Quaestiones disputatae: Über Gottes Vermögen II: De potentia Dei II, q. 4-6 9783787319084, 9783787333653

Thomas von Aquin ist 'der' Denker des Mittelalters, der die am längsten anhaltende Orientierung geboten, die i

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German Pages 335 [337] Year 2009

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Quaestiones disputatae: Über Gottes Vermögen II: De potentia Dei II, q. 4-6
 9783787319084, 9783787333653

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THOMAS VON AQUIN

Quaestiones Disputatae

Thomas von Aquin

Quaestiones Disputatae

THOMAS VON AQUIN

Quaestiones Disputatae Vollständige Ausgabe der Quaestionen in deutscher Übersetzung Herausgegeben von Rolf Schönberger Band 8

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

THOMAS VON AQUIN

Über Gottes Vermögen De potentia Dei Teilband 2 Übersetzt und herausgegeben von Stephan Grotz

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Universitätsstiftung Lucia und Dr. Otfried Eberz, Regensburg.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7873-1908-4

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2009. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platte und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. – Satz: post scriptum, www.post-scriptum.biz. Druck: Strauss Buch, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Werkdruckpapier. Printed in Germany.

INHALT

IV. Die Ersch a ffung der for mlosen Mater ie 1. Artikel: Ging die Erschaffung der formlosen Materie der Erschaffung der Dinge zeitlich voraus? . . . . . . 3 2. Artikel: Erfolgte die Formung der Materie insgesamt auf einen Schlag oder nach und nach? . . . . . . . . . 32

V. Gottes Er h altung der Dinge a m Sein 1. Artikel: Werden die Dinge von Gott am Sein erhalten oder erhalten sie sich auch ohne ein Zutun Gottes von selbst am Sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Artikel: Kann Gott es einem Geschöpf verleihen, daß es sich von selbst, unabhängig von ihm, am Sein erhält? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Artikel: Kann Gott die Schöpfung wieder zunichte machen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Artikel: Gibt es ein bestimmtes Geschöpf, das wieder zunichte gemacht werden kann bzw. zunichte gemacht wird? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Artikel: Wird die Himmelsbewegung einmal aufhören? . 6. Artikel: Kann der Mensch wissen, wann die Himmelsbewegung ihr Ende findet? . . . . . . . . . . . . 7. Artikel: Bleiben nach dem Ende der Himmelsbewegung die Elemente bestehen? . . . . . . . . . . . . . . 8. Artikel: Bleibt nach dem Ende der Himmelsbewegung die Aktivität und Rezeptivität bei den Elementen bestehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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108 110

122 131 150 157

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VI

Inhalt

9. Artikel: Bleiben nach dem Ende der Welt die Pflanzen, die Tierwelt und die mineralischen Körper bestehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Artikel: Bleiben nach dem Ende der Himmelsbewegung die menschlichen Körper bestehen? . . . . . . .

173 182

VI. Wunder 1. Artikel: Kann Gott etwas an den Geschöpfen bewirken, was keine natürlichen Ursachen hat oder was der Natur bzw. dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Artikel: Kann man alles, was Gott unter Umgehung der natürlichen Ursachen bzw. entgegen dem Geschehen in der Natur vollbringt, als ein Wunder bezeichnen? . . . . . . . . . . . . . . . 3. Artikel: Können die geisthaften Geschöpfe mit ihrer eigenen natürlichen Kraft Wunder wirken? . . . 4. Artikel: Können die guten Engel und Menschen durch das Geschenk der Gnade Wunder wirken? . . . . 5. Artikel: Sind die Dämonen beim Wirken von Wundern beteiligt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Artikel: Haben die Dämonen bzw. die Engel einen Körper, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen? . . 7. Artikel: Können die Engel bzw. die Dämonen körperhafte Gestalt annehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Artikel: Kann ein Engel bzw. ein Dämon mit einem angenommenen Köper die Tätigkeiten eines lebendigen Körpers ausführen? . . . . . . . . . . 9. Artikel: Ist für das Wirken von Wundern der Glaube ausschlaggebend? . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Artikel: Lassen sich die Dämonen durch sinnen- und körperhafte Dinge, durch Taten oder Worte zum Wirken von Wundern zwingen, welche offensichtlich mit Hilfe der Magie geschehen? .

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204 211 225 231 238 255

265 271

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Inhalt

VII

Nachwort I. Die Quaestionen IV–VI im Gesamtaufbau von »De potentia« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einige Grundgedanken in den Quaestionen IV−VI . . .

292 295

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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THOMAS VON AQUIN

Über Gottes Vermögen

IV. DIE ERSCHAFFUNG DER FORMLOSEN MATERIE

Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Ging die Erschaffung der formlosen Materie der Erschaffung der Dinge zeitlich voraus? 2. Erfolgte die Formung der Materie insgesamt auf einen Schlag oder nach und nach?

1. Artik el Die erste Frage lautet: Ging die Erschaffung der formlosen Materie der Erschaffung der Dinge zeitlich voraus?1 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Nach Augustinus2 ging die formlose Materie der geformten Materie in der Weise voran, wie die Stimme dem Gesang vorangeht. Die Stimme geht dem Gesang nicht in der zeitlichen Abfolge voran, sondern dem Wesen nach. Demnach geht die formlose Materie den geformten Dingen nicht in der zeitlichen Abfolge, sondern dem Wesen nach voran. 2. Nun könnte man einwenden: Augustinus geht hier von der Materie aus, insofern sie durch die elementaren Formen3 geprägt ist. Diese elementaren Formen traten freilich gleich von Anbeginn an der Materie auf. – Dem ist zu erwidern: Wie Wasser und Erde so sind auch Feuer und Luft Elemente. Nun erwähnt die Hl. Schrift bei ihrem Bericht über den formlosen Zustand der Materie nur Erde und Wasser. Wenn also die Materie von Anbeginn die vier elemen-

1 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 66 a. 1; q. 69 a. 1; q. 74 a. 2. Sent. II, d. 12 a. 4. 2 Augustinus, De Gen. ad litt. I, 15 (CSEL 28/1, 21). 3 Gemeint sind die vier Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde.

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taren Formen aufgewiesen hätte, so hätte die Hl. Schrift mit gleichem Recht auch Luft und Feuer erwähnen müssen. 3. Wie aus dem ersten Buch der Aristotelischen Physik hervorgeht,4 ist eine substantielle Form zusammen mit der Materie die Grundlage für die akzidentellen Qualitäten. Nun stellen aber die aktiven und passiven Qualitäten charakteristische Merkmale dar, die streng genommen an den Elementen auftreten. Wenn also substantielle Formen von Anbeginn an der Materie auftraten, so traten auch die aktiven und passiven Qualitäten an ihr auf. Somit gab es offenbar überhaupt nie einen formlosen Zustand. 4. Nun könnte man einwenden, daß die Formlosigkeit bzw. Unordnung sich auf die Anordnung der Elemente bezieht. – Dem ist zu erwidern, daß nach Aristoteles die Lage eines jeden Elementes von dessen spezifischen Eigenschaften abhängt.5 Die Elemente befinden sich nämlich kraft ihrer Form an dem für sie charakteristischen Ort. Wenn also die Materie von Anbeginn substantielle Formen aufwies, dann befand sich auch jedes Element an seinem entsprechenden Ort. Somit bestand bei den Elementen überhaupt keine Unordnung, angesichts von der die Rede von einem formlosen Zustand der Materie gerechtfertigt wäre. 5. Wenn man nur in dem Sinne von einem formlosen Zustand der Materie spricht, daß die Elemente sich hier noch nicht an ihrem entsprechenden und natürlichen Ort befanden, dann ist mit der Formung der Materie offenbar gemeint, daß den Elementen ihr natürlicher Ort zugewiesen wurde. So etwas geschah aber bei der Scheidung der Dinge offensichtlich nicht. Denn einigen Wassermassen wurde ein Platz oberhalb des Himmelsgewölbes angewiesen.6 Der natürliche Ort des Wassers befindet sich jedoch unterhalb des Himmels und unmittelbar oberhalb der Erde, wie aus dem vierten Buch von Über den Himmel hervorgeht.7 Somit läßt sich der form4 Aristoteles, Phys. I, 7; 189 b 30 ff. 5 Aristoteles, De caelo I, 4; 270 b 34 ff. 6 Vgl. Gen. 1, 6 f.: »Dann sprach Gott: ›Es entstehe ein festes Gewölbe

inmitten der Wasser, und es bilde eine feste Scheidewand zwischen den Wassern!‹ Gott bildete das feste Gewölbe und schied zwischen den Wassern oberhalb und unterhalb des Gewölbes, und es geschah so.« 7 Aristoteles, De caelo IV, 2; 308 b 22 ff.

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lose Zustand der Materie nicht als eine Unordnung in der Lage der Elemente verstehen. 6. Man kann nun einwenden: Daß sich Wassermassen oberhalb des Himmelsgewölbes befinden, meint, daß sie durch Verdunstung aufsteigen und sich damit oberhalb des Himmelsgewölbes befinden. – Dem ist zu erwidern: Gemäß dem Nachweis von Aristoteles kann Wasser, das verdunstet, nicht ganz über das Himmelsgewölbe hinaus emporsteigen; vielmehr steigt es nur bis zur halben Höhe des Himmelsgewölbes empor. Es kann also nicht über das Feuer hinaussteigen und erst recht nicht über den Himmel hinaus. 7. Der formlose Zustand der Materie kommt in dem Schriftwort »Die Erde war wüst und leer«8 zum Ausdruck. Der wüste Zustand der Materie bezieht sich aber hier auf ihre Fruchtbarkeit; der Zustand ihrer Leere bezieht sich nach Auffassung der Kirchenväter auf ihre Ausschmückung, d. h. auf das, was sich da auf der Erde bewegt. Demnach hat der formlose Zustand der Materie nichts mit der Lage der Elemente zu tun, wodurch sich ja die Behauptung rechtfertigen ließe, daß ein formloser Zustand der Materie zeitlich ihrer Formung vorangegangen wäre. 8. Derjenige, der etwas sogleich herzugeben vermag, handelte mit geringerer Freigiebigkeit, wenn er es Stück für Stück hergeben würde. Daher heißt es in Spr. 3, 28: »Sprich nicht zu deinem Nächsten: ›Geh und komme morgen wieder, und morgen geb’ ich‹.« Gott aber vermochte es, den Dingen sogleich ein vollkommenes Sein zu verleihen. Insofern er also der Freigiebigste ist, erschuf er keine formlose Materie und formte sie erst hernach. 9. Eine Bewegung vom Mittelpunkt weg [und] hin zum Mittelpunkt9 gibt es nur, wenn die Elemente sich bereits an ihrem natürlichen Ort befinden. Nun ist es angesichts des formlosen Zustandes 8 Vgl. Gen. 1, 2: »Terra erat inanis et vacua.« – Der Terminus »inanis«, der in der Einheitsübersetzung der Bibel mit »wüst« wiedergegeben wird, hat mehrere Bedeutungskonnotationen, die im Verlauf dieser Quaestio noch eine Rolle spielen werden und die mit dem deutschen »wüst« nicht erfaßt werden können. An gegebener Stelle wird hierauf eigens hingewiesen. 9 Vgl. dazu Aristoteles, De caelo I, 3; 270 b 26–31.

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der Materie ganz offensichtlich, daß es hier eine Bewegung vom Mittelpunkt weg [und] zum ihm hin gab. Denn wie es heißt, erhoben sich die Wasser, die verdunsteten, über die Erde. Demnach befanden sich die Elemente bereits an ihrem natürlichen Ort. 10. Verdünnung und Verdichtung sind die Ursache für Schwere und Leichtigkeit, wie aus dem 4. Buch der Physik hervorgeht.10 Nun traten aber Verdünnung und Verdichtung bereits an den Elementen auf. Denn die Wasser sollen damals verdünnter gewesen sein, als sie es heute sind. Demnach trat Schwere und Leichtigkeit auf, und die Elemente nahmen ihren entsprechenden Platz ein, der ihnen aufgrund ihrer Leichtigkeit und Schwere zukommt. 11. Bei jenem formlosen Zustand der Dinge ist es ganz offensichtlich, daß die Erde bereits ihren entsprechenden Platz eingenommen hatte. Denn wenn es in Gen. 1, 9 heißt: »Es werde das Wasser an einen Ort gesammelt, und das Trockene werde sichtbar!«, dann besagt dies, daß die Erde ganz mit Wasser bedeckt war. Dementsprechend befanden sich auch die anderen Elemente bereits an ihrem Platz. Somit gab es bei der Materie überhaupt keinen formlosen Zustand. 12. Was in vollkommener Weise tätig ist, bringt eine vollkommene Wirkung hervor; denn jedes Tätige bringt etwas ihm Ähnliches hervor. Gott aber ist in höchst vollkommener Weise tätig. Demnach brachte er von Anbeginn eine vollkommene und daher auch geformte Materie hervor. Denn die Form ist die Vervollkommnung der Materie. 13. Angenommen, ein formloser Zustand der Materie ging der Formung der Dinge zeitlich voran, dann wies eine solche Materie entweder gar keine Form oder eine bestimmte Form auf. Wenn sie gar keine Form aufwies, so war sie reine Möglichkeit und nicht in der Wirklichkeit. Somit war sie überhaupt noch nicht erschaffen, denn das Ziel der Schöpfung ist das [wirkliche] Sein. Wenn jedoch die Materie eine bestimmte Form aufwies, dann war dies [a] entweder eine elementare Form oder [b] die Form eines zusammengesetzten Körpers. – [a] Im Falle einer elementaren Form wies die Materie entweder nur eine einzige Form oder aber mehrere Formen auf. Wies sie mehrere Formen auf, dann herrschte hier also 10 Aristoteles, Phys. IV, 9; 217 a 10 ff.

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bereits Verschiedenheit vor infolge der verschiedenen elementaren Formen. Wies sie nur eine einzige Form auf, so folgt daraus, daß eine bestimmte elementare Form dem Wesen nach früher an der Materie auftrat als die anderen elementaren Formen. Somit stellte ein einziges Element den Ursprung für die anderen Elemente dar. Dies nahmen auch die ältesten Naturphilosophen an, wenn sie behaupteten, es gebe nur ein einziges Element. Diese Ansicht ist von Aristoteles widerlegt worden.11 – [b] Wenn die Materie die Form eines zusammengesetzten Körpers aufwies, dann heißt dies, daß die Form eines Zusammengesetzten der Natur nach früher an der Materie auftrat als eine elementare Form. Dies ist offensichtlich falsch. Denn eine Zusammensetzung erfolgt nur dann, wenn etwas die Elemente dazu bringt, daß sie zur Form eines zusammengesetzten Körpers zusammengehen. Folglich kann es unmöglich einen formlosen Zustand der Materie vor ihrer Formung gegeben haben. 14. Man wird nun einwenden: Die Materie wies zwar elementare Formen auf, doch nicht in der Weise wie heutzutage. Denn die Wasser waren damals verdünnter und im Zustand eines Wasser-LuftGemisches. – Dem ist zu erwidern: Die Form eines jeden einzelnen Elements erfordert ein bestimmtes Maß an Verdünnung und Verdichtung, ohne das es nicht bestehen kann. Die Verdünnung jedoch, dank der etwas in die Luft emporsteigen kann, ist höher als die spezifische Verfassung des Wassers, das von Natur aus schwerer ist als die Luft. Wenn also eine so große Verdünnung vorherrschte, daß die Wasser als Dunst in die Luft stiegen, dann wiesen jene Wassermassen nicht die spezifischen Merkmale von Wasser auf. Somit traten an der Materie keine elementaren Formen auf, und dies steht im Gegensatz zum oben Behaupteten. 15. Im Sechstagewerk sind aus der formlosen Materie die verschiedenen Gruppen des Seienden geformt worden. Nun wurde während des Sechstagewerkes am zweiten Tag das Himmelsgewölbe geformt. Sollte also tatsächlich eine formlose Materie das Substrat für die vier Elemente bilden, dann hieße dies, daß der Himmel aus

11 Aristoteles, De gen. et corr. II, 5; 332 a 3 ff.

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den vier Elementen entstanden ist. Dies ist von Aristoteles widerlegt worden.12 16. Das Verhältnis zwischen einem natürlichen Körper und seiner äußeren Gestalt entspricht demjenigen von Materie und Form. Nun kann es keinen natürlichen Körper geben, der nicht auch eine bestimmte äußerliche Gestalt hätte. Demnach kann es auch die Materie nur als geformte geben. 17. Wenn die Materie bei ihrer Erschaffung nicht sogleich geformt worden wäre, dann wäre eine Versammlung der Wasser, wie sie für den dritten Schöpfungstag berichtet wird, niemals zustande gekommen. Dies ist aber offensichtlich unmöglich. Denn wenn die Wassermassen die Erde überall bedeckt hätten, dann hätte es keinen Ort gegeben, an dem sie hätten versammelt werden können. Demnach gab es offensichtlich keinen formlosen Zustand der Materie vor der Formung der Dinge. Daß das Wasser die Erde überall bedeckte, erklärt sich vielmehr daraus, daß die Elemente voneinander gesondert sind, wie im dritten Buch von Über den Himmel 13 nachgewiesen wird. 18. Man könnte nun einwenden, daß es Hohlräume unter der Erde gab, in die ein Teil der Wasser versickerte, und daß die Erde somit den Wassern einen Platz [zu ihrer Versammlung] einräumte.14 – Dem ist zu erwidern: Derartige Aushöhlungen bzw. Hohlräume bilden sich aufgrund von bestimmten Gesteinsformationen, durch die die höher gelegenen Erdteile daran gehindert werden, zum (Erd-)Mittelpunkt abzurutschen. So etwas kann es freilich damals noch nicht gegeben haben. Denn da Steine zusammengesetzte Körper sind, würde daraus folgen, daß es einen zusammengesetzten Körper vor der Formung der Elemente gegeben hätte. Folglich kann es solche Hohlräume nicht gegeben haben. 19. Angenommen, es hätte tatsächlich solche Hohlräume in der Erde gegeben, dann hätten sie nicht leer sein können. Sie hätten also voller Luft oder voller Wasser sein müssen. Dies ist aber offensichtlich unmöglich; denn es widerspricht der Natur von beiden Elementen, sich unterhalb der Erde zu befinden. 12 Aristoteles, De caelo I, 2; 268 b 13 ff. 13 Aristoteles, De caelo III, 5; 303 b 9 ff. 14 terra locum praebuit aquis F : terram locum praebuit aquis M.

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20. Entweder befand sich das Wasser, das die Erde überall bedeckte, an seinem natürlichen Platz oder nicht. – Wenn es sich an seinem natürlichen Platz befand, dann konnte es aus dieser Lage nur durch Gewalteinwirkung gebracht werden. Denn aus derjenigen Lage, die ein Körper natürlicherweise einnimmt, kann er nur durch Gewalteinwirkung gebracht werden. So etwas gilt aber für die ursprüngliche Einrichtung der Dinge nicht, bei der die Natur angelegt worden ist und der jede Gewalteinwirkung fremd ist. – Wenn aber jene Lage des Wassers sich einer Gewalteinwirkung verdankte, dann war es aufgrund seiner Natur dazu fähig, an seine frühere Position zurückzukehren. Denn aus derjenigen Position, an der sich etwas infolge von Gewalteinwirkung befindet, bewegt es sich von Natur aus weg. – Somit braucht man es nicht zu den Werken der Formung zu zählen, wenn die Wasser an einem Ort versammelt wurden. 21. Die Dinge sind in derjenigen Ordnung eingerichtet worden, die ihnen natürlich ist. Nun ist aber das Geschiedene von Natur aus früher als das Ungeordnete, so wie auch das Einfache von Natur aus früher ist als die Zusammensetzung. Folglich kann für die Einrichtung der Dinge nicht gelten, daß die Dinge zunächst in einer Unordnung waren und danach voneinander geschieden wurden. 22. Ein Übergang von der Wirklichkeit in die Möglichkeit ist eher für das Vergehen der Dinge charakteristisch als für ihre Einrichtung. Nun ist aber der Übergang vom Zusammengesetzten ins Elementare ein Übergang von der Wirklichkeit in die Möglichkeit, da die Elemente gewissermaßen die Materie für die zusammengesetzten Formen bilden. Demnach kann man bei der Gründung der Dinge nicht sagen, daß die Dinge zunächst in einer Unordnung und Vermischung entstanden und hernach voneinander geschieden wurden. 23. Das eben Gesagte hat offensichtlich seinen Anhalt in den Irrtümern der alten Philosophen, etwa in der Ansicht des Empedokles, der behauptete, daß durch den Streit die Teile der Welt voneinander gesondert würden, nachdem sie zuvor durch die Liebe vermengt waren; sowie in der Ansicht des Anaxagoras, der behauptete, daß einst alles eins gewesen sei und der Geist dann damit begonnen hätte, es zu unterscheiden durch seine Herauslösung aus jenem Ungeordneten und Vermischten. Diese Ansichten sind freilich von den späteren Philosophen hinreichend widerlegt worden. Demnach läßt sich nicht

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sagen, daß es einen formlosen bzw. einen ungeordneten Zustand der Materie vor der Formung der Dinge gegeben habe. dagegen spricht: 1. Bei seiner Auslegung von Eccl. 18, 1: »Der, der in Ewigkeit lebt, schuf alles zugleich« sagt Gregor:15 Alles ist zugleich erschaffen worden, und zwar im Hinblick auf die ihm zugrundeliegende Materie, nicht aber in seiner spezifischen Form. Dies könnte unmöglich so sein, wenn es nicht zunächst eine zugrundeliegende Materie gegeben hätte und wenn dann nicht die spezifischen Formen an ihr aufgetreten wären. Demnach ging eine formlose Materie der Formung der Dinge zeitlich voraus. 2. Was nicht ist, vermag auch keine Wirksamkeit zu entfalten. Nun entfaltet aber die formlose Materie eine Wirksamkeit: sie strebt nach einer Form, wie es im 1. Buch der Physik heißt.16 Demnach kann es eine Materie ohne Form geben. Von daher ist die Annahme, daß eine formlose Materie der Formung der Dinge zeitlich vorausgegangen ist, nicht falsch. 3. Gott kann mehr vollbringen als die Natur. Nun bringt die Natur aus dem möglich Seienden wirklich Seiendes hervor. Demnach bringt Gott aus dem schlechthin Seienden das möglich Seiende hervor. Somit war er in der Lage, eine Materie ohne Form hervorzubringen. 4. Wenn die Hl. Schrift von einem Geschehen in der Vergangenheit berichtet, dann darf man dies nicht in Abrede stellen. Denn kein Christ kann sich, wie Augustinus sagt,17 in einen Widerspruch zur Hl. Schrift setzen. Nun spricht die Hl. Schrift davon, daß die Erde einst wüst und leer war. Folglich kann man dies nicht in Abrede stellen. Dieses biblische Wort bezieht sich aber auf den formlosen Zustand der Materie, wie immer man dies auslegen will. Demnach gab es einst die Materie noch vor ihrer Formung. Ansonsten wäre sie niemals ohne Form gewesen.

15 Gregor der Große, Moralia in Iob XXXII, 21 (CCSL 143 B, 1640). 16 Aristoteles, Phys. I, 9; 192 a 22 ff. 17 Augustinus, De trin. IV, 6 (CCSL 50, 175).

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5. Die geisthaften und körperhaften Geschöpfe sind gleichzeitig erschaffen worden, wie aus der vorhergehenden Untersuchung erhellt.18 Nun ging bei den geisthaften Geschöpfen ein formloser Zustand ihrer Formung sogar zeitlich voran. Folglich und mit gleichem Recht war dies auch bei den körperhaften Geschöpfen so. – Beweis des Mittelsatzes: Die Formung der geisthaften Geschöpfe ist zu verstehen als ihre Hinwendung zum Wort, durch das sie erleuchtet wurden. Gleich nachdem aber das Licht erschaffen worden war, erfolgte auch schon seine Trennung von der Finsternis. ›Finsternis‹ meint nun im Zusammenhang mit den geisthaften Geschöpfen die Sünde. Eine Sünde kann es jedoch im ersten Augenblick der Erschaffung der Engel nicht gegeben haben, denn dann wären die Dämonen zu keinem Zeitpunkt gute Engel gewesen. Folglich waren die geisthaften Geschöpfe im ersten Augenblick ihrer Erschaffung nicht geformt. 6. Dasjenige, woraus etwas entsteht, geht auch zeitlich dem daraus Entstandenen voran. Nun hat Gott die Welt, wie es in Weish. 11, 17 heißt, »aus unsichtbarer Materie« – und d. h. nach Augustinus:19 aus formloser Materie – erschaffen. Demnach ging ein formloser Zustand der Materie zeitlich der Welt voraus. – Beweis des Obersatzes: Nach Aristoteles20 kann mit dem ›Werden‹ der Dinge zweierlei gemeint sein. Im ersten Fall meint man, daß etwas an sich so und so wird; dies gilt von einer Substanz. Im Beispiel gesprochen: ›Ein Mensch wird weiß‹. Oder man meint, daß etwas auf eine akzidentelle Weise, d. h. aufgrund einer Privation bzw. aus seinem Gegenteil, so und so wird. Im Beispiel gesprochen: ›Etwas Nicht-Weißes bzw. Schwarzes wird weiß‹. – Im zweiten Fall meint man, daß etwas aus etwas Bestimmtem wird. Solch ein Werden gibt es bei einer Substanz nur im Hinblick auf eine Privation. Denn man sagt nicht: ›Ein weißer Mensch wird aus einem Menschen‹; man sagt vielmehr: ›Aus Nicht-Weiß bzw. Schwarz wird Weiß‹; oder auch: ›Aus einem schwarzen bzw. nicht-weißen Menschen wird ein weißer Mensch‹. Das ›Woraus‹ des Entstehens meint also eine Privation oder einen 18 Vgl. De pot. q. 3 a. 18. 19 Augustinus, De Gen. ad litt. I, 14 (CSEL 28/1, 20 f.). 20 Aristoteles, Phys. I, 7; 189 b 30 ff.

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Gegensatz bzw. die Materie, an der eine Privation oder ein Gegensatz auftritt. In beiden Fällen aber muß das ›Woraus‹ des Entstehens zeitlich früher dasein. Denn Gegensätzliches kann nicht zur gleichen Zeit bestehen. Genausowenig kann an der Materie zum selben Zeitpunkt sowohl eine Form als auch deren Privation auftreten. Demnach geht dasjenige, woraus etwas wird, dem daraus Gewordenen zeitlich voran. 7. Das Wirken der Natur ahmt, soweit es kann, das Wirken Gottes nach, genauso wie das Wirken einer Zweitursache das Wirken der Erstursache nachahmt. Nun geht die Abfolge bei einem naturhaften Wirken vom Unvollendeten hin zum Vollendeten. Folglich hat auch Gott im zeitlichen Sinn zunächst Unvollendetes hervorgebracht und erst dann zu seiner Vollendung gebracht. Somit ging ein formloser Zustand der Materie ihrer Formung voraus. 8. Augustinus bemerkt zu der Stelle, wo die Hl. Schrift zum ersten Mal über Erde und Wasser spricht – nämlich in Gen. 1, 2: »Die Erde war wüst und leer, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern« –, daß dort Erde und Wasser nicht deshalb erwähnt werden, weil sie dies bereits waren, sondern weil sie dies werden konnten. Folglich besaß die erste Materie zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht die Gestalt von Erde und Wasser, sondern sie war nur in der Lage, diese Gestalt zu besitzen. Somit ging ein formloser Zustand der Materie ihrer Formung voraus. antwort: Wie Augustinus bemerkt,21 sind bei der vorliegenden Frage zweierlei Herangehensweisen möglich: einerseits im Hinblick auf die sachliche Wahrheit selbst, andererseits im Hinblick auf den Sinn der Rede, in der uns Moses, von Gott inspiriert, über den Anfang der Welt berichtet. Bei der ersten Herangehensweise ist zweierlei zu vermeiden: Erstens darf nichts Falsches behauptet werden, insbesondere nicht, was der Wahrheit des Glaubens widerspricht. Zweitens sollte man das, was man einmal für wahr befunden hat, nicht sogleich für eine Glaubenswahrheit halten. So sagt ja Augustinus: »Es bringt Scha21 Augustinus, Conf. XII, 2, 3 (CCSL 27, 196).

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den, wenn man eine falsche Überzeugung schon für einen echten Ausdruck von Frömmigkeit hält und wenn man hartnäckig etwas behauptet, wovon man keine Ahnung hat.«22 Von »Schaden« spricht aber Augustinus deswegen, da die Ungläubigen die Wahrheit des Glaubens verlachen, sobald ein ungebildeter Gläubiger an etwas als einem Glaubensinhalt festhält, was sich aufgrund von unerschütterlichen Nachweisen als falsch herausstellt. Man vergleiche auch Augustinus’ Ausführungen im ersten Buch seines Genesiskommentars.23 Auch bei der zweiten Herangehensweise ist zweierlei zu vermeiden: Erstens sollte man nicht behaupten, es müsse in den Worten der Hl. Schrift, welche die Erschaffung der Dinge lehrt, etwas offensichtlich Falsches zum Ausdruck gebracht worden sein. Denn der Hl. Schrift, welche durch den Hl. Geist inspiriert ist, kann nichts Falsches zugrunde liegen – genausowenig wie dem Glauben, der sich durch die Schrift belehren läßt. Zweitens sollte man die Schrift nicht auf einen einzigen Sinn festlegen, so daß damit andere Verständnismöglichkeiten, die in sich wahr sind und die der Hl. Schrift unter Beachtung des Kontextes entnommen werden können, völlig ausgeschlossen sind. Denn es ist ein Kennzeichen für die Erhabenheit der Hl. Schrift, daß sie in einem einzigen Ausdruck verschiedene Verständnismöglichkeiten birgt und dem jeweiligen Erkenntnisvermögen der Menschen derart entgegenkommt, daß ein jeder erstaunt ist, in der Hl. Schrift die Wahrheit finden zu können, die er begreift. Aus diesem Grund ist sie auch gegenüber den Ungläubigen besser zu verteidigen: Denn sobald sich etwas, das jemand der Hl. Schrift entnehmen will, als falsch erwiesen hat, ist es möglich, auf eine andere Lesart dieser Stelle zurückzugreifen. Von daher ist es nicht unglaubwürdig, daß dem Moses und den anderen Verfassern der Hl. Schrift es durch göttliche Fügung verliehen wurde, das verschieden Wahre, welches die Menschen zu begreifen vermögen, ihrerseits zu erkennen und in einer einzigen Abfolge von Worten so zum Ausdruck zu bringen, daß ein jedes Verständnis den Sinn des Autors wiedergibt. Selbst wenn daher die Ausleger der Hl. Schrift ihrem Buchsta22 Augustinus, Conf. VI, 5, 9 (CCSL 27, 61). 23 Augustinus, De Gen. ad litt. I, 19 (CSEL 28/1, 28 f.).

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ben manches Wahre entnommen haben, was der Verfasser nicht im Sinn hatte, so besteht doch kein Zweifel, daß der Hl. Geist, der ja im eigentlichen Sinne der Urheber der Schrift ist, dies im Sinn hatte. Daher gibt jede Wahrheit, die unter Berücksichtigung des Kontextes der Hl. Schrift entnommen werden kann, ihren Sinn wieder. Unter diesen Voraussetzungen ist also einsichtig, daß die verschiedenen Ausleger der Hl. Schrift den Anfang des Buches Genesis auf verschiedene Weise verstanden und daß dabei keine dieser Verständnisweisen der Wahrheit des Glaubens widerspricht. Was nun die vorliegende Frage anbelangt, so verfolgten die Ausleger hier zwei Richtungen, indem sie nämlich ein zweifaches Verständnis von der Formlosigkeit der Materie entwickelten, welche der Anfang von Buch Genesis namhaft macht in den Worten: »Die Erde war wüst und leer«. (A) Einige Autoren waren nämlich der Ansicht, das eben erwähnte Schriftwort spreche von einem formlosen Zustand der Materie in dem Sinne, daß diese Materie ohne jede Form war, aber der Möglichkeit nach alle Formen aufwies. Solch eine Materie, die nicht durch eine bestimmte Form geprägt war, kann es jedoch im Bereich der natürlichen Dinge nicht geben. Denn alles, was es im Bereich der natürlichen Dinge gibt, existiert der Wirklichkeit nach. Dies verdankt die Materie allerdings ihrer Form, welche ja ihre Wirklichkeit darstellt. Daher gibt es keine formlose Materie im Bereich der natürlichen Dinge. Da zudem nichts zu einer Gattung gehören kann, was nicht durch einen artspezifischen Unterschied innerhalb dieser Gattung bestimmt ist, so kann es keine Materie geben, die durch keine spezifische Seinsweise bestimmt wäre. Solch eine Bestimmung erfolgt allerdings nur durch eine Form. Versteht man daher die Materie auf diese Weise, so kann sie unmöglich ihrer Formung zeitlich vorausgegangen sein, sondern allenfalls in der sachlichen Rangfolge. Denn dasjenige, woraus etwas entsteht, ist dem Wesen nach früher als das Entstandene. In diesem Sinne ist etwa die Nacht früher erschaffen worden. Diese Ansicht vertrat Augustinus. (B) Andere aber waren der Ansicht, der formlose Zustand der Materie besage nicht, daß der Materie jede Form abging. Vielmehr sei mit ›formlos‹ gemeint, daß etwas noch nicht die abschließende

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Vervollkommnung und Abrundung seines Wesens erhalten hat. In diesem Sinne läßt sich behaupten, daß ein formloser Zustand der Dinge auch zeitlich deren Formung vorausgegangen ist. Eine solche Ansicht verträgt sich offensichtlich mit dem weisen Vorgehen des Schöpfers, der die Dinge aus dem Nichts ins Sein und nicht unmittelbar nach dem Nichts in die abschließende Vollkommenheit ihres Wesens brachte, sondern sie zunächst in einem unvollendeten Sein schuf und sie dann in ihr vollendetes Sein brachte. Damit läßt sich gegenüber denjenigen, die die Materie für unerschaffen halten, nachweisen, daß das Sein der Dinge aus Gott hervorgeht. Genauso läßt sich gegenüber denjenigen, welche die Formung der Welt hier unten anderen Ursachen [als dem Schöpfergott] zuschreiben, nachweisen, daß Gott auch der Urheber für die Vervollkommnung der Dinge ist. Dies war die Ansicht Basilius des Großen, Gregors [von Nazianz] und auch von einigen ihrer Schüler. Da also keine der beiden Herangehensweisen der Wahrheit des Glaubens widerstreitet und der biblische Kontext beide Verständnismöglichkeiten gestattet, akzeptieren wir beide und werden nun auf die Argumente eingehen, die von beiden Seiten vorgebracht worden sind. Zu 1. Augustinus meint hier mit ›formloser Materie‹, daß der Materie jede Form abgeht. In diesem Fall muß man aber hinzufügen, daß ihr formloser Zustand ihrer Formung ausschließlich in der sachlichen Rangfolge vorausgeht. Wie Augustinus die Abfolge ihrer Formung verstand, wird im nächsten Artikel besprochen. Zu 2. Hierzu gibt es verschiedene Ansichten. (A) Platon soll angesichts des Buches Genesis gemeint haben, daß hier bei der Erwähnung der Anzahl und Anordnung der Elemente im eigentlichen Sinne von der Erde und vom Wasser die Rede sei. Daß sich aber das Wasser oberhalb der Erde befand, erkläre sich aus dem Schriftwort: »Es werde das Wasser an einen Ort gesammelt, und das Trockene werde sichtbar!«24 Daß sich oberhalb dieser zwei Elemente die Luft befand, erklärte sich Platon aus der Stelle: »Der Geist Gottes schwebte über den Wassern«. Dabei verstand er unter 24 Gen. 1, 9.

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dem »Geist« die Luft und unter dem [dort erwähnten] »Himmel« verstand er das Feuer, das sich an oberster Stelle befindet.25 (B) Weil jedoch nach dem Aufweis von Aristoteles26 der Himmel unmöglich die Wesensform des Feuers hat – dies zeigt sich an seiner kreisförmigen Bewegung –, so folgte Rabbi Moses der Ansicht des Aristoteles und erklärte sich mit Platon nur im Hinblick auf die ersten drei Elemente einverstanden. Er war aber der Ansicht, daß mit der Finsternis das Feuer gemeint sei,27 und zwar deswegen, weil das Feuer in der ihm vorbehaltenen Sphäre kein Licht spendet. Die Lage des Feuers ergebe sich aus der Wendung »über der Urflut«. Mit dem Ausdruck »Himmel« sei aber das fünfte Element28 gemeint. (C) Da jedoch, so Basilius in seinen Homilien zum Sechstagewerk, die Hl. Schrift unter »Geist Gottes« für gewöhnlich nicht die Luft versteht, so meint sie mit den beiden am weitesten auseinander liegenden Elementen, die sie erwähnt, auch die dazwischen liegenden Elemente. Dies liegt vor allem daran, daß für die sinnliche Wahrnehmung klar ist, daß Wasser und Erde körperhaft sind. Dagegen sind Luft und Feuer nicht auf diesem Wege den Ungebildeten zugänglich, zu deren Unterweisung die Hl. Schrift ebenfalls geoffenbart wurde. (D) Nach Augustinus29 sind mit »Erde« und »Wasser«, welche vor der Formung des Lichtes erwähnt werden, nicht diese beiden Elemente in ihrer entsprechenden Form gemeint, sondern die formlose Materie, der noch jede Gestalt abgeht. Wenn aber der formlose Zustand der Materie in erster Linie mit diesen beiden Elementen und nicht durch die anderen Elemente benannt wird, dann liegt dies daran, daß diese in die Nähe eines formlosen Zustandes kommen. Denn sie weisen mehr Materie und weniger Form auf. Diese beiden Elemente sind uns zudem vertrauter und führen uns die Materie plastischer vor Augen als die anderen Elemente. Wenn aber die Hl. Schrift die Materie nicht nur durch ein einziges, sondern durch zwei Elemente bezeichnet wissen wollte, dann liegt dies daran, daß 25 26 27 28 29

Vgl. Augustinus, De civ. Dei VIII, 11 (CCSL 47, 228). Aristoteles, De caelo I, 3; 269 b 29 ff. Vgl. Gen. 1, 2: »Finsternis lag über der Urflut«. Gemeint ist der Äther. Ps.-Augustinus, Dialogus quaestionum LXV, q. 21 (PL 40, col. 740).

