Raumordnungspolitik [Reprint 2019 ed.] 9783111587134, 9783110044577


140 49 16MB

German Pages 232 [244] Year 1975

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
INHALT
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der Schaubilder, Tabellen und Karten
Einführung
ERSTER TEIL. Ziele und Träger der Raumordnungspolitik
ZWEITER TEIL. Das Instrumentarium der Raumordnungspolitik
Literaturverzeichnis (Auswahl)
Namenregister
Sachregister
Recommend Papers

Raumordnungspolitik [Reprint 2019 ed.]
 9783111587134, 9783110044577

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Raumordnungspolitik Ulrich Brösse

W DE

G 1975

Walter de Gruyter • Berlin • New York

SAMMLUNG GÖSCHEN

9006

Dr. rer. pol. Ulrich Brösse Professor in der Fachabteilung für Wirtschaftswissenschaften an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen

© Copyright 1974 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., 1 Berlin 30 — Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden — Printed in Germany — Satz und Druck: Druckerei Chmielorz, 1 Berlin 44 — Buchbinder: Lüderitz & Bauer, 1 Berlin 61 ISBN 3 11004457 9

Vorwort Mit dem vorliegenden Buch wird Raumordnungspolitik dargestellt als ein eigener Bereich, der sich durch besondere Zielsetzungen, bestimmte Träger und ein geeignetes Instrumentarium von anderen „Politiken" abheben läßt. Insofern soll ein Beitrag zur Weiterentwicklung der Raumordnungspolitik geleistet werden. Vorhandene Forschungsergebnisse und bekanntes Wissen werden gesichtet und erfaßt, wobei besonderes Gewicht auf eine erstmals zusammenfassende Darstellung und Behandlung des raumordnungspolitischen Instrumentariums und seiner Wirkungen gelegt wird. Das Buch enthält keine Handlungsrezepte. Es liefert keine kompletten raumordnungspolitischen Strategien. Vielmehr wurde eine „analytische" Darstellung gewählt, die die Elemente für verschiedene raumordnungspolitische Vorgehensweisen bereitstellt und daher den Möglichkeitsrahmen des Raumordnungspolitikers aufzeigt. Das Buch vermittelt einerseits für die Lösung praktischer Probleme Informationen darüber, welche Ziel-, Träger- und Instrumentenproblematik besteht und welche instrumentellen Lösungsmöglichkeiten überhaupt vorhanden sind. Es will aber darüber hinaus den Studierenden den nötigen Stoff vermitteln. Dabei wendet es sich an Anfänger und Vertreter aller mit Raumordnungspolitik befaßten Fachrichtungen. Auch als Nachschlagwerk ist es wegen des Schlagwortregisters gedacht. In der Raumordnungspolitik angewandte methodische Instrumente werden nicht erörtert. Dazu sei auf eine Arbeit von / . H. Müller1 und eine Veröffentlichung der Akade* Müller, ]. H.: Methoden zur regionalen Analyse und Prognose. Taschenbücher zur Raumplanung Bd. 1. Hannover 1973. - Desgl. Veröffentlichungen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung: Methoden der empirischen Regionalforschung (1. Teil) Abhandlungen Bd. 87. Hannover 1973.

IV

Vorwort

mie für Raumforschung und Landesplanung sowie die darin angegebene Literatur verwiesen. Auch die europäische Raumordnungspolitik mußte aus Platzgründen unberücksichtigt bleiben, was aber wegen der Entstehungsphase, in der sich die europäische Regionalpolitik zur Zeit noch befindet, verschmerzbar ist. Zur Vertiefung einzelner Probleme sind zahlreiche Literaturhinweise im Text gegeben. Das Literaturverzeichnis ermöglicht eine ausgedehnte Beschäftigung mit Fragen der Raumordnungspolitik. Die Darstellung ist aus einer mehrjährigen Lehr- und Forschungstätigkeit hervorgegangen, insbesondere an der T U Berlin und an der R W T H Aachen. Damit verbundene Diskussionen mit Studenten und Kollegen haben wesentlich zu der vorliegenden Form beigetragen. Allen, die insoweit am Zustandekommen des Buches mitgewirkt haben, sei hiermit gedankt. Meinem früheren Mitarbeiter, Herrn Dipl.-Volkswirt Hans Poth, danke ich für anregende Diskussionen und eine kritische Durchsicht des Manuskripts. Der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung und ihrem Leiter, Herrn Dr. Ganser, sei hiermit für die Überlassung von Kartenmaterial zur Reproduktion gedankt. Herr Dipl.-Ing. cand. Wirtsch.Ing. E. Rump hat dankenswerterweise an der Erstellung der Register und den Korrekturarbeiten mitgewirkt. Aachen, im Herbst 1974

Ulrich Brösse

INHALT Vorwort

III

Abkürzungsverzeichnis Verzeichnis der Schaubilder, Tabellen und Karten Einführung 1. Der Gegenstand 2. Raumordnungspolitik als Wissenschaft 3. Raumordnungspolitik als Koordinationspolitik? 4. Definition 5. Raumordnungspolitik und Raumplanung

XI XII 1 1 3 4 5 7

ERSTER TEIL: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik I. Ziele der Raumordnungspolitik 1. Einführung 2. Abgrenzungsfragen 2.1 Relativität der Ziele und Zielbegriff 2.2 Zur Problematik des Zielsystembegriffs 2.3 Ziele als Beurteilungskriterien 3. Zielfindungs- oder Zielbildungsprozesse 3.1 Zum Begriff 3.2 Leitbilder und schrittweise Zielbestimmung 3.3 „Wissenschaftliche" Zielbestimmung 3.4 Zur Frage der Begründbarkeit raumordnungspolitischer Ziele 3.5 Demokratische Zielfindungs- oder Zielbildungsprozesse 4. Die Bedeutung operationaler und leerformelhafter Ziele . . 4.1 Zur Problematik der Operationalität 4.2 Die Bedeutung leerformelhafter Ziele 5. Ziele und Zielsysteme der Raumordnungspolitik 5.1 Ziele der Bundesraumordnung 5.2 Die Ziele der Raumordnung auf Länderebene . . . . 5.3 Ein allgemeines Zielsystem der Raumordnungspolitik .

9 10 10 12 13 15 15 16 19 23 24 25 25 28 31 31 33 37

VI

Inhalt

6. Zielkonflikte

42

II. Träger der Raumordnungspolitik 1. 2. 3. 4. 5.

Allgemeine Problematik Träger auf Bundesebene Träger auf Landes- und Regionalebene Träger auf kommunaler Ebene Grenzüberschreitende Raumordnungspolitik

46 50 53 55 55

ZWEITER TEIL: Das Instrumentarium der Raumordnungspolitik III. Abgrenzungen und Systematisierung 1. Abgrenzung und Begriff 2. Systematisierung

57 58

IV. Organisationsmittel 1. Wesen und Begriff der Organisationsmittel 2. Organisationsprinzipien 3. Die Organisationsmittel und ihre Wirkungen 3.1 Siedlungsschwerpunkte, zentrale Orte und Verflechtungsbereiche 3.1.1 Theoretische Grundlagen 3.1.2 Wirkungen 3.1.2.1 Wirkungen auf die Versorgung 3.1.2.2 Wirkungen auf den Arbeitsmarkt 3.1.2.3 Wirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Verkehrs 3.1.2.4 Wirkungen auf die Entwicklung 3.1.2.5 Wirkungen auf die Schaffung städtischer Lebensmöglichkeiten 3.1.2.6 Wirkungen auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit . . 3.2 Entwicklungspole 3.3 Siedlungs- und Entwicklungsachsen 3.3.1 Theoretische Grundlagen 3.3.2 Wirkungen 3.4 Räume funktionaler Arbeitsteilung (Vorranggebiete) 3.4.1 Theoretische Grundlagen 3.4.2 Wirkungsproblematik 3.5 Die Bildung von Regionen

63 65 67 67 67 71 72 74 75 76 76 77 78 80 80 81 84 84 85 87

Inhalt

VII

V. Zwangsmittel 1. Ordnungspolitische Problematik

90

2.

93 93 93

Zwangsmittel und ihre Wirkungsproblematik 2.1 Formen 2.2 Bestimmungsgründe der Wirksamkeit 2.3 Zwangsmittel im Bereich örtlicher Raumordnungspolitik 2.4 Zwangsmittel im Bereich überörtlicher Raumordnungspolitik

95 97

VI. Anreiz- bzw. Abschreckung:- und Anpassungsmittel 1. Begriffe

101

2. Arten

103

2.1 Die räumliche Differenzierung der steuerlichen Lasten 2.2 Unmittelbare, räumlich gezielte Finanzhilfen 2.3 Die räumliche Differenzierung der Tarife öffentlicher Verkehrs- und Versorgungsunternehmen 2.4 Die räumliche Lenkung öffentlicher Aufträge . . . . 3. Wirkungsweisen und Wirkungsproblematik 3.1 Problemstellung 3.2 Die Wirkungen auf das Verhalten der Adressaten 3.3 Auflagen und ihre Wirkungen 3.4 Allgemeine Probleme des Mitteleinsatzes

103 103 104 105

106 106 . . 107 111 116

VII. Gestaltungsmittel 1. Infrastrukturinvestitionen 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.2.1 1.2.2.2 1.2.2.3 1.2.2.4

Bedeutung, Begriffe und Merkmale Wirkungen von Infrastrukturmaßnahmen (Wirkungseffekte) Vorbemerkungen Bodennutzungseffekte Begriff Bestimmungsgründe für eine wachsende Flächenbeanspruchung für die Infrastruktur Bestimmungsgründe für eine abnehmende Flächenbeanspruchung für die Infrastruktur Allgemeine Tendenzen des Bodenbedarfs für bauliche Zwecke

119 119 123 123 124 124 125 126 126

Vili

Inhalt

1.2.2.5 Wirkungen auf Bodenwert und Bodenpreise (Ein Teil des Problems der Bodenordnung) . . . . 128 1.2.3 Siedlungsstruktureffekte 131 1.2.4 Wachstumseffekte 132 1.2.4.1 Der Kapazitätseffekt 133 1.2.4.2 Der Rationalisierungseffekt 133 1.2.4.3 Der indirekte Produktivitätseffekt 133 1.2.5 Anreizeffekte 135 1.2.6 Einkommenseffekte 137 1.2.7 Versorgungseffekte 139 1.2.8 Mobilitätseffekte 141 1.2.9 Stabilisierungseffekte und Selbsterzeugungseffekte . 143 1.3 Zur Problematik des Bedarfs an Infrastruktur und seiner Messung 144 2. Gewerbe- oder Industrieparks 148 3. Sonstige Gestaltungsmittel 150 VIII. Information und Kommunikation 1. Vorbemerkung 2. Entstehung, Aussendung oder Bereitstellung von Informationen 3. Informationsfluß 3.1 Der innerstaatliche Informationsfluß 3.2 Der Informationsfluß zwischen Staat und Bürgern

152 153 157 157 . . 159

IX. Pläne und Programme als Instrumente der Raumordnungspolitik 1. Der instrumentelle Charakter der Pläne und Programme 163 2. Fachplanung 164 3. Räumliche Planung - Arten, Aufgaben und Wirkungen . . 167 3.1 Vorbemerkung 167 3.2 Pläne und Programme auf Bundesebene 168 3.3 Pläne und Programme auf Länderebene 171 3.3.1 Pläne und Programme der Landesplanung 171 3.3.2 Sonstige Pläne und Programme 175 3.4 Pläne und Programme auf Regionalebene 176 3.4.1 Regionalpläne im Bereich der Landesplanung . . . . 176 3.4.2 Sonstige Pläne 178 3.5 Pläne auf örtlicher Ebene 178

Inhalt 3.5.1 Entwicklungsplanung 3.5.2 Bauleitplanung X. Exkurs: Der Finanzausgleidi 1. Problemstellung 2. Grundlagen 2.1 Inhalt und Begriff des Finanzausgleichs 2.2 Die Verteilung der Steuerquellen (Einnahmequellen) . 2.3 Die Umverteilung der Steuererträge 3. Der vertikale Finanzausgleich in der BRD 3.1 Die Aufgaben- und Ausgabenverteilung 3.2 Die Verteilung der Einnahmequellen 3.3 Die Umverteilung der Steuererträge 3.3.1 Der vertikale Länderfinanzausgleich 3.3.2 Der kommunale Finanzausgleich 4. Die Einnahmenverteilung des horizontalen Finanzausgleichs in der BRD 4.1 Der Länderfinanzausgleich 4.2 Der interkommunale Finanzausgleich Literaturverzeichnis Namenregister Sachregister

IX 178 180 182 183 183 185 187 189 189 190 195 195 195 198 198 200 203 213 216

Abkürzungsverzeichnis BBauG BROG HdRR HdSW

Bundesbaugesetz Raumordnungsgesetz des Bundes Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung Handwörterbuch der Sozialwissenschaften

Verzeichnis der Schaubilder, Tabellen und Karten Schaubild 1: Beispielhafter Ausschnitt aus einem denkbaren hierarchischen Zielsystem zur Veranschaulichung der Tatsache, daß tiefer stehende Ziele leichter operationalisierbar sind Schaubild 2 : Zielsystem der Raumordnungspolitik Schaubild 3 : Träger der Raumordnungspolitik in der B R D

27 40/41

. . .

