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German Pages 250 [252] Year 2023
Radikale Beziehungen Die Briefkorrespondenz der Mathilde Franziska Anneke zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs Herausgegeben von Viktorija Bilić und Alison Clark Efford
Geschichte Franz Steiner Verlag Franz Steiner Verlag
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contubernium Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte
Radikale Beziehungen Die Briefkorrespondenz der Mathilde Franziska Anneke zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs Herausgegeben von Viktorija Bilić und Alison Clark Efford
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Umschlagabbildungen: links: Mary Booth an Mathilde Franziska Anneke, Zürich, 24. Dezember 1862 © Fritz Anneke and Mathilde Franziska Giesler Anneke Papers, Wisconsin Historical Society, Madison rechts: Studioaufnahme von Mathilde Anneke (stehend) neben Mary Booth (sitzend), Zürich, ca. 1863 © Wisconsin Historical Society, Madison Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 www.steiner-verlag.de Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13331-9 (Print) ISBN 978-3-515-13336-4 (E-Book)
Dank Die Arbeit an diesem Buchprojekt stellte gleichermaßen eine Herausforderung wie eine Bereicherung für uns dar. Wir danken vielen Kolleg:innen in den USA, in Deutschland und in der Schweiz für ihre Unterstützung. Ohne die Arbeit sachkundiger Archivar:innen wäre es nicht möglich, das Leben von Mathilde Franziska Anneke, Fritz Anneke und Mary Booth brieflich zu veranschaulichen. Wir danken dem Team der Wisconsin Historical Society, wo die Nachlässe der Familien Anneke und Booth aufbewahrt werden. Auch die Archivar:innen am zugehörigen Milwaukee Area Research Center an der University of Wisconsin – Milwaukee (UWM) erleichterten uns den Zugang zu Recherchematerialien erheblich. Wir danken außerdem einigen Züricher Archiven: dem Stadtarchiv, dem Amt für Stadtbau, der Zentralbibliothek und dem Staatsarchiv Kanton Zürich. Unser Dank gilt hier insbesondere Karin Beck und Rudolf Vögele. In Deutschland scheuten Karin Hockamp und Winfried Korngiebel vom Stadtarchiv Sprockhövel keine Mühen, Viktorija Bilić Mathildes Heimatorte zu zeigen. Irmgard Stamm führte sie auf den Spuren der Revolutionen von 1848 durch Rastatt. Wir danken auch unseren jeweiligen Universitäten für die finanzielle Zuwendung. Das Office of Research an der UWM ermöglichte Viktorija Bilić über das Stipendium Research and Creative Activities (RACAS) für das Projekt „Translating the Civil War-Era Letters of Mathilde Franziska Anneke“ die Recherchen vor Ort in Deutschland und in der Schweiz. Der Druck des vorliegenden Buches wurde finanziert durch ein Publikationsstipendium aus dem Karl J. R. Arndt Publication Fund der Society for GermanAmerican Studies und durch ein Stipendium aus dem Research Assistance Fund der University of Wisconsin – Milwaukee. Christopher Archuleta vom University of Wisconsin – Madison Cartography Lab erstellte die im Buch abgedruckten Karten. Das Center for Transnational Justice an der Marquette University stellte dafür die Mittel zur Verfügung. Catherine Kirchman, die zu diesem Zeitpunkt im Masterstudiengang Library and Information Sciences an der UWM eingeschrieben war, half beim Scannen einiger Originalbriefe und William Denzer, Olga Shchennikova und Christian Krueger, drei wissenschaftliche Hilfskräfte in der Geschichtsabteilung der Marquette University, halfen bei der Transkription einiger englischsprachiger Briefe und beim Formatieren der Bibliografie. Unter den
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Dank
wissenschaftlichen Hilfskräften ist vor allem Melanie Lorenz wegen ihrer Schweizer Perspektive hervorzuheben. Aus unserem größeren Kollegenkreis ist zunächst Walter Kamphoefner zu nennen, der uns einander vorstellte und das Projekt stets unterstützte. Unser Dank gebührt ebenfalls Angela Zimmerman und Mischa Honeck. Antje Petty vom Max Kade Institute for German-American Studies der University of Wisconsin – Madison stand uns stets mit Rat und Tat zur Seite und half uns, einige der kniffligsten Fälle beim Entziffern altdeutscher Handschrift zu lösen. Margo Anderson (UWM) und Renny Harrigan überließen uns ihre gesammelten Materialien zu Mathilde Anneke und Peter Staudenmaier (Marquette University) kommentierte die Einleitung. Wir danken der University of Georgia Press für die Unterstützung bei der Publikation der englischen Version dieses Buches. Unser besonderer Dank gilt Dr. Thomas Schaber, Nicole Runge, Sarah-Vanessa Schäfer und Katharina Stüdemann vom Franz Steiner Verlag für die Unterstützung dieses Buchprojektes und die stets kompetente und freundliche Beratung.
Inhalt Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung von Alison Clark Efford, aus dem Englischen von Viktorija Bilić . . . .
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Methoden der Edition und der Übersetzung von Viktorija Bilić . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 1: Alte und neue Bande, Februar–August 1859 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 2: Nach Europa, September 1859–August 1860 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 3: Heimat in den Alpen, August 1860–März 1862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Kapitel 4: Transatlantische Schwierigkeiten, April 1862–Februar 1863 . . . . . . . . 133 Kapitel 5: Ein ungestümer Oberst, April-Oktober 1863 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Kapitel 6: Abschied, Februar 1864–Januar 1865 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Kapitel 7: Neuanfänge, Februar–August 1865 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Ausgewählte Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werke von Mathilde Franziska Anneke, Fritz Anneke und Mary Booth . . . . . Ausgewählte Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Kolorierte Lithografie von Mathilde Franziska Anneke zu Pferd in Baden, 1849 Fr. Nöldeke, „[Mathilde Franziska] Anneke“, 1849, Landesarchiv BadenWürttemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe (http://www.landesarchiv-bw.de/ plink/?f=4-1243617) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Abb. 2 Erste Seite des Briefes von Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke, Zürich, 19. April 1864 Fritz Anneke and Mathilde Franziska Giesler Anneke Papers, Box 3, Ordner 7, Wisconsin Historical Society, Madison . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Abb. 3 Erste Seite des Briefes von Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke, Fort Halleck, Columbus, Kentucky, 9. September 1863 Anneke Papers, Box 1, Ordner 6, Wisconsin Historical Society . . . . . . . . . . . . . . . 28 Abb. 4 Lithografie von Milwaukee in den 1850er Jahren George J. Robertson und D. W. Moody, „Milwaukee, Wisconsin“, Lithografie, 1854, Library of Congress (https://www.loc.gov/pictures/item/94514736/) . . . 38 Abb. 5 Ca. 1864, Postkarte des Gasthauses „zum Tiefen Brunnen“ in Zürich, wo Fritz 1859 einkehrte Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Zürich . . . . 50 Abb. 6 Fotografie von Zürich in den 1860er Jahren Zürich, 1864–1865, Baugeschichtliches Archiv, Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Abb. 7 Erziehungsanstalt von Friedrich Beust in Zürich zu der Zeit als Percy Anneke die Schule besuchte Friedrich Beust-Familienarchiv, Stadtarchiv Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Abb. 8 Studioaufnahme von Mathilde Anneke (stehend) neben Mary Booth (sitzend), Zürich, ca. 1863 Wisconsin Historical Society . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Abb. 9 Mary Booth an Mathilde Franziska Anneke, Zürich, 24. Dezember 1862 Anneke Papers, Box 5, Ordner 1, Wisconsin Historical Society . . . . . . . . . . . . . . . 156 Abb. 10 Zeichnung von Lillian Booth für ihre Schwester Ella, 27. März 1863 Sherman Booth Family Papers, Box 8, Ordner 4, Wisconsin Historical Society 173
Karten
Der nordöstliche Teil der Vereinigten Staaten zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs mit ausgewählten Orten, die in der Briefkorrespondenz erwähnt werden. Christopher Archuleta, University of Wisconsin – Madison Cartography Lab, für die deutsche Buchversion adaptiert von Aileen Clarke.
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Karten
Zentraleuropa im Jahre 1860 mit ausgewählten Orten, die in der Briefkorrespondenz erwähnt werden. Christopher Archuleta, University of Wisconsin – Madison Cartography Lab, für die deutsche Buchversion adaptiert von Aileen Clarke.
Karten
Die Schweiz im Jahre 1860 mit ausgewählten Orten, die in der Briefkorrespondenz erwähnt werden. Christopher Archuleta, University of Wisconsin – Madison Cartography Lab, für die deutsche Buchversion adaptiert von Aileen Clarke.
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Einleitung Alison Clark Efford aus dem Englischen von Viktorija Bilić
Den Namen Mathilde Franziska Anneke verbanden ihre Zeitgenossen wahrscheinlich mit einer 32-jährigen Frau zu Pferd, mit Hosen bekleidet und umgeben von anderen Revolutionären. Mathilde schloss sich 1849 ihrem Ehemann Fritz an, um in Baden für ein vereinigtes Deutschland mit einer verfassungsmäßigen Regierung zu kämpfen.1 Sie war bereits als Demokratin, Sozialistin und Feministin bekannt, aber ihre militärische Beteiligung an den erfolglosen Revolutionen von 1848–1849 besiegelte ihren Ruf als „Achtundvierzigerin“. Als die Annekes in die Vereinigten Staaten flohen, verhalf ihr Ansehen als Frau, die sich auf der Suche nach Gerechtigkeit über Konventionen hinwegsetzte, Mathilde Anneke dazu, ein neues Leben zu beginnen. Sie veröffentlichte ihre Memoiren aus der Badischen Revolution2, sie hielt Vorlesungen vor einem deutschamerikanischen Publikum, sie schrieb für deutschamerikanische Zeitschriften und gab für kurze Zeit ihre eigene Zeitung heraus. Ihre Erfahrungen als Achtundvierzigerin prägten die Arbeit, der sie in ihrer zweiten Lebenshälfte nachging, als sie Mädchen in ihrer Schule ausbildete und sich für ein Ende der Sklaverei und für das Frauenwahlrecht einsetzte. Die Briefe in der vorliegenden Edition decken den Zeitraum von 1859 bis 1865 ab, der vor allem aus zweierlei Gründen für die Annekes sehr ereignisreich war. Zum einen fällt die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs in diese Periode und zum anderen führte Mathilde in diesen Jahren eine leidenschaftliche Beziehung mit der angloamerikanischen Abolitionistin und Schriftstellerin Mary Booth. Ihre gemeinsame Zeit
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Wir verwenden im Folgenden die Vornamen von Mathilde Anneke, Fritz Anneke und Mary Booth. Dies spiegelt den vertrauten Umgangston ihrer Briefe wider und verhindert eine Verwechslung der beiden Annekes. Wie die drei Protagonisten nennen wir Sherman Booth, der nicht Teil dieses intimen Zirkels war, schlicht „Booth“. Mathilde Franziska Anneke, Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Feldzuge (Newark, N. J.: Buchdruckerei von F. Anneke, 1853).
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war in eine Reihe dramatischer Ereignisse eingebettet. Bald nach ihrem Kennenlernen in Milwaukee zog Mathilde bei Mary ein und unterstützte sie während der Gerichtsverhandlungen von Marys bekanntem Ehemann Sherman Booth. Dieser war zunächst wegen „Verführung“ einer Vierzehnjährigen angeklagt und später, weil er einem Mann auf der Flucht vor der Sklaverei half, aus dem Gefängnis auszubrechen. Als Booth noch im Gefängnis saß, verließen die beiden Frauen mit drei ihrer Kinder Amerika in Rich-
Abb. 1 Kolorierte Lithografie von Mathilde Franziska Anneke zu Pferd in Baden, 1849
Einleitung
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tung Schweiz. Dort verfassten sie gemeinsam abolitionistische Literatur, diskutierten mit Persönlichkeiten vom amerikanischen Abolitionisten Gerrit Smith bis hin zum deutschen Sozialisten Ferdinand Lassalle über den amerikanischen Bürgerkrieg und verfolgten Fritzens Karriere in der Unionsarmee – bis diese vor dem Militärgericht ein jähes Ende fand. Sechs tumultartige Jahre endeten 1865, als die Konföderierten kapitulierten, Mary starb und Mathilde nach Milwaukee zurückkehrte. Wie die Historikerin Anke Ortlepp anmerkt3, enthüllen die Briefe aus dieser Zeit die Dramatik von Mathildes miteinander verflochtenem persönlichen und politischen Dasein. Sie enthalten in zweierlei Hinsicht besonders aufschlussreiches Material. Es wird erstens deutlich, welch dichtes Netzwerk zwischen amerikanischen Abolitionisten und europäischen Radikalen bestand. In den Briefen zeigt sich somit die globale Dimension des amerikanischen Bürgerkriegs. Mathilde, Fritz und Mary versuchten europäische Meinungen zum Krieg in den Vereinigten Staaten zu beeinflussen. Ihre Verbindung zu Europa wiederum prägte ihre Ansichten zu Themen wie der Sklaverei, der untergeordneten Rolle von Frauen und anderen Formen der Ungerechtigkeit. Zweitens veranschaulichen die Briefe eine emotional intensive Frauenbeziehung. Mathilde und Mary legten ihre Ersparnisse zusammen, erzogen ihre Kinder gemeinsam, kollaborierten auch beruflich und waren Anhängerinnen einer Politik, die die vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen anprangerte. Die ungewöhnlich gut dokumentierte Partnerschaft von Mathilde und Mary zeigt das Zusammenspiel zwischen gleichgeschlechtlicher Leidenschaft und heterosexuellen Normen. Ihre Kindheit und Jugend in Preußen hatten Mathilde, die Mary im Alter von 41 Jahren kennenlernte, sehr geprägt. Mathilde Franziska Giesler wurde am 3. April 1817 in Hiddinghausen im preußischen Westfalen geboren. Ihre Familie war wohlhabend, mit Verbindungen zur gebildeten Mittelschicht und dem niederen Landadel. Ihre Mutter Elisabeth Hülswitt war in erster Ehe mit einem Aristokraten verheiratet gewesen, der jedoch verstarb. Ihr Vater Karl Giesler bekleidete höhere Beamtenposten und verwaltete seine Investitionen. Nach dem Besuch der öffentlichen Grundschule erhielten Mathilde und ihre Geschwister Privatunterricht. Auch hatten Gespräche mit den politisch aktiven Freunden der Familie zweifelsohne einen Einfluss auf ihre Bildung und Erziehung.4
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Anke Ortlepp, „Deutsch-Athen Revisited: Writing the History of Germans in Milwaukee“, in Perspectives on Milwaukee’s Past, Hg. Margo Anderson und Victor Greene (Champaign, Ill.: University of Illinois Press, 2009), 124. Die zuverlässigste Quelle zu Mathildes Kindheit und Jugend ist: Karin Hockamp, „Von vielem Geist und großer Herzensgüte“: Mathilde Franziska Anneke, 1817–1884 (Bochum: Brockmeyer, 2012), 11– 16. Forscher:innen sollen an dieser Stelle auf die vielen Fehler in den Mathilde Anneke-Biografien hingewiesen werden, einschließlich der häufig zitierten Maria Wagner, Mathilde Franziska Anneke in Selbstzeugnissen und Dokumenten (Frankfurt am Main: Fischer, 1980). Zu den 1850er und den
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Zwar war ihre Kindheit privilegiert, jedoch änderte ihre Eheschließung mit Alfred von Tabouillot im Jahre 1836 schlagartig Mathildes Schicksal. Die neunzehnjährige Mathilde stimmte der Verbindung zu, da der wohlhabende Weinhändler versprach, die Schulden ihres Vaters abzubezahlen, die dieser bei einer katastrophalen Investition in Eisenbahnen angehäuft hatte. Mathilde war zunächst optimistisch einen liebevollen Partner zu finden. Ihr Ehemann jedoch trank exzessiv und behandelte sie „abscheulich“.5 Mathilde verließ Tabouillot binnen eines Jahres und verbrachte einige weitere Jahre damit, sich und ihre Tochter Johanna („Fanny“, 1837–1877) aus der gewaltsamen Ehe zu befreien. Zunächst wurde sie von einem preußischen Gericht beordert, zu ihrem Mann zurückzukehren. Mathilde weigerte sich, aus Angst um ihre Sicherheit. Dadurch brachte sie sich um die Chance auf Unterhalt für sich und ihr Kind. Die Scheidung war 1841 endlich rechtskräftig, doch bis dahin hatte Mathilde ihre Lehren daraus gezogen, wie Frauen durch rechtliche und soziale Konventionen gefährdet, verarmt und eingeschränkt wurden.6 Während ihrer Zeit als alleinstehende Mutter in Münster in den 1840er Jahren, als sie sehr zu kämpfen hatte, wurde Mathilde auch politisch aktiv. Den Unterhalt für sich und Fanny finanzierte sie mit dem Schreiben von Theaterstücken, Kurzgeschichten und Zeitungsartikeln. Angezogen fühlte sich Mathilde von Menschen, die soziale, ökonomische und politische Ungerechtigkeiten anprangerten.7 Nach anfänglicher Religiosität in jungen Jahren übte Mathilde später insbesondere an der Art und Weise wie Frauen durch religiöse Traditionen und Institutionen unterdrückt würden immer mehr Kritik. Im Jahre 1847 bezog sie dazu in einer Broschüre Stellung, in der sie Louise Aston verteidigte, eine geschiedene Frau, die wegen ihres radikalen Feminismus und ihrer Offenheit beim Thema Sexualität aus Berlin verbannt worden war. In Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen argumentierte Mathilde, dass Frauen von der Gesellschaft versklavt würden und sich dies insbesondere daran zeige, welche Auffassung von Ehe die katholische Kirche besäße. Sie beharrte darauf, dass Frauen sich aus diesen irrationalen Zwängen befreien sollten und ihre Töchter zur Unabhängigkeit erziehen sollten.8
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1860er Jahren empfehlen wir Mischa Honeck, We Are the Revolutionists: German-Speaking Immigrants and American Abolitionists after 1848 (Athens: University of Georgia Press, 2011), 104–36. Zitiert in Hockamp, „Von vielem Geist und großer Herzensgüte“, 15. Zur Ehe mit Alfred von Tabouillot, siehe auch Wilhelm Schulte, „Die Gieslers aus Blankenstein: Ein Beitrag zur märkischen Kultur- und Familiengeschichte“, Der Märker 9, Nr. 5 (1960): 127. Annette Hanschke, „Frauen und Scheidung im Vormärz: Mathilde Franziska Anneke. Ein Beitrag zum Scheidungsrecht und zur Scheidungswirklichkeit von Frauen im landrechtlichen Preußen“, Geschichte in Köln 34 (1993): 70–75. Hockamp, „Von vielem Geist und großer Herzensgüte“, 16–18. Mathilde Franziska Tabouillot, „Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen“, im Eigenverlag herausgegebene Broschüre, [1846–1847], Box 6, Ordner 7, Fritz Anneke and Mathilde Franziska Anneke Papers, Wisconsin Historical Society, Madison (nachfolgend schlicht abgekürzt als „Anneke Papers“). In Auszügen siehe auch Mathilde Franziska Anneke, „Das Weib im Konflikt mit
Einleitung
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Für Mathilde schien klar, dass Sexismus untrennbar war von wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung, die jedoch Gegenstand weiter verbreiteter Protestbewegungen war. In den 1840er Jahren gehörten Leibeigenschaft und Gewerkschaftsbeschränkungen in weiten Teilen des deutschsprachigen Europa der Vergangenheit an, aber deutsche Monarchen, der niedere Landadel und gut vernetzte Kapitalisten manipulierten den Waren- und Arbeitsmarkt. Ärger darüber, was Historiker Jonathan Sperber „unfreie Marktwirtschaft“ nannte, machte sich zur gleichen Zeit breit, als eine Landwirtschaftskrise in Europa ausbrach und deutsche Handwerker und Kleinfabrikanten durch die Industrialisierung in Großbritannien unter Druck standen.9 Viele Kritiker waren der Ansicht, dass wenn alle Männer wählen durften und ihren gewählten Vertretern bedeutende Macht verliehen würde, die deutschen Staaten gerechtere wirtschaftliche Gesetze einführen würden. Liberale und Radikale kämpften für eine von der Zensur ausgenommene freie Presse und für das Recht, gegen die eigene Regierung zu protestieren. Solche Vorstellungen waren im deutschsprachigen Europa nicht von den diplomatischen Beziehungen der Staaten untereinander zu trennen. Mathilde und andere Linksliberale glaubten, durch die Schaffung eines vereinigten Deutschland würden die ungerechten Methoden abgeschafft, die sich innerhalb des Flickwerks von getrennten Königreichen, Herzogtümern und Fürstentümern etabliert hatten. Manche favorisierten eine konstitutionelle Monarchie, doch Mathilde sprach sich für eine Republik aus.10 Während der politischen Unruhen der 1840er Jahre wurde deutlich, wie wichtig Mathildes persönliche Beziehungen für ihre radikale Politik waren. Als sie in Münster lebte, lernte sie ihren zweiten Ehemann, den kämpferischen Kommunisten Fritz Anneke, bei einem demokratischen Debattierverein kennen. Fritz wurde 1818 als Carl Friedrich Theodor Anneke in Dortmund geboren. Sein Vater war ein Beamter mit militärischem Hintergrund. Fritz selbst war später Leutnant der Artillerie in der preußischen Armee. Im Jahr 1842 jedoch war er auch bereits in den Kreisen der Herausgeber des bekannten Kölner Blatts Rheinische Zeitung unterwegs, zu denen auch Karl Marx
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den sozialen Verhältnissen“, in Frauenemanzipation im deutschen Vormärz: Texte und Dokumente, Hg. Renate Möhrmann (Stuttgart: Philipp Reclam, 1978), 82–87; im Volltext, siehe vollständiges deutsches Transkript im Sophie Journal unter sophie.byu.edu Jonathan Sperber, Rhineland Radicals: The Democratic Movement and the Revolutions of 1848–1849 (Princeton, NJ.: Princeton University Press, 1991), 63. Siehe auch Bruce Levine, The Spirit of 1848: German Immigrants, Labor Conflict, and the Coming of the Civil War (Urbana, Ill.: University of Illinois Press, 1992), 19–41; James J. Sheehan, German History, 1770–1866 (Oxford: Clarendon, 1989), 451–524. James Sheehan, „The German States and the European Revolution“, in Revolution and the Meanings of Freedom in the Nineteenth Century, Hg. Isser Woloch (Stanford, Kalif.: Stanford University Press, 1996), 259–60; Sperber, Rhineland Radicals, 92–94; James Sheehan, German Liberalism in the Nineteenth Century (Chicago: University of Chicago Press, 1978); Brian E. Vick, Defining Germany: The 1848 Frankfurt Parliamentarians and National Identity (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 2002).
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gehörte. Fritz lernte Mathilde kennen, nachdem er 1845 unehrenhaft aus der Armee entlassen worden war, wegen eines Duells in Zusammenhang mit seinen kommunistischen Verbindungen. Sie heirateten 1847 und zogen in die preußische Rheinprovinz nach Köln.11 In Münster und Köln schloss Mathilde lebenslange Freundschaften und war in Kontakt mit bedeutenden Persönlichkeiten wie der Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff, dem russischen Anarchisten Mikhail Bakunin und August Willich, der später General im amerikanischen Bürgerkrieg war.12 Im folgenreichen Jahr 1848 kam der Stadt Köln eine Schlüsselrolle zu. Nachdem der französische König im Februar abgesetzt worden war, breitete sich eine Protestwelle in ganz Europa aus. Deutsche gingen in Berlin, Wien und dutzenden von kleineren Städten auf die Straßen und stellten sich bewaffnet vor ländliche Gutshäuser. In Köln war Fritz daran beteiligt, Demonstrationen tausender Arbeiter zu organisieren, die wirtschaftliche Zugeständnisse, politische Lokalmacht und eine verfassungsgemäße Regierung forderten. Karl Marx eilte zurück nach Köln, als preußische Machthaber zunächst unentschlossen wirkten und sich ein nationales deutsches Parlament in Frankfurt versammelte.13 Am 3. Juli beschloss die unter Druck gesetzte Regierung, Fritz zu verhaften, wodurch Mathilde sich in einer prekären Lage wiederfand. Hochschwanger und ohne Fritzens Einkommen befürchtete sie, ebenfalls verhaftet zu werden. Ihr Sohn Fritz (1848–1858) erblickte am 21. Juli das Licht der Welt und binnen zweier Monate veröffentlichte sie die sozialdemokratische Neue Kölnische Zeitung von ihrem Apartment aus. Bedeutende Kölner Radikale, einschließlich Marx, unterstützen das Blatt auf verschiedene Weise und Fritz tat es ihnen nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis am 23. Dezember gleich.14 Im Frühjahr 1849 hatten sich die reaktionären Kräfte neu sortiert, doch die Annekes gaben die Hoffnung nicht auf. Im Mai marschierte Fritz gemeinsam mit Gottfried Kinkel, Poet und Revolutionär, sowie dem dreiundzwanzigjährigen späteren US-General und Senator Carl Schurz und einer kleinen Gruppe westfälischer Freiwilliger in die badische Pfalz, wo republikanische Truppen an der Macht festhielten.15 Nachdem sie ihre Kinder der Obhut ihrer Mutter überlassen hatte, reiste auch Mathilde nach Baden
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Wilhelm Schulte, Fritz Anneke: Ein Leben für die Freiheit in Deutschland und in den USA (Dortmund: Historischer Verein Dortmund, 1961), 10–11; Dieter Dowe, Aktion und Organisation: Arbeiterbewegung, sozialistische und kommunistische Bewegung in der preußischen Rheinprovinz, 1820–1852 (Hannover: Verlag für Literatur und Zeitgeschehen, 1970), 69–74, 113–29. Schulte, Fritz Anneke, 23–24. David McLellan, Karl Marx: A Biography (New York: Palgrave Macmillan, 2006), 177–81; Levine, Spirit of 1848, 41–42. Schulte, Fritz Anneke, 27, 31. Siehe auch Wilfried Korngiebel, „Die Neue Rheinische Zeitung und die Neue Kölnische Zeitung, 1848/49“, in „Die Vernunft befiehlt uns frei zu sein!“ Mathilde Franziska Anneke: Demokratin, Frauenrechtlerin, Schriftstellerin, Hg. Karin Hockamp, Wilfried Korngiebel und Susanne Slobodzian (Münster: Westfälisches Dampfboot, 2018), 59–84. Schulte, Fritz Anneke, 36–38.
Einleitung
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und zog als unbewaffnete Ordonanzoffizierin in die Schlacht.16 Die Badische Revolution stellte für die europäische Linke eine prägende Erfahrung dar, führte aber nicht zu einem vereinigten Deutschland. Baden erhielt preußische Unterstützung und so wurden die Aufstände im Juli niedergeschlagen, woraufhin Fritz und Mathilde sich gezwungen sahen, über Straßburg nach Zürich zu fliehen. Vor Ende des Jahres 1849 hatten die Annekes beschlossen, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Sie ließen sich mit mehreren anderen Mitgliedern der Familien Giesler und Anneke in Milwaukee nieder. Nur knapp über 20.000 Einwohner lebten 1850 in Milwaukee, aber die Stadt am Michigansee wuchs schnell. Der Anteil der in Deutschland geborenen Einwohner betrug 36 Prozent der Stadtbevölkerung und ihre in den USA geborenen Kinder vergrößerten die deutsche Gemeinde der Stadt.17 Obwohl deutsche Einwanderer in politischer und religiöser Hinsicht gespalten waren, unterstützte die breite Mehrheit die Ziele der Revolutionen von 1848.18 Für radikale Bücher, Zeitungsartikel und Vorträge fanden sich innerhalb einer kleineren Gruppe von ihnen begeisterte Abnehmer. Mathilde hielt vor lokalem Publikum Reden über die Revolutionen von 1848 und bereiste den mittleren Westen, um für die Besserung der Lage der Frau einzutreten. Zudem forderte sie für Frauen die Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung, das Recht auf Arbeit und vor allem, das Wahlrecht.19 Im März 1852 veröffentlichte sie die erste Ausgabe ihrer monatlichen Deutschen Frauen-Zeitung. Ihr Blatt war das erste von einer Frau herausgegebene feministische Journal in den Vereinigten Staaten.20 Jedoch boykottierten männliche Drucker in Milwaukee Mathildes Zeitung und als sich für Fritz berufliche Möglichkeiten in Newark, New Jersey, auftaten, verlegte Mathilde die Frauen-Zeitung in die New Yorker Gegend, bevor sie sie wenige Jahre später einstellen musste. Auch in Newark ging Mathilde ihren schriftstellerischen Tätigkeiten nach. Die sechs Jahre, die die Familie an der Ostküste Amerikas verbrachte, waren allerdings außerordentlich schwierig. Fritz und Mathilde verloren vier ihrer Kinder: Sohn Fritz, zwei dreijährige Töchter und ein weiteres Kleinkind.21 Die trauernden Eltern kehrten 1858 mit Percy (1850–1928) und Hertha (1855–1945) nach Milwaukee zurück. Zurück in Milwaukee lernte Mathilde Mary kennen. Wie die meisten weißen Abolitionisten in Wisconsin stammten Mary und Sherman Booth aus Neuengland und
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Anneke, Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Feldzuge. Kathleen Neils Conzen, Immigrant Milwaukee: Accommodation and Community in a Frontier City (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1976), 14. Alison Clark Efford, German Immigrants, Race, and Citizenship in the Civil War Era (New York: Cambridge University Press, 2013), 17–51. Mathilde an Alexander Jonas, 26. April 1877. Gerhard K. Friesen, „A Letter from M. F. Anneke: A Forgotten German American Pioneer in Women’s Rights“, Journal of German-American Studies, 12, no. 2 (1977): 36. Efford, German Immigrants, Race, and Citizenship, 49–50. Honeck, We Are the Revolutionists, 107, 105.
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dem Großraum New York. In New Haven, Connecticut, der Geburtsstadt von Mary Humphrey Corss, hatte auch Sherman zu Studienzeiten an der Yale University gelebt. Sherman Booth war Temperenzler und Abolitionist. Im Jahre 1839 gab er Englischunterricht für Afrikaner, die im Gefängnis saßen, weil sie das Sklavenschiff Amistad gestürmt hatten. Mary traf er aber erst 1849, als diese eine Freundin in Milwaukee besuchte. Booth war mittlerweile Herausgeber der Zeitung Wisconsin Freeman und einer der führenden Abolitionisten im US-Bundesstaat Wisconsin.22 Die angloamerikanische abolitionistische Bewegung war inspiriert von Worten und Taten von Afroamerikanern und war tief verwurzelt im transatlantischen Austausch, allerdings war sie kulturell anders als die deutschamerikanische Antisklavereipolitik. Der angloamerikanische Abolitionismus trug den Stempel des Protestantismus aus Neuengland und der Mittelatlantikstaaten, mit engen Verbindungen in die Temperenzbewegung.23 Trotz ihrer Unterschiede fand Mathilde aber auch Gemeinsamkeiten mit den Booths. Durch die Auseinandersetzung mit den Details der Aktionen und Interaktionen von Mathilde, Mary und Fritz in den Jahren 1859 bis 1865 werden die Leser in Debatten über die transatlantischen Dimensionen des amerikanischen Bürgerkriegs und das Wesen von gleichgeschlechtlichen Beziehungen im 19. Jahrhundert hineingezogen. Durch neue Forschungserkenntnisse, die den amerikanischen Bürgerkrieg im Kontext weltweiter Ereignisse verorten, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Art und Weise, wie Historiker:innen sich mit dem Konflikt auseinandersetzen, verändert. Es ist Historiker:innen nicht neu, dass etwa 25 Prozent der Soldaten in der Unionsarmee im Ausland geboren waren oder dass die Regierungen der USA und der Konföderierten viel dafür taten, die Unterstützung anderer Länder zu erhalten.24 Im 21. Jahrhundert jedoch haben sich Historiker:innen allerdings wieder dem Ziel verschrieben, das Zusammenwirken zwischen den Ereignissen in den Vereinigten Staaten und im Ausland zu erforschen. Hierbei hinterfragen sie das Ausmaß, in welchem die Geschichte der Vereinigten Staaten als unabhängig und einzigartig gelten darf. Während in manchen geschichtswissenschaftlichen Studien betont wird, dass Europäer die Vereinigten Staaten als ein Land des Fortschritts sahen, wurde in den meisten transnationalen Studien zum amerikanischen Bürgerkrieg jedoch gezeigt, dass es hier Parallelen zur Situation in anderen Ländern der Welt gab.25 Die amerikanische Republik war dabei, ein Imperium zu schaffen und sich gegen Kampfansagen an die 22 23 24 25
Diane S. Butler, „The Public Life and Private Affairs of Sherman M. Booth“, Wisconsin Magazine of History 82, no 3 (1999): 169. Manisha Sinha, The Slave’s Cause: A History of Abolition (New Haven, Conn.: Yale University Press, 2016); Efford, German Immigrants, Race, and Citizenship, 53–85. Ella Lonn, Foreigners in the Union Army and Navy (Baton Rouge, La.: Louisiana State University Press, 1951), 581–82. Zu den Vereinigten Staaten als Ideal, siehe Don H. Doyle, The Cause of All Nations: An International History of the American Civil War (New York: Basic Books, 2014).
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Regierung zur Wehr zu setzen. Diejenigen, die gewaltsam von der Regierung unterdrückt wurden, begehrten heftig auf und forderten Freiheit und Gleichberechtigung.26 Dies war ein globaler Trend, zum Teil auf Grund internationaler Netzwerke. In mehreren bahnbrechenden Forschungsarbeiten wurde gezeigt, dass die Unterstützer und die Gegner der Sklaverei auf transnationale Kooperation angewiesen waren.27 Hierzu gibt es mehr Forschungsarbeiten zu englischen Muttersprachlern als deutschen Muttersprachlern, aber viele Historiker:innen haben sich mit den deutschen Achtundvierzigern beschäftigt.28 In seiner sorgfältig recherchierten Monografie We Are the Revolutionists: German-Speaking Immigrants and American Abolitionists after 1848 (2011), zeigt Mischa Honeck anhand der Verbindung von Mary und Mathilde, wie interkulturelle Beziehungen den sklavereifeindlichen Aktivismus befeuerten.29 Der Beziehung von Mathilde und Mary muss eigenständig gebührend Aufmerksamkeit geschenkt werden.30 Mary schrieb Mathilde sie sei „der Morgenstern meiner Seele, der wunderschöne rosige Glanz meines Herzens, die heilige Lilie meiner Träume …“. Im Kontext der Schweizer Berge schrieb Mathilde an Mary: „der Duft der sie umzieht, bist Du“31 Es ist verständlich, dass Leser:innen im 21. Jahrhundert sich vielleicht fragen werden, ob sie auch Sexualpartnerinnen waren. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gilt der Geschlechtskontakt als Hauptkriterium beim Einordnen von gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Um 1900 wurde in der Sexualforschung und Psychologie eine Definition von „lesbisch“ bekannt gemacht, die auf „abweichender“
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Für einen Überblick, siehe Thomas Bender, A Nation among Nations: America’s Place in World History (New York: Hill und Wang, 2006); Steven Hahn, A Nation without Borders: The United States and Its World in An Age of Civil Wars, 1830–1910 (New York: Penguin, 2016); Jörg Nagler, Don H. Doyle und Marcus Gräser, Hg., The Transnational Significance of the American Civil War (Cham: Palgrave Macmillan, 2016). Siehe beispielsweise Edward Bartlett Rugemer, The Problem of Emancipation: The Caribbean Roots of the American Civil War (Baton Rouge, La.: Louisiana State University Press, 2008); W. Caleb McDaniel, The Problem of Democracy in the Age of Slavery: Garrisonian Abolitionists and Transatlantic Reform (Baton Rouge, La.: Louisiana State University Press, 2013). Neben zahlreichen Biografien und älteren Werken, siehe auch Levine, Spirit of 1848; Efford, German Immigrants, Race, and Citizenship; Kristen Layne Anderson, Abolitionizing Missouri: German Immigrants and Racial Ideology in Nineteenth-Century America (Baton Rouge, La.: Louisiana State University Press, 2017); Andrew Zimmerman, „From the Second American Revolution to the First International and Back Again: Marxism, the Popular Front, and the American Civil War“, in The World the Civil War Made, Hg. Gregory P. Downs und Kate Masur (Chapel Hill, N. C.: University of North Carolina Press, 2015), 304–37. Honeck, We Are the Revolutionists. In einem bedeutenden Werk zum transatlantischen Feminsmus wird Mathilde wiederholt erwähnt. Bonnie S. Anderson, Joyous Greetings: The First International Women’s Movement, 1830–1860 (New York: Oxford University Press, 2000). Auch wenn hier Transkriptionsfehler der Briefe abgedruckt sind, ist hierzu die beste Quelle: Joey Horsley, „A German-American Feminist and her Female Marriages: Mathilde Franziska Anneke, 1817–1884“, Fembio, letzter Zugriff am 7. Juli 2021, http://www.fembio.org/english/biography.php/ woman/biography_extra/Mathilde-franziska-anneke/. Mary an Mathilde, 1862, S. 155; Mathilde an Mary, 1864, S. 202.
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sexueller Aktivität basierte.32 Frauen, die später die lesbische Identität wieder für sich neu definieren wollten, waren ebenfalls auf Sexualität fokussiert und forschten nach Frauen in der Vergangenheit, die wie sie andere Frauen begehrt hatten.33 Doch aus der Forschung zu erotisch geladenen „romantischen Freundschaften“ im 19. Jahrhundert wird deutlich, dass diese nicht einfach in die Kategorien des 21. Jahrhunderts passen.34 Es wäre anachronistisch, romantische Freundschaften als lesbisch zu bezeichnen. Die Frauen sahen sich selbst nicht in dieser Weise, da die Kategorie noch nicht in ihrer heutigen Form existierte. Auch wissen wir nicht, was sich bei ihnen im Schlafzimmer abspielte. Es wäre jedoch ebenso anachronistisch, sie heterosexuell zu nennen. Auch diese Kategorie gab es noch nicht und romantische Freundinnen hatten Beziehungen zu anderen Frauen, die eine Leidenschaft aufwiesen, die heterosexuellen Frauen heute unbekannt ist.35 Romantische Freundschaften brachten nicht zwangsläufig Geschlechtskontakt mit sich und sie waren relativ wenig stigmatisiert. Allerdings zeigen sie, welche Bedeutung gleichgeschlechtlicher Leidenschaft zukam und veranschaulichen ihr subversives Potenzial.36 Die Ansätze innerhalb des Fachgebietes der Queer Studies, wo das Spektrum an Verhaltensweisen und Begierden untersucht wird, die im Dialog mit heterosexuellen Normen existierten, eignen sich für die Interpretation von Mathildes und Marys Briefen.37 Eine eigenständige Betrachtung der Beziehung von Mathilde und Mary bedeutet auch anzuerkennen, dass die beiden Frauen einander abgöttisch liebten und dass ihre Partnerschaft für die beiden eine reizvolle Alternative zur heterosexuellen Ehe
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Lillian Faderman, Surpassing the Love of Men: Romantic Friendship and Love between Women from the Renaissance to the Present (New York: William Morrow and Company, 1981), 239–331. Martha Vicinus, „The History of Lesbian History“, Feminist Studies 38 (2012): 566–96. Als die beiden bahnbrechenden Arbeiten gelten: Carroll Smith-Rosenberg, „The Female World of Love and Ritual: Relations between Women in Nineteenth-Century America“, Signs 1 (1975): 1–29; Faderman, Surpassing the Love of Men. Historiker:innen zu diesem Thema zeigen sich besorgt, dass, wenn die Definition von Lesbianismus so sehr eingeschränkt wird, nicht nur seine Geschichte übersehen wird, sondern auch die historische Rolle von Sexualität ignoriert wird. Siehe hierzu vor allem Terry Castle, The Apparitional Lesbian: Female Homosexuality and Modern Culture (New York: Columbia University Press, 1993); Judith M. Bennett, „The L-Word in Women’s History“, in History Matters: Patriarchy and the Challenge of Feminism (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2006), 108–27; Martha Vicinus, „Lesbian History: All Theory and No Facts or All Facts and No Theory?“, Radical History Review 60 (1994): 57–75. Siehe Marylynne Diggs, „Romantic Friends or a ‚Different Race of Creatures‘? The Representation of Lesbian Pathology in Nineteenth-Century America“, Feminist Studies 21 (1995): 317–40; Lisa Moore, „‚Something More Tender Still than Friendship‘: Romantic Friendship in Early-Nineteenth-Century England“, Feminist Studies 18 (1992): 499–520. Dáša Frančíková, „Romantic Friendship: Exploring Modern Categories of Sexuality, Love, and Desire between Women“, in Understanding and Teaching U. S. Lesbian, Gay, Bisexual, and Transgender History, Hg. Leila J. Rupp und Susan K. Freeman, zweite Aufl. (Madison; University of Wisconsin Press, 2017), 143–52. Für ein Beispiel einer solchen Analyse, siehe Martha Vicinus, Intimate Friends: Women Who Loved Women, 1778–1928 (Chicago: University of Chicago Press, 2004).
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darstellte. Als Mary Mathilde zum ersten Mal traf, war sie gleich vor Ehrfurcht ergriffen. In einem Brief an ihre Schwester verglich Mary Mathilde schwärmerisch mit der französischen Heiligen Jeanne d’Arc, die als Mann verkleidet in den Kampf gezogen war.38 Mary, die ebenfalls einen Säugling verloren hatte, half Mathilde ihr tiefstes Leid über den Tod ihrer vier Kinder zu durchstehen. Mathilde half Mary, ihre Krankheit auszuhalten und auch die Schande, die die Gerichtsverhandlung ihres Ehemannes über die Familie brachte. Die Entscheidung in die Schweiz zu ziehen ergab sich aus der Abhängigkeit der beiden Frauen zueinander, die in praktischer und emotionaler Hinsicht bestand. Zusammen war es ihnen möglich, ihre Kinder großzuziehen, aber auch Abenteuer und ein erneuertes Gefühl der Sinnhaftigkeit zu erleben. Statt eines Vergewaltigers, der sie klein hielt, hatte Mary eine aufmerksame Partnerin, die sie mit geistreichen, eleganten und gebildeten Europäern bekannt machte. Mathilde ihrerseits widmete sich voll und ganz der Aufgabe für eine unbeschwerte jüngere Frau zu sorgen. In ihr fand sie eine Ko-Autorin und eine zusätzliche Bezugsperson für ihre Kinder. Mathilde wusste Marys Talente und Erfolge zu schätzen. Dennoch nahm sie in der Partnerschaft eine Art elterliche Rolle ein, bedingt dadurch, dass Mary relativ jung und mit Krankheit geschlagen war und Europa ihr nicht vertraut war. In Mathildes freudiger Hingabe und ihrer tiefen Liebe für Mary verbanden sich ihre Gefühle mit ihren Prinzipien. Ihre Kritik an der Institution Ehe war zu diesem Zeitpunkt bereits veröffentlicht worden. Ihre Briefe jedoch zeigen, wie sehr sie intensive zwischenmenschliche Beziehungen schätzte. Es scheint, dass Mathilde sich zum Teil dem Ziel verschrieb, gleichwertige Beziehungen zu fördern, weil sie glaubte, Leidenschaft und Intimität seien essenziell für das menschliche Wohlbehagen. Ihre eher unkonventionelle Ehe mit Fritz hatte sie eine Zeit lang erfüllt, aber im Jahre 1859 schrieb sie ihm, er bedeute ihr zwar noch viel als der Vater ihrer Kinder, aber sie liebten einander nicht mehr „wie Liebende“.39 Nach der endgültigen Trennung von Fritz im Jahre 1861 zeigte Mathilde keinerlei romantisches Interesse an Männern. Mary jedoch schon. So flirtete sie beispielsweise mit Lassalle und bei einem Ausflug schrieb sie scherzhaft an Mathilde: „Ich wünschte, Du könntest hier bei uns sein, vor allem bei mir, aber bis ich Dich wiederhabe muss ich mich wohl mit Lassalle begnügen.“40 Marys Briefe weisen darauf hin, dass Mathilde ein wenig eifersüchtig gewesen sein könnte, aber nach Mathildes Verständnis von Liebe gab es generell keinen Unterschied zwischen platonischer und sexueller Verbundenheit. Mathildes Beziehungen waren für ihre Zeitgenossen nicht schockierend, aber sie waren radikal, denn in ihnen zeigte sich ihre Vorstellung einer veränderten Welt. Mathildes Leben endete nicht mit Marys Tod im Jahre 1865. Sie leitete das TöchterInstitut, eine private Mädchenschule in Milwaukee, und wurde zu einer der bekann38 39 40
Mary an Jane Corss, 15. Februar, 1859, S. 35. Mathilde an Fritz, [ Juni oder Juli] 1859, S. 41. Mary an Mathilde, [ Juli 1863], Box 5, Ordner 1, Anneke Papers. [deutsche Übersetzung].
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testen Frauenrechtlerinnen Wisconsins.41 Als Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony 1869 die Frauenrechtsorganisation National Woman Suffrage Association gründeten, hatte auch Mathilde eine Amtszeit als eine der Vizepräsidentinnen inne.42 Erwartungsgemäß haben Historiker:innen diese bemerkenswerte Frau nicht völlig ignoriert, aber eine vollständige Biografie und eine Edition vieler ihrer spannendsten Briefe aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs sind Desiderat. Wir hoffen, durch diese Briefe wird die mit Hosen bekleidete Frau zu Pferd, deren amerikanischer Aktivismus den Geist von 1848 trug, einem breiteren Publikum bekannt.
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Zur Mädchenschule, siehe Anke Ortlepp, „Auf denn, Ihr Schwestern!“: Deutschamerikanische Frauenvereine in Milwaukee, Wisconsin, 1844–1914 (Stuttgart: Franz Steiner, 2004), 153–59. Annette P. Bus, „Mathilde Anneke and the Suffrage Movement“, in German Forty-Eighters in the United States, Hg. Charlotte L. Brancaforte (New York: Peter Lang, 1989), 79–92.
Methoden der Edition und der Übersetzung Viktorija Bilić Eine gezielte Briefselektion der deutschsprachigen Originale sowie die gewählte Übersetzungsstrategie für die englischen Brieftexte bestimmen diese Edition. Die in diesem Buch enthaltenen Briefe machen nur einen kleinen Teil der zwei großen Archivnachlässe der Familien Anneke und Booth aus. Die Fritz Anneke and Mathilde Anneke Papers an der Wisconsin Historical Society in Madison enthalten Material aus den Jahren 1791 bis 1884 mit über 6.000 Einzelseiten. Mathilde und Fritz waren beide schriftstellerisch sehr aktiv und so sind von ihnen insgesamt circa 2.000 persönliche Briefe, einige Entwürfe von Reden sowie Tagebucheinträge, Gedicht- und Aufsatzsammlungen und Zeitungsausschnitte in der Kollektion erhalten. Der Nachlass wurde der Wisconsin Historical Society im Jahre 1940 von ihrer Tochter Hertha Anneke Sanne gestiftet und ist die primäre Quelle zur Familiengeschichte der Annekes.1 Die meisten Briefe in dieser Edition sind originalgetreue Transkriptionen der deutschen Briefe von Mathilde und Fritz. Eine kleinere Anzahl an englischsprachigen Briefen von Fritz Anneke und Mary Booth wurde in das Deutsche übersetzt. Die Briefe der Familie Booth stammen aus der Sammlung der Sherman M. Booth Family Papers, die der Wisconsin Historical Society gehört. Die Kollektion ist an der University of Wisconsin – Milwaukee untergebracht. Die ausgewählten Briefe veranschaulichen die persönlichen Lebensumstände der Korrespondenten vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse der Jahre 1859 bis 1865. Unser Auswahlprozess war von mehreren Zielen bestimmt: Durch fesselnde Berichte sollten die Ortswechsel der Protagonisten nachvollzogen werden mit aufschlussreichen Informationen zur Beziehung der „Charaktere“ zueinander und zu ihren Kindern. Zudem sollten die Briefe zeigen, in welcher Weise die Briefschreiber am amerikanischen Bürgerkrieg und am öffentlichen Aktivismus beteiligt waren. Auch galt es, die transnationalen Interaktionen zu veranschaulichen. Mit wenigen
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Findmittel, Anneke Papers, Wisconsin Historical Society, letzter Zugriff am 24. Februar 2022, http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/wiarchives.uw-whs-wis000lw.
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Ausnahmen erfolgte der Briefaustausch zwischen den drei Protagonisten: Mathilde, Fritz und Mary. Für den Zeitraum 1859 bis 1865 machen die in Radikale Beziehungen abgedruckten Briefe etwa 10 Prozent der Briefe innerhalb des Anneke-Nachlasses und etwa 3 Prozent der Briefe in der Booth-Sammlung aus. Wir waren allgemein bemüht, nicht zu viele Kürzungen vorzunehmen, um so viel wie möglich von der Textur der Einzelbriefe zu erhalten. Mathilde und Fritz verfassten die meisten ihrer Briefe in Kurrentschrift.2 Wir gingen zunächst davon aus, dass Maria Wagners Mathilde Franziska Anneke in Selbstzeugnissen und Dokumenten (1980) eine zuverlässige Transkriptionshilfe sein würde, da dort auch einige Briefabsätze enthalten sind, die für diese Edition ausgewählt wurden. Allerdings ist der Auswahl- und Editionsprozess bei Wagner nicht klar und die Transkriptionen enthalten u. a. zahlreiche Fehler, Auslassungen und Zusätze. In der Transkriptions- und Editionsphase verschrieben wir uns dem Ziel, die Authentizität der Originalbriefe zu bewahren. Die handschriftlichen Zeugnisse werden treu wiedergegeben. Fehlende Verben werden nicht eingesetzt und grammatikalische Unstimmigkeiten werden nicht korrigiert. Wir behielten die idiosynkratische und inkonsistente deutsche Rechtschreibung der Annekes bei, auch was die eindeutige Groß- und Kleinschreibung und die Zeichensetzung anbelangt. Die Unterscheidung von D/d beispielsweise ergibt sich aus dem Kontext und auch „ss“ und „sz“ sind bei Mathilde nicht immer eindeutig voneinander zu unterscheiden. Getrenntschreibung wird bei deutlichem Wortabstand in der Regel gewahrt. Kurze Wortabstände, die die Fuge verdeutlichen, kennzeichnen jedoch keine Getrenntschreibung. Vor- und Nachnamen werden in den Briefzeugnissen beispielsweise nicht konsistent gleich geschrieben, wie im Falle von „Lilian“ (auch: „Lillian“), „Karl“ (auch: „Carl“), „Percy“ (auch: „Perci“), „Zündt“ (auch: „Zünd“). In diesen Fällen wird die Schreibweise so übernommen wie sie im jeweiligen Brieftext an dieser Stelle auftritt. Zeitungsnamen und Buchtitel wurden nicht kursiviert, allerdings finden Leser in begleitenden Fußnoten weitere Informationen zu den zahlreichen Zeitungsorganen und Publikationen, auf die Mathilde und Fritz verweisen. Zum besseren Verständnis werden Titel, Namen oder andere Abkürzungen vereinzelt in eckigen Klammern voll ausgeschrieben, so bei „B[ooth]“ oder der „Allgemeinen [Augsburger Zeitung]“. Editorische Eingriffe werden in eckigen Klammern angezeigt. Textkürzungen der Brieftexte werden durch Ellipsen kenntlich gemacht. Bis auf wenige Ausnahmen wurden Einzüge und Abschnitte genau wie im Original auch in die Transkription übernommen. Dies gilt der Lesbarkeit halber allerdings nicht für Seiten- und Zeilenumbrüche. Auch Geminationsstriche, Einschübe und Interlinearzeichen werden nicht als solche kenntlich gemacht. Bei der Transkription der englischsprachigen Briefe folgten wir denselben Richtlinien wie bei den deutschsprachigen Briefen für eine originalgetreue Abschrift. Neben
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Harald Süß, Deutsche Schreibschrift: Lehrbuch (München: Knaur, 2004), 1–80.
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Abb. 2 Erste Seite des Briefes von Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke, Zürich, 19. April 1864
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Abb. 3 Erste Seite des Briefes von Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke, Fort Halleck, Columbus, Kentucky, 9. September 1863
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der historischen Einleitung und den historischen Fußnoten waren insgesamt zweiundzwanzig Briefe Gegenstand der Übersetzung vom Englischen in das Deutsche. Daher ist es von besonderer Bedeutung, an dieser Stelle auch die wichtigsten übersetzerischen Entscheidungen darzulegen. Vor allem zwei translationswissenschaftliche Übersetzungstheorien prägten meine gewählte Übersetzungsstrategie für die Briefe: die Methoden der Einbürgerung/Verfremdung und die Skopostheorie. Eine Einführung in diese beiden fundamentalen Theorien wird den Leser:innen näherbringen, welche Entscheidungen sich mit dem Übertragen eines Textes in eine neue Sprache verbinden.3 Bereits im 19. Jahrhundert unterschied Friedrich Schleiermacher zwischen Einbürgerung und Verfremdung. In seinem bekannten Vortrag „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ schlug Schleiermacher 1813 zwei unterschiedliche Wege der Übersetzung vor: „Entweder der Uebersezer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.“4 Mit der Methode des Einbürgerns soll der Autor näher an den Leser herangebracht werden. Hier soll die Übersetzung wie ein originär in der Zielsprache entstandener Text klingen. Die zweite Methode des Verfremdens jedoch zielt darauf ab, den Leser näher an den Autor heranzubringen und die Fremdheit des Originals und der Ausgangskultur zu betonen. Mehrere Übersetzungswissenschaftler:innen haben diesen translationspraktischen Denkansatz aufgegriffen und weiterentwickelt. Die Translationswissenschaftlerin Juliane House unterscheidet zwischen offener Übersetzung und verdeckter Übersetzung. Offene Übersetzungen (Verfremdung) sind offensichtlich übersetzte Texte und sollen auch als solche rezipiert werden. Wie der Name verrät, sollen verdeckte Übersetzungen (Einbürgerung) nicht als Übersetzungen erkannt werden. Stattdessen kommt verdeckten Übersetzungen der Status eines Originaltextes in der Zielsprache zu.5 Wenn man Übersetzen als „Brückenbauen“ betrachtet, so werden Leser bei einer offenen Übersetzung „über die Brücke“ bewegt, um verschiedene Kulturen kennenzulernen. Bei der verdeckten Übersetzung bleibt der Leser oder die Leserin „auf seiner oder ihrer Seite der Brücke“ und ist sich bei einer gelungenen Translation gänzlich unbewusst, dass es sich beim Zieltext um eine Übersetzung handelt.
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Zu den weiteren Theorieströmungen, die meine Herangehensweise an die historische Übersetzung beeinflusst haben, gehören die Übersetzungshermeneutik (George Steiner, Larisa Cercel), die deskriptive Translatologie und die kulturelle Translation (Susan Bassnett, André Lefevere) sowie die Theorie des translatorischen Handelns ( Justa Holz-Mänttäri). Siehe Holger Siever, Übersetzungswissenschaft: Eine Einführung (Tübingen: Narr, 2015); Mary Snell-Hornby et al., Hg., Handbuch Translation (Tübingen: Stauffenburg, 1998); Lawrence Venuti, Hg., The Translation Studies Reader (New York: Routledge, 2012). Friedrich Schleiermacher, „Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens (1813)“, in Das Problem des Übersetzens (Stuttgart: Goverts, 1963), 5. Juliane House, „Overt and Covert Translation“, in Handbook of Translation Studies (Amsterdam: John Benjamins, 2010), 245–46.
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In den 1970er und 1980er Jahren begründete der Übersetzungswissenschaftler Hans J. Vermeer eine Strategie, die auf das Ziel oder den Zweck (skopos) einer Übersetzung ausgerichtet ist. Vermeer zufolge ergeben sich je nach Textfunktion und Zielpublikum verschiedene Wege, einen Text zu übersetzen. Er erklärt die Funktion zum Hauptfaktor, der den Translationsprozess beeinflusst.6 Bei der Briefübersetzung war ich hauptsächlich geleitet von einem verfremdenden Übersetzungsansatz, jedoch finden sich auch Elemente einer einbürgernden Übersetzung. Ziel war es, den Stil des englischsprachigen Ausgangsmaterials abzubilden durch die Verwendung eines Sprachstils im Deutschen, der im 19. Jahrhundert gebräuchlich war. Hierzu gehörte auch, Ton und Register des Originaltextes treu wiederzugeben. Im Falle von persönlichen Briefen ist die Funktion oder der Skopos des Ausgangstextes einzigartig. Die Briefschreiber und Briefschreiberinnen verfassten die Originalbriefe, ohne je eine spätere Publikation in Erwägung zu ziehen. Beim Lesen der Übersetzungen wird das Publikum über diese Korrespondenz informiert, die nun in der deutschen Sprache zur Verfügung steht. Mein Ziel war es, die historischen Briefe für ein allgemeines Publikum zu übersetzen und zu kontextualisieren, dem Mary Booth, Mathilde Anneke und Fritz Anneke entweder bekannt oder auch unbekannt sein könnte. Aus diesem Grund werden unsere Leser:innen anhand von historischen Fußnoten über verschiedenste Verweise, beispielsweise auf Zeitungsherausgeber, Freunde und Bekannte, in den deutschen Originalbriefen und auch den deutschen Briefübersetzungen näher informiert. Die Historikerin und die Übersetzerin werden zu KoAutorinnen, die Wissenslücken füllen und die Briefinhalte für moderne Leser:innen kontextualisieren. Meine gewählten Hauptstrategie der Verfremdung und der gewählte Skopos bestimmten meine Herangehensweise an spezifische Übersetzungsschwierigkeiten in den Briefen von Mary Booth und Fritz Anneke. Zu den verschiedenen Herausforderungen der Übersetzung gehörten der einzigartige Schreibstil von Mary. Die Briefschreiberin benutzte an vereinzelten Stellen beispielsweise deutsche Begriffe wie „Zauber“ oder „Wissenschaft“. Diese werden dann in der deutschen Übersetzung jeweils kursiv gesetzt, um hervorzuheben, dass Mary im englischen Original diese deutschen Begriffe verwendete.7 Auch Marys bisweilen eher naiver und dann stellenweise poetischer Schreibstil wird im Deutschen übernommen und nachgeahmt. Ganz im Sinne einer offenen Übersetzung werden Realia wie „Mrs. Weiskirch“ oder „Madam Anneke“ im Deutschen beibehalten. Dies gilt auch für Unterstreichungen, die häufige Verwendung des Und-Zeichens „&“ im Brieftext oder Falschschreibungen von Namen wie „Shurtz“. Auch wird bei den Briefübersetzungen keine moderne deutsche 6 7
Katharina Reiß und Hans Josef Vermeer, Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie (Tübingen: Niemeyer, 1984). Wollten Mathilde und Fritz etwas besonders betonen, benutzten sie Unterstreichungen. Auch hier werden diese originalgetreu übernommen.
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Rechtschreibung verwendet, da dies dem historischen Charakter nicht Rechnung tragen würde und die Briefübersetzungen auch abheben würde von den Originalbrieftranskriptionen der Annekeschen Zeitzeugnisse. Allerdings werden gemäß des gewählten Skopos und für eine bessere Leserlichkeit Rechtschreibfehler in den Ausgangstextbriefen der Mary Booth, wie beispielsweise „mannage“ (statt „manage“ im englischen Original) im Deutschen nicht nachgeahmt. Für die Übersetzung der historischen Einleitung und der Fußnoten von Alison Clark Efford dagegen wählte ich vorwiegend die Strategie der verdeckten Übersetzung. Die fachspezifischen Texte zum Thema Geschichtsforschung sind in modernem Englisch verfasst und sollen nicht als übersetzte Texte, sondern eher als zweite Originale rezipiert werden. Doch auch hier finden sich Elemente einer offenen Übersetzung. So war es mir wichtig, den persönlichen Stil von Efford auch im Deutschen zu treffen. Gemäß der Auffassung, dass man einen Text nur dann übersetzen kann, wenn man auch seinen (historischen) Kontext restfrei verstanden hat, war die Recherche nicht nur zu den Hauptpersonen, sondern zu allen im Briefkorpus genannten Personen und Ereignissen ein unverzichtbarer Schritt, um eine hochwertige Edition und Übersetzung zu gewährleisten.8 Die Archivrecherche in der Züricher Beust-Lipka-Sammlung des Stadtarchives und im Staatsarchiv beförderten beispielsweise unverzichtbare Hintergrundinformationen zutage. Die literarischen Werke, die von den Annekes und von Mary Booth selbst publiziert wurden, dürfen ebenfalls als hilfreiche Paralleltexte gelten. Mathilde veröffentlichte zum Beispiel deutsche Romane und Theaterstücke, während Fritz zahlreiche Artikel für deutschamerikanische Zeitungen beisteuerte. Wie auch in den hier veröffentlichten Briefen thematisiert, publizierte Mary Booth ihre Gedichte in Buchform und schrieb für Milwaukees Daily Life unter dem Pseudonym Genoa Grey Zeitungsartikel über das Leben in der Schweiz. Diese Texte dienen als Hintergrundtexte und vermitteln ein tieferes Verständnis der in den Briefen diskutierten Inhalte. Zudem war der Editions- und Übersetzungsprozess allgemein geprägt von produktiven Diskussionen der Übersetzerin und der Historikerin.
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Viktorija Bilić, Historische amerikanische und deutsche Briefsammlungen: Alltagstexte als Gegenstand des Kooperativen Übersetzens (Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2014), 154–60.
Kapitel 1 Alte und neue Bande Februar–August 1859
Die Familien Booth und Anneke standen sich ab dem Jahre 1859 sehr nahe, nachdem die Familien jeweils traumatische Erlebnisse zu verkraften hatten. Als die Annekes an der Ostküste der Vereinigten Staaten lebten, starben vier ihrer Kinder. Dies veranlasste Fritz und Mathilde Anneke 1858 dazu, wieder nach Milwaukee zurückzukehren, wo zahlreiche Familienmitglieder lebten, wie unter anderem Mathildes Mutter Elisabeth Giesler, Mathildes Schwester Johanna Weiskirch und Fritzens Bruder Carl Anneke. Die Annekes blieben allerdings nicht lange als Familie in Milwaukee zusammen. Angesichts des schwelenden Konfliktes auf der italienischen Halbinsel überredete Fritz drei Zeitungsherausgeber in Milwaukee, ihn als Kriegskorrespondenten zu engagieren. Für Fritz stellte das Berichten über den Zweiten Italienischen Unabhängigkeitskrieg eine sinnvolle Beschäftigung dar, verbunden mit der Möglichkeit, sich mit Nationalisten und Revolutionären zu umgeben, die die gleichen Ideale hatten, für die Mathilde und er 1848 und 1849 gekämpft hatten. Als Fritz im Mai 1859 gen Europa aufbrach, hatte Mathilde bereits eine enge Verbindung zu Mary Booth geknüpft, deren Leben ebenfalls im Umbruch begriffen war. Marys Ehemann Sherman war für seinen Abolitionismus bekannt und vor allem dafür, dass er 1854 maßgeblich daran beteiligt gewesen war, den Gefängnisausbruch von Joshua Glover angezettelt zu haben, der vor der Sklaverei in Missouri geflohen war. Im März 1859 allerdings wurde Sherman Booth aus einem anderen Grund verhaftet. Er wurde beschuldigt, das 14-jährige Mädchen, das seine Töchter gehütet hatte, „verführt“ zu haben. Mary, überzeugt, dass ihr Mann sich der Vergewaltigung schuldig gemacht hatte, baute mehr und mehr auf Mathilde. Ihre wachsende Zuneigung zeigte sich auch daran, dass sie Kosenamen füreinander hatten, die sonst niemand benutzte. Mary begann ihre ältere Freundin „Franziska Maria“ zu nennen, da sie Mathilde einen hässlichen Namen fand1. Mathilde redete Mary mit ihrer deutschen Namensversion, 1
Mathilde an Franziska Hammacher, 4. April 1861, in „Ich gestehe, die Herrschaft der fluchwürdigen ‚Demokratie‘ dieses Landes macht mich betrübt …“: Mathilde Franziska Annekes Briefe an Franziska
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„Maria“, an. Neben emotionaler Unterstützung gab Mathilde Mary auch Geld, pflegte sie gesund, wenn sie krank war und half ihr beim Verhandeln mit Booths Anwälten. Mathilde zog mit ihrem Sohn Percy (9) und ihrer Tochter Hertha (4) sogar in das Haus der Familie Booth mit ein. Dort wohnte auch Lilian May, genannt Lili (4), die jüngere Tochter der Booths, während die ältere Tochter Mary Ella (9) in der Obhut von Marys Mutter Adeline P. Corss in Hartford, Connecticut lebte. So war es wenig überraschend, dass Mary regelmäßig mit Ella (wie jeder Mary Ella nannte) sowie ihrer Mutter und auch mit ihrer Schwester Jane Corss korrespondierte. Die Briefe in diesem Kapitel beginnen mit dem ersten Treffen von Mathilde und Mary und enden, als das Geschworenengericht im Fall Sherman Booth zu keinem Mehrheitsvotum gelangen konnte.
Mary Booth an ihre Schwester Jane Corss Milwaukee, 15. Februar 1859 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Jane: Ich war so glücklich von Dir zu hören & bin so froh, daß Du nun schöne Kleider tragen kannst. Ich werde Dir mit dem größten Vergnügen etwas nach Deinem Wunsch nähen und schicken, sobald ich wieder nähen kann. Ich fühlte mich in der letzten Zeit nicht sehr gut, aber nun geht es mir besser. Ich schicke Dir ein sehr schönes Kleid aus Merinowolle von Salsman2, der morgen in den Osten aufbrechen wird. Abby und die Zwillinge3 werden ihn begleiten. Die Zwillinge sind sehr hübsch und groß geworden. – Ich werde Dein pinkfarbenes weites Kleid aus Merinowolle wie gewünscht fertigmachen, gleich als erstes. Ich erhielt von Mrs. Mitchel4 eine Kiste mit den schönsten Blumen, darunter eine weiße Calla und orangene Blumen – und von Madam Anneke einen Topf voller blühender Reseden. Madam Anneke ist die wunderbare deutsche Frau, deren Vortrag wir in der Treat’s Hall5 gehört haben, als Ella noch ganz klein war. Sie war inmitten der Schlacht, wie
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und Friedrich Hammacher, 1860–1884, Hg. Erhard Kiehnbaum (Hamburg: Argument Verlag mit Ariadne, 2017), 70. Thomas Salsman war ein Freund der Familie Corss, der Jane Corss das Kleid brachte. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungsverzeichnis (1860), 4te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 41, „dwelling“ (Wohnstätte) 315, „family“ (Familie) 329. Salsman und seine Frau Abby hatten dreijährige Zwillinge. Ibid. Möglicherweise handelt es sich hier um die Wohltäterin Martha Mitchell, Ehefrau des Eisenbahnmagnaten und Bankiers Alexander Mitchell. Frances E. Willard und Mary A. Livermore, Hg., A Woman of the Century (Buffalo: Charles Wells Mouton, 1893), 510–11. Ein Veranstaltungsort in der Innenstadt Milwaukees. Milwaukee Daily Sentinel, 18. März 1852.
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„Jeanne d’Arc.“ Du hast sie damals sehr bewundert und vielleicht erinnerst Du dich an sie. Sie hat seither in New York6 gelebt, bis vor wenigen Monaten. Sie hat ihr ganzes Leben der Literatur verschrieben und hat etwa fünfzig Bücher, Gedichtbände, Romane und auch wissenschaftliche und revolutionäre Werke veröffentlicht.7 – Ihre Mutter8 ist eine großartige alte Lady. Sie hat mir vor ein paar Tagen besitzt Sie war ein wenig „Suppe“ vorbeigebracht und das zeigt was für eine Güte sie besitzt! die engste Freundin von Madam Ida Pfiffer9. Madam Anneke spricht nur sehr wenig Englisch, aber ich verstehe sie schon. Sie Heine, Freiliheurt Freiliheurt, Sallet.10 Mr. Richwird von allen deutschen Dichtern gefeiert, von Heine 11 mond ist von ihr ganz hingerissen. – Er glaubt heute gäbe es nur wenige solche Frauen wie sie und ist froh, daß sie meine Freundin ist. Sie bleibt jeden Tag eine Weile bei mir weil es mir nicht gut ging – aber jetzt geht es mir schon fast gut – und das erste woran ich mich machen werde ist an dein pinkes weites Kleid. Mr. & Mrs. Spalding12 Die, die Josephene Hood war“) war 13 senden Dir ihre besten Wünsche. und Mrs. Faxon („Die, Schreib so oft Du kannst. In Liebe, immer die Deine Mary
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Mathilde hatte eigentlich in Newark, New Jersey, und nicht in New York gelebt. Mary scheint einzelne Artikel und Gedichte in ihre Zählung miteinzubeziehen. Elisabeth Giesler. Die Abenteuer der österreichischen Reiseschriftstellerin Ida Pfeiffer (1797–1858) waren bekannt genug, dass sie auch in Henry Thoreaus Walden Erwähnung fanden. Encyclopædia Britannica, elfte Aufl. (New York: The Encyclopædia Britannica Company, 1911), 21: 340; Henry Thoreau, Walden (Boston: Ticknor and Fields, 1854), 26. Es gibt keinerlei Überlieferungen mehr, in denen diese Schriftsteller Mathilde lobten, aber sie kannten einander. Der berühmte deutsch-jüdische Dichter Heinrich Heine (1797–1856) schrieb auch Artikel für die Neue Kölnische Zeitung, die die Annekes in den Jahren 1848 und 1849 herausgaben. Ferdinand Freiligrath (1810–1876) war ein weiterer Dichter, der sich für ein vereinigtes Deutschland einsetzte und mit Karl Marx 1848 Herausgeber einer Kölner Zeitung war. Friedrich von Sallet (1812–1843) war bekannt für das Verfassen von religionskritischen Gedichten. Manfred Gebhardt, Mathilde Franziska Anneke: Madame, Soldat und Suffragette: Biografie (Berlin: Neues Leben, 1988), 26, 74; Encyclopædia Britannica, elfte Aufl., 11: 94–95; Daniel Jacoby, „Sallet, Friedrich von“, Allgemeine Deutsche Biographie (Leipzig: Duncker & Humblot, 1891), 33: 717–27. Der episkopale Priester James Cook Richmond stand kurz vor seiner Ernennung zum vorsitzenden Geistlichen der Kirche St. Paul’s in Milwaukee. Frank A. Flower, History of Milwaukee, Wisconsin (Chicago: Western Historical Company, 188), 865. Möglicherweise Henry W. Spalding, der 1860 als episkopaler Priester in Milwaukee geweiht wurde. Milwaukee Daily Sentinel, 1. Januar 1860. Diese Hinweise reichen nicht aus, um Frau Faxon zu identifizieren.
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Mary Booth an ihre Mutter Adeline Corss Milwaukee, 4. März 1859 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Mutter: Ich bin schrecklich krank, fühle mich noch kränker als damals als ich am kränksten war. Montag bin ich nach Waukesha14 zu der Hochzeit von Prof. Daniels15 & Miss Gove, die am Dienstag stattfand. Ich erkältete mich & habe fürchterliche Neuralgie16 im Gesicht & den Zähnen. Einer meiner Vorderzähne ist so entzündet, daß man ihn nicht anfassen kann. Die Füllung ist noch bevor wir in dieses Haus kamen herausgefallen & ich hatte keinen Mut sie wieder einzusetzen. Mein Gesicht ist entsetzlich geschwollen. Meine Nase wird von Ohr zu Ohr lang gezogen. Ich muß immer auf dem Sofa liegen & kann nur für kurze Zeit sitzen. Der Doktor sagt besser im Gesicht als wieder auf meinen Lungen, denn dann wäre es sehr schlimm. Aber ich huste genug und jedenfalls wünschte ich, ich könnte mehr tun statt zu solch einer höllischen Folter verdammt zu sein. Es macht mich wütend – so wütend wie lange nicht & ich glaube ein wenig zu fluchen hilft mir. Sherman ist in Madison17. Ich erwarte ihn heute Abend. Madam Anneke blieb letzte und vorletzte Nacht bei mir. Ich war so furchtbar krank & sie schickte ihren Mann abends nach Chloroform für mich & ich tat etwas davon auf meine Zähne & mein Gesicht & es half. Sie ließ mich aber nicht dran riechen…. Madam Annekes Mutter trägt ein Kreuz mit großen in Eisen gesetzten Diamanten und auch einen Ring, denn ihr Mann hatte Eisenminen. Sie trägt immer schwarze Samtkleider & ist eine überaus elegante Frau, spricht jedoch kein Wort Englisch. Madam Anneke ist selbst Großmutter zweier Enkel – die Kinder ihrer Tochter, die erst zwanzig Jahre alt ist.18 Sie wünschte ich wäre mit ihr in die Schlacht gezogen!!
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Eine Stadt etwa 30 Kilometer westlich von Milwaukee. Der Hochschuldozent und einstige Staatsgeologe Edward Daniels lebte in Ripon, Wisconsin. Er war nach der Befreiung von Glover mit Sherman Booth verhaftet worden und unterstützte Booth weiterhin. Flower, History of Milwaukee, 250. In Anfällen auftretende Nervenschmerzen. „Neuralgie“, DWDS, letzter Zugriff am 15.09.2021, https://www.dwds.de/wb/Neuralgie. Wisconsins Hauptstadt liegt etwa 130 Kilometer westlich von Milwaukee. Johanna („Fanny“) von Tabouillot hatte Paul Störger geheiratet und seinen Namen angenommen. Das Ehepaar lebte nicht dauerhaft zusammen, da Störger geschäftlich in Kuba war und Fanny ihre Kinder in Newark großzog, bevor sie mit ihnen 1866 nach Milwaukee umsiedelte. Es gibt nur den Nachweis, dass eines von Fannys Kindern vor 1859 geboren wurde, möglicherweise starb ein anderes. Mathilde an Franziska Hammacher, 24. Oktober 1860, in Ich gestehe, die Herrschaft der fluchwürdigen ‚Demokratie‘ dieses Landes macht mich betrübt, Hg. Kiehnbaum, 41.
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Ich denke ich würde es nicht aushalten wenn auf mich geschossen würde. Da bräuchte man Jan[e] dafür, mit ihrem Geist des „Mazeppa“.19 Sie hatte zwei Pferde pro Tag. Sie hat ein Buch über die Schlacht geschrieben & auch ihre Autobiographie20, die ich hoffentlich eines Tages lesen werde. – & Sie hat insgesamt fünfzig Bücher veröffentlicht. – Sie schreibt Gedichte & wird meine übersetzen, sobald sie besser Englisch versteht. Sie ist sehr groß, mit dem schönsten, zartesten, kindlichsten Gesicht, das man je gesehen hat. Sie haßt amerikanische Frauenrechtlerinnen.21 Es war ihre Liebe zu ihrem Land & ihrem Mann, vor allem zu ihm, die sie hat in den Kampf ziehen lassen. Carl Shurtz22 und sie waren die Adjutanten ihres Mannes.23 Sie wurden nach der Revolution aus dem Land und ins Exil verbannt. Mr. Richmond war zu der Zeit in Deutschland & sagt sie war [&] ist der Stolz Deutschlands. Sie wurde in zwei Kirchen als Madonna gemalt, zu Ehren ihrer Berühmtheit als Dichterin.24 Mr. Richmond sagt sie sei in jeder Hinsicht eine wirklich wunderbare Frau. Sie kam herein als Mr. Davis25 hier war & er würdigte mich keines Blickes mehr. Seine Frau sagte zu mir – „Jackson hat nun ein Wunder gesehen.“ Lillian26 kam heute morgens zu uns ins Bett & sagte der kleine Vogel träumte letzte Nacht von euch beiden, beiden im Dunklen träumte er vom „der kleine Licht.“ Madam Anneke hat sie mit Küssen nur so überhäuft & sagte „noch nie hat ein Kind so etwas Poetisches geäußert.“ Ella27 tanzt ganz wunderschön & ist von angeneh-
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George Gordon Byrons Erzählgedicht „Mazeppa“ (1819) beschreibt die Qualen eines Soldaten, der auf dem Rücken eines wilden Pferdes festgebunden war. George Byron, The Complete Poetical Works, Hg. Jerome J. McGann (Oxford: Clarendon Press, 1986), 4:172–200. Mathilde Franziska Anneke, Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Feldzuge (Newark: Buchdruckerei von F. Anneke, 1853). Mathildes Auffassung von Frauenrechten unterschied sich von der führender angloamerikanischer Feministinnen wie Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony. Der amerikanische Feminismus dieser Zeit wird mit der Temperenzbewegung, protestantischen Moralvorstellungen und manchmal Feindseligkeit gegenüber Einwanderern in Verbindung gebracht. Mathilde unterstützte keine dieser Dinge. Doch zeigt ihre Zusammenarbeit mit anderen Frauenrechtlerinnen, dass sie sie respektierte als Komplizinnen in einem gemeinsamen Kampf. Carl Schurz (1829–1906), der erfolgreichste unter den Achtundvierzigern, wurde später General auf Seiten der Union im amerikanischen Bürgerkrieg, Senator für den Staat Missouri und Innenminister. 1849 war er Fritz Annekes untergeordneter Offizier im Revolutionskampf in Baden gewesen. Zu der Zeit als Mary diesen Brief schrieb, war er als Anwalt in Milwaukee tätig und warb um die Stimmen der Republikanischen Partei für die Nominierung als Gouverneur von Wisconsin. Schurz war ein politischer Verbündeter Sherman Booths, allerdings bedeutete Booths Gerichtsverhandlung wegen Verführung einer Minderjährigen auch das Ende dieser Freundschaft. Hans L. Trefousse, Carl Schurz: A Biography, zweite Aufl. (New York: Fordham University Press, 1998). Adjutanten sind Hilfsoffiziere ihrer vorgesetzten Offiziere. Sollte dies stimmen, dann müssen diese Gemälde aus Mathildes kurzem Dasein als religiöser Schriftstellerin in den späten 1830er und frühen 1840er Jahren stammen, bevor sie traditioneller Religion feindlich gegenüberstand. Karin Hockamp, „Von vielem Geist und großer Herzensgüte“: Mathilde Franziska Anneke, 1817–1884 (Bochum: Brockmeyer, 2012), 16–18. Wir konnten Jackson Davis nicht identifizieren. Marys vierjährige Tochter, die sie oft Lili nannte. Mary Ella Booth, Marys andere Tochter, 9.
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mer und freundlicher Natur. Sie sind Fanny Crouch besuchen gegangen.28 Ella lehrt Madam Annekes Jungen die Bibel & er sie Deutsch. Ich werde Jane darüber schreiben. Mary Ich habe Stück für Stück endlich doch einen langen Brief geschrieben.
Abb. 4 Lithografie von Milwaukee in den 1850er Jahren
Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke Detroit, 30. Mai 1859 Meine geliebte Mathilde Franziska Maria! Beinahe hatte ich meinen Brief an Dich fertig, da passirt mir das Unglück, daß ich in dem Augenblick, wo Jemand an die Thür des Zimmers klopft, in dem ich schreibe, desselben Zimmers im Hotel Mauch, in welchem wir im vorigen Jahr logirten, aufstehe und beim Aufstehen die Tischdecke herunterzerre und mit ihr Brief, Dintenfaß und Papier. Ein großer Klecks auf dem Teppich und die letzte Zerstörung des Briefes war die traurige Folge. Ich muß jetzt schleunigst den Brief noch einmal schreiben. Die Trennungsstunde, meine Mathilde, hat uns beiden erst zum vollen Bewußtsein gebracht, wie lieb wir einander sind – Dir nicht weniger als mir; und wenn wir den gan28
Der in England geborene Bestattungsunternehmer Jonathan Crouch und seine Frau Rachael hatten eine dreijährige Tochter namens Fanny. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungsverzeichnis (1860), 4te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 4, „dwelling“ (Wohnstätte) 38, „family“ (Familie) 32.
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zen Schmerz dieser Trennung vorher gewußt hätten, ich würde vielleicht nicht gegangen sein, und Du würdest mich vielleicht nicht haben ziehen lassen. Ich glaube auch, Du würdest Dir und mir die Beruhigung gewährt haben, die letzte Nacht an meinem Herzen zu ruhen. Nur deßhalb kam ich in der Nacht auch an Dein Bett. – Die Trennungsstunde, Mathilde, werde ich nicht vergessen! Karl29, Emil30 und Booth begleiteten mich aufs Schiff. Daß ich mit Booth noch ein Handl gemacht31, wirst Du wissen. Er hat $ 5 mit Dir zu verrechnen. Meine Scheidegrüße werden Dir überbracht worden sein. Ich erhielt freie Fahrt nach Detroit. Auf dem See war es sehr rauh, so daß man sich im Salon und in der Nähe des Ofens aufhalten mußte. Meine Zeit brachte ich in Gedanken an Dich und die Kinder und mit dem Lernen französischer Vokabeln zu. Als ich im Laufe des Nachmittags mich einen Augenblick auf ’s Verdeck begab, während ich mein Wörterbuch im Salon liegen ließ, verschwand der Brief während meiner Abwesenheit spurlos. Alle Nachforschungen bei Passagieren und Aufwärtern waren fruchtlos; aber bei der Landung in Grand Haven32 lag der Brief plözlich wieder auf seinem Plaze. Es schien, daß der Dieb sich geschämt hatte. Von der Reisegesellschaft, der Fahrt, der seltsam gestalteten Küste von Grand Haven und von diesem Ort selbst könnte ich Dir Mancherlei erzählen; aber es fehlt mir jetzt an Zeit dazu. Vielleicht benutze ich es zu einer Skizze, die Du gedruckt wirst lesen können. Bei der Landung entdeckte ich unter den Passagieren einen Landsmann aus Olpe33, der schon 14 Jahr am Superior See gewohnt hat, der Rainard Weiskirch34 sehr gut kannte, der in Iserlohn, Dortmund gewesen ist etc. Er war ein sehr verständiger und wohl unterrichteter Mann. Wir machten den Rest der Reise zusammen und kehrten gestern Morgen um 6 Uhr zusammen im Hotel Mauch ein. Detroit steht jetzt im schönsten Frühlingsschmuck. Es ist wirklich ein wunderschöner Ort; wenigstens verdienen einige seiner Straßen dieses Prädikat, Jefferson Avenue und Fort St., die sich durch ihre herrlichen Bäume, ihre hübschen Häuser und prachtvollen Gärten, mit denen jedes dieser Häuser umgeben ist, auszeichnen…. Den nächsten Brief erhältst Du wohl erst von New York. Nun sei tausend Mal gegrüßt und geküßt von Deinem Fritz, und denke mit Liebe an ihn. Grüße an Großmama35, Karl, Mr. Booth etc. 29 30 31
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Fritzens Bruder Carl Anneke. Die Annekes benutzten beide Schreibweisen: Carl und Karl. Wahrscheinlich Emil Weiskirch, der Ehemann von Mathildes Schwester Johanna. Dieser Handel hatte wahrscheinlich mit Fritzens Tätigkeit als Korrespondent zu tun. Booth hatte gerade das Blatt Milwaukee Free Democrat, eine der Zeitungen für die Fritz schrieb, verkauft. Jerome A. Watrous, Memoirs of Milwaukee County (Madison, Wisc.: Western Historical Association, 1909), 1: 445–47. Eine Stadt in Michigan in ziemlich genau östlicher Luftlinie von Milwaukee aus auf der anderen Seite des Lake Michigan. Eine Stadt im preußischen Westfalen, circa 70 Kilometer westlich von Köln. Wahrscheinlich bestand hier eine angeheiratete Verwandtschaftbeziehung zu Mathildes Schwester Johanna Weiskirch. Mathildes Mutter Elisabeth Giesler.
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Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, Juni 1859 Lieber guter Fritz! Durch Mariens36 Brief hast Du nun wohl die erste Nachricht von uns bekommen. Die Kinderchen fragen viel nach Dir, ich suche sie zu trösten mit Hoffnungen auf dein Wiedersehen so gut ich kann. Heute Morgen bin ich früh mit ihnen aufgestanden, habe sie fein angekleidet u. allein mit ihnen gefrühstückt; wir sprachen von Dir. Ich werde meine Zeit jetzt sehr zu Rathe halten, da ich die Uebersetzung einer Erzählung für Leslie37 übernommen habe; die erste Spalte38 habe ich gestern Nachmittag geschrieben, es ist mir die Arbeit nicht schwerer wie vor 20 Jahren; warum sollte ichs nicht unter nehmen. Er verspricht 1. Dollar für die Sp. Brevier39 u. verspricht in 8. Tagen die schuldigen, 16. $ ein zusenden. Sag mir Deine Meinung, wenn Du die alte Schuld ein kassierst, ob ich die Arbeit wagen kann; d. h. ob er wol zahlen würd. Er will jede Woche 3 Spalten40. Ein Schmachartikel gegen Dich geschleudert, befindet sich heute im Seeboten41. Sieh ihn nach. Gegen das Banner42 bin ich heute mit einer einfachen Erklärung gekommen. Ich lege die Schriftstücke bei. Ich hoffe und wünsche, lieber Fritz, daß Du gesund bist. Ich bin es wieder so ziemlich. 36 37
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Marys. Seit 1858 hatte Mathilde regelmäßig Beiträge zur deutschsprachigen Version von Frank Leslies berühmter Illustrated Newspaper beigetragen. Auch die erfolgreiche feministische Schriftstellerin Louisa May Alcott schrieb für die beliebte Wochenzeitung, von der allein die deutschsprachige Ausgabe 1870 bei einer Auflage von 25.000 lag. Nachdem Mathilde es abgelehnt hatte, umsonst zu arbeiten, besuchte Leslie sie persönlich in Newark und willigte ein, sie für ihre Arbeit zu bezahlen. Maria Wagner, Mathilde Franziska Anneke in Selbstzeugnissen und Dokumenten (Frankfurt am Main: Fischer, 1980), 90; Karl J. R. Arndt und May E. Olsen, German-American Newspapers and Periodicals, 1732–1955: History and Bibliography (Heidelberg: Quelle & Meyer, 1961; Nachdruck, New York: Johnson Reprint Corporation, 1965), 360. Wie aus späteren Briefen deutlich wird, übersetzte Mathilde einen Fortsetzungsromanen aus einer von Frank Leslies Zeitungen in das Deutsche. Die Geschichte wurde vom Originalautor allerdings nicht fertiggestellt und so erledigte Mathilde dies selbst. Sie veröffentlichte Das Geisterhaus in NewYork unter ihrem Namen, ohne kenntlich zu machen, dass der Text hauptsächlich eine Übersetzung aus dem Englischen war. Das Geisterhaus in New-York ( Jena und Leipzig: Hermann Costenoble, 1864). Zeitungsspalte. Mathilde sprach oft davon, „pro Spalte“ bezahlt zu werden. gehoben: Auswahl des Wesentlichen aus dem Werk eines Schriftstellers https://www.dwds.de/ wb/Brevier, letzter Zugriff am 16.09.2021 Zeitungsspalten. Der Seebote wurde 1851 gegründet als katholische Alternative zu Milwaukees säkulärer deutschssprachiger Presse. 1859 war der Seebote im Grunde eine Zeitung der Demokraten. Alison Clark Efford, „The Appeal of Racial Neutrality in the Civil War–Era North: German Americans and the Democratic New Departure“, Journal of the Civil War Era 5 (2015): 68–96. Die Zeitung Wisconsin Banner und Volksfreund war 1859 die größte deutschsprachige Zeitung der Stadt Milwaukee. Ihre Redaktion sprach sich für Kandidaten der Demokratischen Partei aus. Alison Clark Efford, German Immigrants, Race, and Citizenship in the Civil War Era (New York: Cambridge University Press, 2013), 72.
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In unseren äußern Verhältnissen hat sich nichts ereignet; Maria ist ziemlich wohl und liebevoll gegen mich und die Kinder. Von mir will ich Dir weiter nichts erzählen – Lebe wohl, lieber Fritz. Vielleicht scheidest Du noch nicht so schnell vom amerikanischen Boden, daß Du noch einmal Nachricht von uns empfängst. Wenn dies aber mein letztes Lebewohl sein sollte, so wisse daß ich dies unter Thränen nachgesandt habe. Lebe wohl und vergieß nie die Mutter Deiner sechs Kinder.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, [Juni oder Juli] 1859 Lieber guter Fritz! Als ich gestern Nachmittag mit Marien Arm in Arm zur Post ging, war ich so glücklich einen lieben langen Brief von Dir aus Detroit zu erhalten. Die Briefchen daneben für die Kinder und Maria erregten viel Freude zugleich. Wir gingen Großmutters Haus zu und lasen während des Gehens fort und fort Deine Briefe. Meine mangelhafte Uebersetzung Deines Briefes für Maria genügte ihr nicht und Du würdest besser thun, in ihrer „süßen Muttersprache“ nächstens ihre possierlichen Billets, die sie Dir gleich nachgesendet hat, zu beantworten. Du hast aus diesen Briefen die Art und Weise, wie sie mich zu trösten gesucht hat, erkannt; sie hat ihre Wirkung nicht ganz verfehlt, denn einige Male habe ich unter Thränen laut lachen müssen, über ihren unvergänglichen Humor. Ich hoffe, lieber Fritz, Du wirst über den furchtbarsten Schmerz der Trennung von den Kindern und mir jetzt ein wenig hinweggekommen sein; ich wenigstens suche mich durch fleißige Pflege unserer zwei Kleinode die Du mir allein anvertraut hast, so wie durch sonstiges fleißiges Arbeiten und durch die Liebe meiner Freundin über die Entsetzlichkeit der Trennung so weit es möglich ist, hinweg zu heben. Ist diese auch über wunden, so bleibt doch immer noch Wehmuthvolles genug in unserm Geschick, das mich gegen Alles, was mich sonst noch umgiebt, außer meinen Kindern und Marien, absterben läßt. Wenn ich meine Gesundheit nur der Erstern wegen noch so lange erhalte, bis ich Dir vielleicht einmal sie wieder zurückführen kann, dann bin ich zufrieden. Nicht nur beim Abschiede lieber Fritz, brauchte mir es erst wieder klar zu werden, wie sehr ich Dich geliebt. Meine Liebe, von dem Augenblick ihres ersten Erwachens bis zu dem heutigen, ist mir in ihren verschiedenen Graden so klar und bewußt, wie etwas. Ich wußte vorher, wie eine Trennung endlosen Gram über uns Alle bringen würde, aber ich wußte auch wie viel endloser das Unglück sein würde, ungeliebt von Dir, das Leben neben Dir, als Dein Weib zu verbringen. Wir hätten uns nie vermählen, wir hätten Freunde bleiben sollen, lieber Fritz, wir wären Beide vielleicht glücklicher geworden. Wir lieben uns jetzt zwar mehr wie Freunde, wir lieben uns in der innigsten Verwandtschaft durch unsere Kinder – aber wir lieben uns nicht, wie Liebende die Beide einig sind in dem Bewußtsein daß die Sehnsucht die ihr Sein erfüllt
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nur in dem Kuß gestillt wird, der von reinen unentweihten Lippen dargereicht wird. Meine grenzenlose Liebe hat es nicht vermocht, Dich von dieser Wahrheit zu überzeugen, so hat sie denn allein, allein verbluten müssen. In unsern lieben guten Kinderchen hätten wir ein verlorenes Eden reiner Liebe wieder finden können – wir können es immer noch, mein lieber Fritz; und wenn Du vielleicht einstmals wieder bei uns bist, so laß uns vor Allem durch das lebendige Wort43 uns klar werden, wie und was wir fühlen. Ich möchte gerne noch viel mit Dir plaudern, aber ich habe heute mich schon sehr angestrengt bei der langweiligen Uebersetzung u. Fessel44 hat mir ausdrücklich jede Anstrengung verboten. Ich war in einer Nacht etwas unwohl, da haben Maria sowol wie Booth sich mit einer besondern Sorgfalt der Pflege unterworfen. Ich bin jetzt wieder wohl. Emil schrieb Montag an Carl, er habe gehört ich sei krank u. ob wir etwas bedürften. Diese brüderliche Liebe von Emil hat mich gerührt; er hatte Deinen Brief noch nicht empfangen. Meine Berichtigung im Banner hat die sämmtliche Presse hier in Bewegung gesetzt, selbst der Seebote soll wie ich höre redressirt haben. Ich habe jetzt ein freundliches Schreibplätzchen im Schlafzimmer; Maria hat es mit ihrer bekannten Gabe so freundlich hier gemacht. Gute Luft, Sonnenschein u. eine freundliche Aussicht habe ich gewonnen an diesem Plätzchen. Wir freuen uns sehr auf Briefe von Dir. Ich besonders. Großmutter grüßt dich, die Andern auch. Carl A[nneke] sein Geburtstag soll Morgen von mir mitgefeiert werden. Ich bringe ihm zwei hübsche Gläser. Von Deinen übrigen Bemerkungen habe ich Notiz genommen. Ich wage es, Dir noch ein mal zu schreiben. Darum noch nicht mein Lebewohl. Halte lieb Deine Dich [unleserlich] liebende Mathilde. Franziska Maria says45 „comm hier Americaner Maria, und schreibe zu dein Leben.“ Du bist ein bösewicht das was du bist. Franziska Maria has conceived a „wonderful“ affection for you since you went away. She persists in saying you are not cross.46 We sit now at a „wonderful“ table in our bedroom & „Maria“47 writes & I plague her & kiss her half to death. We are not troubled by any masculine visitors except the Dr. & he comes every day. I think his health improves, as you know it is for his own good that he comes.48 43 44 45 46 47 48
Es ist unklar, warum Mathilde hier eine biblische Referenz verwendet, sei es aus ironischen Gründen oder um eine gängige Redewendung aufzugreifen. Der in Mecklenburg geborene Arzt Christian Fessel (1801–1881) war von den 1820ern bis 1848 auch in die liberalen Aufstände Europas involviert gewesen. Louis Frederick Frank, The Medical History of Milwaukee, 1824–1914 (Milwaukee: Germania Publishing Company, 1915), 18–22. Mary fügte zu Mathildes Brief ihre eigenen Kommentare hinzu, in einer Mischung aus Deutsch und Englisch. Sie nannte Mathilde „Franziska Maria“. Seit Du weg bist hat Franziska Maria eine besondere Zuneigung zu Dir entwickelt. Sie besteht darauf, daß Du nicht böse bist. Gemeint ist hier Mathilde. Wir sitzen nun an einem „wundervollen“ Tisch in unserem Schlafzimmer & „Maria“ schreibt & ich quäle sie & überhäufe sie nur so mit Küsschen. Wir werden nicht durch männliche Besucher ge-
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Ich mein lieb zu meiner Liebe, and write soon Dein Americaner schelm Maria
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, Juli 1859 Mein lieber guter Fritz!
Sonntag Morgen. So stehen wir schon wol nicht mehr auf ein und demselben Boden, nicht mehr zusammen auf dem amerikanischen Festlande! Ich hoffe von Dir noch den letzten Abschiedsgruß heute oder Morgen zu bekommen. Gestern so um die Nachmittagszeit, als ich mir Dein Briefchen geholt, bin ich mit Maria und Großmutter zum See hinausspazirt und habe Dich begleitet mit meinen Gedanken „mal über das blaue Meer“. Wenn es Dich glücklich hinüberträgt, dann will ich es segnen. „Auf Flügeln des Gesanges“49 so summt es mir heute in dem Gemüth, während es draußen recht stürmt; – ich denke, ich bin allein in dem „Lande des Windes“ und Du bist schon in schönern Regionen angekommen. Ob Du noch wol vor Deiner Abfahrt den größten Theil unserer Briefe empfangen hast! Nach Deinem letzten Brief von gestern, waren wenigstens noch ein halbes Dutzend rückständig. Der hübsche Brief den Maria Dir zuerst geschrieben, in dem sie Dir erzählt, wie sehr ich nach Deiner Abreise noch geweint u. wie sie mich zu trösten gesucht habe. Wie am Nachmittage Booth selbst mit einem Zweispänner uns mich u. die Kinder, Großmutter u. Maria zu einer schönen Fahrt ins Land eingeladen. Wir fuhren etwa 8. Meilen weit zu Farmern in einem prächtig duftenden Walde und in einem schönen Blumengarten; wurden bei ihnen zum Souper geladen und aßen Ahornzucker viel und tranken Ahornsaft; Früchte und Brod in echter Farmerweise. Wir kamen erst nach 9 Uhr Abends zurück. Maria schrieb Dir am andern Tage und am dritten wieder. Dienstag. Ich kann gar nicht schlafen, ich weiß nicht ob vor Unruhe Deinetwegen, oder was es für einen Grund hat. Heute Morgen um 4 ½. Uhr bin ich aufgestanden und habe mich an meine Uebersetzung gemacht; Maria schlief ganz ruhig und die Kin-
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stört mit Ausnahme des Doktors & er kommt täglich. Ich glaube sein Gesundheitszustand bessert sich und Du weißt es ist gut für ihn, wenn er vorbeikommt. Heinrich Heines Gedicht „Auf Flügeln des Gesanges“ (1832) erlangte große Bekanntheit, nachdem Felix Mendelssohn es 1834 vertonte. Titel der englischen Übersetzung: „On Wings of Song“. Heinrich Heine, Buch der Lieder (Hamburg: Hoffmann und Campe, 1827), 117–18; Larry Todd, Mendelssohn: A Life in Music (Oxford: Oxford University Press, 2003), 309, 330; Hal Draper, übers. und hg., The Complete Poems of Heinrich Heine: A Modern English Version (Boston: Suhrkamp/ Insel, 1982), 54.
