Quantitatives Credit-Rating unter Einbeziehung qualitativer Merkmale: Entwicklung eines Modells zur Ergänzung der Diskriminanzanalyse durch regelbasierte Einbeziehung qualitativer Merkmale [2 ed.] 9783896441393, 9783896731395

Das mathematisch-statistische, quantitative Credit-Rating stützt sich vor allem auf Jahresabschlusskennzahlen. Zusätzlic

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German Pages 368 [369] Year 2002

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Quantitatives Credit-Rating unter Einbeziehung qualitativer Merkmale: Entwicklung eines Modells zur Ergänzung der Diskriminanzanalyse durch regelbasierte Einbeziehung qualitativer Merkmale [2 ed.]
 9783896441393, 9783896731395

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Quantitatives Credit-Rating unter Einbeziehung qualitativer Merkmale

Schriftenreihe Finanzmanagement Herausgeber:

Prof. Dr. Reinhold Hölscher

Band 5

Judith Eigermann

Quantitatives Credit-Rating unter Einbeziehung qualitativer Merkmale Entwicklung eines Modells zur Ergänzung der Diskriminanz­ analyse durch regelbasierte Einbeziehung qualitativer Merkmale

2. Auflage

Verlag Wissenschaft & Praxis

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Eigermann, Judith : Quantitatives Credit-Rating unter Einbeziehung qualitativer Merkmale. Entwicklung eines Modells zur Ergänzung der Diskriminanzanalyse durch regelbasierte Einbeziehung qualitativer Merkmale / Judith Eigermann. 2. Aufl. - Sternenfels : Verl. Wiss, und Praxis, 2002 (Schriftenreihe Finanzmanagement; Bd. 5) Zugl.: Kaiserslautern, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-89673-139-4

D386 ISBN 3-89673-139-4

© Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2002 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094

Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbe­ sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Geleitwort

5

Geleitwort Das standardisierte Firmenkundengeschäft der Banken ist geprägt durch kleine und mittlere Unternehmen. Grundsätzlich erfolgt die Bonitätsbeurteilung für diese Unternehmen in einem stark formalisierten Prozeß, oft unter partieller Verwendung mathematisch-statistischer Analyseverfahren. Dieses mathema­ tisch-statistische, quantitative Credit-Rating stützt sich vor allem auf Jahresab­ schlußkennzahlen. In einer auf Zahlen der Bilanz und Gewinn- und Verlustrech­ nung basierenden Kreditwürdigkeitsprüfung kann jedoch nur ein Teil der zur Verfügung stehenden Informationen ausgewertet werden. Vielfältige Wahlrechte schränken die Aussagefahigkeit der Jahresabschlußkennzahlen zudem ein. Zusätzliche, über die Jahresabschlußkennzahlen hinausgehende „weiche“ Merk­ male wurden bislang kaum in ein quantitatives Credit-Rating einbezogen, ob­ wohl es in vielen Fällen gerade qualitative Merkmale sind, die kritische Ent­ wicklungen eines Kreditengagements signalisieren. Hier setzt nun die vorliegen­ de Arbeit an. Lag der Schwerpunkt der Forschungsarbeiten im Bereich der Kre­ ditwürdigkeitsprüfung bislang bei der quantitativen Jahresabschlußanalyse, so wird in der vorliegenden Arbeit ein Beurteilungsverfahren entwickelt, das in der Lage ist, neben quantitativen auch qualitative Faktoren systematisch zu erfassen, einheitlich zu bewerten und zu einem objektiven und nachvollziehbaren Rating­ urteil zu verdichten.

Zu diesem Zweck systematisiert die Verfasserin zunächst die für ein quantitati­ ves Credit-Rating notwendigen Informationen. Anschließend werden in Form einer Bestandsaufnahme sowohl bankbetriebliche Ratingsysteme als auch Studi­ en der empirischen Krisenforschung im Hinblick auf die Einbeziehung qualitati­ ver Merkmale analysiert. Mit Hilfe der daraus gewonnenen Erkenntnisse entwikkelt die Autorin dann unter Verwendung von realen Untemehmensdatensätzen ein quantitatives Ratingmodell mit qualitativen Merkmalen, welches zuvor auf­ gestellten Anforderungen (z. B. Objektivität, Nachvollziehbarkeit) entspricht. Das Ergebnis zeigt, daß die Einbeziehung der verwendeten qualitativen Merk­ male zu einem zutreffenderen Ratingurteil führt. Die Verfasserin hat einen höchst aktuellen Problemkreis bearbeitet. Denn neben der Tatsache, daß die Beurteilung des Kreditrisikos seit jeher die zentrale Aufga­ be der Kreditwirtschaft ist, erlangt die Verbesserung quantitativer CreditRatingverfahren zusätzliche Bedeutung durch die in Basel geführte Diskussion um die aufsichtsrechtliche Anerkennung externer und interner Ratingsysteme. Die Verfasserin hat mit ihren theoretischen Untersuchungen und Schlußfolge­ rungen, die sie anschließend empirisch verifizierte, die aktuelle Ratingdiskussion

6

Geleitwort

um neue, vielversprechende Ansätze bereichert. Ich wünsche daher der vorlie­ genden Schrift, daß sie sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis auf reges Interesse stößt.

Kaiserlautem, im Januar 2001

Prof. Dr. Reinhold Hölscher

Vorwort

7

Vorwort zur 2. Auflage Nachdem die erste Auflage innerhalb kurzer Zeit vergriffen ist, erscheint die zweite Auflage nur einige Monate später. Durch die gebliebene Aktualität konnte ich mich darauf beschränken, den gesamten Text kritisch durchzusehen, Tipp­ fehler zu korrigieren und Literaturhinweise zu aktualisieren.

Frankfurt, im November 2001

Dr. Judith Eigermann

Vorwort zur 1. Auflage Die vorliegende Arbeit behandelt einen „Dauerbrenner“ der Finanzwirtschaft, nämlich wie in geeigneter Weise das Kreditrisiko zutreffend bestimmt werden kann. Darüber hinaus erlangt die Aufgabenstellung zusätzliche Bedeutung über die im Rahmen von Basel II geführte Diskussion zur bankaufsichtlichen Aner­ kennung externer und interner Ratings.

Das Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, wie qualitative Merkmale, die bislang mehr oder weniger intuitiv bei einem Rating berücksichtigt werden, nun systematisch erfaßt, einheitlich bewertet und zusammen mit den quantitativen „klassischen“ Jahresabschlußkennzahlen zu einem objektiven und nachvollziehbaren Rating­ urteil verdichtet werden können. Die vorliegende Arbeit wurde durch Erkennt­ nisse bereichert, die ich aus einem Forschungsvorhaben im Bereich der Bonitäts­ analyse bei der Deutschen Bundesbank gewonnen habe. Die Arbeit wurde im Oktober 2000 vom Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Uni­ versität Kaiserslautern als betriebswirtschaftliche Dissertation angenommen. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei allen, die zum Erfolg der Arbeit beitragen haben. Zunächst richtet sich mein Dank an meinen geschätzten akade­ mischen Lehrer, Herm Prof. Dr. Reinhold Hölscher, der durch seine zahlreichen konstruktiven Anregungen und Verbesserungsvorschläge die Arbeit in einem hohen Maße gefordert und geformt hat. Herm Prof. Dr. Hans Corsten danke ich für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens.

Darüber hinaus richtet sich mein Dank an den Vizepräsidenten a. D. der Deut­ schen Bundesbank, Herm Johann Wilhelm Gaddum und die Herren Alf Mainert, Werner Nimmerrichter und Martin Faßbender, die es mir unter anderem ermög­ lichten, daß ich die gewonnenen theoretischen Erkenntnisse empirisch verifizie­ ren konnte.

8

Vorwort

Meinem engen Kollegen, Herm Dr. Stefan Blochwitz danke ich für seine aus­ dauernde Diskussionsbereitschaft, insbesondere was die mathematischen Aspekte der Arbeit betrifft. Bei Herm Edgar Brandt, Frau Anneliese Bruchhäuser und Frau Ulrike Haas möchte ich mich für die gründliche Durchsicht des Textes und die vorgeschlagenen sprachlichen Verbesserungen bedanken.

Schließlich möchte ich mich bei meinen Eltern bedanken, die die Grundlage für alles schufen und mich stets unterstützten. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet.

Frankfurt, im Januar 2001

Dr. Judith Eigermann

Inhaltsverzeichnis

9

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis

15

T abellenverzeichnis

17

Abkürzungsverzeichnis

19

Symbolverzeichnis

22

23

Einleitung 1. Teil: Informationen als Ausgangsbasis für ein Credit-Rating 29 A. Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings I.

29

Charakterisierung des quantitativen Credit-Ratings

29

II. Vom Credit-Rating zu bankintemen Kreditrisiko­ modellen

33

III. Bedeutung des Credit-Ratings für die zukünftige bankaufsichtliche Kreditrisikomessung

42

B. Informationsbedarf für ein quantitatives Rating

46

Die Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen

46

I.

1. Ziele der Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen 46 2. Vorgehens weise zur Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen 49 3. Probleme bei der Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen 51

II. Identifikation bonitätsrelevanter quantitativer Merkmale 55 1. Charakterisierung quantitativer Merkmale 2. Logisch-deduktive Bestimmung aussagefähiger Jahresabschlußkennzahlen 3. Empirisch-induktive Bestimmung bonitätsrelevanter Jahresabschlußkennzahlen

55

57

60

Inhaltsverzeichnis

10

III. Identifikation bonitätsrelevanter qualitativer Merkmale 64 1. Charakterisierung qualitativer Merkmale 2. Bestimmung qualitativer Bonitätsmerkmale im Rahmen der empirischen Krisenforschung 3. Bestimmung qualitativer Bonitätsmerkmale auf Basis theoretischer betriebswirtschaftlicher Analysen

64 67

72

C. Informationsnutzung beim quantitativen Rating I.

79

Quantitatives Rating im Firmenkreditgeschäft

79

II. Defizite bei der Nutzung des quantitativen Ratings

83

1. Defizit der einseitigen Ausrichtung auf Bilanzkennzahlen 2. Defizit der subjektiven Berücksichtigung qualitativer Merkmale

83

III. Ansatzpunkt für eine Verbesserung und Schlußfolgerung

86

89

1. Objektivierte Berücksichtigung qualitativer Merkmale 2. Identifikation geeigneter qualitativer Merkmale

89 91

2. Teil: Analyse von bankbetrieblichen Rating­ systemen und der empirischen Insolvenzfor­ schung im Hinblick auf die Einbeziehung qualitativer Merkmale 95

A. Überblick über die Ratingsysteme der bank­ betrieblichen Praxis I.

95

Ratingsysteme ausgewählter Kreditbanken

95

1. Das FK-Rating der Dresdner Bank 2. Das Ratingsystem der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG „Crebon“ 3. Das wissensbasierte System der Commerzbank „Codex“

96

101 104

Inhaltsverzeichnis

11

108

II. Von Verbänden entwickelte Ratingsysteme 1. Das Ratingsystem des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) 2. Das Ratingsystem des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (B VR)

108 115

III. Kritische Würdigung der bankbetrieblichen Praxis

123

1. Ermittlung und Auswahl qualitativer Informationen 2. Bewertung qualitativer Informationen 3. Verknüpfung der Informationen zu einem Ratingurteil

123 127 129

B. Verarbeitung qualitativer Merkmale in der empirischen Insolvenzforschung I.

135

Untersuchungen zur Einbeziehung qualitativer Merkmale in statistische Verfahren 1. Grundlagen statistischer Verfahren 2. Die lineare Diskriminanzanalyse mit quantitativen und qualitativen Merkmalen 3. Logistische Regression mit quantitativen und qualitativen Merkmalen

135 135 139

145

II. Untersuchungen zur Einbeziehung qualitativer Merkmale in Verfahren der KünstlichenIntelligenz 147 1. Grundlagen der Verfahren der Künstlichen Intelligenz 2. Neuronale Netze mit quantitativen und qualitativen Merkmalen 3. Fuzzy-System mit quantitativen und qualitativen Merkmalen

III. Kritische Würdigung der vorgestellten Untersuchungen 1. Verwendeter Stichprobenumfang 2. Einbeziehung qualitativer Merkmale 3. Nachvollziehbarkeit der Kreditentscheidung

147 152 159

163 163 167 170

Inhaltsverzeichnis

12

C. Folgerungen für die Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells I.

177

Modularer Modellaufbau

177

1. Ausgangspunkt: Unbefriedigende Trennschärfe mathematisch-statistischer Verfahren 2. Vertikale versus horizontale Modularität 3. Leistungskriterien zur Modellbeurteilung

177 180 184

II. Auswahl geeigneter formalisierter Verfahren in einem modularen Ratingmodell

186 186 188 196

1. Adäquate Informationsverarbeitung 2. Kennzahlenmodul: Statistisches Verfahren 3. Qualitatives Modul: Wissensbasiertes Fuzzy-System

III. Methodische Verknüpfung quantitativer und qualitativer Merkmale

202

1. Konzept der Regelgenerierung 2. Beurteilungskriterien für generierte Regeln

203 205

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Rating­ modells mit qualitativen Merkmalen209

A. Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse versus Neuronales Netz zur Kennzahlenanalyse 209 I.

Die in die Analyse einbezogenen Unternehmen und der verwendete Kennzahlenkatalog 209 1. Auswahl des Untemehmenskreises 2. Datenstrukturanalyse 3. Aufbereitung der verwendeten Kennzahlen

209 211 215

13

Inhaltsverzeichnis

II. Auswertung der Kennzahlenbasis mit linearer Diskrimi­ nanzanalyse und Vergleich mit Neuronalem Netz 219 1. Erhebung der Daten und Formulierung der Diskriminanz­ funktion 220 2. Schätzung der Diskriminanzkoeffizienten in der Diskriminanzfunktion 225 3. Klassifikationsleistung der geschätzten Diskriminanzfunktion 230 4. Vergleichende Auswertung der Kennzahlenbasis mit Neuronalem Netz 233

B. Entwicklung eines Konzeptes zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten I.

239

Ziele und Instrumente der Bilanzpolitik

239

1. Ziele der Bilanzpolitik 2. Bilanzierungs wahlrechte im deutschen Bilanzrecht 3. Ermessensspielräume und bilanzverändemde Sachverhaltsgestaltung

239 243 246

II. Der Jahresabschluß als Informationsgrundlage für die qualitative Bilanzanalyse 249 1. Ziele und Arbeitshypothesen der qualitativen Bilanzanalyse 249 2. Die Bedeutung einzelner Jahresabschlußkomponenten für die qualitative Bilanzanalyse 255 3. Externe Zugänglichkeit der Rechnungslegungsangaben 259

III. Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten 1. Erkenntniswert bilanzpolitischer Instrumente für die qualitative Bilanzanalyse 2. Vorgehens weise zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungs verhalten 3. Grenzen in der Ermittlung eines aussagefähigen Bilanzierungsverhaltens

263 263 265

269

Inhaltsverzeichnis

14

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur regelbasierten Einbeziehung qualitativer Merkmale I.

273

Der qualitative Kriterienkatalog für die untersuchten Unternehmen 273 1. Für die Ermittlung des Bilanzierungsverhaltens aussagekräftige Einzelmerkmale 273 2. Verdichtung der Einzelmerkmale zum Bilanzierungsverhalten und Bestimmung qualitativer Veränderungsgrößen 285 3. Bestimmung von Zugehörigkeitsfunktionen für die betrachteten qualitativen Merkmale 289

II. Das Regelwissen als methodische Verknüpfung zwischen quantitativen und qualitativen Merkmalen 1. Bestimmung der syntaktischen Regelstruktur 2. Statistisch fundierte Regelgenerierung und -bewertung 3. Überprüfung der Regeln durch Experten

III. Verarbeitung des vorhandenen Wissens mittels Fuzzy-Logik 1. Regelbasierte Klassifizierung durch Inferenzen 2. Defuzzifizierung 3. Ergebnisse

295 295 297 300

303 303 310 313

Zusammenfassende Würdigung und Ausblick

324

Anhang

327

Anhang 1: Bilanzauswertungsbogen der Deutschen Bundesbank

327

Anhang 2: Auflistung aller generierten Regeln

330

Literaturverzeichnis

351

A bbildungsverzeichnis

15

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Insolvenzen deutscher Unternehmen von 1992-1998 25 Abbildung 2: Kreditrisikoquantifizierung 34 Abbildung 3: Optionspreistheoretischer Ansatz zur Bestimmung von Ausfallwahrscheinlichkeiten 36 Abbildung 4: Entwicklungsphasen einer Untemehmenskrise 48 Abbildung 5: Das DuPont-Kennzahlensystem 58 Abbildung 6: Qualitative und quantitative Merkmale 67 Abbildung 7: Portfolio-Matrix der Boston Consulting Group 74 Abbildung 8: Kreditvergabeprozeß im Firmenkreditgeschäft und Einbindung des qualitativen und quantitativen Ratings in diesen Prozeß 80 Abbildung 9: Informationsquellen bei der Kreditvergabe 84 Abbildung 10: Einflußfaktoren auf das Entscheidungsverhalten des Sachbearbeiters 88 Abbildung 11: Bonitätskriterien des FK-Rating 97 Abbildung 12: Bausteine des Bonitätsanalysesystems „Crebon“ 104 Abbildung 13: Indikatoren zur Codex-Potentialanalyse 106 Abbildung 14: Wichtige Codex-Bonitätsmerkmale zum Untemehmensmanagement 107 Abbildung 15: Systematik der Merkmalsbewertung 107 Abbildung 16: Überblick über das vom DSGV entwickelte Ratingsystem für Firmenkunden 109 Abbildung 17: Aufbau des BVR-Credit-Ratings 117 Abbildung 18: Prinzip einer linearen Diskriminanzanalyse mit zwei Merkmalen 136 Abbildung 19: Logistische Regression mit modellierter Gruppenzu­ gehörigkeit zur Gruppe n, 137 Abbildung 20: Schema eines Entscheidungsbaums 138 Abbildung 21: Qualitativer Deckungsgrad auf einer Skala von 0 bis 11 143 Abbildung 22: Mit der Lancaster Skalierung skalierte qualitative Kennzahl „Deckungsgrad“ 144 Abbildung 23: Modell eines Neuronalen Netzes 148 Abbildung 24: Informationsverarbeitung in einem Neuron 149 Abbildung 25: Hierarchisches Beurteilungsschema 160 Abbildung 26: Methode der sukzessiven Differenzierung 161 Abbildung 27: Innenleben eines Neuronalen Netzes 172

16

A bbildungsverzeichnis

Abbildung 28: Sicherheit der Klassifikation durch die Diskriminanzanalyse 177 Abbildung 29: Unterschiedliche Funktionsverläufe 179 Abbildung 30: Horizontal (links) und vertikal (rechts) modular aufgebautes Ratingmodell 181 Abbildung 31: Überblick über diskriminanzanalytischeVerfahren 189 Abbildung 32: Lineare (links) und quadratische (rechts) Klassifikationsregel bei einem Cut-Off-Point von 0 für ein eindimensionales Merkmal 193 Abbildung 33: Zugehörigkeitsfimktionen der linguistischen Variablen Veränderung Eigenkapitalrendite 199 Abbildung 34: Datenbasis, gegliedert nach dem Jahr der letzten verfügbaren Bilanz 212 Abbildung 35: Aufteilung der insolventen Unternehmen nach Zeitraum zwischen letztem verfügbaren Jahresabschluß und Insolvenzjahr 212 Abbildung 36: Datenbestand, gegliedert nach den Größenklassen von § 267 HGB 213 Abbildung 37: Datenbestand, gegliedert nach Rechtsformen 214 Abbildung 3 8: Insolvenzuntemehmen, gegliedert nach Wirtschaftszweigen 215 Abbildung 39: Grauzone bei der Verteilung der Diskriminanzwerte Z für solvente und insolvente Unternehmen 233 Abbildung 40: Überblick über Bilanzierungswahlrechte 243 Abbildung 41: Aufgabenfelder der qualitativen Bilanzanalyse 251 Abbildung 42: Bilanz I 253 Abbildung 43: Bilanz II 254 Abbildung 44: Jahresabschlußkomponenten 255 Abbildung 45: Entwurf einer Checkliste zur systematischen Erfassung des Bilanzierungs verhaltens 267 Abbildung 46: Zugehörigkeitsfunktionen der linguistischen Variablen Bilanzierungsverhalten 292 Abbildung 47: Zugehörigkeitsfunktionen der linguistischen Variablen Umsatzveränderung 293 Abbildung 48: Semantisch widersprüchliche (links) und semantisch wider­ spruchsfreie (rechts) Funktionsverläufe, beispielhaft darge­ stellt an der linguistischen Variablen Bilanzierungsverhalten 294 Abbildung 49: Zweistufiger Aufbau des quantitativen Credit-Ratingmodells 296 Abbildung 50: Ergebnis der Defuzzifizierung unter Verwendung von Drei­ ecksfunktionen (links) und Rechtecken (rechts) für das Beispieluntemehmen 310

Tabellenverze ichnis

17

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Bestimmungsfaktoren von Kreditrisikomodellen Tabelle 2: Vorgeschlagene neue Gewichtungssätze für NichtbankUntemehmen 43 Tabelle 3: Systematisierung qualitativer Krisenindikatoren nach ihrer Her­ kunft 69 Tabelle 4: Beispiel für strukturierte Fragen und mögliche Antworten zum Standort des Unternehmens 98 Tabelle 5: Beurteilung qualitativer Faktoren im FK-Rating und Zahlenzu­ ordnung 98 Tabelle 6: In MABILA errechnete Kennzahlen Tabelle 7: Kennzahlen in der neuen MAJA-Funktion Tabelle 8: Im Codexsystem verwendete Jahresabschlußkennzahlen Tabelle 9: DSGV-Fragebogen zur Beurteilung des Managements Tabelle 10: Die im DSGV-Rating verwendeten Jahresabschlußkennzahlen Tabelle 11: Kennzahlenbasis in GENO-FBS Tabelle 12: Kennzahlen für die Einzelscoringwerte in GENO-FBS Tabelle 13: Zusammenfassende Gegenüberstellung der betrachteten Ratingverfahren Tabelle 14: Bonitätsklassenermittlung Tabelle 15: Die neun zur Verfügung stehenden Index-Merkmale Tabelle 16: Ausgewählte Merkmale der Stufe 2 Tabelle 17: Ausgewählte Merkmale der Stufe 3 Tabelle 18: Ausgewählte Merkmale der Stufe 4 Tabelle 19: Stichprobenumfang der angeführten Studien Tabelle 20: Beispiel einer binären Kodierung für ein Merkmal mit drei Ausprägungen 168 Tabelle 21: Scorewerte und ihre Bedeutung für das Rating Tabelle 22: Die für Auswertungszwecke zur Verfügung stehenden quan­ titativen Merkmale, gegliedert nach Informationsbereichen Tabelle 23: Untersuchte Kennzahlenkombinationen Tabelle 24: Korrelationen der betrachteten Kennzahlen nach Pearson bei einem Signifikanzniveau von 0,01 222 Tabelle 25: Vergleich der kennzahlenspezifischen Mittelwerte, Standardab­ weichungen, Schiefe und Kurtosis in den einzelnen Gruppen Tabelle 26: Mit der Lemstichprobe ermittelte unstandardisierte Diskriminanzkoeffizienten 226

41

100 102 105 110 112 118 119 122 132 154 156 157 158 165

183

218 222

224

18

Tabellenverzeichnis

Tabelle 27: Mit der Teststichprobe ermittelte unstandardisierte Diskriminanzkoeffizienten 228 Tabelle 28: Relativer Trenneinfluß der einzelnen Kennzahlen in der Diskriminanzfunktion 229 Tabelle 29: Klassifikationsergebnisse mit DF der Lemstichprobe auf der Teststichprobe 231 Tabelle 30: Ergebnisse des Neuronalen Netzes Tabelle 31: Gesetzlich vorgeschriebene Angaben des Anhangs nach § 284 ff. HGB 258 Tabelle 32: Umfang der Rechnungslegung nach HGB Tabelle 33: Größenklassen von Kapitalgesellschaften Tabelle 34: Veröffentlichungs- und Prüfungspflichten für Kapitalgesell­ schaften 262 Tabelle 35: Checkliste zur systematischen Ermittlung des Bilanzierungs­ verhaltens 284 Tabelle 36: Ermittelte Urteilsabstufungen zum Bilanzierungsverhalten Tabelle 37: Ermittlung des Bilanzierungsverhaltens anhand ungewichteter Einzelmerkmale 288 Tabelle 38: Skala für die Bilanzierungsurteile Tabelle 39: Anzahl der generierten positiven Regeln Tabelle 40: Positive Regeln mit einem Responsefaktor von mindestens 10 Tabelle 41: Versuchsanordnungen Tabelle 42: Unterschiedliche Verknüpfungsoperatoren Tabelle 43: Beispiel für eine Implikation Tabelle 44: Beispiele für die Akkumulation identischer Konklusionen Tabelle 45: Durch die Diskriminanzanalyse vorsortierte Unternehmen der Teststichprobe 314 Tabelle 46: Aussagen der Ergebnismatrix Tabelle 47: Ergebnismatrix für das Bilanzierungsverhalten, a-Niveau =0,05 Tabelle 48: Ergebnismatrix für Regeln mit maximal drei zusätzlichen Prämissen, a-Niveau = 0,05 318 Tabelle 49: Ergebnismatrix für Regeln mit maximal drei zusätzlichen Prämissen, a-Niveau = 0,1 319 Tabelle 50: Ergebnismatrix für Regeln mit maximal vier zusätzlichen Prämissen, a-Niveau = 0,05 320 Tabelle 51: Ergebnismatrix für Regeln mit maximal vier zusätzlichen Prämissen, a-Niveau = 0,1 320 Tabelle 52: Zusammenfassung der erzielten regelbasierten Versuchs­ ergebnisse 321

235

260 262

286

290 300 302 303 305 307 309

316 317

A bkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis a. D. Abs. AD AktG Aufl. AV Bd. bearb. v. BGBl. bzw. d. h. Diss. DM DOF durchschnittl. e. V. EBIL EDF EDV EGHGB EK EKPensQ EKQ EKR erw. EStDV EStG EStR EU EÜQ EUS f.

außer Dienst Absatz Anlagendeckung Aktiengesetz Auflage Anlagevermögen Band bearbeitet von Bundesgesetzblatt beziehungsweise das heißt Dissertation Deutsche Mark Degree of Fulfillment, Erfulltheitsgrad durchschnittlich eingetragener Verein Einzelbilanzanalyse Expected Default Frequency Elektronische Datenverarbeitung Einfuhrungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Eigenkapital Eigenkapital-/Pensionsrückstellungsquote Eigenkapitalquote Eigenkapitalrendite erweitert Einkommensteuerdurchfuhrungsverordnung Einkommensteuergesetz Einkommensteuerrichtlinien Europäische Union Einnahmenüberschußquote Entscheidungsunterstützungssystem folgende

19

20

ff. FK FKQ GE GenG GENO-FBS

ggfGKR GmbHG GoB GuV HGB hrsg. v. Hrsg. i. d. F. i. d. R. i. e. S. i. V. m. i. w. S. immat. inkl. InsO InvQ KapB KapCoRiLiG KI KonTraG

KRQ kurzfr. langfr. m. a. W. Mabila MAJA

A bkürzungsverzeichnis

fortfolgende Fremdkapital Fremdkapitalquote Geldeinheit Genossenschaftsgesetz Genossenschaftliches Finanz-Beratungs-System gegebenenfalls Gesamtkapitalrendite GmbH-Gesetz Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Gewinn- und Verlustrechnung Handelsgesetzbuch herausgegeben von Herausgeber in der Fassung in der Regel im engeren Sinne in Verbindung mit im weiteren Sinne immateriell inklusive Insolvenzordnung Investitionsquote Kapitalbindung Kapitalgesellschaften-und-Co-Richtlinie-Gesetz Künstliche Intelligenz Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Untemehmensbereich Kapitalrückflußquote kurzfristig langfristig mit anderen Worten Maschinelle Bilanzanalyse Maschinelle Jahresabschlußanalyse

A bkürzungsverzeichnis

Mrd. Nr. NZAQ o. V. ÖBA

PubG Rückstell. rV S. SGF STATBIL STF TDM u. a. u. a. 0. u. U. u. überarb. UR USV UV vgl. Vol. vollst. WiST ZEW ZfB Zfbf ZfgK ZfO

Milliarden Nummer Nettozinsaufwandsquote ohne Verfasser Österreichisches Bankarchiv Publizitätsgesetz Rückstellungen relative Veränderung Satz (Angabe bei §) oder Seite Strategisches Geschäftsfeld Statistische Bilanzanalyse Schuldentilgungsfähigkeit Tausend Deutsche Mark und andere und andere Orte unter Umständen und überarbeitete Umsatzrendite Umsatzveränderung Umlaufvermögen vergleiche Volume vollständig Wirtschaftswissenschaftliches Studium Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Organisation

21

22

Symbolverzeichnis

Symbolverzeichnis Ä A DOFgut

DOFsch]echt

gmax

p schwer

G G Gesamtfehlerco GesamtfehlerGrau n, n2 PpPz

P Hä(X) X

Xohi=(x1,---,xp)

Yi Zco Z Zgut

^schlecht

O

unscharfe Menge klassische Menge Erfülltheitsgrad für Konklusion „Bonität = gut“ Erfülltheitsgrad für Konklusion „Bonität = schlecht“ nach der gemittelten Maximalwert-Methode defuzzifizierter Ergebniswert nach der Flächenschwerpunktmethode defuzzifizierter Ergebniswert Element nicht Element Gesamtfehler bei Cut-Off-Punktbetrachtung Gesamtfehler unter Berücksichtigung eines Graube­ reichs Gruppe bestandsfester Unternehmen Gruppe bestandsgefährdeter Unternehmen a-priori-Wahrscheinlichkeiten Zugehörigkeitsgrad Zugehörigkeitsfunktion der Variablen X zur unschar­ fen Menge Ä Vektor beobachteter Merkmalsvektor des betreffenden Ob­ jektes Schätzwerte der Regressionsfunktion Cut-Off-Punkt Gesamtkennzahl Diskriminanzmittelwert (Centroid) der Gruppe guter (bestandsfester) Unternehmen Diskriminanzmittelwert (Centroid) der Gruppe schlechter (bestandsgefährdeter) Unternehmen Standardabweichung

Einleitung

23

Einleitung Der Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht hat mit seinem im Juni 1999 veröf­ fentlichten Konsultationspapier „A new capital adequacy framework“1 eine hef­ tige Diskussion über die bankaufsichtliche Anerkennung von Ratings ausgelöst. Denn in diesem Konsultationspapier ist vorgesehen, daß zukünftig ein Rating für die Festsetzung des bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalbedarfs genutzt werden soll. Wird im bisher gültigen Baseler Akkord von 1988 für alle Unternehmen ein einheitliches Bonitätsgewicht von 100% angewendet, sollen zukünftig individu­ elle Bonitätsgewichte zur Anrechnung kommen. Dies hat zur Folge, daß Kredite an Unternehmen mit sehr guter Bonität künftig bei der Eigenkapitalunterlegung über niedrigere Anrechnungssätze begünstigt werden. Das Baseler Konsultati­ onspapier unterscheidet zwischen einem externen Rating (Rating von Ratinga­ genturen) als Standardverfahren und einem internen Rating (institutsintemes Rating von Banken) als Alternative „for some sophisticated banks“2. Während im Baseler Konsultationspapier bereits bestimmte Mindestanforderungen für die bankaufsichtliche Zulassung externer Ratings formuliert sind3, müssen diese für interne Ratings noch definiert werden.

Das externe Ratinggeschäft ist traditionell angelsächsisch geprägt, internationale Marktführer sind amerikanische Agenturen. So stehen den rd. 8000 in den USA gerateten Corporates in Deutschland weniger als 30 geratete Nichtbanken gegen­ über.4 Würde nun das Rating von international tätigen Ratingagenturen bankauf­ sichtlich anerkannt, so entstünde zwangsläufig eine „Ratinglücke“ zu Lasten der deutschen Wirtschaft. Trotz der jüngsten Gründung dreier deutscher Ratinga­ genturen und einer Initiative durch die Deutsche Börse AG ist nicht davon aus­ zugehen, daß externe Ratings diese Lücke in absehbarer Zeit schließen können. Denn für kleine und mittlere Unternehmen, die kennzeichnend für die deutsche Volkswirtschaft sind, ist der mit einem externen Rating verbundene Aufwand und die damit einhergehenden Ratingkosten (auch Ratings von deutschen Ratin­ gagenturen werden mit mindestens 30 bis 40 TDM beziffert) sehr hoch. Eine Möglichkeit, die aufgezeigte „Ratinglücke“ zu Lasten Deutschlands zu schließen, wäre die bankaufsichtsrechliche Zulassung interner Ratings. Die Ver­

1 2 3 4

Vgl. Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (Capital adequacy framework 1999). Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (Capital adequacy framework 1999), S. 5. Vgl. Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (Capital adequacy framework 1999), S. 13. Vgl. o. V. (Eigenkapitalvorschläge 1999), S. 25.

24

Einleitung

Wendung von internen Ratings ist im Entwurf des neuen Akkords als Konzept zwar vorgesehen, allerdings sind bisher nur die ersten Schritte hierzu definiert. Abzusehen ist dabei schon jetzt, daß sich interne Ratingmethoden an den exter­ nen Ratingstandards messen lassen müssen, d. h. die Gleichwertigkeit beider Instrumente muß sichergestellt sein (horizontale Integrität). Von Seiten der Ban­ kenaufsicht wurden noch keine Mindestanforderungen für die bankaufsichts­ rechtliche Anerkennung interner Ratingmethoden formuliert, jedoch wird in der Wissenschaft bereits an der Formulierung von „Grundzügen ordnungsmäßigen Ratings“ gearbeitet.1 Grundsätzliche Vorgaben für die Erarbeitung von Ratin­ gleitlinien ergeben sich bereits aus der Forderung der horizontalen Integrität, daß nämlich bankinteme Ratingverfahren die für das externe Rating formulierten Mindestanforderungen soweit wie möglich erfüllen sollten.

In Anbetracht dieser Baseler Neuregelung von Mindestkapitalanforderungen für das Kreditgeschäft beginnen die Kreditinstitute ihre bisherigen Bonitätsanalyse­ verfahren zu überarbeiten.2 Die vorliegende Arbeit nimmt sich dieser Thematik für das durch kleine und mittlere Unternehmen geprägte standardisierte Firmen­ kundengeschäft an. Denn der Ansatz des Ratings international tätiger Ratinga­ genturen läßt sich nicht eins zu eins auf kleine und mittlere Unternehmen über­ tragen. Ein Rating, das den Besonderheiten von kleinen und mittleren Unterneh­ men Rechnung trägt, wird dadurch immer wichtiger. So muß auch ein sehr gutes kleines Unternehmen zumindest die Möglichkeit haben, über günstigere Kondi­ tionen in den Genuß der bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalentlastung kom­ men zu können. Für die Bonitätsbeurteilung kleiner und mittlerer Unternehmen bedarf es geeigneter Instrumente, die bankaufsichtsrechtlichen Anforderungen genügen müssen. Neben dieser aktuellen von der Bankenaufsicht hervorgerufenen Erörterung ist die Diskussion um Bonitätsanalyseverfahren ein „Dauerbrenner“, was sicherlich nicht zuletzt daran liegt, daß die Beurteilung des Kreditrisikos die zentrale Auf­ gabe der Kreditwirtschaft darstellt und Kreditrisiken durch die Mehrzahl der bisher praktizierten Verfahren der Bonitätsanalyse nur unzureichend erkannt werden. Dies gilt insbesondere für das Firmenkundengeschäft, dessen Risiken wie die in Abbildung 1 aufgeführten Insolvenzen zeigen - erheblich gestiegen sind. So hat sich die Zahl der Insolvenzen seit 1992 mehr als verdreifacht. Das Statistische Bundesamt nennt für das Jahr 1998 den Rekord von 28.000 Unter­ 1 2

Vgl. Krahnen (Rating Principles 1999). Vgl. Bundesverband deutscher Banken (Standardansatz 1999); S. 222 und Klein/Goebel (Reform 1999), S. 443.

Einleitung

25

nehmenskonkursen und -vergleichen. Die damit einhergehenden Verluste der Gläubiger belaufen sich auf 39,3 Mrd. DM.1

Abbildung 1: Insolvenzen deutscher Unternehmen von 1992-1998 Kreditwürdigkeitsentscheidungen sind komplexe Informationsprozesse, die mit Unsicherheiten verbunden sind, da die Leistung des Kreditgebers und die Ge­ genleistung des Kreditnehmers zeitlich auseinanderfallen. Eine möglichst umfas­ sende, zeitnahe Beurteilung der Zahlungsfähigkeit bzw. allgemein der Bestands­ kraft des Kreditnehmers ist daher eine wesentliche Voraussetzung für eine ziel­ adäquate Kreditentscheidung.

Die Zahlungsfähigkeit leitet sich aus der Bonität ab, für die sowohl quantitative als auch qualitative Faktoren bestimmend sind. Im Firmenkundengeschäft versu­ chen die Kreditinstitute die für sie wichtigen Informationen zur Feststellung der Bonität vor allem durch eine formalisierte kennzahlengestützte quantitative Analyse der zurückliegenden Jahresabschlüsse zu erlangen.

Die traditionelle Jahresabschlußprüfung ist vergangenheitsbezogen, die zu beur­ teilende Kreditvergabe jedoch auf die Zukunft gerichtet. Die auf den Zahlen von Bilanz- und Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) basierende standardisierte Jahresabschlußprüfung wertet nur einen Teil der zur Verfügung stehenden In­

1

Vgl. Angele (Insolvenzen 1999), S. 301.

26

Einleitung

formationen aus, die wegen vielfältiger Bilanzgestaltungsmöglichkeiten nur eine eingeschränkte Aussagekraft besitzen.

Zusätzliche, über die Kennzahlen hinausgehende aussagefähige Merkmale soll­ ten daher bei der standardisierten Kreditwürdigkeitsprüfung mitberücksichtigt werden. In vielen Fällen sind es gerade diese qualitativen Faktoren, die als Frühindikatoren kritische Entwicklungen oder Gefährdungsquellen bei Krediten­ gagements signalisieren. Wenn überhaupt, werden sie gegenwärtig nach Kriteri­ en berücksichtigt, die oft uneinheitlich, subjektiv und undurchsichtig sind. Um eine möglichst hohe Objektivität sicherzustellen, sollten diese qualitativen Merkmale soweit wie möglich in ein standardisiertes Verfahren einbezogen werden. Zahlreiche Großbanken arbeiten an dieser Fragestellung, qualitative Faktoren anhand objektivierter Verfahren in die computergestützte Bonitätsbe­ urteilung zu integrieren1, durch die Debatte um die bankaufsichtsrechtliche An­ erkennung bankintemer Ratingverfahren erlangt dieses Bestreben zusätzliche Bedeutung. Daß dennoch das Schwergewicht der Forschung und der praktischen Kreditwürdigkeitsprüfung auf die quantitative Jahresabschlußanalyse gelegt wird, ist auf Schwierigkeiten der Erfassung und Verwertung qualitativer Boni­ tätsmerkmale zurückzufuhren. Insbesondere ergeben sich folgende, bei der Ein­ beziehung qualitativer Merkmale in ein standardisiertes Analyseverfahren bis­ lang nicht behandelte Probleme: • Schwierigkeiten bei der Bestimmung ’’weicher” qualitativer Merkmale, •

Schwierigkeiten bei der Einbeziehung und Verarbeitung qualitativer Merk­ male in ein standardisiertes, technisches Verfahren,



eine für methodische statistische Auswertungzwecke oft unzureichende qualitative Datenbasis.

Insgesamt fehlt es an gesicherten Beurteilungsverfahren, die quantitative und qualitative Faktoren systematisch erfassen, einheitlich bewerten und zu einer praktikablen und objektiven Bonitätsaussage verdichten. Theorie und Praxis stehen bei der Beantwortung dieser Fragen noch in der Anfangsphase.2 Aus den aufgezeigten Defiziten ergibt sich die Zielsetzung dieser Arbeit. In Anlehnung an mögliche Mindestanforderungen zur bankaufsichtsrechtlichen Anerkennung bankintemer Ratingverfahren ist das Ziel der vorliegenden Arbeit 1 2

Vgl. Dinkelmann (Risikofrüherkennung 1995), S. 56. Daß diesbezüglicher Weiterentwicklungsbedarf bei der Kreditwürdigkeitsprüfung besteht, ver­ deutlicht auch eine in Deutschland bei 106 Kreditinstituten verschiedener Größenklassen und Rechtsformen durchgefuhrte Befragung, vgl. Betsch u. a. (Kreditwürdigkeitsanalyse 1997), S. 150 ff..

Einleitung

27

ein quantitatives Ratingmodell zu entwickeln, in dem quantitative und qualitative Informationen objektiv zu einem nachvollziehbaren Gesamturteil verknüpft werden können.1

Im ersten Teil der Arbeit steht die Informationsbasis für ein quantitatives CreditRating im Mittelpunkt der Betrachtung. Zunächst werden die begrifflichen Grundlagen des quantitativen Credit-Ratings dargestellt. Darauf aufbauend wird die Bedeutung des Ratings sowohl für die gesamtbankbezogene Kreditrisikomes­ sung wie auch für die zukünftige bankaufsichtsrechtliche Kreditrisikomessung aufgezeigt, die mit der bevorstehenden Zulassung externer und ggf. bankintemer Ratingverfahren zunächst am Einzelgeschäft ansetzen wird. Zieladäquate Informationen bilden die wesentliche Grundlage für ein quantitati­ ves Rating, denn jedes Modell ist nur so gut wie die Informationen, die mit ihm verarbeitet werden. Ausgehend von dem Informationsbedarf und den tatsächlich durch ein quantitatives Rating genutzten Informationen wird im zweiten Teil der Arbeit aufgezeigt, daß qualitative Informationen bislang kaum in einem mathe­ matisch-statistisch basierten Modell verarbeitet werden. Zur Untermauerung und Präzisierung dieses Ergebnisses wird im zweiten Teil der Arbeit die derzeitige bankbetriebliche Praxis und die empirische Insolvenz­ forschung im Hinblick auf die Ermittlung, dv-technische Einbeziehung und mathematisch-statistische Verarbeitung qualitativer Merkmale analysiert. Auf Basis dieser Bestandsaufnahme werden Anforderungen an den Aufbau eines umfas­ senden, quantitativen Ratingmodells abgeleitet. Diese theoretischen Überlegun­ gen werden im dritten Teil der Arbeit zur Entwicklung eines sowohl quantitative als auch qualitative Merkmale verarbeitenden mathematisch-statistischen Ra­ tingmodells genutzt. Entwickelt wird dieses Modell auf der Basis von Unter­ nehmensdaten der Deutschen Bundesbank.2

Die Entwicklung neuer quantitativer Untemehmenskennzahlen ist nicht Gegen­ stand dieser Arbeit. Hierzu liegen bereits umfangreiche Untersuchungen vor.3 Die Untersuchung ist vielmehr auf die in formalisierten Verfahren vernachläs­ sigten qualitativen Merkmale ausgerichtet.

1

2

1

Die in der vorliegenden Arbeit dargelegten Ansichten und Einschätzungen der Autorin geben ausschließlich ihre persönliche Meinung wieder. Diese Daten, die der Verfasserin als Bundesbankmitarbeiterin dankenswerterweise von der Deutschen Bundesbank zur Verfügung gestellt wurden, stammen aus der Notenbankrefinanzie­ rung der Banken über Wechsel. Vgl. beispielsweise den umfangreichen Kennzahlenkatalog bei Hüls (Früherkennung 1995), S. 69-100.

28

Einleitung

Ein bedeutendes qualitatives Merkmal ist das Bilanzierungsverhalten. Im Rah­ men des quantitativen Ratingmodells wird ein Konzept entwickelt, wie durch Analyse des bilanzpolitischen Instrumentariums das Bilanzierungsverhalten eines Unternehmens systematisch bestimmt werden kann. Am Beispiel des Bi­ lanzierungsverhaltens wird ein für qualitative Merkmale geeigneter Weg aufge­ zeigt, wie diese objektiv ermittelt und dann nachvollziehbar in einem quantitati­ ven Rating verarbeitet werden können.

Das zu entwickelnde Modell zielt nicht darauf auf, dem Kreditanalysten sämtli­ che Handlungsspielräume zu nehmen. Vielmehr soll das Verfahren der Unter­ stützung des Kreditsachbearbeiters dienen und ihm Entscheidungsvorgaben zur Verfügung stellen; es soll als Entscheidungsunterstützungssystem von Nutzen sein. Auf Grundlage dieser Entscheidungsvorlagen ist das abschließende Kredit­ urteil weiterhin vom Kreditanalysten selbst zu fällen, wobei er Abweichungen möglichst schriftlich begründen sollte.

L Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

29

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasis für ein Credit-Rating A.

Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings

I.

Charakterisierung des quantitativen Credit-Ratings

Wird eine Meinung auf einer bestimmten Skala abgetragen und in Form einer Zensur oder Note ausgedrückt, so bezeichnet man dies allgemein als ein Rating.1 In Abhängigkeit von dem zu bewertenden Objekt kann man verschiedene Ra­ tings unterscheiden. Bezieht sich die Meinung auf ein Land, liegt ein Länderra­ ting vor, wird eine Branche beurteilt, wird dies als Branchenrating bezeichnet, bezieht sich diese Meinung auf die Bonität eines Unternehmens, so spricht man von einem Credit-Rating.2 Der Begriff Credit-Rating wird wie folgt präzisiert: Mit dem Credit-Rating wird eine Meinung darüber ausgedrückt, ob und in wel­ chem Maße das Unternehmen willens und in der Lage ist, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Da sich aus der Aufgabenstellung dieser Arbeit heraus Rating immer auf die Untemehmensbonität bezieht, werden im folgenden die Begriffe Credit-Rating und Rating synonym verwendet. Seinen Ursprung hat das Ratinggeschäft in den USA und alle namhaften interna­ tional tätigen Ratingagenturen sind angelsächsisch geprägt. Bei einem von inter­ nationalen Ratingagenturen vergebenen Credit-Rating kann sich die Meinung auf die Bestandsfestigkeit und Zahlungsfähigkeit des Unternehmens als Ganzes beziehen (Emittenten-Rating) oder auf eine bestimmte Emission bzw. auf einen genau definierten Finanzierungstitel (Emissions-Rating).3 Die marktfuhrenden Ratingagenturen betreiben vor allem das Emissions-Rating. Dies erklärt sich daraus, daß das Rating der Ratingagenturen seinen Ursprung darin hat, Investo­ ren über die Qualität einer bestimmten Emission zu informieren. Im Prinzip erfolgen sowohl das Emittenten- als auch das Emissions-Rating nach den glei­ chen Gesichtspunkten, jedoch werden beim Emissions-Rating noch zusätzlich die Besonderheiten der ausgegebenen Wertpapiere (z. B. nachrangige Besiche1 2 3

Vgl. der Duden in 10 Bänden, hier: (Fremdwörterbuch 1997), S. 686. Vgl. Everling (Credit Rating 1991), S. 21-25. Vgl. hierzu die Ratingdefinitionen von Moody's, in: Berblinger (Marktakzeptanz 1996), S. 25 und Standard and Poors, in: Standard & Poors (Ratings Handbook 1998), S. 445 f..

30

A. Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings

rung der Emission) in das Ratingurteil mit einbezogen. Ratings werden in ver­ schiedene Kategorien unterteilt, wobei die beste für ein langfristiges Rating bei den international tätigen Ratingagenturen mit ’’AAA”1 bzw. „Aaa“2 bezeichnet wird.

Übertragen auf die von Banken angewendeten internen Ratingmethoden kann zwischen dem Kunden- und dem Engagementrating unterschieden werden. Kun­ denratings bauen allein auf Informationen über den Kreditnehmer auf, die Struktur des Engagements wird nicht betrachtet. Sie geben eine Einschätzung darüber ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Kunde in Zahlungsschwierig­ keiten gerät. Engagementratings hingegen berücksichtigen die konkrete Ausge­ staltung der Kreditverbindung, indem zusätzlich zur Kundeneinschätzung noch engagementspezifische Informationen wie Sicherheiten, Kredithöhe, Engage­ menthöhe (Exposure) und Engagementlaufzeit in die Beurteilung einfließen. Auch Kunden mit schlechtem Kundenrating können beispielsweise durch eine vorteilhafte Ausgestaltung des Engagements (Risikominderung durch kurze Laufzeit und Hereinnahme hochwertiger Sicherheiten) ein gutes Engagementra­ ting zugewiesen bekommen.

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Bestimmung des Kundenratings, konkret die Ermittlung der Kreditnehmerbonität. Aspekte des Engagementra­ tings, wie z. B. Sicherheiten, die in den bankbetrieblichen Ratingsystemen als Ersatz für fehlende Bonität berücksichtigt werden, werden in dieser Untersu­ chung nicht näher behandelt. Das in dieser Arbeit betrachtete Bonitätsrisiko stellt sich folglich als Totalausfall oder als Herabstufung des Kreditnehmers in eine schlechtere Ratingklasse (Migrationsrisiko) dar. Ratings geben Meinungen über Ausfallwahrscheinlichkeiten wieder.3 Aufbauend auf historischen Erfahrungen drücken diese in einem Prozentwert aus, wieviele Kunden einer Ratingkategorie innerhalb einer Periode ausgefallen sind. Bei allen Ratings ist zunächst zu klären, wann ein „Ausfall“ vorliegt. Die Wahl einer an­ gemessenen Ausfalldefinition hat große Bedeutung für die Berechnung von Aus­ fallraten, da die Höhe der errechneten Werte von der zugrundeliegenden Defini­ tion abhängt. In der Praxis gibt es jedoch große Unterschiede bei der Definition eines Ausfalls. So stellen Ratingagenturen bei ihrer Ausfalldefinition auf einen

1

2

3

Bezeichnung des besten langfristigen Ratings bei Standard and Poofs, vgl. Standard & Poors (Rating Handbook 1998), S. 25. Bezeichnung der besten langfristigen Ratings bei Moody's, vgl. Bcrblinger (Marktakzeptanz 1996), S. 32. Vgl. Berblinger (Marktakzeptanz 1996), S. 25 und Stur (EuroRatings 1999), S. 2.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

31

Zahlungsverzug ab1, Banken hingegen auf den Zeitpunkt, in dem der Kunde „unangenehm auffällt“, mithin problematisch wird. Dies kann durch eine Mah­ nung hervorgerufen werden oder - was der häufigere Fall ist- durch die Not­ wendigkeit einer Wertberichtigung. Die Bildung von Wertberichtigungen als Ausfallmerkmal heranzuziehen ist jedoch problematisch, da dieser Sachverhalt einer gewissen Willkür unterliegt, denn er wird auch von geschäftspolitischen Überlegungen beeinflußt. In letzter Konsequenz läßt sich ein Ausfall dadurch definieren, daß ein Insolvenzantrag vom Unternehmen gestellt wurde. Diese vergleichsweise „harte“ Definition hat den Vorteil größtmöglicher Objektivität, denn die Voraussetzungen zur Eröffnung des Verfahrens sind gesetzlich defi­ niert.2 Bei einer institutsübergreifenden Betrachtung sind diese unterschiedlichen Ausfalldefmitionen - die den Vergleich erschweren oder gänzlich unmöglich machen können - immer zu berücksichtigen. In dieser Arbeit wird Ausfall da­ durch definiert, daß das Unternehmen einen Insolvenzantrag gestellt hat.3 Bedeutsam für diese Arbeit ist die Einteilung von Ratingsystemen in qualitative und quantitative Systeme.4 Qualitative Ratingsysteme zielen darauf ab, auch solche Beurteilungskriterien in die Beurteilung einfließen zu lassen, die nicht oder nur mit großem Aufwand objektivierbar und quantifizierbar sind. Diese betreffen beispielsweise die zukünftige Marktposition eines Unternehmens, die Beurteilung der Qualität des Managements oder die Beurteilung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Allen aufgezählten Elementen ist gemeinsam, daß sie mit großer Subjektivität verbunden sind. Daher beruhen qualitative Ratingsysteme auf einer subjektiven Auswahl, Gewichtung und Verknüpfung von Risiko­ indikatoren und -faktoren. Charakteristisch für qualitative Ratingsysteme ist, daß die Bewertung und Verknüpfung der als relevant erachteten Bonitäts- oder Ra­ tingkriterien individuell durch die am Ratingprozeß beteiligten Kreditexperten erfolgt. Qualitative Ratingsysteme werden vornehmlich von großen international tätigen Ratingagenturen angewendet, wobei die Agenturen ihre subjektive Vor­

1 2

3 4

Moody’s spricht von einem Ausfall „Default“, wenn ein Zahlungsverzug von 90 Tagen und mehr eingetreten ist, vgl. Moody’s Investor Service (Private Finn Default Risk 1999), S. 6. Mit Wirkung vom 1. Januar 1999 trat die Insolvenzordnung (InsO) in Kraft. Diese löst die Konkursordnung, die Vergleichsordnung und die für Ostdeutschland geltende Gesamtvollstrekkungsordnung ab. Vgl. Uhlenbruck (Insolvenzordnung 1998), S. 29. Eröffnungsgründe für ein Insolvenzverfahren sind nach der InsO: Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), Überschuldung (§ 19 InsO) und - dies ist neu gegenüber dem alten Verfahren - die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Vgl. im einzelnen Bork (Neues Insolvenzrecht), S. 36-44. Vgl. auch die Ausführungen im 3. Teil Abschnitt A. I. 1. dieser Arbeit. Zur Abgrenzung von qualitativen und quantitativen Ratingsystemen vgl. auch Everling (Credit Rating 1991), S. 125-127.

32

A. Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings

gehensweise nicht näher erläutern. Als qualitativ ist ein Ratingsystem auch dann zu bezeichnen, wenn quantitative Kriterien bei seiner Ermittlung berücksichtigt werden. Denn qualitativ bezieht sich auf die Auswahl und Verarbeitungsweise der zur Verfügung stehenden Informationen und nicht auf die Informationen selbst. Von daher ist auch ein Punktbewertungsmodell, bei dem die Merk­ malsausprägungen zunächst kategorisiert, dann bewertet und schließlich alle Punktwerte über die einzelnen Merkmalsausprägungen eines Unternehmens aufaddiert werden, als qualitativ zu bezeichnen, nämlich dann, wenn die zuzu­ ordnenden Punkte nicht auf Basis eines mathematisch-statistischen Verfahrens ermittelt werden, sondern durch mehr oder weniger subjektive Erfahrungs werte.1

Bei der Erstellung eines qualitativen Ratings internationaler Ratingagenturen wird ein immenser Aufwand betrieben, die Kosten für ein solches Rating belau­ fen sich auf einen 5- bis 6-stelligen DM-Betrag. Der Ratingprozeß dauert mehre­ re (i. d. R. 4 bis 6) Wochen. Der typische Ablauf des von einer internationalen Ratingagentur durchgeführten Ratingprozesses für ein Industrieunternehmen stellt sich wie folgt dar:2 Zunächst wird das Herkunftsland einschließlich der dort gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen analysiert, um das Länderrisiko bestimmen zu können. Dann folgt die Bewertung des Branchenrisikos, indem eine Branchenanalyse auf globaler und nationaler Ebene durchgeführt wird und die Wettbewerbstrends ermittelt werden. Hierauf aufbauend erfolgt die Beurtei­ lung des Untemelunensrisikos. Das Untemehmensrisiko setzt sich aus dem Ge­ schäftsrisiko und dem finanziellen Risiko zusammen. Das Geschäftsrisiko bein­ haltet die Analyse der Wettbewerbsposition, des Managements und der Unter­ nehmensstrategie, während das finanzielles Risiko über die Analyse der Finanz­ kennzahlen, der finanziellen Flexibilität, der Finanzpolitik und der Planzahlen abgeschätzt wird. Auf der Basis einer umfangreichen Stärken-/Schwächenanalyse und mehrstündiger Gespräche mit der Unternehmensleitung über strategisch wichtige Fragen versucht ein speziell für das zu ratende Unternehmen abgestell­ tes mehrköpfiges Analystenteam (zumeist drei bis sechs Personen) das Ge­ schäftsrisiko und das finanzielle Risiko des Unternehmens zukunftsbezogen zu bestimmen. Die Analyseergebnisse werden dann in Cash-Flow-Szenarien umge­ setzt, denen ein Ratingkommittee Eintrittswahrscheinlichkeiten zuordnet. Auf dieser Grundlage wird dann das endgültige Rating von einem Ratingkommittee, das üblicherweise aus fünf bis neun stimmberechtigten Mitgliedern besteht,

1 2

Vgl. Everling (Credit Rating 1991), S. 126 und Everling (Credit-Rating 1999), S. 250. Vgl. Berblinger (Rating 1996), S.62-64 und Meyer-Papert (Ratingkriterien 1996), S. 120-128.

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

33

festgelegt.1 Die Ratingagenturen legen Wert darauf, daß es trotz der dargelegten Vorgehensweise keine vorgegebene Bewertungsformel gibt, sondern der Rating­ prozeß „untemehmensindividueir ausgerichtet ist.

Im Gegensatz hierzu ist der Ratingprozeß bei einem quantitativen Credit-Rating standardisiert, die Verknüpfung der als relevant erachteten Bonitäts- oder Ra­ tingkriterien hängt nicht von der Intuition des Experten ab, sondern vollzieht sich objektiviert auf Basis mathematisch-statistischer Modelle. Da quantitative Ra­ tingsysteme an eine Quantifizierung der Ratingkriterien gebunden sind - denn das Modell kann nur Zahlen verarbeiten - scheiden oft qualitative Kriterien aus der Betrachtung aus. Quantitative Ratingsysteme können dann eingesetzt wer­ den, wenn die Kreditvergabe ein Mengengeschäft ist, da die Grundlage für ihre Entwicklung ein ausreichend großer Datenbestand ist. Von daher spielen quanti­ tative Ratingsysteme für die erwähnten Ratingagenturen nur eine untergeordnete Rolle. Ihren Einsatz finden quantitative Ratingsysteme dort, wo - angesichts der Anzahl zu beurteilender Unternehmen- eine möglichst standardisierte Bewer­ tung sinnvoll erscheint, wie z. B. bei Banken und Versicherungen. Wie an späte­ rer Stelle noch gezeigt wird, ist der Bonitätsbeurteilungsprozeß von Banken oftmals eine Kombination aus quantitativem und qualitativem Rating.2

Über diese grundsätzliche Charakterisierung hinaus können Credit-Ratings in vielfacher Weise differenziert werden, worauf im folgenden jedoch nicht weiter eingegangen wird.3

II.

Vom Credit-Rating zu bankinternen Kreditrisikomodellen

Kreditrisikomessung kann auf zwei Ebenen erfolgen. Während die Ratingmo­ delle der einzelgeschäftsbezogenen Kreditrisikomessung dienen, ist für die Mes­ sung des Gesamtkreditrisikos einer Bank eine portfolioorientierte Kreditrisiko­ messung notwendig. Vom einzelnen Kundenkreditrisiko zum Gesamtkreditrisiko einer Bank gelangt man nicht durch einfache Addition aller Einzelkreditrisiken, da diese Vorgehensweise Abhängigkeiten im Gesamtkreditbestand unberück­ sichtigt ließe. Um von der Einzelgeschäftsbetrachtung zu einer Betrachtung auf Gesamtbankebene zu kommen, müssen Abhängigkeiten, die angeben, wie hoch 1 2 3

Vgl. Berbiinger (Marktakzeptanz 1996), S. 65-70 und Wenk (Untemehmensanalyse 1997). Siehe Ausführungen zu der bankbetrieblichen Praxis im 2. Teil dieser Arbeit. Weitere Differenzierungsmöglichkeiten finden sich bei Everling (Credit-Rating 1991), S. 48-62 und Berbiinger (Marktakzeptanz 1996), S. 33-44.

34

A. Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings

der Risikozusammenhang zwischen Schuldnern ist, explizit berücksichtigt wer­ den. Die Einbeziehung von Korrelationen ist damit der entscheidende Schritt, um von den Bonitätsrisikomodellen zu den auf das Gesamtkreditrisiko ausgerichte­ ten Kreditrisikomodellen zu gelangen (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Kreditrisikoquantifizierung Die Ratingmodellc zur Bestimmung des Einzelkreditrisikos können eingeteilt werden in empirische Verfahren, die eine jahresabschlußorientierte Bonitätsbe­ urteilung durchfuhren und in Ansätze, denen optionspreistheoretische Überle­ gungen zugrunde liegen. Letztere gehen auf den Black-Scholes-Merton Ansatz zurück.1 In dem optionspreistheoretischen Ansatz fungiert die kreditgewährende Bank als Verkäufer (Stillhalter) einer Verkaufsoption (Put). Der Kreditnehmer als Gegen­ partei wird als Käufer des Puts angesehen. Mit Kauf des Puts erwirbt er das Recht, anstelle von Darlehen und Zinsen der Bank im Bedarfsfall das Unterneh­ men zur Verwertung zu übergeben. Dies ist für ihn dann vorteilhaft, wenn der Ertragswert des Unternehmens unter dessen finanzielle Verpflichtung fällt, der Marktwert der Firmenaktiva damit kleiner ist als die derzeitige Untemehmens1

Vgl. Black/Scholcs (Pricing of Options 1973), verfeinert durch Merton, siehe Merton (Option Pricing 1973).

L Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

35

Verschuldung. Neben der Funktion „Käufer eines Puts“ kann die Position des Eigenkapitalgebers auch als Käufer einer Calloption auf den Marktwert der Untemehmensaktiva interpretiert werden. Ist der Marktwert der Untemehmensaktiva höher als die Verschuldung, wird er das Unternehmen „kaufen“, andernfalls das Unternehmen „aufgeben“.

In der optionpreistheoretischen Betrachtung hängt die Höhe des Ausfallrisikos von folgenden Komponenten ab: (1) von der erwarteten Entwicklung der Ertragslage, aus der der Marktwert der Firmenaktiva errechnet wird, (2) (3)

von der erwarteten Ertragsstabilität (Volatilität) und von dem Buchwert des Fremdkapitals des Unternehmens im Verhältnis zum Marktwert der Firmenaktiva (Leverage).1

Diesen drei Kemgrößen, die die Risikosituation eines Unternehmens beschrei­ ben, entsprechen folgende Begriffe der Optionspreistheorie: Dem Marktwert der Untemehmensaktiva entspricht der Marktpreis des Optionsgutes, der Höhe des Fremdkapitals der Basispreis und die erwarteten Ertragsschwankungen der Volatiliät des Preises des Optionsgutes. Im folgenden wird gezeigt, wie mit diesen Kemgrößen Ausfallwahrscheinlichkeiten ermittelt werden können. Aufbauend auf den optionspreistheoretischen Ansatz haben Kealhofer, McQuown und Vasicek ein Modell für die Berechnung von Ausfallwahrschein­ lickeiten von börsennotierten Unternehmen entwickelt, das Aktienkurse und Bilanzdaten als Inputfaktoren verwendet. Implementiert ist dieses Modell in einer von der KMV-Corporation2 entwickelten Software namens Credit Monitor. Dieses Modell ermittelt die sogenannte Expected Default Frequency (EDF) für ein Unternehmen. In dem Modell wird Ausfall definiert als das Nichtbezahlen planmäßig fälliger Beträge. Die Vorgehensweise zur Berechnung der Ausfall­ wahrscheinlichkeit vollzieht sich in drei Schritten. Zunächst wird der Untemehmenswert und seine Volatiliät geschätzt, dann erfolgt die Berechnung der distance-to-default (Entfernung eines Unternehmens bis zum Ausfall), aus der schließlich die Ausfallwahrscheinlichkeit empirisch durch Zuordnung (Mapping) ermittelt wird.

' 2

Vgl. Crosbie (Modelling Default Risk 1999), S. 2. Die KMV-Corporatioiy ist ein 1989 von Kealhofer, McQuown und Vasicek gegründetes Unter­ nehmen. Firmensitz i^t San Francisco. Die von KMV entwickelten Softwareprodukte werden sowohl von Banken für ihre bankintemen Ratingprozesse als auch von amerikanischen Auf­ sichtsbehörden für bankaufsichtliche Zwecke genutzt.

36

A. Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings

Die geschilderte Vorgehensweise soll an einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden: Angenommen wird ein Unternehmen, dessen Vermögenswerte 120 Geldeinheiten (GE) betragen. Diese werden finanziert durch 40 GE Eigenkapital und 80 GE Fremdkapital. Es soll nun gezeigt werden (vgl. auch Abbildung 3), wie der Wert des Eigenkapitals zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmt werden kann (Diskontierungseffekte werden hierbei vernachlässigt).

Abbildung 3: Optionspreistheoretischer Ansatz zur Bestimmung von Ausfall­ wahrscheinlichkeiten Für den Buchwert des Fremdkapitals wird vereinfachend die Gesamtverschul­ dung herangezogen; sie beträgt im vorliegenden Beispiel 80 GE. Der Marktwert der Aktiva (Vermögenswert), der auf der Abszisse abgetragen wird, ist der Barwert aller künftig erwarteten Cash-Flows, die dem Unternehmen aus heutigen Investitionen zufließen und zur Abdeckung der Verbindlichkeiten zur Verfügung stehen. Im Beispiel beträgt er 120 GE. Auf der Ordinate wird der Marktwert des Eigenkapitals (bei börsennotierten Unternehmen entspricht dies dem Aktienwert) abgetragen. Wie man nun graphisch gut erkennen kann, ergibt sich der Markt­ wert des Eigenkapitals als Differenz aus dem auf der Spiegelachse abgetragenen Marktwert der Aktiva (Vermögenswert) abzüglich der Buchverbindlichkeiten. Die rechte Ordinate zeigt die erwartete Ausfallwahrscheinlichkeit (EDF expected default frequency). Vergleicht man nun Gesamtverschuldung und Vermögens­ wert, so ergibt sich aus den aufgezeigten Überlegungen, daß bei einem Vermö­ genswert unterhalb 80 GE das Unternehmen „aufgelöst“ würde, die Ausfallwahr­

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

37

scheinlichkeit würde bei einer derartigen Konstellation 100 % betragen, das marktseitig bewertete Eigenkapital wäre Null. Je deutlicher nun der Vermögens­ wert die Schulden übersteigt (bei gleicher Volatilität, d. h. gleichem Geschäftsri­ siko), desto höher ist der Marktwert des Eigenkapitals und folglich die distanceto-default und desto geringer ist die Ausfallwahrscheinlichkeit.

Die in Abbildung 3 dargestellte Funktion des Marktwertes EK zeigt von ihrem Profil, daß Eigenkapitalgeber mit Käufern einer Calloption verglichen werden können. Das Optionsgut ist in dem Fall der Marktwert der Untemehmensaktiva, der Basispreis entspricht der Untemehmensverschuldung und beträgt im ge­ wählten Beispiel 80 GE. Liegt der Marktwert der Untemehmensaktiva unter dem Basispreis, so wird die Kaufoption nicht ausgeübt, das Unternehmen ist wirt­ schaftlich nicht lebensfähig. Liegt der Marktwert der Untemehmensaktiva über dem Basispreis, so können die Eigenkapitalgeber die Gläubiger auszahlen und den Überschuß aus der verbleibenden Firmenaktiva vereinnahmen. In das von KMV entwickelte Risikomaß, die distance-to-default, fließen die drei zentralen Größen, Marktwert der Firmenaktiva, Verschuldung und Volatilität ein. Konkret errechnet sich die distance-to-default als: Market Value

Distance to default

of Assets

Default

-

Point

Market Value

Asset

of Assets

Volatility

Annahmegemäß bestimmt sich der Default Punkt über das Fremdkapital, im Zähler steht folglich der Nettowert des Unternehmens. Der Nenner berücksich­ tigt nun explizit das Geschäftsrisiko des betreffenden Unternehmens. Die Volatiliät des Vermögenswertes, die den Schwankungen zukünftiger Erträge Rechnung trägt, ist pauschal definiert als eine Standardabweichung. 2 Je höher nun die jähr­ lichen Ertragsschwankungen sind, um so kleiner wird die distance-to-default und das Ausfallrisiko steigt. Zusammenfassend gibt die distance-to-default für ein betreffendes Unternehmen die Anzahl der Standardabweichungen an, mit der der Marktwert seiner Aktiva den Wert des Fremdkapitals übersteigt.

Der so errechneten distance-to-default werden empirisch Ausfallwahrscheinlich­ keiten zugeordnet (mapping), die KMV aus der Analyse von ca 2.000 amerikani­ schen Konkursfällen abgeleitet hat.3 Sie basieren auf Ausfallraten von Unter­ 1 2 5

Vgl. Crosbie (Modeling Default Risk 1999), S. 11 f.. Vgl. Crosbie (Modeling Default Risk 1999), S. 5. Vgl. Crosbie (Modeling Default Risk 1999), S. 12 f..

38

A. Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings

nehmen, die mit vergleichbarer distance-to-default in der Vergangenheit insol­ vent wurden. Für das gewählte Beispiel (siehe Abbildung 3) beträgt die Ausfall­ wahrscheinlichkeit 10 Basispunkte.

Im Beispiel wurde vereinfachend die Gesamtverschuldung für die Bestimmung des Default-Punktes herangezogen. Es zeigt sich jedoch, daß Unternehmen nicht zwangsläufig beim Erreichen des so definierten Default-Punktes insolvent wer­ den müssen. Nicht sofort fällige, langfristige Verbindlichkeiten verschaffen vielmehr noch etwas Handlungsspielraum. Aus diesem Grund verfeinerte KMV ihre Annahme zum Default-Punkt, der nun „generally ... somewhere between total liabilities and current or short-term liabilities“ liegt.1

Grundsätzlich ist der optionspreistheoretische Ansatz sehr interessant. Leider können die für das Modell benötigten Marktwerte der Firmenaktiva nicht direkt beobachtet werden, sondern müssen hilfsweise über Aktienkurse (als Anhalts­ punkt für den Marktwert des Eigenkapitals) zuzüglich Bilanzverbindlichkeiten modelliert werden. Auch die Volatilität des Marktwertes muß mangels direkter Beobachtung über Aktienkursschwankungen approximiert werden. Das vorge­ stellte Modell ist daher stark auf Börsenkurse angewiesen. Unbefriedigend ist in diesem Zusammenhang, daß die Börsenwerte vieler Unternehmen hohen Schwankungen unterliegen, die sich zum einen aus dem Unternehmen ergeben, denn vielfach handelt es sich um junge Unternehmen mit unsicheren Cash-FlowErwartungen, zum anderen gestaltet sich - unabhängig von der konkreten Unter­ nehmenssituation - das Börsenumfeld selbst recht launenhaft. Darüber hinaus bietet auch der vorgestellte kreditspezifische Optionspreisansatz keine umfas­ sende Erklärung für auftretende Insolvenzen, denn Liquiditätsschwierigkeiten, die einen Großteil der Insolvenzen verursachen, werden in ihm nicht explizit berücksichtigt. Auch ist die verfeinerte Vorgehensweise zur Bestimmung des Default-Punktes immer noch recht pauschal, denn in der Praxis gestalten sich die Kapitalstrukturen in der Regel wesentlich komplexer (z. B. Wandlungsrechte). Der vorgestellte optionspreistheoretische Ansatz wurde für amerikanische Ver­ hältnisse entwickelt und kalibiriert. Versucht man ihn auf deutsche Verhältnisse zu übertragen, liegt das Hauptproblem in der für die Anwendung des Modells notwendigen Datenbasis. Wie bereits dargelegt, benötigt das Modell Angaben zum Unternehmens wert und zu seiner Volatilität (zur Einschätzung der Ertrags­ stabilität), die nur für börsennotierte Unternehmen verfügbar sind. Von rund 2,8

1

Crosbie (Modeling Default Risk 1999), S. 3.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

39

Millionen deutschen Unternehmen insgesamt1 sind jedoch nur ca. 700 Unter­ nehmen an der Börse präsent2. Zwar hat KMV für nichtbörsennotierte Unter­ nehmen das Private Firm Modell entwickelt.3 Doch müssen hier in Ermangelung der notwendigen Marktdaten Untemehmenswert und Geschäftsrisiko geschätzt werden. Dies soll so geschehen, daß man die Daten „ähnlicher“ börsennotierter Unternehmen zur Modellparametrisierung heranzieht.4 Erscheint diese Hilfskon­ struktion schon aus sich heraus wenig befriedigend, so ist dieses Vorgehen für den deutschen Markt kaum realisierbar, da es für die Vielzahl kleiner und mittle­ rer Unternehmen keine vergleichbaren Börsennotierungen gibt. Zusammenfassend wird das vorgestellte KMV-Optionspreismodell wie folgt eingeschätzt: Was die Methodik betrifft, so ist das KMV-Optionpreismodell ein vielversprechender wissenschaftlicher Ansatz für die zeitnahe Abbildung des Kreditrisikos. Das Modell ermöglicht diese zeitnahe Abbildung, indem es von einer barwertorientierten, marktbezogenen Kreditrisikoauffassung ausgeht. Je­ doch führt das Modell zu erheblichen Problemen bei der praktischen Anwen­ dung, da die für die Umsetzung notwendigen Marktdaten in Deutschland weitge­ hend fehlen. Daraus ergibt sich, daß die Inputparameter des Modells für deutsche Verhältnisse zum überwiegenden Teil geschätzt werden müssen. Dabei ist dann allerdings zu erwarten, daß die mit diesen geschätzten Inputparametem ermittel­ ten Ausfallwahrscheinlichkeiten nicht genauer sein dürften als die mit Verfahren der empirischen Bonitätsbeurteilung geschätzten Ausfallwahrscheinlichkeiten, denen im Regelfall historische (Bilanz)Daten zugrunde liegen. Realistischerwei­ se ist das KMV-Optionspreismodell nur dann auf deutsche Verhältnisse anwend­ bar, wenn es gelingt, aus Jahresabschlußdaten deutscher Unternehmen Kenn­ zahlen mit einer stärkeren Marktorientierung abzuleiten und damit die notwendi­ ge Datenhistorie für die empirische Zuordnung der Ausfallwahrscheinlichkeiten zur errechneten distance-to-default geschaffen ist. Damit ist jedoch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Im Ergebnis ist das optionspreistheoretische Modell für das deutsche Mengengeschäft der standardisierten Kreditrisikobeurteilung (noch) nicht einsetzbar und wird im weiteren Verlauf der Arbeit nicht weiter vertieft. Aus den dargelegten Gründen bieten sich für das Mengengeschäft der Kreditge­ währung an klein- und mittelständischen Unternehmen nach wie vor standardi­ sierte empirische Bonitätsbeurteilungsverfahren an.