Schaubild 4: System der Instrumente der Raumordnungspolitik

47 58

Schaubild 5: Übersicht über die Raumordnungspläne und Raumordnungsprogramme in den Bundesländern

165/166

Tabelle 1:

Die Veränderung der Flächennutzung von 1935/38 bis 1972 im Verhältnis zur Wirtschaftsfläche des Bundesgebietes 127

Tabelle 2 :

Kassenmäßige Einnahmen aus Steuern des Bundes, der Länder und Gemeinden sowie aus dem Lastenausgleichsfonds im Bundesgebiet einschließlich Berlin (West) 1972 und 1974 . . 192-194 Finanzausgleich unter den Ländern (horizontaler Länderfinanzausgleich) 1964 bis 1973 201

Tabelle 3: Karte 1: Karte 2:

Karte 3:

Gebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" . . . s. Tasche Fremdenverkehrsgebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" s. Tasche Die 38 Gebietseinheiten nach dem Bundesraumordnungsprogramm s. Tasche

Einführung 1. Der Gegenstand Raumordnungspolitik betrifft den Bürger unmittelbar. Tagtäglich empfindet er die Probleme, die die Raumordnungspolitik lösen muß, immer häufiger ist er Zeuge und Betroffener der Wirkungen raumordnungspolitischer Maßnahmen. Arme und reiche, schlecht und gut mit Infrastruktur ausgestattete Gebiete stehen sich nicht nur auf der Welt oder in Europa, sondern auch innerhalb der BRD gegenüber. Junge Menschen wandern aus Regionen ab, weil sie keine geeigneten Arbeitsplätze finden. Die Schul- und Bildungsmöglichkeiten, aber auch Einkaufs- und Unterhaltungsmöglichkeiten in ländlichen Gebieten werden von den Menschen schlechter beurteilt als in vielen Städten. Durch Schaffung von zentralen Orten und Entwicklungsschwerpunkten mit den entsprechenden Versorgungseinrichtungen und einer hochwertigen Infrastruktur soll den „räumlichen Ungleichgewichten" entgegengewirkt werden. Zusätzlich werden die Voraussetzungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze verbessert. Hinweisschilder „Industriegelände" an den Straßen zeigen dies demonstrativ an und neue Betriebe „auf der grünen Wiese" zeugen von raumordnungspolitisch relevanten Vorgängen und Veränderungen. Viele Arbeitnehmer sind in der Vergangenheit von Branchenstrukturkrisen betroffen worden. Soweit diese Branchen regional konzentriert auftreten, wie es z. B. beim Steinkohlenbergbau der Fall ist, wurde die Krise zu einer Krise der Region. Gegenmaßnahmen zur Uberwindung waren oder sind weitgehend raumordnungspolitischer Art, so z. B. im Ruhrgebiet die Ansiedlung von neuen Betrieben, die Umschulung der Bergarbeiter, die infrastrukturelle Ausstattung (Hochschulen, S-Bahn) oder die Schaffung von Freizeitparks („Revierparks"). Weiter bedürfen viele Probleme unserer Städte und Ballungsgebiete einer raumordnungspolitischen Lösung. Das Schlag1 Brösse, Raumordnungspolitik

2

Einführung

wort von der Unwirtlichkeit der Städte drückt aus, worum es hierbei geht: um umweltfreundlichere, funktionsfähige Städte, die dem Bürger das Leben in der Stadt erträglich und angenehm machen. Die Probleme wachsender Flächenbeanspruchung, des Bodeneigentums und der Bodenordnung hängen hiermit ebenso zusammen wie die Fragen nach einer geeigneten Siedlungsstruktur, einer optimalen Stadt- oder Agglomerationsgröße, der infrastrukturellen Ausstattung oder einer richtigen volkswirtschaftlichen Kostenanlastung. Noch eine Reihe anderer Erscheinungen ist unmittelbar oder mittelbar Ergebnis von Raumordnungspolitik: die Neugestaltung von Sanierungsgebieten in Städten, die Planung und Zuordnung neuer Wohngebiete, Einkaufszentren und Grünanlagen, das Aufblühen von Industriekomplexen in Küstennähe, die Planung und der Bau von Kläranlagen und Mülldeponien, die Einhaltung von Lärmschutzzonen, die Abgrenzung von Wasserschutzzonen oder die Ausweisung von Naturschutzgebieten und Naturparks. Auch der Straßenbau ist wegen seiner verbindenden, aber auch trennenden Funktion wichtiger Bestandteil der Raumordnungspolitik. Allgemein läßt sich feststellen, daß zwischen den Zielvorstellungen der Menschen über die Lebensmöglichkeiten im Raum und der Wirklichkeit heute teilweise ganz erhebliche Diskrepanzen bestehen. Um sie zu überwinden, ist Raumordnungspolitik notwendig. Die Erscheinungen der realen Welt finden, ihrer Bedeutung entsprechend, ein reges Interesse in der aktuellen Tagesdiskussion in Massenmedien und vereinzelt in allgemeinverständlichen Publikationen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in Tageszeitungen oder im Fernsehen über Probleme der Raumordnung berichtet wird. Regierungen, Parlamente und Parteien befassen sich ernsthaft damit, und Begriffe wie Bundesraumordnungsgesetz, Landesplanungsgesetze, Bundesraumordnungsprogramm, Raumordnungspläne, Industrieansiedlung u. ä. gehören nicht mehr allein in das Vokabular einiger weniger Fachleute. Raumordnungspolitik ist als ein wichtiger Faktor in unserer Gesellschaft anerkannt.

2. Raumordnungspolitik als Wissenschaft

3

2. Raumordnungspolitik als Wissenschaft Die Wissenschaft von der Raumordnungspolitik ist noch im Aufbau begriffen. Sie muß auf die verschiedensten Einzelerkenntnisse, Hypothesen und Modelle zurückgreifen, zwischen denen bisher kein theoretischer Zusammenhang hergestellt werden konnte. Zur Erklärung dieser Tatsache ist einmal die relativ kurze Zeitspanne zu nennen, in der sich die Wissenschaft intensiver mit Raumordnungsproblemen befaßt. Zum anderen ist zu sagen, daß eine wissenschaftliche Raumordnungspolitik nicht die Domäne einer einzelnen der traditionellen Fachdisziplinen ist. Sie ist vielmehr ein interdisziplinärer Bereich, wobei darunter zu verstehen ist, daß der Gegenstand der Wissenschaft von der Raumordnungspolitik unter verschiedenen Aspekten gesehen werden muß. Ausgangspunkt für eine Wissenschaft von der Raumordnungspolitik ist aber nicht etwa die Einsicht, daß mehrere Fachdisziplinen einmal zusammenarbeiten müßten, sondern Ausgangspunkt sind aktuelle Probleme, die einer Lösung bedürfen. Das Charakteristische für eine sich allmählich bildende Wissenschaft von der Raumordnungspolitik ist demnach nicht, daß sie auf die Mitwirkung unterschiedlicher Fachvertreter angewiesen ist. Fast jede gute Problemlösung erfordert heute die Mitarbeit mehrerer Spezialisten. Das Besondere liegt vielmehr darin, daß sie einen eigenständigen Problembereich erfassen will. Sie sucht nach geeigneten Denkansätzen, Theorien und Methoden, übernimmt und/oder entwickelt sie, um so einen Beitrag zur Lösung der Probleme zu leisten. Theoretisch läßt sich die Geschlossenheit des Forschungsgebietes damit begründen, daß es sich um den raumwirksamen Bereich der raumrelevanten Daseinsgrundfunktionen des Menschen 1 handelt. Abgrenzungen zwischen wissenschaftlichen Disziplinen sind historisch wandelbar und sollten der Erforschung aktueller Fragestellungen angepaßt werden. Bezogen auf die Raumordnungspolitik heißt das, daß sich der Raumordnungspolitiker als Fachmann erst allmählich herausbilden wird. Am Ende der 1

Vgl. dazu I. 5.3.

l*

4

Einführung

Entwicklung steht ein in Grenzen eigenständiges Fachgebiet, das von entsprechenden Fachwissenschaftlern schwerpunktmäßig erforscht wird. In der Bildungs- und Ausreifephase der neuen Wissenschaft sind es notwendigerweise Wissenschaftler mit einer Ausbildung in einer der traditionellen Disziplinen, die sich mit Raumordnungspolitik befassen. So arbeiten auf dem Gebiet der Raumordnungspolitik zur Zeit vor allem Ökonomen, Ingenieure (Bauingenieure, Städtebauer, Architekten, Verkehrsingenieure), Geographen, Kommunalwissenschaftler, Ökologen und Sozialwissenschaftler. Je nach Herkunft betonen und sehen die Wissenschaftler andere Aspekte. Dennoch ist es längerfristig ihre Aufgabe, zu einer Integration der Betrachtungsweisen zu gelangen. Was den Verfasser anbetrifft, so kommt er von der Ökonomie her zur Raumordnungspolitik. Dementsprechend sind die folgenden Ausführungen stärker vom ökonomischen Denken her geprägt. Es ist aber ein Anliegen dieses Buches, einen Beitrag zu einer integralen Betrachtungsweise zu leisten. 3. Raumordnungspolitik als Koordinationspolitik? Die Vorstellung, daß Raumordnungspolitik eine eigene Disziplin mit eigenen spezifischen Problem- und Fragestellungen ist, wird nicht immer geteilt. Vor allem von Wissenschaftlern, die aus der Verwaltungstätigkeit kommen, wird als Hauptaufgabe der Raumordnungspolitik bezeichnet, die fachpolitischen Ziele und Maßnahmen hinsichtlich ihrer räumlichen Wirkungen zu koordinieren [39, S. 5; 60]. Danach kann Raumordnungspolitik nur koordinierend oder initiierend wirken, nicht jedoch „politische Entscheidungen in eigener Verantwortung treffen" [59, S. 7]. Raumordnungspolitik darf sich jedoch nicht in reiner Koordinationspolitik erschöpfen, nur weil de facto bestehende instrumentelle und organisatorische Unzulänglichkeiten eine solche Interpretation nahelegen. Vielmehr kommt es auf die tatsächlich existenten räumlichen und regionalen Probleme an, die von den einzelnen traditionellen Fachressorts nicht zufriedenstellend gelöst werden können, sondern vielmehr ein spezifisches Instrumentarium im Rahmen einer eigenständigen Raumordnungspolitik verlangen.

4. Definition

5

In der Tat sind die instrumenteilen Möglichkeiten der Träger der Raumordnungspolitik in der BRD (noch) begrenzt. Das ist jedoch eine Folge der bestehenden, z. T . historisch zu erklärenden, fachlich-organisatorischen Gliederung der Verwaltungen. Von der Sache her ist die Beschränkung der Raumordnungspolitik auf eine Koordinierungsfunktion nicht gerechtfertigt2. 4. Definition Eine allgemein übliche oder anerkannte Definition von Raumordnungspolitik gibt es nicht. Der Begriff Raumordnungspolitik wird hier gleichermaßen für die Wissenschaft von der Raumordnungspolitik wie für die praktische Raumordnungspolitik, also das Entscheiden und Handeln der Träger, gebraucht. Diese Gleichsetzung ist auch bei anderen „Politiken", zum Beispiel Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Agrarpolitik, üblich. Die Wissenschaft von der Raumordnungspolitik oder die Theorie der Raumordnungspolitik erforscht die Bedingungen und Möglichkeiten einer zielgemäßen Gestaltung, Entwicklung und Nutzung von Räumen oder Regionen. Der praktischen Raumordnungspolitik obliegt es, das Erstrebte zu verwirklichen. Dazu bedarf sie der Zielvorstellungen, eines geeigneten Instrumentariums und ausreichender Handlungsmöglichkeiten der Träger. In diesem Sinne wird Raumordnungspolitik folgendermaßen definiert: Raumordnungspolitik besteht in der bewußten Handhabung geeigneter Instrumente durch den Staat oder dem Staat nahestehender Institutionen3, um eine zielbezogene 2 Eine gewisse Anerkennung hat der Anspruch auf Eigenständigkeit durch die Herauslösung der Raumordnung aus der Zuständigkeit des Bundesministers des Innern und ihre Etablierung im Ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau im Jahre 1972 gefunden.

