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German Pages 770 [772] Year 1999
1749
Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts
Herausgegeben von
Werner Schubert, Jürgen Regge Peter Rieß und Werner Schmid
w DE 1999 Walter de Gruyter · Berlin · New York
I. Abteilung Weimarer Republik (1918-1932) Band 5
Entwürfe zu einem Strafvollzugsgesetz (1927-1932) und zu einem Einführungsgesetz zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz (1929-1930) Nachtrag zu Band III 2,3 (Strafverfahrensrecht)
Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von
Werner Schubert
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_G 1999 Walter de Gruyter · Berlin · New York
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Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts / hrsg. von Werner Schubert ... - Berlin ; New York : de Gruyter. Abt. 1. Weimarer Republik: (1918-1932) Bd. 5. Entwürfe zu einem Strafvollzugsgesetz (1927-1932) und zu einem Einführungsgesetz zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz (1929-1930) : Nachtrag zu Band III 2,3 (Strafverfahrensrecht) / hrsg. und mit einer Einl. vers, von Werner Schubert. - 1999 ISBN 3-11-016510-4
© Copyright 1999 by Walter de Gruyter & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druckvorlage: Volker Buslau, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin
Inhalt Einleitung (Werner Schubert)
VII
Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes I.
Reichsratsvorlage vom 13.1.1927 mit Begründung
1
Anlage I: Entwurf eines Gesetzes über die Vollstreckung von Freiheitsstrafen (von der Reichsregierung dem Bundesrat vorgelegt am 19.3.1879)
105
Anlage II.: Grundsätze, welche bei dem Vollzuge gerichtlich erkannter Freiheitsstrafen bis zu weiterer gemeinsamer Regelung zur Anwendung kommen (vom 28.10.1897)
109
Anlage III.: Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen (vom 7.6.1923)
113
II.
Reichstagsvorlage vom 9.9.1927
130
III.
Vorläufiger Referentenentwurf zu einem Strafvollzugsgesetz des Reichsjustizministeriums von 1931/32
165
Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz I.
Schreiben des Reichsministers der Justiz vom 29.9.1928 an die Landesjustizverwaltungen (Einladung zu einer Besprechung)
199
II.
Bericht des Badischen Reichsratsvertreters vom 31.10.1928 über eine Besprechung des Reichsjustizministers mit den Ländern vom 25.10.1928 (Fragen der Reform der Strafgerichtsverfassung und der Strafprozeßordnung) ...
200
III.
Reichsratsvorlage voml 1.4.1929 mit Begründung
207
IV.
Bericht des Badischen Reichsratsvertreters über die Beratungen der Unterkommission zum EG-Entwurf vom 1.-9.11.1929
458
V.
Bericht des Badischen Reichsratsvertreters über die Beratungen der Unterkommission vom 6.-14.12.1929
463
VI.
Bericht des Badischen Reichsratsvertreters über die Beratungen der Unterkommission zum EG-Entwurf vom 22.-25.1.1930 (2. Lesung)
465
VII. Vorschläge des Unterausschusses des Reichsrats vom 7.2.1930
468
VIII. Zusammenstellung der Anträge und Bemerkungen vom 13.3.1930
546
IX. X.
XI.
Bericht des Badischen Reichsratsvertreters über die Beratungen der Vereinigten Reichsratsausschüsse VII, III und V vom 20.-25.3.1930 (1. Lesung)
596
Anträge zur 2. Lesung (Nr. 31-33)
598
Nr. 31: Anträge und Bemerkungen Hamburgs vom 2.4.1930
598
Nr. 32: Anträge der Reichsregierung vom 7.4.1930
599
Nr. 33: Anträge Bayerns vom 9.4.1930
600
Bericht des Badischen Reichsratsvertreters über die Beratungen der Vereinigten Reichsratsausschüsse VII, III und V am 11.4.1930 (2. Lesung)
600
V
XII. Annahme des Entwurfs (eines Einführungsgesetzes zum ADStGB und zum Strafvollzugsgesetz) durch den Reichsrat (16.4.1930, § 256 der Reichsratsniederschriften) XIII. Reichstagsvorlage vom 20.5.1930 Anlage A: Sonderbestimmungen der Artikel 68 bis 192 des Entwurfs, die von den allgemeinen Anpassungsvorschriften der Artikel 29 bis 67 abweichen und ihnen deshalb nach Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 vorgehen Anlage Β: Vorläufiger Entwurf der nach Erlaß des Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz vorzulegenden Verordnung über den Vollzug der Untersuchungshaft Nachtrag zur III. Abteilung, Band 2,3: Protokolle der Großen Strafrechtskommission des Reichsjustizministeriums (1936-1938) 1. Antrag D 22 vom 5.7.1938 der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu den §§§ 333-350 StVO (Wiederholung einer versäumten Hauptverhandlung und Wiederaufnahme des Verfahrens) 2. Antrag D 25 vom 22.7.1938 von Graf von Gleispach zu den S S S 333 ff. (Wiederholung einer versäumten Hauptverhandlung und Wiederaufnahme des Strafverfahrens) 3.
Antrag D 26 vom 22.7.1938 von Landgerichtspräsident von Vacano zu den §§ 176-208 (Sachverständige, Augenschein, Untersuchungshaft)
601 603
722
724
729
736 738
Sachregister zum Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes
739
Sachregister zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz
743
VI
Einleitung Der abschließende Band 5 der Abteilung I der Quellen enthält zunächst den Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes in der Fassung der Reichsratsvorlage und in der Fassung der Reichstagsvorlage. Sämtliche Vorfassungen zum Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes sowie ferner die Neufassung der Reichsratsvorlage vom Mai 1927 sowie der Entwurf nach der ersten Lesung in den Vereinigten Reichsratsausschüssen und endlich die Anträge der Länder im Reichsrat (einschl. der Begründungen) sowie Berichte von Reichsratsvertretern über die Ausschußverhandlungen konnten wegen ihres großen Umfangs nicht aufgenommen werden. Weggelassen wurde aus Platzgründen auch die „Begründung" zur Reichstagsvorlage, die in den Reichstagsdrucksachen und in den Nachdrucken des BMJ in allen größeren Seminaren und Bibliotheken greifbar ist. Abschließend folgt als Erstveröffentlichung der Referentenentwurf des Reichsjustizministeriums zu einem Strafvollzugsgesetz von 1931/32. Ferner enthält der Band den Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz in der Fassung der Reichsratsvorlage und in der Fassung der Reichstagsvorlage. Vorausgeschickt wird ein Bericht über eine grundlegende Besprechung der anstehenden Fragen im Reichsjustizministerium am 25.10.1928. Im Anschluß an die Reichsratsvorlage vom April 1929 bringt die Edition drei Berichte über die Beratungen in der Unterkommission der Reichsratsausschüsse über die Vorlage. Diese Berichte sind weitgehend auch ohne die zum Teil umfangreichen Anträge und sonstigen Verhandlungsmaterialien, die in die Edition nicht aufgenommen werden konnten, verständlich und geben einen guten Einblick in die wichtigsten Änderungen und Änderungswünsche. Die von der Unterkommission vorgeschlagenen Änderungen sind sodann in Form einer Drucksache Nr. 19 vom 7.2.1930 wiedergegeben. Es folgt die Zusammenstellung der Anträge und Bemerkungen zur 1. Lesung in den Vereinigten Ausschüssen selbst und ein Bericht über die Beratungen seitens des badischen Vertreters. Gleiches gilt für die 2. Lesung des Ausschusses. Den Abschluß bildet das kurze Protokoll über die Annahme des Entwurfs durch das Plenum des Reichsrats am 16.4.1930. Sodann folgt der Entwurf in der Fassung der Reichstagsvorlage vom 20.5.1930, wiederum ohne die umfangreiche Begründung, die aus Platzgründen weggelassen werden mußte und in allen größeren Bibliotheken in den Drucksachenbänden des Reichstags leicht greifbar ist.
I. Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes Die Forderung nach einer reichsgesetzlichen Regelung des Strafvollzugs läßt sich bis auf die Zeit der Verabschiedung des Strafgesetzbuchs von 1870 im Reichstag des Norddeutschen Bundes verfolgen.1 Ein 1879 dem Bundesrat vorgelegter Entwurf zu Hierzu und zum folgenden H . D . Quedenfeld: Der Strafvollzug in der Gesetzgebung des Reiches, des Bundes und der Länder, Tübingen 1 9 7 1 , S. 2 ff.; H . Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung und Strafvollstreckungsreform, Köln 1 9 7 0 , S. 4 ff.; zur geschichtlichen Entwicklung der Freiheitsstrafe v. Hippel, Z S t W Bd. 18 ( 1 8 9 8 ) , S. 4 1 9 ff.; ders., Die Freiheitsstrafe, in: E. Bumke (Hrsg.), Deutsche
VII
einem Gesetz über die Vollstreckung von Freiheitsstrafen scheiterte bereits an den zu erwartenden Kosten, die auf die Bundesstaaten zugekommen wären.2 1896 legte Nieberding (Staatssekretär des Reichsjustizamtes) dem Bundesrat den Entwurf zu Bestimmungen über den Vollzug von Freiheitsstrafen3 vor, der im wesentlichen auf dem vom Justizausschuß des Bundesrats modifizierten Entwurf von 1879 beruhte. Aus den Beratungen dieser Verordnung sind die Grundsätze vom 28.10.1897, „welche bei dem Vollzuge gerichtlich erkannter Freiheitsstrafen bis zu weiterer gemeinsamer Regelung zur Anwendung kommen" hervorgegangen.4 Diese Grundsätze, die gegenüber dem partiell fortschrittlichen Entwurf von 1879 einen Rückschritt darstellten, waren kein bindendes Reichsrecht, sondern stellten nur eine Ländervereinbarung dar.6 Nach der Weimarer Reichsverfassung Art. 7 Ziff. 3 unterlag die gesetzliche Regelung des Strafvollzugs der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Reichs. Gleichwohl verzichtete das Reichsjustizministerium zunächst auf die Ausarbeitung eines Strafvollzugsgesetzes, sondern legte dem Reichsrat Anfang 1923 den Entwurf zu „Grundsätzen über den Vollzug von Freiheitsstrafen" vor, der mit 229 Bestimmungen bereits den Umfang eines Strafvollzugsgesetzes hatte.7 Die ersten Beratungen fanden im Rechtspflegeausschuß des Reichsrats am 12. und 13.4.1923 statt, obwohl Sachsen, das die Vorlage des Entwurfs zu einem Strafvollstreckungsgesetz forderte, von den Verhandlungen fernblieb und somit das Zustandekommen einer erneuten Ländervereinbarung in Frage stellte. Zu § 6 protestierten alle Länder außer Preußen gegen die absolute Trennung von Zuchthaus und Gefängnis sowie von männlichen und weiblichen Strafgefangenen. Es wurden Ausnahmen für die kleineren Länder gefordert. Insgesamt verfolgte Bayern eine härtere Linie als vor allem Preußen und Hamburg. Bayern trat für die Beibehaltung der
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Gefängniswesen, Berlin 1928, S. 1 ff.; Bumke, Die Freiheitsstrafe als Problem der Gesetzgebung, ebd., S. 16 ff. Der Entwurf ist in der vorliegenden Edition Band S. wiedergegeben. Enthalten in der Bundesratsdrucksache Nr. 54/1896 vom 28.4.1896 (40 Bestimmungen mit Begründung, 18 S.). Im vorliegenden Band S. 109 ff. abgedruckt. Verabschiedung durch den Bundesrat am 18.10.1897 (Protokolle des Bundesrats 1897, S. 602, § 731). Mecklenburg-Schwerin bedauerte, daß nur eine „Vereinbarung" und keine Verordnung zustandegekommen war. Im Justizausschuß des Bundesrates hatte nur Hessen für den Erlaß einer VO gestimmt. Hierzu Quedenfeld, S. 8. In der unmittelbaren Vorkriegszeit spielten in der rechtspolitischen Diskussion die Vorschläge zu einem „Entwurf eines Reichsgesetzes über den Vollzug der gerichtlich anerkannten Freiheitsstrafen" eine große Rolle (Sonderheft zu Bd. 45 der Blätter für Gefängniskunde, 1911, 88 Bestimmungen; neue Fassung von 1913 im Sonderheft Α und Β des Bds. 47 der Bl. für Gefängniskunde). - Bahnbrechend für die Verrechtlichung des Strafvollzugs war B. Freudenthal: Die staatsrechtliche Stellung des Gefangenen, 1910. - Weitere Impulse gingen von der amtlichen Strafrechtskommission aus (hierzu Müller-Dietz, aaO., S. 11 f.; Quellen bei W. Schubert, Protokolle der Kommission für die Reform des Strafgesetzbuches (1911-1913), 4 Bde., 1990, und zwei Entwurfsbände). Eine Entstehungsgeschichte dieser „Grundsätze" fehlt (hierzu die Akten des BA Berlin-Lichterfelde, Reichsjustizministerium, Nr. ). Der Entwurf findet sich in den Drucksachen des Reichsrats Nr. 86/1923 - das folgende nach den Berichten des Hamburger Bevollmächtigten zum Reichsrat, StA Hamburg, Senatskommission für die Justizverwaltung, Reichs- und Ausw. Angelegenheiten, VI, C 1 Fase. 3 Inv. 1. - Nach dem im folgenden erwähnten § 6 des Entwurfs sollten, falls notwendig, gemeinsame Anstalten zwischen den Ländern vereinbart werden. - Nach § 42 sollte ein Gefangener zunächst mindestens 3 Monate in Einzelhaft verbringen (Gefängnisstrafe bis zu 3 Monaten nur in Einzelhaft). - § 60 lautete: „Alle Gefangenen sind zur Arbeit anzuhalten, soweit das Gesetz es zuläßt" (vgl. dazu § 62 Abs. 2 der „Grundsätze"; Abs. 1 ist neu). Bei schwerer Arbeit mußte reichlichere Kost gewährt werden (nach dem Entwurf nur fakultativ, vgl. § 57 der „Grundsätze gegenüber § 55 des Entwurfs). - Kartenspiel (nach dem Entw. § 126 verboten) wurde auf Wunsch Thüringens zugelassen. Die Zulässigkeit der Dunkelhaft war weder nach dem Entwurf noch den „Grundsätzen" ausdrücklich ausgeschlossen.
VIII
Dunkelhaft ein, die Hamburg anderthalb Jahre zuvor aufgegeben hatte. Für Preußen war die Gefängnisarbeit eine Staatsnotwendigkeit, sowohl im Interesse des Strafvollzugs als auch des Staates. An der zweiten Lesung am 7 . 6 . 1 9 2 3 nahm auch Sachsen teil, so daß das Zustandekommen der Vereinbarung gesichert war. Neben Einzelhaft (§ 42 des Entwurfs) wurde auf Wunsch Badens und Bayerns auch die Zellenhaft zugelassen, bei welcher ein Zusammenkommen mit Gefangenen im Freien, im Unterricht usw. möglich war. Die Zulässigkeit des Dunkelarrestes war conditio sine qua non für Bayern, der auch Württemberg, Baden und Hessen zustimmten. Die neuen Grundsätze wurden unter dem 7 . 6 . 1 9 2 3 im Reichsgesetzblatt Teil II veröffentlicht. In den neuen „Grundsätzen", 8 die im wesentlichen das Werk Radbruchs und Bumwaren, hatte sich der Gedanke der Erziehung und Besserung als Vollzugsziel durchgesetzt. 10 Die Arbeit war nach § 6 2 Grundlage des gesamten Strafvollzugs. Der Erziehungsvollzug an Jugendlichen war ebenso geregelt wie das Beschwerderecht. In § 1 3 0 war der Strafvollzug in Stufen programmäßig festgelegt. Nach § 2 3 3 Abs. 2 sollten die Landesregierungen die Grundsätze bis spätestens 1 . 7 . 1 9 2 4 zur Durchführung bringen. Obwohl der Termin nicht überall eingehalten wurde, kamen zwischen 1 9 2 3 und 1 9 2 6 in allen Ländern Dienst- und Vollzugsordnungen auf der Basis der „Grundsätze" zustande. 11 Auf einer Besprechung vom 2 0 . - 2 2 . 1 1 . 1 9 2 4 befaßten sich die Strafvollzugsreferenten des Reichs und der Länder mit dem Strafvollzug in Stufen. Da man sich über die wesentlichsten Fragen einigte - eine förmliche Vereinbarung kam jedoch nicht zustande - , wurde der Strafvollzug in Stufen in den Ländern nach einheitlichen Gesichtspunkten durchgeführt. 12 Im Reichsjustizministerium wurde der Entwurf zu einem Strafvollzugsgesetz 1925/Winter 1 9 2 6 auf der Grundlage der „Grundsätze" von 1 9 2 3 , der Dienst- und Vollzugsordnungen der Länder einschließlich der 1 9 2 4 beschlossenen Grundsätze zum Stufenvollzug ausgearbeitet. Der Vorlage des Entwurfs an den Reichsrat im Januar 1 9 2 7 gingen drei ausgedehnte Beratungen des Reichsjustizministeriums mit den Strafvollzugsreferenten der Länder voraus. Ein erster, 3 4 6 Bestimmungen umfassender Vorentwurf 13 - es fehlte noch das 3. Buch über den Vollzug der Maßregeln der Sicherung und Besserung - wurde am 2 3 . 4 . 1 9 2 6 an die Landesjustizverwaltungen übersandt. Es gingen Bemerkungen von Bayern, Preußen und Mecklenburg ein. Eine Beratung der Vorlage fand im R J M am 11. und 1 2 . 6 . 1 9 2 6 mit den Strafvollzugsreferenten aus Preußen, Bayern, Baden, Thüringen, Hamburg, Hessen, Württemberg, Sachsen und Mecklenburg-Schwerin statt. 14 Kritisiert wurde von Preußen und Bayern der große Umfang des Gesetzes, der gefährliche Bindungen für die zukünftige Entwicklung des Strafvollzugs schaffen würde. Man solle kes 9
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In der vorliegenden Edition S. 113 ff. Über Bumke und Koffka, die neben Radbruch als die verantwortlichen Autoren der „Grundsätze" anzusehen sein dürften, vgl. Bd. I 1, S. X X I V ff. Hierzu und zum folgenden Müller-Dietz, aaO., S. 15 ff.; Quedenfeld, aaO., S. 12 f. Übersicht bei Bumke, aaO., S. 2 9 ; L. Schäfer/fr. Hauptvogel, Deutsche Gesetzentwürfe und Vorschriften über den Strafvollzug, 1928, S. XII ff. Hierzu Richard Degen, bei Bumke, aaO., S. 3 1 0 ff.; Amalie Böseke, Der Stufenstrafvollzug in Deutschland von den Reichsratsgrundsätzen bis zum Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes, Diss. iur. Kiel 1929; Paul Mayer, Der Strafvollzug in Stufen nach dem Stand der preußischen Verordnung über den Strafvollzug in Stufen vom 7. Juni 1929, Diss. iur. Köln 1929, S. 18 ff. Enthalten im BA Berlin-Lichterfelde, RJM, Nr. 5620, Bl. 4 0 ff.; hier auch die im folgenden erwähnten „Bemerkungen". Hierzu die Aufzeichnungen über diese Besprechung im BA-Lichterfelde, RJM, Nr. 5 6 2 0 , Bl. 205 ff.; ausführlicher Bericht mit Hintergrundinformationen des Hamburger Vertreters Lehr im StA Hamburg, aaO., Inv. 2. Es nahmen teil: Bumke, L. Schäfer, Koffka und Hauptvogel (für das RJM), Richard Degen (Bayern), Dr. Starke (Sachsen), Dr. Roth (Württemberg), Oberjustizrat Maltzan (Hessen), Frede (Thüringen) und Hasse und Härtung (Preußen).
