für Aktien der gemeinsamen Gesellschaft zu zahlen bereit ist, hat zu dem ‚wahren‘ Wert des Anteilseigentums in der Hand des Mehrheitsaktionärs regelmäßig keine Beziehung. In ihm kommt der Grenznutzen zum Ausdruck, den der Mehrheitsaktionär aus den erworbenen Anteilen ziehen kann. Dieser ist vielfach dadurch bestimmt, dass der Mehrheitsaktionär mithilfe der erworbenen Aktien ein Stimmenquorum erreicht, das aktien- oder umwandlungsrechtlich für bestimmte gesellschaftsrechtliche Maßnahmen erforderlich ist. Deshalb ist der Mehrheitsaktionär zumeist bereit, für die Aktien, die ihm noch für ein bestimmtes Quorum fehlen, einen ‚Paketzuschlag‘ zu zahlen. Auch zu dem Verkehrswert des Aktieneigentums haben außerbörslich gezahlte Preise regelmäßig keine Beziehung. Im Vorfeld und zur Vorbereitung einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahme akzeptiert der Mehrheitsaktionär deshalb einen bestimmten (überhöhten) Preis für die ihm für ein erforderliches Quorum noch fehlenden Aktien, weil ihm sonst die beabsichtigte Konzernierungsmaßnahme unmöglich wäre. Eine solche Erwägung ist aber nur für den Mehrheitsaktionär bestimmend, während sie für Dritte keine Bedeutung hat. Aus der Sicht des Minderheitsaktionärs ist der vom Mehrheitsaktionär außerbörslich gezahlte (‚überhöhte‘) Preis mithin nur erzielbar, wenn es ihm gelingt, gerade seine Aktien an den Mehrheitsaktionär zu veräußern.“1473)

1272

1273 Aber auch hier kommt es an auf die Umstände. Außerhalb der Börse gezahlte Preise gehören zu „allen Umständen“, die nach § 287 Abs. 2 ZPO zu würdigen sind.1474) Auch solche Preise beziehen sich auf den Verkehrswert. Sie beruhen auf rationalen Erwägungen des Erwerbers und gehen ein in seine Handelsund Steuerbilanz als Anschaffungskosten. Durch sie entsteht ein Marktpreis. Häufig wird ein Erwerber einen „Paketzuschlag“ zahlen, um entscheidenden Einfluss auf das Zielunternehmen zu bekommen. Dies trifft aber nicht auf den Minderheitsaktionär zu. 1274 Diese Preise sind jedenfalls Indiz für u. U. zu beachtende Synergieeffekte und deuten so evtl. auf den Grenzwert des Erwerbers. 1275 IDW S 1 2008 sagt:1475) „Tatsächlich gezahlte Preise für Unternehmen und Unternehmensanteile können – sofern Vergleichbarkeit mit dem Bewertungsobjekt und hinreichende Zeitnähe gegeben sind – zur Beurteilung der Plausibilität von Unternehmenswerten und Anteilswerten dienen, ersetzen aber keine Unternehmensbewertung.“

___________ 1471) Vgl. die Übersicht zum Streitstand in LG München I, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124; BGH, 19.7.2010, BGHZ 186, 229 = NZG 2010, 939 („Stollwerck“); a. A.: Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 39, 40, 41b. 1472) LG München I, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124. 1473) BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 99, 566 („DAT/Altana“). 1474) Vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, § 305 AktG Rn. 39 f. 1475) IDW S 1 2008 Tz. 13.

310

F. Börsenkurs und IDW S 1 2005/2008

F. Börsenkurs und IDW S 1 2005/2008

Die Relevanz des Börsenkurses nimmt zu mit dem Übergang von IDW S 1 1276 2000 zu IDW S 1 2005/2008. Bewertungen nach IDW S 1 2000 führten häufig zu Unternehmenswerten, die über dem Börsenwert lagen. Durch den Wechsel vom IDW S 1 2000 zu IDW S 1 2005 sind die Unterneh- 1277 menswerte erheblich gesunken,1476) die nach IDW S 1 2005 ermittelten Unternehmenswerte liegen teils unterhalb des relevanten Durchschnitts-Börsenkurses. Der Börsenwert als Mindestwert kommt damit häufiger zum Tragen. Mit dem IDW S 1 2008 haben sich – im Hinblick auf den Effekt durch die Abgeltungsteuer – die Unternehmenswerte tendenziell wieder erhöht.1477) Bislang ungeklärt ist, ob Bewertungen nach IDW S 1 2005, ggfs. auch IDW S 1278 1 2008, „typischerweise“ Börsenkursniveau erreichen. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre der IDW-Standard zu hinterfragen, jedenfalls die Höhe einzelner Parameter. Eine Bewertungsmethode, die strukturell nicht das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Mindestniveau des Börsenwertes erreicht, führt nicht zu einer angemessenen Abfindung. Vor diesem Hintergrund überzeugt es nicht, IDW-Standards ungeprüft anwenden zu wollen, nur weil ein Standard als „gebräuchlich und anerkannt“ angesehen wird.1478) G. Stellungnahme „Der Marktpreis einer einzelnen Aktie…mag nicht den angemessenen Preis des Ganzen spiegeln. Deshalb ist der Marktpreis einer Aktie nicht der einzige Maßstab für den angemessenen Preis des Ganzen.“1479)

1279

Der Markt und damit der Börsenkurs entlassen uns nicht aus der Unsicher- 1280 heit der Unternehmensbewertung. Im Allgemeinen geht es nicht ohne „Innensicht“, sie wird auch dem Gleichheitsanspruch der Aktionäre (§ 53a AktG) eher gerecht. Wer kauft, veräußert oder tauscht schon ein Unternehmen nur aufgrund von Börsenwerten, ohne zu versuchen, „hinter den Vorhang“ zu schauen? Vordergründig kann anhand des Börsenkurses schnell und einfach ein kon- 1281 kreter „Preis“ des Unternehmens berechnet werden. Das macht die Berechnungsmethode attraktiv. Es kann auf eine möglicherweise aufwendige Unternehmensbewertung verzichtet werden. Dies soll ein Grund gewesen sein, die Minderheitsaktionäre bei einem „echten“ Delisting auf Börsenkurse und das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) zu verweisen.1480) ___________ 1476) Vgl. den Vorlagebeschluss OLG Düsseldorf, 28.8.2014, AG 2014, 817 = NZG 2014, 1418; BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424. 1477) Siehe Rn. 1038 ff. 1478) So aber Steinle/Liebert/Katzenstein, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, § 24 Rn. 103, 105, 142. 1479) U. S. Financial Accounting Standard No. 142. 1480) Vgl. Bayer, NZG 2015, 1169.

311

Einundzwanzigster Teil: Börsenwert

Ist das zu bewertende Unternehmen insolvent und sind etwaige Abfindungsansprüche damit faktisch nicht durchsetzbar, mag ggf. eine Orientierung am Börsenkurs anstelle einer Ertragswertberechnung eine Option sein.1481) 1282 Eine Berechnung anhand des Börsenkurses übersieht jedoch, dass Börsenwert und Unternehmenswert keineswegs übereinstimmen müssen und auch häufig nicht werden. Internet-Hype und Finanzkrise haben uns gezeigt, wie weit Börsenwert und wahrer Wert auseinanderfallen können. I. Kurzfristiger Anlagehorizont 1283 Ruthardt/Hachmeister stellen überzeugend dar, dass der Börsenkurs allenfalls den kurzfristigen Anlagehorizont abbilden kann.1482) Auch wenn eine Aktie kurzfristig veräußerbar ist, kann sie gleichwohl Teil einer längerfristigen Anlagestrategie des Minderheitsaktionärs sein. Der Börsenwert kann durch kurzfristige Einflüsse beeinflusst sein, – auch jenseits einer Marktmanipulation – „gepusht“ oder „gedrückt“ sein, spiegelt immer nur die Außensicht eines Unternehmens wieder. Das Bild nach außen kann durch Bilanzansätze gesteuert werden. 1284 Das Aktieneigentum besteht nicht nur aus Börsenkurs- und Dividendenrendite, beinhaltet vielmehr etwa das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung, das Auskunftsrecht (§ 131 AktG) und das Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen (§ 243 AktG).1483) Auch die Teilnahme an Chancen künftiger Entwicklungen gehört dazu; dies beinhaltet auch die Hoffnung eines Unternehmenserwerbs durch Dritte unter Hebung von stillen Reserven und Synergien. II. Börseneffizienz 1285 Die jetzige Linie beruht auf der Annahme, dass der Börsenwert die Informationen über ein Unternehmen bestmöglich widerspiegelt („efficient Capital Market Hypothesis“).1484) Zweifel können indes schon deshalb bestehen, weil nicht der gesamte Aktienhandel über Börsen geschleust wird.1485) 1286 Die These ist aber auch angesichts globaler Märkte und der Komplexität der Bilanzierung offen;1486) die Sicht nach der Finanzkrise 2008 ist eher skeptisch.1487) Börsenwerte sind nicht berechenbar. Die Änderung des Diskont___________ 1481) So OLG Frankfurt, 15.1.16 – 21 W 22/13, BeckRS 2016, 09636, dort stand eine Anpassung der baren Zuzahlung um 0,25 € im Raum. 1482) Ruthardt/Hachmeister, WPg 2016, 411. 1483) Vgl. BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016. 1484) Tonner, in: FS Karsten Schmidt, S. 1581. 1485) Die dunkle Seite des Aktienhandels, FAZ v. 5.2.2011 Nr. 30, S. 19. 1486) Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, AktG, § 305 Rn. 53. 1487) Franken/Schulte/Luksch, BewertungsPraktiker Nr. 1/2012, S. 28, 31; Wasmann, in: FS Beuthien, S. 267; Großfeld, RIW 2010, 504.

312

G. Stellungnahme

satzes um Bruchteile eines Prozentes wandelt das Kursbild von einem Tag auf den anderen: „The size of the bubble, the shape of the bubble is only completely clear in retrospect“.1488) Das deutet auf Tiefenstrukturen einer nicht linearen Mathematik, die uns nicht hinreichend bekannt sind (Noise-Theory, ChaosTheory).1489) Im April 2016 stürzte der Kurs des Außenwerbers Ströer innerhalb eines Ta- 1287 ges um 30 % ab, der Börsenwert reduzierte sich um fast 800 Mio. Euro. Auslöser war die veröffentlichte Analyse eines Finanzinvestors, der zuvor auf den Kursverfall gewettet hatte.1490) Der Kurs brach ein, obwohl zuvor 14 andere Analysten das Unternehmen zum Kauf empfohlen hatten. Wenige Tage später reagierte das Unternehmen hierauf, änderte seine Ertragsewartungen und behauptete nunmehr, dass das EBITDA im laufenden Jahr deutlich höher ausfallen werde.1491) Ähnlich war es zuvor der französischen Lebensmittelkette Casino und dem Zahlungsdienstleister Wirecard ergangen. Derartige Vorfälle beeinflussen den Durchschnittskurs nachhaltig. Die Annahme ist daher fraglich, Marktteilnehmer bewerteten auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten sicher und zutreffend die Ertragskraft eines börsennotierten Unternehmens. In einer globalen Wirtschaft können zudem kulturelle Barrieren einen schnellen 1288 Einblick erschweren. Wirklichkeit braucht „Quellzeit“ um Wahrheit zu werden.1492) Im Allgemeinen ist die Information des Insiders breiter und sicherer als die des Marktes.1493) III. „Effektive Informationsbewertung“

Der Bundesgerichtshof1494) ermöglicht nun, ausschließlich auf Börsenkurse 1289 abzustellen, wenn eine „effektive Informationsbewertung“ der Marktteilnehmer bestehe. Was heißt „effektive Informationsbewertung“? Der Begriff ist dreifach unsicher: „effektiv“, „Information“ und „Bewertung“. Der Markt hat schon nicht alle Informationen, kennt nur die Außensicht. Es bleiben Unsicherheiten, wie die zugänglichen Daten bewertet werden sollen, wie der Ströer-Fall1495) verdeutlicht hat. Was meint „effektiv“? Minderheitsaktionären fehlt die Innensicht. Wie weit Innen- und Außensicht 1290 auseinanderfallen können, hat das HRE-Verfahren gezeigt.1496) Das Bundes___________ 1488) Malkiel, Malkiel unleashed: the full interview with Burton Malkiel, June 20, 2003. 1489) Cunningham, 62 George Washington L. Rev. 546 (1994). 1490) „Zweifelhafte Studie löst Kurssturz der Ströer-Aktie aus“, FAZ v. 22.4.2016, S. 27. 1491) „Ströer hebt Prognose an“, FAZ v. 29.4.2016, S. 26. 1492) Hüffer/Schmidt-Assmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, S. 152; Bonus, in: Backhaus/Bonus, S. 41. 1493) Hüffer/Schmidt-Assmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, S. 63. 1494) BGH, 12.1.2016, AG 2016, 359 = NZG 2016. 1495) „Zweifelhafte Studie löst Kurssturz der Ströer-Aktie aus“, FAZ v. 22.4.2016, S. 27. 1496) OLG München, Musterentscheid v. 15.12.2014 – Kap 3/10.

313

Einundzwanzigster Teil: Börsenwert

verfassungsgericht hatte bereits in der DAT/Altana-Entscheidung darauf hingewiesen, dass Kleinaktionäre „regelmäßig nicht über alle relevanten Informationen verfügen“.1497) 1291 Für Minderheitsaktionäre wird es häufig nur schwer möglich sein, eine fehlende „effektive Informationsbewertung“ im Spruchverfahren substantiiert vorzutragen und nachzuweisen. Unregelmäßigkeiten und eine fehlende „effektive Informationsbewertung“ können sich „von außen“ allenfalls aus der nachträglichen, späteren Beobachtung der Börsenkursentwicklung oder öffentlich bekannt gewordenen Umständen ergeben. Bei der Einleitung des Spruchverfahrens liegt allenfalls ein nur eingeschränktes Bild der Kursentwicklung vor. Der Minderheitsaktionär muss aber bereits dann, innerhalb der Antragsfrist, konkrete Einwendungen vorbringen (§§ 4 Abs. 2 Nr. 4, 7 Abs. 4 SpruchG). Andernfalls muss er damit rechnen, mit solchen Einwendungen ausgeschlossen zu werden (§ 10 SpruchG). 1292 Erhält ein Gutachter hingegen Einblicke und Planungsunterlagen, die der Markt u. U. nicht hat, gleicht er dieses strukturelle Informationsdefizit aus. Der Gutachter erlangt auch eine längerfristige Sicht, wie sie hier notwendig ist. Er kann sich „von Angesicht zu Angesicht“ ein Bild von der Qualität des Managements verschaffen. IV. Zeichenwirkung 1293 Börsenkurse sind beeinflusst durch Zeichensysteme mit einer eigenständigen Dynamik;1498) sie mögen evtl. die Wirklichkeit „unwirklich“ darstellen. Angesichts der Finanzkrise 2008 mit dem Fall Lehman Brothers1499) und der Problematik von Zweckgesellschaften1500) muss dies nicht weiter vertieft werden. V. Ergebnis 1294 Der Börsenwert ist heranzuziehen, um die Plausibilität des Zukunftserfolgswerts zu beurteilen. Er ersetzt aber unseres Erachtens nicht grundsätzlich eine Unternehmensbewertung. 1295 Die Hinwendung zur Börse ist hilfreich und wichtig, trägt bei zum „Bild“ (vgl. § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB) des Unternehmens; sie führt aber nicht zwingend zum Normwert. Es ist schwer zu sagen, welche Bewertungsmethode allgemein „sicherer“ ist; Innensicht und Außensicht können sich ergänzen. Beachten wir dieses Verhältnis nicht, kann das zu Fehlern führen.

___________ 1497) BVerfG, 26.4.2011, AG 2011, 511 = NZG 2011, 869; vgl. auch BVerfG, 16.5.2012, AG 2012, 625 = NZG 2012, 907. 1498) Vgl. Bunz, Das Denken und die Digitalisierung, FAZ v. 22.1.2011 Nr. 18, S. 1. 1499) Großfeld, RIW 2010, 504. 1500) Schruff, Der Konzern 2009, 511.

314

Zweiundzwanzigster Teil Liquidationswert A. Allgemeines

Der Liquidationswert ist der Barwert der Nettoerlöse aus dem Verkauf aller 1296 Gegenstände des Unternehmens, wenn also Vorräte, Maschinen, Patente, Marken, Gebäude oder Grundstücke veräußert werden.1501) Das Zusammenwirken der Gegenstände wird nicht beachtet: Der Liquidationswert ist die Summe der Einzelveräußerungspreise. Nach Abzug der Schulden, der Liquidationskosten und evtl. anfallender Ertragsteuern ergibt sich dann der Liquidationsnettowert. Zu den Kosten zählt auch der Sozialplan nach § 112 BetrVerfG. Ansprüche auf Steuererstattung erhöhen den Wert. Der Grundsatz der Bewertungseinheit gilt hier nicht. Wir fingieren eine Ab- 1297 wicklung, daher ist grundsätzlich maßgeblich der Wert am Absatzmarkt. Er hängt davon ab, ob mehrere Gegenstände als Einheit veräußert werden oder nicht (Zerschlagungsintensität) und wie schnell liquidiert wird (Zerschlagungsgeschwindigkeit).1502) Tochterunternehmen kann man oft als Einheit ansehen. Falls die Liquidationserlöse erst in Zukunft anfallen, sind sie abzuzinsen auf den Bewertungsstichtag.1503) Ein vorübergehender Preisanstieg oder Preisrückgang am Stichtag ist unbe- 1298 achtlich: „Denn ein vorübergehender Preisrückgang ist bei einem Vermögensgegenstand, der nicht zum Verkauf ansteht, auf den ‚wirklichen‘ Wert ohne Einfluss.“1504)

Der Liquidationswert ist nicht der Substanzwert (Teilrekonstruktionswert). 1299 Der Substanzwert ist für die Unternehmensbewertung nicht erheblich.1505) B. Untergrenze

Der Liquidationswert ist die untere Grenze des Unternehmenswertes; es sei 1300 denn, dass das Unternehmen fortgeführt werden muss.1506) Bei börsennotierten Unternehmen wird er verdrängt durch einen höheren Börsenwert als Mindestwert.

___________ 1501) Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 140 f.; vgl. Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736. 1502) OLG Stuttgart, 19.3.2008, AG 2008, 510 = ZIP 2008, 2020. 1503) IDW S 1 2008 Tz. 141. 1504) BGH, 23.10.1985, BB 1986, 91 = NJW-RR 1986, 226. 1505) IDW S 1 2008 Tz. 171. 1506) OLG Düsseldorf, 10.6.2009, AG 2009, 907 = Der Konzern 2010, 132; OLG Düsseldorf, 28.1.2009, AG 2009, 667; Übersicht bei Vargas/Theusinger/Zollner, AG 2014, 42; Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736; siehe auch Wagner, WPg 2016, 862.

315

Zweiundzwanzigster Teil: Liquidationswert

1301 Besteht eine Pflicht zur Liquidation,1507) ist eine solche fest beschlossen oder wird kein operatives Geschäft mehr betrieben, ist der Liquidationswert anzusetzen.1508) 1302 Umstritten ist hingegen, wie zu bewerten ist, wenn bei ertragsschwachen oder defizitären Unternehmen eine Fortführung beabsichtigt ist.1509) Die Rechtsprechung geht hier differenziert vor. Der Liquidationswert ist nicht ausnahmslos die Untergrenze. Vielmehr müsse ein Wille zur Liquidation und kein tatsächlicher oder rechtlicher Zwang zur Fortführung bestehen, z. B. bei einem Unternehmen des Personennahverkehrs.1510) Der Aktionär müsse die Geschäftspolitik hinnehmen, ist nur so zu entschädigen, wie er ohne die Strukturmaßnahme stünde.1511) 1303 Ähnlich entschied das OLG Stuttgart:1512) Ein über dem Ertragswert liegender Liquidationswert sei nur dann zu berücksichtigen, wenn zum Bewertungsstichtag entweder die Absicht bestanden hätte, die Anteile zu verkaufen, oder die fehlende Entscheidung, einen Verkauf vorzunehmen, unvertretbar sei. Eine Pflicht zum Verkauf der Anteile komme etwa in Betracht, wenn dies finanziell notwendig sei. Bestehe hingegen eine positive Ertragsprognose, sei im Regelfall die Haltung des Unternehmens, die Anteile nicht zu verkaufen, nicht als unvertretbar anzusehen. 1304 Vargas/Theusinger/Zollner differenzieren nachvollziehbar zwischen Liquidationsmöglichkeit, Liquidationsabsicht und Unvertretbarkeit der Fortführungsabsicht.1513) Die Möglichkeit der Liquidation kann aus Rechtsgründen ausscheiden aufgrund von testamentarischen Auflagen, öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, steuerrechtlichen Fristen oder möglichen Haftungsansprüchen gegen die Organe der Aktiengesellschaft. Faktische Zwänge, etwa öffentlicher Druck, wie der Erhalt von Arbeitsplätzen, kann insbesondere bei Unternehmen der Daseinsvorsorge eine Liquidation von vornherein ausschließen. Die (fehlende) Liquidationsabsicht der Geschäftsleitung ist – wie auch sonst die Planung – von den Aktionären im Grundsatz hinzunehmen. Eine Grenze wird jedoch dann überschritten, wenn die Fortführung unvertretbar ist.

___________ 1507) OLG Düsseldorf, 22.1.1999, AG 1999, 321. 1508) Zum Streitstand siehe Vargas/Theusinger/Zollner, AG 2014, 42; Fleischer/Schneider, DStR 2013, 1736. 1509) Vgl. zum Streitstand Vargas/Theusinger/Zollner, AG 2014, 42. 1510) OLG Düsseldorf, 28.1.2009, AG 2009, 667; OLG Düsseldorf, 29.7.2009 – I-26 W 1/08; vgl. auch IDW S 1 2008 Tz. 140. 1511) OLG Frankfurt, 7.6.2011, Der Konzern 2011, 497 = NZG 2011, 990; OLG Düsseldorf, 20.11.2001, AG 2002, 398 = DB 2002, 781. 1512) OLG Stuttgart, 14.10.2010, AG 2011, 49 („Daimler/Chrysler“). 1513) Vargas/Theusinger/Zollner, AG 2014, 42.