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derchen auch alle. Gestern war Percys Schulfest; es fand bei Melms50 statt; die Beider fuhren im Boot hin unter, Maria mit ihrer Lili u. ich mit meinem Herthachen fuhren im Omnibus nach. Es war schade, daß es ein so kalter Tag war; Percy hat sich gut amüsiert, sein Freund Mazzini51 war auch da; Herthachen hat mich nicht von der Hand gelassen; das Gehen fällt ihr sehr schwer u. ich glaube, ich werde bald zur Operation schreiten müssen. Ueber unsere Correspondenz waltet ein Unstern; ich sehe Du hast unsere Briefe nicht erhalten, die wir geschrieben haben. Am zweiten Tage nach unsrem traurigen Abschiede in der Nacht bekam ich einen sehr heftigen Krampfanfall, der hat mich mit einer solchen Besorgniß um unsere Kinderchen erfüllt, daß ich nicht wußte, was ich thun sollte. Ich glaubte diese Anfälle würden sich so permanent einstellen, daß alle Hoffnung auf Genesung für mich verloren sei; dazu kam das drückende Gefühl, mit der Pflege fortan Booths stets zur Last zu fallen; u. s. w. Aber meine Besorgniß hat sich in die feste Hoffnung verkehrt, daß ich wieder gesund werde. Noch in dieser Woche beginne ich eine Art Brunnkur, d. h. ich trinke Carlsbader Brunnen52 (nachgemachter). Die Vorkur eine andere Brausemischung ohne Eisentinktur bekommt mir sehr gut und die Lebenaufwallung schwindet merklich. Meine Korpulenz schwindet sehr merklich und Maria fürchtet schon, daß ich mein ihr so interessantes Embonpoint53 verliere. Maria hat mir mehrere Tage lang große Sorgen gemacht; eine ganze Nacht habe ich mit ihr durchwacht, weil sie so große Schmerzen über ihre Enttäuschung empfand; ich habe sie vielleicht etwas derbe, aber kräftig und sicher über die Klippen, daran noch zu guter Letzt Herz und Sein ihr hätten zerschellen können, hin weg geführt. Ihr treuloser Freund54 hat Dir wol nichts von dem Briefe gesagt, den ich schon geschrieben; es war ein Lesebrief, den er Dir in seiner Eitelkeit wol nicht gezeigt. Der Mensch schreibt nun aber auch nicht die Briefe u. andere Gegenstände, die ausdrücklich verlangt sind, zurück. Wir werden noch andere Wege einschlagen müssen. Mit Mariens Gesundheit steht es viel, viel besser. Die Ruhe die eingekehrt zu sein scheint mit dieser Resignation giebt ihr Gesundheit wieder; sie sieht sehr gut, zu hübsch wieder aus. Sie wünscht jetzt mehr wie jemals die Scheidung; sie wünscht sie
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Zur Brauerei Melms gehörte auch ein Biergarten in Milwaukees Menomonee Valley. Thomas W. Merrill, „Melms v. Pabst Brewing Co: The Doctrine of Waste in American Property Law“, Marquette Lawyer (Sommer 2011), 8–22. Möglicherweise hatte Percy einen Freund, dessen Spitzname auf den italienischen Revolutionär Giuseppe Mazzini zurückging. Es gab dem US-amerikanischen Zensus zufolge 1860 keine Mazzinis in Milwaukee. Dem Wasser aus den Karlsbader Quellen wurde allgemein eine therapeutische Wirkung zugesprochen. Vielleicht hatte Mathilde in Milwaukee Badesalze, die eine Art Imitation dieser Quellen darstellten. Französisch für Korpulenz. Dies scheint eine Anspielung auf J. A. Biedermann zu sein. Dieser war ein Musiklehrer und Tenorsänger, mit dem Mary eine romantische Freundschaft pflegte. Er wird in späteren Briefen erwähnt.
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ihrer Kinder wegen u. sie hat Recht. Wies mit dem Prozeß werden wird, kann ich Dir nicht sagen55. Er agirt furchtbar. An einem andern Tage. Diese Nacht, – ich liege einen Theil jeder Nacht bei unserm lieben Herthachen – da drückte das Kind mich so sehr an sich u. jauchzte fast vor Freude in dem es rief, „mein lieber Papa.“ Bald ward sie gewahr, daß ich u. nicht Du es warst; u. sie drückte mich auch an ihr Herzchen, als wollte sie sagen, dann ists auch schon gut. Heute nun, erzählt sie der Lilie, ihr Papa habe die Nacht bei ihr geschlafen u. jetzt sei er wieder fortgereist. Ich wecke sie natürlich nicht wieder aus diesem schönen Traum. Wenn Lili ihrem Vater engegenspringt, so folgt sie mit gleichem Jubel u. sieht dann statt ihrem Papa nur den Liliens, so kehrt sie still in meine Arme zurück. Es liegt entsetzlich viel Trostloses darin! Aber, was ist zu machen! Percy spricht viel von Dir, er malt jetzt Landkarten u. malt deine Reiseroute. Er geht regelmäßig zur Schule, aber er lernt glaube ich nicht viel. Das Institut56 scheint mir wenig werth. Ich habe eine schlechte Idee davon auf dem Kinderfeste bekommen. Dein vorletzter Brief – Morgen soll ich ja noch den Scheidegruß mir holen – hat mich recht betrübt gemacht. Ich sehe wie wenig Mittel Dir geblieben sind! Konntest Du denn gar nicht von Lexow57, oder von Leslie die Forderungen einziehen? Der Himmel weiß doch, ob ich von dem Leslie noch das Geld bekomme. Ich sende von meiner Uebersetzung jetzt kein Stück mehr ab, bis das Geld angekommen ist für mich sowol wie für Hölzlhuber58. Von Madison oder sonst irgendwo ist bis jetzt nichts eingekommen. Unsere Kinderchen habe ich neu equipirt. Hertha hat zwei neue Kleidchen, die Maria ihr gerade in diesem Augenblick näht. Maria bleibt immer gleichmäßig liebevoll. Vor einigen Abenden hat sie mir eine sehr interessante Eröffnung gemacht; Niemanden in der Welt hat sie es jemals erzählt; weder
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Am 25. Juli 1859 begann der zweiwöchige Prozess gegen Sherman Booth wegen der „Verführung“ von Caroline N. Cook, einer vierzehnjährigen Nachbarstochter, die über Nacht in seinem Haus geblieben war, um auf Booths Kinder aufzupassen. Cook sagte aus, dass Booth, nachdem sie sich weigerte mit ihm ins Bett zu gehen, wortlos in das Bett kam, welches sie sich mit ihrer Schwester teilte, und in sie eindrang. Nachdem er sie zweimal penetriert hatte, trug er sie in ein anderes Zimmer und wiederholte die Tat. The Trial of Sherman M. Booth for Seduction (Milwaukee: Wm. E. Tunis & Co., 1859), 7–8. Der Achtundvierziger Peter Engelmann war Leiter der hochangesehenen German-English Academy, einer 1851 gegründeten Privatschule, die Percy besuchte. Kathleen Neils Conzen, Immigrant Milwaukee: Accommodation and Community in a Frontier City (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1976), 181–82. Der in Schleswig-Holstein geborene Achtundvierziger Rudolph Lexow hatte sich in New York angesiedelt, wo er die Criminal-Zeitung und Belletrisches Journal herausgab, eine äußerst beliebte politische und literarische Wochenzeitung, deren Namen über die Jahrzehnte manchmal geändert wurde. New York Times, 17. Juli 1909; Arndt und Olsen, German-American Newspapers, 345–46. Der österreichische Maler Franz Hölzlhuber (1826–1898) reiste in den späten 1850er Jahren in die Vereinigten Staaten und lebte eine Weile in Milwaukee. „Franz Hölzlhuber’s Watercolors“, Wisconsin Historical Society, letzter Zugriff am 16.09.2021, https://www.wisconsinhistory.org/Records/Article/CS359.
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Booth noch B.59 und auch nur auf mein Bitten gestattet sie mir, Dirs auch zu erzählen, daß sie die Abkömmling einer Indianerin ist. Diese Eröffnung hat mich so amüsirt; die Art und Weise ihrer Mittheilung, ihr Stolz und wiederum ihre Selbstverleugnung, es hat uns eine halbe Nacht an Schlaf gekostet. Ich glaube ihre Urgroßmutter war die Tochter des Waldes; eine der letzten Mohikanerinnen60. Der Urgroßvater, ein Korse heirathete sie als die Tochter eines Chiefs. Ich erzählte ihr, Du habest es schon früher gesagt, daß sie indianisches Blut habe. Sie freut sich, daß Du es ihr nicht selbst gesagt hast, sie würde Dich deshalb haben hassen müssen. Ihre Abstammung habe ihr das ganze Leben hindurch so viel Kummer gemacht. Alles Böse in ihr, sei ihr stets von ihrer bösen Mutter als Erbtheil der Indianerin vorgeworfen. not Was I ever „sweet“ to you? Why did you call me „you sweet thing“? You know I am not. Tell me that Mr. Fritz! Mary. Is that a greeting over the See? What you think? Yes, it is. Never mind! That is sweet consolation!!61 Du siehst ihr Humor hat nichts gelitten, um so mehr nicht, als eben ein Brief von B[iedermann] an mich kommt[.] Franziska Maria is „wonderful“ kind and lovely to you now you are away, „never mind“ so long as you are not here – ist sie sehr sehr böse! She can write the truth about herself which it would be impolite in me to do.62 Du siehst lieber Fritz seit die schelmische Indianae63, ich nenne sie nicht anders mehr, Besitz von meiner Feder genommen, ist alle Andacht aus meinem Briefe geschwunden. B[iedermann] also hat geschrieben und in einem entsetzlich verworrenen Styl gesagt, daß er nie aufhöre sie zu lieben, aber daß er sich nicht mit ihr vereinigen könne e[tc.] e[tc.][.] Maria ist einigermaßen davon bestochen, denn sie hat mir erklärt, er könne nicht aufhören sie zu lieben, wie sie nicht aufhören könne e[tc.] e[tc.]. Mich soll wundern wie der Roman im Ganzen endet.
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Siehe Fußnote 54 (Kapitel 1). Kurz nach der Publikation von James Fenimore Cooper’s Last of the Mohicans im Jahre 1826, erschienen gekürzte und aufbereitete Übersetzungen im deutschsprachigen Europa. Cooper war zu der Zeit bei den Deutschen einer der bekanntesten fremdsprachigen Autoren. Preston A. Barba, „Cooper in Germany“, Indiana University Studies 21 (1914): 51–104. Mary fügte einen Absatz hinzu und parodiert scheinbar auch Mathildes Antwort einen Brief „über das Meer“ bekommen zu haben (Mary benutzt den Begriff See, meint aber Meer): Warum hast Du mich „Du süßes Ding?“ genannt? Du weißt ich bin es nicht nicht. War ich je „süß“ zu Dir? Sag mir das Mr. Fritz! Mary. Ist das ein Grußwort über das Meer? Was denkst Du? Ja, das ist es. Nichts für ungut! Das ist ein süßer Trost!! Franziska Maria ist „wunderbar“ und liebenswert zu Dir, da Du nun weg bist, aber nichts für ungut so lange Du nicht da bist – ist sie sehr sehr böse! Sie kann Dir die Wahrheit über sich selbst schreiben. Es wäre unhöflich, wenn ich es täte. Latein für Indianerin.
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Großmutter ist die Alte. Johanna und Emil erfreuen sich ihres Glücks, u. damit ists Alle. Carl Anneke klagt sehr und sieht aus wie Krues sich auf dem Feste ausdrückt64, wie die leibhaftige Giftbude selbst65. Sonst weiß ich dir nichts – oh, Mr. Fritz66 – your picture and mine hang opposite each Grosmother’s – They look wonderful wonderful – and smile very sweetly on each other, as we other at Gros never did. Franziska & I are going with the Editorial convention to Grand Rapids67 to night. We shall return Saturday morning. We saw Dr. Kane’s Panorama68 last night. I have a picture of Grandmother which looks like the Devil.69 Diesen Brief sende ich also an Beust70, den Du mir mit all seinen Lieben grüßen, herzig grüßen mußt. Auch Ottilie Kapp geb Rappard, die jetzt in Zürich71 wohnt mußt Du mir grüßen. Nach diesem werde ich die folgenden Briefe noch stets an Beust dirigieren. Wie freuen wir uns alle auf Deine ersten Nachrichten. Wenn Du nur glücklich das europaische Ufer erreicht hast. In London findest Du Freunde und Hülfe – ich zweifle nicht. Da ist Kinkel72 u. Freiligrath die gewiß nicht ermattet sind – ich will das Beste für Dich hoffen. Heute Abend bin ich zur Exkursion des Editoren Congreßes, der seit gestern hier tagt, eingeladen; es ist die Fahrt nach Grand Haven u. Grand Rapids beschlossen. Da werden wir viel von Dir sprechen, ich werde viel an Dich denken, der Du vor kurzem desselben Weges zogst. Deine Briefe, alle ohne Ausnahme nebst Deiner Locke haben ein sicheres Plätzchen; zu dem ich oft mit Hertha u. Percy gehe, und von Dir spreche. Die Kinder werden Dich nicht vergessen. Lebe wohl, geliebter Fritz. – Bleibe gesund! 64 65 66 67 68 69
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Der Verweis auf Krues ist unklar. Carl Anneke war Apotheker. Mary unterbricht Mathildes Brief erneut. Stadt in Michigan. Panoramabilder von Elisha Kent Kanes arktischen Expeditionen wurden im Juni 1859 in Milwaukee ausgestellt. Milwaukee Daily Sentinel, 8. Juni 1859. Oh, Mr. Fritz – ein Bild von Dir und von mir hängen einander gegenüber bei Groß Großmutter – Sie sehen wunderbar aus – und lächeln einander sehr freundlich an, wie wir es nie taten. Franziska & ich gehen heute Abend zu einer Tagung von Herausgebern nach Grand Rapids. Wir werden am Samstagmorgen zurückkehren. Wir haben gestern Abend Dr. Kanes Panoramabilder gesehen. Ich habe ein Bild von Großmutter, das teuflisch aussieht. Wie Fritz war auch Friedrich („Fritz“) von Beust ein ehemaliger preußischer Offizier, der sein Amt niederlegte, um sich den Revolutionsbewegungen in Köln anzuschließen. Beust war ein Unterstützer der kommunistischen Partei von Marx und Engels und gab mit den Annekes eine Zeitung heraus, bis sie 1848 gezwungen wurden, diese einzustellen. 1859 leitete er eine Privatschule in Zürich. Ludwig Julius Fränkel, „Beust, Friedrich (von)“, in Allgemeine Deutsche Biographie (München: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1903), 47: 754–58. Als Mathilde in Zürich lebte, traf sie sich wieder oft mit ihrer alten Freundin, der Schriftstellerin und Lehrerin Ottilie Kapp. Titan: A Monthly Magazine 25 (1857): 561–78. Kapps Tochter Cäcilie ging 1865 mit Mathilde in die Vereinigten Staaten. Johann Gottfried Kinkel (1815–1882) war ein Dichter, Universitätsprofessor und Achtundvierziger, der aus England floh, nachdem Carl Schurz ihm geholfen hatte 1850 aus einem preußischen Gefängnis auszubrechen. Otto Maußer, „Kinkel, Gottfried“, in Allgemeine Deutsche Biographie (1910), 55: 515–28.
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Denke an uns. Grüße mir den Vater73 – und grüße mir die Heimath, die ich wol niemals wiedersehen werde. Deine Bildchen liegen neben den Briefen; bevor sie in diesem sichern Asyl, hatte Hertha sie eines schönen Morgens erwischt u. sie in ihr kleines Schublädchen sorgfältig gelegt, um sie zu fahren. Als ich sie damit ertappe macht sie ein ganz traurig Gesichtchen u. sagt daß sie den Papa fahren wollte. Der N. Y. Demokrat74, das Banner druckte heute noch, widmet Dir einen Nachruf. Deine Dich liebende Tilla. Leb wohl, leb wohl, leb wohl.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, [Juni oder Juli 1859] Geliebter Fritz! Wie lange lange ist es schon, daß wir nichts mehr von Dir gehört haben! Die ganze vergangene Woche bin ich vergebens zur Post gegangen, hoffend der versprochene Brief von Southhampton75 sollte kommen, aber ich bin stets mit leeren Händen und betrübten Herzens zurückgekehrt. Du wirst unsern Brief bei Deiner Ankunft in Zürich hoffentlich richtig bekommen haben. Seit der Zeit hat sich bei uns wenig oder gar nichts verändert. Meine Kinderchen, meine Maria und meine Arbeiten beschäftigen mich ausschließlich. Mit Booth ists beim Alten, sein Prozeß wird vielleicht noch 2. Wochen vertagt, Großmutter war krank, ist jetzt aber wieder wohl. Herthachen ist ein liebes kleines Herzchen; sie beginnt weniger Sehnsucht nach Dir zu äußern, vergißt Dich aber darum nicht. Mit ihren Füßchen geht es leider nicht gut; die Operation wird so nöthig und sobald es die Geldmittel gestatten, soll es keinen Augenblick mehr aufgeschoben werden. Ich habe nun schon zwei paar neue Schuhe für sie machen laßen, aber kein Paar ist so ausgefallen daß es zu benutzen. Ich trag sie viel auf den Armen. Percy ist etwas fleißiger, seit ich ihn aus der Engelmannschen Schule herausgenommen und zu Zündt76 geschickt habe. Da kostet es nur freilich etwas mehr, aber ich bin auch viel beruhigter seit ich ihn besser beaufsichtigt.
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Fritzens Vater Christian Anneke. Der New-Yorker Demokrat war die wöchentliche Ausgabe des New Yorker Herold. Arndt und Olsen, German-American Newspapers, 349, 410. Der „Nachruf ”, auf den Mathilde sich bezieht, war wahrscheinlich ein Kommentar zur Tatsache, dass Fritz die Vereinigten Staaten verließ und somit politisch in Vergessenheit geraten würde. Southampton war Mitte des 19. Jahrhunderts der Hauptemigrationshafen Südenglands. Mathilde schrieb den Städtenamen durchgehend falsch. Ernst Anton Zündt (1819–1897) war ein Schriftsteller aus Schwaben, der später für seine lyrische Poesie bekannt wurde, jedoch zahlreichen anderen Tätigkeiten nachging, so auch Inspizient, Zeitungsherausgeber und Privatlehrer war. „Zündt, Ernst Anton“, National Cyclopaedia of American Biography (New York: James T. White & Company, 1909), 11: 371.
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I suppose Franzisk[a] Maria wishes very sweet to you. I suppose, also, you don’t know that „Mr. Augustus“77 and Dr. Munk78 are in love with her! Maria – 79 Während ich meine Kinder zu Bette gebracht habe, ist ihr schelmischer Geist wieder in sie gefahren und hat mir diesen Streich gespielt. Ich fahre also in allem Ernst fort. „“ weiß. Er ist bis abends 6 Uhr beschäftigt. Er spricht mit sehnsüchtigem Lächeln von Dir; und hofft daß Du bald wieder zu uns kommst. Meine liebe Maria verlasse ich keinen Augenblick; wir haben uns lieb und tragen beide Freude und Leid schwesterlich miteinander. Morgens früh trinke ich jetzt meinen nachgemachten Carlsbader Brunnen gehe etwas spazieren und beginne nach dem Frühstück meine Arbeiten. Ich übersetze den Roman für Leslie und empfange jede Woche für meine gelieferten 3. Spalten 3. Dollar. Von der frühern Forderung habe ich noch keinen Cent, eben sowenig von Lexow, den ich dringend gebeten und von dem ich 1 ½. Dollar per Spalte gefordert hatte. Cramer80 hat das Geld für die Übersetzung nicht erstattet und eben sowenig habe ich sonst irgend wo etwas eingenommen. Zu zahlen habe ich dagegen genug gehabt. Meine Kur kostet mir immer – doch wozu diese kleinlichen Angelegenheiten Dir mittheilen[.] Meinen bösen Anfall habe ich nicht wieder gehabt; Nur einige Tage nach deiner Abreise, in der Nacht mußte ich das ganze Haus alarmieren. Franziska Maria has done for tonight. Yours as ever M. B.81
Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke Zürich, 1. Juli 1859 Meine geliebte Mathilde! Welche Erinnerungen habe ich seit vorgestern durchlebt! Ich sitze am „tiefen Brunnen“, in demselben Zimmer, wo wir vor 10 Jahren saßen, und denke nur und nur an damals. Mein Auge ist immer verdunkelt, und das Papier wird mir naß, die Feder zittert und ich kann mit dem Schreiben nicht voran kommen.
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Möglicherweise ist der in Baden geborene Augustus Greulich hier gemeint, ein lokaler Politiker. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 2te Ward, Milwaukee, Wisconsin S. 31, „dwelling“ (Wohnstätte) 266, „family“ (Familie) 282; Flower, History of Milwaukee, 264. Wahrscheinlich der verwitwete Arzt Emanuel Munk (1806–1899), ein begeisterter Anhänger der Republikaner aus der polnischen Provinz Posen in Preußen. Frank, Medical History of Milwaukee, 27–28. Ich nehme an Franzisk[a] Maria wünscht Dir nur das Beste. Ich nehme auch an, Du weißt, daß „Mr. Augustus“ und Dr. Munk in sie verliebt sind! Maria – Der in New York geborene William E. Cramer gab das Blatt Evening Wisconsin heraus. Donald E. Oehlerts, Guide to Wisconsin Newspapers, 1833–1957 (Madison: State Historical Society of Wisconsin, 1858), 171. Franziska Maria ist fertig für heute. Immer die Deine, M. B.
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Eben war ich in dem Garten am See und habe dort ein purpurnes Röschen gepflückt, von welchem ich Dir die beiliegenden Blätter schicke, und ein Weinblatt von den Stöcken, die an dem Geländer stehen, wo Fritzchen das Gehen lernte, und von denen er immer die Beeren abpflückte! Der schöne Garten und das Haus sind noch gerade so wie damals, und auch der Bauernhof ist so geblieben, wo ich mit Fritzchen das Obst suchte, und er zuerst sprechen lernte: „Baum“. Herr Coßmann82 und seine Frau erkannten mich sogleich wieder. Es ist den Leuten gut gegangen. Sie haben jetzt acht Kinder. Die kleine Friederike, die ich damals mit Fritzchen zusammen in den See nahm, und die schrie: „Es musch Krutwasser hini“, die ist zur Jungfrau herangewachsen. Auch Gutknecht Ernst lebt noch; aber seine Frau ist todt und sein Babettchen verhierathet, und er selbst hat sich dem Trunk ergeben und ist abgestumpft und reist nicht mehr durch die Schweiz. Er konnte sich auch nicht mehr auf uns besinnen; nur seine eigene Handschrift, die ich ihm in meiner Brieftasche zeigte, erkannte er.
Abb. 5 Ca. 1864, Postkarte des Gasthauses „zum Tiefen Brunnen“ in Zürich, wo Fritz 1859 einkehrte
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Mathilde schreibt später, dass die Koßmanns den Gasthof geführt hatten und meint möglicherweise dieselbe Familie.
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In Straßburg83, wo ich vorgestern Nachmittag ankam, ging ich gleich, da ich weder Vater find, noch einen Brief von ihm, zur Montagne verte84 hinaus. Der Wirth am andern Ufer der Ill, in dessen Garten wir oft gesessen, erkannte mich auch auf der Stelle. Ich habe auch da unser altes Haus gesehen, da nur von außen, und unsere Bade- und Schiff- und Fisch-Plätze an der Ill und die Wiese, über die das klein Karolinchen uns ehemals mit den Worten entgegen lief: „das klein Thierchen ist da!“ Das Karolinchen ist auch todt und auch ihre Mutter, die Frau Münch85. Sie sind in Afrika gestorben. Und auch unsern alten Freund Dr. Lobstein, der uns zum Abschied noch das „demokratische Frühstück“86 gab, hat der unerbittliche Tod hingerafft. Ich habe Straßburg bald wieder den Rücken gewendet. Als ich von der Montagne verte nach dem „Rebstock“ zurückkam, erhielt ich einen Brief von Vater, mit der Nachricht, daß er wegen Paßschwierigkeiten und Überhäufung mit Arbeit, für die er keinen Stellvertreter zu finden vermöge, nicht nach Straßburg kommen könne, mich aber, wenn die letzte Schwierigkeit zu überwinden sei, hier in Zürich besuchen wolle; könne er auch das nicht, so werde er mir jedenfalls hierher schreiben. Ich erwarte ihn nun heute oder morgen. Kommt er nicht, so reise ich in dem Augenblick nach Italien wieder, wo ich Mittel erhalte. Meine geringe Baarschaft, die in Milwaukee in $ 41 und mit dem Zuschuß von Emil im Ganzen in $ 61 bestand, ist jetzt auf 65 Francs oder $ 13 zusammengeschmolzen. Damit kann ich nicht weit mehr kommen. Rechne ich den Vorschuß an Schwedler87 für die Überfahrt, $ 35, so haben meine Ausgaben von Milwaukee bis hierher $ 83 betragen. Ich habe sehr ökonomisirt, aber der lange Aufenthalt in verschiedenen Orten, einige Anschaffungen, manche zufällige Ausgaben, wie z. B. $ 2 für Paßscheine, hier und da theure Preise, das alles hat schnell die Baarschaft zusammengeschmolzen. Den größten Theil meiner äußern Erlebnisse, meine liebe Mathilde, mußt Du aus meinen Korrespondenzartikeln entnehmen. Ich muß mit der Zeit ebenso, wie mit dem Geld, ökonomisiren. Dem bloßen Vergnügen widme ich gar keine Zeit, nur dem nothwendigen Reisen und Stoffsammeln. Stoff hätte ich jetzt wieder für hundert Korrespondenzen, aber hauptsächlich nur für literarische Blätter passend. Gleichzeitig mit diesem Brief wird die erste Korrespondenz für den „Free Democrat“ abgehen, die ich in Straßburg angefangen habe, aber dort nicht beendigen konnte. Sie wird Dir gefallen
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Am Westufer des Rheins und im historisch umkämpften Elsaßgebiet gelegen, war Straßburg 1859 wie heute eine französische Stadt. Zwischen 1871 und 1918 gehörte sie zum Deutschen Reich. Fritz beschreibt einen Teil Straßburgs, der an die Ill grenzt. Zu diesen beiden Personen konnten keine Informationen gefunden werden. Dies ist wahrscheinlich ein Verweis auf ein Frühstück, das von Mitgliedern des „Demokratischen Vereins“ organisiert wurde, wo sich Mathilde und Fritz kennenlernten. Hockamp, „Von vielem Geist und großer Hersensgüte“, 19. Friedrich Schwedler war Herausgeber mehrerer Ausgaben des New Yorker Herold (einschließlich New-Yorker Staats-Demokrat und New-Yorker Demokrat). Arndt und Olsen, German-American Newspapers, 369–70, 410.
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und auch den Lesern des Blattes, wenn ihr amerikanischer Dünkel sich nicht etwas verletzt fühlt. Ich lege ihr wieder ein Zettelchen an Dich bei, wie schon vorher an Sentinel, Ill[inois] Staatsztg., N. Y. Demokrat und Westliche Blätter88. Zunächst schreibe ich jetzt mal an den Atlas89 und an die Blätter in Detroit u. s. w. In Straßburg habe ich meine Wäsche zu einem enorm billigen Preise und so schön, wie ich sie nie gesehen habe, in vier Stunden waschen lassen. Ich verließ den Ort gestern Morgen um 7 und kam gegen 6 am Abend hier an. Den Vater Rhein sah ich bloß für einen Moment in Basel, als wir in einem Omnibus durch die Stadt, von einem Bahnhof zum andern fuhren. Auf der lezten französischen Station mußte ich noch meinen Paß zeigen, in der Schweiz fragte Niemand danach. Auf der Weiterreise von Basel habe ich von Weitem auch Dornachbruck90 gesehen, wo wir zusammen den schönen Berg erkletterten, auf dessen Gipfel Du mich in den Arm nahmst. Wir haben dann Liestal, Aarau und Baden91 passirt. Die Fahrt ist entzückend. Eine Stunde lang habe ich hier im Garten am Seeufer gestanden und das klare blaugrüne Wasser und die spiegelglatte Fläche angesehen und die kleinen niedlichen Dampfschiffchen und die unbeholfenen Boote und alle die schönen Häuser und Dörfer an beiden Ufern des Sees und die Bergketten rechts und links. Der alte Ütli92, auf den wir die romantische Nachtpartie hinauf machten, hat sein Haupt in einen Wolkenschleier gehüllt, und die anderen Berge wurden nur hie und da von einem Streiflicht beschienen, das sich durch Nebel und Wolken Bahn bricht. Wie ist es nur möglich, so lange auszuharren in dem tristen, öden, „großen Freiheitsstall, der bewohnt von Gleichheitsflegeln“93, während alle Herrlichkeiten der Welt nur, um auf dieser Seite des Ozeans winken! Wenn ich zurückkomme, so komme ich nur Euch abzuholen. Meine zahlreichen Korrespondenz-Arrangements werden uns die beste Gelegenheit zu einem dauernden Erwerb von hier aus bieten. Manche davon
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Wenn Mathilde und Fritz deutschsprachige Zeitungstitel abkürzten, stehen nachfolgend die vollen Namen in eckigen Klammern. Die von Achtundvierzigern geführte Illinois Staatszeitung war Chicagos größte deutschsprachige Zeitung und ein wichtiges Organ der Republikaner im Kontext der Antisklavereibewegung. Die Westlichen Blätter waren die Sonntagsausgabe des Anzeigers des Westens, einer Zeitung aus St. Louis, deren Herausgeber unter der Leitung von Heinrich Börnstein in den späten 1850ern und frühen 1860ern ebenfalls die Republikanische Partei unterstützte und sich gegen die Sklaverei aussprach. Arndt und Olsen, German-American Newspapers, 73–74, 274. Der Achtundvierziger Bernhard Domschcke publizierte von 1856 bis 1861 den deutschsprachigen Atlas in Milwaukee. Auch Carl Schurz steuerte eine Zeitlang Artikel zu diesem republikanischen Blatt bei. Arndt und Olsen, German-American Newspapers, 671–71; Trefousse, Carl Schurz, 72–73. Ein ehemaliger Ort am Fluss Birs, der heute größtenteils in Dornach eingemeindet wurde. „Dornarchbrugg“, ortsnamen.ch: Das Portal der schweizerischen Ortsnamenforschung, letzter Zugriff am 17.09.2021, https://search.ortsnamen.ch/record/109001534. Kleinere Städtchen südöstlich auf dem Weg von Basel nach Zürich. Ein Berg bei Zürich. Fritz zitiert Heinrich Heines auf die Vereinigten Staaten bezogenen Worte aus seinem Gedicht „Jetzt wohin?“ von 1851. Heinrich Heine. Heinrich Heine’s Sämmtliche Werke: Bd. Dichtungen (4. Theil. Romancero; Letzte Gedichte) (Hamburg: Hoffmann und Campe, 1865), 153.
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werde ich auf die Dauer beibehalten können, und neue, nach Deutschland und vielleicht England hin, lassen sich nach und nach anknüpfen. Nach Deutschland mache ich vielleicht schon jetzt den Versuch. Ein ander Mal schreibe ich Dir mehr darüber. Beust habe ich gestern Abend nach langem Suchen aufgefunden. Er wohnt nicht mehr in dem frühern Lokal am See, sondern etwas weiter aufwärts und näher der Stadt zu. Es geht ihm, seiner Anna94 und seinen zwei hübschen Jungens wohl. Er hat 5 Pensionäre und eine Schule von etwa 50 Zöglingen. Sie waren sehr bös, daß ich nicht gleich bei ihm eingekehrt war, und wollten mich ohne Weiteres festhalten. Ich ging jedoch spät abends in einer stockfinstern Finsternis durch Berg- und Waldpfade wieder zum tiefen Brunnen, wo Alles schon im tiefsten Schlafe lag. Man geht hier im Allgemeinen um 9 Uhr ins Bett und löscht dann sorgsam alle Lichter aus. Hier hat mich Frau Anna Beust unterbrochen. Sie hat mich mit einer Droschke vom tiefen Brunnen entführt und nach ihrem Hause gebracht, wo ich jetzt nach dem Mittagessen in meinem Zimmer sitze und den Brief an Dich schreibe. Mittlerweile sind die Briefe von Vater eingetroffen, einer an mich, einer an Fritz Beust und einer an Anna Beust, die mich äußerst verstimmt haben. Vater kommt nicht, wie ich schon erwartet hatte. Dringende Arbeiten halten ihn fest. Er schickt mir aber auch kein Geld, sondern klagt sehr über schlechte Zeiten, Verluste etc. Sein Gesundheitszustand ist sehr schwach. In seinen Briefen an Fritz Beust und Frau zieht er entsetzlich über mich los, meint, daß ich seit 1845 nichts mehr, als dumme Streiche gemacht habe, daß ich ihn jetzt belogen, indem ich unter dem Versuch, Korrespondenzen zu schreiben, mich abenteuerlich und blindlings in den Krieg drängen wolle, und fordert sie auf, mich zurückzuhalten. Ich vermuthe, daß dies auch der Grund ist, weshalb er mir kein Geld geben will. Anna Beust, die sich sehr gut konservirt hat und noch gerade so munter und lebhaft ist, wie früher, war ganz entrüstet über die Briefe von Vater und hat ihm auf der Stelle eine sechs Seiten lange Antwort geschickt, worin sie ihm in ihrer derben brüsken Manier furchtbar den Zeist gelesen hat. Ich sitze jetzt hier natürlich festgebannt, da ich mit meinen 65 Francs nicht nach Italien reisen kann. Ich würde höchstens bis an die Grenze kommen und dann auf ’s Betteln oder Rauben reduzirt sein. Mich kränkt dabei nur, daß der ganze, wohlangelegte und bis dahin so gut gelungene Plan mir vereitelt wird, und daß ich vor den Blättern, mit welchen ich mich in Verbindung gesetzt habe, eine sehr unangenehme Blamage erlebe. Das Einzige, was ich thun kann, ist, so viel als möglich von hier Artikel schreiben und die besser gestellten Blätter um Vorschüsse zu ersuchen. Da vergehen freilich immerhin vier Wochen, bevor etwas eintreffen kann, wahrscheinlich 5 bis 6. Solltest Du auf meinen frühern Brief, den aus Southampton, Dir von Börnstein95 etwas haben zahlen lassen, und gut 94 95
Anna Beust (geb. Lipka) war eine Cousine von Friedrich Engels. Markus Bürgi, „Friedrich Engels’ Aufenthalt in der Schweiz 1893“, Marx-Engels Jahrbuch (2004): 187. Heinrich Börnstein (1805–1892), in Hamburg geboren, war Lehrer, Journalist, Schriftsteller und Theaterunternehmer, der mit Marx in den 1850ern in Paris zusammengearbeitet hatte. Nach seiner
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bei Kasse sein, so bitte ich Dich, mir auch etwas hierher zu schicken, aber besser an F. Beust, weil ich doch am Ende durch einen glücklichen Zufall noch in den Besitz von Mitteln gelangen und bei Ankunft Deines Antwortbriefes schon fort sein könnte, amerikanische Wechsel aber wahrscheinlich hier erhoben und in Geld oder in italienische umgesetzt werden müssen. Ich werde für reichen Ertrag durch Korrespondenzen nach Milwaukee sorgen. Reichen Stoff gibt jetzt wieder das Eidgenöss’schen Freischießen96, das übermorgen, Sonntag den 3. Juli, anfängt. – Morgen wird es drei Wochen, seit ich den amerikanischen Boden verließ. Da sollte ich nun eigentlich längst Nachrichten von Dir haben. Schon mit dem Hamburger Dampfer, der zwei Tage nach dem unsrigen bei Southampton ankam, hätte ich einen Brief von Dir haben müssen, und seitdem ist jedenfalls längst wieder einer in Liverpool angekommen. Sollte die verfluchte, liederliche amerikanische Post wieder uns einen Streich gespielt haben? – Ich schließe jetzt, meine liebe Mathilde, weil ich noch an Maria und an die Kinder schreiben und dann schleunigst an die Korrespondenzen gehen muß. Leb wohl, meine liebe, liebe Mathilde. Einen längern, direkten Brief bekommst Du jetzt so bald nicht wieder, dagegen werden Dir kleine Botschaften, gleich den vier ersten, sehr häufig zufliegen. Küß mir die lieben Kinder und grüße Großmutter, Karl, Emil, Henriette97, Johanna, Booth und alle, die sich nach mir etwa erkundigen. Karl erhält Extragrüße von Anna Beust und Bertha Lipka98 und ihre Mutter, welche beide dicht neben Beust wohnen. Beust und Frau lassen Dich ebenfalls herzlich grüßen. Bertha Lipka ist sehr alt und sehr spitz geworden. Fritz Beust ist, wie ich erwartete, auf ’s Beste über den Krieg informiert, hat prachtvolle Karten, statistische Notizen etc. Die Schweizer Presse, so klein sie ist, liefert auch für den Krieg gutes Material, so daß sich von hier aus ganz gut drüber schreiben läßt. Nicht zu vergessen, ich empfehle Dir, recht dünnes Papier für Deine Briefe zu nehmen, weil die französische Post für einfaches Porto nur ¼ Unze zustellt. Dein Fritz.
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Ankunft in St. Louis wurde er Herausgeber des Anzeiger des Westens. Heinrich Boernstein, Memoirs of a Nobody: The Missouri Years of An Austrian Radical, 1849–1866, übers. und hg. Steven Rowan (St. Louis: Missouri Historical Society Press, 1997). Ein bekannter Scharfschützenwettbewerb. Die Frau von Fritzens Bruder Carl Anneke. Bertha Lipka war Anna Beusts jüngere Schwester, eine weitere Cousine ersten Grades von Friedrich Engels.
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Mary Booth an ihre Mutter Adeline Corss Milwaukee, 3. Juli 1859 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Mutter: Deinen Brief erhielten wir gestern. Ich werde Lorenzo99 die Musiknoten für Jane mitgeben. Meine Güte! Du fragst „woher kommt das Geld nach Italien zu fahren“ – das ist die Frage! Zuerst würde ich gern auch nur einen Dollar sehen. Jeden Cent, den er hat, gibt Sherman für seine Schulden & Anwälte aus. Er hat nun einen Mann (mit dem er sich den ganzen Tag eingeschlossen hat) beauftragt Beweise für ihn zu finden – und gegen das Mädchen (& mich auch, wie ich annehme). Madam Anneke kam die Treppe hoch & fand ihn in unserem Schlafzimmer100. Er redete mit dem Mädchen, das raus101)– unser Bett machte. & Das Bett war in strahlendem Zustand. Wir waren beide (raus Sherman hatte ihn hochgeschickt – aber ich sage Dir, er hat Schlimmstes abgekriegt, denn er spricht Deutsch[.] Mad. A. ist ungeheuer auf ihn losgegangen. Sie fragte ihn wie er es wagen könne unser Schlafzimmer zu betreten und beförderte ihn kurzerhand hinaus. Er ist ein gutaussehender etwa 55-jähriger Mann mit guter Ausstrahlung. Er wird zu den Cooks102 gehen & vorgeben ein Feind von B. zu sein & alles herausfinden was er kann, um dann B. zu berichten. Eine angenehme Sonntagsbeschäftigung! Sonntagsbeschäftigung Und an solchen Dingen soll er nun die ganze Zeit arbeiten bis zur Gerichtsverhandlung, die morgen in einer Woche beginnt. Der Tag wurde nun festgesetzt. S. zahlt dem Mann 25 $ & muss diese Woche tausend Dollar für seine Anwälte aufbringen – woher er es nehmen will kann ich weder sagen noch mir ausmalen. Mr. Arnold103 hat S. geraten, diesen Mann zu beauftragen. Was denkst Du – er war unter den Jurymitgliedern, die ihn in der Sklavereisache verurteilten. A. sagte, daß wenn es nicht genug Beweise gäbe, dieser Mann schon dafür sorgen würde, daß auf irgendeine Weise welche auftauchen würden.
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Der Journalist Lorenzo L. Crounse war ein enger Vertrauter der Familie Corss. Er hatte im Alter von nur 19 Jahren 1859 für Sherman Booth beim Free Democrat gearbeitet, bevor er mit einem Partner die Zeitung im März 1859 aufkaufte, als Booth wegen „Verführung“ verhaftet wurde. Watrous, Memoirs of Milwaukee County, 1: 445, 465. 100 In einer Quelle steht, Mathilde sei es gewesen, die Sherman im Schlafzimmer gefunden hätte, aber hier bezieht sich das eindeutig auf den Anwalt und nicht Sherman. Zudem hütete Caroline Cook im Juli 1859 nicht mehr die Kinder der Booths. Diane S. Butler, „The Public Life and Private Affairs of Sherman M. Booth“, Wisconsin Magazine of History 82, no. 3 (spring 1999): 187. 101 Mary meinte wahrscheinlich „streiche dies“. 102 Die Familie von Caroline Cook, Sherman Booths Opfer. 103 Jonathan E. Arnold war Mitte des 19. Jahrhunderts einer der erfolgreichsten Strafverteidiger Milwaukees. Er verteidigte Sherman Booth, zusammen mit H. L. Palmer. Watrous, Memoirs of Milwaukee County, 1: 663–64; Trial of Sherman M. Booth for Seduction.
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Mrs. Merrill104 sieht wie ein Geist aus, weil die Angst im Prozeß aussagen zu müssen krank macht“. Es geht ihr wirklich schlecht deshalb. Ich habe sie nur dreimal sie so „krank gesehen – und nie lang. Madam Anneke glaubt es sei nicht gut für mich mit ihr oder irgendjemandem mehr als notwendig darüber zu reden. Mary105 glaubt, Du solltest auf jeden Fall hier sein, aber ich finde nicht, daß ich Aufpasser brauche, aber sie denkt das schon. Sie sagt ich werde enttäuscht werden wenn ich denke, daß was mich angeht alles in Ordnung kommt – aber ich habe keine Angst. Madam Anneke wird die ganze Zeit mit einem älteren deutschen Zeitungsherausgeber zum Prozeß gehen & wenn man falsch über mich spricht wird sie sich darum kümmern & sie kann auf S. Einfluß nehmen es zu laßen oder sie wird ein Theater machen, das ihm nicht gefallen wird. Sie hat mit ihm gesprochen & nun verhält er sich besser als noch vor ein paar Tagen. Wenn er sich schlecht verhält, dann werde ich krank – mir geht es gerade ungefähr so gut wie zu der Zeit als Du hier warst. Sollte es notwendig sein, daß Du kommst, was ich nicht glaube, dann werde ich Dir telegraphieren.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, 15.–18. Juli 1859 Geliebter Fritz! Gestern Nachmittag brachte Percy mir das erste einzige Briefchen von der Post, das mir die Gewißheit gab, daß Du wieder festen Boden unter den Füßen erlangt hattest. Schwedler sandte es mir mit einigen freundlichen Worten u. der Notiz, daß er auf Deinen speciellen Wunsch mir den wöchentlichen N. [Y.] Demokrat zusenden würde u. den ersten zwar mit deiner Correspondenz. Deine 6. Rosenblättchen und die Nachricht daß Du fleißig Wein tränkst, machten die ganze kleine Familie, Maria natürlich nicht ausgenommen, glücklich. Am Abend sollten wir mehr Kunde noch von Dir erhalten; ich empfing 2. Stunden später Deinen Brief von Southhampton, den Du während der Meerfahrt an uns geschrieben hattest. Großmutter kam gerade während des Lesens, und da wars dann ein wahres Fest, lieber Fritz uns Deiner glücklichen Ueberkunft zu freuen! Nach dem ‚Sentinel‘ schickte ich Booth gleich und ließ fragen, ob noch keine Corresp[ondenz] für ihn u. Einlage für mich angekommen sei. Antwort nein, er erwarte mit Ungeduld u. wo es mir irgendwie dienen könne, wenn ich etwa 104 Mehrere Frauen mit Nachnamen Merrill lebten in Milwaukee. 105 Möglicherweise handelt es sich um Mary Briggs, eine Freundin, die auch in späteren Briefen erwähnt wird, über die allerdings keine weiteren Details bekannt sind. Mary an Adeline Corss, August 8, 1859, Box 2, Ordner 5, S. 124, Sherman M. Booth Family Papers, Wisconsin Historical Society, Milwaukee Area Research Center, University of Wisconsin – Milwaukee Libraries Special Collections and Archives. Auch online verfügbar unter „Sherman M. Booth Papers“, The State of Wisconsin Collection, letzter Zugriff am 17.09.2021 http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/WI.SBCb2f5. (Nachfolgend „Booth Family Papers.“)
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reisen wolle e[tc] e[tc] möge ich mich an ihn wenden. Illinois Staatsztg. sandte mir heute Deine kleine liebe Einlage mit den 6 Rosenblättchen. Die Correspondenz, die erste die ich von Dir also lese, ist in der [Illinois Staatszeitung] gedruckt. Sie füllt etwas mehr als ¾. Spalten und spricht mich sehr an. Ich schneide jeden Art[ikel] aus u. Maria hat es übernommen sie in einer großen Mappe zu „kriegen“. Die Korresp[ondenz] die an die „Westlichen Blätter“ gesandt, hat Hl[.] Ruppius106 vielleicht mit nach St. Louis genommen, oder gar noch nicht bekommen. Rup[pius] ist nämlich gestern Morgen in aller Stille dahin abgereist und wie mir Zündt sagt, wird er dort unter der Aegide Börnsteins (?) (es mag sein) die Blätter fortsetzen. Z[ündt] soll die Korrespondenz von hier für ihn schreiben. Dem armen Märklin107 hat er das Honorar für die Arbeiten der letzten zwei Nrn nicht bezahlt. Es steht hier überhaupt eigenthümlich mit den Päpers. Ich bedurfte Geld und ließ um die 3. Dollar beim Atlas bitten. Der jetzige Geschäftsführer, Herr Otterburg108 (Cramer ist nämlich entlaßen) hat geantwortet, dafür hätte ich den Atlas schon so u. so lange bekommen. … Gradaus109 ist zum ‚Volksblatt‘ geworden; Herzberg ist Eigenthümer. – Ich kehre also zu unserem Familienfest zurück. Meine kleine Geldverlegenheit reichte nicht lange, denn Lexow, dem ich für die Spalte 1 ½ gefordert hatte schickte mir für meine „Frauen bilder“ 25. $rs. und für 4 Correspondenzen a 2 ½. $ 10. also im ganzen 35 $rs. Ich kaufte Percy gleich ein paar neue Stiefel, Hertha ein Püppchen u. sagte, daß Papa das geschickt hätte; zahlte meinen Postboten kaufte mir einen Sommerhut, einen recht kühnen breitrandigen
106 Mathilde verwendete oft die Abkürzung „Hl“, wohl um selbstgerechte Männer zu verspotten. Otto Ruppius hatte als Redakteur bei Milwaukees Gradaus gearbeitet, aber er war gerade nach St. Louis gezogen, um dort weiter seiner Karriere als Journalist und Herausgeber nachzugehen. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 4te Ward, St. Louis, Missouri, S. 215, „dwelling” (Wohnstätte) 1102, „family“ (Familie) 1489; Arndt und Olsen, German-American Newspapers, 683, 694. 107 Edmund Märklin (1816–1892) war eigentlich Apotheker, publizierte jedoch Zeit seines Lebens Gedichte und wurde unter den Deutschamerikanern sehr bekannt. Märklin sah sich 1849 gezwungen aus Europa zu fliehen, nachdem er Lieder und Gedichte über die Revolutionsbewegungen geschrieben hatte und an der Seite der nationalistischen Kräfte in Baden gekämpft hatte. Er heiratete Caroline Giesler, die Witwe eines Bruders von Mathilde. Jahrbücher der Deutsch-Amerikanischen Turnerei 3 (1894): 174–76; US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 7te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 138, „dwelling“ (Wohnstätte) 943, „family“ (Familie) 889. 108 Der aus Bayern stammende Marcus Otterburg war jüdischer Abstammung und leitete den Milwaukee Atlas. Herausgeber Bernhard Domschcke tat sich mit der Familie Otterburg zusammen und diese Bindung half Otterburg später amerikanischer Konsul in Mexiko zu werden, nachdem Lincoln zum Präsidenten gewählt worden war. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 7te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 79, „dwelling“ (Wohnstätte) 541, family 488; New York Times, 30. Juni 1867. 109 Ernst Anton Zündt und Otto Ruppius publizierten die Zeitung Gradaus ab den späten 1850ern in Milwaukee. Der Nachfolger Volksblatt hielt sich nicht einmal ein Jahr. Arndt und Olsen, GermanAmerican Newspapers, 694.
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schwarzen Strohhut, u. kaufte zwei Flaschen Wein nebst [unleserlich] u. wir tranken in Limonade deine Erinnerung. Percy ist wie du ganz recht vermuthest noch immer der kleine Schläfer. Hertha die erste die erwacht. Nur der Sontag Morgens, da finde ich ihn schon nicht mehr im Bette, wenn ich aufstehe. Da ist er schon ganz hübsch in seinem Turneranzug110, den ich ihm habe machen lassen, u. der ihm jeden Sonntag Abend mit frischer Wäsche übergeben wird, geschlüpft u. da springt er mit einem Stück Brod in der Hand zur Turnhalle, woselbst er des Morgens bis 10 oder 11 Uhr verweilt. In die Zuendt’sche Privatschule geht er gerne; ich bin viel ruhiger seit ich ihn da habe. Herthachen will auch in die Schule gehen. „Ja wenn ich in die Schule gehe, sagt sie, dann kann ich auch ein Briefchen für mein Papa machen“. den 16. July. Meine arme Maria liegt im Bette u. leidet an geschwollenem Gesicht; sie war seit einiger Zeit ziemlich gesund, obgleich sie mit ihrem Herzen noch manchen Kampf zu bestehen hatte. Deine Erzählungen über Biedermann wollten ihr gar nicht gefallen; sie sagt, Du seist eifersüchtig und betrachtetest deshalb ihren verlorenen Freund durch die schwarze Brille. Das Erstere mag recht sein, aber die Folgerung ist nicht recht. Booth seine Angelegenheit kommt in 8. Tagen vor die Court. In so fern hat sich manches anders gestaltet als er seinem frühern Advokat Arnold die Sache abgenommen u. sie Mariens Adv. Bottler111 übergeben hat. In wie fern dies für Maria beßer sein kann, vermag ich noch nicht zu sagen; Bottler ist aber so gesinnungslos als Booth u. die meisten Männer sein dürften; er hat nur einen elegantern Ruf; übrigens stets Sympathie für B[ooth] gezeigt; mehr in den eigentlichen Angelegenheiten als für Maria. Gleich viel! Maria birgt in ihrer Herzens Tiefe keinen andern Gedanken, als frei zu werden von diesem sinnlichen husband in law und wahrhaftig, sie hat recht. Mag jeglicher Support für sie u. die Kinder mit ihm fortfallen – sie hat recht; ich wollte den Mann auch vor der Welt nicht mehr als meinen Gatten haben. Seine guten Eigenschaften kennen wir, Du u. ich – aber seine bösen in der Verführung unschuldiger Mädchen, in seinen sinnlichen Trieben hast Du vielleicht noch nicht so gekannt, als wie ich sie jetzt oft höre. Er ist gemein im wahren Sinne des Worts. Mir bleibt er in der gehörigen Entfernung – er fürchtet mich. Seit Du von uns gegangen, hatte ich – ohne irgend eine weitere Provo-
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Die deutsche Turnerbewegung reicht ins 19. Jahrhundert zurück. Der 1811 in Berlin gegründete erste Turnverein war eine nationale Turngesellschaft, die verwurzelt war im Widerstand gegen die napoleonische Besetzung der deutschen Lande. Viele Turner waren in die deutschen Revolutionskämpfe von 1848 tief involviert gewesen und in den USA verfolgten die Turner eine abolitionistische und auf die Arbeiterklasse ausgerichtete Politik. Auch förderten sie die deutsche Kultur und Geselligkeit sowie die körperliche Ertüchtigung. Efford, German Immigrants, Race, and Citizenship, 25–27, 41–43. 1860 praktizierte ein Anwalt namens William F. Butler in Milwaukee. Mathilde schrieb den Namen falsch. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 1ste Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 239, „dwelling“ (Wohnstätte) 1724, „family“ (Familie) 1695.
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kation – eine etwas determinirtere Haltung eingenommen. Er durfte nicht mehr auf mein Zimmer, welches stets abgeschloßen kommen, e[tc] e[tc]. Der Grund weshalb er Arnold refüsirt hat, ist wahrscheinlich der Geldpunkt. Er sollte 1000 Doll. vor dem Prozeß erlegen u. nachher, wenn er frei noch einmal. Mit dem Geldpunkt scheint es sehr bös zu stehen. Er sorgt für die Familie nur in einzelnen Dingen; in andern gar nicht, u. da hege ich die Sorge. Ich theile mit Marien gerne was ich habe; sie thuts auch mit mir. Was der Armen bleiben wird nach dem Ausgange der Dinge, ich weiß es nicht, sie selbst weiß es nicht. Und doch – ich weiß es – ich bleibe ihr die treue Freundin; ich will sie niemals verlaßen. Sie mich auch nicht. Deine Korrespondenz an den Sentinel ist eben angekommen. Er112 schickt mir das Briefchen. Sie wird Montag (heute ist es Sonabend.) erscheinen. Der Free Demokrat wartet mit Schmerzen. Ich glaube, er wird der exacteste in der Zahlung sein. Die Westl. Blätter, die von Dir bevorzugt laßen nichts von sich hören. Die [Kriminal-Zeitung]113 mit ihren fabricirten Artikeln vom Kriegsschauplatz – die Leute denken nämlich sie seien echt – ist eine Autorität. Ich freue mich recht auf die Corresp[ondenz] im Staats-Demokrat114. Herr de Longe115 vom Atlas sagt mir, daß sie Deine Korresp[ondenz] schon lange erwarteten, ob Du denn schreiben wirst. Heute finde ich in der [Kriminal-Zeitung] meine letzte Korresp. über die Fahrt des Editoren Congreß nach Grand Rapids, meinem allerliebsten Städtchen. Diese Tour hat mir recht viele Freude gemacht; aller nur möglicher Comfort war uns von unsern Gastgebern der Railroad Comp[any] geboten; Maria war ziemlich heiter, schönes Wetter – blauer See. Wir waren zwei Nächte u. einen Tag fort. Skizze die Hölzlhuber gezeichnet u. meine Leseübung liegen für Frank Leslie bereit; er wünschte sie, bekommt sie aber nicht, bevor die alte Schuld bezahlt ist. Booth hat in unserm Interesse an ihn geschrieben. Meinen Brief, den ersten nach Zürich dirigirten wirst Du hoffentlich empfangen haben, als Du in Zürich ankamst. In Straßburg wirst Du mit Vater zusammen getroffen sein, ich freue mich darüber zu hören. Carl Anneke ist seit gestern nach Grand Rapids; er schwärmt für die Idee dahin zu ziehen; Emil wird er dort treffen. Montag Morgen.
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Mathilde meint wahrscheinlich den Herausgeber des Sentinel Rufus King. Sie personifizierte oft die Zeitungen in dieser Weise und identifizierte sie anhand ihrer jeweiligen Herausgeber. Charles King, „Rufus King: Soldier, Editor, and Statesman“, Wisconsin Magazine of History 4, no. 4 (1921): 371–81. Rudoph Lexows Criminal-Zeitung und Belletrisches Journal. Siehe Fußnote 57 (Kapitel 1). Es könnte sein, dass sich Mathilde hier täuscht, denn Schwedlers New Yorker Demokrat hieß vorher Staats-Demokrat. Arndt und Olsen, German-American Newspapers, 410. Wir konnten keine weiteren Informationen zu Herrn de Longe finden.
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Ich habe eben Deine Korrespondenz „from our European Corresp[ondent]“ mit großer Leichtigkeit gelesen. Nichts – nicht ein Wort – ist mir darin unverständlich; das Englisch ist viel leichter als meine Story, Eliot Granger.116 Booth sagt mir während des Frühstücks: Die Korresp[ondenz] sei recht gut. gut An Deinem „Germanischen Englisch“ haben sie im Sentinel nur noch zu fixen gehabt. Maria findet die Korresp. zu trocken und Deinen Proletarierhochmuth hervorblickend. Deine Fahrt in der II. Kl. hätten die faschionablen Leute nicht zu wissen nöthig gehabt. Sie hätte gewünscht die Corresp. sei etwas ornamenter für Ladies. Maria sagt übrigens „Dein Englisch sei recht schön.“ Von hiesigen Neuigkeiten lieber Fritz: Die schöne Youngs-Hall117 liegt in Trümmern, Gothic Hall sobald verschwunden und mit ihr unser Freund Negmann118 ohne Brod wiederum. Der europ[äische] Krieg führt uns wieder die dort werdende haute volée zu. Wendts119 kommen im [September] mit der Familie zurück, Finkler120 mit seiner Frau u. wie sie alle heißen. Eben lese ich daß die Westl. Blätter wirklich mit dem Anzeiger des Westens vereinigt sind; u. Ruppius sogar Mitredacteur des Anzeigers121 geworden. Da wird es also sicher genug sein, nicht wahr. So eben las ich auch Deine dritte Correspondenz, die im New Yorker Democrat. Die gefällt mir am Besten: „Von unserm eignen Korrespondenten“. Mein kleines liebes Plauderdöschen spielt den ganzen Morgen um mich herum und schwätzt Englisch. Ich wünschte nur daß Du das hören könntest; solch niedliches Englisch hast Du wol noch nie gehört. Selbst Maria sagt, wie hübsch sie spricht. Es ist ein kleines liebes Schlauköpfchen. Wenn Du erst an Ort u. Stelle einen Brief von mir hier erhalten kannst, so schicke ich Dir wieder ein Briefchen von den Kindern. Von den Gräbern unserer Todten erhielt ich ein Immergrünzweiglein.
Mathildes Fußnote: Diese Geschichte erscheint in den fortlaufenden Nrn der Stripes & Star u. wie sie kommt übersetze ich sie. The Stars and Stripes war ein kurzlebiges Magazin von Frank Leslie, von dem keine Ausgabe überlebt zu haben scheint. (Siehe Frank Leslie’s Illustrated Newspaper, 1. Januar 1859, 72.) Eliot Granger war der Protagonist im Roman Das Geisterhaus in New-York. Siehe Fußnote 37 (Kapitel 1). 117 Im Young’s Block waren mehrere Geschäfte untergebracht, u. a. der Wein- und Zigarrenladen Gothic Hall. Milwaukee Daily Sentinel, 25. Mai 1859. 118 Wir konnten Negmann nicht identifizieren. 119 Möglicherweise die Feministin Mathilde Wendt and ihr Ehemann, der Destillateur Charles. Sie waren deutsche Einwanderer und lebten im Jahre 1860 in Milwaukee. Michaela Bank, Women of Two Countries: German-American Women, Women’s Rights, and Nativism, 1848–1890 (New York: Berghahn Books, 2012), 33–34; US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 1ste Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 295, „dwelling” (Wohnstätte) 2052, „family” (Familie) 2117. 120 Der im Herzogtum Nassau geborene Achtundvierziger Wilhelm Finkler (1821–1879) war ein politisch aktiver Spirituosenhändler, der nach erfolgreichem Dienst in der Unionsarmee nach Deutschland zurückkehrte. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 7te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 97, „dwelling“ (Wohnstätte) 675, „family“ (Familie) 574; Milwaukee Daily Sentinel, 13. Juli 1874; Milwaukee Herold, 2. April 1922. 121 Siehe Fußnote 147 (Kapitel 1).
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Vergiß unsere Rosenblättchen nicht. Schick uns fort u. fort some little locken. Percy sucht eifrig nach Käfern; er hat schon eine kleine Sammlung auf seinem Brett. In dem Augenblick als ich absenden muß, habe ich sein Briefchen verlegt. Nächstens soll eins kommen von ihm. Ich werde überhaupt diesem Brief bald einen andern folgen lassen. Die nächste Woche bringt uns der Ereignisse wahrscheinlich viele und da werde ich gleich schreiben. Honorarzahlungen für Deine Korrespondenzen habe ich natürlich noch keine bekommen. Ich will Dir jedes mal ein Verzeichniß mitsenden, über das was ich an Geld eingenommen habe. Hast Du auch schon Lebenszeichen von manchen unserer Freunde bekommen? Wie wird Vater sich gefreut haben, als er Dich sah. Wie willst Du es mit deinen Geldern gehalten haben; wirst Du Dir bald Wechsel von hier – (von jedem Einzeln?) können senden lassen? Wie hast Du Beusts gefunden? erzähle mir nächstens von unsern alten Freunden, und ob Du nichts von Franziska122 gehört hast. Eben empfange ich einen Brief von Dr. Brandis123 worin er mir schreibt daß Leslie die Fortsetzung des englischen Romans nicht haben könne. nebst ich also aufhören müsse mit meiner Uebersetzung – es sei denn daß ich geneigt sei den letzten Theil des Romans für ihn selbst zu schreiben. Wenn nur die Geschichte nicht so entsetzlich amerikanisch combiniert wäre, so thät ich das mit Vergnügen, aber es ist so viel schlechtes Rowdy Pack darin aufgetreten, die ich alle dort haben muß, u. da glaube ich, wird mirs schwer werden, es zu Ende zu bringen. Ich bin mit der Uebersetzung am 10. Kapitel und müßte etwa noch zwanzig schreiben, um ein vernünftiges Ende herbei zu führen. Mit altem Muth und mit inniger Liebe bin ich Deine Mathilde.
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Mathilde kannte „Zischen“ Rollmann Hammacher seit der Kindheit und die beiden verband eine innige Freundschaft. In den meisten Quellen, einschließlich einer Biografie von 1940, zu der Mathildes Tochter Hertha Anneke Sanne beitrug, wird berichtet, dass die beiden Frauen Cousinen waren, allerdings konnten wir keinerlei Beweise für eine Blutsverwandtschaft finden. Mathilde nannte Franziskas Mutter „Tante“ und ihre Kinder nannten Franziska „Tante“, aber Mathilde und Franziska korrespondieren so, als bestünde zwischen den beiden Familien nur über sie beide Kontakt. Henriette M. Heinzen und Hertha Anneke Sanne, „Biographical Notes in Commemoration of Fritz Anneke and Mathilde Franziska Anneke“ (1940), 9, unveröffentlichtes Manuskript, Box 8. Ordner 1–2, Anneke Papers. Mathilde an Franziska Hammacher, 4.–6. Februar 1861 und [Oktober] 1862, in Ich gestehe, die Herrschaft der fluchwürdigen ‚Demokratie‘ dieses Landes macht mich betrübt, Hg. Kiehnbaum, 54, 140. Herman M. Brandis war ausgebildeter Arzt, arbeitete aber erst als Apotheker und dann später als Redakteur für die deutsche Ausgabe von Frank Leslie’s Illustrated Newspaper. Brandis, der in Hannover geboren wurde, lebte 1859 in Hoboken, New Jersey. Carl Wilhelm Schlegel, Schlegel’s German-American Families in the United States (New York: American Historical Society, 1918), 3: 289–90.
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Mary Booth an ihre Mutter Adeline Corss Milwaukee, 17. Juli 1859 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Mutter: Ich habe Deinen Brief vorgestern erhalten, aber weil ich den ganzen Tag krank war mit Neuralgie im Gesicht antworte ich erst jetzt. Mein Gesicht ist geschwollen & sieht schlimm aus, aber nicht schlimmer als es sich anfühlt. Der Gerichtsprozeß von S. hat noch nicht begonnen & es gibt wirklich keine Klarheit darüber wann er beginnen wird. Also mußt Du Dir weiter keine Sorgen machen. Wenn es so weit ist, dann ist es so weit & denke nicht dran. S_ _n124 hat Mr. Arnold entlaßen und stattdessen Mr. Butler engagiert. Ich bin sehr froh, denn Mr. Butler will sein Bestes und Mr. A. wollte das nicht. Es ist das Beste was passieren konnte. Die Menschen haben allmählich sehr viel Mitleid mit ihm, weil sie glauben er sei ein armes Individuum & sei zur Tat getrieben worden. Er sagt Hortensius Paine125 sagte gestern er hätte nach meiner Aussage keinen Tag mehr mit mir zusammenleben sollen & hätte er es nicht, so hätte ihn angesichts der Umstände keine Jury verurteilen können. Er ist nun mit Mr. Baker126 befreundet, der, sollte es nötig sein, genug gefälschte Beweise für ihn zusammen hätte. M. Butler glaubt fest er könne nicht verurteilt werden. Er glaubt er wird davonkommen. Er ist sich seiner Sache jeden Tag sicherer. Was ich sagen will ist, S__n – er denkt er sei ein schrecklich ungerecht behandelter Mensch & sagt die ganze Welt werde das bald erfahren. Er sagt immerzu ich hätte all das Unheil über ihn gebracht & immer wenn ich noch kränker werde fängt er davon wieder an. Es ist jedenfalls sicher, daß wir ohne Madam Anneke verhungern würden. Sie kauft mir Arzneimittel & hat mir nun neun Flaschen Wein gebracht. Sherman hat nie auch bißchen Es gibt keine Kirche in St. Paul’s. Mr. nur ein wenig Geld – nicht das kleinste bißchen. Richmond ist weg. Spalding predigt nun in Mr. Thomsons Kirche.127 Sherman hat einen Mann beauftragt, der in der „Jury der Diakone“128 saß, die ihn damals verurteilte. Der Mann soll Nachweise für den schlechten Charakter des Mädchens auftreiben & er
124 Sherman Booth. 125 Hortensius Paines Bruder, der Richter Byron Paine, hatte Sherman Booth 1854 während seines Gerichtsprozesses in Sachen der Glover-Affäre verteidigt. Watrous, Memoirs of Milwaukee County, 1: 544. 126 Erasmus D. Baker war praktizierender Arzt in Milwaukee. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 4te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 87, „dwelling“ (Wohnstätte) 664, „family“ (Familie) 662. 127 Henry M. Thompson war leitender Pfarrer der Episcopalian Free Church of the Atonement. Milwaukee Daily Sentinel, 15. Januar 1859. 128 Dieser Verweis deutet darauf hin, dass ein Komitee von Kirchenoberen Sherman Booth für seine Taten kritisierte.
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sagt nun er hege die große Hoffnung, daß mein Auftritt schließlich, wenn ich komme um das Schlußplädoyer zu hören, die Jury umstimmen wird. Mr. Butler sagt das auch. Er sagte zu mir: „Sie dachten er sei schuldig & daß Sie das Richtige getan haben, aber jetzt haben Sie Ihre Meinung geändert, geändert Sie denken nun er sei unschuldig & so sage ich: Sie kommt als seine Vertraute, als seine Frau hierher – & ihretwegen & ihrer Kinder wegen dürfen Sie ihn nicht verurteilen“. & etc. Was hältst Du davon? Lorenzo sagt ich dürfe es niemals tun, niemand würde mich mehr respektieren. & Madam Anneke sagt ich solle es nicht tun. Sie wird alleine hingehen & sehen was dort vor sich geht. Sie hat vor niemandem Angst & ist zu charakterstark, um durch irgendetwas verletzt zu werden. Lorenzo sagt ich soll mit ihm an die Ostküste wenn er dort hingeht und nichts sonst würde helfen, aber das ist ganz und gar unmöglich. Er hat Angst ich müsse vor Gericht, ob ich krank bin oder nicht. Ich sehe Mrs. Merrill nur sehr selten. Ich bin nicht stark genug viel vor die Tür zu gehen & ich mag nicht zu diesem Haus gehen, wo so viele schlechte männliche Untermieter sind. Mrs. Cook129 wettert nun gegen Mary130 und mich. Sie sagt wir seien so schlecht wie S____ & etc. – Sie ist eine „arme Kreatur“ & muss Morphium nehmen, um am Leben zu bleiben. Ein Baptistenpfarrer, der in Grand Rapids Zeitungsherausgeber ist, kam hierher, um dem Prozeß beizuwohnen und blieb drei Tage. Er will wiederkommen & weil er ein guter, feiner Mann ist bin ich froh darüber, denn er lenkt S____n ab. Sherman sagt er wolle mit mir niemals wieder auch nur einen Tag zusammenleben, falls er verurteilt werde! – Das amüsiert mich! Wie könnte er wenn er doch dann im Staatsgefängnis säße? Wenn er tatsächlich verurteilt wird, dann wird er einen neuen Prozess beantragen. Wir haben dauernd neue Mädchen131, aber was hilft es. Ich sprach mit dem jetzigen bevor es kam & erzählte ihm alles und welches Verhalten ich erwarte & etc. – Sag Ella ich habe zwei Nachthemden und beide Arten für sie, aber es ist erst eines fertig. Ich werde Lorenzo die Nachthemden mitgeben. Ich habe S. gedrängt Geld für Ella zu schicken.
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Wahrscheinlich Adeline Cook, die Mutter von Sherman Booths Opfer. Möglicherweise Mary Briggs. Siehe Fußnote 105 (Kapitel 1). Wahrscheinlich Haushaltsgehilfinnen.
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Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke Samedan, Schweiz, 19. Juli 1859 Geliebte Mathilde! Seit dem 16. bin ich mit Beust hier in der Schneeregion132 bei Emmermann133, der seit einer Reise vor Jahren als Förster hier angestellt ist. Der Friede hat in meinem Korrespondenz-Unternehmen eine böse Störung gemacht. Hätte ich mich noch so sehr beeilt, ich würde nicht einmal rechtzeitig zur Schlacht von Solferino am 24. Juni134 eingetroffen sein. Wir landeten gerade an dem Tage in Southampton. Dann kam, während ich in Zürich war, der unglückselige Waffenstillstand und ein Paar Tage später der noch unglückseligere Frieden. Um wenigstens einige Berechtigung für meine Korrespondenzen zu haben, müßte ich nothwendig noch nach Italien. Ehe die Verhältnisse dort wieder „regulirt“ sind, wird noch einige Zeit vergehen, und es wird noch manche Schwierigkeiten und Kämpfe geben. Die in der Nähe zu sehen, würde jetzt meine Hauptaufgabe sein. Ob die Revolution jetzt in Italien ihr Haupt erheben wird, wird wesentlich von dem Verbleiben der französischen Truppen abhängen. Bleiben die da und werden als Exekutionstruppen zur Unterdrückung der allgemeinen Unzufriedenheit der Italiener über den schmachvollen Frieden, welche sich am deutlichsten in dem Rücktritt des Ministeriums Cavour ausspricht, zur Wiedereinsetzung der Fürsten von Toscana, Modena und Parma, und zur Wiedereroberung des Kirchenstaates für den Papst verwendet, so kann Italien vor der Hand wenig machen, es sei denn, daß die französischen Soldaten zu einem solchen Schergendienst sich nicht hergeben. Möglich wäre das. Eine verbürgte Nachricht aus Mailand sagt, daß viele französische Offiziere ihre Säbel zerbrochen und ihre Epaulets und Orden heruntergerissen haben, aus Zorn über den schmählichen Frieden. Daß Garibaldi135, und daß namentlich Mazzini jetzt nicht müßig ist, läßt sich denken. Was sie aber eigentlich treiben und vorhaben, 132 133 134
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Samedan ist ein kleiner Ort im Osten der Schweiz und grenzte zu dieser Zeit an das italienische Königreich Lombardo-Venetien. Wie auch der Skiort St. Moritz liegt Samedan in der Region Engadin. Wir konnten keine weiteren Informationen zu Emmermann finden. Truppen aus Frankreich und dem norditalienischen Kaiserreich Sardinien besiegten am 24. Juni österreichische Truppen in Solferino in der Lombardei. Im darauffolgenden Waffenstillstandsund Friedensvertrag trat Österreich die Lombardei an Sardinien ab und willigte in die Bildung einer italienischen Konföderation unter der „Honorarpräsidentschaft des Papstes“ ein. Diese Vereinbarung blieb weit hinter den Zielen des sardinischen Premierministers Camillo Benso, Graf von Cavour, zurück, der Frankreich um Unterstützung gebeten hatte, um den Österreichern die Kontrolle über die italienischen Länder komplett zu entziehen und so die italienische Vereinigung herbeizuführen. Arnold Blumberg, A Carefully Panned Accident: The Italian War of 1859 (Selinsgrove, Penn.: Susquehanna University Press, 1990), 135, 140. Der italienische Truppenführer Giuseppe Garibaldi galt als internationale Ikone und war berühmt für sein Bestreben, Italien auch 1848 bereits unter einer republikanischen Regierung zur Einheit zu führen. Alfronso Scirocco, Garibaldi: Citizen of the World (Princeton: Princeton University Press, 2007).
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darüber ist hier nichts zu erfahren. Nur die unbestimmtesten Gerüchte vernimmt man hier; verbürgte Nachrichten kommen erst spät. Am 14. reiste ich mit Beust ab. Wir fuhren zu Dampfschiff bis nach Rapperswÿl ans Ende des Züricher Sees, dann per Eisenbahn bis nach Chur136, und marschirten von dort denselben Abend bis nach Churwalden. Die Reise war sehr angenehm. Erst der schöne Zürcher See mit seinen lieblichen Ufern, die Ruinen des von den Zürichern vor x Jahren zerstörten Schlosses des Grafen von Rapperswyl, auf einer hohen Halbinsel im See gelegen, die zu beschauen wir Zeit genug hatten; dann die wilden Urgebirge zu beiden Seiten der Eisenbahn, der kleine Wallen See mit seinen schroffen Felswänden, die 4–5000 Fuß hoch emporstarren, der Vater Rhein in seiner Jünglingsperiode und das Städtchen Chur, ganz in einem Thalkessel gelegen und völlig von Bergeriesen eingeschlossen….
Mary Booth an ihre Mutter Adeline Corss Milwaukee, 4. August 1859 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Mutter: Der Prozeß dauert nun schon 8 Tage an. Mr. Carson137 & Carpenter haben ihre Plädoyers abgegeben. Nun ist Mr. Palmer dran. Ryan gibt morgen sein Schlußplädoyer. S. hat kein bißchen Angst. Sie waren erfolgreich bei ihrem Versuch das Mädchen bezüglich ihrer Aussage einzuschüchtern & sie, das arme Ding, traut sich nicht mehr alles zu sagen – & obwohl S. glaubt freigesprochen zu werden, glaube ich die Jury wird das anders sehen. Ich traue mich nicht, Dir die Unterlagen mit der Aussage zu schicken aus Angst, Jane könne sie in die Finger bekommen. Es wird in Buchform erscheinen. Dann schicke ich es. Maus Sie läuft über ihre Hände Sag Ella Lillian hat ein neues Spielzeug – eine kleine Maus. & Arme & ganz zu meinem Entsetzen küßt sie sie & weint wenn sie wegläuft. Sie ist jetzt ein sehr gutes & mildes Kind. Ich selbst fühle mich nicht sehr gut & weiß nichts mit mir anzufangen. Der Doktor kommt jeden Tag zu mir. Meine herzlichen Grüße an Ella & an alle. Immer die Deine, Mary
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Circa 90 Kilometer weiter in südöstlicher Richtung. Edward G. Ryan und der Staatsanwalt Dighton Corson erhoben Anklage gegen Sherman Booth und Henry L. Palmer und Matthew Carpenter waren seine Strafverteidiger. Trial of Sherman M. Booth for Seduction, 4.
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Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, 2.–17. August 1859 Mein lieber Fritz! Es war gerade am 22. July; ich feierte in aller tiefen Stille den Tag der Geburt unseres unvergeßlichen Kindes, unseres Fritz, ich feierte den Tag unsers Wiedersehens mit ihm in Straßburg138; ich war mit meiner lieben Maria allein zu ihrer Grabstätte139 hinaus gefahren und da unter den Schatten der großen weinumrankten Eiche habe ich mich ausgeweint und ihr gesagt, welch ein harter Tag für mich war. Von den Hügeln zurückkehrend, lenkte ich das Pferd der Post zu, und empfing Deinen lieben Brief von Zürich – den ersten wieder aus diesem Eldorado so wehmütiger Erinnerungen. Dein Brief hat mir den ganzen Abend Thränen, bittere Thränen aus gepreßt. Die Erinnerungen an Fritzchen überwältigten mich bei den dunklen Rosen und den Weinblättchen so sehr – ich sah das Kind wieder in seinem grünen Kleidchen und blauen Sammtröckchen – sein kleines blaßes Gesichtchen, wie es jeden Tag mehr u. mehr zunahm, nachdem es die gute Schweizer milch täglich genoß – – ach Gott, was ist seit dieser Zeit und heute nicht alles zu Grabe gegangen. Alles – alles – nichts ist geblieben was ich in dieser Zeit zu besitzen geträumt habe – alles Traum – Traum! Und wie ich nun so in einer ganz andern Welt stehe Andre Kinder wie damals – andere Lieben, – andere Blumen, – andere Fluren –, andere Luft – andere Erde – andere Heimat. Ich glaube ich habe hier auf dieser Erde schon vier Leben ausgelebt!140 – Laß mich abbrechen und auf das bisschen bloße Wirklichkeit eingehen, die uns umgibt. Der Plan ist gelungen, so gut wie jemals Dir einer im Leben gelang, lieber Fritz! Wenn nur der zu baldige Friede Dir nicht eher großen Abbruch thut. Für den Augenblick, da Du gerade festgebannt, kam er wol erwünscht, uns hier erschien wenigstens Dein Aufenthalt in Zürich angemessener als auf dem abgethanen Kriegsschauplatz. Die Verhandlungen sind unzweifelhaft eine Zeit lang noch interessant genug, und man ist entsetzlich gespannt auf die nächsten Nachrichten…. Ueber Vaters Art und Weise Deiner Begrüßung in der Heimath haben mir dann doch die Haare zu Berge gestanden! Daß Dir nach einem solchen Willkommen nicht der ganze vaterländische Boden verhaßt wurde, das ist ein wahres Wunder. Dies Spieß-
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Nach den Kämpfen in Baden 1849 wurden Mathilde und Fritz in Straßburg mit ihrem Sohn wiedervereinigt. 139 Mathilde scheint Mary zum Grab von deren Tochter Alice (1852–1853) begleitet zu haben, welche mit nur sechs Monaten verstarb. Am Friedhof Forest Home Cemetery trauerten sie um die Kinder, die sie verloren hatten. 140 Bei Maria Wagner heißt es hier „anders lieben“, „andere Lust“ und „viele Leben“ statt „ander[e] Lieben“, „andere Luft“ und vier Leben“. Wagner, Mathilde Franziska Anneke, 107. Einige Arbeiten zu Anneke stützen sich auf Wagners inakkurate Transkriptionen, wie beispielsweise Gebhardt, Mathilde Franziska Anneke, 191; Joey Horsley und Luise F. Pusch, Hg., Frauengeschichten: Berühmte Frauen und ihre Freundinnen (Göttingen: Wallstein Verlag, 2010), 7.
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bürger – dieses Philistertum, bei Gott – da will ich lieber die Bären und Wölfe des Urwaldes ertragen als Eure von Unnatur und verborgener Roheit balsamisch geschwängerte Heimathluft. Ohne Zweifel wirst Du mit Hilfe Annas141 gesühnt worden sein. Mir gilt solche Sühne gar nichts; denn uns war solcher Affront schon mehrmals geboten. Ich vergesse nie die Zeit Deiner Gefangenschaft, die mir so grausam zum Vorwurf gemacht wurde. Nachher sollte ein Geldgeschenk alles verschmerzen helfen – ich habe es niemals vergessen; und jetzt mußt Du eben eine zweite Auflage dieser Kränkung erleiden. Armer Fritz, der Du von der Liebe zum Vater – von der Sehnsucht ihn noch einmal wieder zu sehen, hauptsächlich mit angetrieben wurdest – Deine zweite Heimath zu verlassen, und das Weltmeer wiederum zu durchkreuzen. – Booth steht vor den Schranken. Du kannst Dir diesen originellen, wenn auch verabscheuungswürdigen Kauz nicht denken! Meiner Ansicht nach wird er frei kommen. Jedenfalls wünsche ich ihm nicht, so schlecht er auch sein mag, das Staats Gefängnis. Maria befindet sich besser, als ich gefürchtet habe. Bis jetzt ist ihrer kaum erwähnt in den Verhandlungen. Drei Tage währt die Geschichte schon – u. ich glaube nochmals drei Tage u. sie ist nicht zu Ende … Nun und ich habe durchaus keinen Mangel, bedaure aber nur daß das Leben so viel kostet. B[ooth] selbst ist ganz ohne Geld; die Sorgen fürs Haus obliegen mir fast gänzlich. Nach dem Prozeß muß das anders werden. Wie angenehm muß Dir der Aufenthalt in Zürich sein! wie oft denke ich jetzt wieder an das schöne Land! Manchmal ist mirs als ob ich Heimweh nach dem blauen See hätte. Und Herwegh142 war auch zum Schützenfest da! Das Alpenglühen hat seine Poesie wieder geweckt; wie hübsch sein Gedicht vom 6. July das hier durch die Blätter schon die Runde macht. Grüße ihn von mir, willst Du!? Frag ihn, ob er mir Gedichte mittheilen will? Ich möchte hier einen deutsch-amerikanischen Almanach herausgeben u. die dortigen Poeten dazu auffordern! Einen Verleger fände ich schon, wenn solche Poeten ihre Hand sich reichten. Unser Oleander blüht wunderschön und erinert uns oft an Dich. Maria behauptet er gehöre ihr – ich behaupte er gehöre niemanden. Alle meine Blumen pflege ich gut. Heute ist schon der 2. August; der boothsche Prozeß ist noch in vollem Gange; niemand zweifelt daß er freigesprochen. Das Resultat theile ich Dir noch mit. Banner ist sehr pikirt, daß Du ihm keine Corresp[ondenz] sendest, u. Atlas hat schon einen der Ersten erwartet. Wie gelegen Dir doch der Friede kommt; ich hoffe nämlich nur daß er ein temporärer sein wird; – auch der Congreß der Gesandten143 findet in Zürich statt. 141 Anna Beust. Siehe Fußnote 94 (Kapitel 1). 142 Georg Herwegh (1817–1875) war ein deutscher Dichter und Übersetzer, der bereits vor 1848 für seinen Radikalismus bekannt war. Er kämpfte mit den Annekes in Baden. Von 1849 bis 1866 lebte er im Exil in Zürich, wo er zu den engsten Freunden der Annekes zählte. Encyclopædia Britannica, 11te Aufl., 13: 405. 143 Vertreter aus Frankreich, Sardinien und Österreich trafen sich, um den Vertrag von Zürich (10. November 1859) abzuschließen, der dem Konflikt in den norditalienischen Landen offiziell ein Ende setzte. Blumberg, A Carefully Planned Accident, 143–63.
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Alte und neue Bande
Da bist Du ja von einem guten Stern zurückgehalten. Ich wollte Du hättest mehr noch von dem Schützenfest geschrieben; alle Blätter hier sind voll davon. Es müssen andere Corresp[ondenten] noch von der Schweiz für hier sein. 3. August. Da bekomme ich Dein liebes Briefchen p[er] Michigan Journal. Du bist also nach Italien gegangen, zu spät um den Krieg zu sehen, aber nicht zu spät Italien zu sehen. Du hast in jedem Falle recht gethan. Mit dem guten prächtigen Beust hätte ich auch eine solche Reise gemacht. Ist das Männchen noch immer so lebensfrisch? Schick mir doch gelegentlich mal Bilder von der ganzen Familie, wenn Du kannst. Percy hat bald seinen Geburtstag, ich will ihn in Deinem Namen recht schön beschenken. Hertha fragt mich heute; sag mir, wann gehen wir zum Papa in Italia? Fahren wir dahin? Ja im Schiffchen, das schwimmt auf das große Wasser. „Vasser“ sagt sie. Könntest Du sie doch endlich plaudern hören. – Ich denke mir, so um die Zeit des 24. July144 muß es in Paris heiß zugegangen sein; ich kann nicht denken, daß ohne eine Erhebung des Volkes der Friedensschluß effectiv stattfinden sollte. In den Straßen von Paris muß viel Zauder aufgehäuft liegen nur da vertrau ich der Julysonne, die entzündet was da entzündet werden muß. – Deine Correspondenzen können immerhin auch ohne die Schlächterei in Italien intereßant genug werden. Europäische Briefe scheinen den Blättern allen Bedürfniß. Gallo145 begegnet mir gestern und fragt: warum Anneke denn uns nicht schreibt. Ich sagte ihm den Grund, ließ ihm indeß noch Hoffnung. Die Freie Ztg146 hat mir kein Briefchen von Dir gesandt; ob sie Deine Cor[respondenz] überhaupt bekommen hat, ich will mal anfragen. Deine zweite Corr[espondenz] für die „Westlichen Blätter“ ist angelangt, aber in der folgenden Nr. noch nicht erschienen. Statt dessen ist aus dem Reisebericht Bernays147 die Beschreibung der Seefahrt, ziemlich nett geschrieben, abgedruckt. Ruppius nichts. Ueber die zwei scheint er aber schreibt mir von einer dritten Kor[respondenz] nichts nicht sehr erbaut; über die erste, in der That, ich wäre es auch nicht, u. noch immer kann ich kaum von Dir denken, solch fades Zeug zu schreiben – die zweite natürlich habe ich noch nicht gelesen. Honorar wirst Du wol nicht dafür bekommen, so viel sehe ich schon – u. ob Börnstein auf meine Bitte Dir einen Wechsel ein zusenden, 144 Die Bereitschaft von Napoleon III von Frankreich, nach der Schlacht von Solferino (24. Juni) einen Waffenstillstand mit Österreich zu unterschreiben, verärgerte italienische Nationalisten und andere Europäer, die auf ein vereinigtes, demokratisches Italien hofften. Blumberg, A Carefully Planned Accident, 141–42. 145 Gallo scheint ein Zeitungsherausgeber zu sein, aber wir konnten ihn nicht genauer identifizieren. 146 Die republikanische New Jersey Freie Zeitung wurde in Newark herausgegeben. Arndt und Olsen, German-American Newspapers, 307. 147 Karl Ludwig Bernays (1815–1879) war ein deutschstämmiger Journalist, der mit Heinrich Börnstein und Karl Marx in Paris zusammengearbeitet hatte und an der Französischen Revolution von 1848 teilgenommen hatte. Er verließ Europa und ließ sich in St. Louis nieder, arbeitete für den Anzeiger des Westerns, als Schriftführer für die Republikanische Partei in Missouri und bekleidete diverse andere Positionen. A. E. Zucker, Hg. The Forty-Eighters: Political Refugees of the German Revolution of 1848 (New York: Columbia University Press, 1950), 278.
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eingeht – – muß ich abwarten. Der edle Atlas zahlt nicht die drei Dollar die er Dir schuldet. Ich habe die 15. Doll. bereits angebrochen; hätte es nicht nöthig gehabt, wenn meine in vergangener Woche zahlbaren fünf Doll. von Leslie eingegangen wären. Dr. Br[andis] schreibt einen registrirten Brief, schreibt darin, inliegend wiederum fünf Doll. abschlägig – aber inliegend ist nichts! Ob u. wo da die Spitzbuberei ist, mögen die Götter wissen…. 17. August. Lieber Fritz, wenn mein Brief später kommt, als er sollte, so mußt Du mir dieses Mal schon verzeihen. Ich weiß selbst nicht, wie es gekommen, daß ich ihn nicht früher vollendete. Ich kann und soll nicht viel sitzen. Wenn ich eine Stunde gearbeitet habe, so fühle ich mich so erbärmlich; mein Leberleiden wird wol niemals gründlich curirt. Der Prozeß Booths hat 11 Tage gewährt; die Verhandlungen waren der zweideutigsten Art. Kein anständiger Deutscher, der auf freie gute Reputation was gegeben, hat ihm beigewohnt. Das Ende ist von ihm, daß ein zweiter Prozeß folgt, die Jury konnte sich nicht einigen, sie stand 7 gegen 5 für ihn. In 6 Wochen soll der andere folgen. Die arme Marie, sie fühlt immer mehr u. mehr die Nothwendigkeit von ihm los zu kommen; sie verachtet ihn seiner Leidenschaften wegen so gründlich, während sie ihn seiner Elemente u. guten Eigenschaften wegen so schwesterlich duldet. Seine Sorgsamkeit für ihren Comfort ist in Wirklichkeit nicht sehr groß; da wo er sie zur Dienerin seiner Eitelkeit machen kann, zeigt er sie. – – Percys Geburtstag hat mich seit einigen Tagen beschäftigt. Dein Bildchen ist angelangt u. er ist glücklich gewesen über diesen directen Gruß von Dir. Ich habe Alles in Bereitschaft; einen ganz neuen Anzug, eine schwarze Hose, neue Stiefel (in 4. Wochen hat er mir ein paar ganz neue Stiefel verthan) neuen Kittel, 4. neue Hemden; ein Portmonaie, ein kleines Taschenbuch, Kniker148, Bleifedern u. Schreibbücher. Morgen hat Marie ihm eine Gesellschaft – die ganze Familie, Booths Familie, Ida, Alma, Franklin, zwei Zündts149 geladen; sie backt Kuchen; macht Fruchtlimonade; Booth hat ein 1/9. ts. Kandy150 zu dem Zweck angekauft. e[tc] e[tc] der kleine Kerl macht mir viel zu schaffen; er ist sehr unfolgsam, unordentlich, – träumt den ganzen Tag…. Lebe wohl und vergiß uns nicht Deine Dich liebende Mathilde –
148 Norddeutsch für Murmel. 149 Alma and Ida Weiskirch waren die jungen Töchter von Mathildes Schwester Johanna. Franklin Giesler war der 17-jährige Sohn von Caroline Märklin, der Witwe von Mathildes Bruder. Siehe Fußnote 107 (Kapitel 1). 150 Mathilde verwendet möglicherweise die Abkürzung für Teelöffel (teaspoons), um in übertriebener Weise auf Booths Knauserigkeit hinzuweisen.
Kapitel 2 Nach Europa September 1859–August 1860
Ein erneutes Gerichtsverfahren im Fall Sherman Booth wegen „Verführung“ wurde von Strafverfolgern abgelehnt. Dennoch kam keine Ruhe und Alltagsroutine in das Leben von Mary, Mathilde und Fritz. Ende 1859 und Anfang 1860 lebte Booth mehrere Monate lang mit Mary, Mathilde und den Kindern Percy, Hertha und Lillian in seinem Haus in Milwaukee. Während die anderen Mitglieder im Haushalt durchaus noch gerne zusammenlebten, führte das Zerwürfnis des Ehepaars Booth zu großen Spannungen. Finanzielle Sorgen verstärkten die persönlichen Probleme innerhalb der Familien Booth und Anneke noch. In fast jedem Brief, den Mathilde an Fritz nach Europa schrieb, fanden sich lange Listen von Zeitungsherausgebern, die sie nicht für ihre Arbeit bezahlt hatten. Mathilde hatte so wenig Geld, dass es ihr nicht immer möglich war, genug beiseitezulegen für das Frankieren der Post und auch wenn sie sich Briefmarken leisten konnte war der internationale Postverkehr unzuverlässig. Mathilde und Fritz schrieben sich gewohnheitsmäßig mehrmals die Woche, aber viele der Briefe kamen Monate später oder auch gar nicht an. Ihre Briefe waren unter diesen Bedingungen zunehmend repetitiv und manchmal auch vorwurfsvoll. Vor dem Hintergrund juristischer und politischer Machenschaften entwickelten sich auch die persönlichen Dramen weiter. Sherman Booth wurde am 1. März 1860 erneut festgenommen, für etwas, das im Jahr 1854 zurücklag: Booth hatte die Einwohner Wisconsins ermutigt, Joshua Glover beim Gefängnisausbruch zu helfen. Bei früheren Gerichtsverhandlungen war Booth vom Obersten Gerichtshof des Staates Wisconsin zweimal freigesprochen worden, mit der Begründung, dass Glovers Inhaftierung eigentlich illegal war, da der Fugitive Slave Act von 1850 verfassungswidrig war. Den Richtern in Wisconsin war es jahrelang gelungen, die staatliche Überprüfung des Falles zu verschieben. Allerdings hatte der nationale Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten 1859 die Staatsentscheidungen gekippt und so die Voraussetzungen für Booths
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erneute Verhaftung geschaffen.1 Während Booths Inhaftierung im Jahre 1860 heckten Mary, Mathilde und andere Unterstützer ständig Pläne aus, um ihn aus dem Gefängnis zu befreien. Doch auch wenn sie erfinderisch wurden, um Booth zu helfen, trafen Mathilde und Mary auch Vorbereitungen, ihn so schnell wie möglich zu verlassen. Sie bestiegen im August 1860 im New Yorker Hafen ein Segelschiff in Richtung Europa.
Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke Zürich, 10. September 1859 Liebe Mathilde! Ich muß Dir wieder einen größern Brief schreiben, trotzdem ich von Dir gar nichts höre. Heute sind es 71 Tage, seitdem ich Dir von hier aus schrieb, daß ich Vater nicht gesehen hätte und auch nicht sehen würde, und daß er mir kein Geld vorstrecken könne oder wolle. Heute sind es ferner 33 Tage, seit Dein Brief vom 20. Juli, dem Du sehr bald einen andern nachzuschicken versprachst, hier eintraf, 33 Tage, also beinahe fünf Wochen! Hast Du mich unterdeß ganz vergessen, oder ist ein Brief von Dir verloren gegangen? Anders weiß ich mir dieses fabelhafte Schweigen nicht zu erklären. Meinen Brief aus Mailand vom 20. August, die Antwort auf den Deinigen vom 20. Juli, den ich erst am 18. August bekam, wirst Du in diesem Augenblick haben, und die vielen kleinen Einlagebriefe, die ich seitdem folgen ließ, werden ebenfalls angekommen sein, bevor Du diesen erhältst. So ganz und gar von aller Verbindung abgeschnitten zu sein, ist in der That niederschlagend, und das drückende Gefühl der Finanznoth, unter dem ich zu leiden habe, wird dadurch zusehens erhöht…. Ich weiß nicht, was von meinen Arbeiten angenommen, und wie es favorirt werden mag. Eben so wenig weiß ich, wie es mit Deinen Existenzmitteln aussieht, und was ich für Aussichten habe, mich hier am Leben zu erhalten. Von Rückkehr nach Amerika kann für mich jetzt keine Rede sein. Abgesehen davon, daß bis zum nächsten Jahre jedenfalls wieder Krieg2 sein wird, daß es also thöricht wäre, wenn ich jetzt durch eine Rückreise Zeit und Geld verschwenden wollte, sehe ich auch gar nicht ab, wie ich in den Besitz des erforderlichen Geldes gelangen soll. In meinem Mailänder Brief hatte ich Dir den Vorschlag gemacht, wo möglich in diesem Jahre noch herüber zu kommen. Ob es thunlich und ratsam ist, mußt Du von dort aus am besten beurtheilen können…. Mein Brief von Mailand frankirte ich. Diesen kann ich nicht frankiren, ich muß es dem Schicksal überlassen, ob Du das nöthige Porto erschwingen kannst, oder ob Maria sich wieder Candy für das Geld gekauft hat. 1 2
H. Robert Baker, The Rescue of Joshua Glover: A Fugitive Slave, the Constitution, and the Coming of the Civil War (Athens: Ohio University Press, 2006), 94, 130, 169. Auf der italienischen Halbinsel.