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man bei der Erwähnung von nur einem der beiden Elemente hätte glauben können, dieses Element sei tatsächlich mit der formlosen Materie gleichzusetzen. Zu 3. Wenn es nach Ansicht von Basilius und anderer Väter am Anfang einen formlosen Zustand der Dinge gab, so braucht man hierbei nicht anzunehmen, daß den Elementen ihre natürlichen Qualitäten abgegangen wären. Vielmehr besaß ein jedes von ihnen Formen, und zwar sowohl substantielle als auch akzidentelle. Zu 4. Bei der Lage der Elemente ist Zweierlei zu berücksichtigen: Zum einen ihre jeweilige Natur; in diesem Fall liegt von Natur aus das Feuer unmittelbar über der Luft, und die Luft über dem Wasser, sowie das Wasser über der Erde. – Zum anderen die notwendigen Bedingungen für das Entstehen von Leben, welches in der mittleren Zone stattfindet; in diesem Fall ist es erforderlich, daß die Oberfläche der Erde zumindest teilweise von Wasser frei ist, so daß dort eine entsprechende Entstehung und Erhaltung von Zusammengesetztem möglich wird, insbesondere von höheren Lebewesen, welche die Luft zum Atmen benötigen. Es läßt sich demnach festhalten: Jenes anfänglich formlose Stadium bezieht sich nicht auf diejenige Lage, die den Elementen als solchen natürlich ist – denn diese Lage nahmen ja alle Elemente ein –, sondern es bezieht sich auf diejenige Lage, welche die Elementen einnehmen müssen, damit es zur Entstehung von Zusammengesetztem kommen kann. Eine solche Lage nahmen die Elemente noch nicht ein, da auch noch keine zusammengesetzten Körper hervorgebracht waren. Zu 5. Über die Wasser, die sich oberhalb des Himmels befinden, gibt es verschiedene Ansichten. Manche behaupteten nämlich, diese Wasser seien geistige Wesen, und schrieben diese Ansicht Origenes zu. Diese Verständnismöglichkeit gibt jedoch der Wortlaut der Hl. Schrift nicht her – denn den geistigen Wesen kommt keine örtliche Lage zu –, so daß nach dem Bericht der Hl. Schrift offensichtlich das Himmelsgewölbe die Trennlinie zwischen diesen Wesen und den darunterliegenden körperhaften Wassern darstellt. Andere waren daher der Ansicht, mit »Himmelsgewölbe« sei die uns nächstgelegene Atmosphäre gemeint, in die die verdampfenden

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Wasser infolge von Verdunstung als Regenwolken emporstiegen. Demnach markiere die Atmosphäre die Mitte zwischen den höher gelegenen Wassern, die sich als Dunst in die mittleren Schichten der Luft emporhoben, und den körperhaften Wassern, die wir auf der Erde aufruhen sehen. Dieser Auslegung stimmt auch Rabbi Moses zu.30 Dieses Verständnis gibt jedoch der biblische Text offenbar nicht her. Denn es folgt die Stelle: »Gott schuf die beiden großen Leuchten31 und die Sterne und setzte sie an das Gewölbe des Himmels«.32 Wiederum andere meinten daher, unter »Himmelgewölbe« sei der Gestirnshimmel zu verstehen. Die Wasser oberhalb des Himmels hätten die Natur des elementaren Wassers, und die göttliche Vorsehung habe sie hierher versetzt, um die Kraft des Feuers, aus dem ihrer Meinung nach der gesamte Himmel bestehe, zu bändigen. Dies deutet etwa Basilius an.33 Zur Stützung dieser Ansicht werden nach Aussage von Augustinus34 zwei Argumente vorgebracht. Erstens: Wenn das Wasser infolge seiner Verdünnung bis in die mittleren Schichten der Luft, wo der Regen entsteht, aufsteigen kann und wenn es durch weitere Teilung noch mehr verdünnt wird – Wasser ist ja wie jedes Kontinuum ins Unendliche teilbar –, dann wird es offenbar aufgrund seiner Leichtigkeit über den Gestirnshimmel hinaus steigen und sich dort auch aufhalten können. Zweitens: Der Saturn, der doch der heißeste Stern sein müßte aufgrund seiner überaus schnellen Bewegung auf der größten Umlaufbahn, läßt Anzeichen von Kälte erkennen. Dies, so behaupten jene, beruhe auf der Nachbarschaft jener Wasser, welche diesen Stern abkühlen. Das Mangelhafte an dieser Auslegung liegt offensichtlich in der Behauptung, daß die Hl. Schrift eine Ansicht vertrete, deren Gegenteil durch überzeugende Gründe zur Genüge erwiesen ist. – Zunächst einmal sei auf diejenige Ansicht eingegangen, welche die natürliche Anordnung der Körper offenbar in ihr Gegenteil verkehrt: 30 Mose ben Maimon, Führer der Unschlüssigen II, 30 (ed. Weiss II, 204–206). 31 Gemeint sind Sonne und Mond. 32 Gen. 1, 16-17. 33 Basilius Magnus, Homiliae III, 4 (SC 26, 210). 34 Augustinus, De Gen. ad litt. II, 4–5 (CSEL 28/1, 36–39).

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Da nämlich jeder Körper um so höher angesiedelt ist, je mehr Formung er aufweist, so ist es offensichtlich mit der Natur der Dinge unvereinbar, daß das Wasser, welches mit Ausnahme der Erde unter allen Körpern am meisten der Materie verhaftet ist, noch über dem Sternenhimmel angesiedelt sein könnte. Zudem stimmt es nicht, daß Dinge aus ein und derselben Spezies einen je verschiedenen natürlichen Ort einnehmen. Dies wäre ja der Fall, wenn ein Teil des elementaren Wassers sich über der Erde und der andere Teil sich oberhalb des Himmels befände. Ebenso unzureichend wäre die Erwiderung, daß Gottes Allmacht jene Wassermassen entgegen ihrer Natur oberhalb des Himmels hält. Denn gegenwärtig handelt es sich um die Frage, auf welchem Wege Gott die Natur der Dinge eingerichtet hat, und nicht darum, wie Augustin in eben angeführten Schrift sagt,35 ob Gott an ihnen ein Wunder seiner Macht vollbringen will. Zweitens: Das Argument von der Verdünnung bzw. Teilung der Wassermassen ist offensichtlich ohne jeden Wert. Denn auch wenn mathematische Körper ins Unendliche geteilt werden können, so können natürliche Körper doch nur bis zu einem bestimmten Punkt geteilt werden, da das Ausmaß einer bestimmten Form, ebenso wie bei jedem anderen Akzidens, begrenzt ist. Daher kann auch eine Verdünnung nicht ins Unendliche gehen, sondern nur bis zu einem ganz bestimmten Punkt, der hier in dem Verdünnungsgrad des Feuers liegt. Zudem könnte das Wasser nur so verdünnt werden, daß es nun nicht mehr Wasser, sondern Luft oder Feuer wäre, sobald es einmal den Verdünnungsgrad des Wassers überschritten hat. Ebenso könnte das Wasser den Aufenthaltsbereich der Luft und des Feuers von Natur aus nur dann übersteigen, wenn es seine Natur als Wasser ablegen und den Verdünnungsgrad jener Elemente übertreffen könnte. Ebenso ist es unmöglich, daß ein elementarer Körper, der vergänglich ist, mehr Formung aufweist als der Gestirnshimmel, welcher unvergänglich ist, und daß er somit von Natur aus oberhalb von diesem angesiedelt ist. Drittens: Der zweite angeführte Grund ist überhaupt nicht stichhaltig. Denn wie die Philosophen nachweisen, können Himmels35 Augustinus, De Gen. ad litt. II, 4–5 (CSEL 28/1, 36–39).

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körper keiner Einwirkung von außen unterliegen. Somit ist es auch unmöglich, daß der Saturn von jenen Wassern abgekühlt wird. Andernfalls würden ja auch alle Sterne, die sich in der achten Himmelssphäre befinden, abgekühlt werden. Die meisten von ihnen zeichnet es jedoch aus, daß sie einen erwärmenden Einfluß ausüben. Deswegen muß man offenbar anders vorgehen, wenn man die Wahrheit der Hl. Schrift vor verdrehenden Auslegungen in Schutz nehmen will. Wir wollen also feststellen, daß die besagten Wassermassen nicht die Natur des elementaren Wassers, sondern die Natur der Quintessenz haben. Dabei haben sie mit dem irdischen Wasser die Durchsichtigkeit gemeinsam, genauso wie das Empyreum mit dem irdischen Feuer die Strahlkraft gemeinsam hat. Jene Wasser bezeichnen manche als den Kristallhimmel, allerdings nicht deswegen, weil er nach Art eines Kristalls aus gefrorenem Wasser entstünde. Denn solch eine Vorstellung über den Himmel zeugte, wie Basilius in seinen Homilien zum Sechstagewerk sagt,36 von einer kindlichen Schlichtheit und Dummheit. Der Grund liegt vielmehr in der Festigkeit dieses Himmels, denn es heißt ja in Hiob 37, 18 von allen Himmeln, daß sie »äußerst fest sind, wie in Erz gegossen«. Dieser Himmel wird auch von den Sternkundigen als die neunte Sphäre bezeichnet. Daher stimmt selbst Augustinus keiner der gerade erwähnten Auslegungen zu, sondern zieht sie in Zweifel, wenn er in seiner schon angeführten Schrift sagt: »Auf welche Weise und von welchen Eigenschaften diese Wasser dort auch immer sind, so haben wir nicht den geringsten Zweifel, daß sie dort sind. Denn das Gewicht der Hl. Schrift ist größer als das Fassungsvermögen des menschlichen Geistes insgesamt.«37 Zu 6. Diesem Argument stimmen wir zu. Zu 7. Wenn man entsprechend der Auslegung von Basilius38 und seiner Schüler unter ›Erde‹ das Element Erde versteht, so kann man zum einen die Erde als Prinzip für manche Dinge ansehen, namentlich für die Pflanzen, denen sie nach einem Wort aus dem Buch Von

36 Basilius, Homiliae III, 4 (SC 26, 210). 37 Augustinus, De Gen. ad litt. II, 5 (CSEL 28/1, 37–39). 38 Basilius, Homiliae IV, 5 (SC 26, 258–260).

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den Pflanzen 39 wie eine Mutter ist. Somit war die Erde, was diese Pflanzen anbelangt, leer, bevor sie diese hervorbrachte. Denn ›leer‹ und ›vergeblich‹ nennt man das, was nicht zu seiner jeweiligen Wirkung bzw. seinem jeweiligen Ziel gelangt. – Zum anderen kann man aber die Erde als den Wohnplatz und Aufenthaltsort für die Tiere ansehen, angesichts von denen die Erde als noch leer beschrieben wird. Im übrigen lautet der Text der Septuaginta: »Die Erde war nicht sichtbar und nicht zusammengesetzt.« Demzufolge war ein Teil der Erde nicht zu sehen, da er von Wasser bedeckt war. Zudem war das Licht noch nicht erschaffen, das sie sichtbar gemacht hätte. Nicht zusammengesetzt war die Erde, da ihr noch Pflanzen und Tiere zu ihrer Ausschmückung fehlten und da es noch keinen geeigneten Ort für deren Entstehung und Erhaltung gab. Wenn man aber mit Augustinus40 unter »Erde« die erste Materie versteht, so heißt sie »haltlos«41 im Blick auf das Zusammengesetzte, mit dem sie erst Bestand hat. Denn das Haltlose steht im Gegensatz zur Festigkeit und Beständigkeit. »Leer« aber heißt sie im Blick auf die Formen, die ihrem potentiellen Sein noch fehlten. Daher bringt auch Platon42 die Aufnahmefähigkeit der Materie in einen Zusammenhang mit dem Raum, insofern das räumlich Ausgedehnte vom Raum aufgenommen wird. »Leer« und »voll« werden aber im eigentlichen Sinn vom Raum ausgesagt. »Nicht sichtbar« heißt die Materie auch im Hinblick auf ihre Formlosigkeit, da sie keine Form hat, welche die Voraussetzung für alles Erkennen ist. »Nicht zusammengesetzt« heißt sie, da sie nur in einem Zusammengesetzten Bestand hat. Zu 8. Zur Freigiebigkeit eines Gebers gehört nicht nur, daß er sogleich gibt, sondern auch, daß er ein jedes in geregelter Weise und zum passenden Zeitpunkt gibt. Daher geht es an der Stelle, wo es heißt: »Sprich nicht zu Deinem Nächsten: ›Geh und komme wieder, und morgen geb’ ich‹, wenn Du sogleich geben könntest«,43 nicht nur um das Vermögen, etwas einfach herzugeben, sondern auch um das 39 40 41 42 43

Aristoteles, De Vegetabilibus I, 2; 817 a 25 f. Siehe Anm. 28. Übersetzung für »inanis«. Vgl. dazu oben Anm. 8. Plato latinus 52 A (ed. Waszink, 50). Spr. 3, 28.

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Vermögen, dies in angemessener Weise zu tun. Um also eine angemessene Ordnung einzuhalten, hat Gott daher die Geschöpfe zunächst in einer Art Unvollkommenheit belassen, damit sie so Schritt für Schritt aus dem Nichts zur Vollkommenheit gelangten. Zu 9. Wie ausgeführt, befanden sich die Elemente an demjenigen Ort, der ihnen natürlich ist. Daher ist der Einwand gegen diese Ansicht nicht stichhaltig. Zu 10./11. Hier läßt sich das Gleiche sagen. Zu 12. Was in vollkommener Weise tätig ist, bringt auch eine vollkommene Wirkung hervor. Gleichwohl muß diese Wirkung ihrem Wesen nach nicht gleich bei ihrem Eintreten in jeder Hinsicht vollkommen sein. Vielmehr genügt es, daß sie entsprechend diesem Anfangsstadium vollkommen ist. In diesem Sinne läßt sich auch ein Kind gleich nach seiner Geburt als vollkommen bezeichnen. Zu 13. Nach derjenigen Ansicht, die wir hier vertreten, begründet sich die Rede davon, daß die Materie formlos gewesen sei, nicht daraus, daß ihr jede Form abgegangen sei; auch nicht daraus, daß sie nur eine einzige Form aufgewiesen habe, welche die Möglichkeit zu allen anderen Formen in sich geborgen habe – so etwas behaupteten ja die alten Naturphilosophen, die ein einziges Prinzip annahmen; ebensowenig daraus, daß unter ihr tatsächlich mehrere Formen befaßt seien, wie dies ja bei den zusammengesetzten Dingen der Fall ist. Vielmehr wies die Materie in ihren verschiedenen Teilen jeweils andere elementare Formen auf. Gleichwohl heißt die Materie formlos, weil mit ihr noch nicht die Formen von zusammengesetzten Körpern verbunden waren. Im Hinblick auf diese Formen haben die elementaren Formen ein potentielles Sein. Zudem waren, wie bereits ausgeführt, die Elemente noch nicht so plaziert, daß solche Körper hätten entstehen können. Zu 14. Nichts, weder die Autorität des Buches Genesis noch irgendeine vernünftige Einsicht, zwingt uns zu der Feststellung, daß bei jenem Anbeginn der Dinge die Materie den elementaren Formen in anderer Weise zugrunde lag als heute. Gleichwohl mag es möglich gewesen sein, daß ein Teil des Wassers durch Verdampfung in den Himmel stieg, wie dies ja auch heute noch vorkommt. Vielleicht geschah dies damals, als die Erde ganz mit Wasser bedeckt war, in einem noch etwas größeren Umfang.

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Zu 15. Über das Himmelsgewölbe, das am zweiten Schöpfungstag geformt wurde, gibt es mehrere Ansichten. Manche behaupten nämlich, dieses Himmelsgewölbe sei nichts anderes als der Himmel, dessen Erschaffung am ersten Schöpfungstag erwähnt wird. Sie sind der Meinung, daß die Schrift zunächst summarisch das Erschaffene erwähnt und dann erläutert, wie dieses im Verlauf von sechs Tagen erschaffen worden ist. Diese Ansicht vertritt Basilius in seinen Homilien zum Sechstagewerk.44 Andere behaupten, das Himmelsgewölbe, das am zweiten Tag erschaffen wurde, und der Himmel, dessen Erschaffung am ersten Tag erwähnt wird, seien zweierlei. Diese Ansicht kennt drei Spielarten. [a] Manche behaupten nämlich, unter dem Himmel, der am ersten Tag erschaffen wurde, seien die geistigen Geschöpfe – ob nun geformt oder noch ungeformt – zu verstehen. Unter dem Himmelsgewölbe, das am zweiten Tag erschaffen wurde, sei aber der körperhafte Himmel, der für uns sichtbar ist, zu verstehen. Diese Ansicht vertritt Augustinus, wie aus seinem Genesis-Kommentar und aus dem 12. Buch seiner Bekenntnisse hervorgeht.45 [b] Andere behaupten, unter dem Himmel, der am ersten Tag erschaffen wurde, sei das Empyreum zu verstehen, unter dem Himmelsgewölbe aber, das am zweiten Tag erschaffen wurde, sei der Sternenhimmel, der für uns sichtbar ist, zu verstehen. Dieser Ansicht war Strabo, wie aus der Glosse zu Gen. 1 hervorgeht.46 [c] Wieder andere sagen, unter dem Himmel, der am ersten Tag erschaffen wurde, sei der Sternenhimmel zu verstehen, unter dem Himmelsgewölbe, das am zweiten Tag erschaffen wurde, sei hingegen die Atmosphäre zu verstehen, die unmittelbar oberhalb der Erde liegt und die die oben erwähnten Wassermassen voneinander trennt. Auf diese Ansicht spielt Augustinus in seinem Genesis-Kommentar an, und auch Rabbi Moses vertritt sie.47 44 Basilius, Homiliae III, 3 (SC 26, 202). 45 Augustinus, De Gen. ad litt. I, 9 (CSEL 28/1, 11 f.); Conf. XII, 8 (CCSL

27, 20). 46 Walafrid Strabo, Glosa ordinaria. Liber Genesis I, 1 (PL 113, col. 68). 47 Augustinus, De Gen. ad litt. I, 9 (CSEL 28/1, 11 f.). Mose ben Maimon, Führer der Unschlüssigen II, 30 (ed. Weiss II, 205 f.).

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Die zuletzt erwähnte Ansicht erlaubt nun eine leichte Lösung dieses Problems. Denn dem Himmelsgewölbe, das am zweiten Tag erschaffen wurde, eignet nicht die Natur der Quintessenz. Von daher spricht nichts dagegen, daß es beim Himmelsgewölbe einen Übergang von der Formlosigkeit zur Geformtheit gegeben hat. Dies gilt sowohl für den Prozeß seiner Verdünnung, der sich dem Rückgang des emporgestiegenen Wasserdampfes verdankte, da ja die Wasser an einem Ort versammelt wurden; und dies gilt auch für seine Lage, insofern an die Stelle des zurückweichenden Wassers die Luft nachdrängte. Was dagegen die ersten drei Ansichten anbelangt, die unter dem Himmelsgewölbe den Sternenhimmel verstehen, so kann man hier nicht behaupten, daß es bei diesem Himmel einen Übergang von der Formlosigkeit zur Geformtheit gegeben habe und er so gleichsam eine neue Form angenommen hätte. Denn auch im Falle der Elemente hier unten zwingt uns die Hl. Schrift nicht, solch einen Prozeß anzunehmen. Vielmehr gibt die Hl. Schrift zu verstehen, daß dem Himmelsgewölbe die Kraft zur Hervorbringung der zusammengesetzten Dinge verliehen wurde und daß darin seine Formung bestand. Genauso bezweckte ja, wie bereits besprochen,48 die Formung der Elemente hier unten die Hervorbringung der zusammengesetzten Dinge. Denn genauso wie die Elemente hier unten die Materie für die zusammengesetzten Dinge darstellen, so ist das Himmelsgewölbe die bewegende Ursache für diese Dinge. Somit kann man die Scheidung der nieder gelegenen von den höher gelegenen Wassern in der Weise verstehen, daß ein Mittleres zwischen die beiden Glieder tritt und so zwischen beiden eine Trennung vornimmt. Die Wassermassen hier unten sind ja der Veränderung unterworfen, da sie infolge der Bewegung des Himmelsgewölbes die Materie für die Zusammensetzung der Dinge abgeben. Auf die Wasser dort oben trifft dies hingegen nicht zu. Gleichwohl ist es kein schwerwiegender Einwand hierzu, wenn man mit Augustinus annimmt, daß es auch der Zeit nach zunächst einen formlosen Zustand der Materie gab. Denn man muß einem Himmelskörper eine Art von Materie zuschreiben, insofern sich dieser als bewegt zeigt. 48 Siehe De pot. q. 4 a. 1 ad 13 und ad 14.

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Deshalb ist es unproblematisch, wenn man die Materie im Hinblick auf die sachliche Rangfolge als zunächst formlos ansieht, obgleich keine Formung in einem zeitlichen Sinne nachträglich stattfindet. Aus diesem Grund besteht kein Anlaß zur Behauptung, daß ein Himmelskörper und die Elemente hier unten über eine einzige, ihnen gemeinsame Natur verfügen, auch wenn sie nach Ansicht von Augustinus mit einem einzigen Ausdruck, z. B. mit »Wasser« oder »Erde«, bezeichnet werden. Denn diese Einheit ist hier keine substantielle, sondern eine Einheit im Sinne einer gegenseitigen Zuordnung, insofern man eine jede Materie als etwas Potentielles gegenüber einer Form betrachtet. Zu 16. Die Antwort ergibt sich aus dem bereits Gesagten. Denn der formlose Zustand der Materie versteht sich nicht in dem Sinne, daß ihr jede Form abgeht, sondern in dem bereits erläuterten Sinne. Zu 17. Die Ansicht von Augustinus, daß die erste Erwähnung von Erde und Wasser nicht die Elemente meine, sondern die erste Materie, kommt nicht in Konflikt mit der Versammlung der Wasser. Denn nach seiner eigenen Aussage49 verweisen die Worte »Es entstehe das Himmelsgewölbe!« auf die Formung der Himmelskörper am zweiten Tag. Genauso verweisen die Worte »Es werde das Wasser gesammelt!« auf die Formung der Elemente hier unten am dritten Tag. Insbesondere meinen hier die Worte »Es werde das Wasser gesammelt!«, daß das Wasser seine Form erhielt, und die Worte »Es werde das Trockene sichtbar!« meinen das Gleiche für die Erde. Bei der Formung dieser Elemente hat [Gott] jene Worte verwendet und nicht das Wort ›erschaffen‹ wie im Falle des Himmels; er sagte also nicht »Es entstehe das Wasser und die Erde!«, so wie er zuvor gesprochen hatte: »Es entstehe das Himmelsgewölbe!« Damit sollte die Unvollkommenheit dieser Formen und ihre Nähe zur ungeformten Materie zum Ausdruck kommen. Das Wort ›versammeln‹ hat [Gott] beim Wasser verwendet, um dessen Beweglichkeit namhaft zu machen, und das Wort ›sichtbarwerden‹ bei der Erde, um ihre Festigkeit namhaft zu machen. Daher sagt ja Augustinus selbst: »Deswegen ist vom Wasser gesagt, es solle sich sammeln, und von der Erde, sie solle

49 Augustinus, De Gen. ad litt. II, 7–8 (CSEL 28/1, 42 ff.).

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sichtbar werden, weil das Wasser hin- und herfließt und die Erde fest an einem Ort bleibt.«50 Wenn man sich aber die Ansicht von Basilius und anderer Väter zu eigen macht, der zufolge an den verschiedenen Bibelstellen ein und dasselbe Wasser bzw. ein und dieselbe Erde gemeint ist, diese aber früher und später in je anderer Weise verfaßt sind, dann steht dieser Ansicht ein Mehrfaches entgegen. Denn einige behaupteten, es habe Bereiche auf der Erde gegeben, die nicht mit Wasser bedeckt gewesen seien, und dorthin sei das Wasser, welches die bewohnbare Erde bedeckte, auf göttlichen Befehl versammelt worden. Augustinus aber weist eine solche Ansicht aufgrund des biblischen Textes zurück, wenn er sagt: »Wenn es ein Stück nackter Erde gegeben hätte, wohin die Wasser hätten versammelt werden können, dann wäre bereits Trockenes sichtbar gewesen. Dies widerspricht aber dem Wortlaut des biblischen Textes.«51 Aus diesem Grund meinten andere, das Wasser sei zunächst so verdünnt wie Nebel gewesen, sei dann aber verdichtet und auf gedrängterem Raum versammelt worden. Diese Ansicht bringt jedoch eine nicht unerhebliche Schwierigkeit mit sich. Denn zum einen hätte es dann kein wirkliches Wasser gegeben, wenn es in Form von Dunst aufgetreten wäre. Zum anderen hätte es die Luft von ihrem Ort verdrängt, für die es wiederum keinen Platz gegeben hätte. Deswegen meinten wieder andere, in der Erde hätte es einige Hohlräume gegeben, die mit Gottes Wirken die Wassermassen hätten aufnehmen können. Dem steht aber offensichtlich der akzidentelle Umstand entgegen, daß ein Teil der Erde vom Mittelpunkt weiter entfernt ist als der andere. Bei jener Formung der Dinge erhielt die Natur vielmehr die für sie charakteristische Verfassung, wie Augustinus in seinem bereits erwähnten Buch ausführt.52 Daher ist es offensichtlich angemessener, mit Basilius53 anzunehmen, die Wasser seien zunächst über viele Gegenden verbreitet gewesen und seien hernach an einem Ort versammelt worden. Dies 50 51 52 53

Augustinus, De Gen. ad litt. II, 7–8 (CSEL 28/1, 42 ff.). Augustinus, De Gen. ad litt. I, 9 (CSEL 28/1, 11 f.). Augustinus, De Gen. ad litt. I, 6 (CSEL 28/1, 10 f.). Basilius, Homiliae IV, 4 (SC 26, 256 ff.).

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bringt offensichtlich auch der biblische Text selbst mit der Verwendung des Wortes ›versammeln‹ zum Ausdruck. Denn auch wenn das Wasser die gesamte Erde bedeckte, so braucht sie nicht überall mit solch tiefem Wasser bedeckt gewesen zu sein, wie man es heutzutage an manchen Stellen vorfindet. Zu 18. Weil die mineralischen Körper im Gegensatz zu den belebten Körpern keinen so hohen Grad an Vollkommenheit aufweisen, welcher die Elemente deutlich übertrifft, so läßt sich nicht sagen, die mineralischen Körper seien unabhängig von den Elementen geformt worden. Vielmehr ist es wohl so, daß ihre Hervorbringung zusammen mit der Einsetzung der Elemente erfolgte. Daher spricht nichts dagegen, daß es bereits vor der Versammlung der Wasser einige Hohlräume gegeben hat, so daß die Erde dann dem Wasser einen Platz zu Verfügung stellen konnte, wo es sich in Vertiefungen an der Erdoberfläche sammelte. Gleichwohl scheinen die Worte Augustins, wo er kurz auf diese Ansicht eingeht, eher danach zu klingen, daß es diese Hohlräume zunächst nicht unter der Erde gegeben hat, sondern daß sie eher an der Erdoberfläche zu dem Zeitpunkt entstanden seien, als die Wasser versammelt wurden. So sagt er ja: »Die Erde, die weit und breit vertieft war, konnte noch andere ausgehöhlte Bereiche zu Verfügung stellen, wodurch die zusammenfl ießenden und reißenden Wasser Aufnahme finden konnten und das Trockene sichtbar wurde, wodurch sich wiederum das Land herausbildete.«54 Dem stimmt auch Basilius zu, wenn er sagt: »Sobald einmal den Wassern das Gebot erteilt war, sich an einem Ort zu versammeln, da war auch schon die Grundlage für ihre Aufnahme geschaffen. Somit wurde auf göttlichen Befehl ein geeigneter Platz für die Wassermassen bereitgestellt, die dort zusammenströmten.«55 Mit diesem geeigneten Platz sind daher wohl Vertiefungen an bestimmten Stellen der Erde gemeint. Denn es gibt augenscheinlich auch bestimmte Stellen der Erde, die hier und dort höher liegen, wie z. B. Hügel und Berge. Zu 19. Wenn es Erdhohlräume nicht von vornherein gegeben hat, so ist dieser Einwand nach dem gerade Ausgeführten verfehlt. Wenn es sie aber von vornherein gegeben hat, dann ist zu sagen, daß es 54 Augustinus, De Gen. ad litt. I, 12 (CSEL 28/1, 19). 55 Basilius, Homiliae IV, 4 (SC 26, 256 ff.).

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zwar für Wasser und Luft unnatürlich ist, sich unter der Erde zu befinden, solange die Erde sich selbst überlassen ist. Anders sieht es aber aus, wenn die Erde in ihrer eigenen Bewegung irgendwie behindert wird. Denn wir sehen es an unterirdischen Hohlräumen, daß Luft unter die Erde dringt, welche von Stützen gehalten wird, und dies deswegen, weil die Natur kein Vakuum duldet. Wenn man aber, wie oben ausgeführt, behauptet, daß die Wasser, die mit geringerer Wassertiefe über die gesamte Erdoberfläche verteilt waren, nachher an einem bestimmten Bereich der Erde mit größerer Wassertiefe versammelt wurden, dann werden diese Einwände gegenstandslos. Zu 20. Wenn man die natürliche Lage der Elemente, die ihrer jeweiligen Natur an sich entspricht, in Betracht zieht, dann ist es für das Wasser natürlich, unmittelbar über der Erde liegen, genauso wie die Luft unmittelbar über dem Wasser liegt. Betrachtet man hingegen die Elemente im Hinblick auf die Entstehung der zusammengesetzten Dinge, zu der auch die Bewegung der Himmelskörper beiträgt, dann kommt ihnen eine Lage zu, wie sie ihnen im weiteren Verlauf zugewiesen wurde. Sobald nämlich das Trockene sichtbar wurde, da wurden, wie es gleich am Anschluß an diese Stelle heißt, die Pflanzen hervorgebracht. Was jedoch mit den Elementen aufgrund des Einflusses der Himmelskörper geschieht, das ist für sie nicht unnatürlich, wie Averroes in seinem Kommentar zum 3. Buch von Über den Himmel sagt.56 Dies zeigt sich etwa an den Gezeiten des Meeres. Freilich ist dies nicht die natürliche Bewegung von Wasser, da dieses schwer ist und daher nicht zu einem Auf und Ab neigt. Gleichwohl ist diese Bewegung natürlich für es, da es von einem Himmelskörper wie ein Werkzeug bewegt wird. Erst recht läßt sich dies füglich von dem sagen, was mit den Elementen aufgrund der göttlichen Verfügung geschieht, durch welche ja die gesamte Natur der Elemente Bestand hat. Was das vorliegende Problem anbelangt, so tragen beide Kräfte zur Versammlung der Wasser bei: in erster Line die göttliche Kraft und in zweiter Linie die Kraft der Gestirne.

56 Averroes, In III Coeli com. 20 (Aristotelis opera cum Averrois commetaria, Vol. V, fol. 187 v H–188 r B).

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Daher spricht die Schrift gleich nach der Erschaffung des Himmelsgewölbes von der Versammlung der Wasser. Gleichwohl kann man auch aus der Natur des Wassers selbst eine passende Erklärung ableiten. Da nämlich, wie Aristoteles im 8. Buch seiner Physik erklärt,57 das umfangende Element einen höheren Grad an Formung aufweist als das umfangene Element, so erreicht das Wasser insoweit keine vollkommene Umfassung der Erde, als es selbst keinen so vollkommenen Grad an Formung aufweist wie Feuer und Luft und es daher eher der Dichtigkeit der Erde als dem Verdünnungsgrad des Feuers gleichkommt. Zu 21. Die Unordnung, die nach dem biblischen Bericht am Anbeginn der Welt vorgeherrscht hat, meint keine Vermischung der Elemente, sondern das Gegenteil zu jener Einteilung, die heute in den Teilen der Welt besteht und die für die Hervorbringung und Erhaltung des Lebendigen zuträglich ist. Zu 22./23. Infolge des eben Gesagten ist hier die Antwort klar. Auf die Gegenargumente, die die Sichtweise des Augustinus vertreten, ist Folgendes zu antworten: Zu 1. Gregors Worte bringen hier eine Ansicht zur Sprache, die wir im vorigen vertreten haben. Gleichwohl sollte man Gregors Worte nicht so verstehen, daß bei der Schöpfung am Anfang der Materie für alle Dinge jede Art von Form abgegangen wäre. Wie bereits dargelegt, gingen der Materie vielmehr einige bestimmte Formen, z. B. die Form des Lebendigen, ab sowie die Ordnung, die für seine Hervorbringung vonnöten ist.58 Zu 2. Das Streben nach der Form meint keine Tätigkeit der Materie, sondern es meint, daß die Materie auf eine Form angelegt ist. Im Hinblick auf diese Form ist die Materie etwas Potentielles, wie Averroes in seinem Kommentar zum ersten Buch der Physik darlegt.59 Zu 3. Wenn Gott nur Mögliches erschaffen würde, dann würde er weniger zustande bringen als die Natur, die Wirkliches hervor57 Aristoteles, Phys. VIII, 4; 255 b 5 ff. 58 Siehe De pot. q. 4 a. 1. ad 4 und ad 13. 59 Averroes, In I Phys. com. 81 (Aristotelis opera cum Averrois com-

metaria, Vol. V, fol. 46 r C–46 v G).

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bringt. Der Vollkommenheitsgrad einer Tätigkeit bemißt sich nämlich eher nach ihrem Zielpunkt als nach ihrem Ausgangspunkt. Jene Behauptung impliziert jedoch den Widerspruch, daß etwas ins Sein gelangt, was nur der Möglichkeit nach ist. Denn wie im 4. Buch der Physik nachgewiesen wird, muß das, was hervorgebracht worden ist, auch [wirklich] sein, sobald es einmal ist.60 Was aber nur der Möglichkeit nach ist, ist einfach nicht. Zu 4. Wenn man, wie Augustinus dies tut, das Schriftwort: »Die Erde war wüst und leer« für einen gänzlich formlosen Zustand der Materie in Anspruch nimmt, dann ist dies nicht so zu verstehen, daß sich die Materie zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich in diesem Zustand befunden hätte, sondern vielmehr, daß sie ihrem Wesen nach so ist, wenn man sie unabhängig von den ihr inhärierenden Formen betrachtet. Zu 5. Die Formung der geistigen Geschöpfe läßt sich in zweifacher Weise verstehen: zum einen als Resultat einer gnadenhaften Einwirkung, zum anderen als Vervollkommnung der Herrlichkeit. Die erste [gnadenhaft verliehene] Formung erhielten die geistigen Geschöpfe nach Ansicht von Augustinus gleich mit ihrer Erschaffung. In diesem Fall meint die Finsternis, die vom Licht geschieden wird, nicht die Sünde der abgefallenen Engel, sondern den formlosen Zustand der Natur, die noch nicht geformt war und die erst noch in den kommenden Schöpfungswerken geformt werden sollte. So lautet Augustins Erklärung im 1. Buch seines Genesiskommentars.61 Oder man versteht mit dem 4. Buch derselben Schrift62 unter dem Licht das göttliche Wissen, unter der Finsternis aber das kreatürliche Wissen, das im Vergleich zum göttlichen Wissen freilich Finsternis ist. Oder aber man versteht unter der Finsternis die gefallenen Engel; dann bezieht sich jene Scheidung nicht auf ihren sofortigen, sondern auf ihren zukünftigen Fall, der in Gottes Vorherwissen beschlossen lag. So sagt Augustinus in seiner Schrift An Orosius: »Da Gott vorherwußte, daß einige Engel aus Hochmut fallen würden, so schied er in der unveränderlichen Ordnung seines Vorherwissens 60 Aristoteles, Phys. I, V 5; 235 b 6–10. 61 Augustinus, De Gen. ad litt. I, 1 (CSEL 28/1, 4 f.). 62 Augustinus, De Gen. ad litt. IV, 21 (CSEL 28/1, 120 f.).

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zwischen den Guten und Schlechten, und nannte die Schlechten Finsternis, die Guten aber Licht.«63 Die zweite Formung bezieht sich nicht auf die Erschaffung der Dinge am Anfang, sondern eher auf den Verlauf der Dinge, bei dem sie durch die göttliche Vorsehung gelenkt werden. Dies Letztere gilt nach Augustinus für all diejenigen Dinge, bei denen ein Wirken der Natur erforderlich ist, so daß sie dann mit Notwendigkeit ihre Formung erhalten. Denn durch die Bewegung ihres freien Willens wandten sich manche Engel Gott zu und blieben bei ihm, manche wandten sich und fielen von ihm ab. Zu 6. Daß die Welt »aus gestaltlosem Stoff« erschaffen worden ist, meint, daß ein formloser Zustand der Materie der Welt nicht in einem zeitlichen Sinne, sondern in der sachlichen Rangfolge vorangegangen ist. Ebensowenig gab es eine Privation, die in einem zeitlichen Sinne dem Auftreten einer Form an der Materie vorangegangen wäre. Vielmehr ist ja eine Materie, die als formlos vorgestellt ist, ebenso gut begreifbar als eine Materie mit einer Privation. Zu 7. An der Unvollkommenheit der Natur, deren Wirksamkeit sich in Form von Bewegung vollzieht, liegt es, daß sie sich vom Unvollendeten zum Vollendeten hin entwickelt: Bewegung ist ja eine Tätigkeit, die von etwas Unvollendetem ihren Ausgang nimmt. Gott hingegen vermochte es aufgrund seiner unüberbietbaren Kraft, die Dinge auf einmal ins Sein zu bringen. Aus diesem Grund ist hier keine Gleichsetzung möglich. Zu 8. Augustins Worte sind nicht so zu verstehen, daß die Materie zu einer bestimmten Zeit nur als etwas Mögliches im Hinblick auf die Formen Bestand gehabt hätte und daß die Materie somit ohne jede elementare Form gewesen sei, sondern so, daß die Materie, für sich betrachtet, nicht der Wirklichkeit nach eine Form einschließt und somit im Hinblick auf alle Formen ein Möglichsein darstellt.