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C. Einzelheiten

C. Einzelheiten

Bei Grundstücken werden im Allgemeinen herangezogen die städtischen 1305 Bodenrichtwerte.1514) Für immaterielle Vermögenswerte ist zu beachten der IDW Standard: Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte (IDW S 5).1515) Die Kosten der Liquidation sind abzusetzen und die steuerlichen Folgen für 1306 das Unternehmen zu beachten (z. B. Ertragsteuern auf den Veräußerungsgewinn).1516) Die Berücksichtigung der persönlichen Steuern hängt ab von der Verwendungsabsicht (Thesaurierung oder Ausschüttung).1517) Falls nicht sofort liquidiert werden kann, ist ein Liquidationsplan für einen 1307 angemessenen Zeitraum zu machen. Der Liquidationserlös abzüglich Kosten ist dann abzuzinsen auf den Bewertungsstichtag.1518)

___________ 1514) OLG Stuttgart, 14.2.2008, AG 2008, 783 = ZIP 2008, 883. 1515) FN-IDW 7/2011, 467, FN-IDW 8/2015, 447. 1516) IDW S 1 2008 Tz. 140; zum Ganzen siehe Walther, BewertungsPraktiker Nr. 1/2010, S. 14. 1517) Vgl. IDW S 1 2008 Rn. 61. 1518) IDW S 1 2008 Tz. 61.

317

Dreiundzwanzigster Teil Besonderheiten einzelner Unternehmen Grundsätzlich ermitteln wir den Wert unabhängig von Art und Größe des 1308 Unternehmens. Stets suchen wir nach der Fähigkeit, entziehbare finanzielle Überschüsse zu erzielen. Es können aber Besonderheiten zu beachten sein. A. Junge Unternehmen

Da heute alle gängigen Verfahren der Unternehmensbewertung zukunftsge- 1309 richtet sind, sollte auf den ersten Blick die Bewertung junger, noch nicht lange auf dem Markt befindlicher Unternehmen keine Schwierigkeiten aufwerfen. Tatsächlich stoßen wir jedoch auf Probleme und Besonderheiten, die die Bewertung erschweren mögen:1519) x

Die relativ kurze rechtliche und wirtschaftliche Existenz eines jungen Unternehmens geht in der Regel einher mit noch nicht gefestigten Strukturen. Rechnungswesen und Unternehmensplanung entsprechen häufig nur den gesetzlich vorgesehenen Mindestanforderungen. Damit sind die für die Bewertung erforderlichen Unterlagen möglicherweise nicht oder nicht in der erforderlichen Güte vorhanden.

x

Daten der Vergangenheit sind (soweit überhaupt vorhanden) für die Zukunft nur eingeschränkt aussagefähig. Die Vergangenheit mag von hohen Kosten der in Gangsetzung und des Aufbaus des Unternehmens geprägt gewesen sein, die so künftig nicht mehr anfallen. Da das Unternehmen ein Mindestmaß von Organisationen vorhalten muss, mag die Organisation gemessen am operativen Geschäft überdimensioniert erscheinen. Folge ist, dass in der Vergangenheit zumeist Verluste hinzunehmen waren und die Gewinnzone erst in Zukunft erreicht werden soll.

x

Die Prognose der zukünftigen Entwicklung ist mit hohen Unsicherheiten behaftet. Das Unternehmen mag in einer jungen Branche tätig sein, die von hoher Wettbewerbsintensität geprägt ist. Es ist unsicher, ob sich die von dem Unternehmen angebotenen Produkte und Dienstleistungen am Markt und ggf. gegenüber etablierten Mitbewerbern durchsetzen werden. Die Produktpalette und die bearbeiteten Märkte sind begrenzt, sodass ein Risikoausgleich nicht oder nur schwer möglich ist.

x

Die (Expansions-)Strategie wird von wenigen Köpfen („Gründern“) getragen. Sie erfordert häufig hohen externen Finanzmittelbedarf.

Die Strategie des Unternehmens ist noch nicht endgültig fixiert. Das Unternehmen ist noch flexibel genug, um auf Änderungen des Marktes mit eigenen Strategiewechseln zu reagieren. Längerfristige Unternehmensplanungen werden daher nicht erstellt oder sind mit hohen Unsicherheiten behaftet. ___________

x

1519) Hayn, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 964.

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Dreiundzwanzigster Teil: Besonderheiten bei Unternehmen

1310 Diesen – und weiteren – Faktoren müssen wir bei der Unternehmensbewertung Rechnung tragen. Es wird daher vorgeschlagen, eine Unternehmensplanung für verschiedene mögliche Szenarien vorzunehmen und dabei zu untersuchen, wie diese Szenarien auf die einzelnen Werttreiber des Unternehmens wirken.1520) Üblicherweise werden ein „best case“, ein „worst case“ und ein „normal case“ geplant. Soweit gewünscht, können diese Szenarien dann mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten zu einer einzigen Planung zusammengefasst werden. 1311 Die Praxis setzt in Fällen, in denen die Bewertung zum Zweck eines Börsengangs erfolgt („initial public offering“ – IPO) häufig auch Multiplikatorverfahren ein, bei denen das Unternehmen mit anderen, bereits notierten Unternehmen verglichen wird. 1312 Die Rechtsprechung wählt den Weg eines höheren Risikozuschlags. Das OLG München nahm einen Zuschlag von 1,5 % vor.1521) Wir müssen dabei aber berücksichtigen, ob nicht z. B. aufgrund der Branche ohnehin schon eine hohe Marktrisikoprämie angesetzt wurde oder ob wegen bestehender Unsicherheiten ein besonders vorsichtiges Szenario geplant wurde. Eine doppelte Berücksichtigung von Risiken muss vermieden werden. B. Wachstumsstarke Unternehmen 1313 Solche Unternehmen sind häufig geprägt durch Produkt- und Leistungsinnovation, durch hohe Investitionen und Vorleistungen in den Ausbau, durch wachsenden Kapitalbedarf und schnell steigende Umsätze.1522) Die Vergangenheit zählt bei ihnen wenig, gibt nicht genug her für Prognose und Plausibilität; die Börsenwerte bieten wegen zum Teil hoher Schwankungen kaum Anhaltspunkte. Das mahnt zur Sorgfalt bei der Prognose und bei der Finanzierbarkeit. Auch Risikoprämie und Wachstumsabschlag sind darauf zuzuschneiden. 1314 Besonderes Augenmerk richten wir auf die Frage, wie lange das Wachstum in der Zukunft trägt. Es kann deswegen sachgerecht sein, die Detailplanungsphase weiter als die üblichen 3 – 5 Jahre auszudehnen oder eine grobe geplante Zwischenphase vor der Phase der „ewigen Rente“ zu planen. Damit können wir den Wachstumsimpuls mit seinen Abhängigkeiten insbesondere von Finanzierungsanforderungen transparent offenlegen.

___________ 1520) Hayn, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 981 ff. 1521) OLG München, 14.7.2009, ZIP 2009, 2339 = WM 2009, 1848. 1522) IDW S 1 2008 Tz. 148.

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C. Ertragsschwache Unternehmen/Bewertung in der Krise

C. Ertragsschwache Unternehmen/Bewertung in der Krise

Das IDW definiert Unternehmen als ertragsschwach, deren Kapitalrendite 1315 nachhaltig unter dem Kapitalisierungszinssatz liegt.1523) Investitionstheoretisch bedeutet dies, dass es sich für einen Investor eher lohnt, in das „Marktportfolio“ zu investieren statt in das zu bewertende Unternehmen. Eine unmittelbare Gefährdung des Unternehmens ist hiermit allerdings noch nicht verbunden; diese tritt erst dann ein, wenn die künftigen Einzahlungsüberschüsse aus der operativen Tätigkeit nicht mehr ausreichen, die Wettbewerbsfähigkeit sichernde Investitionen und die Rückzahlung bestehender Finanzierungen zu gewährleisten.1524) In solchen Fällen kann der Liquidationswert eine Rolle spielen, der grund- 1316 sätzlich die Untergrenze des Unternehmenswerts bildet. Hier kommt es darauf an, welche finanziellen Zuflüsse das Unternehmen aus der Liquidation erzielen kann. Abzuwägen ist zwischen einer schnellen Liquidation, bei der möglicherweise Abschläge auf die zu realisierenden Veräußerungserlöse zu erwarten sind, und einer auf einen längeren Zeitraum angelegten Verwertung unter bestmöglicher Nutzung der Marktchancen, die möglicherweise auch eine begrenzte weitere Fortführung des Unternehmens einschließt.1525) Dem Liquidationskonzept kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Bejaht man eine Fortführung, so ist deren Gestaltung bedeutsam. Es zählen 1317 nur am Stichtag bereits eingeleitete oder hinreichend konkretisierte Maßnahmen; sie sind zu prüfen auf ihre Plausibilität und Realisierbarkeit hin. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Fortführung des Unternehmens von Entscheidungen Dritter abhängt, die nicht sicher eingeschätzt werden können.1526) Alles andere ist „nuda spes“. Ertragsschwäche und drohende Insolvenz können sich in mehrerlei Hinsicht 1318 auf den Wert eines Unternehmens auswirken. So ist im Rahmen der Zukunftsprognose besonderes Augenmerk auf die Tax-Shields zu legen, welche zum einen positive Effekte aufgrund von höheren Nominalzinsforderungen von Fremdkapitalgebern und einer damit einhergehenden höheren Steuerersparnis aufweisen und zum anderen einen negativen Effekt aufgrund von im Insolvenzfall nicht vollständig nutzbarer Tax-Shields.1527) Wir berücksichtigen auch, dass aufgrund einer Unternehmenskrise neben den 1319 direkten auch sog. „indirekte Insolvenzkosten“ entstehen können, wie z. B.

___________ 1523) IDW S 1 2008 Tz. 149. 1524) Leuner/Hattenbach, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1284. 1525) Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 11 Rn. 11. 1526) Vgl. IDW S 6 „Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten“ Tz. 135 ff. 1527) Meitner/Streitferdt, Corporate Finance 2016, 68, 74.

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Dreiundzwanzigster Teil: Besonderheiten bei Unternehmen

Umsatzrückgänge in Folge von Kundenverunsicherung, Einräumung kürzerer Zahlungsziele durch Lieferanten oder Verschärfung von Finanzierungsbedingungen.1528) 1320 Auch in diesen Fällen dehnen wir den Detailplanungszeitraum aus, um für die Planung der „ewigen Rente“ einen eingeschwungenen Zustand zu erreichen, der sich normalerweise erst nach Beseitigung der Ertragsschwäche bzw. der Krise einstellt, wenn eingeleitete Sanierungsmaßnahmen greifen. 1321 Im Bewertungskalkül sind zudem mögliche Auswirkungen negativer Auszahlungs- bzw. Ausgabenüberschüsse auf den Kapitalisierungszinssatz zu beachten. Der Risikozuschlag muss sich in diesem Fall umkehren in Risikoabschlag vom risikolosen Zinssatz. D. Kleine und mittelgroße Unternehmen „A small business is not a little big business”/“A small company is a little big business”.1529)

1322

I. Überblick 1323 Der Begriff des „kleinen und mittleren Unternehmens“ (KMU) ist in aller Munde; der Mittelstand soll das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sein. Umso erstaunlicher ist es, dass KMU als die „Stiefkinder der Bewertungslehre“1530) gelten. Der Begriff des KMU ist nirgendwo definiert. Auch wir haben keine allgemeingültige Definition, sondern wollen hier über Unternehmen reden, die gegenüber den „großen Aktiengesellschaften“ Besonderheiten aufweisen, die im Rahmen einer Bewertung zu berücksichtigen sind. 1324 Die Bewertungspraxis geht davon aus, dass Bewertung von KMU nach den allgemeinen Grundsätzen erfolgen kann und dass nur in einzelnen Aspekten Anpassungen erforderlich sind, um dem Charakter der KMU gerecht zu werden.1531) Der IDW S 1 2008 selber widmet den KMU allerdings lediglich drei Textziffern. Weitergehend sind schon die vom IDW im Jahre 2012 herausgegebenen „Fragen und Antworten“1532), die sich vor dem Hintergrund des IDW S 1 mit der Umsetzung einzelner Vorgaben des Standards bei der Bewertung von KMU beschäftigen. Sie wurden im Jahre 2014 abgelöst durch einen „Praxishinweis: Besonderheiten bei der Ermittlung eines Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen“.1533) Die betriebswirtschaftliche

___________ 1528) Wieland-Blöse, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 11 Rn. 15. 1529) Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung, S. 1. 1530) Popp, WPG 2008, 935, 944; Ihlau/Duscha/Gödecke, Besonderheiten bei der Bewertung von KMU, S. 32. 1531) IDW S 1 2008 Tz. 155. 1532) IDW, FN-IDW 5/2012, 323. 1533) IDW Praxishinweis 1/2014, dazu Ballwiser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/ Popp/Siebler, WPg 2014, 463.

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D. Kleine und mittelgroße Unternehmen

Fachliteratur bettet Fragen der Bewertung von KMU häufig in den größeren Zusammenhang der Bewertung von Personengesellschaften ein,1534) die – insbesondere in der Rechtsform der GmbH & Co KG – die wesentlichen Besonderheiten der KMU auf sich vereinigen. KMU sind jedoch in allen Rechtsformen zu finden. II. Besonderheiten der Bewertung

Folgende Besonderheiten werden hervorgehoben, die bei der Bewertung von 1325 KMU zu beachten sind:1535) 1. Informationen

Die Unternehmensbewertung basiert auf einer integrierten Planungsrechnung, 1326 die die Ertrags-, Bilanz- und Finanzplanung miteinander kombiniert und verknüpft. Eine solche Planung ist bei KMU häufig nicht vorhanden, da viele Unternehmer ihre Planung „im Kopf“ haben. Bestenfalls kann die Unternehmensführung allgemeine Erwartungen über die künftige Entwicklung äußern, die dann von dem Bewerter in eine Planung „übersetzt“ werden müssen.1536) 2. Personalstruktur

KMU zeichnen sich häufig durch eine enge Verknüpfung von Management 1327 und Unternehmenseigentum aus („Gesellschafter-Geschäftsführer“). Das kann dazu führen, dass der Geschäftsführer kein „marktübliches“ Gehalt bezieht, weil er ja (auch) durch die Gewinnbeteiligung an dem Unternehmenserfolg partizipiert. Wir prüfen dann, ob bei der Planung Anpassungen vorgenommen werden müssen. Umgekehrt beurteilen wir auch, ob in dem Unternehmen mitarbeitende Familienangehörige tätig sind, die lediglich Gefälligkeitslöhne beziehen. Häufig scheidet auch der Gesellschafter-Geschäftsführer bei einem Verkauf des Unternehmens aus der Gesellschaft aus und muss – samt des mit ihm „gehenden“ Know-how – ersetzt werden. Zu beachten ist auch die oft langjährige Verbundenheit leitender Mitarbeiter 1328 mit dem Unternehmen oder dem Eigentümer. Das kann dazu führen, dass bei einem Eigentümerwechsel auch wichtige Mitarbeiter aus dem Unternehmen ausscheiden. 3. Risikoaspekte

Als Risiken würdigen wir zunächst, dass KMU häufig auf eng begrenzten 1329 Märkten tätig sind und nicht die gleichen Möglichkeiten der Markt- und ___________ 1534) Beispielsweise Franken/Koelen, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1007 ff. 1535) Zum Ganzen siehe Hachmeister/Ruthardt, DStR 2014, 1299. 1536) Ballwieser/Franken/Ihlau/Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler, WPg 2014, 463, 466.

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Dreiundzwanzigster Teil: Besonderheiten bei Unternehmen

Produktdifferenzierung wie Großunternehmen haben. Das gleiche gilt für die Abhängigkeit von Geldgebern (Banken), Kunden und Lieferanten. Unzureichende Forschung und Entwicklung können ebenfalls zu einer langfristigen Gefährdung des Unternehmens führen. 1330 Wesentlich ist aber der Aspekt der „übertragbaren Ertragskraft“.1537) Während der IDW S 1 davon ausgeht, dass das bisherige Management im Unternehmen verbleibt, muss hier umgekehrt damit gerechnet werden, dass die Ertragskraft in besonderem Maße vom Eigentümer des Unternehmens abhängt, sei es der „Tüftler und Entwickler“, der Träger der hauptsächlichen Kundenbeziehungen oder der Inhaber der freiberuflichen Praxis. 1331 Wir prüfen daher, ob die bisherige Ertragskraft des Unternehmens ohne Weiteres übertragen werden kann, wenn der Inhaber ausscheidet. Ist dies nicht der Fall, ist zunächst zu prüfen, ob das verlorengehende „Know-how“ anderweitig zugekauft werden kann. Wir planen dann die entsprechenden Kosten. Falls ein Ersatz nicht beschafft werden kann, müssen die künftigen, auf dieser Ertragskraft beruhenden Überschüsse über einen bestimmten Zeitraum „abgeschmolzen“ werden. Das kann dazu führen, dass die Prämisse der „ewigen Rente“ aufgegeben werden muss und dem Unternehmen nur eine begrenzte Lebensdauer (mit anschließender Liquidation) zugemessen werden kann. Ein solcher Fall kann auch dann eintreten, wenn der bisherige Eigentümer das Unternehmen nur noch für eine begrenzte Zeit weiterführen will, ein Ersatz nicht zur Verfügung steht und ein Verkauf nicht möglich ist.1538) 1332 Der Abschmelzungszeitraum hängt von den Verhältnissen des Unternehmens und ggf. auch der Branche ab. Indikatoren können sein Vertragslaufzeiten und erwartete Vertragsverlängerungen, Produktlebenszyklen, voraussichtliche Handlungen von Wettbewerbern und (potentiellen) Konkurrenten, Abhängigkeit von Kunden und Lieferanten (wirtschaftlich, rechtlich, technisch).1539) 4. Vermögensabgrenzung 1333 Wichtig ist auch die genaue Abgrenzung des betriebsnotwendigen Vermögens. Oftmals gehören für den Fortbestand des Unternehmens wesentliche Vermögensgegenstände nicht der rechtlichen Einheit, sondern dem Eigentümer des Unternehmens oder einer Drittgesellschaft, auf die der Eigentümer Einfluss hat. Zu denken ist etwa an wesentliche Produktionsmaschinen oder „klassisch“ an das betrieblich genutzte Grundstück. Weniger auffällig sind etwa Patente, die auf die Person des Eigentümers angemeldet sind und die er bisher – oft unentgeltlich – dem Unternehmen überlassen hat. Dies alles kann sich ändern. Wir achten daher darauf, dass für diese wesentlichen immateriellen und materiellen Vermögensgegenstände rechtlich bestandssichere ___________ 1537) IDW Praxishinweis 1/2014 Tz. 22 ff. 1538) IDW Praxishinweis 1/2014 Tz. 37. 1539) Fleischer, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 22 Rn. 7.

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E. Vorgesellschaften

(langfristige) Überlassungsverpflichtungen vorhanden und die hierfür entstehenden Kosten in der Planung der zukünftigen Überschüsse berücksichtigt sind. III. Kapitalisierung

Die Nutzung des CAPM als ein Faktor der Bewertung ist schwierig, weil 1334 diese Unternehmen zumeist nicht börsennotiert sind.1540) Da es dann keinen eigenen Betafaktor gibt, muss der ggf. über eine Vergleichsgruppe ermittelt werden. Aber wie sicher sind die Vergleichswerte?1541) Wird die Unternehmensgröße beim Vergleich berücksichtigt? Mechanisch geht das jedenfalls nicht. Die fehlende Börsennotierung und damit die geringere Liquidität mag zu Wertabschlägen führen. Doch ist das kaum zuverlässig zu ermitteln: Die Immobilität entzieht sich derzeit noch einer objektivierten Quantifizierung.1542) Eine Verwendung des „total Beta“ ist umstritten;1543) für seine Anwendung wäre auch erforderlich, dass KMU quantitativ klassifiziert werden können. Wir haben jedoch gesehen, dass gerade dies nicht der Fall ist. Vielmehr soll die Unternehmensgröße irrelevant für die Bewertung sein; sie rechtfertige keinen Abschlag und keinen Zuschlag1544) (keine „Size-Prämie“).1545) In Betracht kommt ein ratingabhängiger Risikozuschlag.1546) E. Vorgesellschaften

Für die Vorbelastungsbilanz bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung 1335 wird das Unternehmen nach den allgemeinen Regeln im Ganzen bewertet, wenn es „bereits ausnahmsweise zu einer Organisationseinheit geführt hat, die als Unternehmen anzusehen ist“; dafür muss es den „Markttest“ bestanden haben.1547) Sonst bleibt es bei der Einzelbewertung der Vermögensgegenstände gemäß deren Substanzwert1548) abzüglich des Gründungsaufwands: Gezeigt wird damit das Maß der Ausgaben, die der späteren GmbH erspart bleiben.1549) Das soll auch gelten, wenn die Vorgesellschaft sich als „Start-up-Unternehmen“ 1336 bezeichnet. Dann könne man „nur in engen Ausnahmefällen“ eine „strukturierte Organisationseinheit“ annehmen.1550) ___________ 1540) Knoll, Österr. Zeitschr. f. Recht und Rechnungswesen 2010, 365. 1541) Purtscher, in: FS Mandl, S. 509. 1542) Franken/Koelen, in: Praxishandbuch Unternehmensbewertung, S. 1024. 1543) Siehe Rn. 889 ff. 1544) Schulz, Größenabhängige Risikoanpassungen in der Unternehmensbewertung. 1545) Baetge/Schulz/Klönne; in: FS Mandl, S. 47. 1546) Gleißner/Knoll, BB 2011, 2283. 1547) BGH, 16.1.2006, BGHZ 165, 391 = NZG 2006, 390. 1548) Siehe Rn. 1343 ff. 1549) Ausführlich dazu LG Hamburg, 6.7.2007, BeckRS 2007, 11559 („Hamburger Hochbahn“). 1550) BGH, 16.1.2006, BGHZ 165, 391 = NZG 2006, 390; kritisch dazu Luttermann/Lingl, NZG 2006, 454.