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Nach Europa
Hier in Zürich würdest Du Dich sehr behaglich fühlen, indem auf dem hiesigen Museum wenigstens 30–40 Zeitschriften und tausende von Büchern und Broschüren sind, die in „Dein Fach“ einschlagen. Weibliche Wesen gehen zwar nie hin nach dem Museum, aber Du würdest diese Unsitte brechen. Es ist aber doch wirklich zu arg, von Dir und von meinen lieben Kindern und von Indianae3 so ganz und gar nichts mehr zu hören! Ich lege einige Blumen mit bei; die kleinen wilden sind von der Via mala, die zahmen in Campo dolcino in Italien, nicht weit vom Splügen Paß, gepflückt. Zürich strotzt von Blumen, besonders der Weg vom tiefen Brunnen zur Stadt. Da ist eine Fülle von Dahlien, Rosen, Astern, Winden, Oleander, Geranien, Fuchsien etc. etc. Auch der Blüthenbaum, von Dir „Scheinrose“ genannt, ist zahlreich und in allen Farben vorhanden. Ich weiß Dir jetzt nichts, gar nichts mehr zu schreiben, als daß ich vor Verlangen, von Euch endlich wieder etwas zu hören, schier umkomme. Ich mache nun, daß der Brief zur Post kommt. Vergiß nicht ganz und gar Deinen Fritz.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, 23. September 1859 Lieber guter Fritz! Dein artiges Briefchen vom 19. August, den ersten, den ich von Mailand aus empfing, kam gerade am 9. Septbr in meine Hände. Heute schreiben wir schon den 19. September und ich mußte mir wirklich große Vorwürfe machen, daß ich nicht früher antwortete, aber wenn Du mich sähest so in all meinen troubles, Du würdest schon ein bischen Geduld haben…. Unsern Kinderchen geht es gut; Percy läßt sich gewaltig schwer ziehen; er verbraucht entsetzlich viel an Kleidung und Schuhe. Letztere, wie ein paar für 10. Schilling4 waren in 3. Wochen gänzlich untauglich. Herthachen ist für beinahe weniger als kein Geld zu unterhalten; sie soll gute Winterkleidung jetzt haben, es ist hier schon recht winterlich. Marie näht uns Alles. Ein schönes Winter hütchen hat sie ihr eben gemacht; Nachtkleidchen u. andere Kleidchen. Mit Lilian spielt sie jetzt sehr nett. Marie ist gestrenger mit ihr wie sonst, u. das ist ein Vortheil bei Herthachen. – Meine Lebensweise ist sehr einförmig: ich sitze den ganzen Tag am Schreibtisch oder am Flicken; Abends gehen wir dann und wann zur Großmutter; ich gehe nie ohne Maria; wir verlassen uns keine Stunde, sie sitzt neben mir wenn wir arbeiten und wir sind 3 4
Mary. Siehe Fußnote 63 (Kapitel 1). „Schilling“ war im 19. Jahrhundert ein umgangssprachlicher Begriff für einen Achteldollar. Walter D. Kamphoefner, Wolfgang Helbich und Ulrike Sommer, Hg., News from the Land of Freedom, Übers. Susan Carter Vogel (Ithaca, N. Y.: Cornell University Press, 1991), 608.
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glücklich, daß wir uns gefunden um uns nie wieder von einander zu trennen. In ihr gutes liebliches Gemüth blicke ich täglich tiefer und ihre kleinen Schwachheiten im gewöhnlichen Leben sind mir so lieb, als ihre Tugenden. Ich weiß, sie liebt mich auch und ich fühle mich mal wieder glücklich geliebt und verstanden zu werden. Dein schöner Plan, lieber Fritz diesen Winter zu Dir zu kommen, gerinnt zu Wasser. Wo sollten wir hier für unser Wachstuch – wo für unsere Möbel etwas bekommen; das Geld gehört hier beinahe in das Reich der Fabel; es ist ein trauriger Zustand hier u. ich weiß nicht wie es enden wird. Stirn5 zahlt mier gar nichts; ob er nichts verkauft, wie er sagt, es mag sein. Meine Doktorrechnungen sind 11. Doll. bei Fessel u. 7. bei Müller6: Herthachens Operation scheint mir nach dem guten Maschinchen fast unnöthig, das Füßchen bessert sich zusehens; sie tritt auf den vordern Theil des Fußes platt auf u. läuft mit jedem um die Wette[,] sie selbst sagt, „mein Füßchen ist jetzt gut genug“ es braucht nicht geschnitten zu werden. Ihren Papa vergißt das Kind nicht; der Percy aber auch lacht mit dem ganzen Gesichtchen, wenn er von Dir spricht. Die Liebe der Kinder zu einander ist rührend; Herthachen beherrscht den Percy; sie sind im Hause recht glücklich ihr schöner Spielplatz und die großen Räume, alles machen sie sich zu Nutzen. Dabei sind Booth so sehr rücksichts und nachsichts voll; man glaubt, es wären ihre eigenen Kinder. Er ist so artig und gut für sie, wie Maria wirklich liebevoll. Wenn ich mich unwohl befinde, so habe ich eine Pflege und Sorgfalt, wie ich sie nirgend haben kann. Meine Gesundheit ist immer noch nicht fest, meine Leber u. was es ist Gallensteine, rumoren fortwährend. Ich habe zu viel gesessen eine Zeit lang, und denke wieder nächste Woche von der Generosität einiger Ensembale Compagnien Gebrauch zu machen. Ich habe die Einladung von Hl Movius7 auf den schönen neu erbauten Steamers „Detroit und Milwaukie“ Spazierfahrten zu machen; ich habe Tickets für mich und Maria; der erste schöne Herbstmorgen soll uns nach Grand Haven entführen; es ist jetzt sehr kalt u. unfreundlich. Heute Abend gehen wir in die Oper; die Tickets zu ihr sind sehr sparsam vertheilt, ich aber habe zwei sogar vom Verein bekommen. Die regelmäßigen Correspondenzen, die ich jetzt wöchentlich bringe, schei-
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Möglicherweise Henry Stirn, ein Hersteller von Bilderrahmen und bürgerschaftlich engagierter lokaler Geschäftsmann. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), Milwaukee, Wisconsin, S. 37, „dwelling“ (Wohnstätte) 315, „family“ (Familie) 339; Milwaukee Daily Sentinel, 26. Februar 1859, 28. August 1860 und 26. September 1862. Carl Müller war ein Arzt aus Sachsen, der später in den amerikanischen Bürgerkrieg zog. Louis Frederick Frank, The Medical History of Milwaukee, 1834–1914 (Milwaukee: Germania Publishing Co., 1915), 31. Der deutschstämmige Julius Movius war der Generalvertreter für die Great Western Railroad und die Detroit und Milwaukee Railroad. Unter seiner Leitung investierte die Detroit und Milwaukee Railroad in Schiffe, die den Lake Michigan von Milwaukee bis nach Grand Haven, Michigan, überquerten. David R. P. Guay, Great Western Railway of Canada: Southern Ontario’s Pioneer Railway (Toronto: Dundurn, 2015), 198.
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Nach Europa
nen mich in Gunst zu bringen. Merklin und Linchen8 besuchen uns Abends bisweilen, auch Carl u. Henriette fanden es in unserem einladenden Parlor sehr angenehm, zur bessern Unterhaltung u. Zerstreuung Mariens hatte ich bisweilen nur kleine Gesellschaften, dazu Hl Klien9, als guter Klavierspieler eingeladen. Merklin grüßt Dich mit vieler Liebe; auch Großmutter; Emil hat viel Pech im Bußineß, Johanna hat ein kleines niedliches Töchterchen, das dritte; Carl und Henriette haben ihre Apotheke nach Dr. Munks Haus verlegt; dort soll die Lage besser sein, die Miethe beträgt halb so viel nur wie am Markt. Herr Balatka10 ist für die nächste Wintersaison Theaterdirektor; ein ungarischer Komponist, Sobolewsky11, der sich hier niedergelassen, hat eine schöne Oper (indianisch The Flower of Forest geschrieben, die hier zum ersten Mal aufgeführt werden soll vom hiesigen Musikverein12 in 14 Tagen. Diese Sachen geben mir immer interessanten Stoff für meine Päpers13. Ueber die polit. Affaires hat Maria Dir geschrieben, wie sich voraussehen ließ, desertirte die amerik. Partei des Herrn Carl Schurz14. Ich glaube es ist für den jungen Mann ein Glück, nicht Exelenza geworden zu sein. Er ist schon eitel genug, um bald untauglich zu werden. Vor der Parteiklapperei habe ich aber einen wahren Schrecken bekommen; dies Gebahren der Parteibosse, dieser heldenmüthige Atlas u. seine andern Trompeter Illinois Staatsztg; ich sage etwas elenders habe ich mir noch nicht gedacht. Ich leide seit drei Tagen unausgesetzt an Kopfschmerzen; das Schreiben will mir gar nicht vom Fleck; ich möchte wissen was Dir eigentlich gefehlt hat, lieber Fritz. Durch den schlechten R[uppius] bin ich fast um alle Nachrichten von Dir gekommen. Ich
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Caroline („Linchen“) Märklin war die Witwe eines Bruders von Mathilde. Siehe Fußnote 107 (Kapitel 1). Wahrscheinlich meinte Mathilde „Klein“, aber keiner mit diesem Namen in Milwaukee sticht hier eindeutig als Mathildes potentieller Gast hervor. Der österreichische Achtundvierziger Hans Balatka (1827–1899) war Mitbegründer des Musikvereins in Milwaukee und leitete ihn während der 1850er Jahre. Kathleen Neils Conzen, Immigrant Milwaukee: Accommodation and Community in a Frontier City (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1976), 175. Johann Friedrich Eduard Sobolewski war eigentlich ein polnischer Geiger, Komponist und Dirigent. Er hatte in Berlin studiert und lebte für kurze Zeit in Milwaukee, bevor er dann nach St. Louis zog. Nicolas Slonimsky and Laura Kuhn, Hg., Baker’s Biographical Dictionary of Musicians (New York: Schirmer, 2001), 5: 3391. Der von deutschen Einwanderern gegründete Musikverein war ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Lebens in Milwaukee. Conzen, Immigrant Milwaukee, 175. Mathildes deutsche Schreibweise des englischen Wortes „papers“ (Zeitungen). Die Deutschamerikaner versuchten die Republikanische Partei im Staat Wisconsin zu überzeugen, Schurz als Kandidaten für das Amt des Gouverneurs aufzustellen. Als dies erfolglos blieb, lehnte Schurz es ab, sich für ein weniger prestigeträchtiges Amt aufstellen zu lassen. Die Deutschamerikaner schrieben dies dann dem Nativismus zu und dies erklärt vielleicht Mathildes Verweis auf die „amerikanische“ Partei. Die einwandererfeindliche Know-Nothing Partei, die Mitte der 1850er Jahre kurzzeitig florierte, wurde offiziell die amerikanische Partei genannt. Hans L. Trefousse, Carl Schurz: A Biography, zweite Aufl. (New York: Fordham University Press, 1998), 76–77.
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will wissen, ob ich noch in Besitz der Briefe u. Cor[respondenzen] kommen kann: – Meine Cor. ist so ausgebreitet, daß ich bei nahe 4–5. jeden Tag absende. Maria[:] You stupid thing, you, if you wish to know the length of your correspondence in the Sentinel, I will tell you: I have just measured it, & it is six yards and quarter long. – 15 Sie duldet nicht, daß ich mir die Mühe des Messens jeder einzelnen Cor[respondenz] die wir in unserm Depot haben, geben soll. Der Sentinel brachte sie in der Regel in 1 ½. Spalte. Die Illinois Staatszeitung auf Ausnahme der ersten die etwas kürzer sind ebenfalls. Der Atlas machte zwei daraus und ein Stückchen…. Bleibe gesund und sei frisch und fröhlich.16 Herthachen küßt Dich, u. Percychen auch. Ich grüße und küsse Dich. Deine Dich liebende Mathilde Franziska
Mary Booth an ihre Tochter Ella Booth Milwaukee, 2. Oktober 1859 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Ella: Letzte Woche war hier die State Fair, der Jahrmarkt. Ich hätte vermutlich nicht hingehen sollen, aber Mr. Dexter17 kam mit neuer Kutsche und auch Tickets für uns und so sind wir hin, Mrs. Anneke, Lillian, Herta und ich. Als er kam sind Herta & Lillian & ich gerade zur Tür hinaus und waren eigentlich auf dem Weg zur Einweihung von Mr. Richmonds neuer Kirche18 – aber da er so nett war uns abzuholen, beschloßen wir mitzugehen. Als wir heimkamen waren dann Großvater & Großmutter Booth19 hier. Sie sind gestern wieder nach Hause & ich glaube ihnen hat der Besuch bei uns sehr gut gefallen. Mr. & Mrs. Daniels waren auch hier während des Jahrmarkts. Sie ist abgereist 15 16 17 18
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Maria[:] Du dummes Ding, Du, wenn Du die Länge Deiner Korrespondenz im Sentinel wissen möchtest, dann will ich sie Dir nennen: Ich habe eben nachgemessen & sie ist sechs ein Viertel Yard lang. – Dies ist angelehnt an das Motto des Turnvereins: „Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei“. Georg Hirth und F. Rudolf Gasch, Hg., Das gesamte Turnwesen: Ein Lesebuch für deutsche Turner, zweite Aufl., Bd. 3 (Leipzig: Verlag von Rud. Lion, 1893). Möglicherweise handelt es sich hier um David H. Dexter, der westlich von Milwaukee gelebt hatte. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), Township of Wauwatosa, Wisconsin, S. 118, „dwelling“ (Wohnstätte) 874, „family“ (Familie) 844. Mary verband eine enge Freundschaft mit dem Priester James Richmond. Sie hatte ihrer Schwester zuvor erzählt, dieser sei wegen eines Konfliktes mit einflussreichen Mitgliedern aus seiner Gemeinde „vertrieben“ worden. Er wurde dann vorsitzender Geistlicher der St. Paul’s Episcopal Church. Mary an Jane Corss, 15. Februar 1859, Box 2, Ordner 5, Booth Family Papers. Sherman Booths Vater Selah und Stiefmutter Harriett lebten in Waupun, Wisconsin. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), North Ward, Village Waupun, Fond du Lac County Wisconsin, S. 7, „dwelling“ (Wohnstätte) 47, „family“ (Familie) 50.
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Nach Europa
& hat versehentlich den schönsten Blumenstrauß, den Du je gesehen hast, hier vergessen. Heute war ich mit Lillian & Herta in Mr. Richmonds Kirche. Sie ist ganz in der Nähe vom Haus von Mrs. Weiskirch und da er ein Pferd vor der Tür hat, habe ich ihn gebeten uns nach Hause zu bringen, was er auch tat. Herta kann nun viel besser laufen als vorher seit sie die neue Maschine für ihren Fuß hat. Sie ist verrückt danach in „Onkel Richmonds“ Kirche zu gehen. Lillian denkt auf der ganzen Welt gäbe es keinen wie ihn. Darum gehe ich hin, denn ich habe keine Ruhe, wenn ich es nicht tue. Er wird bald nach Europa gehen & ich werde dann in die alte Kirche gehen solange er weg ist & wenn er wiederkommt dann kann ich meine alte Kirchenbank wieder mieten. In seiner Kirche können keine Kirchbänke gemietet werden. Wenn es abends kalt ist dann machen wir im Kamin ein kleines Feuer & Mrs. Anneke spielt mit „Felly“ Schach.20 „Chap“ war fast die ganze Zeit auf dem Jahrmarkt – Letzten Montag sind wir mit dem Boot nach Grand Haven & wieder zurück. Wir gesehen. „Felly“ hat dort im See seinen Stock verhaben die Stadt nicht mal wirklich gesehen loren, glaubt aber er wird ihn wiederbekommen. Mrs. Anneke ging es schlecht, aber der Ausflug tat ihr dennoch gut. Ein Vogel flog vor dem Boot her & auch um das Boot herum bis nach Hause – Ich habe Emily21 nicht gesehen, seit sie zuhause ist. Ein neuer deutscher Literaturverein wurde gegründet. Mrs. Anneke wurde als Vorsitzende gewählt und ich als zweite Vorsitzende. Dies geschah, wie ich vermute, ihr zuliebe, denn sie wußten es würde ihr gefallen. Mr. Richmond & ich werden die einzigen englischen Mitglieder sein. Er sagte er würde gerne kommen & sie würden ihn alle gerne dabeihaben, denn er spricht wunderbar Deutsch. Es ist wie eine Art Lehranstalt – & es gibt sowohl Gentlemen als auch Ladies dort. Ein alter Mann in der Stadt hat eine wundervolle Oper genannt „Blume des Waldes“ geschrieben und die Vorfälle dort sind aus der Zeit der amerikanischen Revolution & es kommen Indianer darin vor & die „Blume des Waldes“ selbst kam zu mir, um mich zu fragen, was sie anziehen solle & ich habe sie mitgenommen und ihr Mary Cooks22 wunderschönes „Hiawatha“23 Kostüm gezeigt – sie wird eines nähen, das sehr ähnlich aussieht & es mit Federn statt Perlen schmücken –
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Selah Booths Spitzname war „Felly“ und die Familie nannte seine Frau „Chap“. Es ist unklar, auf wen Mary sich bezieht. Mehrere Frauen namens Mary Cook lebten zu dieser Zeit in Milwaukee. Es scheint unwahrscheinlich, dass diese Mary Cook mit Sherman Booths Opfer Caroline Cook verwandt war. Henry Wadsworth Longfellow schrieb 1855 ein Heldengedicht über eine fiktionalisierte Version von Hiawatha, dem voreuropäischen Anführer, der beteiligt gewesen war an der Gründung des Irokesenbundes. Auch wenn Hiawatha männlich war, scheint sich Mary auf eine Frau zu beziehen. William Nelson Fenton, The Great Law and the Longhouse: A Political History of the Iroquois Confederacy (Norman: University of Oklahoma Press, 1998), 59–65.
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Dies ist die erste in Amerika komponierte Oper.24 Der Mann hat in Europa viele geschrieben & auch diese wird dort sehr bekannt werden. Er wird es dem Musikverein selbst beibringen & diesen leiten an Stelle von Mr. Balatka. Bei der Aufführung wird ihm dann nach dem ersten Akt vom amerikanischen Publikum ein Lorbeerkranz übergeben. Zwei kleine Mädchen, Lillian May & Alma Weiskirch25, werden ihm den Kranz auf einem Samtkissen bringen & Mr. Richmond oder sonst jemand wird ihn ihnen abnehmen & ihm diesen dann auf den Kopf setzen während er ein paar Worte auf Englisch & Deutsch sagen wird. Dann wird die kleine Mary Cook (die früher auch in Cyrus’ Haus gelebt hat) in ihrem wunderschönen Indianerkostüm hereinkommen, mit lauter Blumen im Schoß, und ihm diese vor die Füße legen. Die Göttin der Freiheit wird im Hintergrund stehen. Ich glaube wenn Lillian älter ist, wird sie froh sein, mitgemacht zu haben. Sie & Alma werden ihre weißen Kleider mit Blumen um den Hals tragen – & vielleicht Kränzen auf dem Kopf. Alma & Ida haben so darum gekämpft in „Onkel Richmonds“ Kirche gehen zu dürfen, daß ihre Großmutter mit ihnen hin mußte. Es tat mir leid, daß ich Gram26 zum Geburtstag kein Geschenk schicken konnte. Mrs. Pope27 lebt in einem neuen Haus, das Deinem Großvater in Waupun gehört, mit demselben Garten. Meine herzlichen Grüße an Gram & Jane & schreib so oft Du kannst. Ob wir die Great Eastern28 sehen werden oder nicht, kann ich Dir noch nicht sagen. Immer die Deine, Mutter – Meine liebe Tochter29 – ich habe gerade den Brief Deiner Mutter gelesen. Ich denke jeden Tag an Dich & liebe Dich sehr. Wann willst Du nach Hause kommen? Es ist wunderschönes Wetter. Ich hoffe es geht Dir gut[.] Auf Wiedersehen, Immer der Deine, Vater
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Tatsächlich gilt William Henry Frys Leonora (1845) als erste große von einem Amerikaner komponierte und öffentlich aufgeführte Oper. Elize K. Kirk, „United States,“ The New Grove Dictionary of Opera, Hg. Stanley Sadie (London: Macmillan Press, 1992), 4: 869. Marys Tochter Lillian Booth und Mathildes Nichte Alma Weiskirch. Siehe Fußnote 149 (Kapitel 1). Marys Mutter Adeline Corss. Zur Zeit des Zensus von 1860 lebte eine 74-jährige, in New Hampshire geborene Frau namens E. O. Pope in Ripon, nicht weit von Waupun. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 2te Ward, Ripon, S. 115, „dwelling“ (Wohnstätte) 881, „family“ (Familie) 871. Bei seiner Fertigstellung im Jahre 1858 war das englische Schiff Great Eastern das größte, das je gebaut wurde. Das Schiff legte im Juni und im Juli 1860 mit großem Trara in New York an, aber Mary Booth kam nicht rechtzeitig dort an, um es sich mit Ella anzusehen. New York Times, 19. Juli 1860. Sherman Booth schrieb seiner Tochter am Rand der ersten Briefseite ein paar Zeilen.
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Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, Oktober 1859 Lieber Fritz! Es ist Sontag Morgen. Maria ist mit ihrem Töchterchen zur Kirche gegangen; ich habe mit meinen Kinderchen eine Zeitlang gespielt und nun will ich die Ruhe dieser Stunde benutzen; Dir zu schreiben. Du hast keinen Brief von mir erwartet, ob Du ihn gerne empfängst – ich weiß es nicht. Ich verstehe deine Empfindungen nicht, ich verstehe Dich selbst nicht! Die Entfernung zwischen uns, ist unendlich. Ich komme auf Deine zwei letzten Billets; das eine empfing ich durch den Sentinel – oder vielmehr mit der Corresp[ondenz] für den Sentinel; das andere durch die artige Illinois Staatszeitung. In dem ersten bist Du empört, daß mein Brief datiert vom 20. July bis 20. August. Wie fern Du ein Recht dazu hast, mir zum Verbrechen anzurechnen, daß ich Dir fast täglich einige Worte aus unserm Leben niederschrieb, dieselben aber nicht so schleunigst absandte als Du und ich selbst es gewünscht, darüber magst Du selbst entscheiden, wenn ich Dir einfach den Thatbestand mitgetheilt habe, den nämlich, daß ich keinen Cent besaß – länger denn acht Tage, um das Porto zu zahlen; daß Deine Kinder eben darum etwa so wenig wie ich selbst dem Hungertode ausgesetzt waren weil ich Credit genug für Brod und Nahrung in unserm gesegneten Westen hatte. Diesen Credit würde ich auch für Porto haben in Anspruch nehmen können, wenn am Ende Geld für Schue und andere augenblicklich nothwendigere Fälle ihn nicht schon erheischt hätten. Die fünf Dollar, die ich für diesen Zweck von Emil dem es beiläufig gesagt, recht schlecht diesen Sommer ergangen – erborgt hatte, hatten vielleicht meinen Credit noch nicht erschöpft; aber Du kennst es doch aus zu guter Erfahrung wie schwer es ist, zu leihen, wenn’s eben recht blutnöthig ist. Dein vollständiges VerGeld die trostlosen Jeremiaden die du zagen über Deine vierzehntägige Lage ohne Geld – nur die Schuld über die zufällige Verspätung, von der Du selbst – Du lediglich Selbst nur – trägst; mir über das Weltmeer hinüber sendest – mir die ich in eine viel, viel schwerere und sorgenvollere Lage – krank, fast zum Sterben krank – zurückgeblieben war, diese Grausamkeiten beweisen mir Alles, was ich längst hätte als bewiesen annehmen können, wenn ich nur nicht zu blind gewesen wäre. Ich klage nicht – wenn das mathematische Rechenexempel in der Wirklichkeit ein anders Fazit als auf dem Papiere herausbringt; ich verachte es, zu klagen, wo ich mir selbst nur helfen kann. Du aber scheinst, verschweige, daraus den Schluß zu ziehen, daß wenn ich mein Leid und meine Noth verschweige ich auf Rosen gebettet stehe und gar auf Deine Kosten den güldenen Becher der Sybaritten30 leere. Ich danke Dir, lieber Fritz, für den ich mal gelitten und geduldet habe, ich danke für die Strafe, die die Wollust Deines fixirten Schmerzes, meinem ohnehin genug gemarterten Herzen diktirt hast…. 30
Griechisch-lateinisch; nach der antiken unteritalienischen Stadt Sybaris, deren Einwohner als Schlemmer verrufen waren, Duden Online, letzter Zugriff am 6. Oktober 2021, https://www. duden.de/rechtschreibung/Sybarit.
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Was nun Dein vollständiges Verzagen und Verzweifeln anbetrifft, so giebt mir das ein Zeugniß von einem Kleinmuth in dem Herzen eines Menschen der sich „Mann“ nennt, wie mir bei all meiner reichen Praxis und Menschenkenntniß im Leben noch nicht vorgekommen ist. Hattest du nicht das Selbstvertrauen zu Dir und Deiner Umgebung, um ein biedres Wort an deinen Wirth mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter zu richten: Höre Alter, Du weißt, daß ich ein ehrlicher Kerl bin, meine Gelder bleiben länger, als ich erwartet hatte. Willst Du mir zu essen und zu trinken geben, vielleicht nur vollauf, bis ich in Besitz von dem Nöthigen komme. Willst Du, und selbst wenn es noch 2. Monate ausbleibt? Sieh ich bin nicht nur ehrlich, ich bin auch reich genug, denn ich habe einen Kopf und eine Faust, die die Welt erobern wollen und es auch können – da ich mir selbst vertraue. „Dieses letzte Wort Dir in den Mund zu legen könnte fast wie Hohn klingen. – aber nein – ich habe wirklich gehofft und geglaubt, daß Selbstvertrauen endlich eine Deiner Errungenschaften geworden sei, denn ich erinnere mich der Stunden unsers Abschieds – als ich Dir namentlich einmal sagte, „wie wirst Du alle die Schwierigkeiten überwinden können“ da antwortest Du, und ich war glücklich die Kraft in deinem Bewußtsein zu entdecken, da antwortest Du: wenn die Schwierigkeiten unüberwindlich scheinen, dann werde ich sie erst recht überwinden. – Du hattest Alles überwunden – ich hatte Dir von all Deinen Erfolgen genau Bericht gegeben – und wenn Du auch noch nicht den Lohn auf den Tag und die Stunde erndtetest, wo Du ihn Kinder so erwartet, den Lohn zum Leben weder für Dich noch für mich und Deine Kinder – geziemt es doch deine Männlichkeit nicht zu verzweifeln – zu „verschwinden“, wie Du Dich ausdrückst. – Ich würde tiefes Mitleid mit Dir in Deiner peinlichen Lage haben wenn ich nicht aus Erfahrung die Wissenschaft nur zu gut erlangt hätte, daß es Dir eine Wonne, ein lebendiger Beleg für die unwürdigen sozialen Verhältnisse, einherzugehen, um den Schuldtragenden ins Gewissen zu rufen Ecce homo31! Nicht ohne unsägliche Mühen bin ich zum Besitz der Nothwendigkeiten für unsern Unterhalt gelangt. Briefe und Gänge, ich habe sie nicht gescheut; ich habe geschrieben und gearbeitet um selbst einige 40. Dollar zu erwarten, die ich glücklicher Weise wöchentlich ausbezahlt bekam; ich war krank – und muβte selbst meine Cur unterbrechen, weil ich keine Ruhe und kein Geld für die Medicamente opfern durfte. Ich habe Dir von Alledem nichts gesagt, ich würde es auch jetzt noch nicht thun, wenn es nicht nur in einer bloßen Andeutung zu sein brauchte, um Dir die Contraste in unserm Innern und doch die Aehnlichkeit in unsern äußern Verhältnissen zu zeigen. Deinen und meinen Lohn habe ich nicht ohne schwere Mühen und Sorgen erzielt und genossen. Vom Atlas kann ich nichts bekommen, wenn ich nicht zehn Mal schicke. Alles was ich für deine Briefe empfing sind 2. Dollar durch Geschäftsf. Otterburg. 2. Dollar auf Dein sicheres Guthaben. Der Sentinel macht mir Laufereien; ich war 31
Der lateinischen Übersetzung des Johannesevangeliums zufolge sprach Pontius Pilatus diese Worte („Siehe, der Mensch!“), als er den ausgepeitschten Jesus kurz vor seiner Kreuzigung einer Menschenmenge zeigte. Die Bibel (Vulgata), Johannes 19: 5.
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schon 6 Mal da. Jetzt sucht Booth das Geld zu bekommen. Nach meinem letzten Brief den ich am 30. (mit Zeitungen beside) an Dich absandte, – ich bedaure jetzt, daß ich Dich in Deiner Erwartung, Dir keinen Brief zu senden getäuscht habe – empfing ich Dollar Das ist Alles. Wäre ich nicht in diesem comfortabeln von der Freien Zeitung 12. Dollar. Hause – sondern in einem kleinen Hüttchen mit meinen zwei Kinderchen, für deren Glück ich nur noch zu leben wünsche – ich würde das Geld kaum bedürfen; aber es erfordern einmal die Umstände nun so, daß ich mit ihnen nicht in zerlumpten Bettlergewändern gehen kann. Herr Prieth32 scheint sehr erfreut über Deine Corresp. und ich bedaure über ihn ein voreiliges Urtheil gefällt zu haben. Buffalo Teleg[raph]33 schickt mir stets die Nrn deiner Briefe. Deinen letzten Brief von 10. (direct) Septr. empfing ich am 28 Septr. Ich muß mit dem Versenden dieses Briefes wiederum warten, bis ich etwas Geld habe um das Porto zahlen zu können. Wenn es Dir nicht angenehm ist, Briefe, oder vielmehr Nachrichten von mir zu empfangen so hast Du nur darüber zu bestimmen; ich werde aber sehr gerne Dir von den Kindern Bericht erstatten und Dich mit Angelegenheiten die meine Person anbetreffen, daneben nicht incommodiren. Ich kann in jeder Beziehung schweigen. Ich fühle mich jetzt gesund und kann schon einen Puff wieder vertragen. Am 19. October. …. Ich wünsche Dir Alles was Du Dir selbst kaum wünschen kannst. Ich werde Dir – wenn nicht Geschäfts- oder andere dringende Verhältnisse – es verlangen – nicht wieder mit einem Briefe lästig werden, wenigstens Dir nicht früher schreiben, als bis Du mir auf diesen Bf eine Antwort wirst zukommen lassen. Lebe glücklich! Deine Dich liebende Mathilde.
Mary Booth an ihre Tochter Ella Booth Milwaukee, 30. Dezember 1859 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Ella: Gestern habe ich Dir ein blaues Netz geschickt in einem Brief an Gram und habe dabei vergeßen zu schreiben, daß Madam Anneke ihn Dir gekauft hat oder besser gesagt mir Geld dafür gegeben hat. Ich sende Dir in diesem Brief ein Netz, das ich selbst gemacht habe und das gerade fertiggeworden ist. Es ist das erste, das ich je selbst ge-
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Benedict Prieth war Herausgeber der New Jersey Freie Zeitung. Karl J. R. Arndt und May E. Olsen, German-American Newspapers and Periodicals, 1732–1955: History and Bibliography (Heidelberg: Quelle & Meyer, 1961; Nachdruck, New York: Johnson Reprint Corporation, 1965), 307. Der Buffalo Telegraph war eine deutschsprachige Zeitung, die die Republikanische Partei favorisierte. Arndt und Olsen, German-American Newspapers, 328.
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macht habe. Alle Mädchen und Ladies tragen sie hier auf dem Hinterkopf. Wenn Jane eines will, so werde ich auch ihr eines in einem Brief schicken. Lillian ist jetzt ein gutes Kind und wenn Du heimkommst wird sie nicht mehr häßlich sein zu Dir. Sie ist kein bißchen ungezogen mehr. Sie will Dich sehr gerne sehen. In der Sonntagsschule von Mr. Richmond wurde am Dienstag ein Fest veranstaltet. Lillian & Hertah sind hin. Hertah weint beinahe, wenn man sagt sie sei kein christliches Kind & ich erlaube Lillian nicht dies zu ihr zu sagen. Sie hatten eine sehr schöne Zeit & spielten sehr schön, doch Lillian wollte nichts essen. Sie gingen im Kreis und spielten „wähle den, den Du am meisten magst“ & manche wählten Mr. Richmond & ich glaube alle wollten ihn auswählen. Du kannst Gram sagen, daß wenn Mr. Carl Shurtz einen Vortrag in Hartford hält, dann soll sie Dich zu ihnen schicken, denn seine Frau34 & kleine Tochter werden bei ihm sein & da Du sie kennst & sie Dich gerne sehen würde und ihre Mutter auch. Hertahs Großmutter schenkte mir zu Weihnachten ein wunderschönes Paar Stulpenhandschuhe. Wenn Du nach Hause kommst, dann wirst Du eine schöne Sonntagsschule vorfinden, in die Du gehen kannst, & viele wirklich nette & gute Kinder, die sich sehr freuen werden, Dich zu sehen. Lillian wird Dir Deutsch lernen35, denn sie spricht die Sprache schon so gut wie Englisch. Jeder ist überrascht wie gut sie es sprechen kann. Hertahs Tante hat ihr eine wunderschöne Stoffpuppe geschickt, aber Lillian mag ihre eigene am liebsten. Lillian und Hertah haben rote flanell sacque-Jäckchen.36 Lillian hatte diesen Winter noch nicht mal eine kleine Erkältung und ich hoffe Du auch nicht. Diese Stadt war diesen Winter so voller tollwütiger Hunde, daß nun jeder Hund getötet wird, den man auf der Straße sieht. So viele gab es noch nie. Lillian & ich fahren nun jeden Sonntag zur Sonntagsschule. Vorletzten Abend fand dort erstmals eine Trauung statt. Madam Anneke & ich sind hin und haben dann noch Mr. Richmond besucht. Franklins Vater37 hat ihm ein elegantes Weihnachtshaus gebaut & Möbel & alles & hat Kerzen rein, alles aus Zigarrenkisten & hat es in einen grünen kleinen Hof mit Zaun drum herum getan & zwei Weihnachtsbäumen daneben & einem Brunnen. Das
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Margarethe Schurz (1854–1856), Ehefrau von Carl Schurz, ist dafür bekannt, für kurze Zeit den ersten deutschen Kindergarten in den Vereinigten Staaten geleitet zu haben. Ann Taylor Allen, „American and German Women in the Kindergarten Movement, 1850–1914“, in German Influences on Education in the United States to 1917, Hg. Henry Geitz, Jürgen Heideking und Jurgen Herbst (Cambridge: Cambridge University Press, 1995), 85–103. Mit dieser (auch im englischen Original) eigentümlichen Formulierung möchte Mary vielleicht jemanden imitieren, der eine neue Sprache lernt. Eine Art von Jacke, Gewand oder Kleid, das vom Nacken ab weit ausgestellt ist. Mary bezieht sich wohl auf Edmund Märklin, der kurz zuvor Caroline Giesler geheiratet hatte, die Witwe von Mathildes Bruder, und daher nun Franklins Stiefvater war. Siehe Fußnote 107 (Kapitel 1).
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Schönste, das Du je gesehen hast & aus dem Kamin kam Rauch. Er wird auch eine Kiste für mich machen sagt Mrs. A., auch aus Zigarrenkisten, die immer aus Mahagoni sind. Liebe Grüße an alle. Immer die Deine, Mutter
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, 16.–25. Januar 1860 Lieber guter Fritz! Da hast Du uns Allen aber einmal eine große Freude gemacht. Das Kistchen ist nämlich angekommen. Wir saßen gerade am Frühstück vor etwa vier Morgen, da meldet die Expres uns die Ankunft. Mit großer Vorsicht zog ich selbst die langen deutschen Nägel heraus und enthellte den Inhalt vor Marias und der Kinder erstaunten Blicken. Herthachen rief ein über das andere Mal, das ist aber ein ganz guter Papa! Die reizende Gartengesellschaft wurde zuerst aufgestellt; Percy stellte seine Schlachtlinien auf, Maria schmückte sich mit der Aggraffe38 und fand ihren tausend Spaß an all den schönen Bildern, aber ganz insbesondere an den wunderhübschen Schweizer Häuschen. Die sind denn nun mit sammt der Bleifigürchen auf dem Marmorkammin. Vor dem Parlor mit Geschmack aufgestellt und ohne daß die Kinder Gelegenheit zum Sinnieren haben, haben sie Freude doch daran…. Der alte Beranger39 hat mir natürlich die größte Freude gemacht; wir haben uns schon recht an den alten Vagabonden ergötzt. Sein letztes Ade mit sammt all den andern Liedern die mir noch unbekannt waren, haben mir etwas frische Nahrung in die ausgedörrte Seele gegeben. Du glaubst nicht wie viel ich in geistiger Beziehung entbehre. Maria füllt mir eine große Lücke in meinem Gemüthsleben aus, allein Du kennst doch die Schwierigkeiten im Verkehr mit den uns selbst lieb gewordenen Amerikanern. An eine tiefere Unterhaltung, aus der wir Resultate unseres Denkens und Wissens schöpfen können, ist nach gewissen Seiten hin gar nicht zu denken. Die Verschiedenheit des Standpunktes, die der Sprachen selbst noch treten in den Weg. Booth mit seinen notions und seiner Heuchelei in gewissen Dingen ist mir oft so zu wider, daß ich jede Unterhaltung darüber mit ihm abbreche. Maria ihr Gemüth, ihre Liebe, der ihr angeborene Schönheitssinn, den sie überall in Anwendung bringt, ihre Sorgfalt für mich, entschädigen mich für Vieles. Ich liebe sie immer mehr und mehr. Anderen Umgang habe ich fast gar nicht; ich komme wenig aus dem Hause, da Maria seit drei bis vier Wochen wieder leidend ist an den heftigsten Gesichtsschmerzen. Großmutter ist noch unsere treuste Besucherin. Sie dankt Dir für das schöne Geschenk, auf das sie so stolz ist; sie wollte Dir Gott weiß wie oft schon selbst schreiben; aber Du weißt wie schwer es wird. Geschriebene 38 39
Eine Schmuckspange. Pierre-Jean de Béranger (1780–1857) war ein französischer Dichter, der für seine Satiren bekannt war, die die Monarchie ins Lächerliche zogen. Encyclopædia Britannica, elfte Aufl., 3: 761–3.
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wie gedruckte Briefe liest sie Alle von Dir mit dem größten Interesse, u. nicht selten behauptet sie, daß der Fritz ihr mit am liebsten schreibt. Ich habe oft große Sorge um Mutter; Johanna benimmt sich oft sehr unfreundlich gegen sie. Emil ebenfalls. Mir klagt sies u. was kann ich thun. Wenn ich jetzt allein wäre, so würde sie jedenfalls zu mir kommen müssen allein hier in Booths Haus mag ich sie nicht einladen, obgleich Maria es mir schon anbot. Eine Trennung von Mutter u. auch von meiner armen Fanny würden mir den Weg zur Rückkehr ins alte Vaterland sehr erschweren. – Unsere Kinderchen sind gesund; der Percy ist ein hübscher wackerer Junge, jetzt auch sehr artig und manierlich, Du wirst Deine Freude an ihm haben. Schachspiel ist seine Leidenschaft, ich habe ihm fortwährend die Idee aus dem Kopf zu sprechen, in den hiesigen Schachclub zu gehen. Booth genügt ihm nicht mehr als Partner. Herthachens Bild wirst Du jetzt haben, ich muβ mir oft vorstellen, welche Freude Du daran hast. Anna Beusts Rathschlag „meinen Bündel zu schnüren, u. nach dort aufzupacken.“ läßt mich wirklich sehen, wie die Leute drüben sich ihre Genialität noch bewahrt haben, während ich hier vor Schwerfälligkeit nicht von einem Hause zum Andern komme. Der Bündel ist nicht mehr geschnürt wie in alten Zeiten, wo es nur eines Winkes von Dir für mich bedurfte um über Länder und Meere zu eilen. Was hätte ich nicht Alles möglich machen können wenn Du es gewollt hättest. – Eine Reise über das Meer mit den Kindern allein; was sollten die anfangen, wenn ich ihnen krank würde. Und ich bin jetzt so leicht Allein unterworfen, nur ein sehr regelmäßiges Leben schützt mich gegen Ausfälle, wie ich sie im vergangenen Frühjahr durchgemacht[.] Herthachen schreibt Dir alle Tage hundert Briefchen; Siehst Du ihre Schriftzüge40: sie sollen nämlich heißen, ich bin ein artig Kindchen und lasse die Milch gar nicht fallen. Jetzt muß Lilian an Papa schreiben41. – Lilian hat nämlich geschrieben, sie dankt für die schönen Sachen und schicke ihr doch noch ein Pferdchen. – Dantons Tod42, lieber Fritz habe ich wieder gelesen. Orla43 habe ich Johanna geschenkt; er gefällt mir nicht besonders mehr. – Du correspondirst wieder mit Vater, wie ich sehe. Seine Meinungen, die er stets liebt dem stupiden Bruder in Bonn44 in den Mund zu legen, haben mich recht ergötzt.
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Hertha kritzelte an dieser Stelle anderthalb Zeilen hinzu und ahmte eine Art Schreibschrift nach. Lilis Kritzelei. Mathilde nimmt hier Bezug auf Dantons Tod, Georg Büchners berühmtes Theaterstück über die Französische Revolution (Stuttgart: Phillip Reclam, 1835). Orla, die dramatische Dichtung eines Freidenkers und Sozialisten, war weniger bekannt als Dantons Tod. Albert Dulk, Orla (Zürich: Literarisches Comptoir Zürich und Winethur, 1844). Hier besteht keine verwandtschaftliche Beziehung, Friedrich Hammacher war Jurist und später Politiker. In den 1840er Jahren war er eng mit Fritz Anneke befreundet gewesen. Zwar heiratete Hammacher Mathildes Freundin Franziska Rollmann, doch die Freundschaft zwischen Fritz und Hammacher zerbrach daran, dass Hammacher politisch immer gemäßigter wurde. Friedrich Anneke, „Wäre ich auch zufällig ein Millionär geworden, meine Gesinnungen und Überzeugungen würden
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Hast Du den Leuten noch nicht begreiflich gemacht, daß der amerikanische Bürger nie und nirgend eine „feste Anstellung“ haben kann? Herr Gott, wie könnten mich diese alten und jungen Rückwärther wahnsinnig machen! Der Auszug, den Du mir aus seinem Briefe machst, ist in dem beliebten rechnungsräthlichen Styl. Einmal nennt er meine arme Franziska45 „die gute“ das andere Mal im echten „Waschton“, sie hach so schlunzig und schlampig. Die Litanei über Hammacher wiederholt sich fort und fort. Der sollte für uns abgethan sein. In Franziska beklage ich nichts wie das Weib. Es hat ihr die Characterkraft gefehlt, ihrem Taugenichts von Ehegatten den laufpaß zu geben. Der Mensch hat sein bischen intellectuelle Ueberlegenheit benutzt, sie um Alles was schön und liebenswürdig an ihr war, vielleicht für immer zu bringen. Er benutzt sie und sie ist armselig genug geworden, sich benutzen zu lassen. Das ist das Verhängniß der tausend Unglücklichen meines Geschlechts; für diejenigen am Schmerzlichsten, die es bewußt erdulden! …. Den 25. Januar …. Dieses Hangen und Bangen ist nur ein halbes Leben. In dieser Stimmung paßte dann der große Unglücksfall, der unsere arme arme Großmutter betroffen hat! Samstag Nachmittag auf einem Spaziergang in der Masonstraße fällt sie nieder, zerbricht nicht allein den Knochenhals im Oberschenkel, sondern dislocirt auch den Beckenknochen. Sie hat zehn Minuten auf der Straße gelegen von Niemandem als von Ida und Alma war sie begleitet; endlich ist sie von einer Amerikaner Familie aufgenommen und mit vier Mann Hülfe in einen Schlitten und nach Hause gebracht. Zwei Aerzte wurden geholt Hopfe46 u. Müller; mir genügt dieser Beistand nicht, als ich sehr spät am Abend erst von dem Unglück in Kenntniß gesetzt wurde und holte ich Wollcott47, einen der geschicktesten Chirurgen, der die Consultationen als dann geleitet und die Verbände selbst angelegt hatte. Die Verrenkung ist eingelenkt unter den furchtbarsten Schmerzen; ob der Bruch heilen wird – im besten Falle dennoch, sie wird nie wieder gehen können. Dies Unglück ist ein sehr sehr hartes für uns! Ich kann mich selbst noch gar nicht erholen. Die vorletzte Nacht habe ich bei ihr gewohnt u. die Pflege dieser Tage mit übernommen, so viel es in meinen Kräften, stand. Ich setze nämlich voraus
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dadurch nicht gelitten haben–“: Friedrich Annekes Briefe an Friedrich Hammacher, 1846–1859, Hg. Erhard Kiehnbaum (Wuppertal: Friedrich Engels-Haus, 1998). Franziska Rollmann Hammacher. Ibid. Emil Hopfe war ein weiterer Arzt aus Sachsen. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 7te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 125, „dwelling“ (Wohnstätte) 855, „family“ (Familie) 793. Erastus B. Wolcott war ein angesehener Arzt, der noch heute für seine bahnbrechenden Leistungen im Bereich der Nierenoperation bekannt ist. Er war während des amerikanischen Bürgerkriegs Sanitätsinspekteur der Bürgerwehr Wisconsins. (Mathilde schrieb seinen Namen falsch.) Louis Frederick Frank, The Medical History of Milwaukee, 1834–1914 (Milwaukee: Germania Publishing Co., 1915), 5–6.
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daß Journal of Com[merce] Dich auch recht gut hier verwenden könnte, freilich nur als commercieller – nicht als politischer Mitarbeiter. Booths ließen nicht nach, sie hieher bringen zu wollen, sie sollte das beste Zimmer und die beste Pflege von uns haben. Mutter hätte es wol gereicht, aber sie mochte jetzt gerade nicht so entschieden gegen Johannas Wunsch handeln. Meine Sorgen sind unendlich groß geworden. – – Ich habe mehrere Tage nicht aus den Thränen kommen können. – – Ich meine, ich hatte Dir noch so viel zu schreiben gehabt, aber ich weiß es fast nicht mehr. Booths neuer Plan wird Dich vielleicht erfreuen. Jedenfalls müβte auch Dein Unternehmen neu organisirt werden, wenn wir uns darauf stützen wollten in Europa mit unserer Familie anständig zu leben. Mutters Unglück ist natürlich entscheidend für den Augenblick, daß ich im ersten halben Jahre nicht an eine Trennung von hier denken darf. – Ich muß sehen was ich thue, was ich machen kann. Der Telegraph in Buffalo, diese abermaligen Schufte, wird hoffentlich keine Zeile mehr von Dir erhalten; ich empfing einen ganz gemeinen Bf und zehn Dollar gestern von demselben. Ich schreibe heute wiederum an Veasell48 damit ich wenigstens aus dieser Sorge um Dich komme. Ich habe ein Appointment von der Tagsatzung der Turner49 als Rednerin für den Kreis Wisconsin erhalten. Es ist freilich zu viel Ehre, die mir da widerfahren, aber ich will es doch annehmen; da kleine angenehme Reisen u. etwas Einkommen damit verbunden sind. Ich soll namentlich über Frauenrechte sprechen. Ich werde dadurch etwas aus einer dumpfen Stimmung herausgerissen. nehme Percy als kleiner Turner ein mal mit. Unsere lieben lieben Kinderchens grüßen und küssen Dich. Ich wollte Du könntest sie sehen. Lebe wohl; lebe wohl. Deine alte Mathilde Grüße mir die Züricher Freunde
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Über diese Person, die möglicherweise für den Buffalo Telegraph arbeitete, konnten keine weiteren Informationen gefunden werden. Die volle Mitgliedschaft im Turnverein war bis 1904 Männern vorbehalten und die Turner waren nicht zwingend Verfechter der Frauenrechte, aber sie waren so beeindruckt von Mathilde, dass sie sie als Rednerin engagierten und als Ehrenmitglied in den Turnverein aufnahmen. Anke Ortlepp, „Auf denn, Ihr Schwestern!“: Deutschamerikanische Frauenvereine in Milwaukee, Wisconsin, 1844–1914 (Stuttgart: Franz Steiner, 2004), 107.
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Mary Booth an ihre Mutter Adeline Corss Milwaukee, 2. März 1860 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Mutter: Als er gerade aus Madison zurückkam wurde Sherman gestern in der Bahnhalle festgenommen vom U. S. Marshall auf dem alten Sklavenstützpunkt. Er wurde nun im Zollhaus eingesperrt, dort wo das Postamt ist, denn es ist das einzige Regierungsgebäude in der Stadt. Er hat ein schönes Zimmer im Obergeschoß & ich denke es wird ihm kaum etwas ausmachen. Er kam mit einem Beamten in einer Kutsche zuhause vorbei, aber ich war nicht da. Mrs. A. & ich waren bei der kranken Mary Briggs. Lillian hat ihn getroffen & er hat seine Papiere & Sachen dagelassen. Der Beamte sagte er dürfe seinen Rechtsbeistand sprechen und so ist Gen. Paine hin50 & sie ließen ihn nur in Gegenwart des Beamten mit ihm sprechen und das wollte er nicht. S. schrieb mir eine Nachricht & sagte es sei sein Wunsch, daß alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um ihn freizubekommen, und das ist doch in der Tat wirklich dumm, denn seine andere Gerichtsverhandlung51 beginnt in vier Wochen & er sollte besser bleiben, wo er ist, um die Öffentlichkeit davon abzulenken & die öffentliche Wahrnehmung zu ändern, so daß ihm Mitleid widerfährt und die Leute ihn positiv sehen. Der Staat würde ihn als seinen Kriminellen wahrnehmen und die Vereinigten Staaten als den ihren. Dann käme es zu einem interessanten Streit zwischen beiden und das wäre ja das, was er immer gewollt hat. Er trug wochenlang eine Pistole bei sich, um dann auf den Polizeibeamten zu schießen, der ihn verhaften würde, bis ich so mit ihm geschimpft habe, daß er es in letzter Zeit sein ließ. Mr. Sholes52 sagte es wäre ja schon gut, wenn einer wirklich den Mut dazu hätte, was bei ihm niemals der Fall sein würde. Aber ich denke es wäre schlimm Feigling, & sehr boshaft. Aber S. spuckt sehr große Töne, aber Du weißt er ist doch ein Feigling auch wenn er wütend wird, wenn das jemand sagt. Er müßte nur die 30 Tage bleiben53, wozu er vorher schon mal verurteilt wurde & bis die 2000 $ Strafgebühr bezahlt sind, was die Freedom people schon früh genug tun würden.
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Der Anwalt und ehemalige Militärgeneral James H. Paine war der Vater von Hortensius und Byron und war seit 1854 ein Unterstützer von Sherman Booth. Milwaukee Daily Sentinel, 22. Februar 1879. Wahrscheinlich handelt es sich hier um einen Verweis auf Pläne einer erneuten Gerichtsverhandlung wegen „Verführung“, allerdings kam es nie dazu. Charles C. Sholes war ein abolitionistischer Politiker und Zeitungsherausgeber, dem 1859 mit Lorenzo Crounse zusammen kurzzeitig der Freedom Democrat gehörte. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 4te Ward, Kenosha, Wisconsin, S. 103, „dwelling“ (Wohnstätte) 812, „family“ (Familie) 735; Milwaukee Daily Sentinel, 16. April 1860; Frank A. Flower, History of Milwaukee, Wisconsin (Chicago: Western Historical Company, 188), 627. Mary scheint anzudeuten, dass Sherman seine 30 Tage im Gefängnis absitzen müsse.
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Mr. Sholes kam hierher & bot sehr freundlich an, alles in seiner Macht stehende für die Familie zu tun oder auch sonst, aber Lorenzo war nicht hier. Fitch54 soll gesagt haben, daß er keinen Cent in den Free Dem. investieren würde, sollten sie nicht gut bezahlen. Es wird nur dummes Zeug darin geschrieben & sie verlieren stets mehr Abonnenten. Lillian hat ganz alleine eine Stoffpuppe für Ella gemacht. Mrs. King55 war letzte Nacht hier und wird Dir schreiben. Ich habe sehr ernste Gespräche mit meinen Kirchenoberen bezüglich meiner Pflichten geführt – Du hast darüber mit Ryan56 gesprochen gemäß Deiner damaligen Meinung, aber je weniger ich darüber sage, desto besser. Liebe Grüße an alle. Immer die Deine, Mary –
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, 16.–20. März 1860 Mein lieber Fritz! …. Großmutter hat sich sehr über Deine Liebe und Theilnahme gefreut; sie zeigt Dein Bfchen Allen, die zu ihr kommen. Aus der Bandage ist sie herausgenommen; sie sitzt in Booths großem rothen Sessel. Nach den Aussagen der Aerzte ist der Bruch gut geheilt; den Fuß bewegen kann sie nicht; aber es schmerzt sie nicht mehr, wenn Andere ihn etwas bewegen. Ich lasse nicht von der Hoffnung daß nachdem sie in etwa 3. Wochen versuchen darf, darauf zu treten, es wirklich kann. Etwas kürzer ist der Fuß. Sie selbst ist herzlich zufrieden, schon einmal der fortwährenden Lage entronnen zu sein. Alle ihre Freunde haben ihr Möglichstes gethan, ihr das Schreckliche zu erleichtern. Booth ist immer noch in der Bastille eingekerkert. Die Tyrannei hat überall dasselbe gesäht. Die Büffel die ihn bewachen sind oftmals so niederträchtig, daβ es mir nicht möglich ist, ihn mit Maria stets zu besuchen „tout comme chez nous[“]57 – und
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Thomas Fitch (1838–1923) hatte Ende der 1850er ein paar Jahre für Booths Free Democrat gearbeitet, bevor er sich einer sehr viel interessanteren Karriere als Herausgeber, Politiker der Republikanischen Partei und Anwalt in westlichen Staaten widmete. „Fitch, Thomas“, Biographical Directory of the United States Congress, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, http://bioguide.congress.gov/ scripts/biodisplay.pl?index=F000159. Wahrscheinlich Susan King, deren Mann den Milwaukee Sentinel herausgab, der Booth unterstützte. Siehe Fußnote 112 (Kapitel 1). Ryan konnte nicht identifiziert werden. Mary meint vielleicht ihre Pflichten als Ehefrau, aber es ist unklar. Mit der französischen Redewendung „Ganz wie bei uns.“ scheint Mathilde hier die Gefängnisaufenthalte von Booth und Fritz zu vergleichen.
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oftmals schlimmer noch wie bei uns; gerade als wollte die schöne Zeit des Mittelalters auch hier heranrücken. Es war lächerlich welchen Kraftaufwand Onkel Sam gemacht hatte, als man die habeas corpus58 Akte erwarten durfte. Alle Waffen von dem Ver[einigte] St[aaten] Cutter waren in die Bastille geschleppt. Auf jeder Stufe der großen Treppen lagen Reiterpistolen. B[ooth] hat Dir über die Sache selbst Näheres geschrieben, welchen Ausgang sie nimmt, weiß ich nicht. Ob und wie er nächstdem seinen Plan ausführen wird (seinen Londoner Plan) kanns nicht voraussehen. Das Leben hier, besonders in Milwaukie, wird mir schrecklich zuwieder. Die Mutter – die Mutter und Maria – wenn die nicht hier wären, ich würde schon dem Osten Amerikas wenigstens wieder zugeeilt sein. Meine Heimath oder die Schweiz auch wieder zu sehen war ja stets mein Verlangen in der Verbannung – aber ich weiß fast nicht, wo ich meine Heimath suchen soll – bei all meinen Gräbern – oder da wo die Blümchen meiner Jugendfreuden geblüht haben. Und doch das profaische Geld würde am Ende den Ausschlag geben, was zu wählen sei. Ich habe keins und Maria hat auch keins. Das Land zu verkaufen war Booths Absicht längst, aber Geld u. also Käufer fehlen – und zum Letzten hätte Maria vielleicht auch noch nichts gesehen von all dem. Für die Kinder wünschte ich eben so sehnlichst, wie sie auch selbst, sie der Schweiz zuführen zu können, doch aber wünschte ich ihnen für spätere Zeiten wieder Amerika. Ich lasse Alles vom Schicksal entscheiden. Ich thue Wagschritt, der mich vielleicht mit ihnen glücklich – vielleicht auch gar nicht – keinen Wagschritt ans andere Ufer bringen könnte; ich gebe es ganz Deiner Entscheidung anheim, ob wir gehen oder bleiben. Ich kann keine Engagements für Dich treffen; ich habe keine Gelegenheit dazu. Den 20. März. Hier hat Unwohlsein mich abgerufen; die Feder fiel mir aus der Hand – heftige Schmerzen – die alten Krämpfe in der Leber haben sich permanent erklärt. Ich habe jetzt eine Kur eingeschlagen, die Frau Bruno59, die Jahre lang an Gallensteinen gelitten hat u. sie jetzt in einem zierlichen Kästchen schön aufbewahrt, gebraucht hat. Ob mirs helfen wird; so viel scheint mir, daß der Character der Krämpfe ein anderer, weniger schlimmer geworden ist. – Ich habe arge Kopfschmerzen heute. Maria pflegt mich immer mit gleicher Liebe u. Sorgfalt; sie fürchtet daß ich in meinen Krämpfen ihr Sterben werde; wenn ihre Angst aber eben vorüber, so macht sie wieder allerlei Schelmereien. Du wirst sie nicht viel verändert finden. Mit ihrer Gesundheit stehts gut –
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Mit Habeas Corpus-Schriften, die aus dem richterrechtlichen englischen Gewohnheitsrecht hervorgingen, wurde das Gericht aufgefordert, die Legalität der Inhaftierung von Einzelpersonen zu prüfen. Eine in Baden geborene Amelia Bruno, zu dem Zeitpunkt erst 25 Jahre alt, lebte 1860 in Milwaukee. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 1ste Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 216, „dwelling“ (Wohnstätte) 1551, „family“ (Familie) 1516.
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Dein B[rie]f vom 3. Febr. in der Corr[espondenz] für Free D[emokrat] ist gestern angelangt; sie muß im Meere gelegen haben. Du wirst aus meinem vor[igen] [Briefe] gemerkt haben, daß auch der „unverschlossene“ Bf. aber fein säuberlich geschlossen in meine Hände gekommen. Hertha und Percy grüßen und küssen Dich. Hertha trägt in ihrem Täschchen oft ihren „lieben Papa“ – Dein Bild in einem Kästchen – Tage lang mit sich herum. Sie erinnert stets an das ihr gemachte Versprechen „zum Papa nach Italien“ zu gehen. Percy ist ein lieber Junge; er lernt nicht sehr beständig aber er interessiert sich doch für Geschichte, Arithmetik u. einige andere Dinge. Wenn er eine bessere Schule hätte, würde er mehr lernen, aber diese weitgepriesene Akademie ist nichts werth mit ihrem Hl Engelmann an der Spitze. Ich unterrichte Percy – er hat Ferien – jetzt täglich selbst einige Stunden. Ich schreibe fast gar nichts – u. da kann ich die Zeit dann am besten an dem Jungen verwenden. – Welch ein Glück würde es für den sein, in andere Verhältnisse zu kommen! Carl Anneke hat ein Engagement bei Finkler, der sein Geschäft in die Westwasser str.60 in einem großen Brickhause neben Stirn61 jetzt hat. Er tritt es mit dem 1. Aprile an. Seine Apotheke soll Merklin verwalten. Ich wünsche daß es Carl gut geht. Schmittill62 war 8. Tage hier; er hat sich seit 8. Jahren zum ersten Mal diese kleine Ausspannung erlaubt. Er ist ein guter Mensch, wie mir scheint sehr glücklich. Schmittill will wie er ihm versprochen, sich für Carl bei Vater verwenden, um ein Kapital um seine Schulden zu bezahlen. Finkler hat wieder ein schönes Lager, den Gift Meyer63 hat er fortgeschiebt. Von den städtischen Neuigkeiten ließen sich Bogen voll erzählen, aber ich will Dich nicht damit amüsieren. So viel, daß der Bankrott der Stadt vor der Thüre ist. City Comptroller u. Clerk sind Beide eingesperrt wegen Diebstahls von Tausenden64. Man spricht davon Booth morgen nach Mackinaw65 in dem Ver. St. Cutter Michigan“ abzuführen. Die hiesigen Abolitionisten, einige wenige radikale Amerika„Michigan“ ner wollen ihn befreien; seltsam ist, daß er den habeas corpus Befehl nicht ausgefertigt bekommen kann. Selbst auch nicht einmal vom County Court. Wir leben in unse60 61 62
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Deutsche Einwanderer verwendeten oft den deutschen Namen der West Water Street in Milwaukee. Siehe Fußnote 5 (Kapitel 2). Fritzens Schwester Ida heiratete 1852 Sigmund Schmidtill aus Bayern. Alma Harris, „Die Nachkommen unserer Großeltern Carl u. Elisabeth Giesler im Jahre 1890“ (o. D.), Box 70, Archiv der Mathilde Franziska Anneke, 1817–1884, Stadtarchiv Sprockhövel; US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1850), Milwaukee, Wisconsin, S. 539, „dwelling“ (Wohnstätte) 532, „family“ (Familie) 569. Mit „Gift Meyer“ meinte Mathilde den Drogerieladen des aus Hannover stammenden Apothekers Enno Meyer. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 2te Ward, Milwaukee, Wisconsin, o. S., „dwelling“ (Wohnstätte) 146, „family“ (Familie) 151. Der stellvertretende städtische Rechnungsprüfer Robert B. Lynch wurde der Fälschung und Veruntreuung für schuldig befunden und floh nach Kanada als gegen sein Urteil Berufung eingelegt wurde. Der städtische Rechnungsprüfer E. L. H. Gardiner wurde für ein ähnliches Verhalten nicht belangt. Flower, History of Milwaukee, 275; Milwaukee Daily Sentinel, 13. März 1860. Ein Ort im Norden Michigans.
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rem großen Hause mit unsern lieben Kinderchen stille und vergnügt. Wegen unser brauchte Onkel Sam ihn nicht frei zu geben – aber wegen Seiner u. der Sache willen, wünschte ich doch das elende Sclavenzüchtergesindel würde zusammen gepfeffert, u. er würde im Triumph herausgeführt. Die Vogtsche Broschüre über die „Schwefelbande“ hat hier im Lande viel Aufsehen gemacht66. Aber die Blindtsche Erklärung im Pionier67 wirft doch arge Schatten auf den f. Reichsregenten68. Die Characteristik der Marx Clique hat mich recht amüsirt. Darin ist gewiss jeder Zug Wahrheit. Franziska Maria has acted like the devil all day. She deserts me continually and runs away from me in the street, & acts awful. My rose which you gave me on my last birth day, after having been dead all winter, is now putting forth beautiful leaves, I suppose from the inspiration of your spirit.69 Uebrigens ist Mr Blind mir ein widerwärtiger Cumpan. Ein solcher Großprahler von europ. Korrespondenten, nein da lobe ich mir noch den „Theodore Karcher“70 den die Leute hier eine Zeitlang für einen the Corresp. hielten. – Unsere Geburtstage lieber Fritz, wollen wir im liebenden Angedenken an Dich feiern. Ich werde uns einige Blümchen auf der öden kalten Flur Wisconsins kaufen u. denken, Du habest sie uns von Deinen schönern Gefilden gesandt. Für Maria habe ich schon ein Sonnenschirmchen gekauft. Für mich macht sie ein Dutz feine Hemden, anderer Art als ich sie bisher
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Der Achtundvierziger Karl Vogt, der in der Schweiz lebte, veröffentlichte 1859 seine „Studien zur gegenwärtigen Lage Europas“, welche ihn bei vielen linksgerichteten Deutschen im Exil unbeliebt machte. Es entbrannte ein Streit und Vogt machte sich über Marx als Anführer der „Schwefelbande“ lustig. Marx unterbrach daraufhin für ein Jahr seine Arbeiten über politische Wirtschaftlichkeit und publizierte ein Werk, in dem er sich gegen diese Vorwürfe wehrte. Marcello Musto, „Marx in the Years of Herr Vogt: Notes toward an Intellectual Biography“, Science & Society 72, no. 4 (2008): 393–94. Karl Blind (1826–1907) war ein weiterer Achtundvierziger, der in Baden gekämpft hatte, dann aber später in London lebte. Blind verfasste zahlreiche Artikel über deutsche Geschichte und Politik. Er schrieb auch für das Blatt Der Pionier, das in Boston von Karl Heinzen (1809–1880) herausgegeben wurde, der zu den radikalsten Achtundvierzigern in den Vereinigten Staaten gehörte. Joseph McCabe, A Biographical Dictionary of Modern Rationalists (London: Watts & Co., 1920), 82; Mischa Honeck, We Are the Revolutionists: German-Speaking Immigrants and American Abolitionists after 1848 (Athens: University of Georgia Press, 2011), 137–71. Vogt bekleidete dieses Amt 1848 im Rumpfparlament, welches nach der Auflösung der Frankfurter Nationalversammlung in Stuttgart gegründet worden war. Heléna Tóth, An Exiled Generation: German and Hungarian refugees of Revolution, 1848–1871 (New York: Cambridge University Press, 2014), 173. Bevor Mathilde weiterschrieb, fügte Mary diesen kurzen Absatz auf Englisch hinzu: Franziska Maria hat sich den ganzen Tag schon so teuflisch aufgeführt. Sie läßt mich dauernd im Stich, läuft auf der Straße immer vor mir davon, & benimmt sich schrecklich. Die Rose, die Du mir an meinem letzten Geburtstag schenktest, ließ den ganzen Winter den Kopf hängen, aber blüht nun wunderschön, ich nehme an, das geschieht wegen der Inspiration Deines Geistes. Théodore Karcher (1821–1885) war ein französischer Schriftsteller, Herausgeber und Politiker. Jean-Pierre Kintz, Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne (Straßburg: Fédération des Sociétés d’Histoire et d’Archéologie d’Alsace, 1993), 20: 1880.
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trug. Marie macht Alles selbst für mich und die Kinder. Sie bereitet schon so manches vor auf unsere Reise nach dort. Herr Schwedler hat endlich 27. Dollar mir zukommen lassen. ich habe sie aber schon alle wieder ausgegeben für Schulden Kleidungsstücke u. Lebensmittel[.] Marxhausen71 schreibt mir, ich möge noch einige Tage warten, dann schicke er Geld. Hl. Crounse ist ein sehr läßiger Zahler seit er sich die junge Frau geholt hat. Meine Kopfschmerzen, die mich nach den letzten Krämpfen Tage u. Nächte lang peinigen, lassen mich den Bf nur stückweise vollenden. Wir kommen eben – Mary u ich – aus Booths Gefängniß. Seine Strafzeit ist um; allein frei werden die Sclavenzüchter ihn wahrscheinlich nicht geben. Vielleicht werden sie ihn eine Zeit lang an Bord des Ver. St. Schiffes fesseln u. zur Veränderung ihn mal Galeerensclave spielen lassen. Wohin sie sonst mit ihm wollen, kann man nicht errathen. Ein paar gute alte abolitionistische Häfen bereiten eine gewaltsame Befreiung vor – obs gelingt u. ob Muth dazu vorhanden ist? Vielleicht im Landvolk, was man zu dem Zweck aufbieten will. Wir brachten uns Dein Bfr. vom 21. Febr. mit von der Post. Ich danke Dir, lieber Fritz – auch die Kinderchen danken für die allerliebsten Bildchen. Ich danke Dir aber auch besonders für die schönen Bücher, die Du für mich angeschafft hast. Etwas alt-griechische Literatur hatte ich schon so lange gewünscht. Die Encyclopädie der class. Alterthumskunde wird mir von großem Nutzen sein. Den Plutarch72 den wünschte ich mir doch vor Allem. Aber Du sollst Dir kaum Entbehrungen für diese meine Liebhabereien auflegen. Napol. lakonische Briefe von X habe ich schon drei Mal besessen73. Ueber den Londoner Plan, lieber Fritz, kann wie Du siehst jetzt nichts weiter gesprochen werden. Wir haben B[ooths] Schicksal ruhig abzuwarten. Ich theile Dir sofort mit, wenn irgend etwas eintritt, was ihn oder uns betrifft. Deine verloren gewähnter B[rie]f an den [Free Democrat] ist auch – doch ich sehe eben, daß ich Dir das schon mitgetheilt. Mutter wollte Dir selbst schreiben, Percy ist nach ihr gegangen, um das Herthachen abzuholen u. die Bf mitzubringen. Die beiden Kinderchen zusammen sehen, ist ein Plaisier. Hertha beherrscht den Percy sehr. An ihrer Mama hangen sie sehr. Der Perci geht nicht aus dem Hause, ohne mich in seine Arme zu schließen. Er schläft jetzt allein, oben auf Deinem ehem. Zimmer. Da höre ich wenn er mal nachtwandelt, wozu er übrigens keine Anlage. Großmutter hat während des
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August Marxhausen aus Hessen gab in Detroit über ein halbes Jahrhundert lang deutsche Zeitungen heraus. Im Jahre 1859 leitete er mit seinem Bruder zusammen das Michigan Journal. The City of Detroit, Michigan, 1701–1922 (Detroit: S. J. Clarke Publishing Company, 1922), 3: 226. Biografien zählen zu den bekanntesten Werken des griechischen Denkers Plutarch (46–120). Dies ist möglicherweise ein indirekter Verweis auf die Briefe, die Napoleon Bonaparte seiner Frau Josephine schrieb und die mehrmals in französischer, deutscher und englischer Sprache veröffentlicht wurden. Die Liebesbriefe gelten eher als leidenschatflich als prägnant und so ist Mathildes Beschreibung „lakonisch“ vielleicht scherzhaft gemeint, denn „Napol. lakonisch“ klingt wie „Napoleonisch“. Henry Foljambe Hall, „Introduction“, in Napoleon’s Letters to Josephine, 1796–1812 (London: J. M. Dent & Co., 1901), xv–xx.
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seit Tagen wehenden Sturmes zu große Schmerzen, um Dir schreiben zu können. Sie grußt Dich mit vieler Liebe. Nächstens einen Bf von ihr! Du schreibst doch die specielle Beantwortung verschiebe ich lieber. Bleib gesund. Maria grüßt Dich bis zum nächsten Mal schreibt sie Dir. Diesem Bf soll bald einer von uns Allen folgen. Leb wohl, Deine Mathilde
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, 4. Juli 1860 Mein lieber Fritz! Ich will den Unabhängigkeitstag mit Schreiben an Dich feiern. Unsere Koffer stehen gepackt, der Paß für Maria ist da; der meinige kann nicht eher angefertigt werden, bis ich meine Naturalisations Papiere herbeigeschafft habe. Das kann Morgen geschehen; Senator Durkee74 besorgt unsere Geschäfte in Washington: „they money will come, because it must.“75 Ich habe früher niemals bemerkt, daß Du Deinem guten Stern so blindlings vertrautest. – Auf den 20. d[es] M[onats] haben wir die Abreise festgestellt; ob wirklich so viel vorhanden sein wird, um das Wagniß antreten zu können, ich kann ich Dir noch nicht bestimmtes darüber sagen. Dein Bf. vom 1. Juny habe ich am 26. empfangen, den vom 13., am 1. d[es] M[onats]. Ich würde Dir früher schon geantwortet haben, wenn ich nicht so erwartungsvoll von einem zum andern Tage frei gebracht hätte. Das erste was wir von verschiedenen Seiten erwarteten (d[er] P[aß] für Maria!) das war Geld. Das zweite die Befreiung Booths. Von dem Letztern hing die Erfüllung des Erstern viel ab. Seit 14 Tag hatten Maria u. ich die Conspiration geleitet. Der Staatsgeologe Daniels, ein Mann, der in Kansas gefochten u. der in Ripon (150. Meilen von hier) wohnt, übernahm die Leitung. Der Streich sollte gestern Morgen 5. Uhr geführt werden. Die Arrangements konnten hier besser getroffen werden. Am zweiten Juli benachrichtigten wir unsere entfernt wohnenden Mitverschworenen (Farmer – echte alte Republikaner aus den alten New Englandstaaten, die wirklich tiefen Schmerz empfanden die Schmach tragen zu müssen, die Freiheit in ihrer Mitte gefesselt zu sehen an dem Tage ihrer Unabhängigkeit. Percy u. ich fuhren noch am späten Abend mit einem hurtigen Pferde 13 Meilen weit, um die Männer zu benachrichtigen. Daniels traf Nachmittags ein. Waffen u. Munition waren bereit, die Nacht gebrauchten wir zum Laden; vier Uhr trafen die Verschworenen ein, 5 Uhr, kurz nachdem die Postofficen auf geschlossen sollten 8. Mann, mit Revolver bewaffnet, mit Stricken ja versehen, kräftige, energische Leute, die Stufen hinauf gehen, sich der Wachen bemächtigen, während Daniels mit dem Dir bereits bekannten Schlüssel die Thür auf74 75
Der republikanische Senator Charles Durkee persönlich half Mathilde und Mary bei der Beschaffung von Reisepässen. Er beschrieb Mary in einer Notiz für Mathilde als ihre „gemeinsame Freundin“. Charles Durkee an Mathilde, 27. Juni 1860, Box 2, Ordner 6, Booth Family Papers. „Das Geld wird kommen, denn es muss einfach.“
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schloß u. den Gefangenen herausführte. Zwei Mann fehlten von diesen acht; ich hatte diejenigen, für welche ich verbürgt, zur Stelle geschafft; voll Muth. Unsere Reserven waren vorbereitet, u. eine Anzahl von 25 in nicht zu großer Entfernung. Daniels seine Leute, auf die er alles gebaut, blieben aus; nur Einer, ein Student der in Kansas an Browns Seite wie ein Löwe gefochten76 traf 5. Stunden später ein, – seine Order lautete auf den 4. anstatt auf den 3. – ob dies Daniels Schuld – ich habe nicht weiter gefragt. Unser Haus war das Hauptquartier des engern Ausschußes. Die Stunde war da, alles fertig, nur nicht die Zahl vollständig die den ersten Angriff zu wagen übernommen hatte. Wir entließen die Anwesenden aber in der festen Voraussetzung, der Angriff werde gemacht. – Verfehlte Hoffnung! Sie kamen zurück, mit dem Bemerken; aufgeschoben bis zehn oder zwölf Uhr. Die weniger zuverläßigen Reservisten konnten nur zu bald das Geheimniß brechen; – der Aufschub – ob aus Feigheit des Führers oder einiger Verschworenen, das kann ich bis zu diesem Augenblick noch nicht erfahren – war zu lange. B[ooth] gab Zeichen von seinem Fenster aus, die empfahlen nicht vor 12 ½ anzugreifen. Daniels war krank geworden, nicht etwa simuliert, wirklich krank – die Hitze ist schrecklich –; Sein Freund der Student, ein echter Revolutionär, der steht bis er fällt, kam an. Daniels sollte die Führung ihm übergeben haben. Er that es nicht; Zwölf Uhr war wiederum alles vorbereitet; unser Reserve Chor war auf 50. angewachsen die sich teil weise in u. um das Postoffice aufhielten. Da mit einem Male entfalten die Wachen ihre Kräfte und – es war Feigheit, behaupte ich – schon auf der ersten Stufe zieht Daniel, der der erste – zieht er sich vor den bewaffneten Wachen zurück: „Es ist eine alte Geschichte“: – Bis an den Zähnen stecken sie jetzt wieder im Eisen. Wie eine Feste ist das Postbuilding armirt. Zu nehmen ist es natürlich nicht; nur durch eine Überrumpelung ist B[ooth] herauszubringen – u. die ist fürs erste mal wieder unmöglich geworden[.]Heute lieβen wir Placate anschlagen: „Free men! To the Custom House! at 2 o’clock to prove our Day of Independence a reality. Booth will address the people from his prison window!77 Sein Fenster geht auf eine Allee hinaus[.] Daniels ist krank abgereist – La Grange – das ist der Kansasfeighter – bleibt – geht vielleicht die Nacht, aber kommt wieder!! – Zwei Uhr war eine Masse Menschen da! Booth hatte seine Rede aufgeschrieben und wir hatten sie zwölf Uhr herausgeschmuggelt! Als Booth zum Fenster kommt, kommen seine Wächter drei Mann hoch auch! B[ooth] kann nicht sprechen – seine Fenster werden geschlossen – die eisernen Blenden vorgelegt – La Grange springt aufs Dach eines gegenüberliegenden Schuppens und liest nach einer revolutionären Introduktion Booths Rede. Das ist nun eben geschehen. Ei76
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Später identifiziert Mathilde diesen Studenten als (Oscar) La Grange (1837–1915), der 1855 mit John Brown und anderen sklavereifeindlichen Milizarmeen in Kansas gefochten hatte, nach Wisconsin zurückkehrte um das Ripon College zu besuchen und später im amerikanischen Bürgerkrieg Brigadegeneral wurde. Dictionary of Wisconsin Biography (Madison: The State Historical Society of Wisconsin, 1960), 220. „Für die Freiheit! Alle zum Zollhaus! Um 2 Uhr wird unser Unabhängigkeitstag Realität. Booth wird von seinem Gefängnisfenster aus zu den Menschen sprechen!“
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nige Brave in der Menge waren bereit die Schmach an ihrer Freiheit augenblicklich zu rächen – aber sie wären verloren gewesen, wenn sie wirklich einen Versuch gemacht hätten. – Wir hatten uns vorgenommen, lieber Fritz, ehe wir abreißten Alles zu versuchen, Booths Freiheit zu erlangen. Ich hatte es für eine Leichtigkeit gehalten u. wahrhaftig, wenn ich hätte Führer der Leute sein dürfen – er wäre jetzt frei, so wahr ich lebe! In diesem Augenblick sind wir rathlos. – Schurz ist ein matter Politiker geworden; Du hast ganz recht, daß er von seinen Obersten Commandos bekommen; es ist Fact, daß Seward die Parole gab; „Staatsrecht fallen lassen“.78 Die roth verschrienen Paines – der elende Herr Domschke79 pfeifen Alle auf einem Horn, das Heer der Abolitionisten, die einzig getreuen, ist klein! Reis80 zog ich am Morgen des 3. July mit in die Conspiration: Er war mit einigen Anhängern stets auf dem Platz u. bewährte sich sehr zuverläßig. Hl. Domschke besucht ihn schon lange nicht mehr. Wilhelm Steinmeyer 81, den ich requirirte, ohne daß sein Vater oder seine Mutter davon wußten, war morgens 4 Uhr auf der Stelle, wir gebrauchten ihn als fliegenden Boten u. im Nothfalle hätte ich ihm den Platz als Pistolen lader angewiesen. Der Junge zeigte sich prächtig; ich muß ihn Dir loben. Ich komme jetzt zur Beantwortung Deines letzten lieben Briefes[,] der erste enthält so wenig daβ ich gar von dem nicht zu sprechen brauche. Dein Reiseplan ist so ausführlich, daß wir ihn gleich, ohne die geringste Abänderung antreten, wenn wir das Geld bereit hätten. Es ist dann immer noch schlimm genug Booth im Kerker zurückzulassen, aber er selbst und die Leute müssen sich am Ende darüber hinwegsetzen. Er thut eigentlich nichts für seine Familie, ich glaube er denkt nicht daran, ob und wie sie durchkommt; nur wenn er Sympathie erregen will, spricht er von ihr und daß sie nichts zu leben haben. Wahrlich Maria ist ein sehr sehr unglückliches Weib. Wir besitzen in diesem Augenblick 80 baare Dollar…. Von den Möbeln werde ich fast nichts los. Frau H[enriette] Anneke wollte vor 8. Wochen schon den Kochofen kaufen. Ich sagte ihr denselben zu. Jetzt ist es ihr leid – unter dessen wär ich ihn schon drei Mal losgeworden. Maria hoffte von ihrem Priester auf dem Lande für ein Jahr in Vacanz den Rent zu
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Anfang 1860 hatte der New Yorker Senator William Seward seine öffentlichen Erklärungen bewusst gemäßigt, in der Hoffnung, als Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei aufgestellt zu werden. Er hatte vorher die Position vertreten, dass die Nordstaaten den Fugitive Slave Act nicht in Kraft setzen sollten. Schurz hatte sich hinter den moderaten Abraham Lincoln gestellt und sich von Booth distanziert. Walter Stahr, Seward: Lincoln’s Indispensable Man (New York: Simon & Schuster, 2012), 182–84, 132, 154; Trefousse, Carl Schurz, 83. Siehe Fußnote 89 (Kapitel 1). Möglicherweise Constantine Reis, ein Lehrer aus Baden. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 2te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 81, „dwelling“ (Wohnstätte) 545, „family“ (Familie) 492. Im Zensus von 1860 wird William Steinmeyer als ein neunzehnjähriger Waffenschmied gelistet, der bei Carl and Henriette Anneke wohnhaft war. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 2te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 38, „dwelling“ (Wohnstätte) 318, „family“ (Familie) 342.
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beziehen, aber er bringt nur den vierteljährigen.82 Von den Ländereien kann ich nicht ein Lot83 verkaufen. Vom Building bekommt sie fast gar nichts. Alte Schuldforderungen gehen nicht ein. Die repub. Congreβmitglieder versprechen viel zu thun, bis jetzt haben sie noch nichts gethan[.] Nichts desto weniger hoffen wir noch. Für äußere Ausstattung ist gut gesorgt. Fünf der schönsten feste Koffer stehen gepackt. Wir sind alle gut equipirt. Mutter hat mich mit einem schönen schwarz seidenen Mantel versehen der 12. Dollar kostete; die Kinder sind mit Allem versehen. Maria hat unaufhörlich gearbeitet. Wir erwarten Doolitle84 oder Durkee in den nächsten Tagen; da können wir diesem Briefe gleich einen andern folgen lassen, der die bestimmte Stunde der Abreise mittheilt. Die Kinder sehnen sich sehr danach. Hertha kommt mit Händchen voll Rosenblättern, die ich Dir immer senden soll. Ich denke wir verzichten selbst in günstigern Fällen auf die Freude Dich am Ufer zu treffen. Wir wollten durch Frankreich so schnell wie möglich reisen, um Dich vielleicht in dem St. Louis auf Schweizer-Franz.-Grenze zu finden. Auf mein Engagements sei es für Dich oder für mich, sinne ich. Willich85 hatte ich auch schon gedacht; ich werde ihm mal schreiben. Wegen unseres Haushalts bin ich wirklich im Zweifel. Muß ich die Sorge für den tragen, so ist meine liter[arische] Wirksamkeit nicht viel zu verwerthen. Habe ich, wie sonst, zwei-, dreimal des Tags an 6. hungrige Mägen zu denken, so bleibt nicht viel Zeit übrig. Dazu sind wir so anspruchslos – so republ[ikanisch] einfach – amerik[anisch] sparsam geworden, daß Du kaum mit uns in diesen Tugenden zu concuriren verlangen wirst. Indeß da housekeeping billiger u. angenehmer auf die Dauer, so müßen wir wol dazu übergehen. Ich denke mit dem Miethen lieβest Du es bewenden, bis wir kommen, vorausgesetzt man in einigen Tagen nothwendige Einrichtung dort treffen kann. Also unsere Hoffnungen erstrecken sich auf ein Kapital von 2 bis 300. Dollar die Maria in den nächsten Tagen vielleicht erhalten soll u. auf meine Forderungen in N. von Detroit u. New York. Sobald wir im Besitz des Notwendigen, ziehen wir ab. Auf Ermäßigung des Preises für die Fahrt hoffen wir, auf freie – – ich glaube nicht. Wenn etwas mehr Ehrenhaftigkeit in der repb. Parthei wäre, wahrlich Maria müßte mit Glanz absegeln können. Aber das verhängnisvolle help yourself erstreckt sich auf Jeden im amerik. Volk. Nur B[ooth] scheint eine Ausnahme, der wünscht stets von Andern geholfen zu sein; er liebt es sehr, zu lamentieren, und Gelegenheiten zu benutzen auf jede Art money zu machen[.] 82 83 84 85
Die Identität von Marys Mieter ist nicht bekannt. Grundstück. Wisconsins anderer Senator war der Republikaner James R. Doolittle. (Mathilde schrieb den Namen falsch.) James Grant Wilson and John Fiske, Hg., Appletons’ Cyclopædia of American Biography (New York: Appleton, 1891), 2: 201–2. Ähnlich wie Fritz war auch August Willich (1810–1878) aus politischen Gründen aus der preußischen Armee ausgetreten, hatte 1848 mit Fritz in Köln gearbeitet und 1849 in Baden für eine deutsche Republik gekämpft. In den Vereinigten Staaten gab er den Cincinnati Republikaner heraus und wurde zu einem sehr energischen Sklavereigegner. Als General in der Unionsarmee war er äußerst beliebt und stieg bis zum Rang eines Brevet-Generalmajors auf. Honeck, We Are the Revolutionists, 71–103.
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Percy u. Hertha schreiben Dir nicht mehr, weil sie ja doch nun bald bei Dir sind. Es ist wahrlich hohe Zeit daß sie Dich wiedersehen. Herthachen will nicht anders wie Irla genannt werden. Sie hatte mir schon lange angekündigt, daß ich Dir schreiben müße. Lilian ist ihr so lieb geworden, wie ein Schwesterchen. Percy wird ein ziemlich kräftiger Junge. Hertha hat gestern wieder ein paar neue Schue (alle 5. Wochen muß sie welche haben) bekommen, in denen sie recht bequem gehen kann. Für die drei Kinder habe ich alle 4. Wochen mindestens 4. Dollar in Schuhe zu zahlen. Die Kleinen spielen den ganzen Tag im Hof. Percy hat einen weiten Weg zur Schule zu machen. Es wird wol nicht nöthig mehr sein, mir hieher zu schreiben. Ich hoffe wir werden bis Ende des Mondes wenigstens fertig sein. Ich schreibe Dir sofort, wenn unsere Gelder einspringen. Von New York aus ebenfalls. Maria wird unsere Tage in Hartford bei ihrer Ella u. den liebenswürdigen Alten zu bringen. Ich gehe ein od. zwei Tage nach Newark, dem trostlosen Newark. In New York will ich im Shakespare Hotel auf Deinen Rath mich aufhalten. Von dort zeige ich genau alles über unsere Abreise an. In Southhampton oder Havre86 gebe ich Dir Nachricht von unsrer Ankunft. An Theophil Beust87 will ich in den nächsten Tagen auch schreiben, von wegen der Tochter Uhls88 erwähnen. Für Fritz Beusts Schule konnten wir hier nach u. nach manches thun. Warum schreibst Du nicht sehr lange in den englischen Blättern89 darüber? – Du sprichst von einer neuen Wirthschaft im tiefen Brunnen; ich habe nicht gewußt daß Roßmanns90 nicht Wirthe mehr sind. Ich denke, wir wählen unsere Wohnung in der Nähe der Stadt, etwa am See? Wir bringen nur Transportables und nur Schönes mit. Bücher laße ich meist alle hier. Aber wo u. was weiß ich selbst noch nicht. Du hast nach diesem B[rie]f bald wieder einen zu erwarten. Addresse wie Du angiebst gleich dieser „Tiefen Brunnen“[.] Lebe wohl, lieber Fritz! Ich und unsere lieben Kinderchen umarmen Dich. Es ist ein furchtbares Schicksal für uns Alle, so auseinandergerissen zu sein; aber wir wollen hoffen auf ein baldiges und glückliches Wiedersehen. Bleibe gesund. de Deine alte, Dich innig liebende Mathilde.
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Le Havre in Frankreich war ein wichtiger Emigrationshafen. Fritz Beusts Bruder Theophil immigrierte 1849 nach New Jersey, allerdings taucht sein Name in den Zensusdaten von 1860 und 1870 nicht auf. 1880 wurde er dann mit seinem Beruf als „Herausgeber“ gelistet. „United States Passport Applications, 1795–1925“, (Bewerbungen um einen Reisepass der Vereinigten Staaten, 1795–1925) FamilySearch, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, https://familysearch. org/ark:/61903/1:1:QKNT-6HX6; US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1880), Town of Union, New Jersey, S. 56, „dwelling“ (Wohnstätte) 98, „family“ (Familie) 399. Wahrscheinlich die Tochter von Anna Ottendorfer, die in erster Ehe mit dem verstorbenen Jacob Uhl verheiratet gewesen war. Siehe Fußnote 93 (Kapitel 2). Mathilde meint englischsprachige Zeitungen in den Vereinigten Staaten. Möglicherweise dieselbe Familie, die Fritz in einem früheren Brief Coßmann nannte. Zwar ist die Handschrift deutlich, jedoch könnte hinsichtlich des Namens Verwirrung bestanden haben. Siehe Fußnote Fußnote 82 (Kapitel 1).
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Du wirst Dich über meine Corpulenz wol erschrecken. Ich gewinne täglich trotz der mäßigsten Lebensweise. Die Stadt Eisenbahn wird von der armen Großmutter viel benutzt. Sie schleift mit ihren Krücken 1. Block weit u. fährt zum Amüsement vom Berg nach Walkerspoint u. so zurück. Diese Einrichtung ist das rentabelste Geschäft in Milwaukie. Dein dicker Freund Garenfeld91 ist in St. Louis am Sonnenstich gestorben.
Mathilde Franziska Anneke an Mary Booth Newark, 1. August 1860 (englisches und deutsches Original) Meine viel geliebte Maria! I have retourned yesterday New York, tired to death, but happy in possession of your letter and very contended in arangements of our voyage. Your passport must be undersigned day before sailing from french consul! Baggage should be sent on board the day before sailing! I expect you also Friday, so early as possible.92 My friend Mrs Ottendorfer,93 proprietor of Staatszeitung, shall received you with pleasure, when I am not myself on board. I have to tell you very much, when I have you again, my dear, dear Maria! I hope, you are contended with all my arangements which I have made. Many of my old friends in New York I have seen again.94 Struve95 (our historian) General
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Gustav Garenfeld hatte in der öffentlichen Schule in Milwaukees sechster Ward Deutsch unterrichtet, bevor er in St. Louis in einem Saloon starb. Milwaukee Daily Sentinel, 10. Juli 1860. Ich bin gestern aus New York zurückgekommen, todmüde, aber glücklich angesichts Deines Briefes und sehr zufrieden mit den Vorbereitungen unserer Reise. Dein Reisepaß muß vom französischen Konsul am Tag vor unserer Abreise unterzeichnet werden! werden Das Gepäck sollte am Tag vor der Abreise aufs Schiff geschickt werden! Ich erwarte Dich auch am Freitag, so früh wie möglich. Anna Uhl hatte die New-Yorker Staats-Zeitung mit ihrem ersten Ehemann geleitet, bis zu dessen Tod im Jahre 1852. Als Herausgeberin und Redakteurin arbeitete sie an der Seite von Achtundvierziger Oswald Ottendorfer, der 1858 Chefredakteur wurde und nach der Eheschließung mit Anna Uhl die rechtliche Führung über das Unternehmen erlangte. Anna Ottendorfer war weiterhin in führender Position tätig. Unter ihrer Leitung etablierte sich die Staats-Zeitung zu einer der größten deutschsprachigen Zeitungen des Landes und rivalisierte hinsichtlich der Auflage mit der New York Times und der New York Tribune. James M. Bergquist, „Ottendorfer, Anna Behr Uhl,“ in American National Biography (New York: Oxford University Press, 1999), 16: 841–42. Meine Freundin Mrs. Ottendorfer, Inhaberin der Staatszeitung, wird Dich mit Freuden empfangen, sollte ich noch nicht da sein. Ich habe Dir so viel zu erzählen, wenn ich Dich wiederhabe, meine liebe, liebe Maria! Ich hoffe Du bist zufrieden mit all meinen Arrangements, die ich getroffen habe. Ich habe viele meiner alten Freunde in New York wiedergesehen. Gustav Struve (1805–1870) war Chirurg und Journalist. Zusammen mit Friedrich Hecker hatte er sich 1848 und 1849 für die Gründung einer deutschen Republik eingesetzt. A. E. Zucker, Hg. The Forty-Eighters: Political Refugees of the German Revolution of 1848 (New York: Columbia University Press, 1950), 346.
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Nach Europa
Blenker96 & his wife, Lexow, proprietor of Criminalzeitung, all together have come to see me. Blenker has had yesterday his birthday – I call it that festival of his eternal youth – he had spoeken to his wife about those happy evening in Milwaukie and about my lovely dear friend. To morrow, I am going again to New York to receive my last money; our Gold is saved for Switzerland and more. In Paris you shall buy you an beautifull mantilla.97 I was very oekonomical and I have collect my money very good. (Show nobody my scripture and burn it very quick, when you have half understand, what I had to say you.)98 Last night I have received from Mr Booth a long long letter, which I wisch to answer when you have read it to. I am gladed, that you have answer him, as you say: You shall never an offence suffer. –99 Wie viel habe ich an Dich gedacht: wie mit meiner ganzen Seele über dein finsteres Schicksal (dark faith) gedacht. Meine Maria! Mein Leben ist Dir gewidmet, ich trage mit Dir den Schmerz Deines Herzens. Sei stark und hoffe auf einen neuen Blumengarten. Die Blüten des verwelkten sind Gifthauch??. Sei nicht traurig, wenn Du auch Alles verloren hast, so hast Du die Liebe meines Herzens doch ewig, und sie muß dich trösten können, da sie echt ist. Give my thank and my Love to your sister Jane and to your family!100 Forget not, that you must be Friday in New York, and Saturday morning 9 o clock Bremen, foot of Chamber Street, Pier 30. with the children on board of steam boat Bremen 101 North River (now in port.)
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Louis Blenker war ein Achtundvierziger, der 1849 in Baden gekämpft hatte. Er ließ sich in Rockford County, New York, nieder und stieg später in der Unionsarmee bis zum Rang eines Brigadegenerals auf. Er fiel 1863 vom Pferd und starb an den Folgen seiner Verletzungen. Zucker, Forty-Eighters, 280. 97 Ein traditionelles spanisches Schleiertuch. 98 Struve (unser Historiker), General Blenker & seine Frau, Lexow, Eigentümer der Criminalzeitung, waren gestern alle hier, um mich zu besuchen. Blenker feierte gestern seinen Geburtstag – Ich nenne es das Festival seiner ewigen Jugend – er hatte seiner Frau von dem schönen Abend in Milwaukie erzählt und von meiner liebenswerten lieben Freundin. Morgen gehe ich wieder nach New York, um mein letztes Geld zu erhalten. Wir haben unser Gold angespart für die Schweiz und noch mehr. In Paris werde ich Dir eine wunderschöne Mantille kaufen. Ich war sehr ökonomisch und habe klug mein Geld gesammelt. (Zeige niemandem diesen Schrieb und verbrenne dies sehr schnell, wenn Du halbwegs verstanden hast, was ich Dir zu sagen hatte.) 99 Gestern Abend erhielt ich einen langen, langen Brief von Mr. Booth, den ich zu beantworten gedenke, sobald Du ihn auch gelesen hast. Ich bin froh, daß Du ihm geantwortet hast, denn wie Du sagst: Du sollst nie eine Beleidigung ertragen müßen. [Die letzten beiden Sätze sind im Original unklar.] 100 Richte Deiner Schwester Jane und Deiner Familie meinen Dank und meine herzlichsten Grüße aus! 101 Vergiß nicht, daß Du am Freitag in New York sein mußt, und dann am Samstagmorgen um 9 Uhr an Bord des Dampfers Bremen Bremen, am Fuße der Chamber Street, Pier 30. North River (now in port.) [Der Satz ist im Original unklar.]
