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German Pages 376 [377] Year 1964
D E U T S C H E A K A D E M I E DER W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N S C H R I F T E N DER SEKTION FÜR
ALTERTUMSWISSENSCHAFT
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QUMRAN-PROBLEME VORTRÄGE DES L E I P Z I G E R S Y M P O S I O N S Ü B E R Q U M R A N - P R O B L E M E VOM 9. B I S 14. OKTOBER 1961
H E R A U S G E G E B E N VON
HANS BARDTKE
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1963
Cutachter dieses Bandes: Otto Eißfeldt und Johannes Irmscher
Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Redaktor dieses Bandes: Ursula Treu
Erschienen Im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipsiger Str. 3—4 Copyright 1963 by Akademie-Verlag GmbH LUenimimmer: 202 • 100/9S/63 (52) Druck: Nationale» Druekhaui, VOB National BetteUnummer: 2067/42 • ES 7 M
Vorwort Die In diesem Band vereinten Torträge des Leipziger Symposions über Qumrän-Probleme konnten nicht so schnell veröffentlicht werden, wie es wünschenswert gewesen wäre. Die Sinsendung der Manuskripte ließ oft lange auf sich warten, die redaktionelle Arbeit erforderte ein bestimmtes Käß an Zeit. Daher haben sich Verlag und Herausgeber entschlossen, das Offsetdruckverfahren anzuwenden, um den Band möglichst rasch herauszubringen. Es maßte bei diesem Druckverfahren allerdings in Kauf genommen werden, daß die Autoren der Beiträge keine Korrekturfahnen erhielten. Der Leser wird aus diesem Grunde um freundliche Rücksichtnahme gebeten. Der Herausgeber hat für viele und gern gewährte Hilfe sehr herzlich zu danken. Herrn Professor Dr. Irmscher sei gedankt für die Aufnahme dieses Werkes in die von ihm betreute Beihe "Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft" sowie für seine unermüdliche Sorgfalt, mit der er die Veröffentlichung erfolgreich vorbereitete. Prau Ursula Hübner, Berlin, schuf das der Veröffentlichung zugrunde liegende Schreibmaschinenmanuskript mit großer Umsicht und Akribie. Dr. Siegfried Wagner und Dr. Joachim Conrad, Assistenten am Institut für alttestamentliche Wissenschaft der Karl-Marx-Universität zu Leipzig, prüften die Manuskripte vor Beginn des Druckverfahrens. Die Mitarbeiterin des Dekanates der Theologischen iakultät Leipzig, Prau Frida Biedel, leistete ebenfalls wertvolle Hilfe in den zahlreichen Schreibarbeiten. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei an dieser Stelle herzlicher Dank ausgesprochen. Leipzig, Herbst 1962
Hans Bardtke
Inhaltsverzeichnis Abkürzungen
VII
Hans Bardtke (Leipzig) Ansprache zur Eröffnung des Leipziger Symposion über Qumrinprobleme
1
Joseph Anussin (Leningrad) Spuren antiqumrinlscher Polemik In der talmudlschen Tradition
5
Hans Bardtke (Leipzig) Acedia in Qumrin
29
Hans Bietenhardt (Bern) Sabbatvorschriften von Qumrin Im Lichte des rabblnischen Hechts und der Evangelien «
53
Jean Carmignac (Paris) U n Qumrânien converti au Christianisme: l'auteur des OdeB de Salomon
75
Matthias Delcor (Toulouse) Le vocabulaire juridique, cultuel et mystique de 1' "initiation" dans la secte d £ Qumrân 109 Johannes Duty (Rostock) Zur Untersuchung von Kulturlandschaften mit biologischen Methoden
135
Walter Grundmann (Eisenach) Stehen und Fallen im qumrinischen und neutestamentlichen Schrifttum
147
Istv&n Hahn (Budapest) Josephus und die Eschatologie von Qumrin
167
Johannes Hempel (Göttingen) Die Stellung des Laien in Qumrin
193
Svend Holm-Meisen (Kopenhagen) "Ich" in den Hodajoth und die Qumrängemeinde
217
VI Claus-Hunno Hunzinger (Göttingen) Beobachtungen zur Entwicklung der Disziplinarordnung der Gemeinde von Qumrän
231
Johannes Irmscher (Berlin) Der Beitrag der neugriechischen Forschung zum Qumränproblem
249
Arvld S. Kapelrud (Oslo) Die aktuellen und die eschatologischen Behörden der Qumringemeinde
259
Ladislaus M. P&kozdy (Debrecen) Der wirtschaftliche Hintergrund der Gemeinschaft von Qumrin 269 Jan P. U. van der Ploeg (Hijmegen) Zur literarischen Komposition der Kriegsrolle
293
Carl Schneider (Speyer) Zur Problematik des Hellenistischen in den Qumrintexten.. 299 Stanislav Segert (Praha) Die Sprachenfragen in der Qumrängemeinschaft.
315
Vitold Tyloch (Varszawa) Quelques remarques sur le caractère social de mouvement de Qumrfin
J41
Eonrad Weiß (Bostock) Messianismus in Qumrln und im Neuen Testament
353
Abkürzungen AASOR
The Annual of the American Schools of Oriental Research, New Haven Archiv Orientaln1, Frag
Ar Or SA Bi(bl) Ar(ch)j The Biblical Archaeologist, New Haven BASOB The Bulletin of the American Schools of Oriental Research, New Haven - Baltimore BBB Bonner Biblische Beiträge, Bonn BHIh Beiträge zur historischen Theologie, Tübingen BZAV Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, (Gießen), Berlin DJD Discoveries in the Judaean Desert I, II, Oxford 1955 - 1961 JBL Journal of Biblical Literature, Philadelphia JSS Journal of Semitic Studies, Manchester NTD Das Neue Testament Deutsch (Neues Göttinger Bibelwerk), Göttingen BIS New Testament Studies , Cambridge ISJQ8 Palestine Exploration fund Quarterly Statement, London PG Patrologia Graeoa PW(RE) A. Pauly - G. Vissowa, Beal-Encyclopädie der klassischen Altertumswissenschaft NB 1894 BAO Reallexikon für Antike und Christentum, hrsg. v. Th. Klauser, 1941 ff. BB Bevue Biblique, Paris BOG Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen, 2. Aufl. 1927 - 1932, 3. Aufl. ab 1957 BtrB Straok-Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München 1922 ThTg. Theologische Literaturzeitung, Berlin ThW (BKE) Theologisches Worterbuch zum Neuen Testament, begr. v. G. Kittel, Hrsg. v. G. Friedrich, Stuttgart, 1933 ff.
VIII ThZ TU VT ZAV ZAWB ZDFV ZThX
Theologische Zeitschrift, Basel Texte imd Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur, Berlin Vetus Testamentum, Leiden Zeitschrift-für die alttestamentliche Wissenschaft, (Gießen), Berlin = BZAW Zeitschrift des Deutschen Palästinavereins, (Stuttgart), Wiesbaden Zeitschrift für Theologie und Kirche, Tübingen
Für die Siglen der Qumrinschriften sind die folgenden Verzeichnisse zu vergleichen: E. de Vaux, HB 60, 1953, S. 87 f. J. T. 1(11 ik In DJD I, S. 46 f.
Ansprache zur Eröffnung des Leipziger Symposion über Qumränprobleme Hans Bardtke, Leipzig
Mit dem Wort herzlichen Dankes sei das Leipziger Symposion über Qumrin-Problerne vom 9. bis 14. Oktober 1961 eröffnet. Dieser Dank gilt
im besonderen denen, die der Einladung zum Symposion gefolgt
und aus der Ferne und aus der Nähe zu uns gekommen sind. Ihre wissenschaftliche Arbeit, deren Forschungsergebnisse Sie in den zugesagten Referaten hier vortragen werden, bestimmt Wesen und Inhalt
des
Symposion. Der Würdigung ihrer Gedanken will das sich jeweils an die Vorträge anschließende Gespräch dienen, das in Rede und Gegenrede der Kritik Raum bietet, damit«die Problematik schärfer heraustrete, in Ihrem Ernst erkannt und um ihre Bewältigung gerungen werde. Seit 1947 erfüllt die Qumrihproblematik einen großen Teil des gegenwärtigen historischen Forschens. Nicht nur durch inzwischen gemachte neue Funde an Handschriften, sondern vor allem durch die Einzelforschungen ist die Problematik in ihrer ganzen Breite sichtbar geworden. Das ist ein Zeichen dafür, dafi hier wirklich Entdeckungen gemacht worden sind, die den forschenden Menschengeist ausfüllen und nicht zur Ruhe kommen lassen. Wenn wir auch mit großer Dankbarkeit feststellen können, daß im Gegensatz zu den ersten Schritten der Qumränforschung heute das Wesen der Gemeinde von Qumrän schärfer und klarer erkannt werden kann, so sind wir uns doch auch darüber klar , daß es noch einer Fülle weiterer Fragestellungen bedarf, um die entstandene Problematik zu bewältigen. Als ich im vorigen Jahr auf dem 2 5 . Internationalen Orientalistenkongreß in Uoskau meinen Vortrag über "Die Rechtsstellung der Qumrängemeinde" halten durfte, war ich mir bewußt, daß die Ihnlich-
2 keit der Qumrängemeinde mit den antiken Kultvereinen oder anderen Vereins- wvl Genossenschaftsorganisationen schon gesehen worden war. Professor Dr. van der PtLoeg hat dem mehrfach Ausdruck gegeben. Mir lag aber daran, über die soziologischen Ähnlichkeiten hinweg das Problem der Rechtsstellung der Qumrängemeinde in die Debatte einzubeziehen und hierfür die Mitarbeit der Rechtshistoriker zu gewinnen. Die Mitarbeit des Rechtshistorikers kann auf die Dauer in der Qumränforschung nicht entbehrt werden. Die Rechtsstellung der Qumrängemeinde bedarf einer gründlichen Beleuchtung von seiten der altorientalischen, jüdischen, ägyptischen und hellenistisch-römischen Rechtskultur. Leider ist es nicht möglich gewesen, schon für dieses Symposion einen Rechtshistoriker zur Mitarbeit zu gewinnen. Die Umfrage bei einem Kreis von Qumrinforsehern ergab das sehr bezeichnende Ergebnis, dafi die internen Rechtsfragen der Qumrängemeinde sich größerer Beachtung erfreuten, da diese durch exegetische Fragestellungen gegenüber den einschlägigen Qumräntexten behandelt werden konnten. Aus der Thematik der einzelnen Vorträge ist deutlich zu erkennen, welche Forschungsgebiete und welche Fragestellungen hier berührt werden sollen. Neben den rechtsgeschichtlichen Fragestellungen stehen die landeskundlichen Fragen von Qumrän im Blickfeld dieses Symposion. Durch die Arbeiten der Professoren D.Dr. P&kozdy, Debrecen-Ungarn, und Dr. Siegfried Schulz, Zürich, sind diese Fragen erneut aufgeworfen worden und haben zu neuer Sicht der Probleme geführt. Die Qumränforscher Professor Dr. Teicher und Del Medico haben sich entschieden gegen die Existenzmöglichkeit in Qumran und in seiner Umgebung gewandt, und In Rengstorfs neuer These von dem Vorhandensein der Tempelbibliothek in Qumran schwingt noch etwas von dieser Opposition gegen eine Existenzmöglichkeit in Qumran mit. Ich bin daher sehr dankbar, dafi Herr Professor D.Dr. P&kozdy aus eigener Kenntnis der Qumrängegend zu diesen Fragen sprechen wird.
3 In. meinem Aufsatz "Zwischen chirbet Qumrän imd 'en
feschcha"
habe ich die Frage aufgeworfen, ob alle Forschungsmöglichkeiten und -methoden in Qumrän angewendet und erschöpft worden seien, ob
nicht
etwa eine Bodenuntersuchung weitere Ergebnisse bringen könnte.Ich habe daher Herrn Dozent Dr. Duty von der Universität in Rostock gebeten, zu diesem Thema als Geograph zu sprechen und insbesondere die sogenannte Pollenanalyse zu behandeln. Der in der Gegend von 'en feschcha versumpfte Boden bietet für eine solche Analyse die geeignete Voraussetzung ständiger Bodenfeuchtigkeit. Auch die anderen Themen stehen unmittelbar und mittelbar zu den Grundthemen unseres.Symposion in Beziehung, ob nun die Spuren der antiqumr¡mischen Polemik im Talmud verfolgt werden oder der Messianismus in Qumrän und im Neuen Testament behandelt wird oder Spezialfragen der Ausdrucksweise und der Sprachgeschichte untersucht wer den. Bin Heferat behandelt ein wissenschaftsgeschichtliches
Thema
der Qumrinforschung. Herr Professor Dr. Irmscher, Berlin, hat
zu
meiner großen Freude zugesagt, über den Anteil der neugriechischen Forschung an der Qumrlnproblematik zu sprechen. Herr Professor
Dr.
Irmscher hat auch die Übernahme des Bandes mit den gesammelten Vorträgen unseres Symposion in den Verlag der Deutschen Akademie Wissenschaften zu Berlin zugesagt und hat sein baldiges
der
Erscheinen
freundlichst auf sein Herz genommen. Vielleicht wird nun mancher sagen, also wieder eine neue Hummer der Qumränliteratur. Ja, diese neue Nummer kommt, und sie wird nicht die letzte sein. Glücklicherweise nicht! Wer zu den großen
erregenden Qumränthemen seinen Bei-
trag leistet, ist stets im Kreis der Qumränologen willkommen.
Die
Namen und Arbeiten der Forscher, die so freundlich unserer Einladung nach Leipzig gefolgt sind, bürgen dafür, daß auch der Band mit
den
gesammelten Vorträgen der klärenden Weiterführung der Qumrinproblematik dienen wird.
4-
Unser Symposion ist durch die großzügige Hilfe des Staatssekretariates für Hochschulwesen in der Deutschen Demokratischen Republik ermöglicht worden. Für diese aus echtem wissenschaftlichen Interesse erwachsene Förderung unserer lagung darf ich Herrn Staatssekretär Dr.Girnus aufrichtigen Dank abstatten. Desgleichen darf ich Seiner Magnifizenz, dem Rektor der KarlMarx-Universität, Herrn Professor Dr.Dr.h.c. Georg Mayer, von Herzen danken für alle Hilfe und alles Entgegenkommen bei der Vorbereitung dieses Symposion. Diesen Dank darf ich zugleich auf alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Karl-Marx-Universität, die an dem Zustandekommen des Symposion mitgewirkt haben, ausdehnen. Den schönen und stimmungsvollen, stillen Bachsaal des Musikinstrumentenmuseums als Arbeits- und Tagungsstätte haben zu dürfen, danken wir der Freundlichkeit der Herren Professor Dr. Heinrich Besseler und Dr. Rubardt.
Spuren antiqumränischer Polemik in der talmudischen Tradition Joseph Amusain, Leningrad
Für die Klärung der Mentalität (Idéologie), des sozialen und religiösen Brauchtums dep Qumrängemeinde, ferner für die richtige Identifizierung derselben, ist es notwendig, den Kreis des vergleichenden Materials, das man zur Erforschung der Qumrän-Mss. heranzuziehen pflegt, möglichst zu erweitern. Sehr wertvoll sind in dieser Hinsicht die Belege aus der talmudischen Tradition. Die Auswertung des talmudischen Materials für die Qumränkunde hat früh begonnen (S. Zeitlin, R. Marcus, S. Libermarin) und wird auch neuerdings fortgesetzt (C. Rabin, M. Lehmann, J. Bowman, C. Both u. a.). Die ermittelten Parallelen sind ziemlich einleuchtend, ja sie waren auch durchaus zu erwarten, zumal die Qumrängemeinde und der Babbinismus auf gemeinsamem Boden fußen. Es hat sich indes eine Tendenz bemerkbar gemacht, die talmudischen Parallelen etwas einseitig heranzuziehen, und zwar als Beweis für die mittelalterliche Herkunft der Handschriften von Qumrün sowie für eine endgültige Identifizierung der Qumrängeme inde mit den Pharisäergenossenschaften ( m m a n ) . Wie wertvoll diese Parallelen gelegentlich auch sein mögen, sie können an sich die spezifischen Eigentümlichkeiten der Qumrängemeinde nicht erschließen. Zwecks Erarbeitung der charakteristischen und spezifischen Eigentümlichkeiten der QumrängemeInde wäre es indes von größtem Belang,neben den Übereinstimmungen mit der talmudischen Tradition auch die Auseinandersetzungen mit den Anschauungen und Gepflo genheiten der Qumrängemeinde in der talmudischen Überlieferung nachzuweisen und eventuell die rabbinische Polemik gebührend hervorzuhe-
6 ben. Da nun die Qumrängemeinde eine der oppositionellen Sekten innerhalb des Judentums gewesen ist, so dürfte es a priori zu erwarten sein, daß in der talmudischen Literatur nicht nur Parallelen schlechthin, sondern auch Spuren einer Polemik gegen die Ideologie der Qumrängemeinde (wie entstellt und zeitgemäß überlagert sie uns auch jetzt erscheinen mögen) nachweisbar sein müssen. Infolge der ungewöhnlich komplizierten Mannigfaltigkeit der talmudischen Literatur muß die Entscheidung dieser Präge einer sachgemäß systematischen Untersuchung des Immensen talmudischen Schrifttums, vorzugsweise von diesem Standpunkt aus, vorbehalten bleiben. Da sich der Autor dieser Mitteilung nicht als Fachmann auf dem Gebiete der talmudischen Literatur ansehen möchte, so sah er seine bescheidene Aufgabe darin,das Interesse der Forscher für diese Frage zu gewinnen und anhand einiger Beispiele die Legitimität einer diesbezüglichen Problemstellung auszuweisen. Bekanntlich enthält der Talmud viel Polemik, die die einzelnen rabbinistischen Richtungen untereinander übten. Es gibt u. a. darin Auaeinandersetzungen mit den zahlreichen Sekten und Strömungen, die sowohl Innerhalb als auch außerhalb des offiziellen Judentums
ihr
Wesen hatten. Freilich ist diese Polemik von recht sonderbarer Art. In der Segel vermissen wir in den kritischen Sprüchen eindeutige Hinweise, gegen wen bzw. gegen was die Polemik gerichtet ist. Machen wir die Probe aufs Exempel. In Jer. Ta'anith 65b heißt ess "R. Abbahu sprach: spräche zu dir jemand 'ich bin Gott', so löge er; 'ich bin (Gottes?) Menschensohn', so werde er es bereuen; - 'ich werde den Himmel emporsteigen', so habe er's zwar gesagt, erfüllen jedoch werde er's nicht!" Abbahu beruft sich hier auf Num. 23,19, wo freilich keine Rede ist von einem Emporsteigen des Menschensohnes in den Himmel. Vöhl keiner wird etwas dagegen einzuwenden haben, daß der Spruch gegen die christliche Auffassung von der Göttlichkeit Christi polemisch gerichtet ist. Beileibe nicht immer läßt sich Gegenstand
7 bzw. Subjekt (etwa Gruppe oder Sekte),, wogegen die Polemik eigentlich gerichtet war, einwandfrei ermitteln. So ist beispielsweise auf den ersten Blick schwer zu sagen, wogegen ist die Miäha-Sentenz (M. Megilla IV 9) gezielt, wenn es darin heißt: "Derjenige, der sagt,es mögen dich die Guten segnen, folgt dem Weg der Häresie (ni3'&)". Die Existenz zahlreicher Sekten in Judäa um das 1. Jh. n. Chr. geht aus einer aufschlußreichen Sentenz des R. Johanan b. Zakkaj* hervor. Darin (Jer. Sanhedrin 29c) heißt es wie folgt: "Israel konnte nicht exterminiert werden, solange sich nicht vierundzwanzig Häretikergesellschaften gebildet hatten
(D'3'0
mtl'3) /,.M
Man
braucht allerdings diese Zahl nicht gerade genauzunehmen, sie bedeutet anscheinend nur das, daß es mehrere Sekten gegeben hat, die nach R. Johanan b. Zakkaj die Einheit des Volkes untergraben hätten. Es werden In der talmudischen Uberlieferung mehrere Häresien und Häretikergruppen erwähnt, deren Identifizierung wegen Uangels an Beweisen sehr schwierig ist. So heißt es z. B. in Hos. Sanhedrin 13,5 u. a. 0*3*8 und Denunzianten, und Gottverleugner und Epikuroi, und die Leugner der Tora und die sich von dem gemeinschaftlichen Leben entfernt hatten.und diejenigen, die die Auferstehung der Toten 2 nicht glauben .
Aufschlußreich sind ferner die nach wie vor wis-
senschaftlich ungeklärten Sektenbezeichnungen D ' 0 m " 3
und '^310
n n r w (darunter versteht man seit längerer Zeit die "Essener"). Die geläufigste Bezeichnung für "Sektierer" in Talmud heißt D'3'D bzw. l'J'O.Ih der späteren talmudischen Tradition gilt diese Bezeichnung meistens für "Juden-Christen". Das ist durchaus nicht immer der k Pall. Gelegentlich, Insbesondere in den älteren Schichten des Talmudschrifttums, scheint man mit D'3'D Häretikefc, demgemäß mit M 3 * a
überhaupt Juden-
die "Häresie" schlechthin bezeich-
nen zu wollen. Bereits Adam, der erste Mensch auf Erden, wird von den pharisäischen Lehrern als
gebrandmarkt (S. Sanhedrin 38b:
8 il'il "PO liwnn tn» gen
). Oft folgen in.einigen Mss. die Bezeichnun-
D»3»0, D'0in"3,
D'pnj u. dgl. mehr aufeinander. Von be-
sonderem Interesse ist die wiederkehrende Bezeichnung
D'ilX'n,
also zu deutsch etwa die "Auswärtigen", "Externen". Auf diese Weise werden zwar auch Häretiker benannt (z. B. M. Megilla 4,8: D'JIX'nn)
"pn
jedoch üblicherweise heißen so die Apokrypha.