1 2 3 4

Vgl. Bundesministerium der Wirtschaft (Hrsg.) (Untemehmensgrößenstatisik 1997), S. 145 f.. Quelle: Deutsche Börse (Cash-Market 1998), S. 2. Vgl. Davidson/Sellers (Private Finn Model 1998). Vgl. Davidson/Sellers (Private Firm Model 1998), S. 2.

40

A. Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings

Auf die Gesamtbank ausgerichtete Kreditrisikomodelle berücksichtigen Portfo­ lioeffekte bei der Berechnung des Kreditrisikos. Sie erlauben eine effiziente Kapitalallokation, individuelle Preisfindung von Kreditengagements und sind damit zentrales Instrument für das Risikomanagement einer Bank. Kreditrisiko­ modelle haben zum Ziel, Portfoliorisiken auf der Grundlage von Value-at-RiskBerechnungen zu ermitteln. Der Value-at-Risk ist der maximale, monetär be­ wertete Verlust aus Kreditrisiken, der innerhalb einer bestimmten Frist (die so­ genannte Haltedauer) bei einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsniveau (das sogenannte Konfidenzniveau) auf Basis einer bestimmten Wahrscheinlichkeits­ verteilung eintreten kann.1 Die Wahrscheinlichkeitsverteilung ordnet jedem denkbaren Portfolioverlust die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens zu.

Gemäß den unterschiedlichen Auffassungen über die Definition des Kreditrisikos können die Kreditrisikomodelle grundsätzlich in zwei Kategorien eingeteilt wer­ den: Default-Mode-Modelle betrachten potentielle Verluste aufgrund eines To­ talausfalls wie z. B. Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Mark-to-MarketModelle erfassen neben diesem „worse case“ zusätzlich Risiken/Implikationen, die sich aufgrund von Bonitätsveränderungen in eine andere Ratingklasse (z. B. Downgrading) ergeben.2 Bei letzteren wird der Migrationsprozeß, die Wande­ rungsbewegung, explizit berücksichtigt. Zu den Default-Mode-Modellen zählt das von Credit Suisse Financal Products entwickelte Produkt Credit Risk+3, ein Vertreter der Mark-to-Market-Modelle ist Credit Metrics von J. P. Morgan4. Die Bestimmungsfaktoren für die aktuell in der Diskussion5 befindlichen portfo­ lioorientierten Kreditrisikomodellen zeigt die folgende Tabelle:

1 2 3 4 5

Siehe auch die detaillierte Darstellung zum Value-at-Risk im Kreditgeschäft bei Rolfes (Ge­ samtbanksteuerung 1999), S. 403-409. Vgl. Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (Credit Risk Modelling 1999), S. 4. Vgl. Credit Suisse Financial Products (Credit Risk+ 1997). Vgl. J. P. Morgan (Credit Metrics 1997). Vgl. Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (Credit Risk Modelling 1999).

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

41

Ratingurteil Ausfall- bzw. Migrationsraten

Modellinput

Prognosezeitraum

Kredithöhe (Exposure) Deckungsquote (Recovery Rate)

Aggregation/Korrelation Modelloutput

Verlustverteilungsfunktion (Loss PDF)

notwendiges Risikokapital

Tabelle 1: Bestimmungsfaktoren von Kreditrisikomodellen Marktrisiken sind üblicherweise normalverteilt, Kreditverlustverteilungen weisen hingegen eine typische Schiefe auf. Denn im Kreditportfolio ist vergleichsweise oft mit kleineren Kreditausfällen zu rechnen, relativ selten jedoch mit einem großen Kreditausfall. Seine Konsequenzen können jedoch für das Institut so gravierend sein, daß die Möglichkeit des Ausfalls nicht ausgeschlossen werden darf. Wegen dieser Schiefe von Kreditverlustverteilungen sind analytische Ver­ fahren zur Bestimmung der Verlustverteilung des Kreditportfolios auf der Basis von Parametern der Normalverteilung ausgeschlossen. Statt dessen muß der Value-at-Risk mit Hilfe von Simulationsrechnungen unter Verwendung histori­ scher Daten ermittelt werden. Deshalb spielen bei allen Kreditrisikomodellen das Ratingurteil, die sich daraus ergebenden Ausfall- und Migrationsraten (Wande­ rungen durch Bonitätsveränderungen) als Inputgrößen eine herausragende Be­ deutung.

Die für die Erstellung von Kreditrisikomodellen notwendige Datenbasis ist je­ doch im Kreditbereich weit weniger gegeben als im Marktrisikobereich. Ange­ sichts der insgesamt unzureichenden Datenbasis und der fehlenden Validie­ rungsmöglichkeiten ist zur Zeit noch keine bankaufsichtsrechtliche Anerkennung von Kreditrisikomodellen in Aussicht. Die Finanzindustrie benötigt eine längere Historie von Kreditdaten und bislang noch nicht vorhandene Verfahren, mit denen die Prognosegüte der Modelle bestimmt werden kann. Erst wenn diese wesentlichen Probleme gelöst sind, ist mit einer bankaufsichtlichen Anerken­ nung von Kreditrisikomodellen zu rechnen.

42

A. Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings

III. Bedeutung des Credit-Ratings für die zukünftige bankaufsichtliche Kreditrisikomessung Interne Ratings als Vorstufe für Kreditrisikomodelle sollen hingegen früher ban­ kaufsichtlich anerkannt werden. Mit dem seit Anfang Juni 1999 vorliegende Konsultationspapier des Baseler Ausschusses „A new capital adequacy frame­ work“1 sind bereits konkrete Vorstellungen für die bankaufsichtliche Anerken­ nung externer und erste Schritte für die Anerkennung interner Ratings formuliert. Ausgehend von der Kritik an dem Baseler Akkord von 1988 einer zu groben Einteilung der Kreditrisiken in wenige Standardkategorien, der fehlenden Be­ rücksichtigung von neuen Sicherungsinstrumenten wie Kreditderivaten und Nettingvereinbarungen, der fehlenden Berücksichtigung von Portfolioeffekten sieht das Konsultationspapier des Baseler Ausschusses „A new capital adequacy fra­ mework“ drei Säulen vor, auf die sich die Bankenaufsicht zukünftig stützen soll.

Diese drei Säulen sind: 1. Mindestkapitalanforderungen mit dem Ziel einer genaueren Quantifizierung des Kreditrisikos und anderer Risiken,

2. Supervisory Review Process mit dem Ziel Individualisierung der Bankenauf­ sicht und 3. Förderung der Marktdisziplin mit dem Ziel erweiterter Offenlegungspflich­ ten.

Der wichtigste Bereich des Baseler Konsultationspapiers ist die erste Säule. Im Rahmen der Mindestkapitalanforderungen wird u. a. eine Verfeinerung der Kre­ ditrisikomessung durch die Nutzung von externen Ratings (im wesentlichen von Ratingagenturen) und von bankintemen Ratings und darauf aufbauender Kredit­ risikomodelle vorgcschlagen. Darüber hinaus soll die bankaufsichtliche Aner­ kennung von Techniken zur Risikoreduzierung (Credit Risk Mitigation) erweitert werden. Zusätzlich soll eine separate Eigenkapitalunterlegung sogenannter „an­ derer Risiken“ (Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch, operationale und sonstige Risiken) erfolgen. Nach § 10 Abs. 1 KWG müssen Kreditinstitute im Interesse der Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber ihren Gläubigern, insbesondere zur Sicherung der ihnen anvertrauten Vermögenswerte, angemessene Eigenmittel besitzen. Diese

Zu den folgenden Ausführungen vgl. Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (Capital adequacy framework 1999).

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

43

Forderung nach ausreichenden Eigenmitteln ist vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank im Grundsatz I festgeschrieben. Die geltenden Eigenkapitalvorschriften der Kreditinstitute ba­ sieren auf dem Baseler Akkord von 1988. Danach müssen die gesamten gewich­ teten Risikoaktiva täglich mindestens in Höhe von 8 % mit haftendem Eigenka­ pital unterlegt sein. Nach dem Gruppenansatz des Grundsatzes I werden die Geschäftspartner nicht individuell nach ihrer Bonität gewichtet, sondern in ab­ strakte Klassen eingeteilt, die Anrechnung der Risikoaktiva erfolgt nach Adres­ sengewichtungssätzen von 0, 10, 20, 50, 70 und 100 %1. Mit 100 % sind zur Zeit die sonstigen Aktiva, also insbesondere alle gewerblichen Kredite, mit Ausnah­ me der erstrangigen gewerblichen Kredite gegen Grundpfandrechte (hier: An­ rechnungsfaktor 50 %), anzurechnen. An dieser Stelle setzen nun die zur Zeit heftig diskutierten Reformüberlegungen im Hinblick auf das Rating an. Die neuen Mindestanforderungen an die Eigenkapitalausstattung gehen zwar von den bisherigen Regelungen für die Gliederung nach Schuldnerklassen (NichtBanken, Banken, öffentliche Haushalte) aus. Innerhalb der Schuldnerklasse soll jedoch künftig jede Adresse einen risikoadäquaten Bonitätsgewichtungsfaktor erhalten. Erfolgen soll dies auf der Basis einer Ratingeinstufung externer Ratin­ ganbieter. Für Nichtbank-Untemehmen sind derzeit folgende Anrechnungssätze vorgesehen (Ratingbezeichnung nach Standard & Poors): Externes Rating für Corporates AAA bis AA-

A+ bis A-

BBB+ bis BB-

unter BB-

nicht geratet

20%

50%

100%

150%

100%

Tabelle 2: Vorgeschlagene neue Gewichtungssätze für Nichtbank-Unternehmen2

Die Ratingagentur muß - bevor ihre Ratings für die Ermittlung der Kapitalanfor­ derungen verwendet werden dürfen - von der jeweiligen nationalen Bankenauf­ sicht förmlich anerkannt sein. Das Sekretariat des Baseler Ausschusses soll eine einheitliche Genehmigungspraxis gewährleisten. 1 2

Zu Einzelheiten im Aufbau des Grundsatzes I und der Bonitätsgewichtungsfaktoren vgl. Schierenbeck/Hölscher (BankAssurance 1998), S. 134-146. Vgl. Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (The New Basel Capital Accord 2001), S. 10 und Sanio (Basel II 2000), S. B 1.

44

A. Grundlagen und Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings

Folgende Kriterien müssen Ratingagenturen u. a. erfüllen:1

• •

Objektivität der Ratingmethode durch systematische und kontinuierliche Vorgehensweise, Unabhängigkeit des Ratingurteils von politischen Einflüssen, Transparenz des Ratingverfahrens, Glaubwürdigkeit der Ratingeinteilung (Vorliegen eines Track Records >1 Jahr), internationale Verfügbarkeit des Ratings, Rating-Know How und Ressourcen innerhalb der Ratingagentur,



ausreichend große Anzahl von Ratingkategorien.



• • •

Statt einer pauschal 100 %-igen Gewichtung gewerblicher Kredite soll die Bo­ nitätsgewichtung zukünftig in Abhängigkeit eines Credit-Ratings erfolgen. Dies ist wohl die bedeutendste Änderung aus deutscher Sicht und hat zu der eingangs erwähnten Diskussion im Finanzsektor über die drohende „Ratinglücke“ geführt. Als Alternative zur Nutzung des externen Ratings sollen bei „some sophisticated banks“ bankinteme Ratings zur Berechnung der Eigenkapitalanforderungen für Kreditrisiken zugelassen werden, wenn diese noch zu definierenden Mindest­ standards entsprechen.2 Die Risikoeinstufung der Banken steht folglich selbst auf dem Prüfstand. Denn die internen Ratings müssen sich an den externen Ratings messen lassen und die für externe Ratings aufgestellten Zulassungsanforderun­ gen soweit wie möglich erfüllen (Prinzip der horizontalen Integrität). Bankinter­ ne Ratingverfahren sollten daher u. a. objektiv, nachvollziehbar und transparent sein. Für die Festlegung der Zulassungskriterien sollte zudem gefordert werden, daß externes wie auch internes Rating im Ergebnis gleich streng selektieren. Hierzu könnten durch die Verfahren ermittelte Ausfallwahrscheinlichkeiten herangezogen werden.

Derzeit steht eine bankaufsichtliche Tauglichkeitsprüfung interner Ratingverfahren noch aus. Die Models Task Force des Baseler Ausschusses hat einen Bericht über den Stand interner Ratingverfahren veröffentlicht3 und entwickelt daraus qualitative und quantitative Kriterien für deren bankaufsichtliche Zulassung. Bei der Festlegung der Zulassungskriterien ergibt sich allerdings ein Zielkonflikt. Einerseits müssen in Basel für das deutsche Bankensystem wichtige Wettbe­

1

2 3

Vgl. Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (Capital adequacy framework 1999), S. 13 und Hofmann (Reform 1999), S. 12. Vgl. Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht (Capital adequacy framework 1999), S. 13. Vgl. Baseler Aussschuß für Bankenaufsicht (Range of practice 2000).

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

45

werbsaspekte beachtet werden (so ist das externe Rating in Kontinentaleuropa nicht so bedeutsam wie in den USA, deshalb ist die bankaufsichtliche Anerken­ nung interner Ratingverfahren für deutsche Banken sehr wichtig), andererseits dürfen bankaufsichtliche Erwägungen auch nicht von den Interessen der heimi­ schen Finanz Wirtschaft dominiert werden. Wie hoch die Zulassungshürde für interne Ratingverfahren letztlich sein wird, läßt sich derzeit noch nicht genau sagen. Auf jeden Fall gibt die Möglichkeit der bankaufsichtlichen Anerkennung Anreize für ein höheres Qualitätsniveau und führt bei den Banken zu einer Über­ arbeitung der bestehenden Ratingsysteme.1

Unmittelbare Adressaten der Baseler Neuregelungen sind zunächst nur die soge­ nannten international tätigen Banken. Die Regeln werden aber auf den gesamten Bankensektor in Europa ausstrahlen, da in Brüssel ebenfalls an einer Überarbei­ tung der entsprechenden EU-Richtlinien gearbeitet wird.2 Diese werden nach ihrer Umsetzung in nationales Recht (vorgesehen ca. 2004) für alle Kreditinsti­ tute innerhalb der EU verbindlich sein. Credit-Ratings werden damit direkt über die vorgeschlagenen Mindestkapitalanforderungen, wie auch indirekt als Vorstu­ fe für die bankaufsichtliche Zulassung von Kreditrisikomodellen, zukünftig eine wesentliche Rolle für den Eigenkapitalbedarf der Banken spielen.

1 2

Vgl. Bundesverband deutscher Banken (Standardansatz 1999), S. 222 sowie Klein/Goebel (Reform 1999), S. 443. Vgl. European Commission (Regulatory capital requirements 1999).

46

B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

B.

Informationsbedarf für ein quantitatives Rating

I.

Die Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen

1.

Ziele der Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen

Die Information ist die Grundvoraussetzung im Ratingprozeß. Denn jedes Ratin­ gurteil ist nur so gut, wie die Information, die in das Ratingmodell einfließt. Bonitätsrelevant ist eine Information dann, wenn ihr Informationsgehalt die Güte des Ratingurteils erhöht. Je nach Anforderung kann die Güte des Ratingurteils unterschiedlich geniessen werden, grundsätzlich sollte ein Ratingurteil möglichst zutreffend und sicher sein. Trotz der Fülle potentiell wichtiger Informationen stellt sich in der Praxis oft­ mals heraus, daß zu wenig aussagekräftige Informationen vorhanden sind. Es gilt daher, aus den vielen Informationen möglichst schnell die für die Bonitätsprü­ fung des betreffenden Kreditnehmers relevanten zu erkennen.

Bei der Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen wird das Hauptaugenmerk auf die Früherkennung gelegt. Früherkennung1 ist eine spezielle Art von Infor­ mation, die dem Kreditgeber mögliche Gefährdungen, Bedrohungen, Chancen und Gelegenheiten mit zeitlichem Vorlauf signalisiert. Dieser zeitliche Vorlauf versetzt den Benutzer in die Lage, bei Gefährdungen noch rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen zur Abwehr oder Minderung der signalisierten Bedrohungen ergreifen zu können bzw. bei Chancen günstige Zukunftsentwicklungen frühzei­ tig zu erkennen, um sich entsprechend zu positionieren. Die Früherkennung basiert auf der Erfahrung, daß Veränderungen nicht plötzlich auftreten, sondern bereits erste Signale auf Veränderungen hindeuten. Die Idee der antizipativen Früherkennung ist maßgeblich von der Entwicklung der Konzeption der schwa­ chen Signale von Ansoff beeinflußt.2

1

2

Im Rahmen der Früherkennung wird zumeist nur auf Gefährdungstatbestände abgestellt, daher spricht man gewöhnlich von Frühwarnung. Kreditinstitute zeigen zwar vorrangig Interesse an bedrohlichen Zukunftsentwicklungen, jedoch sollte - als Spiegelbild - auch auf die Beobachtung von Zukunftschancen abgestellt werden. Deshalb zieht die Verfasserin den Terminus Früherken­ nung vor, auch wenn die kreditgeföhrdenden Entwicklungen im Vordergrund der Thematik ste­ hen. Ansoff geht davon aus, daß sich strategische Überraschungen durch schwache Signale ankündi­ gen, wobei er den Begriff des schwachen Signals nicht näher operationalisert, sondern selbst von einer „vagen” Information spricht, siehe Ansoff (Untemehmensfuhrung 1981) S. 238. Damit der Empfänger dieses „schwache Signal” überhaupt registriert bzw. richtig interpretiert, muß er be­ reits ein Vorverständnis von dem sich ankündigenden Ereignis haben.

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

47

Frühwaminformationen sind besondere Analyse- und Prognoseinformationen1, die untemehmensspezifische Schwächen aufzeigen. Wie die nachfolgende Abbildung 4 verdeutlicht, können je nach Offensichtlichkeit der untemehmensspezifischen Schwächen unterschiedliche Entwicklungsphasen einer Untemehmenskrise unterschieden werden.2 In der potentiellen Krise kann eine Krise noch nicht wahrgenommen werden. Die Gefährdungen in diesem ersten Zeitabschnitt sind strategischer Art und das Be­ drohungspotential ist nur wenig konkretisiert. Die Unternehmung ist scheinbar gesund, in den Jahresabschlußunterlagen zeigen sich keine Anzeichen einer negativen Entwicklung. In der folgenden latenten Krise gehen die für eine Dia­ gnose notwendigen Signale aus einer Vielzahl negativer Entwicklungen hervor, die sich nur zum Teil im Jahresabschluß ankündigen, und - wenn überhaupt dort auch nur recht unzureichend ab gebildet werden. Wichtig für die Analyse ist die Tatsache, daß die latente Krise noch keine offen ersichtliche Auswirkung auf den ausgewiesenen Jahreserfolg hat. Deutlichstes Unterscheidungskriterium der akuten Krise von der latenten Krise ist, daß erstere nicht nur der Unternehmung, sondern auch anderen interessierten Gruppen bekannt ist. Die akute Krise ist in der Regel durch gravierende Unterschreitung von Erfolgszielen, wie beispiels­ weise Gewinn-/Rentabilitäts- oder Umsatzzielen gekennzeichnet und spiegelt sich deutlich im Jahresabschluß wider. Letztes Stadium der Untemehmenskrise ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, wenn die gesetzlichen Gründe der Überschuldung oder der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit vorliegen.3 Kreditinstitute befinden sich bei ihrer Kreditvergabeentscheidung üblicherweise in der Position eines externen Analytikers. Für den externen Analytiker ist die latente Krise von besonderem Interesse, weil dort erstmals die (noch weitgehend) verborgene Krise anhand spezieller Merkmale für Dritte erkennbar wird, so daß noch hinreichend Zeit für Gegenmaßnahmen verbleibt. Bestreben der Kredit­ würdigkeitsprüfung ist es, spezifische Signale in Form von Frühwamindikatoren zu finden, durch die latente Krisenerscheinungen angekündigt und analysiert werden können. Die Wirkung des Frühwamindikators muß sich folglich mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit prognostizieren lassen.

1 2 3

Unter Prognose wird die abgesicherte Vorhersage der zukünftigen Entwicklung verstanden. Zu den im folgenden beschriebenen unterschiedlichen Krisenphasen vgl. auch die Ausführungen bei Hauschildt (Untemehmenskrisen 2000), S. 2-5. Vgl. § 19 der Insolvenzordnung vom 5.10.1994 i. d. F. vom 28.12.1998.

48

B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

Abbildung 4: Entwicklungsphasen einer Unternehmenskrise1

Jedoch ist es schwierig, allgemeingültige Frühwamindikatoren zu bestimmen, da es „die Untemehmenskrise schlechthin” nicht gibt, sondern vielfältige Erschei­ nungsformen von Krisen. Die große Krise eines Unternehmens wird häufig ver­ ursacht durch das Zusammentreffen vieler kleiner Krisen. Sie ist oft das Ergebnis alter, nicht vollständig bewältigter Probleme des Unternehmens, die in Abbildung 4 als vorgelagerte Krisenursachen bezeichnet werden. Krisenindikatoren2 müssen nicht zwangsläufig Krisenursachen sein. So trägt der Mangel an Eigenkapital zwar prinzipiell zur Verschärfung einer Krise bei, er ist aber keine prinzipielle Krisenursache, sondern oft eher eine Folge. Mit anderen Worten: Das Auftreten mancher Indikatoren mag für die Auslösung einer Krise notwendig sein, es ist allein allerdings nicht hinreichend. So läßt auch die Häu­ figkeit, mit der Krisensymptome auftauchen, nur bedingt Rückschlüsse auf deren Wichtigkeit als Krisenursache zu. Bei Experten und Betroffenen prägen sich bestimmte Ursachen besonders stark ein, weil sie in der Schlußphase einer Krise auftreten. Die Schwachstelle des letzten Augenblicks muß aber nicht die eigent­ liche Krisenursache gewesen sein. Von daher ist es nicht immer einfach, zwi­ schen Ursachen und Folgen zu unterscheiden. Von Wissenschaft und Untemehmenspraxis wurden inzwischen eine Vielzahl von Merkmalen identifiziert, die über Erfolg und Mißerfolg unternehmerischen Handelns Auskunft geben. Trotz dieser potentiellen Merkmalsvielfalt gehört die Früherkennung von Untemehmenskrisen zu den schwierigsten Aufgaben, da der

1 2

In Anlehnung an Hauschildt (Untemehmenskrisen 2000), S. 3. Die Begriffe Frühwamindikator und Krisenindikator werden in dieser Arbeit synonym verwen­ det.

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

49

externe Analytiker nur begrenzt über die eigentlich relevanten Informationen verfugt und eine zusätzliche Datenbeschaffung - sofern überhaupt möglich häufig mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist.1 Die vorliegende Arbeit will aufzeigen, inwieweit bislang brachliegende Infor­ mationsbereiche durch den externen Analytiker systematisch erfaßt und ausge­ wertet werden können. In vielen Fällen sind es gerade qualitative Merkmale, die als Frühwamindikatoren kritische Entwicklungen oder Gefährdungsquellen bei Kreditengagements signalisieren

2. Vorgehensweise zur Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen Prinzipiell lassen sich folgende Methoden zur Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen unterscheiden: • Expertenbefragung,

• •

Datenanalyse, Literaturstudium.

Expertenbefragungen erfolgen üblicherweise mit Hilfe von Fragebögen, um so eine systematische Befragung zu gewährleisten. Jedoch zeigt sich, daß Befra­ gungen einzelner Experten zu Gewinnung von Expertenwissen oft zu einseitig sind. Prinzipiell bestehen bei der Festlegung der Anzahl der zu befragenden Experten zwei konkurrierende Zielsetzungen. Einerseits ist es schon aus theoreti­ schen und statistischen Erwägungen angebracht, eine möglichst große Anzahl von Experten zu befragen. Anderseits zeigt sich aber auch, daß Erhebungen, in denen eine kleinere Anzahl Experten befragt werden, effizienter und naturgemäß kostengünstiger sind. Vor allem sollte aber auf die Wissensqualität der Experten geachtet werden. Sowohl die Kenntnisse über Fakten wie auch das Wissen, um die Verknüpfung dieser Fakten sollen dem Stand des „besten“ Sachverständigen entsprechen und nicht dem Niveau des „durchschnittlichen“ Experten.2

Die Datenanalyse erfolgt üblicherweise unter Verwendung statistischer Verfah­ ren. Sinnvollerweise sollte aber auch ihr eine Expertenbefragung vorangestellt werden. Denn die Entscheidung, welche Informationen als entscheidungsrelevant

Viele Unternehmen besitzen eine sehr restriktive Informationspolitik und erlauben externen Bonitätsanalytiker nur selten einen direkten Einblick in das betriebliche Geschehen Dies bestä­ tigt beispielsweise eine jährlich vom manager magazin durchgefuhrte Untersuchung, vgl. o.V. (Reden ist Gold 1996), S. 159-183. In der Terminologie von Hauschildt bezeichnen Fakten die ontologische und das Wissen um die Verknüpfung dieser Fakten die nomologische Komponente der Wissensbasis, siehe Hauschildt (Methodische Anforderungen 1990), S. 525 f..

50

B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

angesehen werden und damit überhaupt für den statistischen Analyseprozeß ausgewählt werden, sollte im Vorfeld jeglicher Datenanalyse durch den Kredit­ experten getroffen werden. Erst auf dieser Basis können von dem jeweiligen Verfahren diejenigen Indikatoren ermittelt werden, die in die verfahrensspezifi­ sche Klassifikationsregei aufgenommen werden.

Eine statistisch fundierte Datenanalyse geht in folgenden Schritten vor: 1. Bestimmung eine Stichprobe, die repräsentativ für die Grundgesamtheit ist. Sie enthält Elemente mit einer bekannten Gruppenzuordnung. Bezogen auf die Bonitätsanalyse sind die Elemente die Unternehmen; die Gruppen kön­ nen bei einer insolvenzorientierten Betrachtungsweise durch die Merkmale solvent und insolvent definiert werden. 2. Bestimmung trennfähiger Merkmale. Trennfähigkeit bedeutet, daß sich die für die Analyse ausgewählten Merkmale bei den zuvor definierten Gruppen unterscheiden müssen.

3.

4.

5.

Ermittlung des Klassifikators auf Basis des jeweils ausgewählten Verfah­ rens. Das jeweilige Verfahren errechnet aus den Daten der Stichprobe für ei­ ne Merkmalskombination xpx2r-,xn einen Punktwert Z, auch score genannt, anhand dessen das Unternehmen einer Bonitätsklasse zugeordnet wird. Prüfung der Leistungsfähigkeit des entwickelten Klassifikators. Dafür wer­ den statistische Signifikanztests1, der erwartete Klassifikationsfehler und die Trennschärfe des Modells herangezogen. Die letzten beiden Größen werden aus der Stichprobe bestimmt. Klassifizierung von unbekannten Elementen. Bislang unbekannte Elemente (z. B. Neukunden) werden auf Basis des entwickelten Klassifikator unter­ schiedlichen Bonitätsklassen zugeordnet. Hier liegt der Hauptnutzen der statistischen Datenanalyse für den Praxiseinsatz.

Für eine ausreichende Datenbasis ist es notwendig, daß die Informationen schriftlich fixiert (z. B. in den Kundenakten) und nach Möglichkeit auch schon dv-technisch erfaßt sind. Deshalb ist es wichtig, daß • alle Informationen, die bei der Bank anfallen, systematisch und laufend gewonnen und gespeichert werden2, • die Bank einen internen Informationsdienst hat, der bestimmte Informatio­ nen, wie z. B. Meldungen des Handelsregisters systematisch aus wertet und für jeden Kreditnehmer ein entsprechendes Informationsdossier führt,

1

2

Ein Signifikanztest beantwortet die Frage, ob das Ergebnis eines statistischen Verfahrens mögli­ cherweise zufällig zustande gekommen ist. Vgl. Schmoll (Früherkennung 1987), S. 190.

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating





51

der Informationsfluß so organisiert ist, daß die Informationen, welche bei verschiedenen Stellen in der Bank anfallen, zentral zur Verfügung stehen, bei der Informationsbeschaffung alle bzw. möglichst viele (verschiedene) Informationsquellen genutzt werden, die brauchbare Informationen liefern.

Wie sich zeigt, sind die genannten Voraussetzungen nicht selbstverständlich in der Praxis erfüllt. Neben der allgemeinen Problematik, daß bestimmte Daten erst gar nicht erhoben werden und damit von vornherein für Auswertungen nicht zur Verfügung stehen, besteht auch die Gefahr, daß Datensätze später gelöscht wer­ den. So kommt es in der Praxis vor, daß die für Analysezwecke so wertvollen Datensätze später insolvent gewordener Unternehmen nicht aufbewahrt, sondern vor dem Hintergrund einer aktuellen Kundenliste gelöscht werden. Hier gilt es, die Entscheidungsträger für den Wert einer systematischen Historisierung des Datenmaterials zu sensibilisieren und eine diesbezügliche Dokumentation orga­ nisatorisch sicherzustellen.

Die Aufzählung der Literaturbefragung als dritte, eigenständige Möglichkeit zur Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen ist eher formeller Art. Denn mate­ riell stellt die Literaturbefragung das publizierte Ergebnis von Datenuntersu­ chungen dar oder von schriftlich dokumentiertem Fachwissen. Beides wurde bereits dargestellt.

3.

Probleme bei der Bestimmung bonitätsrelevanter Informationen

Die Bonitätsanalyse ist ein schwach strukturiertes Problem1, denn es lassen sich - aufgrund der Komplexität des Entscheidungsprozesses - weder genaue Anga­ ben über das Entscheidungsproblem machen noch allgemeine Lösungsverfahren aufzeigen, so daß die Theorie wenig Hinweise für die Bestimmung bonitätsrele­ vanter Informationen liefert. Dieser Sachverhalt ist auch Gegenstand einer in der Wissenschaft heftig geführten Diskussion über den Einsatz statistischer Verfah­ ren in der Bonitätsanalyse. So lautet der von D. Schneider vertretene Standpunkt: Ein Erklärungsmodell als logisches Verbindungsglied zwischen gegebenen Merkmalen einerseits und Konkursuntemehmen bzw. gesunden Unternehmen andererseits fehle. Deshalb seien auf statistische Analysen basierende Frühwarn­ systeme ungeeignet und gefährlich.2 Schneider und ihm folgend Burger3 fordern 1

2 '

Schwach strukturiert ist ein Problem dann, wenn der Wirkungszusammenhang zwischen Handlungsaltemativen und deren Folgen nicht (vollständig) bekannt ist, so daß ein effizientes Lö­ sungsverfahren zur Ermittlung einer optimalen Lösung nicht existiert. Zu den Merkmalen eines gut strukturierten Entscheidungsproblems vgl. Adam (Planung und Entscheidung 1996), S. 9 f.. Vgl. Schneider (Warnung 1985), S. 1493. Vgl. Burger (Klassifikation 1994), S. 1167-1177.

52

B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

wissenschaftlich fundierte Finanzierungshypothesen im Sinne von „UrsacheWirkungshypothesen“ für Untemehmensmerkmale und damit eine Theorie der Bonitätsanalyse. Die Aufgabe der Theorie solle es sein, die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen von gegebenen Merkmalen auf eine Untemehmensentwicklung geschlossen werden kann.1 Statt über Verfahren zu forschen, seien theoretische Modelle notwendig, die Begründungszusammenhänge zwischen Kennzahlen und Untemehmensentwicklungen formulieren.2 Dem Ruf nach einer theoretischen Fundierung schließen sich auch Baetge, Clemens und Mertens an.3 Sie verdeutlichen, daß mit ihren (empirischen) Analysen keine Handlungsemp­ fehlung verbunden ist, sondern diese lediglich eine Informationshilfe darstellen. In diesem Sinne ergänzen sich empirische Untersuchungen und theoretische Arbeiten, denn beides sollte in der jeweils anderen Welt überprüft werden. Auch das zuvor dargestellte KMV-Modell, das auf optionspreistheoretischen Überle­ gungen beruht, kann das Theoriedefizit nicht beseitigen. So zeigen die KMVUntersuchungen, daß in der Praxis Unternehmen nicht insolvent werden, auch wenn der Vermögenswert unter der Gesamtverschuldung liegt.4 Darüber hinaus bietet auch das KMV-Modell keinen überzeugenden Ansatz für die Erklärung von Liquiditätsproblemen, die in der Praxis häufig zu einer Insolvenz fuhren.

Für den Wissenschaftler sind theoretisch abgesicherte Ursache-WirkungsZusammenhänge zwar reizvoll und notwendig, dem Praktiker hilfreich ist aber vor allem die technologische Ausrichtung der Betriebswirtschaft, bei der es u. a. darum geht, aussagekräftige Ziel-Mittel-Beziehungen zu erkennen. Auch das aufgezeigte theoretische Defizit der Untemehmensanalyse spricht dafür, Kredit­ beurteilung nicht als „Black-Box“ zu betreiben, bei der der Kreditanalyst dem Verfahren blind vertrauen muß, da für ihn nicht erkennbar ist, was sich innerhalb der „Black-Box“ abspielt, sondern dem Kriterium der Nachvollziehbarkeit eine angemessene Bedeutung zukommen zu lassen.5 Das Wirtschaftsgut Information ist ein ausgesprochen wertvolles Gut und besitzt zentrale Bedeutung im Kreditgeschäft.6 Denn nur anhand von ausreichenden Informationen kann zweckorientiertes Wissen aufgebaut und können zutreffende

1 2 3 4 5

6

Vgl. Schneider (Theorie 1989), S. 633 und 642. Vgl. Burger (Klassifikation 1994), S. 1165. Vgl. Baetge/Clemcns/Mertens (Stellungnahmen 1994), S. 1181-1191. Vgl. Crosbie (Modeling Default Risk 1999), S. 3. Zur Nachvollziehbarkeit der Kreditentscheidung bei einem quantitativen Rating vgl. Erläuterun­ gen im 2. Teil B. III. 3. dieser Arbeit. Eine ausführliche Darstellung zum Thema Information im Kreditgeschäft findet sich bei Kunz (Information 1988).

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

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Kreditvergabeentscheidungen gefällt werden.1 „Das Kreditrisiko verhält sich gleichsam reziprok zur Qualität der für die Bonitätsbeurteilung einschlägigen Informationen.”2 Man spricht deshalb bereits von der Information als neuem Produktionsfaktor oder gar als neuem Rohstoff, der als internes und externes Wissen auch beschafft und zielgerichtet verarbeitet werden muß. Aus diesem Grund ist zu analysieren, welche Arten von Informationen existieren. Zwei Arten von Informationen sind hier von Wichtigkeit: Die vollkommene und die unvoll­ kommene Information? Unter vollkommener Information versteht man, daß der Kreditsachbearbeiter die in der Information enthaltene Nachricht bzw. das Wis­ sen vollständig nutzen kann. Diese Art von Information ist aber in der Realität selten anzutreffen. Entscheidungstheoretisch handelt es sich bei der Kreditent­ scheidung um ein Entscheidungsproblem bei unvollkommener Information.4 Die Unvollkommenheit des Informationsstandes ergibt sich im wesentlichen aus folgenden drei Komponenten unzureichenden Wissens, nämlich • der Unvollständigkeit (Fehlen wichtiger Teilinformationen), • der Unbestimmtheit (unpräzise Informationen mit geringem Informations­ gehalt) und • der Unsicherheit (Gefahr, daß sich eine Information als falsch erweist).5

Ein Grund für die Unvollkommenheit der Informationen ist auch hier in der Distanz des Entscheidungsträgers zum Ort der Geschehens zu sehen. Banken als externe Analytiker haben nur selten einen direkten Einblick in das betriebliche Geschehen beim Kreditnehmer. Den Kundenbetreuern sind meist nur untemehmensexteme Informationen und die Auskünfte des Unternehmers zugänglich, die auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen sind. Wie für alle Untemehmensinteressenten ist es auch für sie schwierig, in den Besitz von aktuellen Planungsdaten zu gelangen, die ihrerseits den ’’natürlichen” Mangel besitzen, unbestimmt und unsicher zu sein. Für das Standard-ZMengengeschäft, in dem viele Kreditanträge möglichst zeitnah zu entscheiden sind, können betriebsinteme Informationen nur in Ausnahmefällen eingeholt werden. Es besteht zudem für den Kreditprüfer das grundsätzliche Problem, den Wahrheitsgehalt der von Unternehmen erhaltenen Informationen einzuschätzen. Die Erhebung von umfangreichen Ursacheninfor­

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4 5

Vgl. Schmoll (Kreditprüfung 1990), S. 6. Bühler (Qualitative Indikatoren 1982), S. 85. Vgl. Wittmann (Information 1959), S. 18. Der interessierte Leser findet dort eine detaillierte Beschreibung der Formen von Information. Vgl. Schmoll (Kreditprüfung 1990), S. 6. Vgl. Denk (Diagnosemethoden 1979), S. 15.

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B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

mationen ist daher für das Standardgeschäft auch unter Kosten-ZNutzenüberlegungen nur wenig zweckmäßig. Oft wird der statistisch fundierten Untemehmensanalyse vorgeworfen, sie sei vergangenheitsorientiert, da die Auswertungen auf der Basis historischer Daten erfolgt. Die Unsicherheit der dabei gewonnenen Ergebnisse sei sehr groß, denn bei diesem Vorgehen wird unterstellt, daß sich die aufgezeigten Strukturen der ex post insolventen bzw. solventen Unternehmen auch in der Zukunft fortsetzen und sich damit auf künftig zu klassifizierende Unternehmen übertragen lassen.1 Gerade bei der Bonitätsanalyse auf Basis von Jahresabschlüssen ist dies ein oft geäußerter Kritikpunkt. Konkret: Aus der Analyse von Kennzahlen einer Ver­ gangenheitsbilanz lasse sich keine in die Zukunft gerichtete Früherkennung von Kreditrisiken bzw. von negativen Untemehmensentwicklungen ableiten. Dieser vermeintliche Widerspruch löst sich jedoch teilweise dadurch, daß die Bilanz des zu untersuchende Unternehmen mit Bilanzmustem von Unternehmen verglichen wird, von denen man weiß, daß bei letzteren erst nach einem gewissen Zeitraum, i. d. R. zwei oder drei Jahre die Krise eingetreten ist, so daß - obwohl die ver­ wendeten Informationen vergangenheitsbezogen sind - dem Modell trotzdem ein entsprechender Prognosehorizont zugestanden werden kann.

Bei der Kreditwürdigkeitsprüfung besteht - wie bei allen Entscheidungen - ein Bedarf an vollkommenen Informationen, jedoch ist es in der Praxis nicht mög­ lich, vollkommenes zweckorientiertes Wissen zu erlangen. Trotz der Informati­ onshandlungen wird der Kreditgeber seinen Informationsstand nicht so weit verbessern können, der Kreditentscheid wird immer auf unvollständiger Infor­ mationsbasis erfolgen, denn niemand kann die Zukunft vollständig erfassen. Das Ziel der Insolvenzprognose hat sich daher als sehr anspruchsvoll herausgestellt und konnte bisher nicht befriedigend erreicht werden. Denn immer wieder wird man auf Unternehmen stoßen, die von ihrem Gesamtbild als höchst problema­ tisch erscheinen und trotzdem „weiterleben“, wie auch auf solche, deren Lage unbedenklich erscheint und die trotzdem insolvent werden. Angesichts der kom­ plexen Aufgabenstellung ist es für ein konkretes Unternehmen auch nur sehr schwer feststellbar, mit welcher Wahrscheinlichkeit es insolvent werden wird.

1

So z. B zu finden bei Schierenbeck/Hölscher (BankAssurance 1998), S. 449.

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

IL

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Identifikation bonitätsrelevanter quantitativer Merkmale

Nachdem zunächst Ausführungen über die Bestimmung bonitätsrelevanter In­ formationen gegeben wurden, die von grundsätzlicher Natur sind und damit für die gesamte Informationsbasis Gültigkeit besitzen, wird die Informationsbasis im folgenden differenzierter betrachtet. Diese differenziertere Betrachtung beginnt mit der Charakterisierung der einzelnen Merkmalsgruppen und zeigt dann für jede Merkmalsgruppe auf, wie die zugehörigen Informationen bestimmt werden können.

1.

Charakterisierung quantitativer Merkmale

Als Merkmal wird eine charakteristische Eigenschaft (Zahlungsweise, Rechts­ form, Zahl der Gesellschafter, Alter der Gesellschafter) eines Bezugsobjektes (Unternehmen) bezeichnet. Jedes Merkmal hat mindestens zwei Ausprägungen.1

Merkmale mit quantitativen Merkmalsausprägungen (im folgenden quantitative Merkmale genannt) sind solche Merkmale, die Objekteigenschaften nach ihrer Größe unterscheiden. Die Merkmalsausprägung ist numerisch, sie wird in Form einer Zahl ausgedrückt.2 Quantifizierbare Sachverhalte werden in der Betriebs­ wirtschaft allgemein durch Kennzahlen ausgedrückt. Kennzahlen stellen ein rechentechnisches Mittel dar, mit dem betriebswirtschaftliche Sachverhalte quantitativ ausgedrückt und komplexe Sachverhalte auf einfache Punktgrößen verdichtet werden können? In der standardisierten Kreditwürdigkeitsprüfung von Unternehmen werden unter quantitativen Merkmalen im wesentlichen Jahresab­ schlußkennzahlen verstanden, so daß sich hierauf die folgenden Erläuterungen beziehen.4

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Vgl. Bleymüller/Gehlert/Gülicher (Statistik 1994), S. 3. Geht man von der zugrundeliegenden Meßskala aus, so sind quantitative Merkmale metrisch skaliert. Als metrische Skalen bezeichnet man Intervall- und Verhältnisskalen. Charakteristisch ist für metrische Skalen, daß sich die Abstände zwischen den Merkmalsausprägungen (bei metri­ schen Skalen auch Merkmalswerte genannt) interpretieren lassen. Metrische Merkmale sind z. B. Größe, Gewicht oder Temperatur. Vgl. Hartung (Multivariate Statistik 1995), S. 19. In diesem Sinne auch verwendet bei Schierenbeck (Ertragsorientiertes Bankmanagement 1999), Bd. 2, S. 40. Zur Abgrenzung zwischen quantitativen und qualitativen Merkmalen vgl. auch die Ausfüh­ rungen im 1. Teil B. III. I. Vgl. Schierenbeck/Hölscher (BankAssurance 1998), S. 443. Vereinzelt fließen auch andere quantitative Merkmale in die standardisierte Bonitätsbeurteilung ein, so Kennzahlen zur Kontoausnutzung (z. B. durchschnittliche Kontoinanspruchnahme, defi­ niert als durchschnittl. valutarischer Saldo/Limit), vgl. Ausführungen in 2. Teil A. II. 1. dieser Arbeit.

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B. InformationsbedarfJur ein quantitatives Rating

Kennzahlen lassen sich noch den verschiedensten Kriterien gliedern. Nach ihrem formalen Aufbau können Kennzahlen zunächst eingeteilt werden in: • absolute Zahlen (z. B. Effektiwerschuldung, Cash-Flow), • statistische Maßgrößen (z. B. Standardabweichungen) und • Verhältniszahlen (bei der zwei absolute Größen zueinander in Beziehung gesetzt werden).1 Verhältniszahlen können weiterhin danach unterteilt werden, welche Größen aufeinander bezogen werden. Entsprechend unterscheidet man: • Gliederungszahlen (Relation zwischen einer Teilgröße und einer zugehöri­ gen Gesamtgröße, z. B. Eigenkapital zu Gesamtkapital) • Beziehungszahlen (Relation zwischen zwei verschiedenartigen Größen, z. B. Jahreserfolg zu Eigenkapital) und

Indexzahlen (ausgehend von einem Ausgangswert von 1 oder 100 % wird die zeitliche Entwicklung einer Größe dokumentiert). Üblicherweise werden für das quantitative Rating Verhältniszahlen verwendet. Diese Kennzahlen sollten im Zähler und im Nenner Größen aufweisen, die sinn­ vollerweise in einem sachlogischen Zusammenhang zueinander stehen. Die oft für die Verwendung von Verhältniszahlen angewendete Begründung, absolute Zahlen ließen ohne eine Vergleichsgröße keine ökonomisch sinnvollen Aussagen zu,2 überzeugt nicht, denn auch Verhältniszahlen benötigen einen Vergleichs­ maßstab. Unstrittig liegt aber der Vorteil von Verhältniszahlen darin, daß Kenn­ zahlenwerte von Unternehmen unterschiedlicher Größe miteinander verglichen werden können. Bei Verhältniszahlen sind zudem noch einige formale Grundsät­ ze der Kennzahlenbildung zu beachten: Zähler und Nenner dürfen nicht gleich­ zeitig negative Werte annehmen, da sich dann für den gesamten Ausdruck ein positiver Wert errechnet. Dies kann zu betriebswirtschaftlich unsinnigen Aussa­ gen fuhren, wie sich leicht am Beispiel der Eigenkapitalrendite verdeutlichen läßt. Die Kennzahl Eigenkapitalrendite ist definiert als Gewinn/Verlust vor Gewinnsteuern und Zinsaufwand (um nicht werthaltige Aktivpositionen) berichtigtes Eigenkapital

Tritt nun ein Verlust bei einem gleichzeitig negativem Eigenkapital auf, so nimmt die Kennzahl insgesamt einen positiven Wert an. Je höher der Verlust­ ausweis bei (unverändert) negativem Eigenkapital ist, desto größer wird die errechnete Eigenkapitalrendite. Zusätzlich sollten möglichst keine Kennzahlen 1 2

Siehe Schierenbeck (Grundzüge 2000), S. 620. Vgl. Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 26.

1. Teil: Informationen als Ausgangs basisfür ein Credit-Rating

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ausgewählt werden, deren Nenner leicht Null oder negativ werden. Denn im ersten Fall ist der gesamte Ausdruck mathematisch nicht definiert, im zweiten Fall ist die Gefahr eines betriebswirtschaftlich unerwünschten Vorzeichenwech­ sels gegeben.

Damit Kennzahlen ihrem besonderen Erkenntniswertes gerecht werden können, gilt: Die aus den Kennzahlen abgeleiteten Aussagen sollen in einem funktionalen Zusammenhang mit der zu untersuchenden Aufgabenstellung stehen. Welche Kennzahlen für ein quantitatives Rating ausgewählt werden, darf nicht allein dem statistischen Verfahren überlassen werden, sondern muß von theoretischen Überlegungen bestimmt sein. Sonst besteht die Gefahr, daß das mathematische Verfahren Scheinkorrelationen findet, d. h. Zusammenhänge in den Daten auf­ spürt, die inhaltlich nicht gerechtfertigt werden können. Zudem ergeben viele einzelne Kennzahlen noch kein Gesamtbild. Die Schwäche einer singulären Analyse zeigt sich dann, wenn die einzelnen Kennzahlen zu gegenteiligen Aus­ sagen kommen und der Analytiker diese Widersprüche zu einem Gesamturteil verdichten muß. Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis gibt es daher ver­ schiedene Ansätze, aus den zunächst ungeordnet nebeneinander stehenden Kennzahlen Systeme zu bilden, die bestimmten Zielsetzungen gerecht werden.1 Grundsätzlich lassen sich zwei Vorgehens weisen zur Bestimmung aussagefähi­ ger Kennzahlensysteme unterscheiden, nämlich die logisch-deduktive und die empirisch-induktive Bestimmung.

2.

Logisch-deduktive Bestimmung aussagefahiger Jahresabschlußkennzahlen

Logisch-deduktive Systeme zeichnen sich dadurch aus, daß eine Spitzenkennzahl in mehreren Schritten in eine Vielzahl von Folgekennzahlen zerlegt wird.2 In der betriebswirtschaftlichen Forschung und Praxis wurden schon früh Kennzahlen­ systeme entwickelt. Hierzu zählen das Du-Pont-System of Financial Control, welches das bekannteste und das älteste analytisch-deduktive Kennzahlensystem ist und das Kennzahlensystem des Zentralverbandes der Elektronischen Industrie e. V.. Ersteres bildet auch die Grundlage für neuere Entwicklungen, wie z. B. das

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Als System wird eine geordnete Gesamtheit von Elementen bezeichnet, zwischen denen Bezie­ hungen bestehen, vgl. Schierenbeck (Grundzüge 1999), S. 64. Vgl. Schierenbeck/Hölscher (BankAssurance 1998), S. 443.

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B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

MIDIAS-Konzept der DATEV1 und soll daher etwas eingehender beleuchtet werden.

Abbildung 5: Das DuPont-Kennzahlensystem2 Bei dem DuPont-Kennzahlensystem wird die Spitzenkennzahl Return on In­ vestment (ROI) in ihre multiplikativ verknüpften Determinanten Umsatzrentabi­ lität (UR) und Kapitalumschlaghäufigkeit (KUH) zerlegt. Die Umsatzrentabilität gibt dem Bilanzanalytiker Aufschluß über die Aufwands- und Ertragssituation des betrachteten Unternehmens. Die Kapitalumschlaghäufigkeit verdeutlicht dagegen, wie wirtschaftlich das Vermögen eingesetzt wurde. Aufgrund der Be­ ziehung ROI = UR x KUH kann bei einem gewünschten ROI nun die UR umso kleiner (oder größer) sein, je höher (niedriger) die KUH ist. Diese Interpretation ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn das gesamte Kapital der Unternehmung umsatzbezogen eingesetzt wird, andernfalls wird eine Aufspaltung notwendig. Um einen noch besseren Einblick in das betriebliche Geschehen zu erlangen, werden die beiden Größen Umsatzrentabilität und Kapitalumschlag noch feiner in Einzelbestandteile zerlegt. Will man eine Spitzenkennzahl ermitteln, so wer­ den die beiden Größen Umsatzrentabilität und Kapitalumschlag zusammen mit weiteren Größen im Rahmen der erweiterten ROI-Analyse zur Zielgröße Eigen­

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Vgl. Hauschildt/Leker (Analyse- und Prognoseverfahren 1995), S. 253. Vgl. DuPont Nemours and Company (DuPont Chart System 1959) und Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 38.

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasis für ein Credit-Rating

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kapitalrentabilität aggregiert.1 Die Eigenkapitalrentabilität stellt die konsequente Verkörperung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips dar und wird - auch bedingt durch die zunehmende Shareholder-Value-Ausrichtung - als Leistungskriterium immer wichtiger. Dadurch, daß traditionelle Kennzahlensysteme betriebswirtschaftliche Zusam­ menhänge für ein bestimmtes Unternehmen transparent machen, können sie eine wertvolle Unterstützung bei der Gewinnung des Gesamturteils sein. Dies setzt allerdings voraus, daß nicht nur die Spitzenkennzahl betrachtet wird, sondern auch die hierarchisch nachfolgenden Kennzahlen genau analysiert werden.

Einschränkend zur dem Informationsgehalt von traditionellen Kennzahlensyste­ men läßt sich sagen, daß sich die meisten traditionellen Kennzahlensysteme nur auf die Analyse einzelner Teilgebiete eines Unternehmens beschränken. So er­ laubt das ROI-System ein Urteil über die Ertragskraft anhand der Eigenkapital­ rentabilität und der UR in Verbindung mit der KUH sowie der finanziellen Sta­ bilität anhand der Eigenkapitalquote. Dies sind wichtige Angaben für die Steue­ rung der Untemehmensaktivitäten in ertragsorientierte Geschäftsfelder, aller­ dings fehlt eine Aussage über die für die finanzielle Stabilität äußerst wichtige Fremdkapitalquote. So wäre es gefährlich, wenn beispielsweise das gesamte Fremdkapital kurzfristig rückzahlbar wäre. Denn auch die Solidität der Finanzie­ rung ist für die Beurteilung eines Unternehmens relevant, sie darf bei der Beur­ teilung der Ertragslage eines Unternehmens nicht vernachlässigt werden.2 Darüber hinaus muß auch die Wertung der ermittelten Kennzahlen außerhalb des Kennzahlensystems vorgenommen werden. Denn ein ermittelter ROI von 7 % kann ein guter Wert sein, wenn der Branchendurchschnitt bei 5 % liegt. Er kann aber auch schlechter Wert sein, wenn die Konkurrenz des betrachteten Unter­ nehmens einen ROI von 20 % erzielt. Die deduktive Vorgehensweise, nach der traditionelle Kennzahlensysteme auf­ gebaut sind, führt jedoch zu keiner objektiven Gewichtung der verwendeten Kennzahlen, mit dem Ziel, daß die einzelne Kennzahl einen optimalen Beitrag zu einer Gesamtuntemehmensbeurteilung leistet. Werden Gewichte in traditionellen Kennzahlensystemen verwendet, so entspringen diese subjektiven Erfahrungen der am Aufbau des Kennzahlensystems beteiligten Experten oder - was noch häufiger ist - die Kennzahlen sind wegen fehlender Gewichtung quasi gleichge­ wichtet. Baetge kommt zu dem Ergebnis, daß „Gesamturteile auf Basis traditio­

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Vgl. zur erweiterten ROI-Analyse Ausführungen in Schierenbeck (Grundzüge 2000), S. 70 f.. Vgl. Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 537 f..

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B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

neller Kennzahlensysteme somit immer subjektiv sind, bestenfalls quasi-objektiv im Sinne von intersubjektiv nachprüfbar.“1 Baetge plädiert dafür, daß im Hin­ blick auf konkrete Fragestellungen wie z. B. die Beurteilung der Kreditwürdig­ keit, traditionelle Kennzahlensysteme auf jeden Fall durch ein Verfahren zur objektiven, auf das Analyseziel ausgelegten Gesamturteilungsbildung ergänzt oder ersetzt werden sollten.2

3.

Empirisch-induktive Bestimmung bonitätsrelevanter Jahresabschlußkennzahlen

Die empirisch-induktive Bestimmung aussagefähiger Bilanzkennzahlen basiert auf mathematisch-statistischen Tests und Auswahlverfahren unter Verwendung empirischen Datenmaterials. Mit ihrer Hilfe werden aus der Vielzahl der Kenn­ zahlen diejenigen ausgewählt und gegebenenfalls verknüpft, die den jeweils gestellten Anforderungskriterien am besten genügen.3

In der Literatur findet sich häufig die Feststellung, daß das dominierendes Ana­ lyseziel empirisch-induktiver Kennzahlensysteme die Insolvenzprognose sei, so daß diese Systeme auch als Insolvenzprognosemodelle bekannt sind.4 Einschrän­ kend ist hierzu festzuhalten, daß sich die Prognosekraft nur auf den zeitlichen Vorlauf von der latenten bis zur akuten Krise bzw. Insolvenz bezieht, so wie er sich aus dem empirischen Datenmaterial ergibt. In der in dieser Arbeit durchgefuhrten Untersuchung beträgt der Prognosezeitraum zwei bis drei Jahre.5 Zudem kann für ein konkretes Unternehmen die Wahrscheinlichkeit seiner Insolvenz nur schwer festgestellt werden.6 Besser und klarer wäre es deshalb, statt von einer Prognose von einer Diagnose zu sprechen. Die relative Häufigkeit wird als a posteriori-Insolvenzwahrscheinlichkeit interpretiert, die angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ereignis bei bestimmten beobachteten Merkmalsausprä­ gungen eintritt.7 Für die Insolvenzdiagnose gibt diese an, wie hoch unter allen Unternehmen mit ähnlichen Merkmalsausprägungen der Anteil der Unternehmen ist, die später eine Insolvenz erleiden werden. Wird bei einem Unternehmen eine erhöhte a posteriori-Insolvenzwahrscheinlichkeit festgestellt, besagt dies, daß dieses Unternehmen eine erhöhte Entwicklungstendenz in Richtung Insolvenz

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Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 538. Vgl. Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 538. Vgl. Perridon/Steiner (Finanzwirtschaft 1997), S. 567 ff.. So zu lesen bei Perridon/Steiner (Finanzwirtschaft 1997), S. 564. Vgl. Ausführungen zur Struktur der verwendeten Daten im 3. Teil A. I. 2. dieser Arbeit. Siehe hierzu auch Erläuterungen im 1. Teil B. I. 3. der Arbeit. Vgl. Schwarze (Wahrscheinlichkeitsrechnung 1990), S. 23-25.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

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aufweist. Die Aussage „Die a posteriori-Insolvenzwahrscheinlichkeit für Unter­ nehmen U beträgt 0,7“ ist demnach so zu interpretieren, daß von allen Unter­ nehmen, die ähnliche Merkmale wie das Unternehmen U aufweisen, 70 % später insolvent werden. Ob das in Rede stehende Unternehmen U zu diesen 70 % oder zu den 30 % gehört, die solvent bleiben, ist nicht geklärt. Die Entwicklungsten­ denz von Unternehmen U in Richtung Insolvenz ist allerdings deutlich höher als bei einer a posteriori-Insolvenzwahrscheinlichkeit von z. B. 30 %. Statt von Prognosequalität, die Kennzahlen aufweisen, sollte man im Rahmen der Bonitätsanalyse besser von Diagnosequalität sprechen. Denn konkret wird nicht die Entwicklung des betrachteten Unternehmens prognostiziert, sondern diagnostiziert, inwieweit das betreffende Unternehmen Merkmale von „gesun­ den“ oder von „kranken“ Unternehmen aufweist. Die für diese Diagnose bei den empirischen Untersuchungen herangezogenen Kennzahlen sollen möglichst gut zwischen „gesunden“ und „kranken“ Unternehmen trennen, wobei die inhaltliche Konkretisierung der Begriffe „gesund“ und „krank“ je nach Aufgabenstellung sehr unterschiedlich sein kann.1

Der grundsätzliche Ablauf zur empirisch-induktiven Kennzahlenermittlung ge­ staltet sich wie folgt: In das empirische Analysematerial sind (mindestens) zwei Gruppen von Unternehmen einzubeziehen: Solche, die sich im Beobachtungs­ zeitraum negativ entwickelten und solche, die diesen (beispielsweise bezüglich Branche, Betriebsgröße, Rechtsform und Untemehmensalter) vergleichbar sind, aber im selben Zeitraum gesund blieben. Unter Anwendung mathematisch­ statistischer Methoden sollen nun diejenigen Bilanzkennzahlen und Merkmale ermittelt werden, die die beiden Untemehmensgruppen am besten voneinander trennen. Der so ermittelte Kennzahlenkatalog kann teilweise reduziert werden, wenn stark korrelierte Kennzahlen vorliegen, denn dies drückt aus, daß sie weit­ gehend den gleichen Informationsgehalt besitzen. Übrig bleiben die diskriminie­ rendsten, d. h. die trennfähigsten Kennzahlen, die zu einem möglichst hohen Maße voneinander unabhängig sein sollten. Zur Bestimmung der Trennfähigkeit geht man wie folgt vor: Bei jeder Kennzahl, die für ein quantitatives Rating eingesetzt werden soll, sollte sich eine Arbeitshypothese darüber bilden lassen, daß sich die Kennzahlenwerte in den betrachteten Gruppen der „guten“ und Die einfachste und objektivste Möglichkeit ist, die Unternehmen danach zu unterscheiden, ob sie insolvent geworden sind oder nicht. Im Kreditgeschäft ist diese Trennung oftmals zu stark, das Bestreben geht dahin, bereits schwächere Leistungsstörungen (z. B. Zahlungsverzug) von Kre­ ditnehmern sehr frühzeitig zu erkennen. Unterscheidungskriterium ist dann nicht erst der Total­ ausfall, sondern schwächere, im Vorfeld auftretende Formen, wie Mahnungen oder Wertberich­ tigungsbedarf, vgl. Blochwitz/Eigermann (Kreditrisikobeurteilung 1999), S. 5.

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B. Informationsbedarffur ein quantitatives Rating

„schlechten“ Unternehmen unterscheiden. Die Kennzahlenwerte der „guten“ Unternehmen (G) sollten im Durchschnitt größer oder kleiner sein als die der „schlechten“ Unternehmen (S), also G > S oder G < S. Nur dann sind die Kenn­ zahlen auch trennfähig und damit für ein quantitatives Rating einsetzbar. Bei Verhältniskennzahlen ist es zudem ein Vorteil, wenn sich Zähler und Nenner in den betrachteten Gruppen guter und schlechter Unternehmen unterschiedlich entwickeln. Durch den damit verbundenen Hebeleffekt können die Unterschiede zwischen den betrachteten Untemehmensgruppen noch besser erkannt werden.1 Im Sinne der erwünschten Früherkennung sollte dieser Unterschied mit einem zeitlichen Vorlauf zur Insolvenz in Erscheinung treten, damit noch ausreichend Zeit für einzuleitende Gegenmaßnahmen besteht. Die in Frage kommenden Kennzahlen sollten zudem um untemehmensspezifische Gestaltungsspielräume bereinigt werden, um zu möglichst objektiven Aussagen zu gelangen.2 Zur Festlegung empirisch-induktiver Kennzahlensysteme3 lassen sich zwei An­ sätze unterscheiden, nämlich Untersuchungen auf univariater Basis und Untersu­ chungen mit Hilfe multivariater Verfahren. Die Untersuchungen des erstge­ nannten Ansatzes4 stützen sich im wesentlichen auf sogenannte dichotome Klas­ sifikationstests, bei denen die als potentiell trenn- bzw. diagnosefähig angenom­ menen Kennzahlen separat untersucht werden. Dichotome Klassifikationstests sind mit gewissen Unzulänglichkeiten verbunden. So besteht die Gefahr wider­ sprüchlicher Urteile, daß ein Unternehmen nach der einen Kennzahl als solvent, nach einer anderen Kennzahl als insolvent eingestuft werden kann. Dieses Di­ lemma der Widersprüchlichkeit ergibt sich bei jedem Urteil für ein Unternehmen auf Basis einer univariater Klassifikation, wenn mehr als eine Kennzahl be­ trachtet wird. Zudem haben zahlreiche Untersuchungen gezeigt, daß sich die Klassifikationsleistung verbessert, wenn mehrere Kennzahlen gemeinsam ver­

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3

4

Vgl. zum Hebeleffekt Fouquet (Sanierungsanalyse 1987), S. 153 f.. Um beispielsweise Unternehmen, die die erhaltenen Anzahlungen offen von den Vorräten abset­ zen, mit denen vergleichen zu können, die dieses Anzahlungen passivieren, sollte die Bilanz­ summe, wenn sie in eine Kennzahl aufgenommen werden soll, generell um die erhaltenen An­ zahlungen korrigiert werden. Empirisch-induktive Kennzahlensysteme sind in ihrer Struktur freier als deduktive Kennzahlen­ systeme, denn erstere entstehen als Zusammenstellung der für das betreffende Analyseziel rele­ vanten Kennzahlen. Empirisch-induktive Kennzahlensysteme sind damit weit weniger durch ei­ ne von vornherein gegebenen Logik bestimmt, sondern vielmehr durch die Entscheidung der an der Untersuchung beteiligten Analytiker. Vgl. Beaver (Financial ratios 1966), S. 71 -111 und Weibel (Kriterien 1973),S. 269-290.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisför ein Credit-Rating

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wendet werden.1 Die neueren Untersuchungen werden daher auf der Basis multivariater Verfahren durchgeführt, in denen mehrere Kennzahlen gemeinsam ver­ arbeitet und in einer Klassifikationsregel zusammengefaßt werden. Jedoch kön­ nen auch die multivariaten Verfahren kein eindeutiges, für alle Untersuchungen übereinstimmendes Kennzahlensystem ermitteln, das generell eine besonders hohe Diskriminierungsfahigkeit besitzt. Denn sinnvollerweise sollten die Kenn­ zahlensysteme nur in dem Bereich eingesetzt werden, für den sie ermittelt wur­ den, da sie nur diese Strukturen korrekt widerspiegeln können.

Der handelsrechtliche Jahresabschluß weist 220 Positionen zur Kennzahlenbil­ dung auf.2 Aus dieser großen Zahl von Positionen lassen sich rund 20 Bilanz­ kennzahlen bestimmen, die in Wissenschaft und Praxis unstrittig anerkannt sind? Wie die Studie von Krehl4 zeigt, stehen Untemehmenskennzahlen, die den Ge­ samterfolg, die Liquidität und die Verschuldung betreffen, im Zentrum des Inter­ esses von Kreditanalytikem. Daß mit diesen wenigen Informationen bereits so gute Klassifikationsergebnisse bei der Untemehmensanalyse (Trefferquote zwi­ schen 75 und 85 %)5 erstaunt nur auf den ersten Blick. Denn es gilt zu berück­ sichtigen, daß die aufgeführten drei Bereiche die tragenden betriebswirtschaftli­ chen Tatbestände widerspiegeln und der Jahresabschluß als Hauptinformations­ quelle der Untemehmensanalyse das gesetzliche Ziel hat, ’’ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln”.6 Diese Generalnorm gilt in dieser Strenge zwar nur für Kapitalge­ sellschaften, jedoch muß auch bei anderen Kaufleuten die Buchführung so be­ schaffen sein, daß sie einen Überblick über die Lage des Unternehmens vermit­ telt.7

Dieses Untersuchungsergebnis, daß vergleichsweise wenige Kennzahlen für eine zutreffende Klassifizierung ausreichen, deckt sich mit den Erfahrungen der Pra­ xis. Vor dem Hintergrund zahlreicher Möglichkeiten zur Kennzahlenbildung



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Vgl. Baetge (Früherkennung 1989), S. 804-806; Deutsche Bundesbank (Diskriminanzanalyse 1992), S. 30-36; Baetge/Beuter/Feidecker (Kreditwürdigkeitsprüfung 1992), S. 759 f. und Hüls (Früherkennung 1995). Vgl. Hauschildt/Leker (Analyse- und Prognoseverfahren 1995), S. 252. Vgl. die Auswertung von Krehl, der 25 deutschsprachige Monographien auswertete, die sich mit der Analyse von Jahresabschlüssen befassen. Krehl (Informationsbedarf 1985), S. 21-55 und die dort angegebenen Literaturhinweise. Vgl. Krehl (Informationsbedarf 1995), S. 21-55. Vgl. die Übersichten bei Leker (Fraktionierende Frühdiagnose 1994), S. 103-129 und Blochwitz/Eigermann (Untemehmensbeurteilung 2000), S. 70. § 264 Abs. 2 HGB i. V. m. 242 HGB. Vgl. § 238 HGB.

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B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

stellte sich beispielsweise bei der Deutschen Bundesbank heraus, daß drei bis sechs betriebswirtschaftliche Einzelkennzahlen genügen, um eine im Grundsatz hinreichend zutreffende Aussage über die Bestandsfestigkeit eines Unterneh­ mens zu treffen.1

Bei einer Ausweitung von Kennzahlen ist unbedingt darauf zu achten, daß die neuen Kennzahlen bisher noch nicht berücksichtigte Informationsbeiträge für das Analyseproblem liefern. Ansonsten besteht die Gefahr, daß die Kennzahlen so stark miteinander korreliert sind, daß die Erweiterung für das Ratingergebnis sogar kontraproduktiv ist. Aus diesem Grund sind sehr umfangreiche Kennzah­ lenkataloge (Hüls verwendet beispielsweise einen Kennzahlenkatalog von 259 Kennzahlen)2 mit Skepsis zu betrachten. Kennzahlen, die sich nur durch kleine Variationen der Begriffsabgrenzung unterscheiden, bewirken keine signifikant höheren Trefferquoten, dazu müßten durch die Kennzahlen gänzlich neue Ge­ sichtspunkte ausgedrückt werden.3

III. Identifikation bonitätsrelevanter qualitativer Merkmale 1.

Charakterisierung qualitativer Merkmale

Zahlreiche Veröffentlichungen zur Kreditwürdigkeitsprüfung weisen darauf hin, daß es notwendig ist, qualitative Aspekte in Verfahren zur Bestimmung der Bo­ nität eines Unternehmens stärker einzubeziehen.4 Unter qualitativen Merkmale werden dabei solche betriebswirtschaftlichen Elemente verstanden, die nicht ohne weiteres aus der Bilanz ersichtlich sind und damit eher das Umfeld einer Unternehmung beschreiben. Nach dieser Abgrenzung sind Merkmale, die sich auf einen zunächst nicht quantifizierbaren Sachverhalt beziehen, als qualitative Merkmale zu bezeichnen. In der Betriebswirtschaft werden Informationen über die Umwelt, die Marktstellung eines Unternehmens oder die Qualität des Mana­ gements oft als qualitative Merkmale bezeichnet.5 Jedoch handelt es sich hierbei zunächst nur um eine Aufzählung, es ist keine Definition, die das Charakteristi­ sche qualitativer Merkmale herausarbeitet. Wie sich aber schon hier erkennen läßt, soll mit dem Begriff qualitativ offensichtlich zum Ausdruck gebracht wer­ den, daß diese Informationen im Vergleich zu quantitativen Merkmalen schwerer 1 2 3 4 5

Vgl. Deutsche Bundesbank (Bonitätsbeurteilung 1999), S. 55. Vgl. Hüls (Früherkennung 1995), S. 75-81. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Leker (Fraktionierende Frühdiagnose 1994), S. 742. Vgl. auch stellvertretend für andere Betsch u. a. (Kreditwürdigkeitsanalyse 1997), S. 155. Vgl. stellvertretend Bühler (Qualitative Indikatoren 1982), S. 81.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

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zu fassen sind. Da ein Blick auf die betriebswirtschaftlichen Merkmale, die unter dem Oberbegriff qualitativ subsumiert werden, nur wenige Anhaltspunkte für eine grundsätzliche Definition liefern, sollen im folgenden aufschlußreiche Defi­ nitionshinweise für qualitative Merkmale gesucht werden. In der Statistik werden als qualitative Merkmale diskrete Merkmale mit nur we­ nigen möglichen Ausprägungen bezeichnet.1 Ein Merkmale wird als diskret bezeichnet, wenn die Anzahl der Modalitäten (Realisationen), die ein solches Merkmal theoretisch annehmen kann, endlich ist. Das Merkmal kann nur be­ stimmte Werte annehmen. Die wenigen möglichen Ausprägungen ergeben sich aus dem Sachverhalt, daß Merkmale mit qualitativen Merkmalsausprägungen (kurz qualitative Merkmale genannt) Ausprägungsklassen beschreiben. Bei qua­ litativen Merkmalen unterscheiden sich die zugehörigen Merkmalsausprägungen nach der Art oder Eigenschaft, bei quantitativen Merkmalen treffen die zugehö­ rigen Merkmalsausprägungen eine Unterscheidung nach der Größe. Gemeinsa­ mes Zeichen qualitativer Merkmale ist demnach, daß sie verbal ausgedrückt werden. In Analogie bezeichnet Bühler qualitative Merkmale als nicht­ numerische, verbal formulierte Informationen, die subjektiv bewertet werden müssen, da sie sich einer formalisierten Datenerfassung versperren.2 In der Tat gestaltet sich die verfahrenstechnische Verarbeitung qualitativer Merkmale auf­ wendig, denn qualitative Merkmale müssen dafür zunächst quantifiziert werden, d. h. daß den Merkmalsausprägungen in Abhängigkeit des gewählten Verarbei­ tungsverfahrens geeignete reelle Zahlen zuzuordnen sind. Eine Charakterisierung qualitativer Merkmale erhält man auch, wenn man die zugrundeliegende Skalentypen betrachtet. Für qualitative Merkmale sind keine Zahlen, sondern verbale Merkmalsausprägungen kennzeichnend. Diese definie­ ren bestimmte Klassen/Kategorien, so daß qualitative Merkmale auch als kategorielle Merkmale bezeichnet werden können. Qualitative Merkmale können no­ minal- oder ordinalskaliert sein.3 Die Nominalskala findet bei Merkmalen An­ wendung, bei denen die Ausprägungen keine natürliche Reihenfolge bilden, sondern gleichberechtigt nebeneinander stehen. Während es sich bei der Nomi­ nalskala zunächst um gleichberechtigte Klassen handelt, besteht bei der Ordi­ 1 2 5

Vgl. Hartung/Epelt (Statistik 1995), S. 4. Vgl. Bühler (Qualitative Indikatoren 1992), S. 83. In früheren Begriffsbestimmungen war es üblich nach qualitativen und quantitativen Merkmalen derart zu differenzieren, daß es sich bei den qualitativen Merkmalen um nominalskalierte und bei den quantitativen Merkmalen um metrisch skalierte Merkmale handelt. Bei dieser Abgrenzung macht jedoch eine Einordnung der ordinalskalierten Merkmale Schwierigkeiten, vgl. Bleymüller/Gehlert/Gülicher (Statistik 1994), S. 4.