September 1859–August 1860
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Lebe wohl, mein Herzens kind! Küß mir Ella und Lilian und denke daß kein treuers Herz auf der Welt für Dich schlägt, als das Herz Deiner Franziska Maria Mathilde Franziska
Mary Booth an ihre Tochter Ella Booth New York, 3. August 1860 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Ella: Wir sind gestern Morgen gegen vier Uhr in New York angekommen und haben um fünf eine Kutsche genommen & sind ins Hotel, wo all unsere Sachen sind – nach einer Weile sind Lillian und ich dann zum Büro der „Staats Zeitung“ gelaufen – & haben Madam Anneke die Nachricht hinterlassen, daß wir da sind – nach etwa zwei Stunden kam sie zu uns. Wir sind dann mit ihr zum Abendessen zu Mrs. Offendof102 – der Inhaberin der „Staats Zeitung“ – und dann zu einer anderen deutschen Lady, mit der wir Kaffee tranken. Dann ganz weit oben in Uptown waren wir bei einer liebenswerten Familie eingeladen, mit der wir Wein tranken. Der Mann des Hauses hat uns dann in einer Kutsche rüber zum Central Park gefahren, wo wir Schwäne gesehen haben. Der Park ist wundervoll und hunderte von Morgen groß. Danach brachten wir Fanny zur Newark Station und sind wieder zu Mrs. Offendofs, wo wir übernachteten. Lillian hatte ein wunderschönes Bett für sich alleine in einem Zimmer neben unserem. Es ist ein hervorragendes Haus & auch die Umgebung ist reizend. Die Lady ist nun in ihr Büro gegangen, welches das schönste in ganz New York ist, und auch Madam Anneke wird den ganzen Tag geschäftlich unterwegs sein, während ich hierbleibe. Fanny war gestern in New York, so daß ich sie den ganzen Tag gesehen habe und nun nicht mehr nach Newark fahren muß. Sie war allerdings so krank, daß sie kaum laufen konnte. Lillian sitzt auf einem wunderschönen roten Samtsofa, umgeben von Kissen & spielt mit einer Puppe, die beinahe so groß ist wie sie selbst. Sie ist sehr glücklich. Ich wünschte, ich könnte den Tag mit ihr verbringen. Wir haben vor, den ganzen Tag hierzubleiben & nicht auszugehen & dasselbe gilt für heute Abend. Madam Anneke werde ich nicht vor morgen Vormittag wiedersehen. Sie schickt Dir zwei Dollars, um dafür etwas Schönes für Dich selbst zu besorgen. Sie wollte Dir erst fünf Dollars schicken, aber ich sagte das solle sie nicht tun – zwei würden durchaus genügen. Sie wollte Dir eine Kiste voller Sachen per Express schicken, hatte dann aber keine Zeit sich darum zu kümmern[.] Stattdessen schickt sie nun das Geld. Sie sendet Dir herzliche Grüße & sagt sie werde Dir bald Geschenke aus der Schweiz schicken, sobald wir dort sind. Ich habe
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Anna Ottendorfer, siehe Fußnote 93 (Kapitel 2).
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Nach Europa
vergeßen, sie nach unserer dortigen Adresse zu fragen, aber ich bekomme sie morgen & werde dann Gram noch ein paar Zeilen schicken. Wm. H. Burleigh103 wird mich heute hier besuchen kommen. Ich nehme an, Du weißt, daß Dein Vater aus dem Gefängniß draußen ist104 – es steht in der Tribune.105 Er wurde am Mittwoch von zehn Männern aus dem Gefängnis geholt, ganz ohne Probleme, & wurde ins Landesinnere gebracht. Dies geschah mittags, am hellichten Tage. Sie sperrten den Gefängniswärter in seinem Zimmer ein, gleich gegenüber von dem Deines Vaters, & und hatten keine weiteren Probleme. Du kannst Dich dafür bei Mr. Daniels bedanken. Er war entschloßen, es zu keinem Blutvergießen kommen zu laßen, & dies gelang ihm auch. Lillian hat gestern den Kopf ihrer Puppe zerbrochen, & Fanny brachte ihr eine andere. Sie ist sehr glücklich sich um all diese wunderschönen Sachen kümmern zu dürfen. Mrs. Anneke bedauert es, daß Jane & Du nicht mit mir mitgekommen seid. Wir fahren durch Deutschland & am Rhein entlang statt durch Frankreich, denn es ist so viel schöner & Mrs. Anneke hat einen Pass der Vereinigten Staaten. Sie ist begeistert von der Idee – also werden wir nun direkt nach Bremen gehen. Zwei Söhne der Lady, in deren Haus ich zu Gast bin, gehen auf eine Schule in Zürich in der Schweiz. Mit den allerliebsten Grüßen, Deine Mutter.
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William H. Burleigh war zu dieser Zeit Hafenmeister in New York. Er hatte vorher für Sherman Booth gearbeitet und hatte in den 1840ern zusammen mit ihm in Connecticut Wahlkampf geführt. Owen W. Muelder, Theodore Dwight Weld and the American Anti-Slavery Society ( Jefferson, N. C.: McFarland & Company, 2011), 73; Semi-Centennial Historical and Biographical Record of the Class of 1841 in Yale University (New Haven: Tuttle, Morehouse & Taylor, 1892), 48. 104 Booth war vom 1. August bis zum 8. Oktober auf freiem Fuß. Am 8. Oktober wurde er wieder festgenommen. Präsident James Buchanan erließ ihm sein Bußgeld und ordnete am 2. März 1861 Booths Freilassung an, kurz vor der Amtseinführung von Abraham Lincoln. Baker, Rescue of Joshua Glover, 168. 105 Mary meinte hier höchstwahrscheinlich Horace Greeleys große und einflussreiche New York Tribune, eine abolitionistische Zeitung, in der auch einige Schriften von Karl Marx abgedruckt wurden. Adam-Max Tuchinsky, Horace Greeley’s New-York Tribune: Civil War–Era Socialism and the Crisis of Free Labor (Ithaca, N. Y.: Cornell University Press, 2005).
Kapitel 3 Heimat in den Alpen August 1860–März 1862
Gemeinsam mit Percy, Hertha und Lili erreichten Mary und Mathilde Europa im August 1860 und es kam zu einer Familienzusammenführung mit Fritz. Über ihre Erfahrungen während des ersten Jahres in Zürich ist relativ wenig bekannt, da die drei Erwachsenen selbstverständlich keine Briefe austauschten als sie unter einem Dach lebten. Allerdings kehrte Fritz im September 1861 in die Vereinigten Staaten zurück, um der Unionsarmee beizutreten, so dass Mathilde wieder begann, ihm regelmäßig zu schreiben, manchmal mehrmals die Woche. Von Fritzens Briefen aus dieser Zeit hat keiner überlebt und Mathilde beschwerte sich, dass seine Briefe nicht immer ankamen. Nach Ankunft in den Vereinigten Staaten suchte Fritz geschäftig nach einer Position, die es ihm ermöglichen würde, vor Ort Artillerietruppen anzuführen. Am 1. Oktober 1861 wurde er zum Oberst von Wisconsins 1. Artillerieregiment ernannt, trat jedoch bereits einen Monat später von diesem Posten zurück. Es folgte eine Reihe weiterer ungestümer Karriereschritte.1 Mathilde für ihren Teil zeigte sich sehr interessiert am Erfolg ihres Mannes. Mary und sie diskutierten seinen Dienst in der Armee mit einer faszinierenden Gruppe Züricher Freunde, die ihre Überzeugung teilten, dass sich im amerikanischen Bürgerkrieg eine globale Revolution manifestierte und die Sklaverei durch den Krieg beendet werden müsse. In ihren Kreisen befanden sich viele im Exil lebende Freunde aus den deutschen Staaten. Zu diesen gehörten der Militärschriftsteller Friedrich Rüstow, der einflussreiche Sozialist Ferdinand Lassalle, der Dichter Georg Herwegh und die Autorin Ludmilla Assing, deren Schwester Ottilie durch ihre Beziehung zu dem afroamerikanischen Abolitionisten Frederick Douglass einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangte. Viele der schriftstellerischen Werke der beiden Frauen bezogen sich auf den amerikanischen Bürgerkrieg. Mathilde und Mary verfassten Kommentare für englisch- und deutschsprachige Zeitungen in Europa und
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Wilhelm Schulte, Fritz Anneke: Ein Leben für die Freiheit in Deutschland und in den USA (Dortmund: Historischer Verein Dortmund, 1961), 67.
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Heimat in den Alpen
den Vereinigten Staaten und schrieben fiktive Geschichten, in denen die Unmenschlichkeit der Sklaverei thematisiert wurde. Auch übersetzten sie die Werke der jeweils anderen und besserten sie währenddessen nach. Mathilde und Mary waren bestrebt, ihren Kindern eine bürgerliche Kindheit zu bieten, zu der eine gründliche akademische Bildung ebenso gehörte wie Musik- und Zeichenunterricht, und in Marys Fall auch religiöse Erziehung. Sie erkundeten die Seen und Berge in der Züricher Gegend und feierten gemeinsam Geburtstage und Feiertage. Zwar waren sie glücklich, ihre Kinder in der Schweiz großziehen zu dürfen, jedoch stellte dies auch eine anspruchsvolle Aufgabe dar, waren sie beide doch so oft bei schlechter Gesundheit und warteten vergeblich auf die Bezahlung durch ihre Herausgeber und die Unterstützung durch ihre Ehemänner. Die Briefe in diesem Kapitel gewähren nur einen kleinen Einblick in diese Zeit der Krankheit und der Not, unter der sie so oft zu leiden hatten.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Bremen, 20. August 1860 Am Geburtstage Percys. Mein lieber Fritz! Deinen letzten Gruß empfingen wir auf den schwankenden Meereswogen, in Angesicht der schönen Insel Cowes2, als das kleine Dampferchen die Passagiere eben eingenommen hatte, um dieselben nach Southhampton resp. Havre zu bringen. Wir hatten uns bereits für die Fahrt über Deutschland entschloßen und konnten Deinem Winken nicht mehr folgen. Ich ließ dem jungen Hepp3 durch einen mitreisenden Pfälzer sagen, daß ich nach Bremen gegangen sei. Ich konnte demselben noch eben zurufen vom Bord aus. Gestern Abend langten wir hier an unter beständigen Regengüßen, nachdem wir in der Nordsee unter stürmischem Wetter Anker geworfen u. mit einem kleinen Dampfer in die nordsche Weser stachen. Heute ist Ruhe und Waschtag; die 15. Tage auf dem Meere in einer entsetzlich stinkenden Ragette hat uns sehr erschöpft. Herthachen hat recht gelitten, sie ist so mager geworden und ich habe sie sehr zu hüten. Heute haben wir einen sehr heitern Tag, d. h. in unserm Familienkreise; wir wohnen in einem sehr bescheidenen Hotelchen „Stadt Bremen“; wir haben ein freundliches Zimmer und laßen uns auf demselben serviren, was wir wünschen. Draußen regnet es, wie immer unter norddeutschem Himmel. Wir feiern unsers Percys Geburtstag der heute wirklich ist. Heute Mittag war unser kleines Diner zu fünfen so hübsch servirt. 2 3
Cowes ist eigentlich eine Hafenstadt auf Englands Insel Wight. Johann Adam Philipp Hepp (1797–1867) war ein Physiker und im Exil lebender Achtundvierziger, der seine Zeit in Zürich der Flechtenforschung widmete. Ingvar Kärnefelt et al., „Lichenology in Germany: Past, Present, and Future“, Schlectendalia 23 (2012): 12.
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Eine Flasche Rheinwein, die wir aus grünen Könnern leerten, gab uns häufig Veranlaßung Dich und uns Alle leben zu laßen. Marien gefiel die deutsche Gemüthlichkeit auf deutschem Boden sehr. Wir beschenkten Percy mit einer kleinen Kanone u. einer Harmonika, die er sich wünschte. Nach dem Festdiner ließ ich eine hübsche Droschke kommen und fuhr mit der kleinen Gesellschaft für 12. Grote4 durch die eigenthümliche Stadt und ihre reizenden Promenaden. Das wundervolle Grün hat uns doch so erquikt und die prächtige Blumenflor so sehr erfreut, daß die Kinder fortwährend gejubelt haben. Ach wie schön ist es doch hier, wie ganz anders schön als in Amerika. Eben sind wir von unserer Fahrt zurückgekommen; unsere 5. Kisten sind expedirt u. der Frachtschein folgt hierbei. Gezahlt habe ich nichts. Sie konnten nun dirigirt werden an den Spediteur Jersing & Sohn5 in Basel, der sie an Deine Addresse weiter sendet. In 6. Tagen von heute sollen sie dort sein. Dieser Frachtbrief ist nichts wie ein Dupplicat jenes wirklichen Frachtbriefs, der in genauer Copie von diesem jene begleitet. Morgen reisen wir nun bis Dortmund, über Minden – Hamm – (Münster vorbei).6 Ob wir bei Vater u. Mutter7 willkommen sein werden, ich weiß es nicht; 5. Personen hoch – ich fürchte sehr und gehe etwas zaghaft hin. Durch Essen werde ich wol laufen ohne meine liebe Franzisca8 zu sehen. Wie wir weiter reisen werden, weiß ich noch nicht; in Dortmund hoffen wir Briefe von Dir vorzufinden, darin uns der Plan vorgezeichnet ist. Wenn uns die Reise nach der Schweiz nicht zu viel kostet, so bringen wir noch ein kleines Kapitälchen mit. Ich hoffe Booth wird auch bald kleine Sendungen machen. – Bei meiner Wiederkehr in der deutschen Heimath denke ich an Nichts so viel, wie an unser Fritzchen. Sein Bildchen schwebt mir heute stets vor dem Sinn! Ich hoffe Du hast meine Zeilen von See zeitig erhalten, ich sandte es mit der [Southhampton] Post vom Bord unsers Schiffes. So hoffe ich denn auf ein glückliches Wiedersehn lieber Papa. Wir werden Dir viel zu erzählen haben. Wenn ich Dir mit Sicherheit unsere Ankunft in Basel melden kann, so thue ichs. Die Kinder schicken Dir die Grüße ihrer kleinen treuen Herzchen, aus denen Dein Bild gewiß nicht geschwunden ist. Lebe wohl u. bleibe gesund bis in einigen Tagen. Deine alte Mathilde.
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Norddeutsche Version eines „Groschen“; ein kleines Geldstück im Wert von mehreren Pfennig. Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (Munich: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1997), 481. Jersing und Sohn genossen einen langjährigen guten Ruf. Johannes Schweizer, Reiseschreibung nach Nordamerika und durch die bedeutendsten Theile desselben (Ebuat: Abraham Keller, 1823), 46. Von Bremen aus waren sie südwestlich Richtung Rhein unterwegs. Fritzens Eltern Charlotte und Christian Anneke. Franziska Rollmann Hammacher. Siehe Fußnote 44 (Kapitel 2).
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Heimat in den Alpen
Mathilde Franziska Anneke an ihre Mutter Elisabeth Giesler Zürich, Januar 1861 Mein gutes, liebstes Mütterchen! Die ersten Worte der treusten Liebe empfing ich in diesem Jahre von Dir. Dein Briefchen und die artigen Zeilen von Emil Weiskirch so wie von Louise Giesler kam gestern Morgen an. Die guten Nachrichten haben uns ganz lustig gemacht; wenn wir auch schon guten Humors genug waren, so kann ich doch gar nicht sagen, wie glücklich es mich macht, wenn ich Deine alten lieben Schriftzüge wieder sehe, Dich ziemlich frei von Schmerzen und vergnügt weiß. Aber wie Du eigentlich laufen kannst, ob Du Fortschritte mit oder ohne Krücke machst, das hast Du mir nicht geschrieben und Niemand sonst hat daran gedacht mirs zu schreiben. Wir fingen das Jahr mit frischen Arbeiten und Hoffnungen an. Als die Glocke 12. Uhr schlug, begann das ganze Thal, rings um den See herum mit einem so volltönigen Geläute zu widerhallen, daß es „Einem zum ersten Mal in der Heimath wieder“, ganz feierlich zu Muthe wurde. Das Glockenspiel dauerte eine ganze Stunde; ich mußte an Dich und an alle meine Lieben recht viel denken und schlief erst sehr spät ein. War doch das verflossene Jahr mir mal frei von großem Kummer dahingerollt; war ich doch wieder in ein Leben zurückgekehrt, das meinem Geiste und meinem Gemüthe die Nahrung bietet, ohne welche mirs nicht möglich scheint leben zu können. Wenn ich einst wieder zurückkehre ins neue Vaterland, dann werde ich mir den Fried angesammelt haben, der mir für den Rest meines Lebens Ressourcen bietet, um nicht wieder verzweifeln zu brauchen. Unser liter[arisches] Streben setzen wir unermüdlich und gemeinschaftlich fort. Im geselligen Verkehr mit auserwählten Menschen, umgeben von dieser wunderbaren Natur, zugänglich den reichen Quellen schöngeistiger Wissenschaft, da fühlt man sich täglich neu angeregt, täglich verjüngt. Unsere Wohnung ist ein wahres Zauberschlößchen, um das diejenigen die mitten in der Stadt in den prachtvollsten Palais wohnen, uns beneiden. Von unsern Fenstern aus halten wir Zwiesprache mit den Geistern der Alpenwelt, wagen mit ihnen im Fluge der Phantasie die tollsten Sprünge von Gipfel zu Gipfel und zechen mit ihnen auf den cristallnen Burgen von ewigem Gletschereis beim Morgen und Abendglühn, sowie beim nächtlichen Mondenschein. „Es ist doch eine eigne Welt, nah’ dem Himmel wol für wahr[“].9 Jedes mal wenn ich ans Fenster trete und das Thal und die Höhen in neuem Licht u. immer wieder in neuem Glanze sehe, dann denke ich, wie ichs beklage, daß Du niemals diese Zauberpracht gesehen hast. Jetzt liegt ein leichtes Schneetuch über die Landschaft gebreitet, die Höhen stechen in schwarzen Schattierungen und Umrissen von den Schluchten ab und prägen sich selt9
Aus dem Volkslied „Von der Alpe tönt das Horn“ des österreichischen Komponisten Heinrich Proch. Barbara Boisits, „Proch, Heinrich,“ Oesterreichisches Musiklexikon Online, letzte Änderung am 6. Mai 2001, https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_P/Proch_Heinrich.xml; Des lustigen Sängers Neuestes Liederbuch (Brno: Verlag von Fr. Karasiat, 1866), 27.
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sam aus. Der Himmel im zartesten Rosenlichte warf diesen Schein heute Abend über den Rücken des sich gerade vor uns vorbei ziehenden Albisgebirges10; zugleich wurde von diesem Wiederschein der ganze See rosenroth gefärbt. Dieser weiße Schleier der Erde umsäumt von dem zartesten Rosenduft, der menschlichem Sinnen kaum denkbar ist; – Dieser Wettstreit in der Natur von Himmel, Erde und Wasser – – und doch dieser vollständige Einklang im Siege der vollendesten Schönheit – – – als ich so vor diesem Gemälde stand, trat Dein Bild vor mir auf den Hintergrund und ich meinte, Du müßest und müßest sie mit mir genießen, diese Wundermacht. Sei es denn wenigstens in meinen schwachen Schilderungen. Am Weihnachtsabend schimmerten uns dann auch die Lichter der Heimath wieder in dem dunkeln Hoffnungsgrün der Tannenzweige. Unsere Kinderchen waren so selig. Fritz beschenkte uns Alle mit überraschenden Dingen. Zu dem großen Reichthum der Kleinen brachte meine alte treue Freundin, die Professorin Kapp11, noch für alle drei einen eben so großen. Einen Abend sahen wir auch das Bäumchen der Herweghs12 brennen. Der war schöner und kostbarer wie der Unsrige; wir aßen bei ihnen zur Nacht – es war den Abend vor Sylvester – ein Freund, Rüstow13, kehrte aus dem ital[ienischen] Feldzug heim, brachte Angedenken von Garibaldi mit z. B. sein Bild für Frau Herwegh, so gut wie ich noch keins von ihm gesehen, denn selbst jenes Mr. Booth zugesandte, ist nicht halb so; u. Erinnerungen, die vieles Interesse haben. In dem Familienkreise des Dichters ist es weit lieblicher, als wie ich es mir nach den Berichten der Freunde gedacht hatte. Frau Emma14 hat ein so reiches und edles Gemüth, wie man wol selten findet; sie liebt ihren Georg mit der Sorgfalt womit sie glaubt ein Dichterherz wie das Seinige pflegen und warten zu müssen. Er erkennt es mit großer Zartheit an. Ihr ältester Sohn, Horaz, ein frischer Jüngling von 16. Jahren ist der geniale Sohn genialer Eltern, ein echtes Dichterkind, begabt im höchsten Grade. Adda, die einzige Tochter ist nicht hübsch, aber sehr lieb. Der kleine Marcell wird im nächsten Frühling der Freund unserer Kinderchen werden. Wie gefallen die Uebersetzungen Marias?15 Maria übertrifft mich an Fleiß. Wir schreiben Beide einen Roman, 10 11 12
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Bergkette im Kanton Zürich. Ottilie Kapp. Siehe Fußnote 71 (Kapitel 1). Georg Herweghs Frau Emma (1817–1904) war bekannt für ihre demokratische Agitation, ihre Spionage während der Revolutionen von 1848 und ihre schriftstellerischen Werke. Mathilde erwähnt die Kinder des Ehepaar Herwegh: Horace, Adda und Marcel. Regula Ludi, „Herwegh [-Siegmund], Emma“, Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 26. Februar 2008, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D19132.php. Friedrich Wilhelm Rüstow (1821–1878) war ein ehemaliger preußischer Armeeoffizier, der aktiv an den Revolutionen von 1848 beteiligt gewesen war und an der Seite von Garibaldi für ein vereinigtes Italien kämpfte, bevor er sich in Zürich niederließ und über militärische Angelegenheiten berichtete. Rudolf Juan, „Wilhelm Rüstow“, Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 5. Januar 2012, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/024226/2012-01-05/. Emma Herwegh. Marys Übersetzungen der Gedichte von Georg Herwegh, Heinrich Heine und anderen wurden in amerikanischen Zeitungen veröffentlicht und erschienen später zusammen mit einigen ihrer eigenen Gedichte in zwei sehr ähnlichen Bänden: Mary H. C. Booth, Wayside Blossoms among Flowers
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mit dem sie mir schon weit vorausgeeilt ist.16 Der Ihrige wird sehr schön; ich glaube der meine ist auch nicht ganz dumm. Bei Cotta17 wird in den nächsten Tagen das Erste von mir gedruckt, entweder im Morgenblatt oder Ausland, ich weiß es selbst nicht. In meiner letzten St. Louiser Correspondenz habe ich über Garibaldi in Caprera geschrieben18, das wirst Du wol nicht zu sehen bekommen. Ich kann nicht eine halbe Stunde anhaltend sitzen und schreiben; es macht mich krank. Fritz schreibt desto mehr. In der Gartenlaube19, (das Blatt ist auch dort zu haben u. sehr für Euch zu empfehlen) werden Soldatenbilder von ihm erscheinen, die höchst anziehend geschrieben sind. Wir sind dort als feste Mitarbeiter engagiert mit 40 Thlr. p. Bogen. Dieses Engagement ersetzt uns die abtrünnigen amerik. Blätter, die anstatt zu zahlen, betrügen, u. von denen sich nur wenige sehr anständig benehmen. Über den rep[ublikanischen] Sieg20 herrscht wol großer Jubel, besonders unter den Deutschen, an der Spitze „der Knabe Carl“21. Er hat seine Lorbeeren wohlfeil doch gleichviel, etwas Verdienst hat er um sie. Ist Frau Schurz22 noch Deine Freundin? Dann grüße sie von mir; ich werde ihr noch mal wieder begegnen auf dem Erdenrunde. – Daß Ihr in einem neuen, schönen und geräumigen Hause wohnt, das freut mich außerordentlich. Ich möchte mal gerne wieder bei Euch sein. – Der Winter ist hier sehr milde; zwar hilft die gute Einrichtung der Häuser auch viel ihn zu mildern für den Menschen. Alle unsere Fenster und Innen sind einige zwanzig sind mit doppelten Glasfenstern versehen. Das ist so angenehm, wie ichs Dir kaum sagen kann. Auch alle die großen Porzellanoefen thun das Ihrige; wir sitzen in der Küche, in Fritz seinem Zimmer (einen Ofen der zugleich unser Speise und Kinderzimmer mit erwärmt) und
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from German Gardens (Heidelberg: Bangel & Schmitt, 1864); Mary Booth, Wayside Blossoms. (Philadelphia: J. B. Lippincott, 1865). Zu Uhland in Texas, dem kurzen Roman, den Mary und Mathilde gemeinsam verfassten, siehe Mischa Honeck, We Are the Revolutionists: German-Speaking Immigrants and American Abolitionists after 1848 (Athens: University of Georgia Press, 2011), 127–33. Eine edierte Version des Textes findet sich in Mathilde Franziska Anneke, Die gebrochenen Ketten: Erzählungen, Reportagen und Reden, 1861–1873, Hg. Maria Wagner (Stuttgart: H. D. Heinze Akademischer Verlag, 1983). Der Stuttgarter Cotta-Verlag wurde im 17. Jahrhundert gegründet und verlegte auch Werke von Goethe und Schiller. In Cottas Tageszeitung Morgenblatt für gebildete Leser wurden auch literarische Erzähl- und Sachtexte „für gebildete Leser“ publiziert, während Das Ausland über die Welt jenseits des deutschsprachigen Europa berichtete. Liselotte Lohrer, Cotta: Geschichte eines Verlags, 1659–1959 (Stuttgart: o. V., 1959), 170–71. Ab 1855 war die italienische Insel Caprera (vor der Küste Sardiniens) der Hauptstandort Garibaldis. Alfronso Scirocco, Garibaldi: Citizen of the World (Princeton: Princeton University Press, 2007), 201–202, 405–406. Das illustrierte Magazin Die Gartenlaube wurde äußerst erfolgreich in Leipzig verlegt. Kirsten Belgum, Popularizing the Nation: Audience, Representation, and the Production of Identity in Die Gartenlaube, 1853–1900 (Lincoln: University of Nebraska Press, 1998). Im November 1860 wurde Abraham Lincoln zum amerikanischen Präsidenten gewählt und es gab republikanische Mehrheiten sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat. Carl Schurz. Zu Margarethe Schurz, siehe Fußnote 34 (Kapitel 2).
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im Parlor (24. Fuß lang u. 16" breit nach Percys Messung) von wo aus unser Schlafzimmer mit erwärmt wird. Unsere Minna ist ein so prächtiges Mädchen, die alles allein kochen und braten kann, u. auch in andern Dingen nichts zu wünschen übrig läßt. – Gestern wurde ich krank u. mußte mein Briefchen bei Seite legen. Ich hatte die Gelbsucht mal wieder, nachdem ich schon Wochen lang an der Leber viel gelitten. Gegen Mittag machte ich mich aus dem Bette heraus; es war Sonntag u. ließ mich in wollenen Decken einpacken aufs Sohfa legen. Es war rauhes Wetter. Dennoch am Abend erfreute mich Frau Herwegh mit Adda und Cäcilie Kapp23. Sie blieben den ganzen Abend zum Thee bei mir, thaten für meine Aufheiterung alles, daß ich heute ganz wieder beßer bin. Frau Emma24, die ich immer (sie mich auch) lieber habe, spielte uns auf unserm Flügel in so prachtvoller Weise – oder besser noch – in süßen Weisen – daß ich noch ganz entzückt davon bin. Du glaubst nicht, welche Künstlerin sie ist. Ihr enger Verkehr mit Lißt und Wagner25 hat sie so für diese schöne Kunst gebildet und ihr eignes warmes und edles Gefühl spricht sich in jeder Note aus, die sie anschlägt. Ich will Emil rathen, daß er ein hiesiges Instrument sich anschafft u. die Gelegenheit, die sich ihm durch mich hier bietet, benutzt. Ueberhaupt wünschte ich Euch täglich von all den Schätzen, die es hier giebt, u. die im Verhältniß ihrer Güte und zu den dortigen Preisen kein Geld kosten. Z. B. Wie werden uns die Weintrinker und die [unleserlich] eines echten Stoffes, beneiden, wenn sie hören, daß wir den besten Burgunder im Keller haben, die Flasche kaum zwei Franken. Wie leicht wäre es ein Fäßchen alle halbe Jahr, wohl verpackt abzusenden. Die Fracht u. Einfuhr für solche Dinge ist gering; während die für ein Instrument mit Risiko verbunden, den höchsten Preis beansprucht. Daß Louis26 sich meinen Bf von Dir ausgebeten, zeigt mir wenigstens, daß er mich nicht systematisch im Verein mit Maria vergessen will. Ich hatte mich darauf sonst schon gefaßt gemacht und mich über dieses mein Loos wie über so manches andere zu trösten gesucht. Grüße ihn und Maria recht schwesterlich von mir, u. sage ihnen, daß ich mich sehr freuen würde, zu hören, daß es ihnen wohl ergehe. Von meiner Fan-
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Die Tochter von Mathildes alter Freundin Ottilie Kapp, Cäcilie, unterrichtete an der Schule ihrer Eltern. Sie stand später in enger freundschaftlicher Beziehung zu Mathilde und ging 1865 mit ihr nach Milwaukee, um dort eine Mädchenschule zu leiten. Später unterrichtete sie dann Deutsch am Vassar College im US-Bundesstaat New York. Maria Wagner, Mathilde Franziska Anneke in Selbstzeugnissen und Dokumenten (Frankfurt am Main: Fischer, 1980), 245. Emma Herwegh. Der Komponist Richard Wagner (1813–1883), ein aus Dresden stammender Achtundvierziger, hatte in den 1850er-Jahren ebenfalls in Zürich gelebt, wo ihn der Ungar Franz Liszt (1811–1886) im Jahre 1856 besucht hatte. Rainer Kleinertz, „Liszt, Wagner, and Unfolding Form: Orpheus and the Genesis of Tristan and Isolde“, in Franz Liszt and his World, Hg. Christopher H. Gibbs und Dana Gooley (Princeton: Princeton University Press, 2006), 231. Mathildes Schwester Maria war mit Louis Scheffer verheiratet. Alma Harris, „Die Nachkommen unserer Großeltern Carl u. Elisabeth Giesler im Jahre 1890“ (o. D.), Box 70, Archiv der Mathilde Franziska Anneke, 1817–1884, Stadtarchiv Sprockhövel.
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ny habe ich erst einen Brief erhalten; ich fürchte immer daß sie krank ist; welche Sorge mir das Kind macht, ist nicht zu sagen. Ich schreibe ihr jeden Monat. Von Pauline27 keine Silbe. Zum Neujahr schrieb ich ihr wieder, aber sie antwortet nicht. Zu Weihnachten hätte ich ihren Kinderchen gerne ein kleines Schächtelchen voll Schweizer Sachen geschickt, aber da sie mir nicht mal antwortet, so muß es hingehen. Du läßest meinen Briefe nicht lesen; nicht wahr? Ich schreibe so manches was meinem innersten Seelenleben angeht, u. was ich nur vor Deinen u. der nächsten Angehörigen Augen offen gelegt habe. – Du thätest mir eine große Liebe, wenn Du mir einmal an Fanny schriebst. Du glaubst nicht, welche Sorge ich um das Kind habe. Fritz grüßt Dich, liebe Mutter; er liebt Dich sehr und wird Dir auch wol bald schreiben; seit ich mal wieder eine ernste Unterredung mit ihm gehabt habe, ist er sehr zum Glück der ganzen Familie umgeändert; er ist sehr liebvoll und höflich gegen mich und wenn das anhält, so wünsche ich nichts weiter. Unser geistiges Band u. unser gemeinsames Streben muß uns unsere Freundschaft erhalten, da es die Liebe nicht sein konnte. Er sieht das ein und giebt sich in den letzten Wochen alle erdenkliche Mühe. Mary28 gewinnt sehr an innerm Reichthum und klarem Wesen. Ihr großer Schatz von Talent und Auffassungskraft, ihre Energie wird ihr mal einen großen Ruf als Schriftstellerin in der Zukunft sichern. Sie grüßt Dich mit der alten Liebe, die sie für Dich hat. Ihr Witz bringt mich fort und fort zum „Todtlachen“. Sie hat keine Zeit Dir schreiben zu können. Nächstens wird sies thun. Grüße uns Richmond29. Grüße mir meinen alten Freund Carl Geisberg30. Auch Deine guten lieben Freunde. Ich schreibe Dir bald wieder einen langen B[rie]f wenn es Dir Freude macht. Meine Kinderchen küssen Dir die Hand, liebe beste Großmutter. Ich drücke Dich an mein Herz und hoffe Dich wieder zu sehen. Grüße mir Zünd und Märklin, Linchen, Franklin31; es ist nicht recht, daß die Freunde mir nicht schreiben. Leb wohl! Ich bleibe Deine Dich treu liebende alte Tilla.
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Pauline von Reitzenstein war eine Schwester Mathildes. Ibid. Interessanterweise begann Mathilde Mary Booth in der Schweiz mit der englischen Version ihres Namens anzureden. James Cook Richmond. Siehe Fußnote 18 (Kapitel 2). Der preußische Händler Charles Geisberg warb damit, die größte Auswahl an Schreibwaren in Wisconsin zu besitzen. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 3te Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 6, „dwelling“ (Wohnstätte) 48, „family“ (Familie) 46; Milwaukee Daily Sentinel, 1. Januar 1855. Zu Ernst Anton Zündt, siehe Fußnote 76 (Kapitel 1). Zu Edmund, Caroline („Linchen“) und Franklin Märklin, siehe Fußnote 107 (Kapitel 1).
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Abb. 6 Fotografie von Zürich in den 1860er Jahren
Abb. 7 Erziehungsanstalt von Friedrich Beust in Zürich zu der Zeit als Percy Anneke die Schule besuchte
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Mary Booth an ihre Tochter Ella Booth Zürich, 25. August 1861 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Ella: Anbei zwei Rosenblätter, die ich letzten Sonntag am Grabe Lavaters32 für Dich gepflückt habe. Ich nehme an, Du wirst die Kiste mit Deinen Geburtstagsgeschenken lange vor diesem Brief erhalten haben. Ich hoffe es. Ich denke, Du wirst froh sein zu hören, daß Du bald eine weitere Kiste erhalten wirst. Mr. Anneke geht in etwa drei Wochen nach Amerika, in den Krieg, und er wird eine Kiste mitnehmen & sie Dir von New York aus per Expreß schicken, auf dieselbe Weise, wie die andere geschickt werden sollte – & wahrscheinlich mittlerweile verschickt wurde. Es mag sein, daß Dir diese Kiste ganz wie die andere gefallen wird, denn es sind Bilder darauf, aber es gibt keinen Schlüßel. Sie ist aus leichtem Birnholz gemacht & die Bilder sehen wie feine Schnitzereien aus – sie ist mit blauem Stoff ausgekleidet & ist sehr robust. Ich weiß noch nicht, was ich hineintun werde, aber irgendetwas sicher. Wir wären alle froh auch nach Amerika zu gehen wenn Mr. A. hingeht, aber es geht nicht. Ich würde Dich wirklich sehr gerne sehen und Lillian auch, aber wir müßen noch bis nach dem Winter warten. Lillian lernt sehr viel und ich hoffe Du triffst auf ein viel lieberes Mädchen als vorher, wenn Du sie wiedersiehst. Ich habe einem Brief an Deinen Vater auch einen an Dich beigelegt, geschrieben vor ein paar Tagen und auf verziertem Papier. Ich hoffe bald einen Brief von Dir zu erhalten, in dem steht, daß es Dir soweit gut geht & Du zufrieden bist. Lillian hätte sehr gerne die Taufe Deiner kleinen Freunde miterlebt. Sie war letztens bei der Taufe mehrerer Säuglinge dabei & sie fragte als sie heimkam, ob sie ihr Kätzchen in die Kirche bringen könne und ob der Pfarrer ihr ebenso einen Namen geben könne und es taufen könne genau wie die Kinder. Sie sagte, Gott würde das sehr erfreuen & es würde ihm nicht gefallen, wenn man es nicht tun würde. Schreibe bald. Lillian kann es nicht erwarten einen Brief von Dir zu bekommen. Liebe Grüße an alle[.] Immer die Deine, Mutter
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Johann Kaspar Lavater (1741–1801) war ein Schweizer Dichter, Theologe und Wissenschaftler. Gisela Luginbühl-Weber, „Lavater, Johann Kaspar“, Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 27. November 2008, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10444.php.
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Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 7. September 1861 Mein lieber, liebster Fritz! Wir hoffen es erreicht Dich unser Lebewohl auf den Fluthen des Meeres; unsere Gedanken haben Dich begleitet von Station zu Station und die Kinderchen, besonders Hertha, hat fast stündlich gefragt: „Wo ist mein Papa jetzt?“ Da sie den Weg noch im Gedächtniß hat, so war es ihrer kleinen Phantasie möglich Dir zu folgen. Jetzt schreiben sie Dir und malen Bilder und pressen Blumen. – Percy und ich gingen am Morgen Deines Abschieds still und traurig heim. Im Garten, auf der Bank unten am Bach, ruhten wir aus und sprachen von Dir und unserm zukünftigen Leben. Zu Hause angekommen legten wir uns Beide wieder aufs Bette und ich ruhte aus bis zur Ankunft der Correcturbogen, die ich dann mit großer Vorsicht besorgte und unmittelbar nachher von Percy zur Post bringen ließ. Mit dem elften Bogen war das Ende des II. Bandes erreicht…. Der Scheidetag verging mir still und unter Thränen. Das Hauspersonal suchte mich zu erfreuen; durch Pflaumen dachte selbst Frau Zeller33 mich zu trösten, die sie in einer Cristallschaale abends selbst brachte, Vater Gritzner34 u Schwester spendeten ein ganzes Körbchen voll dunkel blauer Trauben, Frau Ott35 ließ mehre Male im Tage nachfragen. Ich beschäftigte mich mit Percy u. er selbst sagt Dir, wie er die Tage gelebt hat…. Lebe denn wohl, lieber Fritz! Möchten Dich die Wellen leicht und glücklich zum andern Strande hinüberschaukeln und möchtest Du jenseits den Kampf der Freiheit glücklich mit ausfechten. Mögest Du mir und unsern Kindern aber auch bewahrt bleiben und die künftigen Tage des Lebens in beständiger Heiterkeit und Zufriedenheit des Herzens genießen. Die Kinderchen grüßen und küssen Dich. Mary sendet Dir auch ihren artigen Kuß im Briefe. Lebe wohl und sei nochmals umarmt von Deiner Dich innig liebenden Mathilde.
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Susanna und „Ts.“ (vermutlich Thomas) Jacob Zeller waren die Vermieter von Mathilde und Mary. Gemeinde Hirslanden, Gemeindearchiv, Einwohnerkontrollliste, 1856–, S. 90–91 und Hirslanden Bürgerbuch, 1828–1869, Stadtarchiv Zürich. Da Zeller ein solch häufiger Nachname in dieser Gegend war, benutzten die Zellers manchmal auch Susannas Mädchennamen und Variationen von Zeller-Engelhardt. Ein Historiker war verwirrt von dieser Praxis der Namensverwendung. Kiehnbaum, Hg., Ich gestehe, die Herrschaft der fluchwürdigen ‚Demokratie‘ dieses Landes macht mich betrübt, 12. Maximilian Gritzner (1794–1872), ein Achtundvierziger aus Wien, der Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung gewesen war, lebte eine Zeit lang in den Vereinigten Staaten und gründete später eine Nähmaschinenfabrik in der Nähe von Karlsruhe. Helge Dvorak, Hg., Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Bd. 1, Teil 2, (Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1998), 180–81. Mehrere Familien mit dem Nachnamen Ott lebten zu dieser Zeit in Zürich. J. Caspar Pfister, Verzeichniß der Bürger der Stadt Zürich im Jahr 1858 (Zürich: Friedrich Schultheß, 1858), 188.
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Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 7. Oktober 1861 Mein lieber Fritz! Kannst Du Dir unsere Freude denken, als Sontag Morgen im Züricher Ztgsblättchen steht: Die Saxonia36 ist am 23. Septbr. nach einer glücklichen Fahrt von 12 Tagen im Hafen von N. York gelandet! Die vielen Stürme, die gerade am Tage nach Eurer Abfahrt an Alt Englands Küsten wütheten, hatten mir einen nicht geringen Schrecken verursacht. Die Zertrümmerung der gewaltigen „Great Eastern“, auf welchen sich ein Special Correspondent der Augsburgerin37 noch schneller wie Du zum amerik. Kampfplatz begeben wollte, hatte dieser Cor./er scheint Militair zu sein/in allen langen Artikeln der Allg. lebendig geschildert und mir Angst genug um ein gleiches Geschick38 für die Saxonia einflößen lassen. Beiläufig gesagt ist dieser Cor[respondent] mit einem nächstfolgenden Dampfer abgereist. Man sieht wie wichtig dem Blatt die Nachrichten von drüben sind! Wir sind nun in fortwährender Erwartung directer Nachrichten von Dir. Tausend Fragen möchten wir beantwortet haben? Ob Du die Dir so schnell wie möglich nachgesandten Depeschen von Wisconsin, vor allem aber die von Washington, von Blenker erhalten hast! Ob Du Deine Schritte gen Washington, oder gegen den mörderischen und mir so verhaßten Westen genommen hast, wo Deine Neider und Deine Gegner alle erst todtgeschlagen werden müßten, wenn Du Glück und Sieg für Deine Waffen haben sollst. – So geht mirs durch den Kopf lieber Fritz. – Ob ferner der Student Koch39 Dich findet, der am 25 von hier mit einer ganzen Fracht Briefe von Deinen Kinderchen und von uns, abgezogen ist. e[tc] e[tc] Nun wir wollen in Geduld warten und vertrauen fest, daß unsere Liebe und unsere Gedanken Dich schützend umgeben. Fast jedes Blatt, das uns hier von drüben erreicht hat, spricht von Dir und Deiner bevorstehenden Ankunft. Uns hat es so weit gut gegangen. Wir sind glücklich im Hause und im Garten, in den neuer Sonnenschein eingezogen ist, freuen uns mit unsern Kindern, denen wir einen großen Theil unserer Zeit widmen und haben eine große Befriedigung in unserm fleißigen Streben und Arbeiten. Aus gehen wir gar nicht. Nur mal gar nöthige Läufe, damit ists genug, oder auch mit den Kindern wie z. B. Sonabend von 2. bis Abds 7. Uhr 36 37 38 39
Der Dampfer Saxonia fuhr die Strecke Hamburg-Southampton-New York für die Reederei Hamburg-Amerika-Linie (Hapag). New York Times, 7. September 1863. Die von Cotta verlegte Augsburger Allgemeine Zeitung war die wohl führende politische deutsche Zeitung dieser Zeit. Edward Henck, Die Allgemeine Zeitung, 1798–1898: Beiträge zur Geschichte der deutschen Presse (München: Verlag der Allgemeinen Zeitung, 1898). Wegen eines abgelösten Steuerruders war die Great Eastern nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen. Dies führte an Bord zu Zerstörungen und zu Verletzungen. New York Times, 2. Oktober 1861. Wie später erwähnt, besuchte dieser junge Mann die Eidgenössische Polytechnische Schule, die staatliche Universität.
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auf dem Sonnenberg 40 wo Schaukeln und Trauben u. Milch u. Honig u. dergl. in Hülle und Fülle genossen wurden. Dies ist wenigstens ein kleiner Schatten von dem großen Plaisier, das Du uns auf einer weitern Reise nach Schaffhausen41 mit den Kleinen zugedacht hattest. Ich war zu vorsichtig lieber Fritz, von dem Reichthum, den Du uns sandtest, nicht den allerweisesten Gebrauch zu machen in Voraussicht, daß Mr. Sherman uns aufs Gewissenloseste im Stich lassen würde. Er hat seit Du weg auch nicht einen Gelddollar mehr gesandt. Ich habe natürlich von unsern Mitteln die 100 Fr.42 an Frau Spörri43 gezahlt, die sehr bald darum mahnen ließ, 70. Fr. an Nußbaumer 44, die Winteranschaffungen – Kartoffeln u. Obst so wie andere Gemüse noch nicht – gemacht nur bin nun schon wieder ziemlich reducirt. Fleischer und Bäcker sind wahre Schreckgespenster. Ich habe indessen, als vor einigen Morgen mir Beust die Rechnung gab, die weit über 200 Franken beträgt45, und mir der Kopf über die Characterlosigkeit des Amerikaners Booth zu warm geworden ist, einen Lesebrief an diesen Herrn geschrieben, der ihm hoffentlich für alle Fälle gut thun soll: You will permit me to remind you in these short lines of your duties, which I think finaly is the highest time for you to fulfill.46 Marys wearness & sickness demand more than I can give her. She needs, what she has you warm cloths, that is e e e.47 not to speak of bonnet e e since three years not receive from you, which can only be bought for cash money. Your child needs the same. So is it the highest time if you will retain the regards of Marys & my friends first that you pay the school money of your child. 2/that that child shall be comfortable clothed. Do you suppose I should say you these things, if it was not the greatest need? I have far to much pride to do so, to remind you of your duties, which I have taken with pleasure and with good help of Fritz upon myself so long as you was in prison & in your other unfortunate time & since we have been in Europe. Did not Mary suffer under this neglect & had I enough to provide for her wants, I should not demand any thing of you. It was of the greatest need for Hertha to have had an operation performed upon her food this winter. – It needs money – I cannot do my duty by my child in this and other manner, unless you do your duty by yours. I should have gone to Carlsbad e e I waited a long time before I would say these things to you, but I think it is not well for you to make any longer delay. Mary has her pride too. You treat her as if she had not any. When she would die you can have the consolation to hear my words again & hear what has brought her 40 41 42 43 44 45 46 47
Der Sonnenberg befindet sich in einer ländlichen Gegend Zürichs, nicht weit vom Wohnort der Familie. Schaffhausen liegt knapp 50 Kilometer nördlich von Zürich nahe der deutschen Grenze. Franken. Die Spörris, die in einem lokalen Verzeichnis gelistet wurden, waren hauptsächlich Schneider oder Schuhmacher. Pfister, Verzeichniß der Bürger der Stadt Zürich, 237. Möglicherweise Gottfried Nußbaumer, gelistet als „Cantonsprokurator“. Pfister, Verzeichniß der Bürger der Stadt Zürich, 186. Für Percys Schulbesuch der Erziehungsanstalt von F. Beust. Mathilde gibt ihren englischsprachigen Brief wieder. Mathilde benutzte Symbole, die wie kleine Es aussahen, um Ellipsen oder „etc.“ für ausgelassenes Material anzuzeigen.
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to her sickness. Yours truly.48 Im Post Script sagte ich ihm, glaube ich etwas für Dich. – Percys Ferien beginnen. Ich schlage eine energische Cour mit ihm ein; ich hoffe sie hilft. Ich muß ihn stets unter Augen haben. Sein Zeugniß welches er mir gebracht ist so schlecht, … Ich sehne mich danach Beust durch Abtragung der Schuld, etwas besser zu stimmen u. überhaupt guten Humor zu machen. Ich habe jetzt keine größere Aufgabe, als die Erziehung unserer Kinder zu vollenden, wie sichs gehört. Ich habe Percy einen warmen Ueberzieher und ein paar Wintersachen machen lassen – nun muß ich mein abgetragenes Herthachen noch fixen. Der Schuhmacher ist fortwährend thätig, besonders für Lily. – Im Museum war ich einige Male. So langsam habe ich fortcorrespondirt für Allgemeine, Criminal u. Banner.49 An meinem Geisterhaus50 habe ich fortgearbeitet u. bin nun beim letzten Kapitel angelangt…. Deine mit Herzinnigkeit. Mathilde.
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Du wirst mir erlauben, Dich in diesen kurzen Zeilen an Deine Pflichten zu erinnern, denn es ist meiner Meinung nach höchste Zeit, daß Du diese erfüllst. Marys Unwohlsein und Krankheit verlangen mir mehr ab, als ich geben kann. Sie benötigt, was sie drei Jahre nicht von Dir erhalten hat, warme Kleidung nämlich, e. e. e. nicht zu schweigen von einer Mütze e e, und das bekommt man nur gegen Bargeld. Dein Kind benötigt dasselbe. Also ist es an der höchsten Zeit, wenn Du den Respekt Marys und meiner Freunde nicht verlieren willst, daß Du nun erstens für das Schuldgeld Deines Kindes aufkommst. Das Zweite ist, daß das Kind warm angezogen sein muß. Glaubst Du denn ich würde Dir dies sagen, wenn es nicht bitter nötig wäre? Ich bin viel zu stolz, dies zu tun, Dich an Deine Pflichten zu erinnern, die ich mit guter Unterstützung durch Fritz während Du im Gefängnis warst mit Freuden angenommen habe & während Deiner anderen unglückseligen Zeit & seit wir in Europa sind. Würde Mary nicht unter dieser Vernachläßigung leiden & hätte ich genug, um für sie aufzukommen, dann würde ich nichts von Dir verlangen. Es war für Hertha sehr wichtig, diesen Winter am Bein operiert zu werden. – Das kostet Geld – ich kann nicht in dieser und anderen Pflichten meinem Kind gerecht werden, wenn Du nicht Deine Pflichten Deiner Kinder wegen erfüllst. Ich hätte nach Carlsbad gehen sollen e e Ich habe eine lange Zeit gewartet Dir diese Dinge zu sagen, aber ich denke es ist nicht gut für Dich, es noch länger aufzuschieben. Auch Mary hat ihren Stolz. Du behandelst sie als hätte sie keinen. Wenn sie sterben sollte, dann kannst Du zum Trost meine Worte nochmal hören & Dir anhören, warum sie so krank geworden ist. Mit freundlichen Grüßen. Augsburger Allgemeine Zeitung, New York Criminalzeitung und Wisconsin Banner und Volksfreund. Siehe Fußnote 37 (Kapitel 1).
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Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 3. November 1861 Mein lieber Fritz! Es ist Sonntag Morgen. Die Sonne vergoldet unser blankes Thal und die herbstlich angewehten Höhen; die Alpenhäupter stehen so klar da vor uns, als ob man sie mit Händen greifen könnte; die Blumen sind zwar alle welk geworden und im Ofen brummt ein tüchtiges Schieferkohlenfeuer, die Kinderchen machen ihrem Freunde Snell51 ein sonntaglichen Morgenbesuch und laden ihn auf heute Abend zum Thee ein; – ich Deine alte Mathilde kommt zu ihrem „lieben Fritz“, der wie ich hoffe und wünsche, in der rosigsten Laune ist, gebe ihm einen tüchtigen derben Kuß, drücke ihn ans alte Herz so recht fest wie ich den drücke, den ich so recht aus tiefem Grunde lieb habe. Wo bist Du, wo soll ich Dich finden? Wie ich von Anfang an gewünscht habe – am Potomac vielleicht? Ich will nicht fürchten, daß Dir große Schwierigkeiten für Deine Thätigkeit aufgestoßen sind – wenn aber auch das, ich habe die Überzeugung, daß Du sie muthig überwindest und Deine Stellung Dir selbst den Flachköpfen gegenüber wie ein Heros erkämpfst. Dem Kühnen gehört die Welt. Der Tapfre aber besitzt sie. Du bist nicht kühn, aber Du bist tapfer; es liegt nur an Dir, an Deinem Willen, kühn auf das los zu gehen, was Du tapfer vertheidigen willst. Ich werde mich freuen, wenn Du weiter Gelegenheit hast, in Blenker einen „guten Feldherrn“ zu entdecken. Freund wird er Dir dann immer sein und bleiben. Ich kann es nicht anders sagen als daß Dein letzter Washingtoner Brief mir einen Anflug von Schwermuth gab [unleserlich] zu Deinem nächtlichen Brief von Milwaukie den Du in der Nähe von Großmutters Bett schriebst. Dein Rheumatismus, Deine Disapointments beunruhigen mich etwas. Ich warte mit Sehnsucht auf heute Abend, wo es doch möglich sein könnte, von Dir wiederum Nachricht zu haben. Was ist der Grund daß die Criminalztg. mir seit Deiner Abwesenheit nicht mehr zugesandt wird? Ich habe gewiß interessante u. gut geschriebene Artikel ihm geliefert. Gestern habe ich ihm wieder einen geschrieben. Dazu habe ich vergebens die ganze Woche nach dem versprochenenen Artikel von Dir in der Augsburger 52 gespäht. Herr Corvin Corvinsky53 ist mittlerweile auch drüben eingetroffen um ihr seinen halbaderigen Blumenkohl aufzutischen. Ich kann nicht sagen wie mir verlangt endlich von
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Es wurden keine weiteren Informationen zu Snell gefunden, der möglicherweise verwandt war mit dem linksgerichteten Politiker, Redakteur und Wissenschaftler Ludwig Snell (1785–1854). Katja Hürlimann, „Ludwig Snell“, Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 22. November 2011, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013521/2011-11-22/. Mathilde kürzte die Augsburger Allgemeine Zeitung auf verschiedenste Weise ab. Otto von Corvin war ein Achtundvierziger, der in Baden gekämpft hatte und während des amerikanischen Bürgerkriegs als Berichterstatter für die Augsburger Allgemeine Zeitung und die London Times tätig war. Wilhelm Kaufmann, Die Deutschen im amerikanischen Bürgerkriege (München: R. Oldenbourg, 1911), 489–90.
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Dir in dem Blatt etwas Gediegenes zu sehen. Rasters54 Art[ikel] sind gut, aber selten. Die Allg[emeine] ist in Verlegenheit wegen ordentlicher Berichte vom Kriegsschauplatz. Wenn es nur kleine übersichtliche Art[ikel] sind, die Du bringst, besser wie nichts. Corvin hat seine Memoiren hier (in Amsterdam) erscheinen lassen.55 Ein furchtbares Gewäsch, elegant aber niederträchtig wie ich höre, das als historische Quellen von 1848 angesehen zu werden prätendirt. Niemand lauscht andächtiger wenn ein B[rie]f von Dir kommt, als unser liebes Herthachen. Das Kind hält Dich wirklich warm in seinem kleinen Herzchen. Der Percy ist recht artig geworden. Heute hat er wieder einen funkelnagelneuen Anzug, dicken Winterburkin, aus dem ich ihm Hose und Kamisol machen ließ. Hertha hat ein neues Wollkleidchen an. Als ich das Geld von drüben, den Bl[enker] Wechsel angebrochen u. Du mir schriebst, ich soll es verwenden, da bin ich flott zum Linke56 gegangen und habe cash alle möglichen Winterbedürfnisse für mehr wie 100 Franken eingekauft. 2. schöne Kleidchen, für mich eine neue Jacke, Unterjacke, Strümpfe, auch etwas Leinen zeugs e[tc] e[tc.] Ich erschrak selbst über meine Kühnheit. Mary bekam nichts wie ein paar warme Schuhe. Am 24. October kam dann wirklich auch Dein erst geschriebener Bf vom 26. Septbr. New York hier an. Er trug den Poststempel New York. 8. October …. Mein letzter Bf an Dich Addr. Banner&Volksfreund, Milwaukie ist am 21. Octobr. abgesandt. Deinen ersten empfing ich am 20. – Mein „brilliant beendetes“ Geisterhaus ist seit 10 Tagen bei Didaskalia57, die, wenn es für das Blatt nicht zu lang ist, ich kann hoffen den ersten Abdruck übernimmt. Für den zweiten, oder für die Ausgabe in zwei Bändchen, habe ich F. W. Grünow in Leipzig, ein renommierter Romanverlag, willig, wenn er ihm zusagt. Und das glaube ich, wird er. So würdest Du denn mein speculatinges Talent vielleicht mehr wie mein schriftstellerisches zu loben Gelegenheit haben. Wenn Du mir nicht zu viel Kummer u. Sorge im nächsten Winter machst, so vollende ich dann meinen Sturmgeiger58, an welchen ich mit großer Courage gehe….
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Achtundvierziger und Journalist Hermann Raster war später ein bekannter Redakteur der Illinois Staatszeitung und war zu dieser Zeit bereits ein bekannter republikanischer Politiker. A. E. Zucker, Hg. The Forty-Eighters: Political Refugees of the German Revolution of 1848 (New York: Columbia University Press, 1950), 329. Otto von Corvin, Erinnerungen eines Volkskämpfers, 2 Bde. (Amsterdam: Gebrüder Binger, 1861). Der Achtundvierziger Thomas J. Linke besaß ein Bekleidungsgeschäft in Zürich. Amtsblatt des Kantons Zürich vom Jahre 1865 (Zürich: Orell, Füßli und Comp., 1865), 1: 721; Schweizerische Bauzeitung 94, Bd. 20 (18. Mai 1929): 253. Eine literarische Beilage des Frankfurter Journal. Honeck, We Are the Revolutionists, 206, Fußnote 59. Mary übersetzte Auszüge aus Sturmgeiger, die 1863 in der Zeitung Daily Life erschienen, die von Sherman Booth in Milwaukee herausgegeben wurde. Honeck, We Are the Revolutionists, 206, Fußnote 59.
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7. November. Also nach Kentucky? Mit Deinem Regiment? Wo ist nun Dein Regt.? Per Telegraph von Michigans Ufer so schnell dahin beordert? Ohne Waffen, ohne Uniformen? Wie geht das zu? Entweder ist ein B[rie]f verloren gegangen, oder Du traust mir die Gabe des Hellsehens zu. Nun, ich bin glücklich daß Du endlich in Deine sehnlichst erwünschte Thätigkeit kommst. So lange Du fort bist, habe ich nur fragmentarisch Nachrichten von Dir. Du hattest mich ehemals mit dem Ausmalen der kleinsten Vorkommnisse in Deinen [Briefen] verwöhnt. Jetzt weiß ich nichts Genaues von Dir[,] Deiner Reise, Deiner Ankunft, Fannys Wiedersehen, u. s. w. Ich darf mir jetzt, wo Du dem Kriegsschauplatz nun aktiv so viel näher gerückt bist, auch keine Hoffnung machen, daß ich noch viel Verständliches hören werde. Nach Briefen von uns scheinst Du Dich gar nicht gesehnt zu haben, bisher, lieber Fritz. Ist Herr Koch mit vielen Briefen noch nicht bei Dir angelangt? Hl Koch, der hiesige Polytechniker59, der mit Dir wollte, dann aber später gefolgt ist. Ob dieser Bf Dich erreichen wird? Wir lassens auf die Gefahr ankommen. Für heute mags dann genug sein. Percy und Hertha küssen Dich. Lili und Hertha spielen wie Zwillinge. Percy und Freund Snell sind unzertrennlich. Mary und ich finden unser größtes Glück im Angedenken an unser Vaterland u. in der Sorge um seine Kämpfer. Wir arbeiten unausgesetzt. Leb wohl, leb wohl. Ich drücke Dich an mein Herz. Deine alte Tilla. Herr Oberst Rüstow hofft doch noch Oberkommandeur der Ver. Staaten Armee zu werden. Dieser Bernays60 ist doch ein Schwätzer. Er weiß Wege für den „größten Militärgeschichtsschreiber der Welt“ so nennt er ihn im Anz[eiger] des Westens. Für Dich, den Bürger und Vorkämpfer dieses Krieges wußte er keinen. Ich mache ihm nächstens noch mal die Hölle heiß!
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Zürichs staatliche Eidgenössische Polytechnische Schule war 1855 gegründet worden. Es war bereits damals eine Bildungsinstitution mit gutem Ruf. Heute ist die Eidgenössische Technische Hochschule eine weltweit führende Universität. Die Eidgenössische Polytechnische Schule in Zürich (Zürich: Zürcher und Furrer, 1889). US-Präsident Lincoln entsandte Karl Bernays 1861 als Konsul nach Zürich. Siehe Fußnote 147 (Kapitel 1), Zucker, Forty-Eighters, 279.
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Heimat in den Alpen
Mary Booth an ihre Mutter Adeline Corss Zürich, 8. November 1861 (Übersetzung aus dem Englischen) PRIVAT Meine liebe Mutter: Gerade an diesem Morgen kam Dein Brief an. Ich bedaure es, daß Ella die erste Kiste noch nicht erhalten hat, denn sie war ein Dutzendfach mehr wert als die letzte & es waren noch zwei Puppen darin. Hinsichtlich der Tatsache, daß Sherman für Ellas Kleidung Geld schicken sollte. Ich habe ihm geschrieben & ihm es oft genug aufgetragen, aber ich glaube kaum, daß er solche Anfragen bezüglich Ella beachten wird, denn er ist auch Lillian & mir gegenüber braucht von vollkommen rücksichtlos. & Ich habe ihm gesagt, was Lillian unbedingt braucht – mir spreche ich erst gar nicht mehr – es hilft nichts. Hinsichtlich des Verkaufs Deiner Grundstücke schrieb er mir vor einer ganzen Weile davon & sagte – dasselbe wie Du. er, ihm wären drei hundert Dollar in bar angeboten worden & Du sagtest Nur sagte er vielleicht zwei. Leider bekomme ich nichts – alles was ich habe ist weg nehme ich an – (vielleicht 61 wurde es für die Bildung anderer aus der Westcott-Sippe ausgegeben – was weiß ich). unverändert. Sein Leben ist so, wie es immer Sherman ist in moralischer Hinsicht unverändert war – er behandelt Frauen respektloser denn je. Dies ist wahr – viel zu wahr. Was zum Himmel ich je mit diesem oder wegen dieses Mannes tun soll kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, aber er hat mir bereits genau so viele Probleme bereitet, wie ich ertragen kann. Es wäre närrisch zu hoffen, daß man aus seiner Haut herauskann & dieser Mann kann das jedenfalls nicht. Es tut mir sehr leid, daß ich diesen unglücklichen Ton anschlage, da es Dir vielleicht unangenehm ist & wahrscheinlich auch nicht hilft, aber ich muß sagen, dein Vorhaben mit dem Land ist einfach zu viel. S. ist kein guter, ehrlicher Geschäftsmann, wie ich einst annahm – ehrlich im Sinne von strenggläubig sicher, aber nicht durch & durch. Er ist im Kleinen gemein wann immer er kann & die Leute ahnen es nicht. Ständig schrieb er mir die grauenvollsten Briefe, die mich krankmachten, bis Madam Anneke ihm schreib & dem ein Ende setzte. Nun schreibt er gewöhnlich viel Quatsch von Liebe, der nichts bedeutet – beschwert sich über seine Geschäfte, verspricht Geld zu schicken & beschwert sich dann, daß er das nicht kann – beschuldigt mich ihn nicht zu lieben & etc. Wofür zum Himmel sollte ich ihn lieben? – weil er in Bezug auf mich ein wenig Stolz oder Eitelkeit besitzt? natürliche Zuneigung“ Zuneigung für ihn, aber davon wird Natürlich empfinde ich eine Art „natürliche bald kaum noch etwas übrig sein, wenn er sich nicht vorsieht.
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Diese Familie konnte nicht näher identifiziert werden.
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Ich möchte nichts Unrechtes tun, & war so mild & geduldig wie man nur sein kann – & er denkt, daß, weil ich nicht über meine Gesundheit klage, alles für immer so weitergehen kann wie bisher. Du solltest diesen Brief besser gleich nach dem Lesen verbrennen, denn er sollte nicht einfach irgendwo herumliegen. Wäre ich heute unterwegs nach Amerika, so würde ich natürlich nicht zu S. gehen. Ich kann nicht einfach derart meine Grundsätze über den Haufen werfen oder meine Kinder seiner vulgären Ausdrucksweise aussetzen. Ich weiß sehr gut was Armut bedeutet, aber in ihrer schlimmsten Form ist sie doch besser als der Einfluß, dem wir in seiner Gegenwart ausgesetzt wären. Er ist zu falsch. In solch einer Atmosphäre möchte ich nicht meine letzten Stunden verbringen. Ich laße den Dingen ihren Lauf & vertraue sonst ganz auf die Fügung der Vorsehung. Angst wäre sinnlos & zu viel Gefühl bringt einen um, also versuche ich beides zu vermeiden. Sherman hat das Gedicht an Gerritt Smith62 geschickt. Ich schrieb ihm in einem Brief (er liest sie bei allen seinen Vorträgen) und in demselben Brief bat er ihn mir meine Schulden bei ihm von tausend Dollar geliehenem Geld zu erlaßen, von denen er annahm sie seien für mich – den Hektar mit der Hypothek darauf wegen der Schulden einen weiteren Hektar! Hektar Gerrit Smith schrieb zurück, daß er das nicht tun zu nehmen & einen wolle, aber mir $ 500 der Schulden erlaßen würde & dann nur die anderen fünf[hundert] einfordern wolle. Sollte dies unmöglich sein, würde er das Land nehmen. Also hat er nun natürlich das Land. S. benutzt mich & meinen Namen in jeder möglichen Weise. – entwendet all das Land & alles, & dankt dann dem Herrn, daß wir nicht mehr daran denken. Dieser Mann ist ein „Blutsauger“ oder besser gesagt ein Blutegel wie er im Buche steht.
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Gerrit Smith war ein wohlhabender Abolitionist aus dem US-Bundesstaat New York, der sich in den frühen 1850er Jahren an der Parteipolitik beteiligte, afroamerikanische Gemeinden im Norden unterstützte und 1859 John Browns Überfall auf Harper’s Ferry mitfinanziert hatte. John Stauffer, The Black Hearts of Men: Radical Abolitionists and the Transformation of Race (Cambridge, Mass: Harvard University Press, 2001).
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Heimat in den Alpen
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 27. Dezember 1861 Nach Weihnachten.63 …. Gestern am zweiten Weihnachtstage wurden wir von Consul Bernays zum Dinné geladen. Der Gesandte64 war ebenfalls erwartet, aber er hatte uns geschrieben, daß er nach Paris müße. Wir waren dessen herzlich froh, denn als wir beim Fest eintrafen, erblickten wir Frau Gräfin Hatzfeldt65 ohne ihren Amant Rüstow, aber in Begleitung von Herweghs und Lassalle66. Ich hatte die Herrschaften noch nie gesehen u. mir wars gleichviel so oder so. Während mir im Laufe des Dinnés Lassalle, der mir gegenüber saß, als ein höchst geistreicher interessanter ja gar gutmütiger Mensch erschien, fand ich die Gräfin weder interessant, noch schön, noch geistreich, noch liberal wie Freund Bernays sich ausdrückte – ich fand sie – wie Leichenduft, wie eine geschminkte weibliche Ruine zu deren Besitz ich allen Männern Glück wünsche. Lassalle kam – so aber auch Frau Gräfin – mit einer großen Freundlichkeit auf mich zu, ließ sich vorstellen und fragte mit vieler Theilnahmen nach seinem ehemaligen Kerkergenossen.67 Beim Abschied bat er mich sehr, Dich zu grüßen und ihn bei Dir in freundliche Erinnerung zu bringen. Das Verhältniß der beiden merkwürdigen Personen Lassalle und die Gräfin hat auf mich folgenden Eindruck gemacht. Las[salle] war ein junger Bursche als sie ihn verführte. Sein leuchtender Spirit, seine Kraft, die unverkennbar ist, sind ihr angenehm und nützlich gewesen. Er ist jedenfalls ihr Genius gewesen, hat sie immer auf der Oberfläche, wenn sie dem Versinken nahe war, gehalten
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Mathilde begann den Brief nicht mit einer Grußformel. Mathilde war befreundet mit dem republikanischen Politiker und Redakteur George G. Fogg, der als Minister Resident von 1861 bis 1865 in der Schweiz lebte. „Fogg, George Gilmann“, Biographical Directory of the United States Congress, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, http://bioguide.congress. gov/scripts/biodisplay.pl?index=F000234. Sophie Josepha Ernestine Gräfin von Hatzfeldt war die Freundin von Ferdinand Lassalle, der zwanzig Jahre jünger war als sie. Sie lernten sich 1846 kennen, als Hatzfeldt ihn während des achtjährigen Rechtsstreits mit ihrem Ehemann, der sie missbrauchte, um Unterstützung bat. Sie zeigte sich erkenntlich, indem sie Lassalle sein Leben lang finanziell und moralisch unterstützte. Ihr romantisches Verhältnis jedoch kühlte bald ab. Hans Wolfram von Hentig, „Hatzfeldt, Sophie Josepha Ernestine Gräfin von“, in Neue Deutsche Biographie (Berlin: Duncker und Humblot, 1969), 8: 67; David Footman, Ferdinand Lassalle: Romantic Revolutionary (New York: Greenwood Press, 1947), x–xi, 51–61. Ferdinand Lassalle (1825–1864) hatte an den Revolutionen von 1848 teilgenommen, war in ähnlichen Kreisen wie die Annekes anzutreffen und korrespondierte mit Heinrich Heine, Marx und Engels. Zu seinen bekanntesten Idealen gehört die Argumentation, dass die Interessen der Massen am besten durch eine politische Partei durchgesetzt würden, welche in einem System operierte, in dem jeder wählen durfte. Mit dieser Meinung wurde er zum Gegner von Marx und zum umwahrscheinlichen Verbündeten von Otto von Bismarck. Die von Lasaslle mitgegründete Partei war nach seinem Tod an der Gründung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) beteiligt. Iring Fetscher, „Lassalle, Ferdinand“, in Neue Deutsche Biographie (1982), 13: 661–69. Fritz und Lassalle waren Ende 1848 offenbar gleichzeitig in einem preußischen Gefängnis in Westfalen eingekerkert gewesen. Footman, Ferdinand Lassalle, 65; Schulte, Fritz Anneke, 32.
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und hat sich endlich verbunden gehalten in treuer Freundschaft ihr zur Seite zu sein, so lange als nothwendig. Er liebt sie natürlich nicht mehr – er lebt wie Emma sagt nicht mehr ehelich mit ihr – er behandelt sie auch von seinem geistigen Kothurn herab etwas sehr en bagatell. Sie spricht viel schön – namentlich „liberal“–und wird ihre Rede zu sehr Blech – dann ärgert Lassalle sich, anfangs will ers vertuschen, dann kann er es nicht mehr und fängt an wild drauf los zu dociren. Dann ist der Kerl interessant im radikalsten Zerreißen alles dessen, was Widerspruch und Nonsence; dann entwickelt er gelegentlich ein Philosophie des Rechts und eine Rechtphilospophie mit einer Dialektik und einer Schärfe des Verstandes, das es ein Plaisir ist zu zuhören. Das ist für unser Eins, der wenig dazu kommt so was zu vernehmen, ein wahrer Genuß. Ich vergaß Gänsebraten u Hasenpasteten und hörte dem Manne zu. Ich dachte viel an Mutter, die gute alte Frau, die damals von seinen Vertheidigungsreden so entzückt war.68 Herweghs haben noch immer den Ruf nach Neapel nicht bestätigt. … Es ist spät. Percy saß lange neben mir und hat mit Entzücken im Robinson69 gelesen. Alles ist schlafen gegangen. Leb wohl lieber Fritz. Bleib gesund. Schreib so oft es möglich ist; wir haben keine andern Freuden. – Auch wohin nun addressiren? – Nach? in Indianapolis. Leb wohl, leb wohl Deine Dich liebende Mathilde
Mathilde Franziska Anneke an ihre Mutter Elisabeth Giesler Zürich, Januar 1862 Meine beste Herzensmutter! Seit Neujahrstag habe ich Dir täglich schreiben wollen, allein die täglich laufenden Arbeiten, das Sorgen von einem Tag zum andern, die Erziehung der Kinder – kurz alle die Pflichten die mir obliegen, ließen mich kaum ein Stündchen zum Plaudern mit Dir gute Mutter, finden; und doch versetze ich mich am liebsten an Deine Seite und meine daß ich mit keinem Menschen auf der Welt, so aus der Seele sprechen könnte, wie mit Dir. Wie habt Ihr Alle denn das neue Jahr begonnen, gewiß nicht mit so leichtem Herzen, wie sonst wol. Ja die Tage werden ernst, die Weltgeschicke ruhen im dunklen Schoße der nächsten Zukunft und unsere eigenen hängen mehr oder minder von jenen ab. Wie sich die Kämpfe der Union abwickeln werden, wer vermag es vorauszusehen. Ob ihre Schlachten auch in unser Familienleben blutig eingreifen werden? Daß 68 69
Elisabeth Giesler kannte Lassalle offensichtlich auch. Gemeint ist Robinson Crusoe, der englische Roman aus dem 18. Jahrhundert über die Abenteuer eines Schiffbrüchigen. Daniel Defoe, Robinson Crusoe, Hg. Thomas Keymer (Oxford: Oxford University Press, 2007).
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Julius70 zur Cavallerie gegangen, daran hat er ich glaube, recht gethan; ich hoffe, er wird gesund zurückkehren und seiner Familie ein guter Vater sein. Louise71 hängt mit außerordentlicher Liebe an ihm und auch er an seiner ganzen Familie. Durch Booths Briefe erfahre ich daß auch Louis72 dem Schlachtengott das Schwert tragen will – vielleicht ist es recht, daß jeder Mann in dieser Stunde zum letzten Argument greift. Grüße die Krieger von mir. Ich möchte bei ihnen in der Schlacht stehen, lieber wie in einem Leben, in dem die Sorge um die Geschicke der Menschheit und die kleinlichen im gewöhnlichen Leben, uns selbst kleinlich machen. Zur Weihnacht, liebe Mutter, haben wir unsern Kinderchen ein dunkles Tannenbäumchen erhellt. Unsere Geschenke waren bescheiden und erst am zweiten Festtage wurden sie durch die fortwaltende Liebe Franziskas73 bereichert. Das erste und einzige Kistchen, das uns nach alter deutscher Weise per Post zu Theil wurde, goß einen so interessanten Inhalt vor uns aus, daß wir ganz froh und glücklich wurden. Sylvesternacht waren wir bei Herweghs zu einer großen Fete. Dort trafen wir Deinen alten „Geliebten per Distanz“ Herrn Lassalle (er selbst schickt Dir sein Bild, das erst den Weg zum Fritz genommen hat) und die noch immer merkwürdig schöne Gräfin von Hatzfeldt. Sie hatte mir Tags vorher Visite gemacht und Mary und mich zu einem großen Dineé welches sie in wahrhaft fürstlicher Weise in ihrem Hotel, Bauer am See, gab, eingeladen. Ich muß gestehen, daß mir die Tage dieses europäischen Luxus nach jenen alles dergleichen verleugnenden und alles entbehrenden in Amerika, eine ganz interessante Abwechselung boten. Ich mußte oft an Dich denken, und nahm mir vor Dir Schilderungen und Beobachtungen dieses Lebens aufzuzeichnen, allein ich habe mich sehr bald wieder meiner stillen Muse zugewandt und um endlich einmal Größeres zu vollenden, mich wieder in meinen Roman „Sturmgeiger und Kajütenprinz“ vertieft. Ich glaube er wird recht „nett“. Marie ist entzückt und auch einzelne Episoden die ich Emma Herwegh u. andern bisweilen vorlese lassen wünschen das Ende zu erfahren. Am Neujahrsmorgen, liebes Mütterchen habe ich meinem ziemlich angewachsenem Manuscript die Worte vorgesetzt: „Meiner geliebten Mutter gewidmet!“ Seit der Zeit geht meine Arbeit noch viel besser von Statten wie vorher. Dein „Spirit“ hilft mir über alle Schwierigkeiten hinweg. Du die Du mir stets zu allem den Muth eingeflößt hast, thust es auch weit, weit von mir. Am Neujahrsmorgen, da alle andern Dir ihre Wünsche zu Füßen legen konnten, that ichs in dieser Weise. Ich hoffe, Du lächelst dazu. – Mein „Geisterhaus“ ist schon über 2. Monate in Leipzig. Wann es endlich gedruckt erscheinen wird, die Götter wissens.
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Julius Giesler war ein Bruder von Mathilde. Harris, „Die Nachkommen unserer Großeltern Carl u. Elisabeth Giesler im Jahre 1890“. Julius Gieslers Frau und Mathildes Schwägerin. Ibid. Wahrscheinlich Mathildes Schwager Louis Scheffer. Franziska Rollmann Hammacher.
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Von Pauline und ihren Kinderchen habe ich seit Kurzem manche liebe Briefchen und endlich gar ein kleines Kästchen, darin vom Louischen74 gestrickte Strümpfchen für unsere Kleinen, zwei Schürzchen e[tc] e[tc] waren, erhalten. Ich werde ihr das Kästchen, gefüllt mit Schweizersachen zurücksenden u. ich hoffe sie wird sich freuen. Die Kinder schicken sich ihre Visitenkarten mit Portraits. Die Goldstückchen, die ich beiden75 zu Weihnacht gesandt haben ihnen viel Jubel gemacht. Ich glaube es geht Pauline so weit recht gut; ihre Kinder sollen allerliebst sein und in der That der kleine Bengel76 schreibt mir nette Briefe. Viel – viel später! Er soll mir oft schreiben. Von Fritz habe ich seit 10. Tagen keinen Brief, vorher aber oft zwei in der Woche. Das gab uns etwas Ersatz für die Tage des vergeblichen Haderns, die doppelt schwer werden, wenn die Kinder fragen: warum schreibt uns Papa nicht; ist er schon in den Krieg u. s. w. Ich fürchte er wird in Indiana abends wie in Wisconsin mit Knownothingismus77 und andern Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Aber ich hoffe daß er sie überwindet. Schreib ihm doch oft wenn Du kannst, liebe Mutter. Seinen Geburtstag haben wir „im Kreise froher munterer Zecher“78 gefeiert. Das heißt die Zecher waren Mary u. ich, Percy, Hertha und Lili. Wir saßen um unser Bowlchen und aßen Kuchen. Da spät kam noch Gräfn H. die „einen Narren an uns gefressen“ herausgefahren. Sie trank ein Gläschen mit auf Columbias Heil u. dem Fritz sein Wohl u. dann fuhr sie wieder ab. Sie ist eine höchst originelle Frau in der That und in ihrer Freiheit und Unabhängigkeit bei Gott fein und nobel. Sie ist mir lieber als tausend Betklatschschwestern, die im Herzen niederträchtig sind. Ein elegantes Dinee, das sie wiederum gab, fand uns zu Ehren statt. Ein interessanter Kreis war um sie versammelt ich hatte das Plaisier mit Herwegh einen graciösen Walzer zu tanzen u. während des Diné neben ihm zu sitzen. Wie im Leben die größern Contraste stets bei mir gewechselt, so auch die kleinern. Gerade vorher hatte ich drei Tage schrecklich an den Krämpfen gelitten. Ich möchte gerne nach Tarasp.79 oder Carlsbad so schnell wie möglich wenn ich Mary mit den Kinder allein lassen könnte; aber da sind so viele Haken. Ihr eignes Unwohlsein und die Oekonomie des Hauses, deren Vertreterin ich natürlich bin.
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Louise von Reitzenstein war die Tochter von Mathildes Schwester Pauline mit Ehemann Albin von Reitzenstein. Harris, „Die Nachkommen unserer Großeltern Carl u. Elisabeth Giesler im Jahre 1890“. Mathildes Nichte Louise und Neffe Albin von Reitzenstein. Albin von Reitzenstein, Jr. Die American (oder „Know Nothing“) Party war eine bedeutende einwanderungsfeindliche politische Bewegung, die in Mitte der 1850er-Jahre kurzzeitig viel Zuspruch erhielt. Deutschamerikaner benutzten den Begriff auch in späteren Dekaden, wenn es um Nativismus ging. Tyler Anbinder, Nativism and Slavery: The Northern Know Nothings and the Politics of the 1850’s (New York: Oxford University Press, 1992). Aus dem deutschen Volkslied „Im Kreise froher, munterer Zecherer“. Ch. Täglichsbeck und J. Müleisen, Hg., Göpel’s deutsches Lieder und Commers-Buch, zweite Aufl. (Stuttgart: Verlag von Karl Göpel, 1858), 321. Ein kleiner Ort in der Alpenregion des Engadintals in der Schweiz.
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An meinem Percy und auch an dem kleinen lieben Herthachen wirst Du große Freude haben, liebe Mutter. Im Bilde präsentiere ich sie Dir. Auf meinen schönen Jungen bin ich ganz stolz; er ist auch so lieb und brav jetzt; lernt tüchtig u. ist höflich, so daß ich ihn überall mit hin nehmen und Ehre mit ihm einlegen kann. Wie wird die Erziehung einem hier erleichtert! Bei unserm Maler haben sie jetzt alle drei feste Zeichenstunden; die Erfolge werden sie Dir bald alle drei kund thun. Sie haben alle drei ungemeines Talent, das nach allen Richtungen auszubilden meine erste Sorge ist, nachdem Gott und der Krieg mir viel Geld(!!) beschieden hat. Da bekomme ich eben einen lieben B[rie]f von dem wackern Märklin. Der hat mich wirklich recht erfreut; die richtige Anschauung der Dinge da drüben giebt mir ein klares Bild einmal, das durch die vielen widersprechenden Berichte, die wir hier durch Zeitungen bekommen, oft sehr verworren vor unsren Augen schwimmt. Ich werde ihm bald antworten. Grüße ihn und Linchen einstweilen. Von Fritz noch immer nichts. Gewiß ist er schon mit im Kampf in Kentucky, oder doch in der Nachhut. – Nach den heutigen Nachrichten scheinen die Dinge etwas energischer angepackt. Aber immer noch keine Aussicht auf eine Radicalkur. Wie u. wann wird das enden! – Für Banner schreibe ich nicht mehr. Märklin sagt mir zwar daß er die Berichte ganz gerne gelesen habe. Aber ich hatte bereits beschlossen aus Gründen der Bescheidenheit damit aufzuhören und es mag so bleiben. – Nach Dir meine liebe Herzensmutter habe ich oft recht große Sehnsucht. Wenn eine Straße zwischen uns wäre und auch eine lange – freilich nicht so lang wie das Weltmeer – ich wäre schon mal wieder bei Dir gewesen. So müssen wir noch ein wenig warten. Mein Schatzkästlein ist noch nicht voll genug von Gelerntem und Gesehenem. Wenn ich aber mit dem heimkomme, bin ich ein ganz famoses Weib, daran Du Deine Freude haben sollst. Von Fanny weiß ich gar nichts; ich will noch einmal an sie schreiben. Da habe ich so lange auf das Bild der Kinder gewartet u. nun es fertig ists so ausgefallen, daß ichs dennoch nicht schicken mag. Dreimal haben sie gesessen, vergebens. Ich will nicht länger mit der Absendung des Bfs warten. Meine liebe liebe gute Mutter; ich hoffe Du bist vergnügt und denkst bisweilen an uns. Von Fritz habe ich die letzte Nachricht vom 4. Jan.; schrecklich daß ich so lange immer warten muß. – Percy u. Hertha haben heftiges Erkältungsfieber; auch ich habe Husten. Die Veränderung des Klimas ist hier groß. Vorgestern Frühling mit Blüthen u. Blumen – Heute Winter grauliger Art. Ich wünsche nichts mehr als daß Du gesund bist u. mich lieb behältst. Tilla Mary küßt u. grüßt Dich; ich hab sie ziemlich auf der Deine alte treue liebe Tilla. Besserung.
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Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 26. Februar 1862 Mein lieber guter Fritz
Den 26./2. spät Abends. Ich habe eben Deinen B[rie]f vom 6 u. 7/2. empfangen. Das sind schlimme Nachrichten, aber doch nicht schlimm genug uns niederzubeugen. Du wirst handeln wie es Dir recht scheint und wenn Du glücklicher als Kanonier bist unter Deinen Getreuen, wie als Colonel – so bin ichs gewiß auch.80 Und im Kugelregen kannst Du ja eben so gut als Kanonier beschützt bleiben wie als Oberst; im Gegentheil die Sterne werden schärfer aufs Korn genommen wie die gemeinen Komisjacke. Das macht mich also nicht unglücklich. Es wird mir nur Sorge um den Vater81 machen, der mir heute in alter Herzlichkeit geschrieben hat und solches Vertrauen zu mir gewonnen daß er all sein heimliches Herzeleid mir sogar anvertraut. Schone ihn ein wenig mit trüben Nachrichten wenn Du kannst. Ich verberge ihm das Schlimme so lange bis etwas Sonnenschein mittlerweile wieder eintritt. Ich will arbeiten was ich kann, mehr wie ich in der letzten Zeit am Schreibtisch saß, kann ich nicht und darf ich nicht wenn ich die Pflegerin unserer Kinder länger bleiben will. Bach82 hats mir gänzlich verboten, aber man kann schon viel fertig bringen. Wie mit Ehren die schuldige Miethe entrichten, das ist freilich noch ein Räthsel allein es sind noch 8 Tage und etwas kleine Münze – vielleicht 3. Fr[anken] zum frankiren hab ich auch noch. Kredit für Brod u. Fleisch, Minna ist eingeweiht in mein Geldmisere – die schändlichen Krämpfe sind seit einigen Tagen ausgeblieben – so laß Dir also keine so grauen Haare wachsen. Das ist sehr dumm. Sei aber auch nicht so bissig gegen mich wieder. Wie Du Deine Leiden mir alle mittheilen mußt, so auch Deine kleinen Freuden. Ich hoffe der gute brave Jäki83, den selbst die Kinder lieb haben wie ihren Bruder, wird Dich pflegen und hegen, ich bitte ihn nur ganz besonders darum. Warum Du unserer guten Mary so aufsätzig bist weiß ich nicht. Sie ist ein kleiner Knownothing
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Fritz hatte seinen Posten des Oberbefehlshabers eines Infanterieregiments in Indiana verlassen, da er nicht direkt an der Front kämpfte. Fritz Anneke an Edwin Stanton, Columbus, Kentucky, 28. Juni 1863, Box 2, Ordner 8, Anneke Papers; Schulte, Fritz Anneke, 67–69. Fritzens Vater Christian Anneke. Christoph Ernst Bach praktizierte in dieser Zeit als Arzt in Zürich. Denkschrift der medizinischchirurgischen Gesellschaft des Kantons Zürich (Zürich: Zürcher und Furrer, 1860), xv. Percy war eng befreundet mit Jäki (oder Jäcki, vielleicht kurz für Johann oder Jacques) Kamp (auch Camp), der die Schweiz verlassen habe, um an Fritzens Seite in den Vereinigten Staaten zu kämpfen. Die Familie in Zürich war weiterhin mit Jäkis Vater in Kontakt, allerdings überwarfen sich Fritz und Jäki später. Es war uns nicht möglich, die Kamps, die für kurze Zeit eine wichtige Rolle im Leben der Annekes einnahmen, näher zu identifizieren.
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aber kein böser. Ihre slave auction84 habe ich an Borkheim85 gesandt u. ihn gebeten, ihr in engl. Journalen Eingang dadurch verschaffen, ich hab ihm den Geldpunkt besonders ans Herz legen müssen u. so ists ja vielleicht doppelt gut. An Fröbel86 hatte ich schon seit Wochen vor zu schreiben, ich that es dann endlich heute und bot ihm meine Kräfte fürs Feuilleton an. Vielleicht daß ich dort gleich größere Arbeiten für Geld loswerden kann. Meinen Traum mich mit Muße der Belletristik, der gediegenen widmen zu können, sistire ich, bis Du mal wieder Oberst bist. Nicht wahr? Wo werden meine Briefe Dich jetzt ereilen? Ich kann mit meinem Br. jetzt nicht mehr die Antwort Herrn Camps87 abwarten, es bleibt sich soweit auch gleich, ich sende ihn Morgen gleich ab. Ich habe den zweiten Brf Jäckis an seinen Vater mit einem Begleitschreiben von mir versehen, couvertiert und es wird Morgen früh ihn erreichen. Lebe wohl mein lieber Fritz. Die Kinder sind gesund; Herthas Auge nur noch blau. Leb wohl, leb wohl. Deine treuste Tilla.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 10.–15. März 1862 Mein lieber Fritz! Dein letzter Brief ist vom 9. u. 11. Febr. Heute ist der 16. Merz – mit großem Verlangen sehe ich Deinem nächsten entgegen. Es ist Frühling bei uns, Fasching wie ich glaube hier in der Gemeinde, die Kinder haben keine Schule und Maria ist mit ihnen in die Stadt spaziert. Ich habe heute meine ersten Correspondenzen an die Criminalztg u. die Allgemeine wieder fortgeschickt, bin gestern zum ersten Male wieder ausgegangen, fühle mich aber noch immer nicht gesund. Im Kopfe steckt mir eine rheumatisch
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Die „Sclaven Auction“, eine fiktionale Geschichte, in der auch Gerrit Smith als Protagonist vorkommt, wurde zunächst in fünf Teilen im Sommer 1862 in der Didaskalia veröffentlicht. Mathilde beschreibt die Geschichte hier als Marys Werk, allerdings gilt Mathilde als Autorin der deutschen Version. Zur Kollaboration Mathilde und Marys, siehe Honeck, We Are the Revolutionists, 127–33. Für allgemeinere Informationen, siehe Maria Wagner, „Mathilde Anneke’s Stories of Slavery in the German-American Press,“ MELUS 6, Bd. 4 (1979): 9–16. Wie die Annekes, war auch Sigismund Borkheim aktiv am Aufstand von Baden beteiligt gewesen und lebte nun in London, wo er sich weiterhin in radikalen Kreisen bewegte. Heinrich Gemkow, Sigismund Ludwig Borkheim: Vom königlich-preußischen Kanonier zum Russland-Experten an der Seite von Marx und Engels (Hamburg: Argument, 2003). Wahrscheinlich Julius Fröbel, der mehrmals seinen Wohnort wechselte, nachdem er Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung von 1848–1849 gewesen war. Julius Fröbel, Ein Lebenslauf, 2 Bände. (Stuttgart: Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, 1890–1891). Der Vater von Jäki Kamp (auch Camp). Siehe Fußnote 83 (Kapitel 3).
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nervöse Erkältung, die sich auf den Hals ausgedehnt hat. Zahnweh habe ich nur noch in der Nacht, Kapps kamen gestern mich mit Gewalt aus dem Hause fortzuschleppen; ihre Sorgfalt mehr wie der Spaziergang haben mir wohlgethan. Meine Melancholie hatte mich unter gekriegt. Auf dem Spaziergang trafen wir Freunde Hepp u. Frau. Sie ist wieder munter – wenns anhält! Er ist wie ein junger Galanthomme erfreut wenn er Mary sieht; über die neusten Amerik. Nachrichten war er glücklich.88 – Grüße um Grüße! Wo Dich mein Brief wol ereilen wird? Ob Du endlich den Standpunkt gefunden oder Dir erkämpft haben wirst, auf welchem Du zufrieden und glücklich sein wirst? Ich wünsche Dirs. Ehemals habe ich geglaubt mit Dir nach diesem goldenen Wieß streiten zu müssen – ich sehe immer besser wie eitel thöricht das ich war muthiger als ich stark war. Wenigstens auf diesen Muth magst Du herablächeln und mich allein auf meine Kämpfe durch Thränen blicken lassen. Das Ende alles Kämpfens ist der Tod. – Dein letzter Brief kam am 8. Merz. Wir sehen daß in der Regel 26. bis 30. Tage hingehen, ehe uns die Mittheilungen erreichen. Die Kinder scharen sich um mich, wenn es heißt: Papa hat geschrieben. Ich muß dann laut lesen und wehe mir, wenn ich stocke: Hertha ist ein liebes treues Engelchen. Percy ein lieber Junge, aber eine etwas selbstsüchtige Natur. Hertha nichts von alledem; dazu ist das Kind so klug und so gewissenhaft wie Fritzchen war, dessen Todestag ich stille und sehr traurig gefeiert habe. Du hast sie auch wol nicht vergessen unsere Leidenswochen, gewiß nicht so nahe unsern Gräbern….89 Beim Zahlen der Miethe (400 Fr) am 1. d. M.90 habe ichs für meine Pflicht gehalten das Quartier aufzukündigen; ich mußte es sehr eilig thun! Die Verantwortung ob ichs ferner zahlen kann oder nicht, zwang mich. Was aber thun – wohin mit der Familie – da Percy doch eine Schule genießen muß, die uns nicht in einem wohlfeilen Bauerndörfchen geboten wird. Ich denke kommt Zeit – muß der Rath auch aufkommen. Jetzt ists sehr dunkel, wie auch die Frühlingssonne alles umher vergoldet. Ich habe die Criminalztg um Uebersendung von 30. Doll. gebeten. Schöffler schickt nichts. Daß Du auch an dem Jäki eine schmerzliche Erfahrung machen mußtest, hat mir sehr leid gethan. Ich darf es den Kindern gar nicht sagen, sie hatten sich eine so gewisse Persönlichkeit, die Dir alles sein mußte, darunter gedacht. Der Jäki muß wie in einer Fabel fortspielen für sie. Ich schickte noch im vorletzten B[rie]f die Zeilen von seinem Vater an ihn. –
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Unionstruppen unter General Ulysses S. Grant hatten im Februar 1862 mit dem Niederschlag des Fort Henry und dem Zerschlag des Fort Donelson in Tennessee strategisch wichtige Siege errungen. James M. McPherson, Battle Cry of Freedom: The Civil War Era (New York: Oxford University Press, 1988), 395–405. Die Gräber ihrer Kinder. Mathilde zahlte halbjährlich Miete. 4. November 1862, Heft 232, III Band, Bezirksgericht Zürich Zivilprotokoll, Staatsarchiv Kanton Zürich, Zürich.
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Später: So eben bekommen wir einen Brief aus Rom von der Frau und Tochter Gerrit Smiths.91 Sie verlangen von uns daß wir Ihnen nach Florenz angeben, welche Route sie von dort nach hier nehmen sollen. Sie wollen Europa nicht verlassen, ohne uns zu besuchen. Sie finden uns in keiner angenehmen Verfassung. Ich mache einen kleinen Spaziergang mit den Kindern und suche ein besseres Bild bei Hl Keller92 zu erzielen. Meine Schmerzen im Gesicht sind unerträglich. Ich habe alles voll Pflaster liegen, aber ohne die mindeste Wirkung; das rechte Auge schmerzt furchtbar und liegt tiefer wie das andere im Kopf. Booth schreibt daß er von Dir einen Bf empfangen wonach Du ihm mittheilst daß man Dir den Sold vorenthalten93; er spricht sich nicht darüber aus, aber ich fürchte nicht daß Du ihn verlieren wirst. Er schickt auf einmal 3 Dollar die glücklicher Weise nicht verloren gingen. Die Geschichte wird drüben wahrscheinlich wieder zusammengeleimt und das göttliche Institut94 bleibt vor wie nach bestehen, bis es zum letzten Krieg kommt, den die Neger dann selbst ausfegen werden. Man macht sich hier große Friedenshoffnungen, ja Herwegh der eben bei uns durch die Thüre blickte und Guten Tag sagte ohne sich niederzulassen, sagt daß man schon garantire Du werdest in 2. Monaten Deine Reise wieder rückwärts sicher angetreten haben. Der darauf wettet, verliert. Schurz der „heimkranke“ adventurer in high style kann seiner Ambition als Feldherr nicht genügen und läßt sich zur Veränderung mal wieder als Ambassador nach Rußland schicken.95 Der hat den Olymp erstiegen. Unserm Herthachen habe ich mal wieder eine große Freude gemacht. Ich ging mit den Kindern heute Morgen in die Treibhäuser des bot[anischen] Gartens. Ich fand und pflückte dort an der Hecke das erste Veilchen für Dich. – Die Kinder waren selig; kein Blümchen entging der Aufmerksamkeit und Hertha schwelgte in ihren Idealen. Zurück mußte ich einen Wagen nehmen; gegen 1. Uhr kamen wir bei Mary und Minna wieder an….
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Zu Gerrit Smith, siehe Fußnote 62 (Kapitel 3). Smiths zweite Frau, geb. Ann Carroll Fitzhugh, war Abolitionistin, Feministin und Verfechterin der Temperenzbewegung. Ihre Tochter Elizabeth Smith Miller war aktive Frauenrechtlerin. Judith Wellman, The Road to Seneca Falls: Elizabeth Cady Stanton and the First Woman’s Rights Movement (Urbana: University of Illinois Press, 2004), 38–41. Heinrich Keller war ein Kunsthändler in Zürich. Verzeichniß der Bürger der Stadt Zürich, 108. Immer bemüht, sich am Kriegsgeschehen aktiv beteiligen zu können, hatte Fritz beschlossen, nach Tennessee zu reisen, um General Don Carlos Buell seine Dienste anzubieten. Dies mag die Verzögerungen bei seiner Bezahlung erklären. Fritz Anneke an Edwin Stanton, Columbus, Kentucky, 28. Juni 1863, Box 2, Ordner 8, Anneke Papers; Schulte, Fritz Anneke, 67–69. Die Sklaverei. Nachdem er weniger als ein Jahr lang Botschafter in Spanien gewesen war, kehrte Carl Schurz als Brigadegenereal im März 1862 in die Vereinigten Staaten zurück. Auf welche Gerüchte Mathilde hier auch anspielen mag, sie bewahrheiteten sich nicht. Hans L. Trefousse, Carl Schurz: A Biography, zweite Aufl. (New York: Fordham University Press, 1998), 113–16.