IX
sich mit „lapidaren Grundsätzen" mit den erforderlichen Garantien für die Gefangenen begnügen. Bwnke (als Vorsitzender) machte für den Entwurf taktische Erwägungen geltend. Den Landtagen sollte nicht zuviel Stoff für ergänzende Regelungen gegeben werden, was den Regierungen höchst unbequem sein würde. Durch das Gesetz würde eine „bessere Zukunft" nicht verbaut sein. - Nicht durchsetzen konnte sich Preußen mit dem Wunsch, § 17 (später § 50 RRVorl.), wonach Strafgefangene von Gefangenen anderer Art getrennt zu halten waren, zu streichen, da diese an sich wünschenswerte Bestimmung nicht überall durchzuführen wäre. Angefochten wurde ferner von Preußen § 2 1 über Anstalten für geisteskranke, der Geisteskrankheit verdächtige, geistig minderwertige, tuberkulöse und geschlechtskranke Gefangene. Man einigte sich schließlich dahin, den § 21 Abs. 1 als Grundsatz stehenzulassen, Abs. 2 dagegen für die Gesundheitsfürsorge bzw. die Ausführungsbstimmungen zurückzustellen. Die Bestimmung des § 24 über die Definition großer und mittlerer Strafanstalten wurde auf Wunsch Preußens und Bayerns als unzweckmäßig weggelassen.15 - Die Möglichkeit der Bestellung von Anstaltshelfern (nach dem Vorbild der englischen visitors) wurde zwar beibehalten, auf Wunsch Preußens jedoch die Einzelbehandlung des Gefangenen aus dem Aufgabenkreis herausgelassen. Die Anstaltshelfer waren grundsätzlich auf die Fürsorge für die Gefangenen und deren Angehörige beschränkt. Der Anstaltsbeirat wurde ganz weggelassen. - Von allen Ländern außer Sachsen und Thüringen wurde der in den § § 5 2 ff. vorgesehene Reichsbeirat für Gefängniswesen abgelehnt. Dieser Beirat sollte aus acht bis zwölf, vom Reichsjustizministerium mit Zustimmung des Reichsrats ernannten Mitgliedern bestehen und die Aufgabe haben, die Reichsregierung bei der Erfüllung der Pflicht zu unterstützen, die Einheit des Vollzugs der Freiheitsstrafen und der mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregeln der Besserung und Sicherung im ganzen Reich herbeizuführen und zu wahren (mit Besichtigungsrecht). Preußen brachte gegen diesen Beirat die Gefahr der Politisierung vor, Bayern und andere Länder lehnten insbesondere das Besichtigungsrecht scharf ab. Bumke wies auf die Bestrebungen des Reichstags auf diesem Gebiet hin:16 „Selbst bis in die Kreise der Volkspartei hinein habe sich die Ansicht Geltung verschafft, daß das RJM sich in ganz anderem Umfange als bisher den Justizfragen widmen müsse. Die Gefahr der Politisierung sei nicht sehr ernst zu nehmen, weil der Reichsrat bei der Berufung der Mitglieder des Reichsbeirats mitwirken solle und es in der Hand habe, nur wirklich sachverständige Personen vorzuschlagen. Andererseits werde ein derartiges Gremium gewissermaßen als Blitzableiter nützlich werden ... Bedenken partikularistischer Art würden durch die Beteiligung des Reichsrats ebenfalls ausgeschaltet." Nach § 59 sollte zunächst die der Art nach schwerste Strafe vollstreckt werden. Preußen wollte aus „technischen Gründen" den umgekehrten Weg gehen, stieß damit aber auf Ablehnung. Die Vorschrift war in den folgenden Entwürfen durch die Ausdehnung der Bestimmungen des Entwurfs zum StGB über die Strafzusammenziehung entbehrlich geworden. - Als den Grundgedanken des progressiven Systems widersprechend ersetzte man den Ausdruck „Vergünstigungen" durch „Milderungen" des Vollzugs (vgl. § 61 RRVorl.). Umstritten waren die Frage nach den Zusatznahrungsmitteln, der Tabakgenuß und die geistigen Getränke. Hier zeigte sich Preußen liberaler als die süddeutschen Staaten und Thüringen. Nicht erörtert wurde die Frage, wieweit die Haftkosten sollten berechnet werden dürfen (§ 83 Abs. 2). - Die Bestimmung über die 15
Große Strafanstalten mit über 6 0 0 , mittlere mit 2 0 0 bis 6 0 0 Gefangenen. - Obwohl von Preußen als entbehrlich, sogar für gefährlich bezeichnet, wurde § 2 3 beibehalten: „Soweit in einzelnen Ländern die in den §§ ... bezeichneten Anstalten und Abteilungen nicht eingerichtet werden können, sollen sie für mehrere Länder gemeinsam durch Vereinbarungen der beteiligten Regierungen eingerichtet werden."
16
Zitiert nach dem Hamburger Bericht, S. 1 0 f.
X
Zellengröße 17 wurde durch die Ermächtigung der Reichsregierung ersetzt, die Größe der Hafträume mit Zustimmung des Reichsrats zu bestimmen. Uber die Verwertung von Leichen Gefangener wollte man wegen der eventuellen Schwierigkeiten im Reichstag keine Regelung treffen. Die Möglichkeit der Zurückhaltung von Briefen, die den Erziehungszweck beeinträchtigen könnten (so der Antrag von Baden und Sachsen), wurden vom Vorsitzenden als viel zu weitgehend bezeichnet (vgl. § 121 RRVorl.). Eine längere Aussprache fand endlich über die wenigen Bestimmungen über die Fürsorge für die aus der Strafhaft Entlassenen statt. In der Diskussion über den Strafvollzug in Stufen bestand Einigkeit darüber, daß die Bestimmungen nicht so sehr in die Einzelheiten gehen sollten. Umstritten war, ob zunächst alle Gefangenen, d.h. auch die sog. Unverbesserlichen, dem Stufenvollzug unterworfen werden sollten (wie in Preußen) oder nicht. Bumke wandte sich gegen den sächsischen Vorschlag: 18 „Alle Gefangenen sollen den Stufenstrafvollzug durchgehen, und zwar die Besserungsfähigen im Interesse der Besserung, die Unverbesserlichen im Interesse der Disziplin; zum Aufrücken in die mittlere Stufe genügt Disziplin, zum Aufrücken in die höchste Stufe muß außerdem der Besserungswille hinzukommen." Einigkeit bestand nur darüber, daß die vom Stufenvollzug ausgeschlossenen Gefangenen in besonderen Abteilungen bzw. Anstalten unterzubringen waren. In der Neufassung wurde herausgestellt, daß der Stufenvollzug die Regel bilden sollte. Mehrere Bestimmungen wurden auf Wunsch der Länder in die Ausführungsbestimmungen überwiesen. - Im RJM hatte man sich nach längeren Erörterungen dahin entschieden, das Beschwerderecht der Gefangenen nicht zu beschränken, jedoch eine richterliche Entscheidung auszuschließen. Die Länder hielten zwar die Beschränkung (Ausschlußfrist nach Bayern, Baden und Thüringen) für zweckmäßig, konnten sich jedoch damit gegenüber dem Vorsitzenden nicht durchsetzen, der auf die zu erwartenden Schwierigkeiten im Reichstag hinwies. Am 13.8.1926 wurde der umgearbeitete, nunmehr erheblich kürzere Entwurf mit 262 Bestimmungen an die Länder übersandt.19 Es folgte am 4.10.1926 ein vorläufiger Entwurf zu einer Verordnung zur Ausführung des Strafvollzugsgesetzes20 mit folgender Gliederung: Erster Abschnitt. Vollzug von Freiheitsstrafen. I. Anstaltsbeamte (§§1-8) II. Anstaltshelfer (§ 9) III. Einleitung des Vollzugs der Freiheitsstrafen (§§ 10-12) IV. Aufnahme der Gefangenen (§§13-18) V. Unterbringung (§§ 19-24) VI. Arbeit (§§ 25-30) VII. Gesundheitsfürsorge (§§ 31-41) VIII. Geistige und seelische Hebung der Gefangenen (§§ 42-45) IX. Verkehr der Gefangenen mit der Außenwelt (§§ 46-48) X. Sicherheit und Ordnung (§§ 49-59) 17
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Es waren in § 132 vorgesehen: bei Aufenthalt für Tag und Nacht 22 cbm Luftraum, Fenster 1 qm Lichtfläche; bei Aufenthalt nur bei Nacht (Schlafzelle): 11 cbm Luftraum, Fenster Vi qm Lichtfläche. Aufnahmezellen sollten kleiner sein können. Zitiert nach dem Hamburger Bericht, S. 19. - Nach dem Entwurf § 268 Abs. 1 war der Stufenvollzug auf die Gefangenen anzuwenden, soweit sie die Fähigkeit und den Willen zur Besserung hatten. Ausgeschlossen sollten bleiben nur die Gefangenen, bei denen jede Erziehungs- und Besserungsarbeit von vornherein als vergeblich anzusehen war. Enthalten in der Akte des RJM BA Berlin-Lichterfelde, RJM, Nr. 5 6 2 0 . Auch in der Bibliothek des Jur. Seminars der Univ. Kiel vorhanden. BA Berlin-Lichterfelde, RJM, Nr. 5621 (auch im Jur. Seminar der Univ. Kiel).
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XI. XII.