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Dreiundzwanzigster Teil: Besonderheiten bei Unternehmen

F. Öffentliche Unternehmen 1337 Öffentliche Unternehmen sind allgemein solche, „die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen oder die von ihr verwaltet oder betrieben werden“ (§ 185 Abs. 1 GWB). Hierbei kann es sich um normale, gewinnorientiert tätige Wirtschaftsunternehmen handeln oder aber auch um sog. „Non-Profit-Unternehmen“, zumeist gemeinnützige Unternehmen. Sie dienen vor allem der öffentlichen Daseinsvorsorge (Wohnung, Stadtentwicklung, Verkehr) oder karikativen Zwecken (z. B. Krankenhäuser).1551) 1338 In Einzelfällen schreibt der Gesetzgeber generell oder für spezielle Anwendungsfälle ein bestimmtes Verfahren für die Bewertung öffentlicher Unternehmen vor. Ist ein solches spezielles Verfahren nicht vorgesehen, kommt es für die Bewertung auf die Perspektive des Bewertenden an.1552) Ein Unternehmer wird z. B. in Privatisierungsfällen auf den Ertragswert des Unternehmens blicken. Das gleiche gilt für Fälle, in denen private (Mit-)Eigentümer eines öffentlichen Unternehmens betroffen sind.1553) 1339 Für die öffentliche Hand selbst ist nicht der Zukunftserfolgswert, sondern der Rekonstruktionswert aus der Sicht des Betreibers maßgeblich: Was würde es kosten, wenn man die Basis der „guten Werke“ (materielle und immaterielle Vermögenswerte) am Stichtag erstellte?1554) Das ist schon deshalb „weich“, weil es einen „Markt“ für „gute Werke“ gibt, die miteinander konkurrieren; oft geht es um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Lässt sich die Leistung mit einer billigeren Struktur erreichen, so ist der Rekonstruktionswert niedriger. Stets hinzuzufügen ist der Liquidationswert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens. G. Freiberufliche Praxen 1340 Freiberufliche Praxen (z. B. Rechtsanwalt, Steuerberater oder Arzt) sind „in besonderem Maße an die Person des Inhabers gebunden und hängen vorrangig von dessen fachlichen Fähigkeiten und dessen Persönlichkeit ab“.1555) Die Finanzverwaltung formuliert das so:1556) „Im Gegensatz zu gewerblichen Unternehmen bleibt der Geschäftswert nicht für längere Zeit unabhängig vom Inhaber bestehen. Somit sind sonst übliche Bewertungsverfahren, wie z. B. das Ertragswertverfahren nur in modifizierter Form anzuwenden. Denn der Erwerber erhält in erster Linie die Chance, persönliche Beziehungen zu den Mandanten bzw. Patienten des Vorgängers aufzubauen. Dies muss in der Bewertung berücksichtigt werden.“

___________ 1551) Teichmann, in: Branchenorientierte Unternehmensbewertung, S. 385. 1552) Franken/Schulte/Brunner, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1042. 1553) LG Dortmund, 16.7.2007, Der Konzern 2008, 241. 1554) IDW S 1 2008 Tz. 170 – 172; Coenenberg/Schultze/Wahl, in: FS Mandl, S. 107. 1555) BGH, 6.2.2008, BGHZ 175, 207 = NJW 2008, 1221. 1556) Bayr. Staatsministerium der Finanzen, 4.1.2013, BeckVerw 13, 267920.

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G. Freiberufliche Praxen

Die Standesorganisationen haben teilweise Empfehlungen zur Bewertung he- 1341 rausgegeben. Diese beruhen durchgängig auf Umsatzmultiplikatoren, die i. d. R. zwischen 0,8 und 1,2-fachen des nachhaltigen Umsatzes liegen.1557) Damit wird zwar die Kostenstruktur der jeweiligen Praxis ausgeblendet, dies erscheint jedoch angesichts der starken Konzentration auf den Inhaber und die damit ohnehin bestehende Unsicherheit hinnehmbar. Es wird auch wohl auch angenommen, dass der Erwerber einer solchen Praxis in der Lage sein wird, die Kostenstruktur entsprechend seinen Vorstellungen anzupassen. Dies mag in Einzelfällen anders sein; hierauf ist dann zu achten. Der Bundesgerichtshof hat in einem jüngeren Fall „berufsständische“ Um- 1342 satzmultiplikatoren verworfen und dem Ertragswertverfahren den Vorrang eingeräumt.1558)

___________ 1557) Spezialliteratur: Lewejohann/Morton/Offermanns/Stein/Wagner, Kauf und Bewertung einer Arztpraxis; Behringer, StuB 2008, 145; Wollny, Unternehmens- und Praxisübertragungen; De Paoli, BB 2009, M 16; Bauer, BewertungsPraktiker Nr. 3/2010, S. 2; Popp, in: Branchenorientierte Unternehmensbewertung, S. 253; Nehm, in: Branchenorientierte Unternehmensbewertung, S. 275. 1558) BGH, 2.2.2011, BGHZ 188, 249 = NZG 2011, 945.

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Vierundzwanzigster Teil Substanzwert Der Substanzwert ist der Gebrauchswert der betrieblichen Substanz. Er ergibt 1343 sich als Rekonstruktions- oder Wiederbeschaffungswert aller materiellen und immateriellen Werte im Unternehmen abzüglich der Schulden (Nettosubstanzwert).1559) Er drückt die Ausgaben aus, die man dadurch erspart, dass man das Unternehmen nicht neu aufbauen muss. Dem Alter der Substanz trägt man durch Abschläge Rechnung. Da man im Allgemeinen immaterielle Werte nicht erfasst, ergibt sich nur ein Teil-Rekonstruktionswert. Ihm fehlt der Bezug zu den künftigen finanziellen Überschüssen. Daher hat der Substanzwert für den Unternehmenswert keine eigenständige Bedeutung.1560) Gewiss muss man die Substanz kennen, weil sich daraus Hinweise für den 1344 Überschuss und für den Finanzbedarf ergeben. Sie erlaubt Schlüsse auf Chancen, Abschreibungen und Zinsen sowie auf die Kreditfähigkeit (Sicherheiten). So hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass etwa Immobilienvermögen bei der Bestimmung des Substanzwertes Aufschluss über die Krisenanfälligkeit eines Unternehmens gebe.1561) Aber deshalb muss man die Gegenstände nicht zu einem Wert zusammenfassen. Im Hinblick auf ein landwirtschaftliches „Sachwertdenken“ hat der Bundes- 1345 gerichtshof das Substanzwertverfahren zugelassen.1562) Auch beim Zugewinnausgleich stellt er teilweise auf den Substanzwert ab.1563) Das Substanzwertverfahren ist auch anwendbar bei der Einzelbewertung von Vermögensgegenständen in der Vorgesellschaft.1564)

___________ 1559) Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 170 – 172; Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 165 ff.; vgl. auch Wollny, DStR 2012, 716 und 766. 1560) IDW S 1 2008 Tz. 171. 1561) BGH, 21.10.2014, BGHZ 203, 1 = NZG 2015, 20 (3. Börsengang Deutsche Telekom AG). 1562) BGH, 8.5.1998, BGHZ 138, 371= NZG 1998, 644; dort auch zu den dann anwendbaren Methoden. 1563) BGH, 9.3.1977, BGHZ 68, 163 = NJW 1977, 949. 1564) BGH, 16.1.2006, BGHZ 165, 391 = NZG 2006, 390.

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Fünfundzwanzigster Teil Konzernbewertung A. Allgemeines

Ein Konzern (§ 18 AktG) als „nach wirtschaftlichen Kriterien definiertes Be- 1346 wertungsobjekt“1565) lässt sich auf zwei Weisen bewerten: Man kann jedes Konzernunternehmen einzeln bewerten und die Ergebnisse dann zusammenfassen. Man mag aber auch den Konzern gleich als Einheit bewerten. Der erste Weg macht das Vorgehen durchsichtig, der zweite erfasst mehr das Ineinanderwirken der Glieder als „nach wirtschaftlichen Kriterien definiertes Bewertungsobjekt“.1566) Bei einem eng verknüpften Konzern liegt der zweite Weg nahe: Je stärker die 1347 innere Verbindung ist, umso eher wird bewertet aus Konzernsicht.1567) Oft lassen sich die Ergebnisse einer Konzerngesellschaft nicht losgelöst von denen einer anderen darstellen; ein Risiko- und Chancenverbund wird sichtbar. Die Finanzierung läuft häufig über die Hauptgesellschaft und ist schwer den einzelnen Gliedern zuzuordnen. Es stehen auch Börsenwerte mit höherem Volumen und größerer Liquidität 1348 bereit; Risikoeinschätzung und Betafaktor sind dann leichter zu erkennen. Die Wirkung des Konzernverbundes für die Kapitalkosten wird deutlich. Wichtig ist, alle Glieder des Konzerns zu erfassen. Das gilt vor allem für 1349 „Zweckgesellschaften“. Die Konsolidierungsvorgaben (vgl. § 290 Abs. 2 – 4 HGB) sind eigenständig zu prüfen.1568) B. Bewertungsmethode

Zu beachten ist, dass für Einzelabschluss und Konzernabschluss andere Re- 1350 geln der Rechnungslegung gelten (§§ 290 – 315a HGB). Bei börsennotierten Mutterunternehmen sind IFRS/IAS zu beachten (§ 315a HGB); sie möchten eine Weltsprache der Rechnungslegung werden („the Language of Globalization“). Auf ihnen lässt sich ebenfalls eine Unternehmensbewertung aufbauen1569) – 1351 und wir sollten dem nicht ausweichen: „Es geht (auch) um globalisierte Ar-

___________ 1565) Vgl. IDW S 1 2008 Tz. 19. 1566) IDW S 1 2008 Tz. 19. 1567) Großfeld/Tönnes, NZG 2010, 921. 1568) Großfeld/Tönnes, NZG 2010, S. 922; Schruff, Der Konzern 2010, 511; Petersen/Zwirner/ Busch, Der Betrieb, Beilage Nr. 6 zu Heft 45, S. 19 f. 1569) Siehe Rn.14, 51, 197, 307, 350, 457, 1125; OLG Düsseldorf, 11.8.2006, AG 2007, 363 = DB 2006, 2223; Ewert/Wagenhofer, in: FS Mandl, S. 217.

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Fünfundzwanzigster Teil: Konzernbewertung

beitsplätze“.1570) Dabei mag die Wahl zwischen Ertragswert- und DiscountedCashflow-Verfahren unterschiedlich ausfallen.1571) Das kann jedoch bei Wahl einheitlicher Prämissen das Ergebnis nicht beeinflussen. Deshalb sollte man zur Sicherung der Plausibilität das andere Rechenwerk beachten mit seinen kulturellen Hintergründen1572) im Sinne eines „Planungsdialogs“; man sollte es anpassen an das Verfahren.1573) 1352 Den Wachstumsabschlag für den Konzern im Ganzen ermittelt man aus den Wachstumsraten der einzelnen Teile. Man gewichtet sie mit dem jeweils erwarteten Überschussergebnis am Beginn der ewigen Rente. C. Verfahren 1353 Die Bewertung einer Muttergesellschaft mit vielen Töchtern (zunehmend im Ausland) ist schwierig und zeitraubend. Daher liegt es nahe, nur die Überschusswerte der Töchter „unter einheitlicher Leitung“ genau zu ermitteln. Bei Beteiligungen ohne „einheitliche Leitung“ (assoziierte Unternehmen – §§ 311 f. HGB)1574) sieht man sich die großen genauer an. Man zieht deren Ansätze im Konzernabschluss heran und stuft die anderen entsprechend ein. Kleinere Töchter mag man prima facie bewerten mit den Ansätzen im Konzernabschluss, die indes auf Plausibilität zu prüfen sind. Die bilanziellen Wertansätze der Beteiligungen sind vergleichend heranzuziehen.1575) Eine Beteiligung ohne Einfluss trägt mehr Risiko; das mag den Risikozuschlag erhöhen. D. Wertansätze 1354 Maßgeblich ist auch hier der Stichtag. Spätere Ereignisse sind nur beachtlich, wenn sie eine am Stichtag latent vorhandene Lage offenlegen (Wurzeltheorie).1576) Wird z. B. die Beteiligung später veräußert, so ist der Erlös nur maßgeblich, wenn die Veräußerung am Stichtag konkret geplant und ein Preisrahmen absehbar war.1577)

___________ 1570) Großfeld, in: Gedächtnisschrift Albert Bleckmann, 2007, S. 169, 181. 1571) Vgl. OLG München, 14.7.2009 – 31 Wx 121/06. 1572) Großfeld, Dreaming Law: Comparative Legal Semiotics, S. 247. 1573) Vgl. Allianz SE, Verschmelzungsdokumentation der Allianz AG, S. 223. 1574) Dazu Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, S. 338 Rn. 1280. 1575) EWiR § 23 HGB 1/1995 (Großfeld). 1576) Siehe Rn. 364 ff. 1577) OLG München, 12.11.1993, AG 1994, 375 = DB 1994, 269.

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Sechsundzwanzigster Teil Anteilsbewertung A. Ausgangslage

Gesucht wird der Wert, den der Anteil am Unternehmen verkörpert. Das ist der 1355 quotale Anteil am Gesamtwert des Unternehmens (quotaler Unternehmenswert). Dafür kommt es also zunächst an auf die „Verhältnisse der Gesellschaft“ (vgl. 1356 § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG),1578) nicht auf den gerade am Markt geltenden Preis des einzelnen Anteils.1579) Der Marktwert des Anteils bestimmt sich nach dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage und über den Einfluss der Eigner auf das Unternehmen (Alleineigentum, qualifizierte oder einfache Mehrheit, Sperrminorität oder Streubesitz). Er ist kein normorientierter Wert (Normwert), wie wir ihn bei der Unternehmensbewertung suchen. Dieser Wert kann mehr oder weniger abweichen vom typisierten Gesamtwert 1357 oder vom quotalen Anteil daran.1580) Deshalb dienen tatsächlich gezahlte Preise für Unternehmen und Anteile zwar der Orientierung für die Plausibilität, ersetzen aber grundsätzlich keine Unternehmensbewertung. Das gilt auch für den Börsenwert; er ist zu beachten im Rahmen der Plausibilität1581) und u. U. als Mindestwert.1582) Die Tendenz, verstärkt auf Marktwerte/Börsenkurse abzustellen, anstatt Unternehmen zu bewerten, berücksichtigt dies nicht ausreichend.1583) Der Wert des einzelnen Anteils wird abgeleitet aus dem Unternehmenswert 1358 als eine Quote vom Gesamtwert (quotaler Unternehmenswert). Deshalb gelten zunächst dieselben Regeln wie für die Unternehmensbewertung. B. Abschlag/Zuschlag

Für die Anteilsbewertung gilt der gesellschaftsrechtliche Gleichheitssatz 1359 (vgl. § 53a AktG).1584) Wenn nicht Gesetz, Vertrag oder Satzung anderes sagen, haben alle Gesellschafter gleiche Wertbeziehungen zur Gesellschaft. Das ist wichtig für Ab- oder Zuschläge. In der Praxis und in der steuerlichen Bewertung (§ 11 Abs. 3 BewG) sind 1360 Mehrheitszuschläge (Paketaufschläge) verbreitet. Gleiches gilt für Minderheitsabschläge; sie sind oft realitätsgerecht.

___________ 1578) So für die Verschmelzung siehe OLG Stuttgart, 8.3.2006, AG 2006, 420. 1579) IDW S 1 2008 Tz. 13. 1580) IDW S 1 2008 Tz. 13. 1581) IDW S 1 2008 Tz. 13, ff., 152. 1582) IDW S 1 2008 Tz. 16. 1583) Siehe Rn. 1244. 1584) BGH, 16.12.1991, BGHZ 116, 359 = NJW 1992, 892; LG Köln, 14.4.1980, BB 1980, 1288.

333

Sechsundzwanzigster Teil: Anteilsbewertung

1361 Bei Abfindungen sind sie nicht hinzunehmen. Denn hier kommt es nicht an auf das im Verkehr Übliche, sondern auf die Sicht des Rechts (Werturteil des Gesetzes), auf das, was nach dem Rechtsverhältnis richtig ist. Maßgebend ist der vom Gleichheitssatz regierte Normwert. Aktionäre mit gleichen Anteilen erhalten die gleiche Abfindung; es gibt weder einen Paketzuschlag noch einen Minderheitsabschlag:1585) “Only in this fashion can minority stockholders be assured that insiders in control of the company, burdened by conflicting interests, may not purchase the enterprise at a price less than that obtainable in the marketplace of qualified buyers and avoid paying a full and fair price to the minority”.1586)

1362 Das gilt ebenfalls für Minderheitsaufschläge.1587) Zwar mag es eines höheren Aufwandes bedürfen, um den „Willen zum Behalten“ zu brechen (Preis der Privatautonomie). Aber in den hier behandelten Fällen versetzt das Gesetz den Ausscheidenden in eine Zwangslage; ein Preis für Privatautonomie entfällt.1588) Gleiches gilt, wenn der Gesellschafter kündigte (die Privatautonomie ist dann „verbraucht“) oder wenn ihm gekündigt wurde. Ein lästiger Gesellschafter kann keine gleichheitswidrige Begünstigung erzwingen.1589) C. Niedriger/Höherer Wert für Übernehmer 1363 Die Bereicherung des Übernehmers kann geringer sein als der Verlust des Ausscheidenden, wenn der Übernehmer sein Geld z. B. anderswo besser anlegen kann. Das ist unbeachtlich, weil der Grenzpreis des Ausscheidenden die Untergrenze der Abfindung ist.1590) Die Anteile können für den Übernehmer auch wertvoller sein, weil er anderswo mehr bezahlen müsste. Er erspart etwa Verwaltungskosten oder muss keinen Abhängigkeitsbericht (§ 312 AktG) mehr machen. D. Kosten des Ausscheidens/der Wiederanlage 1364 Nachteile, denen die Abfindung gerade begegnen will, mindern sie nicht.1591) Die Kosten des Ausscheidens (z. B. Eintragung in das Handelsregister, Ermittlung des Unternehmenswerts) trägt der Übernehmer, wenn er das Ausscheiden veranlasst hat. Streitig ist, ob dem Ausscheidenden die typischen Kosten der Wiederanlage zu ersetzen sind.1592) Sie hängen ab vom „Timing“. Lassen sie sich typisieren?

___________ 1585) Vgl. den Überblick bei Koch, in: Hüffer, AktG, § 305 Rn. 31 f., 32. 1586) Sims, 588 N.E. 2d 14, 19 (Mass. App. Ct 1992); zum Ganzen siehe Thompson, 84 Georgetown L. J. 1, 38 (1995). 1587) HansOLG Hamburg, 3.8.2000, AG 2001, 479 = NZG 2001, 471. 1588) Kort, ZGR 1999, 402. 1589) Vgl. HansOLG Hamburg, 3.8.2000, AG 2001, 479 = NZG 2001, 471. 1590) BayObLG, 11.7.2001, NZG 2001, 1033; BGH, 4.3.1998, BGHZ 138, 136 = NJW 1998, 1866; OLG München, 19.10.2006, AG 2007, 287. 1591) OLG Celle, 4.4.1979 – 9 W 2/77. 1592) Koppenberg, Bewertung von Unternehmen, S. 99, 106.

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Siebenundzwanzigster Teil Atypische Anteile A. Problem

Atypische Gestaltungen finden wir bei Personen- und bei Kapitalgesellschaf- 1365 ten. Bei Personengesellschaften sind das z. B. Beschränkungen der Gewinnentnahme, verminderte Abfindungen und Lasten bei Veräußerung und Vererbung. Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung ist auf §§ 15 Abs. 1, 29 Abs. 2 Halbs. 2, 72 Satz 2 GmbHG hinzuweisen. Bei Aktiengesellschaften finden wir etwa Aktien besonderer Gattung (§§ 11, 60 Abs. 2, 271 Abs. 2 AktG), Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§§ 12 Abs. 1 Satz 2, 139 – 141 AktG) und vinkulierte Namensaktien (§§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG). Wie sind sie zu bewerten? B. Methode

Auch hier entscheidet das Rechtsverhältnis (Normwert). Soll die Besonder- 1366 heit zu einer anderen Abfindung führen? Bei Personengesellschaften schauen wir auf § 738 Abs. 1 u. 2, § 734 BGB, den Parteiwillen und die „Angemessenheit“, bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung weiterhin auf § 72 GmbHG. Im Aktienrecht gelten ebenfalls die „Angemessenheit“ und das Gebot der vollen Entschädigung. C. Gleichbehandlung

Der gesellschaftliche Gleichheitssatz verlangt Gleichbehandlung bei gleichen 1367 Voraussetzungen. Daher sind Unterschiede vom Rechtsgehalt her zu beachten. Eine Unterscheidung nach Aktiengattungen (vgl. § 11 Abs. 2 AktG) entspricht der Typik des Rechtsverhältnisses. D. Gleiche Beschränkungen

Oft gibt es gleiche Beschränkungen für alle Gesellschafter, z. B. bei Entnah- 1368 merecht, Veräußerung oder Vererbung. Sie begründen keine Abschläge, weil sie vorteilhaft oder nachteilig sein können – je nachdem, wer gerade kündigt;1593) Chancen und Risiken gleichen sich aus.1594) Das entspricht der herkömmlichen Meinung zum Gesellschaftsvertrag. So kann eine Schenkung vorliegen, wenn nur bei einem Gesellschafter die Abfindung ausgeschlossen ist; wenn das aber bei allen so ist, entfällt die Schenkung: Der Ausschluss des einen ist der Preis für den Ausschluss des anderen.1595) Das gilt ebenfalls, wenn eine Mehrheit die Beschränkung aufheben kann. Der 1369 geringere faktische Einfluss ist kein Grund, die Anteile der Minderheit nied___________ 1593) BGH, 10.10.1979, BGHZ 75, 195 = JZ 1980, 105. 1594) BFH, 30.3.1994, BStBl. II 1994, 503 = BB 1994, 1202. 1595) Vgl. BGH, 22.11.1956, BGHZ 22, 186; BGH, 6.10.1980, BGHZ 78, 177.