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Deinen lieben Brief vom 19. u. 22/2. empfing ich mitten in den ärgsten Schmerzen. Ich habe viel Theilnahme von Kapps und Emma Herwegh. Beust fährt fort mit großer Gehäßigkeit gegen Percy zu verfahren. Ich habe wenn ich eben konnte, jede Aufgabe nachgesehen und mich sehr um ihn bemüht: wenn ich einen andern Weg wüßte, ich nähm ihn aus der Schule fort, allein der öftere Wechsel setzt den Jungen auch zurück. – Er ist im Hause folgsam und brav; aber schlaff. Deine Mittheilungen bringen mich zur stillen Verzweiflung und immer tiefer in meinen trostlosen Zustand. Der gewissenlose Booth geht systematisch fort in seiner Handlungsweise. Ich glaube ich werde ihm noch einmal schreiben aber aus einer Tonart, wie er sie noch nicht gehört; wenn ich nur erst besser wäre. Ach es ist so traurig bei uns, und rund um uns her Alles so blühend und frühlingshell. Nur mein Herthachen lächelt wie der Frühling; das Kind bleibt heiter. Und Amalie Struve96 auch todt! – So gehen sie Alle so langsam. Heinrich Struve97 zeigte mir den Tod an. Die armen zwei kleinen! Die sie hinterließ. Nur nicht sterben, bevor die Kinder herangewachsen sind – das erflehe ich nur vom Geschick. Ich will mich auf die Einzelheiten Deiner Stellung nicht einlassen, das Schreiben wird mir schwer – ich soll es auch nicht dazu bist Du schon längst in eine andere und ich hoffe glücklicher. Stürze Dich nicht voreilig zu dem Kampf um Dein Leben in Unmuth zu opfern. Laß es Dir für Deine zwei Kleinen zu theuer sein. In Preußen werden die Zustände gut. Zum dritten Mal die Kammer aufgehört98! Die Neuwahlen sollen nicht gottgefälliger werden. In Italien rührt sichs und auch in Paris dämmerts.99 Das Buch Varnhagens100 kommt zu einem merkwürdigen Zeitpunkt und berührt schwache Seiten im Vaterlande auf die empfindlichste Weise. Ich habe Criminalztg. Auszüge gesandt. Ich lebe jetzt von Nichts; d. h. vom Schuldenmachen. In den Apotheken konnte ich nicht bezahlen. In dem kleinen Kramladen habe ich wieder ein Buch anlegen lassen, so theuer u schlecht auch dort Alles ist. Brod Rechnung steigt zu einer enormen Höhe 96
Amalie Struve, Schriftstellerin und radikale Demokratin, war die Ehefrau von Gustav Struve (siehe Fußnote 98 (Kapitel 2) und eine der bekanntesten weiblichen Teilnehmer an den deutschen Revolutionen von 1848. Sie starb bei der Geburt ihrer dritten Tochter im Alter von nur 38 Jahren in New York. Marion Freund, „Struve, Amalie,“ in Neue Deutsche Biographie (2013), 25: 601–602. 97 Gustav Struves jüngster Bruder Heinrich war kurz zuvor von Texas wieder nach Europa zurückgekehrt. Heinrich von Struve, Ein Lebensbild: Erinnerungen aus dem Leben eines Zweiundachtzigjährigen in der alten und neuen Welt (Leipzig: Verlag von E. Ungleich, 1895). 98 Die intensiven Auseinandersetzungen zwischen vermehrt linksgerichteten preußischen Parlamenten und König Wilhelm I. führten schließlich zur Ernennung von Otto von Bismarck als Ministerpräsident im September 1862. Jonathan Steinberg, Bismarck: A Life (Oxford: Oxford University Press, 2011), 168–78. 99 Mathilde war stets informiert über politische Bewegungen für eine allgemeine Demokratie und bessere Möglichkeiten für die Arbeiterklasse. 100 Karl August Varnhagen von Enses Nichte hatte gerade den ersten Band der Tagebücher dieses gut vernetzten deutschen Schriftstellers posthum veröffentlicht. Ludmilla Assing, Hg., Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense, Bd. 1 (Leipzig: F. A. Brockhaus, 1861).
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u. Frau Spörri ist nicht bezahlt für letztes Quartal. Der edle Hl Booth, der wie Mary erwartete nach seinem Versprechen, Geld in diese Zeit senden werde, sagt er kann nicht – aber sie solle nicht in Dispair dort gerathen sondern auf den Himmel bauen. Wenn Smiths herkommen, werde ich dem Herrn ein Monument setzen, u. überhaupt meine Meinung aussprechen. Unsere Minna wünschte 50. Fr. – bezahlt haben wir ihr über hundert schon – ich bin ziemlich ohne Geld. Mein Bf wartet auf die Bilder, um die ich Tage lang vergebens gesandt habe. – Von meiner Mutter, von Fanny, von Niemandem höre ich ein Wort. Lebe wohl mein lieber, lieber Fritz. Ich kann Dir nicht mehr schreiben. Ewig Deine Mathilde.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 29.–31. März 1862 Mein lieber guter Fritz! In der Kanonierjacke wärst Du mir eben so lieb wie in der Colonelsuniform gewesen aber mit einem abgespeisten Capitano – da hätte ich Dir den Respekt aufgekündigt. Es thut mir unendlich leid für Dich mein lieber Fritz, daß Du wiederum aus einer Deiner Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Situation heraus eskamotiert worden bist – Es ist für uns Alle ein harter Schlag – eben Dein ruhiges festes und entschlossenes Wesen, das mir aus jeder Zeile Deines lieben Bfs vom 8. Merz, der ungewöhnlich schnell (am 27) in meine Hände kam, entgegensprach, hat mich sehr getröstet. Und wer weiß ob der energische Richmond nicht sitzstark und muthig eine Lanze für Dich gebrochen hat und Dir Satisfaction verschaffen? Es lag ja so nahe, daß man Dich, wenn nicht mit einer Beförderung doch als Oberst eine Stellung in der Armee bot, die man in den Staaten ausgehend nicht billigen wollte. Ich muß Dir gestehen daß ich immer an den feindlichen Don Carlos101 denken muß. – In Wisconsin wird die Auflösung des Regiments eben so schnell wie in Indiana stattgefunden haben. Aber in Wisconsin würde man Dir eine andere Genugthuung geboten haben, das glaube ich sicher. – Ich freue mich daß Du Dein Pferdchen, Herthas Prinzchen wie ich voraussetze, behalten hast. Ich wünsche mir daß Du es fort und fort behältst. … Den 31. Merz.
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Brigadegeneral Don Carlos Buell, Befehlshaber über die Army of the Ohio, hatte Fritz nicht den gewünschten Posten gegeben als dieser auf Eigeninitiative nach Tennessee gereist war. Stephen Engle, Don Carlos Buell: Most Promising of All (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1999), 74–76; Fritz Anneke an Edwin Stanton, Columbus, Kentucky, 28. Juni 1863, Box 2, Ordner 8, Anneke Papers.
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Dieser böse Monat, der sonst so lieblich ist, ist gleich um. In den letzten Tagen habe ich nur zwei Stunden täglich aus dem Bette sein konnen. Heute so dünkt mich, geht es etwas besser. Der Dr. Rahe102, der mich eben wieder verlaßen hat, flößt mir guten Muth ein. Er würde mich Mitte Mai nach Ragatz103 schicken müssen, kündigt er mir an. Das könnte ich vielleicht eher wie Karlsbad möglich machen – wenn die andern Verpflichtungen nicht wären. – Ich habe furchtbare Schmerzen auszustehen. Dazu ist es so traurig um mich her; ich sehe fast Niemand; Kapps sind so beschäftigt und Emma Herwegh denkt nur an Neapel, und im Fall nicht endlich die Bestätung kommt – an ein Dach unter das sie zu Ostern kommen müssen. Sie hatten ihre Wohnung gekündigt. Es wird ihnen endlich nur der Schwanen104 übrig bleiben u. vielleicht auch der noch nicht einmal. Ludmilla Assing105 hat ihnen 5000 Frank. geschickt, aber diese ansehnliche Summe war ein Tropfen auf den heißen Stein. Gräfin H. hat auch das Ihrige geleistet in großartigen Werthgeschenken u. was nebenbei. Emma ist aber, das bleibt ausgemacht, eine Verschwenderin. Später. Dein Bf vom 12. Fed. ist in meinen Händen. So krank ich auch bin, – denn jede geringste Anstrengung bringt mich in neue Fieberanfälle – so muß ich Dir doch noch eben sagen, in welcher Noth die Deinen sind. Verlaß Dich nie – wenn es sich um das Dasein Deiner Familie handelt, z B für mich hast Du vielleicht nicht lange mehr zu sorgen – auf leicht gegebenen Versprechungen, wie solche von denen Du Beweise in der Hand haben wirst. Seit zwei Monaten diese Noth – diese Krankheit – heute hat der Bäcker die Rechnung geschickt und damit natürlich den Kredit aufgesagt. Es thut mir leid daß ich bis zum letzten Athemzuge dazu bestimmt sein muß, nur immer Hülfeschrei aus der Noth zu erheben. Ich danke Dir für Deine Glückwünsche zum Geburtstag, und freue mich daß Du sehr vergnügt nach Tennesse abgereist bist. Hl R.106 hatte längst bevor Du Ind[iana] verließest von Hl Kamp107 die Anzeige daß er kein Geld verabfolgen lasse oder daß er nicht autorisiert sei. Er konnte jetzt längst wenn es Hl. R. Ernst war uns Vorschüsse zu machen, auf jene Benachrichtigung neue Anweisungen senden. Aber es ist ihm nie eingefallen, anders als „auch noch etwas mehr“ zum Almosen zu legen.
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Dieser Arzt konnte nicht näher identifiziert werden. Die Mineralquellen in Ragaz, knapp 100 Kilometer südöstlich von Zürich waren im 19. Jahrhundert ein beliebtes Reiseziel. K. Bædeker, Switzerland (Koblenz: Karl Bædeker, 1863), 332–34. 104 Wir konnten keine weiteren Informationen zum „Schwanen“ finden. 105 Ludmilla Assing war eine Schriftstellerin und die Nichte von Karl August Varnhagen von Ense, dessen Tagebücher sie zu dieser Zeit gerade veröffentlicht hatte. Ludmillas Schwester Ottilie Assing stand in einer romantischen Beziehung zum Abolitionisten Frederick Douglass. Christoph Lohmann, Hg. und Übers., Radical Passion: Ottilie Assing’s Reports from America and Letters for Frederick Douglass (New York: Peter Lang, 1999), 192–93. 106 Wahrscheinlich Otto Ruppius. 107 Auch Camp geschrieben. Jäkis Vater. Siehe Fußnote 83 (Kapitel 3).
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Heimat in den Alpen
Die Noth ist gräßlich – wenn ich Hertha mitnehmen könnte, ich ging lieber morgen wie später ins Grab. Ich schreibe Dir dies, damit Du weißt wie mein Krankenbett auch zuletzt noch von den quälenden Sorgen umgeben wird. Bleibe gesund und sei glücklich – Bis ans Grab Deine Mathilde
Kapitel 4 Transatlantische Schwierigkeiten April 1862–Februar 1863
Für Mathilde und Mary war das Jahr 1862 ab April von gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krisen gezeichnet, die sich immer mehr verstärkten. Mathildes Gesundheitszustand war zunehmend geschwächt, unter anderem wegen einer Lebererkrankung, und dass Mary Blut spuckte, war ein unheilvolles Zeichen der Tuberkulose, die bald ihr Leben jäh beenden würde. Manchmal sorgten überraschende Zahlungen für ihre schriftstellerische Arbeit, ein Geschenk von großzügigen Freunden, eine Familienfeier oder ein Ausflug in einen Erholungsort für Entspannung, aber die kommenden zwölf Monate waren mehr von Leidensphasen als Ruhemomenten geprägt. Jenseits des Atlantiks schienen der Verlauf von Fritzens Karriere und das Schicksal der Unionsfrage die Schwierigkeiten der beiden Frauen in der Schweiz widerzuspiegeln. Die deutschamerikanischen Offiziere in der Unionsarmee waren einem Schwall von Anschuldigungen und Intrigen ausgesetzt. Mathildes Ambitionen für Fritz führten dazu, dass auch sie Schuldzuweisungen vornahm. Manche der Konflikte unter den Offizieren drehten sich um die Sklaverei oder um ideologische Unterschiede, die bis 1848 zurückreichten. Allerdings darf auch nicht unterschätzt werden, welche Rolle persönliche Reibereien, Eifersüchteleien und einfache Missverständnisse spielten. Die Tatsache, dass es zwischen April 1862 und Mai 1863 keine klaren Siege für die Union gab, verstärkten nur Mathildes Frustration, Erschöpfung und sogar Verzweiflung.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 20. April 1862 Mein lieber Fritz!
Ostersonntag. Unsere letzten Briefe sandten wir am 10. d[es Monats]. Seitdem bin ich gestern Nachmittag zum ersten Mal wieder mit Erlaubniß des Arztes 2 Stunden außerhalb dem Bette gewesen. Heute darf ich wieder ein wenig auf sein. Wenn nur erst die Schmerzen
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Transatlantische Schwierigkeiten
mich gänzlich verlassen haben und ich an die schöne Frühlingsluft gehen darf – und wenn ich einen fröhlichen Brief von Dir empfange. Zehn starke Blutigel am Kopf und das Nachbluten von einer Nacht, in der Cäcilie Kapp uns nicht verlassen hat, haben gute Wirkung gethan, aber doch hat erst Quecksilbersalbe und Belladonna die rasenden Schmerzen niederbrechen müssen.1 Heute ist Ostertag. Unsere 3. lieben Kinderchens sind zu Kapps zum Osterhäschen geladen. Hertha war ganz in Entzücken drüber die beiden Madchen sehen zum Malen aus in ihren blauen Garibaldi Hemdchen2 und schwarz seidenen Röckchen. Percy war heute auf der Schmetterlingjagd u. hatte gute Beute. Seine Sammlung ist schon ansehnlich. Sein Freund Snell ist auf 5 Tagen nach Bern vermißt; er vermißt ihn schmerzlich. Percy wird ein liebenswürdiger Junge. Bei Kapps ist er Hähnchen im Korb. Zu den kleinen Sontagbällen ist er stets geladen. Das hat ihn ein wenig ordentlich u. reinlich gemacht. Hertha ist ein kleines selbstständiges Ding. Mein Arzt hat sie gründlich untersuchen müssen u. gefunden daß es mit der Operation noch nicht so schnell gehen dürfe, nicht bevor ihr Drüsensystem einigermaßen umgewandelt. Ihr Husten und ihre heutigen Kopfweh kommen daher. Ich nähme sie gerne mit ins Bad, aber erst muß ich wissen wie ich mir selbst dort helfen kann. – Von Dir empfing ich am 14. den letzten B[rie]f aus Nashville, u vom Ohio und Cumberland River.3 … – Wenn die Nachricht wahr, die Booth gestern an Mary mittheilt, daß Potter4 den Kriegsminister interpelliert wegen Deiner so magst Du noch einmal wieder in gebührende krieg. Tätigkeit kommen sonst glaube ich nicht recht mehr an Dein fortune. Du gehörst dort zu den Stillen im Lande, begnügst Dich mit der Verehrung Deiner boys und wirst ihnen ein treuer Freund sein. Die Art u. Weise womit Hl Buell5 Dich als unbefugten sich selbst octroyierenden Rathgeber aufnahm, war vorauszusehen; in der That glimpflich genug. – Seit Herr Carl Schurz zum Brig. General ernannt, sag ich nichts mehr! Wenn das am dürren Holze geschieht, was wird am grünen geschehen!6 Blenker7 hat also seinem 1 2 3 4
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Ärzte verschrieben im 19. Jahrhundert Quecksilber und schwarze Tollkirsche (Atropa belladonna) für diverse Leiden, trotz der Tatsache, dass sie heute als giftig gelten. Walter Sneader, Drug Discovery: A History (Hoboken, N. J.: Wiley, 2005), 45, 95–96. Zwischen 1860 und 1865 waren diese locker sitzenden Hemden, inspiriert vom italienischen Revolutionär, sehr beliebt. Anne Buck, Victorian Costume and Costume Accessories (Bedford: R. Bean, 1984), 32. Fritz muss sich am Zusammenfluss der beiden Flüsse nahe Smithland, Kentucky, aufgehalten haben. Wahrscheinlich der Abgeordnete John F. Potter, ein Mitglied der Republikanischen Partei, der den Bundesstaaat Wisconsin im US-Kongress vertrat. „Potter, John Fox”, in Biographical Directory of the United States Congress, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, http://bioguide.congress.gov/scripts/ biodisplay.pl?index=P000465. Siehe Fußnoten 93 (Kapitel 3) und 101 (Kapitel 3). Die Bibel, Lukas 23: 31. Blenker, zu dieser Zeit Brigadegeneral, war in Streitigkeiten innerhalb der deutschamerikanischen Presse verwickelt, bei denen es darum ging, dass es finanzielle Unregelmäßigkeiten und deutsche
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Geschick nicht entgehen können! Schurz wird auch wol die Hand an seiner Escamotage haben um sich den Platz frei zu machen. Schimmel8 wird sein milit. Rathgeber u. Stabsoffizier sein. Dies sind meine ersten Zeilen wieder; jetzt bin ich müde. Vielleicht später noch etwas ehe ich wieder ins Bette gehe. Am zweiten Ost[ertage]. Alle die Medizinen, Pflaster e[tc] e[tc] haben mich so schwach gemacht daß ich, wenn auch die Schmerzen erst gänzlich fort sind, noch lange Zeit gebrauche um wieder zu Kräften zu kommen. Der schöne Frühling, den ich auch nicht mit einem Athemzuge genießen konnte, macht mich ganz traurig. Dazu die trostlosen Aussichten in die Ferne, – ob ich je wieder ganz geheilt werde – – Den 2. Mai. Ich habe Dir nicht mehr schreiben können. Die Krankheit – die furchtbaren Schlachtberichte von Corinth9, wo Du jedenfalls gewesen sein mußt – unser hilfloser Zustand – alles das machte mich unfähig zu Allem, insbesondere aber zum Schreiben an Dich; der Arzt verbot jegliche Anstrengung – ich habe mich gehalten wie ich gekonnt habe. Richte ich denn nun diese Zeilen an Dich, mein lieber guter Fritz, und gehörst Du zu den Lebenden oder den Todten. Seit Januar Februar ist mirs gewesen, als ob meine Stimme Dich nicht mehr erreiche – und jetzt? Ich darf mich mit den trüben Gedanken nicht hin lassen, um nicht wieder zurück zu fallen u. für unsere hilflosen Kleinen – ich muß mich wieder aufrichten für sie. – Dein kleines Briefchen durch die Allgemeine wurde mir zu theil. Vergebens aber habe ich auf Deine ersten Artikel aus Nashville gehofft – nur aus „Pittsburg am 3. April“ erkenne ich Dich. Seit dem beginnt das Blatt schon zu prunken mit ihrem milit. Korresp. vom Kriegsschauplatz auf dessen Berichte sie warte. Du warst also schon 3 Tage vor der Schlacht auf dem Schlachtfelde – Werde ich nicht vergebens hoffen und harren auf Nachrichten von Dir nach dem blutigen Tage des achten. Und als Privat bei der Armee – ich werde nicht einmal von Deinem Schicksal erfahren auf officiellem Wege. O Gott! wir haben ein trauriges Geschick – was soll aus uns werden.
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Adlige und Prinzen in seiner Truppe gegeben haben soll. Mathilde beschrieb Blenkers Schicksal frühzeitig, denn er trat im Juni ohne Erklärung zurück und starb im darauffolgenden Jahr in New York. Carl Wittke, Refugees of Revolution: The German Forty-Eighters in America (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 1952), 233–34. Alexander Schimmelpfennig war ein preußischer Offizier, der in Köln gelebt hatte, bevor er in die Revolutionen von 1848 involviert war. Er tat gute Dienste als Brigadegeneral unter Schurz in der Unionsarmee. A. E. Zucker, Hg. The Forty-Eighters: Political Refugees of the German Revolution of 1848 (New York: Columbia University Press, 1950), 336. Nach der Schlacht von Shiloh verfolgten die Unionskräfte die Konföderierten bis nach Corinth, Mississippi, wo sie später die Stadt belagerten. Fritz und Buells gesamte Artillerie erreichte der Marschbefehl zu spät, um an einem der beiden Einsätze teilzunehmen. Timothy B. Smith, „A Siege from the Start: The Spring 1862 Campaign against Corinth, Mississippi”, Journal of Mississippi History 66 (2004): 403–24; Schulte, Fritz Anneke, 69–70.
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Meine Krankheit scheint nachzulassen; ich glaubte freilich vor 14 Tagen auch schon so weit zu sein, dann aber befiel mich der Paroxismus wieder von Neuem und fesselte mich wieder unaufhörlich ans Bette. Heute hat mir der Arzt erlaubt mal an die Luft zu gehen. – Da es ist 3 Uhr ein Kanonendonner – ich eile ans Fenster und sehe das neue Polytechnicum in Flammen. – Was das sein mag? Das schönste Gebäude der Neuzeit; der Stolz aller Züricher u Sempers10 besonders. – Hier hat Frau Beust11 u Frl. Becker12 mich abgehalten. In der Allg[emeinen] suche ich mit Angst u Kummer nach einem Lebenszeichen von Dir. Bist Du mir und den beiden Kindern denn ewig verschwunden? Wo soll ich Trost für sie u für mich holen? Mary hat Blutspeien plötzlich wie noch nie; sie war so wohl u. jetzt mit einem Mal wieder das erschreckende Leiden. An Booth habe ich 4. Zeilen geschrieben, mit dem größten Nachdruck augenblicklich 50. Doll. verlangt u. später 100. Ich weiß nicht mehr zu helfen. An Hl Ritzinger13 habe ich durch Mary vor etwa 14 Tagen als ich so elend war schreiben lassen und um Auskunft über die Lage der [financiellen] Verhältnisse ersucht. Von Lexow habe ich sehr schnell 30 Doll. als Honorar für meine C[orrespondenzen] erhalten. Sie trafen in der größten Noth ein. 50. Fr. die Emma14 mir geborgt hat mußte ich zurückzahlen, da sie selbst wieder in Noth war. Wann wird es aufhören, meine Gedanken nur mit diesen täglichen Brodsorgen zu beschweren. Es thut mir unendlich leid Dich damit stets u. stets belästigen zu müssen – aber wenn ich die Kinder mit Stillschweigen sättigen könnte. Diese Monate haben mich ganz niedergeschmettert und jetzt Dein Schweigen nach der blutigen Schlacht, nach der Du Dich gesehnt hast. Deine arme Mathilde
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Beim Bau des viel gepriesenen Polytechnikums des Architekten Gottfried Semper kam es zu einem Dachbrand. Leipzig Illustrirte Zeitung, 27. Juni 1863 (Nr. 1043), 444. Anna Beust. Möglicherweise die Tochter von Achtundvierziger Johann Philip Becker. Siehe Fußnote 27 (Kapitel 4). Friedrich Ritzinger war ein erfolgreicher Achtundvierziger, der in Indianapolis lebte. B. R. Sulgrove, History of Indianapolis and Marion County (Philadelphia: L. H. Evert & Co., 1884), 230–31. Emma Herwegh.
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Mary Booth an Fritz Anneke Zürich, 4. Juni 1862 (Übersetzung aus dem Englischen) Lieber Fritz: Das Papier, auf dem ich schreibe, schenkte Franziska Maria mir an meinem Geburtstag. Wie Du siehst, ist ein Buchstabe meines Namens falsch aufgedruckt. F. M. war lange sehr krank und bleibt todkrank vor Sorge um alles. Der Doktor sagt sie müße umgehend für vier oder sechs Wochen nach Ragatz & daß sie keine dauerhafte Heilung erwarten könne bis sie nicht dort gewesen sei, aber da könnten wir ja genauso gut gleich überlegen, ob wir nicht mit der ganzen Familie zur Erholung nach Äthiopien fahren sollen. Dr. Hepp mit Familie sind heute Morgen auf eine Reise durch Italien aufgebrochen. Mrs. Beüst war gestern hier & wünschte sich bei Dir in Erinnerung gerufen zu werden wenn wir schreiben. Letzte Woche hatten wir einen schönen Besuch von der Familie von Gerrit Smith samt Frau & einzigem Sohn & Tochter – Mrs. Miller & ihrem Ehemann. Sie hatten einen Reiseleiter bei sich, den sie in Paris beauftragt hatten. Sie waren in Italien, Deutschland, Frankreich, Österreich & Belgien & ringsherum – fahren nun nach Paris, von dort zur Weltausstellung, dann nach Schottland, Irland & sind am 1. Juni dann wieder zuhause. Bei ihnen gerät der Europabesuch zur richtigen Arbeit & sie führen diese in richtiDampfmaschinenweise aus. ger Dampfmaschine Sie alle waren entzückt von Franziska Maria. Mrs. Smith sagte ein15 lebendiger Mensch hätte je einen so wundervollen Eindruck auf sie hinterlaßen. Es hätte Dir gutgetan, sie über Franziska Maria reden zu hören. Sie wollten wißen, ob Du ihrer würdig seist. Meine Antwort wird nicht verraten! Du weißt selbst besser als ich, ob Du es bist oder nicht!! Der junge Smith sagte F. M. sollte major sein jetzt da Shurtz Brig Brig[adegeneral] sei & daß, wenn sie die Ernennung Generalmajor bekäme, er sich als ihr Gehilfe zur Verfügung stellen würde. Sie eroberte die Herzen der gesamten Sippe im Sturm. Mr. Fogg16, der wünscht, daß ihm telegraphiert werde sobald sie ankommen, konnte nicht kommen, aufgrund von Krankheit. Sie statteten ihm einen Besuch ab – fuhren absichtlich durch Bern. Er wünschte ich wäre auch gekommen, aber ich konnte F. M. nicht allein laßen. Sie fühlte sich zu dem Zeitpunkt nicht gut genug, um mit ihnen durch die Stadt zu fahren, also ging ich allein. Wir besuchten die Enkelin von Lavater17, der hier einen Abend mit ihnen verbrachte & deren
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Mary scheint hier „kein“ und nicht „ein“ zu meinen. George Fogg, US-amerikanischer Minister Resident in der Schweiz. Siehe Fußnote 64 (Kapitel 3). Maria Fäsi (1802–1868). Johann Heinrich Pestalozzi, Sämtliche Werke und Briefe: Kritische Ausgabe, Hg. Leonhard Friedrich und Sylvia Springer (Zürich: Verlag Neue Züricher Zeitung, 1994), 1: 132.
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Herz, wie auch das ihres Mannes, F. F.18 eroberte. Diese Dame gab ihnen Bilder von Lavater & eine ganze Predigt in seiner eigenen Handschrift schenkte sie Gerrit Smith. Auch ich selbst bin krank. Ich bin nicht imstande zu schreiben und tue es doch. Ich halbtot & daß wir bald von Dir hören – immer die Deine, Mary hoffe Du bist nicht halb
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 21. September 1862 Lieber guter Fritz! Tage der Sorge sind mal wieder dahin. Du hattest doch in der That zu lange gewartet, mir und Deinen Kindern ein Lebenszeichen zu geben. Vom 13 July bis zum 2. September! Wir sind nun 14. Tage in unserer friedlich ländlichen Wohnung; sie gefällt mir und den Kindern – Mary theilweis nur – sehr gut. Die Freiheit die wir hier in dem herrlichen Obstgarten19 – besser hieß er Obstwald – genießen, nachdem wir eine solche so lange entbehrt haben, that uns sehr gut. Die Eigenthümerin, eine herzensgute Frau, beschenkt die Kinder mit wahrer Generosität. Wir wären jetzt herzlich zufrieden, wenn die Möbelvermietherin nicht so unverschämte Forderungen machte, nach welchen ich genöthigt bin uns eigne Möbel u. Hausgeräthe anzuschaffen. Zu diesen reicht nun halb der Wechsel hin, den Gerrit Smith (50 Doll.) mir u. Mary zum Geschenk gemacht hat; u. kommt gerade zur rechten Zeit. Ein andrer von Schöffler endlich 62. Francs hilft mit aus. Mit dem Fond von 400 Fr. der bei Pestalozzi20 deponiert ist und mit den 150. die ich deponieren mußte beim Gericht für Zellers21 werde ich, wenn ich letzten unverkürzt wiederbekomme, bis zum Weihnachtsfest ungefähr durchkommen; vorausgesetzt, daß mich die Schicksalsschläge endlich verschonen. Mit meiner Gesundheit geht es halb und halb; die rechte Seite des Kopfes und die untern Gliedmaßen ist
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Wahrscheinlich meinte Mary „F. M.“ bzw. Mathilde. Mathilde und Mary waren mit den Kindern weiter östlich des Stadtzentrums gezogen und lebten dort in einer Gegend namens Obstgarten, heute der Vorort Hottingen. Wahrscheinlich der politisch aktive Bauingenieur und Professor Karl Pestalozzi (1825–1891), dessen Urgroßvater Johann Heinrich Pestalozzi ein berühmter Schweizer Pädagoge gewesen war. Peter Müller-Grieshaber, „Pestalozzi, Karl“, Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 13. Juli 2020, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D31607.php. Die ersten Vermieter in Zürich verklagten Mathilde auf sechs Monate Miete und Sachschaden, mit der Begründung, die Familie habe das Innere der Wohnung zerstört. Die Behauptungen waren scheinbar von Beginn grundlos und niederträchtig, doch ein Richter entschied das Verfahren erst dann zu Gunsten von Mathilde, als die Sache bei ihr bereits große Verzweiflung ausgelöst hatte. 4. November, Heft 232, III. Band, Bezirksgericht Zürich Zivilprotokoll, Staatsarchiv Kanton Zürich, Zürich.
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Abb. 8 Studioaufnahme von Mathilde Anneke (stehend) neben Mary Booth (sitzend), Zürich, ca. 1863
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immer noch von der Nervengicht22 gepeinigt. Du siehst es vielleicht meinem Bildchen an, das ich Dir sende. Hast Du denn nicht die zwei Bilder von unsern Kindern bekommen, die ich Dir im Merz vor[igen] Jahres gesandt habe? Wenn Dus nicht bekamst, so muß ich jetzt Neue machen lassen. An Percy würdest Du viele Freude haben. Beust – dem ich nebenbei 50 Fr. gezahlt habe – ist sehr mit ihm zufrieden; Ostern kommt er in die Cantonschule[.] An seinem Brief, den er Dir heute Morgen in aller Frühe geschrieben hat, erkennst Du seine Fortschritte in Gedanken und Ausdruck. Er ist meine ganze Freude. Sein Studier u. Schlafzimmerchen, hier neben meinem Wohnzimmer, ist das schönste unserer Wohnung. Ich blicke vom Sopha aus gerade nach seinem Pult, an dem er sitzt. Er wächst wie Gras und jeden Augenblick ist er aus den Kleidern heraus. Diesem unbändigen Wachsthum schreiben wirs zu, daß er Nacht wandelt. Ich habe die größte Fürsorge deswegen für ihn zu nehmen. Der Arzt beruhigt mich und beaufsichtigt ihn in seiner Entwicklung. – Hertha ist gesund und macht Riesenschritte mit ihrem Fuß. Die Maschine die ihr angelegt ist, wirkt vollständig und in einigen Monaten ist ihr Fuß vollständig dem andern gleich. An eine Operation denken wir nicht mehr. Sie wird ein hübsches Mädchen und schlau wie kein anderes. Wild ist sie auch, wie ihre Mutter war und Pferdchen, Kühe sind ihre Ideale. – In der vorigen Woche überraschte Franziska mich. Sie kam von Heidelberg in Begleitung von Schmitt23 herüber. Hammacher ist mittlerweile in Schottland u. England. Franziska war ganz die Alte geblieben; sie sah noch immer recht hübsch aus. Ich machte ihr nicht viel Freude; ich war ihr zu ernst geworden. Sie mag wol recht haben. – Ich folgte ihrer Einladung zu einer Reise nach Chur und Pfäffers24, die zwei Tage dauerte. Die Taminaschlucht hat mich derartig überrascht, daß ich noch einmal jubeln konnte. Ein Sommeraufenthalt dort mit meinen Kindern und – wenn Du wieder zu uns kehrst mit Dir – würde mich glücklich machen. Mary denkt daran im künftigen Jahre nach Amerika zurückzukehren. Sie hat wahres Heimweh nach Ella, die kränklich ist. Ob und wie der Gedanke zur Ausführung kommt, davon habe ich noch keine Idee. Jedenfalls richten wir uns einstweilen mal sehr bescheiden ein.
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Mathildes Ärzte glaubten scheinbar, dass ihr Schmerz durch eine Ansammlung von Harnsäure ausgelöst wurde. Allerdings war die Verbindung zwischen Autoimmunkrankheiten wie Gicht und dem was sie „Neuralgie“ nannten zu dieser Zeit unter Medizinern umstritten. Landon Rives, „Neuralgia“, The Western Lancet 13, no. 4 (1852): 222–27. Franziska Hammachers Schwager Carl Schmitt war ein erfolgreicher Buchhändler in Heidelberg. Karl Schmitt, Unsere Firmengeschichte 1841–1966 (Heidelberg: Karl Schmitt und Co. Bahnhofsbuchhandlungen Heidelberg, 1966). Im kleinen Ort Pfäfers, etwa 100 Kilometer südöstlich von Zürich, können Besucher durch eine höhlenartige Schlucht laufen.
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Die Zeitungen brachten einige Tage vor dem Dein B[rief] anlangte, die Depesche von einem glücklich bestandenen Gefecht der Unseren bei Bolivar.25 Ich bin auf der Karte gut zu Hause u. mit Percy verfolgte ich den Gedanken, daß Du dort schlagen halfst. Dein Bf., zuerst datiert aus Bolivar, dann aus Springfield, zeigt mir, daß Du wiederum am Vorabend des Schlachtgetümmels Platz machen mußtest. In Tennessee war ich nun sicher, daß die Gelegenheit da war Deine Kriegskunst zu zeigen – aber dennoch nicht. Bald, ich gestehe es, bin ich schwach genug mich dem Glauben an Dein böses Verhängniß zu ergeben. In Deutschland – wo wie mir Beust sagt – man Dirs zum ewigen Vorwurf macht, daß Du Rastatt26 in jenem schlimmen Moment verließest, wagt man auszusprechen, daß Du Dich im am. Kriege gleichfalls vor der Schlachtengefahr hüten werdest. Ich muß gestehen, eine solche Anschauung der Dinge von ehemaligen Freunden, ein solches Verkennen Deines eigentlichen Werthes schmettert mich fast zu Boden. Ich interpellirte Beust deshalb, ich wollte wissen was er davon meine. Er antw: auch er würde sich niemals haben in Rastatt einschließen lassen, aber er würde niemals eine Stellung wie Du von vorne herein angenommen haben. Er erzählte mir ferner daß er, als Becker u Esseln27 ihre Lügenhistorie in die Welt gesandt u gesagt haben, daß Du, Techow28 u Beust im Gefecht bei Ubstadt29 mit in der allgemeinen Flucht Euch befunden, an Becker geschrieben habe, aus welcher Quelle er schöpfte, dieser geantwortet: Sigel habe so gesagt. Darauf habe er an Sigel30 geschrieben: Dieser habe gesagt:
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Fritzens Brief hat nicht überlebt, aber er hatte sich den Posten als Hauptmann des 2. Illinois Artillerieregiments gesichert und war in Bolivar, Tennessee und Springfield, Illinois stationiert. Bolivar lag nahe des Ortes, wo sich am 6. und 7. April 1862 die Schlacht von Shiloh ereignet hatte, welche Blutbäder mit hohen Opferzahlen nach sich zog, die den Krieg später prägten. Schulte, Fritz Anneke, 70; James M. McPherson, Battle Cry of Freedom: The Civil War Era (New York: Oxford University Press, 1988), 408–14. Der preußische Sieg über die Revolutionstruppen an der Festung in Rastatt beende im Juli 1849 die Revolutionen von 1848–49. Hans L. Trefousse, Carl Schurz: A Biography, zweite Aufl. (New York: Fordham University Press, 1998), 23–27. Johann Philip Becker war einer der Organisatoren der Volkswehr in Baden und schrieb später in der Schweiz über seine Erfahrungen als Achtundvierziger. Zudem setzte er sich für ein vereinigtes Italien ein und arbeitete mit Marx und Engels in London zusammen. Esselen (auch Essellen) hatte ebenfalls in Baden gekämpft. Er ging 1852 in die Vereinigten Staaten, wo er 1859 nach einer kurzen Karriere als radikaler Journalist starb. Karl Griewank, „Becker, Johann Philipp“, in Neue deutsche Biographie (1953), 1: 717–18; Zucker, Forty-Eighters, 292; Johann Philipp Becker und Christian Essellen, Geschichte der süddeutschen Mai-Revolution des Jahres 1849 (Genf: Gottfried Becker, 1849). Ein ehemaliger preußischer Militäroffizier. Ebenso wie Fritz war auch Gustav Adolph Techow Vorsitzender des Generalstabs der aufständischen Armee in Baden gewesen. Collected Works of Karl Marx and Frederick Engels (London: Lawrence & Wishart, 1978), 10: 735. Fritz hatte einen Rückzug nach Ubstadt favorisiert, aber August Willich überredete ihn zu bleiben und sich am 23. und 24. Juni 1849 an einer letztlich erfolglosen Schlacht zu beteiligen. Gustav Struve, Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden (Bern: Verlag von Jenni, Sohn, 1849), 277. Franz Sigel, der als Leutnant in der badischen Armee gedient hatte und später Rechtswissenschaften studierte, war ebenfalls am revolutionären Aufstand von 1848 und 1849 aktiv beteiligt gewesen. Er polarisierte als Generalmajor in der Unionsarmee und wurde zu einem der bekanntesten
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Gögg31 habe so gesagt. Darauf habe er Gögg zur Rede gestellt u. dieser habe bekannt, daß er allerdings der Meinung sei. Zur nähern Motivierung habe er angegeben, daß er Euch da u da begegnet sei im allgemeinen Wirrwarr. Beust sagt, es sei richtig, daß Ihr drei einen Rath auf einem Hügel gepflogen und zusammen heruntergekommen in das Gewühl gerathen seid u. daß es möglich sei, Gögg habe so meinen können! – Aber nun bitte ich Euch – und solche Irrthümer berichtigt Ihr nicht! nicht dann wenn es Zeit ist! Jetzt ist es natürlich zu spät – jetzt kannst Du nur mit dem Schwert in der Faust die Irrthümer auslöschen u. nicht dulden daß Deine Feinde über Dich triumphieren. Ich werde sterben vor Gram, wenn diese Scharte nicht ausgewetzt wird. Ich kann es nicht erleben, daß Deine Feinde u. Gegner Sigel und Schurz, Triumpfe neben Deiner Verdunkelung feiern. Ich war niemals ruhmsüchtig – bei Allem was ich liebe ich war es nicht! Aber die ewige Schmach wie die drohende vermag ich nicht geduldig zu tragen – will ich nicht mit mir ins Grab nehmen. Verlaß Dich nicht auf Deine Tugenden und Verdienste nur – die Menschen haben keinen Blick dafür sie zu würdigen, wenn ihnen nicht auch der äußere Glanz zur Hilfe kommt. Ich bitte Dich auch, suche den kleinen persönlichen Kriegen auszuweichen – sie bringen keine Ehren und keinen Gewinn. Die Satisfaktion von einem Narren wie in St Louis der Dich beleidigt, läßt Dein Schwert nicht glänzender erscheinen.32 Ich fürchte daß Deine große Reizbarkeit Dich häufiger als nöthig in kleine persönliche Conflicte verwickelt…
Mathilde Franziska Anneke an ihre Mutter Elisabeth Giesler Zürich, 25. September 1862 Meine liebe, liebe Mutter! Unter den Schreckensnachrichten, die uns von drüben ereilen33, klingt ein lieblicher Gruß von Euch zu meinem Herzen. Johannas Zeilen34, und auch drei von Emil35,
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Deutschamerikaner seiner Zeit. Stephen D. Engle, The Yankee Dutchman: The Life of Franz Sigel (Fayetteville: University of Arkansas Press, 1993). Amand Goegg (1820–1897) war vor seiner Beteiligung an den Revolutionen von 1848 Beamter gewesen. Markus Bürgi, „Goegg, Amand“, Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 28. Dezember 2006, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D47638.php. Fritz war in eine Konfrontation mit seinen Vorgesetzten in St. Louis geraten, nachdem er aufgefordert worden war, eine Untersuchung durchzuführen, durch die erhebliche Unregelmäßigkeiten der Verordnungsanforderungen aufgedeckt wurden. Schulte, Fritz Anneke, 70. In diesem Sommer war der Halbinsel-Feldzug der Unionsarmee, die Konföderierten-Hauptstadt Richmond einzunehmen, gescheitert. Streitkräfte der Konföderierten zogen daraufhin gen Norden. Sie erreichten Maryland Anfang September. Mathilde konnte zu dieser Zeit noch nichts von der Schlacht am Antietam vom 17. September oder der vorläufigen Emanzipationserklärung vom 23. September gewusst haben, die auf den Sieg der Unionsarmee folgten. McPherson, Battle Cry of Freedom, 424–27, 461–71, 524–45, 557–59. Mathildes Schwester Johanna Weiskirch. Johannas Ehemann Emil Weiskirch.
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daneben ein freundliches Briefchen von Freund Zünd36 nebst Einlage (Wechsel von Schöffler) gute Nachrichten von Dir und der Vermehrung Deiner Enkelschaar durch ein Söhnlein Johannas37 sind einiger Maaßen balsam. Von Fritz keine – keine Nachrichten seit 13. July. Eine lange Zeit; er liegt unstreitig mit den Tenneseer Guerillas38 in Gefechten und ich muß hoffen daß das Schlachtenglück ihm günstig und er am Leben erhalten bleibt. Ob Washington aber in diesem Moment nicht schon in den Händen des Feindes? Wir harren mit der größten Spannung auf die nächsten Depeschen. Meinen letzten Bf – ich schrieb ihn aus dem Bade – wirst Du empfangen haben; ich glaube – so viel ich mich noch aus jener schlimmen Zeit erinnern kann – daß ich Dir antwortete auf die lieben Zeilen, die Du mir von Deinem Aufenthalt bei Deinen guten treuen Freunden Pfeils39 schriebst. Ich ersehe daß die Wirkungen dieser Schlampebäder gut und nachhaltig gewesen. Die furchtbare Cur meines Bades, die mich Anfangs noch kränker werden ließ, scheint meiner Krankeit ernstlich den Hemmschuh angelegt zu haben, wenigstens bin ich bei guter Atmosphäre beinahe frei von den entsetzlichen Schmerzen. Der Umzug, den ich vor etwa 14 Tagen unter starken Regengüssen gehalten, hat mir freilich wieder eine Erkältung versetzt, so daß ich noch stets an Brust u. Hüften leide, aber die eigentliche Gicht in ihrer ganzen Furchtbarkeit hat sich verzogen. Du hattest gewiß schon früher wieder Nachrichten von mir erwartet. Aber ich habe seit Monaten in fortwährender Unruhe gelebt. Zuerst hatte ich 4. Wochen lang Besuch von Fräulein Ritzinger40 und einer Freundin Miss Fletcher41 aus Indianapolis; dann kam Franziska, meine alte, liebe, ewig getreue Freundin; sie war in Begleitung ihres Schwagers Schmitt des Buchhändlers aus Heidelberg, Gatten von Lina Rollmann.42
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Ernst Anton Zündt. Armin Weiskirch wurde im US-amerikanischen Zensus von 1870 fälschlicherweise als Armena (weiblich) aufgeführt. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1870), 7te Ward, Milwaukee, S. 48, „dwelling“ (Wohnstätte) 295, „family“ (Familie) 293; US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1920), 6te Ward, Topeka, Kansas, S. 4, „dwelling“ (Wohnstätte) 84, „family“ (Familie) 83. Sobald Fritz zum Kapitän der Illinois Artillerie ernannt worden war, wurde seine Einheit von der Front abgezogen. Schulte, Fritz Anneke, 70. Es ist nicht möglich, die befreundeten Pfeils mit Sicherheit zu identifizieren, aber ein deutschstämmiges Paar mit Nachnamen Pfeil lebte mit seinen Kindern auf einer Farm in Milwaukee County. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1870), Stadt Granville, Milwaukee County, Wisconsin, S. 45, „dwelling“ (Wohnstätte) 335, „family“ (Familie) 340. Die in Hessen geborene Mary (Maria) Ritzinger war 1870 zum Zeitpunkt der Zensuserhebung 25 Jahre alt. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1870), 9te Ward, Indianapolis, Indiana, S. 32, „dwelling“ (Wohnstätte) 235, „family“ (Familie) 252. Myla F. Fletcher heiratete später Friedrich Ritzingers Sohn John. Ihr Vater war der Geschäftsmann Stoughton Alphonso Fletcher (1808–1882), Mitglied einer berühmten Familie aus Indianapolis. Commemorative Biographical Record of Prominent and Representative Men of Indianapolis and Vicinity (Chicago: J. H. Beers & Co., 1908), 982–83; Findmittel, Calvin Fletcher, Jr. Family Collection, Indiana Historical Society, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, https://www.indianahistory.org/ wp-content/uploads/calvin-fletcher-jr-family-collection.pdf. Caroline Schmitt (geb. Rollmann). Siehe Fußnote 23 (Kapitel 4).
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Hammacher war mittlerweile auf einer Geschäftsreise nach Schottland. Ich war eben nothdürftig eingerichtet; mein schweizerisches Idyll, das ich fortan in einem freundlichen bescheidenen Bauernhause austräumen will, unterscheidet sich wesentlich von meiner ehemaligen stolzen Wohnung. Franziska nahm zufrieden mit uns; im Ganzen blieb sie 8 Tage, dazwischen lud sie mich zu einem Abstecher ins Graubündtner Land ein. Ich sah eine Region von dem mein Herz bis dahin noch keine Ahnung gehabt; wir reisten längs dem Wallenstadter See und gingen zur Taminaschlucht, einer Felsengewalt, aus der die warmen Heilquellen von Päffers und der wilde Gletscherstrom die Tamina, zugleich sprudeln. Diese ewigen Felsendome, Stundenlang, diese dunklen Granitpfeiler geschliffen von den reißenden Gewässern der Tamina, die während sie rechts dieser ewigen Arbeit sich hingiebt, links mit den Alpenblümchen tändelt. Dann reisten wir bis zur Grenze Italiens, um wenigstens diesen Himmel und diese Luft zu ahnen und zu atmen. Ich glaube einen Aufenthalt von 8. Tagen dort würde mich völlig geheilt haben, statt dessen warens nur 3. und wir gingen so schnell wie möglich wieder heimwärts zu den Kleinen. Mary hatte 14. Tage früher diese Reise, nur noch weiter ins Engadin gemacht. Sie rastete nicht, bis ich wenigstens einen Theil davon gesehen. Sie hatte recht. Man schöpft in solcher Welt wieder Lebensmuth, wenn er etwas auf die Neige gegangen ist. Meine treue Franziska hatte nur einige Wochen zuvor die Beweise ihrer Anhänglichkeit durch eine Freundin, die sie besucht hatte, Cacilie Kapp, Tochter der Professorin Kapp, u. Vorsteherin des Instituts43, zu erkennen gegeben. Sie sandte mir einen kostbare Juwel im Ringe, und die Nachricht, daß sie mich sehen werde. Welch eine Freude nach einer solchen Trennung von 15 Jahren! Wir kannten uns augenblicklich u. fanden uns in einem Menschenknäuel auf dem Bahnhof augenblicklich heraus. Franziska und Mary sympathisirten sehr miteinander.44 Die Mutter Franziskas, Tante Rollmann45 ist von Italien heimgekehrt, um in ihrem „geliebten Warendorf “46 nach dessen großen Scheunenthüren und Strohhaufen das alte Herz sich gesehnt, die letzten Lebenstage zu zu bringen. Sie ist bigottisch und quält mit ihren altem Rosenkranz Glauben die Kinder entsetzlich. Einstweilen lebt sie bei Lina in Heidelberg, in dem es
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Eine Werbeanzeige von 1863 für Professor Kapps Erziehungsanstalt für Mädchen verrät, dass das Ehepaar und seine Töchter das Institut in Zürich seit 1856 geleitet hatten. Süddeutsche Zeitung, 8. Februar 1863. Mary und Franziska Hammacher tauschten Briefe aus. Von Marys Briefen sind etwa ein Dutzend heute noch erhalten. Mary Booth an Franziska Hammacher, 1862–1864, Signatur N2105/14, Friedrich Hammacher Archiv, 1824–1904, Bundesarchiv Berlin. Obwohl Mathilde sie „Tante“ nannte, war Maria Christina Elisabeth Rollmann (geb. Verkrüzen) nicht die Schwester oder Schwägerin von Mathildes Mutter oder Mathildes Vater. Siehe Fußnote 122 (Kapitel 1). Bernhard Koerner, Hg., Deutsches Geschlechterbuch (Limberg an der Lahn: C. A. Stark, 1968), 148: 7. Etwa 65 Kilometer östlich von Münster.
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ihr nicht Messen und Pfaffen genug giebt, um noch vor dem Winter ihrer närrischen Sehnsucht zu folgen. – – Ich habe mittlerweile endlich einen Brief von Fritz vom 2. Septb aus Springfield Ill., bekommen. Ich hatte ihn endlich in siegreichen Gefechten geglaubt, da disponirt sein seltsames Verhängniß wieder über ihn nach Gott weiß welchen Gegenden. Schurz sein guter Stern beleuchtet auch noch die auf seinem Generalshaupt entsprossenen glänzenden Lorbeeren. Wenigstens fehlt es dem Manne nicht an Muth und Geschick, sich in eine Disposition hineinzudrängen, in welcher er erringen und erreichen kann, was er will. Das ist wahr. Ich bin gerecht genug ihm den persönlichen Muth, den ich ihm stets zutraute, und den er auf dem Schlachtfelde jetzt bewährt hat, als Sühne für die Arroganz sich zum General zu machen, gelten zu lassen. Sein Glück verläßt ihn unter Kugeln nicht. Diese sind galant genug den Hut ihm triumphierend vom Kopf zu schießen, aber seinen Kopf zu schonen. Fritz versteht es nicht irgend welches Wagniß zu machen, um darauf mit Sicherheit und Selbstvertrauen sein gutes Glück zu gründen. Er ist ein zu scharfer Mathematiker, der nichts dem Zufall – alles nur der BerechKenntniße, nung gutschreibt. – Ich verliere den Glauben an seine gediegenen milit. Kenntniße die das Vaterland in diesem Augenblick mehr denn je nöthig hat, aber nicht gebraucht, nicht – aber den Glauben an seinen kriegerischen Genius habe ich noch nicht besesnicht sen. Ein kühnes anregendes Wort von Dir, liebe Mutter, ist in solchen Zeiten wie die heutigen ein heiliges. Schreib es für ihn nieder und sende es ihm; es wird ihn ermuthigen und erheben. Vaterland, Die Nachrichten lauten so betrübt von dort, daß ich weinen könnte. Das Vaterland das wir uns freiwillig als solches erkoren – und die Freiheit in so ernster Gefahr! Wie tragt Ihr drüben diesen schmerzlichen Gedanken; wie werdet Ihr die Schwere des Geschickes selbst ertragen!? Wer leichtsinnig darüber hinweg denken kann, begreift nein ahnt es nicht, was kommen wird und das Haupt eines jeden einzelnen trifft. Das persönliche Wohl oder Wehe schwindet in diesem Augenblick gänzlich vor dem drohenden Verhängniß des Allgemeinen. Manchmal ist es mir als müßte ich hinüberfliegen und – ein Tropfen im Meere zwar nur – helfen, was zu helfen giebt. Dann aber spüre ich meine eigne Ohnmacht und Kränklichkeit und ich muß glücklich sein, weit genug vom Schauplatz der Schrecken weilen zu können. Mary vertraut wie ihre übrigen Landskinder dem blinden Glück der Union. Unser Freund, der Gesandte Mr. Fogg in Bern fängt an zu fürchten. Ich vermuthe daß die Kräfte des Westens, im Osten zusammengezogen werden und Fritz vielleicht bei dieser Dislocirung ein offeneres Thatenfeld findet. Schreibt mir oft; ich bitte Euch darum, besonders in dieser Zeit, in der man zwar weit vom Schuß, doch die Schrecken nicht minder empfindet. Ich danke Euch nochmals für die lieben wenigen Zeilen. Mit meiner Gesundheit stehts besser aber immer noch nicht gut. Hertha ist eine kleine Heldin. Percy wächst zu stark. Lili ist munter und auch Mary ist guter Dinge. Ein glänzendes Engagement am N. Y. Independant ist ihr zu Theil geworden, in Folge dessen sie fleißig sein muß. Jeder Artikel, nicht über eine Spalte lang wird ihr mit 10. Dollar honorirt. Sag
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aber zu ihrem theuern Gatten nichts davon, denn sonst bekümmert er sich noch weniger um sie. Ich fühle mich noch nicht stark genug um meine Arbeiten wieder muthig und durchführend zu beginnen. Meine bescheidenen Arangements, die unser Leben bedeutend billiger machen, erfordern auch nicht, daß ich rastlos nur an die Arbeit und nicht an eigne Pflege denke. Die herrliche Umgebung unseres Hauses treibt mich zum Spazierengehen und zum dolce farniente. … Von meinen Contrefais, die beiläufig gesagt, gut sein sollen. sende ich Dir ein Probestück. Es soll mich freuen, wenns Dir gefällt. Vor allem möchte ich endlich auch ein Bildchen von Dir und Deiner gesegneten Familie besitzen. – Von Pauline47 und den Kinderchen habe ich vor einigen Tagen Briefe empfangen. Sie sehnt sich sehr nach mir. Ich habe gerade etwas preuß. Geld empfangen, das will ich den Kinderchen zum Andenken senden. Wenn ich wieder gesund bin, so kann ich sie öfter erfreuen. Meine Freundin Cäcilie Kapp, die sie in meinem Auftrage besucht hat, ist voll von ihren schönen wohlerzogenen Kinderchen. Louischen strickt für Hertha alle Strümpfchen u. sendet sie, wo sie kann. Es hat für sie etwas Tröstliches daß wir hier sind. Von Gerrit Smith empfangen wir oft und liebe Briefe. Wie wahr hat der große Weise das Schicksal der Union vorausgesagt. Hätten die Schwätzer ihn hören wollen, da es Zeit war; aber sie wollen noch nicht, und der Racenhaß, oder besser die Vorurtheile der dummen Menge, wie sie sich oftmals wie z. B. in der Cor[respondenz] des Banner vom 9. Reg[iment]48 aussprachen, lassen fürchten, daß wir diesen Dummheiten noch manche Opfer tragen müssen. Uebrigens redigiert Freund Zünd das Päper mit vielem Geschick, schreibt manche schönen Artikel, die ich wol erkenne und umschifft die Klippen und demok. Sandbänke ziemlich gut. Wenn mir noch Platz bleibt, schreibe ich ihm noch, sonst Grüße u. bis zum nächsten. Auch Carl Anneke, an den ich schon lange vorher Briefe angefangen und an seine Familie Grüße. Von Märklin höre u. sehe ich nichts, als dann u. wann vortreffliche poetische Ergüsse in dem Beobachter am Hudson49. Es scheint, der hat Dir die Scl[aven] Auction nicht gesandt. Wir schwelgen in diesem Jahre hier in einem Ueberfluß von Weintrauben u. Obst. Die Kinder genießen die Hülle und Fülle wie noch nie vorher. Sie sind hier viel glücklicher als in unserm andern Hause. Es ist hier so friedlich – und die Hauseigenthümer so viel besser wie die frühern. Nun, lieb Mütterchen wirst Du sagen, ich habe genug geplaudert. Lebe recht wohl. Grüße Deine lieben braven Freunde Pfeils u. alle die Andern.
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Mathildes Schwester Pauline von Reitzenstein. Siehe Fußnote 74 (Kapitel 3). Im 9. Wisconsin-Infanterieregiment befanden sich viele Deutsche. Ella Lonn, Foreigners in the Union Army and Navy (Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1951), 110. Die Sonntagsausgabe des New Yorker Herold. Karl J. R. Arndt und May E. Olsen, German-American Newspapers and Periodicals, 1732–1955: History and Bibliography (Heidelberg: Quelle & Meyer, 1961; Nachdruck, New York: Johnson Reprint Corporation, 1965), 346.
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Liebe Großmutter50 Dieses Blümchen habe ich Dir vom Fuße der Jungfrau51 gebracht. Nächstens will ich Dir von meiner schönen Alpenreise erzählen. Viele Grüße von Hertha und Lili an Ida und Alma. Lebe wohl und vergiß nicht Deinen treuen Percy. Für heute darum lebe wohl.52 Bleib gesund und halte uns alle lieb beste beste Großmutter Deine treue Tilla
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 25. September 1862 Mein lieber, lieber Fritz! Ich habe fast den ganzen Nachmittag mit meinem Herthachen gespielt, erst im Baumhof, auf dem grünen Rasen – o wie Du den hier lieben würdest – und dann im Zimmer Krieg. Percy hat eine große Masse Bleisoldaten und Kanonen und da wird der am[erikanische] Krieg dargestellt. Lili ist zum Geburtstagsfest des kleinen Fritzchen Beust; Percy ist mit Mary zur Messe, Hertha wollte die Mama nicht allein lassen; auch ist an ihrer Maschine eine Kleinigkeit zu repariren. Ihr Fuß ist beinahe hergestellt; die Form ist dem andern beinahe gleich gekommen und an den völligen Gebrauch desselben hindert nichts mehr. Percy habe ich einen fertigen Winteranzug gekauft; die Kleinen sind auch ziemlich equipirt, nun gehts noch an mich – Mary ist auch ziemlich versehen u. so sind wir für den Winter bereit. Für mich geht ein anders Leben wieder auf, seit ich nicht mehr die nagenden Sorgen der großen Ausgaben wegen habe. Wir leben hier so einfach, so still und doch so hübsch. Mir fehlt nichts als daß Deine Gedanken uns finden könnten. Nun wir müssen Dir durch unsere Bilder nahe zu kommen suchen. – Wie aber wird es drüben stehen in diesem Augenblick? Ich muß Dir gestehen, daß der Gedanke an unsere erkorene Heimath und an ihre Gefahr mir schmerzlich durch die Seele zieht. – Washington kann, wie mir scheint, nicht mehr gehalten werden. Ist Sigel wirklich der große Feldherr53 und kann er in dem letzten Augenblick der Noth das Führerschwert an sich reißen – vielleicht mag es dann noch eine andre Wendung
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Percy fügte zu Mathildes Brief ein paar Zeilen hinzu. Die Jungfrau ist einer der höchsten Berge in den Berner Alpen. Ab hier griff Mathilde die Feder wieder auf. Im Juni hatte Sigel seine erste bedeutende Aufgabe innerhalb der Unionsarmee erhalten: Er wurde zum Truppenkommandanten über das First Corps ernannt, das später das Eleventh Corps werden sollte. Engle, Yankee Dutchman, 126.
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nehmen. Ihm vertraue ich mehr wie irgend Einem am Potomac. Mein Wunsch ist, daß Ihr endlich einmal aus diesen westlichen Winkeln herausbeordert werdet u. Du bei der Gelegenheit auf die Schlachtfelder kommst, nach welchen der Blick der Welt sich richtet. Gestern Nachmittag waren Hepps bei uns; er kann es gar nicht fassen, daß Du Deine richtige Position nicht erringst. Dies Fragen nach Deinen Heldenthaten, auf welche die Leute hier mit einer merkwürdigen Curiosiät zu warten scheinen, thut mir ganz weh. Als sie von Dir den hübschen Artikel in der Augsb[urger] lasen, waren sie zufrieden – jetzt gehts wieder recht los. Gritzner geht fort von hier; er folgt seinem Sohn, der Consul in Oldenburg 54 ist. Sein Besitzthum hat er verkauft. Gr[itzner] der Jüngere hat sich blamiert; das Werkzeug in den Händen der Politiker u. insbesondere des Illinoiser Waschburne 55 hat er sein Schwert gegen Fremont56 gezogen u. in einer lächerlichen Broschüre „Fremont und Blenker“ und diese zu vernichten gesucht.57 Ein Anbeter Sigels, Schurz und Alles was darum hängt – ein Schwachmatikus durch u. durch, obgleich ein sehr artiger Gentlemen –, sieht man wo die Glocken dieses deutsch am. Politikers hängen. Der Alte sah ein, daß sein Sohn ein schmachvolles Fiasco mit diesem geharnischten Phamphlet gemacht, versuchte dann u. wann noch einmal uns zu enthusiasieren gegen die „Verschwendungen“ u. „Niederträchtigkeiten“ einer Freemonts Partei zu erstemen, aber es ging nicht an. An solch kleinlichen elenden Verfolgungen kann man sich in Augenblicken wo auf das Große nur Rücksicht genommen werden soll, nicht betheiligen. – 4. October Seit einigen Tagen ist Dein lieber Brief von Springfield angekommen. Es athmet daraus Dein alter Spirit einigermaßen Es ist nothwendig daß man mal wieder unter die 54
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Maximilian Gritzners Sohn Max Carl war in den Vereinigten Staaten tiefer verwurzelt als sein Vater, aber nach seiner Amtszeit als US-amerikanischer Konsul kehrte er in den 1870ern endgültig nach Europa zurück, um im Familienunternehmen bei Karlsruhe zu arbeiten. Helge Dvorak, Hg., Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Bd. 1, Teil 2, (Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1998), 181. Der republikanische Kongressabgeordnete Elihu Washburne war ein Vertrauter Lincolns. Mathilde schrieb seinen Namen falsch. New York Times, 23. Oktober 1887. Viele Achtundvierziger unterstützten den Generalmajor John Charles Frémont, der Umgang mit deutschen Offizieren pflegte, als er 1861 das Department of the West der Unionsarmee anführte. Lincoln entließ Frémont im November 1861, weil er ohne Absprache mit einer Proklamation konföderierte Sklaven in Missouri freiließ. Ab diesem Zeitpunkt konnte Frémont radikale Republikaner, die Lincoln zu moderat fanden, unter sich vereinigen. Andrew Zimmerman, „From the Rhine to the Mississippi: Property, Democracy, and Socialism in the American Civil War.“ Journal of the Civil War Era 5 (2015): 3–37; Jorg Nagler, Fremont contra Lincoln: Die deutsch-amerikanische Opposition in der Republikanischen Partei während des amerikanischen Bürgerkrieges (Frankfurt: P. Lang, 1984). M. C. Gritzner, Blenker und Fremont: Seinen Feinden und Versäummdern in aufrichtiger Verachtung gewidmet ([Washington, D. C.]: [1862]). Blenker und Struve waren im Konflikt unter den Achtundvierzigern in der Unionsarmee auf der einen Seite und Gritzner, Sigel und Schurz auf der anderen. Ansgar Reiß, Radikalismus und Exil: Gustav Struve und die Demokratie in Deutschland und Amerika (Stuttgart: F. Steiner, 2004), 357–58.
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alten Freunde kommt, die Reise nach Chicago hat Dich wieder Einigen zugeführt. Wenn man sich abschließt, so ist man eher vergessen, als man selbst glaubt. Man muß sein Licht nicht unter den Scheffel stellen, das ist eine banale Wahrheit, die man Dir indeß nicht oft genug vorhalten kann. Ich will nicht sagen, daß ich es weniger liebenswürdig von Dir finde, gegenüber der schamlosesten Kanonisterei58 dieser Zeit und all ihrer Halbheit, den wirklichen Werth nicht zu offenem Markt zu tragen, aber es war doch immer zu allen Zeiten nothwendig – und die Männer des Alterthums wußten das besonders – jede Gelegenheit zu ergreifen, sich in das richtige Licht zu bringen um diesen Werth auch geltend machen zu können. – Butz59 ist eine treue poetische westfälische Natur, die Dich wol verstehen könnte, und dem es auch an Zähigkeit nicht fehlen wird, für Dich nachhaltig zu wirken. Kapp60, den ich persönlich nicht, wol aber durch sein gutes Renomee kenne, sollte ich glauben, vermag auch viel um das „Deutschthum“ anzutreiben, das bis dahin ja nichts wie seinen einen Abgott Sigel kennt. Da unterbricht Jäkis Vater mich; ich will Dir nur gleich sein Anliegen, „Nachricht zu geben, wo sein Sohn Jäcki u. ob er gesund ist“, kund thun. Der alte Mann hat seit Jahr u Tag keinen B[rie]f von ihm; die Thränen füllen seine Augen wenn er von seinem Sohn spricht. Einen Bf den er im Septbr. v. J. nach Wisconsin dirigirte hat er im August d. J. zurückerhalten als unbestellbar. Von uns sind also 4 Bfe verloren gegangen. Ich hatte Dir in Baden61, so lange es mir möglich war, täglich etwas geschrieben. Aber zwei Mal mußte ich die Kur abbrechen, weil ich zu elend wurde. Die Kinder besuchten mich – Du kennst diese Episode aus Marys allerdings sonst sehr gewöhnlichen Kinderkapiteln62 – Die Gräfin H. zwang mich gewissermaßen, nachdem sie eines Tages vor meiner Abreise an meinem Bette stand u. sah wie furchtbar ich leiden mußte u. wie es vielleicht auch bald zu Ende gegangen wäre, von ihr 200 Fr. anzunehmen. Ich konnte also – da ich Mittel noch genug für meine Familie besaß, getrost fortgehen. Wie es mir in Baden erging – oder wie
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Mathilde scheint Fritzens Gegner mit den Hütern des Kirchenrechts der mittelalterlichen katholischen Kirche zu vergleichen, die sie als irrational, obskur und hierarchisch ansah. Harold J. Berman, Law and Revolution: The Formation of the Western Legal Tradition (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1983), 199–224. 1862 lebte der Achtundvierziger Caspar Butz als Schriftsteller und republikanischer Politiker in Chicago. Er zählte später zu den beliebtesten deutschamerikanischen Dichtern. Zucker, Forty-Eighters, 283. Es besteht keine Verwandtschaft zu den Züricher Freunden. Friedrich Kapp war ein weiterer Achtundvierziger und bekannter Sachbuchautor, der 1870 aus New York nach Deutschland zurückkehrte und als Abgeordneter in den Reichstag gewählt wurde. Zucker, Forty-Eighters, 307–308; „Friedrich Kapp”, The Nation 39, no. 1010 (November 6, 1884), 393–94. Wahrscheinlich Baden in der Schweiz, etwa 25 Kilometer von Zürich. Durch die dortigen Mineralquellen gilt Baden als Kurort. Mary publizierte eine Reihe von Briefen für Kinder unter dem Pseudonym Genoa Gray in Booths Daily Life. Darin beschrieb sie die Schweizer Abenteuer von „Lillian May“, „Lulu Bell“ und „Percy Bell“. Milwaukee Daily Life, 3. Januar 1863.
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das Resultat der Kur, hast Du erfahren. Zweimal wollte Zeller, wie ich später hörte, telegraphiren, daß ich nahe dem Tode sei. Aber bei meiner elastischen Natur, lag ich heute dem Tode nahe u. konnte doch morgen wieder auf sein. Uebrigens sind meine Erinnerungen aus dieser schlimmen Zeit nur sehr verworren; und da Dir wol nicht so gar viel verloren gegangen sein wird in jenen 4. Briefen, so ziehe ich es vor Dir von unserm gegenwärtigen Leben, das uns so sehr gut gefällt, recht viel Nettes mitzutheilen. Die Kinder rufen ein über das ander Mal: o hier ists doch hundert Mal schöner wie auf dem Hofacker. Und wirklich für die ist es ein Elysium hier. Eben sind sie alle (Ferienzeit ist) mit ihrem Freunde Robert Nenninger63 u. einem andern kleinen Pensionär bei Beusts Muralt64 hinab in den Baumhof; am Rande dieses weiten und mit hunderten von schwerbeladenen Obstbäumen gesegneten Reiches, aus dem sie nach Herzenslust die Freiheit zu genießen haben, befindet sich ein in Cascaden hinabrollender Bach; ein förmliches Rocky mountain territory für die kleine Phantasie; aus meinen Fenstern kann ich sie noch eben sehen, ich höre sie jubeln und rufen; „wir machen eine Naturforschungsreise[“]; Hertha ist voran. Percy ist heute zum ersten Mal nach 8. Tagen wieder an die Sonne, die heute so prächtig golden ist, hinaus. Er hatte einen furchtbaren Husten und mußte bei den vohergehenden Nebeltagen das Haus hüten. Er wächst so entsetzlich, daß ich bei solchen Anfällen ihn sehr zu hüten habe. Mein Arzt, der mich jede Woche besucht, gewährt mir in seinen Rathschlägen große Beruhigung bei vorkommenden Krankheitserscheinungen in unserer Familie. Ich bin nach so viel Leiden etwas besorgter geworden, und da unser Kreis ja ein so kleiner nur noch ist, soll man alles daran setzen beieinander zu bleiben. Der kleine Robert Nenninger – ich schrieb Dir von Baden, daß mich N. aus Newark dort aufsuchte, er wollte seinen Sohn in ein hiesiges Int[ernat] bringen u. hatte dazu Wislicenus65 ersehn. Auf meine Vorstellungen änderte er seinen Plan u übergab ihn Beust. B. war mir ungemein dankbar u. zog andere Segel seitdem auf. Nun gefällt es dem Robert durchaus nicht dort u. mich beunruhigte das sehr; er wollte, ein echter selbstständiger [unleserlich] fort in ein anderes Haus u. er erklärte mir das zwei Mal. Da nahm ich dann ein Herz mit Beust zu sprechen, u. ihm meine Meinung über das Rechte und billige oder Unbillige seine Erziehungsmethode auszusprechen. Er hat es recht gut aufgenommen u. ich habe so durch meine Vermittlung den Robert etwas zufrieden gestellt. Es scheint mir nicht die nöthige Harmonie in dem beustschen Hause, u. wenn keine Aenderung dort eintritt, 63 64 65
Robert Nenninger, 1862 etwa 14 Jahre alt, war der Sohn eines erfolgreichen württembergischen Wachstuchherstellers in Newark. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 5te Ward, Newark, S. 255, „dwelling“ (Wohnstätte) 1633, „family“ (Familie) 2233. Viele Männer namens Muralt bekleideten in der Züricher Gegend angesehene Positionen in Politik und Wirtschaft. Pfister, Verzeichniß der Bürger der Stadt Zürich, 160–61. Wahrscheinlich Johannes Wislicenus (1835–1902), ein deutscher Chemiker, der zu dieser Zeit an der Kantonsschule in Zürich unterrichtete. Daniel Coit Gilman, Harry Thurston Peck und Frank Moore Colby, Hg., The New International Encyclopedia (New York: Dodd, Mead and Company, 1908), 20: 601.
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so stelle ich dem Unternehmen ein schlim[m]es Prognostikon. Beust habe ich nun in diesem Jahr 100 Franken abgezahlt. Er (Beust) erklärt mir daß Percy fähig für das Kantonsexamen sei, u. da er gegen Ostern diesen Schritt weiter macht, so möchte ich Deine Bestim[m]ung hören, ob wir für ihn die Industrieschule oder das Gymnasium benutzen. Nach allen Berathungen die ich pflog, scheint mir die Industrieschule sei vorzuziehen. Du mußt indeß entscheiden, da Du ja auch die hiesig Verhältniße, die sich nicht gewendet haben, kennst. Vorgestern kam Gottfr[ied] Kinkel, der Jüngere66 bei uns an. Kinkel schrieb mir ohnlängst daß ich ihm seinen Sohn mütterlich warm empfangen solle, da er ein so scheues nie aus dem Hause gewesenes Kind sei. Ich habe Alles für den wirklich sehr scheuen jungen Mann von 18. Jahren gethan. Er besucht hier die Universität; bei Bekannten von mir, Professor Schecht67, habe ich ihm ein Quartier gemiethet, u. ihm Alles vorbereitet wies in meiner Macht stand. Ich freue mich stets wenn ich Freunden, die uns Zutrauen u. Liebe bewiesen dankbar durch irgendwelches Thun sein kann. So hat es mir Freude gemacht daß ich der Tochter Ritzingers u. Fletchers aus Indianapolis gastfreundlich sein konnte, weil Ersterer gegen Dich es war. In Deinen Prognosen warst Du allerdings immer sehr klar sehend. Garibaldi – der altersschwache Held – jetzt amnestirt68 hat wie Du recht hattest, bald, zu bald ausgespielt. Nur glaube ich hast Du McClellan69 des Todesurtheil zu recht gefällt; hat er sich nicht wie ein Anderer bewährt, nun die Reg. zum ersten Mal ihm freie Hand ließ? Pope u McDowell sind dem Schwert bereits verfallen. Halleck wird noch wol eine Weile fortspielen70. Mit Deinen Maaßregeln, Deinen Rathschlägen u. Mittheilungen an die [Illinois Staatszeitung] bin ich gewiß einverstanden, wenn der Zeitpunkt auf die Spitze getrie66
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Auch Gottfried Kinkels gleichnamiger Sohn (1844–1891) schlug eine akademische Karriere ein und lehrte klassische Philologie an der Universität Zürich. Katja Hürlimann, „Kinkel, Gottfried“, Historisches Lexikon der Schweiz. Online-Version 2007 http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D43 467.php (19. August 2019). Dieser Akademiker konnte nicht identifiziert werden. Im andauernden Streit über die Größe und den Charakter eines vereinigten Italien war der beliebte Garibaldi von Truppen des neugekrönten italienischen Königs verwundet und gefangengenommen worden. Er wurde später begnadigt. Alfonso Scirocco, Garibaldi: Citizen of the World (Princeton: Princeton University Press, 2007), 329–33. Lincoln entzog später am 7. November General McClellan, einem Demokraten und Gegner der Sklavenemanzipation, den Oberbefehl über die Potomac-Armee, weil er seinen Vorteil gegenüber einem geschwächten Gegner nach der Schlacht am Antietam nicht ausnutzte. McPherson, Battle Cry of Freedom, 562. Generalmajor John Pope verlor den Oberbefehl über die Virginia-Armee am 12. September. Der ihm untergeordnete Befehlshaber Irvin McDowell wurde ebenfalls für die Niederlage der Unionsarmee bei der Zweiten Schlacht am Bull Run verantwortlich gemacht und erhielt zwei Jahre lang keine Aufgaben mehr. Henry Halleck war im dem auf die Siege an westlichen Schauplätzen folgenden Sommer zum obersten General befördert worden. John J. Hennessy, Return to Bull Run: The Campaign and Battle of Second Manassas (New York: Simon & Schuster, 1993), 451–55, 466–67; McPherson, Battle Cry of Freedom, 502.
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ben war. Ich hoffe und wünsche, die Freunde in Chicago sind warm geblieben, damit sie Dir jene Position erzwingen die Dir gebührt. Aber auf den „glorreichen“ „tapfersten aller tapfern“ Helden Schurz sich zu verlassen, das ist gelinde Thorheit. Von G. Smiths Familie bekommen wir immer liebe Briefe. Gestern theilte die Tochter uns mit daß sie gerade von Mrs Stanton (Kriegsminister Weib) ihrer Cousine71 einen Bf empfangen, worin die verständige Frau also schrieb: „Möchten die Southerners kommen u. plündern dies ganze Nest (Washington), möchten sie Old Abe sammt Seward und McClellan nach einem ihrer Forts entführen u. so lange dort fest halten, bis wir hier das Schiff wieder in den richtigen Cours gesteuert hätten.“ – Mary ist seit sie in Pontresina72 war, recht wohl. Sie schreibt eben ihren zweiten 10 Dollars Bf für die Independent, die sie eingeladen hat, wie ich Dir im letzten Bf schrieb. Booth schickte mal wieder 10. Dollar; das ist Alles; aber genug um für Mary etwas Garderobe vervollständigen zu können. Wenn ich meine 150. Fr. aus dem gerichtlichen Depositum zurückerhalte dann werde ich bis Dezembr. gut durchkommen, da Mary jedenfalls auch einiges zur Haushaltung einlegen muß. Wenn Du also im Januar wieder einige Mittel schickst, so komme ich mit durch. Ich selbst werde auch wol wieder etwas erwerben, [unvollendeter Brief]
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 24. November 1862 Lieber, lieber Fritz! Nach einigen grausig kalten Tagen leuchtet das Sonnenlicht uns wieder ein wenig in die Fenster hinein. Der schnelle und schroffe Wechsel hatte sich mir durch mein Wiedererkranken angekündigt. Für diesen Augenblick bin ich etwas besser, aber der Arzt sagt, von der anomalen Gicht könne man nicht so schnell gründlich curirt werden. Er wollte mich im Herbst noch einmal nach Baden schicken, aber es ging nicht. Jetzt sagt er, im künftigen Mai soll ich auf 8. Tage hin, das werde mich heilen. Mein linker Arm ist ganz wund gelegen. Damit das Leiden nicht auf die unteren Theile dieser Seite zieht; greift er zu energischen Mitteln. Ausgehen kann ich nicht, er verbietet es u. so habe ich Herrn Pestalozzi brieflich die Anfrage gemacht in Betreff der Geldsendung. Die Antwort soll diesem Briefchen beigegeben werden. Herthachen ließ ich nicht zur Schule gehen, weils so kalt und sie doch nicht ganz wohl ist; sie sitzt neben mir und schreibt Briefchen an ihren Papa. Sie erzählt mir, neu-
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Die Abolitionistin und Feministin Elizabeth Cady Stanton war eine Cousine ersten Grades von Gerrit Smith, aber Mathilde täuschte sich, wenn sie schrieb sie sei auch mit dem Kriegsminister Edwin Stanton verheiratet gewesen. John Stauffer, The Black Hearts of Men: Radical Abolitionists and the Transformation of Race (Cambridge, Mass: Harvard University Press, 2001, 211. Eine Gemeinde in der Region Engadin.
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lich habe ihr ein Knabe gesagt, ihr Papa sei gewiß auch schon todt geschossen; dem habe sie geantwortet: ihren Papa hätten die Soldaten so lieb, den schössen sie nicht todt. – Ein Brief von Dir, Zeitungen, von Dir gesandt, machen uns einen Festtag u. wenn Ersterer auch nur eine Zeile Fröhliches, nur einen Strahl irgendwelcher Hoffnung enthält, so sind wir glücklich und zufrieden. Ob Du Dir wol einen Begriff von unserm – oder nein, von meinem verödeten Dasein machen kannst. Doch ich darf nicht klagen, es war Dein Wunsch stets in den Kampf zu gehen: wo nur jemals die Trompete erscholl – Du wolltest fort. Es war Dein Wille und so müssen wir zufrieden sein. Ich wollte, diese trostlose Krankheit, die mir den letzten Rest meines Lebensmuthes rauben wird, hätte mich zum Besten für mich u. die Kinder verschont. Mary erhält eben nach mehren Wochen mal wieder einen Bf von Booth – (enth. 2 F[ranken] die uns recht gelegen zur Haushaltung kommen.) Er schreibt, er habe lange nichts von Dir direct gehört, aber indirect durch verschiedene Personen, die mit Gen. McClernand73 in Verbindung. Diese sagten McClernand sei voll Deines Lobes und Du seist des Generals „main dependence“. McClellan ist ja nun auch abgesetzt; wir sind auf die nächsten Ereignisse sehr gespannt, bedauern nur daß wir gar nichts ordentliches mehr von dort zu lesen bekommen. Booth sagt ferner eine teleg[raphische] Depesche melde daß McClernand Marschorder an den Mississippi habe, er glaube es aber noch nicht. Jedenfalls wird mein Brief Dich nicht mehr in Springfield antreffen und wenn Du dem Winter südlicher entgegen zielst, wirst Du Dich auch freuen. Um Alles in der Welt auch wollte ich nicht daß Du wieder wie im vergangenen im leinenen Zelt und ohne Decken ihn zubringen möchtest. Diese trostlose Nachricht, die Du mir damals in einem Briefe gabst, ließ mich immer tiefer und tiefer in Trübsinn und Krankheit versinken. Und solche bange Schwermuth ist neben den furchtbaren Schmerzen noch der schlimmste Theil der Krankheit. Endlich ist eine Antwort da von Pestalozzi. Ich schicke Dir die erste Seite des Briefes die sie enthält.74 … Da scheint es mir als könnten wir mit den V[ereinigte] St[aaten] Schuldscheinen mal wenigstens einen Versuch machen, weil erstens sichs gleich bleibt ob man sie hier oder dort verkauft; weil zweitens aber wenn ich sie für den Fall der Noth hier habe, ich sie auch eben nur in dem Fall der Noth zu verkaufen trachte (selbstverständlich auf die beste Weise) und immer damit bis zum besten Augenblick wo sie vielleicht sinken, laviren kann. Drittens würde es mir vielleicht gelingen, auf V. St. Papiere Darlehe von Bekannten – vielleicht von Freunden in Deutschland, zu bekommen. Jedenfalls können wir einigermaaßen diesen Verlusten ausbiegen, wenn ich gesund bin und auch zeitig genug in Besitz der Papiere um damit zu operiren. Es ist aber auch wirklich bald Zeit daß wieder Mittel kommen. Die Kinder bedürfen sehr viel 73
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John Alexander McClernand, ein ehemaliger Politiker aus Illinois, der nun General geworden war, hatte gerade gezeigt, welche Macht er durch persönlichen Einfluss auszuüben vermochte. Er hatte gerade Lincolns Erlaubnis erhalten, weitere Truppen nach Vicksburg, Mississippi zu schicken. McPherson, Battle Cry of Freedom, 577–78. Die Beilage ist nicht mehr erhalten.
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und im Winter regen sich die Wünsche an allen Ecken. Meine nächsten Baarschaften werde ich am 12. Dezb. durch Cotta empfangen, habe nur keine Ahnung wie viel und wie lange die ausreichen werden. Der Rest des [N. Y. Independent] Geldes den ich durch Hiller75 empfangen sollte, ist immer noch nicht eingetroffen. Ich hoffe vielleicht bis zu Herthas Geburtstag, damit ich die Möglichkeit habe, dem kleinen Ding einige Freude in Deinem u. meinem Namen zu machen. Gestern hatte ich die Klagebeantwortung des Herrn Zeller zu machen, Fick76 meint selbst daß der ein niederträchtiger Mensch sei. Ich ärgere mich sehr über die Geschichte. Wenn er mit Hilfe eines versoffenen Gemeindeammanns Isler77, der mich bis aufs Blut gequält hat, den Prozeß gewinnt, so bin ich mehr wie 200 Fr. ärmer. Ich thue alles mögliche und hoffe auch daß er abgewiesen wird mit seiner Klage, die für neue Tapeten 89. Fr. für allgemeine Reparaturen 100. Fr. beansprucht. O der Contract war unglücklich. Wenn mans wie ich es thun muß, jeden Heller benutzt und nichts zum andern Zwecke als nur zur äußersten Existenz verwendet, für den ist ein solch geraubtes Capital empfindlich. Es beunruhigt mich so irgendwelches zu verlieren; ich kann über das Gefühl der gewissenhaftesten Verwaltung nicht hinwegkommen; so drückend und demüthigend es auch ist. – So schleicht mein Leben dahin voll Sorgen, voll Kummer und Thränen, ohne irgend einen Reiz als in dem Anblick meiner Kinder; ohne irgend einen Trost als in Mary, die sich in diesem Winter wirklich mit musterhafter Entsagung und mit einer Thatkraft, deren ich sie nie fähig gehalten in die Verhältnisse schickt und mir beisteht wo und wie es nur möglich ist. – Mit Herweghs verkehre ich fast gar nicht mehr. Emma kommt nur dann u. wann mal, aber sie sieht daß es aus mit der Freundschaft ist. Sie ist in der That zu falsch. Die arme Frau Rüstow78 kommt alle Woche einmal zu uns herangefahren; ihr Mann ist von seiner Triumpfreise in der Pfalz zurück u. schreibt fleißig über Preußische u. Milit[ärische] Zustände. Die Buchhändler reißen sich um seine Schriften, die allerdings Geist haben aber im Kasernenstyl abgefaßt sind. Brockhaus79 war selbst hier, ihr den Hof zu machen. Janke80 in Berlin sendet seiner Frau ein Werk nach dem andern als Geschenk. Streit in Coburg81 kommt selbst u. versichert sich seine Kräfte. Herwegh war ihm Gagendienste 75 76 77 78 79 80 81
Hiller konnte nicht identifiziert werden. Möglicherweise der Rechtswissenschaftler und deutsche Achtundvierziger Heinrich Fick (1822– 1895). Helene Fick, Heinrich Fick: Ein Lebensbild (Zürich: J. Leemann, 1908). J. Isler wird für die Gemeinde Hirslanden 1855 als Gemeindeammann aufgeführt. Regierungs-Etat des Kantons Zürich für das Jahr 1855/56 (Zürich: Orel, Füßli und Comp., [1856]), 100. Anna Katharina Rüstow (geb. Riedmeier). Siehe Fußnote 13 (Kapitel 3). Der liberale Politiker Heinrich Brockhaus (1804–1874) führte gemeinsam mit seinem Bruder das Verlagshaus, das sein Vater in Leipzig gegründet hatte. Annemarie Meiner, „Brockhaus, Heinrich“, in Neue Deutsche Biographie (1953), 2: 624–25. Möglicherweise handelte es sich hier um den Literaturverleger Otto Janke. Karl Friedrich Pfau, „Janke, Otto“, in Allgemeine Deutsche Biographie (1905), 50: 631. Feodor Streit war ein nationalistischer deutscher Politiker und Verleger, der Verbindungen zu Gustav Struve pflegte. In seinem Besitz befanden sich Papiere, aus denen eine Unterstützung
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für gewisse „Herzens“affairen schuldig und hat ihn aufgepufft so daß er wirklich jetzt die Früchte erntet. – Das wäre Alles was ich Dir aus unseriger Einsamkeit zu erzählen hätte. Die Kinder sind so weit gesund. (Hertha besser) Sie vergessen Dich keine Stunde. Percy denkt an sein Agencement u. hofft auf Deinen Entscheid ob für Gymnasium oder Industrieschule, worüber ich Dich ohnlängst befragt habe. Zeitungen sagen daß Brentano nach Baden zurückkomme.82 Ist dem so? Wer wird Besitzer von der [Illinois Staatszeitung]?
Mary Booth an Mathilde Franziska Anneke [Zürich, undatiert, 1862] (Übersetzung aus dem Englischen) Verzeih mir, mein Liebes, Dir eine so erbärmliche kleine Nachricht zu schreiben ich sei unglücklich. Ich bin in der Tat sehr glücklich, wenn ich an Deine süße Liebe denke. Sie glorifiziert jeden Abend und erhellt die dunkelste Mittnacht. Du bist der Morgenstern meiner Seele, der wunderschöne rosige Glanz meines Herzens, die heilige Lilie meiner Träume, die tiefdunkle Rose, die sich jeden Tag in meinem Herzen entfaltet, versüßt Liebste, Du bist die Wirklichkeit meiner mein Leben mit Deinem flüchtigen Duft – Liebste Liebe – ich habe keinen Kummer mehr – ich habe Träume, meines Lebens, meine Liebe Dich – Meine liebe und liebste Freundin – Gute Nacht Dich Deine Mary
Mary Booth an Mathilde Franziska Anneke Zürich, 24. Dezember 1862 (Übersetzung aus dem Englischen) Für Franziska Maria. Ich habe nur eine Sache, Lohnt sich kaum, daß ich das Angebot mache, Doch diese kleine Sache, die ich nähre, Nie für Gold zu kaufen wäre – Was man nicht für alle Perlen und Juwelen erhält Nicht für die glänzendsten Diademe der Welt. –
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Lassalles erkennbar ist. Christian Jansen, „Streit, Feodor“, in Neue Deutsche Biographie (2013), 25: 535–36. Der moderate Achtundvierziger Lorenz Brentano kehrte tatsächlich nicht nach Baden zurück, sondern war weiterhin aktiv in der amerikanischen Politik und als Redakteur bei der Illinois Staatszeitung tätig. Zucker, Forty-Eighters, 281–82.
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Mag sie auch sein von geringem Wert Ist’s doch alles was ich habe auf dieser Erd Ist nicht zu finden oder zu kaufen wie Schmuck Und doch gebe ich sie Dir ganz und ohne Druck. – Nimm – und leg sie ins Regal, wenn Du sie erhältst – Denn die Sache bin nur – ich selbst! Mary
Abb. 9 Mary Booth an Mathilde Franziska Anneke, Zürich, 24. Dezember 1862
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Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 25. Dezember 1862 Mein lieber Fritz! Die Kinder tändeln unter den Zweigen ihres Fichtenbäumchens und sind so glücklich mit der bescheidenen Bescherung als ob sie ein Königreich empfangen hätten. Gestern Abend war das Lichterfest, das wir in unserer stillen Einsamkeit mit aller Poesie – und nicht ohne Wehmuth – gefeiert haben. Der Wald hatte die zierlichste Tanne für uns wachsen lassen. Kerzchen brannten nicht viele und Tändeleien waren auch sehr sparsam nur. Geschenke: für Percy einen Wollschal, ein schönes Album, das er sich sehr gewünscht für die Bilder, die Freund Snell u. seine Freunde und kleinen Freundinnen ihm versprochen. Auch die beiden Mädchen wurden in dieser Weise bedacht, jedes empfing ein kleines Album, in jedem Bilder von Papa und Mama; und Wollmützchen. Das war Alles. Wie froh und festlich sprangen sie auf das Signal herbei, an der Hand Percys. Noch ehe sie zum Bäumchen stürzten, bereiteten sie vor mir ihre kleinen Gaben aus. Briefchen, Zeitungen, Stickereien, Papparbeiten und endlich ein Gedicht von Percy. Seine ersten hübschen Verse: „Liebe Mama! „Liebe Mama siehe hier bringen wir schöne Sachen Dir; Und zum heilgen Weihnachtsfeste Sind wir Alle Deine Gäste. Und zum nächsten neuen Jahr Wünschen wir Dir viel Freude gar Wünschen Dir alles auf der Welt Was Dir so schön und gut gefällt. Von Deinen drei Kinderchen. Aus den ewigen Schatten hervor traten die Gestalten unserer lieben Verschwundenen. Das Bild des unvergeßlichen Fritzchens stand vom letzten Feste vor mir, wie er mit dem wunderbaren Klange seiner Stimme sagte: „Lieder kann ich nicht machen, aber Percy wird ein Dichter.“ Der geliebte Prophet! Alles was er versprach – sollte es sich denn wirklich in den „Kleinen“ erfüllen? Wie diese Verse so stille vor sich hin, so hatte er in den Ferientagen auch ganz geheimnißvoll eine allerliebste schweiz. Bauerei von Carton gemacht, daneben noch eine Burg. Den Kleinen war er zu ihren Briefchen u. Zeichnungen behilflich gewesen. – So standen wir zwei Mütter da mit unsern Kindern. Wir selbst hatten uns nichts zu bieten als unsere treue Freundschaft aufs Neue. – Da das Gedicht Percys die kleine Gesellschaft mir zu Gaste bot, so hatte ich für das Gastwohl zu sorgen. Heißes Zuckerwasser u. etwas Spirituosen bereitete ein dampfendes Bowlchen, Kastanien[,] Aepfel und Nüsse thaten das Uebrige. So bildeten wir 5. dann die festliche Tafelrunde, freuten uns des schönen Abends und tranken Prosit wol
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hundert Mal. Die kleinen „Gäste“ brachten originelle Toaste aus. – Doch wie könnte ich Alles erzählen. Erst lebte das Christkindli – dann die Mamas, dann die Papas und zu meiner Verwunderung kam auch ein Pereat in die kleinen rebellischen Gemüther; ein Pereat auf Louis Nap[oleon]. Was der ihnen angethan, daß sie den mit aller Natürlichkeit zur Hölle wünschten, ich weiß es nicht. – Dein Brief vom 2. Dezb. der mir Deinen Uebergang nach Wisconsin meldet, empfing ich schon am 19“. Ich wünsche Dir Glück und Heil zu diesem Ereigniß.83 In Deinem Briefe liegt ein besserer Humor, wenigstens nicht so bitter Verletzendes für mich wie im vorhergehenden, so kann ich also hoffen daß es mit Deinen Wünschen besser zusammenstimmt, als ich gedacht. Aber ach – vielleicht in diesem Augenblick schon ist Alles wieder in Mißvergnügen untergegangen. Neben der Wehmuth des Exils – die Sorge der Entfernten! – Das ist mein Morgenaufgang und mein Abenduntergang. Der richtige und liebende Geist meiner Mutter hat Dich wohlthuend angeweht; es hat mich tief gerührt, wie die alte Frau glaubt wirken und handeln zu müssen. Auf einen Brief von Euch Beiden könnte ich mich unendlich freuen. – Hier wurde ich von den treuen Kapps Mädchen84, die mir Ihre alte Liebe auch heute in kleinen freundlichen Geschenken offenbaren, unterbrochen. Agnes u. Cili grüßen Dich herzlich. Auch Ottilie trug mir ohnlängst ihr Angedenken an Dich auf. Von Franziska kommt ein Brief und die Ankündigung einer Kiste mit Geschenken für die Kinder. Sie sorgt immer noch wie sonst für nothwendige Kleidungsstücke. Seit den letzten zwei Wochen hatten wir meistentheils schlimmes Wetter. Schneestürme und Kälte. Es ist nicht möglich unser Wohnzimmer zu erwärmen; da sind wir dann oft der Verzweiflung nahe gewesen. Meine letzten Baarschaften sind in Anschaffungen von Kohlen u. Holz aufgegangen. Kälte und Sparsamkeit bis zum äußersten: – Wollene Unterzeuge, warme Schuhe – alle diese Wünsche so bescheiden sie sein mögen – bei der Theuerung und oekonomischen Einrichtung unerschwingbar. Oft sagen wir uns vor, furchtbare Krankheiten werden wiederum die Consequenz sein – aber was ist zu machen! Alle und jede Mittel die ich nur noch erreichen konnte sind zum täglichen Unterhalt unbedingt nothwendig gewesen. Ich bin seit einigen Tagen gänzlich ohne Mittel. – Meine Desperation habe ich überwunden – und jetzt theile ich Dir ruhig das Factum mit. Du schriebst mir vor mehren Monden, ob ich auskäme bis zum Jan. Ich antwortete Dir, bei möglichst oekonomischer Einrichtung könnte ich bis Dezb. reichen. Du hattest Dich beruhigt durch die Aussage des unzuverläßigen Mannes Ritzinger daß 83
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Edward Salomon, Gouverneur von Wisconsin, gelang es, Fritz eine Position als Oberst im 34. Wisconsin-Infanterieregiment zu verschaffen. Fritz hätte den Befehl über eine Artillerie bevorzugt, aber er dachte, als Oberst sei er vielleicht auch in der Lage am Kriegsschauplatz teilzunehmen. Der Achtundvierziger Salomon war gut mit Mathildes Mutter befreundet. Er wurde überraschend Nachfolger von Gouverneur Louis P. Harvey, nachdem dieser ertrunken war. Schulte, Fritz Anneke, 70–71. Agnes und Cäcilie.