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B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

nalskala zwischen den einzelnen Klassen eine natürliche Rangfolge. Zwischen den die Klassen beschreibenden Merkmalsausprägungen läßt sich eine „größer als“-Beziehung aufstellen. Beispiele sind: Examensnoten, Güteklassen bei Le­ bensmitteln und Rangplätze bei der Fußbailiga. Die Unterscheidung zwischen Nominal- und Ordinalskala hat vielfach eher akademische Bedeutung. Denn für das Erreichen eines bestimmten Ziels können Merkmale, auch wenn sie keine natürliche Reihenfolge aufweisen, wichtiger oder unwichtiger sein, es läßt sich m. a. W. eine „aufgabenspezifische“ Rangordnung feststellen. Die Numerierung ordinaler Merkmale berührt nicht den grundsätzlich verbalen Charakter qualitativer Merkmale. Denn die Zahlen oder Symbole sind erst später hinzugekommen, sie repräsentieren bestimmte Objekteigenschaften. So sind Noten qualitative Merkmale, bei denen der verbale Charakter in den Hintergrund getreten ist. Denn durch die Note wird auf die dahinter liegende Bedeutung ge­ schlossen: Sehr gut = 1, gut = 2, Befriedigend = 3, ausreichend = 4 oder in Sym­ bolen ausgedrückt wie bei Credit-Ratingklassen AAA, AA, A, BBB, BB, B usw.. Quantitative Merkmale werden hingegen metrisch erfaßt. Der Begriff metrisch bezeichnet Maßsysteme, bei denen sich die Abstände zwischen den einzelnen Merkmalsausprägungen sinnvoll interpretieren lassen. Dies ist bei intervall- und verhältnisskalierten Merkmalen der Fall. Zusätzlich zu den Eigenschaften der Intervallskala weist die Verhältnisskala noch einen absoluten Nullpunkt auf.1

Die Charakterisierung quantitativer und qualitativer Merkmale nach ihrem Ska­ lenniveau ist nicht zu verwechseln mit der Unterscheidung zwischen diskreten und stetigen Merkmalen. Qualitative Merkmale besitzen zwar immer diskrete Realisationen, jedoch können quantitative Merkmale sowohl diskret als auch stetig sein. Stetigkeit bedeutet, daß die Anzahl der Modalitäten, die ein solchen Merkmal theoretisch annehmen kann, unendlich ist. Im Unterschied zu diskreten Merkmalen können die Modalitäten eines stetigen Merkmals jeden reellen Wert innerhalb eines Intervalls annehmen. Demnach kann zwar ein stetiges Merkmal nicht nominal oder ordinal - m. a. W. kategoriell - skaliert werden, jedoch kann ein diskretes Merkmal auf einer metrischen oder kategorieilen Skala abgetragen werden. Abbildung 6 gibt einen zusammenfassenden Überblick über die heraus­ gearbeiteten Charakteristika qualitativer und damit indirekt auch quantitativer Merkmale.

1

Vgl. Bleymüller/Gciilert/Gülichcr (Statistik 1994), S. 3 f. und die Ausführungen zu quantitati­ ven Merkmalen im 1. Teil B. II. 1. der Arbeit.

I. Teil: Informationen als Ausgangs basis für ein Credit-Rating

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Abbildung 6: Qualitative und quantitative Merkmale Quantitative Merkmale können durch Senkung des Skalenniveaus in qualitative Merkmale überfuhrt (herabskaliert) werden. Es steht dann nicht mehr die genaue Größe des betrachteten Merkmals im Vordergrund (z. B. 100 GE), sondern seine spezielle Eigenschaft (z. B. groß, mittel, klein). 2.

Bestimmung qualitativer Bonitätsmerkmale im Rahmen der empirischen Krisenforschung

Auch beim Ansatz der empirischen Krisenforschung wird keine auf das einzelne Unternehmen bezogene Prognose, sondern in erster Linie eine Diagnose abgege­ ben. In der empirischen Forschung gestaltet sich die Suche nach Krisenmerkma­ len allerdings zumeist als Suche nach Insolvenzmerkmalen, da der Insolvenztat­ bestand eindeutig definiert werden kann. Untersucht wird, welche Umstände zu der kritischen Situation des Unternehmen führten und welchen Einfluß einzelne dieser Merkmale auf das Zustandekommen der Insolvenz hatten. Vom Grundsatz werden damit Negativfaktoren gesucht. Einen Überblick über die mittlerweile

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B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

zahlreichen empirischen Studien mit dem Ziel „Insolvenzursachen“ zu erkennen, geben Krehl1 und Hesselmann2. Die dort aufgefuhrten Untersuchungen stützen sich auf Auswertungen von Gerichtsakten, Firmenberichten und anderen schrift­ lichen Quellen sowie auf Befragungen, die bei Konkursverwaltern und bei Kre­ ditfachleuten durchgefuhrt wurden. In Analogie zur Bestimmung von quantitati­ ven Bonitätsmerkmalen entspricht die Vorgehensweise, qualitative Bonitäts­ merkmale auf Grundlage der Krisenforschung zu ermitteln, einer empirisch­ induktiven Bestimmung dieser Merkmale.

Die meisten empirischen Studien unterscheiden die sogenannten „Krisenursa­ chen“ nach zwei Bereichen: Einem endogenen Entstehungsbereich, bei dem die Merkmale aus dem innerbetrieblichen Bereich stammen und einem exogenen Entstehungsbereich, bei dem Krisenursachen von außen auf das Unternehmen einwirken. Die Studien verweisen auf die wechselseitigen Abhängigkeiten beider Bereiche. Dabei wird der endogene Bereich in der überwiegenden Mehrzahl der Untersuchungen als der eigentliche Krisenbereich angesehen, wobei den persön­ lichen und fachlichen Fehlern der Unternehmens fuhrung ein überragendes Ge­ wicht beigemessen wird.3 Charakterliche Mängel in der Untemehmensfuhrung und das Unvermögen des Managements, die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Unternehmens und die Kundenbedürfnisse richtig zu beurteilen, um sich rasch auf externe Veränderungen einstellen zu können, werden als wesentliche innerbetrieblich begründete Krisenursachen genannt. Es zeigt sich auch, daß exogen auftretendc Krisenmerkmale vielfach nur das Spiegelbild einer innerbe­ trieblich verursachten Krise sind, denn sie verstärken die bereits vorhandene, durch innerbetriebliche Mängel hervorgerufene angespannte Untemehmenslage. Die eigentlichen Gründe der vermeintliche exogenen Krisenursachen liegen damit häufig in einer unterlassenen betrieblichen Anpassung. Unter positiveren Umständen wären diese exogenen Schocks oft gar nicht entstanden oder hätten besser über geeignete Vorsorge und Gegenmaßnahmen bewältigt werden kön­ nen. Die endogenen und exogenen Krisenindikatoren lassen sich wie folgt sy­ stematisieren:

1

2 5

Auf eine detaillierte Darstellung der dort aufgeführten Studien wird verzichtet, da dies den Umfang der Arbeit sprengen würde. Vgl. im einzelnen Krehl (Krisendiagnose 1987), S. 23-32 und Hesselmann (Standardisierte Insolvenzprognose 1993), S. 9-37. Vgl. Hesselmann (Standardisierte Insolvenzprognosc 1993), S. 9-37. Vgl. Buchmann (Bestimmungsgründe 1987), S. 384.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

Endogene

Exogene

qualitative Krisenindikatoren

qualitative Krisenindikatoren

Unternehmer-/Managementindikatoren

Persönlichkeit des Unternehmers/Managers kaufmännische, technische Qualifikation betriebswirtschaftliches Fachwissen, Be­ rufserfahrung Führungsqualifikation persönliche Vemiögensverhältnisse Produktions- und Leistungsbereich

Kapazitätsauslastung, Höhe der Lagerbe­ stände Art der Fertigung Stand der Produktinnovation (Ausgaben Für Forschung und Entwicklung) technischer Stand der Produktionsanla­ gen Höhe der Wartungs-, Instandhaltung- und Reparaturkosten Investitions- und Finanzierungsbereich

Investitions- und Finanzplanung Investitionsverhalten Zahlungsmodalitäten (Einhaltung der Zahlungsziele, Entwicklung der Kredito­ renziele, Skontoausnutzung) Kapitalausstattung Art und Umfang bestehender Bankver­ bindungen Mahnungen, Wechselproteste Betriebliches Rechnungswesen

zielgerichtete Ausnutzung des bilanzpo­ litischen Instrumentariums Unübersichtlichkeit der Buchhaltung mangelnde Aktualität Fehler in der Kostenrechnung

Strukturmerkmale

Alter Rechtsform (Haftungsbeschränkung) Unternehmensgröße Unternehmensentwicklung

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Beschaffungsbereich

Preisniveau der Lieferanten Auslandsabhängigkeit Abhängigkeit von einem Lieferanten

Absatzbereich, Marktsituation

Produktprogramm Absatzschwierigkeiten Konkurrenzsituation Preisniveau Exporttätigkeit Kundenstruktur Zahlungsmoral der Debitoren Auftragsbestand und Auftragsentwick­ lung Branchenstruktur

Entwicklung der Anzahl der Betriebe Verteilung auf Betriebsgrößenklassen regionale Verteilung

Branchenkonjunktur (Entwicklungen bezüglich) Nachfrage Umsätze stückmäßige Produktion und Produkti­ onswerte Auftragsbestand Exporte, Importe Sonstige Merkmale

Umwelt steuerliche, rechtliche und soziale Rah­ menbedingungen

Tabelle 3: Systematisierung qualitativer Krisenindikatoren nach ihrer Herkunft

Neben der überragenden Bedeutung, die den qualitativen Unternehmer- und Managementindikatoren beigemessen werden, zeigen die Untersuchungen, daß eine unzureichende Eigenkapitalausstattung, die gleichzeitig einen hohen Ver­ schuldungsgrad impliziert, ein weiterer wichtiger, üblicherweise quantitativer

70

B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

Krisenindikator ist.1 Ohne ausreichendes Eigenkapital können Unternehmen nicht in ausreichendem Maße investieren und Rationalisierungsmaßnahmen durchfuhren. Die Zinsbelastung steigt mit zunehmender Verschuldung ceteris paribus immer mehr an, mit der Folge einer ständig sinkenden Eigenmittelquote. Neben diesem circulus vitiosus, bei dem wiederum Ursache und Wirkung inein­ ander übergehen, liegt in der Nennung, daß eine unzureichende Eigenkapitalaus­ stattung eine wichtiger Insolvenzursache dargestellt, auch ein Tautologieschluß. Denn die Überschuldung als der Extremfall einer unzureichenden Eigenkapital­ ausstattung stellt formal schon aus sich heraus einen Tatbestand dar, bei dem für Kapitalgesellschaften zwingend das Insolvenzverfahren eröffnet werden muß.2 Als weitere wichtige Krisenursache wird in den von Hesselmann betrachteten Studien die Konjunktur genannt.3 Dies ist jedoch umstritten. Einige Autoren der dort analysierten Studien betrachten konjunkturelle Einflüsse zwar als die Hauptursache von Insolvenzen; andere sehen eine schlechte Konjunktur aber nur als den auslösenden Faktor einer bereits im Unternehmen verursachten Krise an. Eine rückläufige Konjunktur deckt Fehler des Managements und spezielle Fehler im Finanzierungsverhalten erst auf. Schließlich weist die überwiegende Zahl der von Krehl und Hesselmann analysierten empirischen Studien4 eine Kategorie von Insolvenzursachen aus, die zusammenfassend als Marktposition bezeichnet werden kann. Hierunter fallen Absatzschwierigkeiten, unzureichende Anpassung an kritische Marktveränderungen und Fehler im Produktprogramm. Auch sie sind eng mit Managementfehlem verknüpft.

Werden jedoch Mitarbeiter krisengeschüttelter Unternehmen befragt, so ist die Tendenz zu erkennen, daß die Krisenursachen nicht im Unternehmen selbst, sondern in übergeordneten Bereichen gesucht werden. An erster Stelle geben sie oft die Konjunktur als Krisenverursacher an, gefolgt von dem Strukturwandel als eine weitere gesamtwirtschaftliche Größe. Mittelständische Betriebe messen den Bereichen Wirtschaftspolitik, der gesamtwirtschaftlichen Situation und der Steu­ 1

2 3 4

Neben den bereits von Krehl und Hesselmann durchgefuhrten Literaturauswertungen zeigt auch eine Untersuchung der Deutschen Bundesbank, bei der insgesamt 2651 insolvente Unternehmen für den Zeitraum 1985-1990 analysiert wurden, die Bedeutung einer mangelnden Eigenkapital­ ausstattung als Insolvenzursache. In der Insolvenzauswertung der Deutschen Bundesbank wurde die mangelnde Eigcnkapitalausstattung in 24 % aller Nennungen und damit relativ am häufigsten als Insolvenzursache genannt. Vgl. Deutsche Bundesbank (Untemehmensinsolvenzen 1992), S. 31-33. Vgl. Insolvenzordnung vom 5.10.1994 i. d. F. vom 28.12.1998. Vgl. Hesselmann (Standardisierte Insolvenzprognose 1993), S. 9-37. Vgl. im einzelnen Krehl (Krisendiagnose 1987), S. 23-32 und Hesselmann (Standardisierte Insolvenzprognosc 1993), S. 9-37.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

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er- und Sozialpolitik ein höheres Gewicht bei als denen aus dem innerbetriebli­ chen Bereich.1 Auch das Rechnungswesen bietet Hinweise für eine sich abzeichnende Krise. Mängel im Rechnungswesen selbst, wie z. B. eine unübersichtlichen Buchhal­ tung ohne zeitnahe, aktuelle Zwischenabschlüsse, die dazu fuhren, daß die Un­ ternehmensleitung keinen laufenden Überblick über die wirtschaftliche Situation hat, oder die Anwendung eines falschen Kostenplans oder Kostenrahmens und begangene Kalkulationsfehler, die aber angesichts fehlender Nachkalkulation verborgen bleiben, sind für den externen Analytiker nicht erkennbar. Betrachtet man die jährlich veröffentlichte Insolvenzstatistik des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden2, so fällt die Nennung sogenannter Strukturmerk­ male auf. Als Strukturmerkmale werden mögliche Erfolgsfaktoren bezeichnet, die für ein Unternehmen charakteristisch und relativ stabil sind. Strukturmerk­ male besitzen den Vorteil, daß sie für den externen Analytiker leicht erkennbar sind. Zu den Strukturmerkmalen zählen die Branche, die Untemehmensgröße, die Rechtsform, das Alter, die Eigentümerstruktur und die Herkunft des Mana­ gements (z. B. Inhaber-Unternehmer oder Fremdmanager). In den einschlägigen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes werden insbesondere die Beziehungen zwischen diesen Merkmalen einer Unternehmung und der Insol­ venzgefährdung aufgezeigt.3 Auch zeigen die Veröffentlichungen zur empiri­ schen Insolvenzforschung, daß die Untemehmensentwicklung stetig verlaufen sollte.4 Verständlicherweise sind sprunghafte Rückgänge grundsätzlich negativ besetzt, denn ein Geschäftsbetrieb ist naturgemäß nicht auf Schrumpfung ausge­ richtet, doch auch sprunghaftes, stürmisches Wachstum spricht tendenziell für eine erhöhte Krisengefährdung, denn in der Folge ergeben sich oft Liquiditäts­ engpässe.

1 2 3

4

Vgl. Gösche (Scheitern 1987), S. 7. Angaben werden jeweils im 1. Quartal eines Jahres in der Reihe Wirtschaft und Statistik veröf­ fentlicht. Im Jahr 1998 waren über die Hälfte der Konkursuntemehmen Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH). Auch wenn die absolute Zahl der Insolvenzen zu den bestehenden Unterneh­ men der jeweiligen Rechtsform in Beziehung gesetzt und damit die sogenannte Insolvenzhäufig­ keit ermittelt wird, steht die GmbH an erster Stelle. Bei den Wirtschaftszweigen wies das Bau­ gewerbe mit knapp einem Viertel der von einem Insolvenz verfahren betroffenen Unternehmen die höchste Insolvenzanfälligkeit auf. Werden die betroffenen Unternehmen in Alterklassen un­ terteilt, ergibt die Auswertung, daß 1998 über 70 % aller insolventen Unternehmen weniger als acht Jahre bestanden, vgl. Angele (Insolvenzen 1999), S. 303 ff.. Vgl. o. V. (Insolvenzwelle 1998), S. 11.

72

3.

B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

Bestimmung qualitativer Bonitätsmerkmale auf Basis theoretischer betriebswirtschaftlicher Analysen

Sind die Verfahren der Krisendiagnose ausschließlich auf die Früherkennung von Risiken ausgerichtet, werden im Rahmen theoretischer betriebswirtschaftli­ cher Analysen auch Erfolgspotentiale eines Unternehmens gesucht und der Risi­ koansatz der Insolvenz- und Krisenforschung somit um Chancen erweitert. Im Gegensatz zur empirischen Krisen- und Insolvenzforschung, die Züge der „Lei­ chenfledderei“ aufweist, steht bei den betriebswirtschaftlichen Analysen die intensive Beobachtung bestehender Unternehmen im Vordergrund. Im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Analysen wird versucht, möglichst tief in alle Untemehmensbereiche vorzudringen, Risikobereiche und Chancenpotentiale zu identifizieren, um damit eine Aussage über die Untemehmensbonität zu ermögli­ chen. Ziel ist es, die voraussichtliche Entwicklung dieser Bereiche im Hinblick auf eine erfolgversprechende strategische Untemehmensfuhrung zu beurteilen. Gegenstand der strategischen Untemehmensfuhrung ist die Analyse und Steue­ rung von untemehmensspezifischen Erfolgspotentialen, so daß die Existenz des Unternehmens dauerhaft gesichert werden kann.1

Die betriebswirtschaftlichen Analysen können nun in zwei verschiedene Rich­ tungen betrieben werden; nämlich betriebswirtschaftliche Analysen, die auf die innerbetriebliche Untemehmenssphäre ausgerichtet sind und solche, die das Wettbewerbsumfeld, in dem das betreffende Unternehmen agiert, näher betrach­ ten. Beide Richtungen sind eng mit der historische Entwicklung der Betriebs­ wirtschaft verknüpft, denn zunächst richtete sich diese auf die Analyse innerbe­ trieblicher Untemehmensabläufe, dann trat die Bedeutung des Untemehmensumfeldes, des Marktes hinzu. Innerbetriebliche Untemehmensanalyse und Markt­ analyse bedingen und ergänzen einander. Ein bedeutender Vertreter, der die internen Untemehmensabläufe in den Vorder­ grund seiner theoretischen Analysen stellt, ist Gutenberg. Gutenberg versteht den Betrieb als die Gesamtheit der betrieblichen Teilbereiche Produktion, Absatz und Finanzen.2 Sein Bestreben war es, die aufgefuhrten Bereiche zu analysieren, mathematisch zu beschreiben, um auf dieser Grundlage die innerbetrieblichen Prozesse mit dem Ziel der Gewinnmaximierung zu optimieren. Für Gutenberg standen weniger die einzelnen Teilbereiche, sondern mehr die Unternehmung in ihrer Gesamtheit im Vordergrund. Das Untemehmenspotential wird bestimmt 1 2

Vgl. Kreikebaum (Strategische Untemehmensplanung 1993), S. 26. Vgl. das dreibändige Hauptwerk von Gutenberg (Die Produktion 1983), (Der Absatz 1979) und (Die Finanzen 1980).

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

73

durch die innerbetrieblichen Ressourcen, den sogenannten Potentialfaktoren. In der Begriffsprägung durch Gutenberg und Heinen1 sind dies Produktionsfakto­ ren, die während einer Periode in ihrem Bestand erhalten bleiben und nur von ihrem Leistungspotential Leistungen in den Betrieb abgeben. Bezieht man nun das Untemehmensumfeld in die Überlegungen mit ein, so gelangt man zunächst zur Potentialanalyse, bei der die Ressourcen eines Unternehmens hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit für Aktionen im Rahmen der strategischen Untemehmensführung beurteilt werden. Hierzu werden sogenannte Stärken-/Schwächenanalysen durchgeführt.2 Dies sind kombinierte Unternehmens- und Umweltana­ lysen, bei denen die Ressourcen eines Unternehmens zu einer außerbetrieblichen Beurteilungsgröße in Beziehung gesetzt werden. Bezugsgrößen können z. B. die wichtigsten Konkurrenten oder bestimmte betriebswirtschaftliche Standards sein. Stärken-/Schwächenanalysen stellen eine Weiterentwicklung der Potentialanaly­ se dar. Weitere, für die strategische Ausrichtung eines Unternehmens wichtige Informa­ tionen werden über den Portfolioansatz gewonnen. Bei der Portfoliotechnik werden Informationen über Marktaktivitäten eines Unternehmens in Anlehnung an das Portfolio von Wertpapieren ermittelt, denn die Portfolio-Analyse wurde zunächst als Instrument zur Optimierung von Wertpapier-Portefeuilles entwikkelt. Die Boston Consulting Group übertrug später diese Strategien auf die stra­ tegische Planung im Industrieunternehmen. Grundlage der Portfoliotechnik ist die Bildung strategischer Geschäftsfelder (SGF). Ein SGF ist eine Produkt-Markt-Kombination, für das eine eigenständige, abgrenzbare Strategie entwickelt werden kann. Das Unternehmen wird nun als Menge einzelner SGF aufgefaßt, die in ihrem dynamischen Zusammenwirken analysiert werden.3 Allen Varianten der Portfolioanalyse ist gemeinsam, daß sie Chancen und Risiken von SGF durch ein System von Bestimmungsfaktoren zum Ausdruck bringen wollen. Bei den Bestimmungsfaktoren beschränkt man sich zumeist auf zwei zentrale Schlüsselgrößen, wobei eine Dimension untemehmensinteme, die andere Dimension untemehmensexteme Einflußgrößen be­ schreibt.4 Die Bostoner Analysen bedienten sich der strategischen Erfolgsfaktoren Markt­ wachstum als Ausdruck der Attraktivität eines Marktes und des relativen Markt1 2 5 4

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Heinen (Kostentheorie 1970), S. 225-237. Hinterhuber (Strategische Unternehmens Führung 1984), S. 55. Meffert (Marketing 1998), S. 225-229. Meffert (Marketing 1998), S. 341.

74

B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

anteils als Ausdruck der Wettbewerbsposition des betrachteten Unternehmens im Vergleich zur Konkurrenz. Beide Kriterien zeigen sich im PIMS-Modell1 stark positiv korreliert zur Rentabilität. Theoretische Grundlage der Bostoner Analy­ sen bilden das Konzept des Lebenszyklus und das Konzept der Erfahrungskur­ ve.2 Das Lebenszykluskonzept besagt, daß der Absatz von Produkten und der damit einhergehende Cash-Flow durch einen typischen zeitlichen Verlauf ver­ schiedener Phasen gekennzeichnet ist. In der Einfuhrungs- und Wachstumsphase übersteigen die finanziellen Mittel für Investitionen und Marktbearbeitung die Umsatzerlöse. Bei Eintritt in die Reifephase liegen dann die erzielbaren Umsätze über den eingesetzten finanziellen Mitteln. Das Konzept der Erfahrungskurve besagt, daß die Produktionskosten je Stück mit steigender Ausbringungsmenge abnehmen. Aus beiden Konzepten ergibt sich nun die Forderung, ein Unterneh­ men müsse einerseits eine ausgewogene Mischung von Produkten unterschiedli­ cher Reifegrade besitzen und anderseits sollte es bemüht sein, hohe Marktanteile zu gewinnen, um aufgrund des Erfahrungskurveneffektes gegenüber Mitbewer­ bern einen relativen Kostenvorteil zu erzielen.

„QUESTION MARKS“ selektiv vorgehen

„STARS“ fördern investieren

„DOGS“

„CASH COWS“

desinvestieren liquidieren

Position halten ernten

--------------------------niediig

hoch

relativer Marktanteil

Abbildung 7: Portfolio-Matrix der Boston Consulting Group3

1

2

3

Nach den empirischen Ergebnissen des PIMS-Modells (Profit Impact of Market Strategies) kommt insbesondere dem Marktanteil eine zentrale Bedeutung für die Gewinnermittlung, für den Return on Investment (Rol) sowie für den Cash-Flow zu, vgl. Meffert (Marketing 1998), S. 239 und die dort angegebene Literatur. Nähere Ausführungen zu beiden Konzepten finden sich bei Meffert (Marketing 1998), S. 242244 (Erfahrungskurvenkonzept) und S. 328-336 (Lebenszykluskonzept). Vgl. Hedley (Business Portfolio 1977), S. 10.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

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Aus den unterschiedlichen Feldern im Marktwachstums-/Marktanteilsportfolio werden nun Normstrategien für das Unternehmen abgeleitet. So sind „DOGS“ SGF, die sowohl durch einen niedrigen relativen Marktanteil als auch ein niedri­ ges Marktwachstum gekennzeichnet sind. Da es hier dem Unternehmen nicht gelungen ist, sich einen strategischen Wettbewerbs vorteil zu erarbeiten und der Markt auch kein großes Wachstumspotential mehr aufweist, empfehlen sich für dort positionierte SGF tendenziell Desinvestionsstrategien. „QUESTION MARKS“ zeichnen sich durch einen geringen Marktanteil aus, jedoch in einem Markt mit hohen Wachstumsraten. Aufgrund des starken Marktwachstums be­ nötigen die dort befindlichen SGF eine hohen Finanzmittelbedarf, ohne daß dieser durch Kostenvorteile aufgrund von Erfahrungskurveneffekten kompensiert werden könnte. Eindeutige strategische Empfehlungen sind daher nicht möglich. Vielmehr muß das Unternehmen selektiv vorgehen und prüfen, ob einzelne SGF durch gezielten Ausbau des relativen Marktanteils in eine „STAR“-Position manövriert werden können (Investitionsstrategie). Erscheint dies nicht möglich, sollte das betreffende SGF aufgegeben werden, um den Finanzbedarf zu verrin­ gern (Desinvestitionsstrategie). „STARS“ sind SGF mit überdurchschnittlichem Marktwachstum und hohem Marktanteil. „STARS“ bilden die wichtigsten Ge­ schäftsfelder für die Zukunft und sollten gefordert werden. Zum Halten bzw. zum Ausbau des bestehenden hohen Marktanteils sollte eine Investitionsstrategie verfolgt werden. „CASH-COWS“ sind SGF auf gesättigten Märkten, in denen sich das Unternehmen eine gute Marktposition aufbauen konnte. Da „CASH­ COWS“ hohe Erfolgsbeiträge liefern, sind sie die Basis des Unternehmens. Ein Unternehmen sollte eine ausreichende Anzahl von „CASH-COWS“ besitzen, um Investitionsstrategien in anderen Bereichen finanzieren zu können.1

Bald stellte sich heraus, daß diese Betrachtungen ebenso wie die Darstellung in einer Vier-Felder-Matrix zu grob sind. Die Weiterentwicklung des Verfahrens führte deshalb zu einer Ausweitung der Beurteilungskriterien (Multi-FaktorenKonzept) und zu einer Erweiterung der Matrix über die Sechs-Felder-Matrix zu einer Neun-Felder-Matrix durch McKinsey.2 Später wurde diese von Porter um auf die Konkurrenz gerichtete Wettbewerbsstrategien erweitert.3

Der Ansatz, möglichst tief in alle Untemehmensbereiche vorzudringen, um zu­ künftige Risikobereiche und Chancenpotentiale eines Unternehmens zu identifi­ zieren (Strategieanalyse), wird vornehmlich von internationalen Ratingagenturen 1 2 3

Vgl. Hedley (Business Portfolio 1977), S. 10-11. Vgl. Abel/Hammond (Strategie Planning 1979), S. 122 ff.. Vgl. Porter (Competitive advantage 1985).

76

B. Informationsbedarffür ein quantitatives Rating

für die Beurteilung von Großunternehmen angewendet. Denn das Rating ist hier eng mit der Börsennotierung des Unternehmens verbunden und an der Börse werden bekanntlich Erwartungen gehandelt. Die Strategieanalyse ist ein Ele­ ment, das zur Einschätzung über zukünftig erzielbare Cash-Flows herangezogen wird. Die Kennzahl Cash-Flow ist in der Literatur in unterschiedlichen Fassun­ gen anzutreffen.1 Für die Bonitätsanalyse bedeutsam ist die zahlungsstromorien­ tierte Interpretation des Cash-Flows als finanzwirtschaftlicher Überschuß, der für die Finanzierung von Investitionen, der Schuldentilgung und der Aufrechterhal­ tung der Liquidität zur Verfügung steht. Dieser muß größer sein als der Schul­ dendienst, definiert als zu erbringende Zins- und TilgungsVerpflichtung, damit das Unternehmen als zahlungsfähig gilt. Gleichsam muß als Nebenbedingung gewährleistet sein, daß das Unternehmen überhaupt bereit ist, seinen Zahlungs­ verpflichtungen nachzukommen. Dieser Anreiz ist in der Theorie dann gegeben, wenn der Untemehmenswert größer ist als die Verschuldung2.

Die Vorgehensweise, qualitative Merkmale aufgrund betriebswirtschaftlicher Analysen zu bestimmen, beinhaltet sowohl logisch-deduktive als auch empi­ risch-induktive Elemente. Logisch-deduktiv beispielsweise dadurch, daß über das Postulat Cash-Flow > Schuldendienst Sollvorgaben auf einzelne Untemehmensbereiche (Umsatz-, Investitions-, Finanzbereich) heruntergebrochen werden können, die erfüllt sein müssen, um die jederzeitige Zahlungsbereitschaft des Unternehmens zu gewährleisten. Empirisch-induktiv, da die Fähigkeit des Un­ ternehmens auch tatsächlich diesen im Zeitablauf benötigten Cash-Flow realisie­ ren zu können, aus den Erfahrungen abgeschätzt werden muß. Hierzu ordnen die Ratingagenturen den auf Basis der betriebswirtschaftlichen Analysen ermittelten Cash-Flow-Szenarien Eintrittswahrscheinlichkeiten zu. Die portfolioorientierten Ansätze setzen eine genügend große Anzahl voneinan­ der abgrenzbarer SGF voraus. Denn nur dann können die gewonnenen Erkennt­ nisse sinnvoll umgesetzt werden. Diese Form der Untemehmensanalyse wird daher vornehmlich zur Beurteilung von Großunternehmen eingesetzt. Kleine und mittelständische Unternehmen betreiben eher ein „intuitives“ strategisches Ma­ nagement und verfügen oft nicht über die Produktvielfalt, die nötig ist, um eine ausreichende Anzahl unterschiedlicher SGF definieren zu können. Auf diese kann das vorgestellte Instrumentarium nur im Ansatz übertragen werden.

1 2

Zu den einzelnen Cash-Flow-Auffassungen vgl. Steiner (Finanzwirtschaft 1997), S. 545-557. Siehe auch Ausführungen zur Optionspreistheorie im 1. Teil A. II. dieser Arbeit.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasis für ein Credit-Rating

77

Die hier vorgestellten, vornehmlich strategisch ausgerichteten betriebswirt­ schaftlichen Analysen sind sehr personal- und zeitaufwendig, denn es handelt sich um Fall-zu-Fall-Betrachtungen, die nicht standardisiert bearbeitet werden. Notwendig ist eine intensive Analyse vor Ort, verbunden mit mehrstündigen, umfangreichen Befragungen der Unternehmensleitung. Angesichts des hohen, intensiven Analyseaufwands,1 dem bei klein- und mittelständischen Unterneh­ men nur ein eingeschränkter entsprechender Gewinn an Erkenntnissen gegenü­ bersteht, werden diese Verfahren kaum im standardisierten Firmenkundenge­ schäft eingesetzt. Statt tiefgründige betriebswirtschaftliche Analysen zu betrei­ ben, ist es hier sachgerechter, nach aussagekräftigen betriebswirtschaftliche Eckdaten zu suchen, die in ein quantitatives Rating einbezogen werden können.

Die von internationalen Ratingagenturen für ein Rating erhobenen Gebühren liegen zumeist über 100.000 US-Dollar, vgl. Everling (Aktuelle Ratingentwicklungen 1999), S. 25.

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasis für ein Credit-Rating

C.

Informationsnutzung beim quantitativen Rating

I.

Quantitatives Rating im Firmenkreditgeschäft

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Die Kreditvergabe im Firmenkundengeschäft ist ein mehrstufiger Prozeß. Er dient dazu, Informationen zu sammeln und diese zu einem Ratingurteil über das betreffende Unternehmen zu verdichten. Auf Basis des ermittelten Ratingurteils wird dann über eine Kreditvergabe entschieden. Abbildung 8 zeigt die einzelnen Schritte des bankintemen Kreditvergabeprozesses im Firmenkreditgeschäft und die Einbindung des quantitativen und qualitativen Ratings in diesen Prozeß.

(1) Informationsermittlung und -aufbereitung. In einer ersten Stufe müssen die Input-Daten, auf deren Grundlage die Bonitätsbeurteilung erfolgen soll, gesam­ melt und entscheidungsorientiert aufbereitet werden. Die Kreditwürdigkeitsprü­ fung bei Firmenkunden stützt sich bei der Entscheidungsfindung, ob eine Unter­ nehmung als kreditwürdig einzustufen ist, vor allem auf die Analyse seiner wirt­ schaftlichen Gegebenheiten. Die Frage, ob die zukünftige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens ausreichend ist, um den gewährten Kredit zurückzuzahlen und zu verzinsen, soll durch die Beurteilung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage beantwortet werden. Diesbezügliche Angaben finden sich im Jahresabschluß, da er die wirtschaftliche Lage des rechnungslegenden Unternehmens gegenüber untemehmensextemen und untemehmensintemen Adressaten abbildet.1 Da der Jahresabschluß eines Firmenkunden für einen Außenstehenden noch die am leichtesten zugängliche und objektive Informationsquelle ist, bildet er die Haupt­ analysequelle der Kreditwürdigkeitsprüfung von Unternehmen, die deshalb auch kurz als Jahresabschlußanalyse bezeichnet wird2. § 18 KWG verpflichtet die Kreditinstitute, sich die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Kreditnehmer anhand von Jahresabschlüssen ab einem Gesamtkreditvolumen von 500.000 DM offen­ legen zu lassen.3

1 2 3

Vgl. Baetge (Bilanzen 1994), S. 6. An Stelle von Jahresabschlußanalyse spricht man in der Praxis (etwas ungenau) auch von Bi­ lanzanalyse und bezieht den Begriff auf die Analyse des gesamten Jahresabschlusses. Vgl. § 18 KWG i. d. F. vom 22. Januar 1996, gültig ab 29. Oktober 1997.

80

C. Informationsnutzung beim quantitativen Rating

Informations­ ermittlung und -aufbereitung

41 zs 8 3

Informations­ bewertung und -Verdichtung

E §• 5'

2 3 8

Festlegung Ratingurteil

-XFestlegung Kreditvergabe­ entscheidung

2g H

Abbildung 8: Kreditvergabeprozeß im Firmenkreditgeschäft und Einbindung des qualitativen und quantitativen Ratings in diesen Prozeß Der handelsrechtliche Jahresabschluß ist vom Kaufmann nach Abschluß des Geschäftsjahres für das abgelaufene Geschäftsjahr unter Beachtung der Grund­ sätze ordnungsmäßiger Buchführung aufzustellen (§§ 242 Abs. 2, 243 Abs. 1 HGB). Nach dem Grundsatz des true and fair view (§ 264 Abs. 2 Satz 1 HGB) muß der Jahresabschluß von Kapitalgesellschaften und Großunternehmen (über § 5 PubG) unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln. Bei Einzelkaufleuten und Personenhandelsgesellschaften besteht der handelsrechtliche Jahresabschluß aus der Bilanz und der GuV (§ 242 HGB). Kapitalgesellschaften und Großunternehmen sind verpflichtet, neben der Bilanz und der GuV zusätzlich einen Anhang, der die Bilanz und GuV erläutert, und einen Lagebericht zu erstellen. Letzterer ist seit dem 1. Mai 1998 um einen Risikobericht zu erweitern.1

Eingefuhrt durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Untemehmensbereich (KonTraG), das am 1. Mai 1998 in Kraft trat.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasis für ein Credit-Rating

81

Diese Bestandteile bilden die Informationsgrundlage der Kreditwürdigkeitsprü­ fung. Der Jahresabschluß muß zunächst aufbereitet werden, d. h. zum einen müssen im Jahresabschluß enthaltene, aber nicht unmittelbar ersichtliche Infor­ mationen zutage gefordert, zum anderen muß das Datenmaterial entscheidungs­ orientiert ausgewertet werden. Dafür sind die im Jahresabschluß enthaltenen Daten aufzuschlüsseln, neu zu ordnen und interpretierbar zu machen. Die Aufbe­ reitung der vorliegenden Daten aus Bilanz und GuV ist notwendig, da es trotz der gesetzlich vorgegebenen Normierung zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten der Jahresabschlüsse gibt, so daß diese im Hinblick auf Inhalt, Ausführlichkeit und Form deutliche Unterschiede aufweisen können. So gibt es beispielsweise rechtsform- und größenspezifische Unterschiede, die Möglichkeit bestimmte Informationen in den Anhang auszugliedem und die GuV entweder nach dem Gesamtkosten- oder dem Umsatzkostenverfahren aufzustellen. Darüber hinaus ist es unter Kreditvergabeaspekten oftmals notwendig, bestimmte Jahresab­ schlußpositionen aufzugliedem und nach anderen Gesichtspunkten wieder zu­ sammenzufassen. Um die Jahresabschlußzahlen nach einheitlichem Gesichts­ punkten verarbeiten zu können, werden sie in der bankbetrieblichen Praxis über standardisierte Erfassungsbögen1 oder Erfassungsmasken in den Computer ein­ gegeben. Angesichts der mit der Auswertung von Jahresabschüssen verbundenen Datenflut wird die Jahresabschlußanalyse heute weitgehend computergestützt, d. h. mit Hilfe von Datenverarbeitungsanlagen durchgeführt. Begrifflich drückt sich dies darin aus, daß die Banken in diesem Zusammenhang zumeist von maschi­ neller Bilanzauswertung sprechen.2 Dann berechnet ein spezielles Auswertungs­ programm aus den Bilanz- und GuV-Positionen zuvor definierte Kennzahlen und - falls Daten mehrerer Jahre zur Verfügung stehen - auch Zeitreihen. Die Kenn­ zahlen können als absolute Größen, als Verhältniszahlen (Gliederungs-, Beziehungs- oder Indexzahlen) oder als absolute statistische Maßgröße (Mittelwert oder Varianz) errechnet werden? Im Bereich der finanzwirtschaftlichen Bilanz­ analyse werden Vermögensstrukturkennzahlen, Kapitalstrukturkennzahlen und Kennzahlen zur horizontalen Bilanzstruktur mit dem Ziel der Darstellung der Vermögens- und Finanzlage eines Unternehmens gebildet. Im Bereich der er­ folgswirtschaftlichen Bilanzanalyse werden Ergebnisquellenkennzahlen und 1

2

1

Vgl. die umfassende Übersicht über die Jahresabschlußanalyse deutscher Kreditinstitute mit den dort abgedruckten Auswertungsformularen bei Meyer (Kunden-Bilanz-Analyse 2000). Die Bayerische Hypo- und Vereinsbank bezeichnet ihr System als MAJA für Maschinelle Ana­ lyse von JahresAbschlüssen, die Dresdner Bank wählt MAB ILA für MAschinelle BILanzAuswertung. Vgl. Meyer (Kunden-Bilanz-Analyse 2000), S. 122 und S. 203. Siehe Schierenbeck (Grundzüge 2000), S. 620; Coenenberg (Jahresabschlußanalyse 1997), S. 577-579 und Steiner (Kreditwürdigkeitsprüfung 1990), S. 419.

82

C. Informationsnutzung beim quantitativen Rating

Rentabilitätskennzahlen formuliert, mit denen vor allem die Ertragslage eines Unternehmens beurteilt werden soll.1 (2) Informationsbewertung und -Verdichtung. Bei der traditionellen Kreditwür­ digkeitsprüfung hat der Kreditsachbearbeiter die Aufgabe, auf Basis allgemeiner Kreditvergaberichtlinien eine zielorientierte Wertung der zuvor aufbereiteten Informationen vorzunehmen. Dabei wird aus allgemeinen Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit ein Engagement als „gut” eingestuft werden kann, auf den zu beurteilenden Einzelfall geschlossen. Traditionelle Verfahren zeichnen sich durch eine logisch-deduktive Vorgehensweise aus. Moderne, quantitative Ra­ tingverfahren gehen über die computergestützte Erfassung und Aufbereitung von Daten hinaus, denn sie fuhren zusätzlich eine auf Algorithmen2 basierte, mathe­ matisch-statistisch fundierte Informationsbewertung durch. Einzelbeobachtungen früherer Kreditnehmer und Kreditengagements werden herangezogen, um die Bonität eines aktuellen Kreditnachfragers zu bestimmen. Konkret versucht man in den historischen Daten bestimmte, für die Kreditverläufe typische Merkmale zu finden und sodann zu überprüfen, inwieweit der aktuelle Kreditnachfrager diese typischen Merkmale erfüllt. Bei den Merkmalen handelt es sich zumeist um wenige Schlüsselindikatoren, die durch das Verfahren ermittelt und zu Handlungsempfehlungen verdichtet werden. In der Praxis haben sich gerade im Mengengeschäft der Firmenkunden, d. h. bei der Beurteilung kleiner und mittel­ ständischer Unternehmen, quantitative Ratingverfahren zur Entscheidungsunter­ stützung etabliert.3

(3) Festlegung Ratingurteil. Auf Basis des Ratingvorschlages legt der Kreditex­ perte das endgültige Ratingurteil fest. In das abschließende Ratingurteil fließen noch Informationen ein, die im bisherigen Auswertungsverfahren nicht oder unzutreffend berücksichtigt wurden. Unberücksichtigte Informationen sind sol­

1

2 3

Zur ausführlichen Darstellung der finanzwirtschaftlichen und ertragswirtschaftlichen Bilanzana­ lyse vgl. Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 195-513; Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 76349 und Schierenbeck (Grundzüge 2000), S. 620-629. Unter einem Algorithmus versteht man eine systematische Verarbeitungs Vorschrift aus endlich vielen Schritten, die angibt, wie eine bestimmte Aufgabe zu lösen ist. Praktisch werden statistische Verfahren mit Erfolg beispielsweise bei der Deutschen Bundes­ bank, vgl. hierzu: Deutsche Bundesbank (Bonitätsbeurteilung 1999), S. 51-63, bei der Bayeri­ schen Hypo- und Vereinsbank, vgl. hierzu: Baetge (Früherkennung 1989), S. 804-806 und Fahrmeir/Frank/Hornsteiner (Bonitätsanalyse 1994), S. 368-373, bei der BadenWürttembergischen Bank AG, vgl. hierzu Hüls (Früherkennung 1995), S. 297-300), bei der Deutschen Bank, vgl. hierzu: Burgard (Bilanzanalyse 1991), S. 326 und der Allgemeinen Kre­ ditversicherung AG, vgl. hierzu Baetge/Beuter/Feidecker (Kreditwürdigkeitsprüfimg 1992), S. 759 f. angewendet.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

83

ehe, die nicht in den Erfassungsbögen der Banken abgefragt werden und damit erst gar nicht für eine standardisierte Beurteilung zur Verfügung stehen. Unzu­ treffend berücksichtigte Informationen sind solche, die zwar für den den „typi­ schen“ Kreditnehmer eine bonitätsadäquate Aussage liefern, die aber im vorlie­ genden durch Sondereinflüsse gekennzeichneten „untypischen“ Fall zu falschen Schlußfolgerungen führen. Hier sollte der Kreditexperte korrigierend einschrei­ ten. Um den untemehmensspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen zu können, muß der Kreditexperte einen gewissen Handlungsspielraum bei der Festsetzung des Ratingurteils besitzen. Vom Grundsatz her wird das abschlie­ ßende Ratingurteil in einem qualitativen Ratingprozeß ermittelt, denn die Aus­ wahl und Bewertung der überhaupt nicht oder unzutreffend berücksichtigten Informationen erfolgt durch den Kreditexperten.

(4) Festlegung Kreditvergabeentscheidung. In Abhängigkeit des ermittelten Ratingurteils wird abschließend die Kreditvergabeentscheidung getroffen. Die Kreditgewährung ist grundsätzlich davon abhängig, daß das Unternehmen ein bestimmtes Mindestrating erreicht. Wird diese Bonitätssschwelle von dem Un­ ternehmen erreicht oder überschritten, so gilt es als kreditwürdig und eine Kre­ ditvergabe ist möglich. Welches Mindestrating für eine Kreditvergabe notwendig ist, bestimmt sich nach den Kreditvergaberichtlinien des jeweiligen Kreditinsti­ tuts. Es reicht jedoch nicht aus, Kreditrisiken nur bei der Kreditvergabe zu beurteilen, vielmehr müssen diese während der gesamten Kreditlaufzeit beurteilt werden. Im Rahmen der Kreditüberwachung wird geprüft, ob die bei der erstmaligen Kredit­ prüfung analysierten Rahmenbedingungen weiterhin bestehen und erstellte Pro­ gnosen und wirtschaftliche Erwartungen auch tatsächlich eingetreten sind. Die aus der Kreditüberwachung gewonnenen Erkenntnisse dienen der Aktualisierung und - wenn nötig - auch der Modifizierung des Ratingurteils.

II.

Defizite bei der Nutzung des quantitativen Ratings

1.

Defizit der einseitigen Ausrichtung auf Bilanzkennzahlen

Die Quellen für quantitative und qualitative Informationen von Firmenkunden lassen sich wie folgt gliedern:

84

C. Informationsnutzung beim quantitativen Rating

Abbildung 9: Informationsquellen bei der Kreditvergabe1

Obwohl - wie Abbildung 9 zeigt - größere Informationsmöglichkeiten zur Ver­ fügung stehen könnten, beschränken sich die formalisierten Verfahren der Boni­ tätsanalyse, zu denen auch die quantitativen Ratingverfahren zählen, im wesent­ lichen auf die Auswertung des Jahresabschlusses. Eine vom Institut für Mathe­ matik und Statistik der Universität Frankfurt 1985 durchgeführte Erhebung er­ gab, daß von 128 befragten Banken und Sparkassen 92 % dem Jahresabschluß bei der Kreditwürdigkeitsprüfung große bis sehr große Bedeutung beimessen.2 Inhaltlich gestaltet sich damit das quantitative Rating als eine Weiterentwicklung der klassischen Jahresabschlußanalyse, die nun mathematisch-statistisch fundiert betrieben wird, dennoch mit den gleichen Mängeln behaftet ist wie die klassische Jahresabschlußanalyse, deren Grenzen in der Literatur bereits ausführlich disku­ tiert wurden. Auf eine umfassende problemorientierte Darstellung der Jahresab­ schlußanalyse wird daher verzichtet.3 An dieser Stelle sollen nur die Kritik­

1 2 3

Quelle: Schierenbeck/Hölscher (BankAssurance 1998), S. 437 mit kleinen Veränderungen. Vgl. Unterharnscheidt (Bonitätsanalyse 1987), S. 47. Vgl. KUting/Webcr (Bilanzanalyse 1999), S. 48- 54 und Schierenbeck/Hölscher (BankAssu­ rance 1998), S. 441 f..

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

85

punkte näher erläutert werden, die im Hinblick auf die Thematik dieser Untersu­ chung besondere Relevanz besitzen.

Der Jahresabschluß gibt nur den zahlenmäßigen, in Geld ausgedrückten Teil des ökonomischen bzw. unternehmerischen Handelns wieder. In die Kennzahlen als solche und in ihre Komponenten gehen daher auch nur von vornherein quantifi­ zierbare Größen ein. Sachverhalte, die zunächst nicht in quantitativer Form vor­ liegen, entziehen sich einer strukturierten Analyse, da die computergestützte, standardisierte Kreditwürdigkeitsprüfung stets der Verarbeitung leicht operatio­ nalisierbarer Bilanzdaten den Vorzug einräumt. Daher werden für die wirtschaft­ liche Lage bedeutsame qualitative Aspekte, die außerhalb von Bilanz und GuV liegen, wie Qualität des Managements oder Marktorientierung der Produkte viel zu wenig berücksichtigt, obwohl sie entscheidend die Jahresabschlußgrößen beeinflussen. Bühler stellt hierzu fest: ’’Das Mißverhältnis in der bisherigen Verwendung qua­ litativer und quantitativer Bonitätskriterien ist eklatant. Dabei erfaßt die quanti­ tative Datenkomponente einen vergleichsweise sehr kleinen Ausschnitt betriebli­ chen Geschehens.”1 Daß dennoch das Schwergewicht der Forschung und der praktischen Kreditwürdigkeitsprüfung auf die Analyse der Vermögens-, Finanzund Ertragslage gelegt ist, wird auf die Schwierigkeiten bei nicht unmittelbar aus dem Jahresabschluß zu entnehmenden Bonitätsmerkmalen zurückgeführt.2

Die wichtigste Grenze der formalisierten Bonitätsprüfung ist darin zu sehen, daß die Zahlen des Jahresabschlusses in wesentlichen Teilen dem bilanzpolitischem Ermessen des Rechnungslegenden ausgesetzt sind. Sie können durch unter­ schiedliche Ausnutzung von Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten erheb­ lich beeinflußt werden, ohne daß der externe Bilanzanalyst diese Maßnahmen hinreichend erkennen kann. Die sich aus den Gestaltungsspielräume ergebenden Manipulationsmöglichkeiten für Jahresabschlußinformationen sind dabei durch­ aus legal, weil bei der in der Realität vorkommenden Vielfalt der betrieblichen Tatbestände der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, die Bilanzierung und Bewer­ tung jedes einzelnen Sachverhaltes exakt vorzuschreiben. Neben der unvollständigen Abbildung der Untemehmenslage und den Manipu­ lationsmöglichkeiten, denen Bilanzkennzahlen unterliegen, liegt ein dritter Kri­ tikpunkt in der mangelnden Aktualität des Jahresabschlusses begründet, denn zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung ist der Jahresabschluß bereits nicht mehr

1 2

Bühler (Qualitative Indikatoren 1982), S. 83. Vgl. Steiner (Kreditwürdigkeitsprüfung 1990), S. 418.

86

C. Informationsnutzung beim quantitativen Rating

zeitnah. Dies liegt daran, daß sich die Daten des Jahresabschlusses gemäß § 242 Abs. 1 HGB auf die vergangene, bereits abgeschlossene Periode beziehen. Ver­ stärkt wird dieser Vergangenheitsbezug noch dadurch, daß Erstellung und Veröf­ fentlichung des Jahresabschlusses zeitlich auseinanderfallen. Für die Kreditwür­ digkeitsprüfung, die darauf abzielt, die zukünftige Zahlungsfähigkeit eines Un­ ternehmens zu beurteilen, sind vor allem solche Informationen interessant, die Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung zulassen. Werden Aussagen über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens auf Basis des Jahresabschlusses getätigt, so beruhen diese auf der einschränkenden Annahme, daß eine in der Vergangenheit sichtbare Tendenz in die Zukunft extrapoliert werden kann. Die­ ser gängigen Kritik an den Jahresabschlußzahlen kann jedoch entgegengehalten werden, daß quantitative Ratingverfahren vorzugsweise mit solchen Bilanzkenn­ zahlen arbeiten, die der Früherkennung dienen. Ihre Prognosekraft wird von dem zeitlichen Vorlauf der latenten bis zur akuten Krise bzw. Insolvenz bestimmt, die in den empirischen Untersuchungen zwei bis drei Jahre beträgt.1

2.

Defizit der subjektiven Berücksichtigung qualitativer Merkmale

Hat sich in der Praxis im Bereich der ’’harten” Jahresabschlußzahlen die Anwen­ dung quantitativer Ratingverfahren durchgesetzt, so werden qualitative Merk­ male bislang kaum in quantitative Verfahren einbezogen. Allgemeine Praxis ist vielmehr, daß qualitative Merkmale (mehr oder weniger intuitiv) im Anschluß an die computerunterstützte Kennzahlenanalyse Berücksichtigung finden. Als Gründe für die mangelnde systematische Berücksichtigung und mangelnde standardisierte Verarbeitung qualitativer Merkmale lassen sich nennen: •

Schwierigkeiten der Bestimmung ’’weicher” qualitativer Merkmale,



Schwierigkeiten bei Einbeziehung und Verarbeitung qualitativer Merkmale in ein standardisiertes, technisches Verfahren,



für methodische statistische Auswertungzwecke oft unzureichende qualitative Datenbasis.

Im Bereich des quantitativen Ratings auf der Basis von Jahresabschlußkennzah ­ len haben sich Konventionen herausgebildet, welche Kennzahlen als aussagefä­ hig angesehen werden. Üblicherweise werden die Kennzahlen so gebildet, daß sie die gesetzlichen Informationsbereiche des Jahresabschlusses abbilden. Da der Jahresabschluß einen Einblick in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ver­

1

Vgl. Blochwitz/Eigermann (Unternehmensbeurteilung 2000), S. 5.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

87

mitteln soll, ist es gängige Praxis, aus jedem dieser Bereiche zumindest eine Kennzahl zur Beurteilung heranzuziehen. Im Gegensatz zu diesem Maßstab des quantitativen Bereichs ist der qualitative Bereich weit weniger standardisiert. Welche qualitativen Merkmale wie bei der Entscheidungsfindung zu berücksich­ tigen sind, hängt daher vor allem von der Sachkenntnis, der Erfahrung, dem Gedächtnis, der logischen Kombinationsgabe und der Intuition1 des Entschei­ dungsträgers ab, d. h. von ausschließlich subjektiven Wertmaßstäben.2 Neben der Gefahr, daß der Kreditsachbearbeiter bestimmte qualitative Informationen schlichtweg übersieht, birgt diese unstrukturierte Vorgehensweise die Gefahr in sich, daß der Kreditsachbearbeiter angesichts der Vielzahl von Einzelinformatio­ nen und komplexer Zusammenhänge überfordert ist.

Daß qualitative Merkmale bei der Bonitätsbeurteilung explizit kaum berücksich­ tigt werden, sondern allenfalls bei der Urteilsfindung „irgendwie mitschwingen“, liegt auch daran, daß sie nur schwer für eine computergestützte, mathematische Verarbeitung faßbar sind. Denn zunächst müssen sie in geeignete Zahlen über­ setzt werden, womit das Problem ihrer Quantifizierung angesprochen ist. Wer­ den qualitative Merkmale dennoch computergestützt verarbeitet, geschieht dies zumeist im Rahmen eines einfachen Punktbewertungsmodell, bei dem die quali­ tativen Merkmalsausprägungen zunächst kategorisiert, dann vom Kreditsachbe­ arbeiter bewertet und schließlich alle Punktwerte über die einzelnen Merk­ malsausprägungen eines Unternehmens aufaddiert werden. Eine Schwierigkeit liegt in der Vergabe der ’’richtigen” Punktzahl, die zwangsläufig Subjektivität beinhaltet.

Die folgende Abbildung 10 zeigt das Dreieck der Einflußfaktoren, welches das individuelle Verhalten des Kreditsachbearbeiters prägt.

2

Als Intuition bezeichnet man die Fähigkeit eines Menschens, eine größere Menge an Informatio­ nen als Ganzes zu interpretieren, ohne jede einzelne Information separat zu berücksichtigen. Vgl. Labsch (Intuition 1973), S. 156 und Zellweger (Kreditwürdigkeitsprüfung 1987), S. 62. Vgl. Müller-Schwerin/Strack (Kreditentscheidungsprozeß 1977), S. 291.

88

C. Informationsnutzung beim quantitativen Rating

Abbildung 10: Einflußfaktoren auf das Entscheidungsverhalten des Sachbearbeiters

Zur Persönlichkeitsstruktur zählen: Gedächtnis, logische Kombinationsgabe, Wertvorstellungen, Risikoneigung, Temperament. Unter persönliche Erfahrun­ gen ist das Wissen oder Können zu verstehen, das man in dem näheren, privaten Umfeld durch eigene Erlebnisse bekommt. Erlerntes Fachwissen beschreibt das mit der Fachausbildung verbundene Wissen, das man theoretisch aus Büchern und aus der Berufspraxis erhält und das dazu dient, Fachaufgaben zu lösen. Angesichts dieser persönlich geprägten Bestimmungsbereiche und dem ohnehin schwer faßbaren qualitativen Bereich, kommt einer systematischen Einbeziehung und Auswertung qualitativer Merkmale eine große Bedeutung zu. Fehlt diese, ist in der Praxis nicht nachvollziehbar, inwieweit bestimmte Kriterien mit welcher Gewichtung für den Sachbearbeiter relevant sind. Die Grundlagen seiner Schluß­ folgerungen, den geistigen Prozeß, der zur Entscheidung führt, vermag der Kre­ ditsachbearbeiter nicht auszudrücken, er bleibt im Dunkeln.1 Solange diese Be­ wertungsmaßstäbe nicht einzeln dargelegt sind, ist auch das Analyseergebnis nicht nachprüfbar und damit einer Vereinheitlichung und objektiven Kontrolle nicht zugänglich.

Im Vergleich zum quantitativen Rating auf Basis von Jahresabschlußkennzah­ lenanalyse ergibt sich im Bereich der weichen, qualitativen Kriterien, die von Natur aus schwerer faßbar sind, eine noch erheblichere Streuung in den Urteilen verschiedener Kreditexperten.2 Angesichts der Bandbreite unterschiedlicher Expertenmeinungen sind Fehleinschätzungen unvermeidbar. Notwendig ist es 1 2

Vgl. Feulner (Moderne Verfahren 1980), S. 1. Daß im Bereich der Einschätzung qualitativer Merkmale die Expertenmeinungen erheblich streuen können, zeigt auch die Erfahrung, die die Commerzbank beim Aufbau ihres eigenen, stark auf qualitative Merkmale ausgerichteten Expertensystems gemacht hat, vgl. Krakl/NolteHellwig (CODEX 1990), S. 628.

I. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

89

daher, praxisnahe Verfahren zu entwickeln, die eine Vielzahl von für die Kre­ ditwürdigkeit aussagefähigen Faktoren quantitativer und qualitativer Art objektiv nachvollziehbar verarbeiten können. Wohlgemerkt sind Intuition und Erfahrung sehr wichtig und wertvoll, doch sollten sie durch ein objektivierbares, analyti­ sches Element ergänzt werden.

III. Ansatzpunkt für eine Verbesserung und Schlußfolgerung 1.

Objektivierte Berücksichtigung qualitativer Merkmale

Wie die vorherigen Ausführungen zeigen, wird die Gesamtheit der qualitativen Merkmale bisher mehr oder weniger subjektiv in den Kreditbeurteilungsprozeß einbezogen. Diesen unbefriedigenden Zustand haben viele Banken erkannt und arbeiten an einer Verbesserung, mit dem Ziel, qualitative Faktoren anhand ob­ jektivierter Verfahren in die Bonitätsbeurteilung zu integrieren und zielgerichtet auszuwerten.1

Durch eine an sachlichen Kriterien ausgerichtete Einbeziehung und Verarbeitung qualitativer Merkmale wäre sichergestellt, daß gleiche Sachverhalte auch gleich behandelt werden. Für die angestrebte standardisierte Einbeziehung und sachli­ che Verarbeitung qualitativer Merkmale eignen sich Verfahren, die über die Basisdatenverarbeitung hinaus, welche sich auf die Erfassung und Aufbereitung von Daten beschränkt, zusätzlich noch eine zielgerichtete Informationsbewertung vornehmen. Wünschenswerterweise sollte man dabei grundsätzlich erkennen können, mit welcher Gewichtung die Merkmale in die Entscheidung einfließen. Denn dann kann angegeben werden, welche Auswirkung eine bestimmte Infor­ mation auf das Ratingurteil hat. Dem Kreditexperten wird dadurch erst ermög­ licht, die Entscheidungen des Ratingsystems zu verstehen, diese mitzutragen oder ggf. in Sonderfällen dagegen zu votieren. Allgemein bezeichnet man ein System, welches eine zielgerichtete Informations­ bewertung vomimmt, als Entscheidungsunterstützungssystem, kurz EUS2. Ein quantitatives Ratingverfahren ist ein Entscheidungsunterstützungssystem für das Gebiet der Bonitätsprüfung. Werden die hinter einem quantitativen Rating ste­ 1 2

Vgl. Dinkelmann (Risikofrüherkennung 1995), S. 56. EUS sind spezielle, computergestützte Management-Informationssysteme (MIS), die Entschei­ dungsträger bei der Entscheidungsfindung für unstrukturierte Probleme unterstützen. Über die Bereitstellung und Aufbereitung von Informationen hinaus enthalten sie Modelle und Methoden, um eingegrenzte Klassen von unstrukturierten Entscheidungsproblemen zu lösen, vgl. Krall­ mann (Systeme 1990), S. 164 f..

90

C. Informationsnutzung beim quantitativen Rating

henden mathematisch-statistischen Verfahren bereits seit einiger Zeit in der computergestützten Jahresabschlußanalyse eingesetzt, so fehlen sie bislang im qualitativen Bereich der Untemehmensbeurteilung. Doch gerade im qualitativen Bereich ist es - angesichts der Vielzahl aller relevanten Daten und den bestehen­ den Abhängigkeiten zwischen diesen- für den Entscheidungsträger schwierig, eine zielgerechte Gewichtung der einzelnen Merkmale und deren Ausprägung zu ermitteln. Die systematische Ermittlung und objektivierte Einbeziehung qualita­ tiver Merkmale in den maschinellen Informationsbewertungsprozeß entlastet den Kreditanalysten und bietet ihm eine umfassendere Entscheidungsunterstützung für das abschließend von ihm zu vergebende Ratingurteil. Neben der Vereinheitlichung der Erfassung und der Versachlichung des Bewer­ tungsvorgangs ist mit einer objektivierten zielorientierten Verarbeitung qualitati­ ver Merkmale zwangsläufig eine stärkere Strukturierung verbunden. Dadurch, daß das abzugebende Krediturteil besser dokumentiert werden kann, steigt auch für einen Dritten, nicht unmittelbar am Beurteilungsvorgang Beteiligten, die Nachvollziehbarkeit der Kreditentscheidung. Dies gewährleistet eine bessere Risikokontrolle und -Steuerung sowohl auf der Einzelgeschäftsebene wie auch auf dem Gesamtbankniveau.

Für eine stärkere Einbeziehung qualitativer Merkmale sprechen auch die mit einer systematischen Verarbeitung einhergehenden Effizienzzuwächse in Form eines geringen Zeitbedarfs und damit niedrigerer Kosten. So stieg bei der Allge­ meinen Kreditversicherung Aktiengesellschaft die Produktivität in der inländi­ schen Kreditprüfung um 71 % durch den Einsatz quantitativer Ratingverfahren oder anders formuliert: Mit 28 % weniger Mitarbeiter in der technischen Vorund Nachbereitung von Kreditentscheidungen kann nun die doppelte Anzahl von Vorgängen bearbeitet werden.1 Obwohl sich diese Angaben auf ein quantitatives Ratingverfahren beziehen, das ausschließlich „klassische“ Jahresabschlußkenn­ zahlen verarbeitet2, kann auch mit einer beachtlichen Effizienzsteigerung durch die zusätzliche Einbeziehung qualitativer Merkmale gerechnet werden.

Nicht zuletzt schafft die durch dv-technische Weiterentwicklungen gestiegene Datenverarbeitungskapazität von in der Praxis einsetzbarer Hard- und Software die Voraussetzung zur Entwicklung leistungsfähiger quantitativer Entschei­ dungsmodelle, welche für eine umfassende Bonitätsbeurteilung eingesetzt wer­ den können.

1 2

Vgl. Beuter/Reiss/Rust (Erfahrungen 1993), S. 60. Vgl. Beuter/Reiss/Rust (Erfahrungen 1993), S. 69

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

2.

91

Identifikation geeigneter qualitativer Merkmale

Trotz der Fülle an qualitativen Merkmalen eignen sich nur bestimmte dazu, in die Datenbasis eines quantitativen Ratingmodells aufgenommen zu werden. Zum einen liegt dies an dem grundsätzlichen Problem, daß viele Informationen für die vorgegebene Zielsetzung nicht entscheidungsrelevant sind, zum anderen spre­ chen auch Praktikabilitätsüberlegungen dafür, nur bestimmte qualitative Infor­ mationen in ein quantitatives Ratingmodell aufzunehmen. Sollen qualitative Merkmale als Bonitätsindikatoren in einem quantitativen Ra­ tingmodell verarbeitet werden, müssen sie folgende Anforderungen erfüllen:

ursächliche bzw. Mittel-Ziel-Beziehung Die auszuwählenden qualitativen Merkmale sollten in einer ursächlichen Be­ ziehung zum Ziel oder zumindest in einer Mittel-Ziel-Beziehung stehen. Wie bereits dargestellt, ist eine ursächliche Beziehung mitunter schwierig zu bestimmen, denn insbesondere für eine Untemehmenskrise kann oft nicht eindeutig gesagt werden, was die Ursache, was die Folge ist. • Diagnosekraft Während die Anforderung der ursächlichen bzw. Mittel-Ziel-Beziehung be­ deutet, daß überhaupt eine Beziehung zwischen dem Merkmal und der Be­ standsfestigkeit des Unternehmens existieren muß, zeigt sich die diagnosti­ sche Bedeutung eines Merkmals in seiner Präzision, mit der es auf ein be­ stimmtes Problem bzw. auf einen bestimmten Ursachenkomplex hinweist. Indikatoren mit höherer Diagnosekraft sparen Analysezeit und ermöglichen eine raschere Reaktion. • generalisierbarer, hinreichend stabiler Wirkungszusammenhang Der Einfluß der Indikators auf die Bonität muß allgemein bestimmbar sein. Er darf nicht nur für den Einzelfall gelten, sondern muß generalisierbar sein, damit seine Wirkung auf unbekannte Objekte übertragen werden kann. Zu­ dem müssen die analysierten Wirkungszusammenhänge auch im Zeitablauf hinreichend stabil sein, damit das System nicht nur in der Entwicklungspha­ se, sondern auch im praktischen Einsatz überzeugt. • Früherkennungseigenschaft Für die zukunftsbezogenen Signalwirkung kommt der Zeitkomponente eine entscheidende Bedeutung zu. Die Frühwameigenschaft ist dann gegeben, wenn der Indikator als ’’schwaches Signal” im Sinne von Ansoff die mögli­ che Entstehung eines Problems mit ausreichender Vorlaufzeit anzeigt, so daß eine ausreichende Zeitspanne für Gegenmaßnahmen verbleibt. Da das Schicksal scheiternder Unternehmen bereits oft zwischen dem zweitem und •

92

C. Informationsnutzung beim quantitativen Rating

dritten Jahr vor dem Ausbruch der tatsächlichen Untemehmenskrise latent sichtbar wird, reicht dieser zeitliche Horizont in der Regel aus, um wirkungs­ volle Gegenmaßnahmen zu treffen.1 • Verfügbarkeit und rasche Zugriffsmöglichkeit Den Banken als externen Analytikern stehen nicht dieselben Informations­ quellen wie der Untemehmensführung zur Verfügung. Es gilt daher, solche Bonitätsindikatoren zu finden, die im Rahmen der Informationsmöglichkeiten für eine Bank verfügbar sind. Darüber hinaus muß bei den verwendenden In­ dikatoren auf eine rasche Zugriffsmöglichkeit geachtet werden. Indikatoren, deren Bonitätsaussage nur schwierig und langwierig zu aktualisieren ist, sollten keine Anwendung finden. • Wirtschaftliche Ermittlung Generell stellt die Informationsbeschaffung ein Optimierungsproblem dar, bei dem das Kosten-Nutzenverhältnis beachtet werden muß. Bei einer wirt­ schaftlichen Ermittlung lohnt sich die Infomiationsbeschaffüng, solange der durch die Information erlangte Grenznutzen größer ist als die aufzuwenden­ den Grenzkosten für deren Beschaffung. Bonitätsindikatoren sollten wirt­ schaftlich zu ermitteln sein. • Quantifizierung Bonitätsdaten können nur in Form von Zahlen durch ein quantitatives Ra­ tingmodell verarbeitet werden. Qualitative, verbale Merkmale müssen zuvor in Zahlen ’’übersetzt”, mit anderen Worten quantifiziert werden. Deshalb sollten für eine computergestützte Verarbeitung nur solche qualitativen Merkmale genommen werden, deren Merkmalsausprägungen hinreichend gut voneinander abgrenzbar und damit quantifizierbar sind.

Grundsätzlich können alle in Abbildung 9 aufgelisteten Informationsquellen zur Kreditvergabe herangezogen werden, um geeignete qualitative Merkmale zu finden, die den oben genannten Anforderungen gerecht werden. Ein qualitatives Merkmal, das - wie die Praxiserfahrung zeigt - den genannten Anforderungen gerecht wird, ist das Bilanzierungs verhalten. Neben frühzeitiger Diagnosekraft und hinreichend stabilem Wirkungszusammenhang sind die In­ formationen, die zur Bestimmung des Bilanzierungsverhaltens benötigt werden, für einen externen Analysten verhältnismäßig leicht verfügbar, denn sie „schlummern“ bereits in den herkömmlichen Kreditunterlagen.2 Dort können sie aus den Jahresabschlüssen, vor allem aus dem Anhang ermittelt und dann zu dem 1 2

Vgl. die Übersicht bei Niehaus (Früherkennung 1987), S. 133-137. Zur Verfügbarkeit der für die Bestimmung des Bilanzierungsverhaltens notwendigen Informa­ tionen vgl. die Ausführungen im 3. Teil B. III. der Arbeit.

1. Teil: Informationen als Ausgangsbasisfür ein Credit-Rating

93

aussagekräftigen Merkmal Bilanzierungsverhalten verdichtet werden. Zusätzli­ che kostenintensive Ermittlungen sind nicht erforderlich.

Auch inhaltlich bietet sich die Verarbeitung des Bilanzierungsverhalten in einem quantitativen Ratingmodell an, und zwar als eigenständiges Korrekturmerkmal zu den bilanzpolitisch beeinflußten Jahresabschlußkennzahlen. Ein anderer An­ satz bilanzpolitische Gestaltungsmöglichkeiten bei der Jahresabschlußanalyse zu berücksichtigen, besteht darin, die betreffenden Kennzahlen bilanzpolitisch zu neutralisieren, d. h. um solche Positionen zu bereinigen, die besonders manipu­ lationsanfällig sind.1

1

Dieser Weg wird von Hüls beschritten, vgl. Hüls (Früherkennung 1995), S. 95-98.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

95

2. Teil: Analyse von bankbetrieblichen Ratingsystemen und der empiri­ schen Insolvenzforschung im Hinblick auf die Einbeziehung qualitativer Merkmale Im ersten Teil der Arbeit wurden zunächst die Grundlagen und die Bedeutung des quantitativen Credit-Ratings dargelegt. Anschließend wurde aufgezeigt, wie die für ein quantitatives Credit-Rating wünschenswerte Informationsbasis be­ stimmt werden kann und herausgearbeitet, daß sich das quantitative CreditRating zumeist nur auf einen Teil der zur Verfügung stehenden Informationen stützt. Ausgehend von der allgemeinen Darstellung des Kreditvergabeprozesses wurde gezeigt, daß in einem quantitativen Rating üblicherweise quantitative Merkmale - für den Firmenkundenbereich sind dies vor allem Jahresabschluß­ kennzahlen - verarbeitet werden, qualitative Merkmale eher intuitiv in den Ra­ tingprozeß einfließen. Nach diesen allgemeinen Ausführungen zum Ratingpro­ zeß im ersten Teil folgt nun eine kritische Bestandsaufnahme, wie qualitative Merkmale in bankbetrieblichen Ratingsystemen und in der empirischen Insol­ venzforschung ermittelt und verarbeitet werden. Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die sich im dritten Teil der Arbeit anschließende Mo­ dellentwicklung.

A.

Überblick über die Ratingsysteme der bankbe­ trieblichen Praxis

I.

Ratingsysteme ausgewählter Kreditbanken

Alle Kreditinstitute setzen Bonitätsbeurteilungsverfahren ein, denn die Bestim­ mung des Kreditrisikos ist eine zentrale Aufgabe jeder Bank. Zudem sind Kre­ ditinstitute nach § 18 KWG verpflichtet, sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers ab einer bestimmten Kreditsumme (z. Zt. 500.000,- DM) offenlegen zu lassen.1 Zentrales Analysegebiet aller Verfahren ist daher der Jah­ 1

Siehe § 18 KWG i. d. F. vom 22. Januar 1996, gültig ab 29. Oktober 1997.

96

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

resabschluß. Die Thematik dieser Arbeit ist auf die Bonitätsbeurteilung von Kaufleuten (Finnenkunden) ausgerichtet, und damit auf solche Kreditsuchende, die gesetzlich dazu verpflichtet sind, einen Jahresabschluß zu erstellen. Dabei sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie ein Kundenrating, das die originäre Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kreditnehmers beschreibt, umfassend und ziel­ orientiert bestimmt werden kann. Zusätzliche Aspekte, die sich aus dem konkre­ ten Kreditengagement ergeben wie Sicherheiten, Kredithöhe oder Laufzeit wer­ den in der vorliegenden Arbeit nicht betrachtet.

Im folgenden weiden die Ratingverfahren dreier großer Kreditbanken vorge­ stellt. Die Auswahl fiel auf diese Banken, weil sich anhand ihrer Ratingsysteme zum einen der gegenwärtige Stand in der bankintemen Ratingpraxis gut aufzei­ gen läßt und zum anderen verdeutlicht werden kann, wie doch jedes Kreditinsti­ tut die Aufgabe „Rating“ auf seine Weise löst.

Das FK-Rating der Dresdner Bank

1.

Das Firmenkundenrating (FK-Rating) der Dresdner Bank spiegelt das Adressen­ ausfallrisiko eines inländischen Firmenkunden wider. Rating wird als Verdich­ tung der vielfältigen Aspekte der Bonitätsbeurteilung bzw. Kreditentscheidung in einer ziffernmäßigen Wertung ohne Berücksichtigung von Sicherheiten verstan­ den. 1 Das FK-Rating wurde zunächst als reines qualitatives Rating konzipiert, d. h. die Gewichtung und Verknüpfung der Bonitätskriterien erfolgte intuitiv durch den Kreditsachbearbeiter. Zwischenzeitlich wurde es um statistische Verknüp­ fungsmethoden erweitert.2 Das FK-Rating verarbeitet neun Bonitätskriterien, die anhand der folgenden in Abbildung 11 aufgeführten Unteraspekte näher konkretisiert werden?