Es trifft natürlich zu, daß auch durch die Entscheidungen und Handlungen Privater eine Nutzung und Gestaltung von Räumen erfolgt. Der Begriff Raumordnungspolitik wird aber gerade auf die staatliche Tätigkeit beschränkt, weil durch sie aufgrund „übergeordneter" Zielvorstellungen eine Ergänzung und Korrektur privater Entscheidungen erfolgen soll. 3

6

Einführung

Gestaltung, Entwicklung und Nutzung von Räumen oder Regionen zu erreichen. Neben dem Begriff der Raumordnungspolitik steht häufig der der Regionalpolitik. Regionalpolitik in einem engeren Sinne ist gleichbedeutend mit regionaler Wirtschaftspolitik. Im umfassenderen Sinne will die Regionalpolitik jedoch ebenso wie die Raumordnungspolitik die zielbezogene Gestaltung, Entwicklung und Nutzung von Räumen, so daß die Begriffe dann synonym gebraucht werden müssen [28, S. 26 ff.]. Als rein ökonomischer Bereich ist die Raumwirtschaftspolitik anzusehen. Sie ist räumlich orientierte Wirtschaftspolitik [4] und wird in diesem Zusammenhang schwergewichtig als regionale ökonomische Strukturpolitik [7, S. 132 u. 138] definiert. In der Terminologie der europäischen Gemeinschaften wird vorwiegend von Regionalpolitik gesprochen und damit räumliche Wirtschaftspolitik gemeint. Das liegt nahe, da Gegenstand der Wirtschaftsgemeinschaft auch nur eine regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik sein kann, die allerdings sozialpolitische Maßnahmen mit einschließt. Dem Begriff Raumordnung entspricht in Frankreich ungefähr der Ausdruck „aménagement du territoire". Die deutschen Wörter Regionalpolitik, regionale Wirtschaftspolitik und regionale Strukturpolitik werden in Frankreich durch den Ausdruck „action régionale" wiedergegeben. Der englisch Begriff „regional policy" ist vergleichbar dem deutschen Raumordnungspolitik, „regional economic policy" dem deutschen regionale Wirtschaftspolitik. Raumordnungspolitik und Regionalpolitik werden durch die Begriffe Raumforschung, Regionalforschung und Regionalwissenschaft ergänzt. In den USA hat sich der Terminus „regional science" durchgesetzt. Damit wird der Forschungs- und Theoriebereich angesprochen, der das Grundlagenwissen und die Theorien liefert, auf denen die Raumordnungspolitik und die Regionalpolitik im weiteren Sinne basieren können.

5. Raumordnungspolitik und Raumplanung

7

5. Raumordnungspolitik und Raumplanung In den letzten Jahren hat in der BRD die Planung besonders im Bereich der Raumordnung Gewicht erlangt. Neben Raumordnungspolitik, Regionalpolitik, Raumforschung und Regionalwissenschaft tauchen daher Begriffe auf wie Raumplanung, Regionalplanung, Landesplanung, Ortsplanung und Stadtplanung. Hierbei ist Raumplanung als Oberbegriff von Landes-, Regional- und Ortsplanung zu verstehen. Auch die Stadtplanung läßt sich unter Raumplanung subsumieren. In allen Fällen handelt es sich um die Planung von Räumen verschiedener Größenordnung. Planung ist die systematische Vorbereitung vernunftgemäßen Handelns. Sie besteht darin, daß aufgrund einer gegebenen Ausgangssituation oder einer wahrscheinlichen Entwicklung und aufgrund von Zielen die zweckmäßigsten Maßnahmen unter Beachtung ihrer möglichen Nebenwirkungen festgelegt werden, die innerhalb einer gegebenen Zeit für einen bestimmten Raum zur Verwirklichung der Ziele führen. Genau diese fünf Elemente: Ausgangsgegebenheiten oder wahrscheinliche Entwicklung, Ziele, Maßnahmen sowie Zeit und Raum kennzeichnen aber auch die Raumordnungspolitik. Zwei weitere Elemente der Planung, nämlich Durchführung und Kontrolle, führen in das Gebiet konkreter Anwendung der Raumplanung bzw. Durchführung der Raumordnungspolitik. Es läßt sich also feststellen, daß eine rationale Raumordnungspolitik entsprechende Raumplanung voraussetzt. Die Raumplanung kann als Programm zukünftiger Aktivität bezeichnet werden, die praktische Raumordnungspolitik ist diese Aktivität. Raumplanung verlangt jedoch nicht unbedingt einen förmlichen Plan. Jede Verbesserung der Rationalität der Raumordnungspolitik durch die Bereitstellung und Anwendung besserer Informationen bedeutet eine bessere Raumplanung. Wenn trotzdem die Trennung Raumordnungspolitik - Raumplanung inzwischen so sichtbar herausgestellt wird, so vor allem deshalb, weil von Raumplanung meist erst dann gesprochen wird, wenn systematische Verfahrensweisen der Planung geschaffen werden. Insofern stellt die Raumplanung als Pia-

8

Einführung

nungsmethode durchaus einen eigenen Problembereich dar. Durch die Betonung und teilweise organisatorische und wissenschaftliche Verselbständigung der Planung wird erreicht, daß die planerischen Elemente bei der Raumordnungspolitik auch tatsächlich genügend berücksichtigt werden. Auch wird bei der Raumplanung der Blick besonders auf den Zeitaspekt (kurz-, mittel- und langfristige Planung) und damit die Zukunft gerichtet, was allerdings voraussetzt, daß die Zukunft von der Wissenschaft auch einigermaßen vorausschaubar ist. Weiter erfahren die Interdependenz der Maßnahmen und das Koordinationsproblem besondere Aufmerksamkeit. Der Begriff „integrierte Planung" ist dafür bezeichnend. Und schließlich vermag die institutionalisierte Planung mehr Interessierte und Betroffene zu Wort kommen zu lassen und damit eine fundiertere Entscheidungsvorbereitung zu treffen. Es soll aber noch einmal betont werden, daß Raumordnungspolitik und Raumplanung keine Gegensätze darstellen. Die Planung ist wesentlicher Bestandteil einer rationalen Raumordnungspolitik, ihre Verselbständigung ein methodischer Weg, die Raumordnungspolitik rationaler zu gestalten. Das ist die Begründung für die heutige starke Betonung der Raumplanung. Sie geht so weit, daß zum Beispiel Länderministerien und Lehrstühle an Hochschulen Begriffe wie Landesplanung als Bezeichnung führen. Nirgends taucht dagegen bei solchen Einrichtungen das Wort Raumordnungspolitik auf, was ja gerade bei der staatlichen Exekutive naheläge. Denn was nützt der schönste Raumordnungsplan, wenn es keine politische Instanz gibt, die über ein Instrumentarium zur materiellen Verwirklichung dieses Planes verfügt.

ERSTER TEIL

Ziele und Träger der Raumordnungspolitik I. Ziele der Raumordnungspolitik 1. Einführung Die Diskussion rund um die Ziele der Raumordnungspolitik macht einen ganz wesentlichen Teil der raumordnungspolitischen Diskussion seit den fünfziger Jahren aus. Das resultiert einmal daher, daß klare Zielvorstellungen für einen relativ neuen Politikbereich erst entwickelt werden mußten, was durch die Zersplitterung der Zuständigkeiten der Träger und die Unsicherheit über das Anzustrebende erheblich erschwert wurde. Als symptomatisch dafür mag angesehen werden, daß das „Bundesraumordnungsprogramm" im Jahre 1974 endlich ein Zielsystem der Raumordnung für die BRD bringen soll, nachdem vorher auf Bundes- und Länderebene überwiegend leerformelhafte Ziele aufgestellt worden sind. Zum anderen spielte die Diskussion der Ziele deshalb eine so große Rolle, weil wesentliche „Instrumente" der Raumordnungspolitik, nämlich das Bundesraumordnungsgesetz sowie die Raumordnungspläne und Raumordnungsprogramme auf Länderebene vor allem Instrumente zur Festlegung der Ziele der Raumordnung waren und nach den Gesetzesvorschriften auch sein sollten. Bei diesen Zielen überwog aber, wie gesagt, die inoperationale Form. Es schloß sich daher eine intensive Diskussion um die Notwendigkeit der Operationalität und um die Operationalisierbarkeit der Ziele der Raumordnungspolitik an. Ziele, Zielsysteme und die Problematik der Leerformeln bzw. der Operationalität stehen also am Anfang der Diskussion in der BRD. Inzwischen hat eine ganze Reihe raumordnungspolitischer Ziele Berücksichtigung gefunden, in deren Gefolge sich eine neue Problematik der Zielkonflikte, Kosten der Zielverwirk-

10

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

lichung und Festlegung von Prioritäten in den Vordergrund schiebt. Es muß deshalb auch die Frage nach dem Zustandekommen der Ziele gestellt werden und nach den Möglichkeiten, bereits durch eine Steuerung des Zielbildungsprozesses Konflikte abzubauen und Prioritäten zu setzen. Die Zielfindung und der Zielbildungsprozeß mit ihren Konsequenzen für Ziele, Zielkonflikte, Prioritäten und Operationalität beginnen deshalb ein wachsendes Gewicht in der Raumordnungspolitik einzunehmen. Zielfindungs- oder Zielbildungsprozesse stehen zwar in der historischen Entwicklung am Ende der Zieldiskussion. Sachlich gehören sie jedoch „vor" die Ziele und ihre Problematik. Im folgenden wird daher nach einem Abschnitt über Zielabgrenzungsfragen zunächst auf die Zielfindungs- oder Zielbildungsprozesse eingegangen, obwohl hierüber speziell für die Raumordnungspolitik nur wenig Material vorliegt. Es schließen sich dann die Kapitel an, in denen die mehr traditionellen Fragestellungen nach den Zielen der Raumordnungspolitik selbst, dem Zielsystem sowie nach der Funktion von Leerformeln und der Bedeutung operationaler Ziele behandelt werden. 2. Abgrenzungsfragen 2.1 Relativität

der Ziele

und

Zielbegriff

Bei der Durchsicht dessen, was als Ziele der Raumordnungspolitik bezeichnet wird, fällt auf, daß manche der „Ziele" in anderem Zusammenhang auch als „Maßnahmen" der Raumordnungspolitik gelten. Das trifft z. B. auf den Ausbau des Straßennetzes, von Flughäfen, von Wasserstraßen oder auf den Bau von Entlastungsorten zu, die als Ziele der Raumordnungspolitik genannt werden, jedoch auch typische Maßnahmen der Infrastruktur darstellen. Weiter treten Interdependenzen folgender Art auf: Die Schaffung nichtlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze kann über höhere Steuereinnahmen Voraussetzung und Maßnahme für das Ziel einer besseren öffentlichen Grundausstattung mit Infrastruktureinrichtungen sein. Umgekehrt stellt aber eine bessere öffentliche Grundausstat-

I. Ziele der Raumordnungspolitik

11

tung vielfach auch eine Maßnahme zur Steigerung der Attraktivität einer Region und damit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze dar. Hieraus ist die Erkenntnis abzuleiten, daß immer nur relativ zu entscheiden ist, was Ziel und was Maßnahme (Mittel, Instrument) der Raumordnungspolitik ist. Formal läßt sich dieser Zusammenhang in dem „Zielbaum" des hierarchisch aufgebauten Ziel-Mittel-Systems darstellen 4 : Z;

Z31

Z32

Z33

Z34

Z35

Zse

Bei der Beantwortung der Frage, welches die Ziele der Raumordnungspolitik sind, muß dementsprechend pragmatisch vorgegangen werden. M a n sollte immer dann von Zielen sprechen, wenn sie als solche erkannt, formuliert oder behandelt werden, d. h. wenn Mittel zu ihrer Erreichung gesucht und eingesetzt werden. So gesehen stellt die Schaffung wertgleicher Lebensverhältnisse ebenso wie der Ausbau des Straßennetzes ein Ziel dar, wenn der Raumordnungspolitiker sich um Maßnahmen zur Erreichung dieser Zielsetzungen bemüht. Allgemein läßt sich dementsprechend als Ziel definieren: Ziele sind als problematisch und erwünscht vorgestellte "Wirkungen 4 Auf die grundsätzliche Problematik des Ziel-Mittel-Denkens kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu kritisch Klages [85, S. 58 ff.]. Trotz Bedenken gegen das trennende und isolierende ZielMittel-Schema kommt ihm für die praktische Politik auch weiterhin große Bedeutung zu. Deshalb sollte beachtet werden, daß die praktisch und theoretisch berechtigte Trennung von Zielen und Maßnahmen nicht auch eine institutionell und sachlich isolierte Bestimmung von Zielen und Mitteln bedeuten muß. Das ZielMittel-Schema ist grundsätzlich unabhängig von der Art des Zielbildungsprozesses, der durchaus unterschiedlich ablaufen kann.

12

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

des Handelns (Luhmann). Oder: Ziele konkretisieren sich in einem bewußt erstrebten Sachverhalt. 2 . 2 Zur Problematik

des

Zielsystembegriffs

Die Auffassung von Zielen als Elementen in Handlungs-Wirkungs-Ketten führt zu der Vorstellung von Zielsystemen. Ein Zielsystem ist danach eine (tendenziell hierarchische) Anordnung von Zielen und Vorzielen (Mitteln), bei der die Stellung der einzelnen Zielvariablen durch ihre Beziehungen zu vorund nachgelagerten Zielvariablen bestimmt ist. Es ist also dadurch charakterisiert, daß es die Zielinterdependenz berücksichtigt und ausdrückt. Der Versuch, Zielsysteme für die Raumordnungspolitik aufzustellen, stößt auf erhebliche Schwierigkeiten. Auf eine wurde bereits hingewiesen: nicht immer läßt sich für zwei Ziele allgemein sagen, welches das Vorziel (Mittel) für das andere ist. Weiter fehlt weitgehend die Kenntnis der funktionalen Beziehungen zwischen den Zielvariablen. Zielkonfliktsituationen und Wirkungszusammenhänge sind also nicht ausreichend erforscht, um ein umfassendes Zielsystem aufstellen zu können. Schließlich verlangt ein Zielsystem auch eine möglichst weitgehende operationale Formulierung der Ziele. Anderenfalls läßt sich zwischen mehreren Zielen kein eindeutiger Beziehungszusammenhang nachweisen. Der Begriff des Zielsystems sollte deshalb für praktische Zwecke weniger streng definiert werden. Da Zielbeziehungen je nach Ausgangssituation und verwendeten Instrumenten zur Zielerreichung andere sein können 5 , läßt sich die Forderung nach Widerspruchsfreiheit eines Zielsystems kaum aufrecht erhalten. Ein Zielsystem beinhaltet gerade auch die Aufgabe, von Fall zu Fall abwägen zu müssen, welches Ziel des Systems mit welchen Mitteln bis zu welchem Grade zu welchem Zeitpunkt angestrebt werden soll. Aus politischen Gründen wird häufig nicht der Forderung nach Operationalität Genüge ge5

Vgl. hierzu näher Brösse [28, S. 62 ff.].