63 Ps.-Augustinus, Dialogus quaestionum LXV, q. 25 (PL 40, col. 741).

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2. Artik el Die zweite Frage lautet: Erfolgte die Formung der Materie insgesamt auf einen Schlag oder nach und nach? 64 Allem Anschein nach erfolgte sie nach und nach; denn: 1. In Juda 9, 5 heißt es: »Du hast die Dinge in der Vergangenheit gewirkt, ein Ding nach dem anderen hast Du erdacht«. Bei Gott aber ist sein Denken sein Wirken, wie Johannes von Damaskus sagt.65 Daher heißt es auch an der herangezogenen Schriftstelle weiter: »Und es geschah, was Du wolltest.« Demnach sind die Dinge in einer bestimmten Abfolge und nicht auf einmal hervorgebracht worden. 2. Mehrere Zeitabschnitte können nicht gleichzeitig bestehen, denn das Ganze der Zeit hat eine Verlaufsform. Nach Gen. 1 erfolgte aber die Formung der Dinge in verschiedenen Zeitabschnitten. Demnach erfolgte die Formung der Dinge offensichtlich nach und nach und nicht als ganze auf einmal. 3. Nun könnte man einwenden: Nach Augustinus meinen jene sechs Tage [der Schöpfung] keine Tage, wie sie uns als Zeitabschnitte vertraut sind, sondern sie meinen die Erkenntnis der Engel, welche eine sechsfache Erkenntnis der Dinge darstellt und den sechs Gruppen der Dinge66 entspricht. – Dem ist zu erwidern: Tag wird es infolge der Anwesenheit von Licht. Daher heißt es in Gen. 1, 5, daß Gott das Licht Tag nannte. Nun findet sich das Licht nicht im eigentlichen Sinne, sondern nur im übertragenen Sinne an den Geistwesen. Insofern läßt sich die Erkenntnis der Engel nicht im eigentlichen Sinne als ›Tag‹ bezeichnen. Folglich ist es auch keine wörtliche Auslegung, wenn man unter ›Tag‹ die Erkenntnis der Engel versteht. Beweis des Mittelsatzes: Nichts, was direkt der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich ist, kann für die Geistwesen im eigentlichen 64 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 66 a. 1; q. 69 a. 1; q. 74 a. 2. Sent. II, d. 12 a. 4. 65 Johannes Damascenus, De fide orthodoxa 16 (ed. Buytaert, 68). 66 Gemeint ist mit diesen sechs Gruppen der Dinge dasjenige, was an den sechs Schöpfungstagen der biblischen Genesis zufolge ins Dasein gerufen wird – also 1. das Licht, 2. das Himmelsgewölbe (Firmament), 3. das trockene Land (Erde) und die Pflanzen, 4. die Sterne, 5. die Vögel und Wassertiere, 6. die Landlebewesen und der Mensch.

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Sinne geltend gemacht werden. Denn dasjenige, was die sinnlich wahrnehmbaren Dinge und die Geistwesen miteinander gemeinsam haben, ist nichts oder allenfalls in akzidenteller Hinsicht etwas, was sinnlich wahrnehmbar wäre, also z. B. Substantialität, ein Vermögen, eine Kraft und dergleichen. Das Licht hingegen ist direkt dem Gesichtssinn zugänglich. Folglich kann das Licht nicht im wörtlichen Sinne für die Geistwesen geltend gemacht werden. 4. Ein Engel erkennt auf zweifache Weise die Dinge, nämlich im [göttlichen] Wort und in ihrer jeweiligen Natur. Folglich muß ›Tag‹ eine der beiden Erkenntnisweisen meinen. – Nun kann aber ›Tag‹ nicht diejenige Erkenntnis meinen, in der ein Engel die Dinge im Wort erkennt. Denn diese Erkenntnis ist eine einzige für alle Dinge. Im Wort erkennt ja ein Engel all das, was er erkennt, auf einmal und durch einen einzigen Erekenntnisakt, weil er ja das Wort schaut. In diesem Fall gäbe es dann nur einen einzigen Tag. – Meint aber ›Tag‹ diejenige Erkenntnis, in der ein Engel die Dinge in ihrer jeweiligen Natur erkennt, dann heißt dies, daß es weit mehr als sechs Tage sind, insofern es mehrere Gattungen und Arten von Geschöpfen gibt. Folglich kann sich die Sechszahl der Tage offensichtlich nicht auf die Erkenntnis der Engel beziehen. 5. In Ex. 20, 9 f. heißt es: »Sechs Tage lang sollst du arbeiten, doch der siebte Tag ist ein Ruhetag für den Herrn, Deinen Gott. An ihm sollst Du keinerlei Arbeit tun«. Hierauf folgt die Begründung: »Denn in sechs Tagen hat Gott den Himmel, die Erde, das Meer und alles, was in ihnen ist, erschaffen; doch am siebten Tage ruhte er.« Nun spricht das Gesetz von wirklichen Tagen im wörtlichen Sinn. An sechs davon gestattet es eine Arbeit und am siebten verbietet es sie. Folglich muß sich auch das, was über das Wirken Gottes berichtet wird, auf wirkliche Tage beziehen. 6. Angenommen, ›Tag‹ meint das Erkennen der Engel, dann wäre die Erschaffung eines Dinges an einem Tage gleichzusetzen mit der Hervorbringung dieses Dinges in der Erkenntnis der Engel. Daraus jedoch, daß ein Ding in der Erkenntnis der Engel hervorgebracht wird, folgt nicht, daß es in seiner eigenen Natur existiert, sondern nur, daß es von einem Engel erkannt wird. Demnach würde es hier nicht um die Einsetzung der Dinge in ihre jeweilige Natur gehen, was im Widerspruch zum biblischen Text steht.

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7. Das Erkennen eines Engels unterscheidet sich vom Erkennen eines anderen Engels. Wenn man also unter ›Tag‹ das Erkennen der Engel versteht, dann müßte es genauso viele Tage wie Engel geben, und nicht nur die sechs Tage, von denen die Schrift berichtet. 8. Augustinus sagt im 2. Buch seines Genesis-Kommentars: Mit der Wendung »Gott sprach: ›Es werde!‹« kommt zum Ausdruck, daß die Dinge, die erst noch werden sollten, zuvor schon im Wort waren. Die Wendung »Und es wurde so« bringt zum Ausdruck, daß eine Erkenntnis von diesen Dingen in den geistigen Geschöpfen hervorgebracht wurde. Die Wendung »Gott schuf« bringt zum Ausdruck, daß die Schöpfung, so wie sie ist, hervorgebracht wurde. Wenn es also nach jedem Schöpfungswerk heißt: »Und es wurde so« – was ja auf das Erkennen der Engel zu beziehen ist – und wenn dann ›Tag‹ auch das Erkennen der Engel meinen würde, dann wären die Worte »Es ward Abend, und es ward Morgen: ein Tag« bzw. »zweiter Tag« eine überflüssige Hinzufügung.67 9. Man könnte nun einwenden: Diese Hinzufügung soll auf die zweifache Erkenntnisweise bei den geistigen Geschöpfen hinweisen. Die eine ist ihre Erkenntnis der Dinge im Wort, und diese bezeichnet die Hl. Schrift als Morgen bzw. als morgendliches Erkennen. Die andere ist ihre Erkenntnis der Dinge in ihrer jeweiligen Natur, und diese bezeichnet die Schrift als Abend bzw. als abendliches Erkennen. – Dem ist zu erwidern: Zwar kann ein Engel im Wort mehrere Dinge auf einmal erkennen, er kann jedoch nicht mehrere Dinge auf einmal in ihrer jeweiligen Natur erkennen, denn er erkennt die verschiedenen Dinge in ihrer jeweiligen Natur dank verschiedener Erkenntnisbilder. Wenn also jeder der sechs Tage nicht nur einen Morgen, sondern auch einen Abend hat, dann muß ein Engel bei diesen sechs Tagen auch eine bestimmte Abfolge erkennen können. Somit erfolgte die Formung der Dinge nicht als ganze auf einmal. 10. Ein und dasselbe Vermögen kann nicht gleichzeitig zu verschiedenen Wirkungen führen. Denn wie eine Gerade an einem ih67 Die Schlußfolgerung in diesem Argument ist also: Mit der biblischen Rede von den sechs Tagen der Schöpfung kann nicht das Erkennen der Engel gemeint sein. Dem biblischen Wortlaut wäre ansonsten eine redundante Wiederholung zu unterstellen.

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rer Enden nur in einem einzigen Punkt endet, so findet auch ein Vermögen in einer Wirkung seinen Zielpunkt. Nun ist es nicht ein und dieselbe Tätigkeit, sondern es sind mehrere, wenn die Dinge im Wort und in ihrer jeweiligen Natur erkannt werden. Demnach treten das morgendliche und das abendliche Erkennen nicht gleichzeitig auf. Somit folgt wiederum, daß es bei jenen sechs Tagen eine Abfolge gab. 11. Wie im vorherigen Artikel ausgeführt,68 faßt Augustinus die Trennung von Licht und Finsternis als eine Abtrennung der geformten Geschöpfe von der formlosen Materie, welche erst noch zu formen war. Also wurde ein Teil der Materie geformt, ein Teil blieb noch zu formen. Demnach ist nicht die gesamte Materie auf einmal geformt worden. 12. Das morgendliche Erkennen meint nach Augustinus die Erkenntnis des Wortes, in dem ein Engel diejenigen Geschöpfe erkennt, welche erst noch entstehen sollten. Dies könnte aber nicht so sein, wenn die Geschöpfe, deren Formung erst in den nachfolgenden Tagen erfolgen sollte, gleichzeitig mit den Engeln geformt worden wären. Folglich sind nicht alle Dinge auf einmal erschaffen worden. 13. Im Zusammenhang mit den Geistwesen spricht man von Tagen aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit den sinnfälligen Tagen. Allerdings kommt bei den sinnfälligen Tagen der Morgen vor dem Abend. Demnach dürfte angesichts von diesen Tagen [der Schöpfung] der Abend nicht vor dem Morgen genannt werden. Es steht aber geschrieben: »Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag.« 14. Zwischen dem Abend und dem Morgen liegt die Nacht, und zwischen dem Morgen und dem Abend der Mittag. Also hätte die Hl. Schrift neben dem Abend und dem Morgen auch den Mittag erwähnen müssen. 15. Alle sinnlich wahrnehmbaren Tage haben einen Abend und einen Morgen. Bei jenen sieben Tagen [der Schöpfung] ist dies aber nicht der Fall. Denn der erste Tag hat keinen Morgen und der siebte Tag keinen Abend. Demnach ist es unsinnig, diese Tage mit den unsrigen gleichzusetzen. 68 Vgl. De pot. q. 4 a. 1 ad 5.

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16. Man könnte nun einwenden: Der erste Tag hat deswegen keinen Morgen, weil mit dem ›Morgen‹ diejenige Erkenntnis gemeint ist, die sich auf die erst noch entstehenden Geschöpfe bezieht und die ein Engel im Wort erhalten hat. Bevor die geistigen Geschöpfe hervorgebracht worden waren, konnten sie jedoch keine Erkenntnis von ihrer zukünftigen Hervorbringung haben. – Dem ist zu erwidern: Mit diesem Einwand wird gerade behauptet, daß es die Engel bereits zu einem Zeitpunkt gab, wo es die anderen Geschöpfe noch nicht gab, sondern wo sie erst noch entstehen sollten. Folglich ist nicht alles gleichzeitig geformt worden. 17. Die geistigen Geschöpfe gewinnen eine Erkenntnis von den Dingen hier unten nicht aus diesen Dingen selbst. Also ist für sie die Anwesenheit dieser Dinge nicht vonnöten, damit sie sie auch erkennen können. Bevor also diese Dinge entstanden, konnten die geistigen Geschöpfe diese erst noch entstehenden Dinge in ihrer jeweiligen Natur erkennen und nicht nur im Wort. Wie die morgendliche Erkenntnis so richtet sich also offenbar auch die abendliche Erkenntnis auf die erst noch entstehenden Dinge. Argumentiert man so, dann brauchte der zweite Tag weder einen Morgen noch einen Abend zu haben. 18. Ein Engel hat zunächst ein Wissen um dasjenige, was auch das an sich Frühere ist. Denn daß wir zunächst ein Wissen um das Spätere haben, liegt daran, daß wir eine Erkenntnis mit Hilfe unserer Sinne gewinnen. Nun sind aber die Urbilder der Dinge im Wort schlechthin früher als diese Dinge selbst. Folglich erkennt ein Engel zunächst die Dinge im Wort und dann in ihrer jeweiligen Natur. Demnach müßte auch der Morgen vor dem Abend erwähnt werden, während die Hl. Schrift genau das Gegenteil tut. 19. Aus dem, was nicht auf ein und dieselbe Weise verfaßt ist, kann sich keine Einheit bilden. Nun ist die Erkenntnis der Dinge im Wort und in ihrem jeweiligen Wesen jeweils anders verfaßt, da ja das Medium der Erkenntnis in beiden Fällen völlig verschieden ist. So verstanden, könnte sich also aus dem Morgen und dem Abend nie ein einheitlicher Tag bilden. 20. In 1 Kor. 13, 8 spricht der Apostel davon, daß im Himmel das Wissen vergeht. Dies kann nur dasjenige Wissen von den Dingen meinen, welches ihrer jeweiligen Natur gilt, also das abendliche Er-

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kennen. Nun heißt es in Mt. 22, 30, daß wir im Himmel sein werden wie die Engel. Folglich gibt es bei den Engeln keine abendliche Erkenntnis. 21. Die Erkenntnis der Dinge im Wort übertrifft die Erkenntnis der Dinge in ihrer jeweiligen Natur noch weit mehr als etwa die Strahlkraft der Sonne den Kerzenschein übertrifft. Nun macht die Tageshelle das Kerzenlicht überflüssig, und daher erst recht die morgendliche Erkenntnis die abendliche Erkenntnis. 22. Augustinus69 beschäftigt die Frage, ob Adams Seele unabhängig von seinem Körper gleichzeitig mit den Engeln erschaffen worden ist oder ob sie gleichzeitig mit seinem Körper erschaffen worden ist. Diese Frage würde sich nicht stellen, wenn alles gleichzeitig geformt worden wäre. Denn dann wäre der menschliche Körper zum gleichen Zeitpunkt geformt worden, zu dem auch die Engel erschaffen wurden. Also ist es wohl so, daß nach Auffassung von Augustinus nicht alles gleichzeitig geformt worden ist. 23. Derjenige Erdklumpen, aus dem der menschliche Körper geformt worden ist, war bis zu einem gewissen Grad geformt. Denn es heißt ja in Gen 1, daß daraus der menschliche Körper geformt wurde. Folglich sind nicht alle Formen gleichzeitig der Materie aufgeprägt worden. 24. Daß die Engel die Dinge in ihrem jeweiligen Wesen erkennen, kann nur meinen, daß sich ihre Erkenntnis mit Hilfe von Erkenntnisbildern vollzieht, mit denen sie von Natur aus ausgestattet sind. Man kann ja nicht sagen, daß sie aus den jeweils erkannten Dingen bestimmte Erkenntnisbilder gewinnen würden. Denn sie besitzen ja keine Organe für die sinnliche Wahrnehmung. Nun sind diese Erkenntnisbilder, welche die Engel besitzen, unabhängig von den körperhaften Dingen. Bevor also diese Dinge da waren, konnten die Engel sie bereits in ihrem jeweiligen Wesen erkennen. Daher kann der Umstand, daß die Engel die Dinge in ihrem jeweiligen Wesen erkennen, nicht meinen, daß damit diese Dinge in ihr Sein gelangen. Demnach trifft die oben geltend gemachte Ansicht offensichtlich nicht zu.

69 Augustinus, De Gen. ad litt. VII, 24–25 (CSEL 28/1, 222 ff.).

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25. Das morgendliche Erkennen, mit dem die Engel im Wort erkennen, muß sich mit Hilfe eines bestimmten Erkenntnisbildes vollzogen haben; denn alles Erkennen vollzieht sich auf diese Weise. Nun konnte sich aber dieses Erkennen unmöglich mit Hilfe eines Erkenntnisbildes, welches aus dem Wort stammt, vollziehen; denn solch ein Erkenntnisbild hätte einen kreatürlichen Charakter gehabt. Daher wäre ein solches Erkennen auch eher ein abendliches als ein morgendliches Erkennen gewesen, da ja das abendliche Erkennen ein Erkennen ist, welches sich mit Hilfe von etwas Kreatürlichem vollzieht. – Ebensowenig aber läßt sich hier sagen, daß sich jenes Erkennen mit Hilfe eines Erkenntnisbildes vollzieht, welches das Wort selbst ist. Denn dann müßten die Engel das Wort selbst geschaut haben, was nicht eher geht, als die Engel selig sind. Denn die Schau des Wortes macht die Engel selig. Im ersten Augenblick ihrer Erschaffung waren jedoch die Engel noch nicht selig, so wie im Gegenzug die bösen Geister im ersten Augenblick noch nicht gefallen waren. Wenn also ›Morgen‹ ein Erkennen der Dinge meint, das die Engel im Wort besitzen, dann ist festzustellen, daß nicht alles gleichzeitig erschaffen worden ist. 26. Nun könnte man einwenden: In jenem Stadium schauten die Engel das Wort, insofern dieses das Urbild für das noch Entstehende ist, und nicht, insofern es das Ziel der Seligkeit ist. – Dem ist zu erwidern: Wenn man das Wort als Ziel und Urbild bezeichnet, dann liegt hier der Unterschied allenfalls in der Bezugsform. Selig wird man aber nicht dadurch, daß man den Bezug Gottes zu seiner Schöpfung erkennt. Denn diese Bezugsform hat der Sache nach eher mit den Geschöpfen zu tun. Allein die Schau des göttlichen Wesens macht selig. Für die Seligkeit der Schauenden macht es daher keinen Unterschied, ob sie das Wort als Ziel der Seligkeit oder als Urbild schauen. 27. Auch von den Propheten heißt es, sie hätten im Spiegel der Ewigkeit das Zukünftige erblickt, insofern sie den göttlichen Spiegel schauten als das Urbild des noch Werdenden. Insofern bestünde dann kein Unterschied zwischen dem morgendlichen Erkennen der Engel und dem prophetischen Wissen. 28. In Gen. 2, 5 heißt es, daß Gott alle Feldpflanzen schuf, bevor sie auf Erden wuchsen, und alle Kräuter auf dem Boden, bevor sie

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sprossen. Die Kräuter sprossen aber am dritten Tag empor. Demnach war einiges schon vor dem dritten Tage erschaffen, und daher ist nicht alles gleichzeitig erschaffen worden. 29. In Ps. 103, 24 heißt es, daß Gott alles in Weisheit erschuf. Es kennzeichnet aber den Weisen, daß er alles in einer Ordnung tut, wie es zu Beginn der Metaphysik heißt.70 Folglich hat Gott nicht alles gleichzeitig, sondern nach und nach in einer zeitlichen Ordnung erschaffen. 30. Man könnte nun einwenden: Auch wenn bei der Hervorbringung der Dinge keine zeitliche Ordnung eingehalten wurde, so wurde doch die Ordnung der Natur eingehalten. – Dem kann man entgegenhalten: Innerhalb der Ordnung der Natur haben Sonne, Mond und Sterne einen höheren Rang als die Pflanzen, da sie augenscheinlich die Ursache für die Pflanzen darstellen. Doch der biblische Text spricht davon, daß die Himmelsleuchten erst nach den Pflanzen erschaffen worden sind. Folglich ist die Ordnung der Natur nicht eingehalten worden. 31. Das Himmelsgewölbe steht dem Wesen nach höher als Erde und Wasser. Allerdings erwähnt die Hl. Schrift zuerst Wasser und Erde und dann erst das Himmelsgewölbe, das, wie es heißt, am zweiten Tag erschaffen worden ist. 32. Das Zugrundliegende ist von Natur aus früher als sein Akzidens. Nun stellt das Licht ein Akzidens dar, und in erster Linie liegt dem Licht das Himmelsgewölbe zugrunde. Demnach hätte die Erschaffung des Lichtes nicht vor der Erschaffung des Himmelsgewölbes erfolgen dürfen. 33. Lebewesen, die sich gehend fortbewegen können, sind vollkommener als diejenigen, die sich schwimmend und fliegend fortbewegen. Dies liegt insbesondere an ihrer Ähnlichkeit mit dem Menschen. Allerdings sind dem biblischen Bericht zufolge zuerst die Fische und Vögel und dann erst die Lebewesen auf dem Land erschaffen worden. Demnach ist die übliche Ordnung der Natur nicht eingehalten worden. 34. Fische und Vögel unterscheiden sich in ihrem Wesen augenscheinlich nicht in höherem Maße voneinander als von den Lebewe70 Aristoteles, Met. I, 2; 982 a 2 ff.

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sen auf dem Land. Und doch berichtet die Schrift, daß die Fische und Vögel am selben Tag erschaffen worden sind. Demnach entsprechen den Tagen [der Schöpfung] nicht verschiedene Klassen der Dinge, sondern meinen eher einen zeitlichen Verlauf. Somit ist nicht alles gleichzeitig erschaffen worden. dagegen spricht: 1. In Gen. 2, 4 heißt es: »Dies ist die Entstehung des Himmels und der Erde, als sie erschaffen wurden an dem Tag, an dem Gott, der Herr, Himmel und Erde machte und alles Gebüsch auf dem Felde.« Nun steht geschrieben, daß das Gebüsch auf dem Felde am dritten Tag erschaffen wurde. Himmel und Erde wurden dagegen am ersten Tag oder sogar vor allen Tagen erschaffen. Folglich wurde das, was am dritten Tage erschaffen wurde, gleichzeitig mit dem erschaffen, was am ersten Tag erschaffen oder sogar vor allen Tagen wurde. Somit ist auch alles Andere gleichzeitig erschaffen worden. 2. In Job 40, 10 heißt es: »Sieh doch Behemoth, den ich mit dir erschuf«. Nach Gregor71 ist aber unter ›Behemoth‹ der Teufel zu verstehen, der am ersten Tag oder sogar vor allen Tagen erschaffen wurde. Der Mensch hingegen, zu dem Gott hier spricht, wurde am sechsten Tag erschaffen. Demnach ist das, was am sechsten Tage erschaffen wurde, gleichzeitig mit dem erschaffen worden, was am ersten Tag wurde. Somit gilt dasselbe wie oben. 3. Die Teile des Weltganzen sind aufeinander angewiesen, und zwar insbesondere die niederrangigen Teile auf die höherrangigen Teile. Demnach konnten unmöglich einige Teile vor den anderen entstehen, insbesondere nicht die niederrangigen vor den höherrangigen Teilen. 4. Zwischen den körperhaften und den geistigen Geschöpfen liegt ein größerer Abstand als zwischen den körperhaften Geschöpfen untereinander. Nun sind aber, wie bereits in einer anderen Untersuchung dargelegt,72 die geistigen und die körperhaften Geschöpfe gleichzeitig erschaffen worden. Demnach gilt dies erst recht für die geistigen Geschöpfe insgesamt. 71 Gregor der Große, Moralia in Iob XXXII, 12 (CCSL 143 B, 1640 ff.). 72 Vgl. De pot. q. 3 a. 18.

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5. Gott wirkt infolge der Unermeßlichkeit seiner Kraft mit einem Mal. Folglich ist jedes Werk Gottes mit einem Mal und augenblicklich erschaffen worden. Demnach wäre es eine sinnlose Behauptung, daß Gott bis zum nächsten Tag zugewartet habe, um weitere Werke zu vollbringen, und daß er somit einen ganzen Tag lang untätig gewesen sei. 6. Wenn die im Schöpfungsbericht erwähnten Tage gewöhnliche Tage gewesen wären, dann wäre es hier offensichtlich unmöglich gewesen, die Nacht völlig vom Tage und das Licht völlig von der Finsternis zu scheiden. Denn wenn das Licht, das, wie geschrieben steht, am ersten Tage erschaffen wurde, an allen Stellen die Erde umflutete, dann gab es an keiner Stelle Finsternis. Finsternis entsteht ja durch den Schatten, den die Erde auf derjenigen Seite wirft, welche dem Licht als der Ursache für den Tag gegenüberliegt. Wenn jedoch das Licht infolge seiner Bewegung die Erde so umflutete, daß es Tag und Nacht wurde, dann war es stets in einem Erdteil Nacht und in einem anderen Teil Tag. Somit war die Nacht nicht völlig vom Tag geschieden, und dies steht im Widerspruch zum Buch Genesis. 7. Der Wechsel von Tag und Nacht verdankt sich der Sonne und den anderen Himmelsleuchten. Daher heißt es beim Schöpfungswerk des vierten Tages: »Es sollen Leuchten entstehen am Himmelsgewölbe«; und weiter heißt es: »Sie sollen Zeichen sein sowohl für die Jahreszeiten als auch für die Tage und Jahre.«73 Da es also keine Wirkung vor ihrer Ursache gibt, so können jene drei ersten Schöpfungstage unmöglich von derselben Art gewesen sein wie die jetzigen Tage, die mit der Sonne zu tun haben. Angesichts von jenen Schöpfungstagen läßt sich also nicht behaupten, daß alles nacheinander erschaffen worden ist. 8. Angenommen, es hätte noch ein anderes Licht gegeben, durch dessen Bewegung es damals Tag und Nacht wurde, dann hätte es noch etwas geben müssen, auf dem dieses Licht eine Kreisbewegung hätte ausführen können, damit dieses Licht im Umlauf alle Teile der Erde erleuchtet hätte. Nun ist es aber das Himmelsgewölbe, auf dem das Licht eine Kreisbewegung vollzieht und das, wie geschrieben steht, am zweiten Tag erschaffen wurde. Folglich kann zumindest 73 Gen. 1, 14.

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der erste Tag [der Schöpfung] nicht von derselben Art gewesen sein wie die heutigen Tage – und ebensowenig auch die anderen Tage [der Schöpfung]. 9. Wenn jenes Licht dazu erschaffen worden ist, um es Tag und Nacht werden zu lassen, dann müßte es auch noch heutzutage infolge seiner Bewegung Tag und Nacht werden. Es läßt sich ja nicht gut behaupten, dieses Licht sei nur dazu bestellt worden, um an jenen drei Tagen vor der Erschaffung der Sonne diese Aufgabe zu erfüllen und danach wieder zu verschwinden. Nun sehen wir aber, daß es heutzutage durch kein anderes Licht Tag und Nacht wird als durch die Sonne. Demnach ist es unvorstellbar, daß auch an jenen drei Tagen Tag und Nacht durch ein körperhaftes Licht voneinander geschieden worden sind. 10. Man könnte nun einwenden: Aus jenem Licht ist dann hernach der Himmelskörper der Sonne geformt worden. – Dem kann man entgegenhalten: All dasjenige, was aus einer bereits vorliegenden Materie entsteht, besitzt eine Materie von der Art, daß bei ihr ein Wechsel von Formen möglich ist. Eine derartige Materie weist jedoch weder die Sonne noch irgendein anderer Himmelskörper auf, und zwar deswegen, weil an ihnen kein Gegensatz auftritt. Dies wird im 1. Buch von Über den Himmel erwiesen.74 Demnach kann unmöglich aus jenem Licht der Himmelskörper der Sonne geformt worden sein. antwort: Wenn man davon ausgeht, daß die formlose Materie der Formung der Dinge nicht zeitlich, sondern nur als das Grundlegende vorangeht – und dies ist zwangsläufig so, wenn man unter der formlosen Materie eine Materie ohne jede Form versteht –, dann folgt daraus mit Notwendigkeit, daß die gesamte Formung der Dinge zugleich erfolgte. Denn einen ungeformten Teil der Materie kann es überhaupt nicht, auch nicht einen Moment lang geben. Mit der Annahme eines solchen Teils würde zudem die Materie ja bereits zeitlich der Formung der Dinge vorangehen. Berücksichtigt man, wie die letzte Fragestellung entschieden worden ist, so ist die gegenwärtige zweite 74 Aristoteles, De caelo I, 3; 270 a 12 ff.

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Fragestellung, auch nach Ansicht von Augustinus, gegenstandslos. Vielmehr muß man strikt daran festhalten, daß alles gleichzeitig geformt worden ist. Allerdings bleibt noch zu klären, wie die sechs Tage, von denen die Schrift spricht, zu verstehen sind. Wenn man sie nämlich als Tage versteht, wie sie heutzutage ablaufen, dann steht dies im Widerspruch zur eben genannten Auffassung. Denn dann müßte man zur Ansicht gelangen, daß die Formung der Dinge im Verlauf von mehreren Tagen erfolgt sei. Diese Tage [der Schöpfung] deutet Augustinus nun auf eine zweifache Weise. Im 1. Buch seines Genesis-Kommentars bemerkt er nämlich, die Scheidung des Lichtes von der Finsternis meine die Scheidung der geformten von der formlosen Materie, welche zunächst noch – freilich nicht in einem zeitlichen Sinne, doch aber der Sache nach – ungeformt ist.75 Nach Augustinus wird diese sachliche Abfolge von Formlosigkeit und Geformtheit, und zwar angesichts der Tatsache, daß Gott alles in eine Ordnung bringt, mit ›Tag‹ und ›Nacht‹ angedeutet. Denn ›Tag‹ und ›Nacht‹ meinen ja eine Art Abfolge von Licht und Finsternis. Mit ›Abend‹ sei, so Augustinus weiter, das Ende eines vollbrachten Werkes gemeint, mit ›Morgen‹ aber der Beginn eines weiteren Wirkens, wobei jedoch mit dem ›weiter‹ keine zeitliche Ordnung, sondern eine sachliche Rangfolge impliziert ist. Denn das erste Werk [der Schöpfung] birgt gewissermaßen ein Anzeichen für das weitere, noch kommende Schöpfungswerk in sich. Nach dieser Ansicht sind die Tage [der Schöpfung] als voneinander unterschieden zu begreifen, insofern es nämlich Verschiedenes zu formen gab und mithin verschiedene Formen noch nicht da waren. Da man daraus jedoch den Schluß ziehen könnte, daß, wenn denn schon die ersten sechs Tage voneinander unterschieden sind, nun auch der siebte Tag von diesen ersten sechs Tagen unterschieden ist und daß somit Gott entweder am siebten Tag nichts erschuf oder aber nach diesen sieben Tagen, an denen er seine Werke vollbrachte, noch etwas erschuf, so kommt Augustinus zu der Ansicht, daß alle sieben Tage nur einen Tag und d. h. die Erkenntnis der Engel meinen. Dabei markiere die Siebenzahl einen Unterschied zwischen den er75 Augustinus, De Gen. ad litt. I, 17 (CSEL 28/1, 23 ff.).

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kannten Dingen und nicht so sehr einen Unterschied zwischen den Tagen. Von daher meinten die sechs Tage das Erkennen der Engel, welches sich auf die sechs, von Gott erschaffenen Gruppen der Dinge richte, ein Tag hingegen76 stelle das Erkennen der Engel dar, welches sich auf die Ruhe des Schöpfers richte, als er in sich selbst von der Erschaffung der Dinge ruhte. Somit meine der ›Abend‹ die Erkenntnis der Dinge in ihrer jeweiligen Natur, der ›Morgen‹ hingegen ihre Erkenntnis im Wort.77 Nach Meinung anderer Kirchenväter bringen diese Tage eine zeitliche Ordnung und einen Verlauf bei der Erschaffung der Dinge zum Ausdruck. Denn nach ihrer Ansicht ist mit dem Sechstagewerk nicht nur eine sachliche Ordnung, sondern auch eine zeitliche Abfolge und Dauer verbunden. Ihnen zufolge war die Materie vor ihrer Formung in einem formlosen Zustand, ebenso wie die eine Formung der anderen zeitlich voranging. So verstanden diese Autoren, wie bereits bei der letzten Fragestellung festgestellt worden ist, den formlosen Zustand der Materie nicht als ein Fehlen und als den Ausschluß von jeder Form, da es bereits den Himmel, das Wasser und die Erde gegeben habe, worunter die Himmelskörper zu verstehen wären, sowie die Geistwesen und die vier Elemente, welche in ihren jeweiligen Formen Bestand hatten. Den formlosen Zustand der Materie erklärten sie sich einfach damit, daß die nötige Unterscheidung und die voll entfaltete Schönheit der Dinge noch ausstand und noch nicht vorhanden war. Denn die Materie war noch nicht so durchgeformt und schön, wie sie sich nun mit der körperhaften Natur zeigt. In diesem Zusammenhang läßt sich der Wortlaut der Genesis so verstehen, daß der körperhaften Natur in dreifacher Hinsicht noch ihre Durchformung abging, weshalb man sie auch als ungeformt bezeichnete. Denn dem Himmel und allen durchsichtigen Körpern gingen die Zierde und Schönheit des Lichtes ab, was mit dem Wort ›Finsternis‹ zum Ausdruck kommt. Dem Element Wasser ging noch die nötige Anordnung und seine Unterschiedenheit vom Element 76 Gemeint ist der siebte Schöpfungstag. 77 Die folgenden Abschnitte dieses Artikels stammen nicht mehr von

Thomas selbst, sondern stellen eine spätere Ergänzung durch Vincentius de Castronovo dar. Siehe dazu auch das Nachwort zu diesem Band.

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Erde ab, und diese Formlosigkeit kommt mit dem Wort ›Urflut‹ zum Ausdruck. Denn dieses Wort bezeichnet Wassermassen ohne jede Ordnung, wie Augustinus sagt.78 Der Erde aber fehlte es in zweifacher Hinsicht an Schönheit. Zum einen fehlte ihr diejenige Schönheit, die sie dadurch erhält, daß sie von den Wassern befreit ist. Diese Formlosigkeit kommt in den Worten »Die Erde war wüst« bzw. »nicht sichtbar« zum Ausdruck. Denn die Erde konnte ja noch nicht den Anblick ihrer körperhaften Gestalt bieten, da die Wasser sie überall bedeckten. Zum anderen fehlte ihr diejenige Schönheit, die sie dadurch erhält, daß sie mit Pflanzen ausgeschmückt ist. Dies kommt mit den Worten zum Ausdruck, daß die Erde »leer« bzw. »unzusammengesetzt«, d. h. noch unausgeschmückt, war. So deutet also die Hl. Schrift noch vor der Scheidung der Dinge an, daß eine mannigfache Unterschiedenheit in den Elementen dieser Welt vom Anbeginn ihrer Erschaffung beschlossen lag: Erstens deutet sie eine Unterschiedenheit von Himmel und Erde an, insofern mit ›Himmel‹ alle durchsichtigen Körper gemeint sind; darunter fallen auch Feuer und Luft aufgrund ihrer Durchsichtigkeit, in der sie mit dem Himmel übereinkommen. Zweitens deutet sie eine Unterschiedenheit der Elemente in ihren substantialen Formen an, und zwar dadurch, daß sie von ›Wasser‹ und ›Feuer‹ spricht, welche den Sinnen eher zugänglich sind; damit sind auch die beiden anderen Elemente impliziert, welche den Sinnen nicht so leicht zugänglich sind. Drittens deutet sie eine Unterschiedenheit in der Lage an, denn die Erde befand sich unterhalb der Wasser, weshalb sie auch nicht sichtbar war. Von der Luft aber, welche ja der Finsternis als Substrat dient, heißt es, sie habe sich oberhalb der Wasser befunden. Dies kommt in den Worten zum Ausdruck: »Finsternis« – also finstere Luft – »lag über der Urflut«. Demnach erfolgte die Formung des ersten Körpers, d. h. des Himmels, am ersten Tag mit der Erschaffung des Lichtes. Dadurch wurde der Sonne und den Himmelskörpern, welche in ihren substantialen Formen bereits da waren, die Eigenschaft der Helligkeit verliehen, und somit verschwand die Formlosigkeit der Finsternis. Mit dieser Formung wurden zudem Bewegung und Zeit, d. h. Tag und Nacht, 78 Augustinus, Contra Faustum XXII, 11 (CSEL 25/1, 599).

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unterschieden. Denn die Zeit resultiert aus der Bewegung des obersten Himmels. Daher schied [Gott] das Licht von der Finsternis. Denn das Licht lag am Dasein der Sonne, und die Finsternis lag an der Dunkelheit der Erde. In der einen Hemisphäre gab es somit Licht, und in der anderen Hemisphäre herrschte Finsternis. Zudem war es innerhalb derselben Hemisphäre zu einer Zeit hell, und zu einer anderen Zeit herrschte Finsternis. Daher heißt es: »Er nannte das Licht Tag, und die Finsternis Nacht.«79 Am zweiten Tag ist mit der Erschaffung des Himmelsgewölbes der Bereich in der Mitte, d. h. das Wasser, geformt und abgeteilt worden. Dabei erhielt dieser Bereich einen gehörig angelegten und geordneten Zustand, so daß mit dem Wort ›Wasser‹ alle durchsichtigen Körper gemeint sind. Somit markiert das Himmelsgewölbe, d. h. der Sternenhimmel, der am zweiten Tag zwar nicht sein Dasein, wohl aber eine akzidentelle Vervollkommnung erhielt, die Trennlinie zu den Wassern, welche sich oberhalb von ihm befinden, also zu demjenigen Himmel, welcher ganz durchsichtig ist, keine Sterne besitzt und den man als Wasser- oder Kristallhimmel bezeichnet. Diesen Himmel bezeichnen die Philosophen als die neunte Sphäre und als das erste Bewegende, da dieser Himmel den gesamten Himmel in täglichem Umlauf dreht, um in dieser Bewegung ein fortgesetztes Werden zu gewährleisten. In der gleichen Weise gewährleistet auch der Sternenhimmel in seinem zodiakalen Umlauf ein mannigfaches Werden und Vergehen, und zwar infolge seiner Annäherung an und seiner Entfernung von unserem Bereich sowie vermittels verschiedener Kräfte der Sterne. Durch das Himmelsgewölbe ist, wie gesagt, der Kristallhimmel, der oberhalb des Himmelsgewölbes liegt, von den Wassern geschieden, d. h. also von den anderen durchsichtigen und vergänglichen Körpern, welche sich unterhalb des Himmelsgewölbes befinden. Dadurch also erhielten die durchsichtigen Körper hier unten, die als ›Wasser‹ benannt wurden, durch das Himmelsgewölbe eine bestimmte Ordnung und ihre nötige Unterschiedenheit. Am dritten Tag wurde der auf der untersten Stufe stehende Körper, also die Erde, geformt, und zwar dadurch, daß sie von den Wassern freigelegt wurde und daß zuletzt eine Scheidung des Meeres 79 Gen. 1, 5.

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vom Trockenen erfolgte. Daher paßt es gut zueinander, wenn der formlose Zustand der Erde in den Worten »Die Erde war wüst und leer« zum Ausdruck kommt, und wenn ihre Formung in den Worten zum Ausdruck kommt: »Es werde das Trockene sichtbar. Und die Wasser wurden an einem Ort abseits von der trockenen Erde gesammelt. Die zusammengeflossenen Wasser nannte Gott Meer und das Trockene Erde.« Die Letztere schmückte Gott dann mit Pflanzen und Gräsern, denn sie war zunächst wüst und leer. Am vierten Tage erhielt der erste Teil der körperhaften Geschöpfe, welcher am ersten Tag gebildet worden war, – also der Himmel – seine Ausschmückung durch die Erschaffung der Himmelsleuchten. Ihrem Sein nach waren diese freilich im Anbeginn erschaffen worden. Zunächst aber war ihr Sein noch formlos, nun aber, am vierten Tag, erhielten sie ihre Gestalt, wenn auch nicht ihrer substantialen Form nach. Doch aber wurde ihnen eine ganz bestimmte Kraft verliehen, insofern diese Himmelsleuchten spezifische Kräfte mit spezifischen Wirkungen erhielten. So sehen wir ja auch, daß die Strahlen der Sonne, des Mondes und der Sterne eine jeweils andere Wirkung hervorbringen. Dionysius bezieht sich auf diese Verleihung von spezifischen Kräften, wenn er sagt, daß das Sonnenlicht, das zunächst formlos war, am vierten Tag seine Gestalt erhielt.80 Wie Chrysostomus bemerkt,81 erwähnt die Hl. Schrift diese Himmelsleuchten jedoch nicht von Anfang an, sondern erst am vierten Tag. Damit wollte die Schrift das Volk von der Götzenanbetung abhalten durch den Hinweis, daß die Himmelsleuchten keine Götter sind, weil sie nicht von Anbeginn da waren. Am fünften Tag wurde derjenige Teil der körperhaften Schöpfung ausgeschmückt, welcher am zweiten Tag seine Gestalt erhalten hatte, und zwar durch die Erschaffung der Vögel und Fische. Deshalb erwähnt die Schrift an diesem fünften Tag auch die Wasser und das Himmelsgewölbe, um damit den Zusammenhang des fünften Tages mit dem zweiten namhaft zu machen. An diesem Tag wurden also durch Gottes Wort aus der zuvor erschaffenen elementaren Mate80 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 4 (Dion. I, 136 f.). 81 Johannes Chrysostomus, Homiliae in Genesim I, 4, 4 (PG 54,

col. 58 f.).