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Siebenundzwanzigster Teil: Atypische Anteile

riger anzusetzen. Anders ist es, wenn die Minderheit aus Rechtsgründen an der Abstimmung nicht beteiligt ist. E. Mehrstimmrechte 1370 Sie sind heute bei Aktiengesellschaften nicht mehr erlaubt, bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung aber häufig anzutreffen. Für den Fortführungswert ist das beachtlich, weil für mehr Stimmrechte im Verkehr ein höherer Preis gezahlt werden mag. Es ist indes zweifelhaft, ob und wie sich eine Stimmrechtsprämie ermitteln lässt. Falls die Aktien eine Minderdividende erhalten, mag diese das höhere Stimmrecht ausgleichen.1596) F. Stammaktien/Vorzugsaktien I. Stammaktien 1371 Sie sind mit einem Stimmrecht (§ 12 Abs. 1 Satz 1 AktG) verbunden. Für ihre plausible Bewertung ist der Börsenwert zu beachten. Gelegentlich werden aber nur die Vorzugsaktien ohne Stimmrecht an der Börse gehandelt. Was lässt sich aus deren Börsenwert für die Stammaktien entnehmen? 1372 Stammaktien gewähren Stimmrecht, aber keinen Dividendenvorzug; bei Vorzugsaktien ist es umgekehrt. Der Wert von Stammaktien ist im Allgemeinen höher1597) – aber sicher ist das nicht;1598) der Wert liegt zumeist nicht unter dem der Vorzugsaktien.1599) Die Wertrelation hängt aber ab von den konkreten Verhältnissen der Gesellschaft.1600) II. Vorzugsaktien 1373 Sie gibt es nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AktG ohne Stimmrecht aber mit einem „nachzuzahlenden Vorzug bei der Verteilung des Gewinns“ (§ 139 Abs. 1 AktG).1601) Im Übrigen gewähren sie die gleichen Rechte (§ 140 Abs. 1 AktG). Sie sind nicht vom Unternehmenswert abzuziehen,1602) sondern zu bewerten nach den konkreten Verhältnissen.1603) Das Verhältnis zu beurteilen, ist eine vom Gericht zu entscheidende Rechtsfrage.1604) Es ist einzelfallbezogen die

___________ 1596) OLG Karlsruhe, 10.1.2006, AG 2006, 463 = NZG 2006, 670. 1597) So etwa OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822; OLG Frankfurt, 2.5.2011, AG 2011, 828. 1598) So etwa LG Hamburg, 26.9.2014 – BeckRS 2014, 20493. 1599) Vgl. z. B. LG München, 31.7.2015, AG 2016, 51; BFH, 9.3.1994, BFHE 173, 561 = WM 1994, 1331. 1600) BFH, 21.4.1999, NZG 2000, 109; OLG Düsseldorf, 27.5.2009, WM 2009, 2220. 1601) Vgl. Komp, Zweifelsfragen des aktienrechtlichen Abfindungsanspruchs nach §§ 305, 320b AktG, S. 407 ff.; OLG München, BeckRS 2006 13711, II B 8 b. 1602) So aber Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, S. 3. 1603) OLG Karlsruhe, 12.7.2013, BeckRS 2013, 13603. 1604) OLG Karlsruhe, 12.7.2013, BeckRS 2013, 13603.

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G. Vinkulierte Namensaktien

unterschiedliche Ausstattung der Aktien zu beachten, feste Regeln gibt es nicht.1605) Berücksichtigt werden können z. B. die Höhe der Mehrdividende1606) oder die Gewinnverteilungsregel in der Satzung.1607) Börsenwerte sind auch hier wichtig. Es sind die ggf. unterschiedlichen Börsen- 1374 kurse für die verschiedenen Aktiengattungen zu beachten.1608) Oft werden Vorzugsaktien niedriger bewertet, weil sie keinen Einfluss verschaffen.1609) § 140 AktG steht dem nicht entgegen, weil alle Aktionäre nur einen wertgemäßen Ausgleich erhalten. Es kommt sehr an auf die Höhe der Mehrdividende; sie kann das fehlende Stimmrecht (evtl. mehr als) ausgleichen.1610) Das LG München I geht davon aus, dass Vorzugsaktionäre gegenüber Stammaktionären nicht schlechter gestellt werden dürften, wenn der Börsenkurs der Vorzugsaktien über dem der Stammaktien liege. Das fehlende Stimmrecht habe dann keine zentrale Bedeutung.1611) Der Börsenkurs dient zur Plausibilisierung.1612) G. Vinkulierte Namensaktien

Hier gibt es oft einen Abschlag. Das hängt davon ab, wer an der Zustimmung 1375 zur Übertragung mitwirken (§ 68 Abs. 2 Satz 2 u. 3 AktG) und warum sie verweigert werden kann (Satz 4). Im Verhältnis von Aktionären derselben Gattung untereinander mit gleichen Rechten ist ein Abschlag nicht angebracht.1613) Bei Personengesellschaften (§ 719 Abs. 1 BGB) und Gesellschaften mit be- 1376 schränkter Haftung (§ 15 Abs. 5 GmbHG) ist im Verhältnis der Gesellschafter untereinander der volle Wert anzusetzen.1614) H. Nicht notierte Aktien

Wie wir sahen, sind mitunter nur Aktien einer Gattung an der Börse notiert. 1377 Dann ist generell der Wert von den notierten Aktien abzuleiten.1615) Die Höhe des Abschlags lässt sich nicht generell festlegen. ___________ 1605) OLG Karlsruhe, 12.7.2013, BeckRS 2013, 13603. 1606) OLG Düsseldorf, 10.6.2009, AG 2009, 907 = Der Konzern 2010, 132; LG Frankfurt, 4.8.2010 – 3-5 O 73/04. 1607) OLG Düsseldorf, 10.6.2009, AG 2009, 907 = Der Konzern 2010, 132. 1608) OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822 = BeckRS 2014, 08608. 1609) So etwa OLG Frankfurt, 28.3.2014, AG 2014, 822; OLG Frankfurt, 2.5.2011, AG 2011, 828. 1610) Vgl. LG Dortmund, 19.3.2007, BeckRS 2007, 05697; m. abl. Anm. Wüstemann, BB 2008, 272; LG Frankfurt, 4.8.2010 – 3-5 O 73/04, S. 24 f. 1611) LG München I, 31.7.2015, AG 2016, 51 = ZIP 2015, 2124. 1612) LG Frankfurt, 4.8.2010 – 3-5 O 73/04. 1613) Vgl. BFH, 9.3.1994, BStBl. II, 1994, 394 = WM 1994, 1331. 1614) BGH, 16.12.1991, GmbHR 1992, 257. 1615) BFH, 9.3.1994, BStBl. II, 1994, 394 = WM 1994, 1331.

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Siebenundzwanzigster Teil: Atypische Anteile

I. Eigene Aktien 1378 Aus eigenen Aktien (§§ 71 – 71e AktG) stehen der Gesellschaft keine Rechte zu (§ 71b AktG). Sie hat daher keinen Anspruch auf den nach § 271 AktG zu verteilenden Abwicklungserlös. Der Nennbetrag der eigenen Aktien bleibt damit bei der Verteilung außer Betracht. Das OLG Düsseldorf ließ dahinstehen, ob das ebenso gilt bei der Abfindung nach § 12 UmwG (a. F.).1616) J. Abweichender Verteilungsschlüssel 1379 Bei Personengesellschaften gilt der Schlüssel für die Verteilung des Gewinns (§§ 738, 734 BGB, § 155 Abs. 1 HGB) auch für die Abfindung – wenn nicht anders vereinbart. Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung sei verwiesen auf § 72 Satz 2 GmbHG, für die Aktiengesellschaft auf §§ 11 Satz 1, 60 Abs. 3 AktG. Das berührt ebenfalls die Bewertung.1617) K. Abfindungsbeschränkungen 1380 Bei Personengesellschaften und bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung kann der Vertrag die Abfindung in gewissen Grenzen herabsetzen (Klauselwert).1618) Das ist beachtlich selbst außerhalb der Gesellschafterbeziehung, z. B. beim Zugewinnausgleich (§§ 1363 Abs. 2 Satz 2, 1373 BGB). Es ist im Allgemeinen unproblematisch, wenn die Abfindung bei allen Gesellschaftern gleich beschränkt ist. Das Risiko, weniger zu erhalten, wird ausgeglichen durch die Chance, beim Ausscheiden eines anderen zu gewinnen.1619) Ist schon gekündigt, so ist Wert der Beteiligung der dadurch entstandene Abfindungsanspruch.1620) L. Unterschiedliche Liquidationserlöse 1381 Bei Personengesellschaften ist § 734 BGB abdingbar; ähnlich ist es nach § 72 Satz 2 GmbHG. Das wirkt in die Abfindung hinein. 1382 Bei Aktiengesellschaften kann der Liquidationserlös anders verteilt werden als der laufende Ertrag (§§ 11 Satz 1, 271 Abs. 2 AktG); das kann den Wert des Anteils steigern oder mindern. Bei Unternehmen mit begrenzter Lebensdauer ist dann der Barwert der künftigen Liquidationserlöse gesondert aufzuteilen. Bei unbegrenzter Lebensdauer tendiert der Wert für den Liquidationserlös in „unendlicher Ferne“ (über ca. 30 Jahre) gegen Null – daher wäre er nicht zu beachten. Aber das Leben richtet sich nicht nur nach Mathematik. Der abweichende Liquidationsschlüssel könnte doch in Preisverhandlungen eingehen nach dem Motto: „Man kann nie wissen!“ – wann liquidiert wird und was dabei herauskommt.

___________ 1616) OLG Düsseldorf, 22.1.1999, AG 1999, 321. 1617) Vgl. BFH, BStBl. II 1982, 2 = NJW 1982, 255. 1618) Vgl. zu den Grenzen bei der GmbH Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 34 Rn. 25 ff. 1619) Piltz/Wissmann, NJW 1985, 2673. 1620) BGH, 10.10.1979, BGHZ 75, 195 = JZ 1980, 105.

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Achtundzwanzigster Teil Unternehmensbewertung im Bilanzrecht1621) A. Einführung

Bilanzen stellen das Vermögen und die Schulden eines Unternehmens in be- 1383 werteter Form dar. Dies bedeutet freilich nicht, dass sich der Wert eines Unternehmens aus seiner Bilanz ablesen ließe. Es hängt von den verwendeten Rechnungslegungsstandards ab, welche Positionen in die Bilanz einfließen und wie sie bewertet werden. Hier bestehen teils erhebliche Unterschiede zwischen den angelsächsisch geprägten International Financial Reporting Standards (IFRS) einerseits und dem deutschen Bilanzrecht andererseits. Vereinfachend lässt sich sagen, dass die IFRS das Ziel verfolgen, das Unter- 1384 nehmensvermögen möglichst zu seinem Verkehrswert („fair value“) darzustellen.1622) Dahingegen dominiert im deutschen Bilanzrecht die vorsichtige, also niedrige, Bewertung des Vermögens. Beiden gemein ist, dass die Bilanz immaterielles Vermögen nur dann enthält, wenn es einen gewissen Grad an Konkretisierung aufweist.1623) Zukünftige Ertragsaussichten, wie sie in der Unternehmensbewertung eine Rolle spielen, erfüllen nicht diese Voraussetzung, sofern sie nicht entgeltlich erworben wurden. Da sie aber bei einer kapitalwertorientierten Unternehmensbewertung berücksichtigt werden, besteht eine prinzipielle Diskrepanz zwischen der Bewertung im deutschen und internationalen Bilanzrecht einerseits und der Unternehmensbewertung andererseits. Gleichwohl bestehen einige Anknüpfungspunkte des Bilanzrechts an die Un- 1385 ternehmensbewertung. Sie werden nachfolgend dargestellt. B. Einzelabschluss

Der Jahresabschluss deutscher Unternehmen unterliegt stets den Regeln des 1386 Handelsgesetzbuchs, da internationale Rechnungslegungsgrundsätze nur für Konzernabschlüsse angewendet werden dürfen oder müssen. Das deutsche Handelsrecht ist traditionell geprägt vom Gedanken des Gläubigerschutzes. Dieser Gedanke findet Ausfluss u. a. im sog. Anschaffungskostenprinzip (§ 253 Abs. 1 HGB), das eine Bewertung von Vermögensgegenständen – und dazu zählen etwa auch die Anteile an (Tochter-)Unternehmen – zu einem Wert oberhalb der Anschaffungskosten untersagt. Wertsteigerungen des zu bilanzierenden Vermögens wirken sich somit bilanziell nicht aus. ___________ 1621) Dieser Teil beruht im Wesentlichen auf Großfeld/Tönnes, NZG 2010, 921: umfassend zu den Bewertungsfragen siehe Großfeld, in: Gedächtnisschrift Albert Bleckmann, 2007, S. 169. 1622) Vgl. Kleindiek, in: MünchKomm, Bilanzrecht, Einführung in die Rechnungslegung nach International Financial Reporting Standards Rn. 90 ff. 1623) Siehe § 248 Abs. HGB sowie IAS 38.10.

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Achtundzwanzigster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

1387 Was aber passiert, wenn die Vermutung besteht, dass der Wert des erworbenen Unternehmens zwischenzeitlich gesunken ist. Dann ermöglichst oder verlangt § 253 Abs. 3 HGB eine außerplanmäßige Abschreibung auf die erworbene Beteiligung. Dies verlangt eine Bewertung der Beteiligung. Dabei ist danach zu unterscheiden, ob der Erwerb im Rahmen eines Share Deals oder als Asset Deal erfolgte. I. Beteiligung 1. Grundlagen 1388 Bei einem Share Deal erwirbt der Käufer Gesellschaftsanteile am Unternehmensträger. Diese Gesellschaftsanteile sind ein gesonderter Vermögensgegenstand und beim Erwerber als solcher – i. d. R. als Finanzanlage (§ 266 Abs. 2 A. III. HGB) – anzusetzen und mit den Anschaffungskosten zu bewerten. Die gesamten Anschaffungskosten werden also dem Vermögensgegenstand „Beteiligung“1624) zugerechnet, unabhängig davon, ob die Gesellschaftsanteile bilanzielles Nettovermögen auf Ebene des erworbenen Unternehmens repräsentieren. Der in der Bilanz des Erwerbers ausgewiesene Wert der Beteiligung entspricht damit neben denjenigen Werten, die in der Bilanz des erworbenen Unternehmens angesetzt werden, auch im Kaufpreis berücksichtigten stillen Reserven und nicht bilanzierungsfähigen zukünftigen Ertragschancen. In der Regel übersteigt deswegen der Kaufpreis – und damit die Anschaffungskosten der Beteiligung – das buchmäßige Eigenkapital, also den Saldo der Beträge, mit dem das erworbene Unternehmen sein Vermögen und seine Schulden bilanziert. 1389 An Bilanzstichtagen, die auf den Erwerb folgen, ist zu überprüfen, ob der sog. „beizulegende Wert“ der Beteiligung dauerhaft unter die Anschaffungskosten gesunken ist. In diesem Falle ist die Beteiligung auf den beizulegenden Wert abzuschreiben (§ 253 Abs. 3 Satz 5 HGB). Bei einem nur vorübergehenden Absinken des Wertes unter die Anschaffungskosten ist die Abschreibung optional möglich. Entfallen später die Gründe für eine Wertminderung, so darf der niedrigere Wert nicht beibehalten werden, d. h. die Beteiligung wird wieder mit ihren ursprünglichen Anschaffungskosten bewertet (§ 253 Abs. 5 Satz 1 HGB). 1390 Das Gesetz regelt nicht, was unter dem „beizulegenden Wert“ zu verstehen ist. Existiert ein Börsen- oder Marktpreis, ist dieser nach der h. M. vorrangig heranzuziehen; andernfalls kommt die Bewertung nach einem kapitalwertorientierten Verfahren in Betracht.1625) Nach unserer Auffassung kommt den

___________ 1624) Bei Konzernzugehörigkeit werden die Gesellschaftsanteile nicht als „Beteiligung“, sondern als „Anteile an verbundenen Unternehmen“ ausgewiesen, § 271 Abs. 2 HGB. Die nachfolgenden Ausführungen gelten dafür gleichermaßen. 1625) Vgl. Schubert/Andrejewski/Roscher, in: Beck’scher Bilanzkommentar, § 253 HGB Rn. 308 – 310.

340

B. Einzelabschluss

Börsenpreisen aber kein Vorrang als Bewertungsmethode zu, weil Börsenpreise nicht die volle Sicht auf das Unternehmen bieten;1626) sie können daher allenfalls als Indiz eine Rolle spielen.1627) Für Fälle der Bewertung von Beteiligungen gibt es eine Stellungnahme des 1391 IDW: „Anwendung der Grundsätze des IDW S 1 bei der Bewertung von Beteiligungen und sonstigen Unternehmensanteilen für die Zwecke eines handelsrechtlichen Jahresabschlusses“ (IDW RS HFA 10; nachfolgend „HFA 10“).1628) Sie konkretisiert die allgemeinen Regeln des IDW S 1 2008; HFA 10 Tz. 1 verweist darauf im Ganzen. 2. Anwendbare Verfahren

Der beizulegende Wert der Beteiligung ist nach HFA 10 „in der Regel“ aus 1392 dem Ertragswert abzuleiten.1629) Erlaubt sind auch die Discounted-CashflowVerfahren (DCF), da diese auf der gleichen konzeptionellen Grundlage beruhen und bei gleichen Bewertungsannahmen zu gleichen Unternehmenswerten führen.1630) 3. Subjektiver Wert

HFA 10 unterscheidet zwischen dem subjektiven und dem objektivierten 1393 Unternehmenswert.1631) Der subjektive Unternehmenswert wird aus der Sicht des Inhabers der Beteiligung ermittelt. Er berücksichtigt daher auch individuelle Möglichkeiten, Risiken und Planungen, die sich für einen anderen Inhaber womöglich nicht ergäben. Andererseits bleiben Möglichkeiten unberücksichtigt, die einem anderen Inhaber offenstünden, für den Inhaber oder dessen Tochterunternehmen aber nicht realisierbar sind.1632) Grundsätzlich gilt bei der Bewertung von Beteiligungen im Jahresabschluss 1394 der subjektive Wert. Es kommt nämlich darauf an, was der Anteil für das bilanzierende Unternehmen leistet; daher ist aus dessen Sicht zu bewerten. Der Vorrang des subjektiven Werts folgt auch aus dem Gedanken des Gläubigerschutzes. Die Gläubiger der Gesellschaft haben Zugriff nur auf deren Vermögen. Für sie ist daher bedeutend, wie dieses Vermögen durch die Beteiligung tatsächlich beeinflusst wird. Nicht realisierbare Synergien stellen für sie kein Schuldendeckungspotenzial dar. Dies gilt gleichermaßen für Synergievorteile, die bei einem Mutter- oder Schwesterunternehmen anfallen; dage___________ 1626) Siehe Rn. 1244 ff. 1627) So auch Leverkus, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 25 Rn. 115. 1628) FN-IDW 2005, 718. 1629) IDW RS HFA 10 Tz. 2 f. 1630) IDW RS HFA 10 Tz. 3. 1631) IDW RS HFA 10 Tz. 4. 1632) IDW RS HFA 10 Tz. 5.

341

Achtundzwanzigster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

gen sind sowohl „echte“ wie „unechte“ Synergien zu berücksichtigen, die sich bei dem Beteiligungsunternehmen selbst ergeben.1633) 1395 Bei den zukünftigen Nettozuflüssen ist die Ertragsteuerbelastung sowohl auf Ebene des zu bewertenden Unternehmens als auch auf Ebene der bilanzierenden Gesellschaft zu berücksichtigen. Damit kann z. B. auch die schnellere Nutzung bestehender steuerlicher Verlustvorträge werterhöhend berücksichtigt werden.1634) Die Steuerbelastung der Anteilseigner der bilanzierenden Gesellschaft ist hingegen nicht in die Bewertung einzubeziehen.1635) Die Bewertung der Beteiligung „stoppt“ auf der Ebene der Muttergesellschaft; Weiterausschüttungen sind nicht zu berücksichtigen. 1396 Der Kapitalisierungszinssatz richtet sich wegen der im handelsrechtlichen Jahresabschluss geforderten Willkürfreiheit nicht nach den subjektiven Erwartungen des Bilanzierenden oder den für ihn in Rede stehenden Alternativanlagen, sondern ist anhand der Rendite einer risikoadäquaten Alternativanlage zu ermitteln.1636) Im Gleichklang zu den zukünftigen Nettozuflüssen ist dabei die Ertragsteuerbelastung des bilanzierenden Unternehmens, nicht aber der Anteilseigner zu berücksichtigen. 4. Objektivierter Wert 1397 Der objektivierte Unternehmenswert ist derjenige, der sich typisiert aus der Perspektive eines potenziellen Anteilseigners ergibt. Die Typisierung besteht in der Annahme, dass der Anteilseigner im Inland ansässig sowie unbeschränkt steuerpflichtig ist und das Unternehmen in unverändertem Konzept auf Stand-alone-Basis weiterführt.1637) 1398 Der objektivierte Wert ist ausnahmeweise heranzuziehen, wenn die Beteiligung veräußert werden soll.1638) Bewertet wird aus der Sicht eines potenziellen Erwerbers. Bei den zukünftigen Nettozuflüssen sind daher anstelle der Ertragsteuern des bisherigen Inhabers die persönlichen Ertragsteuern des Erwerbers abzuziehen. Unterstellt wird auch hier eine typisierte persönliche Ertragsteuerbelastung.1639) Daneben sind freilich – wie bei der Bestimmung des subjektiven Wertes – die Ertragsteuern auf Ebene des zu bewertenden Unternehmens zu beachten. 1399 Die Ableitung des Kapitalisierungszinses ist vergleichbar mit der beim subjektiven Unternehmenswert. Zu berücksichtigen ist aber die typisierte per-

___________ 1633) IDW RS HFA 10 Tz. 6. 1634) Leverkus, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 25 Rn. 119. 1635) IDW RS HFA 10 Tz. 8. 1636) IDW RS HFA 10 Tz. 9 f. 1637) IDW RS HFA 10 Tz. 4. 1638) IDW RS HFA 10 Tz. 11 ff. 1639) IDW RS HFA 10 Tz. 12 i. V. m. IDW S1, 43 f.