In diesem Zusammenhang sei auf die ausgesprochen negative Stellung der talmudischen Tradition zu den "auswärtigen", d. h. nichtkanonischen bzw. apokryphen Schriften hingewiesen. Unter denjenigen, die ihren Anteil an der "künftigen Welt" eingebüßt haben, erwähnt R. Akiba auch die Leser der apokryphen Bücher (M. Sanh. 10,1 = B. Sanh. 90a und 100b:
O'JlS'nn D^BOa RTipn *|K ). Zum verbotenen
Schrifttum gehörte beispielsweise auch die Weisheit des Jesus Sirach^. Schon angesichts der Tatsache, daß unter anderen apokryphen Fragmenten auch einige Bruchstücke des Weisheitsbuches von Jesus Sirach in Qumrän an den Tag gekommen sind, erscheint die Frage nach der Stellung der talmudischen Tradition zu den nichtkanonischen, sektiererischen Werken in neuem und positivem Lichte. Als nichtkanonische Schriften werden in der Tosefta^(Yad. 2,13) Werke bezeichnet wie "Das Weisheitsbuch ben Sirachs und alle Bücher, die von dieser Zeit an und später verfaßt worden sind" (sc. ab 2. Jh. n. Chr.). Für eine ausgesprochen negative Einstellung zu den nichtkanonischen Schriften zeugt nicht nur die oben zitierte Aussage R. Akibas, wonach die Leser dieser Literatur um das "künftige" Leben kommen. So heißt es in Qohel. Rabba an Eccl. 12,12 anknüpfend, wie folgt: "Jeder, der mehr als vierundzwanzig (sc. kanonische Bibel-) Bücher mit nach seinem Haus bringt, bringt Unruhe ins Haus." Nach Sabbat 116a sollte man es unterlassen, von D'J'D verfaßte Bücher aus dem Feuer zu retten, auch wenn diese den Namen Gottes enthalten. Im Talmud wird das rituelle Problem der Verunreinigung durch
9 Berührung mit apokryphen und häretischen Büchern eingehend erörtert (M. Yad. 4,6 und Tos. Yad. 2,13» vgl. hierfür M. Haran op. cit. p. 259 - 262). Von R. Tarfon, dem bekannten Gesetzlehrer des 1. Jh. n. Chr., der wegen seiner intoleranten Haltung den Häretikern, insbesondere aber den Juden-Christen gegenüber, berühmt ist, wird erzählt: R. Tarfon (sagte) "ich schwöre beim Leben meiner Kinder, sollten mir diese (sc. häretische Bücher) in die Hände fallen, ich verbrenne sie samt Gottes Namen, der darin enthalten ist. Und wird jemand verfolgt, vom Totschlag bedroht, oder eine Schlange eilt herbei, ihn zu stechen, so soll er lieber in einem Heidentempel als etwa im Hause jener (sc. Häretiker) Zuflucht suchen, denn die letzten wissen zwar,
aber leugnen dennoch, jene hingegen sind unwissend
und leugnen also". Eine
derart
feindliche Einstellung zur sektie-
rerischen und nichtkanonischen Literatur
läßt vermuten, daß in der
talmudischen Tradition, vor allem in deren ältesten Schichten, wohlbehaltene Spuren einer Auseinandersetzung mit dem Wesen dieses Schrifttums feststellbar sein müssen. Als charakteristische Eigentümlichkeit der Ideologie der Qumrängemeinde dürfen bekanntlich die eschatologischen, messianistischen, apokalyptischen und dualistischen Anschauungen angesehen werden. Allem Anschein nach gibt es in der talmudischen Tradition mehrere Hinweise, die als Zeugnisse für eine Polemik ausgerechnet gegen diese Anschauungen überprüft werden müssen. Es dürfte einleuchten, daß in dieser Hinsicht gerade die ältesten Schichten der talmudischen Literatur von grossem Belang sind. In einem der ältesten talmudischen Traktate, der auf das Zeitalter der Tannaiten zurückgeht, in Derek 'Eres Rabba, cap. XI, heißt ess "R. Jose sprach: 'wer die Bndzeit festzulegen (bzw. preiszugeben -
Tpn nN i m an , wortlich: der das Ende angibt) sucht,
wird keinen Anteil an der künftigen Welt haben} und derjenige, der die Weisen und deren Jünger haßt, ein falscher Prophet ist und der
10 Lügen verbreitet ( = klatscht ), keinen Anteil an der künftigen Welt werden sie haben'". Diese polemisch zugespitzte Sentenz wird dem R. Jose ben Halafta, einem Tannaiten der vierten Generation, einem Zeitgenossen und Schüler von R. Akiba zugeschrieben. Hiermit läßt sich auch die Zeitstufe festlegen, auf die der Spruch abgestimmt ist (1. Jh. n. Chr. bis 1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.). In sem Spruch von R. Jose scheint der Ausdruck aufschlußreich zu sein. Das Wort
TP
fpn nx i m 371
dierecht
bedeutet Ende, Endzeit. Hier
wohnt dem Begriffe eine eschatologische und messianistische Bedeutung inne. Just in diesem Sinne ist das Wort schon im Danielbuche z. B. 12,13 belegt. Der Ausdruck TP"1 HR 1113 ist jedoch in der Bi¿i
bei nicht nachweisbar. Schon W. Bacher
ist es aufgefallen, daß der
besagte Ausdruck sonst auch nirgends mehr in der talmudischen Literatur bezeugt wird. Nach Bacher ist der Ausspruch gegen die JudenChristen gerichtet. Es liegen m. E. jetzt Gründe vor, diesen Ausspruch im Lichte der Qumrinfunde neu. zu überprüfen. Im Schrifttum der Qumrängemeinde ist der Ausdruck TP7! nx in3 nicht nur einwandfrei bezeugt, sondern er repräsentiert darin gewissermassen jenes Anschauungssystem, wogegen der talmudische Ausspruch eigentlich gerichtet ist. In der Urkunde, die man "Ordnung der Gemeinde" zu nennen pflegt, heißt es: "Gott hat aber in den Geheimnissen seiner Einsicht und in seiner herrlichen Weisheit dem Bestehen der Verderbtheit ein Ende gesetzt und wird sie zur Zeit der Heimsuchung für immer vernichten" (1 QS IV 18-19). Einmal lesen wir TP in 3, ferner (IV 25) steht auch TP "IV 10® geschrieben. Das Wort TP ia eschatologischer und messianistischer Prägung begegnet uns in den qumränischen Handschriften mehrmals. Es soll uns das auch nicht verwundern! Nicht nur die biblischen Werke allein sind von eschatologisehen Motiven durchsetzt, sondern vielmehr die gesamte Mentalität der beiden letzten vorchristlichen Jahrhunderte
und des ersten
11 nachchristlichen Jahrhunderts in Palästina ist von üschatologie trunken. Und noch mehr als das! Die Gesetzeslehrer um das 1.-2. Jh. n. Chr. suchten eifrig die "messianische Endzeit" zu errechnen (vgl. Sanh. 99a). Obwohl diese Erwartungen und Berechnungen gelegentlich auf den Bar-Kochba-Aufstand irgendwie abgestimmt zu sein schienen, so blieben sie jedoch nach wie vor abstrakt und ziemlich unbestimmt,
sie
brachten auch keinerlei praktische Konsequenzen mit sich und waren auch nicht mit Forderungen verbunden, die gesellschaftliche und religiöse Ordnung zu ändern. Im Gegenteil, die talmudische Tradition verdammt sogar "Errechner der Endzeit" ( l'S'p '2OT1D, s. Sanh. 97b« oder TP*? 13D®
- s. Sanh. 92b). Nach Pesah. 56a soll der Hl. Geist
den Erzvater Jakob verlassen haben, als jener seinen Söhnen
die
"Endzeit" (l'O'n TP) angeben wollte. Auch in den qumrinischen Schriften legt letzten Endes Gott die Endzeit fest, immerhin ist darin die Art der eschatologischen Berechnungen erheblich konkreter, sie verursachen tiefgreifende Veränderungen in der Lebensweise der Gemeinde, die sich rechtzeitig auf die Ankunft der Endzeit bereitet. Die eschatologische Zielsetzung der (¿umringemeinde indes ist eng mit der Lebensstellung und Bedeutung des Führers als Ideologen der Gemeinde,also mit dem"Lehrer der Gerechtigkeit" verbunden. Ihm, wie es heißt, hätte Gott sämtliche Geheimnisse der Endzeit offen bart. Eindeutig geht diese Vorstellung aus dem Kommentar zum Buche des Propheten Habakuk (IQpHab. VI 12-16; VII 1-14) hervor. Nach diesem in allen Hinsichten interessanten Text zu urtei len, scheint die Qumrüngemeinde ihren Lehrer für jene Person gehalten zu haben, die die von Habakuk aufgezeichneten Geheimnisse der Endzeit fließend gelesen hatte. Hiermit habe der "Lehrer der Gerechtigkeit" den Propheten überflügelt. Denn Habakuk hätte lediglich die Worte Gottes sozusagen mechanisch notiert, Gott hätte ihm
12
das Datum der Endzeit
(TPH 101) nicht o f f e n b a r t . Von d€ji Lehrer
der Gerechtigkeit hingegen heißt es, daß ihm "Gott a l l e Geheimhisse der Worte seiner Knechte, der Propheten, kundgetan hat". Der Lehrer also war wohl in der Lage, die Qumringemeinde als das " l e t z t e Geschlecht" auf die "Endzeit" behutsam vorzubereiten. Von
der prophetischen Gabe des Lehrers i s t auch an anderen
S t e l l e n die Rede. Nach IQpHab. I I 8-10
habe
"Gott ihm (d. h. dem
P r i e s t e r , bzw. dem Lehrer der Gerechtigkeit) gegeben, . . . a l l e Wort e seiner Knechte, der Propheten . . . (denen) . . . er die Zukunft s e i nes Volkes... offenbarte, auszulegen". Nach IQpHab. I I 2-3 scheint der Lehrer der Gerechtigkeit sich unmittelbar auf Gott zu berufen C?K K'SD). ter
Laut IQpHab. IX 12 g i l t der Lehrer als Gottesauserwähl-
(11»na ; v g l . auch IQpHab. V 4 ) . Dort heißt es: "durch die Hand
seines Auserwählten wird Gott das Gericht über a l l e Völker halten . . . " . Der Glaube an den Lehrer i s t heilbringend. So heißt es IQpHab. V I I I 1 - 3 : "dem Sinne nach werden a l l e Vollstrecker der Tora im Hause Judas wegen ihres Leidens und wegen ihres treuen Glaubens an den Lehrer der Gerechtigkeit von Gott aus dem Gerichtshof er r e t t e t " ( v g l . IQpMich.Frg. 8-10, Z e i l e 6 - 9 ) . Die Konzeption von der prophetischen Sendung und messianischen Wesensart des qiimrinischen Lehrers mußte zwangsläufig einen scharfen Protest seitens der pharisäischen Gesetzlehrer hervorrufen , denn das war mit der oftmals wiederholten Behauptung, Haggai, Sacharjja und Maleachi wären die
l e t z t e n
Propheten gewesen,
nicht vereinbar^, (Man v g l . hierüber Tos. Sotha X I I I 2; Sotha 48b; Sanh. 11a; f e r n e r Baba Bathra 14b; in Joma 9b heißt es: "Mit dem Tode der l e t z t e n Fropheten, Haggais, Sacharjas und Maleachis hat sich der Hl. Geist von I s r a e l zurückgezogen"). Besonders i n t e r e s sant i s t in diesem Zusammenhang eine ähnliche S t e l l e im chronologischen Traktat Seder 'Olam Rabba (cap. 30). Dieser Text nämlich, einer der ältesten in der talmudischen Überlieferung, wird dem R.
13 Jose ben Halafta zugeschrieben. Dies ist der Autor jenes polemischen Ausspruches in Derek 'Eres Rabba, mit dem wir oben zu tun hatten . In Seder 'Olam Rabba lesen wir wie folgt: "Bis jetzt (es handelt sich um die Zeit Alexanders des Großen von Mazedonien) prophezeiten die Propheten kraft des Hl. Geistes, von nun ab spitze die Ohren und höre den Worten der Weisen zu-*. Die Prätensionen der Qumrängemeinde auf die Anerkennung ihrer Legitimität im Sinne einer Fortsetzung der ununterbrochenen prophetischen Tradition stehen in offenem Widerspruch zu der zitierten Auffassung des Traktates Seder f 01am Rabba. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit läßt
sich sagen, daß wir hier Spuren einer Ausein-
andersetzung mit dem Ideengut der Qumränleute vor uns haben. Diese Polemik
ist auch chronologisch gut verankert, da der Kern dieses
Traktates dem berühmten ältesten Chronisten, R. Jose (Ende 1. Jh. bis Mitte 2. Jh. n. Chr.) zugeschrieben wird. In der talmudischen
Tradition werden nicht nur jene, die die
Endzeit errechnen (also die Ankunft des Messias erraten wollen), verdammt, sondern (was besonders aufschlußreich ist) auch diejenigen verurteilt, die den Einzug der Endzeit heranzudrängen versuchen (TP?1 tut p m
ist der Terminus technicus hierfür). Im Midra? zum
.
Hohelied Salomos wird eine Aussage von R. Helbo zitiert. Danach ist dem Volke Israels u. a. als Viertes verboten, "die Endzeit heranzudrängen" (TPil nK i p m ' sto)
(s. M. Cant. Rabba 22). Im Namen R.
Onjas wird anschließend tradiert, daß zu den vier Geschlechtern,die die Endzeit herandrängen wollten und dabei strauchelten, auch
die
Generation von Jaxmäus und Bar-Kochba zählt. Der Verweis auf das messianisch-apokalyptische Zeitalter des Königs Jannäus aus dem Hasmonäerhause (103-76 v. Chr.) verdient in diesem Zusammenhang besondere Beachtung. Mit dem Namen dieses Königs werden nach der Veröffentlichung des Kommentars zum Propheten Nahum sehr wichtige Ereignisse in der Geschichte der Qumringemeinde verknüpft.
14Akzeptiert man die vorgeschlagene Deutung des ersten Teiles der Aussage R. Jose's in Derek 'Eres Räbba XI in bezug auf die Erreebner der Endzeit, so bedarf die zweite Hälfte seiner Aussage über diejenigen, die die Weisen und deren Jünger hassen (nK K31OT1 J1K1 ü'DDnn), wegen ihrer inneren Logik eigentlich gar keiner Erläuterung mehr. Bekanntlich liegt den gesamten ideologischen Anschauungen der Qumrängemeinde die dualistische Lehre von den zwei gegensätzlichen und widerstreitenden Mächten der Welt zugrunde: Licht und Finsternis, das Gute und das Böse, Wahrheit und Lüge. Die gesamte Geschichte der Menschheit wird als Kampf, ewiger Wettstreit zwischen den beiden Machtbereichen ausgelegt und verstanden. Dieser Kampf wird mit dem Siege der Mächte des Lichtes über die finsteren Kräfte enden. A\is dieser dualistischen Lehre gehen die Grundzüge der ideologischen und sozialen Anschauungen der Qumr eingemeinde hervor, nämlich: vollkommne Prädestination, Auserwähltsein der "Söhne des Lichtes", ihr sozialer und religiöser Separatismus. Neuerdings hat D. Flusser (= Encyclopaedia Hebraica, sub "Dualism") auf mehrere Stellen in der talmudischen Literatur hingewiesen, worin eine Auseinandersetzung mit den dualistischen Anschauungen zu erblicken ist. Daraus geht hervor, daß die Rabbinen Palästinas mit der dualistischen Lehre in ihrer hellenistisch-gnostischen Fassung vertraut gewesen sind, die Gesetzeslehrer Babyloniens hingegen eher in der parsistischen Prägung derselben Doktrin bewandert waren. Als Anhänger dieses Bekenntnisses werden verschiedene Häretiker erwähnt
(0'J>a,
imBia,
D ' p n j ) , Vieles wird auf EliSa
ben Abuja (1-2. Jh. n. Chr.), den H. Strack so treffend als den jüdischen Faust bezeichnete, zurückgeführt. Auch das bedarf der eingehenden Erforschung. Jedenfalls läßt sich schon jetzt sagen, daß die antidualistische Polemik der Rabbinen implicite auch auf die Qumrängemeinde hinzielte. Hierfür ein Beispiel. Indem er sich mit
15 einer häretischen These von Eliia ben Abuja (alias Acher = "der Andere") auseinandersetzt, sagt der Polemist abschließend: "vifelleicht gibt es, Gott behüte, zwei Machtbereiche (M'IWI T B ) " (vgl. Hagiga 15a). Und in anderem Zusammenhang heißt es in M. Sanh. 4,5 u. a. t "daher ward der Mensch einzeln geschaffen ... damit die l'J'O nicht sagen können 'viele Machtbereiche gibt es im Himmel'"®. Als Synonym zum talmudischen biblische Wort
m n (im AT ist das Wort nicht belegt!) ist das nVVQO "Region, Regierung", das in der "Weisheit"
von Jesus Sirach vorkommt, zu betrachten. Dieser Begriffsprägung bedienten sich die Autoren der qumrinischen Mss. für die Bezeichnung der dualistischen Grundsätze. Es kommen oft Ausdrücke vor, wies Vy'Va n"7®0a "Die Region der Bosheit" (z. B. 1 QS I 18,23-24; II 19) oder "Region der Finsternis (ibid. XII 5-6) oder auch "Region des Lichtes, Lichtbereich" (ibid. X 1). Sehr deutlich tritt die Idee von zwei Regionen aus 1 QS III 20-21 entgegen, wenn es heißt» "In der Hand eines Lichtfürsten liegt die Herrschaft über alle Kinder der Gerechtigkeit. Sie wandeln auf den Wegen des Lichtes. Aber in der Hand des Finsternisengels liegt alle Herrschaft über die Kinder der Verderbtheit, daß sie auf den Wegen der Finsternis wandeln" (nach H. Bardtke, Die Handschriftenfunde am Toten Meer, Berlin 1953)• Eine Gegenüberstellung der beiden Konzeptionen (der talmudischen und qumränisehen) zeigt m. E., daß,gleichwohl gegen welche Sekte der oben zitierte polemische talmudische Spruch betreffs der "zwei Machtbereiche" gerichtet sein mochte, es jedenfalls fest steht, daß der zentrale Grundsatz der Qumrängenieinde eine heftige Ablehnung bei den Rabbinen gefunden hat. Die herangezogenen Beispiele beweisen also, daß die spezifischen Züge im Ideengut der Qumr eingemeinde (Eschatologie, Messianismus und Dualismus) eine überaus scharfe Kritik und volle Ablehnung seitens der talmudischen, Tradition hervorgerufen hatten. Allein diese Tatsache widerlegt jeden Versuch, die Qumrinideologie mit der
16
pharisäischen Mentalität zu identifizieren. In der talmudischen Tradition sind mehrere polemische Aussagen überliefert, die alle der eingehenden Analyse im Lichte der Hand Schriftenfunde vom Toten Meer bedürfen. Hierfür ein Beispiel. In einem Miähatraktate finden wir die folgende, auffallend polemisch zugespitzte Steiles "Wer die Heiligtümer entweiht, wer die Festzein
ten verachtet, (wer seine Nächsten öffentlich beschämt'^ wer den Bund unseres Vaters Abraham zerstört und wer Deutungen in der Q Schrift
enthüllt, (die der Überlieferung nicht entsprechen), der
hat, auch wenn er durch Kenntnis der Lehre und durch gute Handlungen ausgezeichnet ist, keinen Anteil an der zukünftigen Welt" (M. Aboth III 11, nach der deutschen Übersetzung von Kauffmann; vgl. B. Sanh. 99a) 9 . Pas hohe Alter dieser Miäfna geht schon daraus hervor, daß sie dem R. Eleazar aus Modium zugeeignet wird, der um die erste nach christliche Jahrhundertwende lebte
und während des Aufstandes auf
Befehl (seines Verwandten) Bar Kochbas getötet wurde. Ob nun die angeführten Invektiven gegen die Abtrünnigen seiner Zeit gerichtet waren oder auf einer älteren Überlieferung fußen, läßt sich nicht durchschauen.
10
J. Guttmann
stellte die Vermutung auf, es handle sich hier um
Juden-Christen des 2. Jh. n. Chr. Diese Verknüpfung geht freilich nicht ohne Schwierigkeiten vor sich. Was nun diejenigen betrifft, "die die Pestzeiten verachten", so hat schon Guttmann selbst daran gezweifelt, ob diese Leute als Juden-Christen angesehen werden können, wenn er schreibt: "Für den
nnyian flK ilT3&n, 'den Verächter
der Festzeiten'»läßt sich eine Beziehung auf "das Judenchristenthum allerdings nicht mit Bestimmtheit nachweisen" (op. cit. J43). Später haben
Marti und G. Beer ('Aböt, Gießen 1927, 78) die besagte
Miftia wie folgt ausgelegt: "Rabbi 'El 'azar wendet sich also gegen diejenigen Volksgenossen, die sich von Gesetz und Tradition abson-
17 d e m , seien es zur hellenischen Bildung oder zum Christentume übergegangene Israeliten, gegen Minim und Sektierer jeder Art". Jetzt, im Lichte der Qumränhandschriften, scheint es durchaus wahrscheinlich, daß die besagte Invektive auf eine Ideologie, die der qumränischen verwandt ist, hinzielte. Der hier enthaltene Ausdruck D'Hnp
bedeutet wortlich "Heiligtümer", die anscheinend mit
dem Tempelkultus, vor allem mit dem Opfetbrauch, zu tun haben. Nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem im Jahre 70 war die Präge 11
über die Beziehung zu den Tempelheiligtümern nicht mehr aktuell
.