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rie die Vögel und Fische in ihre Wirklichkeit und in ihr jeweiliges Wesen gebracht zur Zierde der Luft und des Wassers, in denen sie sich entsprechend ihrer jeweiligen Fortbewegungsart fortzubewegen vermögen. Am sechsten Tag wurde der dritte und auf der untersten Stufe stehende Körper, nämlich die Erde, ausgeschmückt mit der Erschaffung der Landlebewesen, für die es natürlich ist, sich auf der Erde entsprechend ihrer jeweiligen Fortbewegungsart fortzubewegen. Damit werden beim Schöpfungswerk drei Bereiche von körperhaften Geschöpfen namhaft gemacht: der erste mit dem Wort ›Himmel‹, der mittlere mit dem Wort ›Wasser‹ und der letzte mit dem Wort ›Erde‹. Wie ausgeführt, erhielt der erste Bereich, also der Himmel, am ersten Tag seine Gestalt und wurde am vierten ausgeschmückt; der mittlere Bereich, also das Wasser, erhielt am zweiten Tag seine Gestalt und wurde am fünften ausgeschmückt. Daher ist es stimmig, wenn der auf der untersten Stufe stehende Bereich, also die Erde, die am dritten Tag ihre Gestalt erhielt, an diesem sechsten Tag dadurch ausgeschmückt wurde, daß die Landlebewesen in die Wirklichkeit hervorgebracht und in verschiedene Arten gesondert wurden. Aus dem Gesagten wird klar, daß Augustinus in seiner Auslegung des Sechstagewerkes von den anderen Vätern abweicht. [1.] Erstens dadurch, daß Augustinus unter der Erde und dem Wasser, welche zunächst im Schöpfungswerk hervorgebracht worden sind, die erste, noch völlig ungeformte Materie versteht. Unter der Erschaffung des Himmelsgewölbes, der Versammlung der Wasser und der Freilegung des Trockenen versteht er eine Prägung der körperhaften Materie durch substantiale Formen. Die anderen Väter jedoch sehen in der anfangs geschaffenen Erde und im Wasser Elemente, wie sie auf unserer Erde in ihrer jeweiligen Gestalt auftreten. In den nachfolgenden Schöpfungswerken aber sehen sie, wie bereits gesagt, eine Unterscheidung der bereits vorhandenen Körper, welche dadurch erfolgte, daß ihnen bestimmte Kräfte und akzidentelle Eigenschaften verliehen wurden. [2.] Zweitens herrscht Uneinigkeit im Hinblick auf die Erschaffung der Pflanzen und Tiere. Die andern Väter behaupten nämlich, daß jene im Sechstagewerk wirklich, also in ihrer jeweiligen Natur, erschaffen wurden; Augustinus hingegen behauptet, daß sie nur in ihrem Möglichsein erschaffen wurden. [3.] Mit

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seiner Ansicht, daß das gesamte Sechstagewerk auf einmal ausgeführt worden ist, weicht Augustinus offensichtlich nicht von anderen Vätern ab, zumindest nicht in der Frage, wie die Erschaffung der Dinge vor sich ging. Denn zum einen sind sich beide Parteien darüber einig, daß gleich mit der Hervorbringung der Dinge die Materie die substantiale Form der Elemente besaß, so daß also die erste Materie nicht zeitlich den substantialen Formen der Elemente dieser Welt voranging. Zum anderen sind sie sich darüber einig, daß die Pflanzen und Tiere bei der anfänglichen Einrichtung der Dinge durch das Schöpfungswerk nicht der Wirklichkeit nach da waren, sondern nur der Möglichkeit nach, so daß sie dann aus den Elementen kraft des göttlichen Wortes hervorgebracht werden konnten. [4.] Uneinigkeit herrscht jedoch zwischen ihnen in einem vierten Punkt. Denn nach Auffassung der anderen Väter gab es, nachdem die Elemente unserer Welt und die Himmelskörper in ihren substantialen Formen hervorgebracht worden waren, eine Zeit, wo noch kein Licht vorhanden war; wo zudem das Himmelsgewölbe noch nicht geformt und noch kein durchsichtiger Körper angeordnet und gestaltet war; wo des weiteren die Erde noch nicht von den Wassern freigelegt war und die Himmelsleuchten noch nicht gebildet waren. Dies ist der vierte Punkt, der sich nach dem Verständnis von Augustinus nicht halten läßt. Denn er war der Auffassung, daß all die gerade genannten Dinge auf einmal und in einem Augenblick geformt worden sind. Daß aber das Sechstagewerk nicht gleichzeitig, sondern schrittweise vollbracht worden ist, liegt nach Auffassung der anderen Väter nicht am mangelnden Vermögen des Schöpfers, der alles gleichzeitig hätte erschaffen können. Vielmehr hat dies seinen Grund darin, daß die Ordnung durch die göttliche Weisheit bei der Einrichtung der Dinge zum Ausdruck kommen sollte. Und so habe Gott die Dinge nicht gleich nach ihrer Erschaffung aus dem Nichts in den letzten Vollkommenheitszustand ihres Wesen versetzt, sondern zunächst in einer Art von unvollendetem Sein belassen und sie dann in ihr vollendetes Sein gebracht, so daß also die Welt Schritt für Schritt aus dem Nichts zur letzten Vollkommenheit gelangte und mithin für diese verschiedenen Grade an Vollkommenheit verschiedene Tage nötig waren. Damit sollte gegenüber denjenigen, die die Materie für unerschaffen halten, gezeigt werden, daß das Sein

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der Dinge aus Gott hervorgeht; und zudem sollte gegenüber denjenigen, welche die Formung der Dinge hier unten anderen Ursachen [als Gott] zuschreiben, gezeigt werden, daß Gott selbst der Urheber für die Vervollkommnung der Dinge ist. Die erste dieser beiden Verständnisweisen, also diejenige Augustins, ist scharfsinniger und vermag die Schrift besser gegen das Gespött der Ungläubigen zu verteidigen. Die zweite Verständnisweise, also diejenige der anderen Väter, ist eingängiger und eher dem Wortlaut an seiner Oberfläche verpflichtet. Da aber keine der beiden Verständnisweisen von der Wahrheit des Glaubens abweicht und da der Kontext der Hl. Schrift beide Verständnisweisen erlaubt, soll keine der beiden Verständnisweisen vorschnell verworfen und daher auf die Vertreter beider Auffassungen und ihre jeweiligen Argumente eingegangen werden. Zu 1. Bei den von Gott hervorgebrachten Werken ist eine Ordnung im Hinblick auf das befolgt worden, was der Sache nach bzw. als sachliche Grundlage vorangeht, jedoch keine zeitliche Abfolge eingehalten worden. Denn im Hinblick auf die Sache und ihren grundlegenden Charakter sind zuerst die Geistwesen sowie die ungeformten körperhaften Wesen hervorgebracht worden, welche dann geformt wurden. Wenngleich beide Wesen gleichzeitig erschaffen worden sind, so stehen doch die geistigen Wesen höher als die körperhaften. Von der sachlichen Rangfolge her gesehen, ging deshalb ihre Formung der Formung der körperhaften Wesen zwangsläufig voran. Weil zudem die unvergänglichen körperhaften Wesen höher stehen als die vergänglichen körperhaften Wesen, so wurden zwangsläufig auch diese, von der sachlichen Rangfolge her gesehen, früher geformt. Somit ist mit der Erschaffung des Lichtes am ersten Tag die Formung der Geistwesen gemeint, wobei ihr Geist erleuchtet wurde infolge ihrer Ausrichtung auf das Wort. Mit der Erschaffung des Himmelsgewölbes am zweiten Tag ist die Formung der unvergänglichen Himmelskörper gemeint, was nach unserem Verständnis heißt, daß hier sämtliche Himmelskörper erschaffen und in ihren jeweiligen Formen ausgeprägt worden sind. Mit der Versammlung der Wasser und der Freilegung des Trockenen am dritten Tag ist aber gemeint,

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daß hier die körperhafte Natur der vier Elemente geformt worden ist. Mit der Erschaffung der Himmelsleuchten am vierten Tag ist die Ausschmückung des Himmels gemeint, welche der Ausschmückung des Wassers und der Erde von der sachlichen Rangfolge her gesehen vorangehen muß; die letztere Ausschmückung geschah dann an den folgenden Tagen. Demnach sind Gottes Werke in einer bestimmten Ordnung, und zwar nach einer sachlichen Rangfolge und in keiner zeitlichen Abfolge, vollbracht worden. Zu 2. Die Erschaffung der Dinge erfolgte weder Schritt für Schritt noch in verschiedenen zeitlichen Etappen. Vielmehr sind alle sechs Tage, an denen Gott dem biblischen Bericht zufolge seine Schöpfungswerke vollbracht hat, nur ein einziger Tag, der die sechs verschiedenen Gruppen der Dinge repräsentiert und der eine entsprechende numerische Einteilung zuläßt. Genauso ist ja das Wort, durch das alles geworden ist, – Gottes Sohn also – Eines, obgleich es mehrmals hintereinander heißt: »Gott sprach«. Und genau wie diese Schöpfungswerke in den nachfolgenden Werken, welche sich aus den ersteren auf natürlichem Wege entwickeln, bestehen bleiben, so bleiben auch diese sechs Tage durch die gesamte Zeit hindurch bestehen. Dies läßt sich folgendermaßen erklären: Das Wesen der Engel ist geisthaft und wird im eigentlichen Sinn als ›Licht‹ bezeichnet. Daher muß die Erleuchtung der Engel als ›Tag‹ bezeichnet werden. Als nun im Anbeginn die Dinge erschaffen wurden, wurde den Engeln eine Erkenntnis von diesen Dingen gewährt. Und so wandte sich gewissermaßen das Licht ihres Intellekts den erschaffenen Dingen zu, insofern diese Dinge durch das Licht des englischen Geistes erkannt wurden. Aus diesem Grund heißt diejenige Erkenntnis der Dinge, bei der sich das Licht des englischen Geistes den erkannten Dingen zuwendet, ›Tag‹. Die Unterteilung und Abfolge der Tage entspricht dabei den Gruppen und der Ordnung der erkannten Dinge. Somit ist der erste Tag gleichbedeutend mit der Erkenntnis von Gottes erstem Schöpfungswerk, mit dem die Geistwesen durch ihre Ausrichtung auf das Wort geformt wurden. Der zweite Tag ist gleichbedeutend mit der Erkenntnis des zweiten Schöpfungswerkes, mit dem das Himmelsgewölbe erschaffen wurde und die höher stehenden körperhaften Geschöpfe gebildet wurden. Der dritte

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Tag ist gleichbedeutend mit der Erkenntnis des dritten Schöpfungswerkes, mit dem die körperhaften Geschöpfe im unteren Bereich, also die Erde, das Wasser und die daran angrenzende Luft, gebildet wurden. Der vierte Tag ist gleichbedeutend mit der Erkenntnis des vierten Schöpfungswerkes, mit dem die Himmelsleuchten erschaffen wurden und so der höhere Bereich, d. h. das Himmelsgewölbe, ausgeschmückt wurde. Der fünfte Tag ist gleichbedeutend mit der Erkenntnis des fünften Schöpfungswerkes, mit dem die Vögel und Fische erschaffen und so die Luft und das Wasser ausgeschmückt wurden. Der sechste Tag ist gleichbedeutend mit der Erkenntnis von Gottes sechstem Schöpfungswerk, mit dem die Lebewesen auf dem Land erschaffen wurden und so die Erde ausgeschmückt wurde. Der siebte Tag ist gleichbedeutend mit der englischen Erkenntnis der Ruhe des Schöpfers, mit der er in sich selbst ruht von der Erschaffung neuer Werke. Da nun Gott die Fülle des Lichts ist und es in ihm überhaupt keine Finsternis gibt, ist Gottes Erkennen an sich selbst die Fülle des Lichts. Insofern aber die Geschöpfe aus dem Nichts kommen, liegt in ihnen die Finsternis eines potentiellen Seins und der Unvollkommenheit, und deswegen ist diejenige Erkenntnis, die sich auf die Geschöpfe richtet, zwangsläufig mit Finsternis durchsetzt. Nun wird aber ein Geschöpf auf zweierlei Weise erkannt: Zum einen wird es im Wort erkannt, insofern sich dieses Wort in Gottes Schaffen äußert. Diese Erkenntnis heißt ›morgendliche Erkenntnis‹. Denn wie der Morgen ein Ende der Dunkelheit und einen Anbruch der Helle bedeutet, so bricht für die Geschöpfe, nachdem sie zunächst kein Sein hatten, mit dem Licht des Wortes die Helle an. Zum anderen wird ein Geschöpf in seiner jeweiligen Natur erkannt. Diese Erkenntnis heißt ›abendliche Erkenntnis‹. Denn wie der Abend ein Ende der Helle und den Anbruch der Nacht bedeutet, so steht auch das Erschaffene in seinem selbständigen Sein an letzter Stelle für das lichtvolle Wirken des göttlichen Wortes: Vom Wort erschaffen, würde die Schöpfung von sich aus in die Finsternis des Nichtigen fallen, wenn sie nicht vom Wort getragen wäre. Dieses Erkennen also, das sich in ein morgendliches und in ein abendliches unterteilt, wird als ›Tag‹ bezeichnet. Im Vergleich zum göttlichen Erkennen ist es nämlich Finsternis, und im Vergleich

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zum Unwissen, das bloß finster ist, ist es Licht. Daraus erklärt sich auch die mehrmalige Wiederkehr von Morgen und Abend, insofern sich die Engel in ihrem jeweiligen Wesen selbst erkennen und sich in dieser Erkenntnis auf das Licht des Wortes als ihrem Ziel hinwenden; und im Wort als dem Anfang gewinnen sie eine Erkenntnis der weiteren Schöpfungswerke. Wie nun dieser Morgen das Ende des vorangegangenen Tages bedeutet, so bedeutet er auch den Beginn des darauffolgenden Tages. Denn ein Tag ist ein Zeitabschnitt und verdankt sich dem Licht. Hingegen erfolgt die Unterscheidung der Schöpfungstage nicht nach zeitlichen Maßstäben, sondern hat mit dem geistigen Licht zu tun, insofern die verschiedenen und unterschiedenen Gruppen der Dinge durch das geistige Licht der Engel erkannt werden. Zu 3. Die Behauptung, daß in den geistigen Dingen eigentlich kein Licht ist, stimmt nicht. Augustinus sagt ja, daß das Licht in den geistigen Dingen heller und beständiger ist, sowie, daß Christus nicht in derselben Weise mit ›Licht‹ bezeichnet wird wie mit ›Stein‹. Denn ersteres ist eine eigentliche Redeweise, letzteres hingegen ein metaphorischer Ausdruck. Denn, so Eph. 5, 13, »alles, was erhellt wird, ist Licht«. Nun kennzeichnet aber ein Erhelltsein eher die geistigen als die körperlichen Dinge. Daher zählt Dionysios im 4. Kapitel von Über die göttlichen Namen das Licht zu den intelligiblen Namen Gottes.82 Intelligible Namen gelten aber im eigentlichen Sinne im geistigen Bereich. Zum Erweis der Gegenansicht hierzu wird angeführt, daß das Wort ›Licht‹ zunächst verwendet wurde, um dasjenige namhaft zu machen, was die Sichtbarkeit [von Dingen] für den Gesichtssinn ermöglicht. In diesem Fall stellt ›Licht‹ eine Eigenschaft dar, die den Sinnen als solchen zugänglich ist, und wird nicht im eigentlichen Sinn für den geistigen Bereich verwendet. Im weiteren Verlauf hat sich dann durch den allgemeinen Sprachgebrauch die Bedeutung [von ›Licht‹] erweitert auf all das, was eine Ersichtlichkeit beim Erkennen ermöglicht. Somit wurde dies zum allgemeinen Sprachgebrauch, und mithin wird ›Licht‹ in erster Linie und eigentlich für den geistigen Bereich verwendet. 82 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 5 (Dion. I, 127 ff.).

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Zu 4. Wie bereits ausgeführt, bemessen sich jene Tage nicht bloß nach der Abfolge bei der Erkenntnis [der Engel], sondern auch nach der sachlichen Rangfolge der erkannten Dinge. Daher betont Augustinus, daß diese sieben Tage nur ein einziger Tag sind, der auf siebenfache Weise die Dinge repräsentiert.83 Daher ist die Abfolge dieser Tage auf die sachliche Ranfolge der Schöpfungswerke zu beziehen. Diese Werke werden insofern auf Tage verteilt, insofern sie durch das geistige Licht der Engel im Wort auf einmal erkannt werden. Zu 5. Die sechs Tage, an denen Gott nach dem biblischen Bericht den Himmel, die Erde, das Meer und alles in und auf ihnen erschaffen hat, meinen keine zeitliche Abfolge, sondern meinen die Erkenntnis der Engel, die sich auf die sechs von Gott erschaffenen Gruppen der Dinge richtet. Der siebte Tag aber meint diejenige Erkenntnis der Engel, die sich auf die Ruhe des Schöpfers richtet. Nach Augustinus spricht die Schrift aus dem Grunde davon, daß Gott am siebten Tag geruht habe, weil Gott dem Geist der Engel die ihm eigene Ruhe offenbarte, mit der er in sich selbst jenseits der erschaffenen Dinge ruht und in der er nicht die Geschöpfe zu seiner Seligkeit braucht, sondern an sich selbst durch sich selbst genug hat. Diese Erkenntnis nannte Augustinus ›Tag‹. Zudem heißt es deswegen, Gott habe am siebten Tag von seinem Werk geruht, weil er hernach nichts Neues erschaffen hat, was nicht schon mit dem Sechstagewerk auf irgendeine Art und Weise Bestand gehabt hätte, sei es nun in materialer oder kausaler Hinsicht oder in seinen spezifischen und generischen Grundzügen.84 Da Gott nach der Gründung aller seiner Werke am siebten Tag ruhte, so will es die Schrift und das Gesetz, daß der siebte Tag geheiligt werde. Denn die Heiligung eines jeden Dinges besteht vor allem darin, daß es in Gott ruht. Daher wird das, was Gott geweiht ist, also etwa der Tabernakel, die Messgeräte und die Priester, als heilig bezeichnet. Der siebte Tag ist der Verehrung Gottes geweiht und wird daher als geheiligt bezeichnet. So kam auch Gott, der sechs Gruppen von Dingen erschaffen hat und sie dem Geist der Engel 83 Augustinus, De civ. Dei XI, 7, 9 (CCSL 48, 326 f.). 84 Übersetzung für »similitudines«.

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offenbarte, nicht in den erschaffenen Dingen zur Ruhe, so als ob diese sein Ziel gewesen wären. Vielmehr verharrte er jenseits der erschaffenen Dinge in sich selbst, worin seine Seligkeit besteht. Er wird ja nicht dadurch selig, daß er die Dinge erschafft, sondern er ist es dadurch, daß er sich selbst genug ist und dazu die erschaffenen Dinge nicht braucht. Genauso müssen auch wir es lernen, nicht in Gottes Werken oder in unseren Werken Ruhe zu finden, sondern jenseits der Werke in Gott zu ruhen, in dem unsere Seligkeit liegt. Deswegen ist es so eingerichtet worden, daß der Mensch sechs Tage an seinen Werken arbeite, am siebten Tag aber ruhen und frei sein soll für den Gottesdienst und für die Muße zur Betrachtung Gottes, worin die Heiligung des Menschen insbesondere liegt. Zudem belegt die Neuentstehung der Welt85 auf eindringliche Weise, daß Gott existiert und er seiner Geschöpfe nicht bedarf. Deswegen ist im Gesetz festgelegt, daß der Mensch am siebten Tag ruhen und diesen Tag feierlich begehen soll, an dem die Welt vollendet worden ist. Damit soll der Mensch angesichts des zeitlichen Anfangs der auf einmal erschaffenen Welt und angesichts der sechs verschiedenen Gruppen von Dingen immer Gottes gedenken, Gott für das so wohleingerichtete und vorzügliche Geschenk der Schöpfung Dank sagen und in Gott das Ziel seines geistigen Friedens sehen, im jetzigen Leben durch Gnade, im künftigen Leben in Herrlichkeit. Zu 6. Jedes neu entstandene Werk, das Gott erschaffen hat und das der Erkenntnis der Engel zugänglich ist, wird als ›Tag‹ bezeichnet. Da aber, wie gesagt, im Anbeginn nur sechs Bereiche durch Gott erschaffen wurden und vom Geist der Engel erkannt wurden, so gibt es hier nur sechs Tage. Hinzu kommt noch ein siebter Tag, also eben diejenige Erkenntnis der Engel, die sich auf Gottes Ruhe in sich selbst richtet. Denn Gott hat nichts in der Natur erschaffen, ohne daß er dies zunächst, von der sachlichen Ranfolge her gesehen, dem Geist der Engel zugänglich gemacht hätte. Zu 7. Die Antwort erhellt aus dem bereits Ausgeführten. Denn jene Tage bemessen sich nicht nach einem Unterschied in der Erkenntnis der Engel, sondern nach einem Unterschied in den Schöp85 Mit ›Neuentstehung‹ (novitas) ist gemeint, daß die Welt in, oder besser: mit der Zeit entstanden ist.

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fungswerken, auf welche sich die Erkenntnis der Engel richtet. Insofern ergibt sich die Unterteilung der Schöpfungstage aus einem Unterschied in den Werken und nicht aus einem Unterschied im Erkennen. Von daher unterteilen sich jene sechs Tage danach, daß das Licht des englischen Geistes sich den sechs Gruppen der Dinge zuwendet, um sie zu erkennen. Zu 8. Nach Augustinus machen jene drei Wendungen ein dreifaches Sein der Dinge namhaft. Erstens wird das Sein der Dinge im Wort namhaft gemacht. Denn die Dinge haben zunächst ihr Sein im göttlichen Wissen, d. h. im Wort, bevor sie ihr Sein an sich selbst haben. Dies kommt zum Ausdruck in den Worten: »Gott sprach: Es werde!« Das meint: Gott zeugte das Wort, in dem die Dinge waren, auf daß sie wurden. – Zweitens wird das Sein der Dinge im Geist der Engel namhaft gemacht. Denn Gott erschuf nichts in der Natur, dessen Wesen er nicht dem Geist der Engel zugänglich gemacht hätte. Dies kommt zum Ausdruck in den Worten: »Und es geschah so«, nämlich durch das Ausströmen des Wortes in den Geist der Engel. – Drittens wird das Sein der Dinge in ihrer jeweiligen Natur namhaft gemacht. Dies kommt zum Ausdruck in den Worten: »Gott schuf«. Denn wie die Geschöpfe zuerst im Wort gründen und dann erst in sich selbst, so erkennen, von der sachlichen Rangfolge her gesehen, auch die Engel eben diesen Grund, noch bevor die Dinge hervorgebracht werden. Somit besitzen die Engel eine dreifache Erkenntnis von den Dingen, insofern diese Dinge im Wort, im Geist der Engel und in ihrem jeweiligen Wesen sind. Die erste Erkenntnis heißt ›morgendliche Erkenntnis‹, die beiden anderen fallen unter die abendliche Erkenntnis. Auf diese zweifache Erkenntnisweise bei den Geistwesen sollte hingewiesen werden, wenn es heißt: »Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag.« Unter diesen sechs Tagen, an denen nach dem biblischen Bericht Gott alles erschaffen hat, versteht also Augustinus nicht die üblichen Tage, die sich nach dem Lauf der Sonne bemessen – denn die Sonne ist nach dem Schöpfungsbericht am vierten Tag erschaffen worden –, sondern einen einzigen Tag, d. h. die Erkenntnis der Engel, die sich den sechs Gruppen der Dinge zuwendet. Wie nämlich sich das körperhafte Licht den Dingen hier unten zuwendet und es dadurch im zeitlichen Sinne Tag werden läßt, so wendet sich auch

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das Licht des englischen Intellekts den Geschöpfen zu und läßt es dadurch im geistigen Sinne Tag werden. Dementsprechend unterteilen sich jene sechs Tage nach der Maßgabe, daß sich das geistige Licht der Engel den sechs Gattungen der Dinge zuwendet, um diese zu erkennen. Somit stellt der erste Tag die Erkenntnis von Gottes erstem Schöpfungswerk, der zweite Tag die Erkenntnis seines zweiten Schöpfungswerkes dar usw. Demnach gliedern sich jene sechs Tage nicht nach einer zeitlichen Ordnung oder einem Ablauf der Dinge, sondern nach der sachlichen Rangfolge, in der diese Dinge erkannt werden, insofern nämlich ein erkanntes Schöpfungswerk in der sachlichen Rangfolge dem anderen jeweils vorangeht. Wie aber bei einem natürlichen und vergänglichen Tag der Morgen den Tagesbeginn und der Abend den Abschluß und das Ende markiert, so heißt auch diejenige Erkenntnis ›morgendliche Erkenntnis‹, die jedem Schöpfungswerk in seinem ursprünglichen Sein, d. h. seinem Sein im Wort, gilt. Mit ›abendlich‹ hingegen wird diejenige Erkenntnis bezeichnet, die diesem Schöpfungswerk in seinem spätesten Sein, d. h. seinem Sein in seiner jeweiligen Natur, gilt. Denn der Anfang des Seins liegt bei jedem Ding in seiner Ursache, der es entspringt, der Zielpunkt des Seins liegt hingegen in diesem Ding selbst, in dem das Sein empfangen wird und worauf das Wirken der Ursache zielt. Daher bemißt sich die Erstrangigkeit eines Erkennens danach, daß etwas in seiner Ursache, der es entspringt, betrachtet wird; die letzte Stufe eines Erkennens von etwas bemißt sich hingegen danach, daß dieses an sich selbst betrachtet wird. Da also aus dem ewigen Wort als dem ersten Prinzip das Sein der Dinge ausströmt und da dieses Ausströmen in dasjenige Sein mündet, das die Dinge in ihrer jeweiligen Natur aufweisen, so folgt daraus, daß die Erkenntnis der Dinge im Wort, die sich ja auf das erste und anfängliche Sein der Dinge richtet, als eine morgendliche bezeichnet werden muß, und zwar aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem Morgen, der den Tagesbeginn markiert. Dagegen muß die Erkenntnis eines Dinges in seiner jeweiligen Natur, die sich ja auf das letzte und abschließende Sein richtet, eine abendliche genannt werden. Denn der Abend ist der Abschluß des Tages. Wie also die sechs Gruppen der Dinge, auf die sich die Erkenntnis der Engel rich-

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tet, die Schöpfungstage gliedern, so begründet auch die Einheit eines erkannten Dinges, das auf verschiedene Weisen erkannt werden kann, die Einheit eines Schöpfungstages und untergliedert diesen in Morgen und Abend. Zu 9. Ein Engel kann zunächst und grundsätzlich nicht mehrere Dinge in ihrer jeweiligen Natur erkennen. Wohl aber kann er mehrere Dinge dann erkennen, wenn sich diese Dinge auf einen einheitlichen Gegenstand seines Denkens beziehen lassen. Nun ist alles, was in seiner jeweiligen Natur erschaffen worden ist, der sachlichen Rangfolge nach dem Geist der Engel zuvor schon umrißhaft erkenntlich. Daher erkennt ein Engel, wenn er sich selbst erkennt, zugleich auch jene sechs Gruppen der Dinge, zwischen denen eine sachliche Rangfolge besteht. Indem er nämlich sich selbst erkennt, erkennt er alles, was in ihm ist. Zu 10. Von einem einzigen Vermögen können gleichzeitig zwei Tätigkeiten ausgehen, wenn die eine der beiden Tätigkeiten in einer hierarchischen Beziehung zur anderen steht. So erklärt sich, daß sich der Wille auf ein Ziel und zugleich auf das richtet, was zu diesem Ziel hinführt. Ebenso begreift auch der Intellekt Prämissen und zugleich die Schlußfolgerungen aus diesen Prämissen, wenn er denn einsichtig ist. Bei den Engeln stehen nun, wie Augustinus sagt,86 die abendliche und die morgendlichen Erkenntnis in einer Rangfolge zueinander, genauso wie die natürliche Erkenntnis und Liebe und die himmlische Erkenntnis und Liebe in einer Rangfolge zueinander stehen. Daher spricht nichts dagegen, daß ein Engel gleichzeitig eine morgendliche und eine abendliche Erkenntnis besitzt, genauso wie auch die natürliche und die himmlische Erkenntnis zugleich miteinander bestehen. Denn von ein und demselben Vermögen können dann nicht gleichzeitig zwei Tätigkeiten ausgehen, wenn diese Tätigkeiten ihren Ausgang von zwei Erkenntnisbildern aus ein und demselben Bereich nehmen und wenn dabei beide Bilder in keiner Rangfolge zueinander stehen. Dies ist der Fall bei allen geschöpflichen Erkenntnisbildern, die im Intellekt auftreten. Daher kann ein Engel im 86 Ps.-Augustinus, Dialogus quaestionum LXV, q. 26 (PL 40, col. 741 f.); Augustinus, De Gen. ad litt. II, 8 (CSEL 28/1, 43 ff.).

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Ausgang von verschiedenen, aber gleichermaßen geschöpflichen Erkenntnisbildern nicht gleichzeitig unterschiedliche Denkakte vollziehen. Wenn aber jene beiden Tätigkeiten ihren Ausgang nehmen von Formen aus verschiedenen Bereichen und mit verschiedenem Charakter und wenn zudem diese beiden Formen in einer Rangfolge zueinander stehen – was ja der Fall ist bei einer ungeschaffenen selbständigen und einer erschaffenen unselbständigen Form –, dann können sich beide Tätigkeiten gleichzeitig vollziehen. Weil also die ›abendlich‹ benannte Erkenntnis, mit der ein Engel ein Ding in seiner jeweiligen Natur schaut, sich einem kreatürlichen und unselbständigen Erkenntnisbild verdankt, weil aber die ›morgendlich‹ benannte Erkenntnis, bei der ein Engel ein Ding im Wort schaut, sich dem selbständigen Wesen des Wortes verdankt und weil dabei beide Erkenntnisbilder aus einem anderen Bereich stammen, einen andern Charakter haben und in einer Rangfolge zueinander stehen, so können sich beide Erkenntnisakte gleichzeitig vollziehen. Denn ein geschöpfliches Erkenntnisbild, welches im Intellekt auftritt, hindert den Intellekt nicht an seiner Einung mit dem Wesen des Wortes. Diese Einung verleiht nämlich dem Intellekt kein Sein, sondern sie bringt ihn nur zum Vollzug einer Erkenntnis, die einen anderen Charakter und einen höheren Rang hat. Mit welcher Vollkommenheit auch immer ein solches [geschöpfliches] Erkenntnisbild im Intellekt auftritt, es bildet gleichsam die materiale Grundlage für jene Einung und selige Schau, mit der die Dinge im Wort erblickt werden. Wie daher sowohl die Grundlage für eine Form als auch diese Form zusammen in demjenigen bestehen können, was in seine vollendete Wirklichkeit gekommen ist, so bestehen auch bei einem vollendeten Erkenntnisakt zugleich das Erkenntnisbild, das im Intellekt auftritt, sowie seine Einung mit dem Wesen des Wortes. Somit gehen vom Intellekt eines seligen Engels gleichzeitig zwei Tätigkeiten aus: zum einen diejenige Erkenntnis, bei der ein Engel aufgrund seiner Einung mit dem Wesen des Wortes die Dinge im Wort schaut und die als ›morgendlich‹ bezeichnet wird; zum anderen diejenige Erkenntnis, bei der ein Engel kraft eines in ihm auftretenden Erkenntnisbildes die Dinge in ihrer jeweiligen Natur erblickt und die als ›abendlich‹ bezeichnet wird. Zudem erlahmt oder schwächt sich keiner der bei-

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den Erkenntnisakte mit der Konzentration auf den anderen Akt ab. Vielmehr verstärkt er sich noch, da der eine Akt den Ermöglichungsgrund für den anderen darstellt; genauso verstärkt sich ja auch die geistige Vorstellung von einem Gegenstand, den man einmal gesehen hat, sobald man diesen zu Gesicht bekommt. Der Akt, in dem die Seligen das Wort und in ihm die Dinge schauen, ist ja der Ermöglichungsgrund für jeden anderen ihrer Akte. Wenn aber bei zwei Akten der eine den Ermöglichungsgrund für den anderen darstellt bzw. wenn sie in einer Rangordnung zueinander stehen, dann können beide zugleich von ein und demselben Vermögen herrühren. Somit führt ein und dasselbe Vermögen im Ausgang von verschiedenen Erkenntnisbildern, welche in einer Rangordnung zueinander stehen, zu verschiedenen Tätigkeiten, die nicht auf Dasselbe, sondern auf Verschiedenes gehen. Denn die Erkenntnisbilder aus verschiedenen Bereichen und mit unterschiedlichem Stellenwert und Charakter lassen sich in einem vollkommenen Erkenntnisakt alle vereinigen, was sich ja etwa angesichts der Farbe, des Geruchs und Geschmacks eines Apfels zeigt. Nun gehören einer verschiedenen Stufe bzw. einem verschiedenen Bereich mit unterschiedlichem Charakter an: [a] die göttliche Wesenheit, durch die der Intellekt der Engel die Dinge im Wort schaut, denn diese ist ungeschaffen und besteht durch sich selbst; [b] die Wesenheit eines Engels, durch die dieser sich selbst und die Dinge erblickt, insofern sie in ihm ihr Sein haben; denn diese ist erschaffen und besteht für sich selbst dank eines verliehenen Seins, durch das sein Intellekt besteht; [c] das gewonnene bzw. erschaffene Erkenntnisbild, durch das ein Engel die Dinge in ihrer jeweiligen Natur erblickt, denn dieses tritt in seinem Intellekt auf. Insofern stellt die erste Wesenheit den Ermöglichungsgrund für die beiden anderen dar, sowie die zweite den Ermöglichungsgrund für die dritte. Angesichts dieser drei Instanzen kann der Intellekt eines Engels somit drei Tätigkeiten zugleich vollziehen. Ebenso erkennt die Seele von Christus die Dinge auf einmal dank ihres Erkenntnisbildes vom Wort, dank eines ihr verliehenen und dank eines erworbenen Erkenntnisbildes. Zu 11. Nach Augustinus geht der formlose Zustand der Materie ihrer Formung nicht zeitlich, sondern in der sachlichen Rangfolge

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voraus, so wie dies etwa auch bei einem Ton und einem stimmlichen Laut im Verhältnis zu einem Lied der Fall ist. Genauso geht auch die Formung der Geistwesen, welche mit der Erschaffung des Lichtes gemeint ist, der Formung der körperhaften Geschöpfe in der sachlichen Rangfolge und Ursprünglichkeit, nicht aber zeitlich voraus. Denn die Geistwesen haben einen höheren Rang als die körperhaften Wesen. Die Formung der Geistwesen erfolgt aber mit ihrer Erleuchtung, wodurch sie dem Wort angehören – freilich nicht in vollkommener Herrlichkeit, in der sie nicht erschaffen wurden, sondern aus reiner Gnade, mit der sie erschaffen wurden. Dank dieses Lichtes erfolgte also ihre Scheidung von der Finsternis, d. h. von der Formlosigkeit der körperhaften Geschöpfe, welche, von der sachlichen Rangfolge her gesehen, noch nicht geformt waren, sondern erst noch geformt werden mußten. Die Formung der Geistwesen läßt sich nämlich auf zweifache Weise verstehen: zum einen als ein Geschenk der Gnade, zum anderen als die Erhaltung der Herrlichkeit. Das Erstere wurde nach Augustinus den Geistwesen gleich bei ihrer Erschaffung zuteil. In diesem Fall meint dann die Finsternis, von der das Licht geschieden wird, nicht die Sünde der bösen Engel, sondern den formlosen Zustand der Natur, welche der sachlichen Rangfolge nach noch nicht geformt war, sondern erst noch mit den nachfolgenden Schöpfungswerken geformt werden sollte. So lauten Augustinus’ Ausführungen im ersten Buch seines Genesis-Kommentars.87 – Oder man versteht, wie im vierten Buch von Augustinus’ Genesis-Kommentar,88 unter ›Tag‹ das göttliche Erkennen und unter ›Nacht‹ das kreatürliche Erkennen. Dieses ist ja Finsternis im Vergleich zum göttlichen Erkennen, wie es an derselben Stelle heißt.89 – Oder aber man versteht unter der Finsternis die sündigen Engel; dann bezieht sich jene Scheidung nicht auf ihre sofortige, sondern auf ihre künftige Sünde, die Gott vorherwußte. Daher heißt es in Augustins Schrift An Orosius: »Da Gott vorherwußte, daß einige Engel infolge ihres Hochmutes fallen würden, so schied er in der Unabänderlichkeit sei87 Augustinus, De Gen. ad litt. I, 5–7 (CSEL 28/1, 8 ff.). 88 Augustinus, De Gen. ad litt. IV, 22–23 (CSEL 28/1, 121 ff.). 89 Augustinus, De Gen. ad litt. IV, 22–23 (CSEL 28/1, 121 ff.).