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B. Einzelabschluss

sönliche Ertragsteuer des potenziellen Erwerbers, da diese auch einbezogen wird bei der Ermittlung der zukünftigen Nettozuflüsse. Liegt ein bindendes Kaufangebot vor, so ist maßgeblich der darin genannte 1400 Kaufpreis.1640) II. Geschäfts- oder Firmenwert

Bei einem Asset Deal erwirbt der Käufer keine Gesellschaftsanteile, sondern 1401 die einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden des Unternehmens. In diesem Fall sind die übernommenen Vermögensgegenstände und Schulden bilanziell einzeln anzusetzen und zu bewerten, also nicht als Gesamtheit. Der Kaufpreis ist daher in einem angemessenen Verhältnis auf die bilanzierungsfähigen Positionen aufzuteilen. Dabei sind die sog. Konsenspreise der einzelnen Posten zu ermitteln.1641) Da es sich beim Konsenspreis um ein theoretisches Konstrukt handelt, ist die Bestimmung in der Praxis mitunter mit Schwierigkeiten verbunden. Der Verkehrswert eines einzelnen Vermögensgegenstands ist jedoch stets dessen Bewertungsobergrenze.1642) Übersteigt der Kaufpreis die Summe der Verkehrswerte der Vermögensge- 1402 genstände abzgl. der übernommenen Schulden, liegt mit dem Restbetrag ein erworbener („derivativer“) Geschäfts- oder Firmenwert (GoF) vor. Der GoF entspricht also gedanklich demjenigen Teil des Unternehmenswertes, der über den Substanzwert hinausgeht. Er ist in der Bilanz des Erwerbers anzusetzen und gilt als ein zeitlich begrenzt nutzbarer Vermögensgegenstand (§ 246 Abs. 1 Satz 4 HGB). Der Wert ist daher planmäßig (§ 253 Abs. 1 HGB) und ggf. außerplanmäßig abzuschreiben (§ 253 Abs. 3 Satz 3 HGB). Eine außerplanmäßige Abschreibung ist erforderlich, wenn am Bilanzstichtag 1403 der planmäßige Wertansatz den „beizulegenden Wert“ des GoF übersteigt. Der beizulegende Wert ergibt sich wiederum als Differenz zwischen dem Ertrags- und dem Substanzwert des erworbenen Unternehmens. Die Bestimmung des Abschreibungsbedarfs erfordert also – zumindest prinzipiell – eine Unternehmensbewertung. Die praktische Umsetzung ist indes häufig äußerst schwierig. Sie erfordert nämlich eine gedankliche Trennung zwischen dem erworbenen Unternehmen und dem Unternehmen des Erwerbers, selbst wenn beide Unternehmen seit dem Erwerb zusammengewachsen sind. Der zu bewertende GoF bezieht sich sachlich nur auf den erworbenen Unternehmensteil. Darüber hinaus ist zu trennen zwischen dem erworbenen GoF und dem in der Folge neu entstandenen (originären) GoF. Letzterer muss bei der Überprüfung des Abschreibungsbedarfs unberücksichtigt bleiben, selbst wenn er sachlich, aber eben nicht zeitlich, den erworbenen Unternehmensteil betrifft. ___________ 1640) IDW RS HFA 10 Tz. 13. 1641) Vgl. Schubert/Gadek, in: Beck’scher Bilanzkommentar, § 255 HGB Rn. 81. 1642) Vgl. Ballwieser: in: MünchKomm, HGB, § 255 Rn. 49.

343

Achtundzwanzigster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

1404 Ein einmal entstandener niedrigerer Wertansatz ist beizubehalten; er darf also nicht aufgeholt werden (§ 253 Abs. 4 Satz 2 HGB). C. HGB-Konzernabschluss 1405 Die Konzernrechnungslegung basiert konzeptionell auf der sog. Erwerbsmethode und fingiert, dass die Konzernunternehmen nicht per Share Deal, sondern per Asset Deal erworben wurden.1643) Damit treten im Konzernabschluss an die Stelle der Beteiligung die Vermögensgegenstände und Schuldposten des in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmens;1644) dieser Vorgang wird als Kapitalkonsoliderung bezeichnet. Die Vermögensgegenstände und Schulden sind dabei mit ihrem Zeitwert im Erwerbszeitpunkt anzusetzen. 1406 Bei der Kapitalkonsolidierung kann sich ein positiver oder negativer Unterschiedsbetrag ergeben. Ein positiver Unterschiedsbetrag entspricht dem Teil des Kaufpreises, der über den Substanzwert des Unternehmens hinaus gezahlt wurde. Er ist als Geschäfts- oder Firmenwert zu bilanzieren (§ 301 Abs. 4 HGB). Zudem ist er ebenso wie ein GoF im Jahresabschluss planmäßig und ggf. außerplanmäßig abzuschreiben (§ 309 Abs. 1 HGB). Die Überprüfung des Bedarfs von außerplanmäßigen Abschreibungen bedarf einer Unternehmensbewertung. Die im Zusammenhang mit dem GoF im Jahresabschluss geschilderten Grundsätze und Probleme gelten entsprechend.1645) 1407 Ein negativer Unterschiedsbetrag aus der Kapitalkonsolidierung entsteht, wenn der Kaufpreis des betreffenden Unternehmens geringer ausfiel als die Zeitwerte der Vermögensgegenstände und Schulden des Unternehmens. Dies kann aus zwei Gründen auftreten: Zum einen können im Kaufpreis wertbeeinflussende Umstände berücksichtigt sein, die sich jedoch noch nicht in der Bilanz des erworbenen Unternehmens niederschlagen, beispielsweise konkrete Verlusterwartungen. Zum anderen kann der Kaufpreis unter dem „wahren“ Unternehmenswert liegen (sog. „lucky buy“). Es ist abhängig vom Grund für das Entstehen des negativen Unterschiedsbetrags, zu welchem Zeitpunkt er nach § 309 Abs. 2 HGB ergebniswirksam aufgelöst werden kann. Daher ist dieser Grund zu ermitteln und zu dokumentieren.1646) Ohne Unternehmensbewertung wird dies im Regelfall nicht möglich sein. D. IFRS-Konzernabschluss I. Grundlagen 1408 Bei kapitalmarktorientierten Unternehmen gelten für den Konzernabschluss verpflichtend die International Financial Reporting Standards (IFRS) (§ 315a Abs. 1 HGB). Andere Unternehmen können einen Konzernabschluss wahl___________ 1643) Vgl. Senger/Höhne, in: MünchKomm, Bilanzrecht, § 301 HGB Rn. 7. 1644) §§ 297 Abs. 3 Satz 1, 300 Abs. 1 HGB. 1645) Siehe Rn. 1401 ff. 1646) DRS 23 Rn. 139.

344

D. IFRS-Konzernabschluss

weise nach den Regelungen der IFRS anstelle des HGB aufstellen (§ 315a Abs. 3 HGB). Die Ermittlung des GoF im Zeitpunkt der Erstkonsolidierung folgt wie beim 1409 HGB-Abschluss nach der Erwerbsmethode. Alle (separat) identifizierbaren Vermögensgegenstände und Schulden sind zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten (IAS 3.18);1647) der verbleibende Differenzbetrag zum gezahlten Kaufpreis bildet den Firmenwert (IAS 3.10). Ein wesentlicher Unterschied zwischen den IFRS und dem deutschen Han- 1410 delsrecht liegt in der Behandlung der derivativen Geschäfts- oder Firmenwerte (GoF) in den Folgejahren („Folgebewertung“). Während das HGB eine planmäßige Abschreibung vorsieht, gilt nach den IFRS der sog. „impairment only approach“, der keine planmäßige Abschreibung vorsieht. Stattdessen ist der GoF jährlich zu testen auf seine Werthaltigkeit (IAS 36.10).1648) Damit wird sichergestellt, dass der GoF oberhalb seines erzielbaren Betrags („recoverable amount“) bewertet wird. Der erzielbare Betrag ist der höhere Betrag aus dem beizulegenden Zeitwert abzüglich der Abgangskosten („fair value less costs of disposal“) und dem Nutzungswert („value in use“). Beide Werte können auf Basis diskontierter zukünftiger Zahlungsüberschüsse ermittelt werden.1649) Sie unterscheiden sich darin, dass der beizulegende Zeitwert einen objektivierten Wert darstellt, der Nutzungswert hingegen einen subjektiven. Der erzielbare Betrag ist grundsätzlich für den einzelnen Vermögenswert zu 1411 ermitteln. Sofern dies unmöglich ist, wird der erzielbare Betrag für die zahlungsmittelgenerierende Einheit („cash generating unit“) ermittelt, zu der der Vermögenswert gehört.1650) Diese Technik kommt bei der Bewertung eines GoF zur Anwendung, da in aller Regel ein GoF selbst keine Zahlungsströme generiert.1651) Eine zahlungsmittelgenerierende Einheit ist die kleinste identifizierbare Gruppe von Vermögenswerten, die Zahlungsmittelzuflüsse erzeugt, die weitestgehend unabhängig sind von den Zahlungsmittelzuflüssen anderer Vermögenswerte oder Gruppen von Vermögenswerten. Einzelheiten zur Anwendung des IAS 36 erörtert die IDW Stellungnahme 1412 zur Rechnungslegung „Einzelfragen zu Wertminderungen von Vermögenswerten nach IAS 36“ (IDW RS HFA 40).1652) II. Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts

Mit Blick auf die Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts (fair value) bein- 1413 halten die IFRS keine ausdrücklichen Vorgaben. Maßgeblich ist IFRS 13, der ___________ 1647) Kunowski, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 903 ff. 1648) Watrin/Stöver, KoR 2012, 178. 1649) Vgl. Zwirner/Zimny, IRZ 2015, 420. 1650) IAS 36.66. 1651) IAS 36.81. 1652) FN-IDW 6/2015, S. 335 ff.

345

Achtundzwanzigster Teil: Unternehmensbewertung im Bilanzrecht

jede adäquate Methode zur Bestimmung von zukünftigen Zahlungsströmen und deren Diskontierung gestattet.1653) HFA 40 erachtet die Verwendung des Konzepts der gewogenen Kapitalkosten („WACC-Ansatz“) als angemessen.1654) Dieses Verfahren haben wir bereits kennengelernt.1655) III. Bestimmung des Nutzungswertes 1414 Bei der Bestimmung des Nutzungswertes („value in use“) sind Grundlage für die Schätzung der Zahlungsströme die jüngsten Finanzpläne des Managements. Diese müssen auf vernünftigen und vertretbaren Annahmen basieren.1656) Nicht enthalten sein dürfen geplante Restrukturierungen, zu deren Durchführung das Unternehmen nicht verpflichtet ist. Die Finanzpläne umfassen nur eine endliche Detailplanungsphase; die IFRS sehen den GoF indes als nicht planmäßig abnutzbaren Vermögenswert an. An die Detailplanungsphase schließt sich daher an eine Extrapolation („ewige Rente“).1657) 1415 Die Nutzung künftiger Erträge für die Bewertung von Vermögensgegenständen kann als „Krisenbeschleuniger“ wirken. In der Finanzkrise hat sich z. B. gezeigt, dass in den Bilanzen enthaltene Firmenwerte außerplanmäßig abgeschrieben werden mussten, weil die Erwartungen der Unternehmen sich drastisch verschlechterten. Dies schlägt dann direkt auf das bilanzierende Unternehmen zurück. IV. Kapitalkosten 1416 Die Kapitalkosten müssen den risikofreien Zinssatz (Basiszinssatz) spiegeln und die speziellen Risiken des Unternehmens, die bei der Ermittlung der künftigen Zahlungsströme nicht berücksichtigt wurden (Risikozuschlag).1658) Sofern nicht im Einzelfall ein adäquater Kapitalisierungszinssatz unmittelbar beobachtet werden kann, ist er anhand eines Kapitalmarktpreisbildungsmodells zu bestimmen.1659) Angewandt werden im Regelfall der WACC-Ansatz und das CAPM. Der Nutzungswert ist ein Vorsteuer-Konzept; es ist also ein Vorsteuer-Zinssatz erforderlich. Da am Kapitalmarkt jedoch NachsteuerRenditen beobachtet werden, bedarf es einer entsprechenden Umrechnung.1660) Für die Ableitung des risikoangepassten Kapitalisierungszinses und des Betafaktors ist u. U. eine Gruppe vergleichbarer Unternehmen (Peer Group) heranzuziehen, die ein ähnliches operatives Risiko hat.1661)

___________ 1653) IFRS 13.B12. 1654) IDW RS HFA 40 Tz. 16 f. und Zwirner/Zimny, IRZ 2015, 421. 1655) Siehe Rn. 1162 ff. 1656) IDW HFA 40 Tz. 18; IAS 36.33. 1657) IDW HFA 40 Tz. 21; IAS 36.36. 1658) IDW RS HFA 40 Tz. 43; IAS 36.55. 1659) IDW RS HFA 40 Tz. 44. 1660) IDW RS HFA 40 Tz. 52 f. 1661) IDW RS HFA 40 Tz. 47 f.

346

Neunundzwanzigster Teil Steuerrecht Wegen der Verzahnung von zivilrechtlichen und steuerlichen Sichten und 1417 deren gegenseitige Beeinflussung, nehmen wir in den Blick auch die Unternehmensbewertung im Steuerrecht. Hier begegnen uns gleich drei Bewertungsmaßstäbe: x

gemeiner Wert

x

Teilwert

x

Fremdvergleichspreis

A. Gemeiner Wert I. Grundlagen

Das Steuerrecht legt der Bewertung zugrunde die „wirtschaftliche Einheit“, 1418 deren Wert ist „im Ganzen festzustellen“ (§ 2 Abs. 1 BewG). Gehört ein Wirtschaftsgut mehreren Personen, so ist der gefundene Wert auf die Beteiligten zu verteilen nach dem Verhältnis ihrer Anteile. Zugrunde zu legen ist grundsätzlich der „gemeine Wert“ (§ 9 Abs. 1 BewG), d. h. der Preis, „der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre“ (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BewG). Zu berücksichtigen sind alle Umstände, „die den Preis beeinflussen“ (§ 9 Abs. 2 Satz 2 BewG). Damit unterscheidet sich das Steuerrecht im Grundansatz nicht vom Zivilrecht und der betriebswirtschaftlichen Bewertungsliteratur. Der verwendete Begriff der „wirtschaftlichen Einheit“ stellt sicher, dass die steuerlichen Bewertungsverfahren rechtsformunabhängig gelten. Unterschiede ergeben sich in der Ermittlung der konkreten Wertansätze:1662) 1419 x

Anteile, die an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, sind anzusetzen mit dem niedrigsten Kurs am Stichtag; fehlt es dann an einem Handel, so ist maßgebend der letzte notierte Kurs innerhalb von dreißig Tagen vor dem Stichtag (§ 11 Abs. 1 BewG).

x

Nicht notierte Anteile sind anzusetzen mit dem gemeinen Wert (§ 11 Abs. 2 Satz 1 BewG).1663) Er ist zunächst abzuleiten aus Verkäufen unter fremden Dritten, die weniger als ein Jahr zurückliegen. Es genügt grundsätzlich der Verkauf eines einzigen Anteils; er darf allerdings kein „Zwerg-

___________ 1662) Hecht/von Cölln, DB 2010, 1084; Ruiz de Vargas/Zollner, BewertungsPraktiker, Nr. 4/2010, S. 2. 1663) Zu Einzelheiten siehe BFH, 29.7.2010, BFHE 230, 413 = DStR 2010, 2231.

347

Neunundzwanzigster Teil: Steuerrecht

anteil“ sein, dessen Preis nur einen „begrenzten Aussagewert“ hat für den Wert der übrigen Anteile.1664) x

Gelingt das nicht, so ist der Wert zu ermitteln „unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke üblichen Methode“. Anzuwenden ist die Methode, „die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde“ (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Die Summe der gemeinen Werte der Aktiva abzüglich der Schulden (Substanzwert) darf nicht unterschritten werden (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BewG).

1420 Damit ist in den ersten beiden Fällen die Anwendung betriebswirtschaftlicher Bewertungsverfahren grundsätzlich ausgeschlossen. Ist darüber hinaus eine „andere im gewöhnlichen Geschäftsverkehr anerkannte und für nicht steuerliche Zwecke übliche Methode“ vorhanden, so ist diese anzuwenden.1665) Erst wenn sich hiernach kein Ergebnis zeigt, ist der Weg eröffnet zu einer Bewertung nach IDW S 1, wie sie hier geschildert wurde – damit zu einer Annäherung an den Unternehmenswert. Wir stellen aber fest, dass der Mindestwert, der nicht unterschritten werden darf (Substanzwert), hier anders definiert wird: während es sich bei der handelsrechtlichen Bewertung um den Wiederherstellungswert handelt,1666) ist es hier der (Einzel-)Veräußerungspreis. Das kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Das wesentliche Problem hängt mit der Frage zusammen, ob und wie bei der Einzelveräußerung stille Reserven und die hierauf entfallenden (latenten) Steuern zu berücksichtigen sind.1667) 1421 Es steht aber auch eine Alternative bereit: Das „vereinfachte Ertragswertverfahren“ nach §§ 199 – 203 BewG (§ 11 Abs. 2 Satz 4 BewG). Mindestwert ist auch hier der Substanzwert. Dieses Verfahren ist ein „typisiertes Verfahren“, das der Steuerpflichtige wahlweise in Anspruch nehmen kann;1668) wählt er allerdings dieses Verfahren, so sind die dort geltenden Regeln insgesamt zu beachten.1669) 1422 Dies führt in der Praxis dazu, dass das „vereinfachte Ertragswertverfahren“ immer dann angewendet wird, wenn eine Bewertung nach dem betriebswirtschaftlichen Verfahren nicht zu niedrigeren Ergebnissen führt oder deren Kosten gemessen an dem möglichen „Ertrag“ in Form eines niedrigeren Unternehmenswertes bzw. der hieraus resultierenden Steuerersparnis zu hoch erscheinen. Umgekehrt ist das vereinfachte Verfahren nicht anwendbar, wenn es zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt (§ 199 Abs. 2

___________ 1664) BFH, 22.6.2010, BFHE 230, 182 = NZG 2010, 1277. 1665) Rössler/Troll, BewG, § 11 Rn. 34; Übersicht über branchenspezifische Bewertungsmethoden siehe Bayr. Staatsministerium der Finanzen, 4.1.2013, BeckVerw 13, 267920. 1666) Siehe Rn. 1343. 1667) Wollny, DStR 2012, 766, 769. 1668) A. M. Viskorf, ZEV 209, 593, 595. 1669) Rössler/Troll, BewG, § 11 Rn. 34.

348

A. Gemeiner Wert

BewG). Die Gesetzesbegründung erwähnt hier ausdrücklich den Fall, dass ein nach dem Bewertungsstichtag vorliegender Verkauf einen höheren Unternehmenswert erkennen lässt; ein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip wird dadurch vermieden, dass ein solcher Fall der Finanzverwaltung nur Anlass bieten soll, eine „vollständige Bewertung“ anzufordern.1670) Trotzdem bleibt die Frage offen, wann eine Abweichung „offensichtlich“ zu unzutreffenden Ergebnissen führt und wie überhaupt ein „zutreffendes“ Ergebnis aussieht, sowie die Frage, wer für beides die Darlegungs- und Beweislast trägt. Die Sicht der Finanzverwaltung schildern die „Gleichlautende(n) Erlasse der 1423 obersten Finanzbehörden der Länder betr. Bewertung der Anteile an einer Kapitalgesellschaft oder einer Beteiligung an einer Personengesellschaft für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer“.1671) II. Vereinfachtes Ertragswertverfahren

Das vereinfachte Ertragswertverfahren lehnt sich an das Ertragswertverfah- 1424 ren nach IDW S 1.1672) x

Ausgangspunkt der Bewertung ist der „zukünftig nachhaltig erzielbare Jahresertrag“ (§ 200 Abs. 1 BewG). Der (Steuer-)Gesetzgeber geht hier vom Gewinn des Unternehmens nach § 4 Abs. 1 EStG bzw. dem Einnahmenüberschuss i. S. d. § 1 Abs. 3 EStG aus. Dieser wird jedoch nicht nach vorne geplant; der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, dass der Durchschnittsertrag der letzten drei vor dem Bewertungsstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahre eine hinreichende Beurteilungsgrundlage bildet (§ 201 Abs. 1 und 2 BewG). Folgerichtig kennt das Steuerrecht auch nicht die Aufteilung in Detailplanungsphase und „ewige Rente“.

x

An die Stelle der von IDW S 1 vorgesehenen individuellen Bereinigungen außerordentlicher Faktoren tritt eine Anpassung der Jahresergebnisse um bestimmte Sachverhalte, die in § 202 BewG im Einzelnen und abschließend beschrieben sind. Allerdings enthält das Gesetz eine „Öffnungsklausel“: Wirtschaftlich nicht begründete Vermögensminderungen oder -erhöhungen mit Einfluss auf den zukünftigen nachhaltigen Jahresertrag sind hinzuzuzählen oder abzuziehen (§ 202 Abs. 1 Nr. BewG).

x

Zur Abgeltung der persönlichen Ertragsteuern wird ein nach den vorstehenden Grundsätzen gefundenes Ergebnis um 30 % gemindert (§ 202 Abs. 3 BewG).

x

Der so gefundene Ertragswert ist zu kapitalisieren mit einem Zinssatz, der sich aus dem Basiszins und einem – gesetzlich vorgegebenen – Risikozu-

___________ 1670) Rössler/Troll, BewG, § 199 Rn. 23. 1671) Erlass v. 5.7.2014, BStBl. I 2014 S. 882. 1672) Hecht/von Cölln, DB 2010, 1084; Ruiz de Vargas/Zollner, BewertungsPraktiker, Nr. 4/ 2010, S. 2.