Zur gleichen Zeit hat bekanntlich die Qumrängemeinde, wie übrigens auch die Essener nach Philo -und Flavius, gegen das "scheinheilige" Priestertum von Jerusalem scharf protestiert und sich sogar geweigert, am Tempelkultus teilzunehmen. Mit dieser Invektive ist auch die folgende eng verbunden, nämlich von "den Verächtern der Pestzeiten". Wie gesagt, hat sich nicht einmal Guttmann entschließen können, diese Invektive auf das Judenchristentum zu beziehen. Es wäre indes durchaus natürlich, diesen Vorwurf der Qumrängemeinde bzw. einer verwandten Gemeinschaft zu machen, da diese sich eines Kalenders bediente, der von dem amtlich jüdischen stark abwich, der auch die Feste auf andere Zeiten fallen ließ, was als eine "Verachtung;" aussehen und verstanden werden konnte. Die in dem besagten Ausspruch erwähnte "Zerstörung des Blindes unseres Vaters Abraham" könnte man auf den ersten Blick etwa Ablehnung der Beschneidung
als
verstehen. Damit wäre jedoch die Klau-
sel "auch wenn er durch Kenntnisse der Lehre und durch gute Handlungen ausgezeichnet ist" unvereinbar. Die Nichterfüllung des Beschneidungsritus schließt eo ipso die betreffende Person aus dem Judentum aus. Aus dem Kontexte der Sentenz, ja aus ihrem Geiste geht klar hervor, daß hier solche Häretiker gemeint sind, die nicht alle Beziehungen zum Judentum aufgegeben und gelöst hatten. Guttmann versteht diese Stelle im Sinne eines wiederherstellenden operativen
18 Eingriffes (Epismasimis) zwecks Tarnung der Beschneldung. Eine diesbezügliche Operation mag vielleicht den hellenisierten Juden, die an öffentlichen Spielen und Turnieren teilnahmen, lohnend erschienen sein, für Juden-Christen jedoch müßte dieser Eingriff belanglos, ja sinnlos gewesen sein. Im Lichte der Qumränschriften ist es natürlicher anzunehmen, daß das Wort
ITT3hier nicht im Sinne "Beschnei-
dung", sondern eher im Sinne eines Bundes zwischen Gott und Abraham zu verstehen ist, den die Qumrängemeinde zerstörte, indem sie einen "Neuen Bund" (iWinn n'ia)
mit Gott gründete.
Genau so einleuchtend wird der Vorwurf bezüglich der Deutung, die der Überlieferung nicht entspricht, wenn wir ihn als Mißbilligung der Ideologie und Praktik einer Gemeinschaft, die mit der Qumrängemeinde verwandt ist (wenn nicht gar die Qumrängemeinde selber), verstehen. Unverständlich bleibt freilich der Verweis in puncto "öf12
fentliche Beschämung des Nächsten"
. Wie gesagt, die meisten Edi-
toren und Kommentatoren der Miäha sind sich darüber einig, daß hier eine spätere Glosse vorliegt. Infolgedessen ist es wohl möglich, die gesamte Sentenz als eine Auseinandersetzung mit Häretikern, deren Ideologie und Brauchtum mit dem Ideengut der Qumrängemeinde übereinstimmen, zu interpretieren. Wenn man ferner zugibt, daß Guttmann recht hat, wenn er die erwähnten "Verächter" als Juden-Christen zu erkennen glaubt, so gelangt man zwangsläufig zur Annahme, daß bestimmte Züge der Qumrlngemeinde gewissen Eigentümlichkeiten des Judenchristentums entsprochen haben müßten, weswegen eine genetische Beziehung zwischen beiden Gemeinschaften plausibel wird. Eine endgültige Entscheidung dieser Frage muß allerdings der weiteren Forschung vorbehalten bleiben. In der talmudischen Literatur kommen u. a. auch Sprüche vor, die es gestatten, nach dem Unterschiede in der sozialen Konzeption zwischen dem, was wir anhand der Qumränmss. wissen, und dem, was aus der pharisäisch-talmudischen Tradition hervorgeht, zu fragen.
19 Dieses Problem bedarf des eingehenden Spezialstudiums. Wir beschränken uns hier nur auf einige Beispiele. Armut und Reichtum werden in der pharisäischen, talmudischen Tradition gewissermassen
als für jedes Individuum
prädestinierte
Kategorien angesehen. Und noch mehr als das. Nach einer talmudischen These sollen die Vermögensunterschiede
mit dem Kommen des Messias v keineswegs verschwinden. Nach dem Spruch des Amoräers Semuel (3. Jh. n. Chr.) bestünde der Unterschied zwischen "dieser Welt" und
den
"Zeiten des Messias" nur in der Befreiung vom staatlichen Frondienste
(naVa ni'D'ra 11»'»). Semuel beruft sich dabei auf Deut. 15,11
"Es werden allezeit Arme sein im Lande" (s. Sabbat 151b). Es ist also durchaus im Sinne der talmudischen Sentenz, daß Reiche und Arme sogar nach der Ankunft des Messias noch vorhanden sein werden! Auch in den älteren Schichten des Talmuds sind Aussagen bezüglich der sozialen Verhältnisse nachweisbar, die scharf von den sozialen Grundsätzen der Qumrängemeinde, sofern sie in der Gesetzrolle belegt sind, abweichen. So heifit es z. B. in der bekannten Miäha (Abot V 10), wo von den vier Sinnesarten in bezug auf Eigentumsverhältnisse (middot) die Rede ist, daß das Prinzip des Gemeinbesitzes ("Das Meine ist dein und das Deine ist mein") dem "Landesvolke" (. THRH
)
zugemutet wird. Die Pharisäer bekanntlich waren die-
sem "Landesvolke" äußerst feindlich gesinnt (vgl. Pesahim 49). Sehr symptomatisch für die soziale Ideologie der pharisäischen Rabbinen im Unterschiede von der Mentalität der Qumrängemeinde ist m. E. die folgende Stelle (Nedarim 38a, vgl. hierzu auch Sanh.99a): "Es sprach
R. Johanan: 'Gott läßt nicht seine Sekinah (=irdische
Gegenwart) ruhen, es sei denn nur auf einem Helden und Reichen und Weisen und Demütigen und alles von Mose (abgeleitet)"'. Freilich gibt es in der talmudischen Tradition soziale Anschauungen, die von den eingangs zitierten Sentenzen erheblich abweichen. Wie weit entfernt von den sozialen Ansichten der Pharisäer des 1. Jh. n. Chr.
20 sind die sozialen Ideale und Prinzipien
der QumrängemeindeI Bekannt-
lich gehörten zu den Grundsätzen der Gemeinde, soweit man anhand der Gesetzrolle urteilen darf, folgende Gepflogenheiten: obligatorische gemeinschaftliche
Arbeit, gemeinsamer Besitz von Gütern, Gemein-
schaftsleben, gemeinsame Forschung der Lehre
(und zwar nach Feier-
abend vigilierend) von allen Mitgliedern der "Armengemeinde". Es ist wohl möglich, daß die sorgfältige Erforschung der talmudischen Literatur gewisse Beiträge zur Geschichte von Gemeinschaften, die mit der Qumrängemeinde verwandt sind, ergeben wird. Hierfür ein Beispiel, das allerdings noch einer gründlichen Überprüfung bedarf. Oben wurde ein Text aus dem Traktate Pesahim 56a angeführt, in dem es heißt, der Hl. Geist hätte den Erzvater Jakob verlassen, als jener seinen Söhnen "die Endzeit" preisgeben wollte. Hier kommt es auf den Kontext an, vor allem auf die Bezeichnung "Leute von Jericho" (iri'V '®38). In einer ziemlich alten Miäna aus der Zeit vor der Niederlage im Jüdischen Krieg (66-73 n. Chr.)
werden die "Leute
von Jericho" in folgendem Zusammenhang erwähnt. Die "Weisen"(CPaon), so heißt es dort, hätten einige Gepflogenheiten der Leute von Jericho gebilligt, andere Bräuche jedoch durchaus verpönt. So hätten die Weisen z. B. gegen Feigenzucht, gegen pausenlose Sema-Rezitierung, ferner gegen Garbenbinden vor der Erstlingsgabe (107)
nichts
einzuwenden. Jedoch profane Verwendung von Zweigen der Sykomorenbäume, die im Tempelbesitz stehen, etwa zwecks
Kaprifikation sowie
das Verzehren von abgefallenen Früchten am Sabbat die Nichteinhaltung der Vorschrift
(D'TOJ)
und
Lv 19,9;23,22 betreffs der Acker-
ecke, die den Armen in Gärten zu überlassen ist - das alles wurde den "Leuten von Jericho"
zur Last gelegt
(s. M. Pesahim
XV 8;
vgl. B. Pesah. 55b-56). Auf Grund dieses Textes allein läßt sich freilich keine Vorstellung von den "Leuten von Jericho" gewinnen. Es steht nur fest,
21
daß unter "Leute von Jericho" eine bestimmte Sondergruppe zu verstehen ist. Unter den "Leuten von Jericho" einerseits und dem Tempelpriestertum und den "Weisen" andererseits herrschte in bestimmten ritualistisch-dogmatischen und wirtschaftlich-sozialen Fragen kein Einvernehmen. Angesichts der unmittelbaren Nähe von Jericho zum Qumränbezirk drängen sich ganz bestimmte Zusammenhänge auf. 13 Man denke vor allem an die Funde, die neuerdings K.. M.Kenyon ' veröffentlicht hat. Danach soll es der Forscherin geglückt sein, auffallende Übereinstimmungen zwischen Qumrin und Jericho in der Leichenbestattungsart festzustellen. Die Mitteilung, daß die "Leute von Jericho" sich mit Feigenzucht, insbesondere mit Kaprifikation, beschäftigt hätten, erinnert sofort an Plinius (Nat. hist. V 17 § 73)» wo die Essener als gens ... socia palmarum dargestellt werden. Dabei fällt eine Einzelheit auf: die Leute von Jericho verwendeten Zweige für Kaprifikation, ungeachtet der Weihe, die die Palmen im Besitz des Tempels Umhüllte. Der Vorwurf, drittens, daß die Leute von Jericho abgefallene Früchte am Sabbat verzehren, läBt sich mit einer Stelle in der Damaskusschrift vergleichen. Dort (CD X 22-33) heißt es: Nicht darf man am Sabbattag essen mit Ausnahme dessen, was vorbereitet ist. Und von dem, was (23) auf dem Feld umkommt, darf man nicht essen (Nach Bardtke). Wenn man sich weiter überlegt, daß bereits Origenes (Anfang 3* Jh. n. Chr.) und Timo thäus I (etwa 800 n. Chr.) die biblischen Handschriftenfunde mit der Gegend von Jericho verbinden, so werden die Zusammenhänge noch aufschlußreicher, so daß eine gründliche Untersuchung vonnöten ist. Der Autor dieser Mitteilung ist der Meinung, daß die Damaskusschrift; nicht auf die Zustände in der Qumrinwüste zurückgeführt werden darf. Die Annahme (als Arbeitshypothese wohlgemerkt!), daß in der Gegend von Jericho eine Gemeinde, die mit der qumränischen verwandt war, ihren Sitz gehabt haben könnte, dürfte wohl plausibel sein. Für weitere Untersuchungen sowie für die endgültige Entschei-
22 düng der Frage nach, der Zugehörigkeit der Qumrängemein.de zum Bssenertum, wird man nicht nur alle bekannten Angaben die Essener betreffend heranziehen müssen, sondern man wird nichtsdestoweniger genötigt sein, die gesamte patristische und talmudische Literatur auf die Essener hin zu prüfen und womöglich gebührend auszuwerten. Was die talmudische Literatur betrifft, so besteht eine Schwierigkeit schon darin, daß man sich noch nicht darüber im klaren ist, 14 wie die Essener eigentlich in der talmudischen Literatur heißen . Es ist von vornherein klar, daß Spuren einer Polemik gegen die Essener in der talmudischen Überlieferung vorhanden sind, auch wenn der Name dieser Sekte überhaupt nicht expressis verbis angegeben wird. J. Lehmann 1 ^ erblickte in Megilla IV 8 ('3SV naiy '3'K naiKH • m y
KV c a a V a *1K
, pyiasa m » n n )
eine Auseinandersetzung mit
den Essenern, die nach Josephus BJ II 8,3 § 123 weiß gekleidet waren (¿v Hxetnoveiv
••• ).
Es sei noch ein Beispiel antiessenischer Polemik im Talmud angeführt. Die "Essener" bleiben auch hier anonym. Josephus BJ II 8,5 § 128 verweist auf den Brauch der Essener, die aufgehende Sonne zu preisen. Daß es sich hier nicht um das Gebet beim Sonnenaufgang schlechthin, sondern um die Anbetung der Sonne handle, geht aus den Worten von Josephus klar hervor. Von den Essenern heißt es dort wie folgt« IIpdQ ye n?|v TO 0eiov etfaeßete töiuc* Jtplv Y«P ¿vaaxetv TÖV fiXiov ot36ev
p. 65. In einer späteren Parallele, im mittelalterlichem Text von Seder 'Olam heißt es: "Gleich nach dem Tode der letzten Propheten, Haggai, Sacharja und Maleachi, hörte das Prophezeien in Israel auf, und seitdem bedient man sich der Himmelsstimme (Vip 113)", und weiter heißt es wörtlich: "von dieser Zeit ab und fortan höre den Worten der Weisen zu, bis der Lehrer der Gerechtigkeit zu uns kommen wird (13V piX m a K3' 17) *. Eben
26 die Schlußworte über den Lehrer der Gerechtigkeit fehlen in Seder 'Olam Rabba, vgl. A. Neubauer op. cit. I, 1887, p. 166. Der auf das 3. Jh. n. Chr. zurückzuführende Spruch, und zwar wörtlich: "Vom Vage der Zerstörung des Tempels an wurde die prophetische Gabe den Wahrsagern genommen und den 'Narren' und Kindern übergeben" (Baba Bathra 12b), dürfte, nach den Beispielen im Kontext urteilen, als Ironie angesehen werden, die die bekannte Stelle Mt 11,25 (Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der ICrde, daß du solches den Weisen und Klugen verborgen hast, und hast es den Unmündigen offenbart) parodiert. Übrigens vgl. man vtjiiCo l "Unmündige" mit der Selbstbezeichnung der Qumränleute D'sns. Unmittelbar vor der zitierten Sentenz heißt es in Baba Bathra 12a: "Von dem Tage der Zerstörung des Tempels an wurde die prophetische Gabe den Wahrsagern genommen und den Weisen übergeben." 6 Vgl. Mekhilta zu Ex. 20,2: "um einer Einwendung seitens der Völker der Welt, daß es zwei Machtbereiche geben könne, vorzubeugen ... sprach R. Natan: 'dem ist die Antwort für die Häretiker, die sagen, es gäbe zwei Machtbereiche, zu entnehmen (m »nn T®)'? In Siphre zu Deut. 32,39 heißt es wieder: "'Sehet ihr nun, daß Ich's allein bin* (Deut. 32,39), darin liegt die Antwort für jene, die sagen, es gäbe keine 'Monarchie' im Himmel; wer aber sagt, zwei Machtbereiche gibt es im Himmel, dem antworte man, es steht ferner geschrieben, 'und ist kein Gott neben mir'". Beide Sprüche, in Mekhilta und Siphre, berufen sich auf Jes. 44,6: Ich bin der Erste, und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott... 7 In Klammern stehen Sätze, die in einigen Mss. fehlen. Man glaubt, darin spätere Glossen zu erkennen. 8 mina D'JB nVaam. In einigen Miäna-Mss. und in der Parallele Sanh. 99a steht es anschließend:. na^m K^W , d. h. nicht regelrecht oder nicht im Einklang mit der traditionellen Auffassung. Die Mehrheit der Forscher erblickt darin die Einleitungsformel einer Glosse. 9 Die Parallele unterscheidet sich lediglich in der Reihenfolge der Sentenz sowie dadurch, daß neben den möglichen "guten Handlungen" auch die Kenntnis und die Ausübung der Thora (min 1T3 JP®) verklausuliert wird. 10 J. Guttinann, Über zwei dogmengeschichtliche Miäha-Stellen, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 42, 1898, 289-305» 336-345, vgl. speziell 303 ff. und 336 ff. 11 Guttmann erklärt diese Invektive damit, daß Bar Kochba sich be-
27 müht hätte, den Tempel wiederherzustellen; die Juden-Christen hingegen sollen damit nicht einverstanden gewesen sein. In dem besagten Text ist doch wohl die Rede von einer Entweihung der Heiligtümer (Cinpn nR "7"man) und keineswegs von einer etwaigen Wiederherstellung derselben! 12 Guttmann ist der Meinung, hier seien "Denunzianten" gemeint. Er setzt diese Stelle mit dem jüdischen Morgengebets 'Hfl "7N m p n "und für Denunzianten (gelegentlich auch D'3'B ) soll es keine Hoffnung geben" in Verbindung. Diese Frage mag m. E. dahingestellt bleiben. 13 K. M. Kenyon, Digging up Jericho. The Results of the Jericho Excavations 1952 - 1956, New ïork 1957, p. 264. 14 Vgl. G. Vermês, The Etymology of "Essenes", Rev. de Qumrän 1960, nr. 7, P. 427-443. 15 J. Lehmann, Les Sectes juives mentionnées dans le Mischna de Berakhot et de Megilla, fievue des Etudes Juives 30, 1895» P» 190. Für diesen Hinweis bin ich Herrn Prof. S. Szyszman zu Dank verpflichtet.
Acedia In Qumrän Hans Bardtke, Leipzig
I Der Begriff der aoedia ist aus der Geschichte des christlichen Mönchtums bekannt. Ohne den Begriff selbst zu verwenden, hat 2 Hieronymus das Phänomen gut beschrieben. Er gebraucht den Begriff melancholia, die durch feuchte Zellen, übermäßiges Pasten, übertriebenes Lesen und Einsamkeit hervorgerufen wird. Cassian hat ausführlich über acedia gehandelt und sie erfaßt als taedium sive anxietatem cordis, verwandt mit tristitia. Acedia tritt nach Cassian besonders auf bei den solitarii et in heremo commorantes. Spätere Definitionen variieren diese Begriffsbestimmung nur, ohne wesentlich Neues hinzuzubringen. Eine systematisch-theologische Untersuchung hat dem Begriff Thomas von Aquin^ gewidmet. Bis in die neuere katholische Literatur über moral-theologische Probleme ist dieser Begriff beibehalten und dargestellt worden. Josef Pieper hat gerade an den letztgenannten Kirchenlehrer angeknüpft. Wilhelm Heinen^ hat die acedia definiert: "daß der Mensch nicht das sein will, als was Gott ihn 11 will, und das heißt, daß er nicht sein will, was
'8
er wirklich ist . Die beste Umschreibung des Begriffes hat A.Vögtle gegeben, acedia ist "Sorglosigkeit, gesteigert zum Affekt des überdrüssigen Widerwillens gegen das aszetische Leben". Diese Umschreibung ist allgemein genug, um die Fragestellung nach dem Phänomen der acedia oder acedia-ähnlicher Erscheinungen in der Gemeinde von Qumrän als berechtigt erscheinen zu lassen. Denn es mag als ein mißliches Ding erscheinen, Begriffe und Phänomene des christlichen Mönchtums in Qumränqwiederfinden zu wollen, ohne sich der tiefgreifenden Unterschiede' zwischen den christlichen Mönchsgemeinden und
30 der Qumrängemeinde bewußt zu werden. Aber auf der anderen Seite kann _ Askese geübt worden ist10und nicht geleugnet werden, daß in Qumran von daher die Fragestellung berechtigt erscheint, ob sich mit der 11
Zeit Widerstände
gegen diesesasketische Leben von Seiten der Mit-
glieder ergeben haben. Freilich müßten diese Widerstände so groß, so wichtig und so zahlreich gewesen sein, daß sie einen Niederschlag in der erhaltenen Literatur von Qumran fanden. II Da Qumran im zeitgenössischen Judentum eine singulare Erscheinung ist hinsichtlich der geübten Askese, könnte es überflüssig erscheinen, danach zu fragen, ob das Judentum derartige Erscheinungen wie acedia gekannt habe. Die Urteile über den Asketismus sind im Judentum verschieden, die halachischen Bestimmungen sind darüber nur 12
gering vorhanden
. Aber die Fragestellung muß erweitert werden da-
hin, ob das Judentum überhaupt Widerstände des Menschen gegen religiöses Tun kannte. Zu dieser Fragestellung ist auf die Lehre vom bösen Trieb1^ zu verweisen, der den Menschen von dem Gehorsam gegen die Thora abbringt, die Vernachlässigung des Studiums des Gesetzes bewirkt und schließlich den Menschen völlig unter seine Herrschaft bringt, daß er dem Befehl des bösen Triebes gehorcht und sogar in 14Götzendienst verfällt
. Hier sind gewisse Züge der acedia unter dem
theologischen Begriff des bösen Triebes zusammengefaßt, aber f s würde schwerfallen, sie in ihren einzelnen Erscheinungsformen herauszustellen. Gewiß würde das Judentum das Phänomen der acedia auf den bösen Trieb zurückgeführt und sie als eine seiner Äufieningsformen angesehen haben, aber das kann nur eine Vermutung sein, die eine Ausweitung des Begriffes acedia zuungunsten einer scharfen Erfassung des Phänomens zur Folge hat. Die Frage muß daher anders gestellt werden, ob das Judentum Fälle kannte, in denen die psychische Disposition des Menschen nicht geeignet war, religiöse Handlungen durchzuführen, daß sich also aus
31
dieser Disposition Hemmungen des religiösen Lebens ergaben,
die
sich bis zum Widerwillen, ja zum Überdruß steigern konnten.