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nes Vorherwissens zwischen Guten und Schlechten und nannte die Schlechten Nacht, die Guten Tag.«90 Der zweite Sinn von ›Formung der Geistwesen‹ betrifft nicht die Erschaffung der Dinge am Anfang, sondern eher den Verlauf der Dinge, bei dem sie durch die göttliche Vorsehung gelenkt werden. Die Scheidung von Licht und Finsternis – letztere meint dabei die Sünde der Dämonen – ist demnach zu verstehen im Lichte von Gottes Vorherwissen. So sagt Augustinus im 11. Buch seines Gottesstaates, daß allein derjenige Licht und Finsternis zu scheiden vermochte, der vor dem Fall [der Engel] diesen vorherwissen konnte.91 Versteht man aber unter Finsternis den formlosen Zustand der körperhaften Natur, welche erst noch geformt werden sollte, dann meint dies keine zeitliche Abfolge, sondern eine sachliche Rangfolge bei der Formung beider Wesen. Zu 12. Angenommen, alle Dinge sind mit ihrer Materie und Form zugleich erschaffen worden, dann hatte ein Engel nicht aus dem Grund ein Wissen von den erst noch werdenden körperhaften Geschöpfen, weil diese Dinge in einem zeitlichen Sinn noch in der Zukunft lagen. Als künftige Geschöpfe wurden sie vielmehr erkannt, insofern sie in ihrer Ursache erkannt wurden, in der diese Geschöpfe lagen und aus der sie dann hervorgehen konnten. Genauso erkennt ja auch derjenige, der die handwerklichen Regeln für die Entstehung einer Truhe kennt, die Truhe als ein Ding, das noch in der Zukunft liegt. Die Erkenntnis der Dinge im Wort heißt ja ›morgendliche Erkenntnis‹, gleich ob nun die Dinge bereits entstanden sind oder erst noch entstehen werden. Gegenüber Gegenwärtigem und Zukünftigem verhält sich diese Erkenntnis gleichgültig, da sie dem göttlichen Erkennen gleichförmig ist und daher alle Dinge schlichtweg genauso vor wie nach ihrer Entstehung erkennt. Gleichwohl bezieht sich die Erkenntnis eines Dinges im Wort stets auf dieses Ding als ein Etwas, was erst noch entsteht, und zwar gleichgültig, ob nun dieses Ding bereits hervorgebracht worden ist oder nicht. Denn die Wendung ›erst noch entstehend‹ meint keine Zeitangabe, sondern den Hervorgang der Geschöpfe aus dem Schöpfer. 90 Ps.-Augustinus, Dialogus quaestionum LXV, q. 25 (PL 40, col. 741). 91 Augustinus, De civ. Dei XI, 20 (CCSL 48, 338 f.).

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Genauso bezieht sich ja auch bei einer Handwerkskunst das Wissen auf den Entstehensprozeß, durch den ein handwerkliches Produkt zustande kommt, selbst wenn dieses Produkt bereits verfertigt sein sollte. Obwohl daher die körperhaften Geschöpfe zugleich mit den Geistwesen erschaffen worden sind, so läßt sich aus den angeführten Gründen doch sagen, daß ein Engel diese Geschöpfe im Wort als etwas erkennt, was erst noch entsteht. Zu 13. Wie der Morgen dem Abend vorangeht, so geht in der sachlichen Rangfolge auch die morgendliche der abendlichen Erkenntnis voran. Dies gilt allerdings nicht bei ein und demselben Schöpfungswerk, sondern angesichts der verschiedenen Schöpfungswerke. Die abendliche Erkenntnis eines früheren Schöpfungswerkes versteht sich denn auch als vorrangig in der sachlichen Rangfolge gegenüber der morgendlichen Erkenntnis eines späteren Schöpfungswerkes. Denn das Werk des ersten Schöpfungstages besteht in der Erschaffung des Lichtes, worunter die Formung der Engel durch ihre gnadenhafte Erleuchtung zu verstehen ist. Dagegen verdankt sich diejenige Erkenntnis, bei der die Geistwesen von sich aus selbst erkennen, dem Umstand, daß sie ihre jeweilige Natur erlangt haben. Was die sachliche Rangfolge anbelangt, erkennt ein Geistwesen deswegen zunächst sich selbst in seiner jeweiligen Natur in einer abendlichen Erkenntnis. Dadurch begreift es sich als bereits erschaffen. Erst hierauf erkennt es sich dann im Wort, in dem ein Schöpfungswerk Gottes als etwas erkannt wird, was erst noch entstehen wird. Bei diesem Erkennen, mit dem die guten Engel sich selbst erkennen, blieben sie daher nicht stehen, so, als ob sie sich an sich selbst erfreuen würden und ihr Ziel in sich selbst finden könnten. Denn in diesem Fall würde es Nacht um sie, wie dies bei den gefallenen bösen Engeln geschehen ist. Vielmehr führte sie ihr Erkennen zum Lobpreis des Wortes. So wandten sich die guten Engel von der Erkenntnis ihrer selbst auf die Schau des Wortes, und dies war der Morgen des nächsten Schöpfungstages. Denn im Wort erhielten sie die Erkenntnis des nächsten Schöpfungswerkes, nämlich des Himmelsgewölbes. Wie wir aber am Zeitkontinuum sehen, daß ein und derselbe Jetztpunkt zwei Zeitmodi angehört – er markiert ja den Endpunkt

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der Vergangenheit und den Anfangspunkt der Zukunft –, so ist auch die morgendliche Erkenntnis des zweiten Schöpfungstages das Ende des ersten und der Anfang des zweiten Schöpfungstages usw. bis zum siebten Tag. Deswegen hat auch, wie geschrieben steht, der erste Schöpfungstag nur einen Abend. Denn die Engel hatten zunächst eine abendliche Erkenntnis von sich selbst. Diese abendliche Erkenntnis ging dann über in eine morgendliche, insofern die Selbstbetrachtung der Engel sie zur Schau des Wortes führte, in dem der Morgen des nächsten Tages liegt. Dadurch gewannen sie im Wort eine morgendliche Erkenntnis vom nächsten Schöpfungswerk. Was die sachliche Rangfolge anbelangt, geht somit die morgendliche Erkenntnis eines Schöpfungswerkes, welches auf das erste Schöpfungswerk folgt, der abendlichen Erkenntnis eben dieses Schöpfungswerkes voraus. Auf natürlichem Wege geht hingegen die abendliche Erkenntnis eines früheren Schöpfungswerkes der morgendlichen Erkenntnis eines späteren Schöpfungswerkes voran. Daher hat der erste Schöpfungstag nur einen Abend, und der siebte Tag, welcher die Schau Gottes bedeutet, nur einen Morgen. Denn dieser Tag geht nie zu Ende, da ihm nichts abgeht. Zu 14. Augustinus bezeichnet diejenige Erkenntnis als ›morgendlich‹, die im vollen Licht steht und die daher eine mittägliche Erkenntnis mit einschließt. Eine derartige Erkenntnis bezeichnet Augustinus darum zuweilen als eine taghelle und zuweilen als eine morgendliche. – Oder man könnte hier Folgendes sagen: Jede Erkenntnis, die der Intellekt der Engel vollzieht, ist mit einer Finsternis durchsetzt, die an ihrem Erkennen liegt. Daher kann keine Erkenntnis der Engel als mittäglich bezeichnet werden, sondern allein Gottes Erkennen, mit dem er alles in sich selbst erkennt. Weil zudem Gott die Fülle des Lichtes ist und überhaupt keine Finsternis in ihm ist, so läßt sich Gottes Erkennen an sich und schlechthin – er ist ja die Fülle des Lichtes – als ein mittägliches bezeichnen. Weil dagegen die Geschöpfe aus dem Nichts kommen und daher die Finsternis des potentiellen Seins und der Unvollendetheit an sich haben, so ist das kreatürliche Erkennen seinerseits mit Finsternis durchsetzt. Diese Durchsetzung wird mit ›Morgen‹ und ›Abend‹ zum Ausdruck gebracht. Somit können die Geschöpfe ihrerseits auf zweifache Weise erkannt werden: Zum einen können sie im Wort erkannt werden,

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insofern sie ihren Ausgang von der göttlichen Kunst nehmen. Diese Erkenntnis heißt ›morgendliche Erkenntnis‹. Denn wie der Morgen das Ende der Finsternis und den Anbruch des Lichtes bedeutet, so bedeutet auch für die Geschöpfe das Wort selbst den Anbruch der Helle nach ihrer Finsternis, d. h. nach ihrem Nicht-Sein. Zum anderen können die Geschöpfe in ihrer jeweiligen Natur erkannt werden, und zwar mittels eines kreatürlichen Erkenntnisbildes. Diese Erkenntnis heißt ›abendliche Erkenntnis‹. Denn wie der Abend das Ende der Helle und den Anbruch der Nacht bedeutet, so stellt auch die Schöpfung in ihrem eigenständigen Sein einen äußersten Grenzpunkt für das Wirken des göttlichen Wortes dar, welches Licht ist und durch das sie erschaffen worden ist. Von sich aus würde die Schöpfung in die Finsternis des Nichtigen92 fallen, wenn sie nicht vom Wort getragen wäre. Gleichwohl wird ein solches Erkennen mit ›Tag‹ bezeichnet. Denn wie es im Vergleich zum Erkennen des Wortes finster ist, so läßt es sich im Vergleich zum Unwissen, das ganz und gar finster ist, mit ›Licht‹ bezeichnen. Genauso wird ja auch ein gerechtes Menschenleben im Vergleich zum ewigen Leben als finster bezeichnet, und doch kann es ›Licht‹ heißen im Vergleich zu einem sündhaften Leben. Wenn zudem Morgen und Abend Tagesabschnitte sind, wenn aber ›Tag‹ bei den Engeln ihre Erkenntnis bezeichnet, welche durch das Licht der Gnade erhellt wird, dann stellt die morgendliche und die abendliche Erkenntnis ausschließlich eine gnadenhaft verliehene Erkenntnis der guten Engel dar. Daher wird die Erkenntnis der Schöpfungswerke durch die Engel als Erleuchtung bezeichnet. Nach den verschiedenen Gruppen der erkannten Schöpfungswerke unterteilen sich dann die Schöpfungstage, und ihre Abfolge bestimmt sich nach der Rangfolge dieser Werke. Jeden dieser Schöpfungstage erkennt aber ein erleuchteter Engel auf zweifache Weise: zum einen im Wort bzw. über ein Erkenntnisbild des Wortes – also über eine sogenannte morgendliche Erkenntnis; zum anderen erkennt er sie in ihrem jeweiligen Wesen bzw. über ein kreatürliches Erkenntnisbild. Bei dieser Erkenntnis bleiben die guten Engel jedoch nicht stehen, so als würden sie darin 92 Übersetzung für »defectus«.

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ihr Ziel finden – denn dann würde es Nacht um sie wie im Falle der bösen Engel. Vielmehr führt sie ihre Erkenntnis zum Lobpreis des Wortes und zum göttlichen Licht, in dem sie als ihrem Urgrund alles erkennen. Daher kann diese Erkenntnis von den Geschöpfen, die an den Lobpreis Gottes gebunden bleibt, nicht als eine nächtliche bezeichnet werden. Letzteres könnte nur dann der Fall sein, wenn die Engel bei jener Erkenntnis stehenbleiben würden. Denn dann würde es Nacht um sie, weil sie sich dann an den Geschöpfen als solchen erfreuen würden. In die morgendliche und in die abendliche Erkenntnis unterteilt sich also der Tag, d. h. diejenige Erkenntnis, welche die guten erleuchteten Engel von den Schöpfungswerken haben. Die Erkenntnis der Schöpfung durch die guten Engel ist jedoch stets, ob sie nun über ein kreatürliches oder ein ungeschaffenes Erkenntnismittel verläuft, mit Dunkelheit durchsetzt. Deswegen kann sie nicht mittäglich genannt werden so wie Gottes Erkennen in sich selbst. Sie kann aber auch nicht nächtlich genannt werden so wie ein kreatürliches Erkennen, das sich nicht an das göttliche Licht gebunden fühlt. Vielmehr wird dieses Erkennen ausschließlich morgendlich und abendlich genannt, denn der Abend findet als solcher im Morgen sein Ziel. Deswegen kann nicht jede beliebige Erkenntnis der Dinge in ihrer jeweiligen Natur als abendlich bezeichnet werden, sondern nur diejenige Erkenntnis, welche zum Lobpreis des Schöpfers führt. Daher heißt auch die Erkenntnis, die die Dämonen von den Dingen haben, im eigentlichen Sinne nicht morgendlich oder abendlich. Denn ›Morgen‹ und ›Abend‹ können für die Erkenntnis der Engel nicht in jeder Beziehung als Gleichnis dienen, sondern nur unter dem Vergleichspunkt, daß ihre Erkenntnis einen Anfang und einen Zielpunkt hat. Zu 15. Auch wenn die Engel aus Gnade erschaffen worden sind, so waren sie im Anbeginn ihrer Erschaffung weder selig noch schauten sie von sich aus das göttliche Wort. Daher hatten sie auch keine morgendliche Erkenntnis von sich selbst, also keine Erkenntnis, die sich dem Erkenntnisbild vom Wort verdankt. Vielmehr hatten sie zunächst eine abendliche Erkenntnis von sich selbst, insofern sie von Natur aus sich selbst erkannten. Dies liegt daran, daß bei jedem von ihnen die natürliche Erkenntnis der übernatürlichen Erkenntnis gleichsam als Grundlage vorausgeht. Zudem steht und

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fällt die Erkenntnis eines Engels damit, daß er seine jeweilige Natur erlangt hat. Aus diesem Grund hatten die Engel im Anbeginn ihrer Erschaffung keine morgendliche, sondern eine abendliche Erkenntnis von sich selbst. Diese Erkenntnis führte sie aber zum Lobpreis Gottes, und daher wurden sie mit der morgendlichen Erkenntnis belohnt. So hat es also seine Bedeutung, wenn geschrieben steht, daß der erste Schöpfungstag nur einen Abend und keinen Morgen hatte und daß der Abend in den Morgen überging. Denn jenes geistige Licht, das, wie geschrieben steht, am ersten Tag erschaffen wurde, erkannte sich gleich nach seiner Erschaffung selbst, und zwar in einer abendlichen Erkenntnis. Diese Erkenntnis führte es zum Lobpreis des Wortes und deshalb wurde es mit der morgendlichen Erkenntnis des folgenden Schöpfungswerkes belohnt. Nicht jede Erkenntnis der Dinge in ihrer jeweiligen Natur kann daher als abendlich bezeichnet werden, sondern nur diejenige, die zum Lobpreis des Schöpfers führt. Der Abend geht nämlich in den Morgen über und findet dort sein Ziel. Daher ist die Erkenntnis der Dämonen, welche sie von sich aus von den Dingen haben, weder eine morgendliche noch eine abendliche Erkenntnis. Vielmehr kann davon die Rede nur bei derjenigen Erkenntnis sein, die den guten Engeln gnadenhaft verliehen ist. Somit ist die Erkenntnis der Dinge in ihrem jeweiligen Wesen dann eine abendliche, wenn sie zum Lobpreis des Wortes führt. Solch eine Ausrichtung macht allerdings aus dieser Erkenntnis noch keine morgendliche, sondern sie ermöglicht es dieser Erkenntnis, in der morgendlichen Erkenntnis ihr Ziel zu finden. Infolge dieser Ausrichtung wird ein Engel damit belohnt, daß er eine morgendliche Erkenntnis empfängt. Wie nun der erste Schöpfungstag, der die Formung und die Erkenntnis der Geistwesen in ihrer jeweiligen Natur meint, nur einen Abend hat, so hat der siebte Tag nur einen Morgen: Er meint die Schau Gottes, die kein Ende findet, da ihr nichts abgeht. Er verkörpert diejenige Erkenntnis der Engel, die sich auf Gottes Ruhe in sich selbst richtet und in der die Erleuchtung und Heiligung eines jeden Dinges besteht. Denn weil Gott davon Abstand nahm, neuerlich Geschöpfe hervorzubringen, heißt es auch, daß er sein Schöpfungswerk vollendete und von seinen Werken in sich selbst ruhte. Wie aber Gott in sich selbst ruht und selig im Genuß seiner selbst ist,

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so werden auch wir nur durch den Genuß Gottes selig, und so läßt er auch uns von seinen und unseren Werken in ihm ruhen. Der erste Schöpfungstag, der die Erkenntnis der gnadenhaft erleuchteten Geistwesen von sich selbst verkörpert, besitzt also nur einen Abend. Der siebte Tag aber, der diejenige Erkenntnis der Engel verkörpert, welche sich auf Gottes Ruhe und Genuß in ihm selbst richtet, hat nur einen Morgen; denn in Gott ist überhaupt keine Finsternis. So heißt es von Gott, daß er am siebten Tag geruht habe, weil er die ihm eigene Ruhe, mit der er in sich selbst jenseits der erschaffenen Dinge ruht, die Engel sehen ließ. Es ist die Erkenntnis dieser Ruhe, die Augustinus ›Tag‹ nennt. Insofern aber die Ruhe der Geschöpfe in Gott ihren Halt findet, nimmt sie kein Ende. In ähnlicher Weise nimmt auch Gottes Ruhe, mit der er in sich selbst jenseits der erschaffenen Dinge ruht und für die er dieser Dinge nicht bedarf, kein Ende, da er ihrer niemals bedürfen wird. Aus diesem Grund hat der siebte Tag, der diese Ruhe verkörpert, keinen Abend, sondern nur einen Morgen. Die übrigen Schöpfungstage hingegen verkörpern diejenige Erkenntnis der Engel, welche sich auf die anderen Dinge richtet; sie haben, wie oben ausgeführt, einen Morgen und einen Abend. Zu 16. Aus dem oben Ausgeführten erhellt, daß ein bereits erschaffenes Ding dann als ein erst noch entstehendes begriffen werden kann, wenn man es in seinen Ursachen betrachtet, aus denen es hervorgeht. Auf diese Weise gewannen die Engel eine Erkenntnis von den erst noch entstehenden Dingen im Wort, was das höchste Wissen um die Dinge ist. Denn eine jede sogenannte ›morgendliche‹ Erkenntnis der Dinge im Wort richtet sich auf diese Dinge als erst noch entstehende, gleich ob nun diese Dinge bereits entstanden sind oder nicht. Die Wendung ›erst noch entstehend‹ meint ja keine Zeitangabe, sondern den Hervorgang der Schöpfung aus dem Schöpfer. Darauf ist bereits eingegangen worden.93 Obgleich also die körperhaften Geschöpfe zugleich mit den Geistwesen erschaffen worden sind, so läßt sich dennoch sagen, daß die Engel mit ihrer morgendlichen Erkenntnis im Wort die körperhaften Geschöpfe als erst noch entstehende erkannten. Aus diesem Grund hat der er93 Vgl. De pot. q. 4 a. 2 ad 12.

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ste Schöpfungstag keinen Morgen, sondern nur, wie im letzten Abschnitt dargelegt, einen Abend. Zu 17. Die Geistwesen gewinnen keine Erkenntnis aus den Dingen. Vielmehr erkennen sie die Dinge von Natur aus vermittels von Erkenntnisbildern, die ihnen mitgegeben worden sind bzw. mit denen sie erschaffen worden sind. Diese Erkenntnisbilder im Geist der Engel stehen jedoch nicht auf dieselbe Weise in einer Beziehung zu Dingen der Gegenwart und zu zukünftigen Dingen. Denn zwischen den Dingen, die gegenwärtig sind, und den Formen im Geist eines Engels herrscht ein aktuales Verhältnis der Gleichheit, und so können diese Dinge mittels jener Formen erkannt werden. Jedoch zwischen den Dingen, welche zukünftig sind, und jenen Formen herrscht noch kein aktuales Verhältnis der Gleichheit. Deswegen kann Zukünftiges mittels der besagten Formen nicht erkannt werden, denn eine Erkenntnis erfolgt mit der aktualen Gleichheit von Erkennendem und Erkanntem. Da also ein Engel Zukünftiges als Zukünftiges nicht erkennt, bedarf er der Gegenwart der Dinge, um diese in ihrer jeweiligen Natur mittels der ihm mitgegebenen Erkenntnisbilder zu erkennen. Denn vor ihrer Entstehung können ja diese Dinge nicht in ein Verhältnis der Gleichheit zu jenen Formen treten. Zudem läßt sich feststellen, daß sich der Unterschied zwischen der morgendlichen und der abendlichen Erkenntnis nicht den jeweils erkannten Dingen verdankt, sondern dem jeweiligen Erkenntnismittel. Denn die morgendliche Erkenntnis erfolgt über ein ungeschaffenes Erkenntnismittel, welches das Wesen des Erkennenden und des Erkannten übersteigt. Daher heißt ja die Erkenntnis der Dinge mittels der Schau des Wortes eine morgendliche, gleich ob ein solches Ding bereits entstanden ist oder erst noch entsteht. Die abendliche Erkenntnis erfolgt hingegen über ein kreatürliches Erkenntnismittel, das den Erkennenden und das erkannte Ding in ein Entsprechungsverhältnis zueinander setzt, gleich ob ein solches Ding bereits entstanden ist oder erst noch entsteht. Zu 18. Zwar hat ein Engel sein Sein zunächst im Wort, bevor er es in seiner eigenen Natur besitzt. Da aber ein Erkennen das Sein des Erkennenden voraussetzt, so konnte ein Engel sich nicht eher erkennen, als bis er ins Sein gekommen war. Nun ist es für einen Engel natürlich, sich selbst in seinem eigenen Wesen zu erkennen. Hin-

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gegen übersteigt seine Erkenntnis im Wort seine Natur. Zwangsläufig hatte deshalb ein Engel zunächst eine Erkenntnis von sich selbst in seinem eigenen Wesen und dann erst im Wort. Was den grundlegenden Charakter anbelangt, so geht ja bei jedem Engel seine natürliche Erkenntnis seiner übernatürlichen Erkenntnis als Grundlage voraus. Was dagegen die sachliche Rangfolge anbelangt, so erkannte ein Engel die anderen Dinge zunächst mittels seiner morgendlichen Erkenntnis im Wort und dann erst erkannte er sie mittels seiner abendlichen Erkenntnis in ihrem jeweiligen Wesen. Im Hinblick auf die Abfolge der Schöpfungswerke kommt daher, wie bereits ausgeführt, der Morgen vor dem Abend. Zu 19. Wie eine Wissenschaft in ihrer Ganzheit verschiedene partikulare Wissenschaften umfaßt, mit denen man sich verschiedene Wissensgebiete erschließt, so umfaßt auch die eine Erkenntnis der Engel, welche sozusagen eine Ganzheit darstellt, die morgendliche und die abendliche Erkenntnis als ihre Teile. Ebenso sind auch der Morgen und der Abend Teile des Tages, auch wenn diese Teile einen unterschiedlichen Charakter haben. Dinge mit unterschiedlichem Charakter können nämlich dann eine Einheit bilden, wenn sie in einem Ordnungsgefüge zueinander stehen. Von daher bilden Materie und Form, die einen unterschiedlichen Charakter besitzen, eine zusammengesetzte Einheit; auch das Muskelfleisch, die Knochen und die Sehnen sind Bestandteile einer zusammengesetzten Einheit. Es ist nun das göttliche Wesen, dank dessen die Dinge in Form ihrer morgendlichen Erkenntnis im Wort erfaßt werden. In ihm gründen alle diejenigen Formen, die zusammen mit dem Geist der Engel erschaffen worden sind. Denn aus dem göttlichen Wesen gehen diese Formen abbildhaft hervor, und mit ihrer Hilfe werden die Dinge in ihrer jeweiligen Natur über eine abendliche Erkenntnis erfaßt. Im Wesen eines Engels gründet aber seine Einsicht in das Sein dessen, was er erkennt. Freilich ist sein Wesen kein vollkommener Grund, und deswegen bedarf ein Engel darüber hinaus noch anderer Formen. Wenn daher ein Engel Gott in seinem Wesen schaut und wenn er dabei sich selbst und die anderen Dinge vermittels der mit ihm erschaffenen Erkenntnisbilder erfaßt, dann erkennt er hier gewissermaßen einen einzigen Gegenstand. So ist ja beispielsweise auch

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das Licht der Grund, der die Wahrnehmung von Farbe ermöglicht. Wenn daher das Auge das Licht und die Farbe wahrnimmt, dann sieht es auch hier gewissermaßen einen einzigen Gegenstand. So sind zwar jene Erkenntnisakte der Wirklichkeit nach voneinander geschieden: Denn der Erkenntnisakt, bei dem ein Engel Gott schaut, bleibt allzeit bestehen und bemißt sich nach der Ewigkeit, an der er teilhat. Auch der Erkenntnisakt, bei dem ein Engel sich selbst erkennt, bleibt allzeit bestehen und bemißt sich nach der Weltzeit.94 Jedoch der Erkenntnisakt, bei dem ein Engel die übrigen Dinge mittels der mit ihm erschaffenen Erkenntnisbilder erfaßt, bleibt nicht immer bestehen, sondern hier folgt ein Erkenntnisakt dem anderen. Gleichwohl stehen diese [drei] Erkenntnisakte zueinander in einer Rangfolge, wobei der eine der formale Grund für den anderen ist, und daher sind sie gewissermaßen eins. Wo nämlich, wie es im dritten Buch der Topik heißt, etwas um eines anderen willen da ist, da gibt es nur Eines.95 Deshalb können diejenigen Erkenntnisakte, die zueinander in einer Rangfolge stehen, gleichzeitig bestehen und ein einheitliches Ganzes bilden. Zu 20. Da der Intellekt der Sitz der Erkenntnisbilder ist, so folgt hieraus: Das Wissen, das in der Geordnetheit der Erkenntnisbilder bzw. in der Kraft und Fähigkeit der Intellekts zum Gebrauch dieser Erkenntnisbilder besteht, bleibt nach dem Tod weiter bestehen. Dies gilt auch für den Intellekt als dem Träger dieser Erkenntnisbilder. Nicht bestehen bleibt jedoch die Art, wie der Intellekt im jetzigen Leben jene Erkenntnisbilder entwickelt: indem er sich nämlich an die sinnlichen Eindrücke hält, welche die Sinnesvermögen liefern. Denn die Sinnesvermögen gehen zugrunde. So kann sich dann die Seele nicht mehr an die sinnlichen Eindrücke halten und auch keine Erkenntnis mehr mittels von Erkenntnisbildern gewinnen, die sie in diesem Leben erworben hat bzw. die sie im Moment ihrer Trennung behält. Mit Hilfe von Erkenntnisbildern erkennt die Seele dann vielmehr in einer Weise, die ihrer künftigen, engelgleichen Seinsweise 94 Übersetzung für »aevum«. 95 Aristoteles, Top. III, 2; 117 a 18 ff. – Gemeint ist: Ausschlaggebend

ist das dasjenige, um dessentwillen das andere da ist. Das Instrument verschwindet im erreichten Ziel.

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entspricht. Das Wissen schwindet also nicht dahin, weder als ein Habitus noch in seinem tatsächlichen Vollzug, der sich in Abhängigkeit vom Erkenntnisbild eines Gegenstandes gestaltet. Vielmehr schwindet die Weise dahin, in der man Erkenntnis gewinnt; es gibt dann keine Bezugnahme auf die sinnlichen Eindrücke mehr. Dies ist der Sinn, den der Satz des Apostels hat. Zu 21. Das Licht in der Luft, das von der Sonne ausgeht, und das Licht, das von einer Kerze gespendet wird, haben denselben Charakter. Nun können zwei Formen mit ein und demselben Charakter nicht gleichzeitig und in voller Ausprägung am selben Träger auftreten. Somit bringen die Sonne und eine Kerze ein einziges Licht in der Luft hervor – und keine zwei Arten von Licht. Das göttliche Wesen jedoch, kraft dessen die Dinge im Wort erkannt werden, hat einen völlig anderen Charakter als die Erkenntnisbilder, kraft derer ein Engel die Dinge in ihrer jeweiligen Natur erkennt. Insofern hinkt dieser Vergleich. Sobald nämlich eine Vollkommenheit eintritt, verschwindet ihr Gegenteil, die Unvollkommenheit. Allerdings ist die Unvollkommenheit der abendlichen Erkenntnis nicht der Vollkommenheit der morgendlichen Erkenntnis entgegengesetzt. Daß etwas in sich selbst erkannt wird, bildet ja keinen Gegensatz zu dem Umstand, daß etwas in seiner Ursache erkannt wird. Ebensowenig ist es ein Widerspruch, wenn etwas über zwei Erkenntnismittel erfaßt wird, wobei das eine dem anderen überlegen ist. Genauso können wir ja für ein und dieselbe Schlußfolgerung einen apodeiktischen und einen dialektischen Beweisgang durchführen. Ganz ähnlich kann ein und dasselbe Ding von einem Engel über das ungeschaffene Wort und mittels eines ihm mitgegebenen Erkenntnisbildes erfaßt werden. Denn das Letztere steht nicht in einem Gegensatz zum Ersteren, sondern stellt eher die materiale Grundlage für dieses dar. Nun wird mit dem Auftreten einer Vervollkommnung eine ihr entgegengesetzte Unvollkommenheit beseitigt. Die Unvollkommenheit der Natur bildet aber keinen Gegensatz zur Vollkommenheit der Seligkeit, sondern ist ihr so unterstellt wie die Unvollkommenheit des Möglichseins der Vollkommenheit einer Form. Auch hier wird ja nicht das Möglichsein durch eine Form beseitigt, sondern die jeweilige Privation, die einen Gegensatz zur Form bildet. In ähnlicher Weise bildet auch die Unvollkommenheit der na-

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türlichen Erkenntnis keinen Gegensatz zur Vollkommenheit einer Erkenntnis in der Herrlichkeit, sondern ist ihr gleichsam als materiale Grundlage unterstellt. Aus diesem Grund vermag ein Engel die Dinge über ein kreatürliches Erkenntnismittel und in ihrer jeweiligen Natur, also in Form einer abendlichen und natürlichen Erkenntnis, zu erfassen; und zugleich vermag er die Dinge über das Wesen des Wortes zu erkennen, also mit einer morgendlichen und selig machenden Erkenntnis. Keiner der beiden Erkenntnisakte macht den anderen jeweils hinfällig, da beide einander zugeordnet sind, und der eine gleichsam die materiale Grundlage für den anderen bildet. Zu 22. Augustinus meint hier, daß im Anbeginn der Schöpfung bestimmte und verschiedenartige Dinge in ihrer jeweiligen Natur hervorgebracht wurden, so z. B. die vier Elemente, die aus dem Nichts hervorgebracht wurden, die Himmelskörper und die Geistwesen. Denn diese Art von Hervorbringung setzt keine Materie als Entstehungsursache oder Entstehungsgrundlage voraus. Die übrigen Dinge sind aber, so Augustinus weiter, ausschließlich im Keim grundgelegt worden, z. B. die Tiere, die Pflanzen und der Mensch. All diese Dinge sind dann im weiteren Verlauf in ihrer jeweiligen Natur hervorgebracht worden, und zwar durch ein Wirken, in dem Gott auch nach diesen sechs Tagen über die zuvor gegründete Natur waltet. Von diesem Wirken heißt es in Joh. 5, 17: »Mein Vater wirkt bis jetzt«. Für die Erschaffung und Scheidung der Dinge ist aber, so Augustinus, keine zeitliche Abfolge, sondern eine sachliche Rangfolge ausschlaggebend. Denn das gesamte Sechstagewerk ist gleichzeitig in einem Augenblick in die Wirklichkeit gebracht bzw. der Möglichkeit nach keimhaft grundgelegt worden. Somit konnte dieses Sechstagewerk dann aus der zunächst vorhandenen Materie entstehen, und zwar kraft des göttlichen Wortes bzw. infolge der aktiven Kräfte, mit denen die Geschöpfe bei ihrer Erschaffung ausgestattet wurden. Was daher die Seele des ersten Menschen anbelangt, so behauptet Augustinus nicht, daß sie vor dem sechsten Tag hervorgebracht worden ist; er formuliert es eher als eine Vermutung und nicht als eine Behauptung, daß sie zugleich mit den Engeln wirklich erschaffen worden sei. Gleichwohl behauptet er, daß am sechsten Tag die Seele des ersten Menschen in die Wirklichkeit gebracht worden ist und

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sein Körper keimhaft grundgelegt worden ist. Gott stattete nämlich die Erde mit einem passiven Vermögen aus, so daß aus ihr durch die aktive Kraft des Schöpfers der menschliche Körper geformt werden konnte. Somit wurde seine Seele der Wirklichkeit nach zur gleichen Zeit geschaffen wie sein Körper in seinem Möglichsein, das auf die aktive Kraft Gottes ausgerichtet war. Wenn es aber nach der Auffassung des Aristoteles wahr ist, daß die Seele als solche keine vollständige Wesenheit darstellt, sondern mit dem Körper als dessen Form eine Einheit bildet, und daß sie so einen wesentlichen Teil der menschlichen Natur ausmacht, dann ist festzustellen, daß die Seele des ersten Menschen nicht vor der Formung seines Körpers in die Wirklichkeit gebracht worden ist, sondern daß sie zugleich mit dessen Formung erschaffen worden und in ihn gelangt ist. Dies behauptet ja Augustinus ausdrücklich für die anderen Lebewesen.96 Gott brachte nämlich die ersten Dinge in den vollkommenen Zustand ihres Wesens, wie es für die Ausformung eines jeden Dinges erforderlich war. Da aber die Vernunftseele Teil des menschlichen Wesens ist, so besitzt sie die ihr wesensgemäße Vollkommenheit nur, wenn sie mit einem Körper vereint ist. Daher hat sie ihr Sein von Natur aus im Körper, und ein Sein außerhalb des Körpers ist für sie nicht natürlich. Deshalb wäre es seltsam, wenn die Seele ohne einen Körper erschaffen worden wäre. Wenn wir also an Augustins Auffassung vom Sechstagewerk festhalten wollen, dann können wir sagen, daß an jenen sechs Tagen der Körper des ersten Menschen nicht geformt und in die Wirklichkeit gebracht, sondern nur in seinem Möglichsein keimhaft grundgelegt worden ist. Genauso ist seine Seele damals nicht wirklich und als eben diese erschaffen worden, sondern in ihren generischen Grundzügen. Somit bestand die Seele während jener sechs Tage nicht wirklich und für sich früher als der Körper, sondern in ihren generischen Grundzügen, insofern sie eine geisthafte Natur besitzt so wie die Engel. Im weiteren Verlauf aber ist die Seele durch das Wirken Gottes, mit dem er über die zuvor eingerichtete Schöpfung waltet, in die Wirklichkeit gebracht worden, und zwar zugleich mit der Formung des Körpers. 96 Augustinus, De Gen. ad litt. X, 17–18 (CSEL 28/1, 317 ff.).

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Zu 23. Die Antwort ergibt sich aus dem bereits Gesagten. Denn der menschliche Körper wurde während jener sechs Tage nicht in die Wirklichkeit gebracht – genausowenig wie die Körper der anderen Lebewesen –, sondern keimhaft grundgelegt. Gott verlieh ja bei der Schöpfung den Elementen das Vermögen bzw. eine bestimmte Verfassung, so daß aus ihnen durch die Kraft Gottes, der Sterne oder des Samens die Lebewesen entstehen konnten. Folglich sind diejenigen Dinge, die an jenen sechs Tagen wirklich hervorgebracht worden sind, nicht nacheinander, sondern zugleich erschaffen worden. Die übrigen Dinge sind aber zugleich keimhaft in ihren Grundzügen grundgelegt worden. Zu 24. Wie bereits zum 16. Argument ausgeführt, wird eine Erkenntnis der Dinge, die sich vermittels von mitgegebenen und den Dingen entsprechenden Erkenntnisbildern vollzieht, als eine ›abendliche‹ Erkenntnis bezeichnet; diese richtet sich auf die Dinge in ihrer jeweiligen Natur, und zwar gleichgültig, ob diese Dinge bereits entstanden sind oder erst noch entstehen. Nun verhalten sich zwar diese Erkenntnisbilder gegenüber Gegenwärtigem und Zukünftigem gleichartig. Jedoch ist der Bezug von Gegenwärtigem und Zukünftigem auf diese Erkenntnisbilder nicht der gleiche. Denn zwischen etwas Gegenwärtigem und den Erkenntnisbildern etabliert sich ein aktuales Verhältnis der Gleichheit, weshalb dieses Gegenwärtige aktual mittels dieser Erkenntnisbilder erkannt werden kann. Doch zwischen dem, was in der Zukunft liegt, und den Erkenntnisbildern etabliert sich kein aktuales Verhältnis der Gleichheit, weshalb das Zukünftige nicht notwendig mit diesen Erkenntnisbildern erkannt wird. Die abendliche Erkenntnis, die sich auf die Dinge in ihrer jeweiligen Natur richtet, heißt aber nicht deswegen so, weil die Engel aus den Dingen selbst ihre Erkenntnisbilder gewinnen und sie dadurch erkennen. Sie heißt vielmehr so, weil die Engel mittels von Erkenntnisbildern, die sie bei ihrer Erschaffung erhalten haben, die Dinge erkennen, wie diese in ihrer jeweiligen Natur Bestand haben. Zu 25. Nach Augustinus97 schauten die Engel von Anbeginn an die Geschöpfe, welche erst noch entstehen sollten, im Wort. Denn 97 Augustinus, De Gen. ad. litt. II, 8 (CSEL 28/1, 43 ff.).

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diejenigen Dinge, von deren Erschaffung im Sechstagewerk die Bibel berichtet, sind gleichzeitig erschaffen worden. Daher bestanden jene sechs Tage sogleich mit der Erschaffung der Dinge; folglich schauten die guten Engel zwangsläufig von Anbeginn das Wort und die erschaffenen Dinge im Wort. Denn die Dinge haben, wie bereits besprochen,98 ein Sein in dreifachem Sinne: Zum einen haben sie ein Sein im göttlichen Wissen, d. h. im Wort. Dieses Sein wird in den Worten namhaft gemacht: »Gott sprach: Es werde!« Das meint: Gott zeugte das Wort, und daran lag es, daß solch ein Schöpfungswerk dann auch hervorkam. Zweitens haben die Dinge ein Sein im Geist der Engel. Dies wird in den Worten namhaft gemacht: »Und es geschah so«, nämlich dadurch, daß es aus dem Wort hervorging. Drittens haben die Dinge ein Sein in sich selbst und in ihrer jeweiligen Natur. Dementsprechend hat auch ein Engel eine dreifache Erkenntnis von den Dingen, insofern nämlich die Dinge ihr Sein im Wort, im Geist der Engel und in ihrer jeweiligen Natur haben. Zudem erkennt ein Engel das Wort auf zweifache Weise, und zwar zum einen in Form einer natürlichen Erkenntnis. Hierbei erkennt er das Wort aufgrund seiner Ähnlichkeit mit diesem Wort, und diese Ähnlichkeit erleuchtet sein Wesen. Darin liegt diejenige Seligkeit, die seiner Natur entspricht und zu der er kraft seines eigenen Wesens gelangen kann. Zum anderen besitzt er eine übernatürliche Erkenntnis des Wortes in der Herrlichkeit. Hierbei erkennt er das Wort in dessen Wesen, und darin liegt seine übernatürliche, sein natürliches Können überschreitende Seligkeit. Mit jeder der beiden Erkenntnisweisen erfaßt ein guter Engel die Dinge bzw. Geschöpfe im Wort. Mit der natürlichen Erkenntnis erkennt er die Dinge im Wort freilich unvollkommen, mit ihrer Erkenntnis in der Herrlichkeit erfaßt er sie dagegen vollständiger und vollkommener. Die zuerst erwähnte Erkenntnis der Dinge im Wort besaßen die Engel gleich mit ihrer Erschaffung. Daher heißt es in Augustins Buch Über die Lehren der Kirche : »Die Engel bleiben in der Seligkeit, in der sie erschaffen worden sind; doch sie besitzen nicht von 98 Vgl. De pot. q. 4 a. 2 ad 8.