349

Neunundzwanzigster Teil: Steuerrecht

schlag von 4,5 % zusammensetzt (§ 203 Abs. 1 BewG).1673) Dabei soll der Basiszins – wie auch bei IDW S 1 – aus den Zinsstrukturdaten der Deutschen Bundesbank berechnet werden; vereinfachend gilt jedoch der auf den 1.1. eines Jahres ermittelte Wert für alle Bewertungsfälle des Jahres. 1425 Der Anteilswert ergibt sich auch nach den steuerrechtlichen Regeln aus einer Aufteilung des Unternehmenswertes nach der Höhe der Beteiligung (§ 11 Abs. 3 BewG). § 11 Abs. 3 BewG lässt aber Ausnahmen zu, wenn „aufgrund besonderer Umstände“ der gemeine Wert der Anteile eines Gesellschafters höher als der Wert ist, der sich aus der Summe der Anteile ergibt. Das Gesetz nennt hier ausdrücklich die Höhe der Beteiligung, die eine Kontrolle der Gesellschaft ermöglicht (sog. „Paketzuschlag“). Dieser kann bis zu 25 % betragen. Wir prüfen in diesen Fällen aber stets, ob der Paketzuschlag nicht bereits in der Bewertung enthalten ist. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn im Falle der Ableitung des Unternehmenswertes aus Verkäufen bereits „Höchstpreise“ zur Erzielung einer Kontrollmehrheit gezahlt worden sind.1674) Bei Anwendung des (vereinfachten) Ertragswertverfahrens kann dagegen – anders als in gesellschaftsrechtlichen Bewertungsfällen –1675) ein Paketzuschlag in Betracht kommen. 1426 Aufgrund des klaren Wortlauts des § 11 Abs. 3 BewG kommt ein Abschlag vom Unternehmenswert nicht in Betracht.1676) Ähnlich wie in den gesellschaftsrechtlichen Bewertungsfällen1677) sind Verfügungsbeschränkungen nicht zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 3 BewG). III. Ausländische Gesellschaften 1427 Das vereinfachte Ertragswertverfahren kann auch angewendet werden bei ausländischen Gesellschaften und vermeidet so die EU-rechtswidrige Unterscheidung von Inlands- und Auslandsvermögen. Dann sind aber die Regelungen der §§ 199 ff. BewG insgesamt – einschließlich der Regelungen zum Kapitalisierungszinssatz – anzuwenden. 1428 Als Vereinfachung ist lediglich zugelassen, dass die Ausgangsgröße „Gewinn“ nach den im Ausland geltenden Regeln ermittelt werden kann. Die Bewertung erfolgt in der ausländischen Währung und ist zum Devisenmittelkurs des Bewertungsstichtages umzurechnen. Das gefundene Ergebnis steht dann unter dem „normalen“ Vorbehalt, dass es nicht offensichtlich unzutreffend sein darf (§ 199 Abs. 1 BewG). Dieser Einschränkung kommt hier eine besondere Bedeutung zu, da die Kapitalisierungszinsen in Auslandssach-

___________ 1673) Bruckmeier/Schmid Creutzmann/Heuer, DB 2010, 1301. 1674) Rössler/Troll, BewG, § 11 Rn. 56. 1675) Siehe Rn. 1359. 1676) Rössler/Troll, BewG, § 199 Rn. 57. 1677) Siehe Rn. 1368.

350

B. Teilwert

verhalten möglicherweise erheblich von dem Wert abweichen, der sich nach § 203 BewG ergibt.1678) IV. Diskussionserweiterung

Die neuen steuerlichen Regelungen erweitern die Diskussionsgrundlage für 1429 die Unternehmensbewertung im Ganzen. Darauf weist hin, dass das OLG München die Regelung des § 203 Abs. 1 BewG (Zuschlag von 4,5 %) „als gesetzliche Wertung, die nicht völlig unberücksichtigt bleiben kann“ ergänzend hinzuzieht, sich allerdings letztlich für einen anderen (höheren) Risikozuschlag entscheidet.1679) Ein Risikozuschlag von 4,5 % wird jedoch in der bewertungsrechtlichen Lite- 1430 ratur für zu gering gehalten.1680) So würde sich für 2016 bei einem typisierten Basiszins von 1,10 %1681) ein Kapitalisierungszins von 5,6 % ergeben. Insbesondere bei Unternehmen mit höheren operativen und Kapitalstrukturrisiken soll dieser Zins tendenziell zu niedrig sein. B. Teilwert I. Allgemeines

Der Teilwert ist gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG der Betrag, den ein Er- 1431 werber des gesamten Betriebes im Rahmen des Gesamtkaufpreises für ein einzelnes Wirtschaftsgut ansetzen würde. Dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt. Der Teilwertansatz kommt deswegen immer dann zur Anwendung, wenn es um 1432 die Bewertung von Wirtschaftsgütern eines Unternehmens geht. Wir wenden daher den steuerlichen Teilwert an, wenn Beteiligungen eines Unternehmens an einem anderen Unternehmen zu bewerten sind. Dies gilt nicht nur für den Fall von Unternehmenstransaktionen, sondern auch in der laufenden Bilanzierung, wenn der Steuerpflichtige einen „gesunkenen Teilwert“ geltend macht. Der Bundesfinanzhof hat sich noch nicht konkret dazu geäußert, ob eine 1433 Unternehmensbewertung nach betriebswirtschaftlichen Methoden geeignet ist, den Teilwert einer „wirtschaftlichen Einheit“ zu bestimmen. Er hat zuletzt ausgeführt:1682) „Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung i. S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG liegt vor, wenn der Teilwert nachhaltig unter den maßgeblichen

___________ 1678) Zum Ganzen siehe Stalleicken/Theissen, DStR 2012, 21, 24. 1679) OLG München, 18.2.2014, AG 2014, 453 = NJW-RR 2014, 473; OLG München, 14.7.2009, ZIP 2009, 2339 = WM 2009, 1848. 1680) Franken/Schulte, in: Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 10 Rn. 74 (für 2014 mit einem Basiszins von 2,59 %); Kohl/König, BB 2012, 607. 1681) BMF v. 4.1.2016, BeckVerw 2016, 322615. 1682) BFH, 18.6.15, BFH/NV 2015, 1381 = GMbHR 2015, 1058.

351

Neunundzwanzigster Teil: Steuerrecht Buchwert gesunken ist und deshalb aus Sicht des Bilanzstichtags aufgrund objektiver Anzeichen ernstlich mit einem langfristigen Anhalten der Wertminderung gerechnet werden muss. Hierfür bedarf es einer an der Eigenart des Wirtschaftsgutes ausgerichteten Prognose. Eine nur vorübergehende Wertminderung reicht für eine Teilwertabschreibung nicht aus…. Dabei setzt eine Teilwertabschreibung auf die Beteiligung an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft -vom Vorliegen einer Fehlmaßnahme abgesehen- voraus, dass sich der innere Wert des Beteiligungsunternehmens vermindert hat, und Letzteres nicht allein durch den Anfall hoher Verluste begründet werden kann, sondern einer umfassenden und einzelfallbezogenen Würdigung der Ertragslage und Ertragsaussichten sowie des Vermögenswerts und der funktionalen Bedeutung des Beteiligungsunternehmens bedarf.“

1434 Angesichts der zunehmenden Verwendung ertragswertorientierter Verfahren und des damit verbundenen Rückgangs der sonstigen Bewertungsverfahren wird in der Literatur die Erwartung geäußert, dass der Bundesfinanzhof sich demnächst deutlicher zu solchen Verfahren bekennen wird.1683) II. Anwendung von IDW-Standards 1435 Das IDW hat die Anwendung des Standards S 1 bei der Bewertung von Beteiligungen und sonstigen Unternehmensanteilen für Zwecke eines handelsrechtlichen Jahresabschlusses konkretisiert (IDW RS HFA 10).1684) Da der Teilwert im Steuerrecht eine ähnliche Funktion wie der niedrigere beizulegende Wert im Handelsrecht hat, sind die Regelungen des IDW RS HFA 10 grundsätzlich auf die Ermittlung des Teilwerts einer Beteiligung anwendbar.1685) C. Fremdvergleichspreise 1436 Überträgt ein Unternehmen eine betriebliche Funktion einschließlich der damit verbundenen Chancen und Risiken an ein anderes Unternehmen, so spricht man von Funktionsverlagerung. Die Funktion selbst mit den Chancen und Risiken sowie den Wirtschaftsgütern und Vorteilen, die im Zusammenhang mit der Funktion übertragen werden, werden als „Transferpaket“ bezeichnet (§ 1 Abs. 3 FVerlV). Steuerlich bedeutsam wird das „Transfer-Paket“ allerdings nur, wenn die Verlagerung auf ein ausländisches nahestehendes Unternehmen erfolgt. (§ 1 Abs. 1 AStG). 1437 Für die Bewertung des Transferpakets sieht § 1 Abs. 3 AStG eine abgestufte Reihenfolge vor, die auf Preisen für gleiche Sachverhalte aufbauen, die das Unternehmen selbst oder Drittunternehmen mit fremden Dritten vereinbart haben („Fremdvergleichspreise“):

___________ 1683) Beumer/Duscha, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1423. 1684) Siehe Rn. 1391. 1685) Beumer/Duscha, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 1424.

352

D. Ergebnis

x

In erster Linie maßgeblich sind Fremdvergleichswerte, die im Hinblick auf die ausgeübte Funktion, die mit der Funktion übertragenen Risiken und Chancen und die mitübertragenen Wirtschaftsgüter uneingeschränkt vergleichbar sind.

x

Können solche Preise nicht ermittelt werden (was angesichts der strengen Voraussetzungen regelmäßig der Fall ist), ist in zweiter Linie zu prüfen, ob vorliegende Fremdvergleichspreise durch sachgerechte Anpassungen vergleichbar gemacht werden können.

x

Ist auch das nicht der Fall, so ist ein „hypothetischer Fremdvergleich“ vorzunehmen.

Die Finanzverwaltung hat umfangreiche Vorschriften dazu erlassen, wie sie 1438 sich dies im Einzelnen vorstellt.1686) Dabei ähnelt das Vorgehen beim „hypothetischen Fremdvergleich“ einer Unternehmensbewertung. In beiden Fällen sind zukunftsgerichtet Gewinnpotenziale zu ermitteln und 1439 zu bewerten, wobei allerdings das „Transferpaket“ nicht zwingend ein Unternehmen oder ein Unternehmensanteil im rechtlichen Sinne sein muss. Ausgelagert werden können auch einzelne betriebliche Funktionen wie „Einkauf“, „Vertrieb“ oder „Forschung und Entwicklung“. Darüber hinaus erfolgt die Bewertung eines Transferpaketes zweifach: nämlich aus der subjektiven Sicht des Verkäufers und der subjektiven Sicht des Erwerbers. Wegen der unterschiedlichen Kostensituationen, der Finanzierungssituation, steuerlichen Rahmenbedingungen, insbesondere aber wegen unterschiedlicher Synergien, die Veräußerer und Erwerber mit diesem Transferpaket verbinden können, werden sie zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Hieraus ergibt sich ein „Einigungsbereich“, innerhalb dessen fremde Dritte 1440 das Geschäft abschließen würden. Sofern keine besonderen Gesichtspunkte für einen besonderen Wert innerhalb dieses Einigungsbereiches sprechen, ist der Transferpreis in der Mitte des Bereiches anzunehmen (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG). D. Ergebnis

Wir stellen fest, dass die steuerlichen Regelungen zur Bestimmung von Wer- 1441 ten in einzelnen Fällen wesentlich detaillierter sind als die „gewohnten“ handelsrechtlichen Grundsätze. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass in den steuerlichen Massenverfahren in größerem Umfang von Typisierungen Gebrauch gemacht wird – zulasten der Ermittlung einzelner Sachverhalte und der Einzelfallgerechtigkeit, was auch verfassungsrechtlich gebilligt wird.1687) Die Typisierungen führen aber eher zu niedrigeren Werten. Da die Typisie___________ 1686) Funktionsverlagerungs-Verordnung (FVerlV) v. 12.8.2008; BMF, Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, 13.10.20110, BStBl. I 2010, 774; vgl. auch Nestler/Schaflitzl, BB 2011, 235; Schilling, DB 2011, 1533; Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469. 1687) Zuletzt BVerfG, 15.2.2016 HFR 2016, 492 = DStR 2016, 862 (zur GewSt).

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Neunundzwanzigster Teil: Steuerrecht

rung nicht zu einer übermäßigen Besteuerung führen darf, enthält sie häufiger auch „Sicherheitsabschläge“. 1442 Die „griffigeren“ Modelle des Steuerrechts können zu der Versuchung führen, diese auch im allgemeinen Zivil- und Handelsrecht zur Anwendung zu bringen. Wir müssen dann damit rechnen, dass die steuerlichen Regeln in das Zivilrecht hineinwirken werden. Dabei würde allerdings verkannt, dass das Zivil- und Handelsrecht dem Ausgleich zweier prinzipiell entgegengesetzter Interessen dient und jede vereinfachende Typisierung notwendigerweise eine Partei benachteiligt. Dies widerspricht dem ebenfalls verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz, dass bei der Unternehmensbewertung der „wahre Wert“ der Beteiligung zu ermitteln ist.1688)

___________ 1688) BVerfG, 27.4.1999, BVerfGE 100, 289 = AG 99, 566 („DAT/Altana“).

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Dreißigster Teil Internationale Unternehmensbewertung „Was weiß der Frosch im Brunnen vom Ozean?“ „When you open for business beyond your borders, the ocean of local knowledge cannot be overemphasized.“1689)

1443

A. Ausgangslage

Die Welt wird zum „globalen Dorf“. Unternehmen, Vorstand und Aufsichtsrat 1444 stehen im Spannungsfeld nationaler und internationaler Normen. Sie müssen nationale Regeln beachten, dürfen nicht gemeinwohlgefährdend agieren (vgl. § 396 AktG); „Compliance“ wird immer wichtiger. „Gemeinwohl“ und „Compliance“ können aber von Land zu Land unterschiedlich verstanden werden. Die internationale Vernetzung wirkt sich aus auf die Unternehmensbewertung. 1445 Die Unternehmensbewertung erhält angesichts von „Bewertungseinheiten“ (§ 254 HGB),1690) von globalen Konzernen und grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschlüssen1691) (z. B. zur Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft)1692) internationale Dimensionen. Die International Valuation Standards wenden sich an Bewerter in der ganzen 1446 Welt, wollen dazu beitragen, Bewertungsregeln international zu harmonisieren.1693) Auch hier haben wir es bei Abfindungen mit Normwerten zu tun und dadurch mit dem Internationalen Unternehmensrecht und dem Internationalen Bilanzrecht.1694) Wir müssen abstellen auf die einschlägigen Rechtsverhältnisse und sie miteinander verknüpfen. Für den Normwert sind bei grenzüberschreitenden Fällen ausländische Sichten zu beachten.1695) Hinweise für die Anwendung ausländischen Rechts gibt uns das KG Berlin:1696) „Den Inhalt des maßgeblichen ausländischen Rechts hat der Tatrichter gemäß § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. In welcher Weise er sich die notwendigen Kenntnisse verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Revisionsrechtlich überprüft werden kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insoweit lediglich, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfeh-

___________ 1689) Essler, BewertungsPraktiker Nr. 1/2007, S. 13. 1690) Hennrichs, WPg 2010, 1185. 1691) Adolff, ZHR 173 (2009), 67. 1692) Vgl. zum Minderheitenschutz: Witten, Minderheitenschutz bei Gründung und Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE). 1693) Barthel, DStR 2010, 2003; Luttermann, ZIP 2012, 305; Bollmann, BewertungsPraktiker Nr. 3/2010, S. 16. 1694) Großfeld, in: Ebke/Elsing/Großfeld/Kühne, S. 228; Großfeld, WPg 1998, 297. 1695) Großfeld, ZVglRWiss 101 (2002), 387; Sandrock, in: FS Graf von Westphalen, S. 581. 1696) KG Berlin, 26.9.2011, WRP 2012, 102 = IPRspr 2011, Nr. 160, 383; vgl. Hondius, in: FS Schwenzer, S. 759.

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1447

Dreißigster Teil: Internationale Unternehmensbewertung lerfrei ausgeübt, insbesondere die sich anbietenden Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles hinreichend ausgeschöpft hat. An die Ermittlungspflicht sind dabei umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer und je fremder im Vergleich zum deutschen das anzuwendende Recht ist. Bei Anwendung einer dem deutschen Recht verwandten Rechtsordnung und klaren Rechtsnormen sind die Anforderungen geringer … Die Ermittlung des fremden Rechts ist nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen zu beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Der Tatrichter ist gehalten, das Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung entwickelt hat, er muss dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen.“

1448 Bei Strukturmaßnahmen einer deutschen Gesellschaft (Gesellschaftsstatut) gilt deutsches Recht. Materiell leitend ist eben der Schutz der Minderheitsaktionäre. Für das Verfahren gelten die Regeln über die internationale Zuständigkeit.1697) Beim Ausscheiden aufgrund eines Unternehmensvertrags oder eines Squeeze-outs ist international zuständig das Gericht im Gründungsstaat der abhängigen Gesellschaft. B. Problem 1449 Bei inländischen Bewertungen nehmen wir an, dass die Unternehmenseigner bei uns ansässig sind. IDW S 1 2005 sagte:1698) „Die Ermittlung eines objektivierten Werts erfolgt grundsätzlich unter der Annahme, dass die Unternehmenseigner im Sitzland des zu bewertenden Unternehmens ansässig sind. Hieraus ergeben sich Konsequenzen insbesondere für die nach den Gegebenheiten des jeweiligen Sitzlandes zu berücksichtigenden typisierte Steuerbelastung sowie für die zugrunde zu legenden Verhältnisse hinsichtlich Kapitalmarkt, Risiko und Wachstum. Die führt bspw. bei grenzüberschreitenden Fusionen dazu, dass für das zu ermittelnde Umtauschverhältnis der Wert eines inländischen Unternehmens typisiert für den im Inland ansässigen inländischen Unternehmenseigner zugrunde gelegt wird.“

1450 IDW S 1 20081699) erläutert: „Bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Bewertungsanlässen (z. B. Squeeze-out) wird der objektivierte Unternehmenswert im Einklang mit der langjährigen Bewertungspraxis und deutschen Rechtsprechung aus der Perspektive einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner ermittelt. Bei dieser Typisierung sind demgemäß zur unmittelbaren Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern sachgerechte Annahmen zu deren Höhe sowohl bei den finanziellen Überschüssen als auch beim Kapitalisierungszinssatz zu treffen.“

___________ 1697) Nießen, NZG 2006, 441. 1698) IDW S 1 2005 Tz. 55. 1699) IDW S 1 2008 Tz. 31.

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C. Abfindung

Diese Annahme ist heute „ein frommer Wunsch“, wie uns die „Hedge Fonds“ 1451 vor Augen führen. Sie beruht auf der Annahme der „Sitztheorie“, wonach eine Gesellschaft mit Verwaltungssitz bei uns ein deutsches Gesellschaftsstatut haben muss. Diese Theorie ist durch den Europäischen Gerichtshof1700) weitgehend „durchlöchert“. C. Abfindung I. Internationales Gesellschaftsrecht

Für den Normwert ist nach bisheriger Auffassung zuständig das jeweilige 1452 Gesellschaftsstatut (Heimatrecht der Gesellschaft);1701) es regelt also die Bewertung.1702) Es entscheidet über die Bewertung vor oder nach Steuern, über Vollausschüttungs- oder Zuflussprinzip und über die Ausschüttungsrate. Es bestimmt den Mindestwert. Das Gesellschaftsstatut bestimmt sich traditionell nach der Sitztheorie, also 1453 nach dem Recht am Ort der Hauptverwaltung der Gesellschaft. Das hat sich aber weitgehend gewandelt. Jetzt gilt aber innerhalb der Europäischen Union aufgrund Art. 49, 54 AEUV die „Gründungstheorie“; auch für USamerikanische Gesellschaften ist sie anwendbar.1703) Der Gesetzgeber reagiert hierauf, passt deutsches Gesellschaftsrecht den meist weniger strikten Regeln anderer Staaten an. So reagierte die deutsche Unternehmergesellschaft (§ 5a GmbHG) auf die englische Ltd. Jedenfalls stehen wir vor neuen Fragen des Internationalen Bewertungsrechts: 1454 Wird auch bei ausländischen Gesellschaften angeknüpft an das Gesellschaftsstatut, selbst wenn der Verwaltungssitz in Deutschland ist? Die Frage ist bisher nicht diskutiert. Einerseits haben sich die Gesellschafter auf das ausländische Recht eingelassen – wenn sie in vielen Fällen auch dessen Inhalt kaum kennen. Andererseits können schwerwiegende Vermögens- und Konzentrationsfolgen im Inland auftreten. Liegt eine Parallele nahe zum Internationalen Bilanzrecht?1704) Welche Rolle spielt angesichts des hohen volkswirtschaftlichen Interesses der ordre public (Art. 6 EGBGB)? Wir haben noch keine Antwort.

___________ 1700) EuGH, 5.11.2002, Slg 2002, I-9919 = NZG 2002, 1164; EuGH, 12.9.2006, Slg 2006, I7995 = NZG 2006, 835 („Cadbury Schweppes“). 1701) Anders für eine sog. Restgesellschaft, OLG Nürnberg, NZG 2008, 76; Krömker/ Otte, BB 2008, 964. 1702) Zu Einzelheiten siehe Reuter, AG 2007, 881. 1703) Vgl. z. B. OLG Düsseldorf, 17.12.2015 – I-2 U 25/10; Ebke, in: Ebke/Elsing/Großfeld/ Kühne, S. 175. 1704) Großfeld, in: Ebke/Elsing/Großfeld/Kühne, S. 217, 228.

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Dreißigster Teil: Internationale Unternehmensbewertung

II. Internationale Zuständigkeit 1455 Es gelten die Regeln über die internationale Zuständigkeit, die das Gericht von Amts wegen prüft. Nach § 2 SpruchG ist zuständig das Landgericht am Sitz der Gesellschaft. Aber das wird durch die Ausbreitung der Gründungstheorie Gegenstand der Diskussion. III. Bilanzrecht 1. Komplexität 1456 Wir begegnen Abschlüssen von „rätselhafter Transparenz“;1705) „Globale“ Sichten der Rechnungslegung erweisen sich oft als „falsche Freunde“. Der International Accounting Standards Board warnt: „Financial Statements are prepared and presented for external users by many enterprises around the world. Although such financial statements may appear similar from country to country, there are differences which have probably been caused by a variety of social, economic and legal circumstances and by different countries having in mind the needs of different users of financial statements when setting national requirements.“1706)

1457 Eine „Verortung“ daher ist immer geboten.1707) Das führt zu Kernfragen einer internationalen Rechnungslegung und der Rechtsvergleichung.1708) Das Fazit: Unternehmensbewerter müssen zunehmend Rechtsvergleicher1709) und bereit sein, sich neuen Einsichten zu öffnen.1710) Ausland ist nicht Inland. 2. Anwendbares Recht 1458 Das Gesellschaftsstatut bestimmte unter der Herrschaft der Sitztheorie auch die für die Bewertung heranzuziehende Rechnungslegung. Die Internationalen Grundsätze der Rechnungslegung (International Financial Reporting Standards/International Accounting Standards) vereinheitlichen zunehmend. Aber gleicher Wortlaut bringt keine gleichen Sichten; hinzu treten die Schwierigkeiten einer Übersetzung.1711) Gelegentlich mögen die Grundsätze des ordre public (Art. 6 EGBGB) anzuwenden sein.1712) 1459 Die Rechtslage ist aber durch das Vordringen der Gründungstheorie komplexer geworden. Bei deutschen Auslandsgesellschaften (vgl. § 4 GmbHG, § 5 AktG) kann die Bilanz z. B. deutschem oder ausländischem Recht unter___________ 1705) Wagenhofer, Abschlüsse von rätselhafter Transparenz, FAZ v. 6.9.2010, Nr. 206, S. 12; vgl. Meyer, Der Konzern 2010, 226. 1706) International Accounting Standards Board 2002, IAS F – 1, F – 4. 1707) Großfeld, Michigan L. Rev. 82 (1984), 1510. 1708) Großfeld, Internationales Bilanzrecht; Fleischer/Strothotte, RIW 2012, 2. 1709) Großfeld/Eberle, Texas Intern. L. J. 38 (2003), 291. 1710) Robert J. Morris, Journal of Legal Education 53 (2003), 267. 1711) Vgl. LG Chemnitz, 8.3.2006, NZG 2006, 517; Minke, in: Ebke/Kirchhof/Mincke, S. 39. 1712) Vgl. Wojcik, Der Konzern 2010, 232.