Abgesehen von der Ertrags- und Finanzlage hat der Kreditsachbearbeiter alle Abbildung 11 aufgeführten Bonitätskriterien anhand einer Checkliste abzuarbei­ ten und zu bewerten. Bei seiner Einschätzung wird der Kreditexperte durch im Ratingsystem hinterlegte strukturierte Fragen unterstützt.4

1 2 3

4

Vgl. Vgl. Vgl. 2 f.. Vgl.

Dresdner Bank (FK-Rating 1992), S. 1-1. Zugenbühler (Interne Ratings 1999), S. 2. Zugenbühler (Dresdner Bank 2000), Folie 8 i. V. m. Dresdner Bank (FK-Rating 1992), S.

Zugenbühler (Dresdner Bank 2000), Folie 14.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

97

1: Tätigkeitsgebiet/Brancheneinschätzung

Produktionsprogramm (Industrie)/wichtige Warengruppen (Handel)/wesentliche Kundengruppen/Absatzbranchen, Anteil der wesentlichen Erzeugnisse/Warengruppen am Gesamtumsatz und Ertrag in % vom Gesamtumsatz, Abhängigkeit von anderen Branchen, kurzfristige Branchenentwicklung._________________________________ 2: Marktbedingungen/Wettbewerbsposition

Hauptkonkurrenten, Import, Export, Markt- und Länderrisken, Marktanteil, Abhängigkeit von Abnehmern, Lieferanten, Zahlungsziele, Kreditversicherung, Forschung und Entwicklung, Produktinnovationen, Produkte, Alter der Produkte (Lebenszyklus), Standard-ZSpezialprodukte, Produktionsanlagen, Wettbewerbsintensität, Umsatzentwicklung im Vergleich zum Branchendurchschnitt, vertragliche Bindungen, Investitionsvorhaben. 3: Management-Einschätzung

Persönliche/fachliche Qualifikation(kaufmännisch/technisch), Führungsteam oder Alleinleitung, Nachfolge­ regelung (besonders relevant bei kleinen und mittleren Unternehmen), Umfang und Verläßlichkeit (Prognosesicherheit) der Planung, des Controlling.____________________________________________________________ 4: Ertragslage

Bewertung des letzten Abschlusses, Brutto-Cash-Flow, bereinigtes Betriebs-/Geschäftsergebnis in % vom Umsatz/Gesamtleistung, Gesamtkapi­ talrentabilität, Branchenvergleich (sofern aussagefähig), Entwicklung in den letzten Jahren, Stetigkeit der Erträge, Qualität Rechnungslegung, Bilanzpolitik, Einzelfaktoren.______________________________________ 5: Finanzlage

statisch: EK/Haftende Mittel-Quote/-Höhe, Liquidität II, Anlagendeckung, dynamisch: Zinsdeckung, Verschuldungsgrad, Kapitaldienstfähigkeit, Reservenlegung im AV, Branchenver­ gleich (sofern aussagefähig), Entwicklung in den letzten Jahren, Qualität Rechnungslegung, Bilanzpolitik, Eventualverpflichtungen, Unterdeckung Pensionsrückstellungen, Einzelfaktoren, Steuerliche Situation der Gesellschafter von Personengesellschaften.____________________________________ 6: Vorwegangaben/Prognosen - nachvollziehbare Kundenangaben -

a) Verlauf seit letztem Abschluß (Umsatz/Ertrag/Eigenmittel/Verschuldung), b) Erwartung für laufendes Geschäftsjahr/Folgejahre (Auftragsbestände/-eingänge, Kostenentwicklung, Kapazitätsauslastung, Auftragskalkulation, eigene Preisgestaltung: Vergleich laufendes Jahr zum Votjahr, Tendenz), c) Rechnungswesen, Finanzpläne, Zwischenziffern. 7: Kontoführung

Betriebsmittel- u. Diskontlinien, finanzielle Beweglichkeit, Überziehungshäufigkeit, Kontoumsätze, Negativmerkmale.____________________________________________________________________________________ 8: Kundenverbindung/Dauer der Kundenbeziehung

Stand/Entwicklungsmöglichkeiten, Cross-Selling mit Firma und Management/Gesellschaftem.______________ 9: Rechtsform/Identifikation mit dem Unternehmen

Bereitschaft bzw. Fähigkeit der Gesellschafter, mit persönlichem Risiko für ihr Unternehmen und die damit eingegangenen Verpflichtungen einzustehen (Identifikation).

Abbildung 11: Bonitätskriterien des FK-Rating1

Für das Bonitätskriterium „Marktbedingungen/Wettbewerbsposition “ sind solche strukturierten Fragen und die zugehörigen Antwortmöglichkeiten in der folgen­ den Tabelle 4 aufgelistet. Die strukturierten Fragen beziehen sich im vorliegen­ den Beispiel auf den Untemehmensstandort.

1

Vgl. Zugenbühler (Dresdner Bank 2000), Folie 8 i. V. m. Dresdner Bank (FK-Rating 1992), S. 2 f..

98

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

Verkehrsanbindung

Bewertung hervorragend vorteilhaft

nachteilig schlecht

Nutzungsmöglichkeit für Kunden

Bewertung hervorragend

vorteilhaft nachteilig schlecht

strukturierte Frage: Wie beurteilen Sie die Verkehrsanbindung (zu Fuß, Rad, Auto, LKW, Bahn, Flugzeug, Schiff,...) nach den jeweiligen Erfordernissen des Geschäftsbetriebs? Antwortmöglichkeiten la-Lage (Handel); gute Verkehrsanbindung, für Kunden und Lieferanten optimal zu erreichen bzw. Kunden/Abnehmer sind optimal erreichbar. Ib-Lage (Handel); akzeptable Verkehrsanbindung, für Kunden und Lieferanten meist einfach erreichbar bzw. Kunden/Abnehmer meist gut zu erreichen. 2-Lage (Handel); wichtige Verkehrsanbindung fehlt (z. B. Bahn), für Kunden und Lieferanten teilweise umständlich zu erreichen bzw. Kunden/Abnehmer teilweise schwierig zu erreichen. Verkchrsanbindung unzureichend, Kunden und Lieferanten haben Schwierigkei­ ten, den Standort zu erreichen bzw. Kunden/Abnehmer schwer zu erreichen.

strukturierte Frage: Wie beurteilen Sie die Nutzungsmöglichkciten (laufender Geschäftsbetrieb, Erweiterungsmöglichkeiten, Lagerhaltung, Umwelt- und Anwohnerschutzvor­ schriften, Auflagen,...) nach den Erfordernissen des Geschäftsbetriebs? Antwortmöglichkeiten optimale Nutzungsmöglichkeit, keine nachteiligen Einschränkungen gute Nutzungsmöglichkeit, nur geringe Einschränkungen (z. B. knapper Lager­ raum, ...) eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit (z. B. eingeschränkte Erweiterungsmög­ lichkeiten, nachteilige Umweltschutzvorschriften,...) unzureichende Nutzungsmöglichkeit, für Art des Geschäftsbetriebes nicht geeignet (z. B. keine Erweiterungsmöglichkeiten, überwiegendes Wohngebiet mit Anwohnerschutzvorschriften,...)

Tabelle 4: Beispielfür strukturierte Fragen und mögliche Antworten zum Stand­ ort des Unternehmens1 Aus den zur Verfügung stehenden Antworten hat der Kreditexperte die für den Einzelfall zutreffende richtige Antwort auszuwählen. Aus der gewählten Antwort ergibt sich dann automatisch die Bewertung des Sachverhalts. Auf einer Skala von 1 bis maximal 8 werden den mit den Antworten verbundenen Einschätzun­ gen (hervorragend bis schlecht) Zahlen zugeordnet (siehe Tabelle 5), um sie computergestützt weiterverarbeiten zu können. Einschätzung

zugeordnete Zahlen

hervorragend ■ |2

vorteilhaft 3 |4

nachteilig 5 16

schlecht 7 18

Tabelle 5: Beurteilung qualitativer Faktoren im FK-Rating und Zahlen­ zuordnung?

1 2

In Anlehnung an Zugenbühler (Dresdner Bank 2000), Folie 16. Vgl. Zugenbühler (Dresdner Bank 2000), Folie 15.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

99

Im Bereich der Ertrags- und Finanzlage wird der Kreditsachbearbeiter durch die maschinelle Bilanzanalyse der Dresdner Bank „MABILA“ unterstützt. Dort wird der Jahresabschluß computergestützt ausgewertet, das Bilanzanalyseprogramm errechnet aus den Bilanz- und GuV-Positionen zuvor definierte Kennzahlen. Auch erfolgt ein Branchenvergleich in MABILA, die für das Unternehmen er­ rechneten Kennzahlen werden über Quartilswerte in Beziehung zu anderen Un­ ternehmen derselben Branche gesetzt.1 Als Branchenschlüssel dient die Wirt­ schaftszweigesystematik des Statistischen Bundesamtes. Basierend auf diesen Informationen erfolgt die Bewertung der errechneten Kennzahlen dann mit Hilfe einer multivariaten, linearen Diskriminanzanalyse. Auf Basis der letzten zwei Jahresabschlüsse werden mit ihr die Ertragslage und die Finanzlage des Unter­ nehmens getrennt bewertet.2 Die für die Diskriminanzanalyse verwendeten Kennzahlen stammen aus „MABILA“? In „MABILA“ werden folgende Kenn­ zahlen errechnet:4

1 2 3 4

Vgl. Dresdner Bank (MABILA 1997), S. 11-13. Vgl. Zugenbühler (Dresdner Bank 2000), Folie 18. Vgl. Zugenbühler (Dresdner Bank 2000), Folie 19. Vgl. Dresdner Bank (MABILA 1997), S. 7-11. Zur besseren Übersicht wurden die Kennzahlen nach Analysebereichen gegliedert.

100

Analyseberciche

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

Bezeichnung:

Erläuterung:

Eigcnkapitalquote Netloverschuldung

Eigene Mittel in % der Bilanzsumme Mittel-/langfr. Fremdkapital - Pensionsrückstellun­ gen - Sonstige milteL/langfr. Rückstellungen + kurzfr. Fremdkapital - liquide Mittel Nettoverschuldung / Brutto-Cash-flow

Vermögenslage

Verscliuldungsgrad Eigenkapitalrendite

Bereinigtes Geschäftsergebnis / durchschnittl. eigene Mittel (Bereinigtes Geschäftsergebnis + Zinsaufwendun­ gen) / durchschnittl. bereinigte Bilanzsumme Bereinigtes Geschäftsergebnis + Normalabschrei­ bungen + Zuführung zu mittel- und langfr. Rück­ stellungen

Gesamtkapitalrcndite Ertragslage

Brutto-Cash-flow*

Aniagenfmanzicrung Mittel Zinsdeckung Finanzierung

eigene

Abschreibungsgrad technische Anla­ gen

Kapitalumschlag Liquidität II

Liquidität

durch

Umschlag Vorräte Kundenziel Lieferantenziel

Eigene Mittel insgesamt / Summe Anlagevermögen

(Bereinigtes Geschäftsergebnis + Zinsaufwendun­ gen) / Zinsaufwendungen (Kumulierte Abschreibungen auf technische Anlagen/Maschinen, Betriebs- und Geschäftsaus­ stattung) x 100 / (Bruttowerte der technischen Anlagen, Maschinen, Betriebs- und Geschäftsaus­ stattung) Umsatzerlöse / Bereinigte Bilanzsumme Vorräte und Anzahlungen + Sonstige kurzfr. Aktiva - kurzfr. Fremdkapital (Vorräte und Anzahlungen) x 365 / Umsatzerlöse (Forderungen aus Lieferung und Leistung + Giroverbindlichkeiten) x 365 / Umsatzerlöse (Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung + Akzepte) x 365 / Materialaufwand oder Fremdlei­ stungen

Tabelle 6: In MABILA errechnete Kennzahlen Der durch die Diskriminanzfunktion mit den „MABILA“ Kennzahlen errechnete Scorewerte wird daim einer bestimmten Ratingklasse (von 1 bis 8) zugeordnet2. Im Rahmen des Gesamtratings werden die getrennt ermittelten Ratingurteile über die Ertrags- und Finanzlage zusammen mit den übrigen, auf Basis von struktu­ rierten Fragen bewerteten Bonitätskriterien zu einem Ratingvorschlag verdich­ tet.3 Der Kreditexperte kann diesen Vorschlag nun übernehmen oder aufgrund 1

2 3

Der Brutto-Cash-flow ist definiert als Cash-flow vor a. o. Positionen und Ertragsteuem, siehe Dresdner Bank (MABILA 1997), S. 8. Von weiteren Kennzahlenpräzisierungen wird hier abge­ sehen, da dies nicht der Schwerpunkt dieser Arbeit ist. Darüber hinaus würden sie den Umfang der Darstellung sprengen. Vgl. zu dem MABILA-Auswcrtungsverfahren und den darauf aufbau­ enden Kennzahlendefinitioncn im einzelnen Dresdner Bank (MABILA 1997). Vgl. Zugenbühler (Dresdner Bank 2000), Folie 19. Vgl. Zugenbühler (Interne Ratings 1999), S. 2. Welche Kennzahlen im einzelnen in die jeweili­ ge Diskriminanzfunktion einfließen und wie die Einzelratings der 9 aufgefiihrten Bonitätskriteri-

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

101

von Sonderfaktoren, worunter insbesondere latente Risiken verstanden werden, korrigieren.1 Im Ergebnis legt damit auch beim FK-Rating der menschliche Ra­ tingersteller das abschließende Ratingurteil fest.

2.

Das Ratingsystem der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG „Crebon“

Ziel des Bonitätsanalysesystems der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank2 ist es, die Kundenbonität in ein System von Bonitätsklassen einzuteilen, um damit die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kreditnehmers zu beurteilen. Ausgangspunkt zur Beurteilung eines Firmenkunden ist auch bei der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank die Analyse des Jahresabschlusses. Für diese Analyse setzt sie das statistische Verfahren der multivariaten, linearen Diskriminanzanalyse ein. Auf Basis von trennfähigen Kennzahlen wird eine Diskriminanzfünktion berechnet, die möglichst gut zwischen bestandsgefährdeten und bestandsfesten Unterneh­ men trennen soll. Nötig hierfür sind Merkmale - konkret Jahresabschlußkenn­ zahlen - mit unterschiedlichen Ausprägungen in den beiden zu diskriminieren­ den Gruppen. Durch additive Verknüpfung werden die als trennfähig erachteten Kennzahlen auf eine Superkennzahl, dem sogenannten Diskriminanzwert ver­ dichtet.3 Dieser wird in der Terminologie der Hypo- und Vereinsbank als MAJAWert bezeichnet, wobei MAJA für die maschinelle Jahresabschlußanalyse steht.4

Arbeitete die Vereinsbank zunächst nur mit drei Kennzahlen in ihrer Diskrimi­ nanzfunktion,5 so wurde die Kennzahlenbasis für die Diskriminanzanalyse im Zeitablauf verfeinert. Die neue Funktion basiert auf 10 Kennzahlen aus verschie­ denen Analysebereichen. Die 10 Kennzahlen sind in der folgenden Tabelle 7 näher dargestellt:6

1 2

3

4 5 6

en zum abschließenden Gesamtrating verdichtet werden ist nicht bekannt oder kann aus Gründen der Vertraulichkeitkeit nicht wiedergegeben werden. Vgl. Meyer (Kunden-Bilanz-Analyse 2000), S. 207. Das im folgenden dargestellte Ratingverfahren wurde ursprünglich für die Bayerische Vereins­ bank entwickelt, aus der durch die Fusion mit der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank AG die Bayerische Hypo- und Vereinsbank hervorgegangen ist. Für Einzelheiten zur Diskriminanzanalyse vgl. Ausführungen im 2. Teil B. I. 1. und 2. Teil. C. II. 2. dieser Arbeit. Vgl. hierzu auch Ausführungen im 1. Teil C. I. Siehe Trautner/Schacht (Bonitätsanalyse 1993), S. 24. Zu den Einzelheiten der verwendeten Jahresabschlußkennzahlen vgl. Rubbert (Computergestütze Kreditüberwachung 1997), S. 5-6.

102

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

Analysebereich

KapitalStruktur VermögensStruktur Liquidität

Kapitalumschlag Rentabilität Finanzkraft

Sonstiges

Bezeichn.

Erläuterung

KZ 1

(Wirtschaft!. Eigenkapital - immat. Vermögensgegenstände + langfr. Rückstellungen) / (Bilanzsumme - Rückstellungen)

KZ 2

Forderungen / Umlaufvermögen

KZ 3 KZ 4 KZ 5 KZ 6 KZ 7 KZ 8 KZ 9 KZ 10

(Flüssige Mittel + Forderungen aus Lieferung und Leistung) / kurzfristiges Fremdkapital Kurzfristiges Fremdkapital / Umsatz (Wirtschaftliches Eigenkapital + Rückstellungen) / Umsatz Bilanzsumme / Umsatz Haftungsverhältnisse / Umsatz Jahresergebnis / Bilanzsumme finanzwirtschaftlicher Cash-Flow / Umsatz Zinsaufwendungen / Verbindlichkeiten

Tabelle 7: Kennzahlen in der neuen MAJA-Funktion

Ergänzend zu der Untemehmensanalyse erfolgt ein Branchenvergleich, indem die Einzelkennzahlen und der MAJA-Wert eines Unternehmens mit den übrigen Unternehmen seiner Branche verglichen werden.1 Im Bereich der qualitativen Analyse untersucht die Hypo- und Vereinsbank Negativmerkmale und Erfolgsfaktoren eines Firmenkunden.2 Auf Basis einer bestimmten Menge leistungsgestörter Kredite werden empirisch die qualitativen Merkmale gesucht, die bei „schlechten“ Unternehmen vermehrt auftreten. Diese Merkmale werden aus der systematischen Auswertung von Kundenakten gewon­ nen. Anschließend wird durch eine Clusteranalyse versucht, aussagekräftige Strukturen in den Daten zu erkennen. Dies geschieht dadurch, daß eine größere Menge von Negativmerkmalskombinationen gebildet wird und zwar solange, bis durch weitere Kombinationen von qualitativen Faktoren keine bessere Trennfä­ higkeit zwischen den bekannten schlechten Kreditfällen und den übrigen ermit­ telt werden kann. Die dadurch gefundenen Cluster als Kombination mehrerer qualitativer Merkmale werden dann dv-technisch erfaßt und dienen als Maßstab für die Beurteilung aller Firmenkunden. Trifft nun der Finnenbetreuer bei seiner Untemehmensanalyse auf eines oder mehrere dieser Negativmerkmale, hat er diese in der Checkliste anzukreuzen. Die Abspeicherung dieser Merkmale in der EDV erlaubt dann einen Abgleich mit den hinterlegten Clustern, d. h. mit den auf eine Krisensituation hindeutenden Kombinationen von Negativmerkmalen. Typi­ sche Cluster, die auf eine Gefährdung des Unternehmens hinweisen, sind z. B.:

1 2

Vgl. Trautner/Schacht (Bonitätsanalyse 1993), S. 23 f.. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Trautner/Schacht (Bonitätsanalyse 1993), S. 25-27.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

• •



103

unkontrollierte Expansion in Verbindung mit mangelnder kaufmännischer Qualifikation, überhöhte Privatentnahmen in Verbindung mit laufenden Kontoüberziehun­ gen und starke Abhängigkeit von wenigen Produkten in Verbindung mit einge­ schränkter Marktakzeptanz des Unternehmens.

Insgesamt umfaßt die Checkliste der Hypo- und Vereinsbank, die dem Kredit­ analysten bei seiner Beurteilung helfen soll, mehr als 30 Negativmerkmale.1

Neben diesen Negativfaktoren fließen auch Positivfaktoren, definiert als Merk­ male, die einen wesentlichen Beitrag zur positiven Entwicklung des Unterneh­ mens liefern, in die Checkliste ein. Im Gegensatz zu vielen bereits in der Check­ liste angedruckten Negativmerkmalen, muß der Kreditanalyst die gefundenen Positivmerkmale selbst nennen. Die Analyse des Kreditanalysten zum Auffinden von Negativ- und Positivfaktoren konzentriert sich auf folgende Teilbereiche: • Geschäftsentwicklung, • Management, • Information/Planung/Kontrolle, • Finanzierung/Investition, • Beschafftmg/Vorratswesen, • Produktion/technische Ausstattung, • Produkte/Leistungen/Marktkonzept, • Umwelt.2 Unter kritischem Abwägen möglicher Negativmerkmale und vorhandener Er­ folgsfaktoren des Unternehmens soll sich der Kreditanalyst nun ein Urteil über diese verschiedenen Gebiete, die die Grundlage für das Teilrating „Untemehmenssituation“ darstellen, bilden. Die Ergebnisse des Teilratings „Wirtschaftli­ che Verhältnisse“ und des Teilratings „Untemehmenssituation“ verknüpft die HypoVereinsbank aufgrund empirischer Erfahrung zu Bonitätsklassen, wobei das Teilrating „Wirtschaftliche Verhältnisse“ mit 70 % und das Teilrating „Un­ temehmenssituation“ mit 30 % in die Bewertung einfließen3.

Die Hypo- und Vereinsbank differenziert in ihrem jetzigen, aus dem früheren Risk-System hervorgegangenen Crebon-Bonitätsanalysesystem 10 unterschiedli­

1 2 5

Vgl. Trautner/Schacht (Bonitätsanalyse 1993), S. 27. Vgl. Meyer (Kunden-Bilanz-Analyse 2000), S. 125. Vgl. Bretzger (HypoVereinsbank 2000), Folie 6.

104

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

ehe Ratingklassen, wobei 1 die beste Ratingklasse beschreibt und Zehn die schlechteste.1 Abbildung 12 gibt einen zusammenfassenden Überblick über Crebon.

Abbildung 12: Bausteine des Bonitätsanalysesystems „Crebon“2

3.

Das wissensbasierte System der Commerzbank „Codex“

Das Ratingsystem der Commerzbank „Codex“ (Commerzbank Debitoren Ex­ perten System) ist ein wissensbasiertes System zur Untemehmensanalyse. Ein wissensbasiertes System, auch Expertensystem genannt, arbeitet nach Regeln, die von menschlichen Kreditexperten entworfen wurden und die möglichst zu­ treffend das Analyseverhalten menschlicher Kreditexperten abbilden sollen.3 Mit Codex analysieren Firmenkundenbetreuer und Kreditsachbearbeiter die Bonität von inländischen, mittelständischen Unternehmen.4 Die Fakten und die Verknüp­

1

2 3

4

Vgl. Trautner/Schacht (Bonitätsanalyse 1993), S. 31 und Meyer (Kunden-Bilanz-Analyse 2000), S. 128. In Anlehnung an Schacht (Diskriminanzanalyse 1995), S. 17 und Meyer (Kunden-Bilanzanalyse 2000), S. 123-128 und Bretzger (HypoVereinsbank 2000). Nähere Ausführungen zu der Arbeitsweise eines wissensbasierten Systems finden sich im 2. Teil C. II. 3. dieser Arbeit. Die Commerzbank definiert Mittelstandsuntemehmen anhand ihres Umsatzes bzw. ihrer Ge­ samtleistung. Die Bandbreite beträgt 2,5 bis 750 Mio. Euro, vgl. Kögel (Ratingsysteme 1999), S. 1194 und 1199.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

105

fungsregeln in Codex, die zusammen die Wissensbasis des Systems bilden, wur­ den durch Expertenbefragungen ermittelt. Sie spiegeln die Erfahrungen von Kreditexperten wider. Das System Codex untersucht Finanzsituation, Entwick­ lungspotentiale und Branchenaussichten des zu beurteilenden Unternehmens. Aus der Zusammenführung dieser drei Bereiche, bei Bedarf noch erweitert um eine der Intensität der Konzemeinbindung entsprechenden Anrechnung eines Konzemratings, wird eine Aussage über die Bonität ermittelt, in das bei Konzer­ nen ggf. noch ein Länderrating einfließt.1 Das Commerzbankrating wird in 14 Abstufungen vorgenommen, beginnend mit der Note 0,0 für „nicht geratet“ und 0,5 für „nicht ratingpflichtig“. Die Note 1,0 steht für eine „außerordentlich gute Bonität“, über O,5er-Schritte werden die Klassen weiter abgestuft bis zu der Note 6,5, die ein „Abwicklungsengagement“ beschreibt. Hier ist der Insolvenzfall bereits eingetreten oder steht kurz bevor.2

Die Finanzsituation eines Unternehmens wird anhand von aussagekräftigen Jah­ resabschlußkennzahlen zur Finanz-, Liquiditäts- und Ertragslage beurteilt. Fol­ gende Kennzahlen werden in Codex verwendet:3 Analysebereich: Finanzbasis

Liquidität

Ertragslage

Kennzahl

Haftkapitalstruktur Eigenmittelquote Gesamtanlagendeckungsgrad Liquidität I Liquidität II Zielgewährung Zielinspruchnahme Lagerumschlag in Tagen Brutto-Cash-Flow-Rate Dynamischer Verschuldungsgrad Umsatzrendite Gesamtkapitalrendite Außerordentliches Ergebnis Aufwandsrentabilität

Tabelle 8: Im Codexsystem verwendete Jahresabschlußkennzahlen

Die in Tabelle 8 aufgeführten Kennzahlen werden sowohl statisch als auch dy­ namisch bewertet. Hierbei werden auch Branchenreferenzwerte berücksichtigt. Unter Hinzunahme von Anhanginformationen und unterjährigen Zahlen wird

1 2 3

Vgl. Pawlik (Internes Rating 1999), Grafik 12-11. Vgl. Pawlik (Internes Rating 1999), Grafik 10-11. Vgl. Commerzbank (Codex 2000), S. 2.

106

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

dann ein Urteil über die Finanzsituation des Unternehmens gefällt.1 Das Ent­ wicklungspotential eines Unternehmens setzt sich aus den Bereichen Marktpo­ tential, Führungspotential und Produktionspotential zusammen.2 Die Kriterien, die zur Einschätzung des jeweiligen Potentialbereichs herangezogen werden, sind nachfolgend aufgelistet:

Abbildung 13: Indikatoren zur Codex-Potentialanalyse 3 Die Indikatoren der einzelnen Potentialbereiche werden weiter in Bonitätsmerk­ male aufgegliedert. Wichtige Bonitätsmerkmale für den Indikator Untemehmensmanagement aus dem Bereich Führungspotential zeigt die folgende Abbildung 14.

Für jedes der Bonitätsmerkmale/Einzelkriterien kann der Kreditexperte nun aus einem Bewertungsbereich, der sich direkt auf die zu untersuchende Fragestellung bezieht, das passende Urteil auswählen. Diesem Urteil wird über einen Zuwei­ sungsschlüssel ein Risikowert zugeordnet, der in einem weiteren Schritt durch eine Risikonote quantifiziert wird. Die dem Kreditexperten dabei zur Verfügung stehenden Bewertungsoptionen mit zugehörigen Risikowerten und ihre Quantifi­ zierung in Form einer Note wurden durch Expertenbefragungen festgelegt.4

1 2 3 4

Vgl. Pawlik (Internes Rating 1999), Grafik 12. Vgl. Pawlik (Internes Rating 1999), Grafik 13 und Kögel (Ratingsysteme 1999), S. 1196. Vgl. Leins (Wissensbasierte Untemehmensanalyse 1993), S. 104-173. Vgl. Leins (Wissensbasierte Untemehmensanalyse 1993), S. 175 f..

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

107

Bonitätsmerkmale Unternehmensmanagement

______ r" ---------• •

• • •



Qualität kaufmänn­ ische Geschäftsführung Qualität technische Geschäftsführung Unternehmerisches Verhalten Fluktuationsrate der Geschäftsführung Stellvertretungs- und Nachfolgeregelung Entscheidungsstruktur und -prozesse

1 • • •

• •



Gesellschafterkonflikte Abhängigkeiten der Geschäftsführung Charaktermerkmale der Geschäftsführung Kommunikations- und Informationssysteme Führungsstil und Führungskenntnisse Aufteilung von Zuständigkeiten

• • • • • •

Dienstleistungen von Beratern Führungskräftestruktur Innovationsbereitschaft Arbeitsbelastung der Führungskräfte Führungssystem Zielausrichtung der Geschäftsführung

Abbildung 14: Wichtige Codex-Bonitätsmerkmale zum Unternehmensmanage­ ment1

Für die Bewertung eines Bonitätsmerkmals, hier die „kaufmännische Qualität der Geschäftsführung“, sieht der Ablauf wie folgt aus (siehe Abbildung 15):

Bonitätsmerkmal

Wie beurteilen Sie die kaufinännische Qualität der Geschäftsführung? Zuweisungsschlüssel

Zuweisungsschlüssel Optionen

• • • • •

sehr gut gut befriedigend ausreichend mangelhaft

Risikowert

• • • • •

gering unterdurchschnittlich durclischnittlich überdurchschnttlich hoch

Note

I 2 3 4 5

Abbildung 15: Systematik der Merkmalsbewertun^

Alle Bonitätsmerkmale, also auch die Jahresabschlußkennzahlen, werden nach diesem Schema in Risikonoten transferiert. Dadurch wird eine einheitliche Ska­ lierung der quantitativen und qualitativen Angaben geschaffen, die notwendig ist

1 2

Vgl. Leins (Wissensbasierte Untemehmensanalyse 1993), S. 132 f.. In Anlehnung an Leins (Wissensbasierte Untemehmensanalyse 1993), S. 176.

108

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

für die spätere Aggregation der Einzelnoten zu einem Gesamtrisikowert. Dem Kreditanalysten stehen für die weitere Analyse sowohl die Risikonote als auch der direkte Bewertungstext zur Verfügung.

Nachdem der Kreditanalyst die von Codex benötigten Informationen in das Sy­ stem eingegeben hat, erhält er zu allen Informationsbereichen eine umfangreiche Dokumentation. In dieser sind die untemehmensspezifischen Stärken und Schwächen in den einzelnen Bereichen verbal erläutert und mit einer Risikonote versehen. Die einzelnen Risikonoten werden nun zu einem Urteil über den je­ weiligen Bonitätsbereich verdichtet. Das Bonitätsurteil für einen Untemehmensbereich ergibt sich als gewichteter Mittelwert der Risikonoten der jeweiligen Einzelmerkmale. Die Gewichte wurden durch Expertenbefragungen ermittelt/ Schließlich werden die Bereichsurteile zu einem Gesamtbonitätsurteil über das Unternehmen aggregiert. Auf die Verknüpfung der Informationen kann der Kre­ ditanalyst keinen Einfluß nehmen, sie erfolgt über im wissensbasierten System hinterlegte hierarchische Verknüpfungsregeln. Auch das Codex-Rating ist lediglich ein Ratingvorschlag, von dem die Kompe­ tenzträger in begründeten Einzel fallen ab weichen können.

II.

Von Verbänden entwickelte Ratingsysteme

1.

Das Ratingsystem des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV)

Auch im folgenden werden nur die für ein Kunden-/Bonitätsrating in Betracht kommenden Ratingmodule dargestellt, Sicherheiten werden somit nicht berück­ sichtigt. Die folgenden Ausführungen zum Bonitätsrating beziehen sich daher in der Terminologie des DSGV auf das qualitative Unternehmens- und Kreditrisiko. Ähnlich den zuvor aufgeführten Ratingsystemen ist auch das vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband entwickelte Ratingsystem modular aufgebaut, siehe Abbildung 16.

1

Vgl. Leins (Wissensbasierte Untemehmensanalyse 1993), S. 193.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

109

Kontodaten­ analyse (Kondan)

Kreditrating

Abbildung 16: Überblick über das vom DSGV entwickelte Ratingsystem für Fir­ menkunden1

L Unternehmer- und Unternehmensbeurteilung (UUB): Das System zur Unternehmer- und Untemehmensbeurteilung setzt sich aus fol­ genden Einzelkomponenten zusammen: • Managementbeurteilung, • betriebs- und fmanzwirtschaftliche Beurteilung, • Anzeichen für eine Untemehmensgefährdung, • Branchen- und Wettbewerbssituation des Unternehmens, • automatische Ergebnisinterpretation mit Textbausteinen.2

Grundlagen der Beurteilung sind drei Fragebogen, nämlich zur Managementbe­ urteilung, zur betriebs- und finanzwirtschaftlichen Beurteilung und zu den An­ zeichen für eine Untemehmensgefährdung. Bei bilanzierenden Unternehmen werden ergänzend Informationen aus der Einzelbilanzauswertung (EBIL) heran­ gezogen. Im Bereich der Untemehmer-/Managementbeurteilung muß der Beur­ teilende die Untemehmenspersönlichkeit beurteilen und seine Wertung doku­ mentieren (siehe Tabelle 9).

1 2

In Anlehnung an Deutscher Sparkassenverlag (Kreditinformationssystem 1997), S. 2. Vgl. Reuter (Unternehmens-, Konto- und Bilanzanalyse 1994), S. 348.

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

110

1. Polaritätsprofil 1

positiv

1 2 3 4

5 6 7 8 9 10 11

12 13 14

15 16 17

18 19

20 21 22 23 24 25 26

zielstrebig sachlich risikobereit aufgeschlossen lernfähig lemwillig fortschrittlich delegationsbereit ideenreich, eigeninitiativ realitätsbewußt entscheidungsfähig vorsichtig, abwägend anpassungsfähig durchsetzungsfähig rührig, dynamisch verantwortungsbewußt zuverlässig nicht geltungsbedürftig dizipliniert, maßvoll willensstark überzeugend zurückhaltend belastbar gründlich, sorgfältig fähig zur Teamarbeit Untemehmensintercsse

2

3

4

5

X X X

X X

X X X

X

X X X

X X X

X X

X X X X

X X X

negativ

orientierungslos unsachlich risikoscheu starrsinnig lemunfähig lemunwillig rückständig nicht delegationsbereit ideenarm realitätsfem nicht entscheidungsfähig leichtfertig schwerfällig nicht durchsetzungsfähig träge, unbeweglich verantwortungslos unzuverlässig geltungsbedürftig verschwenderisch willensschwach unsicher selbstherrlich labil oberflächlich unfähig zur Teamarbeit kein Untemehmensinteresse

2. Fachliche Qualifikation

positiv qualifiziert

1

2

4

3

5

X

Weitere Merkmale

2 _3_____ 4 _5_____ 6 7

negativ unqualifiziert Nein

Ja

externe Führungserfahrung berufsqualifizierender Abschluß (Kaufm.) berufsqualifizierender Abschluß (Techn.) branchen-/berufsbezog. Ausbildung Ausbildung im eigenen Betrieb mehr als 20 Jahre Berufs-/Branchenerfahrung

3. Sonstiges älter als 60 Jahre 1 2 Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bekannt 3 familiäre Schwierigkeiten bekannt

X X X X X

X X X X

X = Merkmalsausprägung trifft zu

Tabelle 9: DSGV-Fragebogen zur Beurteilung des Managements1 Als Ergebnis des dv-gestützten Beurteilungsprozesses werden die vollständig dokumentierten Eingaben, das Stammblatt mit den Beurteilungsergebnissen und 1

Quelle: Hertenstcin (Zukunftsorientiertes Kreditmanagement 1988), S. 81.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

Hl

automatisch generierte Textbausteine ausgegeben.1 Für jeden der aufgefuhrten drei Bereiche wird ein Teilindikator berechnet und anschließend zu einem Ge­ samtindikator zusammengefaßt. Im Gegensatz zum Bilanzanalysebereich erfolgt dies jedoch nicht unter Einsatz mathematisch-statistischer Verfahren, sondern aufgrund empirisch ermittelter, im System hinterlegter Bewertungspunkte.

2. Bilanzanalyse einschließlich Branchenvergleich: Die Bilanzanalyse ist ein zentraler Baustein innerhalb des Kreditratings des DSGV. Im Modul EBIL (Einzelbilanzanalyse) und STATBIL (Statistische Bi­ lanzanalyse) erfolgt die Beurteilung des Jahresabschlusses. EBIL stellt sicher, daß sämtliche Bilanzen nach einem einheitlichen Raster erfaßt werden, so daß ein interner Periodenvergleich oder ein externer Betriebsvergleich mit Unter­ nehmen derselben Branche möglich wird.2 Hierzu errechnet EBIL betriebswirt­ schaftliche Kennzahlen, die mit den Durchschnittswerten der Branche verglichen werden. Diese Branchenvergleichswerte werden aus einem Bilanzdatenpool abgeleitet, in den jede mit EBIL/STATBIL ausgewertete Bilanz - sofern be­ stimmte Anforderungskriterien erfüllt sind - eingestellt wird. Der DSGV nutzt jährlich ca. 125.000 Bilanzen für Branchenvergleichszwecke.3 Zu jeder EBIL-Eingabe erfolgt eine STATBIL-Bewertung mit Hilfe einer Diskriminanzanalyse, die auf dem Nächste-Nachbam-Verfahren basiert. Das Nächste-Nachbam-Verfahren fußt auf dem Grundgedanken, möglichst ähnliche Unternehmen zu Gruppen zusammenzufassen.4 Aus 38 vom EBIL-Programm bereitgestellten Bilanzpositionen werden insgesamt 140 Kennzahlen berechnet.5 Aus diesen werden schließlich die 13 trennfähigsten Kennzahlen herausgefiltert, die in einen brauchen-, rechtsform- und größenklassenunabhängigen Gesamtrisi­ ko-Index einfließen. Die Kennzahlen stammen aus den Bereichen Ertragskraft, Kapitalbindung, mittelfristige Liquidität, (Personal)Kosten, Vorratsintensität, Tilgungskraft, Überschuldung und Barliquidität. Zusätzlich werden 20 Kennzahlen berechnet, um durch spezielle Kennzahlenkombinationen die Risikoentwicklung in den acht in Tabelle 10 aufgefuhrten Bewertungsfeldem

1 2

3 4 5

Vgl. hierzu die Darstellungen bei Reuter (Risikomanagement 1993), S. 248. Vergleichbare dv-gestützte Bilanzauswertungsprogramme, die von anderen Kreditinstituten eingesetzt werden, sind MAJA (Maschinelle Jahresabschlußanalyse) von der Bayrischen Hypound Vereinsbank und MABILA (Maschinelle Bilanzanalyse) von der Dresdner Bank. Vgl. Reuter (PC-Programme 1994), S. 408. Vgl. hierzu Ausführungen in 2. Teil C. II 2. Vgl. Reuter (Risikomanagement 1993), S. 260.

112

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

aufzuzeigen.1 Die einzelnen Kennzahlen sind in der folgenden Tabelle 10 aufge­ listet: Analysebereich

Überschuldung

Bezeichnung

KZ 1 KZ 2 KZ 3 KZ 4

Kapitalbindung

KZ KZ KZ KZ

5 6 7 8

KZ 9

Barliquidität

mittelfristige Liquidität

Tilgungskraft

Vorratsintensität

(Personal)Kosten

KZ KZ KZ KZ KZ KZ KZ

10 11 12 13 14 15 16

KZ 17 KZ 18 KZ 19 KZ 20 KZ 21 KZ 22 KZ 23 KZ 24 KZ 25

KZ 26 KZ 27 KZ 28 KZ 29 Ertragskraft

KZ 30 KZ31 KZ 32 KZ 33

Bestandteile Fremdkapital / Gesamtkapital Kurzfristiges Fremdkapital / Gesamtkapital Eigenkapital (wirtschaftliches) / (Gesamtvermögen - liquide MittelGrundstücke, Gebäude (bereinigt)) Eigenkapital (wirtschaftliches) / (Sachanlagevermögen (bereinigt) Grundstücke, Gebäude (bereinigt))

(Grundstücke, Gebäude (bereinigt)) / Sachanlagevermögen (bereinigt) Kurzfristiges Fremdkapital / Umlaufvermögen Kurzfristiges Fremdkapital / (Umlaufvermögen - Vorräte) Kurzfristiges Fremdkapital / (Liquide Mittel + Forderungen aus Lieferung u. Leistung) Kurzfristiges Fremdkapital / (Liquide Mittel + Forderungen aus Lieferung u. Leistung + Vorräte) Liquide Mittel / Gesamtvermögen (Liquide Mittel x 360) / Gesamtleistung

(Forderungen aus Lieferung u. Leistung x 360) / Gesamtleistung (Liquide Mittel + Forderungen aus Lieferung u. Leistung) / Umlaufvermögen (Vorräte x 360) / Gesamtleistung (Vorräte x 360) / Materialaufwand (Betriebsaufwand - Abschreibungen auf Sachanlagen) / (Liquide Mittel + Forderungen aus Lieferung u. Leistung - kurzfristiges Fremdkapital) (Kurzfristiges Fremdkapital x 360) /Gesamtleistung (Verbindlichkeiten aus Lieferung u. Leistung x 360) / Materialaufwand (Wechselverbindlichkeiten + Verbindlichkeiten aus Lieferung u. Leistung) x 360)/ Gesamtleistung (Umlaufvermögen - kurzfristiges Fremdkapital) x 360 / Gesamtleistung

Vorräte / Umlaufvermögen (bereinigt) Materialaufwand / Betriebsaufwand Personalaufwand / Betriebsaufwand Personalaufwand / Gesamtleistung Gewerbe- und Lohnsummensteuer / Betriebsaufwand

Betriebsergebnis / Gesamtleistung Betriebsergebnis /Gesamtkapital (Betriebsergebnis + Abschreibungen auf Sachanlagen) / Umsatz (Betriebsergebnis + Abschreibungen auf Sachanlagen) / Kurzfristiges Fremdkapital (Betriebsergebnis + Abschreibungen auf Sachanlagen) / (Fremdkapital liquide Mittel) Betriebsergebnis / Kurzfristiges Fremdkapital (Betriebsergebnis + Abschreibungen auf Sachanlagen) / Gesamtkapital Wertschöpfung / Gesamtvermögen

Tabelle 10: Die im DSGV-Rating verwendeten Jahresabschlußkennzahlen1

1

Vgl. Reuter (Risikomanagement 1993), S. 264.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

113

Die Informationen der zusätzlichen Kennzahlen fließen nicht in die STATBILBewertung ein, sondern runden in Form von graphischen Darstellungen das Bild ab.2 Die STATBIL-Bewertung wird nun in fünf Noten übersetzt, wobei die Note 1 den Bilanzen guter Unternehmen zugeordnet wird, die Note 5 wird für Bilan­ zen gefährdeter Unternehmen vergeben. 3. Finanz- und Liquiditätsplanung FILIP: Die Finanzplanung stellt ein dv-gestütztes Instrument dar, das, ausgehend vom letzten verfügbaren Jahresabschluß, mit nur wenigen Planungsangaben die Aus­ wirkungen von Entwicklungen und unternehmerischen Entscheidungen auf die finanzwirtschaftliche Situation eines Unternehmens darstellen kann. Finanzpla­ nung und Bilanzanalyse sind miteinander verbunden, denn Zahlen aus der Bi­ lanzanalyse fließen in die Finanzplanung ein. Zusätzlich können in FILIP er­ stellte Planabschlüsse in EBIL betriebswirtschaftlich analysiert und in STATBIL risikobezogen ausgewertet werden. Auch sind unterjährige Liquiditätsplanun­ gen möglich, die als Untermasken der Finanzplanung implementiert sind. 4. Portofolioanalyse: Die vom DSGV konzipierte Portfolioanalyse, die auf der von der Boston Con­ sulting Group entwickelten Portfolioanalyse aufbaut4, dient dazu, die gegenwär­ tige und zukünftige Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens hinsichtlich sei­ ner Produkte auf bestimmten Märkten im Verhältnis zu seinen Konkurrenten abzuschätzen. Die DSGV-Analyse ist nicht primär darauf ausgerichtet, im Sinne einer strategischen Untemehmensplanung neue Erfolgspotentiale aufzuspüren, sondern sie konzentriert sich vielmehr darauf, den Verlust von Erfolgspotentialen eines Unternehmens in einer sehr frühen Phase zu erkennen. Frühzeitig bedeu­ tet, daß diese ungünstigen Entwicklungen bereits erkannt werden sollen, bevor sie sich in den finanzwirtschaftlichen (Konto-)Daten widerspiegeln. Die DSGVPortfolioanalysen werden nur im oberen Kreditsegment angewendet,5 denn sie müssen in enger Zusammenarbeit mit den zu beurteilenden Unternehmen durch­ geführt werden und sind daher zeit- und kostenintensiv. Je nach Zahl und Um­ fang der Produktgruppen, der unterschiedlichen Märkte, dem Stand des betriebli­ chen Rechnungswesens, dem Untersuchungs-/Planungszeitraum usw. sind für

1 2 3

4 5

Vgl. auch Reuter (Risikomanagement 1993), S. 265. Aus Gründen der besseren Übersicht wurden die Kennzahlen nach Informationsbereichen gegliedert. Vgl. Reuter (Risikomanagement 1993), S. 264 und S. 266. Vgl. Deutscher Sparkassenverlag (Kreditinformationssystem 1997), S. 9; Reuter (Risikoma­ nagement 1993), S. 277. Die betriebswirtschaftlichen Grundlagen hierzu wurden bereits im 1. Teil B. III. 3. dargestellt. Vgl. Deutscher Sparkassenverlag (Kreditinformationssystem 1997), S. 11.

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

114

die erforderliche Datenerhebung mehrtägige intensive Gespräche mit dem Ma­ nagement notwendig.1

5. Kontodatenanalyse: Die Kontodatenanalyse Kondan analysiert in den Bereichsrechenzentren gespei­ cherte Kontodaten und erstellt auf dieser Basis systematische Auswertungen. Hierbei nutzt man die Erkenntnis, daß zwischen Kontodatenentwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung eines Unternehmens ein unmittelbarer Zusammen­ hang existiert. So findet eine wirtschaftlich kritische Situation in den Kontodaten ebenso ihren Niederschlag wie umgekehrt entsprechende positive Tendenzen. Als Datenbasis dienen Bestands- und Bewegungdaten von 24 aufeinanderfolgen­ den Monaten; mindestens müssen jedoch 12 Monats werte für die Beurteilung vorhanden sein.2 Die Kontenbewertung erfolgt mit Hilfe einer linearen Diskrimi­ nanzfunktion3, die auf fünf Kennzahlen beruht und jedem zusammenhängenden 12-Monatszeitraum einen Diskriminanzwert D zuordnet:4 D

=

ao + aj • Xi + a2 • X2

a3 • X3 + 34 • X4-b 35 • X5,

mit den Kennzshlen: Xi

=

Durchschnittl. vulutsrischer Suldo/Limit,

X2

=

Sollumsutz/Limit,

X3

=

H3benums3tz/Sollums3tz,

X4

=

Durchschnittl. vulutarischer S31do/Sollums3tz,

X5

=

Wechselbel3stung/Sollums3tz.

Der so ermittelte Diskriminunzwert wird zur besseren Interpretierburkeit in eine Notenskulu von 1 bis 5 umgewundelt. Die Note richtet sich nuch dem Abstund des errechneten Diskriminunzwertes D vom Diskriminunztrennwert.5

6. Kreditrating: Dus Kreditrating faßt nun die Ergebnisse der einzelnen Analyse- und Beurtei­ lungsverfahren zusammen. Informationen aus den einzelnen Modulen fließen auch in die anderen Ratingmodule mit ein (siehe Verbindungspfeile in Abbildung 16). Nicht alle der hier vorgestellten Module müssen bei jedem Kre­ 1 2 3 4 5

Vgl. Reuter (Risikomanagement 1993), S. 272. Vgl. Reuter (Unternehmens-, Konto- und Bilanzanalyse 1994), S. 352. Zu näheren Erläuterung der linearen Diskriminanzanalyse vgl. Ausführungen im 2. Teil B. I. 1. und 2. Teil C. II. 2. dieser Arbeit. Vgl. Thanner (Kontokorrentverbindung 1991), S. 231. Vgl. Reuter (Risikomanagement 1993), S. 256.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

115

ditengagement zum Einsatz kommen, bei kleineren Firmenkunden werden oft nur die Kontodatenanalyse KONDAN, die Untemehmensbeurteilung und die Auswertung der Geschäftsbeziehung erfolgen. EBIL und STATBIL kommen erst bei größeren Krediten (Kreditinstitute müssen Jahresabschlüsse gesetzlich zwin­ gend erst ab einem Kreditvolumen von 500.000 DM anfordem)1 zum Einsatz.

Die Verdichtung der quantitativen und qualitativen Urteile erfolgt - wie bei den anderen vorgestellten Ratingverfahren auch- indem die einzelnen benoteten Bewertungskomponenten zu einem Gesamturteil aggregiert werden. Konkret geschieht dies dadurch, daß das arithmetische Mittel aus den Risiko-Indices der Einzelinstrumente gebildet wird.2 Zur Zeit nutzen nur rund ein Drittel aller Sparkassen das DSGV-Rating3.

2.

Das Ratingsystem des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR)

Das BVR-Kreditrating bewertet zum einen die Bonität des Kreditnehmers bzw. Unternehmens (Bonitätsrating), zum anderen die Werthaltigkeit der vorliegenden Sicherheiten. Beide Aspekte werden schließlich zu einer Gesamteinschätzung des Kreditengagements (Engagementrating) miteinander verknüpft.

Die Nutzung des BVR-Ratingsystem basiert auf:

• • •

• •

1 2 3

4

der Kenntnis des Betriebes, der Produkte und des Managements des zu be­ urteilenden Unternehmens, Informationen über die Märkte/ die Branche des Unternehmens, des GENO-FBS (Genossenschaftliches Finanz-Beratungs-System) oder eines vergleichbaren Bilanzanalysesystems, der Vorlage zeitnaher Jahresabschlüsse und anderer Unterlagen des Unter­ nehmens, einer Kontoanalyse und der Sicherheitenstellung.4

Dies ergibt sich aus § 18 KWG. Siehe Maske Bonitätsbeurteilung mit Beispiel bei Reuter (Kredit-Rating 1994), S. 345. Viele Sparkassen, wie z. B. die Frankfurter Sparkasse als drittgrößte Sparkasse in Deutschland, haben sich für andere Ratingprodukte entschieden. Die Frankfurter Sparkasse begründet ihren Schritt damit, daß das DSGV-Rating deutlich schlechter über die gesamte Spannbreite der Ra­ tingklassen streut als andere von ihr geprüfte externe Ratingentwicklungen. Vgl. Winkelmann (Internes Rating 1999), S. 1. Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994), S. 5.

116

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

Die Bonitätseinstufung des Unternehmens wird aus fünf Informationsbereichen auf der Basis von insgesamt 17 Bonitätskriterien abgeleitet (vgl. im einzelnen Abbildung 17). Die einzelnen Informationsbereiche und Kriterien werden in einem Leitfaden „Kreditrating im Firmenkundengeschäft“ näher beschrieben.1

Informationsberciche und Kriterien: 1. Management

1

2

3

4

5

6

2

3

4

5

6

1.1 Qualität der Geschäftsführung/des Managements 1.2 Qualität des Rechnungswesens/Controllings Durchschnitt = Bewertungssumme : Anzahl der bewerteten Kriterien = 2. Markt/Branche

1

2.1 Markt-/Branchenentwicklung 2.2 Konjunkturabhängigkeit 2.3 Abnehmer-/Lieferantenstreuung 2.4 ExporL/Importrisiken 2.5 Konkurrenzintensität

2.6 Produkt/Sortiment 2.7 Leistungsstandard Durchschnitt = Bewertungssumme : Anzahl der bewerteten Kriterien = 3. Kundenbeziehung

1

2

3

4

5

6

1

2

3

4

5

6

3.1 Kontoführung 3.2 Kundentransparenz/Informationsverhalten Durchschnitt = Bewertungssumme : Anzahl der bewerteten Kriterien = 4. Wirtschaftliche Verhältnisse

4.1 Beurteilung des Jahresabschlusses 4.2 Gesamte Vermögensverhältnisse Durchschnitt = Bewerlungssumme : Anzahl der bewerteten Kriterien = 5. Weitere Unternehmcnsentwicklung

1

2

3

4

5

6

5.1 Unternehmensentwicklung seit letztem Jahresabschluß 5.2 Untemehmensplanung 5.3 Ertragsplanung und künftige Kapitaldienstfähigkeit 5.4 Besondere Untemchmensrisiken

Durchschnitt = Bewerlungssumme : Anzahl der bewerteten Kriterien = Bonitätseinstufung = Summe Klasse 1-5 : Anzahl der bewerteten Klassen =

1

Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994).

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

117

Abbildung 17: Aufbau des BVR-Credit-Ratings1 1, Management: Der Leitfaden zum BVR-Kreditrating weist ausdrücklich auf die herausragende Bedeutung, die die Managementqualität für die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens hat, hin.2 Bei der Beurteilung der Managementqualität soll die fachliche und die persönliche Eignung der Führungskräfte bewertet werden. Zur fachlichen Eignung sollten kaufmännische und technische Fachkompetenz in einem ausgewogenen Verhältnis beitragen. Die Qualität des Rechnungswesens/Controllings wird präzisiert als „Fähigkeit des Untemehmens/der Ge­ schäftsleitung, einen permanenten, aktuellen und ordnungsmäßigen Einblick in die wirtschaftliche Lage des Unternehmens geben zu können“?

2. Markt/Branche: Im Bereich Markt/Branche ist das Analyseziel, eine Zustandsbeschreibung der Bedingungen zu liefern, die in dem relevanten Markt herrschen und die absehba­ ren Entwicklungsrisiken und -chancen aufzuzeigen. Der relevante Markt oder die relevanten Märkte, falls das Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen auf verschiedenen Märkten anbietet, definieren sich produktspezifisch über das oder (die) Absatzgebiet(e) des betreffenden Unternehmens.4

3. Kundenbeziehung: Hier präzisiert der Leitfaden, daß die Qualität der Kundenbeziehung anhand von Kundengesprächen beurteilt werden soll und nennt einzelne Kriterien, die zur Bewertung herangezogen werden sollen. Im wesentlichen soll mit ihnen über­

1 2 3

4

Weitgehend unverändert entnommen aus Gerhard (Kreditrating 1997), S. 44. Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994), S. 9. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994), S. 10. Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994), S. 11.

118

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

prüft werden, ob der Kunde die Bank zeitnah, umfassend, glaubhaft und nach­ vollziehbar informiert.1

4. Wirtschaftliche Verhältnisse: Die wirtschaftlichen Verhältnisse des betreffenden Unternehmens sollen auf der Basis zeitnaher Jahresabschlußunterlagen beurteilt werden.2 Mit Hilfe des Ge­ nossenschaftlichen Finanz-Beratungs-Systems GENO-FBS werden aussagekräf­ tige Jahresabschlußkennzahlen errechnet. Das Kennzahlensystem in GENO-FBS ist hierarchisch aufgebaut. Seine Basis bilden folgende 14 Jahresabschlußkenn­ zahlen.3 Analysebereich

Kennzahl

Marktsituation

Gesamtleistung / Gesamtkapital Sonstige betriebliche Erträge / Gesamtleistung Finanzergebnis / Gesamtleistung

Kostensituation

Materialaufwand / Gesamtleistung Personalaufwand / Gesamtleistung Sonstiger Aufwand / Gesamtleistung

Bestandssituation

(Vorräte - erhaltene Anzahlungen) / Materialaufwand Forderungen aus Lieferung und Leistung / Umsatz (Verbindlichkeiten aus Lieferung u. Leistung inkl. Wechsel) / Materialaufwand Rückstellungen / Gesamtleistung

Finanzierungssituation

Eigenkapital / Gesamtkapital (Forderungen aus Lieferung u. Leistung und liquide Mittel) / Fremdkapital Kurzfr. Fremdkapital / Fremdkapital Fremdkapital / Gesamtleistung

Tabelle 11: Kennzahlenbasis in GENO-FBS

Im nächsten Schritt werden die Bereiche Finanzkraft, Ertragskraft, Kapitalkraft und Zahlungsverhalten anhand jeweils einer Kennzahl beurteilt. In der folgenden Tabelle sind diese neuen Kennzahlen aufgelistet:4

1

2 3 4

Vgl. Bundesverband 1994), S. 22. Vgl. Bundesverband 1994), S. 23. Vgl. Rossen (Scoring Vgl. Rossen (Scoring

der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating

der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1997), S. 28. 1997), S. 28.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

Bereich Finanzkraft Ertragskraft Kapitalkraft Zahlungsverhalten

119

Kennzahl Cash-flow / (Fremdkapital - liquide Mittel - Forderungen) (Betriebsergebnis vor Steuern und Abschreibungen) / Fremdkapital Eigenkapital / Fremdkapital (Verbindlichkeiten aus Lieferung u. Leistung inkl. Wechsel) / Gesamtlei­ stung

Tabelle 12: Kennzahlen für die Einzelscoringwerte in GENO-FBS Die konkreten Kennzahlenausprägungen werden auf eine einheitliche Meßskala von 0 bis 100 Punkten projiziert. Die so gewonnenen Einzelscoringwerte werden dann zu einem Gesamtscoringwert über das Unternehmen verdichtet.1 Die ein­ gangs aufgefuhrten 14 erklärenden Jahresabschlußkennzahlen sollen nun über die Einzelscoringwerte den Zusammenhang zwischen dem Gesamtscorewert und den betriebswirtschaftlichen Ursachen im Markt-, Kosten-, Bestands- und Finan­ zierungsbereich des untersuchten Unternehmens aufzeigen.2 Bei dem aufgezeig­ ten Scoringprozeß in GENO-FBS werden mathematisch-statistische Verfahren, konkret die multivariate Diskriminanzanalyse eingesetzt.3

5. Weitere Unternehmensentwicklung: Der Informationsbereich „Weitere Untemehmensentwicklung“ dient dazu, alle Informationen über das Unternehmen zu erfassen, die sich auf den Zeitraum zwischen dem Jahresabschluß und der Untemehmensanalyse beziehen. Dieser Informationsbereich soll damit die Lücke zwischen den im Zeitpunkt der Analy­ se bereits veralterten Jahresabschlußzahlen und der aktuellen wirtschaftlichen Untemehmenslage schließen. Bei allen in diesem Bereich aufgefuhrten Kriterien (siehe Abbildung 17) soll der Unternehmer gezielt auf fehlende Informationen angesprochen werden, damit die Bank eine realistische Einschätzung der weite­ ren Untemehmensentwicklung vornehmen kann.4 Die Bewertung der in Abbildung 17 aufgefuhrten Bonitätskriterien erfolgt nach dem Schulnotensystem mit den Noten 1 bis 6, wobei 6 die schlechteste Note darstellt. Der Kreditsachbearbeiter hat bei seiner Beurteilung die jeweiligen Bewertungsrichtlinien des Leitfadens zu beachten. Für jeden Informationsbereich werden dort die einzelnen Bonitätskriterien näher erläutert, dann werden die nötigen Informationsquellen und Gesichtspunkte genannt, die für ihre Beurtei1 2 3 4

Vgl. Rossen (Scoring Vgl. Rossen (Scoring Vgl. Rossen (Scoring Vgl. Bundesverband 1994), S. 26.

1997), S. 26 1997), S. 26. 1997), S. 25. der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating

120

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

lung herangezogen werden sollen und schließlich jede mögliche Notenausprä­ gung verbal erläutert.1 Für den Informationsbereich Management werden bei­ spielsweise folgende Notenbeschreibungen gegeben:2 Note

Bewertung

In allen Bereichen hohe fachliche und persönliche Qualifikation Gute Qualifikation mit Stärken in Teilbereichen Befriedigende Qualifikation mit Stärken in Teilbereichen Durchschnittliche Qualifikation mit Schwächen in Teilbereichen Deutliche Schwächen in Teilbereichen/latente Nachfolgeprobleme Nicht ausreichende Qualifikation/akute Nachfolgeprobleme

= = = = = =

1 2 3 4 5 6

Für jeden der fünf genannten Informationsbereiche wird nun eine Durchschnitts­ note als arithmetisches Mittel errechnet, denn die sich aus den zugehörigen Bo­ nitätskriterien ergebene Summe (Addition der Noten) wird durch die Anzahl der bewerteten Kriterien dividiert. Auch die abschließende Bonitätseinstufung ergibt sich pauschal als Durchschnittsnote der einzelnen Klassen, die jeweiligen Klas­ sennoten werden aufaddiert und durch die Anzahl der bewerteten Klassen divi­ diert. Danach wird in einem weiteren Schritt aus der Bonitätseinstufung und der Sicherheitendeckung eines Engagements die Risikoeinstufung des Engagements vorgenommen und in Form eines dreistelligen Risikoschlüssels ausgedrückt.3 Wie bei dem vom DSGV entwickelten Ratingsystem, wird auch das BVRRatingkonzept von einer Vielzahl von Genossenschaften nicht in Anspruch ge­ nommen.

Abschließend erfolgt eine zusammenfassende Gegenüberstellung der dargestell­ ten Ratingverfahren zur Beurteilung der Kreditnehmerqualität unter besonderer Berücksichtigung der Behandlung qualitativer Merkmale.

1

2 3

Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994). Vgl. Bundesverband der Deutschen Voiksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994), S. 10. Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994), S. 31.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

„Crebon“ Bayr. Hypo- Vereins­ bank

121

Kriterium

FK-Rating Dresdner Bank

betrachtetes Kreditrisiko Anzahl und Definition der Ratingklassen

Ausfall

Ausfall

Ausfall

Ausfall

Ausfall

8 Ratingklassen

10 Ratingklassen

14 Ratingklassen

4 Ratingklassen

6 Ratingklassen

1-3 = minimales bis niedriges Risiko, 4-5 = über­ schaubares Risiko, 6 = hohes Risiko, 7 = sehr hohes Risiko, 8 =materiell nicht mehr vertretbar.

1 = exzellent, 2 = sehr gut, 3 = gut, 4 = eher gut, 5 = befriedigend, 6 = eher schlecht, 7 = schlecht, 8 = gefährdet/Leistungsstörung, 9 = Akute Bestandsgefährdung/EWBBildung, Z(ehn) = Abwicklcr/Forderung ganz oder teilweise unein­ bringlich.

0,0 = nicht geratet, 0,5 = nicht ratingpflichtig, 1 = außerordent­ lich gute Boni­ tät, 1,5 = sehr gute Bonität, 2,0 = gute Bonität, 2,5 = über Durchschnitt liegende Bonität, 3,0 = befriedi­ gend durchschnittl. Bonität, 3,5 = noch befriedigende Bonität, 4,0 = gerade noch ausrei­ chende Bonität, 4,5 = Engage­ ment mit erhöh­ tem Risiko, 5,0 = Engage­ ment mit deut­ lich erhöhtem Risiko, 5.5 = Leistungs­ störung zu erwarten, 6,0 = Leistungs­ störung ist gegeben, erhöhte Insolvenzgefahr, 6,5 = Insolvenz­ fall ist eingetre­ ten.

1 a = bedenken­ frei, 1b = nicht ganz bedenkenfrei, 2 = erhöhtes Wagnis, 3 = ausfallge­ fährdet.

1 = Bonität erstklassig, 2 = Bonität gut, 3 = Bonität befriedigend, 4 = Bonität ausreichend, 5 = Bonität mangelhaft, 6 = Bonität ungenügend.

Kombination aus quantitativem und qualitativem Ratingverfahren

Kombination aus quantitativem und qualitativem Ratingverfahren

Kombination aus quantitativem und qualitativem Ratingverfahren

Kombination aus quantitativem und qualitativem Ratingverfahren

Diskriminanz­ analyse

Diskriminanz­ analyse

Diskriminanz­ analyse

Diskriminanz­ analyse

Jahresabschluß­ kennzahlen

Jahresabschluß­ kennzahlen

Jahresabschluß­ kennzahlen, Kontoführungs­ kennzahlen

Jahresabschluß­ kennzahlen

Aufbau des bankinternen Ratingverfah­ rens Quantitatives Ratingverfah­ ren Merkmale für quantitatives Ratingverfah­ ren

„Codex“ Commerzbank

Qualitatives Ratingverfahren

Wird nicht angewendet

DSGV-Rating

BVR-Rating

122

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

FK-Rating Dresdner Bank

„Crebon“ Bayr. Hypo- Vereins­ bank

„Codex“ Commerzbank

DSGV-Rating

BVR-Rating

ja (MABILA)

ja (MAJA)

ja

ja (EBIL)

ja (GENO-FBS)

Management­ qualität, Kundenbezie­ hung, Markt/Branche, Planungszahlen, Kontoführung.

Management­ qualität, Kundenbezie­ hung, Markt/Branche, Planungszahlen, Kontoführung.

Finanzsituation, Marktpotential, Führungspoten­ tial, Produktionspo­ tential, Branche.

Management­ qualität, Finanzplanung, Kundenbezie­ hung, Markt/Branche.

Management­ qualität, Markt/Branche, Kundenbezie­ hung, Kontoführung, Planungszahlen.

Ermittlung und Auswahl qualitativer Merkmale

Gestützt auf FKLeitfaden, zusätzlich durch im DV-System hinterlegte, strukturierte Fragen an den Kreditanalysten.

Auf Checklisten bereits vorgege­ bene Negativ­ merkmale, zusätzlich vom Kreditanalysten zu nennende Negativ- und Er­ folgsfaktoren.

Durch im DVSystem hinter­ legte Checkli­ sten, die der Kreditanalyst ausfüllt.

Gestützt auf Leitfaden BVRRating.

Bewertung qualitativer Merkmale

Auswahl der zutreffenden dvgestützten Antwort aus den verfügbaren Antwortmög­ lichkeiten. Übersetzung in eine Note von 1 bis 8. Auf Erfahrungen der Kreditanaly­ sten basierender Verknüpfungs­ mechanismus.

Kreditexperte soll sich Urteil über einzelne Teilbereiche bilden, indem er negative und positive Infor­ mationen „kritisch“ abwägt. Auf Erfahrungen der Kreditanaly­ sten basierender Verknüpfungs­ mechanismus. Gewichte der einzelnen Bereiche: 70 % quantitativ, 30 % qualitativ.

Auswahl der zutreffenden dvgestützten Antwort aus den verfügbaren Antwortmög­ lichkeiten. Übersetzung in cine Note von 1 bis 5. Durch vorgege­ bene Regel, die Expertenein­ schätzung wiedergeben.

Durch Fragebö­ gen • zur Manage­ mentbeurtei­ lung, • zurbetriebsund finanz­ wirtschaftli­ chen Beur­ teilung, • zu Anzeichen für eine Un­ ternehmens­ gefährdung. Für jeden der in Abbildung 16 aufgeführten Einzelbereich wird ein RisikoIndex empirisch ermittelt.

Kriterium

dv-gestütztes Bilanzanalyse­ programm Merkmale für qualitatives Ratingverfah­ ren

Verdichtung der Informa­ tionen zum Ratingurteil

Einfacher Durchschnitt aus Risikoindices der Einzelin­ strumente.

Der Kreditex­ perte bewertet jedes im BVRRating aufge­ führte Rating­ kriterium mit einer Note von 1 bis 6.

Einfacher Durchschnitt aus den für die Informationsbereiche/Kriterien festgesetzten Einzelnoten.

Tabelle 13: Zusammenfassende Gegenüberstellung der betrachteten Rating­ verfahren

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

123

III. Kritische Würdigung der bankbetrieblichen Praxis 1.

Ermittlung und Auswahl qualitativer Informationen

Inhaltlich fließen in die dargestellten bankintemen Bonitätsratingverfahren ähn­ liche Informationsbereiche ein (vgl. Tabelle 13). Dies überrascht nicht, denn mit allen Verfahren soll die gleiche Fragestellung gelöst werden, nämlich wie sol­ vent ist der Kreditnehmer. Diese Informationsgebiete sind: • Unternehmer- und Untemehmensbeurteilung, • Marktstellung des Unternehmens und Strategie, • wirtschaftliche Verhältnisse und Finanzierung, • Kontoführung und Liquidität, • Zukunftsaussichten des Unternehmens.

Es überrascht jedoch, daß trotz der zum Teil sehr umfangreichen Ratingbausteine sich die Analysen vor allem auf die Schwachpunkte eines Unternehmens richten, potentielle strategische Erfolgsfaktoren vernachlässigt oder wie bei der Portfo­ lioanalyse des DSGV sogar bewußt außen vor gelassen werden.1 Die Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen braucht der Kreditanalyst im Regelfall nicht selbst in Form von Jahresabschluß kennzahlen zu errechnen, hier wird er durch mittlerweile in allen Instituten implementierte dv-gestützte Bilanz­ auswertungsprogramme unterstützt (vgl. Tabelle 13). Wie die bei den jeweiligen Verfahren aufgelisteten Kennzahlen zeigen, arbeiten alle vorgestellten Systeme mit gängigen Jahresabschlußkennzahlen aus den Analysebereichen Kapital, Finanzierung, Vermögens- und Ertragslage und Liquidität. Aus diesem Fundus wählt der Kreditanalyst dann geeignete Kennzahlen für die Kreditbeurteilung aus. Bei seiner Auswahl orientiert er sich an den in den jeweiligen Rating­ leitfäden genannten Kennzahlen(bereichen). Dabei kann er durch mathematisch­ statistische Verfahren unterstützt werden, die ihm einen ersten Eindruck über die Wichtigkeit der Kennzahlen geben.2 Bei den qualitativen Informationen sieht die Vorgehensweise jedoch anders aus. Diese müssen zunächst auf irgendeine Weise beschafft werden, da sie nicht un­ mittelbar bankintem vorliegen Ähnlich wie bei der maschinellen Jahresab­ schlußauswertung würde es sich auch bei qualitativen Informationen anbieten, 1 2

Vgl. Reuter (PC-Programme 1994), S. 412. Vgl. beispielsweise die bei Reuter aufgelisteten Kennzahlen mit den zugehörigen Fehlerindizes, mit denen die Trennfähigkeit einzelner Bilanzkennzahlen beurteilt wird. Siehe Reuter (Unter­ nehmens-, Konto- und Bilanzanalyse 1994), S. 353.

124

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

sie in einer standardisierten Form zu ermitteln. Wie in der bankbetrieblichen Praxis qualitative Merkmale ermittelt und dann für den Beurteilungsprozeß aus­ gewählt werden, soll hier kritisch beleuchtet werden. Aus Wirtschaftlichkeits­ überlegungen bedingen sich Ermittlung und Auswahl von qualitativen Informa­ tionen gegenseitig, denn es werden wohl nur die qualitativen Informationen ermittelt, von denen man ausgeht, daß sie auch für den Kreditbeurteilungsprozeß relevant sind und deshalb für den Beurteilungsprozeß ausgewählt werden und umgekehrt.

Die Auswahl qualitativer Merkmale kann aus zwei Perspektiven untersucht wer­ den: 1.

Anwenderperspektive. D. h. inwieweit ist der Kreditanalyst bei der Auswahl von Informationen, die als Datenbasis für die Kreditbeurteilung herangezo­ gen werden sollen, auf sich selbst gestellt oder erhält er hierbei bankintem Unterstützung durch geeignete Arbeitsvorgaben?

2.

Verfahrensperspektive. Wenn geeignete bankinteme Arbeitsvorgaben beste­ hen, dann stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage die Bank diese Infor­ mationen für ihr Verfahren ausgewählt hat.

Aus der Anwenderperspektive betrachtet sollen die Verfahren zur Auswahl qua­ litativer Informationen nach dem Kriterium einer systematischen Vorgehenswei­ se geordnet werden. Denn dies ist Grundlage für ein transparentes und damit nachvollziehbares Rating und stellt eine Voraussetzung zur bankaufsichtlichen Anerkennung von Ratingverfahren dar. Darüber hinaus entlastet sie den Kredit­ analysten, vereinheitlicht die Datenbasis und erhöht die Effizienz der Bearbei­ tung.

Geordnet nach einer zunehmenden systematischen Arbeitsweise geben die in der Bankpraxis eingesetzten bankintemen Ratingverfahren dem Kreditsachbearbeiter folgende Hinweise für die bonitätsrelevante Auswahl qualitativer Merkmale: 1.

Allgemeine Auswahlhinweise Allgemeine Auswahlhinweise liegen dann vor, wenn in den Kreditrichtlinien lediglich die Informationsbereiche genannt werden, die der Kreditsachbear­ beiter bei seiner Entscheidung beachten soll, jedoch keine oder beispielhaft nur einige Bonitätskriterien aufgeführt werden, die die zu betrachtenden In­ formationsbereiche näher konkretisieren. Dem Kreditbeurteilenden wird somit ein großer Ermessensspielraum gelassen, welche Aspekte er für seine Bonitätsbeurteilung heranziehen will. In seiner Arbeitsweise erfährt er so gut wie keine Entscheidungsunterstützung.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

125

Ein Beispiel hierfür ist die allgemeine Arbeitsvorgabe: „Bei der Einschät­ zung des Jahresabschlusses ist auch die Bilanzpolitik des Unternehmens zu berücksichtigen.“

2.

Allgemeine Auswahlhinweise, welche durch strukturierte Fragen unterlegt sind. Zusätzlich zu einer Aufzählung der Informationsbereiche werden für jeden Bereich Fragen gestellt, die den Kreditbeurteilenden bei der konkreten Aus­ wahl der Informationen leiten sollen.

Um im Beispiel Bilanzpolitik fortzufahren, könnten solche strukturierten Fragen lauten:1 „Bei der Einschätzung von Jahresabschlußkennzahlen ist auch die Bilanzpolitik zu berücksichtigen. Liegt eine Handels- oder Steuer­ bilanz vor? Bei Handelsbilanz: Inwieweit wurden bilanzpolitische Bewer­ tungsspielräume ausgenutzt? Sind ausreichende Rückstellungen gebildet worden? Sind die Wertberichtigungen angemessen? Wird die Möglichkeit der Bildung von stillen Reserven genutzt? In welchem Ausmaß werden Ak­ tivierungswahlrechte genutzt? Welche Form der Abschreibungspolitik wur­ de gewählt?“ 3.

Fragebögen oder Checklisten, in denen die Informationen, die erhoben werden sollen, konkret aufgeführt werden. Hierbei handelt es sich um Erfassungsformulare, die der Kreditsachbearbei­ ter bei seiner Analyse ausfüllen muß. Die Möglichkeit der Informationsaus­ wahl besteht für den Kreditsachbearbeiter nicht mehr, sie wurde bereits im Vorfeld bei der Konzeption des Fragebogens/der Checkliste vorgenommen. Als Beispiel für eine solche Checkliste sei auf Tabelle 9 verwiesen, die ei­ nen vom DSGV entwickelten, umfassenden Fragebogen zur Management­ beurteilung darstellt.