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mir etwas Zuschuß durch ihn zu Theil geworden sei. Du hast ferner die leichtsinnige unwahre Behauptung Booths, daß er jede Woche 10 Doll. uns sende, geglaubt. – Weder Hl Ritzingers Sendung ist gekommen, noch wird Booths sobald in Erfüllung gehen. Seit einem Jahre empfing Mary in je 2.tl Wechseln 50 Doll. Die vorletzten kamen allerdings in einem Zwischenraum von 14 Tagen. [unleserlich] Davon sind 40. in der Haushaltung u. für Anschaffungen für die Kinder verwendet. Im August d. J. ist freilich eine große Maße Geld von Dir uns gesandt. Du mußt nur bedenken, daß ich seit Febr. ohne einen Centimus blieb. (Nur die 100 Doll: die ich mit genauer Noth zur Miethe von Kamp erhielt ausgenommen). Bis August ohne eine Hülfe und in dieser entsetzlichen Krankheit. Ferner mußt Du bedenken was mir blieb nach Abzug der sehr hohen Prozente: Nun bedenke, was zu zahlen – welche Zahlungen nachzuholen waren. Miethe für Haus u. Möbeln 1100. jährlich. – Zwei Jahre Miethlohn fürs Mädchen 250. Percys Reise Schulgeld e e baar ausbezahlt 250. – Gerichtliche Klagen. Umzug. Hagelschaden. Steuern. Krankheit. Badecur und endlich Deposition von 150 Fr. Da siehst Du was dazu gehört hat, um nur bis zu diesem Tag zu kommen. Hätte ich nicht Anfangs d. Monats von Cotta meinen Lohn für die [Novemberarbeit] bekommen – wir wären der größten Noth preisgegeben. Jetzt tritt sie factisch ein. – Du hast Dich beruhigt daß wir Geld bekamen, ich sitze ohne einen Heller. – Was ist zu machen? [Wahrscheinlich] erreichen meine Klagen Dich nicht – [wahrscheinlich] wird nach einigen Monaten erst wieder an Dein Ohr „mein Nothschrei“ dröhnen und in 6. Monaten kommt Hülfe in Strömen. Ich arbeite – versäume nicht eine Stunde – das ist Alles was ich kann. Die Apotheker Rechnung – die Brod- die Rechnung für Herthas Maschine – der Arzt stehen wie Schreckbilder vor der Thüre – woher – woher die Mittel, da Du ja beruhigt bist und glauben kannst, wir schwelgen im Ueberfluß, [während] ich bis jetzt nur gesättigt – nichts wie gesättigt habe die Familie. – o Gott! o Gott! sind meine Briefe, denn nur darum geschrieben, um Dir fort und fort unter dem größten Widerstreben unsere Bedürfnisse, unsere Noth vorzu zählen. Wir können unter solchen Umständen nicht länger hier bleiben; unter solchen verzehrenden Aengsten und Sorgen, unter solch erniedrigenden Gefühlen will ich meine letzte Lebenskraft nicht mehr preisgeben. Wenn es Noth thut, kann ich darben, kann auch allenfalls unsere zwei Kinder allein ernähren, aber ich kann nicht als „wohlhabend“ gehalten werden und dann immer nur in Armuth kämpfen müssen. Wenn Du Dir selbst wahr und gerecht sein willst, so wirst Du sagen können, daß ich treu und muthig in den Tagen des Kummers zur Seite Dir gestanden habe, daß ich nie etwas von Dir verlangt, was Dir schwer oder unmöglich wurde. Ich beanspruche für mich kein Wohlleben – nicht das eines einzigen Tages. Wir haben Allem entsagt. Aber – wenn es Dir möglich ist – uns vor Noth zu schützen, wenn die Mittel es gestatten etwas Weniges für die hübschere Ausbildung unserer Kleinen zu thun – so thue es! Nur laß es im rechten Moment geschehen, nicht so, wenn wir dem Ertrinken nahe und die Rettung uns kaum mehr als ein Segen erscheint.
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Es thut mir unbeschreiblich leid, daß ich Dir zu dem poetischen Moment dieses Weihnachtsfestes, das krasse Bild der Wirklichkeit geben muß. Kein Augenblick ist zu verlieren. In 2. Monaten schon wieder die Hausmiethe – und damit doch auch nicht dieser Tag des Schreckens wiederum über mich kommt, ist es Zeit hohe Zeit daran zu erinnern. – Ob ich denn auch heute Dirs sage, das stimmt ja Deine augenblickliche Festfreude, die Du [wahrscheinlich] mit den übrigen Enkelchen der Großmutter in der Zeit begehst nicht, und wenn nach menschlicher Berechnung dieser B[rie]f Dich in der Zeit erreicht, so ists die höchste Zeit. Ich nehme eben die letzten 20. Fr. von Mary für die täglichen kleinen Ausgaben, – sie verzichtet auf das Nothwendigste für sie. Es ist hart Dir zu sagen, aber wir können uns schon lange nicht mehr unter Menschen zeigen; da wir nicht wünschen durch augenscheinlichen Mangel aufzufallen. Emma Bunteschu85 ist todt. Sie starb am 19 Dzb: Die Kölnische [Zeitung] u die [Allgemeine Augsburger Zeitung] zeigten den Tod der Dichterin Em. Emilie von Halberg an. – Woran sie starb, ich weiß es nicht. – Auch ein untergegangenes Frauen- und Dichterherz. Ich vermuthe Emil wird sie noch am Grabe anklagen: „sie habe ihn verführt“, wie er es zu ihren Lebzeiten that. Arme Schelme86 Ihr! – – Wären wir armen Menschen doch nie, nie nach Zürich gekommen. – Ich hatte geglaubt das Dr. Rahe würde so viel Humanität haben und warten bis ich ihn fragte um die Rechnung. Da schickt er sie schon zum Weihnachten. Vom 12. Merz an bis 12. Dezb. 92. Besuche! Er erwartet zum wenigsten 2 Fr. für den Besuch, da er fast stets in der Droschke kam; – und nun die Apotheke! Wie soll ich durchkommen. Ersparniß, Erwerb stets wenige Centims u. Franken – und Anforderungen immer zu hunderten. Wie komme ich über dieses unselige Jahr hinweg. – Mein Arm ist eine große Wunde – die Tag u. Nacht schmerzt – Die Sorgen treiben mir das Blut in den Kopf – ich kann nicht arbeiten. Mary ist fast immer an Zahnweh leidend. Ich glaubte zu einiger Tagen Ruhe und Freude berechtigt zu sein. – ich habe mir und meinem Stern zu viel zugetraut. – Ich wollte ich hätte ein dunkles Arbeiterlos in Am[erika] vorgezogen dem kühnen Wagniß hieher zu kommen. – Kannst Du helfen – thu es! Deine Mathilde.
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Emma Bunteschu, geb. Emilie Emma von Hallberg, war eine Dichterin und Feministin, die die Annekes Ende der 1840er Jahre in Köln kennengelernt hatten. Ernst Kelchner, „Hallberg, Emilie Emma“ in Allgemeine Deutsche Biographie (1879), 10: 416. Mathilde bezieht sich hier auf die 1853 zurückliegende Beziehung zwischen ihrem Schwager Emil Weiskirch und Bunteschu. Fritz Anneke an Friedrich Hammacher, 22. März 1853, in Wäre ich auch zufällig ein Millionär geworden, meine Gesinnungen und Überzeugungen würden dadurch nicht gelitten haben—: Friedrich Annekes Briefe an Friedrich Hammacher, 1846–1859, Hg. Erhard Kiehnbaum (Wuppertal: Friedrich Engels-Haus, 1998), 132.
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Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 11. Februar 1863 Lieber Fritz! Vor etwa acht Tagen empfing ich 3 Zeilen von Dir und eine Schatzamtsnote von 100 Dollars. Jene Zeilen verkündeten mir, daß mit der [Fracht] Post gleichzeitig ein längerer Brief uns erfreuen sollte. Deine Zeilen vom 26. Jan. erfolgten dann. Es war gerade an dem Tage der Todtenklage um unser geliebtes Irlachen, an welchem ein solcher Brief mich erreichen muß. Er unterscheidet sich in seiner Stimmung im Wesentlichen nicht von den übrigen, die ich zumeist in unserer heimathlosen Einsamkeit von Dir empfangen habe, aber er spricht doch unverhaltener Deine Verbissenheit aus und läßest sie mich in einer Weise kosten, die ich am Wenigsten im Leben um Dich verdient habe. Wenn der stets ersehnte Postbote erscheint, u. die Kinder erhaschen nur mit einem Blick die Addresse und können rufen: Von Papa, von Papa!, da schmiegen sie sich an mich, schauen mich mit einer Hoffnung an als wollten sie aus der Seele nur eine väterliche – eine heitere Nachricht über den, der fern von ihnen u. der ihr Gedanke und ihr Traum ist, herauslesen. Da stürzet dem Weibe – der Mutter die Thränenfluth aus den Augen und die armen Kleinen mit einem Schweigen und was noch in ihren kleinen Herzen schleichen sie hinweg ohne Frage, ohne Laut. – – Das ist so ein Stückchen von dem Bilde eines zerstörten Familienglücks, das durch ein Wort – ein Wort der Liebe – durch eine lebendige Stimme der Natur erhalten, erforscht werden könnte. – Ich habe mich fort und fort bemüht – nicht ein Stückchen Papier unbeschrieben den weiten Weg hinwegziehen zu sehen – habe jedes und jedes aus der Einförmigkeit unsers stillen häuslichen Daseins Dir zu erzählen gesucht – habe nur gefleht wenn wir in Noth und Kummer von Dir allein Hülfe erwarten konnten Dich sonst vor jedem schmerzlichen Eindruck bewahrt – nichts – selbst nicht die Stimmen der Liebe haben einen den, der vor mir liegt auf einem Blatt Papier vom 26. Jan. andern Nachhall gefunden als den Mir bleibt jetzt nichts mehr zu sagen, als mich wenigstens gegen diese Vorwürfe noch zu verwahren: daß mich nichts befriedige als von Krieg u. Kriegsthaten zu hören. Wenn Du damit glaubst, daß ich wünsche mich in Deinem Glanz zu sonnen und Du dabei mir in den Mund legen zu können denkst „Schurz sei ein besserer Mann, ein größerer Soldat“ e[tc] e[tc] so kann ich Dir nur einfach erwidern, daß Du im Irrthum bist, und mich weder in meinem innern Leben noch im Ausspruch desselben kennst. Für Dein Wirken und Streben habe ich nur stets ein zu lebhaftes Interesse gehabt – nicht für die Gloire, o nein für die wirkliche That nur. – Du sagst: „Es interessirt mich ja nicht.“ Es ist leicht solchen Mangel vorzuwerfen ohne irgend einen Grund, ohne irgend einen Halt – und damit sich eine Bürde – wie hier die der Mittheilung Dir offenbar ist – abgethan. Ich für meinen Theil habe mir die Lehre daraus gezogen, mich wie in allen Dingen, auch hierin fortan zu mäßigen. –
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Die Spitze der Geselligkeiten erreicht jenes Blatt vom 26. J[anuar]: nach welcher Du voraussetzt, daß es mich vielleicht interessiren werde, wenn endlich Dein sehnlichster Wunsch erfüllt u. eine Kugel Deine stürmische Seele entführe e[tc] e[tc]“. – wenn mir das Dokument nicht als Vervollständigung Deiner Charakteristik theuer wäre ich würde Dirs zurückschicken, damit Du selber einsehen könntest in einer vielleicht gerechtern Stimmung, die ich Dir sehnlichst wünsche, mit welchem Blödsinn Du mich zu erschrecken Dir Mühe giebst. Uebrigens kann ich Dir nicht verhehlen, daß Dein Wunsch nach der tödtenden Kugel, ein sehr unmännlicher ist. Wenn Dein kleiner Günstling, der Sohn des hess. Ministers, der verwöhnte Berliner Jüngling, die zweite Auflage des Herrn Korf 87 vielleicht, der Adjudant des Herrn Obristen88, die der Lebensmmuth benommen, so beklage ich Niemanden mehr als meinen naturwüchsigen gesunden Jungen, meinen lieben Percy. Vor solchem sträflichen Egoismus – wenn eben der Wunsch nicht Selbsttäuschung ist, – sollte jeder Vater oder jede Mutter sich hüten, so lange Kinder den vollsten Anspruch auf Leben und Thätigkeit – wenn nicht auf natürliche Liebe und Herzensgüte der Eltern haben. Ich sagte die armen Kinder, wenn ich nicht in diesem Augenblick fühlte, daß ich leben wollte wollte, ja leben für sie. Mathilde.
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Es ist denkbar, dass Mathilde den aus Bayern stämmigen Henry Orff meinte, der vor dem Krieg in Milwaukee gelebt hatte, Oberst wurde, und als einer von Fritzens vielen vermeintlichen Feinden galt. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 7te Ward, Milwaukee, S. 144, „dwelling“ (Wohnstätte) 985, „family“ (Familie) 941. Dieser verwirrende Verweis gilt scheinbar Carl (auch Karl oder Charles) Lachmund. Wie nachfolgende Briefe zeigen, entwickelte Fritz eine enge Beziehung zum zwanzigjährigen Carl Lachmund, einem zweiten Leutnant in seinem Regiment, der ursprünglich aus Hannover stammte. Adjutant-General’s Office, Roster of Wisconsin Volunteers, War of the Rebellion, 1861–1865 (Madison: 1886), 535.
Kapitel 5 Ein ungestümer Oberst April–Oktober 1863
Im April 1863 setzte Fritz eine Reihe von Ereignissen in Gang, die nahezu absurd waren und schließlich das Ende seiner militärischen Karriere bedeuteten. Streitlustig wie eh und je glaubte Fritz, er würde trotz seines großen militärischen Talents deshalb nicht innerhalb der Unionsarmee aufsteigen, weil er nur schwache politische Verbindungen besaß und weil er die Korruption anprangerte. Insbesondere störte ihn die Solidarität innerhalb einer Gruppe von Offizieren, die zu den Freimaurern gehörten, einer Bruderschaft mit eigenen geheimen Ritualen. Fritz hatte sich mehrmals über sie beschwert und über einen besonders: Oberst Issac E. Messmore vom 31. WisconsinInfanterieregiment, der den Befehl hatte über Fort Halleck, Kentucky, wo Fritz stationiert war. Nachdem er über den Befehlsweg keine zufriedenstellende Antwort bekam, schrieb er Messmore einen provokativen persönlichen Brief. Darauf reagierte Messmore, indem er Fritz des Dienstes suspendierte und ihn festnehmen ließ. Am 18. Mai musste Fritz sich vor dem Militärgericht verantworten wegen „Meuterei, Missachtung von Befehlen und Flucht vor einer Verhaftung“. Zu diesem Zeitpunkt war die Anklage wegen Flucht eigentlich bereits eine Gesetzesübertretung, aber das Ganze wurde noch dadurch erschwert, dass Fritz tatsächlich Fort Halleck verließ, bevor das Militärgericht eine Entscheidung über seinen Fall getroffen hatte. Im Glauben seine Verhaftung sei illegal, machte sich Fritz einfach auf, in der Hoffnung die Erlaubnis zu erhalten, das 34. Wisconsin-Infanterieregiment, das er zuletzt angeführt hatte, neu organisieren zu dürfen. Er wurde 40 Kilometer entfernt in Cairo, Illinois erneut verhaftet. Mathilde empfand diese Neuigkeiten zu Fritzens Situation als Schmach. Sie rügte ihn privat, verteidigte ihn jedoch öffentlich. Auch wenn Mathilde und Mary weiterhin von anderen Sorgen geplagt waren, waren sie doch ein wenig abgelenkt durch neue Erlebnisse in der Schweiz. Zusätzlich zu kürzeren Ausflügen bot sich Mary Booth die Gelegenheit, die wunderschöne Engadinregion zu besuchen, wo sie bei Ferdinand Lassalles Partnerin Sophie Gräfin von Hatzfeldt wohnte. In einer kurzen Nachricht, die Mary Mathilde in dieser Zeit sandte, wird der Kontrast zwischen der erfüllenden Partnerschaft, die die beiden Frauen führten, zu der angespannten Beziehung zu ihren Männern deutlich.
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Ein ungestümer Oberst
Fritz Anneke an seine Schwiegermutter Elisabeth Giesler Columbus, Kentucky, 20. April 1863 Liebe Mutter! Längst wollte ich Dir schon schreiben und jedenfalls zu Deinem Geburtstag. Aber die Umstände ließen mich nicht dazu kommen. Jetzt habe ich Muße; ich bin unter Arrest, seit drei Tagen. Man hat den unruhigen Geist wieder einmal zur Ruhe gebracht. Nimm vor allen Dingen, wenn auch sehr spät, meine herzlichsten Glückwünsche zu Deinem schon vergangenen Geburtstag entgegen. Ich glaube nicht, daß Du ihn bei so prächtigem Frühlingswetter gefeiert haben kannst, wie wir es jetzt hier haben. Als Probe davon lege ich Dir ein paar Blumen und Blätter bei. Ich wohne seit einiger Zeit in einem Hause außerhalb des Fort Halleck1, das mir von General Asboth2 als Quartier angewiesen ist. Ich habe das Haus weißen und einen kleinen Blumengarten davor anlegen lassen. Zuerst muß ich Dir aber jetzt erzählen, wie ich in Arrest gekommen bin. Seit 6 bis 8 Wochen bin ich systematisch von Wanzen, Flöhen und solchem Ungeziefer, d. h. von Obersten, die per Zufall meine Vorgesetzten spielen, und deren Trabanten gepeinigt worden. Die Einzelheiten kann ich Dir nicht erzählen; ich müßte ein ganzes Buch Papier verschreiben. Im Hintergrunde dieser Schweinerei stehen einzelne Offiziere meines Regiments und mit diesen die Freimaurer-Brüderschaft3, der hier alle höhern Offiziere, mich allein ausgenommen, angehören. Ich habe natürlich um mich geschlagen; ich lasse mir nun einmal nicht auf die Zehen treten, nicht beißen, stechen und kratzen. So ist es denn endlich so weit gekommen, nachdem ich dem Oberst Messmore4, Kommandeur des 31. [Regiments] und des Forts, einem Erzlumpen, in derben Worten die Wahrheit geschrieben, daß eine Anklage gegen mich erhoben worden ist, und ich unter Arrest gesetzt worden bin. Man ist so rachsüchtig gegen mich gewesen, daß man mich sogar in strengen Arrest gesetzt, das heißt auf die Grenzen meines Quartiers beschränkt hat, etwas ganz Ungewöhnliches gegen einen Offizier und namentlich gegen einen Obersten. Anfragen bei den hohen Herrn, ob denn das durch die Schwere meines Verbrechens gerechtfertigt sei, werden nicht beantwortet. General Asboth, der Distriktkommandant, ist ein Glied in der edlen Maurerkette und ist dabei – unter uns gesagt – ein altes Waschweib, dem es vor Allem drum zu thun ist,
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Flussaufwärts von Columbus, Kentucky gelegen, einer Stadt am Mississippi zwischen Memphis und St. Louis. Der aus Ungarn stammende Brigadegeneral Alexander Asboth war Befehlshaber über den Militärbezirk Columbus, Kentucky. John H. Eicher und David J. Eicher, Civil War High Commands (Stanford: Stanford University Press, 2001), 108–9. Für eine positivere Einschätzung der Rolle der Freimaurer im amerikanischen Bürgerkrieg, siehe Michael A. Halleran, Better Angels of Our Nature: Freemasonry in the American Civil War (Tuscaloosa: University of Alabama Press, 2010). Isaac E. Messmore aus Prairie du Chien, Wisconsin. Wisconsin Adjutant General’s Office, Annual Report of the Adjutant General of the State of Wisconsin (Madison: William J. Park, 1863), 110.
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sich in seiner Stellung zu behaupten und deßhalb den Amerikanern und Amerikanerinnen zu schmeicheln. Ich werde mich genöthigt sehen, mich an höhere Behörden zu wenden. – Vielleicht komme ich auch noch dadurch aus der ganzen Schweinerei heraus, daß ich mit meinem Regiment zum General McClernand beordert werde. Der würde mich nicht länger im Arrest halten. Ich habe ihm kürzlich in der Sache geschrieben. Ich habe noch so viel Schreiberei vor, daß ich für heute aufhören muß. Bald mehr. Herzliche Grüße für Jung und Alt von Deinem treuen Sohn Fritz.
Fritz Anneke an George E. Waring, Jr. Columbus, Kentucky, 23. April 1863 (Übersetzung aus dem Englischen) Oberst George E. Waring, Jr.5 Einsatzposten Columbus. Oberst. Ich melde gehorsamst, daß ich mich nicht länger dieser kleinlichen Tyrannei aussetzen kann, die mich seit nunmehr sieben Tagen in strenger Haft hält, weil ich in einem Privatbrief in einfachem Englisch die Unbesonnenheit eines Mannes getadelt habe, der durch Zufall – ob zu Recht oder Unrecht weiß ich noch nicht – auch noch als mein Vorgesetzter eingesetzt wurde. In solcher Weise als Krimineller behandelt zu werden, das bringt selbst ein Lamm zum Aufbegehren. Ich melde hiermit, daß ich aus meiner strengen Haft ausbrechen werde, und bereit bin, die Konsequenzen zu tragen, was auch immer sie sein mögen. Meine Bitten an den Bezirkskommandanten um Neubetrachtung meines Fallles wurden noch nicht einmal beantwortet. Hochachtungsvoll, Fritz Anneke, Oberst 34. Wis. Inf. Regt.
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Oberst George E. Waring Jr., Kommandant über Fort Columbus, trug später als Sanitärtechniker wesentlich zur Entwicklung moderner Abwasseranlagen bei. „Todesanzeige: George E. Waring Jr“, The Sanitarian 41, no. 349 (Dezember 1898): 559.
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Fritz Anneke an John A. Garrett Columbus, Kentucky, 19. Mai 1863 (Übersetzung aus dem Englischen) Oberst John A. Garrett6 Vorsitzender des Militärgerichts Oberst. Ich bitte sie hochachtungsvoll, dem Militärgericht Folgendes zur Berücksichtigung zu unterbreiten. Auf unserem Posten gibt es einen Geheimbund, wenn nicht gänzlich so doch vornehmlich bestehend aus Armeeoffizieren, die sich „Freimaurer“ nennen, und deren Hauptziel zu sein scheint, die Interessen ihrer Mitglieder zu fördern und sich gegen ihre Gegner zu verbünden. Ich habe mich oft und ausdrücklich gegen jedweden Geheimbund innerhalb militärischer Organisationen ausgesprochen, da sie schädlich, gefährlich und ja sogar zerstörerisch für dieselben sind, aber insbesondere habe ich mich gegen den oben genannten Geheimbund an diesem Posten ausgesprochen und ich kann Beweise dafür erbringen, daß es ihm gelungen ist für seine Mitglieder die beste Behandlung zu erwirken und diesen die tollsten Gefallen getan werden, während Nichtmitglieder und Gegner verfolgt werden. Ich bin bereit, mehrere langjährige Mitglieder des uralten Ordens der Freimaurer zu nennen, die sich meinen Aussagen anschließen und die den Gebrauch des Ordens an diesem Posten zum unvertretbaren Mißbrauch erklären. Um nur ein Beispiel zu nennen, gebe ich an, daß während ich am 16. April unter strenge Haft gestellt wurde wegen „eines Offiziers und Gentleman unwürdigen Verhaltens“, eine Anklage, die nur auf einige Aussagen in einem von mir geschriebenen Privatbrief basieren konnte – Hauptmann Ferslew7 aus meinem Regiment, der unter dieselbe Anklage gestellt wurde und zudem „der Falschaussage“ beschuldigt wurde, gar nicht erst inhaftiert wurde. Im Gegenteil, kurze Zeit später wurde er aus meinem Regiment versetzt und etwa eine Viertelmeile von meinem Stützpunkt und wurde zum unabhängigen Befehlshaber des Forts gemacht, während ich sechzehn Tage lang unter strenge Haft gestellt wurde, sogar ohne daß ich bis zum heutigen Tage überhaupt eine Kopie der Anklagen gegen mich bekommen hätte, und man hätte mich noch wesentlich länger dort behalten, wenn ich mich nicht selbst von Gesetzes wegen befreit hätte. Hauptmann Ferslew ist Mitglied des Geheimbundes, ich bin ein Gegner. Zudem muß ich sagen, daß Mitglieder des Geheimbundes oft im Voraus von solchen Plänen und Beschlüßen der höheren Obrigkeiten in Kenntnis gesetzt werden, wäh6 7
John A. Garrett war Oberst des 40. Iowa-Infanterieregiments. A. K. Campbell, „Col. John A. Garrett“, Annals of Iowa Series 1, vol. 9 (1871): 429–45. W. Eugene Ferslew war Hauptmann des Company A. Wisconsin Adjutant General’s Office, Roster of Wisconsin Volunteers: War of the Rebellion, 1861–1865 (Madison: Democratic Print Co., 1886), 2: 526.
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rend andere nicht vor der Ausführung etwas erfahren. Daher behauptete Hauptmann Robinson8 vom 16. U. S.-Infanterieregiment am 16. April auch bereits um 5 Uhr ich sei inhaftiert worden, während dies tatsächlich erst zwei Stunden später der Fall war. Daher wußte Hauptmann Robinson am selben Tag auch ganz genau, daß Oberstleutnant Orff 9 vom 34. Wisconsin-Infanterieregiment, zu dem Zeitpunkt inhaftiert, sehr bald entlaßen werden würde, und der oben genannte Hauptmann Ferslew wußte, daß Oberstleutnant Orff nicht vor das Militärgericht gestellt werden würde, sondern nur gerügt werden würde. Ich bin sicher, daß Mitglieder der Loge der Freimaurer auf diesem Posten Vorurteile gegen mich hegen und nicht als unvoreingenommene Richter auftreten können, was für mich umso wichtiger ist, als ich systematisch und sogar auf bösartige Weise verfolgt wurde, was ich im Laufe des Gerichtsverfahrens zeigen werde. Daher schlage ich vor, jedes Mitglied des Gerichts zu befragen, ob es ein Mitglied der Loge ist, und Einspruch zu erheben gegen alle, die meine Frage mit „ja“ beantworten oder die Antwort verweigern. Hochachtungsvoll, Fritz Anneke, Oberst 34. Wis. Inf. Regt., D. M.10
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 31. Mai 1863 Mein lieber Fritz! Der Gedanke daß Du den lieben schönen Mai ein Gefangener bist und Dich mit all diesem Aerger wieder herumschlagen mußt, bringt mich fast zur Verzweiflung. Und doch ich darf den Kindern nichts merken lassen und darf überhaupt hier Niemanden davon erzählen, denn sie fassen hier Alles genau verkehrt auf. Wie wird es Dir ergehen! Wie Dir ergangen sein, wie Du allein warst, gefesselt, entwaffnet in den Händen Deiner Feinde – entfernt von Deinem einzigen Freunde11 – Ich habe mich etwas aufgerafft um Dir schreiben zu können, meine gräßlichen Kopfweh haben mich verlassen; die Kinder sind heiter und Mary ist ziemlich gesund für den Augenblick. Gestern schickte ich Dir meinen B[rie]f als Antwort auf Deine Zeilen vom 28. Gleich darauf erschien Dein Bf. vom 5. Mai, aus dem Gefängniß. Heute Morgen trifft
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Solomon S. Robinson diente in Oberst Warings Brigade. Miscellaneous Documents of the House of Representatives for the First Session of the Fifty-First Congress, 1889–90 (Washington, D. C.: Government Printing Office, 1891), 255. Siehe Fußnote 87 (Kapitel 4). Es ist unklar, worauf sich Fritz im Englischen mit der Abkürzung D.M. bezieht. Carl Lachmund. Siehe Fußnote 88 (Kapitel 4).
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Frank Leslie und das zweite Bleifederbild von Fort Halleck ein. Der brave Zeichner weiß nicht, wie glücklich er uns dadurch gemacht hat. Danke ihm in meinem und der Kinder Namen herzlich. Ich wollte Du wärst glücklich mal wieder aus diesem kleinlichen Kampfe heraus, Deine Kräfte, Dein Trotz, Dein Muth gehören einer andern Sache als solch elender und erniedrigender Katzebalgerei. Die Gemeinheit siegt und Du ziehst den Kürzeren. Deine Reizbarkeit leider verwickelt Dich stets in solche Affairen – Du wirst dadurch den größeren Thaten entrückt und die Elenden die deine Gegner sind erreichen was sie erreichen wollten sobald sie es fertig nur gebracht Dich aufzureizen. Mit Würde und Stolz, die wenn Du ruhig bist, Dir im hohen Maße eigen sind, und mit Klugheit (smartness) die Du gar nicht besitzt, können solche erste Angriffe, wie ich meinen sollte, vielfach abgewehrt werden. Hast Du erst den Kampf mit Gesindel aufgenommen, so bist Du schon verloren. Daß Du von Deinem lieben Freunde geschieden bist, thut mir unendlich leid. Ob Du wol wieder mit ihm zusammen kommen wirst? Die Sprengung Deines Regimentes macht mir viel Sorgen; Du wirst wol für immer wieder um Deine Truppen gebracht sein. Wie ich auf Nachricht jetzt täglich und stündlich hoffe, das kannst Du Dir vorstellen. Oftmals wünsche ich wir wären Dir gleich damals, als Du von uns schiedest, gefolgt. Die Zeit die wir uns hier durchgeschlagen haben, ist gewiß eine viel getrübte gewesen. Die Folgen der schweren Krankheit – Quacksilberdosen?– liegen mir noch stark in den Gliedern. „Wenn der Papa doch nur in der Bilderzeitung12 wär“ so unterhalten sich Hertha u. Lili, die Beide auf ihren kleinen Stühlchen und an einem kleinen Tischchen und ihre Schule abhalten. Morgens 3 Stunden sitzen sie immer neben ein[ander]. – Percy hatte sichs seit einigen Tagen in den Kopf gesetzt ins Kadettencorps13 einzutreten – er ist verpflichtet erst im elften Jahre – leider kann ichs ihm jetzt nicht gestatten, weil die Kosten seiner Equipirung in diesem Moment unerreichbar sind. Am Dienstag muß ich nahe 60 Fr. für ihn herbeischaffen – ich muß der armen Mary nehmen was kommt vom Gesandten – ich habe nichts, gar nichts[.] Herr Weiskirch14 hat Dich schön belogen. Am 29. April schickte er mir einen Bf meiner Mutter aber keine Zeile von ihm darin über das Geld – noch das Geld – die Note – selbst. Bis heute ist nichts in meine
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Illustrierte Magazine waren zu der Zeit in Europa wie in den Vereinigten Staaten beliebt. In der Schweiz wurden Jungen traditionell in Kadettencorps auf den Militärdienst vorbereitet. In den 1860ern wurden in vielen Schulen solche Korps errichtet, gemäß der Vorschriften der jeweiligen Kantonsregierungen. In ihren Übungen und in ihrer Ideologie zeigt sich eine gewisse Ähnlichkeit zum Turnverein. Gorden Craig, The Triumph of Liberalism: Zürich in the Golden Age (New York: Charles Scribner’s Sons, 1988), 129–30; Louis Burgener, Kadetten in der Schweiz, Beiheft zu ASMZ: Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift 152, Nr. 10 (1986): 2–6. Über Mathildes Schwager Emil Weiskirch tauschten Mathilde und Fritz US-Dollar in Schweizer Franken um.
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Hände gelangt; er wird wol erst auf die Deckung warten, ehe ers sendet. Du siehst wie recht ich habe; von dieser Gerade abhängig sein zu müssen. …
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 18. Juli 1863 Mein lieber Fritz! Vor etwa acht Tagen empfing ich Deinen lieben Brief vom Hl. Jung.15 Diesmal bin ich etwas mit meinem Schreiben in Rückstand gerathen. Der Grund war ein kühner Ausflug, den wir uns schon längst geträumt hatten. Unsern betreff. Zeitungen hatten wir nämlich versprochen das Schützenfest in Chaup de fonds16 zu besuchen u. von dort zu berichten. Die Möglichkeit war gar nicht abzusehen, den Traum, das Versprechen auszuführen. Da traf Dein B[rie]f ein, der mir sagt, Du habest an Weiskirch 200 $ gesendet. Trotzdem mich die Besorgniß, W[eiskirch] werde wieder in Armstrongschen Wechseln17 den großen Betrag verkürzt einsenden – denn Du weißt doch daß er mir nur 300 Fr. für die letzten 100 Doll. gesandt im May, empfangen am 15 Juny, zukommen ließ – trotzdem mich diese Besorgniß wieder pakte, glaubte ich doch von den kleinen Einkünften, die uns für liter[arische] Geschichten auch zufällig einkamen, für mich u. Mary nun die Berechtigung erlangt zu haben, uns mal auszuspannen. Wir hatten daher den Gesandten Fogg comandiert uns nach Ch. d. f. zu geleiten. Bern bei dieser Gelegenheit zu sehen, schien uns nicht unräthlich. F[ogg] holte uns am Bahnhof ab, führte uns zu einem splendiden Diner, bei welchem wir angenehmen Bekanntschaften von der Gattin des am. Gesandten am dänischen Hofe18 u. deren liebenswürdige Tochter, einer Mrs Condith19 aus Newark, u. mehrerer machten. Die Nacht brachten wir im Schweizer-
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Es gibt keine ausreichenden Informationen zur Identifikation der Person, die Fritzens Brief weiterleitete. Das große Schweizer Schützenfest von 1863 fand in La Chaux-de-Fonds nahe der französischen Grenze statt. Die Gartenlaube 34 (1863), 536. Der britische Ingenieur William Armstrong (1810–1900) hatte mehrere verschiedene Waffen und Artilleriegeschütze entworfen, die hinten geladen werden konnten, sowie Granaten, die viele kleine Teile enthielten. Es ist unklar, warum Mathilde sich bei der stückchenweisen Bezahlung metaphorisch auf Armstrong bezog. Marshall J. Bastable, Arms and the State: Sir William Armstrong and the Remaking of British Naval Power, 1854–1914 (Aldershot, UK: Ashgate, 2004). Der US-Gesandte in Dänemark war Republikaner und Politiker aus New York, Bradford R. Wood (1880–1889). „Wood, Bradford Ripley“, Biographical Directory of the United States Congress, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, http://bioguide.congress.gov/scripts/biodisplay.pl?index=W000692. Möglicherweise handelt es sich um Caroline Condit, eine Frau Anfang 20, die mit ihrem Ehemann in der Nähe von New York City lebte. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), 2te Ward, Orange, Essex County, New Jersey, S. 194, „dwelling“ (Wohnstätte) 1171, „family“ (Familie) 1672.
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hof20 zu und in dieser Nacht erkrankte Mary so sehr, daß ich mich entschloß nicht mit ihr die beschwerliche Fahrt nach Ch. de fonds zu wagen. Etwas besser am Morgen überzählte ich unser blühend Glück u. mir schien es möglich Thun, Interlaken u. vielleicht auch Gießbach zu sehen, hoffend die frische Abendluft werde die arme Mary wieder stärken. Wir sandten daher Fogg allein zum Schützenfest ab und schlugen uns in die Berge, von deren Wunderpracht und Lieblichkeit ich mich noch kaum erholen kann. Nach drei Tagen sind wir sodann wieder bei unsern lieben Kinderchen angekommen, die meiner Sehnsucht sie bei mir zu haben, keine Minute in Gedanken Ruhe ließen. Fort u. fort zauberte meine Phantasie mir meinen lieben kühnen Bergkletterer Percy als Führer und die zwei Kleinen neben mir tändelnd u. springend sich der schönen Welt erfreuend, herbei. Denn mit den Kindern mal eine kleine Alpenfahrt zu Fuß zu machen, das gehört zu meinen Idealen, lieber Fritz. Wie die Kinder mir die Staffage in solchem Bilde sein würden! Der Liebreiz dieser kleinen Blagen neben der Pracht in der Natur! Wundere Dich nicht, wenn das Gold glücklich durch die Hände W[eiskirch]’s geronnen und ohne Gefahr in meine Hände gekommen, wenn ich mich mit diesem Zaubermittel der drückendsten Schulden entledigt, wenn ich ein geistiges Budget für unsere kommenden Monate aufgestellt habe – dann, wundere Dich nicht wenn wir in Deinen Gedanken eines schönen Morgens mit Obstkorb und Reisetasche u. Flasche angethan, abziehn und drei Tage umherschwärmen. Jetzt gehört zu unsern Lieblingsunterhaltungen – Percy hat nämlich Ferien u. kann keine größere Reise mit seinen Genossen unternehmen – eine Fahrt in der Gondel auf dem See. Die zwei Kleinen immer gleich gekleidet rudern, ich steure, Percy rudert u. comandiert. Wir erregen Aufsehn, denn mit solcher Anmuth und Kraft legen die kleinen Mädchen ein. Daß Du uns nur einmal so sehen könntest! Daß wir doch nun bald endlich ersehen könnten, wie es Dir ergangen nach diesem unerhörten Kriegsgericht. Dein nächster Br[ie]f wird uns wol die Mittheilung machen können. So etwas von Schmach und Niedertracht ist doch wol noch nicht dagewesen! Ich kann es nicht fassen, daß Dir dafür keine Genugthuung werden sollte. Wenn man mich nach Dir fragt, so kann ich immer nur antworten, ich hoffe er steht jetzt vor Vicksburg[.]21 Niemand glaubt an Dich so fest wie ich. Wüßte ich Dich an einem Platz – ich wüßte dann eben so gut, er sei dem Norden gerettet. Ich weiß oft nicht mehr, wie ich den Fragen ausweichen soll. „Hat er denn noch keine Schlacht mitgemacht in den zwei Jahren?“ Nein oder Ja wollen die Frager hören. Für Erklärung des Einen oder Andern, haben sie keine Zeit Ohr zu leihen. So läßt man sie dann nicht zu Fragen kommen, da sie ja doch keine Antwort erlauben wollen. 20 21
Noch heute verweist das Schweizerhof Hotel & Spa auf seiner Internetseite auf seine Geschichte, die bis 1859 zurückreicht. „Geschichte“, Schweizerhof Hotel & Spa, letzter Zugriff am 24. Februar 2022, https://schweizerhofbern.com/about. Im Frühjahr und Frühsommer 1863 gelang es General Grant Vicksburg, Mississippi, zu erobern, und damit die letzte Hochburg der Konföderierten am Mississippi River. Sein Erfolg am 4. Juli galt als wichtigster strategischer Sieg der Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg. James M. McPherson, Battle Cry of Freedom: The Civil War Era (New York: Oxford University Press, 1988), 626–37.
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Am Gießbach gedachte ich Deiner und Deines Freundes und wünschte daß Ihr Beide mit uns hier stehen könntet. Ich kann eben nicht sagen daß der Gießbach mich so ganz besonders entzückt hätte, o nein, das Ganze, zu dem Jedes ein so eingefügtes Einzelnes ist. Ich bin bis ganz hoch hinaufgeklettert, bis hinter den Fall[,] lange gestanden und habe mir die Welt durch den Zauberschleier des Wassersturzes angesehen während Mary auf der Terasse zurückblieb und die Gemse fütterte, die da eingesperrt gehalten wird. Auf dem Brienzer See war es dann auch zum Entzücken. An seinem Ufer unten am Fall erblickte ich unsern alten Alpenrosenfreund, den schönen Gemsjäger von Stans22 (Du erinnerst Dich seiner wol, der diese Pracht von Alpenblumen herniederbrachte). Er erkannte mich und schenkte mir ein prächtiges Edelweiß. Auf der Tour selbst zogen wir viele interessante Menschen an. Wir machten fortwährend neue Bekanntschaften. Zu diesen zähle ich mit freundlicher Erinnerung die des alten St. Hilaire23, des großen franz. Historikers, von dem ich vor 30. Jahren schon die Geschichte Josephinens24, ihrer Entdeckung Napoleons gelesen hatte und immer und immer von neuem daran gedacht. Der alte – Mann wollte nicht von uns lassen, bis er endlich nach vergeblichen Versuchen ein Gespräch mit uns erlangt hatte. Er sprach eben so schönes Englisch wie Deutsch und Französisch. Mary hatte sich am ersten Tage in Interlaken so erholt, daß wir eines frühen Morgens den Ruchen25 (2500‘) in Angriff nehmen konnten. Wir bestiegen ihn ganz leicht und hatten den Blick auf die Jungfrau von seiner Spitze. Mehrere Tage später. Mary ist ins Engadin abgereist. Gräfin Hatzfeld ließ ihr keine Ruhe, sie hatte sie schon lange zu einer Reise mit ihr eingeladen. Der Aufenthalt in Tarasp kann Mary vielleicht herstellen, und da es ihr so freundlich geboten wurde, mußte sie ihn annehmen. Hepp begleitete uns zum Boot u. legte ihr sehr ans Herz daß sie St. Morizer Quelle trinken solle und durch diese die Lüfte dort nur genesen könne. Ich und die Kinder brachten sie gestern nach Rapperswyl. Hinter Chur wird sie von der Gräfin abgeholt. Die Kinder waren sehr vergnügt, namentlich auf dem alten Schloß beim Hofwächther, der jede Nacht und trotz seiner 80 Jahre wacht und bläst und im Tage 20. Mal den Thurm hinauf steigt. Wir sind sodann allein. Es ist heute der 21. July. Von Weiskirch noch nichts. – Wie unglücklich bin ich doch mit den Vermittlern, denen Du unsern Unterhalt in die Hände legst. Herr Ritzinger, Herr Weiskirch – e[tc] e[tc] alle über denselben Leisten. – Kannst Du uns nicht selbst direct senden, was Du zu senden hast. Booth sandte 20. Dollar, ich habe sie mit Mary 22 23 24 25
Am Vierwaldstätter See in der Schweiz. Jules Barthélemy Saint-Hilaire (1805–1895) war ein französischer Philosoph, Politiker und Gegner des Zweiten Kaiserreiches unter Louis Napoleon III. Encyclopædia Britannica, elfte Aufl., 3:449. Die erste Kaiserin der Franzosen Joséphine (1763–1814) war von 1796 bis 1810 mit Louis Napoleon verheiratet gewesen. Henry Foljambe Hall, „Introduction“, in Napoleon’s Letters to Josephine, 1796–1812 (London: J. M. Dent & Co., 1901), vii–xxv. Es ist unklar, auf welchen der Berge mit diesem Namen sich Mathilde hier bezieht.
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vor ihrer Abreise und zu Haushalthung getheilt. Wenn doch nur das größere Quantum anlangte, ich deponierte es bei unserm Pestalozzi u. zahlte davon die größern nothwendigsten Verpflichtungen. Es würde mir viele Ruhe gewähren. Die Kleinen haben heute Morgen fleißig gelernt. Percy hat ihnen einige Stunden gegeben. Jetzt spielen sie und grüßen Dich. Nächstens wollen sie alles Liebe schicken. Sie wollen Dir auch ihre Bildchen im Reisekostüm senden, damit Du sie sehen könnest, wie sie abziehen. Wenn sie Alles könnten was sie wollten für den Papa. Mary wird 3 bis 4. Wochen im Engadin bleiben. Sie grüßt Dich herzlich. Glückliche Nachrichten von drüben bringt der Telegr.26 Vicksburg hat sich ergeben.27 Wo magst Du sein? – Ich freue mich auf den versprochenen Bf. in welchem Du mir Deine Meinungen u Ansichten über dortige Kriegsführung u Politik zu geben versprichst. Die Schilderung der kriegsger[ichtlichen] Verleumdungen haben ich Einigen mitgetheilt, die die Sachen verstehen. Ein Schweizer, geachteter Lehrer an der hiesigen Sekundarschule, ehemals in Amerika auch, Scudor28 ist sein Name, ein besonderer Freund unserer Kinder, der sie während der Tage unserer Reise nicht nur täglich besuchte, vielmehr zwei Excursionen mit ihnen machte, hat die Geschichte sehr interessiert. Seine Theilnahme für uns Alle, ist uns sehr angenehm; – er kommt mit seiner jungen Frau alle Woche einmal zu sehen, wies uns geht. – Rüstow besuchte die Kinder, die eine merkwürdige Passion Alle für ihn haben, auch einmal u. lud sie einen Tag ein. Er jagt sich oft mit ihnen in der Wiese umher und ist besonders Herthas Favorit[.] Jetzt muß ich Dir auch noch erzählen, daß Herr Zeller zu seinen Waffen gegen uns nicht nur falsche Zeugen, sondern auch fingierte Rechnungen vorbrachte, die bei ernstlicherer Verfolgung ihm einen Criminalprozeß zuziehen würde. Er wird mit seiner Klage abgewiesen wie Fick sagt, u. ich werde von meinem deponierten Gelde wol einige Rappen herausbekommen, nachdem Herr Fick abbezahlt ist. Wir sind sehr gesund. Die Drüsenanschwellung an meinem Halse hat sich in der wunderbaren Alpenluft verloren. Die Kinder werden kräftig und groß. Eben helfen sie unsern Hausleuten in der Wiese heuen. Hertha ist eine rechte Landwirthin. Grüße uns Deinen lieben Freund29 u. schreibe ein wenig öfter an Deine arme kleine Familie. Es steht doch in keinem Verhältniß dem Freunde täglich und den entfernten Angehörigen monatlich einmal zu schreiben. – Ich muß mir ein Beispiel daran genommen haben, denn sonst hättest Du schon vor 8 Tagen Nachricht von uns. Lebe wohl mein lieber Fritz. Deine Mathilde.
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Mathilde hatte in früheren Briefen angedeutet, dass sie Ausgaben des Buffalo Telegraph erhalten hatte, für den Fritz Beiträge verfasste, aber es ist auch möglich, dass sie an dieser Stelle eine Ausgabe des Daily Telegraph aus London meinte. Die Neuigkeiten der Kapitulation am 4. Juli hatten Mathilde gerade erst erreicht. Siehe Fußnote 21 (Kapitel 5). Es konnten keine weiteren Informationen gefunden werden. Wahrscheinlich Carl Lachmund.
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Abb. 10 Zeichnung von Lillian Booth für ihre Schwester Ella, 27. März 1863
Mary Booth an ihre Tochter Ella Booth Zürich, 19. Juli 1863 (Übersetzung aus dem Englischen) Meine liebe Ella: Ich bin gerade mit Lillian aus der Kirche zurückgekehrt. Sie möchte Dir die Kiste mit den geschnitzten Hühnern drauf schicken, die wir ihr aus Interlaken mitgebracht haben. Sie sagt, es würde ihr die größte Freude sein, von allem was in meiner Macht steht ihr zu schenken, wenn ich nur erlauben würde, daß sie Dir die Kiste schickt. Ich sagte ihr, sie solle etwas für sich selbst behalten. „Was brauche ich schon?“ nichts. sagte sie, „ich habe alles“. Und die Wahrheit ist, sie hat nichts Ich erwarte übermorgen die Gräfin im Engadin beim Schloß von Valpera zu treffen. Ich hätte morgen gehen sollen, kann aber nicht „meiner Gesundheit“ wegen. Sie wird jemanden schicken, der mich dort treffen wird. Ich werde wahrscheinlich drei Wochen
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bei ihr bleiben. Madam Anneke bleibt mit den Kindern hier. Ich habe seit einiger Zeit schon keine Kinderkapitel30 mehr geschrieben, weil ich Angst habe, daß sie weder Dich noch sonst jemanden besonders interessieren werden. Wenn sie Dir gefallen oder sie Dir wichtig sind, dann würdest Du was sagen nehme ich an. Madam A. denkt ich hätte lieber nicht so viele geschrieben, aber wenn sie den Leuten gefallen, dann werde ich wieder damit anfangen. Alle senden liebe Grüße. Liebe Grüße an alle. Immer die Deine, Mutter.
Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke Columbus, Kentucky, 27. Juli 1863 Es ist unendlich lange her, seit ich von Dir nichts mehr gehört habe, meine liebe Mathilde. Deine Briefe werden wohl wieder irgendwo in der Welt umherirren. … Meine Lage ist unverändert dieselbe. Ich bin unter Arrest – d. h. nur vom Dienst suspendirt – und erwarte mein Urtheil. Wie eintönig und langweilig das Leben für mich dahin geht, kannst Du Dir denken. Meine Gesundheit läßt nichts zu wünschen übrig; aber dieses Nichtsthun und diese Ungewißheit, die sind zum Verzweifeln. Meine Ungewißheit über den endlichen Ausgang meines Prozesses ist noch ebenso groß wie früher. Einige Streiflichter, die darauf gefallen sind, geben mir so unsicheres Bild, daß sich nichts daraus entnehmen läßt. Über kriegsgerichtliche Urtheile nämlich darf nichts vor der Publikation bekannt werden; die Richter werden darauf vereidigt. Ich ersuchte immer den Richter, mir auf Ehrenwort die Entscheidung mitzutheilen. Seine Gewissenhaftigkeit erlaubte es ihm nicht. Seitdem ließ ein anderer Richter einem Offizier meines [Regiments] gegenüber Äußerungen fallen, aus denen ich schließen mußte, daß das Urtheil mindestens auf Entlassung aus dem Dienst laute. Dann bekam ich aber wieder eine Mittheilung von Adolf Cramer31, daß Gouv[erneur] Salomon trotzdem er es selbst sehr gewünscht, mich nicht habe hier besuchen können, weil die Umstände es nicht gestatteten, und er es nicht für besonders nothwendig gehalten, weil er auf seiner Reise nach Vicksburg und auf die Rückkehr zwei meiner Richter getroffen und aus deren Mittheilungen geschlossen habe, das Urtheil gegen mich könne sich auf gar nichts belaufen, und ich werde sofort meines Arrests entlassen und dem Dienst zurückgegeben werden. Da ist kein Vers drüber zu machen. Cramer schreibt mir ferner, daß Salomon durch verleumderische Gerüchte und Mittheilungen nicht [unleserlich] mir geworden ist, daß er eine Mittheilung von mir erwarte und mir gleich antworten werde. Diese Mittheilung habe ich ihm endlich gemacht, in Gestalt eines zwei Bogen 30 31
Publikationen in Daily Life. Siehe Fußnote 62 (Kapitel 4). Wahrscheinlich der in Preußen geborene Adolph J. Cramer, der für eine Versicherungsagentur arbeitete. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1870), 1ste Ward, Milwaukee, Wisconsin, S. 109, „dwelling“ (Wohnstätte) 726, „family“ (Familie) 889.
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langen Briefes, die erste, seit ich unter Arrest bin. Verlangt habe ich von ihm nichts weiter, als daß er seinen Einfluß verwendet, daß man mich nicht am Ende noch hier behält, wenn mein [Regiment] zum Zweck der „Ausmusterung“ oder Entlassung nach Wisc. zurückgeschickt wird. Antwort habe ich noch nicht, erwarte sie aber täglich. Ich werde ihm morgen noch mal schreiben, um mich – wie das ein kürzlich erlassenes Gesetz über Wiedereintritt von Offizieren und Soldaten vorschreibt – zum Weiterdienen und zur Neubildung meines Rgts. zu melden und ihm über eine Anzahl meiner Offiziere, die ich um keinen Preis in meinem Rgte wieder haben möchte, Aufschluß zu geben. Wenn es mir gestattet wird, beabsichtige ich diesmal ein rüstendes Jägerregiment32 zu organisieren. Cramer will bei mir als Quartiermeister eintreten. Wer diesmal Adjutant werden würde, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. – Mein lieber Karl33 war einige Tage bei mir; er hatte sich Urlaub zu verschaffen gesucht. Seitdem hat mir der Oberstleutnant, der in Kommando des Rgts. ist, den Gefallen gethan, ihn hierher zu versetzen, und ich erwarte ihn jeden Tag zurück. Die Geschichte mit der Petition zu Gunsten des Oberstlts. hat sich als eine Knellische 34 Lüge herausgestellt: Ich habe so zahlreiche Versicherungen, mündlich und schriftlich, Englisch und Deutsch, daß nichts Wahres daran sei, und daß die Leute mir alle noch eben so treue anhänger, wie früher, erhalten, daß mir nicht der geringste Zweifel bleiben konnte. Weßhalb Knell so gelogen, und ob mit oder ohne Willen und Wissen des Oberstlt. gethan, ist mir nicht klar. Eine Veränderung zum Bessern ist kürzlich hier vorgegangen – die erste, die ich noch erlebt habe. Der dumme Bube, der Postenkommandant war, Oberst Waring, ist durch einen, allem Anschein nach anständigen Menschen, Oberst Scott vom 32. Iowa Rgt., abgelöst worden.35 Es hieß schon mehrmals mit Bestimmtheit, wir würden Schufte wie Asboth auch los werden; bis jetzt ist er leider aber noch hier. Dagegen hat der Zuchthauskandidat Messmore sich entfernt, angeblich um in Washington die „kleinen Schwierigkeiten“, die der Bezahlung seines Rgts. im Wege stehen, zu beseitigen,
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Im deutschsprachigen Europa des 18. Jahrhunderts bestanden Jägerregimente aus ausgelesenen Infanteristen, die auf Gefechte spezialisiert waren und in ein bürgerliches Leben zurückkehrten, sobald ein Krieg vorüber war. Bezogen auf den US-amerikanischen Bürgerkrieg sagte der Begriff mehr über die ethnische Zusammensetzung eines Regiments aus als über seine Militärtaktik. Christopher Duffy, The Military Experience in the Age of Reason (New York: Atheneum, 1988), 272–73. Carl Lachmund. Der Marketender John Knell stammte ursprünglich aus Hessen-Darmstadt und war aktiv an der Politik der Republikaner in der Stadt Milwaukee und auch am deutschamerikanischen sozialen Leben beteiligt. Nach dem Krieg arbeitete er als Sprituosenhändler. John Knell Papers, Wisconsin Historical Society, Madison. John Scott (1824–1903) war Oberst des 32. Iowa-Freiwilligen-Infanterieregiments. Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg wurde er zum Vizegouverneur von Iowa gewählt. Benjamin F. Gue, History of Iowa from the Earliest Times to the Beginning of the Twentieth Century (New York: The Century History Company, 1903), 4: 235–36.
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in der That aber, um sich zu drücken, denn der Rache von Seiten seiner Soldaten, die über kurz oder lang nicht ausgeblieben wäre, zu entfliehen. Er ist irgendwo auf der Reise nach Washington krank geworden. Das Gerücht ist jetzt allgemein verbreitet, das Regiment werde nach Wisconsin zurückgeschickt, um dort aufgelöst zu werden. Von den Leuten melden sich jetzt jeden Tag eine Anzahl bei mir, um in mein zukünftiges [Regiment] einzutreten, wenn eine Möglichkeit da ist. Würden beide Regimenter gleichzeitig entlassen, ich würde mit Leichtigkeit die Hälfte der Mannschaft des 31. bekommen können. Ich habe schon wieder einmal einen Konflikt gehabt, in Folge dessen eine Anklage gegen mich eingereicht ist. Es scheint, daß es mein Geschick ist, mit Allem, was an Schurkerei und Gemeinheit in meine Nähe kommt, wenn es durch Schulterstreifen höhern Ranges gedeckt wird, in Konflikt gerathen zu müssen. Mit der Organisation eines Negerregiments an diesem Platze ist ein Individuum, Namens Adams36, betraut, das ich vor 14 Monaten, als ich Artilleriechef bei McClernand war, in West Tennessee, während des „glorreichen“ Feldzuges gegen Corinth, als eine nichtssagende, dumme Persönlichkeit kennen lernte. Während man zu Offizieren für die Negerregimenter die besten und tüchtigsten Leute, Leute namentlich von Ehrlichkeit und Anstand, hätte auswählen sollen, hat man vielfach Günstlinge oder Menschen, die sonst nicht zu gebrauchen waren, ausgewählt.37 Zu der letzten Klasse gehört dieser Adams, bis dahin Oberstleutnant vom 1. Illinois Artillerie-Rgt. Eine der ersten Handlungen dieses Menschen, als er das Quartier, das ich früher innehatte – Du hast ein Bild davon – bezog, war die, daß er eine brave, redliche Negerfamilie, die dicht dahinter wohnte, mit der ich immer auf sehr gutem, nachbarlichem Fuße lebte, aus ihrem Haus vertrieb, ohne ihnen nur Zeit zu geben, sich nach einem andern Obdach umzusehen. Seine „Ladies“ wollten die „Niggers“ nicht in ihrer Nähe. Dann instruierte er seinen Negerbedienten, von meinem Hafer und Heu zu stehlen. Beim Heustehlen faßte mein Bursche ihn ab; beim Haferstehlen packte ihn mein Hund, „hawk“, ein Tennessee „Bluthund,“ ein Geschenk von Karl, und biß den armen Teufel so, daß die Wunde noch nicht geheilt ist. Dann verlangte der „Negerkönig“, wie ich ihn getauft habe, von meinem Burschen, der Stall, der auch nahe bei seinem Quartier steht, solle ihm geschenkt werden. Mein Bursche verwies ihn an mich. Zu mir zu kommen, scheute er sich aber; statt dessen befahl er meinem Burschen, den Stall fortzuschaffen. Wiederum wurde er an mich verwiesen. Dann kam der Postenkommandant, Oberst Waring, und gab meinem Burschen 36 37
Oberstleutnant Charles H. Adams von der First Illinois Light Artillery. The Union Army (Madison, Wisc.: Federal Publishing Company, 1908), 3: 356 In nahezu allen Fällen waren die Offiziere von Schwarzen Regimentern (United States Colored Troops oder USCT) weiß. Obwohl die USCT versuchte, Offiziere zu rekrutieren, die sich dem Anliegen verschrieben hatten, Afroamerikaner zu unterstützen und für diese Aufgabe zusätzliche Tests verlangt wurden, waren viele Bewerber vor allem an einer Beförderung und an einer Gehaltserhöhung interessiert. Joseph T. Glatthaar, Forged in Battle: The Civil War Alliance of Black Soldiers and White Officers (New York: The Free Press, 1990), 39–43.
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den gleichen Befehl, wurde aber ebenfalls an mich verwiesen. Der dumme Junge antwortete, ich sei unter Arrest, er könne mit mir nicht sprechen, und gab einem Kapitän den Befehl zum Fortschaffen des Stalles. Um nur nicht wieder Skandale zu haben, ließ ich mir zähneknirschend diese Frechheit gefallen. Der Stall wurde abgerissen und auf einem andern Platz wieder aufgebaut. Bald darauf verlegte der Negerkönig das Lager seiner Leute in die Nähe meines Stalles, so daß diese etwa 50 Schritt von den Grenzen seines Lagers entfernt blieb, und stellt einige Tage später eine Schildwachenkette aus, welche meinen Stall rings umschloß. Seitdem hatte mein Bursche die größten Schwierigkeiten, aus seinem Zelt und dem Stall zu mir und wieder zu seinem Zelt und zum Stall hinzukommen. Vor einer Woche etwa, während ich in die Stadt gegangen war, sah mein Bursche vom Fort aus, daß mein Pferd frei herum lief und ein anderes auf seinem Platze stand. Er versuchte hinzukommen, wurde aber von den Schildwachen des Negerkönigs nicht eingelassen, und lief zur Stadt, um mich zu suchen, fand mich jedoch nicht. Ich hörte hier die Geschichte, ging zum Stall, fand meinen braven Fuchs, der freiwillig zurückgekommen war, um sich nach seinem Mittagsfutter umzusehen, [unleserlich], gab ihm sein Futter und suchte dann vergebens, den Negerkönig. Nach dem Essen ging ich mit dem Burschen nochmals zum Stall, suchte wieder vergebens den Negerkönig und kam in Konversation mit einigen seiner Offiziere. Während dessen kam sein Offizier du jour und fragte mich, wer meinen Burschen ins Lager einpassirt habe. Ich antwortete ihm: Niemand, er sei einfach mit mir gegangen, um nach dem Pferde zu sehen. Dann kam der Neger-Vicekönig, als Oberstleutnant des [Regiments] und fragte dasselbe, worauf ich dasselbe antwortete. Er fragte wieder, was für ein Recht ich habe, den Mann einzupassieren. Meine Antwort war: „Einpassieren? Recht? Ich passieren gar keine Rede ist; er ist einfach mit mir habe Ihnen ja gesagt, daß vom Einpassieren hineingegangen, ohne daß ihn Jemand angehalten hat, eine Sache, die sich ganz von selbst versteht, da er mein Bursche ist, wie Sie wissen, und für mein Pferd zu sorgen hat.“ Hierauf wurde der Schlingel so frech, mir zu sagen: „Sie sind ja unter Arrest, welches Recht haben Sie, hier zu sein?“ Daß ich ihm auf diese Insolenz gebührend diente, wirst Du Dir vorstellen können. Dann kam der Negerkönig selbst und stellte nochmals die erste Frage. Meine Antwort war dieselbe. Er befahl dann seiner Wache, meinen Burschen zu verhaften, und hatte die Frechheit, mir zu sagen: „Ich habe Ihnen ja gestern befohlen, daß Ihr Stall bis 12 Uhr Mittags fortgeschafft werden sollte.“ „Sie, Herr, mir befehlen?“ war meine Antwort. „Was fällt Ihnen ein? Und überdies ist das eine Lüge; ich habe Sie ja seit drei oder vier Tagen gar nicht gesehen.“ Der Bursche blieb dabei, zu behaupten, er habe mir das in Gegenwart eines Offiziers gesagt. Ich wiederholte, das sei gelogen. Er erklärte dann, er wolle keine Konversation mehr mit mir haben, und ich entgegenete darauf: „Mir ist es gar nicht um eine Konversation mit Ihnen zu thun. Halten Sie nur ganz einfach Ihr Maul, dann sind wir augenblicklich fertig.“ Mittlerweile hatten sich eine Masse schwarzer Soldaten um uns gesammelt, die sich augenscheinlich freuten, daß ihr Tyrann – die Leute hassen ihn wie die Pest, fangen schon an zu desertieren und haben sich bei Schuftkerle Asboth beschwert, daß sie hier
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schlechter dran seien, als unter ihren frühern „Masters“ – daß ihr Tyrann Jemanden gefunden hatte, der ihm dort die Wahrheit sagte. Der Negerkönig beorderte die Leute aus unserer Nähe fort und wiederholte die letzte Phrase – betreffs der Konversation, worauf ihm die gleiche Antwort wurde, wie zuvor. Dann befahl er mir, sein Lager zu verlassen. Ich bemerkte ihm, daß seiner eigenen Instruktion zufolge Offiziere in seinem Lager frei aus und ein gehen könnten. und daß ich deßhalb nicht gehen würde, so lange er seine Instruktionen nicht ändere. Das that er dann dahin, daß kein weißer Mann sein Lager mehr betreten dürfe; worauf ich fortging. Ich fand den Postionkommandanten, Oberst Scott, in der Stadt, erzählte ihm den Vorgang und verlangte, daß mein Bursche augenblicklich in Freiheit gesetzt und der Negerkönig beordert werde, seine Schildwachenlinie so zu ändern, daß mein Stall nicht eingeschlossen sei. Oberst Scott ging ohne Zögern auf mein Verlangen ein. In Betreff des insultierenden Benehmen von Seiten des Negerkönigs und seines Vicekönigs schrieb ich an jeden derselben einen Brief, worin ich Abbitte verlangte, widrigenfalls ich sie für „miserable, despicable scoundrels“ erklärte. Die Briefe schickte ich durch einen Offizier hin, bekam aber keine Antwort. Ich erwartete eine Forderung und machte meine Pistolen bereit. Statt dessen reichten die Burschen eine Anklage auf „Herausforderung zum Duell“ ein. Ich habe bis jetzt nichts weiter denn gehört und glaube, daß Oberst Scott die Anklage als zu albern zurückgewiesen hat. Für Percy lege ich eine Menge seiner Handelsartikel bei. Herzliche Grüße den Kindern, einschließlich Mary, und allen Freunden und Freundinnen. Sobald ich wieder einen Brief von Dir bekomme, oder Wichtiges hier vorgeht, schreibe ich Dir wieder. Immer Dein Fritz.
Mary Booth an Mathilde Franziska Anneke Vulpera, Tarasp, 1. August 1863 (Übersetzung aus dem Englischen) Süße Franziska Maria: Wir haben beinahe alles gepackt und sind bereit, die Koffer diesen Abend fortzuschicken. Wir selbst werden dann am Montagmorgen nach Samaden aufbrechen. So wie ich das jetzt sehe werden wir dort nicht lange verweilen. Aber so wie ich Dir jeden Tag schreibe werde ich es Dich wissen laßen, sobald ich selbst es weiß. Ich bekam gestern Abend zwei Briefe von Miss de Ruda38. Einer davon lag vier Tage auf dem Postamt weil der Postbote meinen Namen nicht kannte – und dachte er sei „May Morning“ weil Du Deine Briefe an mich so adressiert hättest. Aber diese Post ist ohnehin eine komische Institution.
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Wir konnten diese Person nicht identifzieren.
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Wir sollen Miss de Ruda bei unserer Ankunft anrufen & wahrscheinlich sie & ihre Mutter zum Abendessen mit uns in Samaden einladen – das heißt, wenn L39 das Dinner für angemeßen hält. Wir gehen vielleicht am Montagmorgen nach Silva Plana40 vielleicht aber auch nicht. Ich vermag es nicht zu sagen. Heute ist das Wetter wieder & vielleicht wundervoll & ich hoffe es wird so bleiben. Miss de Ruda schreibt, daß es dort vor ein paar Tagen geschneit hat. Rüstow hat ausgiebig seine Meinung gesagt und sagt er werde zum Lake Como fahnicht und so denke ich, in dem Fall wird die ganze ren41 ob der Rest mitkäme oder nicht, Gruppe gehen. Falls Lasalle mitkommt, wird er nicht lange bleiben, sondern gen Osten reisen, wo er eine Meerbadkur machen will. Die Gräfin wird rechtzeitig in Zürich sein, um zu ihrer Nachkur in Ragatz zu gelangen. Rüstow schreibt die komischste satirische Broschüre auf Latein über deutsche Potot. Er schreibt abends litik & Politiker & etc. Lasalle und er lachen sich darüber halb tot daran – eine Art Spielerei & streut seine eigenen lateinischen Gedichte mit ein. Ich kann Dir nicht sagen, wohin Du Deine Briefe an mich richten sollst, aber das werde ich tun, sobald wir es wissen, und Rüstow sagt es sei absolut notwendig, daß er es bald weiß. Die Art und Weise wie dieser Kamerad arbeitet – nichts in der Welt oder seine eigenen Bedürfniße noch sonst irgendetwas können ihn davon abhalten zu tun, was er als Pflicht gegenüber seiner Familie hält, und so wird es immer sein – denn – nichts in der Welt kann ihn ablenken oder beeinflußen. Weder er noch Lasalle kennen sich mit amerikanischer Politik aus. Er noch mehr als Lasalle, der nichts weiß & denkt Freiheit & alle bedeutenden Rechte drehten sich Wissenschaft – eine dumme Vorstellung – die immer widerallein um die europäische Wissenschaft legt wird und sich von selbst erledigt bevor sie das Volk erreicht. Ich finde vieler seiner großartigen Ideen schrecklich begrenzt und engstirnig. Aber ihm etwas zu sagen sagen, das seinen Ansichten widerspricht, ist so als wolle man versuchen, die Niagarafälle aufPräsidenten der Menschheit Menschheit“ nennen, zuhalten. Es schmeichelt ihm, daß sie ihn den „Präsidenten denn er selbst sieht sich fast als den Schöpfer aller Menschheit! Ich hoffe, heute Abend einen Brief von Dir zu erhalten & einer in Samaden auf mich wartet. In Liebe, Deine Mary Die Gräfin schickt liebe Grüße.
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Ferdinand Lassalle. Silvaplana ist der Name eines Sees und einer kleinen Gemeinde unweit von Samedan. Der See in der Lombardei gilt seit Langem als bekannter Kurort.
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Fritz Anneke an Edwin Stanton Fort Halleck, Columbus Kentucky, 22. August 1863 (Übersetzung aus dem Englischen) Der Ehrenwerte Edwin M. Stanton Kriegsminister.
Im Gefängnis
Sehr geehrter Herr, Da ich finde, daß mir großes Unrecht widerfahren ist, und da ich von den untergeordneten Obrigkeiten, mit denen ich mich hier befaßen muß[,] keine gerechte Behandlung erwarten darf, wende ich mich mit meinem Anliegen mir Recht zu verschaffen an Sie. Um mich Ihnen vorzustellen sind ein paar einleitende Bemerkungen zu meinem früheren Leben notwendig. Nachdem ich zwölf Jahre als Offizier in der preußischen Artillerie gedient hatte, wurde ich von diesem Staat aus dem Dienst entlaßen wegen meiner demokratisch-republikanischen Ansichten, die denen, die ein preußischer Offizier haben sollte, widersprachen. Im Jahre ’48 wurde ich für acht Monate eingekerkert, weil man mich als gefährlichen Gegner der demokratischen Institutionen betrachtete, und ich nahm dann als Oberst und als Oberbefehlshaber der Artillerie eine aktive Rolle im revolutionären Kampf gegen die monarchische Herrschaft ein. Unsere Niederlage brachte meine Familie und mich schließlich in die Vereinigten Staaten, wo ich das Gros meiner Zeit als Redakteur und Zeitungsjournalist verbrachte. Als ’59 der italienische Krieg ausbrach, kehrte ich zurück nach Europa, ging erst nach Italien, dann in die Schweiz. Meine Familie folgte mir. Vom ersten Moment an, als Krieg gegen die Sezessionsstaaten unausweichlich schien, war es mein einziges Bestreben, zurückzukehren in die Vereinigten Staaten, um am Krieg für die freien Institutionen meines Adoptivvaterlandes teilzunehmen. …42 Am 16. April wurde ich von einem der Offiziere meines Regiments informiert, daß der vorgenannte Oberst Mesmore ihm und den Offizieren meines Regimentes gegenüber sehr beleidigend und bedrohlich geworden wäre. Als höherer Offizier der 34. Wisconsin-Infanterie und als natürlicher Vertreter des Korps von Offizieren sah ich mich gezwungen, mich der Sache anzunehmen, und so schrieb ich Oberst Messmore eine private Nachricht, in der ich ihn zurechtwies, und ich beauftragte einen Offizier, ihm die Nachricht herüberzuschicken. Wenige Stunden später wurde ich auf Befehl von Oberst Martin43 von der 111. Illinois-Infanterie, der den Befehl über den Posten innehatte, unter strenge Haft gestellt …. Auf Beschwerden über meine Inhaftierung an General Asboth, 42 43
Fritz stellt sich nun auf mehreren Seiten weiter vor und erläutert seine Situation. James S. Martin war ein Republikaner, der nach dem Krieg Kongressabgeordneter wurde. „Martin, James Stewart“, Biographical Directory of the United States Congress, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, http://bioguide.congress.gov/scripts/biodisplay.pl?index=M000184.
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den Bezirkskommandanten, und an General Hurlbut44, den Truppenkommandanten, bekam ich nie eine Antwort. Müde von der unaufhörlichen kleinlichen Tyrannei gegen mich, beschloß ich, ein wenig frische Luft zu schnappen, informierte den Kommandanten meines Postens über mein Vorhaben und war dann etwa eine Stunde zu Pferd unterwegs. Anschließend versprachen Gen. Asboth und der Kommandant meines Postens dem Oberstleutnant, daß meine Verhaftung auf die Grenzen dieses Postens ausgeweitet werden sollte, wenn ich meinen Brief, den ich dem Postenkommandanten an diesem Morgen geschrieben hatte, zurückzog. Ich tat dies, aber Gen. Asboth hielt sein Versprechen nicht. Er verhielt sich noch mehrere Male so, ein Verhalten, für das ein Offizier einer ordentlichen Truppe in Ungnaden aus dem Dienst entlaßen werden würde. Am zweiten Mai, als ich bereits 16 Tage inhaftiert war, entdeckte ich die Existenz eines Gesetzes in Form des Gen. Order No. 91 Series 1862, das besagt, daß die Haft eines Offiziers enden soll, wenn ihm nicht binnen acht Tagen eine Kopie der Anklageschrift ausgehändigt wird. Da mir keine solche Kopie ausgehändigt wurde und bestärkt von diesem Gesetz, vergewisserte ich mich des Befehls über mein Regiment und meldete mich zum Dienst. Gleich nachdem ich mich zum Dienst gemeldet hatte, wurde ich darüber informiert, daß der oben genannte Oberst Messmore einmal mehr beleidigende Worte gegenüber ein paar meiner Offiziere hatte fallen laßen und behauptet hatte, mehrere Offiziere meines Regiments wären seine Informanten gewesen und hätten ihm Dinge erzählt, die aber Lügen und Verleumdungen sind. Dann ging ich unverzüglich zu Oberst Mesmore, in Begleitung einiger Zeugen, da ich wußte wie wenig wahrheitsliebend der Oberst ist, um nach dem Namen des Offiziers aus meinem Regiment zu verlangen, welcher Verleumdungen verbreitet hatte. Als Oberst Messmore während des Privatgespräches, das ich mit ihm führte, sich weigerte, mir die Namen dieser Offiziere zu nennen, sagte ich ihm, er sei ein Lügner und Verleumder, wenn er sich weiterhin weigere, mir die Namen zu nennen. Er gab dann den Befehl mich unter Arrest zu stellen. Ich lehnte es ab, diesem Befehl zu gehorchen, da ich ihn für gänzlich gesetzeswidrig hielt, einen Mißbrauch seiner zufälligen Macht über mich zum Zwecke einer privaten Rache. Ein paar Stunden später wurde ich auf die Veranlaßung des Postenkommandanten hin festgenommen und unter strenge Haft gestellt, wieder mit doppelter Wache. Nachdem ich neun Tage in Haft verbracht hatte, wurden die Grenzen meiner Haft ausgeweitet auf die Grenzen dieses Forts, und dann während des Militärgerichtsverfahrens auf die Grenzen dieses Postens. Mein Prozeß begann am 18. Mai. Die Anklage gegen mich lautete auf Meuterei, Mißachtung von Befehlen und Flucht aus der Gefangenschaft. Vor Beginn des Prozeßes
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Generalmajor Stephen Augustus Hurlbutt war ein Republikaner aus Illinois. Er hatte mehrere politische Ämter inne und war außerdem an der Gründung der Veteranenorganisation der Union namens Grand Army of the Republic mitbeteiligt. „Hurlbut, Stephen Augustus“, Biographical Directory of the United States Congress, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, http://bioguide.congress.gov/ scripts/biodisplay.pl?index=H001003.
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händigte ich dem Gericht eine Aussage aus bezüglich eines gewißen Geheimbundes an diesem Posten, in der ich die Feindseligkeit dieser Organisation mir gegenüber zeigte und auch meine Absicht erklärte, alle Mitglieder des Gerichts als meine Richter abzulehnen, die dieser Organisation angehörten. Dieses Papier wurde mir im Anschluß an eine einfache Bemerkung des Rechtsoffiziers, der meines Wissens selbst ein Mitglied der Organisation ist, wieder zurückgegeben, ohne berücksichtigt zu werden. Ich reichte dann einen Protestbrief gegen das Verfahren ein, der aber genauso behandelt wurde wie meine Aussage…. …. Meine Verteidigungsversuche wurden in jeder Weise vorzeitig unterbrochen und ich war auf die engsten Grenzen eingeschränkt. Allerdings konnte ich wenigstens einen Fuß in die Türe bekommen, indem ich durch meine Hartnäckigkeit beim Fragenstellen sicherstellte, daß nach meiner Verhaftung am 16. April spezifische Anklagen gegen mich gestellt wurden und ich einen Gerichtsbeschluß erwirken konnte, wonach mir diese Anklageschrift ausgehändigt werden sollte. Nach ihr wurde im Hauptquartier des Bezirks angefragt, aber sie konnte dort nicht gefunden werden und schließlich wurde festgestellt, daß sie sich im Besitz von Oberst Messmore befand. Diese Anklage, wie auch die zweite Anklageschrift, aufgrund derer ich vor das Militärgericht gestellt wurde, wurden von einem Angestellten von Oberst Messmore geschrieben und dann vom Postenkommandanten unterzeichnet. Als die Anklage verlesen wurde, erkannte das gesamte Gericht augenblicklich, was für eine miserable Lügengeschichte sie war, so daß die Obrigkeiten sich schämten, sie vorzubringen und sie lieber beerdigt hätten, aber mich zwischenzeitlich unter dem Vorwand einer Anklage in strenger Haft behalten wollten für unbegrenzte Zeit. Aus dem Brief, den ich Oberst Messmore am 16. April geschrieben hatte, hatte dieses pedantische Genie vier verschiedene Verbrechen entnommen, unter ihnen die unvermeidliche „Meuterei“. Alle Mitglieder des Gerichtes konnten nicht anders als zu lächeln angesichts solch einer monströsen Anklage, in der sogar meine eigenen Worte verfälscht wurden. Am darauffolgenden Morgen war eines der Mitglieder meines Gerichts verschwunden. Obwohl das Gericht über Privatinformationen wußte, daß er von Gen. Asboth auf eine fingierte Expedition geschickt worden war, wollten sie meine Einwände erst nicht anhören, weil „sie nicht offiziell über die Abwesenheit eines Mitglieds und den Grund dafür unterrichtet worden seien“. Doch ich bestand darauf, daß sie diese offizielle Information beschaffen sollten, da sie „diese sonst vielleicht nie bekämen“ und daraufhin wurde sie Gen. Asboth entlockt. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als ich gerade mitten in meiner Verteidigungsrede war und sechs meiner Zeugen vorladen wollte, darunter die wichtigsten, die die unter Eid ausgesagten simplen Lügen des Oberst Messmore und einige seiner Myrmidonen45 widerlegen würden. Ich protestirte unverzüglich gegen alle weiteren Verfahren
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Handlanger, Schergen; der Begriff stammt aus den griechischen Mythen zu den trojanischen Kriegen. Jenny March, Cassell Dictionary of Classical Mythology (London: Cassell, 1988), 262–63.
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dieses verkleinerten Gerichts und erklärte, ich werde daran nicht teilnehmen, es sei denn das Mitglied, das weggeschickt worden war, würde seinen Platz wieder einnehmen, denn ich war vollkommen überzeugt, er sei absichtlich weggeschickt worden, da er mir von allen Gerichtsmitgliedern am wohlgesonnensten war und überzeugt war von der Rechtmäßigkeit meines Anliegens. Das Gericht fragte Gen. Asboth um Rat und bekam die Antwort, daß „obwohl es ihn nichts angehe und ihm nicht zustünde Ratschläge zu erteilen, er dennoch der Meinung sei, daß das Gericht weiterverfahren solle und den Prozeß schnellstmöglich abschließen möge“. Ich schwieg und der Prozeß war innerhalb weniger Stunden abgeschloßen. … Dann zog sich das Gericht zur Beratung zurück und ich wartete still und unter Arrest auf die endgültige Entscheidung in meinem Fall. Vor etwa sechs Wochen setzte ich den Gouverneur des Bundesstaates Wisconsin darüber in Kenntnis, daß ich gedachte unverzüglich mein Regiment neu zu organisieren, sobald dessen Dienstzeit abgelaufen war, und daß ich vorhatte es zu einem berittenen Jägerregiment zu machen, wenn das Kriegsministerium es mir erlauben sollte, aber ich befürchtete, daß mein jetziger Vorgesetzter mich in Haft behalten würde, auch nach Ausscheiden meines Regiments und dies würde mich sodann davon abhalten, die Reorganisation selbst in die Hand zu nehmen. Gouverneur Salomon wandte sich schleunigst an General Grant und forderte ihn auf, seine Entscheidung in meinem Fall schnellstmöglich zu treffen, denn er, der Gouverneur, wollte mich als guten und effizienten Offizier zur Reorganisation des Regiments einsetzen. Als es für mein Regiment an der Zeit war zur Ausmusterung am 15. August nach Hause zurückzukehren, war weder eine Gerichtsentscheidung in meinem Fall gefallen, obwohl der Prozess zwei Monate und acht Tage zuvor geendet hatte, noch war Gouverneur Solomons Anfrage beantwortet worden. Daher nahm ich an, ich sei berechtigt, mit meinem Regiment in meinen Heimatstaat zurückzukehren und der gegenwärtige Kommandant dieses Postens, Oberst Scott vom 32. Iowa-Infanterieregiment, war ebenfalls dieser Meinung. Gen. Asboth jedoch – wie mir mitgeteilt wurde – würde mir nicht erlauben zu gehen. Unter diesen Umständen beschloß ich trotzdem nach Cairo46 zu gehen. … Dort früh am 14. August angekommen wurde ich benachrichtigt, daß Gen. Asboth am Tag zuvor Leutnant Lachmund aus meinem Regiment, einen mutigen, ehrenwerten jungen Offizier unter strenge Haft gestellt hatte, einfach weil er mein Freund ist. Ich wurde darüber informiert, daß Asboth einen meiner Bediensteten verhaftet hatte, eines meiner Pferde und mein Gepäck, und daß er einen Haftbefehl gegen mich ausgestellt hatte. …
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Cairo, Illinois, am Zusammenfluss des Mississippi und Ohio Rivers gelegen, war ein wichtiger Stützpunkt der Union und ein Auslieferungslager für Geflüchtete. Arthur Charles Cole, The Era of the Civil War, Bd. 3, The Centennial History of Illinois (Chicago: A. C. McClurg & Co., 1922), 331–53.
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Ich bin seit etwa fünfzehn Jahren im Militärdienst, größtenteils in einer Armee, in der die militärische Ordnung sehr viel strikter ist, die Disziplin sehr viel strenger, als in unserer Freiwilligenarmee, jedoch habe ich nie zuvor gesehen, daß ein anständiger Offizier so ungeheuerlich behandelt wurde wie ich. Ich hätte nie erwartet, daß in einer republikanischen Armee wie der unseren ein solches Unrecht geschehen könnte, solche Tyrannei und Willkür ausgeübt werden könnte, wie in Teilen unserer Armee, wo Männer, die Befehlshaber sind, skrupellos genug sind, die ihnen anvertraute Macht für ihre persönlichen Zwecke zu mißbrauchen und zur schändlichsten Unterdrückung und wo sie Verbrechen begehen und dann Schutz und Straffreiheit vorfinden, ermöglicht durch eine vernetzte Gruppe von Vorgesetzten. … Um Ihnen deutlich zu machen, wer ich bin, darf ich sie auf den Gouverneur des Staates Wisconsin verweisen, auf Gen. McClernand, in dessen Stab ich letztes Jahr diente, auf Gen. Ross47, mit dem ich als freiwilliger Hauptmann der Artillerie diente und Befestigungen in Bolivar, Tennessee errichtete, auf Gen. Willich, einen alten Freund von mir, auf alle die Truppen, die unter mir oder in meiner Nähe dienten, wie zum Beispiel diejenigen Batterien in Wisconsin und Indiana, die ich zusammengestellt habe, die Batterien, die unter meinem Befehl standen als ich mit McClernand und Ross Hauptmann der Artillerie war, die 34. Wisconsin-Infanterie, mein eigenes Regiment, die 27. und 31 Wisconsin-Infanterie, und viele mehr. Ich wage es zu behaupten, daß sie, mit kaum einer Stimme des Widerspruchs, der Meinung oder eher Überzeugung zustimmen werden, daß ich ein gebildeter Offizier bin, der genau weiß was seine Pflicht ist und diese stets erfüllt, der strikte Ordnung und Disziplin einhält, jedoch gleichzeitig penibel auf die persönlichen Interessen und das Wohlbefinden seiner Untergebenen achtet und dessen Handlungen stets mit den strengsten Prinzipien von Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit übereinstimmen. Ich darf vielleicht auch auf die loyale deutsche Presse verweisen und in der Tat auf die loyale deutsche Bevölkerung der Vereinigten Staaten. Vielleicht darf ich ebenfalls auf Gen. Schurz verweisen, der 1849, zu der Zeit noch Student, mein Adjutant war, als ich Oberst und Hauptmann der Artillerie war; allerdings mag ich Verweise dieser Art nicht. Wenn ich zu Beginn meiner militärischen Karriere politischen Einfluß gehabt hätte, Wirbel in den Zeitungen und solche Möglichkeiten, dann hätte ich vielleicht genauso gut wie viele andere Personen mit weitaus weniger militärischem Wissen und weitaus weniger militärischer Erfahrung Brigadegeneral werden können. Allerdings verachte ich solche Methoden und war höchst zufrieden mit der Position als Hauptmann der Feldartillerie. Durch diese Position erwartete ich die Möglichkeit Hauptmann der Artillerie oder eines Armeekorps oder einer Armee zu werden, um zu zeigen wozu
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Brigadegeneral Leonard F. Ross war ein Berufsoffizier, der eine Zeitlang das 17. Illinois-Regiment anführte. „General Leonard F. Ross“, Iowa Historical Record 4, no. 4 (1888): 145–83.
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ich imstande war. Dies wurde mir verweigert und sogar als Hauptmann der Infanterie wurde mir keine Möglichkeit gegeben, aktiv am Kriegsgeschehen teilzunehmen. Nun werde ich daran gehindert, eine Truppe neu zu organisieren, die an mich gebunden ist, und auch daran, mich auf eine andere Möglichkeit eines sinnvollen Dienstes vorzubereiten. Alles was ich wünsche ist eine solche Gelegenheit, und diese zu erhalten, wenigstens ein wenig Gerechtigkeit zu bekommen, und daher wende ich mich an Sie. Falls es nicht in Ihrer Macht steht mir dies zu gewähren, dann bitte ich sie höflichst darum, diese Angelegenheit seiner Exzellenz dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu unterbreiten. Sir, hiermit verbleibe ich hoachtungsvoll, Ihr ergebener Diener F. A. P. S. Seit ich Obiges geschrieben habe, erhielt ich vom Hauptmann dieses Postens eine Nachricht, in der meine Bitte um einen vorschriftsmäßigen Arrest abgelehnt wird. Also scheint es so zu sein, daß ich auf unbestimmte Zeit wie ein Verbrecher gehalten und behandelt werde.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 10. September 1863 Mein lieber, lieber Fritz! Eine niederschmetternde Nachricht bringt der ~ Correspondant der Allgemeinen Washington“ vom 25. August. Ob dieser voreilige Herr RasAugsburger Zeitung aus „Washington ter48 aus New York (~ Zeichen) ist, oder Herr Corvin aus Washington, der sich in der Regel eines andern Zeichens bedient, weiß ich nicht. Genug die betreffende Stelle liegt anbei. Vor einer Stunde kommt ein alter Herr Fäsi, Schweizer, und seit länger denn einem Jahre mit seiner guten Frau49 uns freundlich zugethan ist; er kommt mit der Vorbereitungsmoral eines echten Todtenbitters50, ersucht mich „stark und unerschrocken“ zu sein, er habe einen schweren Gang zu mir gemacht. „Sprechen Sie schnell, mein Sohn ist seit einer Stunde zur Schule, er ist verunglückt?“
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Herrmann Raster. Siehe Fußnote 54 (Kapitel 3). Möglicherweise ein Verweis auf Maria Fäsi, Enkelin de Schweizer Dichters Johann Lavater, und ihren Mann. Siehe Fußnote 17 (Kapitel 4) Bevor es Todesanzeigen in Zeitungen gab, war es Aufgabe der Leichen- oder Totenbitter, Todesnachrichten zu überbringen und zu Beerdigungen einzuladen. Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch der deutschen Sprache (Braunschweig: Campe, 1809), 3:86.
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„Nein, das nicht.“ „Ist mein Mann gefallen, haben Sie Nachricht?“ „Wann haben Sie die letzte von ihm?“ „Am 10. August schrieb er mir die letzten Zeilen.“ „Dann könnte es so sein.“ „Er ist also todt!“ „Nein, vielleicht eine schlimmere Nachricht!“ Der Mann hätte recht gehabt, wenn er Wahrheit verkündet hätte. Du solltest wortbrüchig geworden sein – geflohen sein. – Meine Nerven hatten eine furchtbare Erschütterung erfahren. Noch sind sie leidend von der Nervengicht, die ich erlitten und dazu war ich einige Tage vorher durch einen Fall von der Großen Treppe am Großmünster 51, auf welcher ich über einer Fruchtschale ausgeglitten, nervös sehr erregt; – jetzt dieser Gnadenstoß. Aber ich konnte aufathmen und ausrufen, das ist eine Lüge: Fritz verpfändet sein Wort nicht u. thut ers, so verliert er sein Leben, aber nicht sein Wort – nicht seine Ehre. Unser Junge sieht, als er heim kommt, das mir tiefes Leid widerfuhr ich erzähle ihm, was geschehen. Aber er ruft aus: Das ist eine Lüge, Papa floh nicht, er brach sein Wort nicht. Aber er soll auch unter solchen Schuften nicht länger leben und mit seinem Leben unter ihnen fechten. Noch habe ich die Ruhe nicht wieder gewonnen, um als Dein Ehrenwächter hier gegen eine solch schurkische – ach nein, Raster hatte es nicht so böse gemeint, er ist [unleserlich] worden – Voreiligkeit aufzutreten u. offen als Dein Weib an die Geduld derjenigen Menschen, die sich ein Urtheil über Dich bilden wollen, zu appelliren, so lange zu warten, bis ich ermächtigt bin durch Mittheilungen Licht auf diese gräßliche Anklage fallen zu lassen. Ehe ich dazu über gehe, habe ich an den alten Vater zu schreiben, ihn zu beruhigen, zu trösten auf dem ganzen Herzen, das Dir und unsern Kindern nur schlägt, – habe ich an Dich zu schreiben, mein geliebter Fritz, und Dich in Kenntniß zu setzen, daß man Deine Soldaten – Deine Mannesehre, ob böswillig oder leichtsinnig mit Koth bewirft und Deinen Gegnern Triumphe in die Hände spielt. Habe ich ferner an Dich zu schreiben und unser tragisches Geschick zu beklagen. – Nein, nein – beklagen – das nicht. Hast Du nicht Deinen lieben treuen Freund, der Dir tragen und streiten hilft – Du wirst – Du kannst nicht muthlos werden. – Aber, wenn ich doch wüßte, wie Dirs erging!! – Wie kommt es, daß ich noch keine Nachricht nach diesem 13. von Dir habe. Es ist natürlich, Du wirst mit Deinem [Regiment] am 13. nach Wisconsin abgereist sein, um mit ihm d 15. zur Ausmusterung vor dem Gouverneur ein zutreffen. Du bist widerrechtlich zurückbehalten, Du hast von Deinem guten Recht mit starker Faust
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Die Kirche ist eines der Wahrzeichen der Stadt Zürich. Das Großmünster wurde im Mittelalter errichtet und spielte während der Zeit der Reformation eine besondere Rolle.
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Gebrauch gemacht, aber Du bist nicht geflohen, Du wurdest nicht auf Parole zurückgehalten. Dein Feind Asboth war schon von Grant am 8. (laut amerik. Depesche52) abberufen – oder abgesetzt; Dein Feind Meßmore irrte ehrlos umher – wer hielt Dich noch? – Tausend Fragen – tausend Möglichkeiten drängen sich vor mir auf – ich weiß nicht, was zu denken. Ich sandte meinen letzten Br[ie]f an Dich nach Milwaukee, care Weiskirch. Es war am 5.‘ heute ist der 10.‘ Ich theilte Dir mit daß ich 100 $ in Currency, die Du mir direct sandtest, richtig empfangen. Auch daß ich die 200 $ in treasury notes empfing, durch das Bankhaus Schuchtard & Gebhard53 in New York. – Ich mag keine Stunde verlieren, um gegen diese Cor[respondenzen] aufzutreten aber auch von Stunde zu Stunde hoffe ich bestimmt Nachrichten von Dir zu bekommen, die mich in den Stand setzen, alles darzulegen, was nöthig ist. Morgen wird die Züricher den Auszug bringen. Der arme Percy wird in der Schule davon zu hören haben. Ach Gott, wir haben viel, viel Kummer – doch verzweifeln wir nicht; es kann ja sein, daß Du mir mit dem Hiobsbrief über Deine neue Verhaftung vielleicht den Trostbrief schreibst. Aber warum Du wol zauderst? Du verzweifeltest ja nicht, und mit Deinem klaren Verstande konntest Du ja auch nichts unternehmen was Deine Ehre compromittirte? O wie verlange ich nach einem Brief von Dir. Dieser geht nicht ab vor Sontag. Das ist eine lange, lange Zeit; u. wie lange ehe er Dich erreicht u ehe wieder Antwort von Dir kommt. Ich hatte Dich beim Mütterchen geträumt; hatte gehofft im alten Milwaukie vielleicht würdest Du Dich erholen von all dem Aerger – wo magst Du sein? Siegreich über Deine Feinde oder „besiegt, gefangen der Rebell?“54 Unsere Kinderchen sind gesund, lieb und gesund, mein lieber Fritz. Das wird Dich beruhigen zu hören. „So spielt Papa Ball“ „So schlägt der den Ball u. s. w.“ spricht Hertha. Sie spricht von Dir, als ob sie gestern noch mit Dir gespielt habe. Ich wünsche Du werdest die Kinder bald mal wieder sehen. Am 4. Septbr. feierte ich im Stillen, ohne es Jemandem zu erwähnen unsern Abschied. Schon sind es zwei Jahre geworden, lieber Fritz. Im Ganzen sind wir nicht ärmer geworden. Ich habe an mir und den Kindern gearbeitet – ich bin an Tugend vielleicht etwas besser, an Liebe nicht ärmer und reicher geworden. Du wirst bei der Balance vielleicht ein günstigeres Facit haben – nun, das käme mir dann auch zu Gute. Dein Glück hilft dem Meinigen. Aber dies Dein Unglück! Wenn es wahr wäre, daß Du fälschlich angeklagt wärest der Desertion, des Wortbruchs – wie sollte ichs Dir tragen helfen –
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Asboth wurde nach Florida versetzt. Eicher und Eicher, Civil War High Commands, 108. Es gab einen Bankenzusammenschluss namens Schuchardt und Gebhardt. New York Times, 23. Juli 1863. Aus einem Gedicht von Georg Herwegh. „Essetai ämar“ (1862), in Neue Gedichte von Georg Herwegh (Milwaukee: Karl Dörflinger, 1877), 98.
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Ich habe die Nacht nicht geschlafen, ich war stets bei Dir in Deiner Gefangenschaft, die dann wol sehr eng sein mag. Lieber Fritz, ich glaube es wäre gut, wenn ich hinüberkäme, aber die Kinder –. Was sollen wir thun? Kein andres Blatt – ich erhielt den N. Y. Demokrat bereits – sagt etwas von der Affaire. Von Booth ist in 4. Wochen kein Brief eingetroffen. Deine Mittheilungen bei diesem Ereigniß bleiben ungewöhnlich lang. Lieber Fritz, wenn sie Dich nur nicht zu eng eingeschlossen haben; aber könnte Dein Freund nicht laut sein, wenn sie Dich stumm gemacht haben. Lieber Fritz, ich drücke Dich an mein Herz und bringe Dir die Küsse von unsern lieben Kleinen. Später. Da auch in der Zürcher Ztg eben die Cor. erschienen ist, kommt außer Athem unser lieber treuer väterlicher Freund Dr. Hepp: Er ist ganz einverstanden mit meiner Entgegnung, die hoffentlich Morgen in der [Allgemeinen Augsburger Zeitung] erscheinen wird. Es hat mich die Liebe des braven Mannes und sein Glaube an Dich sehr getröstet. Er ist der einzige auch vielleicht den wir hier als Freund nennen dürfen. Ich habe ihn mit Allem bekannt gemacht u. er ging eiligst mit meinen Nachrichten zu seiner harrenden Frau. Lebe wohl mein geliebter Fritz. Ich bleibe Dein treues Herz.
Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke Columbus, Kentucky, 15. September 1863 Meine liebe Mathilde! Ich habe Dir heute Günstiges mitzutheilen. Vorgestern erhielt ich endlich mein Urtheil, und die erste Errungenschaft, die mir darauf wurde, ist die, daß ich wieder frei Kassation, frappirbin, daß ich gehen kann, wohin ich will. Das Urtheil lautet zwar auf Kassation te mich im ersten Augenblick gewaltig. Nachdem ich aber verschiedene Gesetzbücher durchstudiert, habe ich gefunden, daß nach dem amerikanischen Militärrecht „Kassation“ mit „Entlassung aus dem Dienst“ gleichbedeutend ist, und daß ein kassierter Offizier nur dann unfähig wird, wieder eine Offizierstelle zu bekleiden „wenn dies ausdrücklich im Urtheil gesagt ist[“]. Das ist in meinem Urtheil nicht der Fall; folglich steht meiner Wiedereinstellung nichts im Wege. Ich habe deswegen sofort nach Madison55 geschrieben, und erwarte meine Wiedereinstellung mit Bestimmtheit, mit Cramer als Quartiermeister und meinem Freund Karl als Adjutant. Der einzige Nachtheil für mich würde der sein, daß ich wieder der jüngste Oberst der Armee würde. Nun, man kann sich ja auch mal verjüngen! Wunderbarer Weise ist mein Urtheil, das am 6. Juni gefällt wurde, schon am 20., also 14 Tage früher, von General Grant bestätigt worden, obschon es zuerst von Asboth, dann an den Korpskommandeur Hurlbut nach Memphis, dann an Grant, der damals noch im Felde stand, zu gehen hätte und die voluminösen Akten von allen Instanzen geprüft werden mußten. Wunderbarer
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Die Hauptstadt des US-Bundesstaates Wisconsin.