Hausstrafen (§§ 60-63) Besondere Vorschriften über den Vollzug von Zuchthaus und Gefängnis ( S S 64-65) XIII. Strafvollzug in Stufen ( S S 66-81) XIV. Einschließung ( S S 82-88) XV. Minderjährige Gefangene (S 89) XVI. Unterbrechung der Vollstreckung von Freiheitsstrafen ( S S 90-92) XVII. Entlassung aus der Strafhaft ( S S 93-105) Zweiter Abschnitt. Geldstrafe ( S S 106-107). Der neue Entwurf wurde in einer Besprechung des RJM mit den Ländern vom 26.30.10.1926 2 1 von Preußen und Hamburg als immer noch zu umfangreich und detailliert gekennzeichnet. Hierauf entgegnete Bumke, daß es wegen des Termindrucks nicht möglich gewesen sei, einen ganz neuen Entwurf auszuarbeiten. Im einzelnen wurden folgende Änderungen beschlossen: Auch für Volljährige bis 25 Jahre sollten nach Bedarf besondere Abteilungen eingerichtet werden ( S 19); dem Wunsch, auch besondere Anstalten oder Abteilungen für minderjährige Geisteskranke vorzusehen (ablehnend Preußen), wurde im neuen Entwurf keine Rechnung getragen. Die Bestellung von Gefängnisseelsorgern im Hauptamt ( S 25) wurde zurückgewiesen. Entgegen dem Votum Hamburgs verblieb es bei der Möglichkeit, auch Schwangere zur Strafverbüßung aufzunehmen ( S 46). Zu S 65 wurde beschlossen, Jugendlichen eine reichlichere Kost als die übliche zu gewähren ( S 65 RRVorl.). Die Möglichkeit des „Tabakgenusses" wurde, obwohl sich einige Länder für ein absolutes Verbot aussprachen, aufrechterhalten. Hamburg wünschte, im Gesetz festzulegen, daß für den Arbeitslohn der Rechtsweg ausgeschlossen sei. Hierzu stellte Bumke fest, dies sei auch die Meinung des RJM, er wolle dies aber nicht ausdrücklich sagen.23 Gegen die in dem S 129 vorgesehene Sicherungsmaßregel der Fesselung sprachen sich Hamburg, Bayern, Baden, Thüringen, Bremen und Anhalt aus, während Preußen zunächst keine Stellungnahme abgab. In einer späteren Besprechung einigte man sich dahin, die Fesselung nur noch in besonderen Ausnahmefällen zuzulassen (vgl. § 133 RRVorl.). - Keinen Erfolg hatte Preußen mit dem Wunsch, die Rentenanwartschaft der Gefangenen bis zum Ende der Haftzeit nicht erlöschen zu lassen. Dies sei, so das RJM, aus politischen Gründen nicht möglich, so daß man sich mit dem Appell begnügen müßte, daß für die Erhaltung der Anwartschaft während der Haftzeit zu sorgen war. Im übrigen wurde erneut die Abschaffung des § 440 der Abgabenordnung24 verlangt. Am 9.11.1926 übersandte das RJM eine weitere Neufassung des Entwurfs (252 Bestimmungen) sowie am 12.11.1926 den Entwurf zum dritten Buch: „Maßregeln der Sicherung und Besserung" (59 Bestimmungen),25 die zusammen mit einigen anderen Fragen auf einer Tagung des RJM mit den Länderreferenten vom 22.-24.11.1926 in
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Hierzu der Hamburger Bericht in der in Fn. 14 nachgewiesenen Akte und die Niederschrift in der Akte des RJM im BA Berlin-Lichterfelde, Nr. 5621. An der Besprechung nahmen teil: Preußen, Hamburg, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen (Starke), Braunschweig (Holland), Württemberg (Roth), Bayern (Degen), Baden (Umhauer), Lübeck, Bremen, Anhalt und Reichsanwalt a.D. Ebermayer. Nach dem Entwurf nur für Minderjährige (vgl. § 19 des neuen Entwurfs). Vgl. § 89 gegenüber § 91 RRVorl., wo es heißt: kann nur nach den Vorschriften der §§ 2 1 3 bis 2 1 7 angefochten werden. Nach §§ 440, 4 2 5 Abgabenordnung fielen auch gerichtlich erkannte Geldstrafen (in Steuerstrafsachen) dem Reich, nicht den Ländern zu. In der Akte des BA Berlin-Lichterfelde, RJM, Nr. 5 6 2 1 enthalten.
XII
München besprochen wurden. 26 So sollte für „Jungmänner" kein absolutes Rauchverbot bestehen. Die Fesselung wurde wie erwähnt in abgeschwächter Form beibehalten. Bei einer Leichenöffnung sollte immer ein Gerichtsarzt mit herangezogen werden. Der Rechtsweg für Arbeitslohnansprüche wurde ausdrücklich ausgeschlossen. - Zu § 2 des neuen Teilentwurfs wurde die Trennung der Anstalten und der Untergebrachten beschlossen. Zu § 33 (Bei der Behandlung der Verwahrten soll das Ziel verfolgt werden, sie zur Ordnung und Arbeit zu erziehen ...) wurde beschlossen zu sagen, daß der Untergebrachte, „soweit möglich, an Arbeit und Ordnung zu gewöhnen" war (§ 2 7 3 Abs. 2 RRVorl.). Abgelehnt wurde der Vorschlag, die Verwahrten als Gefangene der 3. Stufe nach dem Stufenvollzug zu behandeln. Statt dessen wurde auf bayerischen Antrag beschlossen, die Verwahrten disziplinarisch wie Zuchthausgefangene anzusehen, ihnen aber zusätzlich besondere Vergünstigungen zu gewähren. Am 2 0 . 1 2 . 1 9 2 6 gelangte die Neufassung an die Länder, die am 1 3 . 1 . 1 9 2 7 auch förmlich in den Reichsrat ein^ebracht wurde. 27 Noch am 2 2 . 1 2 . 1 9 2 6 fand im R J M eine Besprechung 28 mit Kadecka 2 statt. Dieser stellte zunächst fest, daß die Materie des Entwurfs in Österreich in der Strafprozeßordnung geregelt sei. Das Buch I mit den allgemeinen Vorschriften könne auf keinen Fall übernommen werden, da es ausgeschlossen sei, die Staatsanwaltschaft in Österreich zur Strafvollstreckungsbehörde zu machen. Die Todesstrafe sei nur für Standgerichte vorgesehen. Bestimmungen über die Geldstrafenvollstreckung paßten nicht für Österreich. Dagegen könne man Buch II, 2. Abschnitt (Freiheitsstrafen) und Buch III in Österreich im wesentlichen übernehmen. Abgelehnt wurde allerdings die Gestattung des Rauchens und des Genusses alkoholischer Getränke sowie der Empfang von Lebensmittelpaketen. Am 3 . 6 . 1 9 2 8 überreichte dann Kadecka den (gedruckten) Entwurf zum österreichischen Strafvollzugsgesetz ( 3 2 9 Bestimmungen). Bis Mai 1 9 2 7 gingen die Länderanträge ein, die das R J M zusammen mit den Beschlüssen des Reichsrats zum StGB-Entwurf 3 0 zum Anlaß nahm, eine Neufassung des Entwurfs vorzulegen, 31 die die künftige Beratungsgrundlage bildete. Soweit die bis dahin gestellten Anträge nicht berücksichtigt waren, wurden sie von den Ländern meist wiederholt. Über die offengebliebenen Anträge fertigte das R J M unter Weglassung der Begründungen zwei Zusammenstellungen' 2 an, über die vom 2 6 . 6 . bis 2 9 . 6 . (in 1. Lesung) und am 1.7. in zweiter Lesung in den Vereinigten Ausschüssen des Reichsrats beraten wurde. Die hier erneut beschlossenen zahlreichen Änderungen machten einen Neudruck des Entwurfs notwendig. 33 Trotz der vielen Änderungen blieben die 26
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Über diese Besprechung existiert keine Niederschrift in den Akten des RJM; das folgende nach dem Bericht des Hamburger Vertreters, aaO. (Fn. 14). Vertreten waren: das Reich, Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Thüringen, Mecklenburg und Hamburg. Im vorliegenden Band als RRDrucksache vollständig wiedergegeben. Aufzeichnungen hierüber in der Akte des BA Berlin-Lichterfelde, RJM, Nr. 5 6 2 1 . Über Kadecka vgl. Band I 3,1, S. X X I V ff. Die Besprechung fand statt mit L. Schäfer, Koffka und Hauptvogel. Die Verabschiedung des StGB durch das Plenum des Reichsrats war am 1 3 . 4 . 1 9 2 7 erfolgt (hierzu Band I 2 der Reihe). Diese neue Fassung kann hier nicht wiedergegeben werden. Die hierbei berücksichtigten Anträge stammen von Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Schwerin, Bayern, Württemberg und Anhalt (Nr. 18 der Anträge); Entwurf und Anträge auch in der Bibliothek des Jur. Seminars der Univ. Kiel. Diese Zusammenstellung (ebenfalls in der Bibliothek des Jur. Seminars der Univ. Kiel) kann aus Platzgründen hier ebenfalls nicht wiedergegeben werden. Die weiteren Anträge stammen von dem RJM (Nr. 9), Bayern (Nr. 10), Baden (Nr. 11), Mecklenburg-Schwerin (Nr. 12), Preußen (Nr. 13 und 14), Oldenburg (Nr. 15), Bayern (Nr. 16), Hamburg (Nr. 17), Bremen (Nr. 18), Württemberg (Nr. 19), Hessen (Nr. 20), Preußen (Nr. 21) und Baden (Nr. 2 2 und 23). Hier nicht wiedergegeben (auch in der Bibliothek des Jur. Seminars der Univ. Kiel), da bereits weitgehend übereinstimmend mit der RTVorl.