I. Ziele der Raumordnungspolitik

13

leistet werden können 6 , was nicht heißen darf, daß auf die Aufstellung von Zielsystemen verzichtet wird. Entsprechendes gilt bezüglich der ungenügenden wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnisse zu den Zielen. In diesem Sinne läßt sich von einem Zielsystem der Raumordnungspolitik sprechen, wenn die Ziele den logischen und Beziehungszusammenhang erkennen lassen, wenn sie eben in systematischer Weise einander zugeordnet sind. Das Zielsystem unterscheidet sich dadurch vom reinen Zielkatalog, der lediglich eine Aufzählung von Zielen enthält. 2.3 Ziele als

Beurteilungskriterien

Logisch zu trennen von Zielen als erwünschten Wirkungen des Handelns sind Ziele als Beurteilungskriterien. Ein Verkehrsinfrastrukturprojekt kann z. B. anhand seines Beitrags zur Vermehrung der industriellen Arbeitsplätze einer Region oder anhand seines Beitrags zur gesamtwirtschaftlichen Produktivität beurteilt werden. Die gewählten Kriterien „Vermehrung der industriellen Arbeitsplätze" und „gesamtwirtschaftliche Produktivität" drücken im Grunde Ziele aus, stellen also „Zielkriterien" dar. Denn eine Beurteilung des Infrastrukturprojekts nach der Zahl der geschaffenen industriellen Arbeitsplätze ist nur sinnvoll, wenn mit dem Projekt die Zahl dieser Arbeitsplätze als Zielvariable beeinflußt werden soll. Entsprechendes gilt für die Produktivität. Diese Betrachtungsweise liegt der Entscheidungstehorie zugrunde. In entscheidungstheoretischer Terminologie stellen raumordnungspolitische Ziele die Konsequenzen raumordnungspolitischer Alternativen dar. Das heißt mit anderen Worten: Handlungsalternativen (A) werden daran gemessen, inwieweit sie die Ziele, ausgedrückt in Form von Zielkriterien (Z), erreichen (Zielerreichungsgrade X). Formal wird dieser entscheidungstheoretische Ansatz in Matrixform dargestellt: ® Vgl. näher I. 4.2.

14

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

Zielkriterien Alternativen

Z,

z.

Z3

Zm

x„

XJO

X13

Xlm

A3

X2I X31

An

X„1

x112

XRI3

Xnm

At A2

Es ist zwar möglich Kriterien aufzustellen, die nicht Zielcharakter tragen. Homogenitätskriterien für die Bildung von Regionen brauchen z. B. nicht zugleich Zielkriterien zu sein. Eine solche Betrachtungsweise ist aber charakteristisch für eine rein theoretische Sicht der Dinge im Bereich der Grundlagenforschung. Der Raumordnungspolitiker benötigt dagegen Kriterien, die ihm sagen, ob er handeln soll und muß oder nicht. Seine Aufgabe ist die Gestaltung, Entwicklung und Nutzung des Raumes gemäß raumordnungspolitischer Ziele. Seine Beurteilung muß entsprechend an Zielkriterien erfolgen. Die Verwendung von Zielen als Beurteilungskriterien ist im Bereich der Raumordnungspolitik verbreitet. Allerdings kann nach dem hier Gesagten der Ausgangspunkt nicht die Suche nach Kriterien zur Beurteilung raumordnungspolitischer Maßnahmen sein. Vielmehr müssen die Ziele das Primäre sein, die durch geeignete Kriterien zu definieren sind. Denn was nützt z. B. für praktische Zwecke ein mit Hilfe einer Kosten-NutzenAnalyse errechnetes Effizienzkriterium, wenn diese Effizienz im speziellen Fall gar nicht erstrebt wird, also nicht Ziel ist. Das Beurteilungskriterium erhält seine raumordnungspolitische Bedeutung durch seinen Zielcharakter. Diese Tatsache wird viel zu wenig beachtet, wenn z. B. mehr oder weniger groß angelegte Untersuchungen und Erhebungen gestartet werden, um „Kriterien" zu sammeln.

I. Ziele der Raumordnungspolitik

15

In diesem Sinne sind auch die Kennziffern u n d Kennziffernkataloge zu sehen. Vom rein wissenschaftlichen Standpunkt aus können raumordnungspolitische Kennziffern als zahlenmäßige Ausdrücke bezeichnet werden, die unter Verwendung einzelner oder mehrerer statistisch erfaßter Merkmale mit dem Zweck entwickelt sind, einen im Rahmen der R a u m - und Regionalforschung interessierenden Sachverhalt zu beschreiben [55, S. 11 ff.]. Für die Raumordnungspolitik besteht der „interessierende Sachverhalt" aber in dem Auseinanderfallen von tatsächlicher u n d erstrebter Situation. Er benötigt also solche Kennziffern, die seine Ziele beschreiben. Dabei ist es denkbar, daß Kennziffern auch stellvertretend f ü r nicht operational faßbare Ziele stehen müssen. Der Statistiker und der Wissenschaftler können eine Vielzahl von raumordnungspolitischen Kennziffern bereitstellen, gewissermaßen auf Vorrat 7 . Diese sind dann potentielle Zielkriterien. Der Raumordnungspolitiker kann diejenigen auswählen, die seine Zielvorstellungen ausdrücken. Da einfache Kennziffern wie z. B. die Bevölkerungsdichte oder das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf meist die Zielsituation nicht hinreichend beschreiben können, werden mehrere Kennziffern (z. B. Kennziffernkataloge) oder begründete Kennziffernverbindungen (z. B. der „soziale Nettonutzen" als Ergebnis einer KostenNutzen-Analyse) als Beurteilungskriterien herangezogen. 3. Zielfindungs- oder Zielbildungsprozesse 3.1 Zum

Begriff

Die Ziele der Raumordnungspolitik müssen artikuliert und f ü r das Handeln der Träger verbindlich gemacht werden. Beide Vorgänge können auseinanderfallen, können sich aber auch wechselseitig durchdringen. Eine Zielgröße wie etwa die Mindestbevölkerungszahl eines zentralen Ortes mag beispielsweise als Zielvorstellung von einem Wissenschaftler ausgedrückt und begründet sein. Um Handlungsziel der Träger der R a u m o r d nungspolitik zu werden, bedarf es zusätzlich bestimmter Ver7

Vgl. z. B. den Kennziffernkatalog bei Geisenberger [55, S. 20 ff.].

16

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

fahrensweisen entsprechend einer demokratischen Staatsform. Denkbar ist aber auch, daß die Zielgröße während dieser Verfahrensweise durch Mitwirkung anderer Gruppen, Personen oder Institutionen modifiziert wird und innerhalb dieses Prozesses ihren endgültigen Wert erhält. Der gesamte Vorgang läßt sich als Zielfindungs- oder Zielbildungsprozeß betrachten. Im einzelnen kann er sehr unterschiedliche Formen annehmen. Die parlamentarische Festlegung eines Zieles mit einer Vielzahl vorausgegangener Gutachten, Anhörungen, Interventionen von Interessenten und evtl. Bürgerbeteiligungen stellt einen Zielbildungsprozeß dar. Ebenso hat aber auch der Wissenschaftler, der aufgrund einer wissenschaftlichen Analyse eine raumordnungspolitische Zielsetzung empfiehlt, einen Zielfindungsprozeß durchlaufen. Als Zielfindungs- oder Zielbildungsprozeß im weiteren Sinne wird daher jeder tatsächliche Vorgang bezeichnet, der Zielaussagen zum Ergebnis hat. Mit Zielfindungs- oder Zielbildungsprozeß im engeren Sinne soll dagegen der gesamte Vorgang der Zielfindung und der verbindlichen Zielfestlegung in einer parlamentarischen Demokratie 8 gemeint sein. 3.2 Leitbilder und schrittweise Zielbestimmung Die raumordnungspolitische Zieldiskussion in den fünfziger und sechziger Jahren bemühte sich um ein Leitbild der Raumordnung. Die Vorstellung von einem Leitbild der Raumordnung hat über das SARO-Gutachten Eingang in die staatliche Raumordnungspolitik erhalten 9 . Ausgehend von den Prinzipien des Grundgesetzes der BRD Freiheit, sozialer Ausgleich und Sicherheit soll das Leitbild der Raumordnung entwickelt werden und gesellschaftspolitische Grundgedanken und Postulate enthalten, die es in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zur Geltung zu bringen sucht10. Das wurde in gewisser Weise mit 8

Natürlich gibt es auch in anderen Staatsformen Zielbildungsprozesse, die jedoch anders verlaufen werden. 9 Vgl. Gutachten des Sachverständigenausschusses für Raumordnung: Die Raumordnung in der BRD. Stuttgart 1961. 10 Vgl. SARO-Gutachten. S. 52.

I. Ziele der Raumordnungspolitik

17

dem Bundesraumordnungsgesetz (BROG) angestrebt. Dort finden sich die genannten Prinzipien teils explizit (z. B. freie Entfaltung der Persönlichkeit, § 1, I), teils implizit in allgemein gehaltenen gesellschaftspolitischen Ziel Vorstellungen (§ 2, I „Grundsätze der Raumordnung") 1 1 . Das Leitbilddenken als Weg der Zielfindung, bei dem die Oberziele der Raumordnungspolitik aus allgemeinen gesellschaftlichen Normen abgeleitet werden, wird z. T . heftig kritisiert. Es sei beispielsweise unfruchtbar, „durch den Vergleich mit gedachten Idealordnungen Kriterien für die Beurteilung politischer Maßnahmen zu finden" [154, S. 244]. Der Zielbestimmung in Leitbildern läßt sich eine „pragmatische" Zielfindung der „kleinen Schritte", ein „inkrementales", „problemorientiertes" Vorgehen gegenüberstellen. Die Zielbestimmung erfolgt für eine mehr oder weniger eng begrenzte problematische Situation. Z . B. wird die Gefahr einer industriellen Strukturkrise in einer Region erkannt. Eine schrittweise Verbesserung des Problems wird durch ein relativ kurzfristiges Ziel, etwa die Erschließung eines Industriegebietes und das Bemühen um neue Betriebe angestrebt. Nach Erreichung dieser Zielsetzungen werden schrittweise neue Ziele festgelegt, z. B. die Ausweisung eines Wohn- und Einkaufsgebietes usw. Gegebenenfalls werden die Ziele den Mitteln angepaßt. Wenn ein Gebietsentwicklungsplan beispielsweise die Ansiedlung bestimmter Industriegebiete verbietet, so muß das Ziel der Industrieansiedlung entsprechend angepaßt werden. Zielbildungsprozesse dieser Art geben das tatsächliche Vorgehen in der Raumordnungspolitik häufig gut wieder. Das heißt allerdings nicht, daß es optimal wäre. Es erschöpft sich allzu schnell in reinen Anpassungsvorgängen zur Beseitigung einzelner aktueller Notstände. Dabei bleibt die Aufgabe der Raumordnungspolitik, den Raum zukunftsweisend zu gestalten und zu entwickeln, leicht unberücksichtigt. Weiter wird kritisch vermerkt, daß der Inkrementalismus von einer „hei11

Vgl. hierzu §§ 1 und 2 des BROG.