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Natur aus, sondern aus Gnade das Gute, das sie haben.«99 Siehe auch Augustins Schrift An Petrus über den Glauben; »die Engelsgeister«, sagt er da, »haben das Geschenk ihrer Ewigkeit und Seligkeit mit der Erschaffung ihrer Geistnatur durch Gott erhalten.«100 Damit waren sie jedoch nicht schlichtweg selig – sie wären durchaus für eine noch größere Vervollkommnung empfänglich gewesen. Vielmehr waren sie dies in einem eingeschränkten Sinn, nämlich seit der Zeit ihrer Erschaffung. So sagt ja auch Aristoteles, daß manche Menschen in diesem Leben nicht in einem absoluten Sinn glücklich sind, sondern als Menschen.101 Die andere Erkenntnisweise, nämlich diejenige in der Herrlichkeit, besaßen die Engel nicht gleich mit ihrer Erschaffung, da sie nicht in einem Zustand vollkommener Glückseligkeit erschaffen wurden. Diese Erkenntnisweise besaßen sie von dem Moment an, an dem sie selig wurden mit ihrer vollkommenen Hinwendung zum Guten. Alle sechs Bereiche der Dinge wurden also zugleich mit den Engeln erschaffen. Im selben Moment erfaßten die Engel im Wort mit einer natürlichen Erkenntnis all das, was sie dann in vollerem Umfang mit einer übernatürlichen Erkenntnis im Wort erfaßten. Diese Erkenntnis wurde den Engeln zuteil, gleich nachdem sie ihre natürliche Erkenntnis zum Lobpreis Gottes führte. Da sich aber diese natürliche Erkenntnis nach der Weltzeit bemißt, so tritt sie stets zusammen mit der übernatürlichen Erkenntnis des Wortes auf, sowie mit derjenigen Erkenntnisweise, bei der die Engel über die ihnen mitgegebenen Erkenntnisbilder die Geschöpfe in ihrer jeweiligen Natur erkennen. Daher bestehen alle drei Erkenntnisweisen zugleich, und keine kommt, streng genommen, nach der anderen. Eine Erkenntnis der Dinge im Wort heißt ja ›morgendlich‹, gleich ob diese Dinge bereits entstanden sind oder erst noch entstehen; und eine Erkenntnis der Dinge durch ein kreatürliches Erkenntnismittel heißt ›abendlich‹, gleich ob nun Gegenwärtiges oder Zukünftiges erkannt wird. 99 Ps.-Augustinus (= Gennadius von Marseille), De ecclesiasticis dogmatibus LIX (PL 58, col. 995 C). 100 Ps.-Augustinus (= Fulgentius von Rupe), De fide ad Petrum III, 32 (PL 40, col. 763). 101 Aristoteles, Eth. Nic. I, 10; 1100 a 1 ff.

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Zu 26. Es ist nicht möglich, daß ein Engel das Wort bzw. das göttliche Wesen als den Urgrund des Werdenden schaut und daß er es dabei nicht als das Ziel der Seligen und als den Gegenstand der Seligkeit schaut. Gottes Wesen ist ja schlechthin das Ziel der Seligen und der Gegenstand der Seligkeit. Es ist aber nicht möglich, daß man Gottes Wesen als Urgrund des Werdenden schaut und dabei das Wesen als solches nicht schaut. Daher ist das gesamte Argument akzeptabel. Zu 27. Manche Autoren wollten die prophetische Erkenntnis von der Erkenntnis der Seligen unterscheiden und behaupteten deswegen, daß die Propheten das Wesen Gottes selbst – in ihrer Ausdrucksweise: den Spiegel der Ewigkeit – schauen, aber nicht als den Gegenstand der Seligen und als das Ziel der Seligkeit, sondern als den Urgrund dessen, was erst noch entstehen wird. Denn laut dem hier vorgebrachten Argument liegen in Gottes Wesen die Urbilder für die künftigen Geschehnisse. Doch dies ist völlig unmöglich. Denn Gott ist der Gegenstand der Seligkeit und das Ziel der Seligen eben aufgrund seines Wesens. Insofern bemerkt Augustinus im 5. Buch seiner Bekenntnisse: »Selig, wer Dich kennt, auch wenn er von all dem« – d. h. von den Geschöpfen – »nichts weiß«.102 Es ist aber unmöglich, daß jemand die Urbilder der Geschöpfe eben in Gottes Wesen schaut und dabei Gottes Wesen nicht schaut. Denn zum einen ist Gottes Wesen der Urgrund für alles, was entsteht, und dieser Charakter als Urbild für das Werdende fügt ja dem Wesen Gottes nichts hinzu außer seinen Bezug auf die Schöpfung. Zum anderen erkennt man ein Etwas zunächst als dieses selbst – und damit auch Gott als den Gegenstand der Seligkeit; erst danach erkennt man dieses Etwas in seinem Bezug auf anderes – und damit auch Gott als denjenigen, in dem die Urbilder für die Dinge liegen. Daher kann es nicht sein, daß die Propheten Gott als denjenigen schauen, in dem die Urbilder für die Dinge liegen, ohne ihn als den Gegenstand der Seligkeit zu schauen. Wenn aber die Propheten das Wesen Gottes nicht als den Gegenstand der Seligkeit schauen – denn zum einen endet die Prophetie in der Schau, wie es in 1 Kor. 13, 8 heißt; zum anderen meint ja die 102 Augustinus, Conf. V, 4, 7 (CCSL 27, 60).

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›Schau‹ die Erkenntnis Gottes nicht aus der Ferne, sondern aus der Nähe, ein Sehen von Angesicht zu Angesicht –, dann heißt dies: Die Propheten erkennen das Wesen Gottes nicht als den Urgrund des Künftigen und damit auch nicht die Dinge im Wort, wie es die Engel tun in ihrer morgendlichen Erkenntnis. Denn die prophetische Schau ist keine Schau des göttlichen Wesens selbst. Auch schauen die Propheten im göttlichen Wesen das, was sie sehen, keineswegs so, wie es die Engel schauen. Vielmehr schauen sie es, wie Dionysius sagt, in Bildern aufgrund ihrer Erleuchtung durch das göttliche Licht.103 Solche Bilder, die sich der Erleuchtung durch das göttliche Licht verdanken, spiegeln eher etwas wieder, als dies das Wesen Gottes tut. Denn bei einer Spiegelung entstehen Bilder von anderen Dingen, was man angesichts von Gott nicht sagen kann. Vielmehr kann eine solche Erleuchtung eines prophetischen Geistes insofern eine Spiegelung genannt werden, als sich dort eine Ähnlichkeit mit der Wahrheit des göttlichen Vorherwissens einstellt. Aus diesem Grund heißt der Geist eines Propheten ›Spiegel der Ewigkeit‹, weil er gleichsam durch jene Spiegelbilder das Vorherwissen Gottes wiedergibt, der in seiner Ewigkeit alles als gegenwärtig sieht. Von daher hat die prophetische Erkenntnis größere Ähnlichkeit mit der abendlichen Erkenntnis der Engel als mit ihrer morgendlichen Erkenntnis. Denn die morgendliche Erkenntnis erfolgt über ein ungeschaffenes Erkenntnismittel, die prophetische Erkenntnis hingegen über ein kreatürliches Mittel, d. h., wie erwähnt, über Bilder, die eingegeben sind bzw. die das göttliche Licht bewirkt. Zu 28. Wenn es heißt: »Die Erde soll sprossendes Kraut hervorbringen«, dann meint dies nach Augustinus nicht, daß damals wirkliche Pflanzen in ihrer jeweiligen Natur hervorgebracht wurden, sondern daß die Erde damals eine Kraft zur Keimung erhielt, um Pflanzen auf dem Wege der Fortpflanzung hervorzubringen. Daß also die Erde damals vollständig das sprossende Kraut und fruchttragende Sträucher hervorgebracht habe, meint, daß sie eine Kraft zur Hervorbringung erhalten hat. Dies bestätigt die Autorität der Schrift, wo es in Gen. 2, 4 heißt: »Dies ist der Werdegang des Himmels und der Erde, da sie geschaffen wurden. An dem Tag machte 103 Dionysius Areopagita, De cael. hier. IV, 3 (Dion. II, 809 f.).

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Gott den Himmel und die Erde, alles Gesträuch des Feldes, bevor es wuchs auf der Erde, und alles Kraut auf dem Lande, bevor es sproßte.« Dem läßt sich Zweierlei entnehmen. Erstens, daß das gesamte Sechstagewerk an dem Tag ins Werk gesetzt wurde, als Gott den Himmel, die Erde und alles Gesträuch des Feldes machte. Somit sind die Pflanzen, die dem biblischen Bericht zufolge am dritten Tage erschaffen worden sind, zur gleichen Zeit durch Gott hervorgebracht worden wie Himmel und Erde. Zweitens, daß die Pflanzen damals nicht wirklich hervorgebracht, sondern nur in ihren Ursachen grundgelegt wurden, insofern der Erde die Kraft verliehen wurde, sie hervorzubringen. Dies ist gemeint, wenn es heißt: Er machte alles Gesträuch des Feldes, bevor es wirklich wuchs auf der Erde durch sein Walten, sowie alles Kraut auf dem Lande, bevor es sproßte. Bevor die Pflanzen also wirklich auf der Erde wuchsen, sind sie mit der Erde in ihren Ursachen grundgelegt worden. Dies läßt sich auch durch folgenden Beweis erhärten: An jenen Schöpfungstagen brachte Gott seine Schöpfung entweder in ihren Ursachen bzw. Grundlagen hervor oder aber wirklich mit einer Tätigkeit, von der er dann ruhte. Gleichwohl wirkt er auch danach bis zum heutigen Tag durch sein Walten über die gegründeten Dinge auf dem Wege ihrer Fortpflanzung. Nun fällt die wirkliche Hervorbringung von Pflanzen aus der Erde in den Bereich der Fortpflanzung, denn zu ihrer Hervorbringung reicht die Kraft der Gestirne, gleichsam der Vater, und die Kraft der Erde, die hier an Mutters statt steht, aus. Deswegen sind die Pflanzen am dritten Tage nicht wirklich hervorgebracht worden, sondern nur in ihren Ursachen grundgelegt worden. Nach den sechs Tagen aber sind sie wirklich in ihren jeweiligen Arten und in ihrer jeweiligen Natur durch das Walten Gottes hervorgebracht worden. Bevor daher die Pflanzen in ihren Ursachen grundgelegt worden sind, ist nichts hervorgebracht worden. Vielmehr sind sie zusammen mit dem Himmel und der Erde hervorgebracht worden. Ebenso sind auch die Fische, die Vögel und die Landtiere an jenen sechs Tagen in ihren Ursachen grundgelegt, aber nicht wirklich hervorgebracht worden. Zu 29. Es kennzeichnet die Weisheit eines solchen Künstlers wie Gott, dessen Werke vollkommen sind, daß er das Ganze nicht ohne dessen hauptsächliche Bestandteile, und die Bestandteile nicht un-

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abhängig vom Ganzen hervorbringt. Denn weder hat das Ganze ohne seine Hauptbestandteile ein vollkommenes Sein, noch haben es die Teile ohne das Ganze. Nun stellen die Engel mit ihren Arten, die Himmelskörper und die vier Elemente die Hauptbestandteile dar, welche das eine Weltganze bilden, denn sie sind einander zugeordnet und füreinander da. Aus diesem Grund gehört es zur Weisheit Gottes, daß er die Welt als ganze gleichzeitig mit all ihren Bestandteilen hervorgebracht hat und nicht Schritt für Schritt. Denn ein einheitliches Ganzes und alle seine Bestandteile verdanken sich notwendigerweise einer einzigen Hervorbringung, und wenn eines nach dem anderen hervorgebracht wird, dann liegt dies nur an der Schwäche des Hervorbringenden. Gott hat jedoch unendliche Kraft, die keine Schwäche in sich birgt und deren erstes Ergebnis das Weltganze ist. Folglich hat Gott die Welt als ganze mit all ihren Hauptbestandteilen zugleich in einem einzigen Schaffensakt hervorgebracht. Obgleich nun bei der Erschaffung der Welt keine zeitliche Abfolge eingehalten worden ist, so wurde doch eine Rangfolge im Hinblick auf das sachlich Grundlegende gewahrt. Denn nach Augustinus ging das Werk der Schöpfung dem Werk der Scheidung in der sachlichen Rangfolge, nicht aber zeitlich voran. Dementsprechend geht auch das Werk der Scheidung in der sachlichen Rangfolge dem Werk der Ausschmückung voran. Das Werk der Schöpfung besteht in der Erschaffung von Himmel und Erde. Mit ›Himmel‹ ist aber die Hervorbringung der ungeformten Geistwesen gemeint, und mit ›Erde‹ die ungeformte Materie für die körperhaften Wesen. Da diese beiden außerhalb der Zeit sind, unterliegen sie als solche, wie Augustinus sagt,104 keinen Veränderungen in der Zeit. Daher liegt die Erschaffung beider vor allen Tagen. Dies meint nicht, daß ihr formloser Zustand ihrer Formung zeitlich vorangegangen wäre; er ging nur als das sachlich Grundlegende voran, so wie etwa auch ein Ton einem Lied vorangeht. Zudem ging nach Augustinus die eine Formung der anderen nicht zeitlich voran, sondern nur in der sachlichen Rangfolge. Angesichts dieser Rangfolge steht die Formung der höchsten Geistwesen not104 Augustinus, Conf. XII, 8, 8 (CCSL 27, 220).

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wendig an erster Stelle, und daher spricht auch der biblische Bericht von der Erschaffung des Lichtes am ersten Tag. Die Geistwesen sind ja erhabener und haben einen höheren Rang als die körperhaften Wesen. Deswegen müssen sie auch zuerst geformt worden sein. Geformt wurden sie aber mit ihrer Erleuchtung, wodurch sie dem göttlichen Wort angehören. Wie aber das geistige und göttliche Licht in der sachlichen Rangfolge höher steht und die körperhaften Wesen überragt, so überragen auch die höheren Körper die niederen. Daher erwähnt die Schrift am zweiten Tag die Formung der höheren Körper mit den Worten: »Es entstehe das Himmelsgewölbe!« Damit ist gemeint, daß die Form des Himmels der noch formlosen Materie verliehen wurde, welche nicht zeitlich, sondern nur als das Grundlegende früher da war. An dritter Stelle steht die Prägung der formlosen Materie durch die elementaren Formen. Die Materie war dabei nicht zeitlich eher da, sondern war als das sachlich Grundlegende vorgängig. Die Worte »Es sollen sich die Wasser sammeln, und das Trockene werde sichtbar!« meinen daher, daß die körperhafte Materie die substantiale Form des Wassers erhielt, so daß sie diese Bewegung [des Zusammenfließens] ausführen konnte; sowie daß sie die substantiale Form der Erde erhielt, so daß man ihrer ansichtig werden konnte. Denn das Wasser gleitet und fließt dahin, die Erde hingegen ist fest und hart, wie Augustinus sagt.105 In dem Wort ›Wasser‹ sind, so Augustinus weiter, die übrigen geformten höheren Elemente mitgemeint. An den restlichen drei Tagen erfolgte dann die Ausschmückung der körperhaften Natur. Im Hinblick auf die sachliche Rangfolge mußten zunächst die Teile der Welt geformt und voneinander geschieden werden. Erst dann konnten die einzelnen Teile ausgeschmückt werden, indem diese gleichsam mit ihren Bewohnern bestückt wurden. Am ersten Tag sind, wie gesagt, die Geistwesen geformt und voneinander geschieden worden, am zweiten Tag waren es die Himmelskörper, und am vierten Tag erfolgte die Ausschmückung. Am dritten Tag aber wurden die Körper hier unten, also die Luft, das Wasser und die Erde, geformt und voneinander geschieden. Hierbei wurden die Luft und das Wasser als die höherstehenden Körper am fünf105 Augustinus, De Gen. ad litt. II, 11 (CSEL 28/1, 50).

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ten Tag ausgeschmückt, die Erde hingegen als der niederste Körper wurde am sechsten Tag ausgeschmückt. Damit entspricht die Vollkommenheit der Schöpfungswerke der Vollkommenheit der Zahl 6. Diese Zahl ergibt sich, wenn ihre aliquoten Teile – nämlich die 1, die 2 und die 3 – miteinander addiert und multipliziert werden. So ist auch ein Tag der Formung und Scheidung der Geistwesen vorbehalten, zwei Tage sind der Formung und Scheidung der körperhaften Natur vorbehalten, und drei Tage der Ausschmückung. Denn 1 + 2 + 3 = 6; und 6 × 1 = 6; sowie 2 × 3 = 6 und 3 × 2 = 6. Damit ist also die Zahl 6 die erste vollkommene Zahl, und deswegen wird durch die Zahl 6 die Vollkommenheit der Dinge und der Schöpfungswerke zum Ausdruck gebracht. Demnach wird bei der Vollbringung der Schöpfungswerke eine sachliche Rangfolge und keine zeitliche Abfolge eingehalten. Zu 30. Die Himmelsleuchten sind wirklich hervorgebracht worden und nicht bloß in ihrem Möglichsein, wie dies bei den Pflanzen der Fall war. Denn das Himmelsgewölbe ist nicht mit der Kraft ausgestattet, die Himmelsleuchten hervorzubringen, wie die Erde mit der Kraft ausgestattet ist, die Pflanzen hervorzubringen. So heißt es in der Hl. Schrift auch nicht, daß das Himmelsgewölbe die Himmelsleuchten hervorbringen solle, analog zu der Stelle: »Die Erde lasse Grünes hervorsprießen«, was nichts anderes meint, als daß die Erde die Kraft erhalten sollte, Grünes hervorzubringen. Demnach sind die Himmelsleuchten früher Wirklichkeit geworden als die Pflanzen. Freilich sind die Pflanzen in ihrem Möglichsein und in ihren Ursachen früher grundgelegt worden, als die Himmelsleuchten Wirklichkeit geworden sind. Darüber hinaus ist bereits besprochen worden, daß das Werk der Scheidung in der sachlichen Rangfolge dem Werk der Ausschmückung vorangeht. Nun tragen aber die Himmelsleuchten zur Ausschmückung des Himmels bei. Die Pflanzen hingegen tragen, insbesondere in ihrem Möglichsein, nicht zur Ausschmükkung der Erde bei, sondern eher zu ihrer Vervollkommnung. Zur Vervollkommnung des Himmels und der Erde trägt ja offensichtlich nur das bei, was zur inneren Struktur von Himmel und Erde gehört. Zur Ausschmückung hingegen zählt das, was dem Himmel und der Erde äußerlich ist. So erreicht auch der Mensch seine Vervollkommnung mit den für ihn charakteristischen Körpergliedern und For-

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men, seine Ausschmückung aber erfolgt mittels von Kleidung und dergleichen. Die Absetzbarkeit der Dinge voneinander manifestiert sich aber in erster Linie mit der Ortsbewegung, die sie voneinander unterscheidbar macht. Zum Werk der Ausschmückung zählt deshalb die Hervorbringung derjenigen Dinge, die sich am Himmel bzw. auf der Erde bewegen. Nun sind die Himmelsleuchten nach Ptolemäus nicht fest mit den Sphären verbunden, sondern bewegen sich unabhängig von der Sphärenbewegung.106 Nach Auffassung von Aristoteles jedoch sind die Sterne fest mit den Sphären verbunden und bewegen sich in Wahrheit nur infolge der Bewegung der Sphären.107 Gleichwohl ist die Bewegung der Himmelsleuchten und der Sterne sinnlich wahrnehmbar, die der Sphären jedoch nicht. Moses kam aber dem ungebildeten Volk entgegen und konzentrierte sich auf das, was den Sinnen zugänglich ist, wenn er davon spricht, daß die Himmelsleuchten zur Ausschmückung des Himmelsgewölbes beitragen. Die Pflanzen jedoch tragen nicht zur Ausschmückung der Erde bei, dies tun nur die Landlebewesen. Denn jedes beliebige Ding trägt zur Ausschmükkung desjenigen Bereiches bei, in dem es sich wirklich bzw. augenscheinlich bewegt. Die Pflanzen aber sind mit ihrem Wurzelwerk fest mit der Erde verwachsen. Deswegen tragen sie nicht zu ihrer Ausschmückung bei, sondern zählen zur Erde selbst und ihrer Vervollkommnung. Wenn sich dagegen die Sterne am Himmel auch nicht von selbst bewegen, so bewegen sie sich doch akzidentell und augenscheinlich. Die Pflanzen dagegen kennen überhaupt keine Bewegung. Was also die sachliche Rangfolge anbelangt, so wurden die Pflanzen, die zur inneren Vervollkommnung bei einem Teil des Weltganzen, nämlich der Erde, beitragen, früher hervorgebracht als die Himmelsleuchten, die zur Ausschmückung des Himmels beitragen. Zu 31. Erde und Wasser, welche die Schrift am Anfang, noch vor der Erschaffung des Himmelsgewölbes, erwähnt, verstehen sich nach Augustinus nicht im Sinne der Elemente Erde und Wasser. Vielmehr meinen ›Erde‹ und ›Wasser‹ hier die erste Materie, der 106 Gemeint ist die Konstruktion von Different und Epizykel, die verschiedene Bewegungen haben. 107 Aristoteles, De caelo II, 8; 289 b 30 ff.

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jede Form und Gestalt abgeht. Moses konnte nämlich, wenn er sich an das ungebildete Volk wandte, die erste Materie nur darstellen, indem er bildlich von Dingen redete, die dem Volk vertraut sind und die einem formlosen Zustand ziemlich ähnlich sind, insofern diese Dinge mehr Materie und weniger Form aufweisen. Daher spricht er von der ersten Materie in mannigfacher bildlicher Rede und benennt sie dabei nicht einsinnig mit ›Erde‹ oder ›Wasser‹, sondern mit ›Erde‹ und zugleich mit ›Wasser‹. Hätte er die erste Materie nur mit einem der beiden Ausdrücke benannt, dann hätte man glauben können, dieser Ausdruck stehe tatsächlich für die erste Materie. Die erste Materie gleicht nun der Erde darin, daß sie den Formen zugrunde liegt und ihnen als Grundlage dient, so wie dies auch die Erde bei den Pflanzen und anderen Dingen tut. Zudem ist die Erde unter allen Elementen eher gestaltlos, da sie ein greifbareres Element ist, welches viel von der Materie hat und weniger durchgeformt ist. Dem Wasser gleicht die erste Materie aber darin, daß sie die natürliche Veranlagung besitzt, verschiedene Formen anzunehmen. Die Feuchte, die für das Wasser charakteristisch ist, besitzt ja auch die Fähigkeit zur leichten Aufnahme und Formung. Von der Erde heißt es deswegen, sie sei »wüst und leer« bzw. »nicht sichtbar und nicht zusammengesetzt« gewesen, weil die Materie erst mit einer Form erkennbar wird. Deshalb wird sie, für sich genommen, als »nicht sichtbar‹, d. h. als nicht erkennbar, bezeichnet und als »gehaltlos«.108 Denn eine Form ist ja das Ziel, worauf sich das Streben der Materie richtet. »Gehaltlos« nennt man ja das, was sein Ziel noch nicht erreicht hat. Oder die Materie wird als »haltlos«109 bezeichnet im Blick auf das Zusammengesetzte, worin sie erst Bestand hat. Das Haltlose bildet ja den Gegensatz zur Festigkeit und Beständigkeit. »Unzusammengesetzt« heißt sie deswegen, weil sie jenseits eines Zusammengesetzten keinen Bestand und keine Gestalt in der Wirklichkeit hat. »Leer« wird sie aber genannt, weil das Möglichsein der Materie erst in einer Form zur Erfüllung kommt. Daher setzt Platon die Materie mit dem Raum gleich.110 Denn die Aufnahme108 Übersetzung für »inanis«. Vgl. dazu oben, Anm. 8. 109 Übersetzung für »inanis«. Vgl. dazu oben, Anm. 8. 110 Platon, Tim. 52 A (ed. Waszink, 50).

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fähigkeit der Materie gleicht in bestimmter Weise der Aufnahmefähigkeit des Raumes, insofern nämlich durchgängig an einer Materie verschiedene Formen nacheinander auftreten, wie ja auch an einem Ort verschiedene Körper nacheinander auftreten. Daher wird das, was vom Raum ausgesagt wird, vergleichsweise auch von der Materie ausgesagt. So wird die Materie als leer bezeichnet, da ihr jede Form abgeht, mit der die Aufnahmefähigkeit und das Möglichsein der Materie zur Erfüllung kommt. Demnach geht die erste Materie als das sachlich Ursprüngliche der Formung des Himmelsgewölbes voran; das Himmelsgewölbe wiederum ist seiner Natur nach früher geformt worden als die Erde und das Wasser, von denen, wie bereits gesagt, am dritten Schöpfungstag die Rede ist. Zu 32. Augustinus ist der Ansicht, daß es seltsam wäre, wenn Moses die Erschaffung der Geistwesen übergangen hätte. Deswegen sagt er, daß in der Stelle: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« das Wort ›Himmel‹ die noch ungeformten Geistwesen bezeichnet und das Wort ›Erde‹ die noch ungeformte körperhafte Materie. Da aber die Geistwesen erhabener sind als die körperhaften Wesen, so sollten sie zuerst geformt werden. Folglich wird die Formung der Geistwesen mit der Erschaffung des Lichtes zum Ausdruck gebracht, worunter das geistige Licht zu verstehen ist. Die Formung der Geistwesen erfolgte ja durch ihre Erleuchtung, wodurch sie dem göttlichen Wort angehören sollten, allerdings nicht in vollkommener Herrlichkeit, in der sie nicht erschaffen wurden. Diese Erleuchtung wurde ihnen vielmehr mit dem Licht der Gnade zuteil, in der sie erschaffen wurden. Dieses geistige Licht geht aber in der sachlichen Rangfolge dem Himmelsgewölbe voran. Nach Meinung anderer Gelehrter war das am ersten Tag erschaffene Licht körperhaft. Dieses Licht ist am Himmel, der am ersten Tag erschaffen wurde, hervorgebracht worden, als die Sonne ihr Sein erhielt, und so hat es die gewöhnliche Natur des Lichtes. Am vierten Tag erhielt es dann bestimmte Kräfte für die Hervorbringung entsprechender Wirkungen. Zu 33. Die Hervorbringung derjenigen Lebewesen, die zur Ausschmückung bestimmter Teile der Welt beitragen, erfolgt eher nach der Rangfolge dieser ausgeschmückten Teile als nach Maßgabe des Stellenwertes, den diese Lebewesen selbst haben. Innerhalb der Ord-

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nung der Natur stehen nun die Luft und das Wasser, zu deren Ausschmückung die Fische und Vögel beitragen, höher als die Erde, zu deren Ausschmückung die zur Bewegung fähigen Landlebewesen beitragen. Dementsprechend berichtet die Schrift daher zunächst von der Hervorbringung der fliegenden Lebewesen und der Fische bzw. der im Wasser lebenden Tiere und dann erst von der Hervorbringung der Lebewesen, die sich an Land bewegen. Zudem läßt sich anführen, daß bei einer Hervorbringung der Weg vom eher Unvollkommenen hin zum eher Vollkommenen führt und daß diesem Verlauf entsprechend das eher Unvollkommene als das sachlich Frühere hervorgebracht worden ist. Denn beim Prozeß einer Hervorbringung tritt etwas um so später auf, je mehr es vollkommen und seiner wirkenden Ursache ähnlich wird. Da also der Mensch das vollkommenste Lebewesen ist, ist er zwangsläufig als letztes unter den Lebewesen entstanden und nicht unmittelbar nach den Himmelskörpern, die in ihrem Werdegang keine Beziehung zu den Körpern hier unten haben. Denn sie besitzen ja nicht die gleiche Materie wie diese Körper, sondern eine andersgeartete Materie. Zu 34. Die Vögel und die Fische haben aufgrund ihrer Materie, aus der sie hervorgehen, eine größere Gemeinsamkeit miteinander als mit den Lebewesen auf dem Land. Denn die Fische und die Vögel bestehen nach allgemeiner Auffassung aus Wasser: Bei den Fischen beruht dies darauf, daß das Wasser sich hier in einem eher verdichteten Zustand befindet; bei den Vögeln darauf, daß es sich hier in einem Zustand höherer Verdünnung befindet, sich in Dampf aufgelöst hat und so gleichsam die Mitte hält zwischen Luft und Wasser. Aus diesem Grund erheben sich die Vögel in die Lüfte und verbleiben die Fische in der Tiefe. Die Lebewesen verteilen sich aber auf die verschiedenen Schöpfungstage bzw. auf einen einzigen Schöpfungstag je nach der Verschiedenheit bzw. der Einheitlichkeit der Materie, aus der ihr Körper jeweils hervorgeht. Es läßt sich also feststellen, daß die Fische und die Vögel aus Wasser bestehen. Denn wenn man ihre spezifische Zusammensetzung mit der Zusammensetzung vergleicht, wie sie innerhalb der allgemeinen Gattung [der Lebewesen] üblich ist, so weisen sie mehr Wasser in ihrer Zusammensetzung als die anderen Lebewesen auf. Die Lebewesen auf dem Land bestehen hingegen nach allgemeiner Auffassung aus Erde. Aus diesem

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Grund ist der Hervorbringung der Fische und Vögel ein einziger Tag zugewiesen worden und ein weiterer Tag der Hervorbringung der Lebewesen auf dem Land. Zudem wird die Hervorbringung der Lebewesen nur im Zusammenhang damit erwähnt, daß sie zur Ausschmückung der Weltteile dienen. Von daher gliedern sich die Tage, an denen die Lebewesen hervorgebracht worden sind, nur nach den Gemeinsamkeiten bzw. Verschiedenheiten, die die Ausschmückung eines jeweiligen Weltteils betreffen. Da aber das gemeine Volk das Feuer und die Luft nicht zu den Bestandteilen der Welt zählt, so hat Moses sie nicht gesondert aufgeführt, sondern sie zum dazwischen liegenden Element, also zum Wasser, dazugerechnet; das gilt insbesondere für den unteren Bereich der Luft. Deswegen wurde den Vögeln und Fischen, die zur Ausschmückung des Wassers und der Luft – und zwar insbesondere des unteren Luftbereichs, welcher an das Wasser angrenzt – beitragen, ein einziger Tag zugewiesen. Allen Lebewesen auf dem Land, die zur Ausschmückung der Erde beitragen, wurde aber ein weiterer Tag zugewiesen. Will man aber die Ansicht Gregors und anderer Autoren stützen, die einen zeitlichen Ablauf bei den Schöpfungstagen und eine schrittweise Hervorbringung der Dinge annehmen – in dem Sinne, daß zu einem Zeitpunkt zwar Himmel und Erde erschaffen waren, jedoch das Licht und das Himmelsgewölbe noch nicht geformt, die Erde noch nicht vom Wasser befreit war und auch noch keine Himmelsleuchten geformt waren –, so ist zu den Argumenten, die gegen diese Ansicht angeführt wurden, Folgendes zu sagen: Zu 1. An dem Tag, an dem Gott Himmel und Erde – also die Himmelskörper und die vier Elemente in ihren substantialen Formen – erschuf, erschuf er auch alle Sträucher des Feldes. Jedoch erschuf er sie nicht als wirkliche, bevor sie aus der Erde wuchsen, sondern in ihrem Möglichsein, so daß sie dann am dritten Tage in die Wirklichkeit gebracht wurden. Zu 2. Als Gott, so Gregor,111 die Engel erschuf, da erschuf er auch den Menschen, jedoch nicht als einen wirklichen bzw. als einen solchen, sondern in seinem Möglichsein bzw. in Ähnlichkeit zu den 111 Gregor der Große, Moralia in Iob XXXII, 22 (CCSL 143 B, 1640 ff.).

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Engeln, welche im Besitz der Vernunft besteht. Am sechsten Tage wurde der Mensch dann Wirklichkeit und als ein solcher erschaffen. Zu 3. Ein bereits vollendetes Ding ist in einer anderen Verfassung, als es während seines Entstehens ist. Obgleich es daher das Wesen der vollendeten und vervollständigten Welt verlangt, daß alle wesentlichen Teile des Weltganzen zugleich miteinander bestehen, so brauchte es doch während der Entstehung der Welt noch nicht so gewesen zu sein. So kann ja auch bei einem vollendeten Menschen das Herz nicht ohne die anderen Körperteile bestehen, und doch entsteht das Herz bei der Formwerdung des Embryos vor den anderen Körpergliedern. Darüber hinaus läßt sich sagen, daß im Anbeginn der Dinge die Himmelskörper und die Elemente in ihren substantialen Formen zugleich mit den Engeln – also die Hauptbestandeile des Universums – erschaffen wurden. An den nachfolgenden Tagen wurde aber dasjenige an der bereits erschaffenen Natur gebildet, was zur Vervollkommnung und Ausschmückung dieser bereits erschaffenen Teile gehört. Zu 4. Zwar behaupten die griechischen Väter, daß die Geistwesen vor den körperhaften Wesen erschaffen wurden. Doch die lateinischen Väter sind der Ansicht, daß die Engel zugleich mit den körperhaften Wesen erschaffen worden sind. Damit ist gewährleistet, daß das Weltganze in seinen Hauptbestandteilen zugleich erschaffen worden ist. Denn da die körperhaften Wesen eine einheitliche Grundlage in der erschaffenen Materie haben und da diese Materie für die körperhaften Wesen zugleich mit den Engel erschaffen worden ist, so kann man durchaus behaupten, daß alles in gewisser Weise zugleich erschaffen worden ist, ob nun in Wirklichkeit oder in seiner Möglichkeit. Nun weisen aber die Engel in Sachen der Materie keine Gemeinsamkeit mit den körperhaften Wesen auf. Wären daher bei der Erschaffung der Engel nicht irgendwie auch schon die körperhaften Wesen erschaffen worden, so wäre damit auch das Weltganze noch nicht erschaffen worden. Deswegen hat es seinen guten Grund, daß die Engel zugleich mit den körperhaften Wesen hervorgebracht worden sind. Somit ist alles Körperhafte zugleich erschaffen worden, zwar nicht der Wirklichkeit nach, doch aber mit der noch nicht in bestimmter Weise geformten Materie. Hernach hat es dann Schritt für Schritt mit der Unterscheidung und

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Ausschmückung der bereits wirklich gewordenen Geschöpfe in bestimmter Weise seine Form erhalten. Zu 5. Wie die Kreaturen ihr Sein nicht aus sich selbst schöpfen, so schöpfen sie auch ihre Vollkommenheit nicht aus sich selbst, sondern aus Gott. Um daher deutlich zu machen, daß die Kreaturen ihr Sein aus Gott und nicht aus sich selbst schöpfen, war es Gottes Wille, daß sie zunächst nicht waren und erst hernach waren. Um zudem deutlich zu machen, daß die Kreaturen ihre Vollkommenheit nicht aus sich selbst schöpfen, war es Gottes Wille, daß sie zunächst unvollkommen waren und erst hernach Schritt für Schritt durch das Werk der Scheidung und der Ausschmückung ihre Vollkommenheit erlangten. – Oder man könnte so argumentieren: Bei der Erschaffung der Dinge sollte nicht nur die Kraft des göttlichen Vermögens deutlich werden, sondern auch die Ordnung seiner Weisheit, so daß das, was der Natur nach früher ist, auch früher ins Sein kommt. Somit liegt es nicht an einem Unvermögen Gottes – so, als ob er für sein Schaffen Zeit brauchte –, wenn nicht alles gleichzeitig hervorgebracht, unterteilt und ausgeschmückt worden ist. Vielmehr liegt es daran, daß die Ordnung seiner Weisheit bei der Erschaffung der Dinge zum Tragen kommen sollte. Deshalb waren für die verschiedenen Zustände der Welt verschiedene Tage dienlich. Nach dem Werk der Erschaffung wurde nämlich durch das nachfolgende Werk stetig der Welt ein neuer Grad an Vollkommenheit verliehen. Um daher den Grad der Vollkommenheit und der Neuheit deutlich zu machen, war es Gottes Wille, daß eine jede Gliederung und Ausschmückung der Dinge jeweils an einem Tag erfolgte. Somit geschah dies nicht aus irgendeinem Unvermögen oder aufgrund einer Ermüdung des Schöpfers. Zu 6. Das Licht, welches dem Schöpfungsbericht zufolge am ersten Tag erschaffen worden ist, ist nach Ansicht von Gregor und von Dionysius112 das Sonnenlicht. Dieses ist am ersten Tag gleich mit dem Dasein der Himmelsleuchten, die die Träger des Lichtes sind, hervorgebracht worden, und so hat es die gewöhnliche Natur des Lichtes. Am vierten Tag aber sind den Himmelsleuchten jeweils bestimmte Kräfte für die Hervorbringung entsprechender 112 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 4 (Dion. I, 136 f.).

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Wirkungen verliehen worden. So bemerken wir an den Strahlen der Sonne, des Mondes usw. dementsprechend andere Wirkungen. Deshalb sagt Dionysius, daß jenes Licht das Sonnenlicht war, daß es aber noch keine Formung hatte – es gab ja noch keine Sonne – und daß es eine unspezifische Leuchtkraft aufwies. Hernach aber, am vierten Tag, erhielt es seine Formung. Freilich betrifft dies nicht seine substantiale Form, die es bereits am ersten Tag hatte, sondern bestimmte akzidentelle Anlagen in Form der Verleihung einer bestimmten Kraft, womit ihm eine besondere und fest umrissene Kraft mit ganz bestimmten Wirkungen verliehen wurde. Dementsprechend erfolgte bei der Erschaffung dieses Lichtes seine Scheidung von der Finsternis in dreifacher Weise: erstens im Hinblick auf die Ursache, insofern die Ursache für das Licht im Dasein der Sonne und die Ursache für die Finsternis in der Dunkelheit der Erde lag. Zweitens erfolgte eine Scheidung dem Ort nach, denn in der einen Erdhälfte war es hell, und in der anderen herrschte Finsternis. Drittens erfolgte eine Scheidung der Zeit nach, denn innerhalb ein und derselben Erdhälfte war es zu einer Zeit hell, und zur anderen herrschte dort Finsternis. Dies ist gemeint, wenn es heißt: »Das Licht nannte Gott Tag, und die Finsternis Nacht«.113 Somit erfüllte dieses Licht die Erde nicht an allen Stellen, denn in der einen Erdhälfte war es hell, und in der anderen herrschte Finsternis. Ebensowenig war es in einem Teil ständig Tag, und in dem anderen Teil ständig Nacht. Vielmehr war es innerhalb ein und derselben Erdhälfte zu einer Zeit Tag, und zu einer anderen war es Nacht. Zu 7. Es gibt einen zweifachen Umlauf am Himmel. Der eine betrifft den Himmel im ganzen, er nennt sich täglicher Umlauf und ist für Tag und Nacht verantwortlich. Dieser Umlauf ist offensichtlich am ersten Schöpfungstag eingerichtet worden, an dem, wie bereits gesagt, die Sonne und die anderen Himmelsleuchten in ihrem ungeformten Dasein hervorgebracht worden sind. Der andere Umlauf ist individuell und hängt von den einzelnen Himmelskörpern ab. Nach Maßgabe ihrer Umläufe erfolgt die Einteilung in Tage, Monate und Jahre. Am ersten Schöpfungstag erfolgte eine allgemeine Untergliederung der Zeit in Tag und Nacht in Form des täglichen Umlaufs. 113 Gen. 1, 5.