Das
braucht nicht zum Habitus des Überdrusses und Widerwillens geführt zu haben, sondern kann als spontane Reaktion vereinzelt und wiederholt aufgetreten sein. Meines Erachtens lassen sich dafür gewisse Vorschriften bezüglich der Abhaltung des Gebetes^ geltend machen. Das Gebet wird in besonderen Fällen geradezu verboten, wenn jemand sich zuvor mit einer Rechtssache oder einer umstrittenen Halacha beschäftigt hat. Ebenso wird Beten aus Kummer, Lachen, Geschwätz, Leichtfertigkeit heraus untersagt. Ebenso soll nicht beten, wer von einer Reise kommt, wer verdrießlich ist oder wer zu einer Hochzeitsgesellschaft gehört. Diese Beispiele zeigen, wie das Judentum vertraut gewesen ist mit den Hemmungen, die sich dem Gebetsleben aus der psychischen Disposition des Menschen ergaben. Auch das Pasten wird unter dem Gesichtspunkt abgewertet, daß das Studium der Thora darunter leiden könnte
.
Wenn auch die angeführten Beispiele für die Beachtung der psychischen Disposition unter dem Gesichtspunkt stehen, daß die Sitte des Gebets, des Thorastudiums, ja der Gottesdienst überhaupt vor 17
Unaufmerksamkeit und lieblos-handwerksmäßiger Verrichtung
ge-
schützt werden sollten, so zeigen sie doch anderseits, daß das Judentum durchaus imstande war, psychologische Beobachtungen anzu stellen und die psychisch günstige Disposition für die Vornahme religiöser Handlungen zu ermitteln. Die Eigenart der nicht geeigneten psychischen Disposition besteht in dem geistigen und seelischen Inanspruchgenommensein von anderen Dingen. Auch das Milieu hat dabei einen bestimmenden Einfluß, z. B. Hochzeit, Reise und ähnliches. Von da aus war es grundsätzlich möglich, auch diejenige psychisch ungeeignete Disposition zu erkennen, die der Mensch aus sich selbst erzeugt durch seinen Widerspruch denkerischer oder emotionaler Art gegen bestimmte religiöse Handlungen, Anschauungen und die dadurch
32 bedingten Lebensweisen. Widerspruch gegen die Thora wurde als böser Trieb theologisch gekennzeichnet. An einer anderen Kennzeichnung war man nicht Interessiert, gegen den bösen Trieb konnte man angehen mit theologischen Gründen und praktischen Zuchtmaßnahmen
. Ton
hier aus entsteht die Frage, wie gegebenenfalls die Gemeinde von Qumrin mit dem Phänomen der acedia fertig wurde, ob sie theologisch allein es zu bewältigen suchte oder auch andere Maßnahmen denkerischer und praktischer Art ergriff. Tom zeitgenössischen Judentum her muß es also als möglich erscheinen, daß die Gemeinde von Qumrin acedia kennen und erkennen und auf Gegenmaßnahmen sehen konnte. III Qumrän hat gewiß eine starke Beeinflussung durch griechischen Geist erfahren^. Es empfiehlt sich daher, auch im Hinblick auf 20
den griechischen Geist die Frage aufzuwerfen, ob der acedia ähnliche Erscheinungen als möglicherweise bekannt
angenommen wer-
den können. Ohne auf Einzelheiten, die vom eigentlichen Thema der Untersuchungen nur abführen können, einzugehen,
sei hier hinge-
wiesen auf die Nöte, durch21die die asketischen Philosophen hindurchzugehen hatten. Rabbow
erwähnt die Beispiele des Homers
Quintus Sextius und des Diogenes, die er zwar für unhistorisch hält, die aber in typischer Weise die Anfangskämpfe des Philosophen, der den Bruch mit der "Welt" vollzieht, zeigen. Rabbow schreibt in diesem Zusammenhang! "Wie Berauschung konnte die Heilslehre wohl über die Seele kommen, mit mächtigem Anlauf fing es an; aber wenn es nicht in einem Zug weiterging, wenn ein Fehltritt geschehen, erhoben sich die dunklen Mächte, Entmutigung, Unlust,
ja Ekel vor
der Philosophie, und alles Niederziehende und zur 'Welt* 22 winkende gewann an Uacht
Zurück-
." Bezeichnend spricht der gleiche Autor
von einem odium cellae, das den Philosophenschüler gegen die primitive örtlichkeit der Schule überkommt, wenn er in dergleichen Anfechtungen gerät^. Als Heilmittel gelten philosophische
55 Exercitien und die Einzelseelsorge des Meisterphilosophen. 17 Das griechische Wort dx^öeta ist im Profangriechischen eine sehr seltene Vokabel24. So hat Vögtle25 ^ geurteilt. Nach Walter 26
Bauer
ist das Wort seit Hippokrates bekannt. Die Bedeutung des
Wortes ist von Vögtle umschrieben worden, da£ die acedia in vor christlicher Zeit nirgendwo Gegenstand der Reflexion, etwa in der ethischen Affektlehre oder auch nur geläufiger Terminus eines bestimmten Bereiches, etwa der Grundmodi des Daseins 27 wieflöovtf,Aijäti und dergleichen geworden ist. Der Begriff acedia ' bezeichnet Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit, ferner Erschöpfung, Apathie, Verdruß und Bedrängnis in wirtschaftlichen Angelegenheiten. In der griechischen Übersetzung des AT (LXX) wird dreimal das Nomen und sechsmal das Verbum verwendet. Von diesen insgesamt neun Stellen entfallen vier auf die Psalmen, zwei auf Jesus Sirach und je eine auf Tritojesaja, Daniel und Baruch. Die folgende Untersuchung berücksichtigt gleich, soweit es möglich ist, die hebräischen bzw. aramäischen Äquivalente. in Die vier Psalmenstellen gehören alle entweder ganz oder28 bestimmten Formelementen zur Gattung der individuellen Klage s Ps 61,3; 102,1; 119,28; 143,4. Die Stellen aus Ps 61; 102; 143 gebrauchen das Verbum, Ps 119,28 das Nomen. Das hebräische Äquivalent ist in Ps 61 und 102 das Verbum
im Qal, in Ps 143,4 im HithpaSl.
Die Bedeutung im Qal ist "schwach werden, verschmachten", im Hithpael "sich schwach fühlen"2^. Das Subjekt ist Ps 61,3 aV , in PS 102,1
'37 , in Ps 143,4 »mi. In Ps 119,28 ist das hebräische
Äquivalent ilim vom Stamm
Hl1 . Das Subjekt ist 'TO3.
In der Jesajastelle 61,3 wird der hebräische Terminus nna
nn
(zaghafter Geist) durch pneuma mit folgendem Genetiv von
acedia wiedergegeben. Die Baruchstelle 3,1 lautet griechisch: Jtveü|aa 4xT|6e£v K^xpaye
34 *pic 06 "ein bekümmerter Geist schreit zu dir". Es handelt sich um eine Stelle aus dem Bußgebet der Verbannten. In Jes Sir 22,13 ist "das in Bekümmernis Geraten durch den Unverständigen" gemeint unter Verwendung des Verbums, während Jes Sir 29,5 unter Verwendung des Nomens vom Schuldner gesprochen wird, der nicht das Geliehene zurückgibt, sondern Xn), und der Plan Deines Herzens steht für immer fest (11311)" (IV 13). Seine "Gerechtigkeit bleibt für immer bestehen ( 11an )" (VIII 2); denn "du bist ein ewiger Gott, und alle Deine Wege stehen für immerdar fest" ( 1313' V H 31 f.). Der Beter der Danklieder kann deshalb einen festen und unerschütterlichen Stand gewinnen, weil Gott in seiner Bundestreue ewig ist» Nicht in Gewinn uni Reichtum, nicht auf irdischen Gütern und Früchten ruht sein Dasein, sonders es stützt sich "auf Deine Wahrheit"; "auf Dein reiches Erbarmen"; "meine Stütze steht in der Zuflucht der Höhe" (I 17-22; vgl. auch XI 32). Seinen Stand in Gottes Gnade gewinnt der Uensch dadurch, daß er der Bundesgemeinde, die tinter Gottes Bundestreue steht, die in ihr das ewige Fundament besitzt, eingegliedert wird. Diese Bundesgemeinde, als die sich die Qumrängemeinde versteht, hat für Israel die Bedeutung eines tragfähigen Fundaments. Der Beter spricht von einer Gründung auf Fels, in die der vom Schiffbruch Verschlagene und Umhergetriebene eintreten kann, und "alle, die in sie eintreten, werden nicht wanken" (
1D1D' VI 22-28). In der Ordensregel wird ge-
sagt, daß in der Quarr eingemeinde ein Fundament für Israel gelegt wird, ein Heiligtum in Aaron gegründet wird, ein Haus der Wahrheit in Israel (1 QS 7 5 f.) VIII 5.8 f.; IX 5 f.; Dam A III 1) 5 . Darum bedeutet: "in die Einung der Qumrängemeinde kommen" "in den Bund kommen", und "in den Bund"Gottes kommen", das heißt "Stand gewinnen"®. In einem verstümmelten Textstück heißt es: im Gefüge deutlich erkennbar: "... in den Bund zu bringen mit Dir ... zu stehen (113D3 ) ... an der ewigen Stätte" ( 1 QH XVIII 28). Von solchen wird gesagt: "Sie stehen fest in Deiner Treue (bzw. Wahrheit)"
151 (13133 1 QH Frg. 2,15). Der Stand, der in der Bundesgemeinde durch Gottes Gnade gewonnen ist, ist ein ewiger Stand vor Gott - 1 QH XVIII 10 f»s "der fest an Deinem Bund hält und vor Dir stehe (713'SB1? naiyi)" (XVIII 1 f.) der den Menschen in der Qumrängemeinde in die Gemeinschaft mit der himmlischen Welt bringt: "Den verkehrten Geist hast Du gereinigt von großer Verschuldung, daß er sich hinstelle an den Standort
(loyal QS'nnV)
mit dem Heere der Heiligen, und in die Einung eintrete
(SiaVl)
mit der Gemeinde der Himmlischen" (III 21 f.). eine dem apokalyptischen Denken zugehörige Vorstellung. So handelt Gott an den"Söhnen Deiner Wahrheit": er reinigt sie, "um sie hinzustellen (
DTayn1?
) vor Dich für immer und ewig" (VII
31).
Das ist
um so gewichtiger, als der Beter der Danklieder weiß, wie es ihm die Heilige Schrift seines Volkies sagt, daß keiner vor Gott Stand hat und bestehen kann (vgl. VII 2; XII 28.31). Der Stand, den der Mensch von Gott empfängt und der ein ewiger Stand ist, ist deshalb Geschenk der Gnade Gottes, weil der Mensch an sich wegen seiner Schuld nicht vor Gott bestehen kann, - Rechtfertigung aus Gnaden, die ihm widerfährt7. Aus Fall und Straucheln ist der Mensch durch Gottes Gnade aufgerichtet und hat Stand gewonnen vor Gott. Die widergöttlichen Mächte aber suchen ihm diesen Stand zu nehmen und ihn zu Fall und zum Straucheln zu bringen. Dazu benutzen sie die Feinde der Gemeinde. Aber Gottes Beistand, den der Beter erfleht, vermag diese Absicht zu durchkreuzen. "Sie stellten mir Fallen und fielen (1^93) darein" (II 29)| die Anfechtung kann werden, "zu unheilbarem Schmerz und zu o bösartiger'Plage im Inneren Deines Knechtes" , "um zu Fall zu bringen den Geist und schwinden zu lassen die Kraft, auf daß man den
152
Standort (laya) nicht festhielt" (V 28 f.). Aber "mit der Fülle Deines Erbarmens ... mein Geist hielt am Standort fest vor der Plage"^ (V 36). Dieser Anfechtung kann der Beter der Danklieder nicht entgehen, denn "Du stützt meine Seele, indem Du die Hüften festigst... Du stellst (laym) meinen Fuß in der Bosheit Gebiet, und ich werde zum Klappnetz den Frevlem, doch zur Heilung allen, die umkehren von Sünde" (II 7 f.). Statt daß er zu Fall kommt, kommen andere an ihm zu Fall oder richten sich auf an ihm. Fall droht dem "unverständigen Volk" durch die Gegner des Lehrers der Gerechtigkeit, der in diesen Zusammenhängen unverkennbar spricht; ihre Falschreden bewirken in diesem "unverständigen Volk", daß es zu Fall komme (DaVn1?) durch ihren Irr-
1
tum" (II 19). Während der Beter der Lieder Gottes Beistand erfährt -
"Ich preise Dich, Herr! Denn Du stützest mich durch Deine Kraft, und Deinen Heiligen Geist hast Du auf mich gesprengt, auf daß ich nicht wanke"
(DIOR "?3 '3 VII 6 f.) -
droht seinen Gegnern der große letzte Fall im apokalyptischen Geschehen, wenn "die Erde aufschreit ob dem Unheil, das sich in der Welt vollzieht", wenn Gott "in der Wucht seiner Kraft donnert", wenn "wanken und beben die ewigen Fundamente" (III 32 ff.).10 Ein letztes muß in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden: Der Stand, den der Mensch von Gott her gewinnt, kommt aus einer in11
neren Erleuchtung
. In den Dankliedern heißt es:
"Du, mein Gott, bist mir eine ewige Leuchte und stellst meinen Fuß auf- ebenen Plan" (VII 25). In den Hymnen am Schluß der Ordensregel steht der Lobpreis: "Gepriesen seist Du, mein Gott, der Du der Erkenntnis öffnest das Herz Deines Knechts. Bereite in der Gerechtigkeit all seine Werke
153 und. erfülle dem Sohn Deiner Wahrheit, wie Du es willst für die Erwählten der Menschheit: zu stehen (aS'nnV) vor Dir für immer" (1 QS XI 15 ff.). Diesem Lobpreis geht das Bekenntnis voran: "Aus der Quelle seiner Erkenntnis öffnete ET Sein Licht, auf seine Wunder blickte mein Auge und mein Verstandeslicht auf das Gehe(imnis) des Gewordenen und des ewigen Seins. Stütze meiner Eechten auf festen Fels, Weg meines Fußes, wegen nichts wird er wanken
(JHTy IT» KlV),
denn Gottes Wahrheit, sie ist meines Fußes Fels und seine Macht ist der Stab meiner Rechten" (1 QS XI 3 ff.). Dieser aufgezeigte Zusammenhang zwischen Standgewinnung und Erleuchtung führt unmittelbar hinein in das neutestameiitliche Schrifttum, das zu einem Vergleich geradezu herausfordert. Der Epheserbrief, dessen besonderer Zusammenhang mit dem Schrifttum von Qumrän Auf12
merksamkeit gefunden hat
, enthält den wahrscheinlich der Taufli-
turgie zugehörigen Spruch: "Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, und leuchten wird dir der Christus" (Eph 5.14)• Der Mensch außerhalb des Christus gilt als Schläfer, und zwar ist sein Schlaf als Todesschlaf verstanden, aus dem er auferweckt und zum Aufstellen und Sichaufrichten aufgefordert wird, und das dadurch, daß ihm Christus als Licht aufgeht und ihn damit erleuchtet. Sehr wahrscheinlich hat dieser Spruch gewisse gnostische Einflüsse in sich aufgenommen, wo der Mensch außerhalb der Gnosis als Schlaf13 trunkener verstanden wird . Entscheidend ist die Verbindung zwischen dem Aufgewecktwerden, dem Aufstehen und der Erleuchtung, die, darin ist der Spruch nun ganz neutestamentlich, an Christus gebunden ist.
Es verdient in diesem Zusammenhang Beachtung, daß in einer
154 Reihe von Hellungserzählungen der Evangelien berichtet wird, daß Jesus
den Kranken aufrichtet oder zum Aufstehen auffordert, vgl.
u.a. Mark 1,31} 2,11 f.; 3,3; 5,41; 9,27; 10,49; Apg 3,7, wo wie im Taufspruch aus Eph die Verben ^¿yeipeiv und dviordvat
begegnen;
gewiß haben sie zunächst die Bedeutung eines leiblichen Aufstehens und Sichaufriehtens durch die Hilfe und Unterstützung Jesu; es ist aber angesichts der auf Innere und geistliche Vorgänge hinweisenden Erzählungsart zu fragen, ob möglicherweise durch die Wahl der Verben ein Standgewinnen des ganzen Menschen durch Jesu Hilfe ausgesagt und bezeugt werden soll, so daß sich in den Erzählungen ab14bildet, was dem Glaubenden in seiner Taufe widerfährt
.
Der Zusammenhang zwischen Standgewi nnung und Erleuchtung ist besonders auffällig im dritten der Bekehrungsberichte des Paulus in der Apostelgeschichte, der dadurch in unmittelbare Nähe zum Taufspruch aus Eph rückt (Apg 26). Er ist auf die Erscheinung Jesu vor Paulus konzentriert und läßt deshalb die Ananiasbegegnung aus. Auf der einen Seite steigert er gegenüber den vorhergehenden Berichten den Widerstand, den Paulus gegen Gottes Gemeinde geleistet hat, und die Verfolgung, der er sie unterworfen h a t 1 A u f der anderen Seite zeigt er den Zusammenhang zwischen dem neuen Stand, den er durch seine Bekehrung gewinnt,
und der Erleuchtung, die 1hm
widerfährt, indem sie seine Wendung verursacht. Darin hat dieser dritte Bericht gegenüber den beiden anderen hört in die
seine Eigenart. Er ge-
Hede, die Paulus vor dein König Agrippa und dem Statt-
halter Festus hält. Er steht vor ihnen als Angeklagter - ScrrTixa xpuvdnevog
- und ist als solcher Zeuge - Sottimo napTUp6nevoc(Apg
26,6.22). Der Angeklagte bezeugt: Der Auferstandene hat ihm, seinem Verfolger, einen neuen Stand gegeben, indem er ihn erleuchtet hat. Als das große Licht, heller als die Sonne, ihn umleuchtet und er auf den Erdboden niederfällt, hört er die Stimmes "Stehe auf und tritt auf deine Füße" (vgl. Ez 1,28; 2,1). Sie hat eine klare Beziehung
155 auf den Propheten Ezechiel und meint zunächst ein äußeres Aufstehen, das jedoch von einem Inneren neuen Standgewinnen nicht zu trennen ist. Vor allem aber ist nun die Beziehung zwischen diesem Aufstehen und seiner Erleuchtung, die ihn zu
ihrem Träger macht, be-
deutsam. Der Herr hat sich dazu vor Paulus sehen lassen, daß er "ein Zeuge werde dessen, daß du mich gesehen hast und ich dir erschienen bin". Das steht in enger Beziehung zu Eph 5,14- Dem Paulus wird als dem aus der Menschheit Erwählten die Aufgabe, "zu öffnen ihre Augen und sich zu bekehren von der Finsternis zum Licht", ein Wort prophetischen Ursprungs, das auch in Qumrän aufgenommen wurde. Für Paulus aber bedeutet das: er öffnet die Augen der Völker für Christus, "der sterben muß und als erster aus der Auferstehung der 16
Toten Licht verkünden soll dem Volke und den Völkern" (Apg 26,23)
.
Was Terminologie und Motivbildung von den erörterten qumränischen Texten unterscheidet, ist der neue Bezug, den sie wie in Eph 5 »14 auch an dieser Stelle auf die Person Jesu Christi bekommen. Dieser Vorgang wird genauso deutlich, wenn man die qumränische und paulinische Rechtfertigungslehre, die Rechtfertigung aus Gnaden, mitein17 ander vergleicht
Die Erscheinung Jesu Christi und der Bezug al-
les Geschehens auf,sie ist das eigentlich Neue des neutestamentlichen Schrifttums. Er ist es, von dem in einer Terminologie gesagt wird, die der von Qumrän verwandt ist und mit der der rechte Lehrer von Qumrin von sich aus selbst redet« "Dieser ist hingestellt zu Fall und Aufrichtung vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, damit enthüllt werden aus vieler Herzen Gedanken" (Luk 2,34), übrigens ein Zusammenhang, der mancherlei Beziehungen — "18 zur qumränischen Art aufweist . Dieser Herr ist es, der als Menschensohn die Menschen auffordert, alle Anstrengung darauf zu richten, "gestellt zu werden vor den Menschensohn" (Luk 21,36). Der neue Bezug auf die Erscheinung Jesu Christi schließt nur in geringem Maße eine Beziehung auf die Verkündigung des geschieht-
156 liehen Jesu selbst ein. Am Schluß des Spruchzusammenhanges, den man Bergpredigt zu nennen pflegt, sagt Jesus in einem Bilde, daß der, der seine Worte hört und tut, einem klugen Manne gleiche, der sein Lebenshaus auf Felsengrund baut, so daß es den tosenden Wasserfluten standhält, während der, der seinen Worten nicht folgt, dem törichten Manne gleicht, der sein Lebenshaus auf Sand baut, so daß es in den Wasserfluten zusammenbricht (Matth 7,24-27} Luk 6,47-49)5 in der Matthäusfassung begegnet das erste Mal na! otfx Srceaev, zweite Mal:nal Erceoev.
das
Deutlich ist hier unter dem Bild der Wasser-
flut ein Bild des apokalyptischen Gerichtes aufgenommen; zu ihm gehört auch das Verbum nCnvc i v ^ .