2 Brösse. Raumordnungspolltik

18

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

len" Welt ausgeht, in der Interessengegensätze grundsätzlich überwindbar sind und sich die Probleme von Macht und Herrschaft nicht stellen [68, S. 32]. Nun ist allerdings nicht einzusehen, warum die Probleme infolge Interessengegensätzen und Machtpositionen im Rahmen eines Inkrementalismus nicht gelöst werden können. Die Praxis zeigt, daß gerade auch beim inkrementalen Zielbildungsprozeß z. T . starke Interessengegensätze zum Ausgleich gebracht werden müssen und de facto gebracht werden. Die Schwächen des Inkrementalismus liegen vor allem in der begrenzten Problemschau und den damit verbundenen Nachteilen einseitiger, kurzsichtiger und kurzfristiger, auch konzeptionsloser Ziele und raumordnungspolitischer Lösungen. Die problemorientierte Zielfindung allein kann also ebensowenig wie das Leitbild allein zu einer hinreichenden Zielbestimmung in der Raumordnungspolitik führen. Zielfindung durch Leitbilder und Zielfindung in kleinen Schritten anhand konkreter Probleme lassen sich zwar als gegensätzliche Vorgehensweisen hinstellen, die sich ausschließen. Eine solche Sicht ist jedoch verfehlt und führt die Raumordnungspolitik in eine falsche Richtung. Es ist sicher richtig, daß ein Großteil raumordnungspolitischen Handelns ad hoc notwendig wird und die Ziele dementsprechend schrittweise gesetzt werden müssen. Ein solcher Pragmatismus muß aber unbefriedigend bleiben, wenn nicht zugleich auch „eine große Linie", eben ein Leitbild eingehalten wird. Beispielsweise vermag die passive Sanierung einer Region den Bewohnern vielleicht spontan zu helfen. Ohne die Beurteilung einer solchen Politik an leitbildartigen Vorstellungen für den Gesamtraum muß sie aber fragwürdig bleiben. Wie wichtig „gedachte Ordnungen" (Leitbilder) sind, zeigt heute besonders auch der Städtebau. Die Unzulänglichkeiten der Städte beruhen doch darauf, daß mit vielen durchgeführten Maßnahmen zwar einzelne Schwierigkeiten beseitigt werden, dabei aber ein Leitbild der Stadtentwicklung fehlt und viele Lösungen dementsprechend Flickwerk bleiben. Die Raumordnungspolitik bedarf deshalb sowohl einer problemorientierten Zielbestimmung als auch der Leitbilder. AI-

I. Ziele der Raumordnungspolitik

19

lerdings soll der Begriff des Leitbildes hier nicht so abstrakt definiert werden wie noch im SARO-Gutachten. Leitbilder beschreiben die längerfristige, potentiell wünschbare und grundsätzlich realisierbare räumliche Ordnung, Entwicklung und Nutzung. Sie sind immer umfassender (ganzheitlicher) Art 12 . Potentiell wünschbar heißt, daß es sich auch um alternative Vorstellungen zur Auswahl handeln sollte. Realisierbar müssen sie sein, weil sonst der Realitätsbezug fehlt. In diesem Sinne können raumordnungspolitische Leitbilder auch als Raumordnungskonzepte bezeichnet werden 13 . 3.3 „Wissenschaftliche" Zielbestimmung Wissenschaftler gehen bei der Zielbestimmung vielfach so vor, daß aus der grundlegenden Aufgabenstellung der Theorie die Ziele der angewandten Wissenschaft abgeleitet werden. Dabei erfolgen die Zielaussagen von dem jeweiligen fachspezifischen Standpunkt des Wissenschaftlers aus in enger, analoger Anlehnung an die Ziele derjenigen Disziplin, von der der jeweilige Wissenschaftler herkommt. Das läßt sich an den vorwiegend ökonomisch orientierten Zielformulierungen der Regionalpolitik verdeutlichen, die teilweise logische Ableitungen von Zielen der Wirtschaftspolitik sind. Als Ziele der Regionalpolitik im Sinne „oberster" Zielsetzungen werden folgende Ziele genannt: - die „regionalen Implikationen des Stabilitätszieles: Reduzierung der konjunkturellen und strukturellen Anfälligkeit der Region" und 12 Vgl. auch Ernst [46, S. 5]: „Das Leitbild drückt sich aus in dem längere Zeit gültigen, an alle Aufgabenträger gerichteten Ziele der angestrebten räumlichen Entwicklung." 13 Als Beispiele für solche Leitbilder können Systeme von zentralen Orten, von Entwicklungsschwerpunkten und Entwicklungsachsen, das Konzept einer Verdichtung um Schnellbahnhaltepunkte oder die „Landesplanerischen Leitbilder der Schweiz" angeführt werden. Vgl. Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung an der ETH Zürich: Landesplanerische Leitbilder der Schweiz. Schlußbericht. Bd. I bis III. Zürich 1971. 2»

20

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

- die „regionalen Implikationen des gesamtwirtschaftlichen Wachstumszieles: Schaffung der Voraussetzungen, die gesamtwirtschaftlich optimale regionale Wachstumsraten ermöglichen" [125, S. 4]. Eine ähnliche Zielformulierung bringt Giersch. Ziel der Regionalpolitik ist danach - die „ökonomisch optimale Allokation der Produktivkräfte im R a u m " , verstanden als eine „Allokation, die ein maximales Sozialprodukt und/oder ein möglichst kräftiges Wachst u m der Gesamtwirtschaft ermöglicht" [58, S. 387], J. H . Müller beschreibt die Aufgabenstellung der Raumordnungspolitik im Sinne der beiden vorhergehend genannten Zielversionen als - Gewährleistung einer „optimalen Allokation der Produktionsfaktoren im Raum" 1 4 . Diese drei Zielversionen lassen klar den logischen Bezug zu den wirtschaftspolitischen Zielen der Stabilität u n d des Wachstums zu der allgemeinen Wirtschaftstheorie 1 5 erkennen. Nicht aufgenommen in den wirtschaftspolitischen Zielkatalog (z. B. im Stabilitätsgesetz) in der BRD ist das Ziel einer Verringerung regionaler Wohlstandsunterschiede u n d unterschiedlicher Lebensmöglichkeiten im Raum. Diese Zielsetzung stellt ein weiteres und wesentliches Ziel der Raumordnungspolitik dar. In ökonomischer Version wird es durch die - „Vermeidung und Beseitigung extremer Disparitäten in der interregionalen Verteilung der durchschnittlichen Pro-KopfRealeinkommen" definiert [125, S. 4]. Raumordnungspolitik ist aber nicht mit räumlich ausgerichteter Wirtschaftspolitik gleichzusetzen. Deshalb ist ein umfassenderes Ziel der Problematik angemessen, das allerdings, wie die meisten obersten Ziele, einer weiteren Aufteilung in Unter14

Müller, ]. H.: Wirtschaftliche Grundprobleme der Raumordnungspolitik. Berlin 1969, S. 59. 18 Als wesentliches Anliegen wirtschaftstheoretischer Forschung wird die Erforschung der Bedingungen optimaler Allokation der Ressourcen angesehen.

I. Ziele der Raumordnungspolitik

21

ziele bedarf. Unter diesem Aspekt sind die folgenden beiden obersten Ziele der Raumordnungspolitik im Zusammenhang zu sehen: - gesamträumlich optimale Nutzung der Ressourcen (Lenkung der Ressourcen auf Regionen und möglichst günstige Nutzung der Ressourcen in Regionen zur Erzielung eines gesamträumlichen Optimums). - Verringerung regionaler Wohlstandsunterschiede und Unterschiede in den Lebensmöglichkeiten (Angleichungsziel): Lenkung der Ressourcen in eine Region und möglichst günstige Nutzung der Ressourcen dieser Region, bei den „ärmeren" Regionen unter der speziellen Zielsetzung einer tendenziellen Ausgleichung der Niveaus (Vermeidung oder Abschwächung von Disparitäten) gegenüber „reicheren" Regionen 16 . Auf die überökonomische Problemschau der Raumordnungspolitik sind auch folgende Ziele abgestellt: - „Erhaltung der Kulturlandschaft" [63, S. 42], - Schaffung einer „guten Vitalsituation". „Unter einer guten Vitalsituation ist ein Konglomerat zu verstehen, das sich u. a. zusammensetzt aus: ausreichenden (kinder- und familienfreundlichen) Wohnverhältnissen, einer zeitgemäßen Ausstattung mit öffentlichen Grundleistungen (wie z. B.: Schulen, Sportanlagen, Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen), ansprechenden Naherholungsmöglichkeiten, reiner Luft, sauberem Wasser, geringer Lärmbelästigung u. ä." [100, S. 17]. Für die hier von wissenschaftlicher Seite aufgezählten Ziele gilt, daß sie als unbestimmte, offene Zielformulierungen einer Interpretation durch Unterziele bedürfen. Die obersten Ziele der Raumordnungspolitik, wie sie von der Wissenschaft vorwiegend genannt werden, haben nicht in erster Linie die Funktion, konkrete Handlungen begründen zu können. Sie haben mehr richtungsweisenden Charakter für raumordnungspolitische Maßnahmen und üben für die Wissenschaft eine Vgl. zu diesen obersten Zielen zweier Zielsysteme näher Brösse [28, S. 90 ff.].

19

22

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

systemtragende Funktion in dem Sinne aus, daß sie als Oberbegriff für konkrete Handlungsziele fungieren können 1 7 . In diesem Zusammenhang sind zwei weitere Wege der Zielbestimmung bzw. Zielfindung zu erwähnen. Für die Wirtschaftspolitik ist der Versuch gemacht worden, Ziele wissenschaftlich zu begründen und damit absolut festzulegen. In diesem Sinne soll es möglich sein, allgemeingültige Werturteile (also auch Ziele) aus der Kulturwirklichkeit abzuleiten [130, S. 7 4 ; 149, S. 115 ff.]. Praktisch sind solche Versuche für die Wirtschaftspolitik auf einem hohen Abstraktionsgrad stehengeblieben. In der Raumordnungspolitik hat dieser Weg eine gewisse Bedeutung bei der Bestimmung eines Leitbildes der Raumordnung erlangt, das, wie bereits erwähnt, auf den gesellschaftspolitischen Prinzipien der Freiheit, des sozialen Ausgleichs und der Sicherheit des Grundgesetzes der B R D beruht. Dementsprechend heißt es beispielsweise in § 1, I B R O G : „Das Bundesgebiet ist in seiner allgemeinen räumlichen Struktur einer Entwicklung zuzuführen, die der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft am besten dient". Auf die Tatsache, daß solche leerformelhaften Ziele der Raumordnungspolitik nicht gänzlich überflüssig sind, wird noch einzugehen sein. Als konkrete Richtgrößen für raumordnungspolitisches Handeln sind auf diesem Wege gewonnene Ziele nicht geeignet. Schließlich ist der Einfluß wissenschaftlicher Auffassungen oder von Ideologien auf die Zielbestimmung zu beachten. Die Ziele der Steigerung von Wachstum und Produktivität beispielsweise haben letztlich ihren Ursprung in dem neoklassischen Produktivitätsideal [138, S. 104 f.]. Die Begriffe wachstumsorientierte und produktivitätsorientierte Regionalpolitik (Marx, Jürgensen) zeigen die Übertragung in den Bereich der Raumordnungspolitik. In marxistischer Version resultieren wesentliche Probleme der Raumordnungspolitik aus dem kapitalistischen Wirtschafts17

Vgl. hierzu näher I. 4.2.

I. Ziele der Raumordnungspolitik

23

system und den dominierenden Interessen der herrschenden Klasse. Abschaffung dieses Wirtschaftssystems ist deshalb ein Ziel, das bei einer marxistischen Auffassung auch als für die Raumordnungspolitik gültig angesehen werden muß. Allerdings könnte ein solches Ziel nur gesellschaftliches Leitbild sein. Spezifische und konkrete Ziele einer Raumordnungspolitik sind daraus nicht ohne weiteres zu folgern. Insofern bedarf es auch auf der Grundlage einer marxistischen Wissenschaftsauffassung besonderer Wege der Zielbestimmung. 3.4

Zur Frage Ziele

der

Begründbarkeit

raumordnungspolitischer

Ziele sind, da sie letztlich Wertaussagen darstellen, nicht begründbar. Da aber die meisten Ziele wiederum Vorziel- (Mittel-)charakter für übergeordnete Ziele tragen, ist in solchen Fällen eine Begründung bestimmter Ziele durch höhere Ziele möglich. Das raumordnungspolitische Ziel, eine Region mit Freizeiteinrichtungen wie Schwimmbädern, Sportplätzen, Freizeitparks, Waldlehrpfaden und ähnlichem auszustatten, läßt sich begründen mit dem raumordnungspolitischen Ziel, die Lebensmöglichkeiten der Regionen einander anzugleichen. Nicht immer ist eine Begründungskette so einfach zu finden. Womit soll zum Beispiel die Angleichung der Lebensmöglichkeiten begründet werden? Der Regreß, auf jeweils übergeordnete Ziele wird in der Regel gestoppt, wenn die Ziele der Raumordnungspolitik sich nur noch aus allgemein anerkannten gesellschaftlichen Normen erklären lassen. Aber welche Normen könnten für die Raumordnungspolitik verbindlich sein und wieweit sind sie gesellschaftlich allgemein akzeptierbar? Das BROG enthält in den §§ 1 und 2 solche Normen, wenn auch in sehr allgemeiner Form. Weiter dürften hierher Normen gehören, die allen Mitgliedern der Gesellschaft Mindestlebensbedingungen im Raum gewähren. Konkret zählen dazu Ziele wie Bereitstellung von ausreichendem, immissionsgeschütztem Wohn- und Erholungsraum, von gut erreichbaren Arbeitsplätzen und gut erreichbaren und vielfältigen Sozialund Bildungseinrichtungen sowie keine erheblichen Diskrimi-