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Dieser Umlauf betrifft den Himmel im ganzen, und sein Beginn kann mit dem ersten Schöpfungstag verbunden werden. Denn es wird am ersten Schöpfungstag nur von der Scheidung der Nacht vom Tage gesprochen, und diese Scheidung erfolgt in Form des täglichen Umlaufs, welcher den gesamten Himmel betrifft. Am vierten Schöpfungstag aber erfolgte eine Untergliederung in Form einer weiteren Einteilung der Tage und Zeiten, wonach ein Tag wärmer ist als der andere, eine Jahreszeit wärmer als die andere, und ein Jahr wärmer als das andere. Dies hängt mit dem jeweils bestimmten und individuellen Umlauf der Sterne zusammen, und der Beginn dieses Umlaufs läßt sich mit dem vierten Schöpfungstag verbinden. Es wird ja am vierten Schöpfungstag von der Einteilung in Tage, Jahreszeiten und Jahre gesprochen, wenn es heißt: »Sie sollen dienen für die Jahreszeiten, die Tage und Jahre«.114 Diese Unterteilung ergibt sich also mit den individuellen Umläufen der Sterne. Somit hatten jene drei ersten Schöpfungstage, die der Formung der Himmelsleuchten vorangingen, dieselbe Verfassung wie die heutigen Sonnentage, was die allgemeine Einteilung der Zeit in Tag und Nacht betrifft. Diese Einteilung erfolgt ja nach Maßgabe des täglichen Umlaufs, welcher den gesamten Himmel angeht. Diese Identität in der Verfassung betrifft jedoch nicht die weitere Einteilung der Tage, die ja nach Maßgabe der individuellen Umläufe der Sterne erfolgt. Zu 8. Manche Autoren behaupten, daß jenes Licht, das der Hl. Schrift zufolge am ersten Tag erschaffen worden ist, eine Lichtwolke gewesen sei, die dann mit der Erschaffung der Sonne in der bereits vorliegenden Materie aufgegangen sei. Diese Ansicht ist aber nicht richtig. Denn die Schrift berichtet am Anfang der Genesis von der Erschaffung derjenigen Natur, wie sie auch jetzt noch andauert. Daher läßt sich nicht sagen, daß damals etwas erschaffen worden ist, was wenig später wieder verschwand. Deswegen sagen andere Autoren, daß es diese Lichtwolke immer noch gibt und daß sie ununterscheidbar mit der Sonne verbunden ist. Damit aber wäre diese Wolke mittlerweile überflüssig. An Gottes Werken ist jedoch nichts vergeblich oder überflüssig. Aus diesem Grund behaupten wieder andere Autoren, daß aus dieser Wolke der Himmelskörper der Sonne geformt worden ist. Doch auch dies läßt sich nicht behaupten, wenn 114 Gen. 1, 15.

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man daran festhält, daß der Himmelskörper der Sonne nicht das Wesen der vier Elemente hat, sondern seinem Wesen nach unzerstörbar ist. Denn dann kann seine Materie keine andere Form annehmen. Somit ist mit Dionysius festzustellen, daß jenes Licht das Sonnenlicht war, allerdings noch gestaltlos, insofern es bereits die Grundlage für die Sonne darstellte und eine unspezifische Leuchtkraft besaß. Dann aber ist ihm am vierten Tag eine ganz bestimmte und fest umrissene Kraft mit charakteristischen und eingegrenzten Wirkungen verliehen worden. Und so wurde es Tag und Nacht durch den Umlauf jenes Lichtes, das kam und ging. So ist es auch kein Problem, daß die Sphären, durch deren gemeinsamen und täglichen Umlauf sich jenes Licht drehte, von Anbeginn der Schöpfung an Bestand hatten. Ihnen wurden dann später bestimmte Kräfte verliehen in den Werken der Scheidung und der Ausschmückung. Zu 9. Bei der Erschaffung des Lichtes muß das Merkmal der Helle und Durchsichtigkeit, das dem Bereich des Lichtes zugehört, damals allen hellen und durchsichtigen Körpern verliehen worden sein. Da aber die Sonne die Grundlage und Quelle des Lichtes ist, welche die Körper oben und die hier unten erleuchtet, so versteht Dionysius unter jenem Licht das Sonnenlicht, welches durch seinen üblichen täglichen Umlauf den Tag von der Nacht schied, so wie es dies auch heute noch tut. Zu 10. Damit ist auch hier die Antwort klar. Denn jenes Licht war seinem wirklichen Dasein nach keine Wolke, die später wieder verschwand. Als Wolke könnte man dieses Licht bezeichnen aufgrund einer Merkmalsähnlichkeit. Denn wie eine lichthelle Wolke das Licht der Sonne mit geringerer Helle empfängt, als das Licht in seiner Quelle auftritt, so war auch an jenen ersten drei Schöpfungstagen mit dem Dasein der Sonne ein unvollkommenes und gleichsam gestaltloses Licht verbunden, das erst am vierten Tag seine Vollendung erhielt. Somit war die Sonne schon damals eine lichthelle Substanz, da sie von Anbeginn der Schöpfung ihre substantiale Form besaß. Wenn es aber heißt, daß daraus die Sonne am vierten Tag erschaffen worden sei, so betrifft dies nicht ihr Dasein, sondern das Hinzukommen einer neuerlichen Kraft. Genauso betrifft die Rede davon, daß aus einem ungebildeten Menschen ein gebildeter Mensch wird, nicht dessen Dasein, sondern sein Können.

V. GOTTES ERHALTUNG DER DINGE AM SEIN

Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Werden die Dinge von Gott am Sein erhalten oder erhalten sie sich auch ohne ein Zutun Gottes von selbst am Sein? 2. Kann Gott es einem Geschöpf verleihen, daß es sich von selbst, unabhängig von ihm, am Sein erhält? 3. Kann Gott die Schöpfung wieder zunichte machen? 4. Gibt es ein bestimmtes Geschöpf, das wieder zunichte gemacht werden kann bzw. zunichte gemacht wird? 5. Wird die Himmelsbewegung einmal aufhören? 6. Kann der Mensch wissen, wann die Himmelsbewegung ihr Ende findet? 7. Bleiben nach dem Ende der Himmelsbewegung die Elemente bestehen? 8. Bleibt nach dem Ende der Himmelsbewegung die Aktivität und Rezeptivität bei den Elementen bestehen? 9. Bleiben nach dem Ende der Welt die Pflanzen, die Tierwelt und die mineralischen Körper bestehen? 10. Bleiben nach dem Ende der Himmelsbewegung die menschlichen Körper bestehen?

1. Artik el Die erste Frage lautet: Werden die Dinge von Gott am Sein erhalten oder erhalten sie sich auch ohne ein Zutun Gottes von selbst am Sein?1 Allem Anschein nach gilt das Letztere; denn: 1. In Deut. 32, 4 heißt es: »Gottes Werke sind vollkommen«. Im Ausgang von dieser Stelle läßt sich wie folgt argumentieren: Voll1 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 104 a. 1. ScG III, 65; 94. Super Ioh. V, 2. Super Hebr. I, 2.

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kommen ist nach Aristoteles dasjenige, dem nichts abgeht.2 Nun kann ein Ding, dem etwas für seine Existenz abgeht, nur ins Sein gelangen durch das Zutun von etwas, das auf dieses Ding von außen einwirkt. Solche Dinge sind also unvollkommen; und Gottes Werke gehören nicht dazu. 2. Man könnte nun einwenden: Gottes Werke sind nicht schlichtweg vollkommen, sondern nur im Hinblick auf ihre Natur. – Dem ist zu erwidern: Etwas ist dann seiner Natur nach vollkommen, wenn es all das besitzt, was seine Natur ausmacht. Was aber all das besitzt, was seine Natur ausmacht, das kann sich auch dann am Sein erhalten, wenn Gott es nicht mehr von außen am Sein erhält. Wenn also bestimmte Geschöpfe ihrem Wesen nach vollkommen sind, dann können sie sich auch ohne das Zutun Gottes am Sein erhalten. Erweis des Mittelsatzes: Der Erhalt der Dinge ist ein Wirken Gottes. Daher heißt es, wie Augustinus betont,3 in Joh. 5, 17: »Mein Vater wirkt bis jetzt, und auch ich wirke«. Wenn aber ein Tätiges wirkt, dann empfängt etwas seine Wirkungen. Solange also Gott die Dinge erhält, empfangen die so erhaltenen Dinge noch immer etwas von Gott. Solange also ein Ding es nötig hat, erhalten zu werden, besitzt es noch nicht all das, was seine Natur ausmacht. 3. Alles ist nur dann vollkommen, wenn es das erfüllt, wozu es da ist. Nun sind die Prinzipien der Dinge dazu da, daß sie diese am Sein erhalten. Wenn also die kreatürlichen Prinzipien der Dinge diese nicht am Sein erhalten können, dann sind sie unvollkommen und also keine Werke Gottes. Dies ist aber abwegig. 4. Gott ist die Ursache der Dinge im wirkursächlichen Sinne. Nun bleibt aber eine Wirkung auch dann bestehen, wenn ihre Ursache nicht mehr wirkt. So bleibt ja etwa auch ein Haus bestehen, nachdem sein Baumeister seine Tätigkeit beendet hat, und auch ein entzündetes Feuer brennt weiter, wenn die entzündende Flamme nicht mehr brennt. Folglich können die Geschöpfe auch dann noch am Sein bleiben, wenn Gott überhaupt nicht mehr wirkt. 5. Man könnte nun einwenden: Die niederen Ursachen bewirken das Werden der Dinge, nicht aber deren Sein. Daher bleibt eine Wir2 Aristoteles, Phys. III, 6; 207 a 8–10. 3 Augustinus, De Gen. ad litt. VII, 28 (CSEL 28/1, 227).

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kung auch dann noch in ihrem Sein bestehen, wenn die Ursache für ihr Werden nicht mehr da ist. Dagegen ist Gott nicht nur die Ursache für das Werden der Dinge, sondern auch für ihr Sein. Daher kann das Sein der Dinge keinen Bestand haben, wenn Gott nicht mehr wirken würde. – Dem ist zu erwidern: Jedes gewordene Ding verdankt seiner Form, daß es ist. Wenn also die niederen hervorbringenden Ursachen nicht das Sein bewirken, dann werden sie auch nicht die Ursache für die Formen sein. Somit würden die Formen, die an der Materie auftreten, auch nicht von Formen stammen, die mit der Materie verbunden sind. Dies widerspricht der Ansicht von Aristoteles, der ja sagt, daß die Form, die in diesem Fleisch und in diesen Knochen ist, von einer Form stammt, die in diesem Fleisch und in diesen Knochen ist.4 Andernfalls würde folgen, daß die Formen, welche an der Materie auftreten, von materiefreien Formen stammen, wie dies Platons Ansicht ist, bzw. von einem Spender der Formen, wie dies Avicennas Ansicht5 ist. 6. Dasjenige, dessen Sein noch am Werden ist, kann nicht bestehen bleiben, wenn die Tätigkeit des Wirkenden aufhört. Beispiel hierfür sind die Bewegung, ein [noch laufender] Wettkampf und dergleichen. Dasjenige aber, dessen Sein bereits Wirklichkeit geworden ist, kann auch dann noch bestehen bleiben, wenn das Wirkende seine Tätigkeit eingestellt hat. Daher sagt Augustinus: »Durch die Gegenwart des Lichtes ist die Luft nicht schon hell, sondern sie wird erst hell. Denn wäre sie bereits hell, dann bräuchte sie nicht hell zu werden; vielmehr würde sie hell bleiben, wenn das Licht verschwindet.«6 Nun gibt es aber viele Geschöpfe, deren Sein nicht mehr am Werden ist, sondern bereits Wirklichkeit geworden ist. Dies trifft etwa auf die Engel sowie auf alle Körper zu. Folglich können die Geschöpfe auch dann am Sein bleiben, wenn Gott nicht mehr wirkt. 7. Die niederen hervorbringenden Ursachen bewirken, wie gerade gezeigt,7 das Sein der hervorgebrachten Dinge. Allerdings bewirken sie dies nicht als die gründenden Erstursachen, doch aber als Zweit4 5 6 7

Aristoteles. Met. VII, 8; 1034 a 1 ff. Avicenna, Met. IX, 4–5 (Avicenna latinus 4, ed. Van Riet, 476–494). Augustinus, De Gen. ad litt. VIII, 12 (CSEL 28/1, 250). Vgl. De pot. q. 5. a. 1 arg. 5 s. c.

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ursachen. Nun verleiht aber die Erstursache für das Sein, d. h. Gott, den hervorgebrachten Dingen die Grundlagen für ihr Sein nur vermittels der eben erwähnten Zweitursachen. Folglich erhält die Erstursache auch nur auf diesem Wege die Dinge am Sein. Denn es ist dieselbe Ursache, wodurch ein Ding sein Sein hat und am Sein erhalten wird. Nun werden aber die hervorgebrachten Dinge gerade durch diejenigen Prinzipien am Sein erhalten, die für sie wesentlich sind, und dies, auch nachdem das Wirken der Zweitursachen aufgehört hat. Folglich gilt dies auch, wenn die Erstursache, d. h. Gott, nicht mehr wirkt. 8. Wenn ein Ding zu sein aufhört, dann kann dies entweder an seiner Materie liegen oder daran, daß es aus dem Nichts stammt. Ursache für das Vergehen ist die Materie aber nur im Hinblick darauf, daß an ihr Gegensätze auftreten können. Nun ist aber nicht bei allen Geschöpfen die Materie Gegensätzen unterworfen. Demnach ist bei denjenigen Dingen, die keine Materie haben, welche Gegensätzen unterworfen ist, also z. B. bei den Himmelskörpern und den Engeln, auch nicht die Materie verantwortlich, wenn sie aufhören zu sein. Dafür verantwortlich ist aber auch nicht die Tatsache, daß sie aus dem Nichts stammen, denn aus dem Nichts folgt nichts, und das Nichts bewirkt nichts, auch nicht das Vergehen von etwas. Folglich würden diese Dinge auch nicht aufhören zu sein, wenn Gottes Wirken vollständig ausbliebe. 9. Das Sein einer Form an der Materie setzt ein im letzten Moment eines Entstehungsprozesses, wo ein Ding nicht mehr am Werden, sondern wirklich ist. Nach Ansicht von Avicenna kommen aber die Formen der gewordenen Dinge durch das Wirken einer Intelligenz, d. h. der Geberin der Formen, in die Materie.8 Somit ist diese Intelligenz die Ursache für das Sein und nicht bloß für ein Werden. Durch deren Tätigkeit können sich somit die Dinge auch ohne ein Zutun Gottes am Sein erhalten. 10. Auch eine substantiale Form ist Ursache für das Sein. Wenn es also die Seinsursachen sind, die ein Ding am Sein erhalten, reicht die Form eines Dinges für sich schon hin, daß dieses am Sein erhalten wird. 8 Vgl. Anm. 5.

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11. Durch die Materie werden die Dinge am Sein erhalten, insofern sie eine Form trägt. Nun unterliegt aber die Materie nach der Ansicht von Aristoteles keinem Werden und Vergehen.9 Mithin hat sie keine Ursache und bleibt bestehen, auch wenn die Tätigkeit einer Wirkursache völlig zum Erliegen kommt. Folglich können sich die Dinge auch dann noch am Sein erhalten, wenn die erste Ursache, d. h. Gott, nicht mehr wirkt. 12. In Eccl. 33, 15 heißt es: »Betrachte alle Werke des Höchsten: zwei und zwei sind sie, eines gegen das andere.« Nun findet sich unter den Werken des Höchsten etwas, das seinen Erhalt durch Gott nötig hat. Folglich findet sich unter Gottes Werken auch das Gegenteil davon, d. h. etwas, das einen Erhalt durch Gott nicht nötig hat. 13. Ein natürliches Streben kann nicht unnütz und ziellos sein. Nun strebt ein jedes Ding von Natur aus nach dem Erhalt seines Seins. Folglich kann sich ein Ding von selbst in seinem Sein erhalten. Gälte das Gegenteil, so wäre ein Streben in der Natur unnütz. 14. Augustinus sagt, daß Gott die einzelnen Ding gut erschaffen hat und zugleich das Ganze sehr gut.10 Denn es heißt ja in Gen. 1, 31: »Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und es war sehr gut«. So ist also das Ganze der Schöpfung sehr gut, ja im höchsten Grade gut. Denn nach Platons Timaeus11 charakterisiert es den Besten, daß er das Beste herbeiführt. Nun ist aber dasjenige besser, was für den Erhalt seines Seins nichts von außen benötigt, als dasjenige, was so etwas braucht. Folglich benötigt das Ganze der Schöpfung nichts, was sie von außen erhielte. 15. Die Seligkeit ist etwas Erschaffenes am Wesen der Seligen. Nun ist aber die Seligkeit ein Zustand des Vollbesitzes aller Güter, wie Boethius sagt.12 Dem wäre nicht so, wenn die Seligkkeit nicht die Selbsterhaltung mit einschließen würde, die ja eines der höchsten Güter ist. Folglich gibt es bestimmte Geschöpfe, die sich von selbst am Sein zu erhalten vermögen.

9 10 11 12

Aristoteles, Phys. I, 9; 192 a 25 ff. Augustinus, Ench. III, 10 (CCSL 46, 53). Platon, Tim. 29 E (ed. Waszink, 22). Boethius, Cons. Philos. III, pr. 2 (CCSL 94, 38).

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16. Augustinus sagt: Gott waltet in seiner Vorsehung so über die Dinge, daß er es gleichwohl zuläßt, wenn sie ihre eigene Bewegungen vollziehen.13 Nun besteht die Eigenbewegung der Natur, die ja aus dem Nichts kommt, darin, daß sie ins Nichts zurückkehren will. Mithin läßt es der Herr zu, daß die Natur, die aus dem Nichts kommt, ins Nichts übergehen will. Somit erhält er die Dinge nicht am Sein. 17. Das, an dem etwas zur Entfaltung kommt, steht in einem Gegensatz zu dem, was da an ihm zur Entfaltung kommt. Dabei behält es das, was an ihm zur Entfaltung kommt, nicht dauerhaft, sondern verliert dieses wieder. Wir sehen ja, wie das, was sich durch die Gewalteinwirkung natürlicher Kräfte an seinem Gegenteil entfaltet, für eine Weile bestehen bleibt, auch wenn das Wirken dieser natürlichen Kräfte aufhört. So bleibt etwa die Wärme eine Weile im erwärmten Wasser bestehen, auch wenn das Wirken des Feuers aufgehört hat. Gottes Wirkungen entfalten sich jedoch nicht an etwas, was einen Gegensatz zu ihnen bildet, sie entfalten sich vielmehr überhaupt nicht an etwas. Denn er selbst ist der Urheber für das Dasein eines Dinges überhaupt. Erst recht werden daher Gottes Wirkungen zumindest eine Weile bestehen können, auch wenn sein Wirken bereits beendet ist. 18. Die Form ist die Grundlage für das Erkennen, das Wirken und das Sein. Nun kann eine Form sehr wohl ohne das Zutun von außen die Grundlage für das Wirken und für das Erkennen darstellen, und mithin auch für das Sein. Folglich kann sich ein Ding kraft seiner Form auch ohne jedes Zutun von Gott am Sein erhalten. dagegen spricht: 1. In Hebr. 1, 3 heißt es: »Er, der alles trägt durch sein machtvolles Wort«. Dazu bemerkt die Glosse: »Wie alles von ihm erschaffen wurde, so wird es von ihm beständig erhalten.« 2. Augustinus sagt: »Das Vermögen des Schöpfers und die Kraft des Allmächtigen ist der Grund für das Dasein der gesamten Schöpfung. Wenn diese Kraft einmal von der Herrschaft über das Erschaffene Abstand nehmen würde, dann würde mit einem Schlag 13 Augustinus, De civ. Dei VII, 30 (CCSL 47, 211 f.).

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dessen Erscheinungsbild erlöschen, und die gesamte Natur zerfiele.« Und weiter: »Die Welt könnte nicht einen Augenblick lang bestehen, wenn Gott ihr seine Lenkung vorenthalten würde.«14 3. Gregor sagt, daß alles ins Nichts zurückfallen würde, wenn die Hand des Allmächtigen es nicht hielte.15 4. Im Buch von den Ursachen heißt es: »Jede Intelligenz verdankt ihr Bestehen« – und d. h. ihren Erhalt und ihr Sein – »der Güte, welche die erste Ursache ist«.16 Erst recht verdanken demnach auch die übrigen Geschöpfe nur Gott den Bestand ihres Seins. antwort: Es ist über jeden Zweifel erhaben, daß die Dinge von Gott im Sein erhalten werden und daß sie schlagartig ins Nichts fielen, wenn Gott sie verließe. Dies läßt sich folgendermaßen begründen: Eine Wirkung hängt zwangsläufig von ihrer Ursache ab. Dies liegt ja in der Natur von Ursache und Wirkung. An den Formal- und Materialursachen zeigt sich dies ganz deutlich. Denn mit der Beseitigung seiner Formal- und Materialursache hört ein jedes Ding sogleich auf zu sein, da ja diese beiden Prinzipien für das Sein eines Dinges verantwortlich sind. Dasselbe wie für die Formal- und Materialursachen gilt nun auch für die Wirkursachen. Denn eine Wirkursache bringt ja ein Ding insofern hervor, als sie der Materie eine Form aufprägt bzw. die Materie dafür vorbereitet. Daher ist ein Ding gleichermaßen von seiner Wirkursache wie von seiner Materie und seiner Form abhängig, da es über eines von den dreien von den jeweils anderen abhängig ist. Auch für die Zielursachen gilt das Gleiche wie für die Wirkursache. Denn ein Ziel ist ja nur Ursache dafür, daß es das Wirkende zum Wirken veranlaßt. Ein Ziel liegt ja zunächst nicht wirklich vor, sondern nur als etwas Angestrebtes. Es gibt daher keine Tätigkeit, wo es keine Zielursache gibt; dies erhellt aus dem 3. Buch der Metaphysik.17 14 15 16 17

Augustinus, De Gen. ad litt. IV, 12 (CSEL 28/1, 108). Gregor der Große, Moralia in Iob XVI, 23, 13 (CCSL 143 A, 825). Liber de Causis prop. 8 [9] (ed. Schönfeld, 20 f.). Aristoteles, Met. III, 2; 996 a 20 ff.

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Demnach ist das Sein eines hervorgebrachten Dinges insofern von seiner Wirkursache abhängig, als das Sein dieses Dinges von seiner Form abhängt. Es gibt jedoch auch bestimmte Wirkkräfte, von denen die Form eines hervorgebrachten Dinges nicht als solche und in ihren formalen Merkmalen, sondern nur akzidentell abhängt. So hängt z. B. die Form eines entzündeten Feuers nicht als solche und in ihrer formalen Erscheinung vom entzündenden Feuer ab, da es in der Ordnung der Dinge denselben Rang einnimmt und da die Form des Feuers im entzündenden und im entzündeten Feuer dieselbe ist. Es unterscheidet sich vom entzündenden Feuer vielmehr in materialer Hinsicht, da es ja an einer anderen Materie auftritt. Wenn es daher bei dem entzündeten Feuer eine Ursache für seine Form gibt, dann muß diese Form durch ein höheres Prinzip bedingt sein, welches die Ursache für diese Form als solche und für ihre charakteristische Erscheinungsweise ist. Da nun mit dem Auftreten einer Form an der Materie, für sich genommen, noch keine Bewegung oder Veränderung – oder doch nur in akzidenteller Weise – verbunden ist, da aber, wie Aristoteles nachweist,18 jeder Körper nur als ein bewegter seine Wirksamkeit entfaltet, so muß das Prinzip, dem sich eine Form als solche verdankt, ein unkörperliches sein. Denn es liegt am Wirken eines Prinzips, daß eine Wirkung von ihrer Wirkursache abhängt. Wenn also ein körperhaftes Prinzip in irgendeiner Weise die Ursache für eine Form sein soll, so kann es dies nur dann sein, wenn es gleichsam als Instrument eines unkörperlichen Prinzips wirksam ist. Dies ist erforderlich, wenn eine Form ins Dasein kommen soll, da sie ja nur an einer Materie ins Dasein kommt. Denn die Materie kann nur dann einer Form zugrunde liegen, wenn sie dafür vorbereitet ist, da ja ein bestimmtes wirkliches Sein nur an der entsprechenden Materie auftreten kann. Wenn also die Materie noch nicht in der Lage ist, eine bestimmte Form aufzunehmen, so kann sie diese Form nicht direkt durch ein unkörperliches Prinzip erhalten, dem sich diese Form als solche verdankt. Daher muß es noch etwas geben, was an der Materie eine Veränderung vornimmt. Dies ist nun eine körperhafte Wirkkraft, 18 Aristoteles, Phys. III, 1; 201 a 9 ff.

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deren Wirken darin besteht, daß sie etwas in Bewegung versetzt. Ihr Wirken verdankt sie freilich einem unkörperlichen Prinzip und dieses zielt auf diese oder jene Form, insofern eine solche Form entweder wirklich in einer körperhaften Wirkkraft steckt, wie bei den Wirkkräften im univoken Sinn, oder der Möglichkeit nach, wie bei den Wirkkräften im äquivoken Sinn. Somit sind diese niederen körperhaften Ursachen keine Prinzipien für die Formen, die in den hervorgebrachten Dingen liegen, es sei denn, ihr Ursachencharakter besteht in einer Veränderung der Materie. Denn diese Ursachen wirken, wie gesagt, nur in Form einer Veränderung, d. h. insofern sie die Materie aufnahmebereit machen und eine Form aus dem Möglichsein der Materie in die Wirklichkeit führen. Die Formen des Hervorgebrachten verdanken sich also insofern einer natürlichen Hervorbringung, als diese Formen aus dem materialen Möglichsein in die Wirklichkeit überführt werden; ihr Sein als solches verdanken sie hingegen nicht dieser natürlichen Hervorbringung. Bleibt daher das Wirken des Hervorbringenden aus, so kommt der Übergang von der Möglichkeit in die Wirklichkeit, d. h. das Werden des Hervorgebrachten, zum Erliegen, während die Formen als solche, denen das Hervorgebrachte sein Sein verdankt, nicht verschwinden. Dies ist der Grund dafür, daß sich das Sein, nicht aber das Werden der hervorgebrachten Dinge fortsetzt, wenn das Wirken des Hervorbringenden aussetzt. Wenn aber diese Formen nicht mit der Materie verbunden sind – dies ist ja bei den geisthaften Substanzen der Fall –, oder wenn sie an einer Materie auftreten, die sich vollkommen an eine Form anpaßt – dies ist bei den Himmelskörpern der Fall, bei denen keine jeweils anderen Zustände auftreten –, dann kann das Prinzip für diese Formen nur eine unkörperliche Ursache sein, die nicht mittels von Bewegung wirkt. Darüber hinaus verdanken diese Formen ihr Werden etwas, dem sie auch ihr Sein verdanken. Bleibt also die Tätigkeit einer Wirkursache aus, die mittels von Bewegung wirkt, so kommt im selben Moment das Werden der hervorgebrachten Dinge zum Erliegen. Bleibt die Tätigkeit einer unkörperlichen Ursache aus, so weicht das Sein aus den von ihr erschaffenen Dingen. Diese unkörperliche Ursache, von der alles – das Körperhafte wie das Körperlose – erschaffen worden ist, ist nun Gott.

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Von ihm erhalten, wie bereits in einer anderen Untersuchung gezeigt wurde,19 die Dinge nicht nur ihre Formen, sondern auch ihre Materie. Für den gegenwärtigen Zusammenhang spielt es dabei keine Rolle, ob sie unmittelbar aus ihm hervorgegangen sind oder vermittelt über eine bestimmte Stufenfolge, wie manche Philosophen annahmen. Würde mithin Gottes Wirken aufhören, dann würden alle Dinge im selben Augenblick ins Nichts fallen, wie die in den Gegenargumenten angeführten Zeugnisse erweisen. Zu 1. Gottes Geschöpfe sind vollkommen in ihrer Natur und in ihrer Geordnetheit. Diese ihre Vollkommenheit erfordert aber unter anderem auch, daß sie von Gott am Sein erhalten werden. Zu 2. Gott bringt nicht mit einem jeweils anderen Wirken die Dinge ins Sein und erhält sie am Sein. Denn das Sein der beständigen Dinge ist allenfalls in akzidenteller Weise aufteilbar, etwa wenn es einer Bewegung unterliegt. Für sich genommen ist jedoch ihr Sein augenblickshaft. Daher ändert sich Gottes Wirken, das schlechthin die Ursache für das Sein der Dinge ist, nicht dadurch, daß es einmal den Anfang des Seins setzt und einmal dessen Fortdauer garantiert. Zu 3. Solange die wesentlichen Grundlagen der Dinge Bestand haben, erhalten sich die Dinge am Sein. Doch eben diese Grundlagen der Dinge würden zergehen, wenn Gottes Wirken aufhörte. Zu 4. Diese niederen Wirkkräfte sind Ursache für das Werden der Dinge, nicht aber im eigentlichen Sinne Ursache für deren Sein. Gott hingegen ist an sich die Ursache des Seins. Also besteht hier keine Vergleichsmöglichkeit. Daher sagt Augustinus: »Es ist nämlich nicht so wie bei einem, der einen Bau errichtet hat und dann weggeht, daß dieses Werk auch dann noch Bestand hat, wenn er ihn zu Ende geführt hat und dann weggeht. Die Welt könnte nicht einen Augenblick bestehen bleiben, wenn Gott ihr seine Lenkung vorenthalten würde«.20 Zu 5. Da die körperhaften Wirkkräfte nur so wirken, daß sie eine Veränderung herbeiführen, da sich aber alles nur infolge der Mate19 Vgl. De pot. q. 3 a. 5–6; 8. 20 Augustinus, De Gen. ad litt. IV, 12 (CSEL 28/1, 108).

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rie verändert, so kann sich der Ursachencharakter der körperhaften Wirkkräfte nur auf das erstrecken, was in irgendeiner Weise an der Materie auftritt. Da aber sowohl die Platoniker als auch Avicenna die Herausführung der Form aus dem Möglichsein der Materie in Abrede stellten, so waren sie zu der Annahme gezwungen, daß die natürlichen Wirkkräfte die Materie nur in einen aufnahmefähigen Zustand versetzen würden, die Einführung einer Form aber von einem für sich bestehenden Prinzip vorgenommen werde. Wenn wir aber mit Aristoteles annehmen,21 daß die substantiellen Formen aus dem Möglichsein der Materie herausgeführt werden, dann werden die natürlichen Wirkkräfte nicht nur die Ursache für den aufnahmefähigen Zustand der Materie sein, sondern auch für die substantiellen Formen, letzteres freilich, wie bereits ausgeführt,22 nur im Rahmen des Übergangs vom Möglichsein in die Wirklichkeit. Mithin sind die natürlichen Wirkkräfte Prinzipien für das Sein im Rahmen seines Entstehens, nicht aber schlechthin für das Sein als solches. Zu 6. Was die Formen anbelangt, die infolge des Wirkens einer körperhaften Ursache an einer Materie wirklich werden, so treten manche dieser Formen mit allen ihren charakteristischen Merkmalen an der Materie auf und gehen vollständig in sie ein, so wie dies auch die Form ihres Hervorbringers tut. Dies liegt daran, daß in der Materie keine Prinzipien mehr liegen, die [dem Auftreten dieser Formen] entgegenstehen. Derartige Formen bleiben nach dem Wirken des Hervorbringenden bestehen bis zum Zeitpunkt ihres Vergehens. Manche dieser Formen treten zwar auch mit allen ihren charakteristischen Merkmalen an der Materie auf, sie gehen aber nicht vollständig in sie ein. Wenn z. B. die Wärme am warmen Wasser auftritt, dann weist sie zwar sämtliche charakteristische Merkmale der Wärme auf, sie geht jedoch nicht vollkommen in die Materie ein. Dies liegt an dem Halt, den die Form hier an der Materie findet, insofern hier an der Materie eine Form bestehen bleibt,23 die der Qualität der Wärme entgegensteht. Auch diese Formen beste21 Aristoteles, Met. VII, 8; 1034 a 4 f. 22 Vgl. De pot. q. 3 a. 9; 11. 23 Gemeint ist hier die Kälte.

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hen nach dem Wirken des Hervorbringenden weiter, zumindest für eine Weile. Doch ein ihnen entgegenstehendes Prinzip, welches an der Materie auftritt, verhindert es, daß sie für längere Zeit bestehen können. Wieder andere von diesen Formen treten an der Materie nicht mit allen ihren charakteristischen Merkmalen auf und gehen auch nicht vollständig in sie ein. Das ist etwa der Fall beim Licht, das sich in der Luft ausbreitet und das von einem Leuchtkörper stammt. Denn in der Luft liegt das Licht nicht als eine vollkommene Form, die für die Luft so natürlich wäre wie für einen Leuchtkörper, sondern eher nach Art einer Spiegelung.24 Wie daher auch das Spiegelbild eines Menschen nur so lange in einem Spiegel bestehen bleibt, als er diesem Menschen vorgehalten wird, so liegt auch das Licht nur in der Luft, wenn ein Leuchtkörper gegenwärtig ist. Derartige Spiegelungen verdanken sich schlichtweg und nicht nebenbei den natürlichen Formen von Körpern. Deswegen bleibt auch ihr Sein nicht bestehen, wenn das Wirken ihrer Ursache aufhört. Da also ihr Sein in diesem Sinne unvollkommen ist, läßt sich ihr Sein als werdehaft bezeichnen. Doch das Sein der vollkommenen Geschöpfe läßt sich nicht als ein werdehaftes bezeichnen, obwohl auch ihr Sein unvollkommen ist, und obwohl Gottes Wirken, das sie hervorgebracht hat, unvermindert andauert. Zu 7. Das Wirken einer körperhaften Ursache beschränkt sich darauf, daß sie etwas in Bewegung versetzt. Als Instrument der ersten Ursache fungiert es deshalb bei der Überführung der Formen aus dem Möglichsein in die Wirklichkeit – was ja durch Bewegung geschieht –, nicht aber beim Erhalt der Formen, es sei denn, daß durch eine bestimmte Bewegung bestimmte Zustände an der Materie erhalten werden, durch die sich die Materie für eine Form weiterhin geeignet zeigt. Auf diese Weise werden ja durch die Bewegung der Himmelskörper die Dinge hier unten am Sein erhalten. Zu 8. Mit dem Ausbleiben von Gottes Wirken würden die Geschöpfe dahinschwinden. Dies liegt nicht an den Gegensätzen, welche an ihrer Materie auftreten, denn auch diese würden mit der Materie verschwinden. Vielmehr liegt dies daran, daß die Geschöpfe 24 Übersetzung für »intentio«.

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aus dem Nichts stammen, da ja das Nichts nichts zur ihrem Vergehen, sondern nichts zu ihrem Erhalt beiträgt. Zu 9. Selbst der Spender der Formen müßte, wenn man mit Avicenna in ihm etwas anderes sehen würde als Gott, dahinschwinden mit dem Ausbleiben von Gottes Wirken, das die Ursache für ihn ist. Zu 10. Mit dem Ausbleiben des erwähnten Wirkens würde auch die Form dahinschwinden, und daher könnte es auch keine Grundlage mehr für ein Sein geben. Zu 11. ›Ungeworden‹ heißt die Materie deswegen, weil sie nicht durch einen Werdeprozeß ins Sein gelangt. Damit ist allerdings nicht in Abrede gestellt, daß sie von Gott kommt. Denn alles, was unvollkommen ist, muß seinen Ursprung in einem Vollkommenen haben. Zu 12. Findet man unter Gottes Werken das eine Glied eines kontradiktorischen Gegensatzes, so muß dort nicht zwangsläufig auch das andere zu finden sein. So müßte es ja unter diesen Werken etwas Ungeschaffenes geben, da es dort etwas Geschaffenes gibt. Freilich gilt obiger Satz für alle anderen Arten von Gegensätzen. Der Einwand geht jedoch von einem kontradiktorischen Gegensatz aus. Daher ist das Argument nicht stichhaltig. Zu 13. Zwar strebt ein jedes Ding danach, sich selbst zu erhalten. Gleichwohl wird es nicht von sich selbst erhalten, sondern von seiner Ursache. Zu 14. Die Schöpfung im ganzen ist nicht schlechthin die beste, sondern nur als etwas Erschaffenes. Daher spricht nichts dagegen, daß es etwas Besseres gibt als sie. Zu 15. Unter den Gütern, durch deren Vollbesitz der Zustand der Glückseligkeit erreicht wird, steht an erster Stelle die Einung mit der Ursache. Denn der Genuß Gottes ist die Glückseligkeit für die vernunftbegabten Geschöpfe. Zu 16. Ins Nichts übergehen zu wollen, ist nicht die Eigenbewegung der Natur, die ja stets auf ein Gutes geht. Vielmehr ist dies einem Ausfall ihrer Eigenbewegung geschuldet. Das Argument basiert daher auf einer falschen Voraussetzung. Zu 17. Das gewaltsame Wirken bei der hier angeführten Gewalteinwirkung ist Ursache für ein Werden und nicht, wie bereits aus-

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geführt, schlechthin für das Sein.25 Wenn daher das Wirken einer Ursache ausbleibt, kann die Gewalteinwirkung eine Weile bestehen bleiben, nicht jedoch auf Dauer, und dies wegen ihrer Unvollkommenheit. Zu 18. Eine Form kann kein Prinzip des Seins sein außer infolge eines höheren Prinzips. Genausowenig ist sie dies für ein Wirken, da ja Gott in jedem Ding wirkt, wie bereits in einer anderen Untersuchung gezeigt.26 Ebensowenig ist sie dies für das Erkennen, da sich jedes Erkennen dem ungeschaffenen Licht verdankt.