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Weise warens 85 Tage; am 20. Juni bis 13. Spt. unaufhörlich, ohne das bestätigte Urtheil die einfache Rückreise von Vicksburg bis hierher machen konnte …. Eine andere gute Nachricht von Indianapolis: Herr Ritzinger schreibt. Er hat „ein Briefe von mir bekommen“, ist „ganz erstaunt, daß Du das Geld noch nicht erhalten“, und hat sofort Order gegeben, es Dir ohne Verzug mit Zinsen zu zahlen. Du wirst es jetzt sicher erhalten. Mein nächster Brief wird wohl von Milwaukee kommen. In größter Last, mit den herzlichsten Grüßen von Karl und mir Dein Fritz.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 20. September 1863 Mein lieber Fritz! Dein lieber Brief vom 25./8. der gerade ankam, als ich ein kleines Billet als Einlage in Mutters Bf legte, hat mir und Deinen Freunden die Ruhe gegeben, die wir nach solch schmählichen Angriffen nur durch directe Mittheilungen von Dir erlangen konnten. Er hat mich und die Kinder wieder ganz froh gemacht und selbst der heimtückische Angriff aus dem Hinterhalt, den der „edelmüthige“ Herold in einer Nr. die ich eben durch gelesen habe, erneuert, kann mir die Laune nicht wieder verbittern. Dieses von Dummheit – wie ich ohne Rücksicht auf meine bisherigen eigenen Productionen gestehen muß – zusammengesetzte Päper, in dem der Geist eines honorablen Carl Schurz unverkennbar waltet, sollte sich geschämt haben. Ob Du wol den Art[ikel] gelesen haben wirst? Der erste war plump, dumm. Der zweite voll Niedertracht. Daß ich für das Sudelblatt nicht eine Zeile mehr schreibe, das bedarf keiner Erwähnung, ich will nur warten, bevor ich ihm das erkläre, ob Du Näheres weißt u. was Du thust. Die [Allgemeine Augsburger] der ich so schnell wie möglich die definitive Erklärung gab, daß Ihr voreiliger Cor[respondent] (~ Raster) nur für die Weiterverbreitung der Lüge u. Verleumdung gesorgt habe in dem betr. Washingtoner Art., hat wenigstens gethan, was ich gewollt habe. Sie hat das Dementi auf Grund Deiner Erklärung gebracht, u. meine Erkl. zeitig aufgenommen. Die Züricher ist, wie ich höre von Beust, gehörig „geohrfeigt“. Ich soll heute den Ohrfeigen austheilenden Art. im hies. Intelligenzblatt von Hepp erhalten. – Da habe ich zwei Ztg. empfangen unter Deiner Adresse. Du lebst also. Für den Louisviller Art. danke ich dem Verfasser im Stillen tausendmal. Ist es unser alter Stierlin56 so sollen ihm alle Sünden damit vergeben sein. Gerne schickte ich ihm ein Anden56
Ludwig Stierlin war Herausgeber des Louisville Anzeiger. Karl J. R. Arndt und May E. Olsen, German-American Newspapers and Periodicals, 1732–1955: History and Bibliography (Heidelberg: Quelle & Meyer, 1961; Nachdruck, New York: Johnson Reprint Corporation, 1965), 169.
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ken, irgendein Bildchen von hier, als ein Zeichen unserer alten Freundschaft. – Stehst Du in Verbindung mit ihm oder seiner Frau, so sage ihnen Liebes. Die alte Mutter Koppel57 schreibt mir oft u. erklärt mir ihre Freundschaft in der reizendsten Weise. Sie ist 83. Jahr alt. Daß sie ihren Sohn den braven Dr. Koppel verloren hat, werde ich Dir doch [bei Zeiten] geschrieben haben. Dr. Hepp der Dich mit seiner Frau herzlich grüßen läßt, war einige Tage an einer gefährlichen Augenentzündung erkrankt; er wollte gerade eine Lustreise nach Paris mit ihr machen, da überfiel es ihn. Jetzt ist er besser. Wir schon seit einiger Zeit kühles Nebelwetter. Unsere kleinen Ausflüge haben wir aufgegeben. Der See ist uns zu unruhig, so unterhalten wir uns hier im Hause mit Spielchen und Weintraubenessen. Diese Pracht von Trauben hast Du wol nie gesehen. – Ich habe eben einen Art. für die [Kriminal Zeitung] geschrieben über Weinlese u. Weinbau. 30. Sept. Da kommen wir vom Kadettenmanöver. Es fand der Zusammenzug der kleinen Helden aus dem hies. Kanton statt. Sie lieferten eine Schlacht unten bei Dietikon an der Limmat58. Ich ging mit Percy u. diesmal auch ging Mary mit, in Begleitung von Lehrer Scuder u seiner Frau zum Kampfplatz. Wir gingen gestern Morgen früh fort mit der Eisenbahn zur Station Dietikon u. von da über die Limmat zum Kloster Fahr59. Percy hatte viele Freude; er sah sich schon im Geiste mit den Kameraden künftig Jahr bei einer ähnlichen Affaire. Ich sammelte Material u so Mary. Es war ein allerliebster Herbsttag u. wir tranken im Kloster viel Sauser 60 auf Dein Wohlsein. – Aus Deinem Briefe erhellt mir daß von einer Anklage auf „Desertion und Wortbruch“ wie Herr Raster sagt einstweilen noch nicht die Rede ist; ich hoffe die Leute werden doch endlich selbst der Plackereien müde sein. Wie wirds aber Deinem Freunde Carl ergehen? Auf was ist denn der angeklagt? Nun, ich werde’s wol noch früh genug erfahren. Du scheinst also auch selbst die milit. Karriere noch nicht aufgegeben zu haben. Daß sie Dir vollständig verleidet, wäre kein Wunder, weniger als daß sie unmöglich gemacht. Herr Orff der „gute Kamerad“ spielt ein ganz sicheres Spiel u. zwar wie ich es von ferne beurtheilen kann, bis zu Ende. Die Meßmoreschen Soldaten gefallen mir, wenn es wahr ist daß sie erklärt haben, nur in einem von Dir geführten Regt. fort zu dienen. Deine „Jungen“ sind doch etwas waschlappig, sonst hätten sie in der Presse hin und wieder mal ihre Meinung ausgesprochen oder Einer oder der Andere hätte dir Treubriefe a la Jäcki geschrieben, anstatt Dich 4. Wochen ohne irgend welche Nachricht zu lassen. Ist denn Märklin viel-
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Wir konnten die Koppels nicht identifizieren. Eine Gemeinde westlich von Zürich. Ein benediktinisches Nonnenkloster. Hélène Arnet, „Fahr“, Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 1. November 2017, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011606/2017-11-01/. Federweißer oder neuer Wein.
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leicht anderer Ansicht mit Dir? Warum theilt er Dir nichts von diesen Sympathien mit. Ach, es ist der Grundsatz der durch das ganze am[erikanische] Leben weht: Jeder für sich. In Neu-Engl[and] solls anders sein; ich weiß nicht. Obs Einem noch irgendwo auf dieser Erdenwelt gefallen kann? „Wo Alles ist schön, nur der Mensch ist es nicht.“ Meine kleinen Menschen gefallen mir. Unsere Kinder sind lieb und ich möchte Dir oft die Erfrischung wünschen, mit ihnen im Grase zu raufen u. zu balgen. Hertha ist die Wildeste und die Gewandteste. Sie klimmt auf alle Bäume. Das Originellste indeß, das sie erfand, war, Wohnungen in Bäumen zu bauen. Reizende, versteckte Aufenthalte, die ich jüngst entdeckte, als ich vom Fenster aus das auf den herrlichen Nuß u Obstwald u. in die Schlucht mit den Wasserfällen blickt, ein Geplauder u. Gesumme wahrnehme, halb in den Lüften – aber nicht über mir noch unter mir. „Wo seid Ihr denn?“ war meine Frage. „Hier,“ Wo? „In den Holunderbäumen“. Nun sind allerdings am Rande des kleinen Gärtchens das uns von dem Obstwald trennt, großmächtige Holunderbäume und Sträuche einige sind schlank aufgeschlossen und breiten ihre Zweige nach allen Seiten aus. Es ist nicht möglich die großen Vögelchen darin zu entdecken, wenn man nicht unmittelbar darunter steht. Ich ging also hinab um mir den Bieberbau eigener Art anzuschauen. Da saßen sie, allemal mit 3 oder 4 Gespielen noch, Percy, Lili, Hertha, Bella, Albert, Emil, u. wie sie alle heißen in den Zweigen. Zur bessern Bequemlichkeit hatten sie sich nicht nur Treppen zu ihren Asylen hinauf gemacht, nein, die einzelnen Wohnböden hatten sie über den Zweigen quer mit Brettern, Latten & zu wohnlichen Luftschlössern eingerichtet. Sogar ihre Puppen hatten ihre Betten darin angebracht; sogar war in einem Baum die Küche mit allerlei Geräthen eingerichtet. Es sah so einladend aus, daß wäre ich etwas behender, ich mich auch dort gerne mal einquartiert hätte. Nirgend hatte ich sie besser aufbewahrt, die ganze Herbstzeit hindurch, wie in den Holunderbäumen, im gleichen Niveau mit meinem Fenster. Zwei weiße Spätzchen, selbst seltene Vögel, wohnten zugleich mit ihnen in den Bäumen. Der Aufenthalt hier in dieser bäuerlichen Region hat für die Kinder unendlich viel Gutes gehabt. Sie haben die Luft genossen, wie nirgens; sie haben eine Freiheit und Glückseligkeit gehabt, wie sie sie nirgend finden konnten. Man hat sie freilich sehr sorgsam wahren müssen, wir sind nur von äußerst rohen ungebildeten Menschen umgeben. Dafür bin ich denn auch nur 4. Tage einmal von ihnen gewesen, als ich mein escape nach Interlaken machte. (Apropos: Interlaken. Ich hatte einige hübsche Alpenbilder, 4 oder 6 geschrieben. Der geistvolle Herold ist schlau genug sie in einer Corresp. geschmacklos zusammen zu ziehen. Nun ich will mich länger über dies Milwaukie nicht ärgern. – Und in dieser selben Nr der Angriff, der heimtückische auf Dich!) Herr Booth hat seine Correspond. mit Mary wie es scheint gänzlich eingestellt. Seit 2. Monaten nicht ein Zeichen von ihm. Die Bedürfnisse für die Erziehung der Kinder, für Mary werden täglich größer. Marys Tätigkeit für sein Daily Life hat keinen Moment aufgehört; er hätte sie verhungern lassen, wenn wir nicht gewesen wären. Ich
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habe mich seit dem letzten Jahre gar nicht mehr um ihn gekümmert. Mary hat fort u. fort Berichte für den Herold in N. York geschrieben, die er ihr mit 5 Doll. bis jetzt pünktlich honoriert. Das ist Alles. Wie es enden soll, sehe ich nicht ab. Wenn er das Kind nur ordentlich ausbilden ließ. – – Nein diese Charakterlosigkeit u. Ignobilität dieser Amerikaner, die ich zu kennen die Ehre habe direct oder indirect – ist doch eine Bande. Und – das Land darum mit seinem Fundament für Freiheit will man doch nicht aufgeben ….61
Generaladjutantsassistent Jas. A. Hardie an Fritz Anneke Washington D. C., Oktober 1863 (Übersetzung aus dem Englischen) Sehr geehrter Herr, Der Kriegsminister wies mich an, den Erhalt Ihres Schreibens vom 22. August zu bestätigen, in dem es um die angeblichen Fakten in Zusammenhang mit Ihrem Gerichtsprozess geht und mit Ihrer Inhaftierung wegen Meuterei sowie Ihre Berufung gegen das Strafmaß. Der Kriegsminister wies mich an zu antworten, daß in Ihrer Argumentation keine ausreichenden Gründe dargelegt werden, das Ihnen verhängte Urteil zurückzunehmen oder zu ändern. Hochachtungsvoll, Ihr ergebener Diener Jas. A. Hardie62 Generaladjutantsassistent63
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Der Brief wird am 2. Oktober fortgesetzt. Der aus New York stammende James Allan Hardie bekleidete mehrere leitende Ämter. Eicher and Eicher, Civil War High Commands, 279. Eine Stelle in der Administration innerhalb des Kriegsministeriums. Findmittel, Unterlagen des Büros des Generaladjutanten, National Archives, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, https://www. archives.gov/research/guide-fed-records/groups/407.html.
Kapitel 6 Abschied Februar 1864–Januar 1865
Das Ende von Fritzens Gerichtsverhandlung und Marys Entscheidung in die Vereinigten Staaten zurückzukehren machten 1864 zu einem Jahr der Veränderungen. Fritz musste seinen Traum, ein Kriegsheld zu werden, beerdigen, und sah sich gezwungen, sich anderweitig nützlich zu machen und nach einer anderen Einkommensquelle zu suchen. Er war enttäuscht von der Republikanischen Partei, die Vetternwirtschaft und Korruption innerhalb der Unionsarmee billigte. Wie viele Achtundvierziger war er gegen die erneute Nominierung Lincolns zum Präsidentschaftskandidaten im Jahre 1864, teils weil er der Meinung war, Lincoln habe sich dem Ziel der Sklavenemanzipation nur unzureichend verschrieben. Fritz verlor den Glauben an eine politische Partei, Mathilde jedoch verlor Mary. Marys ältere Tochter Mary Ella lebte bei Marys Mutter in Connecticut und Mary sehnte sich danach, sie wiederzusehen. Zwar hatte Mary wenig Hoffnung auf eine Heilung, setzte jedoch trotzdem auf experimentelle Behandlungen, finanziert von Freunden in den Vereinigten Staaten. In ihren Briefen, in denen sich der hohe Stellenwert der fünfjährigen Beziehung zeigt, drückte Mathilde ihre Trauer über Marys Abreise Ende Juni 1864 aus. Nachdem Mary und Lili abgereist waren, besaß Zürich für Mathilde nicht mehr denselben Reiz. Wie Fritz bewertete auch sie neu, wie sie am besten ihren Lebensunterhalt bestreiten sollte und stellte sich erneut die immerwährende Frage, welchen Ort sie Heimat nennen sollte. Diese Entscheidungen waren seit eh und je untrennbar verbunden mit ihren Ambitionen für ihre Kinder. Hertha und Percy waren ihrer Auffassung nach Amerikaner, aber sie bevorzugte das europäische Bildungswesen und war der Ansicht, dass ihre Kinder Deutsch und Französisch sprechen sollten. Zu dieser Zeit des Abwägens wurde eine andere Freundin immer einflussreicher in ihrem Leben. Die Freundschaft zwischen Mathilde und Cäcilie Kapp, der talentierten erwachsenen Tochter ihrer alten Freunde aus der Familie Kapp, wurde immer enger.
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Abschied
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 9. Februar 1864 Mein lieber Fritz! Ich habe zwar eben einen B[rie]f über Bremen an Dich abgesandt; aber ein solches Abbild das Mißmuths und der Zerstreutheit wird Dich nicht sehr erfreuen, darum beeile ich mich Dir auf Deine letzten lieben Briefe, die lange Zeit gebraucht haben, zu antworten und Dir so viel wie möglich Alles von uns zu erzählen. Der vom 28. Dezbr. enthielt 50 Doll. Die polit. Ereignisse hier zu Lande nehmen eine solche Wendung daß Du vielleicht in diesem Moment schon daran denkst wieder zurück zu kommen. Vielleicht aber auch nicht, da Dein gewöhnlich klarer Blick in politischen Dingen Dir das ganze königl kaiserl Schurkenspiel offener zeigt wie Jemandem. Es mag sein, daß, wenn England sich in die deutsche Sache mischt und Frankreich ebenfalls seine Trümpfe giebt, Deutschland eine andere Rolle spielt, aber bis jetzt scheint es die königl kais. Diplomatie zu sein, die Völker ein wenig durch Kriegstänze1 zu amüsiren. Du kommst dennoch schwerlich hieher so lange Du wenigstens nicht weißt mit Deinem Schwerte dem Ernst dienen zu können und wartest Deinen Augenblick, der wie Du glaubst kommen wird, drüben ab. Du gehörst also nicht zu den 5000, die herr Kapf 2 eben in der Tasche von New York herüber bringt, das ist meine Meinung. – Gesetzt aber Du kämst entweder als Krieger oder als Privatmann, Du würdest für alle Fälle auf eben so große, wenn nicht auch viel größere Schwierigkeiten hier stoßen, wie jemals drüben. Die Verläumdung des gewissenlosen Raster ist nicht widerrufen – nicht gesühnt 3. Zwar ist hier wenig Notiz in der Presse davon genommen, zwar hat die Lüge im Allgemeinen keine Gläubige gefunden, allein sobald Du selbst hier erscheinst, sobald Du Leuten hier entgegen trätst in ihre Wege, mit ihnen rivalisirtest, da würdest Du, wie Du selbst ganz richtig bemerkt, Deine Ehre auf die Spitze des Degens zu stellen haben. Nicht nur daß, um mit Deinen eigenen Worten zu sprechen, der urtheilslose große Haufen nach dem Erfolg“ richtet, nein es ist nicht möglich, daß das Volk 1
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Während der 1860er Jahre war Preußen im Begriff unter preußischer Kontrolle das Deutsche Reich zu gründen. In einer Rede im Jahr 1862 hatte Ministerpräsident Otto von Bismarck argumentiert, dass „Blut und Eisen“ und nicht der Liberalismus zur Einheit führen würden. Er regierte weiterhin ohne parlamentarisch legitimiertes Budget und suchte den bewaffneten Konflikt, wie beim Krieg mit Dänemark über Schleswig-Holstein, der etwa eine Woche bevor Mathilde diesen Brief schrieb begann. James J. Sheehan, German History, 1770–1866 (Oxford: Clarendon, 1989), 880–83, 890. Zeitungen berichteten, dass der aus Württemberg stammende Achtundvierziger Eduard Kapff, Offizier im 7. New York-Infanterieregiment, vorhatte, die Deutschamerikaner im Deutsch-Dänischen Krieg in einen Kampf mit Preußen und Österreich gegen Dänemark zu führen, aber es gibt keine Beweise, dass er diesen Plan auch wirklich in die Tat umsetzte. A. E. Zucker, Hg. The Forty-Eighters: Political Refugees of the German Revolution of 1848 (New York: Columbia University Press, 1950), 307; Minnesota Staats-Zeitung, 5. März 1864. Ein Verweis auf die anhaltenden Nachwirkungen des Militärgerichtsverfahrens.
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hier, die Verhältnisse drüben je richtig begreift. Ich habe das recht bitter bei Deiner Vertheidigung gegenüber jener schmählichen Verläumdung, die mich eine Zeit lang wahrhaft niedergeschmettert hat, erfahren. Du kommst also nicht hieher, es sei denn daß der sociale Kampf 4 entbrennt, in welchem es eben für Dich keine weitere Frage sein wird. Ich blieb so gerne wie Du vielleicht, in Europa. Ich liebe die Natur hier mehr wie dort, liebe dort mur ein einziges Plätzchen unter dem Cypressenen Baum, unter welchem unsere Kinder – unsere lieben unvergeßlichen Kinder liegen[.] Wären Sie – wärst Du – wäre meine Fanny und mein altes Mütterchen nicht drünie, nie zurückkehren. Ich würde Abschied auf ewig von Mary, meiner ben – ich würde nie geliebten Mary, nehmen und hier in stiller ländlicher Bescheidenheit meine Lebenszeit ausleben. ideal, das weiß ich; was ich lasse wirklich wirklich. Aber Was mich dorthin zieht, ist nur ideal ich kann meinem Geschick nicht entgehen, ich muß dem innern Drange folgen, für welchen ich nur bestandlose Formen hege. Ich trete also mit unsern zwei lieben noch Uebriggebliebenen die Reise übers Weltmeer wiederum an; sobald Du uns rufst. Aber wo werden wir unsern festen Wohnsitz haben? Wohin werden wir uns in dem großen Lande drüben wenden? Ich liebe den Osten zumeist nicht nur was die Natur anbetrifft, so reizt mich diese mehr, sondern auch in seinem geistigen Streben steht man nicht so abgeschnitten von der Civilisation da. Ich liebe aber auch den Westen in seiner Wildheit, liebe die Nähe meiner Mutter und Marys. Ich werde nur niemals nach Lansing5 gehen, überall hin, wo ich eine kleine, bescheidene, aber sichere Heimath finden kann, nur nicht dort. Willst Du die Gründe dafür, will ich sie Dir geben und ich zweifle nicht, daß Du es recht und billig finden wirst. Außer dieser ist mir jede Deiner Bestimmung maßgebend, von der Du mich in Kenntniß setzen wirst. Die beste Gelegenheit zur Ausbildung und zum Fortkommen unserer Kinder kann oder muß natürlich den Ausschlag bei der Wahl unserer Stätte geben. Für unsern lieben Percy beklage ich es sehr, wenn er mal wieder aus diesen Erziehungfesten heraus gerissen wird. Er ist so wißbegierung, er hat sich, trotzdem er so kindisch noch ist, schon ein hübsches Schatzkämmerlein von Wissen angelegt. Er würde mit Ostern Cadett hier werden. Er würde noch gerne einiges von der schönen Schweiz kennen lernen, die er so sehr wie seine Eltern zu lieben anfängt. Hertha, das kluge Ding möchte ebenfalls noch so gerne in die „Hottinger Schule“, die alle zwei Monate 15 Rappen Schulgeld nur kostet und doch so viel oder mehr Schönes lehrt, als Herrn Beusts ausgeklügeltes Lehrsystem. Hertha möchte auch noch viel Musik lernen, von der jetzt nur der Anfang – der kostbare Anfang – als Stückwerk 4 5
Sofern der Krieg nicht zum Klassenkampf wurde. In Lansing lebte Fritzens Bruder Emil Anneke, bei dem Fritz wohnte bevor er nach St. Louis übersiedelte.
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u. zwar als verlorenes dahin gehet. Sie möchte gerne noch hier bleiben, aber sie möchte doch über alles gerne wieder beim Papa sein, den sie noch nicht einen Augenblick vergessen hat. Sie möchte auch – ja sie will es – mit Mary und Lili gehen – sie ahnt aber vielleicht nicht, daß ihr dennoch und wenns auch drüben ist, eine Trennung bevorstehen wird. Unser kleines Familienleben war in diesen Jahren das schönste was Du Dir denken kannst. Wir hatten unsäglich vielen Kummer und Sorgen, aber die Harmonie, die Liebe die unser Zusammenleben schmückte, kann nie wieder erreicht werden. Hertha und Lili, immer gleich gekleidet, hübsch und klug, artig, wirklich zu artig, anhänglich wie keine Geschwister es mehr sein können, so freuten sie sich über die kleine Mama, die ihnen allerlei Niedlichkeiten, lehrte, ihnen Formensinn und Künste beibrachte, deren Eindrücke sie fürs Leben behalten werden; so fingen sie nur an, weil ich ihnen für ihre kleinen Märchen sorgte und auch für ihre Spiele das Nöthigste arangiete. Percy gerierte sich als ihr Beschützer und auch als Lehrer schon oftmals. Mary und ich haben in den letzten Jahren nur unser geistiges Streben und unsere fernere Ausbildung verfolgt. Wir haben gesucht dadurch auch endlich eine erleichterte Stellung zu erlangen, wir haben so rastlos gearbeitet, wie Dus Dir wol kaum denken kannst. Wir haben beide viel, sehr viel drucken lassen, wir haben Anerkennung gefunden, aber wir haben unsere Lage nur wenig erleichtert. Nachdem unser Streben also in dieser Richtung mißlang, haben wir einsehen gelernt, daß eine vorvorläufige Trennung zum besten für die Unsrigen nicht zu umgehen sei. Eine „vorläufige“: nach aller menschlichen Einsicht aber muß ich sie für eine ewige halten. – läufige“ Warum? Trennung ist Trennung – und eine Trennung von ihr, die so kränklich und schwächlich, und auf so weitem Wege – ist für ewig. – Die Veränderung des Klimas; die zeitige Trennung vielleicht wird ihren Tod noch ein wenig länger hinausschieben können – aber sterben wird sie im Laufe einer nicht gar langen Zeit. Ich habe in Mary ein unendlich schönes und liebes Frauengemüth kennen gelernt, das so viel Großes und Edles in sich birgt, daß es verehrungswürdig genannt werden muß. Mögen ihr kleine Fehler und Schwachheiten ankleben, – sie gehören mehr ihrer Nationalität und ihrer Erziehung an, als ihr selbst. – Ich lasse sie nicht ohne tiefes Herzeleid – auch nicht ohne Sorgen allein übers Meer ziehen, aber wenn es sein muß – so muß es sein. Können und sollen wir jede zusammen reisen – ihre Abreise war noch nicht festbestimmt, aber ich glaube der Monat July war doch dafür ausersehn – so wird mir die Sorge erleichtert. – Da wird aber zuerst die Frage laut: Wirst Du nicht den europ. Kampfplatz aufsuchen wollen, je nachdem die Dinge sich gestalten, im Laufe des Jahres und uns lieber hier anstatt abermals weit getrennt haben? Dann: werde ich diese Wartezeit allein mit den Kindern hier verbringen und sie dazu benutzen, die Kinder länger der Wohlthat des europ. Unterrichts theilhaftig werden zu lassen? Werde ich zuletzt von hier scheiden können wie eine rechtliche und ehrliebende Frau, frei von allen Verpflichtungen
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die ich gegen Arzt und Apotheker, Lehrer, Linke, Dr. Hepp, Schabelitz, Duden6 e[tc] als Deine Nachfolgerin hier für Dich und für mich habe? Wird Mr. Booth dazu die Hand bieten? Mary hat treulich darauf gestrebt. Sie glaubte erlangt zu haben durch ihren fabelhaften Fleiß, was hierzu nothwendig war. Wie kann sie gegen Betrug geschützt werden? – Was können wir weiter thun, als was wir gethan haben. Marys ganzes Besitztum in diesem Augenblick sind 30 Dollar. 20 müssen gleich wieder zum Bankier wandern, dafür bekommen wir 30 Franken. – Auf meine Schuldscheine habe ich nur eine Anleihe von je 300 Franken. Werden wir sie einlösen können zur gelegenen Zeit? Außerdem besitze ich noch 50 Doll. die Du mir zuletzt sandtest u. noch einige. Sie verkaufen würde mich in diesem Moment nicht von der Schusterbill befreien u. der Brodbill7. Nun sind die andern alle zu tilgen! Wir leben mehr wie einfach, wir leben sehr, sehr ärmlich – aber wenn wir nur gesund waren u. hatten das Nothwendigste, so waren wir ja zufrieden u. glücklich. Sobald mein Honorar von Leipzig eintrifft – die Cor. sind längst fertig – werde ich im Stande sein uns wieder mit Nöthigsten zu versehen, aber meine Schulden werde ich damit nicht halb los …. dem Nöthig
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 19. April 1864 Mein lieber Fritz! Die schwarze Dinte ist so dick, da benutze ich die besser fließende Rothe. Ich bin so betrübt wegen Maria. In Folge des Herzkrampfes von dem ich Dir schrieb, stellte sich am zweiten Tage heftiges Blutspeien, das zum förmlichen Sturz zu werden drohte ein. Wir ließen so schnell wie möglich einen Arzt holen, der nach homöopathischem System und mit vielem Verständniß wie es scheint, sich ihrer angenommen hat. Sie ist sehr krank und schwach, obwol der Sturz vorüber, wie der Arzt glaubt. Ueber die Folgen desselben soll ich heute Nachmittag seine Prognose hören. Es ist mir als ob ich selbst – aufgehe zu ihm – einen Todesgang zu machen habe. Ich theile Dir meine Noth und meinen Kummer um meine geliebte Freundin unter zitterndem Herzschlagen mit. Ich werde Dir auch gleich die Aussage des Arztes berichten, damit Du Booth davon in Kenntniß setzen kannst. Ich wage weiter zu hoffen. Seit der Schreckensnacht habe ich halbe Nächte an ihrem Bettchen verwacht. Sie schläft nur unter Jammern und Stöhnen und ich bin stets in Angst daß der gräßliche Krampf – schlimmer wie 6
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Zu Thomas J. Linke und Johann Hepp siehe Fußnoten 56 und 3 (Kapitel 3). Mathilde bezieht sich wahrscheinlich auf den Schweizer Verleger, Buchhändler und Kommunisten Jakob Schabelitz und Friedrich Ludwig Wilhelm Carl Duden aus Dortmund, der 1851 nach Zürich übergesiedelt war. Karl Marx, Frederick Engels: Collected Works (New York: International Publishers, 1982), 38: 667; J. Caspar Pfister, Verzeichnis der Bürger der Stadt Zürich im Jahr 1861 (Zürich: Friedrich Schultheß, 1861), 45. Brotrechnung
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der schlimmste Todeskampf – wiederkehren wird. Wenn ich sie hier in die Erde legen müßte, wenn sie ihre liebe Ella, ihre Heimath, nach der sie unendliches Verlangen hat, nicht wieder sähe, was sollte ich machen? Percy ist sehr beschäftigt mit seinen Vorbereitungen als Cadet u. exponierter Schüler. Ich habe eine Schuld von 60 Fr. bereits für Uniform entriert, habe jetzt noch Bücher, Reißzeug anzuschaffen, Schulgeld pr. 30 Fr. einzuzahlen. Ich habe in diesem Monat kaum einen Federstrich gemacht – die Zeit wird wieder ernst: Die Pfändungsgeschichte hängt noch; wenns der Kinder wegen nicht wäre, ich suchte Mary selbst so schnell wie möglich hinüber zu bringen, aber es geht doch nicht daß ich die Pflichten für die in diesem wichtigen Augenblick hinten ansetze. Hiller hat nichts gesandt. Es wird Dir eben so klar wie uns nunmehr geworden sein, daß der Mensch uns schändlich bestohlen hat. Die Consequenzen dieses Diebstahls sind herzzerreißend. Wir wissen daß jeder Bf aufgenommen ist vom Herold, wissen daß es besser wie irgend ein NY. Blatt zahlt. – Sieh zu, was noch zu retten ist, und dann mit Deiner Energie in solchen Dingen, hemme den Spitzbuben zu Gunsten anderer Leute wie Carl8 das Handwerk. Ich werde bei näherer Aufklärung die Sache auch an Lexow mittheilen. Ich gehe jetzt mit Percy zum Schneider – u. mache meinen Gang zum Dr. – die erste Gefahr sei vorüber, sagt Dr. Schilling9; das gesprengte Blutgefäß wie es scheint wieder geschlossen. Der Krampf war der bösesten Natur. An ein Allein reisen mit dem armen Lillychen ist nicht zu denken. Ihr Verlangen nach Ella ist groß; sie hofft Genesung von der Heimathluft. – Eine Erweiterung des Herzens ist bereits da; frei von allem Kummer, von jeglicher Gemüthsaffection, die Krämpfe erzeugen, würde sie aufs Sorgfältigste behandelt und geschont noch eine kurze Zeit, vielleicht auch einige Jahre noch leben können; während eine Reise in den ersten Wochen sie augenblicklich tödten würde. Ich habe sie gepflegt und gehegt wie ein Kind – möge Booth nun das Seinige thun. Die Jahre welche sie mit mir verbracht, rechnet sie zu den schönsten ihres kummerschweren Lebens. Ich darf dasselbe behaupten. Es ist bald Mitternacht, lieber guter Fritz. Mary schläft schon eine Weile aber sehr unruhig. Percy ist seit einigen Tagen wieder recht wohl. Hertha ist ebenfalls frei von Husten. Das hübsche Blümchen hat sie ganz allein gezeichnet u. gemalt. – Von Mutter bekam ich einige liebe Zeilen, ja es war ein langer Bf sogar. Sontag Morgen. Wir hatten eine ziemlich ruhige Nacht mit Mary. Nur Lili trieb mich wieder einige Male aus dem Bette. Das Kind ist so fieberhaft aufgeregt. Percy ist zu Malstunde gegangen, die er in den Ferien hatte u. jetzt nur Sontag Morgens nehmen kann. Er malt drei Stunden lang mit der größten Freude. Wenn der Privatunterricht nur nicht so schauderhaft viel Geld kostete. Du glaubst nicht wie ich mich durchschlage. Die Ausbildung der Kinder aber ist mein Hauptaugenmerk und in dem Ziele kann
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Carl Lachmund. Es war uns nicht möglich, Marys Arzt zu identifizieren.
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ich mehr wie ich selbst glaube. Der Musikunterricht – (jede Stunde kostete 3. Frank oder 1. Dollar) – haben wir auf 6. Wochen stunden müssen. Sie üben aber fleißig ihr kleines klangvolles Saitenspiel und erfreuen uns recht mit den gefälligen Melodien darauf. Es ist wieder schlechtes Wetter. Ich hoffe nicht viel vom Sommer, der uns zur Gesundheit doch so nothwendig wäre. Hepps geht es gut. Vater H. war wieder mal krank aber jetzt heiter u. gesund. Ich empfing das Sontagsblatt mit allen Nummern bis auf die letzte die noch im Rückstand ist. – Ob Brentano wol gerne eine 4. Mal so lange Novelle haben möchte für 100 Dollar. „Uhland in Texas“? Sie ist spannend u. interessant. Ist das Geisterhaus rechtzeitig angekommen? Von Sauerländer10 erwarte ich Antwort. – Lebe wohl lieber Fritz. Grüße Deinen Freund und die Verwandten Deine treue Tilla.
Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke Lansing, 26. April-2. Mai 1864 Meine liebe Mathilde! Leider muß ich die günstigen Nachrichten über Mutter11, die ich Dir in meinen beiden letzten Briefen mittheilte, bedeutend modificieren, wenn nicht ganz wiederrufen. Damit Du ganz klar in der Sache siehst, lege ich Dir den Brief von Emil Weiskirch bei, den ich vor einigen Tagen bekam. Wenn ich es irgend möglich machen kann, reise ich im nächsten Monat nach Milwaukee, um mich selbst von Mutters Zustand zu überzeugen und sie – wenn es nicht anders sein kann – wenigstens noch einmal zu sehen. Über die Mittel zu Deiner Hierherreise kann ich Dir noch immer nichts Bestimmtes sagen. Vom Zahlmeister und von meinem Bevollmächtigten in Detroit höre ich nichts. Dieser Bevollmächtigte, ein interner Freund von Emil12, ist der zuverlässigste Mann in Detroit. Das schlechte Wetter hat uns seit längerer Zeit verhindert, die Fahrübungen mit dem Fuchs fortzusetzen und ihn dem Publikum vorzuführen. Ehe nicht dauernd gutes Wetter ist, wird an keinen Verkauf zu denken sein. 2. Mai. Ich habe den Brief so lange liegen lassen, theils, weil ich noch weitere Nachrichten von Milwaukee erwartete, theils weil ich auf Briefe von Dir hoffte, theils weil ich dachte, mein Gehalt müsse endlich, endlich kommen. Alle diese Hoffnungen und Erwartun10
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Das große Schweizer Verlagshaus druckte den Schweizerboten, Aaraus liberale Zeitung. Corinne Leuenberger, „Der Schweizerbote“, in Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 27. November 2012, https://hls-d\hs-dss.ch/de/articles/043036/2012-11-27/; Patrick Zehnder, „Sauderländer“, Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 16. Februar 2011, https://hls-dhs-dss. ch/de/articles/024705/2011-02-16/. Mathildes Mutter Elisabeth Giesler. Fritzens Bruder Emil Anneke.
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gen waren trügerisch. Von Detroit schreibt Emils Freund, daß der Zahlmeister jetzt Geld habe, daß er aber seine Papiere noch immer nicht habe durchsehen können. Ich kann zwar nichts machen, wenn das Gesindel mich noch länger hinhält, und selbst dann nicht, wenn sie mir gar nichts zahlen. „Such is American liberty.“13 Freiheit der Schurkerei, Spitzbuberei und Niedertrachten ist eine unserer Hauptfreiheiten. Was uns die nächste Zukunft in politischer und militärischer Beziehung bringen wird, ist mir noch nicht klar. Alle Drähte werden in Bewegung gesetzt, um den Maulesel Lincoln wieder ans Ruder zu bringen. Der ganze enorme militärische und CivilApparat der Regierung dient wesentlich nur jenem Zweck. Ich sehe nicht aber, daß da auch nur die entfernteste Möglichkeit vorliegt, einen anderen Kandidaten aufzustellen. Und wenn die Möglichkeit da wäre, wo ist ein ordentlicher Kandidat zu finden? Ein Kandidat, der Bildung und Charakter besitzt, der energisch, scharfblickend und ehrlich ist? Unser ehemaliges Ideal Freemont ist auch ein arger Gauner, der sich von Spitzbuben und Humbuggern14 leiten läßt. Butler15 ist ein Erzspitzbube; Banks, von dem ich lange Zeit viel hielt, ist nicht bloß Knownothing16, sondern hat auch zur Genüge bewiesen, daß seine Energie und sein Talent bei weitem seiner Schurkerei und Niedertracht nicht gleichkommt. Seine militärrischen Operationen sind kopflos; die armen Neger werden von seinen Agenten schlechter behandelt, als von ihren Masters, und gestohlen wird in seinem Department mehr als je zuvor. Es sieht traurig aus in unserer Republik. Die militärischen Erfolge dieses Jahres sind bis jetzt ganz auf Seiten der Rebellen. Wir haben eine Reihe empfindlicher Niederlagen erlitten und mit einem Theile unserer Armeen eine Reihe zweck- und erfolgloser Bemühungen gemacht, die einer moralischen Niederlage gleichkommen. Wie wenig Vertrauen ich auf den Glückspilz Grant habe, schrieb ich Dir schon früher. Er will jetzt versuchen, den Feind auf dem blutgetränkten virginischen Kriegsschauplatz durch eine ungeheure Überzahl zu erdrü-
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„So ist die amerikanische Freiheit.“ Lincolns Gegner unter den Deutschamerikanern wollten John C. Frémont als Präsidenschaftskandidaten nominieren, aber auch Demokraten mit recht anderen politischen Ansichten nahmen an der erfolglosen Frémont-Bewegung teil. Jörg Nagler, Fremont contra Lincoln: Die deutsch-amerikanische Opposition in der Republikanischen Partei während des amerikanischen Bürgerkrieges (Frankfurt: P. Lang, 1984), 208–18. Der von den Demokraten zu den Republikanern gewechselte Generalmajor Benjamin Butler profitierte von seinen Kriegskontakten, aber Fritz bezog sich her wahrscheinlich auf Butlers opportunistische Politik. Chester Hearn, When the Devil Came Down to Dixie: Ben Butler in New Orleans (Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1997), 23–25. Als republikanischer Gouverneur von Massachusetts hatte Nathaniel P. Banks eine Gesetzänderung der Verfassung des Staates befürwortet, wonach Eingebürgerten zwei Jahre lang das Wahlrecht verweigert wird. 1864 war er Majorsgeneral in der Unionsarmee. James Hollandsworth, Pretense of Glory: The Life of General Nathaniel P. Banks (Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1998), 37–38.
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cken. Möglich, daß ihm das Glück wieder, wie so oft schon, zur Seite steht; möglich aber auch, daß Lee ihm die falschen Lorbeeren vom Kopfe reißt. Hier in Lansing dreht sich das ganze Interesse um die Nomination für die nächsten Staatswahlen. Emil namentlich ist ganz davon in Anspruch genommen. Jeder politische Luftzug macht ihn krank. Ist er erst glücklich wieder als Kandidat für sein Amt aufgestellt17, so glaube ich, daß er bald wieder ganz gesund sein wird. Im Fall seiner Wiedererwählung will er mich zu seinem „Deputy“ machen, ein Amt, das etwa $ 1800 einbringt, mit Hülfe von Spekulationen aber einige tausend einbringen kann. Brigade-General Willich, dem ich auf seinen Wunsch einen längern Brief geschrieben hatte, hat mir noch nicht zu antworten beliebt. Er hat Cincinnati wieder verlassen, um das Kommando über seine Brigade wieder zu übernehmen. Das 35. Wisconsin unter Herrn Oberst Orff ist nach St. Louis abmarschiert, um von da zur Armee des General Steele18 in Arkansas zu stoßen. Sonst höre und sehe ich, außer den Zeitungsneuigkeiten, hier fast gar nichts von der Welt. Im Lichte dieses Monats gehe ich jedenfalls nach Milwaukee, um Großmama zu sehen. Herzliche Grüße von Karl19, der im Begriff ist, sich in ein sehr schönes, hellblondes, ganz deutsch aussehendees amerikanisches Mädchen zu verlieben, das in der hiesigen „Academy“ (Mädchenpension) studiert. Grüße auch von Emil und Friedi20, und von mir an Percy, Mary und die Freunde und Freundinnen, Cäcilie Kapp nicht zu vergessen. Dein Fritz.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 9. Juni 1864 Lieber Fritz! Die Koffer Marys stehen gepackt. Aber noch ist kein Schiffs Contract, der schon von 10 Tagen von Booth angekündigt wurde, noch ist kein Wechsel von 100 u. e[twas] $ angekommen. Mary ist in einem kritischen Zustande. Die arme Mary. Mir ist als ob das Herz brechen wollte. Die sanguinischen Voraussetzungen, den Gesandten, oder den Consul gar oder wen sonst zum Begleiter zu haben, sind gerade zu lächerlich. Boo17 18 19 20
Die Republikanische Partei in Michigan nominierte Emil Anneke erneut für das Amt des State Auditor General (staatlicher Rechnungsprüfer, in den USA ein politisches Amt) und er gewann die Wahl. Report of the Pioneer Society of the State of Michigan 14 (1889): 57. Der Berufsoffizier und Generalmajor Frederick Steele. Eicher und Eicher, Civil War High Commands, 705. Carl Lachmund hatte Fritz nach Lansing, Michigan begleitet. Vermutlich Emils ältestes Kind Frederick. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1860), Lansing, Michigan, S. 66, „dwelling“ (Wohnstätte) 504, „family“ (Familie) 511.
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th weiß nichts, wie es um Mary steht; Mary ist ein Kind, die nichts vom Leben und der Welt weiß, die dem Augenblick sich einmal harmlos hingeben kann, um dann in dem andern wieder in schweigsamen Kummer und Resignation stoisch zu verharren, bis eine wirklich liebende Hand sie daraus emporzieht. Ich habe die Nacht wieder voll Angst an ihrer Seite gewacht, da mir wieder Krampfanfälle nahe schienen. Ich habe keine Ruhe sie allein nach Havre ziehen zu lassen. Ottilie21 will mir unsere Kinder hüten – und wäre es mein letztes, ich müßte es zur Reise opfern. Dein lieber Bf ist eben angekommen, der mir sagt, daß die Mittel auch mir zur Verfügung gestellt würden, die es mir ermöglichen Mary zu begleiten. Das ist nun zu spät. Ich darf in der Uebereilung nicht von hier fort. Ich habe erst alles gehörig zu ordnen und habe zuletzt auch wegen Percys Zukunft ernstlich die Abreise in Erwägung zu ziehen. Ich habe mich ergeben in das Schicksal, von Mary fern zu sein, oder sie gar zu verlieren. Mein Leben mit ihr war ein schönes Fragment meines Lebens, und da das Leben überhaupt noch kein harmonisch-Ganzes sein kann – nur aus Fragmenten oder Epochen besteht, so kommt alles darauf an, die Fragmente richtig abzuschließen und sie zum Ganzen aneinander zu reihen. Es geht unsern Kindern wieder recht gut. Ich hoffe der Sommer soll ihnen und mir recht zur Gesundheitspflege dienen. Die Sorgen die ich unablässig um Mary gehabt habe, haben mich nicht zu mir selbst kommen lassen. Ich selbst habe auch Pflege endlich nothwendig. Die „Siegesnachrichten“22 die uns von drüben kommen stimmen mich nicht zum Siegesjubel. Ob es die grausige Schlächterei ist, oder ein Vorgefühl von verhängnisvollem Ende. Ich mag u. kann die Berichte nicht mehr lesen …. Diese Zeilen als fleißigen Gruß. Ich bin in einer Hoffnung auf Deine Mittheilungen von Milwaukee aus, um über meine gute Mutter zu hören. Mein lieber Fritz leb wohl. Deine Mathilde
Mathilde Franziska Anneke an Mary Booth Zürich, undatiert 1864 Marie!23 Still wie der träumerische See da vor mir, ist nun mein Herz: dunkel und ernst wie die blauen Berge vor meinem Auge, liegt die Zukunft mir; der Duft der sie umzieht, 21 22 23
Wahrscheinlich Ottilie Kapp. Siehe Fußnote 71 (Kapitel 1). William Tecumseh Sherman, Gneralmajor in der Unionsarmee, drängte in Richtung Atlanta und General Grant war Richtung Süden durch Virginia unterwegs. James M. McPherson, Battle Cry of Freedom: The Civil War Era (New York: Oxford University Press, 1988), 725–31, 743–49. Dieser „Brief “ war das Vorwort einer nicht fertiggestellten Autobiografie, die Mathilde auf Marys Drängen hin in Zürich schrieb. Mathilde Anneke, unveröffentlichte Autobiografie (1862), Box 5, Ordner 1, Anneke Papers.
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bist Du Marie, mit Deinem wundervollen Lächeln und der Hoffnung auf Lichtstrahlen in diesem Schattenreiche. Das Buch der Vergangenheit willst Du aufgeschlagen haben, meines wechselvollen Lebens Buch! Nimm es hin, wie Du es willst, getreu und wahr. Im Angesicht der ewigen Alpen, die morgen vielleicht wieder in ihrem reinen, weißfunkelnden Glanze in meine stille Zelle blicken, schreibe ich nieder, was ich durchlebt und durchweint habe: sie mögen meine stummen Zeugen sein. Für Dich allein nur ist es, Marie! Franziska Maria.
Mathilde Franziska Anneke an Lili Booth Zürich, 9. Juli 1864 Meine liebe Lili! Wie habe ich mich über Deine schönen Briefchen aus Paris gefreut! Auch das Herthali und sie hat schon viele an Dich wieder geschrieben, die aber gar nicht zu finden sind. – Das weiße Kätzchen ist plötzlich verschwunden, aber das graue liegt meist immer auf meinem Schreibtisch, wie wenn es mir erzählen wollte, die kleine Mama habe es so lieb gehabt. Herr Weiß24 läßt Dich freundlich wieder grüßen und auch Herr Terry25 und die Kinderchen in der Schule. Ich schreibe Dir künftig längere Briefe, jetzt nur bin ich krank, habe immer Fieber. Adieu meine liebe Lilly, grüße mir Ella und die Großmama und alle Deine lieben Tanten von Deiner treuen Mama M F. Anneke
Mary Booth an Mathilde Franziska Anneke New York City, 6. August 1864 (Übersetzung aus dem Englischen) Süße Franziska Maria: Du bist mir aber eine! Du solltest Dich schämen, und überdies Ancient Henry“26 geschickt werden. Was zum Teufel ist mit Dir los? Keinen einzum „Ancient
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Vermutlich einer der Lehrer in Zürich. Vermutlich ein weiterer Lehrer. Ein Verweis auf den Satan, ähnlich wie „Old Harry“. I. W. Scribner, Rozella of Laconia; Or, Legends of the While Mountains and Merry-Meeting Day (Boston: James French and Company, 1857), 113; „Harry,“ OED Online, Oxford University Press, letzter Zugriff am 30 Juli 2020, https://www.oed. com/view/Entry/84383.
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zigen verdammten Brief habe ich von Dir erhalten seit meiner Ankunft in Amerika vor knapp drei [Wochen]! Ich würde mal gerne wissen, was der Grund für so eine Entwicklung sein kann? Ich hoffe wirklich, daß Du nicht krank bist – wie ich es war – aber nun, da Dr. Bronson27 mich behandelt geht es mir zunehmend besser. Nachdem ich eine Woche & einen Tag hier gewesen war, bin ich gestern hoch nach Hartford. Gestern Abend fuhr ich mit dem Boot zurück – und kam früh morgens hier an. Mein Künstler28 reiste mit mir & war entzückt von Janes Schönheit & auch der von Ella, die seiner Meinung nach weit hübscher ist als Lilian & er sagt es sei der wunderbarste Zauber zu spüren in ihrem Gesicht, in ihrer Ausdrucksweise und in ihrer Umgebung. Er sagt sie sei die menschgewordene Poesie. Ich wollte sie mit hierherbringen, aber sie war zu krank, um mitzukommen. Sie wird nie leben & ich sehe sie und denke an sie mit der größten Traurigkeit. Ich war zutiefst enttäuscht hier keinen Brief von Dir vorzufinden. Zwölf andere Briefe warteten auf mich – von allen, die mich einluden, sie zu besuchen. Zuerst einmal einer von meinem Onkel Robert29, der schrieb er sei bei meiner Ankunft in N. York in Saratogo30 gewesen, sonst hätte er mich besucht. Er schrieb auch, er sei dann zu einem Badeort gefahren – da er krank sei. Ich hoffe ihn noch zu sehen, denn ich werde noch eine Woche hierbleiben. Mr. Booth ist erpicht darauf, daß ich gen Westen reise, sobald ich kann, versteht sich. Es wartete ein Brief von Gerrit Smith auf mich, der mich für eine Woche zu sich einlud & sagte er würde eine Kutsche nach mir schicken. Ich denke ich werde fahren. Es war auch ein Brief von Mrs. Gray31 da, die mich, da ihr Mann nun zu hause sei, bat zu kommen & mich einlud sie diesen Winter in Washington zu besuchen. Überall werde ich aufs Liebevollste empfangen – mehr als Du Dir denken kannst und viel mehr als ich es verdiene oder wert bin, wie Du, die weiß daß ich nichts wert bin wißen kann. Auch war ein Brief von Mylas32 Schwester da, den ich Dir beilege & wie Du sehen wirst, ist
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Möglicherweise der in New Haven, Connecticut praktizierende Arzt Henry Bronson. New York Daily Tribune, 27. November 1893. In Marys Briefen finden sich zahlreiche Hinweise auf einen „Mr. Wüst“. Hierbei handelt es sich möglicherweise um den in Frankfurt geborenen Künstler, Illustratoren und Karikaturisten Théodore Wüst, der in den 1870er Jahren bei der Abendzeitung New York Daily Graphic angestellt war. Theodore E. Stebbins, Jr., Kimberly Orcutt und Virginia Anderson, Hg., American Paintings at Harvard, vol. 2, Paintings, Watercolors, Pastels, and Stained Glass by Artists Born 1826–1856 (New Haven, Conn.: Yale University Press, 2008), 454. Wir konnten keinen in Frage kommenden Robert Corss oder Robert Humphrey finden, aber vielleicht handelt es sich hier um eine entferntere Verwandtschaft. Saratoga im US-Bundesstaat New York liegt etwa 300 Kilometer nördlich von New York City. Auch wenn es hierfür nicht ausreichend Nachweise gibt, könnte Mary möglicherweise Jane Lathrop Loring Gray gemeint haben, die ihren politisch aktiven Ehemann Asa Gray bei der botanischen Forschungsarbeit an der Harvard University unterstützte und regelmäßig in Washington D. C. war. A. Hunter Dupree, Asa Gray: American Botanist, Friend of Darwin (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1959), 177–89, 403, 413. Wahrscheinlich Myla Fletcher. Siehe Fußnote 41 (Kapitel 4).
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ihr Mann tot. Ich habe ihr gerade geschrieben. Mr. Booth und Mr. Rose in Hartford33 sagen meine Gedichte haben schrecklich was gekostet. Sie müssen jeweils für einen Dollar & einen halben verkauft werden, um die Kosten zu decken – & das das reicht nur für die Kosten ohne einen Cent Gewinn. Die Abgaben & Eilzuschläge waren entsetzlich hoch. Mr. Lippencott34 in Philadelphia hat Mr. Booth des Buches wegen geschrieben und es in den höchsten Tönen gelobt & wie zu erwarten war: er will es neu veröffentlichen. Mehrere Verleger wollen das – & ich werde bald von einer Firma hier Angebote dazu erhalten. Alle sind entzückt von den Gedichten & wollen mehr Originale in der nächsten Ausgabe. Ich habe sehr entschieden gesagt, daß kein amerikanischer Verlag in Frage käme, aber sie sagen es könne nicht in Europa verlegt werden, denn es würde sollte, würde mich auch gut sich so nie auszahlen – & wer auch immer es hier verlegen sollte bezahlen. Sag mir, was ich tun soll. In meinem nächsten [Brief] werde ich Dir von dem Angebot schreiben, welches ich bis dahin haben werde – vermutlich von einem Verleger in N. Y., nämlich das Buch bis Weihnachten in Blau & Gold erscheinen zu laßen. Soll ich das zulaßen? – Ich will Mr. Schmitt35 gegenüber nicht ungerecht sein – dem ich so viel verdanke[.] Ich werde sehen was sich machen läßt bezüglich dem Vorhaben meine Kinderkapitel in Buchform herauszugeben. Mr. Plumb hat Kinkel36 Mrs. Farnhams wundervolles Buch „Woman & her Era“ nach Heidelberg geschickt.37 Er wird erkennen, daß es das großartigste Buch dieser Art ist, von dem er je gehört hat. Es erschien in zwei Bänden. Mr. Plumb wird ein monatliches Magazin herausgeben namens „The Friend of Progress“38, für das er mich als Beiträgerin angeheuert hat. Ich denke er wird die besten Autoren gewinnen können & sie gut bezahlen & daß wenn sich das Magazin nicht halten kann, es eingestellt werden kann, denn er wird keine freien oder billigen Dinge oder dergleichen akzeptieren. Der „Herald“ hat nur die Hälfte meiner letzten Briefe verwendet. Die Zeitung war so voller Kriegsnachrichten & schuldet mir noch was ausgenommen von 8 Korrespondenzen. Die „Independent“ hat mich bezahlt – Mr. Tilton39 persönlich, der ganz ohne 33 34 35 36 37
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Wahrscheinlich Abraham Rose, ein Buchhändler in Hartford, Connecticut. US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1870), 2te Ward, Hartford, Connecticut, S. 6, „dwelling“ (Wohnstätte) S. 51, „family“ (Familie) S. 49. Joshua Lippincott war Marys US-amerikanischer Verleger. Siehe Fußnote 15 (Kapitel 3). Carl Schmitt, Marys deutscher Verleger und Franziska Hammachers Schwager. Siehe Fußnote 23 (Kapitel 4). Gottfried Kinkel. Siehe Fußnote 72 (Kapitel 1). 1864 publizierte die Gefängnisreformerin Eliza Wood Farnham Woman and Her Era. In diesem Buch argumentiert sie, Frauen seien Männern überlegen. W. David Lewis, „Farnham, Eliza Wood Burhans“, in Notable American Women, 1607–1950: A Biographical Dictionary, Hg. Edward T. James (Cambridge, Mass.: Belknap Press of Harvard University Press, 1971), 2: 598–600. C. M. Plumb gab das spirituelle Monatsmagazin „The Friend of Progress“ [„Freund des Fortschritts“] nur knapp ein Jahr lang heraus. Der Dichter und Abolitionist Theodore Tilton war Herausgeber der kongregationalistischen Zeitung New York Independent. Richard Wrightman Fox, Trials of Intimacy: Love and Loss in the Beecher-Tilton Scandal (Chicago: Chicago University Press, 1999), 179–212.
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Frage ein angenehmer Mann ist. Er sagt er werde ein gutes Wort für mein Buch einlegen, sobald er es in die Hände bekäme.40
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 6.–12. September 1864 Mein lieber Fritz! Dein letzter Brief ist vom 20. August. Von Mary empfing ich in dieser Woche drei. Sie erzählt mir Schritt vor Schritt den sie macht. Wie aber ihr inneres Leben mit dem äußern Schritt hält, das werde ich nicht recht gewahr. Andernfalls wirst Du sie jetzt sehen oder schon gesehen haben, denn Booth war zuletzt da, um zu lecturen u. dann sie mitzunehmen41. Sie wollte nur auf 14. Tage u. dann wieder East zurückkehren, um auf Rath der Aerzte in New York zu bleiben. Es mag in mancher Bezeichnung für sie wol das Beste sein. Sorgsame Freunde – denn Freunde findet das liebenswürdige Kind ja überall – werden sie wol halten, das ist mein Vertrauen. Ueber ihren Zustand scheint sie mir etwas klarer geworden zu sein. Ich hab nämlich tiefes Stillschweigen beobachtet, weil ich fürchtete, das Wort würde sie tödten. Mary ist nämlich – von der Epilepsie Dir; (Booth wird’s vielleicht ja auch wissen). Das Wort ist befallen. Ich sage das nur Dir genug, um Dir den ganzen Inbegriff ihres und unsers Leidens zu geben. Sie wußte es nicht, als sie fort von mir ging, ich und der Arzt nur wußten hier davon. Jetzt scheint mir, als ob der dortige Arzt ihr Kenntniß davon gegeben. Sie verschweigt es mir im Umgehen des Worts, aber ich kann es mir erklären. – Ich würde das Mittragen dieses Leidens keine Tage länger ausgehalten haben. Es geht mir jetzt ziemlich gut mit meinen lieben Kleinen. Zwar gefällts uns nicht recht mehr in „Obstgarten“, in dem wir kein Obst kaufen können für Geld u. gute Worte; aber wir hoffen ein bescheidenes Asyl doch endlich uns zu finden, näher der Stadt. Im Ganzen sind wir sehr homesick. Von Dir keine „fröhliche“ Kunde – Du verknöcherst in dem heimlichen Kreise. Mich macht das so traurig, wenn ich Dich Krieg führen sehe, mit und wegen elenden Tractatjungfrauen. Nichts wie eine uralte Leyer, die immer auf derselben Seite abgespielt wird und die Leute immerfort spielen werden, bis endlich alles dies zusammenbricht. Ich laß sie nun ruhig fort mit dem Spielwerk machen, ich komme mir lächerlich gar vor, wenn ich nur daran denke zu opponieren. Wahrhaftig zur Schmach sei es gesagt, daß der größte Theil der Bücher die Percy in der I Kl[asse] nothwendig anschaffen mußte, Bibel, bibl. Geschichte, Gesangliches e[tc] e[tc] waren. Daß er Gott weiß was für Kirchengesänge lernen muß, anstatt eine
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Entweder beendete Mary diesen Brief abrupt oder die letzten Briefseiten haben nicht überlebt. Tatsächlich kehrte Mary nie nach Milwaukee zurück.
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Ballade. Was würde mirs helfen Krieg zu führen? Der arme Junge würde als Opfer für die „Thorheit seiner Mutter“ von seinen eigenen Schulmeistern vielleicht bemitleidet, aber nur schließlich zugeschickt werden. Der scheußlichste Blödsinn ist auch hier obligatorisch. Nevermind. Ich nehme den Windmühlenflügelkampf nicht mehr auf; mags bleiben so holdselig wies will. – Herthachen hat wieder vieles loszuwerden. „Ich weiß nicht warum Du immer über den lieben Gott lachst, die andern Leute doch gar viel auf ihn halten u. alle Bücher voll von ihm sind.“ Als ich ihr sagte, daß ihre lieben Schulmeister, worauf sie – da sie auch ganz tüchtig sind – ungeheure Stücke hält, ihr nur Schulbücher in die Hände geben, in denen von ihm die Rede sei, so könne sie die andern, in dem das Gegentheil stehe, nicht kennen. Auf die ist sie nunmehr sehr begierig. Sie schreibt gerade ein Briefchen an Dich, das ist zum todtlachen. Ihre Ideen sind alle selbstständig original. So lebendig auch ihre Phantasie, so fest ist nebenbei ihr Wille. Wie sich die Kinder drüben in die Verhältnisse und gänzlich verschiedenen Anforderungen das mal wieder zurecht finden werden, das weiß ich nicht. – Wie mir es wieder ergehen wird, nachdem ich mich in das europ. Leben so eingelebt und meine „Sphäre“ wieder behauptet habe? Wie Du auf die Dauer mit den dortigen Zuständen einigermaßen nur Dich feindlich stellen wirst – das Alles sind Fragen, die wol bald zu erwägen sein werden. Das Bild das Du in den letzten Jahren entwirfst von Verhältnissen u. Menschen dort ist sehr dunkel. Du bist nicht elastisch genug manches Unabänderliche auf die leichte Schulter zu nehmen, es abzuschütteln und dann wieder frohen Muthes einzutreten. Platens42 Worte zur Beherzigung: – wer aus voller Seele haßt das Schlechte Auch aus der Heimath wird es ihn verjagen Wenn dort verehrt es wird vom Volk der Knechte. – Weit klüger ists dem Vaterland entsagen Als unter einem kindischen Geschlechte Das Joch der Kunstschaft für das noch zu tragen. Wüßte ich etwas über Dein inneres Leben, das Du seit langer Zeit vollständig vor mir zugeknöpft hältst, wüßte ich etwas über die Pläne der Zukunft so wäre es ein Leichteres für mich einzutreten; Dir mit Vorschlägen e[tc] e[tc] an die Hand zu gehen. Daß das Verhältniß in Lansing, ebenso wol Deinem guten, schwachen Bruder gegenüber als auch der niedrigen Seele seiner Frau Dich auf längere Zeit sehr unzufrieden, ja unglücklich machen würde, das war vorauszusehen. Es ist das stets mein Unglück gewesen, daß Du gemeine Naturen mir vorgesetzt hast, und während Du mich immer unterschätzt, jene so weit, weit überschätztest. Wo Du mehr geliebt wurdest wie von mir, 42
Der deutsche Dichter und Dramatiker Karl August Georg Maximilian, Graf von Platen-Hallermünde (1796–1835), legte sich bekanntermaßen mit Heinrich Heine und anderen Dichtern der Romantik an und verbrachte den größten Teil seines Lebens in italienischen Städten. Max Koch, „Platen-Hallermünde, August Graf von“ in Allgemeine Deutsche Biographie (1888), 26: 244–49.
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wirklich geschätzt und wirklich erkannt von schönern Menschen wie ich – da bin ich freiwillig und gern immer zurück getreten ohne jene Eifersucht, die mir oft ungerecht zum Vorwurf wurde. Wo ich aber Deine Verirrungen in dem Erkennen von Menschen, wo ich sah Dich im Bann gehalten, in Fesseln die Deiner so unwürdig waren, da bin ich sehr unglücklich und elend gewesen. Das ist nun vorüber. Ich kann Dir liebend und mahnend zur Seite stehen, aber meinen Stolz kann ich nicht mehr opfern und Dir gestatten Andere mir vorzuziehen, die es nicht werth sind. Du wirst das freilich nach wie vor thun, mich immer falsch und hart beurtheilen, niemals meiner Individualität, die nun mal sehr weit aus dem gewöhnlichen Kreise sich herausgerungen hat, Rechnung tragen, und ich werde nichts, nichts dagegen machen können, wollte ich es auch noch einmal versuchen mich meiner ganzen Eigenthümlichkeit zu entäußern – aber das will, das brauche ich Dir hinfort nicht mehr zu gestatten, daß es mich namenlos unglücklich und elend macht. Du hast in mir immer noch das alte treue Herz, das Dich kennt, Dich liebt und Deine Eigenschaften, die guten; hoch verehrt. Aber dies Herz hat nach langer Probezeit endlich seine Unabhängigkeit wieder erlangt, und die will ich mir nun hinfort zu bewahren streben um Deiner und um meiner Freiheit willen …. Ich wollte Du könntest in diesem Augenblick dem allerliebsten Zitherspiel unserer Hertha zuhören. Sie spielt das Mailüfterl43 mit solcher Sicherheit und Klarheit und mit so viel Geschick daß Du Dich wundern würdest. Ich finde überhaupt daß Hertha seit Lilis Fortgehen viel hübscher sich zur Geltung bringt und sich allerliebst entwickelt. Auch Percy ist so wacker und lieb. Ich war selbst beim Rektor Jetschton44 vor wenigen Tagen um malauf den Grund gewisser Klagen zu kommen, da habe ich mich aber recht Character, Wissen Wissen, das Alles wurde hochgeprievon deren Unhaltbarkeit überzeugt. Character sen – nur die vielen Straftaten, das war die Klage. Woher aber die kommen? – Die Consequenz dieser nähern Fermittelung war – von der Laune seiner Lehrer, u. allerdings auch einiger maßen von seiner Vergeßlichkeit u. Nachlässigkeit in äußern Dingen. Von diesem abgesehen, konnte ich mich vollständigst zufrieden geben. Jedermann hat den Jungen sehr gern, weil er auch ein so glückliches Aeußere hat. Nämlich war der älteste Sohn Kapps hier, der Bruder Caciliens. Der hatte einen förmlichen Narren an ihm gefressen. – Nachdem Du nicht wieder ins Feld gehen willst hat es keinen Sinn mehr, daß Du Dich länger dem Glück enthältst Deine Kinder bei Dir zu haben, nicht wahr? … Deine alte Mathilde
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„Mailüfterl“, komponiert von Joseph Kreipel (1853), Text von Anton von Klesheim. James M. McLaughlin, Intermediate Song Reader (Boston: Ginn and Company, 1904), 70; Alexander Rausch, „Kreipel (Kreipl), Josef “, in Oesterreichisches Musiklexikon Online, letzte Änderung am 6. Mai 2001, https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_K/Kreipel_Josef.xml. Es konnten keine weiteren Informationen zum Rektor gefunden werden.
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Cäcilie Kapp an Mathilde Franziska Anneke Undatiert 1864 Sonnabend früh 11 Uhr
Dein Brief liegt da – Warum hast Du ihn geschrieben? Ich verstehe ihn nicht – er hat mich nur Kälte zittern gemacht; seit 7 Uhr, da ich ihn las, bis jetzt bin ich nicht aus dem Zittern heruntergekommen – doch werd ich versuchen es zu überwinden, denn was vermöchte nicht der Mensch? – vom Größten wie vom Geringsten lernt er sich entwöhnen – denn ihn besiegen die gewalt’gen Stunden – Kalt u. farblos liegt es da das Leben, das jüngst noch leuchtete in den glühendsten Farben. – „Und nie u. nimmer willst Du mehr ungerecht sein gegen Eine – selbst in Gedanken nimmermehr“ – Gott behüte – nein, um Gotteswillen nicht ungerecht – Wenn die „Eine“ Mary ist, so beruhige Dich – Du bist nie ungerecht gegen sie gewesen mir gegenüber – auch nie treulos – auch nie auf dem Wege dazu; – willst Du, so bekräftige ich es ihr mit einigen heiligen Eiden. Sie ist die Glückliche. – – sollst – wenn Und „sollst?“ – Nein, Du sollst nicht kaufen ein mein Herz“ – nicht sollst sollen – Du sollst nicht sollen. Ich Du’s nicht magst u. willst – Du brauchst nicht zu sollen denke die – Deine Liebe würde mich vergiften, wenn Du solltest, weil Du gerade in dem Moment nichts Besseres hast. Tauche in Mary’s Herz – Ach, hat es je Dich so geliebt wie – aber nein – ich liebe Dich nicht auch komme ich nicht zu Dir mehr, Du rufest mich denn – – – – –
Cäcilie Kapp an Mathilde Franziska Anneke 21. September 1864 Du bist Dir immer so gleich in Deiner harmonischen Stimmung! Ewig dieselbe reizende Liebenswürdigkeit, die keine Ermüdung u. keinen Schatten kennt. Ich beneide sie Dir seit 4 Jahren aber ich werde nie dahin gelangen. Was kam heute über mich u. hielt mich gefangen? Etwa Deine interessanten Rückblicke u. eine stürmische Vergangenheit? Die Erinnerung an all die Liebe, die Dir gegeben, an Liebe, die Du genommen? Nein, das Alles fesselte mich mehr, wie irgendetwas nur im Stande ist mich zu fesseln – es war das, was ich Dir schon öfter nannte – eine Todestraurigkeit, die sich wie eine dunkle Wolke über mich legte – Und warum? Weil Du so wunderschön bist – Schön bist u. geschmückt u. reich wie je ein Weib es auf Erden ist und war – Dein Herz strahlt oft so betäubenden Duft aus auf das meinige, daß ich meine vergehen zu müssen weil all mein Lieben nicht ausreichen wird Dich zu erfassen u. fest zu halten und glücklich zu machen – Das ist die Todestraurigkeit, die ich sonst nirgend gekannt habe weil vielleicht sonst ich kühn u. stolz u. siegbewußt gemacht war u. mir keine Zeit gelassen wurde todestraurig zu sein. Laß mich weinen, Mathilde, und nimm meinen Kopf in Deine Hand – ich glaube, ich bin krank – – ich sage nicht: mach’ mich ge-
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sund – denn Du kannst nicht anders sein als Du bist, Du bist himmlisch u. einzig u. so lind und bezaubernd, daß es nicht in eines Menschen Gewalt ist reizender zu sein. Ich sage nur: Habe Geduld! – Gute Nacht – die lindernden lösenden Thränen kommen – ich wollte es wäre das Blut meines Herzens, das ich für Dich vergießen könnte. Liebe Mathilde, liebe geliebte Mathilde!
Fritz Anneke an Mathilde Franziska Anneke St. Louis, 19. Dezember 1864 Meine liebe Mathilde! Noch immer nichts von Dir, weder Neueres, noch Älteres, vielleicht verlegtes oder verschlepptes. Ich schicke Dir heute die Secunda des Wechsels von 640fr., dessen Prima ich mit meinem vorigen Briefe per Preußische Post absandte. Von dem Aufsatz kann ich nur einen einzigen Bogen nachfolgen lassen, weil ich zu beschäftigt war, um Beschäftigung zu finden und durch die endlich gefundene schon zu sehr in Anspruch genommen bin. Die Details aller meiner Laufereien kann ich Dir nicht erzählen; sie würden Dir auch nicht interessant genug sein …. Ich bin jetzt für 10 Tage mit Aufnahmen des Census für einen kleinen Distrikt der Stadt St. Louis beschäftigt. Für jeden Namen wird 1 ½ Cent bezahlt. Außer den Namen ist aber auch Nationalität, Alter, Gewerbe, Hautfarbe, Hausnummer, bei Kindern Schulbesuch, ferner Naturalisation oder nicht, etc. aufzuschreiben. Eine weitere Beschäftigung habe ich in einem Engagement für den „Neuen Anzeiger des Westens“ zum Schreiben von militärischen Artikeln gefunden. Dänzer 45 ist Eigenthümer und Redakteur. Das Blatt ist das bestendigste in St. Louis, ist aber Erz „Copperhead“46; …. Dänzer hätte mich gern als Mitredakteur gehabt; allein es versteht sich von selbst, daß das nicht geht.47
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Carl Dänzer, Achtundvierziger aus Baden, belebte 1863 in St. Louis den Anzeiger des Westens wieder (für kurze Zeit hieß das Blatt auch Neuer Anzeiger des Westens) als konservative gewerkschaftliche Zeitung. In Leitartikeln akzeptierte er die Sklavenemanzipation als vollendete Tatsache, wehrte sich aber gegen weitere Anstrengungen Afroamerikaner zu unterstützen und die Meinung der Konföderierten zu neutralisieren. Alison Clark Efford, German Immigrants, Race, and Citizenship in the Civil War Era (New York: Cambridge University Press, 2013), 95; Zucker, Forty-Eighters, 285. Ein abwertender Begriff für die Demokraten in den Nordstaaten, die den Bürgerkrieg sofort beenden wollten. Dies hätte bedeutet, dass die Sklaverei nicht abgeschafft worden wäre. Jennifer L. Weber, Copperheads: The Rise and Fall of Lincoln’s Opponents in the North (New York: Oxford University Press, 2006). Vielleicht weil Fritz die finanziellen Mittel fehlen in eine Zeitung zu investieren oder weil er andere politische Ansichten hatte.
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Von Mary noch keine Antwort. Kapp48 schreibt, das neue Blatt in New York werde nicht vor März oder April 1865 erscheinen, ich habe nichts damit zu thun; Cluseret 49 sei seines Wissens schon als militärischer Redakteur engagirt; indeß könne ich vielleicht bei der Redaktion ankommen, und er werde seiner Zeit mein Interesse wahrnehmen. Ich schicke heute mit derselben Post, mit der der Brief geht, ein „dramatisches Gedicht von Friedrich Schnake50“ an Dich ab, der sehr lobend besprochen worden ist … Ich hatte keine Zeit, es zu lesen …. Den lieben Kindern mein herzlichster Gruß und Kuß. Dein Fritz.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Zürich, 24. Januar 1865 Mein lieber Fritz! Nach langem Sehnen und Harren endlich zwei Briefe auf einmal; jenen vom 19 Dezb. mit der prächtigen Photogr[aphie] von Carl und Emmy51, dem Sec[unda] Wechsel und diesen vom 4. Jan. Ich danke Dir für die Erlösung aus peinlicher Ungewißheit. Wie kannst du denken, daß mich Deine Entscheidung in Betreff meines Planes und Vorschlags unangenehm berühren würde. Nur in so fern als eine Hoffnung auf eine Verbesserung unserer Verhältnisse damit untergeht – aber wenn meine Hoffnung eine unbegründete war, so kann ich ja nur froh
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Friedrich Kapp. Siehe Fußnote 60 (Kapitel 4). Ein französischer Militäroffizier, der auf der Seite der Linken aktiv war und in ganz Europa an nationalistischen Aufständen teilgenommen hatte. Er diente kurze Zeit als Brigadegeneral im US-amerikanischen Bürgerkrieg. Alban Bargain-Villeger, „Captain Tin Can: Gustave Cluseret and the Socialist Lefts, 1848–1900“, Socialist History 46 (2015): 13–32. Friedrich Schnake, Unabhängigkeits-Erklärung der Vereinigten Staaten von Amerika: Ein dramatisches Gedicht (St. Louis: Christian Fr. Lammers & Co., 1864. Schnake war ein fast gänzlich unbekannter deutschamerikanischer Autor, der in Missouri in der Unionsarmee gedient hatte. Rudolf Cronau, Drei Jahrhunderte deutschen Lebens in Amerika (Berlin: Dietrich Reimer, 1909), 496; US-amerikanischer Zensus, Bevölkerungstabellen (1880), St. Louis, Missouri, S. 411, „dwelling“ (Wohnstätte) 66, „family“ (Familie) 209; US-amerikanischer Zensus der Unionsveteranen und der Witwen des amerikanischen Bürgerkrieges (1890), Omaha, Nebraska, S. 3, „dwelling“ (Wohnstätte) 312, „family“ (Familie) 343. Carl Lachmund und Emilie oder Emily („Emmy“) Schmidtill, die Tochter der Schwester von Fritz, die im Begriff war Lachmund zu heiraten. Die beiden hatten sich kennengelernt als Fritz bei Ankunft in St. Louis zunächst bei den Schmidtills gewohnt hatte. In manchen Quellen wird Emmy fälschlicherweise Fanny genannt. Fanny war jedoch der Name von Lachmunds zweiter Frau. „St. Louis Marriage Records, vol. 12 (1865–1867),“ S. 8, FamilySearch, letzter Zugriff am 30. Juli 2020, (https://familysearch.org/ark:/61903/3:1:3QS7-898M-BQBF?cc=2060668&wc=ZMYJ-T3 8%3A352318101%2C1583592801; Henriette M. Heinzen und Hertha Anneke Sanne, „Biographical Notes in Commemoration of Fritz Anneke and Mathilde Franziska Anneke“ (1940), unveröffentlichtes Manuskript, Box 8. Ordner 1–2, Anneke Papers.
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Abschied
sein, daß Du nach weislicher Prüfung und Ueberlegung des Planes die Entscheidung triffst. Ich bin Deinem ruhigern Ermessen ja immer gerne gefolgt und habe nie einseitig gehandelt. Das wirst Du mir zugeben können. Und so ist es auch jetzt, lieber Fritz, ich füge mich und hänge Gedanken und neuen Idealen nach. Das Ende Deines interessant begonnenen Aufsatzes habe ich nun noch nicht gelesen, ich antworte Dir nämlich gleich. Heute werde ich ihn noch an die Allgemeine senden. Ich freue mich sehr auf deine milit[ärischen] Artikel – Du weißt ich habe Dir immer so gerne zugelauscht, wenn Du mir von Deiner Wissenschaft erzählt hast. Nun ich Dich nicht hören kann, werde ich um so lieber sie haben beim Lesen. Die Blätter (ich meine die am. Zeitungen mit Bremer Post) sind noch nicht ausgegeben; das Gedicht Schnake ich habe es längst in am[erikanischen] Ztg. angekündigt gevon „Friedrich Schnake“ – sehen – aber hier zu Lande nicht erfahren können, ob es von unserm alten Ahasuerus52 sei. Er war in Münster wie ich dort war. Natürlich in den wenigen Stunden die ich dort war habe ich ihn nicht gesehen, er ist außer sich darüber gewesen. Ich bin sehr begierig darauf. Um so mehr als ich auch längst einen am[erikanischen] Stoff für ein episches Gedicht zurückgelegt hatte. Ich will nun der Belletristik wieder ernster mich zu wenden, nachdem Du und ein besseres Geschick vielleicht es nicht erlauben wollen, daß die leidige Correspondenzarbeit mir den letzten Todesstoß giebt. Ich will meinem „Sturmgeiger“ wieder zujauchzen und ihm Vollendung verkündigen. Man fängt hier zu Lande an auf mich zu hoffen. Gestern empfing ich Bf von Gräfin Hatzfeldt, worin sie mich wiederholt auffordert ihr einen Nachruf (poetischen U. B.) an Lassalle53 zuzusenden für das Buch, das sie und seine Freunde ihm widmen u. das Aufklärung über die letzten Tage seines Lebens geben soll. Es wird viel Aufsehen machen, wird es doch mit Ungeduld erwartet. Aber eben weil es zu viel Spektakel macht, und ich – oder besser meine Muse – ein scheues singendes Waldvöglein bin, so schweig ich. Sie besteht darauf daß mein Name unter denen seiner Freunde sei. Ich habe für den Denker – seine letzten 12. Schriften kenne ich zumeist – große Hochachtung gehabt. Die Gräfin appellirt an meine Freundschaft, ihr die nächsten Monate zu widmen. Gewiß soll ich mit ihr in Bädern verweilen, so hätte sies gern aber ich kann nicht. Sie ruft alle guten Geister an, fleht mich bei der Wohlfahrt für meine Kinder, bei der gründlichen u. bessern Erziehung für Percy, den sie so gerne hat, an, nicht nach Amerika zu ziehen, während des Krieges. Aber ich muß fort von hier, von Zürich. Ich muß andere Eindrücke haben, muß andere Luft schöpfen, vielleicht daß ich körperlich wohler werde. Ich bin krank. Die Gicht hat sich im ganzen Oberkörper herausgebildet und ob ich jemals
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Der Name wird mit dem „ewigen Juden“ oder auch „wandernden Juden“ einer Legende aus dem deutschsprachigen Europa um 1600 in Verbindung gebracht. George K. Anderson, The Legend of the Wandering Jew (Providence: Brown University, 1965), 50. Lassalle war am 31. August 1864 seinen Verletzungen aus einem Duell erlegen, welches er initiiert hatte, nachdem ihn eine Frau zu Gunsten eines anderen Verehrers abgewiesen hatte. David Footman, Ferdinand Lassalle: Romantic Revolutionary (New York: Greenwood Press, 1947), 230–39.
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von ihr wieder befreit werde? Ich habe böse Nächte und Tage gehabt; heute scheint die Sonne und dann geht’s mir wohler. Wir haben 2–3 Fuß Schnee in der vergangenen Woche gehabt; da hat es mir recht schlimm ergangen. Ich leide innerlich. Einen Arzt gebrauche ich natürlich nicht. Ich erwärme die Brust mit heißen Steinen; u. da wirds bisweilen besser. Die Arme sind oft wie gelähmt. Kluge Leute wollen behaupten, es würde mit den Jahren anders werden. Ganz gewiß! Als deine Briefe ankamen, kamen noch eine Menge andere. Von Cäcilie insbesondere ein Brief, in welchem sie mich bestürmt, doch das schlechte Zürich augenblicklich zu verlassen. Sie hat mich den ganzen Winter hindurch immer zu bereden gesucht, zum Vortheil für mich und für die Kinder, zu ihr54 zu kommen. Sie ist in einer Pension, einem Institut, das aus verschiedenen Gebaulichkeiten besteht; in dem einen nichts wie feine Kostgänger, meist Frauen, die beschäftigt sind u. ihre eigene Haushaltung nicht führen. Das eigentliche Institut ist eine Knabenschule, in der 120. Zöglinge sind; dem Cäcilie alle Bewunderung zollt u. als außerordentlich geeignet für Percy hält, um so mehr, da wenn ich auf ihre Vorschläge einiginge, gewissermaßen gar nicht getrennt von dem Jungen wäre. Sie glaubt sie würde für einen ermäßigten Preis ihm einen ersprießlichen Aufenthalt dort verschaffen, etwa für 20 bis 25. Fr monatlich: Für mich würde der Aufenthalt 68 Fr. monatlich betragen. Für Hertha ermäßigt. – Cäcilies Situation ist jetzt eine sehr angenehme. Sie hat 6. Nachmittage in der Woche einer Tochter der Herzogin von Riviere55 Unterricht und Aufsicht zu ertheilen und erhält dafür monatlich 140. Franken. Sie will nun noch für Morgens eine Beschäftigung haben, um ihre Rente zu vergrößern. Sie verlangt nur, mich in ihrer Nähe zu haben, u. mich pflegen zu können, wie sie es ja schon mit so vieler Liebe gethan hat, als ich vor 2. Jahren so krank war. Sie wachte Nachts bei mir. Jetzt verlangt sie absolut von mir Resolution, ob ich nach Paris kommen werde. Andernfalls sei sie in die böse Nothwendigkeit, aus Liebe zu mir, versetzt, wieder nach Zürich zu kommen. Du bist in Deinem Briefe nicht gegen den Plan, aber ich hatte zuvor noch gerne in Betreff Percys die Ansicht gehört. Wie werden die Eindrücke dieser bedeutenden Stadt auf ihn wirken? Werden sie seine geistige Entwicklung und deren edlere reine Richtung hemmen, oder sie wohlthuend wirken? Kommt die Frage in dem abgeschlossenen Institut nicht so sehr in Betracht? Welches Department soll er wesentlich frequentiren? Das industrielle u. comerzielle? Das christliche einstweilen? Ich stehe da so wortlos u. weiß nicht was zu machen. Zunächst denke ich mir von Cäcilie genau das Budget aufstellen zu lassen, und darauf – weil gerade ein paar Zimmer im andern Monat frei in dem Hause werden – die Abreise festzusetzen. Wie ich mit den Gläubigern hier fertig werde, davon habe ich keinen Begriff….
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Nach Paris. Möglicherweise Stéphanie de Riffardeau (geb. de Crossé), Ehefrau des Herzogs de Rivière, allerdings waren deren Kinder zu der Zeit beinahe im Erwachsenenalter. M. Borel d’Hauterive, Annuaire de la Noblesse de France (Paris: Bureau de la Publication, 1857), 137.
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Abschied
Immer aber beschleicht mich eine große Aengstlichkeit in Paris mit den Kindern ohne Mutter zu sitzen. Hier bin ichs schon gewohnt und im Grunde habe ich doch großes Vertrauen hier bei den Leuten, absonderlich in der Gemeinde Hottingen, in der ich Niederlassungsrecht habe. Aber der der Nebel und die Cilly56 treiben mich fort von hier. Auch die Kinder, abgesehen von dem Vortheil für ihre Ausbildung und Erweiterung ihres Gesichtskreises, verlangen mal aus der einjährigen ländlichen Einsamkeit heraus zu kommen. – Ich bin so zaghaft und unentschlossen geworden. Ich möchte vor Allem nichts thun, was den Kindern nicht nützlich. Einen Tag für sie verlieren, einen Centimes nutzlos ausgeben, mache ich mir zum großen Vorwurf. Solltest unsern hübschen blühenden Percy sehen, eine schöne Gestalt im blauen Waffenrock mit blanken Silberknöpfen – u. nun mit seiner Uhr – stolz wie ein König! Er hat eine allerliebste Manier sich auszudrücken, in der Welt der Wörter, als auch in dem bestimmten Ausdruck seines Gedankens. Im Rechnen u. Mathematik muß er allen seinen Mitschülern in der II. Kl[asse] überlegen sein. An Länge ist er fast den Professoren über die Köpfe gewachsen. Er sitzt oben an u. wird daher „Oberst Anneke“ genannt. Herthachen ist ein ungemein kluges, wißbegieriges, liebes Kind, der Liebling Cäciliens. Seit Wochen sucht es consequent in einer franz. Sprachlehre zum Selbstunterricht zu studieren. Damit hat es die engl. Schrift gelernt, das es eine Freude ist. Wenn sie die Buchstaben nicht in voller Schönheit erreicht u. denkt die meinigen seiens noch lange nicht, so ist sie böse auf sich selbst. Du würdest nicht satt werden können der Kinder. Es schmerzt mich stets, wenn ich Rede u. Antwort stehen soll, namentlich Percy in den mir vollständig unbekannten Wissenschaften der Physik oder was es ist, über Dinge, die ich nicht kenne, das eingestehen zu müssen. Davor würde ich allerdings auch in Mons[ieur]57 Carres Institut bewahrt bleiben. Was ist zu thun? Ja, ich frage, u. wenn Du antwortest wird schon gehandelt sein. Aber „probiers auf einen Monat“ sagt Cacilie! Ich manövrier langsam der atlantischen Reise zu, das ist recht. – Zur Berichtigung meiner Aufstellung von Oblig[ationen] und dem darauf bei Pestalozzi gemachten Darlehen habe ich einen Schreibfehler begangen, worauf auf einen Posten nicht 103. vielmehr 203. Fr. mir geliehen sind. Im Ganzen also unsere Anleihe sich auf 2103. Fr. herausstellt. – Können wir das Kapital so walten u. hast du Hoffnung daß die Finanzen sich setzen so bleibt uns in diesem das Mittel der Rückkehr. Ich hoffe, es war Dir so angenehm anstatt das 10/40. die Currency zu erhalten ….58
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Cäcilie Kapp. Möglicherweise das Institut de Carré-Demailly auf der Rue du Rocher nahe der Champs-Élysées. Didot-Bottin, Annuaire-Almanach du Commerce, de l’Industrie, de la Magistature et de l’Administration (Paris: Didot Freres, 1859), 1161. 1864 autorisierte der amerikanische Kongress 10/40-Anleihen, für die man 5 Prozent in bar erhielt, wenn man sie innerhalb von 10–40 Jahren einlöste. New York Times, 22. April 1864.
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Hertha schlägt ihre Saiten und spielt mit einem lustigen Ländler die muffigen Geister hinweg. Solltest sie doch mal spielen hören. Das werde ich sehr beklagen, ihren bisherigen zwar theuren aber vortrefflichen Musiklehrer entbehren zu müssen. Am andern Tage. Der Sturm heult und ich hab die Nacht mit dem Sturm und die Wette geklagt. An Schlafen war nicht zu denken. – Die Existenzfrage in Paris – wie wol sie schwerer sein mag – und die Schuldenfrage hier macht mir so viel Noth, das ich nicht weiß was zu thun. Ich kann mich nicht entschließen – und doch die Zeit winkt heran – ich werde wol kühn sein müssen. Ach ich bins auch, wenn ich ohne diese Schmerzen bin, da sind die Blätter gekommen. Ich erkenne Dich in den zwei milit. Artikeln: „Der Vandalismus“ und „200,000 mehr!“ Das dramatische Gedicht ist nicht von unserm Schnake. Der ist ruhig wandern von einem Ort zum Andern in Deutschland. Der Verfasser lebt zu in St. Louis, den wollte ich ausmitteln. Grüße für Deine ganze Familie. Unsere Kinder sind gesund und sehr lieb. Sie grüßen und küssen Papa. Glaubst Du, daß das Gold eine Zeit lang den steten hohen Preis behalten wird? Ich habe Pestalozzi noch gar nicht gesprochen, ob er geneigt ist, die Summe länger stehen zu lassen, ich kann bei dem Regen und Schneewetter nicht ausgehen, ohne die größte Gefahr. Ist Ida59 immer recht gesund? Das Gesichtchen von Emmy ist ein ungemein liebes und ansprechendes. Carl hat sich dem Bilde nach verändert. Gieb ihnen meinen Glückwunsch. Seit Wochen hatte ich keine Nachricht von drüben. Jetzt kommt alles auf einmal. Ich danke euch für jede Sendung. Mary schrieb mir auch sehr lieb nach einer Excursion, die sie am 23. Dzbr. zu Fanny nach Newark gemacht. Leb wohl, leb wohl. Deine Mathilde. Grüße meine Mutter
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Fritzens Schwester Ida Schmidtill.
Kapitel 7 Neuanfänge Februar–August 1865
Das letzte Jahr des amerikanischen Bürgerkriegs war für Mathilde und Fritz eine Zeit der Neuanfänge. Im ausgehenden Jahr 1864 war Fritz nach St. Louis gezogen, wo er für den (Neuen) Anzeiger des Westens arbeitete und sich dadurch auch politisch in eine andere Richtung bewegte. Im Gegensatz zu den meisten Achtundvierzigern sprach man sich in dieser Zeitung gegen die Rechte von Afroamerikanern aus und gegen Maßnahmen der Republikaner, Sympathisanten der Konföderierten unter Kontrolle zu halten. Mary und Mathilde jedoch waren nach wie vor von der Republikanischen Partei und Abraham Lincolns Führungsstärke überzeugt.1 Als Mary die Feierlichkeiten zu Ehren von Lincolns zweiter Amtseinführung in ihren Briefen beschrieb, besuchte sie gerade Mathildes erwachsene Tochter Fanny in Newark, New Jersey. Allerdings verbrachte sie ihre letzten Monate vorwiegend in privaten New Yorker Kliniken, umgeben von männlichen Verehrern. Mathilde war nach Marys Tod am 11. April 1865 untröstlich, hatte jedoch auch bereits begonnen, neue Zukunftspläne zu schmieden. Von Februar bis August 1865 lebten Mathilde, Percy und Hertha bei Cäcilie Kapp in Paris. Kapp arbeitete dort als Gouvernante und die Kinder gingen in Paris zur Schule. Mathilde begann mit den Vorbereitungen für die Eröffnung ihres Milwaukee Töchter-Instituts, eine ihrer bekanntesten Errungenschaften. In ihrer Schule wurde einer kleinen Gruppe von Mädchen, die meist aus wohlhabenden deutschamerikanischen Familien stammten, innovativer Unterricht geboten. Mathildes Erziehungsarbeit in einem Institut, das Mädchen zur Selbstständigkeit und zur Stärke erzog, stand ganz im Einklang mit ihrer Überzeugung, dass es die sozialen Umstände waren, die Frauen von der Gleichberechtigung abhielten. Zurück
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Mathilde an Franziska Hammacher, 17. Januar 1864, in „Ich gestehe, die Herrschaft der fluchwürdigen ‚Demokratie‘ dieses Landes macht mich betrübt …“: Mathilde Franziska Annekes Briefe an Franziska und Friedrich Hammacher, 1860–1884, Hg. Erhard Kiehbaum (Hamburg: Argument Verlag mit Ariadne, 2017), 202.
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in Milwaukee setzte Mathilde Anneke ihren Kampf für das Frauenwahlrecht fort und wurde zu einer der führenden Frauenrechtlerinnen im US-Bundesstaat Wisconsin.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Paris, 14. Februar 1865 Mein lieber Fritz! Den letzten Brief aus der Schweiz (mit 50 Dollars Currency u einem Bf an Mary) wirst Du bekommen haben. Ich sagte Dir, daß wir Dir gleich von unserm Umzug Nachricht geben wollten. Seit Sonnabend sind wir in den Mauern von Paris. Wir reisten am frühen Morgen des Tages, – es war kaum drei Uhr von unserem „home“ ab. Die Frau Müller unsere Wirthin pflegte uns noch mit warmem Frühstück, packte uns während eines kalten plötzlich eintretenden Schneegestöbers gut ein und gab uns ihren besten Segen mit auf den Weg. Auch unser Mädchen bewies noch rührende Anhänglichkeit. Die Kinder waren sehr heiter über den Umzug nach Paris. Vor dem Hauenstein2 regte sich noch einmal ihre Liebe und Bewunderung für die schönen Schweizerthäler u. „Schneeberge“. Die Schneelandschaft war nämlich reizend – dann gings durch den schaurigen Tunnel und weiter durch Basel auf der französischen Bahn und endlich in das traurige oede Frankreich hinein. Percys Beurtheilung des Landes, seine Verwunderung über die gänzlich vernachlässigte Kultur hier, seine Reflexionen über die Einrichtungen in einem Kaiserreich und einer Republik – die ihm einleuchtenden Thatsachen, daß ein elender Kaiser nichts für das Land und die Menschheit thue, sein frischer Humor – – alles das, würde Dich unendlich erfreut haben an unserm lieben Jungen. In der Schweiz hatten wir einen geheitzten Waggon, aber in dem traurigen Frankreich nicht; wir fuhren nämlich auf der billigen Klasse. Die Kinder litten mir arg von der Kälte, aber ich hüllte sie gut ein, pflegte sie mit Wein, Wurst, Eiern und Brod, dann um Mittag, schien auch die Sonne in unsern kleinen Kerker – wir hatten die ganze Reise über einen Wagen für uns allein – Percy der wieder auflebte machte den maitre de plaisir u. so kamen wir glücklich Abends 10. Uhr auf dem Bahnhof de Strasbourg 3 in Paris an, woselbst die gute Cilly uns in Empfang nahm und gleich in die Pension entführte, in der wir unser kleines Quartier Alles recht gut u. comfortabel fanden. Die Pension der Familie Carré besteht also aus einem Knaben und einem Mädchen-Institut. Im Letztern bin ich mit Hertha eingezogen. Es ist ein geräumiges zwischen Gärten und Bäumen belegenes Haus mit welchem die Schulgebäude in Verbindung stehen. In dem Haupthause wo ich auch wohne, sind die Speisesäle der jungen Mädchen u. die Wohnungen einiger stillen Frauen und Lehrerinnen. Dasselbe wird von den Töchtern der 2 3
Bergpässe im Norden der Schweiz. Heute bekannt als Gare de Paris-Est. Harper’s Guide to Paris and the Exposition of 1900 (London: Harper and Brothers, 1900), 50.
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Neuanfänge
Familie mit einer Dirne Frida u. verschiedenen Lehrern vorgestanden. Das Erstere das Knabeninstitut ist eine Straße entfernt von hier, und wird von Herrn und Madame Carée, gediegenen Leuten dirigirt. Es sind über 100 Knaben und unsere Lehrer darin. Percy ist gleich eingetreten und zwar mit vieler Lust. Hertha ist sofort in die Klasse mit aufgenommen. Sie bleibt natürlich bei mir und ist nicht mit den übrigen Mädchen in den Schlafsälen; sonst macht sie Alles mit durch; spricht englisch und deutsch mit den verschiedenen Kindern u. Lehrerinnen und ist sehr stolz darauf schon seit zwei Tagen „französisch“ geschrieben zu haben, wobei der Lehrer sein großes „tres bon“ geschrieben u. ausgesprochen. Für die Kinder ist eine neue Welt aufgegangen. Ueber die Lehrgegenstände, über die Studien von Percy werde ich Dir mehr mittheilen, nachdem ich heute erst eine Consultation mit dem Director gehalten habe. – Ueber den Finanzpunkt habe ich Dir folgendes mitzutheilen. Wir haben für Percy monatlich 67. franken praenumerando für mich und Hertha 150. zu zahlen. Darin is alles inbegriffen Wohnung, Kost, Wäsche. Ich kann jeden Monat, also mit jedem 12. des Monats das Verhältniß lösen: Du mußt nun sehen, lieber Fritz, wie Du uns monatlich diese Mittel zukommen ließest. Ich habe nach erstem Ermessen u. nach Prüfen und Suchen überall nichts Zweckmäßigeres für mich und die Kinder einstweilen ausfinden können. – Ich habe für den Monat gezahlt, habe aber unsere Kisten noch nicht, die einzulösen ich kein Geld mehr habe. Ich muß mich bevor ich an großen Erwerb denken kann, erst etwas erholen; suchen von der Gicht befreit zu werden und meine Observanz den Kindern zu widmen. Cacilie hat ihre Pension hier auch im Hause, geht aber jeden Tag zu einer Herzogin v. Riviere u. Marquise Beaufort4 dort zwei Töchter zu unterrichten. Sie hat ein ganz hübsches Einkommen und angenehme Stellung, aber es ist nicht für lang. Ich höre Hertha eben unter meinem Fenster mit den kleinen niedlichen Französinnen spielen und tanzen; es ist Spielstunde. Wie froh wird das Kind wieder unter Kindern; es neigt ja doch so sehr zum Tiefsinn hin. – Und nun seine Wißbegierde – französisch zu sprechen, englisch lesen zu lernen – befriedigt wird, ist es ja ganz glücklich. Auch Percy wird ein anders Lebensziel vor Augen gesteckt. In Zürich ergab er sich förmlich neben den gute Dingen auch solchen, die seinen Character bald umgestaltet hätten u. ich bei meinem fortwährenden Kranksein konnte nicht mit ihm fertig werden. Er hatte ewigen Streit mit den Mädchen, commandierte ihr, ärgerte sie und Hertha, wie lieb er diese auch hat – kurz er war der rechte Junge in der Flegellei. Jetzt hat er mal eine Weile sich an Ordnung u. Folgsamkeit zu gewöhnen. – Ich hoffe u. wünsche lieber Fritz, Du billigst mein Thun nicht nur – sondern freust Dich mit mir über das glückliche Zusammentreffen. Denke Dir, meine liebe Cilly hier, mein Herthachen hier u. doch in einem guten Institut, den Percy nicht von uns entfernt u. seinem Ziel gestrenge entgegen gehend – –
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Möglicherweise die Ehefrau von Charles-Napolèon Brandouin de Balaguier, Marquis of Beaufort d’Hautpoul (1804–1890), der jedoch keine überlebenden Kinder hatte. C. d’E.-A., Dictionnaire des Familles Francaises Anciennes ou Notables a la Fin du XIXe Siècle (Évreux: Charles Hérissey, 1907), 6: 362.