24

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

nierungen von Bevölkerungsteilen aufgrund regional unterschiedlicher Existenzmöglichkeiten. 3.5 Demokratische Zielfindungs- oder Zielbildungsprozesse Wäre es möglich, theoretisch exakt aus der Vielzahl unterschiedlicher Vorstellungen der Bürger über die anzustrebenden raumordnungspolitischen Ziele ein Zielsystem der Raumordnungspolitik abzuleiten, wäre das Problem der Zielbestimmung weitgehend gelöst. "Wie die ökonomische Wohlfahrtstheorie bisher jedoch gezeigt hat, ist ein solcher Weg nicht gangbar 18 . Der Ausgleich der unterschiedlichen Ziel- und Interessenlagen der Bürger und die Feststellung von Zielen und Zielsystemen der Raumordnungspolitik muß deshalb durch das und im Rahmen des demokratischen Interessenvertretungssystems erfolgen. Der grundlegende theoretische Ansatz zur Erklärung demokratischer Zielfindungs- oder Zielbildungsprozesse basiert auf der von Schumpeter und Downs vertretenen Hypothese, nach der sich die Politiker als Stimmenmaximierer verhalten und dementsprechend solche Ziele propagiert und realisiert werden, die die Stimmen der Mehrheit bringen [129; 41]. Dieser Erklärungsansatz gibt teilweise das Verhalten der Politiker bei der Zielbestimmung richtig wieder. Er ist jedoch einseitig und berücksichtigt unter anderem zwei Aspekte nicht, die gerade für die Raumordnungspolitik von erheblicher Bedeutung sind. Das ist einmal die Tatsache, daß vor allem für kleinere Räume (Gemeinden, Regionen) der Einfluß bestimmter Gruppen auf die Raumordnungspolitik groß sein kann, so daß dementsprechend unterprivilegierte Gruppen existieren, und zum anderen wird die Vorstellung, daß es „allgemeingültige" Ziele geben könnte, die auch gegen die Mehrheit mangels deren Einsicht durchgesetzt werden müßten, abgelehnt. Hierbei spielt die Notwendigkeit der Beachtung von umfangreichem Sachverstand bei der Zielfindung, aber auch das umgekehrte Problem Hier sei lediglich verwiesen auf die grundlegende Kritik von Arrow [15]; vgl. auch zu den Bedingungen des wohlfahrtsökonomischen Optimismus Giersch [57, S. 106 ff.]. 18

I. Ziele der Raumordnungspolitik

25

der Bevormundung der politischen Gremien (Parlamente, Stadträte) durch Verwaltung und Technokratie eine entscheidende Rolle. Ein optimaler Zielfindungsprozeß in der Raumordnungspolitik setzt demnach voraus, daß innerhalb des parlamentarisch-demokratischen Systems gewährleistet wird, daß alle Betroffenen und Interessierten sowie der Sachverstand in befriedigender Weise bei der Zielbestimmung mitwirken. In welchem Verhältnis und mit welchem Gewicht das jeweils geschehen sollte, ist ungeklärt und wird sich kaum allgemeingültig festlegen lassen. Wohl aber lassen sich die rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen dafür schaffen, daß der Zielbildungsprozeß tendenziell optimal ablaufen kann. Die Diskussion um diese Problematik ist noch voll im Gang. Dementsprechend ist es kaum möglich, ein Facit in Form gesicherter Erkenntnisse zu ziehen. Die Bemühungen der Wissenschaft und z. T. auch der Praxis laufen darauf hinaus, die Bürger, und hier wieder unterprivilegierte Gruppen (alte Leute, Familien mit mehreren Kindern, Fußgänger, ärmere Bevölkerungsgruppen), stärker in den raumordnungspolitischen Zielbildungsprozeß einzuschalten, und dementsprechend das Übergewicht mächtiger Einflußgruppen, aber auch der Verwaltungen und Technokraten angemessen zurückzudrängen 19 . 4. Die Bedeutung operationaler und leerformelhafter Ziele 4.1 Zur Problematik der Operationalität Operationalität der Ziele im formalen Sinne bedeutet empirische Zieldefinitionen, d. h. Zieldefinitionen, die eine empirische Prüfung der Zielerreichung zulassen. Operationalität setzt Meßbarkeit im Sinne ordinaler (d. h. eine Ordnung muß möglich sein, z. B. nach den Gruppen sehr schlecht, schlecht, gut, sehr gut) oder kardinaler (d. h. zahlenmäßiger) Messung sowie räumliche und zeitliche Fixierung voraus. Wenn raumordnungspolitische Ziele zur Beurteilung raumordnungspoliti19 Vgl. hierzu näher Hesse [68, S. 36 ff.] und die dort angegebene Literatur.

26

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

scher Maßnahmen geeignet sein sollen, so müssen sie operational definiert sein. Offensichtlich lassen sich Ziele um so leichter operational definieren, je spezieller sie sind oder anders ausgedrückt: je tiefer sie in der Hierarchie des Zielsystems stehen. Je höher sie hierarchisch stehen, um so komplexer sind sie und eine um so umfangreichere Beschreibung durch Zielkomponenten ist zu einer Operationalisierung erforderlich. Das erläutert das folgende Schaubild 1 als Ausschnitt aus einer möglichen Zielhierarchie. Der Bau einer Straße von A nach B läßt sich als Ziel recht einfach exakt beschreiben. Die Verbesserung des verkehrsmäßigen Zugangs zu der Region erfaßt bereits mehrere Unterziele. Die Schaffung der materiellen Infrastruktur ist ein noch umfangreicheres Ziel. Auf noch höherer Ebene nimmt die Komplexität weiter zu. Die Verbesserung der Lebens* und Existenzmöglichkeiten der Menschen umschließt letztlich alle tiefer liegenden Vorziele (Teilziele, Zielkomponenten) und ist dementsprechend operational am schwierigsten zu definieren. Aufgrund dieser Tatsache erscheint es notwendig, mit der unterschiedlichen Stellung der Ziele im Zielsystem unterschiedliche Funktionen der Ziele zu verbinden. Dazu sei einmal auf den folgenden Abschnitt 4.2 verwiesen. Zum anderen sollen hier für „höhere" Ziele die Anforderungen an die Operationalität weniger streng und formal gestellt werden. Ein Ziel wie z.B. befriedigende Erholungsmöglichkeiten für eine Region kann als hinreichend operational angesehen werden, um in einem landschaftlich wenig reizvollen Industrierevier oder anderen in vergleichbarer Weise benachteiligten Regionen raumordnungspolitische Aktivitäten zur Verbesserung der Situation auszulösen. Inoperationalität sollte nicht so aufgefaßt werden, als ob die Zielaussagen nutzlos, wertlos oder überflüssig wären, wie man manchmal vermuten könnte, wenn die Inoperationalität der Ziele beklagt wird. Das eigentliche Problem scheint doch vielfach nicht die Frage der formalen Operationalität zu sein als vielmehr die Frage, ob die verantwortlichen Träger der Raumordnungspolitik überhaupt bereit sind, Ziele zu set-

I. Ziele der Raumordnungspolitik

27

Sdiaubild 1 : Beispielhafter Ausschnitt aus einem denkbaren hierarchischen Zielsystem zur Veranschaulichung der Tatsache, daß die tiefer stehenden Ziele leichter operationalisierbar sind.

zen und diese dann mit wirkungsvollen Maßnahmen anzustreben. Die Ziele müssen anerkannt und erstrebt werden und Handlungen auslösen. Das sind „materielle" Bedingungen für Operationalität in einem weiteren Sinne. Das ernsthafte Bemühen um die Zielerreichung löst dann in der Regel auch den Vorgang weiterer Konkretisierung durch Unterziele aus; denn letztlich äußert sich das ernsthafte Bemühen in der Aufstellung von Teilzielen und der Zuordnung geeigneter Maßnahmen und natürlich ihrer Durchführung. Es wird deshalb die These gewagt, daß raumordnungspolitische Instanzen ohne Maßnahmekompetenzen dazu tendieren müssen, inoperationale Ziele zu setzen. Die Träger der Raumordnungspolitik dagegen, die unmittelbar über ein Instrumentarium zur Verwirklichung der Ziele verfügen, tendieren eher

28

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

zur Festlegung operationaler Ziele oder zumindest zur stillschweigenden Unterstellung solcher Ziele. 4.2 Die Bedeutung leerformelhafter Ziele Fehlt die Operationalität, so werden die Ziele vielfach als Leerformeln bezeichnet. Sie bestehen aus so allgemein gefaßten Aussagen, daß sie praktisch keine Möglichkeit ausschließen, genügen also nicht dem Falsifizierbarkeitskriterium. Daraus wird gelegentlich gefolgert, daß leerformelhafte Ziele überflüssig seien, daß sie funktionslos seien 20 . In der Tat haben leerformelhafte Ziele in dem Sinne keine Funktion, daß mit ihnen konkrete Maßnahmen und Projekte hinsichtlich deren Wirkungen nicht überprüft werden können. Angesichts der Vielzahl inoperationaler Ziele der Raumordnungspolitik mag jedoch, wie gesagt, die Frage berechtigt sein, ob solche Zielformulierungen nicht doch einen Sinn haben, das heißt bestimmte Funktionen ausüben 21 . a) Die Funktion leerformelhafter Ziele, eine komplexe Problematik zum Ausdruck zu bringen Tatsächlich lassen sich mehrere Funktionen leerformelhafter Ziele nachweisen. Geht man davon aus, daß Ziele einen bewußt erstrebten Sachverhalt bezeichnen, so läßt sich feststellen, daß der erstrebte Sachverhalt häufig voller Problematik steckt. Das raumordnungspolitische Ziel einer regionalen Wohlstandsangleichung beschreibt einen solchen Sachverhalt, der eine vielfältige Problematik aufwirft. Je nach Wohlstandsmaß dürfte die Angleichung anders zu beurteilen sein. Einer gleichen ärztlichen Versorgung der Bevölkerung etwa wird eher zuzustimmen sein als einem gleichen regionalen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der "Wirtschaftsbevölkerung. Je nachdem wird also die Frage, Angleichung von was und bis zu welchem Grade anders beantwortet werden müssen. Das Ziel 2 0 Vgl. z. B. Albert [14, S. 221, Fußnote 43]: „Ein normatives Prinzip, das keine Verhaltensweise verbietet (Leerformel), ist in diesem Sinne gehaltlos und hat daher keine regulative Funktion." 81 Vgl. zum folgenden auch näher Brösse [28, S. 39 ff.].

I. Ziele der Raumordnungspolitik

29

der regionalen Wohlstandsangleichung besitzt also die Fähigkeit, eine komplexe Problematik auszudrücken. Solange in der Raumordnungspolitik eine solche komplexe, ungelöste Problematik noch besteht, ist es erforderlich, daß raumordnungspolitische Ziele dies zum Ausdruck bringen. Ziele können und müssen daher die Funktion übernehmen, eine raumordnungspolitische Problematik zum Ausdruck zu bringen22. Diese Fähigkeit geht natürlich auf Kosten der Operationalität. Ein operational formuliertes Ziel kann in der Regel nur einen mehr oder weniger eng begrenzten Bereich der komplexen Realität erfassen. Dazu sei noch einmal auf Schaubild 1 verwiesen. Das Ziel des Baus einer Straße von A nach B ist eindeutig und konkret. Es spezifiziert alle hierarchisch übergeordneten Ziele in einer bestimmten Richtung. Nach Beendigung des Bauvorhabens ist das Ziel erreicht. Ob aber damit auch die Ziele Verbesserung des verkehrsmäßigen Zugangs, Einkommenssteigerung der Bewohner usw. ebenfalls erreicht sind, bedarf neuer Diskussion und ist sicherlich weiterhin problematisch. b) Interessenausgleichs- und Koordinationsfunktion von Zielen Allgemein gehaltene Ziele haben weiter den Zweck, auf vielfältige Interessenlagen anwendbar zu sein. Mit einem allgemein gehaltenen Ziel sind viele konkrete Ziele der Menschen vereinbar, so daß weniger Menschen dann einen Grund haben, ihre Ziele nicht berücksichtigt zu sehen. Das leerformelhafte Ziel ist insofern in der Lage, Interessen auszugleichen und zu koordinieren. Diese Funktion von Zielen kommt bei der Festlegung raumordnungspolitischer Ziele in Bund und Ländern wahrscheinlich in beachtlichem Ausmaß zum Tragen. Denn operationale Ziele der Raumordnungspolitik müssen bei dem Pluralismus von Zielvorstellungen der Träger und Interessenten zu Konflikten führen. Die Leerformel gestattet noch am schnellsten und einfachsten eine Übereinstimmung. 22

Vgl. auch Luhmann [98], vor allem S. 123, 130 f. und 216.