Das Bild vom Hausbau, das sowohl
in Qumrin als auch im Neuen Testament auf die Gemeinde bezogen ist, ist hier auf das persönliche Leben des Menschen gewendet; jeder baut an seinem eigenen Lebenshaus; ob dieser Bay standhält oder zusammenbricht, hängt am gehorsamen Verhältnis zu Jesu Wort. Die gegenüber der apokalyptisch-ekklesiologischen Bildhaftigkeit andere Art zu reden, die an die Weise der Weisheitslehre erinnert, macht es wahrscheinlich, daß wir es mit Worten des geschichtlichen Jesus 20 zu tun haben
. Dann aber macht Jesus die Gewinnung des nicht zu
erschütternden Standes vom Gehorsam seinem Wort gegenüber abhängig und drückt die Gewinnung dieses Standes im Bilde vom Hausbau aus. In den Aussagen des Paulus wird von solchem Stand und dem ihn bedrohenden Fallen in einer an die Art von Qumrän erinnernden Weise gesprochen. Gegenüber Christen, die andere Christen wegen ihrer Stellung zu Fragen der Speise- und Festgebote des jüdischen Gesetzes richten, sagt Paulus: "Wer bist du, der einen fremden Verwalter richtet? Seinem eigenen Herrn steht oder fällt er. Er wird aber Stand behalten, denn der Herr ist mächtig, ihn hinzustellen" (Rom. 14,4). Der Zusammenhang vergleicht den Herrn und die Seinen dem Hausherrn und dem Haussklaven. Der Hausherr gibt ihm seinen Stand. Di'e Frage ist nun: Meint das zuversichtliche OTaSifaeTai 6i
: er
157 wird, aufgerichtet werden aus seinem Fall, oder er wird stehen bleiben, wenn er auch von anderen gerichtet wird, weil ihn sein Herr nicht fallen läßt, sondern aufrecht erhält? Ob der "Haussklave" in der Bewährung seines Dienstes versagt hat und gefallen ist, ob er im Widerspruch anderer und unter ihrer Anklage ins Gericht seines Herren kommt - dieser ist mächtig, ihm seilen Stand zu geben und 21 zu erhalten
. Die Möglichkeit zur Gewinnung dieses Standes ist im
Evangelium, der frohen Botschaft, die die Herrschaft dieses Herrn proklamiert, eröffnet; von ihm schreibt Paulus den
Korinthern:
"Ich tue euch kund das Evangelium, das ich euch verkündigt hab
,
in dem ihr auch steht, durch das ihr auch gerettet werdet" (1. Kor. 15,1). Indem das Evangelium die Gnade a n b i e t e t i s t diese: letztlich der Standort des Glaubenden geworden; von ihr leitet Paulus sein Dasein und seine Erhaltung her (1. Kor.* 15,10; 2. Kor. 12,9 u.ö.). Von ihr sagt er den Hörnern unter Bezug auf den Herrn Jesus: "Durch ihn haben wir auch den Zugang erlangt zu dieser Gnade, in welcher wir stehen" (Rom 5,2). Wie der Fromme von Qumrän kann Paulus sagen: "Mein Standort ist in Deiner Gnade"; die Gnade aber begegnet ihm, anders als dem Qumränfrommen, in der Erscheinung Jesu Christi. Der Stand, in den Paulus sich und die Christen versetzt sieht, ist ebenso wie der Stand des Qumräofroinmen ein angefochtener Stand. Den Korinthern schreibt er: "Wer da meint, er stehe, sehe zu, daß er nicht falle. Versuchung hat euch nicht ergriffen außer menschlicher. Treu ist Gott, der nicht zulassen wird, daß ihr versucht werdet über euer Vermögen, sondern er wird mit der Versuchung auch den Ausgang wirken, sie ertragen zu können" (1. Kor 10,12f.). Die Versuchung kommt vor allem aus der eigenen Überheblichkeit. Das gilt von den korinthischen Gnostikern, die auf ihren Stand pochen; sie mahnt Paulus ebenso durch den Hinweis auf das Beispiel Israels, wie er mit ihm die römischen Heidenchristen vor ihrer antisemitisch begründeten Verachtung der Juden warnt. Auch ihnen droht ihr Obermut und ihre
158 Überheblichkeit zum Fall zu werden, nachdem sie durch den Glauben an die frohe Botschaft Stand gefaßt haben, während die Israeliten durch ihren Unglauben zu Fall gekommen sind. Das wird in diesem Zusammenhang mit dem Bilde vom Ölbaum ausgesagt, dessen Zweige ausgebrochen wurden, während solche von einem wilden Ölbaum eingesetzt wurden (Rom 11,17-24-). Der Stand, den ein Mensch gewinnt, zeichnet sich ab als Festigkeit des Herzens. Korinthern, die vor der Frage stehen, ob sie heiraten sollen oder nicht, sagt Paulus: Jeder stehe fest in seinem Herzen! Solche Festigkeit des Inneren Standes hilft in der Entscheidung einzelner Lebensfragen, für die Paulus die Freiheit betreffs des eigenen Willens gibt (1. Kor 7,37). Sieht Paulus nach 1. Kor 10,13 die Anfechtung als eine vom Menschen kommende und von Gott zugelassene an, so spricht der Schreiber des wahrscheinlich deuteropaulinisehen Epheserbriefes von der Anfechtung durch dämonische Mächte, gegen die der Mensch die geistliche Waffenrüstung, ein Bild, das ebenfalls in Qumrän seine große 22
Bedeutung hat
, anlegen muß, "damit ihr bestehen könnt gegen die
Methoden des Teufels..., damit ihr Widerstand leisten .könnt am bösen Tage und, nachdem ihr alles ausgeführt habt, steht" (Eph 6,11. 13)2^. Christliches Dasein ist ein Kampfgeschehen, in dem es um den Stand des Menschen geht; seinen Stand zu behalten, ist der Kampfpreis; er ist nur zu erringen, wenn befolgt wird, wozu der Schreiber des Epheserbriefes mahnt im sofortigen Anschluß an die eben zitierten Ausführungen: "Stehet nun umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit..." (6,14). Daß die Gemeinden ihren Stand in vollem Umfang erhalten, dafür kämpft der Apostel mit durch seine Fürbitte; den Kolossern schreibt er: "Ich kämpfe allezeit für euch in. meinen Gebeten, daß ihr vollkommen hingestellt werdet" (Kol 4,12). Wie in Qumrän besteht auch im neutestamentlichen paulinischen und deuteropaulinischen Schrifttum eine deutlich erkennbare Beziehung zwischen dem Stehen und der Gemeinde; sie ist wie in Qumrän
159 auch im NT als Gottes geistlicher Bau verstanden; zu ihr hat Er den Grund gelegt durch und in Christus (1. Kor 3»II 5 Matth 16,18 ph
u.a.)
. Von diesem Grund heißt es 2. Tim 2,19s "Der feste Grund
Gottes steht, indem er dieses Siegel trägt: Es hat erwählt der Herr die Seinen, und: es trete weg von Ungerechtigkeit, wer den Namen des Herrn nennt", während 1. Tim 3,15 die Gemeinde "Gottes Haus" und "Säule und Grundfeste der Wahrheit" genannt wird, Aussagen, die sich auch in Qumrin finden. In dieser so verstandenen Gemeinde leben,gewährt dem Menschen seinen Stand und hilft ihm zw seiner Erhaltung. Die Immer wieder begegnende Mahnung "Stehet" gewinnt durch den Standort, in dem zu stehen ermahnt wird, eine bedeutsame Spannweite. Der Standort ist nach Phil 4,1 der Herr selbst: "Stehet im Herrn". Der Herr bestimmt das Leben dessen, der sich ihm anschließt, und in diesem Anschluß hat es seinen Stand im Herrn, der diesen Stand gibt (vgl. auch 1. Thess 3,8) 2 5 .
Im Herrn stehen, heißt in
der Freiheit stehen, die - und an dieser Stelle werden die Möglichkeiten von Qumrän grundsätzlich überschritten - eine Freiheit vom Gesetz ist, während in Qumrän die Gnade neu an das Gesetz bindet. Paulus mahnt die Galater, die zur Übernahme gesetzlicher Bindungen verlockt werden, sich nicht verlocken zu lassen: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Stehet nun und begebt euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft" (Gal 5»1). Der Fallende begibt sich seiner Freiheit, während der Stehende der Freie ist und sich seine Freiheit erhält. Im Herrn stehen heißt für Paulus aber auch in einer brüderlichen Gemeinschaft stehen. Die Philipper werden in Streitigkeiten, die sie untereinander haben, gemahnt:. "Stehet in einem Geiste!" (Phil 1,27), denn im Herrn ist die Einheit im Geiste gegeben (1. Kor 12,4 f.; Eph 4,4 f.). Das alles kann Paulus zusammenfassen in das Wort: "Stehet im Glauben" (1i Kor 16,13). Der Glaube verbindet mit dem Herrn; der Glaube schafft die Gemeinde der Glau-
160 benden; durch den Glauben wird der Stand gewonnen (Rom 11,20), und im Glauben hat der Glaubende seinen Stand (2. Kor 1,24); im Glauben steht er und hält er seinen Stand, indem er im Glauben das Gegründetsein seiner Existenz erfährt. Diese in Qumrän nicht begegnende Ausdrucksweise hat ihren Ursprung in dem prophetischen Wort: "Glaubt 26 ihr nicht, habt ihr keinen Bestand" (Jes 7» 9)
. Dieser Stand ist
nicht in irgendwelchen innerweltlichen und menschlich möglichen Sicherungen gegeben, sondern im Glaubeil an den Gott, auf dessen zusagende Anrede sich der Glaube richtet. Sie begegnet im prophetischen Wort; sie
begegnet im NT in der Erscheinung Jesu; sie vernimmt der
Glaube als Gottes
Zusage und sieht in ihr die Existenz des Menschen
dauerhaft gegründet} in solchem Vernehmen wird dem Menschen der 27 Glaube als Begründung seiner Existenz in Gottes Zusage zuteil '. Am Schrifttum von Qumrän und am neutestamentlichen Schrifttum haben wir festzustellen versucht, was in dem Wort des Archimedess "Gib mir, wo ich stehe ..." als Frage enthalten ist. Es ist eine Frage menschlicher Existenz, denn der Mensch kann in seinem Leben Stand haben oder ohne Stand sein, ein Fallender, ein Getriebener, ein seinen Standort Wechselnder. Die Frage, die hier und dort gegeben wird, enthält viel Gemeinsames, vor allem, wenn man hinter ihr die Hechtfertigungslehre von Qumrän und die des Paulus sieht und wenn man diese Antwort als einen Aspekt aus ihr begreift. Dabei ist bedeutsam: Die Frage nach Stehen und Fallen im Bezug auf die Gesamtexistenz des Menschen taucht so 28 erst in Qumrän und im NT auf. In seiner Untersuchung zu ninitiv wird TtinTEiv
stellt W. Michaelis fest: "Im NT
auch, was in IiXX noch nicht der Fall ist, in die
ethisch-soteriologische Sphäre gerückt". Das gleiche gilt vom Stehen. Es gibt gewisse alttestamentliche Vorbereitungen, vor allem in der Frage, wer vor Gott treten und vor ihm bestehen kann, in der Erkenntnis, daß Gott dem Menschen Raum gibt (Ps 18,34; 26,12; 31,9) und in der prophetischen Predigt von der Erniedrigung des Hohen. Die
161 Frage nach Stehen und Fallen taucht in der Philosophie als Frage nach dem Bestehen auf, aber während die Philosophie das Bestehende erfragt, geht es in unserer Frage um den, der besteht. In dieser Form aber ist sie erst in Qumrän2^ und im NT gestellt worden. Fragt man angesichts der Gemeinsamkeiten und Unterschiede nach dem Zusammenhang zwischen der hier und dort gegebenen Antwort, so wird man sagen müssen: Es besteht keine direkte Abhängigkeit, sondern eine gemeinsame innerjüdische Tradition, vielleicht hellenistisch beeinflußt, die in der Zeit nacih dem jüdischen Krieg abgebrochen ist. Sowohl in Qumrän als auch in den neutestamentlichen Zeugnissen ist der Stand als Geschenk Gottes verstanden, in beiden Fällen mit der Gemeinde verbunden und dauernd angefochten, wobei die Gemeinde als Gottes geistliches Haus und festes Fundament gesehen wird. In beiden Fällen geht es um den ewigen Stand des Menschen. In Qumrän ist die Antwort auf die Frage nach dem Stand des Menschen ausgerichtet auf den Bund Gottes, den der rechte Lehrer von Qumrän neu erschließt und für seine Gemeinde neu öffnet. Im Neuen Testament ist sie bezogen auf die Erscheinung Jesu Christi, die als Gottes letztes und entscheidendes Wort verstanden ist. Beide können von der Gnade sprechen, in der der Mensch seinen Stand hat. In Qumrän führt die Gnade zum neuen Halten des Gesetzes, das verschärft wird und erfüllt werden muß; im Neuen Testament schließt sie die Freiheit vom Gesetz ein. Evangelium ist nicht Gesetz; das Gesetz nimmt dem Menschen, ihn verurteilend, seinen Stand, während das Evangelium sein Stand ist. Weil die Frage nach des Menschen Stand im Neuen Testament auf die Erscheinung Jesu als auf Gottes latztes und entscheidendes Wort und damit eben auf das Evangelium bezogen ist, gewinnt, hat und erhält er seinen Stand im Glauben. In dieser Linie ist die Antwort auf die Frage nach des Menschen Stand weitergegeben worden in der Christenheit, wie etwa das große Wort Martin Luthers gegen Ende
162 seines Lebens zeigt: "Der Glaube ist und. soll auch sein ein Standfest des Herzens, der nicht wankt, wackelt, bebet, zappelt noch zweifelt, sondern fest steht und seiner Sache gewiß ist" (Weimarer Ausgabe LIV 32,22) 3 0 .
163 Anmerkungen 1 Der Sprachgebrauch der Qumräntexte schließt sich bewußt an den des AI an; das bedeutet für die im Zusammenhang von Stehen und Fallen verwendeten Vokabeln eine erhebliche Vielfalt. In LXX gibt das eine griechische Wort l ottihi, 36 verschiedene hebräische Wörter wieder, wenn auch Tay und Dip bei weitem im Vordergrund stehen. Vgl. dazu W. Grundmann, ThWBNT s.v.CTfjnco, toTTiin. 2 Vgl. Hans Bardtke, Das Ich des Meisters in den Hodajoth von Qumrän. Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig 6, 1956/57» Gesellschaftswissenschaftliche und sprachwissenschaftliche Reihe 1 S. 94 - 104, ferner den Beitrag von Holm-Nielsen auf dem Leipziger Qumrän-Symposion. 3 Unsere Textwiedergaben schließen sich an an Johann Maier, Die Texte vom Toten Meer I Übersetzung II Anmerkungen, München 1960; die Ubersetzung Maiers ist an manchen Stellen um der sprachlichen Formimg Willen sehr frei; sie wurde überprüft an der hebräischen Textausgabe der Qumrantexte Jerusalem 1959 und verglichen mit den Ubersetzungen von H. Bardtke, Die Handschriftenfunde am Toten Meer, Berlin 1952, Die Sekte von Qumrän, Berlin 1958. 4 Vgl. Die Nachweise in meinem im ThWBNT erscheinenden Aufsatz zu lcm\in. 5 Vgl. bei Johannes Maier a.a.O. H S. 3 f. Exkurs: Die Gemeinde als Bau. 6 In die Einung der Qumrängemeinde eintreten! 1 QS I 16; V 7; VI 22} VIII 21; 1 QH XI 11: "in die Einung zu treten (imn1?) mit den Söhnen Deiner Wahrheit ... 14: daß er hintrete an den Standort (1Q703 3I'nnV)vor Dir mit dem ewigen Heer ..."; in den Bund eintreten: 1 QS I 18.24; II 10.12.18; V 20; u.a. 7 Vgl. dazu W. Grundmann, Der Lehrer der Gerechtigkeit von Qumrän und die Frage nach der Glaubensgerechtigkeit in der Theologie des Apostels Paulus, Revue de Qumrfin II, 1960, S. 237-259; S. Schulz, Zur Rechtfertigung aus Gnaden in Qumrän und bei Paulus. Zugleich ein Beitrag zur Form- und Uberlieferungsgeschichte der Qumräntexte ZThK 56, 1959, S. 155-185. 8 Der Text ist an dieser Stelle nicht völlig durchsichtig. 9 Vgl. auch die Bitte 1 QH XVII 23: (...) Deinen Knecht davor, an Dir nicht zu sündigen und vorm Straucheln (VliDO) in allen Worten Deines Willens; ferner XVIII9f.: "Ziehe Deine Hand nicht ab (vom ...), auf daß er einer sei, der fest an Deinen Bund sich hält und vor Dir stehe ( lOiyi) auf Immerdar". In den Hymnen der
164 Ordensregel: "Und ich, wenn ich wanke (D1QK) , Gottes Gnadenerweise sind meine Hilfe für immer! Wenn ich strauchle (VHDK) durch Schuld meines Fleisches, "bleibt meine Rechtfertigung durch Gottes Gerechtigkeit doch für die Dauer bestehen (Hayn) " 1 QS XI 11 f. 10 Vgl. 1 QM IV 3 f.s "Aufgehört hat der Stand ( IDyD ) der Ruchlosen durch Gottes Heldenkraft"; XIV 5 s "Er beruft die Strauchelnden (D'^WID) zu wunderbaren (Krafttaten) ..."; 6s "Der den Knieweichen (0*313 '3103"?) festen Stand (IBya) gibt und aufrechte Haltung den zerschlagenen Rücken"; 10 f.s "Du richtest die Fallenden (D'Vsi3) durch Deine Kraft auf, doch die Hochgewachsenen fällst Du ( j m n ) " . Der Bezug dieser Aussagen in der Kriegsrolle auf die prophetische Botschaft ist unverkennbar, 11 Wir gehen hier nicht auf die besondere Frage nach den "Ständen" in der Qumrängemeinde ein; vgl. dazu J. Maier, a.a.O. II 71 zu 1 QH II 22-25. 12 Vgl. G. Molin, Söhne des Lichtes,Wien und München 1954, S. 176; M. Dibelius, An die Kolosser, Epheser, an Philemon, 3. Aufl., 1953 neu bearbeitet von H. Greeven, beö. Nachtrag S. 112 f. Dort weitere Literatur. 13 Vgl. die ausführliche Erörterung mit weiterer Literatur bei M. Dibelius a.a.O. S. 90 - 92. Wenn Dibelius die zugrundeliegende Vorstellung als iranisch bezeichnet, dann ergibt sich angesichts der Qumräntexte die Möglichkeit einer Vermittlung des iranischen Gedankengutes auf dem Weg über Qumrän und seine Ausstrahlungen, was anderwärts bereits bemerkt worden ist, vgl. K.G. Kuhn, Die Sektenschrift und die iranische Religion ZThK 49 (1952) S. 296 - 316. 14 Es ist nicht zu übersehen, daß beide Begriffe Grundbegriffe für die Auferweckung Jesu Christi und der l'oten sind; aus dieser Terminologie heraus ist auch Eph 5,14 geformt. Vgl. A. Oepke, ThWBHT I 368 - 375; II 332 - 337. 15 Außer im thematischen V. 9 wird diese Verstärkung sichtbar in der Schilderung des Kampfes gegen die Jünger Jesu, die über die geschichtliche Wirklichkeit hinausgeht V. 10 - 12 sowie in der Verwendung des sprichwörtlich gewordenen Wortes Eurip. Bacch. 795 in V. 14, das Paulus neben den dem Dionysos Widerstand leistenden Pentheus stellt. 16 Vgl. 2. Kor 4,6 mit der gleichen Verbindung von Schöpfungslicht und Erleuchtung des Herzens wie Apg 26,13 und 16 f. 17 Vgl. dazu den Anm. 7 genannten Aufsatz über den Lehrer der Ge-
165
rechtigkeit von Qumrin und Paulus. 18 Vgl. dazu 1 QH II 7 f., ferner die Schilderung des Simeon als des dauernd vom Geiste geleiteten Uannes sowie die Bezeichnung des Kindes als des von Gott bereiteten Heils unter dem Bilde des Lichtes; s. W. Grundmann, Das Evangelium nach Lukas, Berlin 1961» S. 89 f. 19 Zur apokalyptischen Verwendung des Wasserfluthildes vgl. Luk 17» 26 f.5 1 QH III 24 - 36 - dort auch die Verbindung zwischen Wasser und Feuer wie Luk 17,26 - 29 - und VI 22 ff.} in den erwähnten Zusammenhängen 1 QH III 23 f. und VI 26 ist vom Wanken und" Beben gesprochen; zum Fallen vgl. den aus Jes 21,9 entnommenen Huf vom Fall Babels in Apc Joh 18,2. Zu itiitteiv W. Michaelis in ThWEHT VI 161 - 174. Lukas gibt den Aussagen ein« sprachliche Wendung, die sich vom apokalyptischen Stil entfernt: 6,48s WJH LAXWOEV aa\eva0 1 QS V 23 f. 107 onnoo oy o n C O m p n in» «nin onyia «naaa nxV J1T X 3 f.; zum Verständnis von IX 26 - X 8 vgl. Weise s. a. o. S. 3 ff. 108 m n n Pin X 6.8; Lit. bei Maier II S. 36 und bei H. Braun, Spätjüdischer und frühchristlicher Badikalismüs, I, Tübingen 1957, S. 265. 109 X 2. 110 Andere Angaben und. Vorschriften über Festzeiten und Gebetsstunden aus 1 Q 34- bis 4 Q,6 Q s. Nachr. Göttinger Akad. d. Wiss., Phil.-Hist. EL. Jahrg. 1961, Nr. 10, S. 323 - 326. 111 1 QS IV 1; zu den "Söhnen des Lichts" vgl. auch die in Geheimschrift aufgezeichneten Worte des V'SUD an "alle Söhne der Morgenröte" und einem noch nicht veröffentlichtem Text, den Milik HB 63, 1956, S. 61 (= Bibl. Arch. 19, 1956, S. 90) erwähnt. 112 1 QS III 13 ff.» "heilsames Ende" 081^0 'ip. 1 1 3 iv 9 ff.» no'Vni n n w 14. 1 1 4 nViy nvnV tp 1 qs iv 18. 115 IV 20 ff. 0. Anm. 87. 116 a. a. 0. S. 20 f. 117 a. a. 0. S. 311. 118 Auf die Parallele des "Propheten" im NT (vgl. vor allem E.Fascher, IIPOiHTHZ, Gießen 1927, S. 166 ff., vor allem 182 ff.) wies in der Aussprache über den Vortrag Cl.-H. Hunzinger hin.