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Um nun gegen Verluste so viel wie möglich geschützt zu sein, mußt Du in Obligationen das Geld senden. Auf mich lieber Fritz kannst Du einstweilen gar nicht große Rechnung machen. Ich will arbeiten u. erwerben was ich kann. (Im Bund5 habe ich wieder eine Novelle) die letzte wurde mir ganz anständig honoriert,) aber es ist die Zeit, die für unsere Kinder benutzt werden muß. Sprich Dich vor Allem doch schleunigst über die Richtung die Percy in seinen Studien einschlagen soll aus. Einstweilen habe ich endlich die franz. u. englische Sprache Geschichte, da das Studium auch jenes der Sprache unterstützt und Mathematik vorgesetzt, bis Deine Entscheidung kommt, glaube ich bleiben wir dabei. – Mittwoch Wir sind heute drei Tage hier und ich kann Dir noch soviel sagen, daß unsere Einrichtung hier als die zweckmäßigste u. glücklichste erwächst, die wir treffen konnten. Auf die physische Entwicklung unserer Zwei wird sie vom besten Einfluß sein. Die Kost ist so vortrefflich den Kindermägen angemessen; sie sind so zufrieden und fröhlich über das herrliche Fleisch, über die Confectüren und das Obst das Ihnen in Hülle und Fülle geboten wird. Hertha sitzt unter den kleinen Mädchen u. wird poussiert. Sie spricht mit den meisten Englisch. Schreib mir doch umgehend. Ich eile zum Schluß, weil nach der Post gesandt wird u. der Bf noch fort soll mit dem nächsten Steamer. Morgen Nachmittag hat Percy frei und es ist ihm gestattet bei seinem Schwesterchen und uns zu sein: – Geld habe ich keins mehr. Die Kisten werden in den nächsten Tagen kommen. Leb wohl lieber Fritz; grüße mir alle unsere Lieben. Die Cilly ist sehr lieb und wie ein Engel gegen unsere Kinder. Mich wolle sie auch schon pflegen soll ich Dir sagen. Schreib ihr mal nächstens. Adieu, Adieu. Deine Mathilde
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Paris, Februar 1865 Mein lieber Fritz! Percy fängt schon ganz hübsch an sein Französisch zu sprechen, während Hertha mit hartnäckiger Consequenz bei ihrem Englisch und Deutsch bleibt. Die Lehrerinnen im Institut sprechen alle neben ihrem französisch auch die englische Sprache – auch 5
Eine liberale Schweizer Zeitung. Ernst Bollinger, „Der Bund (Zeitung)”, in Historisches Lexikon der Schweiz, letzte Änderung am 7. September 2019, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles /024773/201907-09/.
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Neuanfänge
die englisch redenden Kinder im Pensionat hat sie sich herausgepickt – und so bleibt sie dabei. „Ich bin ja auch ein amerikanisch Kind;“ sagt sie, wozu soll ich französisch lernen. – Ich kann auch aus meinem Urdeutsch nicht herauskommen. Gestern Abend war ich mit Cäcilie zu einem Vortrag von Alexander Dumas6. Es war mehr Neugier als Wißbegier von mir, den Mann zu sehen. Er sprach über das Thema des Tages: Julius Caesar7. Ich verstand nichts; mehr hingegen von einer begeisterten socialen Rede, die ein flammender junger Socialist hielt über das ewige Thema: la femme. Als die Vorrede zu dem kaiserl Werk, das noch nicht erschienen ist 8, bekannt wurde, habe ich das seltsame Aktenstück gleich für die Ill. Staatsztg übersetzt hingesandt. In der That eine verwegene Herausforderung hin – ob der Autor „des Märzen Idus“9 nicht fürchtet u ob seine Wahrsager ihn nicht gewarnt haben? Dies Frankreich ließe sich zu viel der Schmach bieten, ertrüge es das! Wo wären alle die Gedanken seiner Geister von ehemals, wenn das darin aufgestellte Princip man als das richtige gelten ließ! …. Den Tag über bin ich stets allein. In den Pausen, – die sind 10 Uhr Morgens 12. bis 2. und 4. Uhr – besucht Hertha mich. Wenns mir gar zu oede wird, hole ich sie mir auch oft aus den Klassen heraus. Sie läßt ihre junge liebenswürdige Lehrerin, die ein wenig Deutsch gelernt nicht gerne, aber ich trage doch den Sieg. Cäcilie geht um 10 Uhr schon nach ihren Marquisen und Herzogen, bei denen sie Stunden giebt und kehrt nach 6. Uhr erst wieder heim. Es ist kein beneidenswerthes Loos auf dem Pariser Pflaster als Privatlehrerin. Sie verdient nicht ganz 200 Fr. monatlich. Das deckt eben die Toilette und Kostgeld. Ein Institut in Amerika ist das Ziel ihres Strebens. Du hast keine fernere Auskunft gegeben. Wenn unsere Abreise in diesem Jahre stattfinden soll, so rechnen wir auf den Monat August dann würde ich ja auch vielleicht meine Mutter noch am Leben treffen?! Sie schreibt mir daß Milwaukie sehr für eine Töchterschule in diesem Moment sich eigne. Cäcilie ist eine gründlich gebildete Lehrerin, die könnten sich in Milwaukie gratulieren, aber aufs Gerathewohl. – Ich bin sehr glücklich sie zur Freundin zu haben und daß sie mich lieb genug hat, mir übers Meer hin zu folgen. Vorgestern Abend war ich zu einer Soirée geladen, wo-
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Der erfolgreiche und bekannte französische Schriftsteller war nur kurz in Paris in dieser Zeit, in der er durch ganz Europa reiste. Viel Zeit verbrachte er vor allem in Italien und war ein Befürworter der italienischen Einheit. Claude Schopp, Alexandre Dumas: Genius of Life, Übers. A. J. Hoch (New York: Franklin Watts, 1988). Louis Napoleon stellte bekannterweise ein Buch fertig zum Vermächtnis des römischen Kaisers. E. Richardson, „The Emperor’s Caesar: Napoleon III, Karl Marx and the History of Julius Caesar“, in Graeco-Roman Antiquity and the Idea of Nationalism in the 19th Century: Case Studies (Berlin: De Gruyter, 2016), 113–30. Siehe vorherige Fußnote. Julius Caesar wurde am 15. März ermordet.
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selbst ich Bamberger10, den Du wol kennst aus 48er, seine Frau und Szarvady 11, den bekannten Journalisten u. Frau kennenlernte. Bamberger läßt Dich herzlich grüßen. Ich bin zu ihnen geladen, werde hingehen, um auch mit gediegenen Deutschen ein wenig zu verkehren. Ich weiß Du achtest ihn als solchen. Hertha springt aus der Klasse herbei; sie habe die franz. Noten im Nu erlernt, nun soll ich Dich fragen, ob sie nicht auch Klavierstunden haben solle. Ich ließ sie augenblicklich beginnen, wenn nur der Kostenpunkt nicht schwere Sorge machte. Ihre Zither spielt sie zu aller Leute Unterhaltung. Schade daß man hier den Unterricht nicht haben kann. Die Kinder sind auffallend wiß- und lernbegierig, Hertha besonders…. Wenn der Nothstand aufhört, wird leider auch Zeit und Gelegenheit aufgehört haben nützliche Aenderungen an die Erziehung u. Ausbildung der Kinder zu legen. Das werde ich dann ewig beklagen. Vielleicht wenn die Sorgen aufgehört, hältst Du es für geeignet noch ein Jahr oder halbes länger mit ihnen in Europa zu bleiben. Ich warte darüber Deine Entscheidung ab, die Du um so leichter geben kannst, da das Eintreffen dieses Briefes zu einer Zeit sein wird, wo die Ereignisse schon vorgeschritten sind. Uhland in Texas“ Texas der Roman ist zur Hälfte abgeschrieben. Wüßte ich nur, wie ich das „Uhland [Manuskript] senden soll? Ich höre Sontagsblatt der Staatszeitung12 ist nicht sehr günstig über das Geisterhaus hergefallen. Mary schrieb mir. Mary hat ein sehr günstiges Engagement für ihre Gedichte mit Lipincott in Philadelphia getroffen. Sie schreibt es ebenfalls. Wie sie stehen mag mit ihrem “Artisten13“ –. Wenn ihre Gesundheit zurückkehren sollte, wie sie die Hoffnung hat, so wird sie sich vielleicht vermählen? Ich denke so. Sie hatte das immer vor. Als Fatalistin behauptete sie dem Schicksal nicht entgehen zu können. Wenn es sie nur glücklich macht, so ist schon alles recht. Ihr harmloses Existenzsuchen bei irgendwelchen Individuen, die ihr in den Wurf kommen, hat für mich viel Schmerzliches gehabt. Vielleicht hat sie Berechtigung dazu. Für ihre Demuth und Lieblichkeit darf sie von den Menschen vieles wieder zurückfordern. – Das ist freilich eine Anschauung die im gewöhnlichen Leben nicht gang und gäbe ist – aber zu der man sich wol emporschwingen darf, bei einer andern als der gewöhnlichen Betrachtung der Dinge. Es ist ein so furchtbares Wetter hier, daß ich kaum dann und wann einmal eine Stunde finde, auszugehen. Die Kinder treffens mit ihren Freistunden dann auch sehr ungelegen. Ich muß für Percy einen neuen Anzug kaufen. Trotzdem ich ihn gut im Kleide noch habe, gehts nicht, denn sein Wachsthum ist mehr wie kohlartig. – Der Aermel seiner Uniform, – er trägt immer noch die des Cadetten – geht ihm 10 11 12 13
1848 war der deutsche Bankier ein Republikaner gewesen, aber er begann später Bismarcks Nationalismus anzunehmen. Theodor Heuss, „Bamberger, Ludwig“, in Neue Deutsche Biographie (1953), 1: 572–74. Der Schriftsteller Frigyes Szarvady (1822–1882) war ein ungarischer Achtundvierziger und Emigrant, der eng befreundet war mit Lajos Kossuth. Robert R. Ivany, „The Exploited Émigrés: The Hungarians in Europe, 1853–1861“ (PhD diss., University of Wisconsin – Madison, 1980), 144–47. Wahrscheinlich der New-Yorker Staats-Zeitung. Siehe Fußnote 93 (Kapitel 2). Theodore Wüst. Siehe Fußnote 28 (Kapitel 6).
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bis an den Ellenbogen & ich darf es nicht länger ansehen u. muß 40 Fr. sogleich zum Palais royal14 tragen, woselbst es die billigsten Anzüge geben soll. Billiger wie in Zürich, wo ich 60 Fr. mindestens zahlte. – Wir freuen uns schon wieder auf Morgen Sontag, wo der Percy schon um 8. Uhr bei uns ist. Er wollte mir ein Briefchen Für Dich mitbringen. – Dann sende ich diese Zeilen ab. Jetzt will ich noch die Illinois Staatsztg u. die Billets meine Artikel schreiben. Leb wohl, leb wohl. Ich befinde mich wieder besser, habe ein lustiges Feuerchen im Kamin. Ich hoffe daß es Dir gut ergeht. Grüße an die Unsrigen. Deine Mathilde …. Cäcilie grüßt Dich aufs Herzlichste. Cher papa, je t’embrasse de tout mon coeur.15 Hertha.
Mary Booth an Mathilde Franziska Anneke Newark, 3.–4. März 1865 (Übersetzung aus dem Englischen) Süße Franziska Maria! Ich gehe nun zu Bett, aber zuerst muß ich Dir noch Gute Nacht sagen, und Dir erzählen, wie es dazu kam, daß ich nun hier bin. – Dr. Greves16 hat mich diesen Nachmittag aus New York hierhergebracht, um sich mit einer sehr berühmten scharfsichtigen Ärztin zu beraten, deren Ehemann ebenfalls ein Doktor ist und ich wußte nichts davon, werde aber ein paar Wochen lang hier zu Besuch und in ihrer Behandlung bleiben, und so kam ich entsprechend vorbereitet hier an, aber es wird nicht erforderlich sein. Sie sagt ich sei tatsächlich sehr krank und wenn es so weiterginge und ich bei meiner gegenwärtigen Gesundheit in diesem Klima bliebe, würde ich im Monat Mai sterben – sie sagte aber es sei nicht nötig – und daß Dr. Greeves mich immer jeden Tag mit Magneten behandeln müße17. Er sagte ihr er lebe zu weit entfernt und habe die Zeit nicht, aber sie sagte er müße sich diese Zeit 14 15 16 17
Diese Gegend nördlich des Louvre beheimatete im 19. Jahrhundert überdachte Einkaufspassagen. Jonathan Conlin, Tales of Two Cities: Paris, London and the Birth of the Modern City (Berkeley: Counterpoint, 2013), 74–75. „Lieber Papa, ich drücke Dich von ganzem Herzen.“ Wir konnten diesen Arzt nicht identifizieren. Eine vermeintliche Heilungsmethode, bei der durch Berührung das magnetische Feld von Personen verändert werden soll. Die Methode entstand im 18. Jahrhundert in Deutschland und wird auch „animalischer Magnetismus“ oder „Mesmerismus“ genannt. John C. Gunn, Gunn’s Domestic Physician (Cincinnati: Moore, Wilstach, Keys & Co, 1861), 349–63.
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nehmen er müße einfach – denn es sei seine Pflicht und da sagte er zu. Ich sagte nehmen, ihr, Dr. Bronson behandle mit Magneten und lebe im Haus, aber sie sagte das reiche nicht aus und er dürfe mich nicht anrühren. Sie sagte ich müße schnell aus diesem Klima heraus und erzählte dem Doktor es sei seine Pflicht mich nach Kalifornien zu bringen. – Er wußte nicht, wie er das diesmal bezahlen solle, aber sie sagte, das sei nicht die Frage – er müße – und er sei ein Jahr früher ein reicher Mann wenn er es täte, obwohl sie nicht klar sehen konnte, warum es immer noch so war und er bereits gewünscht hatte es zu tun & nun auch würde, falls er es irgendwie könnte. Sie sagte, wie alle Ärzte es tun, daß ich am Wendepunkt des Lebens angekommen sei & daß ich noch viel zu jung sei. Morgen sind es drei Monate seit ich zuletzt eine „Periode“ hatte und sie war sehr unregelmäßig seit ich von Dir fort bin & ich habe allerschlimmstes Nasenbluten. Letzte Woche hatte ich wieder zwei Anfälle in einer Nacht. Sie dauerten jeweils nur eine halbe Stunde. Mr. Wüst war beim ersten Anfall mit mir allein und der Doktor & die ganze Familie waren beim zweiten da, der morgens auftrat. Auch sie kommen von diesen Schwierigkeiten mit meinem Alter. Dr. Greves benimmt sich mir gegenüber wirklich engelsgleich – er ist wundervoll und ich bin mehr und mehr erstaunt über ihn. Er hat mich hierher zu Fanny gebracht. Sie erholt sich gerade selbst von einer Krankheit mit Blutverlust – von beiden Seiten. Sie sieht so bleich wie ich aus und kann nicht laut sprechen. Sie hat zwei Ärzte – einen amerikanischen & einen deutschen. Dr. Greves sagte sie könne nun bald aufstehen – alles was sie wolle seien Stärke und eine glückliche Gesellschaft und er sage er sei ihrer und ihrer Gesundheit wegen froh, daß ich ein paar Tage bei ihr bliebe. Er war sehr zufrieden mit ihr und den Kindern. Ich sagte ihm ich würde Sonntagabend nach hause gehen und er sagte wenn er mich nicht abholen könne, würde er Mr. Wüst nach mir schicken oder jemanden aus dem Haus. Fanny ist sehr glücklich über meinen Besuch. Ich soll Dir liebe Grüße von ihr ausrichten. Gute Nacht – Deine Mary 4. März 1865. Samstagmorgen. Heute ist der Tag der Amtseinführung des Präsidenten. Fanny sagt sie fühle sich heute schon sehr viel besser und stärker. Ich habe uns zum Abendessen Auster-Pfannkuchen gemacht, die Fanny und mir sehr gut geschmeckt haben. Es ist entsetzlich wie sehr diese furchtbare alte Frau sie mit ihren Lügen gequält hat. Ich wünschte, Du könntest die kleine Paula sehen18, die einfach ein perfektes Abbild von Dir ist, und daher natürlich ein wirklich wunderschönes Kind. Ich wünschte, sie sei deines, wie es auch sein sollte. Alle wären zufrieden. Die anderen sind kein Vergleich, aber Mathilde ist wunderbar und lieb und sehr hübsch. Der Junge ist nichts besonde18
Fannys Tochter Paula starb 1866. Mathilde an Franziska Hammacher, 8. April–5. Juni 1866, in Ich gestehe, die Herrschaft der fluchwürdigen ‚Demokratie‘ dieses Landes macht mich betrübt, Hg. Kiehnbaum, 236.
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res, jedoch sehr angenehm und freundlich und bereitet keine Schwierigkeiten. Mathilde denkt an nichts anderes als an Lillians nächsten Besuch, der während ihrer Ferien kurz nach ihrem Geburtstag stattfinden wird. Meine liebe Mama 19 Marie wird Dir wohl von meiner Krankheit geschrieben haben dieβmal bin ich mit sehr kurzer Noth dem Tode entronnen ich habe einen so furchtbare Blutsturz gehabt das die Aerzte behaupten noch selten so etwas gesehen zu haben und nicht begreifen können was mich am Leben erhalten, ich bin jetzt aber wieder ganz munter und nur schrecklich schwach gehen kann ich fast gar nicht die gute Marie will mich aber außfahren[.] Marie und ich sind jetzt sehr gut beisammen, Du würdest Dich gewiβ freuen wenn Du uns sähst. Liebe Mama ich kann nicht mehr! Morgen mehr. ….
Mathilde Franziska Anneke an ihre Schwester Johanna Weiskirch Paris, 30. März 1865 Liebe Johanna! Mein Gruß zum schönsten Frühlingsfeste wird für unser gutes Mütterchen kaum noch zeitig eintreffen. Ach ich habe ja schon seit Jahren bei dem Festreigen ihrer Kinder gefehlt und es müßte mir fast zum Troste gereichen, daß sie mich beinahe nicht mehr vermissen wird, wenn ich nicht die Hoffnung hätte, sie in diesem Sommer vielleicht wieder zu sehen. Ja mich und meine Kinder treibt es zur Heimath wieder, die in unserem Gemüthe stets am Michigan See festgehalten wurde. Ich will nicht so weit ausholen und Dir gestehen, daß ich auf den Vorschlag von Fritz, nach St. Louis zu ziehen, nicht eingehen kann. Mein Leberleiden würde mich tödten dort. Ich wünsche selbstständig in einer Stadt mich niederzulassen, in der ich vereint mit Cäcilie Kapp arbeiten und meine Existenz sichern kann. Es wäre dies für mich möglich in Europa, allein zum besten der Kinder die nicht wie die Mutter den Fluch der Heimathlosigkeit tragen sollen, kehre ich mit ihnen in ihr Vaterland zurück. Ich kehre zurück, weil ich dort meine lieben Lebenden und meine unvergeßlichen Todten habe. Willst und kannst Du mir beistehen durch Rathschläge für meine zukünftige Stellung die ich mir im Verein mit Cäcilie Kapp zu gründen hoffe, womöglich in Milwaukie. Die Errichtung einer „Ladies Academie“ würde ich zwar lediglich Cäcilie überlassen und mich nur dabei bethätigen so weit ich nützlich ware. Jedenfalls aber
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Mathildes Tochter Fanny Störger fügte inmitten von Marys ursprünglich englischsprachigem Brief einen Absatz auf Deutsch hinzu.
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würden wir zusammen unser „home“ haben. Ich würde nebenbei meine liter. Arbeiten fortsetzen und nachdem ich Percy versorgt, das Nöthige zum Leben für Hertha und mich erschwingen können. Die Fragen in Betreff des Instituts hast Du wol die Güte schnell möglichst zu beantworten. Dabei natürlich etwaige Vorschläge zur Unterstützung des gemeinnützigen Werkes, wobei Ihr Mütter ja Alle besonders interessirt sein müßt, uns zu geben. Der anliegende Bf an eine ehemalige Bekannte Cäciliens, Frau Quentin20 bitte ich Dich, womöglich selbst zu übergeben, um nicht nur die Frau – die ich durchaus nicht kenne – aber wahrscheinlich als Begüterte Einfluß hat – mit ins Interesse zu ziehen, vielmehr uns ihre Unterstützung und insbesondere auch sofortige Antwort zu versichern. Cäcilie hat die gediegensten Kenntnisse. Sie spricht nicht nur alle drei Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch sehr fließend sondern versteht auch Italienisch, spielt Klavier, kurz ist eine bedeutende Erscheinung und was das meiste eine erfahrene Pädagogin, auf welche Requisition man in Milwaukie schon stolz sein könnte. Warum ich bei dem Unternehmen im Hintergrunde bleiben möchte ist, weil vielleicht meine radikalen Ansichten nicht förderlich erscheinen dürften, Cäcilie aber praktisch und klug genug, den gemäßigten Weg einzuschlagen. Sie ist keineswegs wie ich, eine Heidin, vielmehr ziemlich religiös, doch so, daß es mich im engern Freundschaftsverkehr nicht unangenehm erscheint. Meine Übersiedlung von Zürich hieher, hatte zunächst die Ausbildung meines Percy in der franz. Sprache zum Grunde. Das Kind macht mir sehr viel Freude. Gestern ließ der Director des Instituts mir sagen, daß er noch niemals einen Zögling gehabt habe, der so gründlich, so schnell und so rein die franz. Sprache als Fremder erlernt habe. In einigen Monaten ist er fertig mit ihr. – Meine ganze Hoffnung geht darauf hinaus, Percy augenblicklich in eine praktische Lebenscarriere zu bringen, damit er nicht ins träumen und philosophiren über Unglückssterne e[tc] e[tc] kommt. Vielleicht wenn der Weg offen und gebahnt liegt, wird Fritz nichts dagegen einwenden; vielleicht – oder wahrscheinlich gar, nicht gestatten wollen, daß er in die Erwerbspraxis wie ein Amerikaner eintritt. Es würde mir entsetzlich sein, wenn ich mich von dem Knaben insofern trennen müßte, als in St. Louis die Lehranstalten gepriesen werden, u. der Vater darauf bestände, ihn den Weg theoretischer Ausbildung noch verfolgen zu lassen. Die ihm angeborenen Eigenschaften würden unter dem Regime von Fritz sich nicht vorteilhaft für sein Leben entwickeln. Meine großen Sorgen und Bemühungen um die Erziehung Percys würde ich wenn auch nicht für gänzlich verloren, doch sehr wirkungslos erachten.
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Wahrscheinlich ist hier Charlotte Quentin gemeint, die Ehefrau des früheren preußischen Staatsbeamten Johann Christian Carl Quentin. Er immigrierte 1851 nach Milwaukee, wo er in deutschamerikanische Unternehmen investierte, in den Senat des US-Bundesstaates Wisconsin gewählt wurde und Reiseliteratur verfasste. Rudolph Koss, Milwaukee (Milwaukee: Schnellpressen-Druck des Herold, 1871), 315.
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Hertha ist auch ein leibhaftig Annekescher Character; kann indeß recht lieb sein. Sie ist ungemein weit vorgeschritten. Von Paris habe ich wenig noch kennengelernt. Das Wetter ist so rauh daß man nicht auszugehen wagt. Seit ich Zürich und seine Nebelregion verlassen habe, bin ich von der Gicht befreit, die mich zu tödten drohte den ganzen Winter hindurch. Auch mit meinem Leberleiden geht es besser. Ich könnte mir hier in Paris meine Existenz besser denn irgendwo sichern, aber ich könnte auf die Entwicklung der Kinder doch nicht das verwenden, was nothwendig für sie ist. Fritz läßt mich dabei sehr im Stich. Was hilft es mir, wenn er behauptet 100 und zuletzt 150 $ monathlich zu erwerben, wenn mir zugemuthet wird das Unmögliche zu leisten. Ich erhielt von ihm im July v[origen] J[ahres] 500 Dollars, die ich gegen 500 Franken verhypothesierte, nur uns das Kapital zu erhalten. Da ich seitdem nur nur 500 Franken von ihm bekommen habe, zum einigermaßen anständigen Leben aber und zur Erziehung der Kinder mindestens 250 Franken monathlich nothwendig sind, so kannst Du ermessen, was ich selbst habe erarbeiten müssen. – Mein Erwerb würde sich hier mehr und mehr erweitern. Aber ich darf im Hinblick auf Percys Zukunft nicht daran denken die Rückkehr noch hinauszuschieben. Glaubst Du nicht auch? – Willst Du darüber mal einen Rath halten und mir umgehend das Resultat, sowie die Aufschlüsse über Cäciliens resp. meine Prospecte mittheilen? Halte aber meinen Bf für Dich; ich möchte nicht gerne daß der Jobsiadensänger 21 aus meinen Worten ein Klatsch machte. Ich weiß Du verstehst mich. – Die Fragen in Betreff des Instituts wären: Welche Aussichten sind da zur Gründung eines Instituts zur Ausbildung für Töchter deutscher und englischer Familien? Töchterschule, nur für Externe oder auch als PensioWürde ein solches lediglich als Töchterschule nat für Interne (d. h. im Hause lebende Pensionärinnen) bestehen können? Würde es willkommen sein, die franz. Sprache besonders vertreten zu sehen? Oder würde es rathsam sein daß Cäcilie sich einer dort bestehenden englisch amerikanisch Academie anschlöße, sie gar erweiterte? Wo lägen die Anknüpfungspunkte dafür? Nimm Dir die Sache zu Herzen, liebe Johanna und hilf ein Werk fördern, daß vielleicht Deinen Töchtern und Enkeln zu Gute kommt. Dabei fällt mir ein, daß unsere hochverehrte Frau Lehrerin, die Költgen22 auch ins Reich der Schatten gegangen ist. Die Schwindsucht hat sie weggerafft. – 21
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Mit „Jobsiadensänger“ bezieht sich Mathilde auf eine Satire auf das Studentenleben aus dem Jahre 1784, in der deutsche Spießbürger verhöhnt werden. Carl Arnold Kortum, Die Jobsiade: Ein groteskkomisches Heldengedicht in 3 Theilen, 8th ed. (Leipzig: Brockhaus, 1857). Sie scheint besorgt, dass man ihre Pläne ebenso verspotten würde, wie Kortum es in seinem Werk tat. Es ist nicht klar, ob sie hier jemanden Bestimmten im Sinn hatte. Das Institut der Fräulein Költgen ist das heutige Annette von Droste-Hülshoff-Gymnasium in Münster. Wolfgang König und Jürgen Sprekels, Karl Weierstraß, 1815–1897: Aspekte seines Lebens und Werkes – Aspects of His Life and Work (Wiesbaden: Springer, 2016), 29.
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Ueber Wohnung, Local fürs Institut giebst Du mir auch wol Deine Ideen an. – Antworte bald, ich bitte Dich, da die Zeit der Abreise eilt. – Was hältst Du von Cincinnati, das wegen des Protektorats von Stallo u. Willich23 uns empfohlen wurde. – Lebe wohl, liebe Johanna. Laß meine Bitte Dir nicht egoistisch erscheinen. Wenn ich wieder auf festem Boden erscheine ich anders. Ist ein Bedürfnis an irgendwelchen Lehrfächern fühlbar, so theile das mit. Man könnte sich für den Fall mit Lehrern vorsehen. Lebe wohl, liebe Johanna, sei versichert der Liebe Deiner alten Mathilde.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Paris, 10. April 1865 Mein lieber Fritz! Ich habe Dir lange nicht geschrieben. Du glaubst vielleicht daß Paris Schuld daran und Abhaltungen allerlei Art mir bietet. Ich hatte keine von außen; ich habe auch von Paris selbst noch so wenige Eindrücke, daß ich kaum sagen kann, ich lebe hier. Wir haben bis zum 4. April die unangenehmste Kälte gehabt, man hat sich kaum zu schützen gewußt; ich habe endlich wärmere Anzüge noch für die Kinder anschaffen müssen. Jetzt ist es plötzlich warmer und schöner blühender Frühling geworden. Unsere Kinder, unser einzigstes Glück, sind gesund und streben mit dem seltensten Eifer ihrer Entwicklung und Ausbildung entgegen. Der vergangene Sontag war der erste seit unsers hiesigen Aufenthalts, den man von Himmels wegen rühmen konnte. Wir benutzten ihn, zu Percys besonderm Vergnügen, zu einer kleinen Reise in Paris. Ich brachte mit Cäcilie die Kinder zum schönen Luxembourg.24 Sontags kann man für weniger Trinkgeld die Krönungssäle und Bildergallerien besuchen. Wir waren alle entzückt. Müde und durstig wagten wir es nachher in ein Restaurant zum ersten Mal zu gehen – obwol dies alle Damen von Paris thun – dennoch zum ersten Mal uns hinzusetzen u. Bier und Selterswasser zu trinken. Während Hertha jetzt ein wenig in die Flegeljährchen kommt – sie wächst und füllt sich sehr – ist Percy der sanfteste und liebenswürdigste Junge – ein wahrer lieber kleiner Mustermensch – wie Cacilie behauptete. Er hat die ganze Redlichkeit, die unser unvergeßliches Fritzchen characterisirte, zu eigen. Donnerstag ging ich mit beiden Kindern in den reizenden Park Monceau25, den wir ganz nahe haben; hättest Du hören können wie er sein kleines wildes Schwesterchen 23
24 25
Mathilde stand Willich (siehe Fußnote 85 [Kapitel 2]) und dem Juristen J. B. Stallo, einflussreichen deutschamerikanischen Führungspersönlichkeiten in Cincinnati, politisch nahe. Jürgen Kessel, Johann Bernard Stallo (1823–1900): Ein deutsch-amerikanischer Jurist, Schriftsteller und Diplomat (Oldenburg: Oldenburgische Gesellschaft für Familienkunde, 2016). Der Palais du Luxembourg diente im 17. Jahrhundert als königliche Residenz und wurde später zum Parlamentsgebäude. Der Palast südlich der Seine war für seine Gärten bekannt. Arthur Hustin, Le Palais du Luxembourg (Paris: P. Mouillot, 1904). Ein Park in der Nähe, westlich der Rue du Rocher.
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ermahnte die jungen Anpflanzungen nicht mit den Füßen zu berühren. „Es stehen keine Verbote hier an den Bäumen angeschlagen,“ sagte er darum aber muß man um so behutsamer sein.“ Zu meinem Geburtstag, den mir die treue Cäcilie mit den schönsten Topf- und Bouquetblumen geschmückt hat, sollte uns sein Kommen die schönste Feststunde bereitete – leider aber wartete ich vergebens auf ihn, da die Gesetze des Instituts ihm die ausnahmsweise Erlaubniß versagten. Es machte mich recht traurig. Aus meinen Briefen wirst Du ersehen haben, daß ich in allen Theilen mit Dir gleicher Meinung gewesen bin. Daß ich den Aufenthalt in Paris namentlich für Percy nur als einen Uebergang von einem zum andern Continent betrachtet habe und nur das erleichterte Sprachstudium im Auge hatte. Ich berechnete, daß etwa 6. bis 7. Monate hinreichen würden, für Percy diese wichtige Wissenschaft zu erringen; ich würde dennoch etwa im August eingetroffen sein bei Dir…. Da ich nur immer darauf hingedrungen habe, die Kinder nicht länger von Dir fern zu halten, so kannst Du denken, daß ich auch jetzt zur Ausführung meines dringendsten Wunsches, nicht länger Zeit verlieren will, als durchaus nothwendig. Sobald ich das Nothwendigste abgetragen, das Nothwendigste zur Reise erzielt oder vielmehr baar in Händen haben werde, trete ich mit unsern Kindern und Cacilie die Meerfahrt an. Ich habe in Zürich noch sehr viel zu ordnen und unserm Namen zu lieb nicht scheiden, bis ich that was in meinen Kräften ist. Ich könnte nach und nach von hier recht viel erwerben – aber ich denke wie Du, die Zukunft und die Heimath unserer Kinder ist drüben. Die Augsburger Allg[emeine] habe ich nur bisweilen seit ich von der Schweiz fort bin gesehen, u.da allerdings einen Artikel von Dir aus Missouri. Deine hübschen Artikel über die Lehranstalten Michigans habe ich freilich nicht gesehen, aber die Red. ernstlich gebeten mir ausnahmsweise von Ihrer Regel das Mspt zu remettren wenn sie es nicht benutzen wollen. Ich zweifle keinen Augenblick ob sie es benutzt hat für ein oder anderes Cott. Journal26. Ich hatte auch von hier aus schon Art[ikel] in der Allgem[einen]. In der Berliner Börsenztg ebenfalls. Es thut mir leid, mein lieber Fritz, daß Du Dich so sehr anstrengst. Ich habe es auch erarbeiten. Man wird von der gegethan; aber es ist nicht recht; man kann nicht alles erarbeiten nießenden Welt zu sehr abgeschlossen und paßt dann zuletzt gar nicht mehr in diese muß. Ich hoffe drüben hinein, was man doch eigentlich, namentlich als Schriftsteller, muß auch ein Feld der Thätigkeit zu finden, aber wie hier – schwerlich. Nach St. Louis wirst du mir nicht zumuthen, zu ziehen. Du weißt wie ich gelitten habe am Leberleiden und immer noch leide. St. Louiser Clima würde mein Tod sein. Ich glaube aber auch nicht, daß für Dich das Terrain auf die Dauer ein erfolgreiches ist. Die Vereinigung mit dem ziemlich prass gehaltenen Dem[okratischen] Päper27 würde doch auf die Dauer nicht gerade befriedigend sein.
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Zum Cotta-Verlag, siehe Fußnote 17 (Kapitel 3). Der Anzeiger des Westens.
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Den 10. April 1865. Mein Bruder, mein einziger lieber Bruder todt – meine Mutter nahe ihren letzten Lebenstagen – meine arme Fanny kaum genesen von einem heftigen Krankheitsanfall – Mary vielleicht sterbend – Du ohne Frieden und Freudigkeit – o Gott! o Gott! was ist in diesen Zeilen für ein Schmerz, für eine Noth. Das nennt man eine Heimkehr. Gräber, Gräber – ich bin von allem Weinen so müde und matt. Mein lieber Julius – von keinem andern, außer von seinem armen Weibe, vielleicht so geliebt und auch verstanden wie von mir! Deine Zeilen vom 20. Merz, die heute Morgen angekommen sind, tragen die traurige Nachricht von dem Tode Julius, und Mutters letzten Kräften. – Wo ist Julius seine Frau? Wie viele Kinder hinterläßt er? Ist gesorgt für sie? Ich kann nicht mehr schreiben. Bleib gesund! Ich werde dir bald sagen kommen, – wenn nicht andere Vorschläge oder Entschlüsse von Dir kommen – wann ich abreisen kann. Ich weiß noch nichts, mit welchem Boot, mit welcher Linie – ach ich bin sehr rathlos und traurig. Percy wird erst Uebermorgen den Tod seines guten Onkels erfahren. Ich trage ihm die Trauer nicht gerne in die Mauern des Instituts. Hertha ist sehr wohl und macht zum Erstaunen aller Lehrerinnen merkwürdige Fortschritte. Percys Censur, die er mir wöchentlich bringt, sind sehr gut. Lebe wohl lieber Fritz, Cäcilie und die Kinder grüßen. Deine Mathilde. 28
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Paris, 15. Mai 1865 Mein lieber Fritz! Meine geliebte Mary ist nicht mehr. Dr. Rufus Brown29, der sie bis zum letzten schweren Athemzuge unterstützt hat, theilte die Todeskunde Mathilde Kriege30 mit, die dann in treuer alter Freundschaft sie mir von Berlin sandte. Sonst habe ich eben so wenig von Booth, noch von der Mutter Mittheilungen. Mein armes liebes Lillychen schrieb mir an meinem Geburtstage den 3.’ April; Mary selbst legte die letzte Zeile ihrer Hand an Cäcilie bei, die in ihrer liebenden Sorgfalt mir den Tod meines 28
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Hauptmann Julius Giesler vom 3. Wisconsin-Kavallerieregiment starb am 12. März 1865 an den Verletzungen, die er bei einem Gefecht mit den konföderierten Guerillakämpfern in Arkansas davongetragen hatte. Wilhelm Hense-Jensen, Wisconsin’s Deutsch-Amerikaner: bis zum Schluß des neunzehnten Jahrhundert (Milwaukee: Germania, 1900), 1: 195; Soldiers’ and Citizens’ Album of Biographical Record (Chicago: Grand Army Publishing Company, 1888), 1: 501. Es konnten keine weiteren Informationen zu Dr. Brown gefunden werden. Mathilde Kriege war eine Lehrerin und Übersetzerin vom Englischen in das Deutsche, die später nach New York zog. Helmut Heiland, Fröbelforschung heute: Aufsätze, 1990–2002 (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2003), 47.
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braven Bruders anzeigen sollten. Die Schilderung des Kindes von dem Zustande der Mutter belehrte mich, daß ihre Lebensfrist nur noch nach Stunden zu zählen sei. An ihrem Geburtstage, den 8. Ap. schrieb ich dem treuen schon gebrochenen Herzen noch einmal, legte ein Zeichen meiner Liebe für sie in einem seidenen Bändchen, das ich hier kaufte ein – von dem ich aber die sichere Ahnung hatte, daß es zu spät, zu spät kommen werde. An welchem Tage sie ihre geknickte Blüthenseele in den Lenz ausgehaucht – ich weiß es nicht. Mit ihr ist Alles stumm geworden. Arme, arme, treue Mary! Was ich in den letzten Monaten von all den Schicksalsschlägen gelitten ich will Dirs nicht schildern. Was soll ich jetzt machen? Du hast gewünscht daß ich im Mai zur Abreise fertig sei. Ich bin fertig –. Aber Du hast uns gänzlich ohne Mittel zum täglichen Leben gelassen – und so sind meine Ersparnisse in diesem Jahre beinahe aufgezehrt. Deine Berechnung die im Dezbr. v. J. richtig war, paßt heute nach einem beinahe ausgelebten halben Jahre nicht mehr. Wenn ich zu Deiner Beruhigung mittheilte was ich erspart, so war es nicht daß Du uns nun dieses Ersparniß aufzehren ließest, sondern daß Du uns die täglich nothwendigen Subsidien übermachtest und mich ruhig über mein Erspartes verfügen ließest zur Reise und zur Abtragung von Schulden, die ich nicht aus Leichtsinn mit meinem guten Kredit gemacht habe, die vielmehr aus jenen bedrängten Zeiten sprechen, die Du ja selbst kanntest, und die ich später hin aus Gründen machte, die mich in den Stand setzten, die amerik. Papiere zu retten. – War ich genöthigt seit Anfang dieses Jahres zu zehren von dem sogenannt Ersparten, so war es, weil ich weniger selbst erwarb und Du uns ohne Mittel ließest. Hammachers wollten mich nicht in der gräßlichen Noth lassen und offerirten in großer Discretion – weil sie diese Form einer offenen directen Unterstützung vorzogen – mir zu geben was ich für die Am[erikanischen] Obligationen verlange. Ich nahm das hin und verlangte 100 Thlr. p. 100 Doll. Hammacher selbst macht kein Geldgeschäft damit. Er verkauft die Oblig. zum Tagescours u. giebt mir was ich will – die 100 Thlr. Er ist selbst nicht reich, wie die Leute sagen. Sie haben zu leben einfach – aber hinreichend. Ich habe für die Kinder die Zeit zur Ausbildung benutzt, wie es die Mittel gestattet haben. Daß ich haushalterisch und arbeitsam zu Werke gegangen bin, wirst Du mir lassen müssen. Ich habe selten ein Wort der Aufmunterung hierfür von Dir bekommen, obgleich Du wissen konntest wie nöthig meine Natur es hat. Sobald Du etwas Geld sendest – vorausgesetzt daß es bald geschieht denn sonst hilft wieder eine beträchtliche Summe nicht mehr – werde ich den Tag der Abreise bestimmen können. Du kannst denken wie ich auf heißen Kohlen sitze. Ich habe Dir doch Alles so haarklein vorgerechnet. Die Kinder entwickeln sich sehr vortrefflich. Hertha ist überglücklich unter den großen Mandelbäumen mit ihren graciösen kleinen Französinnen. Sie spielt ihnen
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oft auf der Zither vor. Percy benutzte gestern seinen Sontag Nachmittag um nach St Cloud31 zu reisen. Dort sprangen die Wasserwerke. Voll Entzücken ist er heim gekommen. Es war seine erste etwas größere Weltfahrt, ganz allein. – Jede Stunde die er frei hat, wird für ihn benutzt. – Die Tochter von Gerrit Smith, die liebe Mrs. Miller ist die Einzige von drüben, die an mein trauerndes Herz gedacht hat. Sie hat mir in einem theilnahmsvollen Bf Marys Tod mitgetheilt[.] Arme arme Mary! Hättest Du sie doch noch einmal gesehen, gesprochen. Ich schrieb zuletzt an ihrem Geburtstag an sie – schickte ein kleines Andenken im Briefe – selbstredend hat auch das sie nicht mehr bekommen. – Was wol mein armes Lilychen anfangen mag? Armes, armes Kind! Hertha jammert nach ihr. Die Kinder haben Mary Thränen nachgeweint. Später. Wenn keine andere Bestimmung kommt, werden wir bis zum 10 oder 12. Juny abreisen. – Freilich klingt es sonderbar. Abreisen? Im vorigen Jahr musste ich bleiben weil ich als ehrliche Frau die Schulden in Zürich erst abegtragen haben wollte. Ich trug einen kleinen Theil davon ab. 200 Fr. allein an Linke, wie Du weißt; die andern versprach ich um diese Zeit getilgt zu haben! Statt dessen gehe ich fort. Ist das recht? Gehen ohne Wort zu halten? Aber meine Mutter will daß ich komme. Percy wird groß und muß zurück, wenn er als Amerikaner sein Vaterland lieben und kennen soll. – Ich that was in meinen Kräften stand. Adressire meine Bfe an Lexow nach New York. Die franz. Dampfer fordern 500 Fr. von hier bis New York II. Klasse, für jeden Platz. Ich werde jetzt sehen, was die deutsche Linie verlangt[.] Ich weiß nicht was ich machen soll u. doch – bei dem Zustand der Dinge kann ich mit den Kindern hier nicht länger existiren. Du versprachst doch auch uns wenigstens den Unterhalt in der Pension zukommen zu lassen! Drei Monate sind wir nun hier und ich empfing von Dir keine Hälfte. Die Kinder grüßen Dich und Cäcilie grüßt herzlich Deine Mathilde.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke 13. Juni 1865 Mein lieber Fritz! Der Grund warum ich einige Tage mit meiner Antwort auf Deine beiden letzten Briefe zögerte, war, weil ich von verschiedenen Seiten Antwort haben mußte, bevor ich über unsere Abreise nähere Bestimmungen treffen konnte. Ich habe die General Direction des Norddeutschen Lloyd32 auf Grund meiner Correspondenz für am[erika31 32
Ein Pariser Vorort. Die große Bremer Schiffahrtsgesellschaft wurde 1857 gegründet. Edwin Dreschel, Norddeutscher Lloyd, Bremen, 1857–1970: History, Fleet, Ship Mails, vol. 1 (Vancouver: Cordillera Publishing Company, 1995).
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nische] u. deutsche Journale um Ermäßigung des Passagepreises für uns gebeten; hatte mit Hammacher über den Rest meiner Capitalien zu delibriren, hatte von verschiedenen Seiten freundschaftliche so wie geschäftliche Briefe abzuwarten. Lloyd hat sehr höflich geantwortet, und mir den Beschluß seines Verwaltungsraths dahin mitgetheilt, daß er mir für die Plätze der I. Kajüte nur die Preise der II. berechnen wolle. Das macht nun freilich für meine Finanzen keine Aenderung – (da nur die II. Kajüte ohnehin gut genug) – indeß für meinen Comfort ein Wesentliches aus. Hammacher hat nun den Abschluß der Berechnung, nachdem er nun factisch die Werthpapiere bei Pestalozzi für 550 Dllr. eingelöst, sich nicht anders als ein nobler Freund bewährt. Mündlich alles genauer zu berichten ist ja Zeit genug. Correspondenz auf solch weite Entfernung dient dazu mehr mißzuverstehen, als zu verstehen. – Ich hoffe noch Platz in der am 1. July segelnden Amerika zu bekommen. Wenn nicht – ich habe deswegen heute geschrieben – so muß ich Passage mit der am 15. July segelnden New York nehmen. In meinem nächsten und letzten Brief von hier, werde ich das sicher angeben. Den Betrag des Wechsels von 615 Fr. habe ich empfangen. Derselbe dient dazu die letzte Pension im Institut noch zu zahlen, so wie Anschaffungen zu machen, die wirklich zum einigermaßen anständigen Ankommen nur nöthig waren. Was für die Abtragung von Schulden in Zürich bleibt, werde ich weislich verwenden dafür. Ein kleines Unwohlsein von Hertha hat mich auch noch verhindert an meinen letzten Arbeiten. Das Kind ist so zart. Ich habe zwei Tage an ihrem Bettchen geseßen; heute sitzt sie am Schreibtisch wiederum neben mir und schreibt. Percy ist wohl auf und brav. Unsere nächste Zukunft in Amerika ist mir gar nicht klar. Du hast mir kein Bild in irgendwelchen Zügen vorgezeichnet. Als mir aus Deinen Briefen erschien, daß in St. Louis Dein Bleiben ein sehr problematisches, habe ich Dir zu erkennen gegeben, daß ich mich an den Gedanken dort zu leben, nicht gewöhnen könne. Du weißt sehr wohl daß ich aus eigener Erfahrung das Klima von St. L[ouis] nicht kenne, denn Du weißt daß ich nie da gewesen bin. Du und Jedermann wissen es, daß es ein gefürchtetes Klima; besonders für Fieber- und Leberkranke. Dann reizt mich der alte Sclavenstaat Missouri auch nicht. Dahingegen der Mississippi wieder sehr. Ida und ihre Familie wieder zu sehen würde mich freuen. Ich habe für Ida wie für Schmidtill die Liebe und Achtung, die ihnen mein Herz in der Stille zollen mußte, treu bewahrt. – Nachdem es mir also bisher sehr fraglich erschien, daß Du dort zu einem Dir passenden und uns genügenden Wirkungskreise kommen würdest, habe ich mittlerweile meine Augen immer auf andere Terrains gerichtet. Namentlich hatte meine Phantasie dabei einen wesentlichen Stützpunkt an Gerrit Smith – ich habe nämlich die theilnehmende Liebe der ganzen Familie zu erfreuen – die erwartet mich, sicher in Peterboro33 bei meiner Rückkunft – so wie an unsere Freunde in New York, (Fritz Kapp, Lexow e e). Am liebs-
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Gerrit Smiths Heimatort nahe Syracuse, New York.
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ten möchte ich nämlich in oder bei New York mein künftiges home gegründet wissen. Alle andern Plätze in den Ver. Staaten werden mich stets unzufrieden lassen. Zunächst kann ich aber auf alle Wünsche keine Rücksicht nehmen, da es mich zu Mutters letzten Tagen treibt. Sie erwartet mich thränenden Blicks immer schon Anfang July. Beim Ausstrecken all der Fragezeichen für unsere nächste Zukunft hatte ich somit auch Johanna aufgefordert, Vorbereitungen gelegentlich zur Gründung eines Instituts im Sinne Cäcilies zu treffen. Das Zusammenlesen unserer Siebensachen, unsere Bibliothek, die dem Herrn Reverend Richmond damals anvertraut wurde, die Realisierung des Planes für Percy scheint mir Milwaukie zumindest für den Anfang als unumgänglich nothwendig als erste Station im neuen amerik. Leben zu machen. – Nach der Schweiz werde ich mich ewig zurücksehnen. Lassen ihre freiheitlichen Institutionen auch noch alles zu wünschen; der Mensch kann dort bei solidem Streben u. Leben zu einem genügsamen Loose kommen. Und für manche Entbehrungen entschädigt endlich die Natur reichlich. Die Zukunft der Kinder, ihr Bedürfniß, ihr Verlangen nach Dir trieb uns fort von da. Ich sehne mich jetzt unaussprechlich nach einer geeigneten und lohnenden Thätigkeit; ob ich dazu drüben wol wieder Gelegenheit finden werde wie hier? Gestern bekam ich die Aufforderung von einem Dr. Lipperheide34 bis dahin vom Redacteur des weit verbreiteten Berliner Bazar für sein neu gegründetes Blatt Frauenwelt35, das Blattt erscheint zugleich in Leipzig u. Berlin deutsch und in Paris französisch, in Madrid spanisch und in London englisch, zu arbeiten. Ich werde auch für die Börsenzeitung in Berlin Cor. von drüben liefern. Sie druckte einen Art. von mir für 16 Thlr ab. Andere Engagements sind mir noch nicht gelungen obwol ich mich darum bemüht habe. Was die Allgemeine Augsburger von Dir gedruckt hat, wird sich bei der Abrechnung diesen Monat finden. Der Art. Missouri aus St. Louis war von Dir. – Ich verkehre bisweilen mit dem alten treuen Socialisten Vater Heß36. – Er u. seine Frau grüßen Dich herzlichst. Ich werde Heß empfehlen der Staatsztg in Chicago als Corresp. – Der Anzeiger des Westens gefällt mir in seiner jetzigen Haltung viel besser. Über seine Politik kann ich weniger urtheilen, da ich überhaupt etwas unwissend geworden bin. Die friedliche Stimmung sagt mir zu. Die Schimpfereien in den vorhergehenden Blättern als „Zotenreißer Lincoln“ waren doch zu empörend. Wie werde ich Fanny mit ihren Kinderchen finden? In dem traurigen Newark, wo nichts als Kummer, Leid und Noth uns traf, werde ich sie in irgend einem Winkel der 34 35 36
Franz Lipperheide, der mit seiner Frau Frieda zusammenarbeitete, wurde später ein bekannter Verleger. Er verschrieb sich dem Ziel, die Geschichte der Mode für die Nachwelt zu bewahren. Gretel Wagner, „Lipperheide, Franz Freiherr von“, in Neue Deutsche Biographie (1985), 14: 655. Lipperheide begann 1865 mit der Publikation der Zeitschrift Die Modewelt. Ibid. Ein deutsch-jüdischer Sozialist, der 1841 an der Gründung der Rheinischen Zeitung mitbeteiligt war und später als Pariser Korrespondent für die Illinois Staatszeitung arbeitete. Edmund Silberner, „Hess, Moses“, in Neue Deutsche Biographie (1972), 9:11–12.
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Neuanfänge
dort dem armen arbeitenden Proletariat vergönnt ist, aufsuchen müssen. Sie hat zweimal einen Blutsturz gehabt und wie Mary mir zuletzt schrieb, war die Gefahr immer noch nicht vorüber. Störger war in Cuba, von wo aus er genügend Mittel für die Familie zu senden im Stande war. Hast Du denn Deiner Freundschaft mit der armen Luise Giesler 37 nicht mehr gedacht oder nicht wieder gedacht, jetzt in ihrem unsäglichen Leid? Ich höre Emil Weiskirch nimmt sich ihrer an. Sie hat drei Kinder und sitzt so weit von Allen entfernt. Hertha denkt nur an Lili und wo sie sie wiedersehen soll. Mir ist noch von keinerlei Seite etwas Authentisches über Marys letzte Lebensaugenblicke zu Theil geworden. Die gräßliche Mutter noch der Gatte haben es für nöthig gehalten mir nur den Tod anzuzeigen. Cäcilie, die liebe treue Cacilie, die lieber alles in der Heimath lassen will, als mich verlassen, grüßt Dich aufs Herzlichste. Percy hat heute seine Freistunden, bei denen er zu mir und Hertha kommen darf, bringt seinen Bf. zu spät um ihn bei beizuschließen. Cäciliens Unterrichtsstunden hören mit dieser Woche auf. Wir haben also noch richtig zu ordnen und zu packen noch dieser Zeit um bis zum 1. July fertig zu werden. Ich hoffe von Dir noch Briefe früher zu bekommen; jedenfalls aber bei Lexow oder Kapp in New York zu finden. Bleibe gesund und sei herzlich gedankt und gegrüßt von Deiner – Mathilde.
Mathilde Franziska Anneke an Fritz Anneke Milwaukee, August 1865 Mein lieber Fritz! Deinen zweiten lieben Brief empfing ich als ich beschäftigt war mit unserer Abreise von New York. Die Schwierigkeiten der Landung und Wiederabreise überstiegen alle Cedern der Seereise. Die Kosten waren immense und erschöpften alle meine Ersparnisse. Ich habe allein 39. D[ollar] Ueberfahrt zu zahlen gehabt. Ein furchtbarer Schurke diese Great Western.38 Hier mit aller Liebe von Weißkirchs empfangen, fühlen wir wieder ein wenig die Heimathluft. Wir kamen gestern Morgen im Hafen von Milwaukie an – Dich fanden wir nicht; ich vermuthe daß Dänzer noch nicht zurück gekehrt ist und Du noch gefesselt bist. In Hartford war ich nicht! Mit blutendem Herzen zog ich vorüber, dem stillen Ort wo meine arme Mary ruht. Aber wo sie starb, wo sie die letzten Tage ihres Lebens noch kämpfte u litt sah ich….
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Die Witwe von Mathildes Bruder Julius. Vielleicht ein Hinweis auf die Kosten der Zugfahrt von New York nach Milwaukee.
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Die Betheiligung an Cäciliens prospectirtes Institut ist für Dich – wie auch für mich unmöglich39. Cäcilie ist durchaus nicht frei von religiösen Vorurtheilen. Ich kann deshalb leben – aber nicht wirken mit ihr. – Ueber die hiesigen Verhältnisse kann ich noch nichts sagen. Was die Zukunft uns bringen wird – ich weiß es nicht. Meine Kräfte will ich treulich einsetzen. Mit dem Belletr[istischen] Journal habe ich ein neues Verhältniß abgeschlossen; wenn ich gesund u fleißig bin, so habe ich etwas Erwerb davon. Für ein Stuttgarter Blatt die Lyra40 schreibe ich. Ich habe den Wunsch meinen dreibändigen Roman hier zu vollenden. Unsere Kinder werden allerliebst gefunden. Wir haben ein allerliebstes Familienfest, die Großmutter unter 12. Enkel u Urenkel. Ich bin sehr müde; aber ich beeile mich Dir unsere glückliche Ankunft so schnell wie möglich mitzutheilen. Laß uns bald wissen, wann wir Dich erwarten können. Hertha dankt für den posierlichen Kanonenfritz. Lebe wohl lieber Fritz. Schreibmaterial u. Ruhe sind nicht genügend Dir mehr zu schreiben. Deine Mathilde Weiskirchs Haus, Sontag Morgen Alles von hier grüßt Dich aufs Herzlichste
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Tatsächlich arbeitete Cäcilie Kapp jahrelang für Mathilde als Lehrerin in ihrer Mädchenschule. Zu diesem Blatt konnten keine weiteren Details gefunden werden.
Ausgewählte Bibliografie Archive Madison, Wisconsin Fritz Anneke and Mathilde Franziska Giesler Anneke Papers, 1791–1884. Wisconsin Historical Society. Milwaukee, Wisconsin Sherman M. Booth Family Papers, 1818–1908. Wisconsin Historical Society – Milwaukee Area Research Center. University of Wisconsin – Milwaukee Libraries Archives. Zürich Familienarchiv Beust, 1817–1899. Stadtarchiv Zürich. Baugeschichtliches Archiv. Amt für Stadtbau. Stadt Zürich. Graphische Sammlung und Fotoarchiv. Zentralbibliothek Zürich. Bezirksgericht Zürich Zivilprotokoll, 1862. Z 826.32.3. Staatsarchiv Kanton Zürich. Berlin Friedrich Hammacher Archiv, 1824–1904. Bundesarchiv Berlin. Marbach am Neckar Cotta-Archiv. Korrespondenz von Mathilde und Fritz Anneke mit dem Cotta-Verlag. Deutsches Literaturarchiv Marbach. Münster Nachlass Droste-Hülshoff/Sammlung Droste-Hülshoff. Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Rastatt Schloss Rastatt, Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte. Sprockhövel Archiv der Mathilde Franziska Anneke, 1817–1884. Stadtarchiv Sprockhövel.
Werke von Mathilde Franziska Anneke, Fritz Anneke und Mary Booth
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Werke von Mathilde Franziska Anneke, Fritz Anneke und Mary Booth Anneke, Friedrich. „Wäre ich auch zufällig ein Millionär geworden, meine Gesinnungen und Überzeugungen würden dadurch nicht gelitten haben–“: Friedrich Annekes Briefe an Friedrich Hammacher, 1846–1859. Herausgegeben von Erhard Kiehnbaum. Wuppertal: Friedrich Engels-Haus, 1998. Anneke, Fritz. Der zweite Freiheitskampf der Vereinigten Staaten von Amerika. 2 Bde. Frankfurt am Main: Sauerländer, 1861. Anneke, Mathilde Franziska Giesler. Des Christen freudiger Aufblick zum himmlischen Vater: Gebete und Betrachtungen. Wesel: Bagel, 1839. –––. Damen Almanach. Wesel, Germany: A. Prinz, 1842. –––. Die gebrochenen Ketten: Erzählungen, Reportagen und Reden, 1861–1873. Herausgegeben von Maria Wagner. Stuttgart: Akademischer Verlag, 1983. –––. Das Geisterhaus in New York. Leipzig: Hermann Costenoble, 1864. ___. Der Heimathgruß: Eine Pfingstgabe von Mathilde von Tabouillot, geborene Giesler. Wesel: Bagel, 1840. –––. Der Meister ist da und rufet dich: Ein vollständiges Gebet- und Erbauungsbuch für die gebildete christkatholische Frauenwelt. Wesel: Bagel, 1840. –––. Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Feldzuge. Newark: Buchdruckerei von F. Anneke, 1853. –––. Producte der Rothen Erde. Münster: Coppenrath, 1846. –––. „Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen“. Köln: Broschüre im Selbstdruck, [1846–1847]. Box 6, Ordner 7. Fritz Anneke and Mathilde Franziska Anneke Papers. Wisconsin Historical Society, Madison. Anneke, Mathilde Franziska Giesler (Text) und J. Remington Fairlamb (Musik). „Entblättert!“ The Faded Rose, Op. 28. New York: Wm. A. Pond & Company, 1865. Anneke, Mathilde Franziska Giesler und Friedrich Hammacher. „Bleib gesund, mein liebster Sohn Fritz–“: Mathilde Franziska Annekes Briefe an Friedrich Hammacher, 1846–1849. Herausgegeben von Erhard Kiehnbaum. Hamburg: Argument Verlag, 2004. Anneke, Mathilde Franziska Giesler. „Ich gestehe, die Herrschaft der fluchwürdigen ‚Demokratie‘ dieses Landes macht mich betrübt …“: Mathilde Franziska Annekes Briefe an Franziska und Friedrich Hammacher, 1860–1884. Herausgegeben von Erhard Kiehnbaum. Hamburg: Argument Verlag mit Ariadne, 2017. Anneke, Mathilde Franziska Giesler. „Mathilde und Fritz Anneke: drei unbekannte Briefe aus dem Jahre 1848“, heruasgegeben von Michael Knieriem. In Beiträge zur Heimatkunde der Stadt Schwelm und ihrer Umgebung, Neue Folge 32 (1982): 85–92. –––. Mathilde Franziska Anneke in Selbstzeugnissen und Dokumenten. Herausgegeben von Maria Wagner. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1980. Booth, Mary H. C. Wayside Blossoms among Flowers from German Gardens. Heidelberg: Bangel & Schmitt; Milwaukee: S. C. West, 1864. –––. Wayside Blossoms. Philadelphia: J. B. Lippincott & Co, 1865.
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Ausgewählte Bibliografie
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Ausgewählte Sekundärliteratur
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Register Personenregister Adams, Charles H., 176 Anneke, Carl (Schwager), 33, 39, 42, 59; Apotheke von, 47, 74, 89; Familie von, 33, 54 (Anm. 97) Anneke, Christian (Schwiegervater), 83, 125, 186; Konflikte mit, 53, 67, 89; Wiedersehen mit, 51, 53, 59, 71, 103 Anneke, Emil (Schwager), 39, 51, 54, 74, 195 (Anm. 5), 200–201 Anneke, Henriette (Schwägerin), 53, 74, 94 (Anm. 81) Anneke, Hertha (Tochter), 34, 45, 81; als Erwachsene, 25, 61 (Anm. 122); Ausbildung von, 58, 60, 195–96, 217–18; Ausflüge von, 128, 134, 170–71, 172, 191; Entwicklung von, 140, 208, 206, 214; Fritz Anneke und, 68, 82, 89, 111, 152–53, 155, 161, 172, 187; in Paris, 217–20, 226, 227, 229, 230–31, 235; Kinderspiel von, 73, 147, 168; Schreib- und Künstlerarbeiten von, 83, 124, 152, 207, 214; Verhalten von, 91, 96, 127, 208 Siehe auch Frömmigkeit; amerikanischer Bürgerkrieg; Krankheit und Verletzung; Kapp, Cäcilie; Musik Anneke, Percy (Sohn), 34, 95–96, 124; Ausbildungspläne, 212–13, 214; Ausbildung in Milwaukee, 44, 45, 48, 58, 89; Ausbildung in Paris 217–19, 225, 228, 229; Ausbildung in Zürich, 114, 127–28, 140, 150–51, 155, 168, 206–207, 208; Ausflüge von, 170–71, 172, 191, 227–28;
Entwicklung von, 58, 83, 134, 140, 150, 221; Fritz Anneke und, 73, 89, 111, 155, 161, 162, 221–22; Geburtstag von, 102–103; im Kadettenkorps, 169–70, 190, 198, 214; in Paris, 230–231; Kinderspiel von 82, 147; Leseverhalten von, 117; Schreib- und Künstlerarbeiten von, 61, 124, 157; über Frankreich, 217; Verhalten von, 72, 83, 91, 127 Siehe auch amerikanischer Bürgerkrieg; Krankheit und Verletzung; Kapp, Cäcilie Anthony, Susan B., 24, 37 (Anm. 21) Arnold, Jonathan E., 55, 58, 62 Asboth, Alexander, 164, 175, 177, 187; Kriegsgerichtsverfahren von Fritz Anneke und, 180–83, 188 Assing, Ludmilla, 101, 129 (Anm. 100), 131 Aston, Louise, 16 Becker, Johann Philip, 136 (Anm. 12), 141 Bernays, Karl Ludwig, 68, 117, 120 Beust, Anna von, 53–54, 67, 83, 136, 137 Beust, Friedrich von, 47, 53–54, 140–42, 189; Reise nach Samedan, 55–56, 68; Schule von, 96, 113–14, 129, 140, 150–51, 195 Biedermann, J. A., 44 (Anm. 54), 46, 58 Blenker, Louis, 98, 112, 115, 134, 154 Blind, Karl, 90 Booth, Lillian May, 34, 37, 44–45, 65, 86, 224; Ausflüge von, 75–76, 81; die deutsche Sprache und, 81;
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Register
in New York, 99–100; in Paris, 203; in Zürich, 113, 147, 191, 195–96, 198; Kinderspiel von, 65; Leistungen von, 77; Mary Booths Tod und, 229, 231; Schreib- und Künstlerarbeiten von, 83, 173; Verhalten von, 81, 96, 106 Siehe auch Unterhaltszahlungen; Frömmigkeit Booth, Mary Ella, 34, 63, 75, 96, 118, 204; Briefe an, 75–77, 80–82, 99–100, 110, 173–74; in Milwaukee, 38; Trennung von Mary Booth, 110, 140, 198; Siehe auch Unterhaltszahlungen; Erziehung Booth, Sherman, 19–20; Gefängnisausbruch 1860, 100; Inhaftierung von in den Jahren 1860–1861, 70–71, 86, 87–88, 89, 91, 92–94 Siehe auch Unterhaltszahlungen; Ehe von Sherman und Mary Booth; Gerichtsverfahren wegen Verführung Booth, Selah, 75 (Anm. 19), 76 (Anm. 20) Borkheim, Sigismund, 126 Börnstein, Heinrich, 52 (Anm. 88), 54, 57, 68 Brandis, Herman M., 61, 69 Brentano, Lorenz, 155, 199 Brown, John, 95, 119 (Anm. 62) Buell, Don Carlos, 128 (Anm. 93), 130, 134, 135 (Anm. 9) Bunteschu, Emma, 160 Butler, Benjamin, 200 Butler, William F., 58 (Anm. 111), 62 Butz, Caspar, 149 Cook, Caroline, 45 (Anm. 55), 55 (Anm. 100), 62, 63 (Anm. 129), 65, 76 (Anm. 22) Siehe auch Vergewaltigung; Gerichtsverfahren wegen Verführung Corvin, Otto von, 115–16, 185 Cramer, William E., 49, 57 Crounse, Lorenzo L., 55, 63, 86 (Anm. 52), 91 Dänzer, Carl, 216, 210, 234 Daniels, Edward, 36, 75, 92–94, 100 Domschcke, Bernhard, 52 (Anm. 89), 57 (Anm. 108), 94
Doolittle, James R., 95 Droste-Hülshoff, Annette von, 18 Duden, Carl, 197 Dumas, Alexandre, 220 Durkee, Charles, 92, 95 Engelmann, Peter, 45 (Anm. 56), 48, 89 Esselen, Christian, 141 Ferslew, W. Eugene, 166, 167 Fessel, Christian, 42, 73 Fick, Heinrich, 154, 172 Finkler, Wilhelm, 60, 89 Fitch, Thomas, 87 Fletcher, Myla F., 143, 151, 204 Fogg, George G., 120, 137, 145, 169–70, 201–202 Freiligrath, Ferdinand, 35, 47 Frémont, John Charles, 148, 200 Fröbel, Julius, 126 Garibaldi, Giuseppe, 64, 105, 106, 134, 151 Giesler, Elisabeth Hülswitt (Mutter), 15, 33, 97; Besuche von Mathilde Anneke, 41, 43, 72, 83 Briefe an, 104–108, 121–24, 142–47, 164–65; Korrespondenz mit, erwähnt, 87, 143, 158, 198, 220; Mary Booth über, 35, 36, 81; Trennung von Mathilde Anneke, 83, 88, 121, 124, 195, 201, 214, 233; Siehe auch Krankheit und Verletzung Giesler, Julius (Bruder), 122, 220 Giesler, Louise (Schwägerin), 104, 122, 220 Glover, Joshua, Gefängnisausbruch, 14, 34, 36 (Anm. 15), 62 (Anm. 125), 70–71 Siehe auch Booth, Sherman Goegg, Amand, 142 Gritzner, Maximillian, 111, 148 Halberg, Emma Emilia, 160 Hammacher, Franziska Rollmann, 61 (Anm. 122), 103, 122, 143, 144; Ehe von 83 (Anm. 44) Hammacher, Friedrich, 83–84, 140, 144, 230, 232 Hatzfeldt, Sophie Josepha Ernestine von, 120–21, 122, 123, 179, 212;
Personenregister
243
Besuche bei 163, 171, 173; Geschenke von, 131, 149; Heine, Heinrich, 35, 105 (Anm. 15), 120 (Anm. 68), 207 (Anm. 42); Zitate von, 43, 52 Hepp, Johann Adam Philipp, 102, 127, 137, 148, 171, 199; Reaktion auf das Militärgerichtsverfahren von Fritz Anneke, 188, 189–90; Schulden bei, 197 Herwegh, Emma, 105, 121–22, 129, 131, 136; beendete Freundschaft mit, 154; Klavierspiel von, 107 Herwegh, Georg, 67, 105, 120–21, 122–23, 128, 154–55, 187 Hölzlhuber, Franz, 45, 59 Hurlbut, Stephen Augustus, 181, 188
Lavater, Johann Kasper, 110, 137–38, 185 (Anm. 49) Leslie, Frank, 167–68; Bezahlung durch, 45, 69; Übersetzung für, 40, 49, 59, 60 (Anm. 116), 61 Lexow, Rudolph, 98, 231, 232, 234; Bezahlung durch, 45, 49, 57, 136, 198 Siehe auch Criminal-Zeitung und Belletrisches Journal Lincoln, Abraham, 57 (Anm. 108), 94 (Anm. 78), 106, 148 (Anm. 56), 151 (Anm. 69), 193, 200, 217 Linke, Thomas J., 116, 197, 231 Lippincott, Joshua, 205, 221 Lipka, Bertha, 54 Liszt, Franz, 107
Kapp, Cäcilie: als Lehrerin, 220, 225; Besuche bei Mathilde Anneke und Mary Booth, 107, 134, 144, 146; Beziehung zu Percy und Hertha Anneke, 214, 218; Briefe an Mathilde, 209–10, 213; in Paris, 214, 216, 218; Pläne eines Umzugs nach Milwaukee, 224–25, 228, 233–34 Siehe auch romantische Freundschaft Kapp, Friedrich, 149, 211, 232 Kapp, Ottilie, 47, 105, 158; und Familie, 107 (Anm. 26), 127, 129, 131, 134, 144 Karcher, Théodor, 90 King, Rufus, 59 (Anm. 112) King, Susan, 87 Kinkel, Gottfried, 18, 47, 151, 205 Kinkel, Gottfried Jr., 151 Knell, John, 175 Kriege, Mathilde, 229
Märklin, Edmund, 57, 74, 81 (Anm. 37), 124, 146, 190–91 Marx, Karl, 17–18, 90, 95 (Anm. 85), 120 (Anm. 66); Cousine von, 53 (Anm. 94) Mitarbeiter von, 35 (Anm. 10), 47 (Anm. 70), 54 (Anm. 95), 68 (Anm. 147), 100 (Anm. 105), 141 (Anm. 27) Marxhausen, August, 91 Mazzini, Giuseppe, 44 (Anm. 51), 64 McClellan, George B., 151–52 McClernand, John A., 153, 165, 176, 184 Messmore, Isaac E., 163–64, 175, 181–82, 187 Miller, Elizabeth Smith, 128, 137, 231
Lachmund, Carl, 198, 201, 211; Freundschaft mit Fritz Anneke, 162 (Anm. 88), 167, 171, 172 Militärdienst von, 175, 183 Lassalle, Ferdinand, 15, 23, 116–17, 154–55 (Anm. 81), 179, 212
Ottendorfer, Anna, 96 (Anm. 88), 97, 99 Otterburg, Marcus, 57, 79 Paine, Hortensius, 62, 86 (Anm. 50) Pestalozzi, Karl, 138, 152, 153, 172, 214 Pfeiffer, Ida, 35 Raster, Hermann, 116, 185, 186, 189, 190, 233 Reitzenstein, Pauline von (Schwester), 108, 123, 146 Richmond, James Cook, 35, 37, 62, 81, 108, 130, 233; als Geistlicher, 35 (Anm. 11), 62, 75–77, 81; Interesse an der deutschen Sprache, 37, 76;
244
Register
Ritzinger, Friedrich, 136, 143 (Anm. 41), 159, 171, 189 Ritzinger, Maria, 143, 151 Robinson, Solomon S., 167 Rollmann, Franziska Siehe Hammacher, Franziska Rollmann Rollmann, Maria Christina Elisabeth, 144 Ross, Leonard F., 184 Ruppius, Otto, 57, 60, 68, 131 (Anm. 106) Rüstow, Friedrich, 105, 117, 120, 154, 172, 179 Rüstow, Anna Katharina, 154 Saint-Hilaire, Jules Barthélemy, 171 Sallet, Friedrich von, 35 Salomon, Edward, 158 (Anm. 83), 174–75, 183 Sanne, Hertha Anneke Siehe Anneke, Hertha Schabelitz, Jakob, 197 Scheffer, Louis, 107 (Anm. 26), 122 (Anm. 72) Schleiermacher, Friedrich, 29 Schmidtill, Emily, 211, 215 Schmidtill, Ida, 89 (Anm. 61), 211 (Anm. 51), 215, 232 Schmidtill, Sigmund, 89, 232 Schmitt, Carl, 140, 143, 205 Schmitt, Caroline, 143 (Anm. 42) Schnake, Friedrich, 211, 212, 215 Schöffler, Moritz, 127, 138, 143 Schurz, Carl, 81, 152; in Baden 1848–1849, 18, 37, 139, 184; im amerikanischen Bürgerkrieg, 128, 135, 142, 145; Mathilde Annekes Meinung über, 94, 128, 134–35, 142, 161, 189; politische Karriere von, 74, 94, 106, 152 Schurz, Margarethe, 81, 106 Schwedler, Friedrich, 51, 56, 59 (Anm. 114), 91 Seward, William, 94, 152 Sholes, Charles C., 86 Sigel, Franz, 141–42, 147–49 Smith, Gerrit, 15, 232; als Figur in der Sclaven-Auction, 126 (Anm. 84); Korrespondenz mit, 119, 128, 138, 146, 152, 204; Familie von, 128, 137, 152 (Anm. 71), 231; Geschenk von, 138
Sobolewski, Johann, 74 Stallo, J. B., 227 Stanton, Edwin, 152 (Anm. 71), 180, 192 Stanton, Elizabeth Cady, 24, 34 (Anm. 21), 152 Störger, Johanna („Fanny“) (Tochter), 16, 36, 234; Besuche bei, 99–100, 117, 215, 216, 231–31; Korrespondenz mit, 107–108, 124; Trennung von Mathilde Anneke, 83, 195, 233 Siehe auch Krankheit und Verletzung Störger, Paul (Schwager), 36 (Anm. 18), 234 Störger, Paula (Enkelin), 223 Streit, Feodor, 154 Struve, Amalie, 129 Struve, Gustav, 97–98, 129 (Anm. 96, 97), 148 (Anm. 57), 154 (Anm. 81) Struve, Heinrich, 129 Szarvady, Frigyes, 221 Tabouillot, Alfred von, 16 Techow, Gustav Adolph, 151 Turnverein, 58, 75 (Anm. 16), 85 Uhl, Anna Siehe Ottendorfer, Anna Varnhagen, Karl August, 129, 131 Vogt, Karl, 90 Wagner, Richard, 107 Waring, George E., 165, 167 (Anm. 8), 175, 176–77 Washburne, Elihu, 148 Weiskirch, Alma (Nichte), 69, 77, 84, 147 Weiskirch, Emil (Schwager), 39, 69, 160, 171, 234; Geld versandt mittels, 168, 171; Korrespondenz mit, 142, 187, 199; Weiskirch, Ida (Nichte), 69, 77, 84, 147 Weiskirch, Johanna (Schwester), 33, 69, 143, 234; Korrespondenz mit 143, 222–27 Willich, August, 18, 95, 141 (Anm. 29), 184, 201, 227 Wüst, Theodore, 204 (Anm. 28), 221 Zeller, Susanna und Thomas, 111, 138, 150, 154, 172 Zündt, Ernst Anton, 48, 57, 69, 108, 143
Ortsregister
245
Ortsregister Bad Ragaz, Schweiz, 131, 137, 179 Baden, 155; Teilnehmer an den Revolutionskämpfen von 1848–1849, 37 (Anm. 22), 57 (Anm. 107), 67 (Anm. 142), 95 (Anm. 85), 98 (Anm. 96), 115 (Anm. 53), 126 (Anm. 85); während der Revolutionen von 1848–1849, 13, 18–19, 34–35, 36–37, 141–42, 183 Baden, Schweiz, 52, 149, 152 Basel, 52, 103, 217 Bremen, 100, 102–103, 194, 212 Cairo, Illinois, 163, 183 Chicago, 149, 152 Chur, Schweiz, 65, 140, 171 Corinth, Mississippi, 135 Detroit, 38–39, 52, 91 (Anm. 71), 95, 199 Dietikon, Schweiz, 190 Dortmund, 17, 39, 103 Engadin, Schweiz, 64 (Anm. 132), 123 (Anm. 79), 144, 152 (Anm. 72), 163, 171, 172 Frankreich, Beobachtungen zu, 217 Siehe auch Paris Giessbach, Schweiz, 170, 171 Grand Haven, Michigan, 39, 47, 73, 76 Grand Rapids, Michigan, 47, 59, 63 Heidelberg, 140, 143, 144, 205 Hottingen, Schweiz, 138 (Anm. 19), 195, 214 Indianapolis, 121, 143, 151, 189 Interlaken, Schweiz, 170, 171, 173, 191 Italien, 51, 53, 54, 55, 71; Frieden in, 64–65, 66, 68; Krieg in, 33, 63, 71, 105 Siehe auch Garibaldi, Giuseppe Karlsbad, Baden, 44 (Anm. 52), 131 Köln, 18
La Chaux-de-Fonds, 169–70 Lansing, Michigan, 195, 199, 201, 207 Le Havre, 96 Limmat, Schweiz, 190 Madison, Wisconsin, 25, 36, 45, 86, 188 Mailand, Italien, 64, 71, 72 Michigansee, 19, 39, 43, 73 (Anm. 6), 224 Milwaukee: als Heimat, 224–25; Ausflüge in der Umgebung von, 42, 73–74, 75, 76, 97; Beobachtungen zu, 19; Politik in, 89 Münster, 16, 18, 103, 212 New Haven, Connecticut, 20, 204 (Anm. 27) Newark New Jersey Freie Zeitung, 68, 80 Newark, New Jersey: die Annekes in, 19, 35 (Anm. 6), 97–98, 233; Johanna („Fanny“) Störger in, 96, 216, 222, 233 Paris: Ausflüge in der Umgebung von, 227–28, 230–31; Betrachtungen über, 227; Politik in, 68; Umzug nach, 213–14, 217, 227 Pfäfers, Schweiz, 140, 144 Rapperswil, Schweiz, 65, 171 Rastatt, Baden, 141 Rhein, 52, 62 Southampton, England, 48 (Anm. 75), 54, 64, 96, 102, 103; Korrespondenz via, 48, 54, 56 Springfield, Illinois, 141, 145, 148, 153 St. Louis, Missouri, 57, 97, 201, 225; Fritz Anneke in, 142 (Anm. 32), 210, 216; Mathilde Annekes Meinung über, 224, 228, 232; Schulen in 225 Straßburg, 19, 51–52, 59, 66, 217
246
Register
Taminaschlucht, Schweiz, 140, 144 Tarasp, Schweiz, 123, 171, 178 Ubstadt, Baden, 141 Vicksburg, Mississippi, 153 (Anm. 73), 170, 172, 174, 189
Zürich: als „Heimat“, 217; Ausflüge in der Umgebung von, 64, 65, 112–13, 126, 127–27, 190; Betrachtungen über, 58, 72, 104–105, 191 Siehe auch Mietwohnung
Walensee, 65
Sachregister Abolitionist:innen Siehe Booth, Sherman; Glover, Joshua und weitere individuelle Namen Achtundvierziger:innen, 13 Siehe auch Revolutionen von 1848–1849 und Namen von Revolutionären Ärzt:innen: Behandlungen durch in Zürich, 131, 133, 150, 152, 197–98; Empfehlungen von in Zürich, 134, 135, 136, 137, 140; in Milwaukee, 36, 42, 65, 73, 82, 88; in New York, 204, 206, 222–23; Rechnungen von, 159, 160, 196–97; Siehe auch Krankheit und Verletzung Allgemeine Augsburger Zeitung, 112, 115–16, 160, 185; Fritz Annekes Artikel für die, 115, 136, 228, 233; Mathilde Annekes Artikel für die, 114, 126, 189; Post weitergeleitet durch, 135, 212 Amerikaner:innen, kritische Betrachtung der, 82, 95, 196 Siehe auch Vereinigte Staaten von Amerika American Party Siehe Know Nothing Party Amerikanischer Bürgerkrieg, 149, 202–203; die Reaktion der Kinder zu, 147, 152–53, 185–86; Europäer:innen zu, 117, 179; Fritz Annekes Militärdienst, 101, 112, 117, 123, 127–28, 143, 153, 158; Mary Booth zu, 145, 179, 185–87;
Mathilde Anneke unterstützt Fritz, 115, 125; Mathilde Anneke zu, 121–22, 128, 145, 151–52; Mathilde Annekes Beurteilung von Fritzens Militärdienst, 130–31, 134–35, 141–42, 145, 147–48; transnationale Dimensionen des, 20–21, 179 Siehe auch Militärgerichtsverfahren Angst Siehe Niedergeschlagenheit; Trauer; Sorge Armut: in Milwaukee, 59, 70, 71, 78–80; in Paris, 221–22, 230; in Zürich, 231–32, 154, 158–60, 197 Bildung Siehe Anneke, Hertha; Anneke, Percy; Beust, Friedrich von und Namen Erziehern und Ausbildungsstätten Berliner Bösenzeitung, 228, 233 Briefe: an stationierte Truppen, 126; Lesen von, 40, 56 mit beigelegten Bildern, 83, 91, 105, 123, 140, 167–68, 189–90; mit beigelegten Blumen, 49–50, 56, 57, 61, 72, 95; private, 108, 118–19; Versandbedingungen, 47, 54, 56–57, 96, 97, 112; Versandkosten, 70, 71, 78, 80; verschollene, 43, 54, 71, 78, 117, 123; Siehe auch Post
Sachregister
Buchveröffentlichungen, 116, 105–106 (Anm. 15), 122, 205–206, 221 Buffalo Telegraph, 80, 85, 172 (Anm. 26) Carré-Institut, 214, 217–18 Chicago Illinois Staatszeitung, 52 (Anm. 88), 74, 116 (Anm. 54), 155, 233; Fritz und Mathilde Annekes Artikel für die, 52, 57, 78, 151, 220, 222 Cotta-Verlag, 106, 112 (Anm. 37), 154, 159, 228 Criminal-Zeitung und Belletrisches Journal, 59, 98, 114, 115, 126–27, 129, 190 Daughters’ Institute Siehe Töchter-Institut Demokratische Partei, 146, 200 (anm. 15), 210 (Anm. 26), 228 Detroit Michigan Journal, 68, 91 (Anm. 71) Deutsche Frauen Zeitung, 19 deutsche Sprache: Beherrschen der, 55, 81, 225; Erlernen der 38; Literaturverein, 76; Siehe auch Übersetzung Ehe: Friedrich und Franziska Hammachers, 83–84; Fritz und Mathilde Annekes, 38–39, 41–42, 71–72, 78–80, 108, 161, 207–208; Georg und Emma Herweghs, 105; Mathilde und Alfred von Tabouillots, 16; Sherman und Mary Booths, 44–45, 58–59, 69, 118–19, 191–92 Siehe auch Unterhaltszahlungen; Scheidung; Erziehung; romantische Freundschaft Einbürgern, 26–29 englische Sprache, 41, 60–61, 76, 77; Beherrschen der, 35, 36, 60–61, 225; Unterricht der, 20 Siehe auch Übersetzung Einwanderer:innen: in der Unionsarmee 20–21; in Milwaukee, 19 Erziehung, 102, 112, 121, 198–99; als Lebensaufgabe, 129, 153, 162, 198;
247
Ehe und, 41, 44–45; Trennung von den Kindern und, 72, 78, 103, 111–12, 136, 140, 198, 199; Verantwortung und, 80, 125, 136, 214, 224–25 Siehe auch Unterhaltszahlungen; romantische Freundschaft und Namen der Kinder Europa, als Heimat, 66–67, 88, 103, 104, 234 Siehe auch Vaterland; spezifische Orte Feminismus Siehe Frauenrechte französische Sprache: Erlernen der, 39, 193, 214, 218, 221; Text in der, 171; Unterricht der, 225, 226 Frauenrechte, 16, 18–19, 37, 72, 216, 220 Freimaurer, 163, 164–67, 182 Frömmigkeit: der Kinder, 38, 75, 78, 81, 206–207; Mathilde Annekes Widerstand gegen die, 16, 206–207, 225, 235 Siehe auch Kirchen Gartenlaube, 106 Geburtstage: der Kinder, 68, 69, 102–103, 110, 147; von Familienmitgliedern und Freunden, 42, 77, 90, 98, 123, 131, 134, 164, 228; Geld: Ausgaben in Milwaukee, 51, 53–54, 55, 57–58, 72; Ausgaben in Paris, 218, 221–22, 227–28; Ausgaben in Zürich, 113–14, 116, 129–30, 138–40, 159–60, 168–69, 197; finanzielle Mittel, 54, 61, 98, 153, 187, 201, 210, 214, 217, 230, 232; Geldforderungen an Fritz Anneke, 79, 136, 152, 161, 219, 226, 230–31; steigender Grundstücksverkauf, 94–95; Weiterleitung von, 53–54, 61, 168–69, 171–72, 187 Siehe auch Unterhaltszahlungen; Schulden; Armut; Mietwohnung und Namen von Zeitungen, Verlegern und Herausgebern
248
Register
Gerichtsverfahren wegen Verführung, 45, 65, 67, 69, 70; Anwälte und das, 55, 58; Vorbereitungen für das, 55–56, 58–59, 62–63 Gesundheit Siehe Krankheit und Verletzung Geisterhaus in New-York, 40 (Anm. 37), 60 (Anm. 116), 61, 114 Publikation von, 116, 122, 199; Reaktion auf, 221 Geschenke, 34, 90–91; für Kinder, 81–82, 99, 100, 103, 118, 123, 146; Geldgeschenke, 138, 149; versandt (an Erwachsene), 73–74, 91, 99, 173, 230 Siehe auch Briefe; Geburtstage; Weihnachten Gewicht, Zu- und Abnahme, 44, 97, 103 Haushaltshilfen, 62–63, 107, 125, 128, 130, 217 Siehe auch Cook, Caroline; Vergewaltigung; Gerichtsverfahren wegen Verführung Heimat Siehe Europa, als Heimat; Vaterland; Milwaukee; Mietwohnung; Vereinigte Staaten von Amerika; Zürich Indianer:innen, amerikanische, 46, 74, 76, 77 Karneval, 126 Kinder Siehe Geburtstage; Unterhaltszahlungen; Frömmigkeit; amerikanischer Bürgerkrieg, Tod, Ausbildung, Trauer, Krankheit und Verletzung, Musik, Erziehung und individuelle Namen Kirchen: in Milwaukee, 62, 76, 78, 81; in Zürich, 110, 147, 173, 186 Siehe auch Frömmigkeit Know Nothing Party, 74 (Anm. 14), 123, 125, 200 Korrespondenz Siehe Briefe; Post und Namen von Zeitungen und Verlegern Krankheit und Verletzung: Behandlung von, 44, 49, 79, 133–34, 168, 222–23
Christian Annekes, 53; Fritz Annekes, 115; Elisabeth Gieslers, 48, 84–85, 87, 91–92, 97, 199, 233; Hertha Annekes, 44, 73, 102, 124, 140, 147, 152; Johanna („Fanny“) Störgers, 99, 107–108, 223–24, 233–34; „Kuren“ für, 131, 137, 149–50, 152, 171, 179, 179, 204; Mathilde Annekes allgemeiner Gesundheitszustand, 135–36, 140, 145–46, 149–50, 159; Mathilde Annekes Dekubitus, 152, 160; Mathilde Annekes „Gichtleiden“, 152–53, 186, 212; Mathilde Annekes Kopfschmerzen und Fieber, 74, 126–27, 128; Mathilde Annekes Krämpfe, 44, 48; Mathilde Annekes Leberleiden, 69, 107, 228; Mathilde Annekes verbesserter Gesundheitszustand in Paris, 227, 228; Percy Annekes, 124, 150; Mary Booths allgemeiner schlechter Gesundheitszustand, 56, 138, 170, 201–207; Mary Booths Epilepsie, 206; Mary Booths Gesichts- und Zahnschmerzen, 36, 58, 62, 82, 160; Mary Booths Tuberkulose, 36, 136, 201– 202, 197–98, 222–23; Siehe auch Ärzt:innen Kurrentschrift, 26 Medizin Siehe Krankheit und Verletzung; Ärzte Mietwohnung, 104, 106–107, 127, 138; Gerichtsverfahren wegen der, 138, 154, 172, 198 Militär Siehe Baden; amerikanischer Bürgerkrieg; Militärgerichtsverfahren; Italien; preußische Armee; Rüstow, Friedrich; United States Colored Troops Militärgerichtsverfahren, von Fritz Anneke (Ehemann), 164–65; Haftflucht, 183, 186;
Sachregister
Gerichtsverfahren, 174–76, 181–83, 188–89, 192; Mathilde Annekes Reaktion zum, 167–68, 170, 185–87, 189; Proteste zum, 165–67, 180–85; Reaktion der Zeitungen zum, 187, 189–90, 194–95; Milwaukee Atlas, 74; Bezahlung durch den, 57, 68–69, 79; Fritz Annekes Artikel für die, 52, 57, 59, 67, 74–75; Milwaukee Daily Life, 116 (Anm. 58), 149 (Anm. 62), 174 (Anm. 30), 191; Mary Booths Artikel für die, 149, 174, 191 Milwaukee Daily Sentinel, 56, 78; Bezahlung durch den, 79; Fritz Annekes Artikel für die, 52, 59–60, 75; Milwaukee Free Democrat, 39 (Anm. 31), 51, 55 (Anm. 99), 59, 87 (Anm. 54), 89, 91 Milwaukee Gradaus, 57 Milwaukee Herold, 189, 191, 198 Milwaukee Seebote, 40, 42 Milwaukee Volksblatt, 57 Milwaukee Wisconsin Banner und Volksfreund, 40, 42, 48, 67, 114, 124, 146 Milwaukee Wisconsin Freeman, 20 Musik, 43, 55, 74, 76–77, 107; der Kinder, 195–96, 199, 208, 215, 221, 230 National Woman Suffrage Association, 24 Neue Kölnische Zeitung, 18, 35 (Anm. 10), 122 Neujahrsfeierlichkeiten, 122 New-Yorker Demokrat, 48, 52, 56, 59 (Anm. 114), 188 New York Staats-Demokrat, 51 (Anm. 87), 59 Niedergeschlagenheit, 127, 130, 135, 154, 158– 60, 186–88 Siehe auch Trauer; Sorge Ostern, 134 Politik: die USA vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, 37 (Anm. 22), 74, 93–94, 106; die USA während des amerikanischen Bürgerkriegs, 148, 201, 216–17, 220, 223, 233; europäische, 129, 179, 184–95;
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Siehe auch Demokratische Partei; Wahl von 1860; Republikanische Partei und Namen von Politikern preußische Armee, 17, 180 Realia, 30 Reisen Siehe Transport und individuelle Orte Reisepässe, 51, 52, 92, 97, 100 Republikanische Partei, 74, 92, 95, 106, 148, 194, 216 Revolutionen von 1848–1849, 17–18, 66–67, 120 Siehe auch Baden und Namen von Revolutionären romantische Freundschaft, 21–23; Bewunderung und, 34–35, 36–37, 108; Erziehung und, 41, 72–73, 80–82, 195–96; gegenseitige Unterstützung in Zürich, 152, 159–60, 169–70, 197–98; Liebesbezeugungen und, 97–98, 155–56, 202–203; Mary Booth unterstützt Mathilde Anneke in Milwaukee, 42, 44, 45, 85, 88, 90–91; Mathilde Annekes unterstützt Mary Booth in Milwaukee, 36, 56, 59, 62, 67; Trennung, 195–96, 201–202, 206; Zeichen von Liebe und, 41, 46, 49, 72–73, 82, 195, 229–30 Siehe auch Tod; Trauer; Kapp, Cäcilie Scheidung, 16, 44–45 Schulden, 39, 49, 78, 95; Begleichung von, 230, 231, 232; bei Friedrich von Beust, 114; bei Gerrit Smith, 119; Ehrenschulden 125; in Zürich, 129–30, 136, 153, 197, 213, 215 Sclaven Auction, 126, 146 Schützenfeste, 67, 68, 169–70 Schwarze Amerikaner:innen, 128, 176–78, 200 sexuelles Fehlverhalten, 128, 232; vermutetes, 55 Siehe auch Vergewaltigung; Gerichtsverfahren wegen Verführung Sightseeing Siehe individuelle Orte Sklaverei, 128, 232
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Register
Skopostheorie, 26, 29–30 Solferino, Schlacht von, 64, 68 St. Louis Anzeiger des Westens, 52 (Anm. 86), 54 (Anm. 95), 60, 68 (Anm. 147), 210, 216, 228, 233 Siehe auch Dänzer, Carl; St. Louis Westliche Blätter St. Louis Neuer Anzeiger des Westens Siehe St. Louis Anzeiger des Westens St. Louis Westliche Blätter, 52, 57, 59, 60, 68 Sturmgeiger, 116, 122, 212, 218 Tiefen Brunnen (Gasthaus), 50, 53, 72, 96 Trennung Siehe Anneke, Hertha; Anneke, Percy; Booth, Mary Ella; Unterhaltszahlungen; Ehe, Erziehung; romantische Freundschaft Tod: Betrachtungen zum, 132, 153, 162, 220, 222–23, 233; der Kinder, 19, 33, 224; von Mary Booth, 197–98, 216, 229–30, 234–35; von weiteren Personen, 51, 97, 129, 160, 212 (Anm. 53), 229 Siehe auch Trauer Töchter-Institut, 23, 216, 220, 224–27, 233 Transport: Eisenbahnbeförderung, 52, 65, 217, 234; Fluss, 102; Meer, 59, 102, 111, 231–32, 234; mit der Kutsche, 53, 75, 99, 103, 129, 204; Seebeförderung, 39, 59, 65, 73, 76;
Trauer, 229, 234; über Mary Booths Tod, 229–31, 234; über den Tod von Kindern, 66, 103, 127, 157, 161, 195 Siehe auch Tod Übersetzung, 26–31; Mathilde Annekes, 40, 43, 45, 61 Uhland in Texas, 106 (Anm. 16), 199, 221 United States Colored Troops, 176–78 Unterhaltszahlungen, 16, 58; Sherman Booths fehlende, 88, 94–95, 113–14, 118, 129, 130, 159, 191–92, 197; von Sherman Booth, 153, 171–72 Ureinwohner:innen, 46, 72, 74, 76–77 Vaterland: Amerika als, 104, 117, 145, 180, 224, 231; Deutschland als, 66, 83, 129 Vereinigte Staaten von Amerika: allgemeine Kritik an den, 52, 66–67, 83, 88, 95, 191, 200; als Heimat, 88, 147, 195, 198, 206, 228; Kritik an der Landschaft innerhalb der, 90; Siehe auch Amerikaner; Vaterland; und spezifische Orte Verfremden, 26–30 Vergewaltigung, 62–63, 65 Siehe auch Gerichtsverfahren wegen Verführung Wahlen von 1860, 106 Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen, 16 Weihnachten, 105, 122, 157–60 Züricher Zeitung, 112, 187, 189 Zweiter italienischer Unabhängigkeitskrieg Siehe auch Italien
Diese Briefsammlung enthüllt den bemerkenswerten persönlichen wie politischen Radikalismus der Mathilde Franziska Anneke. In Preußen war sie eine namhafte Feministin und Demokratin, die allgemeine Bekanntheit erlangte, als sie sich von ihrem ersten Ehemann scheiden ließ und an den Revolutionen von 1848/49 teilnahm. Nach ihrer Auswanderung in die Vereinigten Staaten wurde sie eine bekannte Vertreterin von Abolitionismus, Frauenwahlrecht und Mädchenbildung. Den Zeitraum zwischen 1859 und 1865 prägte ihre intensive romantische Freundschaft mit der Abolitionistin Mary Booth.
ISBN 978-3-515-13331-9
9 783515 133319
Sieben Jahre lang war Anneke ihrer Freundin eine Stütze, als deren Ehemann Sherman erst wegen „Verführung“ angeklagt und dann wegen seines Abolitionismus inhaftiert war. Die beiden Frauen zogen mit drei ihrer Kinder nach Zürich, wo sie Antisklaverei-Literatur verfassten, sich mit führenden Radikalen umgaben und den amerikanischen Bürgerkrieg verfolgten. Annekes Briefe vermitteln einen neuen Blickwinkel auf eine bedeutende deutschamerikanische Frauenrechtlerin und neue Erkenntnisse zur Geschichte des transatlantischen Radikalismus.
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