30

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

c) Die „systemtragende"

Funktion von Zielen

Sogenannte oberste Ziele sind vielfach Leerformeln. Als solche können oberste Ziele eine „systemtragende" Funktion übernehmen. Sie besteht darin, daß aus einem obersten Ziel die tieferstehenden Ziele abgeleitet werden. Die Leerformel kommt der „ästhetisierenden Tendenz" der Wissenschaft entgegen, „möglichst wenige, ja ein einziges Axiom zu finden, aus welchem alle entsprechenden Aussagen ableitbar" sind [22, S. 80], Allerdings muß betont werden, daß solche Ableitungen als Form der Zielbestimmung letztlich genauso unbestimmt bleiben müssen wie die Leerformel, von der abgeleitet wird. Dieser Weg, raumordnungspolitische Ziele festzulegen, kann allenfalls als ein Hilfsmittel angesehen werden, dessen sich der Wissenschaftler neben anderer bedienen kann. Logisch zwingend sind solche Ableitungen keinesfalls. Beispielsweise läßt sich aus dem gesellschaftspolitischen Postulat der freien Entfaltung der Persönlichkeit das „Ziel" ableiten, das Privateigentum an Grund und Boden zu schützen. Mit anderer Argumentation wird man aber auch eine Sozialisierung weiter Teile des Grund und Bodens begründen können. Das heißt also, daß leerformelhafte Ziele eben interpretationsbedürftig sind und deshalb nur eine einzige rationale Ableitung von Zielen nicht zulassen.

d) Die Funktion von Zielen, Ermessens- und spielräume zu setzen

Entscheidungs-

Zielvorstellungen müssen im staatlichen Sektor häufig die Form von Richtlinien oder Ähnlichem annehmen. Es handelt sich dabei um leerformelhafte Anweisungen, die den Entscheidungsträgern ungefähre Anhaltspunkte geben, ihnen im übrigen aber aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen einen eigenständigen Entscheidungsspielraum lassen. Dadurch wird eine gewisse Starrheit in einem Zielsystem vermieden. Gesetze, Verordnungen u. ä. sind ohne solche Leerformeln vielfach gar nicht zu verabschieden.

I. Ziele der Raumordnungspolitik

31

5. Ziele und Zielsysteme der Raumordnungspolitik

5.1 Ziele der

Bundesraumordnung

Das Bundesraumordnungsgesetz (BROG) aus dem Jahre 1 9 6 5 brachte erstmals für die Raumordnungspolitik in der BRD gesetzlich fixierte Zielaussagen. Sie werden in der Literatur dahingehend interpretiert, daß § 1 („Aufgaben und Ziele der Raumordnung") in sehr allgemeiner Formulierung ein Leitbild aufstellt 23 , das in § 2 („Grundsätze der Raumordnung") durch Grundsätze umschrieben wird 2 4 . Kernpunkt des Leitbildes ist die Forderung: „Das Bundesgebiet ist in seiner allgemeinen räumlichen Struktur einer Entwicklung zuzuführen, die der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft am besten dient. Dabei sind die natürlichen Gegebenheiten sowie die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Erfordernisse zu beachten". Desweiteren soll die Raumordnungspolitik die Wiedervereinigung des gesamten Deutschlands sowie die europäische Zusammenarbeit fördern. 23

Diese Grundsätze nach § 2, I B R O G lauten: „1. Die räumliche Struktur der Gebiete mit gesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie ausgewogenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnissen soll gesichert und weiter entwickelt werden. In Gebieten, in denen eine solche Struktur nicht besteht, sollen Maßnahmen zur Strukturverbesserung ergriffen werden. Die Verkehrs- und versorgungsmäßige Aufschließung, die Bedienung mit Verkehrs- und Versorgungsleistungen und die angestrebte Entwicklung sind miteinander in Einklang zu bringen. 2. Eine Verdichtung von Wohn- und Arbeitsstätten, die dazu beiträgt, räumliche Strukturen mit gesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie ausgewogenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnissen zu erhalten, zu verbessern oder zu schaffen, soll angestrebt werden. 3. In Gebieten, in denen die Lebensbedingungen in ihrer Gesamtheit im Verhältnis zum Bundesdurchschnitt wesentlich zurückgeblieben sind oder ein solches Zurückbleiben zu befürchten ist, sollen die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse sowie die kulturellen Einrichtungen verbessert werden. In den Gemeinden dieser Gebiete sollen die Lebensbedingungen der Bevölkerung, insbesondere die Wohnverhältnisse sowie die Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen allgemein verbessert werden. In einer für die Bewohner zumutbaren Entfernung sollen Gemeinden mit zentralörtlicher Bedeutung einschließlich der zugehörigen Bildungs-, Kultur- und Verwaltungseinrichtungen gefördert werden. 24

32

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

4. Die Leistungskraft des Zonenrandgebietes ist bevorzugt mit dem Ziel zu stärken, daß in allen seinen Teilen Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie eine Wirtschafts- und Sozialstruktur geschaffen werden, die denen im gesamten Bundesgebiet mindestens gleichwertig sind. Die Bildungs-, Kultur-, Verkehrs-, Versorgungs- und Verwaltungseinrichtungen sind vordringlich zu schaffen. 5. Es sind die räumlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen und zu sichern, daß die land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung als wesentlicher Produktionszweig der Gesamtwirtschaft erhalten bleibt. Die Landeskultur soll gefördert werden. Für die landwirtschaftliche Nutzung gut geeignete Böden sind nur in dem unbedingt notwendigen Umfang für andere Nutzungsarten vorzusehen. Das gleiche gilt für forstwirtschaftlich genutzte Böden. Für ländliche Gebiete sind eine ausreichende Bevölkerungsdichte und eine angemessene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowie ausreichende Erwerbsmöglichkeiten, auch außerhalb der Land- und Forstwirtschaft, anzustreben. Nummer 3 Sätze 2 und 3 finden entsprechende Anwendung. 6. In Verdichtungsräumen mit gesunden räumlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie ausgewogener Wirtschafts- und Sozialstruktur sollen diese Bedingungen und Strukturen gesichert und, soweit nötig, verbessert werden. Der Verdichtung von Wohn- und Arbeitsstätten, die zu ungesunden räumlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie zu unausgewogenen Wirtschafts- und Sozialstrukturen führt, soll entgegengewirkt werden. Wo solche ungesunden Bedingungen und unausgewogenen Strukturen bestehen, soll deren Gesundung gefördert werden. Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele sind eine vorausschauende örtliche und regionale Planung, die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und der der Versorgung der Bevölkerung dienenden Einrichtungen sowie die Entwicklung von Gemeinden zu Entlastungsorten für die Aufnahme von Wohn- und Arbeitsstätten in angemessener Entfernung. Art und Umfang dieser Maßnahmen sollen die Verwirklichung der Grundsätze nach den Nummern 1 bis 5 in den anderen Gebieten nicht beeinträchtigen. Sie sollen auch der Erhaltung der den Verdichtungsräumen zugeordneten Landschaft dienen. 7. Für die Erhaltung, den Schutz und die Pflege der Landschaft einschließlich des Waldes sowie für die Sicherung und Gestaltung von Erholungsgebieten ist zu sorgen. Für die Reinhaltung des Wassers, die Sicherung der Wasserversorgung und für die Reinhaltung der Luft sowie für den Schutz der Allgemeinheit vor Lärmbelästigung ist ausreichend Sorge zu tragen. 8. Die landsmannschafdiche Verbundenheit sowie die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge sollen berücksichtigt werden. 9. Die Erfordernisse der zivilen und militärischen Verteidigung sind zu beachten."

I. Ziele der Raumordnungspolitik

33

Ob man diese Grundsätze als Ziele bezeichnen will oder nicht, erscheint mehr ein akademisches Problem. Von praktischer Tragweite ist dagegen ihr Leerformelcharakter, der sie als unmittelbare Handlungsziele und raumordnungspolitische Beurteilungskriterien von Maßnahmen wenig geeignet macht. Ergänzend soll das wahrscheinlich noch 1974 erscheinende Bundesraumordnungsprogramm ein Zielsystem enthalten, das zukünftig die Rolle eines Bundeszielsystems der Raumordnung übernehmen kann. Nach § 5, II BROG sind von den Ländern Ziele der Raumordnungspolitik in Programmen und Plänen niederzulegen, „die räumlich und sachlich zur Verwirklichung der Grundsätze nach § 2 erforderlich sind". Es wird deshalb vor allem auch auf entsprechende Äußerungen der Bundesländer zurückgegriffen werden müssen, um ein Bild von den in der BRD herrschenden Zielvorstellungen zu erhalten. Auf gesamträumlicher Ebene wurden vom Beirat für Raumordnung in Form von Empfehlungen Zielsysteme der Raumordnungspolitik bekannt gemacht: „Zielsystem für die räumliche Entwicklung in der BRD" vom 28. 10. 1971 und „Zielsystem zur räumlichen Ordnung und Entwicklung der Verdichtungsräume in der BRD" vom 14. 9. 197225. Die darin genannten Ziele wurden bei Aufstellung des unten in Abschnitt 5.3 folgenden Zielsystems berücksichtigt. 5.2 Die Ziele der Raumordnung auf Länderebene Am häufigsten werden Ziele der Raumordnungspolitik in Plänen und Programmen der Bundesländer genannt. Wagener hat eine Übersicht über diese Ziele in einer systematischen und umfassenden Weise zusammengestellt [147]. Er gelangt dabei zu einem Katalog von Zielen, der widerspiegelt, was an Zielen der Raumordnung von 1964 bis einschließlich 1970 in Raumordnungsprogrammen, Landesentwicklungsprogrammen und Landesraumordnungsplänen sowie sonstigen sachlich relevanten Plänen (Ein Programm für Bayern I und II, Nordrhein15

Abgedruckt im Anhang zu [112].

3 Brösse, Raumordnungspolitik

34

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

Westfalen-Programm 1975, Großer Hessen-Plan, Entwicklungsmodell für H a m b u r g und sein Umland) implizit u n d explizit enthalten ist. Das Ergebnis ist folgender Zielkatalog 2 6 : A. Ziele für das gesamte Bundesgebiet I. Schaffung wertgleicher Lebensverhältnisse 1. Gleichwertiger Wirtschafts- und Versorgungsstandard in allen Landesteilen 2. Versorgungsausgleich durch Verbundnetze II. Ausbau von zentralen Orten und Entwicklungsachsen 1. Stufung zentraler Orte a) Mindeststandard von Kleinzentren b) Mindeststandard von Unterzentren c) Mindeststandard von Mittelzentren d) Mindeststandard von Oberzentren 2. Ausbildung von Entwicklungsachsen 3. Ausbildung von Entwicklungsschwerpunkten 4. Entwicklung von Schwerpunkträumen III. Leistungsfähiges Verkehrswesen 1. Verknüpfung mehrerer Verkehrssysteme 2. Ausbau des Straßennetzes 3. Begrenzung des Individualverkehrs 4. Bedarfsgerechter und sicherer Eisenbahnverkehr a) Bedarfsgerechter Eisenbahnverkehr b) Beseitigung höhengleicher Bahnübergänge 5. Ausbau von Flughäfen und Landeplätzen 6. Ausbau von Wasserstraßen und Häfen IV. Raumordnungsgerechter Städtebau 1. Gesunde Verdichtung der Bebauung a) keine Zersiedlung der Landschaft b) Konzentration der Bebauung c) Grünflächen in bebauten Gebieten 2. Besseres Wohnen a) Höherer Wohnstandard b) Bessere Standorte für Wohnungen c) Annäherung von Wohnung und Arbeit d) Trennung von Wohnung und Arbeit 29

Entnommen aus: Hagener [147, S. 193 u. 194], - Für die Stadtentwicklung hat Hagener in ähnlicher Weise die Ziele zusammengetragen [148].

I. Ziele der Raumordnungspolitik

35

V. Ausbau und Konzentration öffentlicher Einrichtungen 1. Ausbau und Konzentration von Schulen 2. Konzentration von Sportanlagen 3. Ausbau von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen 4. Bessere Wasserversorgung VI. Leistungsfähige Wirtschaft 1. Bessere Wirtschaftsstruktur a) Konzentration von Gewerbe und Industrie b) Vielseitigkeit der Wirtschaftsstruktur c) Schaffung neuer Arbeitsplätze 2. Bedarfsgerechte Energieversorgung VII. Menschengerechte Umwelt 1. Besserer Umweltschutz a) Mehr Immissionsschutz für Wohngebiete b) Bessere Abwässerklärung c) Schadlose Abfallbeseitigung 2. Pflege der Landschaft a) Erhaltung der Landschaft b) Einpassung von Anlagen in die Landschaft c) Rekultivierung nach Eingriffen in die Landschaft VIII. Gesamtwirtschaftliche günstige Standorte für Verteidigungsanlagen 1. Garnisonen in zentralen Orten 2. Inanspruchnahme geringwertiger Böden für Verteidigungsanlagen 3. Nichtbeeinträchtigung von Wohn- und Erholungsgebieten durch Verteidigungsanlagen IX. Berücksichtigung grenzüberschreitender Raumordnungsverflechtungen B. Ziele für Verdichtungsräume I. Bessere Gliederung und Ausstattung von Verdichtungsräumen 1. Funktionsgerechte Zuordnung öffentlicher und privater Einrichtungen 2. Bessere Ausstattung mit öffentlichen Einrichtungen 3. Schaffung von Naherholungsgebieten 4. Abfallverbrennung in Verdichtungsräumen II. Ausbau von Zentren und Achsensystemen in Verdichtungsräumen 1. Ausbau von Zentren und Achsen 3*

36

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik 2. Konzentration öffentlicher Grundausstattung in Stadtteilzentren 3. Ausbau von Schnellbahnverkehrssystemen in Verdichtungsräumen 4. Bau von Entlastungsorten III. Bessere überörtliche und überregionale Verkehrsanbindung der Verdichtungsräume