Gängige Ratingpraxis ist, daß die Informationsgebiete, die über den Jahresab­ schluß hinaus in eine Bewertung einfließen sollen, zwar in den Kreditanalyse­ richtlinien genannt und anhand einzelner beispielhafter Kriterien präzisiert wer­ den. Die Auflistung der Kriterien ist jedoch vielfach so unvollständig und allge­ mein gehalten, daß sie dem Kreditbeurteilenden nur erste Anhaltspunkte liefern. Dem Kreditanalysten bleibt es weitgehend selbst überlassen, wie er diese opera­ tionalisiert (Wie soll er die Bilanzpolitik eines Unternehmens bestimmen?). Damit bleibt die Auswahl der Informationen sehr subjektiv und ist stark von der In Anlehnung an Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994), S. 24.

126

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

tisch erfaßt. Folglich kann kaum nachvollzogen werden, ob und wie sie den Kreditbeurteilungsprozeß beeinflussen. Aber es gibt auch Ausnahmen: In der wissensbasierten CodexUntemehmensanalyse werden qualitative Informationen sehr umfassend in Form von dv-gestützten Checklisten erhoben. Auch setzen einzelne Institute umfang­ reiche Checklisten für bestimmte Informationsbereiche ein, wie z. B. der DSGVFragebogen zur Qualität des Management. Positiv bei dem Einsatz von Checkli­ sten ist, daß ein einheitliches Instrument zur Informationssammlung verwendet wird, das den Kreditsachbearbeiter zwingt, sich mit den aufgeführten Merkmalen konkret auseinanderzusetzen. Jedoch sollte der Kundenbetreuer auch nicht mit zu detaillierten Fragebögen konfrontiert werden, bei denen sich der Aussagegehalt einzelner Punkte überschneidet oder diese kaum von ihm sachgerecht festgestellt werden können. Dies ist eine Gefahr bei dem angesprochenen DSGVFragebogen zur Qualität des Management, der sehr hohe psychologische Anfor­ derungen an den Kreditsachbearbeiter stellt, will dieser alle aufgelisteten Aspekte sachgerecht erfassen. Oft liegen auch die für die Abarbeitung umfang­ reicher Checklisten benötigten Informationen bei Klein- und Mitteluntemehmen überhaupt nicht vor.

Inwieweit durch die Verwendung von Checklisten eine systematische Kriterienauswahl erfolgt, ist abhängig von ihrer formalen und materiellen Ausgestaltung. Ein übersichtlicher, klarer, logisch gegliederter Aufbau der Checkliste, verbun­ den mit einer konkreten Auflistung der einschlägigen Informationen, die erhoben werden sollen, fordern eine systematische Datenerhebung und unterstützen den Kreditsachbearbeiter in seiner Analysetätigkeit. Je besser die formale und mate­ rielle Ausgestaltung der Checkliste ist, umso systematischer und damit nachvoll­ ziehbarer ist die Datenauswahl. Aus Verfahrenssicht gibt es zwei Möglichkeiten, qualitative Informationen für den Kreditbeurteilungsprozeß auszuwählen, nämlich die Expertenbefragung und die Datenbefragung.1

Soweit bekannt, wurden die Arbeitshinweise und die Checklisten der dargestell­ ten Ratingsysteme fast ausschließlich durch Expertenbefragung erstellt. Nur die Hypo- und Vereinsbank setzt für die Identifikation geeigneter qualitativer Infor­ mationen ein statistisches Verfahren der Mustererkennung ein. Damit dieses zu objektiven Ergebnissen führt, muß eine repräsentative, aussagekräftige Datenba­ sis vorliegen, über die Banken jedoch oft nicht verfügen. Vorteilhaft wäre eine 1

Vgl. 1. Teil B. 1.2.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

127

sowohl auf betriebswirtschaftlichen Überlegungen basierende als auch durch die Datenbasis abgesicherte Informationsauswahl, doch scheitert dieser Weg oft an der unzureichenden Datenbasis, insbesondere bei leistungsgestörten Krediten. Das Datenproblem ist bereits bei ausschließlich auf Jahresabschlußkennzahlen basierenden Analysen groß, verschärft sich aber noch bei qualitativen Informa­ tionen.

2.

Bewertung qualitativer Informationen

Nachdem im ersten Schritt bonitätsrelevante qualitative Informationen ausge­ wählt wurden, müssen sie im zweiten Schritt bewertet werden, d. h. es muß fest­ gestellt werden, wie bedeutsam sie für das Ratingurteil sind. Bewertungshand­ lungen können nach dem Kriterium zunehmender Objektivität, das auch bei der bankaufsichtlichen Anerkennung von Ratingverfahren herangezogen werden dürfte, wie folgt gegliedert werden: Bewertungen erfolgen: • intuitiv durch den einzelnen Sachbearbeiter, • durch den einzelnen Sachbearbeiter, unterstützt durch Klassifizierungshin­ weise, • auf Basis der Erfahrung einer Gruppe von Kreditexperten, • durch mathematisch-statistische Verfahren.

Wie die dargelegten Ausführungen zur bankbetrieblichen Praxis zeigen (vgl. auch Übersicht in Tabelle 13), erfolgt die Beurteilung qualitativer Informationen entweder gänzlich unformalisiert durch den Kreditsachbearbeiter (siehe Checkli­ ste zur Untemehmenssituation bei der Hypo/Vereinsbank, bei der der Kreditex­ perte das Urteil durch kritisches „Abwägen“ positiver und negativer Merkmale ermitteln soll) oder im Rahmen von Scoringverfahren, die den jeweiligen Kriteri­ en Punkte in Form von Noten zuordnen. In den vorgestellten Ratingverfahren werden die qualitativen Merkmale der „gängigen“ Informationsgebiete Mana­ gementbeurteilung, Markt- und Wettbewerbsituation und Untemehmensprognose auf der Grundlage von Scoringverfahren beurteilt. Nun können den Kriterien diese Punkte entweder frei durch den jeweiligen Beurteilenden, auf der Basis von dokumentierten Erfahrungswerten oder mit Hilfe mathematisch-statistischer Verfahrens zugeordnet werden.

Häufig vergibt der Kreditanalyst diese Punkte „per Hand“ auf der Basis einer festgelegten Skala in Form von Noten. In Anlehnung an das Schulnotensystem reicht diese oft von 1-6, einige Kreditinstitute nehmen jedoch auch feinere oder gröbere Notenabstufungen vor. Kritisch ist dazu anzumerken, daß die Skala nicht zu grob sein sollte, damit eine ausreichende Anzahl unterschiedlicher Bewertun­ gen möglich ist, andererseits sollte sie aber auch nicht zu detailliert sein, weil

128

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

dann zu große Anforderungen an die Differenzierungsfähigkeit des Kreditanaly­ sten gestellt werden. Zudem sind sehr feine Abstufungen durch den Informati­ onsinhalt oft nicht gerechtfertigt und verursachen zusätzliche Kosten. Wie bei jeder Benotung liegt eine Schwierigkeit in der Vergabe der ’’richtigen” Note, die ein hohes Maß an Subjektivität beinhaltet. Denn trotz der Bewertungs­ hinweise, die in den bankintemen Ratingleitfäden gegeben werden, bleibt der Sachbearbeiter weitgehend auf sich selbst gestellt. Denn auch hier sind die An­ haltspunkte oft sehr allgemein gehalten und die in den Arbeitsunterlagen gege­ bene inhaltliche Notenumschreibung wenig operational. Häufig ist es so, daß die Notenumschreibung selbst im wesentlichen nur die Note verbal wiedergibt, wie die BVR-Notenbeschreibung für den Informationsbereich Management in Ab­ schnitt II. 2. verdeutlicht.

Eine stärker objektivierte Beurteilung besteht darin, daß die Frage, welche Werte den Kriterien zugeordnet werden sollen, nicht durch den einzelnen Kreditsachbe­ arbeiter entschieden wird, sondern indem dokumentierte Erfahrungswerte mehre­ rer Kreditanalysten zur Bewertung herangezogen werden. In dem Codex-System werden die Gewichtungen durch Expertenbefragungen festgelegt. Trotz der um­ fangreichen qualitativen Analysen, die mit Codex vorgenommen werden, ist die Gewichtung allerdings sehr grob, denn grundsätzlich werden in Codex negative Merkmalsausprägungen doppelt so hoch gewichtet wie positive Ausprägungen desselben Merkmals.1 Hier stellt sich die Frage, ob diese starke Risikoaversion empirisch gerechtfertigt ist. Eine stärker objektivierte Bewertung könnte auch hier mit Hilfe empirisch­ statistischer Methoden durchgeführt werden, so wie es im Bereich der Bilanz­ kennzahlen seit langem mit der Diskriminanzanalyse üblich ist. Jedoch stellt sich bei qualitativen Merkmalen das Problem, daß sie zunächst in geeigneter Weise quantifiziert werden müssen. Die verbalen Merkmalsausprägungen müssen in reelle Zahlen übersetzt werden, und zwar möglichst so, daß der ursprüngliche Informationsinhalt erhalten bleibt. Verglichen mit quantitativen Größen, die unmittelbar mathematisch-statistisch ausgewertet werden können, ist die Be­ handlung qualitativer Merkmale zunächst aufwendiger. Dies führt dazu, daß in der bankbetrieblichen Praxis qualitative Merkmale ausschließlich durch den Kreditsachbearbeiter und damit weit subjektiver beurteilt werden als quantitative Größen. Diese größere Subjektivität mag bei sehr schwer faßbaren „weichen Merkmalen“ unvenneidbar sein, es gibt aber auch qualitative Merkmale, die

Vgl. Leins (Wissensbasierte Untemehmensanalyse 1993), S. 177.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

129

hinreichend konkret bestimmt werden könnten, um sie durch ein geeignetes statistisches Verfahren zu bewerten. Der Kreditanalyst könnte dann in seiner Bewertung umfassender unterstützt werden. In der Praxis werden qualitative Merkmale bislang jedoch nicht mathematisch-statistisch bewertet. Auch die Banken haben dieses Defizit erkannt und arbeiten an einer Verbesserung.1

3.

Verknüpfung der Informationen zu einem Ratingurteil

Angesichts der Fülle von Faktoren, die die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens beeinflussen können, handelt es sich bei der Verarbeitung der gesammelten In­ formationen zu einem gesamtheitlichen Bonitätsurteil um eine äußerst komplexe und schwierige Aufgabe. Die vorhandenen Informationen müssen so aggregiert werden, daß mögliche Gefahren und eine Verschlechterung der Bonität frühzei­ tig aufdeckt werden. Zugleich sollten aber auch Erfolgspotentiale des Unterneh­ mens in der Analyse nicht vernachlässigt werden. Qualitative Informationen werden in der bankbetrieblichen Ratingpraxis derart miteinander verknüpft, daß die bewerteten Informationen zunächst zu Urteilen für die einzelnen Analysebereiche aggregiert werden, und dann diese Teilurteile zu einem Gesamturteil über die Bonität des Unternehmens zusammengefaßt werden. In Abhängigkeit vom Formalisierungsgrad kann eine solche Aggregati­ on intuitiv und damit weitgehend subjektiv durch den Kreditsachbearbeiter durchgeführt oder stärker objektiviert werden.

Bei einer intuitiven Verknüpfung führt der Kreditsachbearbeiter die drei logisch geordneten Analyseschritte Informationsauswahl, Informationsbewertung und schließlich Informationsverdichtung nicht in dieser idealtypischen Abgrenzung durch, vielmehr gehen sie in seinem Denkprozeß ineinander über. Eine intuitive Informationsverarbeitung birgt die Gefahr in sich, daß die Qualität der Arbeits­ weise allein von den Fähigkeiten des einzelnen Kreditsachbearbeiters bestimmt wird, gleiche Sachverhalte unterschiedlich beurteilt werden und Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind. Eine auf Basis des Wissens eines oder mehrerer Ex­ perten durchgeführte Arbeitsweise ist charakteristisch für qualitative Ratingsy­ stemen, da bei diesen neben der Informationsauswahl und -bewertung auch die Verdichtung der als bonitätsrelevant erachteten Informationen ausschließlich durch die am Ratingprozeß beteiligten Fachleute erfolgt. Bei einem quantitativen

1

Einen diesbezüglichen Weiterentwicklungsbedarf verdeutlicht auch eine in Deutschland bei 106 Kreditinstituten verschiedener Größenklassen und Rechtsformen durchgefuhrte Befragung, vgl. Betsch u. a. (Kreditwürdigkeitsanalyse 1997), S. 150 ff.

130

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

Ratingsystem erfolgen diese Schritte mit Hilfe mathematisch-statistischer Ver­ fahren. Wie die vorherigen Ausführungen erkennen lassen, sind die einzelnen in der bankbetrieblichen Praxis verwendeten Ratingsysteme entweder reine qualitative Ratingsysteme oder eine Mischung aus qualitativem und quantitativem Rating. So zählt das Ratingsystem der Commerzbank „Codex“ zu den ausschließlich qualitativen Ratingsystemen. In Codex werden alle Informationen nach von Expertengruppen erarbeiteten Regeln verknüpft. Diese Vorgehens weise, Ver­ knüpfungsregeln allein auf der Basis von Expertenbefragungen zu formulieren, ist jedoch langwierig, umständlich und damit teuer und führt oft nicht zur ange­ strebten Ergebnisqualität. Denn sehr oft divergieren Experteneinschätzungen zu bestimmten Problemen, mit der Folge, daß sich auch Expertenrunden nur schwer auf eine einheitliche Vorgehens weise zur Problemlösung einigen können. Dar­ über hinaus muß gewährleistet werden, daß die Experten ihrerseits eine hohe Fachkompetenz besitzen, denn nicht das „durchschnittliche Fachwissen“ sollte Grundlage der Wissensakquisition sein, sondern das des „besten“ Experten.1 Hinzu kommt die Gefahr, daß Experten oft wenig motiviert sind, ihr Herr­ schaftswissen mitzutcilen. Zudem kann die Wissensbasis nur schwer von einem Dritten überprüft werden, denn eine solche „neutrale“ Prüfung läßt sich sinnvoll­ erweise nur auf Basis von Untemehmensdaten durchführen. Oft ist ihr Fehlen aber gerade der Grund dafür, daß Systeme ausschließlich wissensbasiert entwikkelt werden müssen. Ohne Datenbasis können die Verfahren jedoch nicht vali­ diert werden. Diese aufgeführten Probleme fuhren dazu, daß eine ausschließlich durch Expertenmeinung definierte Informationsverknüpfung unbefriedigend ist und um datenbezogene Erkenntnisse ergänzt werden sollte. Wie die zusammenfassende Gegenüberstellung der betrachteten Ratingverfahren zeigt (siehe Tabelle 13), sind die Ratingverfahren der Dresdner Bank, der Hypound Vereinsbank und die vom DSGV und BVR entwickelten Ratingverfahren eine Mischung aus qualitativem und quantitativen Rating. Bei ihnen wird zur Einschätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine mathematisch-statistische Jahresabschlußbeurteilung auf Basis der Diskriminanzanalyse durchgeführt. Im DSGV-Ratingverfaliren werden mit ihrer Hilfe auch Kontodaten beurteilt und diesbezügliche Kennzahlen zu einem Teilindikator aufaddiert. In den übrigen

1

Zu den Problemen bei der Ermittlung der Wissensbasis von Expertensystemen, vgl. Hauschildt (Methodische Anforderungen 1990), S. 526 f..

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

131

Informationsgebieten wird dann jeweils eine Durchschnittsnote aus den benote­ ten Einzelinformationen ermittelt.1

Nun stellt sich die Frage, wie diese Durchschnittsnoten (Teilindikatoren) zu einem umfassenden Bonitätsurteil aggregiert werden können. Die bankbetriebli­ che Praxis beantwortet diese Frage mit zwei Vorgehensweisen: Zum einen flie­ ßen die Teilurteile in das Bonitätsurteil ein, indem aus allen Einzelnoten erneut eine (ggf. irgendwie gewichtete) Durchschnittsnote gebildet wird. Diese beste­ chend einfache aber auch sehr pauschale Aggregation wird beispielsweise im DSGV- und im BVR-Bonitätsrating angewendet.2 Als Voraussetzung hierfüi müssen sowohl die mathematisch- statistisch wie auch die durch Erfahrungs­ werte ermittelten „Noten“ gleich skaliert sein. Diese notwendige Vereinheitli­ chung erzielt man üblicherweise dadurch, daß der statistische Ergebniswert Z3 zunächst in Klassen eingeteilt und diesen dann eine Note von z. B. 1 bis 6 zuge­ ordnet wird.

Eine zweite Möglichkeit besteht darin, daß die einzelnen Bereichsurteile tabella­ risch oder in Matrizenform einander gegenübergestellt werden. Üblicherweise stellt man bei dieser graphischen Verknüpfung das (quantitative) Bonitätsurteil der Bilanzanalyse einem aggregierten qualitativen Urteil, das zusätzliche Infor­ mationsgebiete bewertet, gegenüber. Aus dieser Gegenüberstellung wird dann die jeweilige Bonitätsklasse bestimmt. Ein Beispiel, das aufgefuhrt wird, um die grundsätzliche Vorgehensweise zu verdeutlichen, ist die Bonitätsklassenermitt­ lung in der ersten Risk-Version der Bayerischen Vereinsbank.

1 2

3

Vgl. Reuter (Kredit-Rating 1994), S. 345. Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken BVR (Kreditrating 1994), S. 31 und Reuter (Kredit-Rating 1994), S. 345. Oft ist dies - je nach gewähltem Intervall - eine Zahl von -1 bis +1 oder 0 bis 1000.

A. Überblick über die Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis

132

Bonitätsklasse

Bilanzbonität

Negativmerkmale

1 2 3

Weiß Grau Weiß Grau Weiß Grau Schwarz Schwarz Schwarz

N N

4

5 6

J J JJ JJ N J JJ

Tabelle 14: Bonitätsklassenermittlung1 Die Kombination aus Bilanzbonität und Negativmerkmale bestimmt die Boni­ tätsklasse. So gelangen in die beste Bonitätsklasse 1 nur solche Unternehmen, die gute Bilanzverhältnisse aufweisen (Bilanzbonität weiß) und keine Negativ­ merkmale besitzen (N). Entsprechend ist die schlechteste Bonitätsklasse 6 ge­ kennzeichnet durch Unternehmen mit schlechten Bilanzverhältnissen (Bilanzbo­ nität schwarz) in Verbindung mit einem/mehreren Negativmerkmal(en) (J/JJ).

Kritisch ist zu der bankbetrieblichen Praxis anzumerken, daß die pauschale Ag­ gregation der Teilurteile wie auch ihre Verschmelzung zu einem Gesamtboni­ tätswert wenig überzeugt. Wissenschaftliche Methoden werden kaum herange­ zogen, sondern die Verknüpfung ergibt sich vornehmlich denklogisch durch Expertenbefragungen mit den aufgezeigten Schwierigkeiten. Auch der zweite Weg, bei dem die Verknüpfung über eine Verknüpftmgstabelle erfolgt, ist mit den gleichen Schwierigkeiten behaftet, da auch dort die Klassifikationsregel nicht wissenschaftlich abgesichert ist, sondern das subjektiv geprägte Ergebnis von Kreditexpertenbefragungen darstellt. Insgesamt fehlt es in der bankbetriebli­ chen Praxis an gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einer methodi­ schen Verknüpfung der einzelnen Bereichsurteile. Zusammenfassend läßt sich zu der bankbetrieblichen Praxis sagen, daß qualitati­ ve Informationen bisher nur begrenzt systematisch erfaßt und ausgewählt wer­ den. Hier steckt noch großes Entwicklungspotential. Ihre Bewertung und Ver­ dichtung erfolgt entweder völlig intuitiv oder auf der Basis von Expertenbefra­ gungen. Eine gänzlich intuitive Vorgehens weise, die ausschließlich auf subjekti­ ven Wertmaßstäben des einzelnen Kreditsachbearbeiters beruht, erscheint wenig befriedigend.2 Jedoch sind auch Expertenbefragungen mit zahlreichen Problemen behaftet, denn die Schwierigkeiten der Wissensakquisition sind vielfältig. Des­ 1 2

Vgl. Meyer (Kunden-Bilanz-Analyse 1989), S. 117. Vgl. auch die Ausführungen im 1. Teil C. II. 2. der Arbeit.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

133

halb sollten bei der Entwicklung eines Ratingsystems datenbezogene Erkenntnis­ se unbedingt einbezogen werden. Ein Ratingsystem sollte auf betriebswirtschaft­ lichen Überlegungen beruhen, die an einer Datenbasis überprüft werden. Diese zweifach abgestützte Vorgehensweise würde es zudem ermöglichen, die Lei­ stungsfähigkeit von Ratingsystemen objektiv und nachvollziehbar zu validieren: Eine Forderung, die zwar im Baseler Papier aufgestellt wurde, die aber zahlrei­ che Banken bisher nicht erfüllen können.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

B.

135

Verarbeitung qualitativer Merkmale in der empirischen Insolvenzforschung

Nachdem Ansatzpunkte für eine Verbesserung in der bankbetrieblichen Praxis bei der Verarbeitung qualitativer Informationen herausgearbeitet wurden, wird nun der derzeitige Stand in der empirischen Insolvenzforschung aufgezeigt. Charakteristisch für die empirische Insolvenzforschung ist, daß quantitative und qualitative Merkmale nicht isoliert betrachtet und erst am Schluß zu einem Ra­ ting verdichtet werden, sondern daß sie simultan in einem einzigen Verfahren verarbeitet werden. Die Notwendigkeit einzelne Teilurteile zu verknüpfen, ent­ fällt dann logischerweise.

I.

Untersuchungen zur Einbeziehung qualitativer Merkmale in statistische Verfahren

1.

Grundlagen statistischer Verfahren

Zum besseren Verständnis der folgenden Untersuchungen sollen die in zur Bo­ nitätsanalyse eingesetzten statistischen Verfahren kurz skizziert und in ihren wichtigsten Aspekten beschrieben werden. Die lineare Diskriminanzanalyse Die Diskriminanzanalyse ist ein mathematisch-statistisches Verfahren, mit dem Objekte mit Hilfe beobachtbarer Merkmale genau einer von mindestens zwei überschneidungsfreien Teilmengen zugeordnet werden. Im Kreditgeschäft wird die Diskriminanzanalyse zur Untemehmensbeurteilung eingesetzt, mit dem Ziel kreditsuchende Unternehmen den Gruppen bestandsfeste „gute“ oder insolvenz­ gefährdete „schlechte“ Unternehmen zuzuordnen. Diese Zuordnung erfolgt auf Basis eines errechneten Diskriminanzwertes Z. Bei der linearen Diskriminanza­ nalyse errechnet sich Z als Z = ai • +... + an • xn -a0 .

Abbildung 18 zeigt das Prinzip einer linearen Diskriminanzfunktion mit zwei Merkmalen und die graphische Ableitung des Diskriminanzwertes Z. Die Trenn­ gerade errechnet sich aus der Linearkombination der unabhängigen Merkmale M| und M2, die die beste Trennung zwischen den zwei Gruppen ermöglicht. Im abgebildeten Fall für zwei Merkmale lautet die Trenngerade x2= —x(. Senka2 recht zur Trenngeraden verläuft die Diskriminanzachse durch den Nullpunkt des Koordinatenkreuzes. Im betrachteten Zwei-Merkmale-Fall bildet sie eine Gerade

136

B. Verarbeitung qualitativer Merkmale in der empirischen Insolvenzforschung

der Form x2 = -^-x,. Durch senkrechte Projektion eines beliebigen Punktes auf a. die Diskriminanzachse (in der Abbildung für ein Objekt beispielhaft aufgeführt) wird graphisch der Diskriminanzwert Z ermittelt (für das Beispiel Z^.1

Abbildung 18: Prinzip einer linearen Diskriminanzanalyse mit zwei Merkmalen

Die logistische Regression Wie bei der Diskriminanzanalyse dient auch die logistische Regression dazu, die Abhängigkeit einer dichotomen abhängigen Variablen, dem Regressanten, von anderen unabhängigen Variablen, den Regressoren, die ein beliebiges Skalenni­ veau aufweisen können, zu modellieren. Als dichotom werden Variablen be­ zeichnet, die nur zwei Ausprägungen (Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Eigenschaft) annehmen können. Dies ist bei der Bonitätsbeurteilung gege­ ben, da dort die abhängige Variable Y üblicherweise nur in den Ausprägungen „Leistungsstörung vorhanden“ oder „Leistungsstörung nicht vorhanden“, im Extremfall „solvent“ oder „insolvent“ vorliegen kann. Wird nun angenommen, daß der Wert der Variable Y den Wert 0 für Gruppe n, = solvent und den Wert Weitere Erläuterungen zu unterschiedlichen Verfahren der Diskriminanzanalyse, die im Hinblick auf ihre Eignung für ein nachvollziehbares Rating untersucht werden, finden sich im Gliede­ rungspunkt C. II. 2. des zweiten Teils. Für ausführliche Erläuterungen zur linearen Diskriminan­ zanalyse vgl. Backhaus u. a. (Multivariate Analysemethoden 1996), S. 91-165.

2. Teil: Analyse von Ratingsystemen und der empirischen Insolvenzforschung

137

1 für Gruppe n2= insolvent annimmt und daß Y von n unabhängigen Variablen Xj mit i= 1,..., n (üblicherweise Jahresabschlußkennzahlen) abhängt, so läßt sich eine bedingte Wahrscheinlichkeit mit der Y den Wert 0 annimmt, gemäß folgen­ dem Ausdruck bestimmen: P= P(Y = ojAT-X).

Abbildung 19: Logistische Regression mit modellierter Gruppenzugehörigkeit zur Gruppe f]1 Damit man nun die Funktions werte als Wahrscheinlichkeiten interpretieren kann, müssen diese im Intervall von 0 und 1 liegen. Möglich wird dies, indem man keinen linearen Funktionsverlauf, sondern einen s-förmigen, logistischen Funkti­ onsverlauf der Form P(r = o|Xi..X)=—^—r =—Ur wählt, mit

Z=b0+b1«Xi+b2*X2+...+bnad

Ega> kapitalqute

Pcrsonahicsen

Ertragilag:

Hnaeruig»>qid-

Anlagtnldc

Z1K(IA-

-king

king

schd(Impr grad

Sdba-

Rawbilitäl

a 0,5 und bei einer negativen Regel 1 - W(Cj|Pj) > 0,5 ist. Dies bedeutet nämlich, daß die Wahrscheinlichkeit, die be­ treffende Regel bei der Untemehmensgruppe, für die sie zutreffen soll, zu beo­ bachten, größer ist als die Wahrscheinlichkeit, die Regel bei der anderen Unter­ nehmensgruppe zu beobachten.

Syntaktisch findet das Fuzzy-ROSA-Verfahren eine Fülle von Regeln, ohne jedoch inhaltlich bewerten zu können, welche Regeln betriebswirtschaftlich sinnvoll und relevant sind. Daher sollte man sich nicht allein auf die Bewer­ tungsparameter verlassen, sondern die statistisch generierten Regeln zusätzlich daraufhin untersuchen, inwieweit die Regelaussagen fachlich sinnvoll sind. Auch sollte bei der inhaltlichen Bewertung die Allgemeingültigkeit der Regeln über­ prüft werden. Eine statistisch signifikante Regel mit hoher Trefferquote sagt hierüber nur wenig aus. So kann eine solche Regel eindeutig nur für gute oder schlechte Unternehmen gelten und ist damit sicher. Auch kann sie eine hohe Trefferquote besitzen, da sie bei den angesprochenen Unternehmen zu einem hohen Maße erfüllt ist. Wenn sie jedoch nur auf wenige Unternehmen zutrifft, besteht die Gefahr, daß der aufgespürte Zusammenhang sehr speziell ist und keine aussagekräftigen Schlüsse zuläßt. Um die Generalisierungsfähigkeit zu

Eine Vielzahl von Beispielen finden sich auch im Anhang 2. Dort sind alle in dieser Arbeit betrachteten Regeln mit zugehöriger Trefferquote, Ereignis- und Situationszahl aufgelistet.

208

C. Folgerungen für die Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells

gewährleisten, sollten nur solche Regeln akzeptiert werden, die von einer fest­ zulegenden Mindestanzahl von Unternehmen erfüllt werden.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

209

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen A.

Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanz­ analyse versus Neuronales Netz zur Kennzahlenanalyse

I.

Die in die Analyse einbezogenen Unternehmen und der verwendete Kennzahlenkatalog

1.

Auswahl des Unternehmenskreises

Für die Entwicklung eines quantitativen Ratingsystems bedarf es zunächst minde­ stens zwei disjunkter Gruppen der zu betrachtenden Unternehmen, i. d. R. sind dies „gute“ und „schlechte“ Unternehmen, wobei es je nach Betrachtungsweise unterschiedliche Abgrenzungsdefhitionen zwischen „gut“ und „schlecht“ gibt. So unterscheiden Banken „gut“ und „schlecht“ oft danach, ob die Kunden in irgend­ einer Weise negativ auffällig geworden sind. Demnach wird ein Kunde als „schlecht“ definiert, wenn die erste Mahnung erfolgt oder ein Wertberichtigungs­ bedarf entsteht. Die härteste Definition ist der Totalausfall des Kunden1. Rating­ gesellschaften verwenden eine Definition, die eng an das Zahlungsverhalten des jeweiligen Unternehmens geknüpft ist. Sie sprechen dann von einem „default“, wenn das Unternehmen Zahlungsverpflichtungen nicht fristgerecht (z. B. inner­ halb von 90 Tagen) nachkommt.2 In der vorliegenden Untersuchung wird eine insolvenzorientierte Betrachtungs­ weise als Abgrenzung zwischen guten und schlechten Unternehmen gewählt. Bis zum 31.12.1998 war Insolvenz der Sammelbegriff für Konkurse, gerichtliche Vergleiche und Gesamtvollstreckungsverfahren. Bis zu diesem Zeitpunkt galt im früheren Bundesgebiet noch die Konkurs- und Vergleichsordnung vom 10.02.1877 bzw. 20.02.1935, in den neuen Ländern und Berlin wurde die vom 1 2

Vgl. Tabelle 13, die einen zusammenfassenden Überblick über die vorgestellten Ratingsysteme der bankbetrieblichen Praxis gibt. Vgl. Berbiinger (Marktakzeptanz 1996), S. 31; Moody‘s Investor Service (Private Firm Default Risk 1999), S. 6.

210

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

Ministerrat der ehemaligen DDR am 06.06.1990 erlassene Gesamtvollstrekkungsordnung angewandt. Am 1. Januar 1999 trat dann nach über 20jähriger Vorarbeit eine neue, einheitliche Insolvenzordnung in Kraft, die die aufgeführten Insolvenzgesetze in Ost und West ablöste.1 Die Insolvenz der in der empirischen Untersuchung verwendeten insolventen Unternehmen fällt noch unter das alte, bis zum 31.12.1998 gültige Insolvenzrecht. Aus statistischen Gründen bietet es sich bei der Auswahl der Untersuchungsob­ jekte an, mit gleich großen Gruppen guter und schlechter Unternehmen zu arbei­ ten.2 Diese 1:1 Aufteilung fuhrt zu den durchgängig besten Ergebnissen bezüglich der Gesamtheit guter und schlechter Risiken. Der Grund liegt darin, daß bei Über­ repräsentation guter Testdaten (z. B. Proportionen 2:1, 3:1), diese im Vergleich zu den schlechten Risiken verstärkt „gelernt” werden, während die Struktur der schlechten Risiken vernachlässigt wird. Bei einer a-priori-Wahrscheinlichkeit3 von 1 % insolventen Unternehmen zu 99 % solventen Unternehmen, dies ent­ spricht grob der Insolvenzwahrscheinlichkeit der Deutschen Wirtschaft4, würden die solventen Unternehmen so stark gewichtet, daß fast alle solventen Unterneh­ men richtig und die insolventen Unternehmen überwiegend falsch klassifiziert werden. Beim Aulbau eines Lemdatenbestandes ist daher darauf zu achten, die verschiedenen Klassen möglichst gleich groß zu berücksichtigen.

An die Stichprobe sind folgende Anforderungen zu stellen: Die für die Stichprobe ausgewählten Unternehmen sollten repräsentativ für die betreffende Grundge­ samtheit sein. Um aussagefähige Schlüsse auf die Grundgesamtheit zu ermögli­ chen, muß eine Stichprobe repräsentativ sein. Problematisch ist jedoch, daß es keine allgemeingültige Vorgehens weise gibt, wie die nötige Repräsentativität sichergestellt werden kann. Ansichten, die hierzu in der Literatur geäußert wer­ den, sind: „Eine Stichprobe ist dann als repräsentativ zu bezeichnen, wenn sie 1

2



4

Vgl. Uhlenbruck. (Insolvenzrecht 1998), S.29 und Mackebrandt/Suwelack (Insolvenzrecht 1998), S. 785 f.. Grundsätzlich ist cs nicht unbedingt notwendig mit gleich großen Gruppen zu arbeiten, da unter­ schiedliche Gruppenverhältnisse über entsprechende a-priori-Wahrscheinlichkeiten berücksichtigt werden können. Manche statistische Softwarepakete lassen bei der Berechnung jedoch nur gleich große Gruppen zu, so z. B. die Statistiksoftware SPSS. Dort gibt es keine Möglichkeit, unter­ schiedliche a-priori-Wahrscheinlichkeiten bei der Berechnung zu berücksichtigen. Als a-priori-Wahrscheinlichkeit bezeichnet man die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Unternehmen von vornherein als solvent oder insolvent eingestuft wird. Sie errechnet sich als Quotient der im Sinne der jeweiligen Fragestellung günstigen Elementarereignisse zu sämtlichen Elementarereig­ nissen. Einer Zahl von 25530 Insolvenzen im Jahr 1996 standen ca. 2,8 Mio. Unternehmen gegenüber. Dies entspricht einer Insolvenzquote von 0,92 %. Vgl. Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 41 und Bundesministerium der Wirtschaft (Untemehmensgrößenstatistik 1997), S. 145 f.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

211

eine Zufallsauswahl darstellt.“1 oder: bezüglich der Größe des Stichprobenum­ fangs gilt natürlich: Je größer die Stichprobe, desto repräsentativer die Aussage.“2 Unstrittig wirkt sich eine Zufallsauswahl positiv auf die Repräsentativität aus. Die zweite Forderung nach einer möglichst umfangreichen Stichprobe ist indes nicht so bedeutsam, denn auch eine vergleichsweise kleine Stichprobe kann aussage­ kräftige Schlüsse zulassen. Gleichwohl steigt mit ihrem Umfang die Wahrschein­ lichkeit, daß sie grobe Fehlschlüsse ausschließt und aussagekräftige Schlüsse zuläßt. Die zur Entwicklung des quantitativen Ratingmodells herangezogene Datenbasis setzt sich wie folgt zusammen: Ausgangspunkt waren Insolvenzuntemehmen aus den Jahren 1995 bis Anfang 1997, bei denen mindestens zwei aufeinanderfolgen ­ de Abschlüsse verfügbar waren. Insolvenzen, bei denen Bilanzfälschungen, be­ trügerischer Bankrott oder Fremdverschulden vorlagen, wurden wegen manipu­ lierter oder nicht aussagekräftiger Bilanzwerte nicht berücksichtigt. Nach Berei­ nigung der Datenbasis um diese Sonderfälle und um sogenannte Ausreißer3 verblieben 769 insolvente Unternehmen. Diesen 769 insolventen Unternehmen wurde dann eine gleich große Anzahl solventer Unternehmen gegenübergestellt, die zufällig aus dem Bestand der solventen Unternehmen ausgewählt wurden. Insgesamt standen damit 1538 Unternehmen für Auswertungszwecke zur Verfü­ gung.

2.

Datenstrukturanalyse

Gegliedert nach dem Jahr der letzten verfügbaren Bilanz ergibt sich folgendes Bild der Datenbasis (siehe Abbildung 34): Mit Bilanzjahr 1992 sind in der Datenbasis je 123 solvente und insolvente Unter­ nehmen vertreten, aus dem Bilanzjahr 1993 stammen je 314 solvente und insol­ vente Unternehmen, die Abschlüsse von je 267 solventen und insolventen Unter­ nehmen tragen das Bilanzjahr 1994 und je 65 solvente und insolvente Unterneh­ men kommen aus dem Bilanzjahr 1995.

1 2 5

Fischer (Computergestützte Analyse 1981), S. 190. Keysberg (Diskriminanzanalyse 1989), S. 21. Vgl. hierzu die Ausführungen im folgenden Abschnitt.

212

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

Abbildung 34: Datenbasis, gegliedert nach dem Jahr der letzten verfügbaren Bilanz Die überwiegende Anzahl der Insolvenzzeitpunkte liegt in den Jahren 1995 und 1996. Die geringe Anzahl der Insolvenzen in 1997 erklärt sich dadurch, daß die Datensammlung im Frühjahr 1997 abgeschlossen wurde. Wie der Abbildung 35 zu entnehmen ist, liegt bei den insolventen Unternehmen das Bilanzjahr des letz­ ten für die Auswertung verfügbaren Jahresabschlusses im allgemeinen zwei bis drei Jahre vor dem Jahr des Insolvenzzeitpunktes.

Abbildung 35: Aufteilung der insolventen Unternehmen nach Zeitraum zwischen letztem verfügbaren Jahresabschluß und Insolvenzjahr

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

213

Teilt man nun den Gesamtdatenbestand nach der Größe auf, wobei als Abgren­ zungskriterium die Größenklassen des § 267 HGB herangezogen werden, ergibt sich folgendes Bild. Wie Abbildung 36 verdeutlicht, stellen die kleinen Unter­ nehmen mit einem Anteil von 54 % die größte Gruppe im Datenbestand, gefolgt von der Gruppe der mittleren Unternehmen (Anteil 32 %) und der Gruppe großer Unternehmen mit 14 %. Weiter ist zu erkennen, daß bei der Gruppe der Unter­ nehmen mittlerer Größe die Insolvenzuntemehmen gegenüber den solventen überwiegen, in den Gruppen kleine und große Unternehmen überwiegen dagegen die solventen Unternehmen.

Abbildung 36: Datenbestand, gegliedert nach den Größenklassen von § 267 HGB

Bei kleinen Unternehmen identifizieren sich die Firmeninhaber oder Entschei­ dungsträger wahrscheinlich mehr mit dem Geschäftsbetrieb als bei mittleren Unternehmen, da ihre wirtschaftliche Existenz sehr eng mit dem Geschäftsbetrieb verknüpft ist, große Unternehmen können größenbedingte Vorteile (z. B. Diversi­ fikation, Kostendegressionseffekte) nutzen. Dies könnte eine Erklärung für die höhere Insolvenzanfälligkeit mittlerer Unternehmen sein. Betrachtet man den Gesamtdatenbestand aufgegliedert nach Rechtsformen, so erkennt man, daß bei der GmbH und Kap & Co. OHG bzw. KG die Anzahl insol­ venter Unternehmen die zufällig ausgewählten solventen Unternehmen übertref­ fen. Die geringste Insolvenzhäufigkeit, definiert als Quotient aus Anzahl der insolventen Unternehmen in der betrachteten Gruppe zur Gesamtanzahl der Un­ ternehmen in der betreffenden Gruppe, weisen die AG und die „Sonstigen“ auf.

214

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

Bei der AG könnte der Grund darin bestehen, daß für diese Rechtsform ein ver­ gleichsweise hohes Mindestkapital notwendig ist und zudem ein besserer Gläubi­ gerschutz besteht, hinter den „Sonstigen“ verbergen sich vor allem juristische Personen des öffentlichen Rechts.

Abbildung 37: Datenbestand, gegliedert nach Rechtsformen

Betrachtet man nur die Insolvenzuntemehmen, so zeigt sich auch hier die ver­ gleichsweise hohe Insolvenzanfälligkeit der GmbH mit 61 % aller insolventen Unternehmen und der GmbH & Co. KG mit 25 %. Es wird deutlich, daß Unter­ nehmen mit einer rechtsformbedingten Haftungseinschränkung insolvenzgefähr­ deter sind als andere.

Abschließend erfolgt noch eine Branchenbetrachtung. Die in Abbildung 38 aufgefuhrten Wirtschaftszweige bestimmen sich nach dem Wirtschaftszweigeschlüssel des Statistischen Bundesamtes, dem WZ 93.1 Im Datenmaterial befinden sich 358 insolvente Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, 208 insolvente Handels­ unternehmen, 43 insolvente Unternehmen des Dienstleistungssektors und der freien Berufe, 129 Insolvenzuntemehmen aus dem Baugewerbe und 31 „Sonsti­ ge“. Diesen Unternehmen wurde eine gleich große Anzahl solventer Untemeh-

1

Vgl. Statistisches Bundesamt (Wirtschaftszweige 1994).

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

215

men derselben Branche gegenübergestellt, so daß aus den Zahlen der Stichprobe keine branchenbezogenen Rückschlüsse auf Insolvenzen gezogen werden können. Insolvenzunternehmen nach Wirtschaftszweigen Baugewerbe

Sonstige

Abbildung 38: Insolvenzunternehmen, gegliedert nach Wirtschaftszweigen 3.

Aufbereitung der verwendeten Kennzahlen

Die Aufgabe der Datenaufbereitung besteht vor allem darin, die in den Daten enthaltenen relevanten Informationen, die eine Unterscheidung von Unternehmen in verschiedene Klassen erlauben, herauszuarbeiten. Ziel ist somit die Konzentra­ tion auf die für die Klassifikation wichtigen Informationen. Dies kann durch Beseitigung von Störungen, wie Rauschen, fehlerhaften oder lückenhaften Daten geschehen oder durch Transformation der Daten, z. B. in Form einer Normierung.

Um die Ergebnisse nicht zu verfälschen, muß die Objektmenge zunächst um Ausreißer reduziert werden. Als Ausreißer werden Objekte bezeichnet, die im Vergleich zu den übrigen Objekten eine vollkommen andere Kombination der Merkmalsausprägungen aufweisen und dadurch weit entfernt von allen anderen Objekten liegen. Dies traf auf 20 Unternehmen der Datenbasis zu, die trotz guter Bilanzkennzahlen insolvent wurden. Eine nähere Untersuchung dieser Ausreißer zeigte, daß zumeist Liquiditätsprobleme die Insolvenzursache war. Naturgemäß treten Liquiditätsschwierigkeiten recht kurzfristig auf. Es erstaunt daher nicht, daß im letzten ausgewerteten Jahresabschluß keine diesbezüglichen Informatio­ nen zu finden sind. Um Liquiditätsprobleme erkennen zu können, bedarf es zeit­ näherer Informationen als die Bilanzangaben, die sich auf das abgelaufene Wirt­ schaftsjahr beziehen und der Bank auch erst mit zeitlicher Verzögerung zur Ver­ fügung gestellt werden. Statt der Entfernung der Ausreißer gibt es auch die Mög­ lichkeit, die Werte der Inputgrößen durch eine Transformation zu glätten. Um den

216

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

verzerrenden Einfluß von sehr großen und sehr kleinen Werten zu begrenzen, können die Kennzahlenwerte über eine geeignete Funktion transformiert werden. Jedoch besteht der Preis, der für eine solche Transformation gezahlt werden muß, darin, daß die transformierten Kennzahlenwerte dann nicht mehr ökonomisch interpretierbar sind. Deshalb wurde auf eine solche Transformation verzichtet. Wenn ein Datensatz unvollständig ist, also Merkmale nicht vorhanden sind (so­ genannte Missing Values), ist zu entscheiden, wie der Datensatz bei der weiteren Analyse zu berücksichtigen ist. Schließt man einen unvollständigen Datensatz gänzlich von der Analyse aus, so geht sein gesamtes Informationspotential verlo­ ren, verwendet man jedoch den unvollständigen Datensatz oder füllt die fehlen­ den Zahlen durch Schätzwerte auf, so besteht die Gefahr, daß die tatsächliche Situation des Unternehmens nicht genau abgebildet wird und Verzerrungen ent­ stehen. Ziel bei der Behandlung unvollständiger Datensätze sollte es daher sein, aus der vorhandenen Datenbasis ein Höchstmaß an Information zu ziehen, dabei sollten sich allerdings Verzerrungen in einem tolerierbaren Rahmen halten. Folg­ lich wird man fehlerhafte Datensätze nicht von vornherein von der Datenanalyse ausschließen, sondern vielmehr überlegen, wie fehlende Daten durch geeignete Schätzer ersetzt werden können. Folgende Vorgehensweisen sind dabei denkbar:

1.

Der fehlende Wert wird durch 0 ersetzt. Dieses Vorgehen ist nicht zweckmä­ ßig, denn die für Missing Values gewählten Werte sollten möglichst wenig den Testverlauf und das Testergebnis beeinflussen und sich neutral in das Auswertungsverfahren einfugen. Von ihnen sollten keine eigenständigen Auswertungssignale ausgehen, mit der negativen Folge, daß Ergebnisse al­ lein durch den gewählten Missing Value-Wert beeinflußt werden. Beim Auf­ fullen durch den Wert 0 besteht diese Gefahr.

2.

Der fehlende Wert wird durch einen Mittelwert ersetzt.1 Hier stellt sich die Frage, welcher Mittelwert genommen werden soll. Gebräuchliche Mittel­ werte sind Modus, Median und arithmetisches Mittel. Der Modus (dichtester Wert) einer Beobachtungsmenge ist diejenige Merkmalsausprägung, die am häufigsten vorkommt. Er kann sowohl bei kategoriellen als auch bei metri­ schen Skalen angewendet werden. Der Median (Zentralwert) ist die Merk­ malsausprägung desjenigen Elements, das in der der Größe nach geordneten Beobachtungsreihe in der Mitte steht. Damit die einzelnen Elemente nach der Größe ihrer Mcrkmalsausprägungen geordnet werden können, müssen sie

1

Vgl. auch die Erläuterungen zu den einzelnen Mittelwerten bei Bleymüller/Gehlert/Gülicher (Statistik 1994), S. 13-16.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

217

mindestens ordinalskaliert sein. Das arithmetische Mittel ist definiert als mit N Elementen und aj Einzelwerten. Es sollte sinnvollerweise nur bei quantitativen Merkmalen ohne verzerrende Streuung in den Daten angewendet werden. Streuen die Daten stark, so bietet sich der Median als Schätzer für Missing Values an.

Neben dieser grundsätzlichen Charakterisierung können Mittelwerte noch dahin­ gehend unterschieden werden, ob der Mittelwert über die Merkmale der Grund­ gesamtheit oder gruppenspezifisch gebildet wird. Bei der Verwendung gruppen spezifisch ermittelter Mittelwerte als Schätzer fur Missing Values wird zusätzlich die Information mitgegeben, zu welcher Gruppe das Unternehmen gehört.

In der vorliegenden Datenbasis wurden fehlende Kennzahlenwerte durch das arithmetische Mittel ersetzt. Da von den geschätzten Missing Values jedoch keine eigenständigen Auswertungssignale ausgehen sollen, wurde das arithmetische Mittel gruppenübergreifend auf Basis des gesamten Untemehmensbestandes errechnet. Um sehr hohe Extremwerte zu vermeiden, wurde der Wertebereich für alle verwendeten Kennzahlen auf -99,9 bis +99,9 % begrenzt. Für die Analyse standen die in Tabelle 22 aufgelisteten Kennzahlen zur Verfü­ gung. Zu den einzelnen Kennzahlen wurden betriebswirtschaftliche Arbeits­ hypothesen erstellt, die ausdrücken, inwieweit sich die betreffende Kennzahl im Durchschnitt bei guten und schlechten Unternehmen unterscheidet. So bedeutet G>S, daß die betreffende Kennzahl bei guten, bestandsfesten Unternehmen durchschnittlich höher ist als bei schlechten, insolvenzgefährdeten Unternehmen und umgekehrt. Bis auf die Umsatzveränderung konnten solche Arbeitshypothe­ sen für alle Kennzahlen erstellt werden. Bei der Umsatzveränderung wie bei Veränderungszahlen allgemein zeigt die praktische Erfahrung jedoch, daß eine große absolute Veränderung -egal ob negativ oder positiv- tendenziell ein Warnsignal darstellt. Bei einer (stark) negativen Veränderung ist dies unmittelbar einsichtig, denn ein Geschäftsbetrieb ist naturgemäß nicht auf starke Schrump­ fung ausgerichtet. Doch auch große Wachstumssprünge sind mit Skepsis zu be­ trachten und auf ihre Nachhaltigkeit zu überprüfen. Oft sind mit ihnen spätere Liquiditätsprobleme verbunden.1 Vor diesem Hintergrund lassen sich für Um­ satzveränderungszahlen keine eindeutigen Arbeitshypothesen analog zu den an­ deren formulieren. Sie werden deshalb an dieser Stelle nicht weiter betrachtet. Diese Einschätzung wird auch durch die Insolvenzforschung bestätigt. Demnach sprechen sprunghafte Veränderungen tendenziell für ein höheres Insolvenzrisiko, vgl. o.V. (Insolvenzwelle 1998), S. 11.

218

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

Bereiche

Vermögens­ lage

Kennzahl1

Eigcnkapitalquote2 Eigenkapital/Pensionsrückstellungsquote Frcmdkapitalquote Investitions­ quote

Kapitalbindung3 Kapitalrückfluß­ quote4 Einna Innenüber­ schußquote Finanz­ lage

Schuldcntilgungsfahigkeit

Nettozinsauf­ wandsquote

Ertrags­ lage

Geschäfts­ entwicklung

Abkür­ zung

EKQ

EKPensQ FKQ InvQ

KapB

KRQ EÜQ

STF NZAQ

Anlagendeckung

AD

Eigcnkapitalrendite

EKR

Gesamtkapitalren­ dite

GKR

Unisatzrendite

UR

Betriebsrendite

BR

Umsatzverände­ rung

USV

Erläuterung

Berichtigtes Eigenkapital in % des Gcsamtkapitals Berichtigtes Eigenkapital und Pensionsrückstellungen in % des Gesamtkapitals Fremdkapital in % des Gesamtka­ pitals Sachanlagenzugang in % des Sachanlagevermögens (Akzepte + Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung) x 360 in % des Umsatzes/ der Gesamtleistung Einnahmen-/ Ausgabenüberschuß in % des investierten Kapitals Einnahmen-/ Ausgabenüberschuß in % der Umsatzerlöse Einnahmen-/ Ausgabenüberschuß in % der um die flüssigen Mittel gekürzten Verbindlichkeiten Zinssaldo in % des Umsatzes / der Gesamtleistung Eigenkapital + langfr. Fremdkapital in % des Anlagevermögens Gewinn / Verlust vor Gewinnsteu­ ern in % des berichtigten Eigenkapi­ tals Gewinn / Verlust vor Gewinn­ steuern und vor Zinsaufwand in % des investierten Kapitals Untemehmensergebnis vor Ge­ winnsteuern in % des Umsatzes / der Gesamtleistung Betriebsergebnis in % des Umsat­ zes / der Gesamtleistung

Veränderung der Umsatzerlöse gegenüber dem Voijahr

Arbeits hypothese*

G>S G>S GS

GS G>S

G>S GS G>S

G>S

G>S G>S

Keine eindeutige Hypothese formu­ lierbar

* G = Wert der Kennzahl bei guten Unternehmen, S = Wert der Kennzahl bei schlechten Unternehmen

Tabelle 22: Die für Auswertungszwecke zur Verfügung stehenden quantitativen Merkmale, gegliedert nach Informationsbereichen

1

2

3

4

Zu den Bestandteilen der einzelnen Kennzahlen vgl. auch die Bilanzübersicht der Deutschen Bundesbank (abgedruckt als Anlage 1). Berichtigungen zum Eigenkapilal sind alle Aktivpositionen, die unter Kreditgesichtspunkten als nicht werthaltig eingestuft werden können. So z. B. ausstehende Einlagen, eigene Aktien bzw. Anteile im Bestand, Abgrenzungsposten für latente Steuern, Geschäfts- und Finnenwert. Die Kennzahl Kapitalbindung gibt die Anzahl der Tage an, die das Unternehmen benötigt, um seine Lieferantenvcrbindlichkeiten zu begleichen. Die Kennzahl ist ein Indiz für das Zahlungs­ verhalten des Unternehmens. Der Zähler Einnahmen-/Ausgabenüberschuß (Cash-Flow) errechnet sich als: Gewinn/Verlust vor Steuern + Abschreibungen + Zunahme Rückstellungen (- Abnahme Rückstellungen) - Zunahme eigene Erzeugnisse (+ Abnahme eigene Erzeugnisse) + Zunahme erhaltene Anzahlungen ( - Ab­ nahme erhaltene Anzahlungen).

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

219

Weitere vorbereitende Analysen bestanden darin, die einzelnen Kennzahlen auf ihre Trennfähigkeit zu überprüfen. Anhaltspunkte für die Trennfähigkeit liefern die gruppenspezifischen Mittelwerte der einzelnen Kennzahlen, die sich in den betrachteten Gruppen deutlich unterscheiden sollten, möglichst verbunden mit einer geringen Standardabweichung. Der Mittelwertvergleich kann sowohl gra­ phisch als auch analytisch durchgeführt werden. Die graphische Darstellung ist zwar sehr anschaulich, sie gibt aber keine statistisch abgesicherte Aussage dar­ über, ob sich die Mittelwerte signifikant unterscheiden. Deshalb sollte der Mit­ telwertvergleich analytisch anhand eines t-Testes durchgefuhrt werden.1

Bei der Auswahl der in die Analyse einzubeziehenden Variablen ist weiterhin darauf zu achten, daß die Kennzahlen keine zu hohen Korrelationen untereinan­ der aufweisen. Denn Informationen, die eine hoch korrelierte Variable liefert, werden zum überwiegenden Teil bereits durch eine andere Variable miterfaßt und können daher als redundant angesehen werden.2 Es gibt keine allgemeingültige Grenze, die eine hohe Korrelation definiert. Korrelationskoeffizienten sind übli­ cherweise so definiert, daß ihre Werte im Intervall von -1 bis +1 liegen. Das Vorzeichen des Koeffizienten gibt die Richtung des Zusammenhangs und sein Absolutwert die Stärke an. Größere Absolutwerte deuten auf stärkere Zusammen­ hänge hin. Ein Korrelationskoeffizient r > |0,5| weist auf einen starken Zusam­ menhang hin, mit der Folge, daß es nahe liegt, solche Variablen von der weiteren Untersuchung auszuschließen. Die Ergebnisse der Korrelationsanalyse nach Pear­ son zeigen, daß höhere Korrelationen vor allem bei denjenigen Kennzahlen auf­ treten, die aus denselben Informationsgebieten stammen. Dieses Ergebnis über­ rascht auch nicht, da die Kennzahlen in den einzelnen Informationsgebieten z. T. recht ähnlich definiert sind (siehe EKQ und EKPenQ). Aus dem vorgestellten für Auswertungszwecke zur Verfügung stehenden Kenn­ zahlenkatalog wurden nach den beschriebenen Analysen einige Kennzahlen für die weitere Untersuchung ausgesucht.

II.

Auswertung der Kennzahlenbasis mit linearer Diskriminanzanalyse und Vergleich mit Neuronalem Netz

Die zur Verfügung stehenden Daten sollen nun mit einer linearen Diskriminanza­ nalyse verarbeitet werden. Wie bereits eingangs dargestellt, ist es nicht Ziel der 1 2

Für Einzelheiten zum t-Test vgl. Bleymüller/Gehlert/Gülicher (Statistik 1994) S. 108 f.. Vgl. Weinrich (Kreditwürdigkeitsprognosen 1978), S. 45; Lüneborg (Konstruktion 1981), S. 218.

220

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

vorliegenden Arbeit gänzlich neue Kennzahlenkombinationen „aufzuspüren“, jedoch soll anhand der in die Diskriminanzanalyse einfließenden Kennzahlen eine grundsätzliche Problematik bei der Ermittlung von Klassifikationsfunktionen aufgezeigt werden. Die weitere Vorgehens weise sieht wie folgt aus: Zunächst werden die Kennzahlen beschrieben, die für die Ermittlung der Diskriminanz­ funktion herangezogen werden. Auf ihrer Grundlage wird die Diskriminanzfunk­ tion in allgemeiner Form formuliert. Im Anschluß daran werden die Koeffizienten der Diskriminanzfunktion geschätzt und schließlich die Klassifikationsleistung der ermittelten Diskriminanzfunktion bestimmt. Ergänzend wird die erzielte Klassifikationsleistung der entwickelten Diskriminanzfunktion mit der eines Neuronalen Netzes verglichen. 1.

Erhebung der Daten und Formulierung der Diskriminanzfunktion

Der Jahresabschluß soll einen Einblick in die tatsächlichen Verhältnisse der Ver­ mögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens geben.1 Da die quantitativen Ratingverfahren - wie die Bonitätsanalyse von Unternehmen allgemein - stark auf den Jahresabschluß ausgerichtet sind, sollten die zur Analyse herangezogenen Jahresabschlußkennzahlen mindestens diese drei genannten Untemehmensbereiche abdecken. Für diese Auswertung auf Basis der Diskriminanzfunktion wurde deshalb je eine Kennzahl zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ausgewählt. Konkret waren dies die Eigenkapitalquote, die Kapitalrückflußquote und jeweils eine der zur Verfügung stehenden Renditekennzahlen. Sie werden zunächst etwas genauer vorgestellt.2 •

Die Kennzahl Eigenkapitalquote (EKQ) zeigt den Anteil des (berichtigten) Eigenkapitals an der Bilanzsumme bzw. am Gesamtkapital (Bilanzsumme abzüglich Berichtigungen zum Eigenkapital) an. Anhand der EKQ läßt sich beurteilen, inwieweit bei einer ungünstigen finanziellen Entwicklung auftre­ tende Verluste durch Eigenkapital aufgefangen werden können.



Die Kennzahl Kapitalrückflußquote (KRQ) drückt das Verhältnis von Ein­ nahmen- oder Ausgabenüberschuß (Cash-Flow) zum investierten Kapital aus. Die Kennzahl liefert eine Aussage darüber, welcher Teil des gebundenen Vermögens am Jahresende aus dem im Geschäftsjahr erzielten Einnahmen­ überschuß wieder verfügbar wurde. Sie ist somit ein besonders deutliches

1 2

Vgl. § 264 Abs. 2 HGB. Die folgenden Kennzahlendefinitionen entsprechen den vom Arbeitskreis „Externe Untemehmensrechnung“ der Schmalenbach-Gesellschaft ausgesprochenen Empfehlungen zur Vereinheit­ lichung von Kennzahlen in Geschäftsberichten, vgl. Schmalenbach-Gesellschaft (Vereinheitli­ chung von Kennzahlen 1996), S. 1989-1994.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

221

Zeichen für die finanzielle Kraft, die Stärke des Finanzflusses eines Unter­ nehmens.



Die Kennzahl Eigenkapitalrendite (EKR) zeigt den Anteil des Untemehmensergebnisses vor Gewinnsteuern zum berichtigten Eigenkapital auf. Die Kennzahl ist Ausdruck der Rentabilität bezogen auf das Eigenkapital. Sie stellt eine wesentliche Zielgröße von erwerbswirtschaftlich orientierten Un­ ternehmen dar.



Die Kennzahl Gesamtkapitalrendite (GKR) gibt das Verhältnis von Gewinn/Verlust vor Steuern plus Zinsaufwand zur Bilanzsumme bzw. zum Ge­ samtkapital wieder. Die Kennzahl ist Ausdruck der Rentabilität bezogen auf das Gesamtkapital. Trotz unterschiedlicher Finanzierungsstruktur werden Unternehmen über sie vergleichbar.



Die Kennzahl Umsatzrendite (UR) gibt das Verhältnis von Gewinn resp. Verlust zum Umsatz an. Die Kennzahl wird als Bruttorendite errechnet, d. h. die Gewinnsteuern sind vom Gewinn noch nicht abgezogen. Diese Berech­ nungsweise macht die Ergebnisse von Unternehmen unterschiedlicher Rechtsformen vergleichbar.



Die Kennzahl Betriebsrendite (BR) zeigt das Betriebsergebnis in % des Um­ satzes an. Das Betriebsergebnis ist der Saldo aus betrieblichen Einnahmen und betrieblichen Ausgaben. Es ist ein Maß für die aus dem Hauptzweck des Betriebes hervorgehenden, regelmäßig anfallenden Erfolge. Die Kennzahl verdeutlicht die Rentabilität, die durch den ordentlichen betrieblichen Lei­ stungsprozeß erzielt wird.

Für die Vermögenslage wird die EKQ ausgewählt, die Finanzlage wird über die KRQ abgebildet. Für die Ertragslage werden zunächst drei Kennzahlen herange­ zogen, die GKR, die UR und die BR. Jede der aufgefuhrten Renditekennzahlen wird in Kombination mit den zuvor genannten Kennzahlen untersucht. Der Grund dafür, daß alle drei Renditekennzahlen in die Betrachtung einfließen, ist der, daß anhand der Auswahl einer geeigneten Renditekennzahl eine grundsätzliche Pro­ blematik bei der Ermittlung von Klassifikationsfunktionen aufgezeigt werden kann.

Folgende Kombinationen aus drei Kennzahlen werden untersucht:

222

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

Kombination

Vermögens­ kennzahl

Finanzkenn­ zahl

Ertragskenn­ zahl

1

EKQ

KRQ

EKR

2

EKQ

KRQ

GKR

3

EKQ

KRQ

UR

4

EKQ

KRQ

BR

Tabelle 23: Untersuchte Kennzahlenkombinationen Zur Analyse von Abhängigkeiten wird im nächsten Schritt analysiert, wie stark die betrachteten Kennzahlen miteinander korreliert sind.

Wie Tabelle 24 zu entnehmen ist, ist die EKQ kaum mit den anderen ausgewähl­ ten Kennzahlen korreliert (rS. Auffäl­ lig ist die hohe Streuung, die die Kennzahl Eigenkapitalrendite in beiden Gruppen aufweist, sowie ihr auch bei insolventen Unternehmen hoher Mittelwert von 13 %. Der Grund liegt darin, daß das Eigenkapital im Nenner und damit die gesamte Kennzahl erheblich durch in Abzug gebrachte Berichtigungsposten1 zum Eigen­ kapital beeinflußt werden kann.

r= .

y(x — xl’tv — y) i

_ _ , mit X y als Mittelwert der jeweiligen Kennzahl. Vgl. Köhler

(SPSS 1996), S. 208. Solche Berichtigungsposten, die bei der Kennzahlenberechnung vom Eigenkapital aufgrund der Vermutung mangelnder Werthaltigkeit abgezogen werden, sind z. B. bestimmte Forderungen, Ausleihungen und Darlehen an Gesellschafter, Geschäfts- und Firmenwerte und Aktivierungshil­ fen.

224

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

Lernstichprobe

KZ Mittelwert Standardabweichung

EKQ insolvent (375 Unternehmen) KRQ EKR GKR UR BR EKQ solvent (375 Unternehmen) KRQ EKR GKR UR BR

-1,4055 -2,6777 13,3914 0,5447 -4,0548 -1,3418 18,0005 14,4813 32,8922 10,8231 4,8390 6,2761

17,3707 17,2539 68,9285 12,0973 12,9785 12,0839 17,8484 19,9212 54,2209 13,9033 14,0030 13,5848

Schiefe -0,630 -0,971 -0,348 -1,180 -0,520 -2,976 1,774 0,099 0,653 1,592 3,363 0,697

Kurtosis

1,487 3,547 -1,048 4,765 22,346 20,567 3,247 5,350 0,141 10,379 23,287 16,730

Tabelle 25: Vergleich der kennzahlenspezifischen Mittelwerte, Standardabwei­ chungen, Schiefe und Kurtosis in den einzelnen Gruppen Schiefe und Kurtosis sind Maße, die die Symmetrie und Form einer Verteilung beschreiben.1 Die Schiefe ist ein Maß für die Asymmetrie einer Verteilung. Die Normalverteilung ist symmetrisch mit einem Schiefe-Index von Null. Eine Ver­ teilung mit einer signifikanten positiven Schiefe läuft nach rechts lang aus (langer rechter Schwanz), eine Verteilung mit einer signifikanten negativen Schiefe nach links (langer linker Schwanz). Die Kurtosis (auch Exzeß oder Wölbung genannt) quantifiziert das Ausmaß, mit dem sich Beobachtungen bei gegebener Standard­ abweichung um einen zentralen Punkt häufen. Die Werte für Schiefe und Kurto­ sis sind Null, wenn die beobachtete Verteilung exakt einer Normalverteilung entspricht. Nehmen Schiefe und Kurtosis Werte von größer als 1,6452 an, liegt im allgemeinen eine Verteilung vor, die signifikant von einer Normal Verteilung verschieden ist. Wie Tabelle 25 zeigt, sind nicht alle Kennzahlen normalverteilt, jedoch zeigt sich die lineare Diskriminanzanalyse robust gegenüber der verletzten Annahme normalverteilter Merkmale. Als methodische Basis wird eine lineare Diskriminanzanalyse ausgewählt, weil sich mit dieser die bei den Kennzahlen aufgestellten Arbeitshypothesen hinrei­ chend gut umsetzen lassen. Zudem ist sie von den vorgestellten Verfahren am

1 2

Vgl. zum folgenden Sachs (Angewandte Statistik 1997), S. 167-173. Der Wert 1,645 errechnet sich bei einem Signifikanzniveau von 10%, das allgemein für die Entscheidung über die Anwendung parametrischer Verfahren gefordert wird, vgl. Sachs (Ange­ wandte Statistik 1997), S. 424.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

225

besten für ein Rating geeignet.1 Mithin hat die zu bestimmende Diskriminanz­ funktion folgende Form:

Z = -ao + ai • KZvl + a2 • KZ fl + a3 • KZEl, A'

mit a^ als absolutem Glied, JX als den Diskriminanzkoeffizienten und KZVl,

KZFLund KZel als Kennzahlen zur Vermögens (VL)-, Finanz (FL)- und Ertrags­ lage (EL). Im vorliegenden Fall wird nur eine Diskriminanzfunktion errechnet, denn die abhängige Variable ist dichotom, mit ihr werden nur zwei Gruppen (solvent insolvent) unterschieden. Ist die abhängige Variable hingegen polytom, d. h. hat sie mehr als zwei Ausprägungen, so können mehrere Diskriminanzfunktionen er­ rechnet werden. 2.

Schätzung der Diskriminanzkoeffizienten in der Diskriminanzfunktion

Die Schätzung der Koeffizienten aj in der Diskriminanzfunktion stellt nun die zentrale Aufgabe der Diskriminanzanalyse dar. Die Diskriminanzkoeffizienten af werden dabei so berechnet, daß die ermittelte Diskriminanzfunktion am besten zwischen den betrachteten Gruppen trennt. Dies erreicht man, wenn die Diskriminanzmittelwerte (Centroide) der einzelnen Gruppen Zgut und Zsch|echt möglichst weit voneinander entfernt sind, denn je größer der Abstand d = |Zgut - Zschiecht| ist, umso größer wird die Unterschiedlichkeit zwischen den beiden Gruppen sein. Die Unterscheidung zwischen zwei Gruppen ist zwar einerseits umso besser, je größer die Distanz ihrer Centroide ist, andererseits wird sie jedoch erschwert, wenn die Gruppen stark streuen. Zusätzlich zu einer möglichst großen Distanz wird man bei der Bestimmung der Diskriminanzkoeffizienten deshalb darauf achten, daß die Diskriminanzwerte in den einzelnen Gruppen eine möglichst kleine Varianz aufweisen. Diese Überlegungen fuhren zu folgendem Ausdruck: a

d2 S2

.

A = — => max!, mit der Streuung zwischen den Gruppen cf =(Zgut - Zsch|CCht)25 und der Streuung innerhalb der Gruppen S2, die sich mit Hilfe einer Varianz-Kovarianz-Matrix

1

Zur Eignung für ein Rating vgl. die Ausführungen im 2. Teil C. II. 2. der Arbeit.

226

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

's? S21 sml

S=

S. S:

Slm s2m errechnen läßt.1 Die Schätzung der Diskriminanzfunktion bein-

S„

S:

haltet damit das Optimierungsproblem: Wähle die Diskriminanzkoeffizienten a, so, daß der Ausdruck A maximiert wird.2 Die auf der Lemstichprobe von 770 Unternehmen durchgefuhrte Berechung der Diskriminanzkoeffizienten fuhrt für die aufgelisteten Kennzahlenkombinationen zu folgenden Ergebnissen: absol. Glied a0J

Finanzkennzahl

Ertragskennzahl

+0,0441076 (EKQ)

+0,0281051 (KRQ)

+0,0046854 (EKR)

-0,6402855

99,9%

2

+0,0412325 (EKQ)

+0,0256325 (KRQ)

+0,0143071 (GKR)

-0,5747261

99,9%

3

+0,0409974 (EKQ)

4 0,0293875 (KRQ)

+0,0090979 (UR)

-0,0517184

99,9%

4

+0,0412047 (EKQ)

+0,0287703 (KRQ)

+0,0123678 (BR)

-0,05422076

99,9%

Kombi­

Vermögens­

nation

kennzahl

1

Signifikanz­

niveau

Tabelle 26: Mit der Lemstichprobe ermittelte unstandardisierte Diskriminanz­ koeffizienten Setzt man die ermittelten Diskriminanzkoeffizienten in die zuvor formulierte Funktion ein, so erhält man folgende Funktionsgleichung. Für das Beispiel Kom­ bination 1 lautet die Diskriminanzfunktion Z^

Zi = - 0,6402855 + 0,0441076 • EKQ + 0,0281051 • KRQ + 0,0046854 • EKR. Bei der Auswahl von Diskriminanzfunktionen sollte darauf geachtet werden, daß sich die zugehörigen Koeffizienten und damit die Kennzahlenkombinationen betriebswirtschaftlich sinnvoll interpretieren lassen. Zu einer solchen sinnvollen Kennzahlenkombination gehört, daß die Kennzahlen unterschiedliche Untemeh-

2 In der Varianz-Kovarianz-Matrix sind die bekannten empirischen Varianzen Sj und die empiri­ schen Kovarianzen

zwischen den Merkmalen Xj und X* mit j,k = 1zusammengefaßt.

Auf der Hauptdiagonalen stehen die Varianzen für alle m Merkmale, oberhalb und unterhalb von ihr die Kovarianzen für jedes Paar von Merkmalen. Auf die mathematische Lösung dieses Optimierungsproblems wird hier nicht näher eingegangen, vgl. dazu Backhaus u. a. (Multivariate Analysemethoden 1996), S. 157-161. Mit Hilfe des absoluten Gliedes a0 wurde die Diskriminanzfunktion auf den Cut-Off-Punkt 0 normiert. Vgl. auch die Ausführungen im nächsten Gliederungspunkt.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

227

mensbereiche abdecken und zudem betriebswirtschaftlich widerspruchsfrei inter­ pretiert werden können.1 Wie Tabelle 26 zeigt, können alle ermittelten Diskrimi­ nanzfunktionen betriebswirtschaftlich widerspruchsfrei interpretiert werden, denn für alle betrachteten Kennzahlen weisen die zugehörigen Koeffizienten ein posi­ tives Vorzeichen auf. Die für die betrachteten Kennzahlen eingangs aufgestellte Arbeitshypothese G>S ist somit erfüllt. Neben den errechneten Koeffizienten ist der Tabelle 26 das zugehörige Signifikanzniveau zu entnehmen. Das Signifikanz­ niveau ist das Ergebnis des Tests der Hypothese „Die beiden Gruppen unter­ scheiden sich im Mittelwert“ gegen die Hypothese „Die beiden Gruppen unter­ scheiden sich nicht in ihrem Mittelwert“ sowohl für jede einzelne Variable der Diskriminanzfunktion als auch für die gesamte Diskriminanzfunktion. Grundlage bildet wegen der Normalverteilungsannahme der t-Test. Hiermit kann abgeschätzt werden, inwieweit den ermittelten Diskriminanzkoeffizienten vertraut werden kann. Die errechneten Diskriminanzfunktionen weisen ein Signifikanzniveau von 99,9 % auf. Damit unterscheiden sich die Diskriminanzmittelwerte in beiden Gruppen in höchst signifikanter Weise.

Aus der hohen Signifikanz der ermittelten Diskriminanzfunktionen kann jedoch keine Aussage über die Stabilität ihrer Diskriminanzkoeffizienten unter verän­ derten Bedingungen abgeleitet werden. Für eine diesbezügliche Aussage werden Lem- und Teststichprobe vertauscht. Die nun auf der Basis der Teststichprobe mit 768 Unternehmen ermittelten Diskriminanzkoeffizienten zeigt Tabelle 27: Vergleicht man nun die auf Basis der Teststichprobe ermittelten Koeffizienten aus Tabelle 27 mit denen der Lemstichprobe, so sieht man, daß die mit der Test­ stichprobe geschätzten Koeffizienten der Vermögens- und Finanzkennzahl recht stabil sind. Bei den Ertragskennzahlen unterliegen die Diskriminanzkoeffizienten jedoch starken Schwankungen. Für die Kennzahlen UR und BR werden auf der Teststichprobe sogar negative Koeffizienten berechnet. Diese Funktionen können damit betriebswirtschaftlich nicht mehr widerspruchsfrei interpretiert werden. Unabhängig von ihrer Klassifikationsleistung sollten solche Funktionen von vornherein aus der weiteren Betrachtung ausgeschlossen werden.

Zur betriebswirtschaftlichen Widerspruchsfreiheit vgl. die Ausführungen im 2. Teil unter Gliede­ rungspunkt B. III. 3. der Arbeit.