XIII
Grundlagen der Vorlage - im Gegensatz zu größeren Teilen des Allgemeinen Teils des StGB-Entwurfs - im wesentlichen unberührt. Aus der Ausschußberatung, über die keine detaillierten Aufzeichnungen vorliegen,34 sei hervorgehoben: Zu § 5 0 beschloß die Mehrheit der Länder (u.a. auch Preußen), daß Strafgefangene von Gefangenen anderer Art getrennt gehalten werden sollten (anders das Reich). 35 Die Bestimmung, daß die Haftkosten durch die Arbeit getilgt sein sollten (§ 83), wurde gestrichen, nach Bumke eine Verschlechterung des Entwurfs. Auf Wunsch Hamburgs wurde beschlossen, daß kriminelle Geisteskranke nur in öffentlichen Anstalten untergebracht werden durften (§ 102). Das Widerspruchsrecht des Gefangenen in § 120 des Entwurfs bei der Überwachung des Schriftverkehrs, das die Vorlage aus erzieherischen Gründen gewähren wollte, wurde bis auf eine Ausnahme beseitigt.36 Von allen Ländern wurde der Antrag Preußens zu § 2 3 7 abgelehnt, daß Versorgungsanwartschaften aufrechtzuerhalten seien. Zu § 2 4 6 wurde beschlossen, daß die Vollstreckung einer rechtskräftig festgestellten Geldstrafe in den Nachlaß des Verurteilten wieder sollte erfolgen dürfen. Der Antrag Preußens, die Trinkerheilanstalten mit Arbeitshäusern vereinigen zu dürfen, wurde von allen anderen Ländern abgelehnt. Zu § 292 wurde, ebenfalls einstimmig, der Antrag Preußens abgelehnt, die Durchführung der Schutzaufsicht nicht dem Amtsrichter (§ 292 des Entwurfs), sondern der Strafvollstreckungsbehörde (Staatsanwaltschaft) zu übertragen. - Die nach dem Gesetz vorgesehenen Einrichtungen sollten nach Inkrafttreten des Gesetzes innerhalb von fünf Jahren geschaffen werden. Auf Wunsch aller Länder wurde jedoch diese Bindung an bestimmte Fristen abgelehnt. Vielmehr sollten die Einrichtungen nur noch „sobald als irgend möglich" geschaffen werden. Weitere Änderungen waren bereits in der Neufassung der Reichsratsvorlage enthalten: 37 Stärkung der Strafvollzugsbehörden gegenüber dem Vollstreckungsgericht, Reihenfolge der Vollstreckung (Neufassung des § 10), Erweiterung der Fesselungsmöglichkeiten, Verbot der Selbstbeschäftigung für Zuchthausgefangene (§ 159), Einschränkung des Strafenvollzugs in Stufen (§ 155 RRVorl./§ 162). Schärfer betont wurde die Tendenz, Gefangene vom Stufenvollzug auszuschließen, sobald der Mißerfolg festzustellen war (§ 165 RRVorl./§ 172 Abs. 2). Eingefügt wurde § 178 über den bedingten Erlaß des Strafrestes. Die Änderungen des Entwurfs durch die Ausschüsse wurden vom Plenum des Reichsrats am 7.7.1927 gebilligt. Mit einer neugefaßten Begründung gelangte der Entwurf als Drucksache 3628 3 8 am 9.9.1927 an den Reichstag, wo die Vorlage zwar dem Strafrechtsausschuß überwiesen wurde, dort aber erst nach Verabschiedung des StGB-Entwurfs behandelt werden sollte. Im R J M wurde in der Folgezeit an den Änderungen des Strafvollzugsgesetzentwurfs gearbeitet, 39 die sich aus den Beschlüssen des Strafrechtsausschusses des Reichstags ergaben. Hierüber und über andere Fragen fanden bis 1932 mehrere Besprechungen des R J M mit den Strafvollzugsreferenten der Länder statt. Am 7.6.1929 erging in Preußen
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Das folgende nach dem Bericht des Hamburger Vertreters, aaO., Inv. 2. Den Vorsitz hatte in der 1. Lesung Bumke, in der 2. Lesung Leopold Schäfer.
Nicht „mußten" (wie nach dem Entwurf). Nach § 1 2 0 der RRVorl. konnte der Gefangene einer Kenntnisnahme der Briefe durch den Geistlichen, den Anstaltsarzt, Lehrer oder Fürsorger widersprechen. Nach der RTVorl. § 1 2 7 sollte er nur dem Geistlichen gegenüber widersprechen dürfen. Einen Überblick über die Änderungen der RRVorl. gegenüber der RTVorl. bringt L. Frede in Z S t W , Bd. 4 8 ( 1 9 2 8 ) , S. 3 0 6 ff. Der neue Entwurf ist unten S. ff. ohne Begründung abgedruckt. Z u m folgenden die Akten des R J M im BA Berlin-Lichterfelde, N r . 5 6 2 3 - 5 6 2 6 .
XIV
eine Verordnung über den Strafvollzug in Stufen,*0 die einen Teil der Reformarbeiten des Entwurfs vorwegnahm. - In einer Referentenbesprechung im RJM am 14.10.1929 bestand Einigkeit darüber, daß für das Reich nicht mehr als drei Sicherungsverwahranstalten für Männer notwendig seien (für je 400 - 500 Personen). Ferner wurde über die von Thüringen, Sachsen und Baden gewünschte Trennung der politischen Überzeugungstäter von anderen Uberzeugungstätern gesprochen. Ferner ging es um Pensionsverträge mit den Ländern untereinander. - Auf der Zusammenkunft am 18.1.1930 wurde über die Unterschiede im Stufenstrafvollzug gesprochen.41 Es bestand Einigkeit darüber, daß nunmehr als Grundlage für die Gestaltung des Stufenvollzugs der Entwurf zu gelten hatte. Bayern kündigte an, den Kreis der Gefangenen für den Stufenvollzug erheblich enger zu ziehen. Nicht gesetzlich geregelt werden sollte die Frage, von welcher Strafdauer an der Stufenvollzug zulässig sein und innerhalb welcher Fristen ein Aufrücken in eine höhere Stufe erfolgen sollte. Einigkeit bestand darüber, daß die Selbstverwaltung der Gefangenen im Gesetz erwähnt werden sollte, wobei die Frage, ob ein Anstaltsgericht mit Strafbefugnis eingerichtet werden sollte, offenblieb. Endlich sprach sich die Mehrheit für eine Regelung der Zwischenanstalten aus. Am 30.10.1931 versandte das Reichsjustizministerium als Ersatz für den 1927 vom Reichsrat verabschiedeten Entwurf einen neuen „Vorläufigen Referentenentwurf eines Strafvollzugsgesetzes",42 der mit nur 138 Bestimmungen den bereits 1926/27 geäußerten Wünschen der Länder auf Straffung der Vorlage sehr weit entgegenkam. Von der Anpassung an den Stand der Strafrechtsreform brachte der Entwurf keine größeren Neuerungen. Er wurde in einer Referentenbesprechung vom 7.-9.1.1932 besprochen. 4 ' Die Kürzungen wurden gebilligt; die hier beschlossenen Änderungen - sie sind in der Aufzeichnung des RJM über die Besprechung nicht enthalten - sollten in den Entwurf eingearbeitet werden, was aber wohl nicht mehr erfolgt ist. Der Entwurf von 1927 stieß in Wissenschaft und Praxis auf sehr großes Interesse.44 So heißt es bei Frede und Grünhut im Vorwort zu den „Kritischen Beiträgen zu dem Amtlichen Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes" von 1927: 4 5 „Die Vertiefung des Erziehungsgedankens und die Verstärkung der rechtlichen Garantien des Gefangenen durchziehen als leitende Gesichtspunkte mit aller Deutlichkeit die gesamten Bestimmungen des Entwurfs. Daher müssen alle diejenigen, die an der Erneuerung dieses wichtigen Teiles der deutschen Rechtspflege mitarbeiten, zu dem Entwurf Stellung nehmen und helfen, ihn vor dem Schicksal zu bewahren, daß die Wirkung seiner leitenden Gedanken durch Kompromisse beeinträchtigt und die innere Weiterbildung 40
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Hierzu ausführlich die in Fn. 12 nachgewiesene Diss, von Paul Mayer, S. 4 6 ff. Die Verordnung (V, 5 8 Seiten, Schautafel; X X V I Abschnitte) ist nicht im Buchhandel erschienen (u.a. erhalten in der Universitätsbibliothek Kiel, Sign. Ε 1 9 2 4 ) . Vgl. hier den Vermerk in der Akte des BA Berlin-Lichterfelde, RJM, Nr. 5 6 2 5 . Grundlage der Beratungen waren 10 Leitsätze des Referenten Starke (Sachsen). Hiernach sollten auch einheitliche Vorschriften ergehen über die Anstellung, Ausbildung und Fortbildung der Strafvollzugsbeamten (Sozialpädagogen und sonstige Erzieher als höhere Beamte), über die Anstaltsgerichte (§ 152), über Prüfungsfristen beim Stufenvollzug (§ 1 6 5 ) , nachprüfbare Grundsätze für das Aufrücken in die nächste Stufe (§ 1 6 6 ) ; als Milderungen i.S.d. § 1 7 5 sollten nur solche in Betracht kommen, die den Gefangenen einen Vorteil boten, ohne daß der Staat hieran ein unmittelbares Interesse hatte. Ferner für Errichtung von Zwischenanstalten, Abschlußgutachten und eine Regelung der Selbstverwaltung im Entwurf. - Das R J M hatte dem Reichstag eine Denkschrift über die Auslese, Ausbildung und Fortbildung der Strafanstaltsbeamten in den größeren deutschen Ländern (RT-Verhandlungen Bd. 4 3 8 ) vorgelegt. BA-Berlin-Lichterfelde, RJM, Nr. 5 6 2 6 , Bl. 3 9 ff. Aufzeichnungen in der Akte des BA-Berlin-Lichterfelde, R J M , Nr. 5 6 2 6 , Bl. 1 1 7 - 1 1 9 . Literaturnachweise in der J W 1 9 2 7 , S. 9 4 1 f.; 1 9 2 8 , S. 4 4 5 f., 3 0 2 3 ; 1 9 2 9 , S. 3 0 0 ; ferner bei Müller-Dietz, aaO., S. 18. Frede/Grünhut, S. III (Mai 1 9 2 7 ) .