215 Wenn Gott einen V'SSTD gibt, hat er die in 1 QS (und CD) gegebenen Lehren einzuschärfen und zu lernen, was gemäß den Zeiten sich findet (O'nyn 'S1? tau an) und "geoffenbart" wird (nVajrt; s.o.). In der Endzeit wird Gott einen V'3WD als Segenspender geben. 119 QC I S. 120. 120 Vet. Text Suppl. VII, 1960, S. 518 ff.; Fragment einer SabbatLiturgie auch in den "Paroles des Luminaires" (aus IV Q) VII 4 ff., die M. Baillet, HB 68, 1961, S. 195 ff. z. T. soeben veröffentlicht. 121 Strugnell S. 319. 122 S. 320. 123 1 QS b III 2 n a y n Via. 124 Wenigstens wenn die Ergänzung von 1 QS b III 1 in QC I S. 123 richtig ist. 125 1 QS b IV 26.
"Ich" in den Hodajoth und die Qumrängemeinde Svend Holm-Nielsen, Kopenhagen
Die Dankpsalmen von Qumrin, die Hodajoth, sind von der alttestamentlichen Psalmendichtung stark inspiriert. Ober diese Tatsache herrscht allgemeine Einigkeit. Sowohl im Aufbau der Gedichte mit den verschiedenen Motiven als in stilistischer Hinsicht sowie in der Phraseologie finden sich, trotz vieler Unterschiede in den Details, so ausgesprochene Ähnlichkeiten mit der kanonischen Psalmensammlung, daß man diese ohne Zögern als eine Voraussetzung für die Entstehung der Hodajoth, wie für die spätjüdische Psalmendichtung über1 haupt, bezeichnen muß . Aber die Erkenntnis bringt mit sich, daß man bei der Behandlung der Probleme
in den Hodajjoth, die ihre literarische Eigenart als
Psalmen angehen, auch auf die entsprechenden Froblcme in der alttestamentlichen Psalmenliteratur Rücksicht nehmen muß. Das gilt somit auch für die Bestimmung des "Ich", das in diesen Gedichten spricht. Wenn man festgestellt hat, daß die Hodajoth literarisch auf den Psalmen des Alten Testaments ruhen, ist man bei der Untersuchung des "Ich" in den Hodajoth gezwungen, das Vorkommen von "Ich" in den alttestamentlichen Psalmen zu berücksichtigen. Die Frage kann deshalb so gestellt werden: Kann das "Ich" in den Hodajoth auf dieselbe Weise wie in den Psalmen verstanden werden, oder müssen wir andre Wege gehen, wenn wir versuchen wollen, es zu bestimmen? Zunächst muß allerdings ein Mißverständnis verhindert werden. Die Frage nach dem "Ich" ist nicht die gleiche wie die Frage nach 2 dem Verfasser der Gedichte , sondern es dreht sich hier darum, wem die Gedichte in den Mund gelegt sind. Die Frage nach dem Verfasser
218
ist eine historisch-literarische. Ich beschäftige mich hier nur mit der letzteren Frage. E s macht ja die Untersuchung nicht leichter, daß in der Auffassung des "Ich" in den alttestamentlichen Psalmen keine Einigkeit herrscht, selbst dann nicht, wenn man von den Lösungsversuchen absieht, die diese Trage mit der Frage nach dem Verfasser vermischt haben. In der Diskussion kommen zwei Worte immer wieder vor, beinahe wie Schlagwörters "individuell" und "kollektiv". Entweder hat man behaupten wöllen, daß in dem "Ich" ein einzelnes Individuum sprach, das persönlich und in seinem eigenem Namen seine Klage, seine Zuversicht oder seinen Dank an Gott vorbrachte, und man fand in der Phraseologie der Psalmen die Gefühle oder Stimmungen wieder, von denen dieser einzelne ergriffen war. Oder - man fafite das "Ich" kollektiv auf als eine Personifikation des ganzen Volkes bzw. eines Teiles davon, als die Gläubigen, die Gemeinde. In diesem Fall fand man in den Ausdrücken der Psalmen Hinweise auf historische Ereignisse, die Anlaß zu Klage oder Dank gaben. Man wurde darin von der Tatsache bestärkt, daß in den Psalmen oft ein "Wir" vorkommt, entweder allein oder neben dem "Ich"^. Seit Gunkels und ganz besonders seit Uowinckels Psalmenarbeiten hat unterdessen die Auffassung mehr Geltung gewonnen, daß der "Sitz im Leben" für die Psalmen im Kult zu suchen ist, nämlich in den Liturgien bei den verschiedenen Handlungen des Gottesdienstes. Aber diese Auffassung muß dazu führen, daß die Frage nach dem "Ich" auf neue Weise gestellt wird, wo es leicht irreführt, Worte wie "kollektiv" und "individuell" zu benutzen. Die Frage kann überhaupt nicht generell beantwortet werden, weil das "Ich" verschiedene Grössen repräsentiert. Manchmal kann "Ich" in beinahe technischer Weise den bedeuten, der den Psalm im Kultus vorträgt, sei es als Priester, Prophet oder als Tempelsänger. Manchmal ist das "Ich" eine Repräsentation Israels oder der im Tempel versammelten Kultgemein-
219
de. In vielen Fällen muß das "Ich" jedoch "individuell" aufgefaßt werden, und zwar in dem Sinne, daß es einen Einzelnen als Typ repräsentiert? in einigen Fällen ist deutlich zu erkennen, daß dieser Einzelne der König ist, und es ist möglich, daß dies weitaus öfter der Fall war als nur dort, wo der König ausdrücklich genannt ist . Zweifellos bleibt aber eine Reihe von Psalmen übrig, bei denen das "Ich" den einzelnen Israeliten im Kultus repräsentiert, sofern es sich um eine kultische Handlung handelt, die gerade diesen einzelnen angeht. Man könnte auf dieses "Ich" den Ausdruck "unpersönlich" anwenden, wenn es nicht so leicht als Wertbezeichnung mißverstanden würde. Diese Psalmen sind insofern "unpersönlich", als es sich nicht nur um eine bestimmte, besondere Person handelt, sondern um jede, die sich in der Situation befindet, die dem "Sitz im Leben" des Psalmes entspricht. Jeder Versuch, das "Ich" der Psalmen zu bestimmen, muß deshalb mit einer Untersuchung vom Sitz im Leben des einzelnen Psalms aus beginnen. Die Frage nach der Möglichkeit, das "Ich" in den Hodajotn zu identifizieren, ist bekannterweise verschieden beantwortet und viel c zu oft mit der Verfasserfrage vermischt worden , die uns in diesem Zusammenhang nichts angeht.
Hier stellen wir wieder die Frage: Ver
kommt in dem "Ich" der Hodajoth zu Worte? Die Frage ist oft in der Weise beantwortet worden, daß das "Ich" mit dem "Lehrer der Gerechtigkeit" identifiziert wurde. Die Gedichte sollen dabei die Geschichte und Erfahrungen dieser Gestalt im Verhältnis zu einer feindlichen Umwelt und zu der religiösen Gemeinde, die sie selbst gestiftet hat und deren Führer sie bis zu ihrem Tode war, widerspiegeln. Einige haben diese Theorie dahin modifiziert, daß sie nur einen Teil der Gedichte dem "Lehrer der Gerechtigkeit" zuschrieben; andere meinen, daß er nicht unbedingt selbst der Verfasser sei, sondern daß seine Person lediglich den Hintergrund für die Gedichte darstelle, die eventuell von seinen
220 Schülern oder Anhängern stammen könnten. Daneben hat man die Hodajoth auch als Médiationen aufgefaßt, die die inneren Bewegungen und religiösen Stimmungen des "Lehrers der Gerechtigkeit" oder überhaupt der Mitglieder der Qumrängemeinde wiedergeben. Wie gesagt, die Frage ist verkehrt gestellt worden, darum sind die Antworten auch irreführend gegenüber dem Verständnis dieser Gedichte als Psalmen. Wo man überhaupt die Frage nach ihrem Sitz im Leben gestellt hat, hat man entweder von ihrer didaktischen Anwendung den Mitgliedern der Gemeinde gegenüber gesprochen, oder man hat die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß die Gedichte beim Gottesdienst der Gemeinde angewandt worden seien, ohne den Versuch zu machen, diese ihre Anwendung näher zu präzisieren. Daß die Hodajoth die Existenz der Qumrängemeinde zur Voraussetzung haben - jedenfalls in ihrer jetzigen Gestalt -, darüber herrscht kein Zweifel, und deshalb kann von vornherein festgestellt werden, daß das "Ich" irgendwie durch das Verhältnis zu dieser Gemeinde bestimmt werden muß. Aber das ist wahrscheinlich auch alles, was generell über das "Ich" in diesen Gedichten gesagt werden kann. Eine nähere Untersuchung zeigt nämlich bald, daß das "Ich" nicht eindeutig gebraucht wird. Sowohl vom Stil als auch vom Inhalt aus gesehen, kann man die Hodajoth in drei Gruppen einteilen^. Die größte besteht aus den Gedichten, die man gewöhnlich als individuelle Dankpsalmen bezeichnet, die aber stilistisch eine Mischung von alttestamentlichen Klage- und Dankliedern sind. Nach diesen hat man die ganze Sammlung Dankpsalmen (Hodajoth) genannt, und in ihnen hat man auch hauptsächlich die Geschichte und die Meditationen des "Lehrers n
der Gerechtigkeit" repräsentiert gefunden'. Q
Eine andere wesentlich kleinere Gruppe
gleicht den alttesta-
mentlichen Hymnen; ihr Inhalt ist ein Loblied, eine Erhebung Gottes, die sich auf sein Schöpferwerk bezieht und auf sein Verhältnis zum sündigen, irdischen Menschen, zu den Engeln und zu den Geister-
221 mächten, die seine Diener sind, gründet. Die dritte Gruppe^ hat schließlich ebenso ihr Vorbild im alttestamentlichen Hymnus; aber hier scheint der Hintergrund
die
Existenz der Gemeinde zu sein. Gott wird erhöht und gepriesen für die Erlösung, die er für seine Erwählten in der Gemeinde der wahren Gläubigen geschaffen hat. Neben der direkten Doxologie finden sich in diesen Gedichten auch indirektes Lob und Preis in Form der Erklärung und des Gelübdes, die Gebote Gottes zu halten und auf seinen Wegen wandeln zu wollen, alles und alle zu verabscheuen, die nicht in Übereinstimmung mit seinem Bund stehen, aber alles und alle zu lieben, die in Übereinstimmung mit Gott leben. Wenn wir auf diese Weise verschiedene Gruppe», aufstellen können, die im Hinblick auf die Psalmentypen untereinander verschieden sind, so muß eo ipso zugegeben werden, daß die Frage nach dem "Ich" generell weder gestellt noch beantwortet werden kann, so wie das ja auch nicht bei den verschiedenen Psalmentypen des Alten Testaments möglich ist. Am leichtesten ist es, in der letztgenannten Gruppe der Psalmen, in den Gemeindehymnen, zu einem Verständnis des "Ich" zu kommen. Wer hier spricht, tut es direkt von seinem Zugehörigkeitsverhältnis zur Gemeinde und von seinem gegensätzlichen Verhältnis zur Welt der Gottlosigkeit her. Er dankt Gott, weil er ihn in seinen Bund geführt 10
hat
11
, in die Gemeinde der Kinder der Wahrheit Gottes 12
die Gott fürchten
1-5 • v
, zu den Heiligen
und Auserwählten
, mit denen, 14
. Der so
Sprechende kann sich in dieser Situation als Gottes Diener bezeich15 16 nen als den Sohn seiner Sklavin j obwohl er ja nur ein irdischer, sterblicher Mensch ist1^, hat Gott ihm durch seine Belehrung 18 und Offenbarung den Weg der Erlösung gezeigt und ihm dadurch die Möglichkeit gegeben, als Lehrer und Wegbereiter für andre aufzutreten^. in nahezu "technischer" Weise spiegeln sich hier die inneren 20 Verhältnisse der Gemeinde wider: die verschiedene Rangordnung ,
222 21
der Gottesdienst
22
, der Eintritt in die Gemeinde
, aber auch die
2
Verstoßung aus ihr ^. Timer' wieder wird erklärt, daß das "Ich" mit 24
allen andern Kindern seines Bundes lobsingt und preist
; an einer
Stelle werden sogar die Musikinstrumente, die den Lobgesang begleiten sollen, aufgeführt2^. Es gibt in diesen Gedichten nichts Persönlich-Individuelles, was den Sprechenden von der Gemeinde als Gesamtheit trennt. "Ich" ist die Gemeinde als solche und darum auch jedes einzelne Mitglied von ihr, und der "Sitz im Leben" dieser Psalmen muß als der Lobgesang der Gemeinde bei ihren Gottesdiensten angesehen werden. Es ist schwierig, eine nähere Bestimmung von der Situation des Gottesdienstes zu geben, £ber der häufige Hinweis auf den Eintritt in den Bund kann es wahrscheinlich machen, daß jedenfalls einige dieser Psalmen bei einer Zeremonie für die Aufnahme neuer Mitglieder in die Gemeinde angewandt wurden oder vielleicht 26 eher bei dem jährlichen Erneuerungsfest für die Bundesgemeinde
. Man kann jedenfalls soviel
sagen, daß Lobgesang und Lobpreisung, von denen in den Psalmen gesprochen wird, ihr wirklicher "Sitz im Leben" in Qumrän sind. Etwas JLbnlich.es muß für die andere kleinere Gruppe von Hymnen gelten, deren Inhalt mehr allgemeinen Charakter hat. Auch hier ist die Offenbarung, die ein Resultat des Anschlusses an die Bundesgemeinde ist, der Ausgangspunkt für die Lobpreisung Gottes; aber die Gemeinde selbst ist nicht direkt erwähnt, und die Lobpreisung geht hier von dem Verständnis aus, das man durch die Offenbarung von dem Sinn der Schöpfung Gottes und seiner Erhaltung der Welt erhalten hat. Aber auch hier trennt sich das "Ich" nicht von dem Ganzen. Es ist nicht im alten Sinne "kollektiv", so daß man es als eine Personifikation der Gemeinde erklären könnte; es ist aber auch nicht "individuell" im Sinne von "individualistisch". Es ist zu gleicher Zeit "individuell" und "kollektiv", weil es den Einzelnen allein kraft seiner Zugehörigkeit Wim Ganzen repräsentiert. Man hat indessen auch
223
in der zuerst erwähnten Gruppe der Hodajoth - dem Gemisch von Klage- und Dankpsalmen - hauptsächlich das individuelle und persönliche "Ich" zu finden gemeint, das auf irgendeine Weise mit dem"Lehrer der Gerechtigkeit", seiner Geschichte und seinem persönlichen Gottesverhältnis in Verbindung stand. Es ist eigentümlich, daß bei der Entwicklung, die die alttestamentliche Psalmenforschung seit Gurikel genommen hat, so wenig der Versuch zu verspüren ist, die spätjüdische Psalmendichtung, darunter auch die Hodajoth, in die Diskussion mit einzubeziehen. Allein der Umstand, daß die Phraseologie in so hohem Maße vom Alten Testament bestimmt ist, so daß man ab und an die Hodajoth als ein Mosaik alttestamentlicher Schriftstellen genannt hat^, sollte vor einer individualistischen Auslegung und vor einem Pressen der Ausdrücke auf Andeutungen zu konkreten und aktuellen Ereignissen der damaligen Zeit warnen. Ich kann hier nicht auf Einzelheiten eingehen, sondern muß mich darauf beschränken, ganz allgemein zu sagen, daß die Existenz der Qumreingemeinde mehr oder weniger deutlich auch für diese Gedichte die Voraussetzung darstellt. Ihr Ziel ist indessen nicht die direkte Lobpreisung Gottes in hymnischem Sinne, auch wenn wir hier ebenfalls das Gelübde der Lohpreisimg antreffen können. Beim Inhalt geht es hier wieder um die Erlösung, die Gott in der Gemeinde gegeben hat, aber hier wird sie in einem höheren Grade als in den Hymnen von der Dogmatik der Gemeinde bestimmt, von der Auffassung von Gott und vom Menschen. Auf Grund des vorliegenden Materials ist es unmöglich, etwas Bestimmtes über den konkreten kultischen "Sitz im Leben" zu sagen. Die Psalmen enthalten keine direkten Anweisungen für 28
ihren Gebrauch im Kultus
. Man könnte höchstens in Analogie zu den
alttestamentlichen Dankpsalmen von einem Dankopferfest sprechen, wo der Psalm das Opfer ersetzt hat. Im großen und ganzen kann man vom "Ich" in diesen Psalmen sagen, daß es sich nicht von der Ganzheit der Gemeinde unterscheidet; was von dem Einzelnen, von seiner völ-
224
Ilgen Vergänglichkeit und Sündigkeit als geschaffener Mensch, aber auch von seiner Erfahrung der durch die Offenbarung in der Gemeinde mitgeteilten Erlösung gesagt wird, .unterscheidet sich nicht von dem, was für die Gemeinde als solche gilt. In einigen Fällen sieht es indessen so aus, als ob der Sprechende sich selbst in ein Verhält29 nis zur Gemeinde setzt, als ihr Leiter und Lehrer auftritt , und es ist wahrscheinlich, daß wir in solchen Fällen von der Repräsentation des "Ich" im Munde von Priestern, Gesetzeslehrern oder überhaupt von jeder autoritativen Person sprechen können. Eine Analogie zu den alttestamentlichen Psalmen darf in solchen Fällen angenommen werden, wo ein autoritatives "Ich" als Repräsentation des Königs, des Priesters oder des Kultpropheten zu Worte kommt. Darum ist die Offenbarung, auf die so oft hingedeutet wird, für den Einzelnen nichts Besonderes, sondern sie ist die Offenbarung, an der jeder innerhalb der Gemeinde Anteil dadurch hat, daß sie ihm durch die Leiter der Gemeinde vermittelt wird. In diesen Gedichten ist keine Rede von einer individualistischen Seelenmystik. In den Schriften vom Toten Meer geben bekannterweise die Gemeinderegel und die Texte, die mit ihr verbunden sind, die ausführlichsten und direktesten Aufschlüsse über das interne Leben der Gemeinde. Es lohnt sich nun, darauf zu achten, in welch hohem Maße Ähnlichkeiten im Sprachgebrauch zwischen 1 QS und 1 QH festgestellt werden können. Am deutlichsten kann man das am Verhältnis von 1 QS X 1-9 zu 1 QU XII 4-11 sehen, wo die verschiedenen Zeitpunkte für den Lobgesang ausführlich angegeben werden. Mir scheint, daß 1 QS die Anweisungen enthält, die in 1 QH ausgeführt werden; es ist charakteristisch, daß von dem•50Opfer der Lippen gesprochen wird, das Gott gebracht werden soll^ ; es kann auch nicht bedeutungslos sein, daß im selben Zusammenhang von den Musikinstrumenten gesprochen wird, die zu Gottes Ehre benutzt werden sollen. In 1 QS I 2 ff. werden einige Forderungen aufgestellt, die den
225 Gliedern der Gemeinde gestellt werden. Es heißt hier, daß man "Gott suchen soll ..., das tun soll, was gut und recht in seinen Augen ist ..., alles lieben soll, was er erwählt und alles hassen, was er verworfen hat". Das entspricht ganz der Erklärung, die das "Ich", das auch Gottes Diener genannt wird, in einem Bußpsalm (1 QH XVII 24) abgibt; wahrschein!ich war der Text in XIV 10-11 damit gleichlautend. 1 QS I 21 heißt es,
daß bei der Zeremonie, die vor sich geht,
wenn jemand in die Gemeinde aufgenommen wird, die Priester von den rechtfertigenden Handlungen Gottes ( m p i S ) erzählen sollen, die sich in seinen kraftvollen Handlungen
(nmM)
zu erkennen geben.
Damit kann man mehrere Stellen in den Hodajoth vergleichen, wo von Gottes rechtfertigenden Taten gesprochen wird, z. B. I 26; IV 31 und hauptsächlich XVII 17, wo es heißt: "Du hast mir die Antwort der Zunge gegeben, um die Taten Deiner Gerechtigkeit zu verkünden". In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf zu achten, was für eine große Rolle die Gerechtigkeit Gottes in den Hodajjoth spielt. Bei dieser Gelegenheit sollen die Leviten die Sünden und Vergehen der Kinder Israels verkünden^ .