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D. Ausländische Töchter

liegen, je nach den Regeln des ausländischen Staates. Das wirft ebenfalls die Frage auf, ob das Bilanzrecht eigenständig anzuknüpfen ist als Teil eines umfassenden Kapitalmarktrechtes. Ziehen wir bei „Limited Liabilities Partnerships“ englisches oder deutsches Bilanzrecht heran?1713) Wo finden wir das den „tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Bild“, wie es der „europäische Wahrheitsgrundsatz“ verlangt? Das Bilanzrecht befindet über die Konzernverfassung und über die Gleichbehandlung (vorbehaltlich des ordre public – Art. 6 EGBGB). 3. Gutachter

Vieles lässt sich vom Inland her kaum zuverlässig ermitteln. Falls eine deut- 1460 sche Zuständigkeit gegeben ist, prüft das deutsche Gericht auch den ausländischen Teil. Plausibilität tritt ins Zentrum. 4. Kulturunterschiede

Zu beachten sind Kulturunterschiede.1714) Das beginnt damit, dass Kulturen 1461 unterschiedliche Zahlen bevorzugen.1715) Mathematische Formeln dürfen uns nicht täuschen: Bewertung ist immer „mathematics in context“. Ist – wenn auch mathematisch exakt berechnet – der Betafaktor eines deutschen, nigerianischen oder argentischen Unternehmen dasselbe?1716) Sieht das ausländische Recht das Gebilde als „Unternehmen an sich“ oder als eignerbezogen; sind andere „Stakeholder“ zu beachten (z. B. Arbeitnehmer oder Kommunen)? Überschüsse sind Ergebnisse einer lokalen Kultur, Prognosen hängen ab von Zeitvorstellungen.1717) Status oder Gesichtsverlust können nach ausländischem Recht stark wirksam werden. Es gibt kein einheitliches „Alphabet des menschlichen Denkens“.1718) D. Ausländische Töchter I. Auslandsrisiko

Zunächst ist zu prüfen, mit welchen Überschüssen der Tochter die inländi- 1462 sche Mutter rechnen kann. Überschüsse im Ausland sind nicht gleichwertig denen im Inland. Das beginnt bei Informationssperren und setzt sich in der ___________ 1713) Vgl. zur erloschenen englischen Limited als Restgesellschaft in Deutschland OLG Hamm, 11.4.2014, NJW-RR 2014, 995. 1714) Großfeld, in: Liber Amicorum Richard M. Buxbaum, S. 205; Westhoff, in: Hirte/Bücker, S. 610. 1715) Vgl. Blenkers, Die steuerliche Betriebsprüfung 2003, S. 261; Trede/Watrin/Ullmann, Die Betriebswirtschaft 2009, 701. 1716) Vgl. zu einem solchen Einwand OLG Düsseldorf, 12.11.2015, AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71. 1717) Großfeld/Wessels, ZVglRWiss 4 (1990), 498; Großfeld, in: Backhaus/Bonus, S. 91. 1718) Luttermann/Luttermann, RIW 2007, 434; Großfeld, Dreaming Law: Comparative Legal Semiotics.

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Dreißigster Teil: Internationale Unternehmensbewertung

Durchsetzung eines Anspruchs fort. Hinzu treten Transferrisiken, z. B. aufgrund von Devisenbewirtschaftung und Wechselkursrisiken. II. Internationales Steuerrecht 1463 Ferner ist zu ermitteln, welche Steuern die Überschüsse mindern. Das hängt auch ab vom Bestehen oder Fehlen eines Doppelbesteuerungsabkommens. III. Ausländische Anteilseigner 1464 Bei ausländischen Töchtern gibt es häufig noch „freie“ ausländische Aktionäre. Aus welcher Sicht sind deren Anteile zu bewerten? Bei der Verschmelzung zur Allianz SE gab es dazu folgende Antwort:1719) „Wenn zwischen den zu bewertenden Unternehmen bereits wesentliche Beteiligungsverhältnisse bestehen, ist es im Sinne einer einheitlichen Bewertung geboten, die Anteile am Beteiligungsunternehmen aus der Sicht der Anteilseigner der Obergesellschaft zu bewerten. Die außen stehenden Anteile der RAS [Riunione Adriatica Di Sicurtà] werden demnach, wie die von der Allianz gehaltenen Anteile typisierend, aus der Sicht des deutschen Anteilseigners bewertet.“

1465 Das erscheint angesichts des italienischen Gesellschaftsstatuts als zweifelhaft, ist aber im Rahmen des offenen Europäischen Gesellschaftsrechts verständlich. E. Grenzüberschreitende Verschmelzung I. Grundsatz 1466 Für das Umtauschverhältnis werden zwei Werte ermittelt, typisiert für die Eigner gemäß dem jeweiligen Gesellschaftsstatut; hinzu tritt die „Regionalisierung“ der Eigentümer:1720) „Dies führt bspw. bei grenzüberschreitenden Fusionen dazu, dass für das zu ermittelnde Umtauschverhältnis der Wert eines inländischen Unternehmens typisiert für den im Inland ansässigen inländischen Unternehmenseigner und der Wert des ausländischen Unternehmens typisiert für den im Ausland ansässigen ausländischen Unternehmenseigner zugrunde gelegt wird.“

1467 Wie ist es bei im Inland ansässigen ausländischen und bei im Ausland ansässigen deutschen Eignern? Müssen wir bei der Ankündigung einer Verschmelzung mit „Umzügen“ rechnen? Wie können wir die Ansässigkeit im Ausland erkennen? Erfasst die Sicht des IDW Standards die Bedingungen im Ausland? II. Wertungsebene 1468 Bisher fehlt eine grenzüberschreitende Wertungsebene. deshalb sind zwei Gesellschaftsstatute zu beachten („Doppelhürde“): Adolff gibt deshalb dem

___________ 1719) Verschmelzungsdokumentation der Allianz Aktiengesellschaft, 2005, S. 218. 1720) IDW S 1 2005 Tz. 55; im IDW S 1 2008 fehlt eine Aussage.

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E. Grenzüberschreitende Verschmelzung

Recht des aufnehmenden Rechtsträgers den Vorrang; sonst werde eine grenzüberschreitende Verschmelzung europarechtswidrig behindert.1721) Wir neigen eher dahin, sich in dem rechtlichen Rahmen zu halten, in dem die Wertsichten sich überschneiden; evtl. müssen wir „anpassen“, d. h. die nationalen Normen zuschneiden auf die Besonderheiten des Internationalen.1722) Wenn ein Gesellschaftsstatut einen grenzüberschreitenden Zusammenschluss gestattet, wird es wohl die Anpassung erlauben. Gefragt ist das pflichtgemäße Urteil des Bewerters1723) (wohl entsprechend dem europäischen „Grundsatz der Bilanzwahrheit“1724)). Entscheidend sind die Parallelität der Verfahren und ein gemeinsamer Plausi- 1469 bilitätsrahmen. Dafür können Vergleiche der Börsenwerte, der Kurs/GewinnVerhältnisse und der Kurs/Eigenkapital-Verhältnisse herangezogen werden. Man mag ferner die Kursziele von Finanzanalysten berücksichtigen. Innerhalb des so gesetzten Rahmens mag dann die Analyse z. B. nach dem Ertragswertverfahren stattfinden. Nach diesem Muster verfuhr man bei der Gründung der Allianz SE.1725)

___________ 1721) Adolff, ZHR 173 (2009), 67, 99 f. 1722) Vgl. Großfeld, NZG 2002, 353, 357. 1723) Reuter, AG 2007, 881, 892 mit Verweis auf BGHZ 71, 40. 1724) EuGH, 27.6.1996, Slg. 1996 I 3133 = NJW 1996, 2363 (“Tomberger”). 1725) Verschmelzungsdokumentation der Riunione Adriatica Di Sicurtà, S. 131 ff.

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Einunddreißigster Teil Abfindungsklauseln A. Allgemeines

Die Bewertung eines Unternehmens und die Ermittlung einer angemessenen 1470 Abfindung sind unsicher. Das legt nahe, die Abfindung im Gesellschaftsvertrag zu regeln. Die Abfindungsklausel soll im Allgemeinen den Bestand der Gesellschaft schützen und/oder die Berechnung der Abfindung erleichtern.1726) Klauseln sollen meist die Substanz und Liquidität des Unternehmens erhalten, Streit vermeiden. Andererseits können sie genutzt werden, um Druck auf Gesellschafter auszuüben, in der Gesellschaft zu verbleiben.1727) Sie ist zulässig bei Personengesellschaften und bei Gesellschaften mit be- 1471 schränkter Haftung1728); sie bedarf der Zustimmung aller Gesellschafter.1729) Sie ist objektiv auszulegen wie eine Satzung.1730) Die Klausel ist wichtig für ge- 1472 genwärtige und künftige Gesellschafter, ebenso wie für Gesellschaftsgläubiger; sie hat daher „körperschaftsrechtlichen Charakter“1731) und ist auszulegen anhand objekiver Umstände.1732) Entscheidend ist der Zeitpunkt der Abfindung.1733) Das Statut einer Aktiengesellschaft kann die Abfindung nicht regeln (§ 23 1473 Abs. 5 AktG). B. Wirksamkeit I. Grundsätze

Eine Abfindungsklausel ist grundsätzlich unproblematisch, wenn sie den tatsäch- 1474 lichen Wert des Anteils übersteigt.1734) Sie ist aber unwirksam, wenn sie unangemessen niedrig ist,1735) bei „nicht zu kleinlicher kaufmännischer Schätzung“.1736) ___________ 1726) Zum Ganzen siehe Skusa/Thürauf, NJW 2015, 3478; Oppenheim, Abfindungsklauseln in Personengesellschaftsverträgen; Benjamin Becker, Die Zulässigkeit von Hinauskündigungsklauseln nach freiem Ermessen im Gesellschaftsvertrag; Nolting-Hauff, Deutscher Anwaltspiegel, 2009/2010, S. 40; Ivens, GmbHR 2011, 465; Zur Geltendmachung der Abfindung BGH, DB 2011, 1631. 1727) Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 131 Rn. 58. 1728) BGH, 15.3.2010, NZG 2010, 988; Noack, NZG 2010, 1717. 1729) BGH, 16.12.1991, BGHZ 116, 359 = NJW 1992, 892; BGH, 24.5.1993, WM 1993, 1412 = NJW 1993, 2101; siehe auch Haberstroh, BB 2010, 745. 1730) BGH, 16.12.1991, BGHZ 116, 359 = NJW 1992, 892. 1731) BGH, 27.9.2011, DB 2011, 2765 = NZG 2011, 1420. 1732) BGH, 16.12.1991, BGHZ 116, 359 = NJW 1992, 892. 1733) BGH, 27.9.2011, DB 2011, 2765 = NZG 2011, 1420. 1734) OLG München, 23.6.2006, OLGR München 2006, 516. 1735) BGHZ, 16.12.1991, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257; OLG Hamm, 4.12.2002, NZG 2003, 440. 1736) BGH, 26.10.1983, WM 1984, 31 = NJW 1984, 362.

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Einunddreißigster Teil: Abfindungsklauseln

1475 Dafür zählen zwei Aspekte:1737) Die Klausel kann von Anfang an „grob unbillig“ sein (§ 138 Abs. 1 BGB)1738) oder es hat sich im Laufe der Zeit ein Missverhältnis entwickelt (Ausübungskontrolle nach § 242 BGB). Das ist anzunehmen, wenn die Klausel jetzt in unvertretbarer Weise das Recht eines Gesellschafters beschränkt, ordentlich oder aus wichtigem Grunde zu kündigen (§ 723 Abs. 3 BGB),1739) wenn also der Abfindungsanspruch so eingeschränkt wird, dass ein Gesellschafter „vernünftigerweise“ nicht kündigt.1740) Der Bundesgerichtshof bejaht das auch, wenn nur der Ertragswert, nicht aber der ca. 3 ½-mal höhere Liquidationswert angesetzt werden soll und die Liquidation möglich und zumutbar ist.1741) Besonderheiten des Gesellschaftsverhältnisses sind zu beachten.1742) Ein fünfjähriger Ausschluss der Kündigung ist zulässig.1743) 1476 Bei Gesellschaften mit ideellen Zielen können die Maßstäbe weniger streng sein.1744) II. Familiengesellschaften 1477 Ulmer plädiert für weniger strenge Grundsätze bei einer „großen, generationsübergreifenden Familien-KG“; er sieht in ihnen einen „besonderen, stiftungsähnlichen Vertragstyp“.1745) Auch Skusa/Thürauf meinen, auf die Besonderheiten der Familiengesellschaft im Hinblick auf den generationenübergreifenden Charakter sei Rücksicht zu nehmen, etwa bei landwirtschaftlichem Immobilienvermögen.1746) C. Folgen der Unwirksamkeit 1478 Ist die Klausel unwirksam, so muss man die Lücke schließen durch eine ergänzende Auslegung i. S. e. zumutbaren Interessenausgleichs (geltungserhaltende Reduktion).1747) Die Abfindung wird nach oben korrigiert. Abfin-

___________ 1737) OLG Naumburg, 26.8.1999, NZG 2000, 698. 1738) BGH, 16.12.1991, BGHZ 116, 359 = NJW 1992, 892; BGH, 20.9.1993, BGHZ 123, 281 = NJW 1993, 3193. 1739) BGH, 7.4.2008, DB 2008, 1203 = NZG 2008, 463. 1740) BGH, 13.3.2006, DB 2006, 999 = NZG 2006, 425. 1741) BGH, 13.3.2006, DB 2006, 999 = NZG 2006, 425. 1742) OLG Celle, 3.1.2007, NZG 2007, 542, zum Ausscheiden eines „Juniorpartners“ ohne Beteiligung am Gesellschaftsvermögen; siehe auch BGH, 7.4.2008, DB 2008, 1203 = NZG 2008, 463, zu einer Klausel, die im Wesentlichen nur die Beteiligung am Überschuss erfasst, aber den Ertragswert und die „Beteiligung an dem Vermögen der (Anwalts-)Sozietät“ ausschließt. 1743) BGH, 13.3.2006, DB 2006, 999 = NZG 2006, 425. 1744) BGH, 2.6.1997, BGHZ 135, 387 = NZG 1998, 25. 1745) Ulmer, ZIP 2010, 805; Ulmer, ZIP 2010, 549. 1746) Skusa/Thürauf, NJW 2015, 3478. 1747) Vgl. OLG Frankfurt, 20.10.2005, NZG 2006, 382.

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D. Einzelne Klauseln

dungsmaßstab und Abfindungsbetrag sind nach Treu und Glauben neu zu ermitteln gemäß den Umständen des Einzelfalls.1748) D. Einzelne Klauseln I. Buchwert der Handelsbilanz

Er spiegelt nur zufällig den angemessenen Wert. Die Handelsbilanz setzt an 1479 bei historischen Kosten (§ 253 Abs. 1 Satz 1 HGB) und gibt damit den Wert eines Unternehmens nicht wieder. Das gilt vor allem, wenn die Gesellschaft Grundbesitz hat oder nicht bilanzierungsfähige selbst erstellte immaterielle Vermögensrechte (§ 248 Abs. 2 Satz 2 HGB). Unsicherheiten schafft auch § 253 Abs. 5 Satz 2 (entgeltlich erworbener Ge- 1480 schäfts- oder Firmenwert). Gelegentlich mag der Buchwert über dem Verkehrswert liegen, wenn etwa die 1481 Bilanz nicht alle Belastungen ausweist, z. B. einen Sozialplan (§ 112 BetrVerfG). II. Buchwert der Steuerbilanz

Oft gilt der Buchwert der Steuerbilanz als verlässlicher Maßstab, weil er stär- 1482 ker die Wertuntergrenze widerspiegelt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Aber steuerliche Sonderabschreibungen können u. U. die Untergrenze durchstoßen. Das Bundesverfassungsgericht sagt dazu: „Die Steuerbilanzwerte können nur zufällig realitätsnah den gemeinen Wert der einzelnen Wirtschaftsgüter treffen.“ Das Gericht verweist auf die „vielfältigen Möglichkeiten“ der „Bilanzpolitik“ und auf die oft relativ höhere Bewertung der Schulden.1749) III. Teilwert/Einheitswert

Die Vereinbarung des steuerlichen Teilwerts (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG)1750) 1483 vereinfacht nicht. Ähnlich ist es mit dem Einheitswert des Betriebsvermögens. Er bildet sich aus den Steuerbilanzwerten der Wirtschaftsgüter (§ 109 BewG) und hat nur eine zufällige Beziehung zum Verkehrswert. IV. Vereinfachtes Ertragswertverfahren

Denkbar ist, auf das Vereinfachte Ertragswertverfahren nach § 200 BewG 1484 abzustellen. Es ist aber unklar, ob das eine angemessene Lösung ist.1751) V. Stuttgarter Verfahren

Bei GmbH-Anteilen setzten manche früher ihre Hoffnung auf das Stuttgarter 1485 Verfahren.1752) ___________ 1748) BGH, 13.6.1994, BGHZ 126, 226 = NJW 1994, 2536. 1749) BVerfG, 7.11.2006, BVerfGE 117, 1 = DStR 2007, 235. 1750) OLG Köln, 26.3.1999, NZG 1999, 1222. 1751) Einzelheiten siehe Ruiz de Vargas/Zollner, BewertungsPraktiker Nr. 4/2010, S. 2; Ruiz de Vargas/Dubois, WIR, Dezember 2010, S. 18 ff. 1752) Siehe Rn. 327.

365

Einunddreißigster Teil: Abfindungsklauseln

1486 Das Verfahren gibt es seit dem Jahr 2009 nicht mehr. Deshalb fragt sich, ob die entsprechende Klausel umgedeutet werden kann in einen Verweis auf das vereinfachte Ertragswertverfahren mit im Allgemeinen höheren Abfindungen. Es liegt aber nahe, dass die Parteien ihr Heil nicht suchten im Steuerrecht; sie wollten vielmehr ein einfaches Verfahren für einen niedrigen, aber noch angemessenen Abfindungswert. Diese Sicht muss man wohl respektieren.1753) Das Korrektiv bleibt die Überprüfung der Angemessenheit. VI. Zwei-Personen-Gesellschaft 1487 Bei Gesellschaften mit zwei Gesellschaftern findet man zunehmend eine interne Versteigerung (Shoot-out-Klausel). 1488 Eine vollkommene Lösung ist das indes nicht: Es kann zu Kollisionen kommen mit dem Verbot der Kündigungsbeschränkung, mit dem Maßstab von Treu und Glauben sowie mit den Grenzen für Hinauskündigungsklauseln.1754) E. Neue Bewertungsregeln I. Ausgangspunkt 1489 Bewertungsregeln wandeln sich; neuere Standards lösen ältere ab. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass in Squeeze-Out-Abfindungsfällen jedenfalls dann eine neuere Schätzungsmethode angewandt werden soll, „wenn sie besser geeignet ist, also eine größere Annäherung an den „wahren“ Unternehmenswert verspricht, oder sie Fehler oder Unzulänglichkeiten einer alten Berechnungsweise behebt“, und eine rückwirkende Anwendung des IDW S 1 2005 bejaht.1755) II. Rückwirkung 1490 Es stellt sich die Frage, inwieweit die vom Bundesgerichtshof genannten Grundsätze auch auf Abfindungsklauseln zu übertragen sind. Der Bundesgerichtshof hat erläutert, dass die Berechnungsweise anhand eines bestimmten Bewertungsstandards kein wertbildender Umstand sei.1756) Gilt dies auch für die hier erörterten Abfindungsfälle? 1491 Es spricht einiges dafür, dass jedenfalls in Fällen einer individualvertraglichen Abfindungsvereinbarung die Berechnungsweise wertbildend sein kann. Wir müssen bedenken, dass in den hier erläuterten Fällen die Berechnungsmethode für die Beteiligten seinerzeit „Vertragsgrundlage“ war, sie einen bestimmten Modus für den Abfindungsfall ausdrücklich vereinbaren wollten. Konkreter konnten sie es damals nicht fassen, weil die Unternehmenszahlen in der Zu-

___________ 1753) Nolting-Hauff, Deutscher AnwaltSpiegel, 2009/2010, S. 40, 42. 1754) Fleischer/Schneider, DB 2010, 2713. 1755) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424; siehe Rn. 242 ff. 1756) BGH, 29.9.2015, AG 2016, 135 = DStR 2016, 424.