XV
des Strafvollzugs durch unangebrachte gesetzliche Bindung gehemmt wird." Von der Richtung, die den Entwurf grundsätzlich bejahte, wurden gerügt die mangelnde rechtliche Durchformung des Disziplinarverfahrens, der fehlende Rechtsanspruch des Gefangenen auf Arbeitsentlohnung, der Mangel an Bestimmungen über die Selbstverwaltung der Gefangenen und das Fehlen von Bestimmungen über die Ausbildung des Gefängnispersonals. Demgegenüber sprach Nagler von einer „Uberspannung des Erziehungsgedankens" und einer zu großen Milde bei der Gefangenenbehandlung. 6
II. Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetze Das geplante Einführungsgesetz ging in seiner Bedeutung weit über die bisherigen strafrechtlichen Einführungsgesetze hinaus. Es ging einmal um die Anpassung des Nebenstrafrechts (rund 2 0 0 Reichsgesetze und weitere zahlreiche Landesgesetze) an die Grundsätze des neuen StGB, teils in allgemeiner, teils in spezieller Form. Zum anderen waren das Gerichtsverfassungsgesetz, die Strafprozeßordnung und das Jugendgerichtsgesetz an das neue materielle Strafrecht anzupassen. Darüber hinaus waren in begrenztem Umfang noch kleinere Reformen vorgesehen, die mit dem Strafgesetzbuch nicht unmittelbar zusammenhingen. Die Arbeiten am EG-Entwurf begannen im Reichsjustizministerium Mitte 1925. 4 7 Am 3 . 5 . 1 9 2 6 versandte das Ministerium einen Teilentwurf zu den für das J G G und das GVG vorgesehenen Änderungen. Ende Februar 1928 schlug des RJM zur weiteren Vorbereitung der Vorlage Referentenbesprechungen mit Preußen, Bayern und Sachsen vor. Die Wünsche insbesondere von Württemberg und Baden auf Beteiligung an diesen Vorberatungen wurden abgelehnt. Uber die Besprechungen, an denen für das Reich Bumke, Leopold Schäfer, Koffka und Hauptvogel, für Preußen Ernst Schäfer und Härtung,, für Bayern Dürr und Ehard und für Sachsen Ministerialrat Schroeder und Oberstaatsanwalt Härtel teilnahmen, waren detailliertere Aufzeichnungen nicht auffindbar. Überliefert sind die vom Reichsjustizministerium an die Teilnehmer versandten Teilentwürfe und Anträge Preußens und Sachsens zu einer zweiten Lesung.48 Am 25.10.1928 fand im Reichsjustizministerium eine Besprechung, an der die meisten Länder-Justizminister teilnahmen, über wichtige Fragen der Strafgerichtsverfassung und des Strafprozeßrechts statt.49 Es ging um folgende Probleme: 1. Tiefere
Eingriffe in die Verfassung der Strafgerichte·. Der Referent des RJM (Koffka) lehnte „grundstürzende Reformen" ab, insbesondere eine Wiedereinführung der alten Schwurgerichte. Die Sitzungsteilnehmer stimmten dem zu, wünschten allerdings kleinere Änderungen in der Zuständigkeit der Strafgerichte. - 2. Eidesrecht: Nach Koffka trat das R J M unter Abschaffung des Eides für eine einheitliche Form der Bekräftigung ein, die „in der Regel" auch zu verlangen war. Der Reichsjustizminister bezweifelte allerdings, ob die Beseitigung des Eides „jetzt schon" durchsetzbar sei.
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Nagler, Gerichtssaal, Bd. 95 (1927), S. 51 ff. Zum folgenden die Akten des BA Berlin-Lichterfelde, 30.01, Nr. 5 8 5 0 - 5 8 5 1 . Am 3 0 . 3 . 1 9 2 8 war der Teilentwurf zur StPO und zum Strafregistergesetz versandt worden. Besprechungen fanden u.a. vom 2.-4. und vom 14.-16.2.1928 statt. Hierzu die Aufzeichnungen in der Akte RJM, Nr. 5851 und der Bericht des Badischen Vertreters vom 3 1 . 1 0 . 1 9 2 8 (im vorliegenden Band S. ff.). Es nahmen u.a. teil: für Preußen der Justizminister Schmidt, Dr. Huber, für Bayern Gürtner, für Hamburg Nöldeke, für Sachsen Mannsfeld, für Baden Trunk, für Mecklenburg Josephi, für Oldenburg Staatspräsident Finck und Ministerialrat Christians, für Württemberg Beyerle, für Hessen Kirchberger, für Braunschweig Sievers, für Baden Generalstaatsanwalt Hafner.
XVI
Überwiegend wurde die Abschaffung des Eides abgelehnt. Dagegen wurde eine Einschränkung des Eides, der nicht mehr die Regel bilden sollte, und die Strafbarkeit der uneidlichen Falschaussage befürwortet. Zusammenfassend stellte Koch-Weser fest, daß, wenn man den Eid (als Ausnahme) beibehalte, man ihn nicht von der Zustimmung der Parteien abhängig machen sollte. - 3. Abschaffung der Voruntersuchung: Hier schlug der Referent nur eine Einschränkung durch Änderung des § 81 StPO vor, der die Teilnehmer zustimmten. - 4. Übertragung der Beweisaufnahme an Parteien: Koffka lehnte für das RJM das Kreuzverhör ab, da die Staatsanwälte zum damaligen Zeitpunkt „infolge der durch das bisherige Verfahren bedingten mangelhaften Schulung" den Verteidigern vielfach nicht gewachsen seien. Als Endziel der Prozeßreform könnte man sich, so Koffka, das Kreuzverhör auf Antrag von Staatsanwalt und Verteidiger jedoch durchaus vorstellen. Bis auf Josephi lehnten die Sitzungsteilnehmer das Kreuzverhör ab, Koch (Hamburg) unter Hinweis darauf, daß das Institut eine plutokratische Einrichtung sei, Beyerle (Württemberg), daß sonst das Ansehen der Justiz außerordentlich leiden würde. 5. Wiederaufnahme des Verfahrens: Das RJM schlug vor, § 359 Nr. 1, 2 und 5 Satz 2 sowie § 364 zu streichen und eine dem § 21 der Wuchergerichtsordnung von 1923 entsprechende Bestimmung aufzunehmen. Das Verfahren sollte öffentlich sein auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder eines Angehörigen des Verstorbenen und auch dann zulässig sein, wenn eine andere Strafe zu erwarten war. In der Aussprache fand sich nur eine Mehrheit für den Wegfall des § 359 Nr. 5 Satz 2 und des § 371. Die Streichung der Nr. 1 und 2 des § 359 würde, so die Mehrheit, zu einer Verschlechterung der Stellung des Angeklagten, die Streichung des § 364 zu einer ungeheuren Vermehrung der Wiederaufnahmegründe führen. Der Vorschlag von Hafner (Baden), die höhere Instanz für die Entscheidung des Wiederaufnahmeantrags zu bestimmen, wurde abgelehnt. Gürtner faßte die wohl vorherrschende Meinung dahin zusammen, daß im wesentlichen am geltenden Recht festzuhalten sei. - 6. Bestrafung von Jugendlichen: Hier ging es um die Frage, ob man das Alter für die absolute Strafmündigkeit auf 16 Jahre, wie teilweise im Rechtspflegeausschuß des Reichstags gewünscht worden war, heraufsetzen sollte und ob man für die sog. Jungmänner (18-20/21 Jahre) besondere Vorschriften vorsehen sollte (Verurteilung durch das Jugendgericht; keine Todes- und Zuchthausstrafe; keine Sicherungsverwahrung, kein Arbeitshaus). Die Mehrheit lehnte eine Abschwächung der Strafen für die Jungmänner ab. Nach Nöldeke sollten die Strafverfahren grundsätzlich vor die Erwachsenengerichte kommen, da die Jugendgerichte seiner Erfahrung nach zu milde seien. Das RJM trat demgegenüber dafür ein, daß für Jungmänner ein möglichst großer Spielraum bestehen sollte. Die Möglichkeit, eine zeitige Zuchthausstrafe zu verhängen, sollte nicht aufgegeben werden, erwogen werden sollte nach Ansicht von Koch-Weser eine Erhöhung der Strafmündigkeit auf 15 Jahre. - 7. Auskunft aus dem Strafregister usw.: Für das RJM schlug Leopold Schäfer eine Verkürzung der Fristen für die beschränkte Auskunft und die Tilgung von Strafen vor. Während die meisten Teilnehmer dem folgten, sprach sich Gürtner gegen eine automatische Tilgung von Zuchthausstrafen und eine Verkürzung der Tilgungsfristen aus; sämtliche Geldstrafen sollten in das Strafregister eingetragen werden. Dagegen lehnte Gürtner eine Einschränkung der Auskunft aus dem Register nicht ab. - 8. Über die Neugestaltung des Ehrenschutzes bestanden nach Meinung von Koffka bis jetzt noch unüberwindbare Schwierigkeiten. Am 22.1.1929 wurde der EG-Entwurf zunächst noch ohne Denkschrift an die Länder übersandt50 und nach der Verabschiedung durch das Reichskabinett am 50
Enthalten in der Akte des BA Berlin-Lichterfelde, 3 0 . 0 1 , Nr. 5 8 5 2 und in der Bibliothek des Jur. Seminars der Univ. Kiel (Ges. III 17).