Was anderes kommt in den zahlreichen Sun-
denbekenntnissen in den Hodajoth zum Ausdruck? Man braucht bloß auf den Ausdruck: "die, die sich von der Sünde abwenden" (y®B '3B0
^
hinzuweisen. Das Wort TSJO für die feste Zugehörigkeit zur Gemeinde findet sich mehrmals in den Hodajoth, z. B. XI 13, wo es parallel mit V n a
erscheint, das auch sonst von der Gemeinde gebraucht wird,
z. B. VI 13. Man vergleiche
hiermit 1 QS II 23, wo beide Ausdrücke
für die Gemeinde vorkommen. 1 QS III 13-17 zeigt sowohl im Gedankengang als auch in der Wortwahl manche Ähnlichkeit mit 1 QH I 15-20; vgl. besonders 1 QS III 14-15 mit 1 QH I 17-18, wo die Ausdrucksweise ganz gleich ist. Nach 1 QS V 8 soll derjenige, welcher den Bund eingeht, es unter heiligem Eid auf sich nehmen, zu Gottes Gesetz zurückzukehren;
226 auf diese Eidesabiegung, von der das " I c h " e r k l ä r t , daß es sie abgelegt hat, i s t in 1 QH XIV 17 hingewiesen. Der Ausdruck "Ewige
Pflanzung", der in 1' QS V I I I 5; Z I 9 als
Bild der Gemeinde gebraucht wird, herrscht auch in der Ausdrucksweise in 1 QH V I I I 4- f f . vor. In diesem Psalm- kann man den Eindruck bekommen, daß das " I c h " eine besondere Aufgabe der Gemeinde gegenüber h a t N i c h t s deutet indessen darauf hin, daß dieses " I c h " der S t i f t e r der Gemeinde i s t , und nichts von dem, %as über das " I c h " gesagt v/ird, hat eine besondere Relation zum "Lehrer der Gerechtigk e i t ! ' . Wenn " I c h " nicht auch in diesem Psalm die Mitglieder der Gemeinde bezeichnet, was ich nicht f ü r unmöglich halte, kann man es höchstens mit dem i d e n t i f i z i e r e n , der die Verantwortung f ü r die Gemeinde hat und dem es daher o b l i e g t , f ü r die rechte Belehrung der Gemeinde zu sorgen, genauso wie man in den alttestaiaentlichen Psalmen ein " I c h " finden kann, das f ü r die Beratung und Züchtigung derer verantwortlich i s t , die Jahwe fürchten. Es i s t hier unmöglich, die Aufzählung der Parallelen im Gedankengang und in der Ausdrucksweise zwischen 1 QS und 1 QH fortzusetzen. Man könnte zahlreiche andere Beispiele nennen, und ich glaube, daß es f ü r das Verständnis vom " S i t z im Leben" der Qumränpsalmen und damit auch f ü r das " I c h " , das in ihnen spricht, nützlich wäre, einen eingehenden Vergleich zwischen den beiden Schriften vorzunehmen.. Zuletzt w i l l ich die Aufmerksamkeit nur noch auf 1 QS XI 2-22 lenken, wo ein "Ich" zuerst seine Rechtfertigung, die a l l e i n von Gott stammt, schildert; danach gibt es eine eingehende Beschreibung seiner t i e f e n Sünde, aus der Gott a l l e i n es durch seine große Gerechtigkeit erlösen kann. Mir scheint hier kein Grund vorzuliegen, daran zu zweifeln, daß das " I c h " das hier spricht, schlecht und recht die Gemeinde in Qumrän i s t . Das i s t aber so zu verstehen, daß das Sündenbekenntnis und das Bekenntnis der Rechtfertigung Gottes in den Mund des einzelnen Menschen gelegt wird, wodurch er überhaupt erst zu dieser Gemeinde ge-
227 hört und dort die Offenbarung Gottes empfängt. Man kann nicht nur den Gedankengang in seiner Ganzheit, sondern die einzelnen Ausdrücke dieses Gemeindeliedes überall in den Hodajoth finden, und deshalb scheint mix Grund genug vorhanden
anzunehmen, daß das "Ich"
in den Hodajoth auf die Gemeinde bezogen werden muß, nicht als eine Personifikation von ihr, sondern auf das einzelne Mitglied in ihr, 7JL
dem die Ich-Prädikation in den Mund gelegt wird^ . Es ist ein Mißverständnis dieser Psalmen, wenn man versucht, das "Ich" auf bestimmte historische Personen zu beziehen. Ich will nicht leugnen, daß den Gedichten aktuelle Ereignisse
und persönliche Gefühle zu-
grunde liegen können und daß sie möglicherweise noch hier und dort durch den Text hindurchschimmern können. Aber gerade weil diese Gedichte, woraus sie auch entstanden sein mögen, zu Psalmen der Qumrängemeinde geworden sind, also zu Gedichten des Gottesdienstes, sind sie von der konkreten, aktuellen Situation gelöst und allgemein geworden, und daher ist das "Ich" mit jedem in Qumrln zu identifizieren, der im gemeinsamen Gottesdienst der Gemeinde Gott für die Erlösung dankt, die ihm zuteil geworden ist, und dafür, daß er der Gemeinde angehört.
228 Anmerkungen 1 Für eine ausführliche Behandlung des Verhältnisses von den Hodajoth zu dem Alten Testament weise ich auf meine Arbeit hin: Hodayot. Psalms from Qumrin, Aarhus 1960, besonders p. 301-15« 2 Aber so ist die Frage oft verstanden worden! 3 Eine Orientierung über die verschiedenen Auffassungen findet sich in zwei Übersichten über die Psalmenforschung ins Theologische Bundschau, 1929, P- 377 ff. (Max Haller), und 1955. P. 1 ff. (Johann Jakob Stamm). 4 Über die Person des Königs in den Psalmen siehe besonders Ivar Engneils Artikel: Psaltaren in Svenskt Bibliskt Uppslagsverk, II, 1952, Sp. 787 ff. 5 Eine Darstellung der verschiedenen Auffassungen findet sich in: Hodayot. Psalms from Qumran, p. 316 ff. und 332 ff. 6 Die Unterschiede zwischen den drei Gruppen machen sich auch im Wortschatz und in verschiedenartiger Benutzung des Alten Testaments geltend; siehe Hodayot, p. 312 ff. und 320 ff. 7 II 1 - III 36? IV 5 - VII 25; VIII 4 - IX 36. Zu dieser Gruppe gehört auch XIV 23-28; XVI 1-20; XVII 9-255 inhaltsmäßig scheinen sie zwar mit dem Leben der Gemeinde verknüpft zu sein,stilmäßig stehen sie aber den alttestamentlichen Büß- und Dankpsalmen sehr nahe. 8 I 1-39; VII 26-33; IX 37- X 12; XIII 1-21. 9 X 14 - XII 36; XIV 8-22; XVIII 1-33. Man kann XV 1-26 zu dieser Gruppe rechnen, selbst wenn sie sich nicht so direkt auf die Qumrnngemeinde bezieht. 10 X 30; XVIII 9.24.28. 11 X 27; XI 11. 12. XII 3.
13 XI 1 2 . 3 0 . 3 3 . 14 15 16 17 18
XIV 15. X 29; XVIII 6.10. X 28. XI 3; XII 24-355 XVIII 25-28. XI 4.16-18; XII 13.
19 20 21 22 23 24
XI 6; XII 3! XIV 18-21; XVIII 10-15. X 28; XII 23; XIV 19. XI 13-14; vgl. auch II 30. XII 23; XIV 13-14.17-18; XVIII 24.28. XIV 21. X 20; XI 4-6.13-14.25; XII 3 ff.; XIV 9.
229 25 26 27 28
29 30 31 32 33 34
XI 23. Vermutlich liegt 1 QS I - U eine solche Zeremonie zu Grunde. Siehe Hodayot, p. 301, Anm. 1. Eine Ausnahme ist II 30, aber die Deutung dieser Stelle ist nicht sicher, und sie ist übrigens ein Zitat von Psalm 26,12, weshalb man nicht wagt, ihre aktuelle Bedeutung für die Verhältnisse in Qumrän geltend zu machen. IV 23 f.t VII 20 f.j VIII 21 ff. 1 QS IX 26» X 8.14. 1 QS I 22. Z.B. I 25; IV 29. VIII 16.21-24. Hodayot, p. 329 f.
Beobachtungen zur Entwicklung der Disziplinarordnung der Gemeinde von Qumrän Claus-Hunno Hunzinger, GöttIngen
Zur Disziplinarordnung der Gemeinde von Qumrän liegt uns ein ziemlich reichhaltiges Quellenmaterial vor, vor allem in der Sektenschrift 1 QS, aber auch in der Damaskusschrift CD sowie in einigen Notizen bei Josephus. Eine geschlossene Bearbeitung dieses Fragenkomplexes, die bisher noch aussteht, wird von mir vorbereitet und soll in größerem Rahmen in Büchform veröffentlicht werden. Hier möchte ich dem Symposion nur einige Aspekte dieses Themas vortragen, unter Verzicht auf eine nähere Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur, welche in meiner in Aussicht stehenden Publikation zu finden sein wird. Dabei liegt mir hier insbesondere daran, auch für das Gebiet der Disziplinarordnung darauf aufmerksam zu machen, daß die Qumrüntexte nur dann sachgemäß ausgewertet werden können, wenn man darauf verzichtet, sie pauschal
als eine einheitliche
Größe zu behandeln, und stattdessen emsthaft in Rechnung setzt, daß wir ein höchst komplexes Schrifttum vor uns haben, in dem es zwischen verschiedenen Kompositionen wie auch zwischen verschie'denen Schichten und Händen innerhalb eines Textes sorgfältig zu differenzieren gilt . Daß die Disziplinarordnung der Qumrän gerne inde im Laufe der Zeit Abwandlungen erfahren hat, wird uns ja in besonders handgreiflicher Weise - wenn auch in unwesentlichen Punkten - durch einige Korrekturen demonstriert, die am Text unserer Handschrift 1 QS auf Kolumne 7 vorgenommen worden sind. Aber darüber hinaus stößt eine genauere Analyse auch im nicht-korrigierten Text von 1 QS auf verschiedene, miteinander konkurrierende literarische
232 Schichten. Noch stärker werden die Unterschiede, wenn man 1 QS mit CD vergleicht. Aber nur wo diese interne Vielschichtigkeit der Qumränliteratur berücksichtigt wird, sind auch die Voraussetzungen für eine sachgemäße Auswertung im Blick auf das Neue Testament gegeben, wo wir ja auch gewohnt sind, kritisch zu differenzieren. Für die Entfaltung des Themas empfiehlt sich eine Gliederung nach bestimmten sachlichen Aspekten der Disziplinarordnung. Ich möchte daher unter drei Fragestellungen die Aussagen der verschiedenen Texte zusammenstellen bzw. kritisch
miteinander vergleichen: 1.Wel-
che Strafen können verhängt werden? 2. Welches ist die verantwortliche Instanz? 3. Bei welchen Vergehen werden Strafen verhängt? I Die Strafen 1. Die Sektenschrift 1 QS kennt gegenüber Gemeindegliedern, die sich irgendeine Verfehlung haben zuschulden kommen lassen, zwei verschiedene Foimen der Bestrafung, zwei verschiedene Grade der Exkommunikation: die totale, unwiderrufliehe Ausstoßung aus der Gemeinde und den partiellen, zeitweiligen Ausschluß von der "Reinheit". a) Die totale Ausstoßung konnte als schwerste Strafe verhängt werden: "sie sollen ihn ausstoßen, und er soll nicht wieder in die Gemeinde zurückkehren" (1 QS 7,1 f.). Der ständige Ausdruck für dieses Ausstoßen ist n^V pi.
(7,16.17t 8,22; entsprechend auch in
7,25 zu ergänzen); nur in 7,1 wird ausnahmsweise das Verbum Viahi. 2 verwendet . Mit dem Ausgestoßenen war jegliche Gemeinschaft aufgehoben, sowohl in kultischer Einsicht strativer (nxy) wie in finanzieller
(mno)
als auch in admini-
(ITH), und ein Gemeindeglied,
das mit dem Ausgestoßenen noch In irgendeiner Hinsicht
(13TT ViaV
8,2Jf.) Eontakt aufnahm, verfiel selber der gleichen radikalen Exkommunikation (7,24f.). Ihre letzte Härte aber erhielt diese Strafe dadurch, daß sie unwiderruflich war; stereotyp kehrt die Wendling wieder:
11J 31W' KlV
(7,2.17 |bis|.^U 8,23; 9,1).
233 b) Daneben gibt es als geringeren Grad der Exkommunikation den zeitweiligen Ausschluß von der Reinheit: "sie sollen ihn absondern von der Reinheit der Vielen"
( O ' n m n D Tina
6,25; vgl.
7,3«5«16» 8,24) oder - dasselbe mit anderen Worten -s "er soll die Reinheit der heiligen Männer nicht berühren" ampn
m n o a yi' "7K
8,17; vgl. 7,19). Über die konkrete Bedeutung dieser Wendung
ist schon nach
der Veröffentlichung der Damaskusschrift (s.u.)
viel gestritten worden; jüngst auf dem Third World Congress of Jewish Studies, der Ende Juli 1961 in Jerusalem/Israel tagte, hat J. Licht noch wieder versucht, den Begriff m n ü
(und entsprechend
iipTOD, s.u.) aus der rabbinischen Halacha zu deuten, die aber hier meines Erachtens auf Irrwege führt. Der Begriff erfährt vielmehr innerhalb 1 QS seine eindeutige Klärung durch die Aussage in 5,13» wo es von dem, der sich nicht zur Gemeinde rechnet^, heißt: "er darf nicht ins Wasser steigen, um der Reinheit der heiligen Männer
teilhaftig zu werden" (IMPN Man erlangt die milD
'WJK mHD3
NYAV
SIN»
Vk).
also, indem man ins Wasser steigt, d. h. durch
eine Waschung. Von diesen Waschungen ist ja auch sonst die Rede, und es heißt z. B. 1 QS 3,4- f., daß man durch sie "rein" wird: "er (der es verschmäht, in die Gemeinde Gottes zu kommen 2,25 f.) soll nicht rein werden durch Reinigungswasser, sich nicht heiligen in Seen und Flüssen und durch kein Waschungswasser rein werden" (Kl Vi jm
»o
V o n ino' m V i n n m i
sprechend der
sagt auch Josephus
dyveia der Waschungen
mno
o'o»a m p n ' m V n n u
»aa mD"»).
Ent-
bell. II 129, ¿Laß die Essener nach
xa0apoC seien. Das heißt: wer von der
ausgeschlossen ist, darf an den kultischen Waschungen nicht
teilnehmen und ist somit dazu verurteilt, in Unreinheit zu leben^. Der Ausschluß von den Waschungen zog verschiedene v/eitere Folgen nach sich, vor allem den Ausschluß vom gemeinsamen Mahl. Das wird ausdrücklich in 1 QS 7,19 f« festgestellt: "zwei Jahre soll
234er bestraft werden: im ersten soll er nicht teilhaben an der Reinheit der Vielen, im zweiten soll er nicht teilhaben am Mahle der Vielen ( D'Tin iipSTO )." Diese Anweisung besagt natürlich nicht, daß der Pönitent je ein Jahr lang zuerst von den Waschungen, dann vom Mahl ausgeschlossen sein soll; vielmehr ist vor
iip®0 sinngemäß ein
"nur" zu ergänzen: im ersten Jahr Ausschluß von den Waschungen und damit zugleich auch vom Mahl, im zweiten Jahr mildernd Ausschluß nur noch vom Mahl. Diese Vorschrift entspricht genau den bekannten Bestimmungen über die Aufnahme neuer Mitglieder in 1 QS 6,13-23; d. h. der Pönitent hatte bei dieser höchsten Bemessung der zeitweiligen Ausschließung (auf zwei Jahre) sozusagen das Noviziat zu wiederholen. Nun ist freilich auch die Interpretation des Begriffes npVS
("Flüssigkeit, Getränk") umstritten. Er begegnet in 1 QS nur
6,20 \ind 7 >20, eben in den fast gleichlautenden -Bestimmungen
über
den Novizen und den Pönitenten; seine Bedeutung wird als bekannt vorausgesetzt und daher nicht näher gekennzeichnet. Daß es sich jedoch bei O'Din npWD
nur um die Mahlgemeinschaft, über die wir ja
in 6,4-6 Näheres erfahren, handeln kann, ist entscheidend aus Josephus zu erschließen, der bell. II 137 ff. bei der Schilderung des essenischen Aufnahmeverfahrens auf die Zulassung zu den Waschungen ( KotSapuyripwv
TWV
npöe dyveiav tJödxuv
NETA\(XNßDVEi
zum gemeinsamen Mahl folgen läßt ( TTjg
HOIVTI2 wird die Entscheidung darüber, ob ein Pönitent wieder voll in die Gemeinde aufgenommen werden soll, ausdrücklich den "Vielen" zugesprochen. Entsprechendes ist dann auch von der Verhängung von Strafen anzunehmen. So heißt es in 6,1, daß Klagen gegen ein Gemeindeglied D'iin '30*7 gebracht werden sollen, also vor die Vollversammlung. Und in der Ordnung für den 0'3in 391D steht 6,9 f.: "und so (in dieser Reihenfolge) sollen sie befragt werden
241 QSVSV
und bei jeder sonstigen Beratung und Angelegenheit, die die
Vielen angeht, auf daß ein jeder sein Wissen (seine Meinung,1710 ) beisteure zur Gemeindeberatung." Demgemäß würde ich im Strafkatalog 6,24 ff., wo ausdrückliche Angaben über die zuständige Instanz fehq len, die Verbformen "jabdiluhu" usw. vokalisieren . Die versammelte Gemeinde ist die Instanz, die Zucht übt. 2. Anders liegen die Dinge in der Damaskusschrift. Hier gibt es zwar auch einen ni3n&n
3B10 (14,3-6); aber er hat seine wich-
tigsten Befugnisse eingebüßt. Bei der Disziplinarordnung ist das Quellenmaterial freilich spärlich. Aber bei der Neuaufnahme der Novizen, die in 1 QS in den Händen der. Gemeindeversammlung lag, liegt die Entscheidung jetzt eindeutig beim "Aufseher"
(13,11-135
13,7 ff.). Entsprechendes ist auch bei der Disziplinarordnung anzunehmen. Schon bei den Verwarnungen, die der Verurteilung eines Übeltäters vorangehen müssen, spielt - anders als in der ip3Q
1 QS 5»26 - 6,1 -
eine entscheidende Holle (9,16-18); im anschließenden Text
scheint es so, als ob auch der weitere Gang des Verfahrens ganz beim npaa liegt. Nach 13,9 f. endlich obliegt es dem Tpaa , "wie ein Hirte seiner Herde alle Fesseln ihrer Gebundenheit zu lösen" - eine Aussage, die meines Erachtens
auf die Aufhebung disziplinarischer
Strafen zu deuten ist. Die Befugnisse der Gemeindeversammlung sind in CD also auf den ipaö übergegangen. Nun gibt es das Amt des
ja auch in 1 QS; aber dort ist es
einmal kein monarchisches Amt, sondern wir finden nebeneinander eine Mehrzahl von Amtsträgern mit verschiedenen Punktionen und Titeln (6,11 f. 14.19 f.), ein Gremium, in dem einer höchstens als primus inter pares angesprochen werden könnte; zum andern und vor allem liegt alle Entscheidungsgewalt, wie wir sahen, bei der Gemeindeversammlung. Wenn in CD sich demgegenüber ein monarchischer Amtsträger durchgesetzt hat, so scheint sich hier eine Entwicklung widerzuspiegeln, die der bekannten Herausbildung des monarchischen Episko-
242 10
pats in der Urkirche entspricht
. Auch bei der Frage nach der ver-
antwortlichen Instanz kann es sich also hei Berührungen zwischen Qumrin und dem Neuen Testament nicht um eine Entlehnung bestimmter Elemente handeln, sondern nur um eine analoge Entwicklung. III Die Vergehen Hinsichtlich der Vergehen, die durch disziplinarische Maßnahmen zu ahnden waren, lohnt es sich nicht recht, die einzelnen Angaben, vor allem in 6,24 - 7,25, hier näher zu erörtern. Doch sei noch auf eine bemerkenswerte Divergenz innerhalb der Sektenschrift aufmerksam gemacht. Neben dem bekannten kasuistischen
Katalog in 6,24 - 7,25
findet sich auch noch an ganz anderer Stelle, nämlich in 8,16-19, eine weitere Vorschrift, die in eigentümlicher Spannung zu 6,24 ff. steht. Schon der auffällige Umstand, daß die beiden thematisch zusammengehörigen Abschnitte räum!ich voneinander getrennt stehen, spricht dafür, daß wir hier nicht eine einheitliche Ordnung von einer Hand vor uns haben, sondern verschiedene Schichten. Das bestätigt sich durch den inhaltlichen Charakter des Textes 8,16-19,
in dem
jede Kasuistik fehlt und stattdessen ganz pauschal gesprochen wird: wer irgendein Gebot vorsätzlich (HDT T 3 ) übertritt, soll von der Reinheit ausgeschlossen werden. Ober die Dauer der Bestrafung wird nichts gesagt, und das hat seinen Grund nicht nur darin, daß man bei einer allgemeinen Vorschrift eben auch keine Angaben für den Einzelfall erwarten darf, sondern der Text zeigt, daß auch bei einer konkreten Urteilsfällung eine bestimmte Festsetzung des Strafmaßes gar nicht vorgesehen ist. Die Dauer der Ausschließung wird nicht von vornherein begrenzt auf eine bestimmte Frist, sondern die Aufhebung der Strafe wird davon abhängig gemacht, wann "seine Werke rein sind von allem Frevel, so daß er (wieder) in Vollkommenheit wandelt" (8,18), wann also die Strafe ihr Ziel erreicht hat; das kann nicht vorher festgelegt werden, sondern das erfordert eine erneute Be-
243 schlußfassung 0'3"lil 'S Vy : eben davon spricht 8,18 f. Das ist etwas ganz anderes als die kasuistisch erstarrte Ordnung von 6,24 7,25, die m. E. ein späteres Entwicklungsstadium darstellt: in 8,16-19 haben wir ein Rudiment einer älteren Ordnung vor uns. Eine weitere Überraschung erleben wir in dem anschließenden Text 8,20 - 9»2. Hier findet sich, durch einen Absatz deutlich vom Vorhergehenden abgegrenzt, eine weitere Vorschrift zur Disziplinarordnung. Aber in krassem Widerspruch zu 8,16-19 wird hier bei der Übertretung eines Gebotes riDT T'3 nicht die Ausschließung von der Reinheit, sondern die unwiderrufliche Ausstoßung verfügt, während die Ausschließung von der Reinheit bereits bei versehentlicher Übertretung
(TUIVa) fällig ist. Uan möchte eine Lösung des Widerspruchs
zunächst in der Annahme suchen, daß hier von einem anderen Personenkreis gesprochen wird, daß die
®"tip O'Onn
(8,20) also einen
engeren Kreis strengster Observanz innerhalb der Gemeinde darstellen; aber eine solche Annahme läßt sich bei näherer Prüfung des Textes nicht halten. Vielmehr müssen wir in 8,20 ff. wiederum ein Element einer älteren Tradition vor uns haben. In die gleiche Richtung weist auch die Beobachtung, daß wir wenige Zeilen später in 9i7 auf eine Aussage stoßen, die ebenfalls in scharfem Widerspruch steht zu allem, was wir sonst in 1 QS über die Gemeindeordnung erfahren» "nur die Söhne Aarons sollen zu bestimmen haben in Fragen des Rechtes und der Finanzen (117131 09VD1 l^WD»), und gemäß ihrer Entscheidung
(Vy
DrPB) soll das Los fallen hinsichtlich jeder Ordnung der Männer der Gemeinde"; eine in der Formulierung eng verwandte Aussage findet sich in 5,3, wo aber das
D?PS Vy sich nicht allein auf die
Priester bezieht, sondern die in 5,2 f. unmittelbar voraufgehende Wendung aufnimmt: "gemäß der Entscheidung der Söhne Zadoks, der Priester, die den Bund bewahren, und gemäß der Entscheidung der Menge (= Gesamtheit, m
, vgl. 6,19) der Männer der Gemeinde, die
am Bunde festhalten"; während die Aussage in 5»2 f. der auch sonst
244 tu 1 QS (namentlich Kolumnen 6 und 7) zu 'beobachtenden Praxis entspricht, wird in 9»7 eine ältere, noch von der Vorherrschaft priesterlicher Elemente bestimmte Traditionsschicht sichtbar. Dieses Ergebnis interner literarkritischer Arbeit am Text von 1 Q3 erfährt nun eine überraschende Bestätigung durch die Tatsache, daß in der Handschrift 4 QS e der ganze Abschnitt 8,15 - 9.11 fehlt 1 1 ! Freilich ist dieser Sachverhalt nicht von vornherein eindeutig, so gewiß er in jedem Fall die lockere Verankerung dieses Abschnittes innerhalb der Sektenschrift bezeugt. Zunächst könnte das Fehlen dieses Textes in 4 QS e ja darauf zurückzuführen sein, daß es sich in 8,15 - 9»11 um einen nachträglichen Zusatz handelt, die Kurzfassung e in 4 Q3
12 also das ältere Stadium darstellt
. Auch bei dieser An-
nahme ergäbe sich freilich noch nicht notwendig der Schluß, daß es sich bei 8,15 - 9»11 um einen relativ jungen Text handeln muß; vielmehr könnte der Passus ja durchaus aus einer anderen, älteren Komposition übernommen sein, also wohl seinen Platz in der Sektenschrift relativ spät erhalten haben, in sich selbst aber älteren Ursprungs sein. Nun ist es mir aber viel wahrscheinlicher, daß der in Frage stehende Passus nicht sekundär eingefügt, sondern sekundär getilgt ist. Dafür spricht namentlich die Beobachtung, daß der Text in 4 QS® gar nicht bei dem sachlichen Neuansatz in der Mitte der Zeile 1 QS 8,16 abbricht, sondern bereits in 8,15 ziemlich abrupt nach dem Worte iTOia, d. h. mitten im Text des den disziplinarischen Anweisungen vorangehenden Abschnitts. Das sieht sehr nach einer Tilgungsoperation am Text aus, die versehentlich einen halben Satz zu viel gestrichen hat. Dagegen müßte man bei einer sekundären Eingliederung von 8,15 - 9»11 annehmen, daß nicht nur die in sich geschlossenen Abschnitte 8,16 - 9»11 eingefügt, sondern auch noch der Schluß des vorangehenden Abschnittes aufgefüllt worden sei; das ist ganz unwahrscheinlich. Überdies finden sich auch sonst in der Handschrift 4 QS e mehrere Varianten, die gegenüber dem in 1 QS gebotenen Text
245 als sekundär anzusprechen sind, z. B. zu 7,22j 8,3.13j
9,20. So
dürfte auch das Pehlen von 8,15 - 9,11 als eine sekundäre Kürzung zu erklären sein, motiviert eben durch die Spannungen, die zwischen diesen Abschnitten und. der übrigen Sektenschrift bestehent die Rudimente älterer, überholter Vorschriften sind aus der Gemeindeordnung gestrichen worden. Jedenfalls sehen wir hier erneut, wie behutsam die Qumräntexfce ausgewertet werden wollen. Wir konnten wieder mehrere Phasen der Entwicklung beobachteni eine im Anfang sehr rigorose Disziplinarordnung wird allmählich gemildert und schließlich in Kasuistik gebändigt. Diese Entwicklung der Disziplinarordnung könnte zugleich die allgemeine
Entwicklung der Qumrängemeinde widerspiegeln, die
sich, sehe ich recht, aus einer ursprünglich von starker eschatologischer Spannung erfüllten Situation allmählich in sich abschleifende Verhältnisse konsolidiert. Wir wissen, daß eine ähnliche Entwicklung auch das Urchristentum durchlaufen hat. So wird uns hier erneut demonstriert, daß wir bei der Vergleichung qumränischer
und
neutestamentlicher Aussagen stets das Moment der internen Differenziertheit zu berücksichtigen und statt unmittelbarer Berührungen zwischen Qumrängemeinde und Urchristentum viel eher mit analogen Entwicklungen zu rechnen haben.