366

F. Stundung

kunft und die Unternehmensentwicklung unbekannt waren. Sie konnten sich daher nicht auf einen bestimmten – festen – Abfindungsbetrag festlegen. Es ist zu unterscheiden. Existiert das Verfahren nicht mehr, wie etwa beim 1492 Stuttgarter Verfahren, liegt es nahe, die Lücke zu füllen durch die Umdeutung in ein ähnliches, anerkanntes Verfahren, um zu einem angemessenen Wert zu gelangen. Dies ist weniger problematisch und folgt den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln. Soll aber ein neuerer, „besserer“ Standard auch dann angewendet werden, 1493 wenn das seinerzeit vereinbarte Verfahren durchaus noch in der Praxis genutzt wird, es aber inzwischen „bessere“ Methoden gibt? Hier müssen wir behutsam vorgehen. Eine Generalisierung dürfte kaum möglich sein. Den neueren Standard anzuwenden, ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Er mag sich ggfs. anbieten, wenn dies dem Willen der Beteiligten näher kommt. Jedenfalls kann er zur Plausibilisierung herangezogen werden. Löst sich die Bewertung anhand der neueren Methode aber zu stark von den damaligen Vorstellungen der Beteiligten, bleibt es bei der alten Methode. Anders mag es zu beurteilen sein, wenn sich die Verhältnisse in der Zwi- 1494 schenzeit so gravierend geändert haben, dass die Geschäftsgrundlage für die frühere Regelung entfallen ist. Dann wird eine als nicht mehr sachgerechte erkannte Regelung durch eine neuere ersetzt. F. Stundung

Wird eine Stundung vereinbart, so ist zu warnen vor langen Fristen, nament- 1495 lich dann, wenn der Ausgleichsanspruch nicht genügend gesichert ist.1757) Der Bundesgerichtshof akzeptierte eine Ratenzahlung über zehn Jahre, aber vielleicht nur, weil der Kläger keine kürzere Frist forderte.1758) Das Bayerische Oberste Landesgericht ließ sechs Jahre gelten.1759) Bedenken beginnen wohl ab einer Frist von fünf Jahren.1760) G. Verzinsung

Die gestundete Abfindung ist angemessen zu verzinsen, z. B. mit zwei Pro- 1496 zent über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB (vgl. § 305 Abs. 3 Satz 3 AktG). H. Verfahren

Ohne eine Verfahrensregelung geht es nicht. Man muss nicht gleich an ein 1497 Schiedsgericht denken, doch empfiehlt es sich, für einzelne Punkte ein Schiedsgutachten zu vereinbaren (i. S. v. §§ 317 – 319 BGB). ___________ 1757) Vgl. OLG Dresden, 18.5.2000, NZG 2000, 1042. 1758) BGH, 9.1.1989, ZIP 1989, 770 = NJW 1989, 2685. 1759) BayObLG, 5.11.1982, DB 1983, 99. 1760) Ulmer, in: FS Quack, S. 477, 500.

367

Zweiunddreißigster Teil Schluss „Eine Waage, die nicht zittert, kann nicht wägen.“1761)

1498

Bewertungsverfahren sind Hilfsverfahren, sind stets anfechtbare Schätzun- 1499 gen; Zahlen können Scheingenauigkeit vortäuschen. Die Wahl der Methodik ist eine „Frage des rechten Maßes“.1762) Letztlich bleiben begrenzte Aussagen: Die Zukunft ist ungewiss; es gibt dafür keine Berechnung auf Heller und Pfennig: „An dieser Stelle ist … darauf hinzuweisen, dass ganz allgemein infolge der Unsicherheiten in den Grunddaten die komplizierten Unternehmensbewertungsverfahren oft nur eine Genauigkeit in der Erfassung des Risikos vortäuschen, die im konkreten Fall gar nicht gegeben ist, weil die Messgenauigkeit größer ist als die Güte des Datenmaterials. Auch hier muss die bei den Naturwissenschaften übliche Regel, dass die Rechenmethode der möglichen Messgenauigkeit angemessen sein muss, beachtet werden.“1763)

Es gilt abzuwägen zwischen Genauigkeit und Durchsichtigkeit, zwischen 1500 Einblick für Insider und Außenseiter, zwischen Kosten und Erkenntnis. Die Bewertungsverfahren bereiten einen Rahmen für die disziplinierte Dis- 1501 kussion und eine Anleitung für Gutachter.1764) Argumente lassen sich einordnen, Kompromisse lassen sich finden. Die Sprache muss für Außenseiter nachvollziehbar sein:

1502

„You can not speak to one person with words meant for many people. You must look and recognize reception before you will be received.“1765)

Darin liegt zugleich eine Kontrolle der Bewertungsdisziplin. Die richterliche 1503 Unabhängigkeit ist indes wohl der sicherste Faktor der Bewertung.

___________ 1761) Erwin Chargaff, 1905 – 2002. 1762) Moxter, in: FS Loitlsberger, S. 409. 1763) BayObLG, 19.10.1995, AG 1996, 127, mit Bezug auf Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, S. 149. 1764) Siegel, in: FS Dieter Rückle, S. 537. 1765) M.T.C. Cronin, You Can Not Speak, in: beautiful, unfinished, S. 84.

369

Stichwortverzeichnis

Abfindung

55, 83 Abfindungsbeschränkungen 1380 Abfindungsklauseln 1470 Abgeltungsteuer 240, 337, 575 Abzinsung 378 Adjusted Beta 887 Adjusted Present Value-Verfahren 304, 1150, 1170 Aktienindex 828 Aktienmarkt 677 Aktienportfolio 677 Aktienrechtlicher Squeeze-out 96, 98 Als ob-Wert 174 Alternativinvestition 669 Alternativrendite 668, 950 Amtsermittlungsgrundsatz 155, 211 Änderung der Verhältnisse 91 Anerkannt und in der Praxis gebräuchlich 30, 820, 1230 Anknüpfungstatsachen 51 Anlagehorizont 840 Anleihen 671 Anrechnung Ausgleichszahlungen auf Abfindungszinsen 92 Anschlussbeschwerde 156 Anteilsbewertung 1355 Anteilseigentum 118 Anteilseigner im Ausland 573 Anteilsrisiko 973 Anteilswert 278 APT-Modell 1016 APV-Verfahren 304, 1150, 1170 Arbitrage Pricing Theory 1016 Arithmetisches Mittel 840 Asset Deal 1401 Atypische Anteile 1365 Aufhellung 368 Aufzinsung 378 Ausgleich 87 Ausgleich und Abfindung 92 Ausgleich und Squeeze-out 104

Ausgleichszahlung 281 Ausländische Betafaktoren 903 Ausländische Gesellschaften 1427 Auslandsrisiko 1067 Auslandstöchter 1462 Ausschluss von Minderheitsaktionären 94 Ausschüttungen 421 Ausschüttungsquote 579, 602 Ausschüttungssperre 1136 Außensicht 165, 226, 259, 815, 969, 1283 Außergewöhnliche Risiken 746 Autonome Finanzierungspolitik 481 Autonome Finanzierungsstrategie 1147

Bandbreite der Bewertung 28, 32 Barabfindung 83 Bare Zuzahlung 66 Barwert 176, 623, 636, 638, 1121 Barwert der Ausgleichszahlungen 105 Barwertäquivalenter Zinssatz 705 Basiszins 681, 954 Basiszinssatz Glättung 708 Basiszinssatz Rundung 710 Beendigung des Unternehmensvertrages 90 Begutachtung 163 Beharrungszustand 524 Behavioral Finance 970 Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag 82, 104 Beherrschungsvertrag 82 Beizulegender Wert 1389 Beizulegender Zeitwert 317 Bestimmtheitsmaß 909 Betafaktor 800, 873, 932, 972 Beteiligungen 1194, 1388 Betriebsnotwendiges Vermögen 382 Bewerten heißt vergleichen 4 371

Stichwortverzeichnis

Bewertung in der Krise 1315 Bewertungskonventionen 232 Bewertungsmethode 297, 373 Bewertungsrüge 159 Bewertungsstandard 245 Bilanzpolitik 815, 965, 968, 1482 Bilanzrecht 14, 71, 1383, 1456 Bilanzwert 315 Billigkeitskontrolle 29 Blasenbildung 970 Börseneffizienz 1285 Börsenkurs 103, 107, 153, 264 Börsenkurs durchschnittlicher nach Umsätzen gewichteter 101 Börsenrückzug und Kursverfall 141 Börsenwert 85, 117, 203, 293, 1222 Branchenanalyse 436 Branchentypische Multiplikatoren 1214 Bruttokapitalisierung 626, 1149 Bruttorekonstruktionswert 318 Bruttoverfahren 303 Buchwert 315

CAPM

780, 923, 943 Covenants 480, 1136 Credit Spreads 675, 764 Cultural Mathematics 779

Delisting 129 Detailplanungsphase 520, 608 Direkte Methode 290, 1152 Discounted Cashflow-Verfahren 298, 303, 333 Discounted Cashflow-Verfahren 307, 627, 1122 Dividend Discount Model 1022 Doppelerfassung des Risikos 725 Doppelnatur der Aktie 61 Doppelter Ansatz 981 Drei Faktoren-Modell 1017 EBIT

471 Echte Synergieeffekte 388, 1209

372

Echte Verbundvorteile 388, 1209 Echtes Delisting 130, 132 Effektive Informationsbewertung 284, 817, 956, 1244, 1289 Eigene Aktien 1378 Eigene Anteilspreise 1206 Eingeschwungener Zustand 526, 636 Eingliederung 94 Einigungswert 186, 186 Einsichtsrecht der Aktionäre 165 Einstufige Nettokapitalisierung 627 Einzelbewertungsverfahren 297 Empfängerhorizont 38 Enterprise value-Multiplikatoren 1214 Entity-Verfahren 303 Equity value-Multiplikatoren 1214 Equity-Methode 627, 1130 Equity-Verfahren 303, 1122 Ergebnisabführungsverträge 503 Ertragsschwache Unternehmen 1315 Ertragsteuern 483 Ertragswertmethode 117, 264, 298, 300, 333, 627, 1122, 1128 Europäische Aktiengesellschaft 147 Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung 59 Ewige Rente 521, 597, 609, 655 EWIV 59

Fair Value

14, 52, 197, 1384 “fair view” 1125 Fair-Value-Bewertung 461 FamFG 155 Familiengesellschaften 1477 Familienverfahrensgesetz 155 Faustformel (72er-Regel) 653 Fernere Phase 521, 609 Finanzierungskosten der Abfindung 514 Finanzierungstrategie 1147 Finanzplanung 478

Stichwortverzeichnis

Firmenwert 1401 Fortführungswert 56, 175 Free Cash Flow-Verfahren 304 Free Cashflows 1152 Freiberufliche Praxen Bewertung 1340 Freiverkehr 130 Fremdvergleichspreise 1436 Fremdvergleichstest 1205 Frosta-Entscheidung 133 Gemeiner Wert 1418 Generelles Unternehmerrisiko 672, 678, 720 Geometrisches Mittel 840

Gerichts- und Notarkostengesetz 156 Gesamtbewertung 352 Gesamtbewertungsverfahren 297 Geschäfts- oder Firmenwert 72, 1402 Geschäftsgrundlage 268 Geschäftswert 1401 Gesellschaftsstatut 1448, 1452 Gleichbehandlung 222, 713, 1367 Gleichgewichtszustand 524 Gleichheitssatz 225, 230, 1359, 1367 Globale Zeichenmacht 951 GmbH 60, 80 GNotKG 156, 166 Going Concern 57, 334, 456 “going private” 129 Goodwill 74 Gordon-Modell 1022 Grenzüberschreitende Erfahrung 47 Grenzüberschreitende Verschmelzung 1466 Grenzwert 182 Grundsatz der Meistbegünstigung 229 Grundstücke 1190 Gründungsprüfung 170

Gründungstheorie 1453, 1459 Gutachten 163 Gutachter 44, 163 Haltedauer 584 Handelbarkeit von Aktien 142

HGB-Konzernabschluss 1405 Hilfskräfte bei der Begutachtung 49, 164 “home bias” 828 IDW RS HFA 10 12, 15 IDW S 1 2000 236 IDW S 1 2005 237, 271 IDW S 1 2008 239 IDW S 5 12 IDW-Standards 10, 234, 1435 IFRS 350, 1124, 1350, 1383, 1408, 1458 IFRS/IAS 14, 51 IFRS-Konzernabschluss 1408 Immobilitätszuschlag 1079 “impairment only approach” 1410 Impairment Test 74 Implizierte Kapitalkosten 1020 In der Wurzel angelegt 364 Indirekte Methode 286 Informationelle Effizienz 284 Informationsasymmetrie 190, 967 Informationseffizienz 814, 941 Innensicht 165, 226, 275, 761, 969, 1280 Institut der Wirtschaftsprüfer 13 International Financial Reporting Standards 350, 1125 International Financial Reporting Standards/International Accounting Standards 14, 51 International Valuation Standards 1446 Internationale Unternehmensbewertung 1443 Interner Zins 715 Intertemporale Regeln 588 Intervalling-Effekt 885 373

Stichwortverzeichnis

Junge Unternehmen 1309 Justizgewährungsanspruch 152 Kaltes Delisting

130 KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz 136 Kapitalflussrechnung 446 Kapitalisierung 623 Kapitalisierungsformel 637, 650 Kapitalisierungszinssatz 176, 650, 1137 Kapitalkonsoliderung 1405 Kapitalstruktur 478, 750, 894 Kleine und mittelgroße Unternehmen Bewertung 1322 KMU 1322 Komplexität 1001, 1064 Komplexität steuerlicher Situation 594 Konsensuale Schätzung 187, 1207 Konzentrationsverordnungen 156 Konzernabschluss 74 Konzernbewertung 1346 Konzernbeziehungen 451, 499 Kosten des Ausscheidens 1364 Kosten des Spruchverfahrens 166 Kursindex 830 Kurzfristiger Anlagehorizont 1283

Lästigkeitswert 115 Laufzeitäquivalenz 684 Leverage-Effekt 606, 613, 1143 Levered Beta 894 Lineare Regression 877 Liquidationswert 57, 89, 177, 322, 1296, 1316 Liquide Mittel 1197 Macrotron-Entscheidung 142 Managementfaktoren 417 Markteffizienz 956, 959 Marktenge 1260 Marktgeschehen 1268

374

131,

Marktmanipulationsverbot 135 Marktrendite 826 Marktrisikoprämie 832, 854, 973, 1043 Marktwert 189, 280 Marktwert des Fremdkapitals 1156 Mathematik 17 Mehrheitskonsensuale Schätzung 160 Mehrstimmrechte 1370 Mehrstufige Bruttokapitalisierung 628 Mehrwertige Planung 463 Mehrwertige Schätzungen 528 Meistbegünstigungsprinzip 1226 Methodenwahl 231 Minderheitsabschlag 1232, 1360 Minority Discount 86, 294, 973 Mitbestimmung 1090 Mittelbare Typisierung 566 Mittelstrenge Informationseffizienz 962 Mittlere Erwartungen 347 Modell der impliziten Kapitalkosten 1020 Modigliani/Miller-Theorem 630, 1143 Momentum 845 Momentum-Effekt 1017 Momentumeffekt 823 Multiplikatorverfahren 325, 1205, 1213, 1311

Nachfolgender Squeeze-out 90 Nachsteueransatz 544 Nachsteuerbetrachtung 554, 599 Nähere Phase 520, 608 Nationale Sicht 340 Negatives nicht betriebsnotwendiges Vermögen 1185 Nettokapitalisierung 626, 1121 Nettorekonstruktionswert 318 Nettoverfahren 303 Neutrales Vermögen 383, 1178

Stichwortverzeichnis

Nicht betriebsnotwendiges Vermögen 88, 114, 124, 324, 383, 485, 1178 Nicht notierte Aktien 1377 Niedrigzinsphase 861 Nominales Wachstum 1099 Nominalrechnung 466 Normorientierte Bewertung 212 Normorientierung 212 Normwert 191 Normzweckkonforme Unternehmensbewertung 191 Nullkuponanleihen 695 Nutzungswert 1414

Objektivierter Unternehmenswert 171, 181, 215, 573 Objektivierter Wert 1397 Öffentliche Unternehmen Bewertung 1337

Paketzuschlag

188, 280, 313, 963, 1209, 1360, 1425 Parallelprüfung 149 Parteienbezogener Wert 172 Parteigutachter 1008 Peer Group 912 Pensionsrückstellungen 448, 902 Performanceindex 830 Phasenmethode 517, 660 Plandaten 468 Plan-Ist-Abweichungen 497 Planung 169 Planungsgüte 496 Planungshoheit 487 Planungsrechnung 489 Plausibilisierung 1294 Plausibilität 157, 374, 494 Plausibilitätskontrolle 46 Politische Risiken 749 Privatautonomie 206 Prognose 344 Prognoserechnung 517 Prognoseverfahren 517

Punktgenaue Bewertung 23, 161, 431

Quotaler Unternehmenswert

65,

225, 278, 1355 quotaler Wert 983

Raw Beta

881 Reales Wachstum 1107 Realisationsprinzip 461 Realrechnung 466 Rechts- und Plausibilitätskontrolle 157 Rechtsfrage 6, 29, 168, 205, 262 Rechtsvergleichung 42 Referenzperiode 1249 Reguläres Delisting 130 Reinvestitionsrate 1131 Rekonstruktionswert 318, 1343 “relevern” 895 Renditedreieck 833 Rentenformel 631 Residualwert 1162 Retrospektive Plausibilitätskontrolle 371 Risikoaversion 717, 719, 803, 855 Risikolage 716 Risikoscheu 717, 803 Risikoszenario 528 Risikozuschlag 755, 780, 1043 Risikozuschlag bei Bestehen eines Unternehmensvertrages 752 Risikozuschlag und Schätzungsermessen 776 Rückwirkung 242, 253, 693, 801

Sachverständigenkosten im Spruchverfahren 167 Sachverständiger Prüfer 149 Schadenersatzansprüche gegen die Unternehmensleitung 1198 Schadensersatzansprüche 507 Schätzung 58, 158, 208, 424 Schätzungsermessen 262 Schätzungsfreiheit 26

375

Stichwortverzeichnis

Schätzungspflicht 26 Scheingenauigkeit 36, 599, 996 Schwebende Geschäfte 459 Shoot-out-Klausel 1487 Sitzland 342 Sitztheorie 1453 “size premiums” 1082 Small-Cap-Effekt 823 Societas Europaea 68, 147 Sondereffekte 447 Sonderwert 177 Spaltung 69 Spezielles Unternehmerrisiko 672, 678, 720 Spielraum 32 Spieltheorie 970 “spot rate” 699 Spruchgesetz 63 Spruchverfahren 152 Spruchverfahrensgesetz 63 Squeeze-out 916 Stammaktien 1371 Stand-alone-Ansatz 354 Stehle-Studie 833, 1044 Steueräquivalenz 561 Steuern 540 Steuerparadoxon 1042 Steuersätze 574 Steuerstundungseffekt bei thesaurierten Gewinnen 605 Stichtagskurs 1247 Stichtagsprinzip 117, 255, 263, 269, 357 Stille Reserven 460 Stochastische Abhängigkeit der Rendite 844 Störung der Geschäftsgrundlage 259, 268 Strenge Informationseffizienz 816 Stuttgarter Verfahren 327, 1485 Subjektiver Wert 179 Substanzwert 178, 318, 1299, 1343 Svensson-Methode 237, 703 Synergieeffekte 1274 Synergieeffekte 386, 506, 964

376

Tagesneuwert 1133 Tax Shield 630, 1153, 1161, 1170 Tax-CAPM 1029 Tax-shield 1318 Tax-Timing Option 582 Teilwert 75, 1431, 1483 Thesaurierte Überschüsse 619 Thesaurierung 579, 602 Thesaurierungsbedingtes Wachstum 1110, 1119 Total Beta 889, 949, 1084, 1334 Total-Cash-Flow-Verfahren 304 Traditionelle Ermittlung des Risikozuschlags 754 “true and fair view” 40 Typisierter Steuersatz 556 Typisierter Wert 215 Typisierung 556 Übergangsphase

526 Übergewinnmethode 327 Überleitungsphase 519 Übernahmerechtlicher Squeeze-out 100 Übertragende Auflösung 127 Übliche oder gebräuchliche Methode 30 Umwandlung 70 Unabhängigkeit 45 Unechte Verbundvorteile 413 Unechtes Delisting 130, 145 Unlevered Beta 894 “unlevern” 895 Unmittelbare Typisierung 565 Unterlagen 50 Unternehmen als Ganzem 55 Unternehmen im Ausland 1070 Unternehmen mit Auslandsgeschäft 1077 Unternehmensverfassung 5 Unternehmenswertorientierte Finanzierungsstrategie 1147 Unvollkommene Informationen 962

Stichwortverzeichnis

USA 1003 – Synergieeffekte 409

Valueeffekt 823 Veräußerungsbeschränkungen 1079 Veräußerungsfähigkeit des Unternehmens 1081 Verbundnachteile 416 Verbundvorteile 386 Vereinfachtes Bewertungsverfahren 1024 Vereinfachtes Ertragswertverfahren 328, 1027, 1421, 1424, 1484 Verfahrensdauer 152 Vergangenheitsanalyse 433, 433 Vergleichsgruppe 912 Vergleichswerte 1205 Verhandlungsmodell 1239 Verkehrsfähigkeit der Aktie 132 Verlaufsanalyse 438 Verlustvortrag 88, 1200 Vermittlungswert 186 Verrechnungspreise 499 Verschmelzung 64, 1234 Verschmelzung durch Aufnahme 67 Verschmelzungsprüfer 149 Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out 96 Verschmelzungswertrelation 64, 95 Verschuldungsgrad 895, 1139 Vertragsprüfer 149 Vertrauensschutz 255, 263, 264, 273 Vertretbarkeitsurteil 29 Verzinsungslücke 93 Vinkulierte Namensaktien 1375 Volle Abfindung 201 Voller Wert 84 Vollkommene Informationseffizienz 817 Vollkommener Markt 812 Vorerwerbspreise 312, 1208, 1271 Vorgesellschaft Bewertung 1335 Vorsichtsprinzip 463 Vorsteueransatz 540 Vorzugsaktien 1373

WACC-Verfahren

304, 628, 1150, 1162, 1413 Wachstumsabschlag 1091 Wachstumsstarke Unternehmen 1313 Wegfall der Geschäftsgrundlage 1494 Wegfall der Geschäftsgrundlage 91 Weighted Average Cost of CapitalVerfahren 304 Wert des Unternehmens 171 Wertbildende Bewertungsmethode 257 Wertbildender Umstand 132, 257, 822, 822 Wertbildender Umstand 265 Wertelemente 380 Wertorientierte Finanzierungspolitik 481 Wertpapierrechtlicher Squeeze out 979 Werttreiber 447 Widerruf der Börsenzulassung 133, 134 “working capital” 444, 477, 527 Wurzeltheorie 364

Zahlenwelt 18 Zeichenmodell 18 Zinseszins 651 Zinsmacht 650, 742 Zinsprognose 687 Zinsstruktur 650 Zinsstrukturkurve 237, 675, 691, 703 Zirkularitätsproblem 1168 Zuflussprinzip 579 Zugewinnausgleich 77 Zukunftsbeta 907 Zukunftserfolgswert 175, 332 Zukunftsüberschusswert 332 Zuschlagsmethode 754 Zwangsvergleich 187 Zweckgesellschaften 440

377