XVII
11.4.1929 im Reichsrat mit einer umfangreichen Denkschrift eingebracht. 51 Den größten Teil des Entwurfs nahmen die durch den StGB-Entwurf bedingten Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, der StPO, des J G G und weiterer strafprozessualer Ergänzungsgesetze ein. Darüber hinaus enthält der Entwurf Neuerungen, die über eine bloße Anpassung hinausgingen. Der bisherige Kreis der Vergehen wurde zugunsten der Übertretungen wesentlich eingeschränkt, 52 indem er - mit gewissen Ausnahmen - „alle Vergehen des Nebenstrafrechts, bei denen bisher nur Gefängnis von höchstens drei Monaten wahlweise neben Geldstrafe angedroht ist, unter Wegfall der Freiheitsstrafe zu Übertretungen macht". Ferner grenzte der Entwurf die kriminellen Strafen von den nichtkriminellen Strafen schon durch ihre grundsätzlich verschiedene Bezeichnung schärfer ab. Weitere wichtige Neuerungen brachte der Entwurf für die Reichsabgabenordnung, das Gesetz über die Schiffahrtsabgaben und das Postgesetz. Der 2. Titel des 2. Abschnitts umfaßte mit den Art. 66 - 73 knapp die Hälfte des Entwurfs (Änderungen des GVG, der StPO usw.). Eine Gesamtreform des GVG und der StPO wurde zum damaligen Zeitpunkt abgelehnt. Für das GVG waren bedeutsam: Einfügung der §§ 171 a, 174 a über den Ausschluß der Öffentlichkeit, Übernahme des § 1 3 8 StGB, 53 erhebliche Einschränkung der Zuständigkeit des Einzelrichters, Erhöhung der Zahl der Richter für die OLG-Senate auf fünf, für die RG-Senate auf sieben Richter (beides vom Reichsrat abgelehnt), Wegfall der Bestimmung, wonach ein Mitglied des Landgerichts den Vorsitz in der Kleinen Strafkammer führen konnte, größere Gewähr der Rechtseinheit (§ 122 a). - In die Strafprozeßordnung kamen aus dem StGB, das im Interesse der Rechtseinheit mit Osterreich von prozessualen Normen freigehalten werden sollte, Bestimmungen über den Strafantrag (§§ 157 b ff.), die Beschlagnahme des Vermögens bei Hoch- und Landesverrat (§ 431), die Aussetzung des Verfahrens bei falscher Anschuldigung und Beleidigung (§ 162 a) und Verfolgung von Auslandstaten (§§ 154 c-g). Entfallen sollten die §§ 188, 231 StGB über die Zuerkennung einer Buße an den Verletzten mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs im Strafverfahren durch den Verletzten (§§ 403 ff. StPO n.F.). Die §§ 449-463 StPO a.F. über die Strafvollstreckung sind in den Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes übernommen worden. Eine weitere Gruppe der Änderungen betraf die Anpassung der StPO an die Änderungen des materiellen Strafrechts: Erweiterung des richterlichen Ermessens bei der Strafbemessung und der Anordnung der Maßregeln der Besserung und Sicherung. Hiernach waren zunächst Vorschriften aufzustellen, 54 durch die „nach Möglichkeit sichergestellt wird, daß das Gericht die zur Beurteilung der Persönlichkeit des Täters erforderlichen Unterlagen erhält und sie bei seiner Entscheidung auch wirklich im Geiste der neuen Grundgedanken des materiellen Rechts verwertet". Daneben müsse der „Erweiterung der Befugnisse des Gerichts, das künftig unter Umständen sogar den lebenslangen Ausschluß des Täters aus der menschlichen Gemeinschaft aussprechen kann, eine Verstärkung des Schutzes des Angeklagten gegenüber etwaigen Fehlgriffen des Gerichts entsprechen". Der Beklagte müsse in der Lage sein, sich nicht nur gegen den Tatverdacht zu verteidigen, „sondern er muß auch in allen die Strafbemessung betreffenden Fragen seine Verteidigung sachgemäß vorbereiten können und demgemäß über die hierfür in Betracht kommenden Tatsachen rechtzeitig unterrichtet werden (vgl. § 200)". Die Änderungen, die der Entwurf unter diesem Gesichtspunkt brachte,
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Drucksache N r . 45 des Reichsrats von 1929. S. 3 f. der Begründung zur RRVorl. Vorbringen von unwahren Tatsachen zur Entschuldigung von Schöffen usw. (vgl. Art. 6 6 Nr. 9 = § 56 GVG). S. 3 4 der Begründung zur RRVorl.
XVIII
verteilten sich über nahezu sämtliche Abschnitte der StPO: 55 „Bereits im Vorverfahren muß eine möglichst genaue Erforschung der Persönlichkeit des Täters stattfinden, damit die Entscheidung über die Strafbemessung ausreichend vorbereitet ist (vgl. §§ 160 und 190, 80 a). In Fällen, in denen erfahrungsgemäß die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters besondere Schwierigkeiten macht, soll grundsätzlich Voruntersuchung geführt werden (§ 178 Abs. 3)". Auf „Maßregeln" durfte nicht der Einzelrichter, sondern nur das erweiterte Schöffengericht befinden. Für die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt war die Anhörung eines Sachverständigen in der Hauptverhandlung erforderlich (§ 244 Abs. 2 S. 2 des Entwurfs). Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Strafbemessung wurden nicht nur die Bestimmungen über den Inhalt der Anklageschrift erweitert (§ 200), sondern es erschien auch eine eingehendere Urteilsbegründung als nach geltendem Recht erforderlich ($ 267 e). Besonderes Gewicht wurde auf die Erweiterung der notwendigen Verteidigung (§ 140 Abs. 3) und auf die Gewährleistung einer angemessenen Verteidigung gelegt, soweit dies erforderlich erschien (§ 141 S. 2). Die Stellung der Einziehungsbeteiligten wurde im Hinblick auf die erhöhte Bedeutung der Einziehung im Strafrecht gestärkt. Dasselbe galt für diejenigen, die die öffentliche Bekanntmachung einer Verurteilung beantragen konnten. Eine weitere Gruppe von Änderungen betraf die Anpassung des Prozeßrechts an den Wegfall des Unterschiedes zwischen Real- und Idealkonkurrenz. Weitgehend von der Strafrechtsreform unabhängige Änderungen betrafen: die Erweiterung der Befugnis und damit auch der Pflicht der Staatsanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren selbst in die Hand zu nehmen, den Wegfall des besonderen Eröffnungsbeschlusses und die Verbesserung der Beweisaufnahme (erschöpfende Regelung der Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrags und Verminderung der Eidesleistungen). Der Eid sollte beim Sachverständigen stets, beim Zeugen in der Regel durch eine mit Strafdrohung geschützte Versicherung unter Berufung auf die Pflicht zur Wahrheit ersetzt werden. Außerdem wurden die Fälle, in denen von einer strafrechtlich gesicherten Bekräftigung von Aussagen ganz abgesehen werden mußte oder durfte, wesentlich vermehrt. Gegen Urteile des Amtsgerichts sollte die Berufung oder die Sprungrevision als auch teilweise nur die Revision zulässig sein, wobei sich der Beschwerdeführer zunächst noch nicht festzulegen brauchte. Die Anfechtung von Urteilen der Amts-, Land- und Schwurgerichte war in bestimmten Fällen nur mit der sofortigen Beschwerde möglich (§ 305 a). Nach Ziff. 187 konnte das Revisionsgericht die einwöchige Revisionsbegründungsfrist bis auf einen Monat verlängern. In Ziff. 190 war vorgesehen, daß nicht nur das Reichsgericht, sondern alle Revisionsgerichte eine offensichtlich unbegründete Revision als unzulässig zurückweisen durften. Mit zwei weiteren Ergänzungen wurden die Grundlagen für die Revisionen erweitert (Nr. 146, 145 a). Die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten wurde erleichtert. Insbesondere waren alle Richter, die im ursprünglichen Strafverfahren mitgewirkt hatten, von allen Entscheidungen im neuen Verfahren kraft Gesetzes ausgeschlossen (§ 23 Abs. 2). - Zugunsten des Verurteilten wurde auch die Wiederaufnahme bei einer Verurteilung durch Strafbefehl ermöglicht. Eines der Hauptziele des Entwurfs war die Stärkung der Rechtsstellung des Beschuldigten. Hierzu gehörten eine genauere Regelung der Stellung des Festgenommenen ( S § 128-130 des StPO-Entwurfs), die Einschränkung der Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und eingehendere Vorschriften über den Vollzug dieser Haft, durch die für den Verpflichteten eine feste Grundlage geschaffen wurde ( S S 132-132 w). Vorstrafen des Angeklagten sollten in der Hauptverhandlung nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung waren. Die 5S