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

228

Finanzkennzahl

absol. Glied a0*

Kombi­

Vermögcns-

nation

kennzahl

1

+0,0460861 (EKQ)

+0,0258181 (KRQ)

+0,0032883 (EKR)

-0,6552614

99,9%

2

+0,0442723 (EKQ)

+0,0262386 (KRQ)

+0,0061778 (GKR)

-0,5883016

99,9%

3

+0,0451348 (EKQ)

+0,0312316 (KRQ)

-0,0061827 (UR)

-0,5903832

99,9%

4

+0,0450974 (EKQ)

+0,0303670 (KRQ)

-0,0046505 (BR)

-0,5717031

99,9%

Ertragskennzahl

Signifikanz-

niveau

Tabelle 27: Mit der Teststichprobe ermittelte unstandardisierte Diskriminanz­ koeffizienten Eine Ursache für diese - abhängig von der verwendeten Stichprobe - schwan­ kenden Diskriminanzkoeffizienten könnte die Zusammensetzung der Gruppe der insolventer Unternehmen sein. Die Gruppe der insolventen Unternehmen ist ten­ denziell inhomogener als die Gruppe der solventen Unternehmen, weil in der Realität eine Vielzahl von Ursachen zur Insolvenz führen können. Sind die Diskriminanzkoeffizienten der Renditekennzahlen ohnehin schon relativ klein, so schlägt die Inhomogenität nun besonders stark durch und verändert das Vorzei­ chen. Das Problem instabiler Diskriminanzkoeffizienten stellt sich öfters in der empirischen Anwendung.

Bisher wurden nur die unstandardisierten Diskriminanzkoeffizienten a. betrach­ tet. Mit ihnen sind die Diskriminanzwerte unter Verwendung der jeweiligen kon­ kreten Kennzahlenausprägung zu berechnen. Der Diskriminanzkoeffizient a. ist allein noch kein Maß für die Bedeutung des Merkmals x.. Wie bereits darge­ stellt, muß zusätzlich noch berücksichtig werden, wie das zugehörige Merkmal x variiert, andernfalls ließe sich allein durch Änderung der Merkmalsdimension auch die Bedeutung ändern.2 Aus diesem Grund müssen alle in die Diskriminanz­ funktion eingehenden Merkmale auf einen einheitlichen Wertebereich von Vari-

1

2

Mit Hilfe des absoluten Gliedes ao wurde die Diskriminanzfunktion auf den Cut-Off-Punkt 0 normiert. Vgl. auch die Ausführungen im nächsten Gliederungspunkt. Wenn bei einer Merkmalsvariablen „Preis“ die Einheit von DM in Pfennig geändert würde, so würde sich deren Standardabweichung um den Faktor 100 erhöhen, der Diskriminanzkoeffizient aber um den gleichen Faktor zusammenschrumpfen. Vgl. auch die Ausführungen im 2. Teil B. III. 3.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

229

anz 1 mittels x = —- mit er als der Standardabweichung des i-ten Merkmals ' a2 normiert und die Koeffizienten in der Diskriminanzfunktion entsprechend zu a. = a. • a2 transformiert werden.1 Aus den standardisierten Diskriminanzkoeffi­ zienten a. kann dann der relative Einfluß des i-ten Kriteriums auf die Trennfä­

higkeit der Diskriminanzfunktion e. bestimmt werden. In den jeweiligen Diskriminanzfunktionen (DF) ergeben sich folgende kennzah­ lenspezifische relative Trenneinflüsse: Kombination/DF

Vermögenskennzahl

Finanzkennzahl

Ertragskennzahl

1

48,82 % (EKQ)

32,92 % (KRQ)

18,26 % (EKR)

2

52,23 % (EKQ)

34,36 % (KRQ)

13,41 % (GKR)

3

51,85 % (EKQ)

39,33 % (KRQ)

8,82 % (UR)

4

51,07 % (EKQ)

37,74 % (KRQ)

11,19 % (BR)

Tabelle 28: Relativer Trenneinfluß der einzelnen Kennzahlen in der Diskrimi­ nanzfunktion

Wie Tabelle 28 zu entnehmen ist, erklärt die EKQ in allen Diskriminanzfunktio­ nen rund 50 % der Streuung der Diskriminanzwerte. Je nach betrachteter Diskri­ minanzfunktion erklärt die Kapitalrückflußquote rund 35-39 % der Streuung. Auffällig an allen Kombinationen ist das relativ niedrige Gewicht der Rendite­ kennzahl. Betriebswirtschaftlich läßt sich das geringe Gewicht innerhalb der Kennzahlenkombination dadurch erklären, daß die für die Renditekennzahlen maßgeblichen Einflußgrößen bereits weitgehend durch die Kapitalrückflußquote abgedeckt werden. Über die Diskriminanzkoeffizienten und die ermittelten Trennbeiträge können naturgemäß nur die Datenstrukturen sichtbar gemacht werden, die zum Zeitpunkt der Modellkalibrierung bestehen. Diese können sich jedoch im Zeitablauf ändern, mit der Folge, daß dann auch die Modellparameter an die neuen, aktuelleren Datenstrukturen angepaßt werden müssen.

1

Vgl. auch Blochwitz/Eigermann (Kreditrisikobeurteilung 1999), S. 9.

230

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

Abschließend läßt sich festhalten, daß über die Errechnung der relativen Trenn­ beiträge die Diskriminanzfunktion im Hinblick auf ihre Einflußfaktoren interpre­ tierbar wird und damit die für die standardisierte Kreditvergabe wesentliche Be­ dingung erfüllt, die Klassifikationsentscheidung begründet und nachvollziehbar zu treffen. 3.

Klassifikationsleistung der geschätzten Diskriminanzfunktion

Auf Basis der Kontrollstichprobe von 768 Unternehmen wird die Klassifikati­ onsleistung der Diskriminanzfunktion ermittelt. Das gewählte Leistungskriterium ist Minimierung des Gesamtfehlers bei einem zuvor fixierten Cut-Off-Punkt von 0. Der Gesamtfehler berechnet sich, indem die Anzahl der falsch klassifizierten solventen und insolventen Unternehmen ins Verhältnis zur Anzahl der insgesamt klassifizierten Unternehmen gesetzt wird. Von unterschiedlicher Fehlklassifikationskosten, die eine Kombination aus a-Fehler1 und ß-Fehler2 als erstrebenswert erachten, wird hier abgesehen, denn solche Fehlklassifikationskosten lassen sich nur schwer bestimmen. Insbesondere die Kosten für den ß-Fehler lassen sich in der Praxis nicht ermitteln, denn die abgewiesenen Kunden werden nicht doku­ mentiert, so daß unbekannt bleibt, ob ein tatsächlich „guter“ oder „schlechter“ Kunde abgewiesen wurde. Zudem kann durch die mehr oder weniger willkürliche Festlegung solcher - ohnehin einzelfallabhängigen - Kosten das Klassifikations­ ergebnis in jede gewünschte Richtung gelenkt werden. Im vorliegenden Fall gleich großer Gruppen kann der Gesamtfehler auch als arithmetisches Mittel aus a- und ß-Fehler errechnet werden.

Der Vergleich zwischen errechnetem Diskriminanzwert Z und dem Cut-OffPunkt Zco bestimmt, welcher Gruppe das jeweilige Unternehmen zugeordnet wird. Ist Z größer als Zco, wird das entsprechende Unternehmen den bestandskräftigen, andernfalls den bestandsgefahrdeten Unternehmen zugewiesen. Auf dieser Basis errechnen sich dann die Klassifikationsfehler. Zco wird nun so festgelegt, daß der Gesamtfehler minimiert wird. Um zu vernünftigen Ergebnissen zu gelangen, bedingt dies jedoch, daß die a-priori-Wahrscheinlichkeiten der betrachteten Gruppen gleich groß sind. Der Cut-Off-Punkt Zco errechnet sich dann als arith­

1

2

Auch Fehler 1. Art genannt: Empirische Wahrscheinlichkeit, daß ein insolventes Unternehmen als solvent erkannt wird. Auch Fehler 2. Art genannt: Empirische Wahrscheinlichkeit, daß ein solventes Unternehmen als insolvent erkannt wird.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

231

metisches Mittel aus den Diskriminanzmittelwerten der betrachteten Gruppen.1 Zur Erleichterung der Klassifikation neuer Unternehmen wurde Zco auf Null nor­ miert. Die Normierung des ursprünglich von Null abweichenden kritischen Trennwertes erfolgt durch Einführung des absoluten Gliedes Bq in die Diskrimi­ nanzfunktion. Zu einer Veränderung des Klassifikationsergebnisses fuhrt die Normierung nicht.

In der folgenden Tabelle sind die Klassifikationsergebnisse dargestellt. Neben aFehler und ß-Fehler ist dort der Gesamtfehler abgetragen. Zusätzlich wird in der Tabelle der Klassifikationsfehler gezeigt, der sich ergibt, wenn nur der Graube­ reich betrachtet wird. Ergänzend ist in der letzten Spalte die Anzahl der Unter­ nehmen angegeben, die sich im Graubereich befinden.

Kombina­ tion/ DF

1 2 3

4

Kennzahlen

EKQ, EKR EKQ, GKR EKQ, UR EKQ, BR

KRQ, KRQ,

KRQ, KRQ,

Graubereich | -0,5; +0,5 |

aFehler in %

ßFehler in %

Gesamtfehler in %

21,6

19,5

20,5

34,9

289

20,8

19,8

20,3

34,2

311

21,6

19,0

20,3

33,1

318

19,5

21,4

20,4

33,8

301

Fehler2 in %

Anzahl Untern.

Tabelle 29: Klassifikationsergebnisse mit DF der Lemstichprobe auf der Test­ stichprobe

Wie Tabelle 29 zu entnehmen ist, unterscheiden sich die Klassifikationsergebnis­ se der vier Diskriminanzfunktionen nur unwesentlich. Mit einer Trefferquote von rund 80 % liegen die Ergebnisse im Rahmen ähnlicher Studien zur linearen, multivariaten Diskriminanzanalyse.3 Rund 20 % der Unternehmen werden falsch

1

2

3

Neben gleich großen Gruppen ist dies möglich, weil unterschiedliche Fehlerkosten nicht betrach­ tet werden und von normalverteilten Diskriminanzwerten und gleichen VarianzKovarianzmatrizen ausgegangen wird. Der Fehler im Graubereich berechnet sich, indem die Anzahl der im Graubereich falsch klassifi­ zierten solventen und insolventen Unternehmen ins Verhältnis zur Anzahl der insgesamt im Graubereich befindlichen Unternehmen gesetzt wird. Vgl. hierzu exemplarisch Hüls (Früherkennung 1995), S. 190-193 und Leker (Fraktionierende Frühdiagnose 1994), S. 745.

232

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

klassifiziert. Jedoch ist ein Vergleich nur bedingt aussagekräftig, weil das Resul­ tat in starkem Maße durch die verwendete Stichprobe bestimmt wird.

Die in Tabelle 29 aufgefuhrten Gesamtfehler gelten bei scharfer Cut-Off-PunktBetrachtung, d. h. ist Z < oder > Zco wird das Unternehmen der entsprechenden Klasse zugeordnet, ist Z = Zco erfolgt keine Zuordnung. Um den Cut-Off-Punkt herum ist die Klassifikationsunsicherheit naturgemäß am größten. In Abbildung 39 ist die natürliche Grauzone, definiert als der Bereich, in dem sich die Vertei­ lungsfunktionen solventer und insolventer Unternehmen überlappen, mit den anhand von DF 1 errechneten Z-Werten dargestellt. Für die praktische Handha­ bung wird ein davon abweichender künstlicher Graubereich festgelegt, der in Abhängigkeit des Diskriminanzwertes Z als offenes Intervall ] -0,5 ; +0,5 [ defi­ niert ist. In diesen fallen rund 300 Unternehmen der Teststichprobe.

Die Klassifikationsunsicherheit um den Cut-Off-Punkt erhöht sich noch zusätz­ lich, wenn die Diskriminanzkoeffizienten nicht stabil sind, denn dann entstehen Verzerrungen, da Unternehmen nahe dem Cut-Off-Punkt durch den Vorzeichen­ wechsel leicht umklassifiziert werden können. Diese Situation ist bei DF 3 und DF 4 gegeben, denn dort weisen die Koeffizienten der Renditekennzahlen UR und BR negative Vorzeichen auf, wenn die Teststichprobe zur Schätzung der Diskriminanzfunktion herangezogen wird. Wie Tabelle 29 zeigt, ist bei allen Diskriminanzfunktionen der Klassifikations­ fehler im Graubereich mit rund 35 % unbefriedigend hoch. Hier bieten sich An­ satzpunkte für eine qualitative Nachbearbeitung, die noch näher dargestellt wird. Gelangt man nun zur Auswahl der Diskriminanzfunktion für die weitere Untersu­ chung, so kann festgehalten werden: DF 3 und 4 scheiden aus wegen instabiler Koeffizienten der Renditekennzahl. In der engeren Auswahl sind damit noch DF 1 und 2. Bei DF 1 weist die EKR eine hohe Streuung auf, jedoch ist sie statistisch am wenigsten mit den anderen beiden Kennzahlen korreliert. Ein inhaltliches Problem besteht aber, denn die Kennzahl EKR ist mit der Kennzahl EKQ negativ korreliert. Bei schwacher Eigenkapitalbasis eines Unternehmens ist der Wert der Renditekennzahl hoch. Jedoch besitzt die EKQ ein wesentlich höheres Gewicht in der Diskriminanzfunktion als die EKR, so daß der aufgezeigte Effekt nur abge­ schwächt in Erscheinung tritt. Die GKR in DF 2 besitzt zwar eine geringere Streuung als die EKR, dafür ist sie aber statistisch stark mit der KRQ korreliert. Wie man sieht, gibt es keine eindeutige „beste“ Wahl zwischen DF 1 und DF 2. Für das weiter Vorgehen wurde DF 1 ausgesucht.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

233

Abbildung 39: Grauzone bei der Verteilung der Diskriminanzwerte Zfür solvente und insolvente Unternehmen 4.

Vergleichende Auswertung der Kennzahlenbasis mit Neuronalem Netz

Im 2. Teil Abschnitt B. III. 3. der Arbeit wurde bereits herausgearbeitet, daß es angesichts des Black-Box-Charakters von Neuronalen Netzen schwierig ist, diese in menschliche Entscheidungsprozesse einzubinden, die eng mit der Übernahme von Ergebnisverantwortung verbunden sind und eine auch Dritten verständliche Ergebniserklärung fordern. Dies ist bei der Bonitätsbeurteilung der Fall. Um das Leistungspotential eines Neuronalen Netzes für die vorliegende Auswertungssi­ tuation realistisch einschätzen zu können, soll - trotz dieser mangelnden Ergeb­ nisnachvollziehbarkeit - noch eine vergleichende Auswertung auf der Basis eines Neuronalen Netzes durchgeführt werden. Daher soll nun die Kennzahlenkombi­ nation der für das weitere Vorgehen ausgewählten Diskriminanzfunktion DF 1 auch mit einem Neuronalen Netz getestet werden. Ausgangsbasis ist ein der Struktur der Diskriminanzanalyse weitgehend ähnliches Neuronales Netz. Zum Zwecke der Vergleichbarkeit wurde es mit der gleichen Datenbasis trainiert und

234

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

getestet wie die Diskriminanzanalyse. Die Entwicklung und Anwendung des Neuronalen Netzes basiert auf dem Softwaretool DataEngine.1 In DataEngine stehen folgende Typen von Neuronalen Netzen zur Verfügung, deren freie Parameter auf die jeweilige Problemstellung angepaßt werden können: Multilayer Perceptron und Kohonen-Netze. Das Multilayer Perceptron ist ein mehrschichtiges Neuronales Netz, mit dem Zusammenhänge zwischen (vorgege­ benen) Eingangs- und Ausgangsgrößen abgebildet werden können. Es besteht aus mindestens zwei Schichten, nämlich einer Eingabe- und einer Ausgabeschicht. Dazwischen können verborgene (hidden-)Schichten liegen. Das Multilayer Per­ ceptron kann mit Hilfe eines überwachten Lemverfahrens, üblicherweise kommt die Backpropagation-Regel zur Anwendung, trainiert werden, d. h. das Netz lernt Zusammenhänge aus vorgegebenen Eingangs- und Ausgangsgrößen. Im Gegen­ satz hierzu ist das Kohonen Netzwerk ein Neuronales Netz, welches mittels eines unüberwachten Lemverfahrens trainiert wird. Dem Kohonen Netzwerk werden keine Klassen vorgegeben, das unüberwacht lernende Netz „spürt“ diese auf Basis bestimmter Algorithmen selber auf. Die Eigenschaft des unüberwachten Lernens läßt das Kohonen Netzwerk für die vorliegende Aufgabenstellung unat­ traktiv erscheinen, denn ein großer Vorteil der zur Verfügung stehenden Datenba­ sis ist, daß die gewünschten Ausgangsgrößen durch den vorgegebenen Bonitäts­ status (gut/schlecht) empirisch bestimmbar sind. Deshalb sollte das zu verwen­ dende Neuronale Netz sinnvollerweise auch in der Lage sein, diesen Informati­ onsvorteil der Datenbasis nutzen zu können. Aus diesem Grunde wurde für den Vergleich das überwacht lernende Multilayer Perceptron ausgesucht.

Zunächst wurde eine Netzarchitektur erstellt, die einer Diskriminanzanalyse möglichst ähnlich ist. Es wurde ein einfaches Netz konzipiert, das aus einer Ein­ gabe- und einer Ausgabeschicht besteht. Gemäß der bei der Diskriminanzanalyse verwendeten Datenbasis besteht die Eingabeschicht aus drei Neuronen, wobei jeweils ein Eingabeneuron eine der Kennzahlen EKQ, KRQ, EKR abbildet. Die Ausgabeschicht besteht aus einem Ausgabeneuron. Die für die Informationsverarbeitung durch Neuronen notwendigen Funktionen sind: Eingangsfunktion, Aktivierungsfunktion und Ausgangsfunktion.2 Als Ein­ gangsfunktion wird vorgabegemäß die gewichtete Summe der Eingangsgrößen verwendet, die Ausgabefunktion ist vorgabegemäß die Identitätsfunktion. Beide kann der Softwarenutzer nicht verändern. Mit Ausnahme der Eingangsneuronen, 1

2

DataEngine ist ein kommerzielles Softwaretool der Finna Management Intelligenter Technologi­ en GmbH (MIT) Aachen, das verschiedene Analyseverfahrcn beinhaltet. Vgl. Corsten/May (Künstliche Neuronale Netze 1996), S. 218.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

235

bei denen die Eingangswerte linear verarbeitet werden, kann der Benutzer die Aktivierungsfunktion (auch Transferfunktion genannt), die den Aktivitätspegel des Neurons bestimmt, auswählen. Als Wahlmöglichkeiten stehen die lineare, die logistische und die TangH-Funktion zur Verfügung.1 Für das Ausgabeneuron wurde als Aktivierungsfunktion die logistische Funktion verwendet. Die logisti­ sche Funktion wurde ausgewählt, weil sie einen Wertebereich von 0 bis 1 besitzt und die vorliegende Datenkodierung (0 für solventes Unternehmen und 1 für ein insolventes Unternehmen) diesem Wertebereich am besten entspricht. Mit dieser Netzarchitektur, die damit stark einer linearen Diskriminanzanalyse bzw. einer logistischen Regression ähnelt, wurden folgende Klassifikationsergeb­ nisse erzielt.

Kombi­ nation/ KNN

Kennzahlen

1

EKQ, KRQ, EKR

a-Fehler ß-Fehler in % in %

18,5

24,4

Graubereich ] 0,25; 0,75 [

Gesamtfehler in %

Fehler2 in %

Anzahl Untern.

21,4

(53)

(15)

Tabelle 30: Ergebnisse des Neuronalen Netzes Die Validierung wurde wie bei der Diskriminanzanalyse ausschließlich auf der Teststichprobe durchgeführt. Der Gesamtfehler des Neuronalen Netzes liegt da­ mit um 0,9 %-Punkte höher als der von DF 1.

Im weiteren Versuchs fortgang wurde das beschriebene Netz als Ausgangsmodell verwendet und um eine bzw. zwei verdeckte Schichten erweitert, die jeweils ein oder zwei Neuronen aufwiesen. Als Aktivierungsfunktion wurde neben der logi­ stischen Funktion nun auch die Tangens Hyperbolicus- Funktion verwendet. Diese Netze brachten im Vergleich zum Basisnetz und zur Diskriminanzanalyse keine besseren Klassifikationsergebnisse. Da für das Neuronale Netz als Aktivierungsfunktion die logistische Funktion ausgewählt wurde, die naturgemäß einen Wertebereich von ] 0;l [ aufweist, mußte der Graubereich entsprechend festgelegt werden. Bei einem Cut-Off-Punkt

1 2

Vgl. o. V. (DataEngine Benutzerdokumentation 1998), S. 211. Der Fehler im Graubereich berechnet sich, indem die Anzahl der im Graubereich falsch klassifi­ zierten solventen und insolventen Unternehmen ins Verhältnis zur Anzahl der insgesamt im Graubereich befindlichen Unternehmen gesetzt wird.

236

A: Quantitatives Modul: Lineare Diskriminanzanalyse zur Kennzahlenanalyse

von 0,5 wurde die Grauzone als Intervall von ] 0,25;0,75 [ definiert. Mit nur 15 Unternehmen, die in dieses Intervall fallen, ist der Graubereich nur sehr dünn besetzt. Der zugehörige Klassifikationsfehler beträgt 53 %. Angesichts der gerin­ gen Datenbasis von 15 Unternehmen ist er nur bedingt aussagefähig. Inhaltlich ist diese im Vergleich zur Diskriminanzanalyse höhere Trennfähigkeit jedoch unbe­ friedigend, denn sie geht nicht mit einer Verbesserung des Klassifikationsergeb ­ nisses einher. Kann man bei der Diskriminanzanalyse über den Z-Wert leicht erkennen, ob ein Unternehmen in den Graubereich fällt und damit einer erhöhten Klassifikationsunsicherheit unterliegt, wird diese Information bei dem Neurona­ len Netz nicht mehr so einfach gegeben. Bei Neuronalen Netzen wird der mittlere Bereich über die für die Modellierung gewählten Funktionsverläufe und deren Steigungen ausgedünnt, die Unternehmen werden automatisch zu den Sättigungs­ bereichen gedrückt. Nützlich ist dieses Vorgehen nur dann, wenn die Unterneh­ men dabei zutreffend der jeweiligen Klasse zugeordnet werden, was daran zu erkennen ist, daß der Gesamtfehler sinkt. Andernfalls erfolgt zwar eine trenn­ schärfere Einteilung, die jedoch gegenüber der mit der Diskriminanzanalyse durchgeführten Klassifikation den Nachteil besitzt, daß Anhaltspunkte für eine Nachbearbeitung der „unsicheren“ Kandidaten nicht mehr gegeben sind, also ein Informationsverlust zu verzeichnen ist.

Abschließend läßt sich festhalten, daß ein einfaches Neuronales Netz, welches der Diskriminanzanalyse recht ähnlich ist, das beste Klassifikationsergebnis erbrach­ te. Es war aber immer noch um etwa 1 %-Punkt schlechter als das der Diskrimi­ nanzanalyse. Vor diesem Hintergrund ist es nachteilig, daß das Neuronale Netz mit dem stark ausgedünnten Graubereich wenig Ansatzpunkte für eine Nachbear­ beitung bietet. Dieses Ergebnis, daß mit einem einfachen Neuronalen Netz für diese Aufgabenstellung bessere Klassifikationsergebnisse als mit sehr komplex aufgebauten Netzen erzielt wurde, deckt sich mit den Erfahrungen von Krause1 und Rehkugler/Poddig2. Bei der Klassifizierung aufgrund von Jahresabschluß ­ kennzahlen scheint es nicht darauf anzukommen, sehr komplexe Muster erkennen zu können. Wie die Ergebnisse darüber hinaus zeigen, wird ein robustes Verfahren wie die Diskriminanzanalyse der Aufgabenstellung voll gerecht. Die auf ihrer Basis durchgeführte Einteilung kann in einem weiteren Schritt, der sogenannten Nach­ bearbeitung, verbessert werden. Angesichts der hohen Klassifikationsunsicherheit bietet sich eine Nachbearbeitung insbesondere für den auf Basis der Drei­ 1 2

Vgl. Krause (Neuronale Netze 1993), S. 214. Vgl. Rehkugler/Poddig (Neuronale Netze 1992), S. 413

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

237

Klasseneinteilung (wahrscheinlich bestandsgefahrdet, Graubereich, wahrschein­ lich bestandsfest) gegebenen Graubereich an. Eine Nachbearbeitung läßt sich aber auch problemlos auf differenzierte Klassenabstufungen anwenden. Sinnvollerweise bringt eine Nachbearbeitung nur Nutzen, wenn durch sie neue Informationen in die Analyse einfließen. Ein solches neues Merkmal, das sich für die Nachbearbeitung anbietet, ist das Bilanzierungsverhalten.1 Im folgenden wer­ den seine Grundlagen vorgestellt und darauf aufbauend ein Konzept für die Er­ mittlung dieses qualitativen Merkmals entwickelt.

Warum sich das qualitative Merkmal Bilanzierungsverhalten besonders gut für eine Nachbear­ beitung eignet, wurde bereits im 1. Teil C. III. 2. dargelegt, vgl. die dortigen Ausführungen.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

239

B.

Entwicklung eines Konzeptes zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

I.

Ziele und Instrumente der Bilanzpolitik

Die folgenden Ausführungen beziehen sich vor allem auf den aktienrechtlichen Jahresabschluß.

1.

Ziele der Bilanzpolitik

Unter Bilanzpolitik ist die bewußte und im Hinblick auf die Ziele des Unterneh­ mens zweckorientierte formale Gestaltung und materielle Beeinflussung der pu­ blizierten Untemehmensdaten, die sich aus Jahresabschluß und Lagebericht zu­ sammensetzen, zu verstehen.1 Sie erfolgt mit der Absicht, vorhandene rechtlich zulässige Gestaltungsspielräume im Sinne bestimmter betrieblicher Zielsetzungen zu nutzen. Wesentliche Ziele der Bilanzpolitik sind:2

• • • • •

Kapitalerhaltung Steuerung der Gewinn- und Dividendenentwicklung Minimierung der Steuerbelastung Pflege der Kreditwürdigkeit Erfüllung von Publizitätspflichten

7. Kapitalerhaltung Nach Kosiol3 lassen sich zwei Kapitalerhaltungskonzeptionen unterscheiden, die nominale und die reale Kapitalerhaltung. Bei der nominalen Kapitalerhaltung liegt ein Gewinn vor, wenn die auf Basis des Anschaffungs-,Nominalwertprinzips ermittelten Periodenaufwendungen kleiner sind als die entsprechenden Erträge. Bei der realen Kapitalerhaltung wird hingegen erst dann ein Gewinn erzielt, wenn ein gütermäßig aufgefaßtes Kapital real erhalten bleibt. Dieser Fall wird allge­ mein dann angenommen, wenn die Erträge mindestens den zu Wiederbeschaf­ fungswerten angesetzten Aufwand abdecken. Gemäß dieser Sichtweise kann ein bei der nominalen Kapitalerhaltung ausgewiesener Gewinn bei realer Betrachtung

1 2

3

Vgl. Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 408. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Kußmaul (Externes Rechnungswesen 1999), S. 519 ff.; Schierenbeck (Grundzüge 1999), S. 583-589 und Coenenberg (Jahresabschluß 1997), S. 804813. Vgl. Kosiol (Buchhaltung 1977).

240

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

ein Scheingewinn sein, nämlich dann, wenn die Güterpreise zwischenzeitlich gestiegen sind, die Kaufkraft sich also verändert hat.

Da der handelsrechtliche Jahresabschluß auf dem Nominal- und Anschaffungs­ wertprinzip aufbaut, ist er von seinem Wesen her auf nominale Kapitalerhaltung ausgerichtet. Die deutsche Rechnungslegung schützt also nicht vor einem realen Kapitalverzehr.1 Hier ist die Bilanzpolitik gefordert. Um die Verringerung der Untemehmenssubstanz zu vermeiden, hat die Bilanzpolitik die Aufgabe, inflati­ onsbedingte Scheingewinne vor einer Ausschüttung zu bewahren (Ausschüt­ tungssperrfunktion). Möglichkeiten hierzu bestehen in der Bildung stiller Reser­ ven und (versteuerter) offener Kapitalerhaltungsrücklagen. 2. Steuerung der Gewinn- und Dividendenentwicklung Zwischen der Höhe des ausgewiesenen Gewinns und den Erwartungen der An­ teilseigner hinsichtlich seiner Ausschüttung besteht ein enger Zusammenhang. So sind Anteilseigner traditionell an einer kontinuierlichen Gewinn- und Dividen­ denentwicklung interessiert, denn dies sind Merkmale für krisensichere Anlagen. Kontinuität wird auch von den Kapitalmärkten als ein positives Signal bewertet. Eine gewünschte Verstetigung der Gewinnentwicklung kann durch eine gezielte Legung stiller Reserven in überdurchschnittlich guten Geschäftsjahren erreicht werden. Umgekehrt können diese dann in schlechten Geschäftsjahren wieder aufgelöst werden, um das Ausmaß des tatsächlichen Gewinnrückgangs nicht sichtbar werden zu lassen. Derartige Gewinnregulierungen durch Verrechnung überhöhten Aufwands oder Vornahme von Zuschreibungen bzw. Verzicht auf Wertherabsetzungen stellen wichtige Elemente der Bilanzpolitik dar.2 Eine ähnli­ che Vorgehensweise wird auch zum Zwecke der Dividendenstabilität mit Hilfe von Dividendenausgleichrücklagen, die wie Kapitalrücklagen bei der Gewinner­ mittlung oder im Rahmen der Gewinnverwendung gebildet und wieder aufgelöst werden, angewendet. 3. Minimierung der Steuerbelastung Die Reduzierung der Steuerbelastung ist ein anerkanntes Ziel erwerbswirtschaft ­ licher Unternehmen, das betriebswirtschaftlich mit steigender Steuerquote immer wichtiger wird. Denn bei hoher Steuerquote sind es nicht zuletzt die nicht ge­ zahlten Steuern, die den finanziellen Handlungsspielraum eines Unternehmens bestimmen. Zwei bilanzpolitische Zielsetzungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen, nämlich der Steueraufschub und die Steuererspamis. Der Steuerauf­ 1 2

Vgl. auch Kußmaul (Externes Rechnungswesen 1999), S. 455. Vgl. Küting/Webcr (Bilanzanalyse 1999), S. 198.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

241

schub bei den ertragsabhängigen Steuern wird erreicht, indem Erträge in die Zu­ kunft verlagert und Aufwendungen in die Gegenwart vorgezogen werden. Die Verschiebung von Steuerzahlungen bedeutet, daß die Unternehmen von einer momentanen Liquiditätsverbesserung und einem zinslosen Steuerkredit profitie­ ren können.

Eine Steuererspamis wird beispielsweise möglich, indem Progressionsspitzen bei der Einkommensteuer geglättet werden. Denn während einer Totalperiode ist die absolute Gesamtsteuerbelastung dann am geringsten, wenn es dem Unternehmen gelingt, den Gesamtgewinn gleichmäßig auf die Wirtschaftsjahre zu verteilen. Auch können Steuern durch Verlagerung von Gewinnen in niedriger besteuerte Länder gemindert werden. 4. Pflege der Kreditwürdigkeit Der Jahresabschluß ist eine wichtige Grundlage für die Banken, neue Kredite zu geben oder bereits bestehende Kredite zu verlängern. Deshalb haben Unterneh­ men ein Interesse, mit Hilfe des Jahresabschlusses ihre Kreditwürdigkeit zu un­ termauern. Das Ziel Pflege der Kreditwürdigkeit ist zum Teil schon in den zuvor genannten enthalten. Aufgrund der zentralen Bedeutung, der diesem Aspekt im Rahmen der vorliegenden Arbeit zukommt, wird die Pflege der Kreditwürdigkeit als eigenständiges bilanzpolitisches Ziel behandelt. Grundsätzlich lassen sich vier zum Teil entgegengesetzte Ansatzpunkte für eine an der Pflege der Kreditwürdigkeit ausgerichteten Bilanzpolitik unterscheiden:

a)

Bilanzpolitik mit dem Ziel, eine bessere Ertragslage oder Eigenkapitalpositi­ on vorzutäuschen. Dieser Punkt hat große Bedeutung für die Bonitätsbeurteilung durch externe Analytiker. Mit der Bestimmung des Bilanzierungsverhaltens wird im fol­ genden ein Weg aufgezeigt, der es externen Analytikern wie z. B. Banken ermöglicht, die vom Unternehmen angewendete Bilanzpolitik systematisch zu bestimmen und das auf dieser Basis ermittelte Bilanzierungsverhalten ob­ jektiv in ein quantitatives Rating einzubeziehen.

b) Bilanzpolitik mit dem Ziel, die Gewinn- und Dividendenentwicklung zu verstetigen.

242

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

Eine gleichmäßige Gewinn- und Dividendenentwicklung spricht für eine nachhaltige, kontinuierliche Ertragsentwicklung, was allgemein als positiv angesehen wird.1

c)

Bilanzpolitik mit dem Ziel, eine fristenkongruente Finanzierung zu präsentie­ ren. Obwohl es keine theoretische Grundlage für die Einhaltung bestimmter Bi­ lanzrelationen gibt, legen die Banken darauf doch großen Wert. In der Praxis haben die aus der Einhaltung bestimmter Bilanzrelationen abgeleiteten Fi­ nanzierungsregeln daher eine hohe Bedeutung.

d)

Bilanzpolitik mit dem Ziel, eine ausreichende Liquidität darzustellen. Die Kreditwürdigkeitsprüfung stellt darauf ab, ein Urteil über die zukünftige Zahlungsfähigkeit zu fällen. Deshalb ist das Unternehmen bemüht, bereits am Bilanzstichtag bestimmte Liquiditätsnormen zu erfüllen als Indiz für die zukünftige Zahlungsfähigkeit. Das Unternehmen wird versuchen, finanzielle Zu- und Abflüsse zum Jahresende so zu steuern, daß die flüssigen Mittel ge­ genüber den kurzfristigen Verbindlichkeiten hervortreten. Diese Verhaltens­ weise wird als ’’window-dressing” bezeichnet.

5. Erfüllung der Publizitätspflichten Publizitätsverpflichtungen werden auch für kleine und mittlere Unternehmen immer wichtiger. Die Unternehmen können sich gemäß der jeweiligen Firmen­ philosophie auf die Veröffentlichung der gesetzlich vorgeschriebenen Angaben beschränken oder über die Mindestvorschriften hinausgehen. Eine weitergehende Öffentlichkeitsarbeit soll allgemein das Untemehmensimage verbessern, um die Meinungsbildung und die Verhaltensweisen der Adressaten positiv zu beeinflus­ sen. Denn neben Banken interessieren sich auch Lieferanten, Kunden und Mitar­ beiter für die Ergebnisse des Jahresabschlusses. Die aufgeführten Ziele 1-4 werden üblicherweise unter mit dem Oberbegriff finanzpolitische Zielsetzung zusammengefaßt in Abgrenzung zur publizitätspoli­ tischen Zielsetzung von Ziel 5.2 Diese Einteilung ist zweckmäßig, jedoch nicht ganz überschneidungsfrei, da publizitätspolitische Ziele oft auch zur Unterstüt­ zung finanzpolitischer Absichten eingesetzt werden.

1

2

Auch die empirische Insolvenzforschung bestätigt diese Einschätzung. Demnach deuten sprung­ hafte Veränderungen tendenziell auf ein höheres Insolvenzrisiko hin, vgl. o. V. (Insolvenzwelle 1998), S. 11. Vgl. die Einteilung bei Schierenbeck (Betriebswirtschaft 1999), S. 585.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

2.

243

Bilanzierungswahlrechte im deutschen Bilanzrecht

Der Jahresabschluß kann in vielfältiger Hinsicht zur Realisierung der zuvor be­ schriebenen betrieblichen Zielsetzungen gestaltet werden, denn die deutsche Rechnungslegung kennt zahlreiche Bilanzierungswahlrechte. Ein Wahlrecht be­ steht immer dann, wenn an einen gegebenen Tatbestand mindestens zwei sich gegenseitig ausschließende Rechtsfolgen anknüpfen, bei denen der zur Rech­ nungslegung Verpflichtete entscheiden kann, welche von ihnen eintritt.1 Sie die­ nen als Instrumente zur Durchsetzung der jeweiligen bilanzpolitischen Ziele und können demnach eingeteilt werden in finanzpolitische und publizitätspolitische Wahlrechte. Einen Überblick über die gesetzlich zulässigen Bilanzierungswahl­ rechte gibt die folgende Abbildung 40.

Abbildung 40: Überblick über Bilanzierungswahlrechte2 Finanzpolitische Wahlrechte zielen darauf ab, die Höhe der ausgewiesenen Ab­ schlußdaten, d. h. insbesondere des aus gewiesenen Jahresergebnisses, zu steuern. Sie werden daher auch als materielle Instrumente bezeichnet. Sie eröffnen be­

1

2

Vgl. Kußmaul (Externes Rechnungswesen 1999), S. 522 und Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 199. In Anlehnung an Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 410.

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

244

deutende Gestaltungsmöglichkeiten zur wirtschaftlichen Untemehmenslage. Deshalb sind sie auch für die Bonitätsanalyse von großer Bedeutung. Bei den finanzpolitischen Wahlrechten unterscheidet man üblicherweise Ansatz- und Bewertungswahlrechte, wobei Ansatzwahlrechte die Entscheidung ermöglichen, ob ein Wirtschafts gut überhaupt in die Bilanz aufgenommen werden soll. Be­ wertungswahlrechte bieten dann den Spielraum, in welcher Höhe der Wertansatz vorgenommen werden soll. Wichtige Ansatzwahlrechte sind:1



Auf der Aktivseite • •

• •

der derivative Geschäfts- oder Firmenwert nach § 255 Abs. 4 HGB (er­ worbener Markenname), Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäfts­ betriebs nach §§ 269, 282 HGB (z. B. Kosten für Aufbau einer Ver­ triebsorganisation), Ansatz aktivischer latenter Steuern nach § 274 Abs. 2 HGB.

Auf der Passivseite

Ansatz wähl recht bei bestimmten Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 1 und 2 HGB, • Wertaufholungsrücklagen nach § 59 Abs. 2a AktG, § 29 Abs. 4 GmbHG. Wichtige Bewertungswahlrechte sind:2





1

2

Wertansatzwahlrechte •

außerplanmäßige Abschreibungen (auf den niedrigeren beizulegenden Wert) im Anlagevermögen bei nur vorübergehender Wertminderung (gemildertes Niederstwertprinzip, § 253 Abs. 2 HGB i.V.m. § 279 Abs. 1 HGB),



bei der Abschreibung auf den sogenannten nahen Zukunftswert für Ge­ genstände des Umlaufvermögens (§ 253 Abs. 3 HGB),



Abschreibungen im Rahmen vernünftiger kaufmännischer Beurteilung (§ 253 Abs. 4 HGB i.V.m. § 279 Abs. 1 HGB),



rein steuerlich motivierte Abschreibungen (§ 254 HGB i.V.m. § 279 Abs. 2 HGB),

Vgl. auch Kußmaul (Externes Rechnungswesen 1999), S. 523; Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 414 und Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 22 f.. Vgl. auch Küting/Weber (Bilanzanalysc 1999), S. 415 und Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 22 f..

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen





245

Wahl des für die Barwertbildung von Pensionsrückstellungen herange­ zogenen Rechnungszinsfusses (handelsrechtlich 3 % bis 6 % zulässig, steuerlich nur 6 % nach § 6a EStG).

Methoden wahlrechte1



bei Anwendung und Wahl von Bewertungsvereinfachungsverfahren (Einzel-, Fest- und Sammelbewertung, letztere mit den Varianten Durch­ schnittsmethode und Verbrauchsfolgeverfahren) nach § 256 HGB i.V.m. § 240 Abs. 3 und 4 HGB,



Festlegung, welche Bestandteile in die Herstellungskosten einfließen sollen (§ 255 Abs. 2 und 3 HGB),



Abschreibungsmethoden (z. B. linear oder degressiv, Abschreibung des Geschäfts- oder Firmenwerts) ( § 253 Abs. 2 HGB und § 255 Abs. 4 HGB).

In Abgrenzung zu den finanzpolitischen Wahlrechten dienen die publizitätspoliti­ schen Wahlrechte der Informationspolitik. Sie haben keine Auswirkungen auf den Jahreserfolg, sondern beziehen sich auf die äußere Erscheinungsform des Jahres­ abschlusses. Sie zählen zu den formellen bilanzpolitischen Instrumenten. Neben den Ausweiswahlrechten, die ermöglichen, bestimmte Sachverhalte entweder in der Bilanz oder im Anhang anzugeben und den Gliederungswahlrechten, die sich auf die Bilanzgliederung beziehen, sind für die Bilanzanalyse die Erläuterungs­ wahlrechte von Bedeutung, bei denen gewählt werden kann, ob bestimmte Tatbe­ stände entweder betragsmäßig oder lediglich in verbaler Form zu erläutern sind.2

Wichtige Aus weis wahlrechte sind z. B.



die gesonderte Angabe des Gewinn- und Verlustvortrags nach § 268 Abs. 1 HGB,



die Angabe der Abschreibung des Geschäftsjahres nach § 268 Abs. 2 HGB,



der gesonderte Ausweis eines aktivierten Disagios nach § 268 Abs. 6 HGB,



der gesonderte Ausweis der Haftungsverhältnisse gemäß § 251 HGB i.V. m. § 268 Abs. 7 HGB.

Bedeutende Gliederungswahlrechte ergeben sich aus der Möglichkeit,

1 2

Vgl. auch Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 415. Zu der folgenden Aufzählung vgl. auch Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 412.

246

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten



erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen als Verbindlichkeit zu passivieren oder diese von den Vorräten abzusetzen (§ 268 Abs. 5 HGB),



daß nicht eingeforderte ausstehende Einlagen aktiviert oder mit dem Posten ’’Eingefordertes Kapital” verrechnet werden können (§ 272 Abs. 1 HGB),



daß steuerrechtliche Abschreibungen aktivisch verrechnet oder in den Son­ derposten mit Rücklageanteil eingestellt werden können (§ 281 Abs. 1 HGB),



daß aktivische und passivische latente Steuern saldiert werden dürfen (§ 274 HGB).

Bedeutende Erläuterungswahlrechte sind: •

Einfluß der Änderung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden nach § 284 Abs. 2 HGB,



Ergebnisbeeinflussung durch steuerrechtliche Abschreibungen nach § 285 Nr. 5 HGB,



Ausmaß erheblicher zukünftiger Belastungen durch Anwendung steuerrechtli­ cher Abschreibungen nach § 285 Nr. 5 HGB,



Erläuterung nicht unerheblicher sonstiger Rückstellungen, die nicht gesondert ausgewiesen sind nach § 285 Nr. 12 HGB.

Bei den publizitätspolitischen Wahlrechten sind insbesondere die Gliederungs­ wahlrechte von Bedeutung, da mit ihrer Hilfe für die Bonitätsanalyse bedeutsame Bilanzrelationen beeinflußt werden können. Werden beispielsweise erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen von den Vorräten abgesetzt statt diese als Ver­ bindlichkeit zu passivieren, fuhrt die mit der Verrechnung einhergehende Bilanz­ verkürzung zu einer günstigeren Eigenkapitalquote. In der Praxis machen viele Unternehmen von dieser Saldierungsmöglichkeit Gebrauch. 3.

Ermessensspielräume und bilanzverändernde Sachverhaitsgestaltung

Ermessensspielräume bei der Bewertung und Bilanzierung sind gegeben, wenn das Gesetz einen bestimmten Wertansatz oder einen bestimmten Wertmaßstab zwar vorschreibt, nicht aber die jeweilige Methode und die jeweiligen Ansatzbzw. Bewertungskomponenten vorgibt. Ermessensspielräume entstehen also immer dort, wo der Gesetzgeber einen Sachverhalt nicht abschließend geregelt hat, denn die vollständige Normierung ökonomischer Tatbestände ist praktisch unmöglich.1 Ermessensspielräume beinhalten keine Entscheidung zwischen ob­ 1

Vgl. Pfleger (Bilanzpolitik 1991), S. 35.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

247

jektiv unterscheidbaren Alternativen, sondern berücksichtigen das subjektive Element der Wertfindung. Ermessensspielräume beeinflussen die Höhe des Jah­ reserfolges, sie gehören also zu den finanzpolitischen Instrumenten. Wichtige Ermessensspielräume sind:1

• bei der Bilanzierung





die Abgrenzung von Herstellungs- und Erhaltungsaufwand,



die Festlegung des Eintritts bzw. Wegfalls des Rückstellungsgrundes bei drohenden Einzelrisiken,

bei der Bewertung •

die Bestimmung der Nutzungsdauer von Anlagegütem,



die Bemessung von außerplanmäßigen Abschreibungen bei Anlagegü­ tem,



die Bemessung der Abschreibungen auf den nahen Zukunftswert im Umlaufvermögen,



die Bemessung der Rückstellungen ’’nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung”.

Weitere bilanzpolitische Möglichkeiten ergeben sich aus der sogenannten Sach­ verhaltsgestaltung. Diese zielt darauf ab, das Mengengerüst der Aktiva und Passi­ va so zu beeinflussen, daß das sich daraus ergebende, neue Erscheinungsbild zur Durchsetzung finanzpolitischer Absichten dient.2 Folglich gehört die Sachver­ haltsgestaltung zu den finanzpolitischen Instrumenten. Eine bilanzverändemde Sachverhaltsgestaltung muß grundsätzlich vor dem Bilanzstichtag einsetzen, doch ist für sie charakteristisch, daß die sich ergebenden Maßnahmen nicht erst bei Bilanzaufstellung, sondern bereits im laufenden Geschäftsjahr vorgenommen werden. Üblicherweise werden Entscheidungen zur Sachverhaltsgestaltung in den letzten Monaten vor dem Ende des Geschäftsjahres getroffen, wenn das voraus­ sichtliche Jahresergebnis hinreichend genau geschätzt werden kann. Die Sachverhaltsgestaltung kann eingeteilt werden in die zeitliche Verschiebung von Maßnahmen und in die Durchführung und Unterlassung von Maßnahmen.3

1 2 3

Vgl. auch KütingAVeber (Bilanzanalyse 1999), S. 413 und Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 23. Siehe Kußmaul (Externes Rechnungswesen 1999), S. 521. Vgl. Schierenbeck (Betriebswirtschaftslehre 1999), S. 591 f..

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

248

Zeitliche Verschiebung von Maßnahmen: Aus bilanzpolitischen Erwägungen können Maßnahmen vor oder nach dem Bi­ lanzstichtag durchgeführt werden. Je nach dem verfolgten bilanzpolitischen Zweck kommen eine Vielzahl von Maßnahmen in Frage, die nachfolgend bei­ spielhaft aufgezählt werden: •

Vorverlagerte/nachverlagerte Anschaffung/Veräußerung von Aktiva •

Verzögerte oder beschleunigte Beschaffung von Roh-, Hilfs- und Be­ triebsstoffen sowie fremdbezogener Waren,



Vorverlagerte Anschaffung eines Anlagegegenstandes zwecks Nutzung höherer Abschreibungen,



Verkauf eines Anlagegegenstandes vor/ nach dem Bilanzstichtag, um ei­ nen Gewinn/ Verlust ausweisen zu können.

• Vorverlagerte/nachverlagerte Aufnahme, Rückzahlung, Umschichtung von Passiva





Aufnahme eines Kredites erst nach Bilanzstichtag, damit der Verschul­ dungsgrad nicht verschlechtert wird,



Aufnahme eines Kredites wird vorgezogen, um Ansprüchen auf Gewinn­ ausschüttung entgegenzuwirken,



Verzögerung einer Kapitalaufnahme, damit der Gewinn nicht verwässert wird.

Vorverlagerung/Nachverlagerung von Maßnahmen mit unmittelbarem Auf­ wandscharakter



Vorziehen oder Verzögern von größeren Reparaturmaßnahmen,



Kauf von sofort abschreibungsfähigen Vermögensgegenständen vor Bi­ lanzstichtag, obwohl diese erst im Folgejahr benötigt werden,



Beschleunigte Fertigstellung von Aufträgen insbesondere Großaufträgen, um erfolgswirksame Verbuchung vor Bilanzstichtag sicherzustellen.

Die Durchführung und Unterlassung von Maßnahmen:



Maßnahmen vor dem Bilanzstichtag, die nach dem Stichtag rückgängig ge­ macht werden (window dressing): •

Verkauf von größeren Forderungen vor dem Bilanzstichtag und Rück­ kauf im neuen Jahr,



Aufnahme eines Kredites vor dem Bilanzstichtag, um Liquiditätskenn­ zahlen zu verbessern,

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

• •

249

Verbesserung der Kassenliquidität durch den Verkauf von Wertpapie­ ren mit Rücknahmeverpflichtung (Pensionsgeschäfte).

Maßnahmen vor dem Bilanzstichtag, die nach dem Bilanzstichtag nicht rückgängig gemacht werden: •

Miete, Pacht oder Leasing anstelle von Kauf (fuhrt zu besseren Bilanz­ relationen),



Verkauf eines Vermögensgegenstandes mit hohen stillen Reserven,



Umwidmung von Wertpapieren ins Anlagevermögen, um Ausweis von Kursverlusten zu vermeiden.

Nutzt ein Unternehmen die dargestellten Handlungsspielräume zielgerichtet aus, spiegelt der Jahresabschluß nicht mehr die tatsächliche wirtschaftliche Situation wider. Die gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten erlauben es beispielsweise, daß zwei Unternehmen mit gleicher wirtschaftlicher Ausgangslage entsprechend den jeweiligen (verschiedenen) Untemehmenszielen Jahresabschlüsse aufstellen, deren Zahlen ein unterschiedliches Untemehmensbild vermitteln, bzw. daß zwei Unternehmen mit unterschiedlichen Ausgangslagen einen mehr oder weniger identischen Jahresabschluß aufstellen können. Dieser Selbstdarstellung ist der externe Bilanzanalytiker bei reiner Analyse der Jahresabschlußzahlen in der Re­ gel hilflos ausgeliefert, da er die Auswirkungen dieser Maßnahmen nicht in einem hinreichenden Maße erkennen kann.

II.

Der Jahresabschluß als Informationsgrundlage für die qualitative Bilanzanalyse

1.

Ziele und Arbeitshypothesen der qualitativen Bilanzanalyse

Mit dem Begriff Bilanzanalyse werden Verfahren der Informationsgewinnung bezeichnet, mit deren Hilfe aus den Angaben des Jahresabschlusses Informatio­ nen über die monetär-wirtschaftliche Lage und Entwicklung der Unternehmen gewonnen werden1. Während die Bilanzpolitik auf die Gestaltung von Sachver­ halten ausgerichtet ist, zielt die Bilanzanalyse auf das Erkennen von Sachverhal­ ten ab. Nach dem Standort des Betrachters kann sie eingeteilt werden in eine interne und eine externe Bilanzanalyse, wobei im folgenden gemäß der Sichtwei­

1

Vgl. Schierenbeck (Betriebswirtschaft 1999), S. 582.

250

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

se des externen Analysten, die dieser Untersuchung zugrunde liegt, mit dem Be­ griff Bilanzanalyse immer die externe gemeint ist.

Die traditionelle Bilanzanalyse ist stark quantitativ ausgerichtet, da sie sich bei ihrer Betrachtung üblicherweise auf die ’’harten” Zahlen von Bilanz und GuV beschränkt. Wenngleich Kennzahlen als Instrument zur Auswertung veröffent­ lichter Untemehmensinformationen ein wichtiges und unumgängliches Hilfsmit­ tel in der Praxis darstellen, verdeutlichen sie dennoch nur einen Teil des betriebli­ chen Geschehens. Die wichtigste Grenze der traditionellen Bilanzanalyse ist darin zjU sehen, daß das Ausgangsmaterial der Jahresabschlußanalyse durch die zuvor erläuterten bilanzpolitischen Instrumente erheblich beeinflußt werden kann. Wird dennoch die Bilanzanalyse auf die Auswertung von Bilanz- und GuV-Kennzahlen beschränkt, so schließt man von vornherein einen nicht unwesentlichen Teil an Informationen aus der Betrachtung aus.1 Damit der Analytiker nicht Gefahr läuft, durch eine bloße Kennzahlen-Arithmetik zu falschen Schlußfolgerungen zu ge­ langen, wird deshalb nach neuen Wegen und Instrumenten gesucht. Ein Weg, den die sogenannte qualitative Bilanzanalyse beschreitet, besteht darin, verstärkt die nichtnumerischen Angaben des Jahresabschlusses auszuwerten. Denn im Ver­ gleich zu der gängigen Kennzahlenrechnung spielt beim Jahresabschluß die Analyse nichtnumerischer, verbaler Daten bislang nur eine untergeordnete Be­ deutung, obwohl sich gerade in der verbalen Berichterstattung ein wichtiges zu­ sätzliches Analysepotential verbirgt, ’’das es mit geeigneten Methoden zu heben gilt”2. Gegenstand der qualitativen Bilanzanalyse ist zum einen die Analyse des bilanzpolitischen Instrumentariums, zum anderen die Auswertung der verbalen Berichterstattung im Rahmen der sogenannten semiotischen Bilanzanalyse (vgl. Abbildung 41). Während die Analyse des bilanzpolitischen Instrumentarium darauf abstellt, anhand von in den Rechnungsunterlagen enthaltenen offenen oder versteckten Hinweisen, dessen zielgerichteten Einsatz festzustellen, um daraus Rückschlüsse auf die tatsächliche Untemehmenslage zu ziehen, analysiert die semiotische Bilanzanalyse die Art und Weise, in der Untemehmensinformationen sprachlich formuliert werden.

1

2

Es fehlen qualitative Informationen über die Managementqualität, die Branchenstruktur, die Auftragslage u.s.w. Darüber hinaus bildet der Jahresabschluß lediglich bestimmte finanzielle Transaktionen und Geschäftsvorfälle ab, andere fehlen. Vgl. Baetge (Bilanzanalyse 1998), S. 68 f. und Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 49. Werner (Nichtnumerische Daten 1990), S. 370.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

251

Intensität der freiwilligen Berichter­ stattung (pragmatische Ebene)

Abbildung 41: Aufgabenfelder der qualitativen Bilanzanalyse1 Diese sprachliche Analyse bezieht sich auf Fragen, ob •

• •

die Intensität der freiwilligen Berichterstattung zusätzliche Erkenntnisse zu­ läßt (pragmatische Ebene), der Grad der Bestimmtheit von Informationen (vage versus eindeutige Infor­ mationen) weitere Rückschlüsse zuläßt (syntaktische Ebene), die präferierte Wortwahl - auch im Unternehmens- und Zeitvergleich - neue Erkenntnisse für die Analyse bringt (semantische Ebene)2.

In der Praxis lassen sich jedoch kaum eindeutige Schlußfolgerungen aus der sprachlichen Analyse von Bilanzangaben ziehen. Für das Mengengeschäft des quantitativen Ratings ist die semiotische Bilanzanalyse von untergeordneter Be­ deutung. Es wird daher nicht weiter auf sie eingegangen.3 Für das Mengengeschäft nützlich ist es hingegen, die verbalen Berichtspflichten in den Rechnungslegungsunterlagen so auszuwerten, daß daraus Rückschlüsse auf die vom Unternehmen angewendete Bilanzpolitik gezogen werden können. Das Europäischen Bilanzrecht4 hat diese Möglichkeit verbessert. Durch das Eu­ ropäische Bilanzrecht erhöhten sich zwar die bilanzpolitischen Gestaltungsmög­ 1 2 3 4

Vgl. KütingAVcber (Bilanzanalyse 1999), S. 407. Vgl. Werner ((Nichtnumerische Daten 1990), S. 370 Für Einzelheiten zur semiotischen Bilanzanalyse siehe Werner (Nichtnumerische Daten 1990). Die Transformation der 4. EG-Richtlinie (Bilanzrichtlinie),und der 7. EG-Richtlinie (Konzem­ richtlinie) wurde zusammen mit der 8. EG-Richtlinie (Prüferrichtlinie) durch die Verabschiedung des Bilanzrichtlinien-Gesetzes (BiRiLiG) zum 19.12.1985 vollzogen, in: BGBl. 1985 I, S. 2355.

252

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

lichkeiten in der deutschen Rechnungslegungsordnung. Gleichzeitig wurde aber quasi als Kompensation - eine verschärfte Informationspflicht eingefuhrt, so daß die verbalen, nichtnumerischen Berichtspflichten an Bedeutung gewonnen haben. Die verstärkte Auswertung dieser bislang brachliegenden zusätzlichen Angaben im Jahresabschluß ist auch deshalb geboten, weil zwischen Bilanzpolitik und Bilanzanalyse eine enge Wechselbeziehung besteht. Denn mit zunehmender Inan­ spruchnahme der bilanzpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten verringern sich die Möglichkeiten, eine aussagefähige Bilanzanalyse durchzufuhren. Durch Analyse des bilanzpolitischen Instrumentariums als bedeutendstem Gebiet der qualitativen Bilanzanalyse wird nun versucht, die eingeschränkte Aussagekraft des reinen Zahlenmaterials zu relativieren. Wie bereits dargelegt, wird Bilanzpolitik häufig dazu eingesetzt, die Gewinn- und Dividendenentwicklung zu steuern, um Abweichungen des Jahreserfolgs von einem vorgegebenen Planwert zu reduzieren. Mit der damit einhergehenden Er­ folgsglättung beabsichtigt das Unternehmen u. a., daß externe Adressaten die Bonität des Unternehmens (weiterhin) positiv beurteilen. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, daß ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem festgestellten Einsatz der bilanzpolitischen Instrumente und der Vermögens-, Finanz- und Er­ tragslage des Unternehmens nur mit gewissen Einschränkungen hergestellt wer­ den kann. Zu unterschiedlich sind die bilanzpolitischen Zielsetzungen, die im jeweiligen Einzelläll untemehmensspezifisch und im Zeitablauf wichtig sein können. Im Zweifel kann jedoch unterstellt werden, daß im Falle einer besonders guten Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eine eher vorsichtige, konservative Bilanzpolitik zu erwarten ist. Umgekehrt werden wohl bei einer angespannten wirtschaftlichen Untemehmenslage die Wahlrechte und Spielräume in einer eher ergebnisverbessemden, progressiven Weise ausgenutzt. Dieser Sachverhalt wird auch durch eine empirisch bestätigte Regel gestützt, die besagt, daß sich gute Unternehmen durch konservative Bilanzpolitik tendenziell ’’ärmer” und schlechte Unternehmen durch progressive Bilanzpolitik tendenziell ’’reicher” rechnen. Folgende Arbeitshypothesen können damit für die qualitative Bilanzanalyse for­ muliert werden:1



Jene Unternehmen, die die bilanzpolitischen Instrumente eindeutig einsetzen, so daß ein möglichst geringer Jahresüberschuß erzielt wird (= konservative Bilanzierung), weisen tatsächlich eine (weit) bessere Vermögens-, Finanzund Ertragslage auf, als die, die im offiziellen Rechenwerk abgebildet ist.

Vgl. auch KütingAVcber (Bilanzanalyse 1999), S. 419.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

253

• Jene Unternehmen, die die Wahlrechte stets so ausnutzen, so daß ein mög­ lichst hoher Jahresüberschuß erzielt wird (= progressive Bilanzierung), weisen tatsächlich eine (weit) schlechtere Vermögens-, Finanz- und Ertragslage auf, als die, die im offiziellen Rechenwerk abgebildet wird. •

Jene Unternehmen, die über ihre Bilanzierung nur vage und nicht eindeutig informieren und darüber hinaus ihre Berichterstattung über den Einsatz des bilanzpolitischen Instrumentariums auf den gesetzlichen Pflichtrahmen be­ grenzen, beabsichtigen im Zweifel, die Analyse der tatsächlichen Untemehmenslage zu erschweren.

Wie ein Jahresabschluß durch den zielgerichteten Einsatz bilanzpolitischer In­ strumente beeinflußt werden kann, soll nun an einem einfachen Beispiel verdeut­ licht werden. In Abbildung 42 ist eine Bilanz abgebildet, die unter den folgenden Annahmen aufgestellt wurde: •

Aufwandsrückstellungen wurden in Höhe von 20 Geldeinheiten (GE) gebil­ det.



Die Vorräte werden zu Einzelkosten bewertet; die Vollkosten betragen 350 GE. In den Verbindlichkeiten sind erhaltene Anzahlungen auf Vorräte in Hö­ he von 100 GE ausgewiesen.



Die Pensionsrückstellungen wurden mit 3,5 % abgezinst. Würden sie mit 6 % abgezinst, wären sie in Höhe von HOGE auszuweisen.



Steuerliche Sonderabschreibungen in Höhe von 130 GE wurden aktivisch abgesetzt. Bilanz I

Aktiva

I.

Anlagevermögen

250

I.

Passiva

Eigenkapital

1. gezeichnetes Kapital 2. Rücklagen 3. Jahresüberschuß II.

II.

Umlaufvermögen

1. Vorräte 2. Sonstiges Vermögen

Rückstellungen

1. Rückstell, fur Pens. 2. Sonst. Rückstell.

200 350 III.

100 50 70

Verbindlichkeiten

W

130 100

350 W

Abbildung 42: Bilanz I

Die Berechnung ausgewählter Kennzahlen auf Grundlage von Bilanz I fuhrt zu den Ergebnissen:

254

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

Eigenkapit al _ 220 = 27,5%, Bilanzsumm e 800 4 , ... Anlagevermögen 250 Anlagenmt ensitat =------ ---------- -— =------ = 31,2%, Bilanzsumm e 800 Jahresüber schuß + Fremdkapit alzinsen _ 70 + 30 = 12,5%. Gesamtkapi talrentabi lität = Gesamtkapi tal 800

Eigenkapitalquote =

In der nachstehenden Bilanz II wurde nun gegenüber Bilanz I folgende geänderte Bilanzpolitik angewendet:



Auf die Bildung von Aufwandsrückstellungen wurde verzichtet.



Die Vorräte wurden zu Vollkosten angesetzt und mit den erhaltenen Anzah­ lungen auf Vorräte saldiert.



Die Pensionsrückstellungen wurden mit 6 % abgezinst.



Für die steuerlichen Sonderabschreibungen in Höhe von 130 GE wurde ein Sonderposten mit Rücklageanteil gebildet. Bilanz II

Aktiva

I.

II.

Anlagevermögen

380

Umlaufvermögen

1. Vorräte (./. erhalt. Anzahl. 100) 2. Sonstiges Vermögen

I.

Passiva

Eigenkapital

1. gezeichnetes Kapital 2. Rücklagen 3. Jahresüberschuß

100 50 260

II.

Sonderposten mit Rückl.

130

ill.

Rückstellungen

250 350

Ho

IV.

1. Rückstell, für Pens. 2. Sonst. Rückstell.

110 80

Verbindlichkeiten

250

£80

Abbildung 43: Bilanz II

Hier nehmen die Kennzahlen folgende Werte an: Eigenkapitalquote = E*8c?kapifal _ 4U) _ Bilanzsumme 980 Ai i Anlagevermögen 380 _o oo/ Anlagenmtensitat =------ 2-------- -— =------ = 38,8%. Bilanzsumme 980 _ ... ...... Jahresüberschuß + Fremdkapitalzinsen 260 + 30 _ XAZ Gesamtkapitalrcntabilitat =---------------------------------- 4------------ =----------- = 29,6%. Gesamtkapital 980

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

255

Wie ein Vergleich der beiden Bilanzen zeigt, haben sich durch eine Änderung der Bilanzpolitik die Kennzahlen Eigenkapitalquote und Anlagenintensität deutlich erhöht, die Gesamtkapitalrentabilität hat sich mehr als verdoppelt. Dieses einfa­ che Beispiel verdeutlicht, in welchem legalen Maße klassische Jahresabschluß­ kennzahlen durch die zielgerichtete Ausnutzung bilanzpolitischer Instrumente beeinflußt werden können.

2.

Die Bedeutung einzelner Jahresabschlußkomponenten für die qualitative Bilanzanalyse

Im Zusammenhang mit den Vorschriften zur handelsrechtlichen Rechnungsle­ gung unterscheidet das Handelsgesetzbuch grundsätzlich zwei Kategorien von Unternehmen, nämlich die Kapitalgesellschaften und die sonstigen Unternehmen. Dieser Einteilung folgt auch das dritte Buch des HGB, das die Vorschriften des Handelsgesetzes zur Buchführung und zum Jahresabschluß beinhaltet. Während der erste Abschnitt (§§ 238-263 HGB) für alle Kaufleute gilt, stehen im zweiten Abschnitt (§§ 264-335 HGB) die speziellen Regelungen für Kapitalgesellschaf­ ten. Für Kapitalgesellschaften hat der erste Abschnitt die Stellung eines allgemei­ nen Teils.

Jahresabschluß

(§ 242 HGB)

Abbildung 44: Jahresabschlußkomponenten1 Der zweite Abschnitt bestimmt, daß Kapitalgesellschaften zusätzlich zu den In­ formationsinstrumenten Bilanz und GuV einen Anhang erstellen müssen, der gleichwertig neben die zuvor genannten Bestandteile tritt. Bilanz, GuV und An1

In Anlehnung an Schierenbeck (Grundzüge 1999), S. 524.

256

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

hang werden auch als ’’erweiterter” Jahresabschluß bezeichnet. Zusätzlich zu diesem erweiterten Jahresabschluß haben Kapitalgesellschaften nach § 264 HGB einen Lagebericht zu erstellen. Obwohl er kein Bestandteil des erweiterten Jah­ resabschlusses ist, ist er bei Kapitalgesellschaften Pflichtbestandteil der handels­ rechtlichen Rechnungslegung.

Als Informationsinstrument kommt dem Jahresabschluß entsprechend der Gene­ ralnorm nach § 264 Abs. 2 HGB die Aufgabe zu, ein den tatsächlichen Verhält­ nissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermit­ teln.1 Wie schon die gesetzliche Formulierung zeigt, erwartet der Gesetzgeber nicht von der Bilanz und GuV, sondern vom Jahresabschluß als Ganzes, daß dieser die tatsächlichen Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft zutreffend darstel­ len soll. Um diesen Einblick zu erfüllen, sind mitunter zusätzliche Informationen erforderlich, die das mit Hilfe von Bilanz- und GuV-Zahlen erzeugte Bild der wirtschaftlichen Lage ergänzen und korrigieren. Abgesehen von Hinweisen zur bilanzpolitischen Sachverhaltsgestaltung bieten die „nackten“ Zahlen von Bilanz und GuV kaum Ansatzpunkte für die qualitative Bilanzanalyse. Die Lücke zwi­ schen den rein quantitativen Angaben in der Bilanz und Erfolgsrechnung einer­ seits und der Forderung nach einem möglichst wahrheitsgemäßen Einblick in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage andererseits zu schließen, ist die Aufgabe von Anhang und Lagebericht. Der Anhang hat nicht zuletzt durch Einflüsse der internationalen Reclmungslegung eine wesentliche Aufwertung erfahren. Durch die zunehmende Anpassung der deutschen Bilanzierungspraxis an die internatio­ nal üblichen Bilanzierungsgepflogenheiten weisen immer mehr deutsche Unter­ nehmen freiwillig zusätzliche Angaben in ihrem Anhang aus.2 Auch der Lagebe­ richt hat durch Umsetzung des KonTraG3 eine Aufwertung erfahren. Der Anhang hat die Aufgabe, den Jahresabschluß bzw. seine einzelnen Positionen zu erläutern sowie zusätzliche Angaben zur Bilanz und GuV zu geben. Im Gesetz sind die Anhangangaben nicht zusammenhängend dargestellt. Die Vorschriften sind vielmehr über den zweiten und dritten Abschnitt des dritten Buches des HGB sowie über Spezialgesetze (AktG, GenG, GmbHG) verstreut.4 Hauptsächlich ist

1 2 3

4

Siehe Coenenberg (Jahresabschluß 1997), S. 48 f.. Vgl. o. V. (Internationale Bilanzierung 1996), S. 29 f.. Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Untemehmensbereich (KonTraG) ist am 1. Mai 1998 in Kraft getreten. Seine Vorschriften sind anzuwenden auf Geschäftsjahre, die nach dem 31.12.1998 beginnen. Vgl. Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Untemehmensbereich (KonTraG) vom 27.04.1998, in: BGBl. I, S. 786-794 und Selch (Regelungen 2000), S. 367. Eine vollständige Auflistung aller Anhanginformationspflichten kann an dieser Stelle nicht wie­ dergegeben werden. Sie findet sich bei Göllert/Ringling (Bilanzrichtlinien-Gesetz 1986), S. 27-

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

257

der Informationsumfang und das Informationsniveau des Anhangs jedoch in den §§ 284 ff. HGB geregelt, wobei der Umfang bzw. Detaillierungsgrad der im An­ hang zu gebenden Informationen von der Größe der Kapitalgesellschaft abhängig ist. Beide Jahresabschlußkomponenten bieten ein wichtiges Informationspotential für die qualitative Bilanzanalyse, auf das nun näher eingegangen wird.

Tabelle 31 zeigt, welche Informationen der Anhang in Abhängigkeit der unter­ schiedlichen Größenklassen nach § 284 ff. HGB beinhalten muß. Einige der dort aufgeführten Angaben können wahlweise auch in der Bilanz oder der GuV ste­ hen. Nach § 289 Abs. 1 HGB hat der Lagebericht die Aufgabe, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild des Geschäftsverlaufes und der Lage der Ka­ pitalgesellschaft zu vermitteln. Neben Vergangenheitsinformationen soll der Lagebericht auch zukunftsbezogene Informationen enthalten. Im einzelnen soll der Lagebericht eingehen auf:



Vorgänge von besonderer Bedeutung, die nach dem Schluß des Geschäfts­ jahres eingetreten sind (§ 289 Abs. 2 Nr. 1 HGB),



die voraussichtliche Entwicklung der Kapitalgesellschaft (§ 289 Abs. 2 Nr. 2 HGB),



den Bereich Forschung und Entwicklung (§ 289 Abs. 2 Nr. 3 HGB),



bestehende Zweigniederlassungen der Gesellschaft (§ 289 Abs. 2 Nr. 4 HGB).

Obwohl das Handelsgesetz über diese Aufzählung hinaus keine detaillierten Vor­ schriften zur Form, Gliederung oder zu den berichtspflichtigen Sachverhalten vorsieht, lassen sich in Analogie zum Anhang einige allgemeine Grundsätze für den Lagebericht aufstellen. So soll der Inhalt des Lageberichtes vollständig und richtig sein. Der Lagebericht sollte klar und übersichtlich aufgestellt werden und sein Inhalt sollte sich auf das Wesentliche beschränken.1

1

31, erweitert von Farr um die Angaben, die durch das KonTraG, das Kapitalaufhahmeerleichterungsgesetz (KapAEG) und das Euro-Einfiihrungsgesetz (EuroEG) hinzugekommen sind, siehe Farr (Anhang 2000), S. 1-17. Vgl. Baetge/Schulze (Lageberichterstattung 1998), S. 938.

258

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

Alle Mittlere Große Kapitalgesellschaften Kapitalgesellschaften Kapitalgesellschaften - Angaben zu den einzelnen Posten der Bilanz und der GuV - alternativ in Bilanz, GuV oder im Anhang zu machende Angaben - Erläuterungen zu den angewandten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden - Grundlagen der Währungsumrechnung - Änderungen der Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden - zusätzliche Angaben, wenn der Jahresabschluß nicht aussagekräftig ist - Abweichungen bei der Bewertung mit Verbrauchsfolgeverfahren vom Börsen- oder Markt­ preis - Einbeziehung von Zinsen für Fremdkapital in die Herstellungskosten - Angaben über die Restlaufzeiten und Sicherheiten für Verbindlichkeiten - Beeinflussung der Ergebnisses der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und des außerordentlichen Ergebnisses durch Ertragsteuem - Vorschüsse und Kredite an Untemehmensorgane - Namen und Bezeichnungen von Geschäftsfuhrungs- und Aufsichtsratmitgliedem - Beteiligungen über 20 % mit Zusatzangaben - Gründe für planmäßige Abschreibung nach § 255 Abs. 4 S. 3 HGB - Angaben über Mutteruntemehmen - Angaben über in der Bilanz nicht gesondert ausgewiesene Rück­ stellungen - Restlaufzeiten und Sicherheiten für die einzelnen Verbindlichkeiten - sonstige finanzielle Verpflichtungen - Ausmaß der Ergebnisbeeinflussung und künftiger Steuerbelastungen durch Nutzung steuerlicher Vorschriften - Angaben zur Arbeitnehmeranzahl - Material- und Personalaufwand (gegliedert) bei Anwendung des Umsatzkostenverfahrens - Tätigkeitsvergütungen bei Untemehmensorgane - Bezüge früherer Mitglieder des Unternehmens - Aufgliederung der Umsatz­ erlöse nach Tätigkeitsberei­ chen und geographisch be­ stimmten Märkten

Tabelle 31: Gesetzlich vorgeschriebene Angaben des Anhangs nach § 284 ff. HGB'

Sämtliche Kapitalgesellschaften, die einen Lagebericht aufstellen, haben diesen seit dem Inkrafttreten des KonTraG um einen Risikobericht1 zu erweitern. In

1

Vgl. Schierenbeck (Grundzüge 1999), S. 541 und Kußmaul (Externes Rechnungswesen 1999), S. 499.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

259

diesem Risikobericht ist über die „Risiken der künftigen Entwicklung“ ausdrück­ lich zu berichten.2 Der Lagebericht eignet sich besonders für die semiotische Bilanzanalyse, bietet jedoch auch nützliche Hinweise zur Abrundung der Analyse über die zielgerichtete Ausnutzung des bilanzpolitischen Instrumentariums.