246 Anmerkungen 1 Vgl. meine Hinweise in SB 63, 1956, 67î ZAW 69, 1957, 150 f.; EKL III, 1959, 425 f.; Tblß 85, 1960, 151 f. 2 hi. dient sonst wiederholt zur Bezeichnung des Ausschlusses von der Reinheit (s.u. unter b), wofür TCTO niemals gebraucht wird. 3 Darum geht es im Kontext, nicht etwa, wie andere meinen, um eine Polemik gegen kultische Reinigung mit Wasser - davon findet sich in Qumrän auch sonst keine Spur. 4 Eine zusätzliche, zwingende Bestätigung erfährt diese Interpretation durch Josephus bell. II 138, s. nächsten Absatz. 5 Auch wer sich zu einer - meines Erachtens gesicherten - Identifizierung der Gemeinde von Qumrin mit den Essenern, von denen Josephus berichtet, nicht entschließen kann, kann doch nicht bestreiten, daß die in jedem Fall gegebene nahe Verwandtschaft der beiden Gruppen dazu zwingt, die analogen Aufnahmebestimmungen auch analog zu interpretieren. 6 Vgl. J. T. Milik, RB 67, 1960, 410-416. 7 In CD 9,1.6.17; 10,1j 12,2 f. wird darüber hinaus noch die Todesstrafe erwähnt, von der in 1 QS nirgends die Rede ist (weswegen man auch am Ende von 1 QS 6,27 nicht eine entsprechende Wendung ergänzen sollte, zumal die Lücke dafür nicht genügend Raum bietet). Es dürfte sich jedoch auch in CD bei der Todesstrafe nur um halachische Theorie handeln, die nicht wirklich praktiziert worden ist. 8 Daß die Wendung m i l Vy D ' a m i V W P (6,18) so und nicht anders übersetzt werden muß, beweist die in jeder Hinsicht parallele, aber eindeutigere Formulierung T'"in *T9 ViSîl (6,15). Die Verbalform ist also als Niphal aufzufassen (ebenso in 6,4.9.11» 7,21 bis; 8,25). O ' m n ist synonym mit V o n und meint die Gesamtheit der priesterlichen wie nicht-priesterlichen Gemeindeglieder, wie sie in 6,19 näher bezeichnet wird: D'ïman 'S Vy on n a 'W3K i m , Es scheint schließlich nicht überflüssig zu sein, darauf hinzuweisen, daß Vy "wegen, in betreff" eine schon im AT geläufige Präposition ist, vgl. die Belege bei Gesenius-Buhl 16 s.v. I M 2 f. 9 Die zunächst überraschende defektive Schreibung ist in analogen Formen in 5»11 und 7,21 (dank des jeweiligen Kontextes) eindeutig belegt; dagegen ist eine Piene-Schreibung der Endung der 3. plur 1 vor einem üuffix in 1 QS nirgends nachzuweisen. 10 Bei der Handhabung der Kirchenzucht ist in den älteren Schichten
247 des NT eindeutig die versammelte Gemeinde die verantwortliche Instanz: 1. Kor 5,2.4.12; 2. Kor 2,6.8.10; Mt 18,17 u.ö. Dagegen ist diese Funktion bereits 1. Tim 1,20; 5,19 f.; Tit 3,10; 3. Joh 9 f- auf den kirchlichen Amtsträger übergegangen. Vgl. auch das Nebeneinander von Mt 18,18 und 16,19. 11 Milik a.a.O. 12 Nach J. T. Milik, Ten Years of Discoveries in the Judean Desert, London 1959» 123, und F. M. Cross jr., The Ancient Library of Qumrin, Garden City/N.Y. 1958, 89 Anm. 17 ist die Handschrift 4 QS e paläographisch als älter zu beurteilen als 1 QS; doch deutet Cross paläographische, Milik sachliche Schwierigkeiten an, und die Paläographie gibt jedenfalls nicht den Ausschlag für die Beurteilung des Alters des jeweils gebotenen Textes.
Der Beitrag der neugriechischen Forschung zum Qumränproblem Johannes Irmscher, Berlin
Die
griechische Wissenschaft
hat in den letzten Jahrzehn-
ten auf nahezu
allen Gebieten Beiträge geleistet, die auch im
internationalen
Maßstab nicht unbeachtet bleiben dürfen, und
es ist
angesichts solcher Einschätzung nur zu bedauern, daß 1 trotz guter bibliographischer Erfassung die Ergebnisse jener gelehrten Aktivität sich nicht immer voll auswirken, gen der nur wenigen vertrauten Sprache,
sei es we-
in der sie niedergelegt
wurden, sei es, weil auch die großen Bibliotheken des Auslandes nur
selten das griechische Schrifttum
zur Genüge berücksichti-
gen. Was vorstehend im generellen gesagt wurde, gilt im besonderen auch für die Religionswissenschaft in allen ihren Sparten, die an den theologischen Fakultäten der Universitäten zu Athen und Thessaloniki renommierte Pflegstätten besitzt und über eine nicht geringe Zahl von Periodika unterschiedlichster Couleur verfügt. Es dürfte daher nicht unangemessen sein, über die griechischen Arbeiten zur Qumränforschung gelegentlich dieser Tagving zusammenfassend Bericht zu erstatten. Die griechische Wissenschaft hat erst vor wenigen Jahren von dem Komplex Qumrin Besitz ergriffen, nachdem sie gegen Anfang der fünfziger Jahre durch einige allgemeinverständliche Artikel auf die 2 neuen Funde und ihre weitreichende Bedeutung aufmerksam machte . Die letzte komplexe Darstellung, die, wenn sie abgeschlossen, zugleich die ausführlichste sein wird, gab der Athener Neutestamentler Mdpxoc ZuiSttic^ unter
dem Titel T& xetP^YP«?« ""it NexpSg
250
6aX.d00T|C ("Die Handschriften des Toten Meeres"). Der vorliegende einleitende Teil des Werkes'1' handelt in seiner ersten Hälfte (S. 3 ff.) über die Wechselvolle Geschichte der Auffindung der Handschriften; der deutsche Leser wird dabei sehr lebhaft an Heinrich Alexander Stolls "Roman der Handschriften von Qumrän11^ erinnert, der in der lebendigen Anschaulichkeit des Schriftstellers darstellt, was i Siotis auf Grund der Fundrapporte und der sonstigen Fachliteratur mit der Nüchternheit des Wissenschaftlers vorzutragen hat. Bis zu Pressemeldungen aus dem Frühjahr 1961, welche von neuentdeckten Handschriften aus der Zeit des Bar-Kochba-Aufstandes wissen, ist sein Referat hingeführt''. Im zweiten Teil des Buches (S. 75 ff.) wird in systematischer Ordnung beschrieben, was im ersten gemäß dem Gang der Auffindung der Materialien dargeboten worden war. Unter Verwendung der üblichen Siglen werden zuverlässige Informationen gegeben über den Inhalt der diversen Handschriften, den Stand ihrer Bearbeitung, die verfügbaren Editionen sowie das wichtigste erklärende Schrifttum. Abgeschlossen wird der Band S. 129 f. durch eine Auswahlbibliographie. Der zweite Teil des Werkes wird vermutlich - leider fehlt ein Vorwort, das darüber verläßlich Auskunft gäbe - die literatur- und religionsgeschichtliche sowie die allgemeinhistorische Auswertung der Qumrünfunde bringen und gewiß in stärkerem Maße, als das vom Gegenstand her im ersten Teil der Fall sein konnte, persönliche Forschungsergebnisse des Autors. Schon jetzt kann jedoch gesagt werden, daß Siotis1 Werk dein griechischen Leser in konziser Form eine verläßliche Unterrichtung über Stand und Probleme der Qumränforschung ermöglicht. Siotis' Bibliographie führt die griechischen Arbeiten, soweit sie wissenschaftlichen Charakter tragen, vollständig an. Wir folgen ihr in unserem Bericht und nehmen zugleich ihre Gliederung nach erstens Ausgaben, zweitens Übersetzungen und drittens allgemeiner,
251 d. h. erklärender Literatur auf. Zum Thema 1 (Ausgaben) ist freilich nur eine Publikation zu erwähnen: Der Athener Ordinarius für hebräische Sprache und altQ testamentliche Exegese , BaotXeios M. BfeMag, legte im Jahrbuch der Athener theologischen Fakultät für 1957/58 eine Edition des HabakukKommentars Q vor, die gleichzeitig als selbständige Veröffentlichung erschien . Der Herausgeber, der sein Opusculum ausdrücklich als Studientext kennzeichnet, gibt auf der Grundlage der Erstveröffentli10 chung von Burrows, Trever und Brownlee
S. 9 ff. den hebräischen
Text in modernen Lettern und schließt daran S. 23 ff. eine Übersetzung. Diese Übersetzung wird in ihren Details in einem fortlaufenden Kommentar begründet, in welchem sich der Verfasser nicht nur mit seinen ausländischen Vorgängern auseinandersetzt, sondern auch die Ergebnisse der alttestamentlichen Forschung in Griechenland gebührend heranzieht. Mehr als eine kritisch fundierte Übertragung möchte der Autor der Publikation nicht geben, an dieser Übertragung aber und den ihr beigegebenen Noten kann auch der ausländische Spezialforscher nicht vorübergehen. Mehrere Titel haben wir unter der Rubrik "Übersetzungen" vorzutragen, zu der ja, streng genommen, auch die eben behandelte Schrift gehörte. Zeitlich am frühesten liegt die Übertragung der sogenannten Gesetzesrolle ("Manuale Disciplinae") durch 'A9av&poc Ktpxdcaoc,öeoXoyia 31, 1960, 627 - 63217. Wir kommen unmehr zu dem interpretatorischen Schrifttum und folgen auch hierbei der chronologischen Ordnung. Seine Antrittsvorlesung an .der Universität Thessaloniki im Jahre 1957 widmete der schon in anderem Zusammenhang erwähnte A. P. Chastupis dem Thema: "Das Alte Testament in seinem Verhältnis zur A D Archäologie"
. In dem Knappen Überblick über die Entwicklung der
Biblischen Archäologie sowie über die bedeutendsten Bodenfunde auf palästinensischem Territorium wird natürlich auch Qumrän erwähnt, der Stand der Erforschung gekeiinzeichnet und die Wichtigkeit der zugänglich gewordenen Handschriften für Textkritik und Interpretation vor Augen geführt^. Ausführlicher ist auf diesen Gegenstand der Verfasser im Jahre darauf zurückgekommen, wiederum in einer akademischen Rede, die er "Die Handschriften des20 Toten Meeres in ihrem Verhältnis zur Heiligen Schrift" betitelte . Nach dem Bericht über Umstände und Umfang der Qumränfunde bespricht Chastupis im ersten Teil seiner Abhandlung deren Bedeutung für die Konstituierung des alttestamentlichen Textes, wobei er seine Auffassung wie folgt zusammenfaßt: "Der masoretische Text ..., wenn er begründet ist zuvörderst durch die Handschriften vom Toten Meer und die Übersetzung der Septuaginta, sodann aber durch die übrigen alten Übersetzungen und nötigenfalls durch Konjektur des Kritikers,ist der nach dem Urteil der heutigen Textforschung wissenschaftlich authentische Text des Alten Testaments"21 . Der zweite Teil der Rede, den Beziehungen der Qumränfunde zum Neuen Testament gewidmet, steht vornehmlich im Zeichen der Ausein-
25* andersetzung mit den Versuchen A. Dupont-Sommers, in der Qumränsekte Lehrauffassungen und kultische Gebräuche zu ermitteln, welche das 22
Urchristentum sich zu eigen gemacht hätte
; der Vortragende begeg-
net solchen Argumenten vom Standpunkt des Forschers und mehr noch ox des orthodoxen Theologen
. Mit Recht fordert er abschließend ein
Studium der einschlägigen Qumränschriften im Rahmen der gleichzeitigen Offenbarungsliteratur und macht in solchem Zusammenhang auf die doppelte Bedeutung des hebräischen üViy Ph. aufmerksam
als "Welt" und "Zeit"
. Es steht zu hoffen, daß der griechische Gelehrte die-
se am erwähnten Orte nur angedeutete Erkenntnis im einzelnen belegen und daraus seine Schlüsse ziehen wird. Auch die letzte Arbeit, die wir zu besprechen haben, befaßt sich mit der Bedeutung der Handschriften vom Toten Meer für das Neue Testament. Sie erschien in einem Sammelband, in welchem ihr Verfasser, Edßßoc Xp. 'Airovpíónc,
ebenfalls Professor an der Uni-
versität Thessaloniki, mehrere 25 für einen weiteren Leserkreis bestimmte Aufsätze zusammenfaßte . Die uns betreffende Abhandlung ist veranlaßt durch eine Sammlung von Untersuchungen, die der Amerikaner Harvard Krister Stendahl 1957 26 in New York unter dem Titel "The Scrolls and the New Testament" herausbrachte. Aguridis referiert ausführlich und mit verständigem Urteil über die einzelnen Beiträge dieses Sammelwerkes, häufig Literatur nachtragend, manchmal Meinungen konfrontierend, gelegentlich Eigenes hinzufügend. Er beschließt seine Rezension S. 56 ff. mit einer Synkrisis der Qumräntexte und des neutestamentlichen Schrifttums; dabei hebt"er drei Gesichtspunkte hervor: 1. Die Sekte vom Toten Meer sei aus und durch ihre jüdische Umwelt zu erklären, das Urchristentum dagegen habe von vornherein jene Elemente an sich getragen, die es später als Religion der Ökumene geeignet machten (derselbe Gedanke klang schon in Chastupis' Polemik gegen Dupont-Sommer an).
255 2. Die Essener von Qumrän kennzeichne ein pharisäisches, rückwärtsgewandtes Ressentiment gegenüber den Zuständen der eigenen Zeit, das Christentum dagegen sei geprägt durch den Willen zur Neugestaltung der Welt, durch die Hoffnung auf das zukünftige Reich Gottes, das indes im Glauben und Leben der Kirche bereits gegenwärtig ist. 3. Es fehle der Theologie von Qumrän die Vorstellung von Gott 27 als dem Vater im Sinne von Römer 8,15 > fehle die Gleichsetzung 28
von Gott und Agape im Sinne von 1. Johannes 4,16
.
Ziehen wir das Fazit aus dem Vorgetragenen, so ergibt sich meines Erachtens folgendes: Die Funde vom Toten Meer haben erst verhältnismäßig spät in der griechischen Wissenschaft Widerhall gefunden, und dieser beschränkte sich bis jetzt auf die theologischen Disziplinen. In diesen aber sind kundige Gelehrte am Werk, welche sich zunächst einmal darum bemühen, die wichtigsten unter den neu zugänglich gewordenen Texten in griechischer Sprache zu erschließen und mit den Ergebnissen der schon kaum, mehr übersehbaren ausländischen Forschung vertraut zu machen. Insofern, als durch diese Bemühungen erst ein Bruchteil des vorhandenen Materials erfaßt ist, bleibt noch viel zu tun übrig. Andererseits kamen griechische Forscher in der Detailinterpretation häufig zu neuen Ergebnissen und Gesichtspunkten, mit denen sich auch der ausländische Bearbeiter auseinanderzusetzen hat. Die Darstellung der größeren Zusammenhänge ist weithin noch stärker durch eine theologisch-apologetische als durch eine rein philologisch-historische Blickrichtung geprägt^.
256 Aùmerkungen 1 Ich denke dabei vor allem an das von Octave Merlier 194-6 begonnene Bulletin analytique de bibliographie hellénique (Athen). 2 Zuerst durch die Information von *A. n. XaaxoiinTiç, 'ExxXriaia 29, 1952, 220 f . (dazu auch B u l l e t i n analytique de bibliographie hellénique 13, 1952, 364). 3 Von ihm stammt auch der einschlägige Artikel (Nexpâç 8a\d00Tiç Xei>p