S. 34 der Begründung zur RRVorl.
XIX
§§ 403 ff. sollten die Stellung des Verletzten durch Einführung des sog. Adhäsionsprozesses stärken. Ziel des Entwurfs war insoweit eine „schnelle Befriedigung des Gläubigers, Ersparung vermeidbarer Zivilprozesse und hiermit Ersparnis an Richterkräften". 56 Völlig neu geordnet wurde mit erheblichen Umstellungen und Vereinfachungen der Abschnitt über das Verfahren gegen Abwesende. § 418 a brachte eine reichsrechtliche Grundlage für ein in einzelnen Ländern bereits eingeführtes vereinfachtes Verfahren beim Erlaß polizeilicher Strafverfügungen. Für das Jugendgerichtsgesetz war vorgesehen, zwischen den Altersstufen der beschränkten und der unbeschränkten Strafmündigkeit noch eine Zwischenstufe einzuschalten für die 18-21jährigen, gegen die ausnahmsweise statt einer Strafe Erziehungsmaßregeln sollten verhängt werden dürfen. - Größere Änderungen brachte der Entwurf für das Straftilgungsgesetz·. Die Fristen für die beschränkte Auskunft aus dem Strafregister wurden je nach der Höhe der erkannten Strafe um ein Jahr bis vier Jahre, für die Tilgung um vier bis acht Jahre verkürzt. Am bedeutsamsten war die Neuerung, auch für zeitige Zuchthausstrafen feste Fristen vorzusehen. Bisher war der Eintritt der beschränkten Auskunft und der Tilgung des Strafvermerks bei Zuchthausstrafen von einer Einzelanordnung abhängig. Bei Verurteilungen auf Bewährung sollte die beschränkte Auskunft dann sofort eintreten, wenn die Strafe ganz erlassen war. Der Entwurf wurde am 25.4.1929 den Vereinigten Ausschüssen VII, III und V überwiesen,57 die am 2.7.1929 einen Unterausschuß einsetzten. In diesem Ausschuß waren Preußen, Sachsen, Bayern, Württemberg und Baden vertreten. Beratungen des Unterausschusses fanden statt vom 1.-9.11.1929, vom 6.-14.12.1929 und in zweiter Lesung vom 22.-25.1.1930. 5 8 Die für die endgültige Fassung der Vorlage entscheidenden Sitzungen erfolgten vom 20.-25. März 1930 und in zweiter Lesung am 11.4.1930. Das Plenum des Reichsrats verabschiedete die Vorlage am 14.4.1930. 5 9 Für das GVG sind u.a. folgende Beschlüsse bedeutsam: Wiederholte Ablehnung des badischen Antrags, für Monstreprozesse eine neue Instanz (große Strafkammer) zu schaffen.60 Ein Antrag, in § 26 Abs. 2 die zu erwartende, vom Amtsrichter zu verhängende Strafe auf ein Jahr zu erhöhen, wurde abgelehnt. Abgelehnt wurden auch (z.T. wiederholte) Anträge auf Beseitigung der Kleinen Schöffengerichte und der Kleinen Strafkammer sowie der Antrag auf Zuziehung eines zweiten Richters. Die Wahlperiode für die Laienrichter wurde auf zwei Jahre erhöht. Zu § 62 wurde der Antrag abgelehnt, die Möglichkeit beizubehalten, einem Mitglied des Landgerichts den Vorsitz zu übertragen. Dagegen fand der badische Antrag auf Beseitigung der landesgesetzlichen Zuständigkeit des Schwurgerichts in Pressesachen61 Zustimmung. Der Meineid wurde gegen Preußen im März 1930 wieder der schwurgerichtlichen Zuständigkeit unterworfen. Von den zahlreichen Beschlüssen zur StPO seien folgende hervorgehoben: Die Bestimmungen über die Bekräftigung (Art. 67 Nr. 26) wurden im wesentlichen 56 57
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S. 3 7 der Begründung zur RRVorl. Niederschriften über die Vollsitzungen des Reichsrats 1929, S. 116 ( § 1 7 0 m). Berichterstatter: Mannsfeld und als Mitberichterstatter Min.Dir. Hasse (Preußen). Hierzu die Badischen Berichte im Quellenteil. In den Akten des RJM finden sich keine Aufzeichnungen. Hierzu ebenfalls die badischen Berichte und das amtliche Protokoll über die Sitzung des Reichsratsplenums am 14.4.1930. Mitabgedruckt sind die im Unterausschuß beschlossenen Änderungen und die neuen Anträge, so daß genau ersichtlich ist, welche Veränderungen der Entwurf noch in der Schlußphase erfuhr. Unter Monstreprozessen waren Verfahren zu verstehen mit mindestens 21 Verhandlungstagen (in Preußen 1 9 2 9 in 7 OLG-Bezirken 26 Prozesse mit 785 Verhandlungstagen). Zur Entstehung der entsprechenden Regelung im Art. 6 EGGVG vgl. W. Schubert, Die deutsche Gerichtsverfassung (1869-1877). Entstehung und Quellen, Frankfurt a.M. 1981, S. 2 4 2 f.
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unverändert gelassen. Der Reichsrat beschloß jedoch einstimmig, daß die Beschlüsse des Strafrechtsausschusses des Reichstags zu den §§ 183 a - 191 des StGB-Entwurfs keine befriedigende Lösung der Eidesfrage darstellten. Er lehnte insbesondere eine Regelung ab, „die zwei verschiedene Bekräftigungsformen, den Eid und die Versicherung unter Berufung auf die Pflicht zur Wahrheit" für ein und dasselbe Verfahren nebeneinander zur Verfügung stellte. Den berechtigten Wünschen nach Einschränkung der Eide sollte auf andere Weise Rechnung getragen werden. Vorschläge wollte der Reichsrat erst unterbreiten, wenn die Fassung der SS 183 a ff. des StGB-Entwurfs feststünde. Wiederholte Anträge, den § 23 Abs. 2 des Entwurfs wieder zu streichen (Verbot der Mitwirkung früherer Richter im Wiederaufnahmeverfahren) wurden abgelehnt. - Auf badischen Antrag wurden Bestimmungen über die körperliche Untersuchung des Beschuldigten und anderer Personen aufgenommen ( § § 8 1 a- c), wodurch die bisher gegen die Zulässigkeit derartiger Maßnahmen bestehenden Zweifel beseitigt werden sollten. Die Bestimmungen über die Anordnung der Untersuchungshaft wurden in mehrfacher Hinsicht geändert (u.a. Ausdehnung der Haftvermutung des § 112 b allgemein auf Verbrechen; keine Verlängerung der Frist zur mündlichen Verhandlung auf 14 Tage). Der neue Abschnitt über den Vollzug der Untersuchungshaft (§§ 132 ff.) wurde aus dem Entwurf herausgenommen. Statt dessen war vorgesehen, diese Regelung einer mit Zustimmung des Reichsrats zu erlassenden Verordnung der Reichsregierung vorzubehalten. Ein vorläufiger Entwurf zu einer Verordnung über den Vollzug der Untersuchungshaft wurde der Reichstagsvorlage zum EG-Entwurf im Mai 1930 beigefügt (31 Bestimmungen).63 - Mit den Beschlüssen zu § 153 des StPO-Entwurfs wurde das Absehen von einer öffentlichen Klage gegenüber der Vorlage erweitert. - Wiederholt wurden die Anträge abgelehnt, die Voruntersuchung in allen amts- und schöffengerichtlichen Sachen auszuschließen. Gegen Sachsen und Preußen wurden die geltenden Bestimmungen über das Kreuzverhör beibehalten (damit Zurückweisung der Vorschläge des Entwurfs Art. 67 Nr. 130). - Auf preußischen Antrag wurde § 275 b (strafprozessualer Vergleich) aufgenommen. - Die Möglichkeit der Anfechtung eines Urteils durch sofortige Beschwerde wurde zurückgewiesen; statt dessen sollte die Möglichkeit bestehen, bei Nebenpunkten ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. - Die wahlweise Zulassung von Berufung und Revision wurde zurückgewiesen. Die neu beschlossenen §§ 402 a ff. über den Feststellungsantrag bei übler Nachrede gingen auf eine Initiative Badens zurück. Bei den Beratungen der Änderungen des JGG war die strafprozessuale Stellung der Jungmänner (18-21 Jahre) sehr kontrovers. Zunächst wurde beschlossen (entgegen dem Entwurf), das Jugendgericht in Strafsachen dieser Altersgruppe ganz auszuschließen. Von den Vereinigten Ausschüssen wurde jedoch die ursprüngliche Fassung (Art. 69 Nr. 26 RTVorl.) wiederhergestellt. Auf Antrag der Reichsregierung wurde als § 9 a die Möglichkeit einer unbestimmten Verurteilung geschaffen. Das Absehen von Strafe sollte allgemein nur erfolgen dürfen, wenn gleichzeitig die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt angeordnet wurde. Für das BGB ist bedeutsam, daß die §§ 104 Nr. 2, 138 Abs. 2 und 127 BGB an die entsprechenden strafrechtlichen Bestimmungen angepaßt werden sollten. Mit dem Wegfall der Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie sollte auch das bürgerlichrechtliche Eheverbot in § 1310 Abs. 1 BGB wegfallen (dagegen Bayern und Baden). - Nach einem Antrag der Reichsregierung in der 2. Lesung des Unterausschusses sollten entsprechend den Wünschen des Strafrechtsaus62
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Zu den Verhandlungen im Reichstag Th. Vormbaum, Eid, Meineid Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870, Berlin 1990, S. 101 ff. Unten S. 724 ff.
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und
Falschaussage.
schusses des Reichstags die landesrechtlichen Strafvorschriften gegen das Konkubinat entfallen. Dieser Antrag wurde zunächst gegen Preußen und Sachsen abgelehnt, von den Vereinigten Ausschüssen jedoch gegen die Stimmen von Bayern, Württemberg, Baden und Mecklenburg angenommen. Ein Versuch Bayerns und Badens, den Beschluß (vgl. Art. 192 RTVorl.) im Plenum des Reichsrats zu Fall zu bringen, wurde am 11.4.1930 zurückgewiesen. - Bei Verletzung von Immaterialgüterrechten (Art. 93 ff.) wurde die Möglichkeit des Ersatzes des immateriellen Schadens geschaffen. - Endlich sei noch erwähnt, daß die besonderen Untreuetatbestände des HGB (Aktienrecht), des GmbHund des Genossenschafts-Gesetzes wiederhergestellt wurden (vgl. Art. 99 ff. RRVorl. gegenüber Art. 104 RTVorl.). Der vom Reichsrat am 14.4.1930 verabschiedete EG-Entwurf wurde nach Überarbeitung der Begründung unter dem 20.5.1930 im Reichstag eingebracht (hier am 30.5.1930 verteilt).64 Er umfaßte nunmehr statt 202 Artikel 218 Bestimmungen. Eine Beratung sollte erst nach Abschluß der Arbeiten am materiellen Strafrecht erfolgen, zu dem es nach dem Tod von Wilhelm Kahl, des Vorsitzenden des Strafrechtsausschusses des Reichstags, bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nicht mehr kam.
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Im vorliegenden Quellenteil ohne Begründung abgedruckt.
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Entwurf eines Strafvollzugsgesetzeses I. Reichsratsvorlage vom 13.1.1927 mit Begründung und Anlagen I - III
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