Darüber hinaus können die Prognoseinformationen des Lageberichtes dazu ge­ nutzt werden, Aussagen über ein weiteres, für ein Credit-Rating sehr wichtiges qualitatives Merkmal, nämlich über die Managementqualität zu treffen. Kann man im Rahmen einer Ex-Post-Betrachtung feststellen, daß die im Lagebericht angekündigten Entwicklungen auch tatsächlich eingetreten sind, so unterstreicht diese Treffsicherheit die Glaubwürdigkeit des Managements. Die Glaubwürdig­ keit des Managements ist ein wesentliches Kriterium bei der schwierigen Aufga­ be, die Qualität des Managements zutreffend, objektiv und nachvollziehbar zu beurteilen. 3.

Externe Zugänglichkeit der Rechnungslegungsangaben

Nachdem gezeigt wurde, welcher Informationsreichtum für die qualitative Bi­ lanzanalyse besonders im Anhang und im Lagebericht zu finden ist, ist es für den externen Analytiker wichtig zu wissen, welche Informationen ihm davon zugäng­ lich sind. Denn wie bereits mehrmals angesprochen, stellt die Beschaffung ent­ scheidungsrelevanter Daten das zentrale Problem dar, welches die Aussagefähig­ keit von Kreditwürdigkeitsanalysen begrenzt. Was nutzen dem externen Be­ trachter gesetzliche Berichtspflichten, wenn diese nicht von dem in Betracht kommenden Untemehmenskreis erfüllt werden müssen. Deshalb soll nun ver­ deutlicht werden, welche Unternehmen verpflichtet sind, neben Bilanz und GuV weitere Jahresabschlußkomponenten zu erstellen. Für den externen Betrachter ist zudem interessant, in welcher Frist diese veröffentlicht werden müssen. Darüber hinaus kann über eine gesetzliche Prüfungspflicht auf die Qualität der Rech­ nungslegungsangaben geschlossen werden. Tabelle 32 zeigt die Jahresabschlußkomponenten, die nach HGB von dem jewei­ ligen Untemehmenskreis erstellt werden müssen.3 Grundsätzlich müssen alle Kaufleute eine Bilanz und GuV für das abgelaufene Geschäftsjahr aufstellen. Alle Kapitalgesellschaften und alle Genossenschaften sind zur Erstellung von Anhang und Lagebericht verpflichtet. Bei den sonstigen 1

2 3

Der Begriff des „Risikoberichts“ wurde von Küting und Hütten in die Literatur eingefuhrt, vgl. KUting/HUtten (Lageberichterstattung 1997). Vgl. § 289 Abs. 1 HGB. Siehe auch Coenenberg (Jahresabschluß 1997), S. 20 f..

260

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

Kaufleuten, dies sind Nichtkapitalgesellschaften mit Kaufmannseigenschaft, müssen Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe unter das PubIG fallen - wegen der unterstellten volkswirtschaftlichen Wichtigkeit - zusätzlich noch einen An­ hang und einen Lagebericht erstellen. Kapitalgesellschaften & Co. brauchten bislang noch keinen Anhang und Lagebericht aufzustellen. Durch das Kapitalgesellschaften-und-Co-Richtlinie-Gesetz (KapCoRiLiG), das am 9.3.2000 in Kraft getreten ist1, werden Kapitalgesellschaften & Co. nun auch den strengen Rechnungslegungspflichtcn der Kapitalgesellschaften unterworfen mit der Folge, daß diese Unternehmen einen Anhang und mittelgroße und große Kapitalgesellschaf­ ten & Co. zusätzlich noch einen Lagebericht anzufertigen haben.

Anhang

zusätzliche Komponente Lagebericht

X

X

entfällt

entfällt

X X (entfällt für kleine) X entfällt

’’erweiterter” Jahresabschluß

Unternehmenskreis Alle Kapitalgesellschaften Sonstige Kaufleute 1. Alle Personengesellschaften und alle Einzelkauflcute 2. Unter das PubIG2 fallende Unter­ nehmen, Vereine etc. außer 1. 3. Kapitalgesellschaft & Co. 4. 5.

Genossenschaften Übrige sonstige Kaufleute

Jahresabschluß Bilanz GuV X X

X X

X X

X

X

X X

X X

X X

X entfällt

Tabelle 32: Umfang der Rechnungslegung nach HGB* Was nun die für den externen Betrachter wichtige Offenlegungspflicht der zu erstellenden Jahresabschlußkomponenten betrifft, sind die sonstigen Kaufleute zwar zur Erstellung eines Jahresabschlusses verpflichtet, grundsätzlich jedoch 1 2

3

KAPCoRiLiG vom 24.2.2000, in: BGBL. I 2000, S. 154-162. Gemäß § 1 PubIG fallen unter den Geltungsbereich dieses Gesetzes alle Unternehmen, die an drei aufeinanderfolgenden Abschlußstichtagen jeweils mindestens zwei der drei folgenden Merkmale erfüllen: Die Bilanzsumme einer auf den Abschlußstichtag aufgestellten Jahresbilanz übersteigt 125 Mio. DM. In den 12 Monaten vor dem Abschlußstichtag übersteigen die Umsatzerlöse des Unterneh­ mens 250 Mio. DM. Das Unternehmen hat in den letzten 12 Monaten vor dem Abschlußstichtag durchschnittlich mehr als 5000 Arbeitnehmer beschäftigt. In Anlehnung an Schierenbeck (Grundzüge 1999), S. 524; vgl. auch Coenenberg (Jahresab­ schluß 1997), S. 20 f..

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

261

nicht zu seiner Offenlegung. Für eingetragene Genossenschaften ergibt sich die Offenlegungspflicht aus § 339 HGB, wonach der Jahresabschluß, der Lagebericht und der Bericht des Aufsichtsrates unverzüglich nach der Generalversammlung beim Genossenschaftsregister einzureichen sind. Um externen Interessenten den Jahresabschluß zur Befriedigung ihres Informati­ onsbedürfnisses zugänglich zu machen, ist jede Kapitalgesellschaft verpflichtet, den gesamten Jahresabschluß oder bestimmte Teile daraus innerhalb einer be­ stimmten Frist zu veröffentlichen (§ 325 HGB). Der Umfang der Offenlegungspflicht und der Ort der Veröffentlichung (Handelsregister oder Bundesanzeiger) ist abhängig von der Größenklasse der jeweiligen Gesellschaft (§§ 325 bzw. 327 HGB). Die Kriterien, nach denen sich die Untemehmensgrößenklassen unter­ scheiden, sind die Bilanzsumme, der Umsatz und die Anzahl der Arbeitnehmer. Die Zugehörigkeit einer Kapitalgesellschaft zu einer der drei Klassen bestimmt sich danach, ob die Gesellschaft an zwei aufeinanderfolgenden Abschlußstichta­ gen mindestens zwei der drei nachfolgenden Grenzwerte überschreitet oder nicht überschreitet. Die in Klammem aufgeführten Werte sind die neuen, durch das KapCoRiLiG eingefuhrten Größenkriterien, welche auf Geschäftsjahre, die nach dem 31.12.1998 beginnen, anzuwenden sind.1 Wegen ihrer großen wirtschaftlichen Außenwirkung, besonders aber aufgrund der bei Kapitalgesellschaften häufigen Trennung zwischen Eigentümern des Unter­ nehmens und dessen Geschäftsführungsorganen, sind die Kapitalgesellschaften mit Ausnahme der kleinen Gesellschaften verpflichtet, ihre externe Rechnungsle­ gung, die auch als Rechenschaftslegung der Geschäftsführung gegenüber Außen­ stehenden dient, prüfen zu lassen (§316 HGB). Die Prüfung erstreckt sich auf den Jahresabschluß und den Lagebericht.

1

Vgl. Klein/Pötzsch (Kapitalgesellschaften & Co.-Richtlinien-Gesetz 1999), S. 1509. Die Grö­ ßenkriterien Umsatz und Bilanzsumme erhöhen sich um 26,6 % gegenüber der derzeitigen Rege­ lung. Das Kriterium Beschäftigte bleibt unverändert; Siehe auch Bitter/Grashoff (Anwendungs­ probleme 2000), S. 833.

262

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

Klasse

Bilanzsumme

Umsatz

Arbeit­

in Mio. DM

in Mio. DM

nehmer

Kapital-***^,

gesellschaft kleine

= 5,31

(6,72)

= 10,62

(13,44)

mittlere

= 21,24

(26,89)

= 42,48

(53,78)

= 250

große

>21,24

> (26,89)

>42,48

>(53,78)

>250

= 50

Tabelle 12: Größenklassen von Kapitalgesellschaften1

In Abhängigkeit der dargestellten Größenklassen gibt die nachfolgende Tabelle 13 einen Überblick über die Veröffentlichungs- und Prüfungspflichten für Kapi­ talgesellschaften.2 Durch das bereits genannte KapCoRiLiG gelten diese Rege­ lungen auch für die Kapitalgesellschaft und Co. für Geschäftsjahre, welche nach dem 31.12.1999 beginnen? Veröffent­ lichung

Kleine Kapitalgesellschaft

Keine Offenlegung

Handelsregister

Bundesanzeiger

Bundesanzeiger

Handelsregister

Anhang

Große Kapitalgesellschaft Bundesanzeiger

Handelsregister

Bilanz

GuV

Mittlere Kapitalgesellschaft

Keine Offenlegung

Handelsregister

Bundesanzeiger

Erstellung

6 Monate

3 Monate

3 Monate

Veröffentlichung

12 Monate

9 Monate

9 Monate

Prüfungspnicht

Nein

Ja

Ja

Lagebericht

Fristen:

Tabelle 13: Veröffentlichungs- und Prüfungspflichten für Kapitalgesellschaften

Die Ausführungen zur Offenlegung und Prüfung in Verbindung mit den Erläute­ rungen zum Anhang zeigen, daß für die qualitative Bilanzanalyse Kapitalgesell-

1

2 3

Siehe § 267 HGB und für die in den Klammem aufgefuhrten Angaben Klein/Pötzsch (Kapitalge­ sellschaften & Co.-Richtlinien-Gesetz 1999), S. 1509. Vgl. Kußmaul (Externes Rechnungswesen 1999), S. 502; Coenenberg (Jahresabschluß 1997), S. 22 f.. Vgl. Bittner/Grashoff (Anwendungsprobleme 2000), S. 833.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

263

schäften und dort insbesondere die großen die ergiebigste Informationsquelle sind. Auch stellen Personengesellschaften, die unter das PubIG fallen (Großun­ ternehmen), ein vergleichbares Informationspotential dar. Als aktuelle Entwick­ lung werden durch das KapCoRiLiG künftig auch alle Kapitalgesellschaften und Co. den strengeren Rechnungslegungs-, Veröffentlichungs- und Prüftmgsvorschriften der Kapitalgesellschaften unterliegen.1 Man schätzt die Zahl der betrof­ fenen Kapitalgesellschaft & Co., die nach dem KapCoRiLiG Anhang und Lage­ bericht erstellen müssen, auf rund 100.000.2 Auch wenn gleichzeitig die Größen­ klassen des HGB erhöht werden, so wird sich durch das KapCoRiLiG die Infor­ mationsbasis für die qualitative Bilanzanalyse deutlich vergrößern.

IIL Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten 1.

Erkenntnis wert bilanzpolitischer Instrumente für die qualitative Bilanzanalyse

Wenn man bilanzpolitische Instrumente für die qualitative Bilanzanalyse nutzen will, stellt sich zunächst die Frage, welche bilanzpolitischen Instrumente über­ haupt für einen externen Analysten erkennbar sind. Im Hinblick auf ihren Analy­ sewert kann das bilanzpolitische Instrumentarium eingeteilt werden in:3 1.

bilanzpolitische Maßnahmen, deren quantitative Auswirkung auf das ver­ mittelte Bild der Untemehmenslage erkennbar sind,

2.

bilanzpolitische Maßnahmen, die zwar dem Grunde nach erkennbar sind, deren Auswirkungen jedoch nicht quantifiziert werden können,

3.

bilanzpolitische Maßnahmen, die weder dem Grunde nach, noch der Höhe nach identifiziert werden können.

Bei der ersten Gruppe ist klar erkennbar, welche Auswirkungen das bilanzpoliti­ sche Instrumentarium auf den Jahresabschluß hat. Der sich aus ihrer zielgerich­ teten Ausnutzung ergebende Einfluß kann quantifiziert und die wahre Untemeh­ menslage ermittelt werden. Bei der zweiten Gruppe ist dies schwieriger. Zwar kann der externe Analytiker hier in Erfahrung bringen, daß beeinflussende Maß­ nahmen stattfanden, jedoch kann er keine Aussage über die Höhe des Einflusses 1 2 1

Vgl. Klein/Pötzsch (Kapitalgesellschaften & Co.-Richtlinien-Gesetz 1999), S. 1509-1511. Vgl. Strobel (Verschärfung 1999), S. 33. Vgl. Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 417.

264

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

abgeben. Aus diesem Grund reduzieren sich die Möglichkeiten der Bilanzanalyse auf die Angabe von Tendenzaussagen, dergestalt, daß der Jahresabschluß eine tendenziell bessere oder schlechte Untemehmenslage ausweist, als die die sich ohne zielgerichteten Einsatz dieser Instrumente ergeben hätte. Die dritte Gruppe hinterläßt keine Spuren in dem Jahresabschluß, die betreffenden bilanzpolitischen Maßnahmen sind für den externen Adressaten nicht erkennbar. Durch die für einen externen Adressaten unsichtbare Ausübung werden die Aussichten auf eine aussagefähige Bilanzanalyse unkorrigierbar verringert.

Betrachtet man die verschiedenen Instrumente der Bilanzpolitik, so kann ihr Nut­ zen für die qualitative Bilanzanalyse wie folgt beschrieben werden: Was die gesetzlichen Wahlrechte betrifft, so sind im HGB weitgehende Berichts­ pflichten festgelegt, die es dem externe Analytiker erlauben, ihre Ausübung dem Grunde nach zu erkennen. Ob die Höhe ihres Einflusses erkennbar ist, hängt davon ab, wie der Bilanzierende seine Berichterstattung vomimmt, konkret, wie er Erläuterungswahlrechte nutzt, die ihm die Möglichkeit einräumen, bestimmte Sachverhalte entweder betragsmäßig oder in verbaler Form anzugeben. Als Bei­ spiel sei der (betragsmäßig oder verbal) zu erläuternde Einfluß über die Änderung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden nach § 284 Abs. 2 Nr. 3 HGB genannt.

Naturgemäß sind Ermessensspielräume schwieriger bis gar nicht zu erfassen, da sie keine Entscheidung zwischen objektiv unterscheidbaren Alternativen abbil­ den, sondern mit ihnen bereits eine subjektive Wertfindung verbunden ist. Zudem muß der Bilanzierende über die unterscheidbaren Alternativen und die von ihm getroffene Entscheidung keine Angaben machen. Ein Weg, wie trotzdem Ermes­ sensspielräume erkannt und für die Bilanzanalyse genutzt werden könnten, be­ steht darin, den jeweiligen in Rede stehenden Sachverhalt in einem Gesamtkon­ text zu beurteilen. So könnten z. B. die vom Bilanzierenden gewählten Bewer­ tungsgrößen wie Nutzungsdauern oder Bemessung von Abschreibungen durch Vergleich mit Branchendurchschnittswerten relativiert werden. Über die Ausübung von Sachverhaltsgestaltung wird meistens ebenfalls nicht berichtet, so daß die qualitative Bilanzanalyse in diesem Bereich der Bilanzpolitik auf freiwillige Jahresabschlußangaben angewiesen ist. Der externe Analytiker kann sich zusätzliche Erkenntnisse zur Sachverhaltsgestaltung verschaffen, indem er die unterschiedlichen Detailinformationen im Jahresabschluß genau analysiert und zueinander in Beziehung setzt. Eine liquiditätsverbessemde Sachverhaltsge­ staltung besteht z. B. darin, vor dem Bilanzstichtag Wertpapiere zeitlich befristet zu verkaufen und diese nach dem Bilanzstichtag wieder zurückzuerwerben. Diese Transaktion wird in Form eines unechten Pensionsgeschäfts durchgefuhrt, bei der

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

265

der Pensionsnehmer (Partei, auf die die Vermögensgegenstände übertragen wer­ den) nicht zur Rückübertragung verpflichtet ist, jedoch ein Andienungsrecht gegenüber dem Pensionsgeber (Partei, der die Vermögensgegenstände gehören) besitzt. Damit tritt der erwünschte Effekt ein, daß das Pensionsgut zum Stichtag aus der Bilanz des Pensionsgebers verschwindet und sich die liquiden Mittel im Gegenzug erhöhen. Für den externen Bilanzanalytiker wird diese Transaktion erst durch eine Anhangangabe ersichtlich, da der Pensionsgeber gemäß den Grundsät­ zen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) über die sich ergebende Rücknahme­ verpflichtung im Jahresabschluß zu berichten hat.1 Es soll nun ein Konzept entwickelt werden, wie das bilanzpolitische Instrumenta­ rium systematisch analysiert und zu einem neuen Merkmal Bilanzierungsverhal­ ten verdichtet werden können. 2.

Vorgehensweise zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

Will man systematisch bestimmen, welche Bilanzpolitik ein Unternehmen kon­ kret anwendet, so kann sich eine Auswertung nur auf die Ausnutzung solcher bilanzpolitischer Gestaltungsmöglichkeiten stützen, die für einen externen Ana­ lytiker zumindest dem Grunde nach erkennbar sind. Die Auswertung stützt sich deshalb vor allem auf die Ausübung von Wahlrechten, jedoch werden auch Er­ messensspielräume und bilanzverändemde Sachverhaltsgestaltungen einbezogen, wenn ihr Einsatz aus dem Jahresabschluß erkennbar ist. Das Konzept hat zum Ziel, die einzelnen Bilanzierungsmerkmale zu einem abschließenden Urteil über die vom Unternehmen angewendete Bilanzpolitik zu verdichten. Dieses Urteil ist das Bilanzierungsverhalten des Unternehmens.

Bedeutsam für die Bonitätsanalyse ist dabei die bereits erwähnte empirisch bestä­ tigte Regel, daß sich gute Unternehmen durch konservative Bilanzpolitik tenden­ ziell ’’ärmer” und schlechte Unternehmen durch progressive Bilanzpolitik tenden­ ziell ’’reicher” rechnen. Demzufolge spricht konservatives Bilanzierungsverhalten tendenziell für einen gewinnmindemden Einsatz der zur Verfügung stehenden Instrumente, progressives Bilanzierungsverhalten für tendenziell gewinnsteigemde Ausnutzung der Instrumente, neutrales Bilanzierungsverhalten hat keinen

Die Bestimmungen in § 340 b HGB gelten zwar formell nur für Kreditinstitute, bringen jedoch hinsichtlich der Behandlung von Pensionsgeschäften im Jahresabschluß GoB zum Ausdruck. Sie sind daher von allen Kaufleuten zu beachten, wenn diese an Pensionsgeschäften untereinander oder mit Kreditinstituten beteiligt sind, vgl. Adlcr/DUring/Schmalz (§ 246 HGB, 1987/1992), Textziffer 167 ff.

266

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

auffälligen Effekt auf die Ergebnislage, da dieses „normale“ Verhalten von der Mehrzahl deutscher Unternehmen angewendet wird. Die Mehrzahl der Unter­ nehmen wird definiert als 60 % aller für die Auswertung zur Verfügung stehender Unternehmen. Was als neutrales Bilanzierungsverhalten angesehen wird, be­ stimmt sich damit empirisch. Die Auswertung des angewendeten bilanzpoliti­ schen Instrumentariums wird in Form einer Abweichungsanalyse betrieben. Ziel der Analyse ist es festzustellen, ob das Bilanzierungsverhalten des zu analysie­ renden Unternehmens von dem der meisten Unternehmen abweicht. Wird eine Abweichung von neutralem Bilanzierungsverhalten - der deutschen Normbilan­ zierung - festgestellt, soll auch die Richtung der Abweichung (konservativ oder progressiv) bestimmt werden.1 Zur systematischen Bestimmung des Bilanzierungsverhaltens wurde folgende Checkliste entwickelt (siehe Abbildung 45). Gemäß dem zuvor dargelegten Ziel, die Ausrichtung der Bilanzpolitik zu bestimmen, umfaßt sie für das qualitative Bilanzierungsverhalten drei Spalten (konservativ, neutral, progressiv). Aus der vorgenommenen Einteilung des bilanzpolitischen Instrumentariums in Wahl­ rechte, Ermessensspielräume und bilanzverändemde Sachverhaltsgestaltung er­ gibt sich die vertikale Gliederung der Checkliste.

Für das in der folgenden Checkliste aufgelistete bilanzpolitische Instrumentarium werden die einzelnen Merkmalsausprägungen gemäß ihrer Wirkung den Spalten konservativ, neutral oder progressiv zugeordnet. Durch ’’Abzählen” läßt sich dann bestimmen, ob ein Unternehmen die bilanzpolitischen Instrumente so wie die meisten im Geschäftsverkehr vorkommenden Unternehmen ausübt, oder ob es in der einen oder anderen Richtung davon ab weicht. Ergibt sich eine Tendenz dieser Abweichungen, wird das Bilanzierungsverhalten entsprechend als konservativ oder progressiv eingestuft. Der Vorteil des „Abzählens“ besteht darin, daß auch bilanzpolitische Maßnahmen ausgewertet werden können, die nur dem Grunde nach erkennbar sind, deren Auswirkungen ein externer Analytiker jedoch nicht quantifizieren kann.

Das hier skizzierte Vorgehen zur Ermittlung des Bilanzierungsverhaltens erfolgt in Anlehnung an den qualitativen Teil des von Kilting entwickelten Saarbrücker Modells, siehe Küting/Weber (1999), S. 424429. Die dort für Konzerne geschilderte Vorgehensweise wurde von der Verfasse­ rin verfeinert und auf Einzelabschlüsse übertragen.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

Bilanzpolitisches Instrumentarium

konservativ Tendenz: Verringerung des Jahreserfolges

neutral Tendenz: keine besondere Auswir­ kung auf den Jahreserfolg

Ansatzwahlrechte

Bcwertungswahlrechte

Ermessensspielräume

Bilanzverändernde Sachvcrhaltsgestaltung Summe

1

Summe



267

progressiv Tendenz: Erhöhung des Jahres­ erfolgs 1 11 11 •1 1 1 11 11 1 1 11 1 11 11 11 11 11 11 11 Summe

!

Abbildung 45: Entwurf einer Checkliste zur systematischen Erfassung des Bilan­ zierungsverhaltens

Auch kann der externe Analyst bei einigen Wahlrechten kaum erkennen, ob die Voraussetzung zur Ausübung des Wahlrechts überhaupt gegeben waren. Werden beispielsweise Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Ge­ schäftsbetriebs aktiviert, ist dies ein Merkmal für progressive Bilanzierung. Je­ doch kann aus der Tatsache, daß keine derartigen Aufwendungen aktiviert wur­ den, nicht automatisch geschlossen werden, daß das Unternehmen konservativ bilanziert. Denn zunächst wäre zu klären, ob die Voraussetzungen zur Ausübung des Wahlrechts überhaupt vorlagen, konkret: ob im Berichtszeitraum überhaupt Aufwand für eine Erweiterung der Vertriebsorganisation angefallen ist. Da dem externen Analysten solche Angaben jedoch oft fehlen, muß durch das Auswer­ tungskonzept sichergestellt werden, daß in einer solchen Situation wie der skiz­ zierten, keine unzutreffenden Schlußfolgerungen gezogen werden. Vermieden wird dies dadurch, daß die fraglichen Merkmale dann bei neutralem Bilanzie­ rungsverhalten eingeordnet werden. Eine Einordnung bei neutral besagt, daß das betreffende Bilanzierungsmerkmal für die weitere Auswertung keinen neuen Erkenntniswert besitzt. Deshalb macht es in dem Fall keinen Unterschied mehr, ob die Aktivierung unterblieb, weil das Wahlrecht nicht ausgeübt wurde oder überhaupt nicht aktiviert werden konnte, weil kein derartiger Sachverhalt gegeben war.

268

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

Ein anderer Ansatz, bilanzpolitische Gestaltungsmöglichkeiten bei der Unter­ nehmensanalyse zu berücksichtigen, besteht darin, die betreffenden Kennzahlen um besonders manipulationsanfällige Bilanzpositionen zu bereinigen. Diesen auf Neutralisierung ausgerichteten Weg gehen z. B. Hüls1 und Baetge2. Sie errechnen „normierte“ Kennzahlen, indem die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen um bilanzpolitische Elemente bereinigt werden. Hierzu sei folgende kritische An­ merkung erlaubt. Wegen der Vielzahl legaler Gestaltungsmöglichkeiten, die die deutsche Rechnungslegung bietet, ist es für einen externen Analytiker kaum möglich, bilanzpolitische Einflüsse erschöpfend aus den Kennzahlen zu eliminie­ ren. Zudem setzt die Berechnung dieser normierten Kennzahlen voraus, daß der bilanzpolitische Einfluß quantifiziert werden kann. Oftmals ist es aber nur mög­ lich festzustellen, ob und wenn ja: in welche Richtung ein Jahresabschluß bilanz­ politisch beeinflußt ist. In diesen Fällen können normierte Kennzahlen nicht be­ rechnet werden, wohl kann aber das Bilanzierungsverhalten ermittelt werden. Anstelle der pauschalen Korrektur von Jahresabschlußkennzahlen wird in dieser Arbeit daher der Weg beschritten, die Bilanzpolitik eines Unternehmens als ei­ genständiges Merkmal zu ermitteln und in einem quantitativen Credit-Rating zu verarbeiten. Ziel des vorgestellten Auswertungskonzeptes ist es, das ermittelte Bilanzierungs­ verhalten als eigenständiges Merkmal in einem quantitativen Credit-Rating ob­ jektiv, nachvollziehbar und zutreffend zu verarbeiten. Damit geht die vorliegende Arbeit über das von Küting entwickelte Saarbrücker Modell hinaus? Bei der von Küting im Rahmen seines Saarbrücker Modells durchgefuhrten qualitativen Bi­ lanzanalyse werden zwar auf der Grundlage von einer Checkliste, die die Ausnut­ zung bilanzpolitischer Instrumente analysiert, Tendenzaussagen zu der von einem Konzemuntemehmen angewendeten Bilanzpolitik gemacht.4 Für ein quantitatives Rating wünschenswert wäre es jedoch, wenn die aus der qualitativen Bilanzana­ lyse gewonnenen Erkenntnisse dazu genutzt werden könnten, die manipulierten Bilanzkennzahlen im nachhinein zu ’’korrigieren”. Eine Möglichkeit, wie die gewonnenen Erkenntnisse über das Bilanzierungsverhalten für eine möglichst objektive Untemehmensbeurteilung eingesetzt werden können, zeigt der 2. Teil Abschnitt B. I. 2. dieser Arbeit. Dort wird das qualitative Merkmal Bilanzie­ rungsverhalten zusammen mit herkömmlichen Jahresabschlußkennzahlen in einer

1 2 3 4

Vgl. Hüls (Früherkennung 1995), S. 95-98. Vgl. Baetge (Bilanzanalysc 1998), S. 30-32. Zum Saarbrücker Modell vgl. Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 420-429. Vgl. Küting/Weber (Bilanzanalyse 1999), S. 426-429.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

269

Diskriminanzanalyse verarbeitet.1 Eine andere Möglichkeit, das Bilanzierungs­ verhalten in ein quantitatives Rating einzubeziehen, basiert auf der Fuzzy-Logik. Diese, auf der Fuzzy-Logik beruhende Vorgehens weise besitzt gegenüber der Einbeziehung in die Diskriminanzanalyse den Vorteil, daß das Bilanzierungsver­ halten differenzierter verarbeitet und der Graubereich der Diskriminanzanalyse wesentlich verringert werden kann. Sie wird deshalb noch näher dargestellt.2 Unabhängig davon ermöglichen es beide Ansätze, das analysierte Bilanzierungs­ verhalten des betreffenden Unternehmens objektiv in ein quantitatives Rating einzubeziehen.

Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, daß sich das vorgestellte Konzept zur Ermittlung des Merkmals Bilanzierungsverhalten, d. h. die auf Basis einer Checkliste vorgenommene Abweichungsanalyse, prinzipiell auch auf andere qualitative Merkmale übertragen läßt, die - wie das Bilanzierungsverhalten zunächst schwer objektiv und nachvollziehbar zu bestimmen sind. Ein solches wichtiges, jedoch nur schwer objektiv faßbares qualitatives Merkmal ist die Ma­ nagementqualität. Übertragen auf die Managementqualität wäre in einem ersten Schritt zu klären, welches aussagefähige Merkmale zur Beurteilung der Manage­ mentqualität sind. Als nächster Schritt müßte auch hier ermittelt werden, welche Ausprägungen ceteris paribus einem „normalen“ Managementverhalten zugeord­ net werden können, welche Ausprägungen als „schlechtes“ und welche als „gu­ tes“ Managementverhalten eingestuft werden. Dann könnte die Auswertung ana­ log zu der des Bilanzierungsverhaltens erfolgen.

3.

Grenzen in der Ermittlung eines aussagefahigen Bilanzierungsverhaltens

Das deutsche Bilanzrecht ist in seiner Grundkonzeption durch die sogenannte einfache Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz gekennzeichnet. Da­ nach soll die Handelsbilanz die Grundlage und gleichzeitig die Richtschnur für die steuerliche Gewinnermittlung sein. Grundsätzlich ist damit jeder einzelne ordnungsgemäße Ansatz in der Handelsbilanz für die Steuerbilanz maßgeblich, sofern nicht das Steuerrecht besondere Vorschriften enthält. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz wird in der steuerlichen Rechtsprechung jedoch eng ausgelegt, da diese dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit Vorrang einräumt.3 Als Folge wird die

’ 2 3

Vgl. Ausführungen zur linearen Diskriminanzanalyse mit quantitativen und qualitativen Merk­ malen im 2. Teil B. I. 2. Vgl. Ausführungen zum qualitativen Modul im folgenden Abschnitt C. Vgl. auch Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.) (WP-Handbuch 1996), S. 293.

2 70

B. Konzept zur Ermittlung des qualitativen Merkmals Bilanzierungsverhalten

Maßgeblichkeit handelsrechtlicher Bilanzierungswahlrechte für die Steuerbilanz vom BFH verneint. So bestimmt der BFH-Beschluß vom 03.02.1969, daß in der Steuerbilanz für handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte grundsätzlich eine Aktivierungspflicht und für Passivierungswahlrechte grundsätzlich ein Passivie­ rungsverbot besteht.1 Im Ergebnis schränkt das Steuerrecht das bilanzpolitische Instrumentarium er­ heblich ein, so daß aufgrund der Steuerbilanz kaum ein aussagekräftiges Bilanzie­ rungsverhalten ermittelt werden kann. Letztlich macht die Auswertung der Steu­ erbilanz unter bilanzpolitischen Gesichtspunkten ohnehin kaum Sinn, da das Bestreben eines jeden kaufmännisch tätigen Unternehmers darin liegen dürfte, die steuerliche Bemessungsgrundlage, mithin den zu versteuernden Gewinn, mög­ lichst gering zu halten. Ansatzpunkte für das Bilanzierungsverhalten ergeben sich bei einer Steuerbilanz daher weniger bei den noch verbleibenden Wahlrechten (Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter) und bei den ohnehin steuerlich stark eingeschränkten Ermessensspielräumen, sondern allenfalls bei Vorgängen, die die bilanzpolitische Sachverhaltsgestaltung betreffen. Insgesamt dürfte der bilanzpolitische Erkenntniswert in Steuerbilanzen gering sein.

Auch die Handelsbilanz wird durch fiskalische Motive beeinflußt, da das Steuer­ recht bei einigen Positionen die Anerkennung davon abhängig macht, daß zuvor ein entsprechender Wertansatz in der Handelsbilanz gewählt wurde. Denn nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG sind steuerliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung grund­ sätzlich in Übereinstimmung mit der Handelsbilanz auszuüben. Dieser Grundsatz wird als umgekehrte Maßgeblichkeit2 bezeichnet. Er bezieht sich nur auf den Einzelabschluß, denn nur dieser ist in Deutschland Gegenstand der Besteuerung. Die umgekehrte Maßgeblichkeit wird heftig kritisiert,3 weil durch sie der Einblick in die handelsrechtliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage erheblich verzerrt werden kann. Mit ihr gehen nämlich Vermögensminderungen in den handels­ rechtlichen Jahresabschluß ein, die nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen. Steuerliche Tatbestände, die diese Verzerrungen ver­

1

2 ’

Vgl. Coenenberg (Jahresabschluß 1997), S. 82. Von dieser Regelung gibt es jedoch Ausnahmen: Trotz handelsrechtlichem Aktivierungswahlrecht bestehen für Aufwendungen der Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebs und für aktive latente Steuern ein Aktivierungsverbot, da das Steuerrecht die Bilanzierungsfahigkeit handelsrechtlicher Bilanzierungshilfen grundsätzlich verneint, sofern nicht gleichzeitig bilanzierungsfähige Wirtschaftsgüter vorliegen, wie z. B. beim derivativen Finnenwert. Andererseits wird das handelrechtliche Passivi erungs wahlrecht für vor dem 1.1.1987 begründete Pensionsverbindlichkeiten auch steuerrechtlich anerkannt (§ 6a EStG). Vgl. Adler/Düring/Schmalz (§ 279 HGB, 1987/1992), Textziffer 25 ff.. Vgl. stellvertretend Küting (Wahrheitsgehalt 1997), S. 84.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

271

Ursachen, sind im wesentlichen die Inanspruchnahme sogenannter steuerlicher Sonderabschreibungen nach § 254 HGB, die eine Kapitalgesellschaft gemäß § 279 Abs. 2 HGB nur dann vornehmen kann, wenn das Steuerrecht die Anerken­ nung des (niedrigeren) Wertes davon abhängig macht, daß sich dieser Wert aus der Handelsbilanz ergibt. Solche steuerlichen Sonderabschreibungen sind etwa die Begünstigung bestimmter Standorte (z. B. § 4 Fördergebietsgesetz), und Be­ triebe (z. B. §§ 7 f, 7 g EStG), der Importwarenabschlag (§ 80 EStDV) sowie die Übertragung stiller Reserven gemäß § 6 b EStG.1 Ihnen gemeinsam ist, daß sie in keinerlei Zusammenhang mit der aufgrund tatsächlicher Wertminderungen han­ delsrechtlich notwendigen Abschreibung stehen. Durch sie wird deshalb sowohl der Vermögensausweis (zu niedrige Wertansätze) als auch der Erfolgsausweis (zu hohe als Aufwendungen verrechnete Abschreibungen) in der Bilanz verfälscht. Unter bilanzpolitischen Erwägungen sind sie ein Zeichen für konservatives Bi­ lanzierungsverhalten. Aus Vereinfachungsgründen kommt es in der Praxis oft vor, daß gerade kleinere und mittlere Unternehmen nicht zwei getrennte Bilanzen in Form von Handelund Steuerbilanz, sondern nur eine Bilanz, die sogenannte Einheitsbilanz aufstel­ len. Unter bilanzpolitischen Gesichtspunkten ist sie wie eine Steuerbilanz zu behandeln, mit allen bereits zur Steuerbilanz vorgetragenen Einschränkungen. Die Frage stellt sich, warum angesichts dieser Einschränkungen überhaupt ein Bilanzierungsverhalten für Einheits- und Steuerbilanzen festgestellt werden muß, ob bei diesen nicht gänzlich auf eine bilanzpolitische Analyse verzichtet werden könnte. Notwendig wird die Bestimmung eines Bilanzierungsverhaltens für alle Unternehmen, da die sich hinter einem quantitativen Rating verbergenden ma­ thematisch-statistischen Verfahren grundsätzlich nicht mit fehlenden Werten arbeiten können. Hier zeigt sich wieder die Missing-Value-Problematik. Gelöst wird sie in der vorliegenden Situation dadurch, daß das Auswertungsverfahren zur Bestimmung des Bilanzierungsverhaltens so konzipiert ist, daß es bei Steuerund Einheitsbilanzen in den meisten Fällen zu dem Urteil „neutrales Bilanzie­ rungsverhalten“ führt. Dadurch wird ein Bilanzierungsverhalten unterstellt, das auf das Ratingurteil keinen besonderen Einfluß ausübt, weil für das Bonitätsurteil nur die Abweichungen von „neutral“ bedeutsam sind.

1

Siehe auch Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.) (WP-Handbuch 1996), S. 236-251.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

C.

Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur regelbasierten Einbeziehung qualitativer Merkmale

I .

Der qualitative Kriterienkatalog für die untersuchten Unternehmen

1 .

Für die Ermittlung des Bilanzierungsverhaltens aussagekräftige Einzelmerkmale

273

Nachdem die grundsätzliche Vorgehens weise zur Ermittlung des Bilanzierungs­ verhaltens dargelegt wurde, sollen nun die Einzelmerkmale näher erläutert wer­ den, die sich aus der Praxiserfahrung heraus als besonders geeignet erwiesen haben, um auf ihrer Grundlage ein Urteil über das Bilanzierungsverhalten zu fällen. Die folgende Betrachtung zielt darauf ab, die aufgefuhrten Bilanzierungs­ merkmale kurz zu erläutern und sie im Hinblick auf ihre Aussagekraft für das Bilanzierungsverhalten den einzelnen in der Checkliste aufgefuhrten Spalten (konservativ, neutral oder progressiv) realitätsnah zuzuordnen. Für die bilanzpo­ litische Auswertung standen empirische Daten aus dem Geschäftsverkehr der Deutschen Bundesbank zur Verfügung, so daß bekannt war, ob das Unternehmen im Betrachtungszeitraum solvent blieb oder insolvent wurde. Von dem analy­ sierten Bilanzierungsverhalten können damit nicht nur Rückschlüsse auf die Er­ tragslage, sondern direkt auf die Bestandsfestigkeit des Unternehmens gezogen werden. Auf dieser Grundlage werden Merkmale, die überwiegend solvente Un­ ternehmen besitzen, und die daher für eine gute Bonität sprechen, dem konserva­ tiven Bilanzierungsverhalten zugeordnet, Merkmale insolventer Unternehmen dem progressiven Bilanzierungsverhalten. Letztere deuten auf eine geschwächte Bestandsfestigkeit hin. Ergeben sich keine eindeutigen Bonitätshinweise, ent­ spricht das Merkmal der allgemeinen Bilanzierungspraxis, so wird es als neutral angesehen.

Um die Aussagefähigkeit der Einzelmerkmale, die die Ausnutzung des bilanzpo­ litischen Instrumentariums widerspiegeln, zu bestimmen, werden dieselben Un­ ternehmen betrachtet, die anhand ihrer Bilanzkennzahlen bereits im quantitativen Modul analysiert wurden. Denn vergegenwärtigt man sich nochmals den Mo­ dellaufbau, so sollen die qualitativen Merkmale dazu dienen, das auf Basis der quantitativen Merkmale ermittelte Bonitätsurteil im Sinne einer stärkeren Ein­ deutigkeit abzurunden. Von den eingangs verwendeten 1538 Unternehmen waren jedoch nur für 1475 Unternehmen qualitative Bilanzierungsmerkmale verfügbar. Die folgende Analyse stützt sich auf diese 1475 Unternehmen. Von diesen sind

274

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

719 solvente Unternehmen (48,75 %) und 756 insolvente Unternehmen (51,25 %). Die leicht unterschiedlichen a-priori-Wahrscheinlichkeiten wurden bei der datenbasierten Bestimmung aussagefähiger Bilanzierungsmerkmale berück­ sichtigt. A ns atzwahlrechte:



Geschäfts- oder Firmenwert aus Erwerb nach § 255 Abs. 4 HGB Der entgeltlich erworbene (derivative) Geschäfts- oder Firmenwert stellt den Unterschiedsbetrag dar, um den die für die Übernahme eines Unternehmens bewirkte Gegenleistung den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände des Unternehmens abzüglich Schulden zum Zeitpunkt der Übernahme übersteigt. § 255 HGB bietet nun die Möglichkeit, ihn als Bilanzierungshilfe1 zu aktivie­ ren oder sofort als Aufwand zu verbuchen. Über die Behandlung des deriva­ tiven Geschäfts- oder Firmenwertes muß im Anhang berichtet werden (§ 285 Nr. 13 HGB). Da in der Praxis ein Geschäfts- oder Firmenwert zumeist als Aufwand verbucht wird, ist diese Behandlung dem neutralen Bilanzierungs­ verhalten zuzuordnen, eine ertragsschonende Aktivierung mit späterer Ab­ schreibung spricht hingegen für progressives Bilanzierungsverhalten. Die progressive Wertung eines aktivierten Geschäfts- und Firmenwertes zeigt sich auch im Datenmaterial. Von insgesamt 79 Unternehmen, die diese Bilanzpo­ sition auswiesen, wurden mehr als die Hälfte, nämlich 46, später insolvent.

• Aufwendungen für Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebes Wahlweise können Aufwendungen für Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebs nach § 269 HGB als Bilanzierungshilfe aktiviert oder sofort abgeschrieben werden. Im Anhang ist die Position zu erläutern, ihre Ent­ wicklung ist im Anlagenspiegel darzustellen (§ 268 Abs. 2 S. 1 HGB). Gemäß der allgemeinen Praxis spricht eine sofortige Abschreibung für neutrales Bi­ lanzierungsverhalten, eine Aktivierung als Bilanzierungshilfe hingegen für progressives Bilanzierungsverhalten. Die mit einer Aktivierung verbundene tendenziell bonitätsmindemde Signalwirkung wurde durch das Datenmaterial eindeutig bestätigt. Von 32 Unternehmen, die eine Aktivierung vomahmen, wurden 28 später insolvent.

Eine Bilanzierungshilfe ermöglicht es, Aufwendungen zu aktivieren und diese über mehrere Perioden abzuschrciben. Durch sie können einmalige, grundsätzlich nicht aktivierungsfähige, aber in der Zukunft erfolgswirksame Ausgaben periodisiert werden. Bilanzierungshilfen entsprechen der dynamischen Bilanzauffassung, deren bedeutendster Vertreter Schmalenbach ist. Aufwen­ dungen sollen demnach denjenigen Perioden zugerechnet werden, in denen sie zu entsprechenden Erträgen fuhren, vgl. Cocnenberg (Jahresabschluß 1997), S. 108.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

275

• Aktivierung geringwertiger Wirtschaftsgüter (GWG) Im Jahr der Anschaffung oder Herstellung können Anschaffungs- oder Her­ stellungskosten von beweglichen Wirtschaftsgütem des Anlagevermögens, die der Abnutzung unterliegen und einer selbständigen Nutzung fähig sind, in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden (§ 6 Abs. 2 EStG), sofern sie 800,- DM netto nicht übersteigen (geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG). Diese, in erster Linie für das Steuerrecht geschaffene Regelung ist auch in der Handelsbilanz möglich. Angaben, wie mit geringwertigen Wirt­ schaftsgütem verfahren wird, finden sich bei der Erläuterung der Bilanzie­ rungs- und Bewertungsmethoden, zu der das Unternehmen verpflichtet ist (§ 284 Abs. 2 Nr. 1 HGB). Die meisten Unternehmen machen von der sofortigen Abschreibung GWG Gebrauch, das Merkmal „sofortige Abschreibung GWG“ ist damit dem neutralen Bilanzierungsverhalten zuzurechnen. Die Aktivierung spricht für ein progressives Verhalten. Auch die Datenbasis belegt mit 62 später insolvent gewordenen Unternehmen zu 13 solventen die progressive Wirkung der Aktivierung von GWG . • Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 1 und2 HGB § 249 Abs. 2 HGB räumt für sämtliche Aufwandsrückstellungen, welche die Kriterien des HGB erfüllen1, ein Passivierungswahlrecht ein. Es soll den Un­ ternehmen ermöglicht werden, Vorsorge für konkrete künftige Aufwendungen vorzunehmen, die dem Geschäftsjahr oder einem früheren zuzuordnen sind. Aufwandsrückstellungen können für Großreparaturen, Entsorgungsmaßnah­ men und Sicherheitsinspektionen wie auch für Personalaufwendungen (nach­ zuholende Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, Vorsorgeuntersuchungen, spä­ ter zu leistende Abfindungen) gebildet werden. Darüber hinaus kommen un­ terlassene Instandhaltungen und Abraumbeseitigungen in Frage, die erst nach Ablauf der in § 249 Abs. 1 HGB genannten Fristen vorgenommen werden. Charakteristisch für Aufwandsrückstellungen ist, daß diese keine Verpflich­ tung gegenüber einen Dritten begründen, steuerlich werden sie deshalb nicht anerkannt. Gemäß § 285 Abs. 12 HGB sind von Kapitalgesellschaften Auf­ wandsrückstellungen zu erläutern, sofern sie einen nicht unerheblichen Um­ fang haben. Werden Aufwandsrückstellungen gebildet, so ist dies als ein Merkmal konservativer Bilanzierung anzusehen, wie auch die Datenbasis An die Zulässigkeit von Aufwandsrückstellungen werden nachstehende Voraussetzungen gestellt, die stets erfüllt sein müssen: Die Aufwendungen müssen ihrer Eigenart nach genau umschrieben werden können, sie müssen bereits abgelaufenen Geschäftsjahren zurechenbar sein, sie müssen wahrscheinlich oder sicher zu Ausgaben führen, die Höhe der Ausgaben oder der Zeitpunkt ihres Eintritts müssen unbestimmt sein (§ 249 Abs. 2 HGB).

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

276

zeigt: Unter den insgesamt 286 Unternehmen, die Aufwandsrückstellungen bildeten, waren 170 solvente und 116 später insolvente Unternehmen. Liefert der vorliegende Jahresabschluß keine Hinweise auf die Bildung von Auf­ wandsrückstellungen, so ist von neutralem Bilanzierungsverhalten auszuge­ hen.

Bewertungswahlrechte-.



Umfang der Herstellungskosten Fertige und unfertige Produkte sowie selbst hergestellte Anlagegüter (Gebäu­ de, Maschinen) sind zum Bilanzstichtag mit den Herstellungskosten (§ 255 Abs. 2 HGB) zu bewerten. Über den Umfang der Herstellungskosten hat das Unternehmen im Rahmen der angewandten Bilanzierungs- und Bewertungs­ methoden zu berichten (§ 284 Abs. 2 Nr. 1 HGB). Dem Umfang der einzube­ ziehenden Bestandteilen entsprechend können mehrere Wertgrenzen unter­ schieden werden:



Handelsrechtliche Wertuntergrenze Zwingend vorgeschrieben ist der Ansatz derjenigen Aufwendungen, wel­ che dem hergestellten Produkt direkt zugerechnet werden können. Es han­ delt sich um die sogenannten Einzelkosten. Die Einzelkosten bilden die handelsrechtliche Untergrenze der Herstellungskosten (in Steuerbilanzen ist die Bewertung nach Einzelkosten nicht möglich). Die Einzelkosten set­ zen sich aus Materialkosten (verbrauchte Roh- und Hilfsstoffe), Ferti­ gungskosten (Fertigungslöhne und -gehälter) sowie Sonderkosten der Fer­ tigung (Sonderbetriebsmittel, Leasinggebühren) zusammen. Wird das Ak­ tivierungspotential so gering wie möglich gehalten, indem nur die Einzel­ kosten angesetzt werden, ist dies ein Hinweis auf konservative Bilanzie­ rungspraxis, die vornehmlich von bestandsfesten Unternehmen angewen­ det wird. Von 79 Unternehmen insgesamt, die nur Einzelkosten ansetzten, blieben 42 solvent, 37 wurden später insolvent.



Mehr als handelsrechtliche, aber höchstens steuerliche Wertuntergrenze Handelsrechtlich dürfen nach § 255 Abs. 2 S. 3 HGB angemessene Teile der erforderlichen Material- und Fertigungs gemeinkosten in die Herstel­ lungskosten eingerechnet werden, im Steuerrecht sind sie zwingend in die Herstellungskosten einzurechnen (Abschnitt 33 EStR). Als angemessen gelten die gewöhnliche Aufwendungen, die weder betriebs- noch peri­ odenfremd sind. Die steuerliche Untergrenze bilden die schon genannten Einzelkosten zuzüglich Materialgemeinkosten (Kosten des Einkaufs, Ko­

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

217

sten der Lagerverwaltung) und Fertigungsgemeinkosten (Arbeitsvorberei­ tung, Betriebsleitung, Abschreibungen auf Fertigungsanlagen).1 In dieser aufgezeigten Bandbreite liegen die Herstellungskostenansätze der meisten Unternehmen, sie entspricht der deutschen Normbilanzierung und ist da­ mit als neutral zu werten. Mit 78 solventen zu 77 insolventen Unterneh­ men halten sich deren Anteile die Waage.

• Mehr als steuerrechtliche Wertuntergrenze bis zum Vollkostenansatz Über die steuerliche Wertuntergrenze hinaus dürfen Aufwendungen der allgemeinen Verwaltung (Personal- und Sachkosten), Aufwendungen für soziale Leistungen und für Altersversorgung in die Herstellungskosten einbezogen werden.2 Mit der Ausübung dieses ergänzenden Wahlrechts (es besteht sowohl im Handels- wie im Steuerrecht ein Aktivierungswahl­ recht) ist der Vollkostenansatz als Obergrenze der Herstellungskosten er­ reicht. Entsprechend ihrer Auswirkung auf die Erfolgslage spricht die Be­ rechnung der Herstellungskosten mit mehr als der steuerlichen Wertunter­ grenze für progressive (ergebniserhöhende) Bilanzierung, die vorzugswei­ se von wirtschaftlich schwachen Unternehmen angewendet wird. Mit 45 solventen zu 69 insolventen Unternehmen stützt die Datenbasis diese Vermutung.

• Zinsen für Fremdkapital Gemäß § 255 Abs. 3 HGB gehören Zinsen für Fremdkapital grundsätzlich nicht zu den Herstellungskosten. Sie dürfen jedoch bei Finanzierung der Her­ stellung eines Vermögensgegenstandes angesetzt werden, soweit sie auf den Zeitraum der Herstellung entfallen. Werden Fremdkapitalzinsen angesetzt, so ist dies nach § 284 Abs. 2 Nr. 5 HGB im Anhang unter den Bewertungsme­ thoden zu erläutern. Aus dieser Pflicht läßt sich ableiten, daß bei Kapitalge­ sellschaften und Genossenschaften auf die Einbeziehung von Fremdkapital­ zinsen in die Herstellungskosten verzichtet wird, wenn keine Angaben über ihre Einbeziehung vorliegen. Obwohl die Einbeziehung von Fremdkapitalzin­ sen betriebswirtschaftlich als progressives Merkmal zu werten ist, wird dies durch die analysierte Datenbasis nicht bestätigt. Von 27 Unternehmen insge­ samt, die Fremdkapitalzinsen aktivierten, waren 15 solvent und nur 12 wurden später insolvent. Dieses Ergebnis erstaunt zunächst, jedoch ist hier die relativ kleine Datenbasis von 27 Unternehmen zu berücksichtigen. Da aus der Einbe­ ziehung von Fremdkapitalzinsen keine eindeutigen Bonitätshinweise abgelei­ 1 2

Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.) (Wirtschaftsprüfer-Handbuch 1996), S. 232. Vgl. Abschnitt 33 Abs. 2 EStR 1993.

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

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tet werden können, wird das Merkmal als neutral angesehen. Werden Fremd­ kapitalzinsen nicht in die Herstellungskosten einbezogen, so zeigt sich, daß von 171 Unternehmen, bei denen ein derartiges Verhalten festgestellt werden konnte, 102 solvent blieben und 69 später insolvent wurden. Der Verzicht auf Fremdkapitalzinsen ist folglich als konservatives Merkmal zu werten.

• Abschreibungen bei beweglichem Anlagevermögen (A V)

• Halbjahresregel Grundsätzlich sind im Zugangsjahr des Anlagegegenstandes Abschrei­ bungen ab dem Zeitpunkt vorzunehmen, ab dem der Anlagegegenstand in Betrieb genommen wird. Aus Vereinfachungsgründen ist es gemäß der Halbjahresregel, die auch in Steuerbilanzen anerkannt wird, zulässig, bei Zugängen von beweglichen Anlagegegenständen in der ersten Hälfte des Geschäftsjalires die volle Jahresabschreibung, bei Zugängen in der zwei­ ten Hälfte des Geschäftsjahres die halbe Jahresabschreibung anzusetzen. Die Anwendung der Halbjahresregel entspricht der üblichen Bilanzie­ rungspraxis deutscher Unternehmen, sie bringt keine zusätzlichen boni­ tätsmäßigen Erkenntnisse. Jedoch spricht ein Verzicht auf die Halbjahres­ regel grundsätzlich für progressives Bilanzierungsverhalten. Von den 54 Unternehmen, bei denen ein Verzicht erkannt wurde, wurden mehr als die Hälfte, nämlich 38, später insolvent. •

A bschreibungswechsel Bei beweglichem AV besteht die Möglichkeit von der degressiven Ab­ schreibung, bei der die Anschaffungskosten prozentual abgeschrieben werden und die dadurch anfangs zu höheren Abschreibungsbeträgen fuhrt, zur linearen Abschreibung, bei der sich die Anschaffungskosten gleichmäßig auf die Nutzungsdauer verteilen, überzugehen. Ein erneuter Wechsel zurück ist nicht mehr möglich. Der Abschreibungswechsel wird auch in Steuerabschlüssen anerkannt. Die Unternehmen haben im Rah­ men der Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze über den Abschrei­ bungswechsel zu berichten. Von der aufgezeigten Möglichkeit machen häufig bestandskräftige Unternehmen Gebrauch, nämlich dann, wenn der Abschreibungswechsel von degressiver zur linearer Abschreibung zu hö­ heren Abschreibungsbeträgen führt. So waren auch von den 213 Unter­ nehmen, bei denen ein solcher Abschreibungswechsel erkannt wurde, 144 solvent. Das Merkmal kann damit als konservativ beurteilt werden. Von den ausgewerteten 54 Unternehmen, die einen (neu angeschafften) be­ weglicher Anlagegegenstand von vomeherein linear abschrieben, wurden 38 Unternehmen später insolvent. Der Verzicht kann somit als Hinweis auf progressives Bilanzierungs verhalten gewertet werden.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

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• Bewertungsvereinfachungsverfahren beim Vorratsvermögen Abweichend vom Grundsatz der Einzelbewertung gibt es nach den §§ 240 und 256 HGB die Möglichkeit, Vorräte über sogenannte Bewertungsvereinfa­ chungsverfahren1 zu bewerten. Bei den Bewertungsvereinfachungsverfahren sind prinzipiell Fest- und Sammelbewertung zu unterscheiden. Kennzeich­ nend für die Festbewertung, die neben der Vorratsposition Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe auch bei Vermögensgegenständen des Sachanlagevermögens angewendet werden kann, ist, daß ein einmal ermittelter Wertansatz (Menge x Preis) über mehrere Jahre in der Bilanz beibehalten werden darf. Unter dem Oberbegriff Sammelbewertung werden die Durchschnittsmethode (§ 240 Abs. 4 HGB) und die Verbrauchsfolgeverfahren (§ 256 S. 1 HGB) zusammenge­ faßt. Voraussetzung zur Anwendung der Sammelbewertung bei Vermögens­ gegenständen des Vorrats vermögens ist, daß diese gleichartig sind. Bei der Durchschnittsmethode werden gleichartige Vermögensgegenstände des Vor­ ratsvermögens zu einer Gruppe zusammengefaßt und mit dem gewogenen Durchschnittswert bewertet. Bei den Verbrauchsfolgeverfahren werden die Vermögensgegenstände des Vorrats vermögens auf Grundlage einer fiktiven zeitlich oder wertmäßig geordneten Verbrauchsabfolge bewertet. Die zeitliche Reihenfolge spiegelt sich in dem FIFO-Verfahren (first in - first out), bei dem die zuerst angeschafften oder hergestellten Gegenstände zuerst verbraucht werden, und dem LIFO-Verfahren (last in - first out), bei dem die zuletzt an­ geschafften oder hergestellten Gegenstände zuerst verbraucht werden, wider. Bei der wertmäßigen Reihenfolge lassen sich das LOFO-Verfahren (lowest in - first out), bei dem die billigsten Güter zuerst verbraucht werden und das HIFO-Verfahren (highest in - first out), bei dem die teuersten Güter zuerst ver­ braucht werden, unterscheiden.2 In der Handelsbilanz sind die aufgefuhrten Sammelbewertungsverfahren zulässig, soweit die unterstellte Verbrauchsfolge nicht in krassem Widerspruch zur Wirklichkeit steht. In der Steuerbilanz wird neben der Durchschnittsmethode nur die LIFO-Methode generell anerkannt, die anderen Sammelbewertungsverfahren nur dann, wenn die unterstellte Ver­ brauchsfolge auch dem tatsächlichen Verbrauch entspricht.3 Das Unterneh­ men muß über die Anwendung von Sammelbewertungsverfahren sowie über

1

2 3

Zu den folgenden Ausführungen vgl. Coenenberg (Jahresabschluß 1997), S. 159-169. Im Unter­ schied zu Coenenberg wird bei den Bewertungsvereinfachungsverfahren nur zwischen Fest- und Sammelbewertung und nicht noch zusätzlich eine Gruppenbewertung unterschieden. Zu den Einzelheiten der Verbrauchsfolgeverfahren vgl. Coenenberg (Jahresabschluß 1997), S. 159-168. Vgl. Cocnenberg (Jahresabschluß 1997), S. 161.

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C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

einen sich daraus ergebenden Unterschiedsbetrag im Anhang berichten (§ 284 Abs. 2 Nr. 3,4 HGB). Die in der Praxis häufig angewendete Durchschnitts­ methode fuhrt zu einer tendenziell anschaffungspreisnahen Bewertung. Wie auch die Daten zeigen (113 solvente Unternehmen zu 113 insolvente Unter­ nehmen), können aus ihrer Anwendung keine Bonitätshinweise gewonnen werden. Unter der realitätsnahen Annahme steigender Preise fuhren sowohl die Festbewertung für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe als auch LIFO- und HIFO-Verfahren zu einer Unterbewertung der Vorräte.1 Sie sind dann als Zei­ chen konservativer Bilanzierung zu werten, die vorzugsweise von bestands­ kräftigen Unternehmen angewendet wird. Dies zeigt auch die Datenbasis. Von 15 Unternehmen, bei denen eine Unterbewertung der Vorräte erkannt wurde, wurde nur ein Unternehmen später insolvent. • Inanspruchnahme von steuerlichen Sonderabschreibungen Steuerrechtliche Sonderabschreibungen nach § 254 HGB können entweder in voller Höhe aktivisch abgesetzt oder aber in der Weise vorgenommen werden, daß der Differenzbetrag zwischen handels- und steuerrechtlicher Abschrei­ bung in den Sonderposten mit Rücklageanteil eingestellt wird (siehe § 281 Abs. 1 Satz 1 HGB). Unabhängig von der Art des Ausweises ist für steuer­ rechtliche Abschreibungen charakteristisch, daß sie den ökonomischen Wer­ teverzehr übersteigen. Interessant sind sie vorwiegend für bestandsfeste Un­ ternehmen, die sich solche Abschreibungen leisten können. Von 80 Unter­ nehmen, die steuerliche Sonderabschreibungen in Anspruch nahmen, wurden später auch nur 17 insolvent. Wird auf die Inanspruchnahme steuerlicher Son­ derabschreibungen verzichtet, so spricht dies für progressive Bilanzierung. Ob die Voraussetzungen jedoch überhaupt gegeben sind, ist für einen externen Analytiker nicht immer einfach zu ermitteln.

Ermessensspielräume: • Naher Zukunftwert im Umlaufvermögen (UV) Soweit nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung in nächster Zukunft der Wertansatz eines Vermögensgegenstandes des Umlaufvermögens geändert werden muß, kann gemäß § 253 Abs. 3 HGB eine außerplanmäßige Abschrei­ bung auf den sogenannten Zukunftswert vorgenommen werden. Mit ihr kön­ nen zukünftige Wertschwankungen im UV berücksichtigt werden (Verände­ rungen bei Rohstoffpreisen, Börsenkursen, technische und allgemeine Neue­ Das FIFO- Verfahren würde unter Prämisse steigender Preise keine ergebnissenkende Wirkung entfalten, das LOFO-Verfahren widerspricht bei steigenden Preisen dem Vorsichtsprinzip und kann daher nicht angewendet werden.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

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rungen), die zu einem Wertansatz unterhalb dem Niederstwert zum Bilanz­ stichtag fuhren. Zulässig ist sie nur in Handelsbilanzen. Werden Abschreibun­ gen auf den nahen Zukunftswert vorgenommen, so sind sie als außerplanmä­ ßige Abschreibungen aufgrund der Angabepflicht in § 277 Abs. 3 S. 1 HGB zu erläutern. Automatisch fuhrt ein Wertansatz zum nahen Zukunftswert zu­ nächst zu einer Legung stiller Reserven, da der etwaige Abschreibungsgrund zum Bilanzstichtag noch nicht eingetreten ist, in der Abschreibungshöhe je­ doch schon berücksichtigt wurde. Er ist als konservativ einzuschätzen. Von insgesamt 24 Unternehmen, bei denen eine Abschreibung auf den nahen Zu­ kunftswert festgestellt werden konnte, blieben 16 solvent, acht wurden später insolvent. Keine Abschreibungen auf den nahen Zukunftswert sind bonitäts­ mäßig als neutral zu werten.

• Diskontierungssatz bei Pensionsrückstellungen Allgemein gilt: Je geringer der Diskontierungssatz gewählt wird, mit dem die zum Eintritt des Versorgungsfalles zu erwartenden Pensionsleistungen kapita­ lisiert werden, desto höher ist der Betrag, der (ergebnismindemd) jährlich für Pensionen zurückzustellen ist. Für die Steuerbilanz ist der Diskontierungssatz gemäß § 6 a Abs. 3 S. 3 EStG gesetzlich auf 6 % festgelegt. Handelsrechtlich besteht jedoch ein Ermessensspielraum, der Abzinsungsfaktor ist gemäß ver­ nünftiger kaufmännischer Beurteilung zu wählen. In der Praxis hat sich als handelsrechtliche Untergrenze ein Wert von 3 % herausgebildet. Wählt ein Unternehmen handelsrechtlich einen geringeren Diskontierungssatz als den steuerlich vorgeschriebenen von 6 %, ist dies als Zeichen konservativer Bilan­ zierung zu werten, da in erster Linie bestandskräftige Unternehmen auf die damit verbundene Ergebnisminderung abstellen. Auch im Datenmaterial überwiegen bei einem niedrigeren Diskontierungssatz die solventen Unter­ nehmen mit 8:3, allerdings bei geringer Datenbasis. Der steuerlich vorge­ schriebene Wert von 6 % entspricht üblicher Bilanzierungspraxis und ist da­ mit als neutral einzustufen. • Sonstige Rückstellungen Unter die sonstigen Rückstellungen fallen alle Rückstellungen, soweit sie nicht als Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen oder als Steuerrückstellungen gesondert auszuweisen sind.1 Angesichts der sich unter dieser Position befindlichen Rückstellungskategorien bietet sie einen verhält­ nismäßig großen Gestaltungsspielraum. Verändern sich nun die sonstigen Rückstellungen wesentlich im Vergleich zum Vorjahr, gibt dies bilanzpoliti1

Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer (Hrsg.) (Wirtschaftsprüfer-Handbuch 1996), S. 366.

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C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

sehe Hinweise. Als wesentlich wird eine Veränderung um mehr als 20 % an­ gesehen. Wie auch die Daten bestätigen, ist eine wesentliche Erhöhung der sonstigen Rückstellungen ein Hinweis für konservative Bilanzierung (80 sol­ vente gegenüber 61 insolvente Unternehmen). Eine wesentliche Verminde­ rung gegenüber dem Vorjahr kann als progressives Bilanzierungsmerkmal gewertet werden (95 solvente gegenüber 139 insolvente Unternehmen). Eine moderate Veränderung der sonstigen Rückstellungen ist bilanzpolitisch unauf­ fällig und damit als neutral einzustufen. Bilanzverändernde Sachverhaltsgestaltung:

• Außerordentliches (a. o.) Ergebnis, ggf. erweitert um Ergebnis aus Abgang AV Im geltenden Bilanzrecht ist der Begriff „außerordentlich” eng abgegrenzt. Die wenigen als außerordentlich zu bezeichnenden Sachverhalte müssen ih­ rem Charakter nach in hohem Maße ungewöhnlich sein und dürfen darüber hinaus nur selten anfallen. Da der Gesetzgeber diese enge Definition wenig konkretisiert hat, können wirtschaftlich unstrittig als außerordentlich zu be­ zeichnende Vorgänge auch unter der Position „Sonstige betriebliche Erträ­ ge/Aufwendungen” ausgewiesen werden. Dies gilt beispielsweise für Erträ­ ge/Aufwendungen aus dem Abgang AV, die je nach Berichterstattung des Unternehmens entweder bei den außerordentlichen Erträgen/Aufwendungen oder bei den sonstigen betrieblichen Erträgen/Aufwendungen ausgewiesen werden. Unabhängig von diesem Ausweiswahlrecht sind sie unter bilanzpoli­ tischen Gesichtspunkten als außerordentlich einzustufen und entsprechend zu berücksichtigen. Hat sich nun das außerordentliche Ergebnis im Vergleich zum Vorjahr deutlich erhöht (angenommener Wert >20 %), so ist dies - auch datenbezogen - ein Zeichen für progressive Bilanzierung (28 solvente zu 65 insolvente Unternehmen), hat keine wesentliche Erhöhung stattgefunden, ein Hinweis auf neutrale Bilanzierung. • Liquidität In der Bonitätsanalyse ist hohe Liquidität (hier definiert als flüssige Mittel > 10 % der Bilanzsumme) allgemein ein Ausdruck für vorsichtiges unternehme­ risches Handeln. Im Spannungsdreieck von Rentabilität, Risiko und Sicherheit wird bewußt auf die verzinsliche Anlage der Aktiva verzichtet und ein Liqui­ ditätspolster vorgehalten, das vor finanziellen Engpässen schützt und die Ge­ fahr der Zahlungsunfähigkeit verringert. Vor diesem Hintergrund spricht eine hohe Liquidität für eine gute Bestandsfestigkeit. Dies unterstreicht das Da­ tenmaterial. Von insgesamt 137 hoch liquiden Unternehmen wurden nur 26 später insolvent. Eine nicht hohe Liquidität gibt bilanzpolitisch keinen weite­ ren Aufschluß und wird deshalb als neutral angesehen.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

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Auf Grundlage der zuvor dargelegten betriebswirtschaftlichen und datenbezoge­ nen Erkenntnisse wurde folgende Checkliste entworfen, die ohne großen zusätzli­ chen Aufwand vom Kreditanalysten bei seiner Bilanzanalyse ausgefullt werden kann. Auf ihrer Grundlage kann das Bilanzierungsverhalten eines Unternehmens zutreffend, objektiviert und nachvollziehbar ermittelt werden. neutrales Bilanzierungsverhalten (keine eindeutigen Hinweise auf Bestands­ festigkeit Ansatzwahlrechtc: f -Geschäfts-und Firmenwert aus Erwerb (§ 255 Abs. 4. HGB) kein Ansatz Geschäftsund Firmenwert -Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebes kein Ansatz Ingangset­ zung und Erweiterung des Geschäftsbetriebes konservatives Bilanzierungsverhalten (Bestandsfestigkeit gut)

-Geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG) sofortige Abschreibung auf GWG -Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 1, 2 HGB Bildung/Erhöhung von keine Bildung/Erhöhung Aufwandsrückstellungen von Aufwandsrückstel­ lungen nach § 249 nach §249 Abs. 1,2 HGB Abs. 1,2 HGB Bewertungswahlrechte: -Umfang der Herstellungskosten Einzelkosten als handels­ mit mehr als der han­ delsrechtlichen Wert­ rechtliche Wertunter­ grenze untergrenze aber höch­ stens mit der steuerli­ chen Wertuntergrenze -Einbeziehung Frcmdkapitalzinscn Verzicht auf Fremdkapi­ Einbeziehung von talzinsen Fremdkapitalzinsen -Abschreibungen bei beweglichem Anlagevermögen (AV) Halbjahresregel bei Abschreibungen auf bewegliches AV Abschreibungswechsel bei beweglichem AV von geometrisch degressiv zu linear

progressives Bilan­ zierungsverhalten (Bestandsfestigkeit geschwächt)

Ansatz Geschäftsund Firmenwert Ansatz Ingangset­ zung und Erweite­ rung des Geschäfts­ betriebes

Aktivierung von GWG

mit mehr als der steuerlichen Wert­ untergrenze bis zum Vollkostenansatz

Verzicht auf Halb­ jahresregel bei Abschreibungen auf bewegliches AV lineare Abschrei­ bung auf bewegli­ ches AV bei an sich möglicher degressi­ ver Afa

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C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

-Bewertungsvereinfachungsverfahren für Vorräte Unterbewertung der neutrale Bewertung der Vorräte (i. d. R. durch Vorräte (i. d. R. durch Lifo, Hifo) Durchschnittsmethode) -Steuerliche Sonderabschreibungen Inanspruchnahme von steuerlichen Sonderab­ schreibungen

Ermessensspielräume: -Naher Zukunftswert im Umlaufvermögen (UV) Abschreibung auf den keine Abschreibung auf nahen Zukunftswert im nahen Zukunftswert im UV UV -Diskontierungssatz bei Pensionsrücksteilungen Zinssatz für Pensions­ Zinssatz für Pensions­ rückstellungen < 6 % rückstellungen = 6 % -Sonstige Rückstellun gen keine wesentliche Zunahme der sonstigen Rückstellungen um mehr (20 %ige) Veränderung der sonstigen Rückstel­ als 20 % lungen Bilanzverändernde Sachvcrhaltsgestaltung: -Außerordentliches (a. o.) Ergebnis keine wesentliche Erhö­ hung (> 20 %) des a. o. Ergebnisses

-Liquidität Hohe Liquidität (flüssige Mittel > 10 % Bilanz­ summe) Summe

Keine hohe Liquidität (flüssige Mittel 20 %) der sonstigen Rück­ stellungen

Wesentliche Erhö­ hung (> 20 %) des a. o. Ergebnisses, ggf. erweitert um Ergeb­ nis aus Abgang AV

Summe

Tabelle 35: Checkliste zur systematischen Ermittlung des Bilanzierungs verhaltens In der Datenbasis standen keine Angaben über die Bilanzart (Handels-, Steuer­ oder Einheitsbilanz) zur Verfügung. Vergegenwärtigt man sich die Ergebnisse der Datenstrukturanalysc, so dürfte die Mehrzahl der vorliegenden Bilanzen Einheits­ oder Steuerbilanzen sein. Da sich zudem die meisten Unternehmen bilanzpoli­ tisch unauffällig verhalten, ist es nicht verwunderlich, wenn sich die Abweichun­ gen zu konservativ oder progressiv in einem überschaubaren Rahmen bewegen.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

2.

285

Verdichtung der Einzelmerkmale zum Bilanzierungsverhalten und Bestimmung qualitativer VeränderungsgröBen

Nachdem zuvor aussagekräftige Einzelmerkmale für das Bilanzierungsverhalten sowohl betriebswirtschaftlich als auch auf ihren Trennbeitrag analysiert wurden, stellt sich nun die Aufgabe, die Angaben der Checkliste sinnvoll zu einem ab­ schließenden Urteil über das Bilanzierungsverhalten zu verdichten. Die Summen­ zeile der zuvor entwickelten Checkliste, die die jeweiligen Nennungen wieder­ gibt, bildet hierzu die Grundlage. Das Hauptinteresse der bilanzpolitischen Aus­ wertung richtet sich darauf, mögliche Abweichungen von einem unauffälligen, d. h. neutralen Bilanzierungsverhalten festzustellen. Daher wurde die Auswertung so konzipiert, daß - unabhängig von der bei neutraler Bilanzierung erreichten Punktzahl- die größere Summe der Spalten progressives oder konservatives Bilanzierungsverhalten das abschließende Bilanzierungsurteil bestimmen soll. Im Ergebnis wird damit eine Abwägung zwischen konservativem und progressivem Bilanzierungsverhalten durchgefuhrt, die jeweils dominierende Seite definiert das Bilanzierungsverhalten. Überwiegt keine der beiden Seiten, wird das Urteil „neu­ trales Bilanzierungsverhalten“ gefällt. Diese „abwägende“ Bestimmung fuhrt zunächst zu drei Urteilen über das Bilanzierungsverhalten (konservativ, neutral, progressiv), wobei allerdings die Höhe der Differenz zwischen den einzelnen Summen noch nicht berücksichtigt wurde. In dieser Differenz steckt jedoch ein zusätzliches Informationspotential, das dazu genutzt werden kann, die gewonne­ nen Urteile weiter zu verfeinern und damit präziser zu formulieren. Durch eine abgestuftere Urteilsformulierung können zudem die Vorteile der beabsichtigten Fuzzy-Weiterverarbeitung besser genutzt werden. Charakteristisch für ein FuzzySystem ist, daß die Merkmalsausprägungen nicht scharf, sondern über die Festle­ gung sogenannter Zugehörigkeitsgrade unscharf verarbeitet werden können. Fuz­ zy-Systeme eignen sich daher gut zur Modellierung von Übergängen. Vor diesem Hintergrund wurden die drei Urteilsvarianten in sieben Urteilsausprägungen wei­ ter aufgespaltet. In Abhängigkeit davon, wie hoch nun die Differenz zwischen den bei progressiver und konservativer Bilanzierung erreichten Punkten ist, lauten sie:

286

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Urteilsaus­ prägung

Differenz in Punkte

ausschließl. progressiv

progressiv überwiegt eindeutig

progressiv überwiegt

neu­ tral

konservativ überwiegt

konservativ überwiegt eindeutig

ausschließl konservativ

3

2

1

0

-1

-2

-3

Tabelle 36: Ermittelte Urteilsabstufungen zum Bilanzierungsverhalten Wie die Datenauswertung zeigte, treten Nennungen für konservative Bilanzierung im Vergleich zu progressiver Bilanzierung signifikant häufiger auf Vor dem Hintergrund der traditionellen deutschen Bilanzierungspraxis mag hier das psy­ chologische Moment eine Rolle spielen, daß Unternehmen eher geneigt sind, über eine konservative Ausnutzung des bilanzpolitischen Instrumentariums zu berich­ ten und Hinweise auf eine progressive Bilanzierungspraxis lieber vermeiden. Gründe für dieses Verhalten sind Wahrung eines möglichst guten Erscheinungs­ bildes in der Öffentlichkeit und Pflege der Kreditwürdigkeit.