C. Ziele für ländliche Räume I. Erhaltung der Lebensgrundlagen in ländlichen Räumen 1. Bessere öffentliche Grundausstattung 2. Erhaltung der Land- und Forstwirtschaft a) Erhaltung der Landwirtschaft b) Verbesserung von Wirtschaftswäldern 3. Mehr nichtlandwirtschaftliche Arbeitsplätze II. Höherer Freizeitwert ländlicher Räume 1. Sicherung und Entwicklung von Erholungsgebieten 2. Sicherung und Ausbau von Fremdenverkehrsgebieten 3. Zusammenfassung des Wochenendhausbaus 4. Ausbau von Naturparks III. Schutz der Natur in ländlichen Räumen 1. Schutz des Waldes 2. Mehr Natur- und Landschaftsschutzgebiete 3. Freihalten des Zugangs zur Landschaft IV. Hochwasserschutz in ländlichen Räumen Hagener bemerkt hierzu: „Die Liste gibt in der kürzesten Form, die möglich ist, das gegenwärtig auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher Pläne und Programme der Länder geltende Zielsystem der Raumordnung wieder. Ohne der Gefahr der Überinterpretation zu erliegen, lassen sich drei Feststellungen zum Inhalt dieses Zielsystems machen: Die Pläne und Programme der Länder stimmen in einer hohen Zahl verhältnismäßig detaillierter Raumordnungsziele überein. Es besteht also ein genügend konkretes und öffentlich verkündetes Zielsystem für die Raumordnung in der Bundesrepublik Deutschland." „Die Zahl der ausschließlich für die Verdichtungsräume geltenden Ziele (114 Nennungen) ist in der Grö-

I. Ziele der Raumordnungspolitik

37

ßenordnung ähnlich hoch wie die ausschließlich für ländliche Räume geltenden Ziele der Raumordnung (139 Nennungen)" [147, S. 194]. „Aus der hohen Zahl differenzierter Ziele der Raumordnung schälen sich die Ideen der Konzentration und der menschengerechten Umwelt als deutlich vorrangig heraus" [147, S. 195]. Den streng formalen Anforderungen der Operationalität genügen diese Ziele nicht. Es ist aber höchst zweifelhaft, ob es überhaupt möglich und zweckmäßig ist, ein umfassendes Zielsystem der Raumordnungspolitik in streng operationaler Form aufzustellen. Aufgrund der individuellen und zeitlichen Besonderheiten der Situationen in den Räumen ist es sinnvoll, in einem generellen Zielsystem mehr die Zielrichtungen und Tendenzen festzulegen, die im einzelnen je nach Situation, Zeit und Raum der Interpretation und weiteren Konkretisierung bedürfen. Dazu bieten die Ziele durchaus geeignete Ansatzpunkte. Insofern können die Ziele des Katalogs als „genügend konkret" bezeichnet werden. Fraglich ist allerdings, ob es sich bei der Zielliste um ein Zielsystem handelt; denn die Systematik ergibt sich allein aus der einheitlichen Auswertung vieler Quellen, nicht aber aus einem Konzept, das auch Zusammenhänge erkennen läßt. Auch die reine Auflistung deutet auf den aufzählenden, kataloghaften Charakter hin. 5.3 Ein allgemeines Zielsystem der Rautnordnungspolitik Es soll deshalb im folgenden versucht werden, ein Zielsystem der Raumordnungspolitik aufzustellen, das eine Synthese der bisherigen Ziele und Zielsysteme darstellt und für das einheitlich als Ansatzpunkt - die für die Raumordnungspolitik grundlegende Forderung eines ökonomisch-rationalen Umgangs mit dem Boden und den natürlichen Ressourcen sowie - die raumrelevanten Daseinsgrundfunktionen des Menschen gewählt werden. über die räumliche Ausprägung der Daseinsgrundfunktionen wird der gesamte Lebensraum des einzelnen, der Gemeinschaft und der Gesellschaft gestaltet und ausgefüllt [110, Sp. 425].

38

Erster Teil: Ziele und Träger der Raumordnungspolitik

Partzsch nennt im einzelnen sieben Daseinsgrundfunktionen: Wohnen, Arbeiten, Versorgen, sich Bilden, sich Erholen, am Verkehr teilnehmen und Kommunikation [110, Sp. 425]. Hierbei fehlt die Funktion des sich Schützens, die hinzugefügt werden muß. Außerdem sollte das Versorgen durch das Entsorgen ergänzt werden und das sich Erholen durch die Freizeitgestaltung. Diese Ergänzungen entsprechen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Wirklichkeit. Im folgenden wird daher von acht, z. T. erweiterten Daseinsgrundfunktionen ausgegangen. Das Ergebnis ist folgendes, auf vier Ebenen begrenzte Zielsystem der Raumordnungspolitik (Vgl. Schaubild 2, S. 40). Das Zielsystem erhebt weder den Anspruch, operational im formalen Sinne, noch frei von Zielkonflikten zu sein. Es ist hinreichend operational insofern, als es, auf konkrete Fragestellungen angewandt, die Ableitung streng operationaler Ziele in Zielbildungsprozessen ermöglicht. Im Rahmen solcher Ableitungen und Zielbildungsprozesse werden auch erst die latenten Zielkonflikte sichtbar, die dann ebenfalls zu lösen sind. Ein Zielkonflikt wird sich beispielsweise zwischen dem Ziel der befriedigenden Wohnmöglichkeiten und dem ökonomischrationalen Umgang mit dem knappen Boden (2. Ebene) ergeben können. Diese Ziele werden im System dahingehend näher beschrieben, daß sich befriedigende Wohnmöglichkeiten unter anderem in einer Gleichwertigkeit der Wohnmöglichkeiten ausdrücken und daß der ökonomisch-rationale Umgang mit dem Boden als sparsamer Umgang bei einer entsprechenden Flächenplanung zu verstehen ist (3. Ebene). Gleichwertigkeit und Sparsamkeit können demnach konfliktäre Ziele sein. Die Entscheidung für das Mehr oder Weniger des einen oder anderen kann aber nicht allgemeingültig oder gar in einem Zielsystem vorgezeichnet werden. Die Abwägung hat einzeln für den konkreten Fall zu erfolgen und unter Beachtung aller relevanten Umstände. Der Gedanke der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Raum stellt einen wesentlichen Zielaspekt des Systems dar. Dabei darf Gleichwertigkeit und Angleichung jedoch nicht

I. Ziele der Raumordnungspolitik

39

Gleichmacherei bedeuten. Natürliche Raumunterschiede lassen sich meist gar nicht aufheben. Gleichheit im Raum kann deshalb vielfach nur Ausgleich bedeuten, z. B. Schaffung künstlicher Erholungsgebiete in von der Natur benachteiligten Räumen oder Zahlung von Investitionszuschüssen zum Ausgleich von Standortnachteilen, und das auch nur in dem Maße, wie es die ökonomischen Verhältnisse und die natürlich-technischen Gegebenheiten überhaupt zulassen. Gerade diese letzte Einschränkung ist wichtig. Die Schaffung von Entwicklungsschwerpunkten beispielsweise ist nur dann möglich, wenn Ressourcen (Menschen, Boden, Kapital) vorhanden sind, die die Entwicklungsschwerpunkte tragen. Die Schaffung von Entwicklungsschwerpunkten ist zwar ein Ziel der Raumordnungspolitik. Es ist jedoch zu prüfen, wann und wo es im konkreten Fall zu postulieren ist. Wichtig und zu beachten ist, daß die Erfüllung der Daseinsgrundfunktionen in räumlicher bzw. regionaler Betrachtungsweise Gegenstand der Raumordnungspolitik ist. Raumordnungspolitik ist beispielsweise nicht gleich Bildungspolitik, vielmehr geht es ihr u. a. um die quantitative und qualitative räumliche Fixierung der Bildungsfunktionen. Oder: Wenn die Raumordnungspolitik eine konjunkturell möglichst wenig anfällige Arbeitsplatzstruktur in den einzelnen Regionen zum Ziel hat, so ist sie deshalb aber nicht mit Konjunkturpolitik gleichzusetzen. Darüber hinaus ist wesentliches Anliegen der Raumordnungspolitik die Zuordnung der Daseinsgrundfunktionen zueinander im Raum. Ein weiterer wichtiger Grundgedanke des Zielsystems ist der, daß keine „maximalen" oder „optimalen" Verhältnisse erstrebt werden, sondern befriedigende Anspruchsniveaus. Das bedeutet, daß keine formal-theoretisch vielleicht eindeutig definierbaren Optima oder Maxima als operationale Ziele, die in der Realität doch nicht bestimmbar sind, genannt werden, sondern realistischerweise faßbare Ansprüche der Bürger, die von den jeweiligen sachlichen, räumlichen und zeitlichen Bedingungen abhängig sind und deshalb interpretiert werden müssen. Was beispielsweise raumordnungspolitisch gesehen

40

Sdiaubild 2: Zielsystem Ökonomisch-rationaler Umgang mit dem Knappen Boden Raumes und der Umwelt sowie Gestaltung des Raumes der des Menschen in räumlicher bzw. regionaler Betrachtung: zufriedenstellender Weise möglich sind.

Ökonomisch-rationaler Umgang mit dem knap pen Boden und den knappen natürlichen Ressourcen z u m Schutz von Raum und Umwelt.

Befriedigende räumliche Zuordnung der Daseinsgrundfunktionen.

Befriedigende Arbeitsund Beschäftigungsmöglichkeiten im Gesomtroum und in den Teilraumen in konjunktureller und wachstumspolitischer Hinsicht.

Befriedigende Wohnmöglichkeiten.

Befriedigende Versorgungsmöglichkeiten mit Gütern und Diensten und befriedigende Entsorgung.

a)Planung des Flächeneinsohes für alle Nutzungen aufgrund des gegenwärtigen und voraussichtlichen Angebots. b) Sparsamer Umgang mit den natürlichen Ressourcen. c) Schutz der natürlichen Umwelt. d) Schutz der Kulturlandschaft.

Zuordnung hat zu erfolgen nach den Prinzipien; o) Erreichbarkeit b) Nicht-Belästigung durch andere Funktionen c) Gleichwertigkeit der Bedingungen im Raum d) Schutz der natürlichen Umwelt und der Kulturlandschaft.

a) Gleichwertige Arbeits und Beschäftigungsmöglichkeiten b) Vollbeschäftigung c)Konjunkturunabhängigkeit d) Befriedigendes Wirtschaftswachstum und befriedigende Einkommens-und Einnahmesteigerungen der privaten und öffentlichen Haushalte e) Regionole Produktivitätssteigerung f) Förderung von Strukturwandlungen g) Nutzung technischen und wissenschaftlichen Fortschritts

a) Gleichwertige Wohnmöglichkeiten b) befriedigendes quantitatives und qualitatives Wohnungsangebot

a) Gleichwertigkeit der Versorgung und Entsorgung b) Vielseitige Einkaufsmöglichkeiten c) Ausreichendes Dienstleistungsangebot d ) Schadlose Abfollund Abwasserbeseitigung sowie I m missionsschutz.

System von zentralen Orten

Schoffung von Entwicklungspolen

Schaffung von Entwicklungsschwerpunkten bzw. Entwicklungszentren

der Raumordnungspolitik

41

und den knappen natürlichen Ressourcen zum Schutz des Art, dal) eine Erfüllung der Daseinsgrundfunktionen

1.

weise und ihre räumliche Zuordnung zueinander in

Ebene

Befriedigende

Befriedigende

Befriedigende

Befriedigende

Befriedigende

Bildungsmöglichkeiten

Erholungsmöglichkei-

Kommunikations-

Verteidigungsmög-

Verkehrsmöglich-

ten und Freizeitge-

möglichkeiten

lichkeiten gegen

keiten

staltungsmöglichkeiten

menschliche und natürliche Gewalten

2. Ebene

a) Ein befriedigendes

a) Gleichwertigkeit

a) Schaffung ausrei-

a) Inanspruchnahme

quantitatives und

der Erholungsmög-

chender privater und

geringwertiger Flä-

räumlichen Zuord-

qualitatives Angebot

lichkeiten

öffentlicher Einrich-

chen für Verteidi-

nung der Daseins-

gungsanlagen

grund funktionen

o) Unterstützung der

b) gut erreichbare

tungen der Kommuni-

reien.Fortbildungs-

Nah-und Fern-

kation wie z.B. Spiel-

b) Bereitstellung von

durch geeignete

einricMunqen, Hoch-

erholungsmöglich-

ptätze.StroBen.Ge-

Flächen für hoch"

Verkehrssysteme

schulen, Berufsbil-

keiten

meinschoffshäuser

wosserschutz

dungseinrichtungen

c) quantitativ und

und-räume,Plötze

u.s.w.

qualitativ befriedi-

u.s.w.

b) Gleichwertigkeit

gende Sportanlagen

an Schulen, Bücht-

der Bildungsmöglichkeiten

3. Ebene

Schaffung von

Bildung von

Festlegung von

Siedlungs-und

Regionen

Vorranggebieten

Entwicklungsachsen

¿« o ' « t Ä 5 B H 3