Für Auswertungszwecke hat es sich als günstig erwiesen, wenn ein Unternehmen ex ante die gleiche Chance besitzt, als progressiv oder konservativ bilanzierend beurteilt zu werden. Diesen Gleichstand erzielt man, indem die progressiven Bilanzierungsmerkmale von vornherein etwas stärker gewichtet werden als die konservativen. Erstere werden daher mit einem bestimmten Faktor > 1 multipli­ ziert, der sich aus dem Verhältnis Anzahl aller konservativen zu Anzahl aller progressiven Nennungen errechnet. Bisher wurde beschrieben, wie auf Basis der Summenzeile die Bilanzierungsur­ teile ermittelt wurden. Zuvor gilt es allerdings noch zu klären, wie die Werte der Summenzeile bestimmt werden sollen. Die Addition der Einzelmerkmale in den jeweiligen Spalten (konservativ, neutral, progressiv) kann nämlich auf der Basis gewichteter oder ungewichteter Einzelmerkmale erfolgen. Beide Varianten wur­ den getestet. Bei der Variante „gewichtete Einzelmerkmale“ wurden Kreditex­ perten der Deutschen Bundesbank aufgefordert, in Abhängigkeit der jeweiligen Bedeutung Punkte für die einzelnen Bilanzierungsmerkmale zu vergeben. In der Spalte „konservatives Bilanzierungsverhalten“ beurteilten die Kreditexperten die drei Merkmale „Bildung/Erhöhung von Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 1,2 HGB“, „Einzelkosten als handelrechtliche Untergrenze der Herstellungsko­ sten“, „Zinssatz für Pensionsrückstellungen < 6 %“, als viermal so wichtig, das Merkmal „Unterbewertung der Vorräte” als zweimal so wichtig wie die restlichen dort aufgeführten Merkmale. In der Spalte „progressives Bilanzierungsverhalten“ bewerteten die Kreditexperten die beiden Merkmale „Umfang der Herstellungs­ kosten mit mehr als der steuerlichen Wertuntergrenze bis zum Vollkostenansatz“ und „Aktivierung von GWG“ als viermal so bedeutsam wie die anderen Merk­

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

287

male, die für ein progressives Bilanzierungsverhalten sprechen. Da die Auswer­ tungskonzeption darauf ausgerichtet ist, die Spalten konservatives und progressi­ ves Bilanzierungsverhalten gegeneinander „aufzurechnen“, war es nicht nötig, die Merkmale für neutrales Bilanzierungsverhalten zu gewichten. Die gewichteten konservativen und progressiven Merkmale wurden zusammen mit den anderen spaltenweise aufaddiert und das Ergebnis in die Summenzeile eingetragen. Letzt­ lich doch unterschiedliche Experteneinschätzungen für gleiche Merkmale (die vergebenen Punkte waren zu einem großen Teil Kompromißlösungen) und ein erzieltes insgesamt unbefriedigendes Trennergebnis zwischen solventen und insolventen Unternehmen führten dazu, daß die Variante „gewichtete Einzel­ merkmale“ nicht weiter verfolgt wurde.

Werden die Einzelmerkmale ungewichtet aufaddiert und das Bilanzierungsver­ halten dann gemäß der in Tabelle 36 aufgezeigten Punktedifferenz festgelegt, ergibt sich folgendes Bild (siehe Tabelle 37). Allen 1538 Unternehmen der Aus­ gangsdatenbasis wurde ein Bilanzierungsverhalten zugeordnet. Den 63 Unter­ nehmen der Ausgangsdatenbasis, die nicht in der Datenbasis zur Ermittlung des Bilanzierungsverhaltens enthalten waren, wurde hilfsweise neutrales Bilanzie­ rungsverhalten zugewiesen. In der Tabelle 37 sind die Auswertungsergebnisse für das Bilanzierungsverhalten dargestellt. Die zweite Spalte zeigt zunächst die Zahl der insolventen Unterneh­ men, für die das jeweilige Bilanzierungsverhalten ermittelt wurde, dann den ent­ sprechenden prozentualen Anteil an allen Unternehmen. Die dritte Spalte zeigt die entsprechenden Zahlen für die solventen Unternehmen. Die vierte Spalte weist für jedes Bilanzierungsverhalten die Gesamtanzahl der Unternehmen abso­ lut und in % aus. In der letzten Spalte ist die Differenz zwischen den Anteilen insolventer und solventer Unternehmen für das jeweilige Bilanzierungsverhalten ausgewiesen.

288

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Ermitteltes Bilanzierungsverlialten

Insolvente Unternehmen

Solvente Unternehmen

Summe

in %

Anteil insolv.Anteil solv. U.

absolut. in %

absolut in %

ausschl prog

62

81

15

19

77

5

62

prog überw eindeut

54

74

19

26

73

5

48

155 342

67

75

33

230

15

34

48

365

52

707

46

-4

221

14

-14

126 104

8

-28

7

-68

absolut

prog überw neutral

kons überw

94

43

127

57

kons überw eindeut

45

36

81

64

ausschl.kons

17

16

87

84

Gesamtergebnis

769

769

in %-Punkte

1538

Tabelle 37: Ermittlung des Bilanzierungsverhaltens anhand ungewichteter Ein­ zelmerkmale

Tabelle 37 zeigt, wie sich der Datenbestand auf die unterschiedlichen Ausprä­ gungen des Bilanzierungsverhaltens aufteilt. 46 % der betrachteten Unternehmen bilanzieren „neutral“. Wie zu erwarten war, sinkt die Zahl der Unternehmen in den einzelnen Klassen, je weiter sich das Bilanzierungsverhalten von „neutral“ entfernt. Ausschließlich progressiv bilanzieren nur noch 5 % der Unternehmen, ausschließlich konservativ 7 % aller Unternehmen. Weiter verdeutlicht die letzte Spalte von Tabelle 37 den guten Trennbeitrag, der mit der entwickelten Vorge­ hensweise zur Ermittlung des Bilanzierungsverhaltens erzielt wird. Denn je stär­ ker das Bilanzierungsverhalten in Richtung progressiv oder konservativ festge­ setzt wird, umso mehr überwiegt auch der Anteil der insolventen Unternehmen (bei progressivem Bilanzierungsverhalten), bzw. der Anteil solventer Unterneh­ men (bei konservativem Bilanzierungsverhalten) in der jeweiligen Gruppe. Das ermittelte Bilanzierungsverhalten ist damit ein trennfähiges Merkmal zwischen solventen und insolventen Unternehmen. Es lohnt sich also, das Merkmal in ein quantitatives Credit-Rating einzubeziehen, da durch die gegebene Trennfähigkeit davon ausgegangen werden kann, daß sich das Klassifikationsergebnis verbessern wird. Neben dem ermittelten Bilanzierungsverhalten, das unscharf verarbeitet werden soll, wurden noch weitere Größen für die beabsichtigte fuzzy-basierte Nachbear­ beitung betrachtet. Konkret waren dies Veränderungsgrößen, die aus den zur Verfügung stehenden Bilanzkennzahlen abgeleitet wurden. Denn wie bereits bei dem verwendeten Kennzahlenkatalog (siehe Tabelle 22) am Beispiel der Kenn­ zahl Umsatzveränderung aufgezeigt wurde, eignen sich Veränderungsgrößen nur bedingt für eine lineare Modellierung. Allgemein stellen große absolute Verände-

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

289

rungen - gleichgültig ob positiv oder negativ - ein Warnsignal dar. Für sie lassen sich daher auch keine eindeutigen Arbeitshypothesen (S > I oder S < I) formulie­ ren. Bei der Verarbeitung durch eine lineare Diskriminanzanalyse wurde die Umsatzveränderung daher nicht weiter betrachtet. Jedoch braucht auf ihren In­ formationsgehalt nicht verzichtet zu werden. Im folgenden wird ein Weg aufge­ zeigt, wie Veränderungsgrößen durchaus zutreffend und nachvollziehbar in einem quantitativen Credit-Ratingmodell verarbeitet werden können und zwar dadurch, daß die Zahlen zunächst in qualitative Merkmale transformiert und dann durch ein Fuzzy-Expertensystem ausgewertet werden. Dieses Vorgehen soll nun am Beispiel der Umsatzveränderung erläutert werden. Als quantitatives Merkmal wird die Umsatzveränderung errechnet als Verände­ rung der Erlöse gegenüber dem Vorjahr in %. Das Ergebnis dieser Berechnung ist ein harter Prozentwert. Diese Zahlen sollen in verbale, qualitative Merkmalsaus­ prägungen umgewandelt werden und zwar sinnvollerweise so, daß die nun verbal formulierten Ausprägungen einen Mehrwert an Erkenntnis für das Ratingurteil aufweisen und damit das Ratingurteil verbessern können. Es bietet sich daher an, die neu zu schaffenden verbalen Merkmalsausprägungen in Abhängigkeit von dem Bonitätsstatus der zugehörigen Unternehmen zu definieren. Nutzt man die Erkenntnisse der empirischen Krisenforschung, daß allgemein stetige Entwick­ lungen positiv zu beurteilen sind, weil sie auf eine gewisse Nachhaltigkeit schlie­ ßen lassen, daß große, sprunghafte Veränderungen hingegen mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten sind, so bieten sich für Veränderungsgrößen drei qualitati­ ve Merkmalsausprägungen an: Nämlich „(ungefähr) gleichgeblieben“, wenn die Abweichung unter Bonitätsgesichtspunkten als mäßig und damit unauffällig zu beurteilen ist, „(stark) gesunken“ oder „(stark) gestiegen“, wenn die Veränderung als sprunghaft und damit auffällig beurteilt wird. Die Ausprägungen können dann unscharf durch ein Fuzzy-Expertensystem weiter verarbeitet werden. In der Fuzzy-Terminologie wird damit die neue linguistische Variable „qualitative Umsatz­ veränderung“ geschaffen.

3.

Bestimmung von Zugehörigkeitsfunktionen für die betrachteten qualitativen Merkmale

Damit die oben aufgefuhrten Merkmale „Urteile über das Bilanzierungsverhal­ ten“ und „quantitative Umsatzveränderung“ durch ein Fuzzy-Expertensystem verarbeitet werden können, müssen sie zunächst über Zugehörigkeitsfunktionen in linguistische Variablen „übersetzt“ werden. Um das bereits bekannte Beispiel Veränderung der Eigenkapitalrendite (VER) heranzuziehen, bedeutet dies, daß der prozentualen Merkmalsausprägung eine linguistische Merkmalsausprägung (z. B. klein, mittel, groß) zugeordnet werden muß (vgl. Abbildung 33). Die Fest­

290

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

legung der Zugehörigkeitsfunktionen ist eine wichtige, nicht zu unterschätzende Aufgabe, denn die Qualität der Abbildung einer linguistischen Variablen hängt maßgeblich davon ab, inwieweit die gewählten Zugehörigkeitsfunktionen inhalt­ lich zutreffend sind. Eine Fuzzy-Regel setzt sich aus linguistischen Variablen zusammen. Die folgen­ de Fuzzy-Regel „Wenn Zahlungsverhalten mittel und Umsatzveränderung klein dann Bonität schlecht“ besteht aus drei linguistischen Variablen, nämlich Zah­ lungsverhalten, Umsatzveränderung und Bonität. Linguistische Variablen stellen demnach bedeutende Regelbestandteile dar. Da die inhaltliche Aussage linguisti­ scher Variablen (welches Zahlungsverhalten gilt als mittel, wie ist eine kleine Umsatzveränderung definiert) maßgeblich von den ihre Ausprägungen modellie­ renden Zugehörigkeitsfunktionen abhängt, bestimmt die Qualität der Zugehörig­ keitsfunktionen auch direkt die Qualität der gesuchten Regeln. Zugehörigkeits­ funktionen wirken sich auch auf die statistische Relevanzbewertung1 von Regeln aus, denn diese erfolgt „unscharf4 auf der Basis der über die Zugehörigkeitsfunk­ tionen ermittelten Zugehörigkeitsgrade p. Mit entsprechenden Zugehörigkeitsfunktionen für das Bilanzierungsverhalten werden die sieben zuvor ermittelten Bilanzierungsurteile (siehe Tabelle 36) in die linguistische Variable Bilanzierungsverhalten übersetzt. Die Zugehörigkeitsfunk­ tionen ermittelten sich wie folgt: Zunächst wurden die zuvor bestimmten, sieben unterschiedlichen Ausprägungen des Bilanzierungsurteils gemäß der folgenden Zuordnung auf einer Skala von 1 bis 7 abgetragen: progressiv Urteilsaus­

ausschließl.

überwiegt

prägung

progressiv

eindeutig

Skala

1

2

progressiv

neu­

überwiegt

tral

3

4

konserva­

tiv über­ wiegt

konserva­

tiv über­

wiegt eindeutig

5

6

ausschließl.

konserva­

tiv

7

Tabelle 38: Skala für die Bilanzierungsurteile

Nach dieser Zuordnung werden die Bilanzierungsurteile dann auf der Abzisse von Abbildung 46 abgetragen. Abbildung 46 zeigt den Verlauf der Zugehörigkeits­ funktionen, durch die die Bilanzierungsurteile in die linguistische Variable Bilan­ zierungsverhalten übersetzt werden. 1

Nähere Ausführungen zur statistisch fundierten Regelbewertung finden sich im 2. Teil C. III. 2. der Arbeit.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

291

In dem Fuzzy-Expertensystem reicht es aus, das Bilanzierungsverhalten als lin­ guistische Variable mit drei Ausprägungen zu verarbeiten, nämlich konservativ, neutral und progressiv, weil sich die zuvor definierten Zwischenbereiche (über­ wiegt, überwiegt eindeutig) über den Verlauf der Zugehörigkeitsfunktionen und ihrer Überlappung abbilden lassen (siehe Abbildung 46). Dieser ist gekennzeich­ net durch zwei Zustände. Zum einen gibt es einen Bereich eindeutiger Zugehö­ rigkeit zu einer unscharfen Menge, jedoch gehört das Merkmal nicht voll dazu. Dies wird über einen Zugehörigkeitgrad p < 1 zum Ausdruck gebracht. Zum anderen weist der Zwischenbereich eine Zone sich überlappender Zugehörigkeits­ funktionen auf, bei der ein Bilanzierungsurteil Zugehörigkeitsgrade zu mehreren unscharfen Mengen aufweist. Ein Bilanzierungsurteil 1 (ausschließlich progres­ siv) gehört voll (p = 1) zur Menge progressives Bilanzierungsverhalten, ein Bi­ lanzierungsurteil 2 (progressiv überwiegt eindeutig) nur mit einem Zugehörig­ keitsgrad pj (progressiv) von 0,7. Das Bilanzierungsurteil 5 „konservativ überwiegt“ liegt in dem Bereich sich überlappender Zugehörigkeitsfunktionen, es besitzt also Zugehörigkeitsgrade zu mehreren Ausprägungen - in diesem Fall zu zwei Aus­ prägungen - nämlich mit einem Zugehörigkeitsgrad von p3 (neutral) = 0,3 zur un­ scharfen Menge „neutral“ und mit einem Zugehörigkeitsgrad von p2 (konservativ) = 0,4 zur unscharfen Menge „konservativ“. Die Eingangsinformation, daß „konser­ vativ überwiegt“, kommt über p2 > p3 zum Ausdruck. Wie die Beispiele verdeut­ lichen, geben die gewählten Funktionsverläufe die Informationen der ursprüng­ lich sieben unterschiedlichen Bilanzierungsurteile korrekt wieder, die nun mit nur noch drei Ausprägungen der linguistischen Variablen Bilanzierungsverhalten zutreffend abgebildet werden können. Grundsätzlich gibt es zwei Vorgehensweisen, um Zugehörigkeitsfunktionen fest­ zulegen, nämlich durch Expertenmeinung oder statistisch fundiert. Die für das Bilanzierungsverhalten geschilderte Vorgehens weise entspricht einer statistischen Ermittlung von Zugehörigkeitsfunktionen, denn die einzelnen Bilanzierungsur­ teile wurden datenbezogen, mit dem Ziel einer möglichst guten Trennfähigkeit, ermittelt. Darauf aufbauend werden dann im nächsten Schritt die zur Übersetzung in die linguistische Variable Bilanzierungsverhalten benötigten Zugehörigkeits­ funktionen so festgelegt, daß sie die inhaltlichen Aussagen der Bilanzierungsur­ teile zutreffend widerspiegeln.

Eine andere Möglichkeit Zugehörigkeitsfunktionen zu bestimmen, besteht darin, diese aufgrund von Expertenmeinungen festzulegen. Der Experte wird dabei nicht den genauen Verlauf bestimmen, sondern im Regelfall einige charakteristische Punkte der Zugehörigkeitsfunktionen angeben. Werden Zugehörigkeitsfunktionen durch menschliche Experten festgelegt, besteht der Nachteil, daß der Verlauf der

292

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Zugehörigkeitsfunktionen subjektiv geprägt ist. Die statistische Bestimmung ist hingegen objektiver, setzt allerdings einen gewissen Mindestumfang an Daten voraus. linguistische Variable Bilanzierungsverhalten

Abbildung 46: Zugehörigkeitsfunktionen der linguistischen Variablen Bilanzie­ rungsverhalten Statistisch basiert werden nun auch die Zugehörigkeitsfunktionen für die qualita­ tiven Veränderungsgrößen ermittelt. Die hierzu notwendige Vorgehens weise wird am Beispiel des Merkmals Umsatzveränderung erläutert. Ausgangspunkt ist die Umsatzveränderung in ihrer quantitativen Ausprägung, d. h. errechnet als Prozentwert zum Vorjahr. Ziel ist es nun, diese Prozentzahlen in geeigneter Weise der linguistischen Variablen „qualitative Umsatzveränderung“ mit den unscharfe Mengen „(stark) gesunken“, „(ungefähr) gleichgeblieben“ und „(stark) gestiegen“ zuzuweisen. Wie zuvor, geschieht dies über Zugehörigkeits­ funktionen, die für sämtliche möglichen Ist-Ausprägungen den Grad der Zugehö­ rigkeit zu der entsprechenden unscharfen Menge bestimmen. Um im Beispiel Umsatzveränderung fortzufahren, können markante Eckpunkte der zu bestim­ menden Zugehörigkeitsfunktionen beispielsweise über das mittlere 60 %-Quantil1 1

Im mittleren 60%-Quantil liegen alle Objekte, die zum 80%-Quantil und nicht zum 20%-Quantil gehören.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

293

der solventen Unternehmen festgelegt werden. Dieser Einteilung liegt folgende, bereits erläuterte Erkenntnis zugrunde: Unternehmen, die in das mittlere 60 %Quantil fallen, weisen eine ungefähr gleichgebliebene Kennzahlenveränderung auf, die im Sinne von nachhaltigem Wachstum als tendenziell positiv zu bewerten ist. Unternehmen hingegen, deren Kennzahlenveränderungen im ersten oder letz­ ten 20 %-Quantil1 liegen, die also eine sehr hohe negative oder positive Kenn­ zahlenveränderung aufweisen, sollten angesichts dieser sprunghaften Änderungen genauer betrachtet werden.2 Die auf dieser Basis für die linguistische Variable „qualitative Umsatzveränderung“ festgelegten Zugehörigkeitsfimktionen ver­ deutlicht Abbildung 47.

qualitative Unisatzveränderung

Abbildung 47: Zugehörigkeitsfunktionen der linguistischen Variablen Umsatzver­ änderung

Eine Umsatz Veränderung von 10 % weist danach einen Zugehörigkeitsgrad von Pi = 0,85 zu der Ausprägung „(ungefähr) gleichgeblieben“ und einen Zugehörig­ keitsgrad von |i2= 0,3 zu der Ausprägung „(stark) gestiegen“ auf.

1 2

Das letzte 20%-Quantil beschreibt die Objekte, die nicht im 80%-Quantil liegen. Vgl. auch Blochwitz/Eigermann (Fuzzy Rules 1999), S. 70.

294

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Für die Interpretierbarkeit und damit für den praktischen Einsatz und die Akzep­ tanz wichtig ist nun die Frage, wie sich die Zugehörigkeitsfunktionen überlappen sollen. Denn diese Überlappung bewirkt gerade den fließenden, weichen, un­ scharfen Übergang zwischen den Merkmalsausprägungen. Ist eine weitgehende Überlappung einerseits erstrebenswert, weil dadurch erst die Vorteile der diffe­ renzierten Fuzzy-Verarbeitung ausgeschöpft werden können, so ergeben sich andererseits auch Grenzen durch die zu gewährleistende inhaltliche Interpretier­ barkeit. So ist es bei den angeführten linguistischen Variablen Bilanzierungsver­ halten und Umsatzveränderung nicht zweckmäßig, daß sich alle drei unscharfen Mengen überschneiden, denn ein Bilanzierungsverhalten kann wohl kaum als gleichzeitig progressiv und konservativ und eine Veränderung kaum als gleich­ zeitig (stark) gesunken und (stark) gestiegen interpretiert werden. Ein Kreditex­ perte, dessen Einschätzung die Zugehörigkeitsfunktionen widerspiegeln sollen, würde einen solchen Verlauf als semantisch widersprüchlich beurteilen. Als se­ mantisch widerspruchsfrei würde er hingegen Funktionsverläufe beurteilen, bei denen sich nur jeweils zwei benachbarte Zugehörigkeitsfunktionen überlappen.

linguistische Ausgangsvariable Bonität

Abbildung 48: Semantisch widersprüchliche (links) und semantisch wider­ spruchsfreie (rechts) Funktionsverläufe, beispielhaft dargestellt an der linguisti­ schen Variablen Bilanzierungsverhalten Alle Zugehörigkeitsfunktionen, die zu einer bestimmten Variablen gehören, bil­ den die Fuzzy-Zerlegung für die Variable. Im Ergebnis der dargelegten Betrach­ tungen besteht für eine linguistische Variable, die in drei Ausprägungen zerlegt werden soll, eine semantisch widerspruchsfreie Fuzzy-Zerlegung aus fünf Teil­ mengen (siehe Abbildung 48 rechts):

3. 7eil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen





295

drei Bereiche eindeutiger Zugehörigkeit, in denen das Merkmal - mit variie­ rendem Zugehörigkeitsgrad - zu nur einer linguistischen Ausprägung gehört (Bereiche I,III,V) und zwei überlappende Bereiche, in denen ein fließender Übergang zwischen den Bereichen eindeutiger Zugehörigkeit erfolgt und die Variable zu zwei lingui­ stischen Ausprägungen gehört (Bereiche II und IV).

Bei der Bestimmung von Zugehörigkeitsfunktionen sollte darauf geachtet wer­ den, daß diese semantisch widerspruchsfrei sind.

II.

Das Regelwissen als methodische Verknüpfung zwischen quantitativen und qualitativen Merkmalen

1.

Bestimmung der syntaktischen Regelstruktur

Nachdem zuvor die Datenbasis für das Fuzzy-Expertensystem entwickelt wurde, soll nun die syntaktische Regelstruktur festgelegt werden, die für die Aufgaben­ stellung zweckmäßig ist. Dafür wird nochmals kurz auf den bisherigen Aufbau und die Zielsetzung des quantitativen Credit-Ratingmodells eingegangen. Das quantitative Ratingmodell ist vertikal modular aufgebaut, wobei die zweite Stufe auf den Ergebnissen der ersten Stufe aufbaut und diese verfeinert (siehe Abbildung 49). Im ersten Modul werden hart abgrenzbare quantitative Merkmale verarbeitet. Diese Merkmale sind Jahresabschlußkennzahlen, für deren Verarbei­ tung sich mathematisch-statistische Verfahren anbieten. Wie gezeigt wurde1, ist von diesen besonders die lineare Diskriminanzanalyse für ein nachvollziehbares Rating geeignet. Jedoch verbleibt um den Cut-Off-Punkt herum ein Bereich er­ höhter Klassifikationsunsicherheit, der sogenannte Graubereich. Durch die Ein­ beziehung weiterer, bisher unberücksichtigter qualitativer Informationen kann dieser jedoch ausgedünnt werden. Angesichts ihrer verbalen Merkmalsausprä­ gungen und der damit verbundenen semantischen Unsicherheit bietet es sich an, sie im Rahmen eines Fuzzy-Expertensystems zu verarbeiten.

1 Vgl. Ergebnis vom 2. Teil C. II. 2.

296

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Abbildung 49: Zweistufiger Aufbau des quantitativen Credit-Ratingmodells Aus der Modellkonzeption ergibt sich, daß der mathematisch-statistisch ermittelte Z-Wert aus dem vorherigen Kennzahlenmodul zwingend als Eingangsgröße in die gesuchten Regeln miteinfließen muß. Denn er stellt das Ergebnis der Vorsor­ tierung dar, auf seiner Basis wurden die Unternehmen in drei Bonitätsklassen (wahrscheinlich bestandsfest, nicht eindeutig beurteilbar, wahrscheinlich be­ standsgefährdet) eingeteilt. Da der nicht eindeutig beurteilbare Graubereich durch einen Z-Wert gekennzeichnet ist, der im folgenden als „mittel“ bezeichnet wird, besitzen die zu generierenden Regeln mithin folgende syntaktische Struktur: Wenn Z mittel und wenn Bedingung 2 erfüllt... und wenn Bedingung N erfüllt, dann tritt Folge i ein, mit i = 1,2, nämlich "Bonität gut" oder "Bonität schlecht".

Eine gute Bonität spricht für eine Erhöhung von Z zum Bonitätsbereich „wahr­ scheinlich bestandsfest“, eine schlechte Bonität für eine Z-Verringerung zum Bonitätsbereich „wahrscheinlich bestandsgefährdet“. Die Bedingungen sind un­

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

297

scharf formuliert, die Übergänge zwischen den verbal formulierten Merk­ malsausprägungen fließend.

Bei der Anzahl der Wenn-Teile in der Gesamtprämisse ist folgendes zu beachten. Enthält die Regel nur wenige Wenn-Teile, im Extremfall nur einen, so wird eine solche sehr allgemein formulierte Regel zwar oft greifen, es besteht jedoch die Gefahr, daß sie keine (große) Aussagekraft für die Bestandsfestigkeit des Unter­ nehmens besitzt. Beispielsweise sagt eine mittlere Gesamtkennzahl (Z) allein noch nichts über die Solvenz des Unternehmens aus. Die zugehörige Regel würde dann lauten: Wenn Z „mittel“, dann Bonität „schlecht“ oder „gut“. Diese Regel ist für den praktischen Einsatz unbrauchbar, denn sie liefert keinen Erkenntnis­ wert.

Ist hingegen eine Regel über zahlreiche Wenn-Teile sehr detailliert formuliert, so wird sie nur auf wenige Unternehmen anwendbar sein, dort aber eine große Aus­ sagekraft besitzen. Beispiel: Wenn Z „mittel“ und wenn Veränderung Eigenkapitalrendite „mittel“ und wenn Veränderung Kapitalrückflußquote „mittel“ und wenn Bilanz­ verhalten „konservativ“ dann Bonität „gut“. Bei sehr detailliert formulierten Regeln zeigt sich jedoch das von Neuronalen Netzen bekannte „Überlemen“, mit der Folge, daß diese Regeln so speziell sind, daß sie kaum die Muster neuer Unternehmen widerspiegeln. Sie sind damit nur bedingt generalisierbar. Hier besteht die Gefahr, daß solche, nur durch wenig Datensätze gestützten Regeln in erster Linie Sonderfälle abbilden.

2.

Statistisch fundierte Regelgenerierung und -bewertung

Sinnvollerweise wurde für die statistische Regelerzeugung die bereits bei der Diskriminanzanalyse durchgeführte Stichprobenaufteilung beibehalten. Gemäß der Zielsetzung „Ausdünnung des Graubereichs“ wurde die Regelgenerierung nur für die Unternehmen des Graubereichs ] -0,5; +0,5 [ durchgeführt. Zur Regelge­ nerierung standen damit 281 Unternehmen der Lemstichprobe zur Verfügung. Die Regelüberprüfung erfolgte anhand der 289 Unternehmen im Graubereich der Teststichprobe. Für die Regelgenerierung und -bewertung diente das bereits beschriebene FuzzyROSA-Verfahren.1 Die verwendete Software WINROSA, in der das FuzzyROSA-Verfahren implementiert ist, bietet mehrere Strategien zur Regelgenerie-

1

Vgl. Erläuterungen im 2. Teil C. III.

298

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

rung. Neben einer kompletten, bei der alle möglichen Regeln des vom Benutzer spezifizierten Regelraums aufgestellt und auf Relevanz geprüft werden, bietet WINROSA mit der evolutionären Suche die Möglichkeit, nur die aussichtsreich­ sten zu testen.1 Als relevant wird eine Regel dann angesehen, wenn die geschätzte bedingte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Konklusion Ci unter der Prä­ misse Pj, d. h. W(Cj|Pi) signifikant größer oder kleiner ist als die geschätzte allge­ meine Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Konklusion Ci, also W(Cj).2 Da der Suchraum nicht allzu groß war, konnten die Regeln im Rahmen einer kom­ pletten Suche bestimmt werden.

Die Fuzzy-Regeln dienen dazu, den Graubereich auszudünnen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird folgende Vorgehensweise gewählt. Zunächst werden nur Regeln zum Bilanzierungsverhalten generiert. Dann werden weitere Größen, nämlich die qualitativ formulierten Veränderungsgrößen in die Regelgenerierung eingeschlos­ sen. Aus dieser Vorgehens weise ergibt sich, daß in die Regelgenerierung zu­ nächst nur eine, dann zwei und schließlich drei zur Gesamtkennzahl maximal zusätzliche Regelprämissen einfließen. Wurde zusätzlich zur Gesamtkennzahl, d. h. zur Prämisse „Wenn Z-W'ert mittel“ eine weitere Prämisse für das Bilanzie­ rungsverhalten zugelassen, generierte WINROSA insgesamt folgende vier Re­ geln. rulel="if (Z-Wert =mittel and Bilverhaltcn=konservativ) then Bonität=gut" rule2=”if (Z-Wert =mittel and Bilverhaltcn=konservativ) then ~Bonität=schlecht"

rule3="if (Z-Wcrt =mittel and Bilverhalten=progressiv) then ~Bonität=gut" rule4="if (Z-Wert =mittel and Bilverhalten=progressiv) then Bonität=schlecht"

Die Regelanzahl ergibt sich daraus, daß WINROSA für jede der beiden trennfä­ higen Ausprägungen der linguistischen Variablen Bilanzierungsverhalten eine positive und eine negative Regel (Kennzeichen: Tilde ~) erzeugt. Während posi­ tive Regeln die Konklusion empfehlen, wird diese von negativen Regeln verboten oder ausgeschlossen. Ruft man sich nochmals die Regelstruktur der zu erzeugen­ den Regeln vor Auge, so können diese nur zwei Konklusionen annehmen, entwe­ der Bonität = gut oder Bonität = schlecht. Angesichts dieser Dichotomie bringen negative Regeln für das Modell keine zusätzlichen Erkenntnisse, denn sie sind bereits in einer der beiden Konklusionen enthalten. Deshalb konnte der Regelsatz auf zwei Regeln reduziert werden. Zunächst mag die Anzahl von nur zwei Regeln wenig erscheinen, jedoch ist dabei zu beachten, daß über die von den Regeln 1 2

Vgl. o. V. (WINROSA 1997), S. 40- 43. Für Einzelheiten zum Relevanztest vgl. 2. Teil C. III. 1. Dort wurde der Relevanztest bereits ausführlich dargestcllt.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

299

verarbeiteten Erfülltheitsgrade detaillierte Urteilsabstufungen möglich sind. Mit einem a-Niveau1 von 0,05 sind die gefundenen Regeln ausreichend signifikant.2

Ohne an dieser Stelle bereits eine Regelbewertung vornehmen zu wollen, sieht man jedoch, daß für zahlreiche Unternehmen des Graubereichs - nämlich die mit neutralem Bilanzierungsverhalten - keine Regeln generiert wurden. In der Lem­ stichprobe befinden sich 127 Unternehmen mit neutralem Bilanzierungsverhalten, in der Teststichprobe 133 Unternehmen. Will man diese auch durch Regeln an­ sprechen, ist es notwendig, weitere trennfähige qualitative Merkmale, wie die zuvor erläuterten Veränderungskennzahlen, heranzuziehen.

Bezieht man nun zusätzlich die Veränderungskennzahlen in die Regelgenerierung ein, ist auch hier zunächst zu klären, welchen Schätzer für die Missing Values herangezogen werden soll, denn das Verfahren benötigt für jede linguistische Variable eine Merkmalsausprägung. Bei Veränderungskennzahlen stellt sich das Problem der Missing Values noch deutlicher als bei den traditionellen Kennzah­ len, da Veränderungskennzahlen3 nur berechnet werden können, wenn zwei auf­ einander folgende Bilanzen vorliegen. Für die vorliegende Datenbasis war wegen der zu verzeichnenden Streuung - das arithmetische Mittel als Schätzer für fehlende Werte nicht zweckmäßig. Da fehlende Werte zudem recht häufig auf­ traten (je nach Kennzahl zwischen 120 und 270 mal, Basis: 1538 Unternehmen), wurde auch der Modus verworfen. Von den zur Verfügung stehenden 15 Verän­ derungskennzahlen, die sich aus den Tabelle 22 aufgelisteten Kennzahlen erge­ ben, wurden die EKQ und die FKQ für die Regelgenerierung ausgeschlossen, da sie inhaltlich stark mit der EKPensQ korreliert sind. Bei den verbleibenden 13 Veränderungskennzahlen wurden fehlende Werte schließlich durch den merkmalsspezifischen Median ersetzt.

1

2

1

Das vom Benutzer zu wählende a-Niveau gibt die Irrtums Wahrscheinlichkeit an, die zugelassen wird. Sie drückt aus, inwieweit die Regel nur zufällig gefunden wurde. Es wird die Hypothese „Die Regeln sind relevant“ gegen die Hypothese geprüft „Die Regeln sind nicht relevant“. Je ge­ ringer das a-Niveau festgelegt wird, umso sicherer ist die Regel. Bei einer akzeptierten höheren Irrtumswahrscheinlichkeit z. B. a-Niveau = 0,1 können keine neuen Regeln generiert werden, denn es gibt nur zwei trennfähige Ausprägungen des Bilanzie­ rungsverhaltens, nämlich konservativ und progressiv. Wenn man nur das Bilanzierungsverhalten betrachtet, macht es daher keinen Sinn, weitere a-Niveaus zu untersuchen. Absolute Veränderungskennzahlen sind definiert als absolute Veränderung des Merkmals in tj gegenüber t0. Da alle betrachten Veränderungskennzahlen Verhältniszahlen sind, gibt die absolute Veränderung die Veränderung in Prozentpunkten an. Relative Veränderungskennzahlen sind de­ finiert als Quotient aus absoluter Veränderung zu Mcrkmalsausprägung in to. Sie gegen damit Prozentwerte wieder. In der vorliegenden Untersuchung wurden nur relative Veränderungsgrößen betrachtet, da über sie unterschiedliche Untemehmensgrößen vergleichbar werden.

300

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Für die Regelgenerierung wurden bei einem a-Niveau von 0,05 und 0,1 maximal zwei bis vier zusätzlich zum Z-Wert mögliche Prämissen zugelassen.1 Daraus ergeben sich sechs unterschiedliche Testsituationen. Die folgende Tabelle zeigt für jede Testsituation die Anzahl der generierten positiven Regeln. Die entspre­ chenden Regeln sind im einzelnen im Anhang 2 aufgeführt.

a-Niveau

Maximal zusätzliche i sse n a nza h I ^^*****^^

2

4

3

0,05

11

26

58

0,1

16

88

207

Tabelle 39: Anzahl der generierten positiven Regeln2 In WINROSA stehen mehrere Bewertungsmöglichkeiten für die generierten und damit relevanten Regeln zur Verfügung. Da das statistische Bewertungsmaß für eine Regel im weiteren Verlauf als Regelgewicht genutzt werden soll, bietet sich für die vorliegende Aufgabenstellung die relevante Trefferquote als Beurtei­ lungsmaß an. Denn sie läßt sich als Wahrscheinlichkeit interpretieren, mit der die erzeugte Regel in der Datenbasis zutrifft.3 Mit einer statistischen Trefferquote W(Cj|Pj) > 0,67 ist bei allen aufgeführten Regeln die Wahrscheinlichkeit, sie in der Untemehmensgruppe wiederzufinden, für die sie zutreffen sollen, deutlich größer als die Wahrscheinlichkeit, daß sie bei der anderen Untemehmensgruppe anzu­ treffen sind.4

3.

Überprüfung der Regeln durch Experten

Wie die Ergebnisse der Regelgenerierung zeigen, hängt die Anzahl der mit dem Fuzzy-ROSA-Verfahren gefundenen Regeln von zwei Größen ab. Zum einen von der vom Benutzer akzeptierten Irrtumswahrscheinlichkeit, zum anderen von der maximal zulässigen Anzahl von Regelprämissen. Es ist unmittelbar einseitig, daß bei einer akzeptierten höheren Irrtums wahrscheinlichkeit auch mehr Regeln gene­ riert werden können. Der Umfang der generierten Regeln hängt darüber hinaus

1

2 3 4

Da der Z-Wert bei allen generierten Regeln als Prämisse enthalten ist, wird diese Prämisse im folgenden nicht mehr mitgezählt. Anhang 2 zeigt für jede Testsituation die generierten Regeln. Die relevante Trefferquote wurde bereits bei den Beurteilungskriterien für generierte Regeln im 2. Teil C. III. 2. erläutert. Alle generierten Regeln sind im Anhang 2 aufgeführt.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

301

auch von der Anzahl der Regelprämissen ab. Je mehr Regelprämissen zugelassen werden, umso eher kann eine Regel den Relevanztest, ob W(Cj|Pj) signifikant größer oder kleiner als W(Cj) ist, bestehen. Folglich reicht es aus, die Prämissen­ anzahl zu erhöhen, um immer mehr statistisch relevante Regeln zu erzeugen. Doch hier wird eine Überprüfung durch den Kreditexperten notwendig. Denn das vorgestellte Verfahren findet zwar eine Fülle von Regeln, ohne jedoch beurteilen zu können, ob diese betriebswirtschaftlich sinnvoll und für die Gesamtdatenbasis aussagekräftig sind. Gründe hierfür können zum einen darin liegen, daß der Be­ nutzer Zugehörigkeitsfunktionen unzweckmäßig definiert hat, zum anderen in der Analysemethode selbst. Denn diese kombiniert zunächst rein mechanisch alle Prämissen- und Konklusionsteile miteinander und filtert dann aus dem Univer­ sum dieser potentiellen Regeln über statistische und logische Reduktionsverfah­ ren die als relevant erachteten Regeln heraus. Diese Regelgenerierungsmethode gibt dem Kreditexperten zwar hilfreiche Hinweise, welche Regelbasis in den betrachteten Daten „schlummert”, jedoch sollte er die erzeugten Regeln hinterfra­ gen und ihnen nicht blind vertrauen. So kann eine Regel statistisch sicher sein und eine hohe Trefferquote besitzen, allerdings nur auf wenige Unternehmen überhaupt zutreffen. Ein hohes a-Niveau und eine hoher Trefferquote sagen da­ mit noch nichts über die Allgemeingültigkeit einer Regel aus, hierzu sind Responsefaktoren notwendig, die angeben, wie oft die Regeln überhaupt „feuern“. Von dem Fuzzy-ROSA-Verfahren werden diese jedoch nicht berücksichtigt. Aus diesen Gründen wurden die Regeln der sechs erzeugten Dateien mit mehr als einer zulässigen Eingangsprämisse auf betriebswirtschaftlich sinnvolle Aussagen und Allgemeingültigkeit überprüft. Aus den zur Verfügung stehenden Daten dient die Situationszahl, die angibt wie oft Prämisse und Konklusion gemeinsam auf­ treten, die Regel also „feuert“, als benötigter Responsefaktor. Aus Zweckmäßig­ keitsüberlegungen wird ihr kleinster, noch zu akzeptierender Wert auf 10 festge­ legt. Regeln mit einer Situationszahl kleiner 10 wurden von der weiteren Be­ trachtung ausgeschlossen. Die Anzahl der danach noch verbleibenden Regeln verdeutlicht Tabelle 40. Betrachtet man bei den generierten Regeln solche mit einem Responsefaktor < 10, sieht man, daß diese betriebswirtschaftlich schwieriger zu interpretieren sind als die übrigen Regeln. Hier zeigt sich die Gefahr, daß solche, nur durch wenig Datensätze gestützten Regeln in erster Linie Sonderfälle abbilden.

302

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

^^***^^^ Maximal zusätzliche ^^***^j£rämissena nzahl

a-Niveau 0,05

0,1

2

3

4

^^*****^^^ 9

21

51

11

62

149

Tabelle 40: Positive Regeln mit einem Responsefaktor von mindestens IO1 Durch die bereits beschriebene Festlegung der Zugehörigkeitsfunktionen, die zum einen die inhaltlichen Merkmalsinformationen korrekt widerspiegeln und zum anderen semantisch widerspruchsfrei sind und der Festlegung einer „kritischen Masse“ über den gewählten Responsefaktor zur Vermeidung von Sonderfallre­ geln, ist gewährleistet, daß für das Bilanzierungsverhalten und die 13 Verände­ rungsgrößen betriebswirtschaftlich sinnvoll interpretierbare Regeln generiert werden.

Zielsetzung ist, aus den sechs aufgezeigten Testsituationen diejenigen herauszu­ finden, die dazu geeignet sind, die bisher nicht einbezogenen Unternehmen mit neutralem Bilanzierungsverhalten anzusprechen. Dies erfolgt dann, wenn die Regelprämisse auch den Term Bilanzierungsverhalten „neutral“ enthält oder wenn in der Regelprämisse die linguistische Variable Bilanzierungsverhalten überhaupt nicht auftaucht. Die Testsituation „maximal zwei zusätzliche Prämis­ sen“ braucht danach nicht weiter betrachtet zu werden, da keine der generierten Regeln die genannten Bedingungen erfüllt. Für die weitere Betrachtung verblei­ ben damit die Testsituationen „maximal eine zusätzliche Prämisse“ in Form des Bilanzierungsverhaltens und „maximal drei bzw. vier zusätzliche Prämissen“. Ergänzend zum Bilanzierungsverhalten stehen bei letzteren die angesprochenen Veränderungsgrößen zur Verfügung. Insgesamt ergeben sich damit folgende fünf unterschiedliche V ersuchsanordnungen.

Siehe auch Anhang 2, aus dem die einzelnen Regeln mit einem Responsefaktor größer 10 ent­ nommen werden können.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

^****^^^^ Maximal zusätzliche issen a nza h 1

2

3

4

1. Versuch

2. Versuch

4. Versuch

3. Versuch

5. Versuch

303

a-Niveau 0,05

0,1

Tabelle 41: Versuchsanordnungen

IIL Verarbeitung des vorhandenen Wissens mittels FuzzyLogik 1.

Regelbasierte Klassifizierung durch Inferenzen

Nachdem zuvor Regeln generiert, statistisch und inhaltlich überprüft wurden, sollen sie nun zur Untemehmensklassifikation eingesetzt werden. Die bislang verwendete Software WINROSA1 kann zwar Regeln generieren, diese jedoch nicht weiterverarbeiten. Deshalb ist es notwendig, die erzeugten Regeln in eine ablauffähige Umgebung zu exportieren. Eine solche Arbeitsumgebung bietet das Fuzzytool der Software DataEngine2, in das die Regeln eingelesen wurden. Die in WINROSA für jede Regel ermittelte relevante Trefferquote wurde in DataEngine als Regelwicht übernommen. Das Regelwicht jeder einzelnen Regel bestimmt sich deshalb nicht durch (subjektive) Expertenmeinung, sondern objektiviert auf Basis datenbezogener, statistischer Auswertungen. Parameter, die nun noch in DataEngine festzulegen sind, betreffen die Inferenzen. Alle anderen für den Ein­ satz der Fuzzy-Regeln benötigten Parameter wie Definition der linguistischen Variablen, Verlauf der Zugehörigkeitsfunktionen und Regelsyntax mußten bereits für die Regelgenerierung bestimmt werden.

Nun sollen die zuvor allgemein dargestellten Inferenzschritte näher konkretisiert werden. Die Auswahl eines geeigneten Inferenzverfahrens stellt eine wichtige Aufgabe bei der Erstellung eines Fuzzy-Systems dar und kann nur aufgabenspezi­

1

2

WINROSA ist eine Software, die vom Lehrstuhl für Elektrische Steuerung und Regelung, Uni­ versität Dortmund, Leiter Herr Prof. Dr. Harro Kiendl, entwickelt wurde. Vertrieben wird sie von der Firma MIT-Management Intelligenter Technologien GmbH, Aachen. DataEngine ist eine von der Softwarefirma MIT-Management Intelligenter Technologien GmbH, Aachen entwickelte Software, die auch von dieser vertrieben wird.

304

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

fisch gelöst werden. Wie bereits beschrieben1, besteht die Inferenz zur Auswer­ tung einer Regel aus folgenden drei Schritten:

• Aggregation • Implikation • Akkumulation. Aggregation’. Bei der Aggregation werden die Erfulltheitsgrade der einzelnen Prämissenaus­ drücke einer Regel zu einem Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse zusammenge­ faßt.2 Der Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse drückt aus, wie stark die durch die Regel formulierte Bedingung auf das betrachtete Unternehmen zutrifft. Die Aus­ wahl eines konkreten Operators ist abhängig vom jeweiligen Anwendungsfall. Ausgehend von den verwendeten Eingangsgrößen ist zu beachten, daß der Ope­ rator die sprachlich formulierte Verknüpfung tatsächlich abbilden kann. Gängig sind die folgenden Aggregationsoperatoren, die auch in der für die Untersuchung verwendeten Software implementiert sind:3

In Tabelle 42 sind die einzelnen Verknüpfungsoperatoren4, ihre Rechenvor­ schriften5 und ihre inhaltlichen Aussagen6 dargestellt und an einem Beispiel ver­ deutlicht.

Beim Minimum-Operator bestimmt der kleinste Zugehörigkeitsgrad in den Teil­ prämissen den Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse. Im vorliegenden Beispiel beträgt der Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse DOF = 0,5. Anders formuliert: Die Regelbedingung „Wenn Bilanzierungsverhalten progressiv und rVEKR nied­ rig“ wird mit 0,5 von dem betrachteten Unternehmen erfüllt. Durch die Wahl des Minimum-Operators wird ein Verknüpfungs verhalten zum Ausdruck gebracht, daß sich an dem schwächsten Merkmal ausrichtet. Es wird ein vorsichtiges Ein­ schätzungsverhalten des Kreditexperten modelliert, weil bei der Aggregation der Zugehörigkeitswerte nie über den schlechtesten Wert hinausgegangen wird. Der Minimum-Operator entspricht einer logischen UND-Beziehung.7

1 2 5 4 5 6

7

Siehe Ausführungen im 2. Teil Abschnitt C. II. 3. Vgl. Zimmermann (Datenanalyse 1995), S. 27. Vgl. o. V. (DataEngine Grundlagen 1998), S. 173. Vgl. Zimmermann (Fuzzy Technologien 1993), S. 33-36. Vgl. Zimmermann (Datenanalyse 1995), S. 28. Zu den Schwierigkeiten bei der Abbildung linguistischer Verknüpfungsregeln durch geeignete Verknüpfungsoperatoren vgl. Zimmermann (Fuzzy Set Theorie 1999), S. 26. Vgl. Zimmermann (Fuzzy Set Theorie 1999), S. 26 und Zimmermann (Fuzzy Technologie 2000), Folie 9.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

Rechcnvorschrift

Operator

Beispiel

Wenn Bilanzierungsverhalten progressiv (p= 0,7) und rVEKR niedrig (p=0,5): Erfülltheitsgrad der Gesamtprämisse (DOF = 0,5). Wenn Bilanzierungsverhalten progressiv (p= 0,7) und rVEKR niedrig (p=0,5): Erfülltheitsgrad der Gesamtprämisse (DOF = 0,7). Wenn Bilanzierungsverhalten progressiv (p= 0,7) und rVEKR niedrig (p=0,5): Erfülltheitsgrad der Gesamtprämisse (DOF = 0,35). Wenn Bilanzierungsverhalten progressiv (p= 0,7) und rVEKR niedrig (p=0,5): Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse (DOF = 0,85).

Min (g-(x),n-(x)| Minimum

Vx€X. Maxfp^x),^)}

Maximum

Algebrai­ sches Produkt

Algebrai­ sche Summe

Vxe X.

(Mx)

’Mb«)

Vxe X.

(mxW +Mr,w) -(»äW »MsW) Vxe X.

(^•p^x)) 7

GammaOperator

• (+M ßW ’

XAeX

)

Annahme: y = 0,5: Wenn Bilanzierungsverhalten progressiv (p= 0,7) und rVEKR niedrig (p=0,5): Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse (DOF = 0,55).

305

Inhaltliche Aussage UND-Beziehung (risikoavers, gestützt auf ein Merkmal) ODER-Beziehung (risikofreudig, gestützt auf ein Merkmal) UND-Beziehung (risikoavers, gestützt auf mehre­ re Merkmale) ODER-Beziehung (risikofreudig, gestützt auf mehre­ re Merkmale)

abhängig vom yWert Von UND bis ODER-Beziehung (gestützt auf mehre­ re Merkmale)

Tabelle 42: Unterschiedliche Verknüpfungsoperatoren Beim Maximum-Operator bestimmt der höchste Zugehörigkeitsgrad in den Teil­ prämissen den Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse. Mit dem Maximum-Operator wird inhaltlich eine optimistische Einschätzung zum Ausdruck gebracht, denn Teilprämissen mit niedrigen Zugehörigkeitsgraden bleiben völlig unberücksich­ tigt. Der Maximum-Operator entspricht einer logischen ODER-Verknüpfung.1 Bei Anwendung des Maximum-Operators wird die Regelbedingung „Wenn Bi­ lanzierungsverhalten progressiv und rVEKR niedrig“ mit 0,7 erfüllt.

Im Gegensatz zu den Operatoren Minimum und Maximum berücksichtigen die Operatoren algebraisches Produkt, algebraische Summe und Gamma-Operator nicht jeweils nur ein Merkmal, sondern beziehen explizit mehrere Kriterien in das maschinelle Verknüpfungsverhalten ein. Daher kann mit ihnen die Vorgehens­ weise eines „abwägenden“ Kreditexperten besser modelliert werden als mit den zuerst genannten Operatoren. Beim algebraischen Produkt werden die einzelnen Zugehörigkeitsgrade der Teilprämissen miteinander multipliziert. Aus der Bedin­

1

Vgl. Zimmermann (Fuzzy Set Theorie 1999), S. 26 und Zimmermann (Fuzzy Technologie 2000), Folie 9.

306

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

gung, daß die Zugehörigkeitsgrade nicht größer als 1 sein dürfen, um noch in­ haltlich interpretierbar zu sein, ergibt sich, daß das Produkt aus ihnen immer kleiner oder gleich der einzelnen Zugehörigkeitsgrade ist. Auch das algebraische Produkt bringt damit ein vorsichtiges, abwägendes Verknüpfungsverhalten zum Ausdruck. Logisch entspricht dies tendenziell einer UND-Beziehung. Bei An­ wendung der algebraischen Produktes errechnet sich für die Beispielregel in Tabelle 42 ein Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse von DOF = 0,35.

Die algebraische Summe modelliert ein optimistisches, risikofreudiges Verknüp­ fungsverhalten. Inhaltlich entspricht es einer ODER-Verknüpfung, bei der nun aber explizit mehrere Kriterien betrachtet werden. Bei Anwendung der algebrai­ schen Summe weist das in Tabelle 42 aufgeführte Beispiel für die Gesamtprämis­ se einen Erfulltheitsgrad von DOF = 0,85 auf.

Bei dem Gamma-Operator kann der Anwender über den Parameter y explizit entscheiden, wie stark verschiedene Teilprämissen im Verknüpfungsverhalten berücksichtigt werden sollen. Über den Parameter y läßt sich festlegen, wo der Operator zwischen reinem UND und reinem ODER liegen soll. Ist y = 0, so erhält man einen UND-Operator, ist y = 1 einen ODER-Operator. Für die Beispielregel errechnet sich bei einem y = 0,5 ein Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse von DOF = 0,55. Er ist größer als die Erfulltheitsgrade der UND-Beziehungen, jedoch kleiner als die Erfulltheitsgrade der ODER-Beziehungen. Will man das Verknüpfungsverhalten eines Kreditexperten adäquat modellieren, so bietet sich ein Verknüpfungsoperator an, der mehrere Kriterien explizit be­ rücksichtigt. Denn ein Kreditexperte wird grundsätzlich darauf abzielen, sein Krediturteil nicht nur auf ein Bonitätskriterium abzustellen, sondern für seine Entscheidung möglichst viele Bonitätsmerkmale heranzuziehen. Deshalb ist es zweckmäßig, einen Verknüpfungsoperator zu wählen, der explizit mehrere Krite­ rien in die Berechnung aufnimmt. Darüber hinaus ist es sinnvoll, das Verhalten des Kreditexperten über eine UND-Beziehung zu modellieren, denn dadurch ist sichergestellt, daß alle vorliegenden Bonitätsaspekte berücksichtigt werden. Denn - wie die Beispielrechnungen zeigen - müssen bei einer UND-Beziehung alle Teilprämissen zu einem hohen Grad erfüllt sein. Für die Regeln der einzelnen Testsituationen wurde aus diesen Gründen das algebraische Produkt als Operator für die Aggregation der Einzelprämissen zum Erfülltheitsgrad der Gesamtprämis­ se gewählt.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

307

Implikation Die Implikation ermittelt - aufbauend auf dem errechneten Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse - den Erfulltheitsgrad der zugehörigen Konklusion. Sie bildet die Schlußfolgerung ab: „Wenn A dann B“.1 Die Implikation entspricht mathe­ matisch der Verknüpfung des Erfülltheitsgrades der Prämisse mit dem Regelge­ wicht, das Ergebnis ist der Erfulltheitsgrad der jeweiligen Konklusion.2 Zur Mo­ dellierung der Tatsache, daß die für die jeweiligen Testsituationen aufgestellten Regeln nicht alle gleich sicher sind, dient das Regelgewicht einer Konklusion. Im Sinne eines Sicherheitsgrades ist es quasi der maximale Erfulltheitsgrad, den man einer Konklusion zutraut. Ist eine Konklusion mit einer Unsicherheit behaftet, wird dies durch ein Regelgewicht kleiner 1,0 zum Ausdruck gebracht. Im nachstehenden Beispiel (siehe Tabelle 43) errechnet sich für die Gesamtprä­ misse bei Anwendung des algebraischen Produktes ein DOF von 0,35. Als Re­ gelgewicht wird im aufgeführten Beispiel wie auch für alle generierten Regeln3 die relevante Trefferquote, die sich datenbezogen errechnet, verwendet.4 Im be­ trachteten Beispiel beträgt sie 0,75. Beispiel:

Regel Gesamtprämisse

Konklusion

Wenn Bilanzierungsverhalten progressiv (p= 0,7) und rVEKR niedrig (p=0,5): dann schlecht,

Erfulltheitsgrad der gesamten Regel

Bonität DOF = 0,35

(Minimum Operator) mit vorgegebenem DOF = 0,26 (bei Anwendung des algebraischen Produktes) Regelgewicht von (algebraisches Produkt) 0,75 DOF der Gesamtprämisse = 0,35

Tabelle 43: Beispielfür eine Implikation

Es zeigte sich, daß sowohl mit dem Minimum-Operator wie auch mit dem alge­ braischen Produkt gute Klassifikationsergebnisse erzielt werden konnten. Im 1 2 5 4

Vgl. Zimmermann (Datenanalyse 1995), S. 28 und Grauel (Fuzzy-Logik 1995), S. 52. Vgl. Zimmermann (Datenanalyse 1995), S. 28. Die Vorgehens weise zum Auffinden aussagefähiger Regeln wurde im 3. Teil C II. 2. näher be­ schrieben. Die Regeln sind im Anhang 2 abgedruckt. Die relevante Trefferquote wurde bereits im 2. Teil C. III. 2. eingehend erläutert.

308

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Ergebnis wurde als Implikationsoperator für die generierten Regeln das algebrai­ sche Produkt gewählt, denn über die Multiplikation stellt es explizit die ge­ wünschte Verknüpfung zwischen Erfulltheitsgrad der Gesamtprämisse und Re­ gelgewicht her. Akkumulation Als letzter Schritt der Fuzzy-Inferenz wird die Akkumulation durchlaufen. Sie dient dazu, Regeln mit dem gleichen Dann-Teil zu einem Gesamtergebnis zu verdichten. Bei der Akkumulation geht es darum, alle Erfülltheitsgrade1 für die­ selbe Konklusion (Bonität = gut oder Bonität = schlecht) zu einem Gesamterfüllt­ heitsgrad für die jeweilige Konklusion zusammenzufassen.2 Die Konklusion besteht wieder aus einer linguistischen Variablen (genauer: Ausgangsvariable), nämlich der Bonität mit den Termen „schlecht“ oder „gut“.

Tabelle 44 zeigt für ein Musteruntemehmen jeweils drei Regeln, die mit unter­ schiedlichen Erfülltheitsgraden für eine schlechte Bonität des Unternehmens sprechen und drei Regeln, die dem Unternehmen eine gute Bonität bescheinigen. Bei der Akkumulation geht es nun darum, daß die Erfülltheitsgrade identischer Konklusionen zu einem Gesamterfülltheitsgrad verdichtet werden. Da jede Kon­ klusion ihren Anteil zum entsprechenden Gesamterfülltheitsgrad „beisteuert“, liegt es nahe, die Akkumulation als Vereinigung der Einzelergebnisse zu einem Gesamtergebnis zu interpretieren. Folglich ist es zweckmäßig, die Regeln über ODER-Beziehungen zu verknüpfen.3 Gebräuchliche Akkumulationsoperatoren sind deshalb das Maximum und die algebraische Summe. Sie stehen auch in der verwendeten Software zur Verfügung.4 Da das Maximum den Nachteil hat, daß die am stärksten erfüllte Regel alle anderen dominiert, wurde die algebraische Summe als Akkumulationsoperator ausgewählt. Durch diese Wahl ist sicherge­ stellt, daß alle gleichen Konklusionen mit einem Erfülltheitsgrad > 0 in die Ver­ knüpfung einbezogen werden. Beispiel:

1

2 3 4

Zur besseren Anschaulichkeit wird in dieser Arbeit zwischen Erfulltheitsgrad und Zugehörig­ keitsgrad unterschieden. Der Begriff Erfülltheitsgrad wird dann verwendet, wenn über mathema­ tische Verknüpfungen errechnet wird, wie stark eine gesamte Regelprämisse, die Regel selbst oder identische Konklusionen erfüllt sind. Im Gegensatz hierzu wird der Begriff Zugehörigkeits­ grad gebraucht, wenn über Zugehörigkeitsfunktionen die Zugehörigkeitsgrade von Merkmalsaus­ prägungen zu den Tennen einer linguistischen Variablen festgelegt werden. Vgl. Zimmermann (Fuzzy Technologien 1993), S. 98. Vgl. Zimmermann (Fuzzy Technologien 1993), S. 98. Vgl. o. V. (DataEngine Grundlagen 1998), S. 175.

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

Regeln mit Konklusion „Bonität schlecht“ Wenn Bilanzierungsverhalten progressiv und rVEKR niedrig, dann Bonität schlecht Wenn Bilanzierungverhalten neutral und rVKRQ klein, dann Bonität schlecht Wenn USV groß und rVKB klein, dann Bonität schlecht

Gesamterfulltheitsgrad für Konklusion Bonität = schlecht

DOF der Regel DOF = 0,12

DOF = 0,25

DOF = 0,09 DOFschiecht 0,46

Regeln mit Konklusion „Bonität gut4*

Wenn Bilanzierungsverhalten neutral und USV mittel, dann Bonität gut Wenn rVSTF mittel und rVInvQ mittel, dann Bonität gut Wenn USV mittel und rVEKR mittel, dann Bonität gut Gesamterfulltheitsgrad für Konklusion Bonität = gut

309

DOF der Regel

DOF = 0,24

DOF = 0,15

DOF = 0,45 DOF^ 0,84

Tabelle 44: Beispiele für die Akkumulation identischer Konklusionen Tabelle 44 zeigt für ein Musteruntemehmen jeweils drei Regeln, die mit unter­ schiedlichen Erfülltheitsgraden für eine schlechte Bonität des Unternehmens sprechen und drei Regeln, die dem Unternehmen eine gute Bonität bescheinigen. Bei der Akkumulation geht es nun darum, daß die Erfulltheitsgrade identischer Konklusionen zu einem Gesamterfülltheitsgrad verdichtet werden. Da jede Kon­ klusion ihren Anteil zum entsprechenden Gesamterfulltheitsgrad „beisteuert“, liegt es nahe, die Akkumulation als Vereinigung der Einzelergebnisse zu einem Gesamtergebnis zu interpretieren. Folglich ist es zweckmäßig, die Regeln über ODER-Beziehungen zu verknüpfen.1 Gebräuchliche Akkumulationsoperatoren sind deshalb das Maximum und die algebraische Summe. Sie stehen auch in der verwendeten Software zur Verfügung.2 Da das Maximum den Nachteil hat, daß die am stärksten erfüllte Regel alle anderen dominiert, wurde die algebraische Summe als Akkumulationsoperator ausgewählt. Durch diese Wahl ist sicherge­ stellt, daß alle gleichen Konklusionen mit einem Erfülltheitsgrad > 0 in die Ver­ knüpfung einbezogen werden.

Mit der algebraische Summe als Akkumulationsoperator errechnet sich für das in Tabelle 44 aufgeführte Beispiel ein Gesamterfülltheitsgrad für die Konklusion Bonität = schlecht (DOFschiecht) von 0,46. Für die Konklusion Bonität = gut (DOFgut) beträgt er 0,84. Vergleicht man diese beiden Erfulltheitsgrade, so spre­ chen im vorliegenden Beispiel knapp zweimal so viele Gesichtspunkte für eine gute Untemehmensbonität wie für eine schlechte. 1 2

Vgl. Zimmermann (Fuzzy Technologien 1993), S. 98. Vgl. o. V. (DataEngine Grundlagen 1998), S. 175.

310

2.

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Defuzzifizierung

Am Ende des Verarbeitungsprozesses wird das Inferenzergebnis der Bonitätsbe­ urteilung in Form von Erfülltheitsgraden für die vordefinierten Terme der lingui­ stischen Ausgangsvariablen „Bonität“ angegeben. In der vorliegenden Untersu­ chung kann die linguistische Ausgangsvariable „Bonität“ die Terme „gut“ und „schlecht“ annehmen. Im vorherigen Abschnitt wurde über die Fuzzy-Regeln ein Klassifikationsergebnis ermittelt, das zunächst noch unscharf formuliert ist. Denn das in Tabelle 44 betrachtete Unternehmen weist rechnerisch eine „gute Bonität“ zum Grade 0,84 und eine „schlechte Bonität“ zum Grade 0,46 auf. In Abbildung 50 ist dieser Sachverhalt für die betrachtete linguistische Ausgangsvariable Bo­ nität mit ihren zwei Ausprägungen graphisch dargestellt. Als Zugehörigkeits­ funktionen wurden zunächst Dreiecksfunktionen verwendet, dann Rechtecke. Wird statt eines unscharf formulierten Ergebnisses ein „harter“ Bonitätswert benötigt (z. B. ein eindeutiges Ratingurteil für das betrachtete Unternehmen), muß im Rahmen der Defuzzifierung das unscharfe Ergebnis Unternehmen ist gut mit DOFgut = 0,84 und schlecht mit DOFschiecht= 0,46 auf eine reelle Zahl abgebil­ det werden. Die Defuzzifizierung soll aus den einzelnen Erfülltheitsgraden eine Zahl finden, auf die diese Informationen zutreffend verdichtet werden können. Dieser Ergebniswert kann dann einem Systembenutzer als leicht verständliches Endergebnis ausgegeben werden.

Abbildung 50: Ergebnis der Defuzzifizierung unter Verwendung von Dreiecks­ funktionen (links) und Rechtecken (rechts) für das Beispielunternehmen

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

311

Verbreitete Methoden der Defuzzifizierung sind die Methode der gemittelten Maximalwerte „Mean of Maxima“ und die Flächenschwerpunktmethode „Center of Area“.1 Beide stehen in der verwendeten Software zur Verfügung.2 Bei der gemittelten Maximalwert-Methode wird als Wert für die benötigte scharfe Ergeb­ nisgröße der Abszissenwert unter der Mitte des Maximalwertes der Ergebnis­ menge verwendet. Mathematisch läßt sich dies folgendermaßen formulieren:3 1

E

lliax

. n '=> mit Xjmax als x-Wert an der Stelle, an der die unscharfe Zielmenge ihren globalen Maximalwert ymax annimmt. Falls ymax über einen zusammenhängenden Bereich hinweg angenommen wird, so wird für Xj,nax der Mittelwert der entsprechenden Bereichsgrenzen eingesetzt, m gibt die Anzahl der Bereiche an, in denen ymax vor­ kommt. =

Für das Beispieluntemehmen aus Tabelle 44 entspricht die zugehörige Ergebnis­ menge der in Abbildung 50 grau hervorgehobenen Fläche. Sie zeigt an, wie stark die Konklusionen gute bzw. schlechte Bonität erfüllt sind. Kurz: Sie stellt die Gesamtbewertung des betrachteten Unternehmens dar. Wird die gemittelte Ma­ ximalwert-Methode angewendet, beträgt der „harte“ Ergebniswert 1. Inhaltlich drückt er eine „gute Bonität“ aus, denn diese Konklusion ist am höchsten erfüllt. Die andere Konklusion wird bei der Maximalwertmethode völlig außer acht ge­ lassen. Bei der Flächenschwerpunktmethode (Center of Area) wird als Wert für die be­ nötigte scharfe Ausgangsgröße der Flächenschwerpunkt der Ergebnismenge, also der grau markierten Flächen unterhalb der erzielten Erfülltheitsgrade, berechnet. Mit Hilfe der Integralrechnung wird der Punkt ermittelt, bei dem diese Fläche im Gleichgewicht ist. Ausgehend von dem Flächenschwerpunkt wird anschließend das Lot auf die Abszisse gefällt. Der sich dadurch ergebende Abszissenwert stellt den gesuchten scharfen Urteilswert dar. Mathematisch errechnet sich der Zielwert nach der Flächenschwerpunktmethode gemäß folgender Formel:4

1

2 3 4

Vgl. Zimmermann (Fuzzy-Technologien 1993), S. 99-102; Rommelfanger (Fuzzy-Logik 1997), S.187 ff.; Grauel (Fuzzy-Logik 1995), S. 65-67. Vgl. o. V. (DataEngine Grundlagen 1998), S. 177. Siehe Zimmermann (Datenanalyse 1995), S. 31. Siehe Zimmermann (Datenanalyse 1995), S. 31.

312

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Jxpout(x)i&

E schwer

_

a

b



JpOut

a

wobei Eschwer der defuzzifizierte Zielwert, pout (x) die Zugehörigkeitsfunktion der unscharfen Zielmengen in den Grenzen a und b sind.

Geht es darum, einen „bestmöglichen“ Kompromiß zwischen den in Frage kom­ menden Alternativen zu finden, verwendet man häufig die Flächenschwerpunkt­ methode, denn diese versucht einen solchen Kompromiß durch Ausbalancieren bzw. durch Abwägen zu erzielen. Lassen gegensätzliche Alternativen jedoch keinen Kompromiß zu, so bietet sich als Defuzzifizierungsmethode die gemittelte Maximalwert-Methode an, bei der die am meisten erfüllte Alternative dominiert. Ein Unternehmen wird i. d. R. sowohl gute wie auch schlechte Bonitätsgesichts­ punkte aufweisen, die der Kreditsachbearbeiter gegeneinander abwägen muß, um dann sein endgültiges Urteil zu fällen. Mit der Flächenschwerpunktmethode läßt sich dieses „Abwägen des Kreditexperten“ am besten modellieren. Sie wurde deshalb für die vorliegende Aufgabenstellung als Defuzzifizierungsmethode ge­ wählt. Für das Beispieluntemehmen errechnet sich nach der Flächenschwerpunkmetho­ de ein Ergebniswert Eschwer von 0,16 (siehe Abbildung 50 links). Das Unterneh­ men gilt damit als tendenziell gut. Es erstaunt, daß nach der Flächenschwer­ punktmethode nur solch ein geringer Bonitätswert errechnet wurde, obwohl die Regeln, die für eine gute Bonität sprechen, einen fast doppelt so hohen Gesamter­ fülltheitsgrad aufweisen, wie die Regeln, die eine schlechte Bonität klassifizieren. Der Grund liegt darin, daß zur Modellierung der Terme „gut“ und „schlecht“ zunächst Dreiecksfunktionen verwendet wurden. Ein doppelt so hoher Erfüllt­ heitsgrad führt bei Dreiecken aber nur zu einer unterproportionalen Zunahme der Ergebnismenge, also der grau markierten Flächen unterhalb der erzielten Erfüllt­ heitsgrade. Wie das Beispiel in Abbildung 50 links anschaulich darstellt, wird durch die Verwendung von Dreiecksfunktionen die Ergebniswirkung hoher Er­ fülltheitsgrade eher „abgeschwächt“. Will man diesen Effekt vermeiden, sollten andere Modellierungsformen gewählt werden, z. B. Rechtecke (siehe Abbildung 50 rechts). Unabhängig von ihrer Höhe werden dann alle Erfülltheitsgrade mit dem gleichen Gewicht bei der Flächenschwerpunktermittlung berücksichtigt. Für das betrachtete Beispieluntemehmen ergibt sich dann ein „harter“ Bonitätswert von 0,29. Da diese Eigenschaft sehr nützlich für die vorliegende Aufgabenstel­ lung ist, denn im Ergebnis soll das Fuzzy-System zu einer eindeutigen Bonitäts­ aussage (Auflösung des Graubereichs) beitragen, d. h. die Ergebniswerte sollten

3. Teil: Entwicklung eines quantitativen Ratingmodells mit qualitativen Merkmalen

313

möglichst weit von Null entfernt liegen, wurden bei der Defuzzifizierung der für jede Testsituation erzeugten Regeln die Terme „gut“ und „schlecht“ der linguisti­ schen Ausgangsvariablen Bonität über Rechtecke modelliert.

3.

Ergebnisse

Nachdem zuvor die einzelnen Verarbeitungsschritte eines Fuzzy-Systems und die dafür zur Verfügung stehenden und für die vorliegende Aufgabenstellung ausge­ wählten Operatoren näher dargestellt wurden, werden nachfolgend die damit erzielten Ergebnisse vorgestellt.

Die Kriterien, mit denen die Ergebnisse der einzelnen Versuche im folgenden beurteilt werden, ist der Gesamtfehler und die Trennschärfe, Auf Basis der Stich­ probe berechnet sich der Gesamtfehler als Anteil der durch das Ratingmodell falsch klassifizierten Unternehmen an allen Unternehmen, die Trennschärfe als der entsprechende Anteil nicht eindeutig klassifizierter Unternehmen. Ausgangspunkt für die Fuzzy-Nachbearbeitung ist die mit der Diskriminanzana­ lyse erfolgte Drei-Klassen-Einteilung der Unternehmen in „wahrscheinlich be­ standsfest (A-Bereich)“, „nicht eindeutig beurteilbar (B-Bereich oder Graube­ reich)“ und „wahrscheinlich bestandsgefährdet (C-Bereich)“.

In der Teststichprobe fallen 289 Unternehmen in den B-Bereich, dies sind 37,63 % aller Unternehmen der Teststichprobe. Mit 101 fehlklassifizierten Unter­ nehmen liegt der Klassifikationsfehler im Graubereich, definiert als offenes Inter­ vall von ] - 0,5 < Z < + 0,5 [ bei 34,9 % (vgl. auch Tabelle 29 und Tabelle 45). Damit ist die Klassifikationsunsicherheit im Graubereich sehr hoch. In der prakti­ schen Anwendung würde man diese Unternehmen manuell bearbeiten, d. h. der Kreditsachbearbeiter würde sich nicht von dem maschinellen Ratingurteil leiten lassen, es ist in diesen Fällen aussagelos, sondern - unabhängig davon- sein eigenes Bonitätsurteil fällen. Im Ergebnis dieser Vorgehensweise sind die Unter­ nehmen des Graubereichs damit zunächst „nicht eindeutig klassifizierbar“.

„Nicht eindeutig klassifizierbar“ bedeutet in dieser Betrachtungsweise, daß die Unternehmen des Graubereichs nicht unzutreffend, sondern überhaupt nicht klas­ sifiziert wurden, denn ohne aussagefähigen maschinellen Ratingvorschlag müssen sie vom Kreditexperten „vollständig“ manuell bearbeitet werden. Schießt man sie daher von der Fehlerermittlung des quantitativen Ratingsystems aus, - sie wurden nicht unzutreffend, sondern überhaupt nicht klassifiziert - verbleiben die im Aund C-Bereich eindeutigfalsch klassifizierten Unternehmen.

314

C. Qualitatives Modul: Fuzzy-Expertensystem zur Einbeziehung qualitativer Merkmale

Bereich

Grenzen Z

A-Bereich

Z> = +0,5

B-Bereich

-0,5