2. Artik el Die zweite Frage lautet: Kann Gott es einem Geschöpf verleihen, daß es sich von selbst, unabhängig von ihm, am Sein erhält?27 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Etwas zu erschaffen bedeutet mehr, als sich selbst am Sein zu erhalten. Nun konnte Gott seiner Schöpfung ein Schöpfungsvermögen mitgeben, wie Petrus Lombardus im 4. Buch seiner Sentenzen, d. 5 bemerkt.28 Demnach konnte er ihr auch das Vermögen mitgeben, sich selbst am Sein zu erhalten. 2. Gottes Macht über die Dinge übertrifft die Macht unseres Denkens. Nun kann unser Denken die Schöpfung unter Absehung von Gott begreifen. Erst recht kann daher Gott es seiner Schöpfung verleihen, daß sie sich selbst am Sein erhält. 3. Es gibt ein Geschöpf, das nach dem Bilde Gottes gemacht worden ist, wie aus Gen. 1, 26 erhellt. Nach Hilarius29 steht nun das Abbild einer Sache in einem ungeschiedenen und einheitlichen Ähnlichkeitsverhältnis zu der Sache, der es gleich sein soll. Ein Abbild vermag also dem zu gleichen, dessen Abbild es ist. Insofern also Gott 25 Vgl. De pot. q. 5 a. 1 ad 5. 26 Vgl. De pot. q. 3 a. 6. 27 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 104 a. 1 ad 2; a. 2 ad 2. ScG II, 25.

De ver. q. 5 a. 8 ad 8. Sent. I, d. 37, q. 1 a. 1; d. 47, a. 1. 28 Petrus Lombardus, Sent. IV, d. 5, c. 3 (ed. coll. S. Bon. I, 267). 29 Hilarius, De Synodis seu de fide orientalium (PL 10, col. 490 B).

2. Artikel

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keinen Erhalt von außen benötigt, so konnte er dies offensichtlich auch einem seiner Geschöpfe verleihen. 4. Je vollkommener eine Ursache ist, desto vollkommener ist die Wirkung, die sie hervorbringen kann. Nun können natürliche Ursachen Wirkungen hervorbringen, die sich unabhängig von diesen Ursachen am Sein erhalten. Erst recht kann dies daher auch Gott. dagegen spricht: Gott kann nichts erschaffen, was seine Macht mindert. Es würde aber seine Herrschaft beschneiden, wenn etwas ohne den Erhalt durch Gott bestehen könnte. Folglich kann Gott so etwas nicht erschaffen. antwort: Gottes Allmacht erstreckt sich nicht darauf, daß er das, was in einem kontradiktorischen Gegensatz zueinander steht, zugleich bestehen lassen kann. Wenn man nun behauptet, daß Gott etwas bestehen lassen könnte, das keinen Erhalt durch Gott benötigt, dann liegt in dieser Behauptung eine Kontradiktion. Es ist ja bereits aufgezeigt worden, daß jede Wirkung von ihrer Ursache einfach dadurch abhängig ist, daß sie Ursache für diese ist. Redet man also von etwas, »das keinen Erhalt durch Gott benötigt«, so ist damit ausgesagt, daß es nicht von Gott erschaffen worden ist. Redet man davon, daß »Gott eben dieses auch bestehen läßt«, so ist damit sein Erschaffensein ausgesagt. Wenn Gott etwas bestehen lassen könnte, das nicht von ihm erschaffen worden ist, dann würde dies genauso eine Kontradiktion einschließen, wie wenn man behauptete, daß Gott etwas bestehen lassen könnte, das keinen Erhalt durch Gott benötigt. Daher treffen beide Behauptungen auf Gott gleichermaßen nicht zu. Zu 1. Wenn ›erschaffen‹ so viel bedeutet wie ›etwas verursachen‹, und wenn nur dasjenige keinen Erhalt durch anderes nötig hat, was ohne Ursache ist, dann ist es offensichtlich bedeutender, keinen Erhalt durch anderes nötig zu haben als zu erschaffen. Es ist ja auch bedeutender, ohne Ursache zu sein als Ursache [für anderes] zu sein. Zudem trifft es überhaupt nicht zu, daß das Erschaffene ein Schöp-

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Quaestio · 5

fungsvermögen erhalten kann, da das Erschaffen eine Tätigkeit der ersten Ursache ist. Dies ist bereits in einer anderen Untersuchung ausgeführt worden.30 Zu 2. Zwar kann unser Denken die Schöpfung unter Absehung von Gott verstehen. Es ist jedoch denkunmöglich, daß die Schöpfung nicht durch Gott am Sein erhalten wird. Dies beinhaltet ja, wie gesagt, eine Kontradiktion von der Art, daß die Schöpfung nicht von Gott erschaffen worden ist. Zu 3. Gleichheit [mit dem Urbild] ist nicht schlechthin der Wesenszug eines jedes Abbildes, sondern nur der Wesenszug des vollkommenen Abbildes. Ein solches Abbild Gottes ist nichts Kreatürliches, sondern der Sohn. Daher ist dieses Argument nicht stichhaltig. Zu 4. Die Antwort hierzu erhellt aus dem, was im vorigen ausgeführt worden ist.

3. Artik el Die dritte Frage lautet: Kann Gott die Schöpfung wieder zunichte machen?31 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Augustinus bemerkt in seinem Buch der 83 Fragen, daß Gott unmöglich die Ursache für ein Streben ins Nichtsein ist.32 Dem wäre aber so, wenn er die Schöpfung zunichte machen würde. Demnach kann Gott die Schöpfung nicht wieder zunichte machen. 2. Die vergänglichen Geschöpfe, welche ein unbeständigeres Sein haben als die übrigen Geschöpfe, verlieren ihr Sein nur infolge des Wirkens einer Ursache. So erlischt etwa auch ein Feuer infolge einer Gegenwirkung. Erst recht können also die übrigen Geschöpfe ihr Sein nur infolge einer Einwirkung verlieren. Wenn demnach Gott ein Geschöpf zunichte machen wollte, dann könnte dies nur in Form 30 Vgl. De pot. q. 3 a. 5. 31 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 104 a. 9; q. 9 a. 2. De ver. q. 5 a. 2 ad 6.

Quodl. IV, q. 3 a. 1. 32 Augustinus, De diversis quaestionibus LXXXIII, q. 21 (CCSL 44 A, 26).

3. Artikel

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eines Einwirkens geschehen. In Form eines Einwirkens ist aber nun so etwas unmöglich. Denn wie jedes Wirken seinen Ausgang nimmt von einem wirklich Seienden, so findet es sein Ziel in einem wirklich Seienden. Denn das Hervorgebrachte ist zwangsläufig dem Hervorbringenden ähnlich. Dasjenige Wirken, durch das ein wirklich Seiendes zustande gebracht wird, bringt aber überhaupt nichts Nichtiges hervor. Folglich kann Gott überhaupt nichts zunichte machen. 3. Jedes akzidentelle Geschehen läßt sich zurückführen auf das, was eigentlich geschehen soll. Nun ist das Wirken einer Ursache allenfalls in akzidenteller Weise für einen Mangel und für das Vergehen verantwortlich. Denn alles wirkt nach Dionysius33 nur, indem es nach dem Guten strebt. Wenn daher ein Feuer das Wasser verdampfen läßt, dann versucht es nicht, dem Wasser seine Form zu benehmen; es ist vielmehr bestrebt, seine eigene Form der Materie aufzuprägen. Mithin kann keine Ursache einen Mangel hervorbringen, ohne daß sie zugleich irgendeine Vollkommenheit hervorbringt. Wo aber eine Vollkommenheit hervorgebracht wird, da erfolgt keine Vernichtung. Folglich kann Gott nichts zunichte machen. 4. Alles wirkt nur aufgrund eines Zieles. Denn das Ziel versetzt dasjenige in Bewegung, was eine Wirkung ausübt. Das Ziel des göttlichen Wirkens ist aber seine Güte. Dies gilt nun durchaus für die Hervorbringung der Dinge, bei der die Dinge ihre Ähnlichkeit mit Gottes Gutsein erhalten, nicht aber für ihre Vernichtung. Denn hierbei würde das Vernichtete vollständig seine Ähnlichkeit mit Gott verlieren. Folglich kann Gott nichts zunichte machen. 5. Solange eine Ursache Bestand hat, bleibt zwangsläufig auch das von ihr Verursachte bestehen. Wäre dies nicht zwangsläufig so, dann könnte während des Bestehens der Ursache das Verursachte sein oder auch nicht sein. Somit wäre noch etwas erforderlich, was für das Sein des Verursachten verantwortlich wäre. Mithin würde die Ursache nicht zureichen für das Sein des Verursachten. Nun ist aber Gott die zureichende Ursache der Dinge. Also werden die Dinge mit Notwendigkeit am Sein bleiben, solange Gott ist. Nun ist es aber für Gott unmöglich, daß er nicht am Sein bleibt. Folglich kann Gott die Schöpfung nicht wieder zunichte machen. 33 Dionysius Areopagita, De div nom. IV, 10 (Dion. I, 200).

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6. Man könnte nun einwenden, daß Gott nicht die wirkliche Ursache dafür ist, wenn die Geschöpfe zunichte werden. – Dem kann man entgegenhalten: Gottes Wirken ist sein Sein. Daher betont auch Augustinus, daß wir nur sind, insofern Gott ist.34 Gott kommt aber sein Sein niemals akzidentell zu. Also wird er bei seinem Wirken nie sein Sein verlieren. Mithin wird er immer die wirkliche Ursache sein. 7. Gott kann unmöglich etwas geschehen lassen, was den allgemein gültigen Ansichten widerspricht, so z. B., daß das Ganze nicht größer wäre als eines seiner Teile. Nun ist es für die einsichtigen Leute eine allgemein gültige Ansicht, daß die vernunftbegabten Seelen immerwährend sind. Folglich kann Gott es nicht geschehen lassen, daß sie zunichte werden. 8. Averroes sagt in seinem Metaphysik-Kommentar,35 daß das, was von Haus aus sein oder auch nicht sein kann, keine Seinsnotwendigkeit von anderer Seite erreichen kann. Folglich besteht bei all den Geschöpfen, die ein notwendiges Sein haben, nicht die Möglichkeit, zu sein oder auch nicht zu sein. Von dieser Art ist alles Unvergängliche, so z. B. die unkörperlichen Substanzen und die Himmelskörper. Mithin besteht bei keinem von ihnen die Möglichkeit, daß sie nicht sind. Wenn also Gott ihnen sein Wirken entziehen würde und sie sich selbst überlassen blieben, dann würden sie keineswegs ins Nichts fallen. Somit kann Gott sie offensichtlich nicht zunichte machen. 9. Das, was an etwas zur Entfaltung kommt, benimmt dem, woran es zur Entfaltung kommt, keine seiner Möglichkeiten, sondern vervollständigt sie vielmehr. Wenn es also etwas gibt, bei dem die Möglichkeit seines Nichtseins besteht, so kann nichts, was an ihm zur Entfaltung kommt, ihm diese seine Möglichkeit benehmen. Folglich kann das, bei dem von Haus aus die Möglichkeit seines Nichtseins besteht, keine Seinsnotwendigkeit von anderer Seite erhalten. 10. Das, worin sich die Dinge gattungsmäßig voneinander unterscheiden, gehört zum Wesen einer Sache. Denn die Gattung ist Teil 34 Augustinus, De doctrina christiana I, 32 (CCSL 32, 26). 35 Averroes, In XII Met. com. 11 (Aristotelis opera cum Averrois com-

mentaria, Vol. VIII, fol. 297 r D–297 v K).

3. Artikel

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einer Definition. Im Hinblick auf Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit unterscheiden sich nun die Dinge gattungsmäßig, wie aus dem 10. Buch der Metaphysik erhellt.36 Mithin gehören die Allzeitigkeit und Unvergänglichkeit zum Wesen einer Sache. Nun kann aber Gott einem Ding nicht das nehmen, was zu seinem Wesen gehört. Er kann es ja nicht geschehen lassen, daß ein Mensch kein Lebewesen und doch weiterhin Mensch wäre. Folglich kann er den unvergänglichen Dinge nicht ihre Allzeitigkeit benehmen und damit kann er sie auch nicht zunichte machen. 11. Vergängliches kann niemals dazu gebracht werden, seiner Natur nach unvergänglich zu werden. Denn die Unvergänglichkeit der auferstandenen Körper ist keine Gabe der Natur, sondern das Geschenk ihrer Verherrlichung. Dies ist deswegen so, weil sich, wie gesagt, das Vergängliche und das Unvergängliche gattungsmäßig voneinander unterscheiden. Wenn aber das, was von Haus aus auch nicht sein kann, eine Seinsnotwendigkeit von anderer Seite erhalten könnte, dann könnte das Vergängliche zu etwas Unvergänglichem gemacht werden.37 Folglich kann es unmöglich etwas geben, das von Haus aus auch nicht sein kann und das dann eine Seinsnotwendigkeit von anderer Seite erhalten könnte. Somit gilt hier das Gleiche wie vorhin. 12. Wenn die Geschöpfe Notwendigkeit nur dadurch haben, daß sie von Gott abhängen, und wenn sie von Gott dadurch abhängen, daß er ihre Ursache ist, dann verdankt sich diese ihre Notwendigkeit nur derjenigen Art von Ursächlichkeit, wie Gott Ursache für die Geschöpfe ist. Nun ist aber Gott die Ursache der Dinge nicht aus Notwendigkeit, sondern kraft seines Willens, wie in einer anderen Untersuchung bereits dargelegt worden ist.38 Notwendigkeit wird daher bei den Dingen auf eine Weise auftreten, wie sie bei dem vorherrscht, was willentlich verursacht wird. Das aber, was willentlich zustande kommt, ist nicht schlechthin und absolut notwendig, sondern bedingt notwendig, und zwar aufgrund der Tatsache, daß der 36 Aristoteles, Met. X, 10; 1056 b 26 ff. 37 in corruptibiltatem mutari posset M : in incorruptibiltatem mutari

posset L. 38 Vgl. De pot. q. 3 a. 15.

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Wille nicht notwendig auf eine einzige Wirkung festgelegt ist. Es läßt sich dann der Schluß ziehen, daß bei den Dingen nichts absolut notwendig ist, sondern nur unter bestimmten Bedingungen. Mit Notwendigkeit bewegt sich dann etwa Sokrates unter der Bedingung, daß er läuft, und mit Notwendigkeit geht er dann spazieren, wenn er es will und wenn er daran nicht gehindert wird. Daraus läßt sich offenbar folgern, daß es unter den Geschöpfen nichts gibt, was schlechthin unvergänglich wäre, und daß vielmehr alles vergänglich ist. Ein solcher Schluß ist aber unhaltbar. 13. Wie Gott das höchste Gut ist, so ist er auch das vollkommenste Seiende. Insofern er nun das höchste Gut ist, so kann er nicht die Ursache des sündhaften Übels sein. Insofern er das vollkommenste Seiende ist, so kann er nicht die Ursache für eine Vernichtung der Dinge sein. 14. Augustinus sagt: Gott ist in so hohem Maße gut, daß er niemals ein Übel zulassen würde, wenn er nicht in so hohem Maße das Vermögen hätte, aus jedem Übel etwas Gutes zu erwecken.39 Wenn aber die Geschöpfe zunichte gemacht würden, dann ließe sich daraus nichts Gutes erwecken. Folglich kann Gott es nicht zulassen, daß die Geschöpfe ins Nichts fallen. 15. Der Abstand vom Sein zum Nichts ist nicht kleiner als derjenige vom Nichts zum Sein. Dazu, daß etwas vom Nichts zum Sein gebracht wird, gehört nun wegen ihres unendlichen Abstandes eine unendliche Kraft. Es braucht also auch eine unendliche Kraft, um etwas vom Sein ins Nichts zu bringen. Kein Geschöpf hat aber eine unendliche Kraft. Ohne Gottes Wirken kann demnach kein Geschöpf ins Nichts gebracht werden. Vorhin wurde jedoch festgestellt, daß Gott nur auf diese Weise, d. h. durch den Entzug seines Wirkens, die Dinge zunichte machen kann. Folglich kann Gott in keiner Weise seine Geschöpfe zunichte machen. dagegen spricht: 1. Origenes sagt in Über die Prinzipien: »Ein Geschenk kann auch wieder weg- und zurückgenommen werden«.40 Nun ist aber 39 Augustinus, Ench. III, 11 (CCSL 46, 53). 40 Origenes, De principiis II, 9 (SC 252, 354).

3. Artikel

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das Sein den Geschöpfen von Gott geschenkt worden. Also kann es ihnen auch wieder genommen werden. Somit kann Gott die Schöpfung wieder zunichte machen. 2. Das, was vom schlichten Willen Gottes abhängt, kann ebensogut zergehen, wenn dies Gottes schlichter Wille ist. Nun hängt das Sein der Schöpfung ganz vom schlichten Willen Gottes ab. Denn Gott ist die Ursache der Dinge, weil er dies gewollt hat, und nicht, weil dies wesensnotwendig für ihn wäre. Wenn es also Gottes Wille ist, dann können die Geschöpfe zunichte werden. 3. Gott ist den Dingen genausowenig vor wie nach dem Beginn ihres Daseins etwas schuldig. Vor dem Beginn ihres Dasein hätte Gott, ohne dabei etwas von seiner Güte einzubüßen, davon Abstand nehmen können, den Geschöpfen ihr Sein zu verleihen. Denn seine Güte ist in keiner Hinsicht von einem Geschöpf abhängig. Folglich kann Gott sein Wirken den erschaffenen Dingen entziehen, ohne etwas von seiner Güte einzubüßen. Geschähe dies, dann würden die Geschöpfe zunichte werden, wie im letzten Artikel gezeigt worden ist. Demnach kann Gott die Dinge wieder zunichte machen. 4. Wie oben dargelegt,41 bringt Gott mit ein und demselben Wirken die Dinge ins Sein und erhält sie am Sein. Nun hätte es Gott durchaus vermocht, die Dinge nicht ins Sein zu bringen. Aus demselben Grund vermag er sie also auch zunichte zu machen. antwort: Angesichts der von Gott erschaffenen Dinge kann man von einer Möglichkeit in zweifacher Weise reden. Einerseits im Sinne eines Vermögens, das ausschließlich der Verursacher sein eigen nennt. So war ja etwa vor der Entstehung der Welt ihr künftiges Entstehen möglich, und dies lag nicht an einer Möglichkeit, die in der Schöpfung beschlossen lag – diese gab es noch gar nicht –, sondern dies lag an Gottes Vermögen, dem es ja möglich war, die Welt ins Sein zu bringen. Andererseits redet man von einem Möglichsein im Sinne einer Möglichkeit, die in den erschaffenen Dingen liegt. So liegt es etwa in der Möglichkeit eines zusammengesetzten Körpers, zu vergehen. 41 Vgl. De pot. q. 5 a. 1.

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Wenn wir also angesichts des Geschaffenen von der Möglichkeit seines Nichtseins reden, dann gibt es hierzu zwei Standpunkte. Avicenna war nämlich der Ansicht, daß mit Ausnahme von Gott ein jedes Ding von Haus aus sein oder auch nicht sein kann.42 Da nämlich bei allem Erschaffenen das Sein nicht zu seinem Wesen gehört, so gehört zur Natur des Erschaffenen, für sich genommen, die Möglichkeit seines Seins. Das Erschaffene besitzt aber keine Seinsnotwendigkeit, es sei denn durch etwas, dessen Wesen sein Sein ist und das mithin an sich notwendig ist – durch Gott. Averroes aber behauptet das Gegenteil, nämlich daß bestimmte Dinge erschaffen wurden, die ihrem Wesen nach nicht die Möglichkeit ihres Nichtseins in sich bergen.43 Denn das, was seinem Wesen nach die Möglichkeit seines Nichtseins in sich birgt, kann nicht durch äußere Einwirkung zum allzeitigen Dasein gebracht werden, so daß es dann von seiner eigenen Natur her immerwährend wäre. Diese Ansicht ist offensichtlich vernünftiger. Denn die Möglichkeit, daß etwas sein oder auch nicht sein kann, liegt ausschließlich an der Materie, die ja bloßes Möglichsein ist. Denn da die Materie nicht ohne Form sein kann, so kann sie auch nicht die Möglichkeit zu einem Nichtsein in sich bergen, es sei denn in der Hinsicht, daß sie mit einer Form ausgestattet ist und dabei die Möglichkeit hat, eine andere Form anzunehmen. In zweifacher Weise kann es also so sein, daß ein Ding von seinem Wesen her die Möglichkeit seines Nichtseins ausschließt. Zum einen ist dies so, wenn dieses Ding eine reine Form darstellt, die in sich selbst ihr Sein hat, wie z. B. die körperlosen Substanzen, die völlig frei von Materie sind. Wenn nämlich bei den stofflichen Dingen die Form das Prinzip ihres Seins darstellt – und zwar dadurch, daß sie an der Materie auftritt –, dann ist ein Nichtsein der stofflichen Dinge nur möglich infolge einer Abtrennung der Form [von der Materie]. Wenn aber eine Form ihr Sein in sich selbst hat, dann ist ihr Nichtsein ganz unmöglich, da ja ihr Sein nicht von ihr abgetrennt werden kann. – Zum anderen ist dies so, wenn in einer Materie nicht 42 Avicenna, Met. VIII, 6 (Avicenna latinus 4, ed. Van Riet, 412–422). 43 Averroes, In XII Met. com. 41 (Aristotelis opera cum Averrois com-

mentaria, Vol. VIII, fol. 324 v L–325 v M).

3. Artikel

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die Möglichkeit zu einer weiteren Form liegt, sondern ihre Möglichkeit ganz in einer einzigen Form aufgeht. Dies gilt etwa für die Himmelskörper, an denen keine gegensätzlichen Formen auftreten. Demnach weisen nur diejenigen Dinge ihrem Wesen nach die Möglichkeit ihres Nichtseins auf, deren Materie Gegensätzen unterworfen ist. Den übrigen Dingen kommt aber ihrem Wesen nach eine Seinsnotwendigkeit zu, da ihr Wesen die Möglichkeit ihres Nichtseins ausschließt. Gleichwohl ist damit nicht in Abrede gestellt, daß sie ihre Seinsnotwendigkeit Gott verdanken. Denn das eine Notwendige kann Ursache für ein anderes Notwendiges sein, wie es im 5. Buch der Metaphysik heißt.44 Die Ursache für ein kreatürliches Wesen, das über ein allzeitiges Dasein verfügt, ist ja Gott. Bei denjenigen Dingen, die die Möglichkeit ihres Nichtseins in sich bergen, überdauert die Materie. Wie aber die Formen bei der Entstehung der Dinge aus dem Möglichsein in die Wirklichkeit überführt werden, so werden sie beim Vergehen der Dinge aus ihrem Wirklichsein wieder in ihr Möglichsein gebracht. Somit wird der Schluß unumgänglich, daß es innerhalb der gesamten erschaffenen Natur nicht ein einziges Vermögen gibt, durch das es einem Ding möglich wäre, ins Nichts überzugehen. Wenn wir uns nun dem Vermögen Gottes als des Schöpfers zuwenden, dann ist hier zu bedenken, daß man in zweifacher Weise von einer Unmöglichkeit sprechen kann, die Gott betrifft: zum einen in dem Sinne, daß etwas an sich unmöglich ist, da es an sich nicht Gegenstand eines Vermögens werden kann, wie z. B. Dinge, die eine Kontradiktion beinhalten; zum anderen in dem Sinne, daß etwas Unmögliches den Gegensatz zu etwas Notwendigem bildet. Dieser Gegensatz kann bei einem Wirkenden in zweifacher Weise auftreten. Einerseits bei einer natürlichen wirkenden Kraft, die ausschließlich auf ein Ziel hin angelegt ist, wie z. B. die Kraft der Hitze auf die Erwärmung hin. In diesem Sinne zeugt Gottvater notwendig den Sohn und kann ihn unmöglich nicht zeugen. Andererseits ist dies der Fall bei dem letzten Ziel, nach dem ein Ding mit Notwendigkeit strebt. So will z. B. der Mensch mit Notwendigkeit sein Glück und will unmöglich sein Unglück. Genauso will Gott mit Notwen44 Aristoteles, Met. V, 5; 1015 b 9 ff.

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digkeit seine Gutheit, und es ist ihm unmöglich, das zu wollen, was mit seiner Gutheit unvereinbar ist. Ebenso sprechen wir davon, daß es Gott unmöglich ist, zu lügen bzw. lügen zu wollen. Das schlichte Nichtsein der Schöpfung ist jedoch nicht an sich unmöglich, so als ob dies eine Kontradiktion beinhalten würde – ansonsten wäre sie ja von Ewigkeit an da. Dies hat seinen Grund darin, daß die Schöpfung nicht ihr Sein ist. Sonst wäre in dem Satz »Die Schöpfung ist überhaupt nicht« das Gegenteil zu einem Prädikat impliziert, welches zur Definition von ›Schöpfung‹ gehört, wie dies etwa in dem Satz »Der Mensch ist nicht ein vernunftbegabtes Lebewesen« der Fall ist. Sachverhalte von dieser Art beinhalten eine Kontradiktion und sind an sich unmöglich. Ebensowenig bringt Gott die Schöpfung aus einer Notwendigkeit hervor, die mit seinem Wesen verbunden wäre; sonst wäre Gottes Vermögen auf das Sein der Schöpfung festgelegt. Dies ist bereits in einer anderen Untersuchung erörtert worden.45 Genausowenig hängt Gottes Güte von seiner Schöpfung ab. Sonst würde seine Güte mit der Schöpfung stehen und fallen. Die Schöpfung fügt aber der Güte Gottes nichts hinzu. Dies läßt also den Schluß zu, daß es Gott nicht unmöglich ist, die Dinge wieder ins Nichts zu bringen, da er ihnen nicht mit Notwendigkeit ihr Sein verleihen muß, es sei denn, er hätte es so verfügt und vorgesehen. Denn dann hätte er es verfügt und vorgesehen, daß die Dinge auf immer am Sein bleiben werden. Zu 1. Wenn Gott die Schöpfung wieder ins Nichts brächte, dann wäre er dabei nicht die Ursache für ihr Streben ins Nichtsein. Dieses Streben würde ja nicht dadurch eintreten, daß er an den Dingen ihr Nichtsein verursachen würde, sondern dadurch, daß er davon Abstand nähme, den Dingen ihr Sein zu verleihen. Zu 2. Die vergänglichen Dinge verlieren ihr Sein dadurch, daß ihre Materie jeweils eine andere Form annimmt, mit der ihre vorhergehende Form unvereinbar ist. Deswegen braucht es für ihr Vergehen eine bestimmte Wirkkraft, mit der die neue Form aus dem Möglichsein in die Wirklichkeit überführt wird. Wenn aber Gott die Dinge ins Nichts brächte, dann wäre hierzu kein Wirken nötig, 45 Vgl. De pot. q. 3 a. 15.

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sondern er müßte nur Abstand von dem Wirken nehmen, mit dem er den Dingen ihr Sein verleiht. Genauso verursacht ja das Verschwinden der Leuchtkraft der Sonne das Ausbleiben des Lichtes in der Luft. Zu 3. Das Argument wäre stichhaltig, wenn Gott durch ein Wirken die Dinge zunichte machen könnte, was jedoch nicht der Fall ist. Er tut dies, wie gesagt, vielmehr dadurch, daß er von seiner Tätigkeit abläßt. Zu 4. Wo kein Wirken stattfindet, da ist kein Ziel erforderlich. Weil aber ein Ablassen von einem Wirken bei Gott nur willentlich, also nur zielbewußt, zustande kommen kann, so müßte sich bei einer Vernichtung der Dinge ein Ziel ausfindig machen lassen. So liegt ja auch bei der Erschaffung der Dinge das Ziel darin, daß die Fülle der göttlichen Güte offenbar werde. Dementsprechend kann bei einer Vernichtung der Dinge das Ziel in der Selbstgenügsamkeit der göttlichen Güte liegen, die sich insofern selbst genügt, als sie nichts außerhalb ihrer selbst bedarf. Zu 5. Eine Wirkung resultiert aus ihrer Ursache, und dies wiederum ist abhängig von der Art der Ursache. Daher gehen die Wirkungen, die willentlich zustande kommen, dann aus dem Willen hervor, sobald der Wille sich dafür entschieden hat, sie hervorgehen zu lassen. Sie gehen jedoch nicht mit Notwendigkeit hervor, sobald nur der Wille dazu da ist. Weil nämlich die Schöpfung aus Gott willentlich hervorgeht, so hat sie nur dann ihr Sein, wenn es auch Gottes Wille ist. Sie hat aber nicht notwendig ihr Sein, sobald Gott nur den Willen dazu hat. Ansonsten wäre sie von Ewigkeit an dagewesen. Zu 6. Beim Wirken Gottes, mit dem er die Dinge hervorbringt, ist Zweierlei zu beachten: das Sein dieses Wirkens als solches und seine Ausrichtung auf ein Ergebnis. Da das Sein dieses Wirkens mit Gottes Wesen identisch ist, ist es ewig und kann unmöglich nicht sein. Dagegen hängt die Ausrichtung auf ein Ergebnis von Gottes Willen ab. Denn durch das Wirken eines Hervorbringenden kommt ein Ergebnis nur insoweit zustande, als dafür noch ein Prinzip für dieses Wirken erforderlich ist. So bemißt sich ja die Wärmeleistung eines Feuers nach dem Grad seiner Hitze. Wenn daher der Wille das Prinzip für das von Gott Erschaffene ist, so bemißt sich in Gottes

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Wirken die Ausrichtung auf ein Ergebnis danach, daß sich der Wille dafür entscheidet. Obgleich daher Gottes Wirken seinem Sein nach nicht aufhören kann, so könnte doch die Ausrichtung auf ein Ergebnis ausbleiben, wenn Gott dies wollte. Zu 7. Eine allgemein gültige Ansicht nennt man das, dessen Gegenteil eine Kontradiktion beinhaltet, z. B. die Ansicht, daß jedes Ganze größer ist als eines seiner Teile. Denn es widerspricht dem Begriff des Ganzen, daß es nicht größer ist als eines seiner Teile. Wie aus dem bereits Besprochenen erhellt, ist es jedoch keine allgemein gültige Ansicht, daß eine vernunftbegabte Seele ihr Sein verliert. Vielmehr ist es eine allgemein gültige Ansicht, daß das Wesen einer vernunftbegabten Seele unvergänglich ist. Wenn aber Gott eine vernunftbegabte Seele ins Nichts brächte, dann wäre dafür, wie bereits ausgeführt, nicht ein Vermögen zum Nichtsein verantwortlich, welches im Wesen einer vernunftbegabten Seele läge. Zu 8. Dasjenige, das seinem Wesen nach die Möglichkeit seines Nichtseins aufweist, kann nicht von anderer Seite eine Seinsnotwendigkeit erhalten, die ihm dann wesensmäßig zukäme. Dies würde ja die Kontradiktion beinhalten, daß sein Wesen die Möglichkeit des Nichtseins und zugleich eine Seinsnotwendigkeit aufweist. Daß aber etwas durch Gnade bzw. in der Herrlichkeit Unvergänglichkeit verliehen bekommt, bleibt davon unberührt. So war ja auch der Körper Adams in gewisser Weise unvergänglich durch das Gnadengeschenk der Unschuld, und so werden die Körper der Auferstandenen in der Herrlichkeit unvergänglich sein kraft des Vermögens ihrer Seelen, in ihrem Ursprung stehen zu können. Gleichwohl ist damit nicht ausgeschlossen, daß ein Wesen, das die Unmöglichkeit seines Nichtseins in sich birgt, seine Seinsnotwendigkeit von anderer Seite erhielte. Denn das, was es an Vollkommenheit aufweist, hat es von anderer Seite. Wenn daher das Wirken seiner Ursache aussetzen würde, so ginge es zugrunde, und zwar nicht wegen seines eigenen Vermögens zum Nichtsein, sondern wegen Gottes Vermögen, das Sein nicht mehr zu verleihen. Zu 9. Für diejenigen Dinge, die ihrem Wesen nach unvergänglich sind, läßt sich nicht zunächst die Möglichkeit ihres Nichtseins annehmen, welche dann, wie das Argument will, durch etwas aufgehoben würde, was Gott an diesen Dingen zur Entfaltung bringt. Dies

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erhellt aus dem bereits Ausgeführten. Doch diejenigen Dinge, die aus Gnade unvergänglich sind, bergen ihrem Wesen nach weiterhin die Möglichkeit ihres Nichtseins; diese wird aber durch Gottes Kraft aus Gnade völlig zurückgedrängt. Zu 10. Wenn Gott die unvergänglichen Geschöpfe wieder zunichte machen würde, indem er von ihrem Erhalt Abstand nähme, dann würde er damit nicht bloß die immerwährenden Wesen aus der Natur entfernen, so daß dann gleichsam die Wesen zurückblieben, die nicht immerwährend sind. Vielmehr würde die Natur als Ganzes zugrunde gehen, wenn der Einfluß ihrer Ursache ausbliebe. Zu 11. Das, was von seinem Wesen her vergänglich ist, kann nicht dazu gebracht werden, nun von seinem Wesen her unvergänglich zu werden. Umgekehrt gilt das Gleiche. Gleichwohl kann das, was seinem Wesen nach vergänglich ist, ewig werden, wenn die Herrlichkeit über es kommt. Dessen ungeachtet braucht man nicht anzunehmen, daß dann manches Vergängliche von seinem Wesen her unvergänglich würde. Denn es würde sein Sein verlieren, wenn das Wirken seiner Ursache aufhörte. Zu 12. Zwar sind die unvergänglichen Geschöpfe von Gottes Willen abhängig, der ihnen ihr Sein gewähren kann oder auch nicht. Gleichwohl erreichen sie kraft des göttlichen Willens eine absolute Seinsnotwendigkeit, insofern sie als Wesen erschaffen werden, die nicht die Möglichkeit ihres Nichtseins in sich bergen. Denn, so sagt Hilarius in De Synodis, alle Geschöpfe sind so, wie Gott sie haben wollte.46 Zu 13. Zwar kann Gott die Schöpfung wieder zunichte machen. Jedoch kann er unmöglich nicht die Ursache für sie sein, solange sie Bestand hat. Ursache ist er aber sowohl im Sinne ihrer Wirkursache wie auch ihrer Zielursache. Wie also Gott nicht in der Lage ist, die im Sein stehende Schöpfung nicht von sich stammen zu lassen, so ist er auch nicht in der Lage, sie nicht auf seine Güte hingeordnet sein zu lassen. Wenn daher das Übel der Sünde die Ordnung, deren Ziel Gott selbst ist, dadurch untergräbt, daß es eine Abkehr vom unwandelbaren Guten bedeutet, dann kann Gott nicht die Ursache für das Übel der Sünde sein. Gleichwohl kann Gott die Ursache für die 46 Hilarius, De synodis seu de fide orientalium 58 (PL 10, col. 520).

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Vernichtung der Schöpfung sein, sobald er völlig von ihrem Erhalt Abstand nimmt. Zu 14. Augustinus spricht hier vom Übel der Sünde. Selbst wenn er hier vom Übel redete, das als Strafe auferlegt wird, so ist doch die Vernichtung der Dinge kein Übel. Denn jedes Übel gründet in etwas Gutem, da es eine Privation darstellt, so Augustinus.47 Wie daher vor der Erschaffung der Dinge kein Übel bestand, so würde es auch kein Übel darstellen, wenn Gott alles vernichtete. Zu 15. Kein Geschöpf hat die Kraft, etwas aus dem Nichts zu erschaffen oder etwas wieder ins Nichts fallen zu lassen. Wenn aber die Schöpfung wieder ins Nichts fiele, sobald ihr Erhalt durch Gott ausbliebe, dann geschähe dies nicht aufgrund eines bestimmten kreatürlichen Wirkens der Schöpfung, sondern dadurch, daß sie keine Kraft mehr hätte. Dies ist durch das oben Ausgeführte klar.

4. Artik el Die vierte Frage lautet: Gibt es ein bestimmtes Geschöpf, das wieder zunichte gemacht werden kann bzw. zunichte gemacht wird? 48 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Wie eine begrenzte Kraft nicht eine unbegrenzte Zeit lang etwas in Bewegung versetzen kann, so kann auch infolge einer begrenzten Kraft nichts für eine unbegrenzte Zeit Bestand haben. Nun ist aber jede körperhafte Kraft begrenzt, wie im 8. Buch der Physik nachgewiesen wird.49 Folglich besitzt kein Körper die Kraft, eine unbegrenzte Zeit lang andauern zu können. Nun gibt es aber Körper, die, wie z. B. die Himmelkörper, nicht dem Vergehen unterliegen, weil an ihnen keine Gegensätze auftreten. Demnach werden sie notwendigerweise irgendwann einmal zunichte gemacht. 2. Das, was für die Erreichung eines Ziels dienlich ist, braucht man nicht mehr, hat man einmal dieses Ziel erreicht. Beispiel da47 Augustinus, Ench. III, 11 (CCSL 46, 53). 48 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 104 a. 4; a. 65 a. 1 ad 1. De pot. q. 5 a.

9 ad 1. 49 Aristoteles, Phys. VIII, 10; 266 a 20 ff.

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für ist ein Schiff, das man für eine Fahrt übers Meer benötigt, jedoch nicht mehr nach Beendigung der Fahrt. Nun sind aber die körperhaften Geschöpfe um der geistigen Geschöpfe willen erschaffen worden, auf daß sie diesen bei der Erreichung ihres Zieles dienlich sind. Sobald also die geistigen Geschöpfe an ihrem letzten Ziel angelangt sind, werden sie die körperhaften Geschöpfe nicht mehr brauchen. Da aber an Gottes Werken nichts überflüssig ist, so werden offensichtlich im letzten Ziel der Dinge alle körperhaften Geschöpfe vergehen. 3. Kein Akzidens ist unendlich. Nun ist das Sein für jedes Geschöpf akzidentell, wie Avicenna sagt.50 Darin sieht auch Hilarius den Unterschied zwischen Gott und seiner Schöpfung, wenn er sagt: »Das Sein ist Gott nicht akzidentell«.51 Demnach wird kein Geschöpf unendlich lange andauern, und somit werden alle Geschöpfe einst vergehen. 4. Ein Ende muß seine Entsprechung in seinem Anfang haben. Nun nahm die Schöpfung so ihren Anfang, daß vor ihr nichts war außer Gott. Demnach erreicht die Schöpfung damit ihr Ende, daß überhaupt nichts mehr sein wird [außer Gott]. 5. Was nicht die Kraft besitzt, für immer dazusein, kann nicht unentwegt andauern. Nun hat das, was nicht immer schon dagewesen ist, nicht die Kraft, für immer dazusein. Folglich kann das, was nicht immer schon dagewesen ist, auch nicht unentwegt andauern. Die Schöpfung war aber nicht immer schon da. Folglich kann sie nicht unentwegt andauern. Somit wird sie einst zunichte. 6. Die Gerechtigkeit verlangt es, daß, wenn jemand ein Geschenk erhalten und angenommen hat, ihm dieses wieder genommen wird, wenn er sich als undankbar erweist. Nun erweist sich der Mensch durch die Todsünde als undankbar. Demnach verlangt es die Gerechtigkeit, daß ihm alle Wohltaten Gottes genommen werden, worunter auch das Sein selbst fällt. Gottes Gericht über die Sünder wird aber gerecht sein, wie der Apostel in Röm. 2, 2 sagt. Demnach werden sie zunichte gemacht werden.

50 Avicenna, Met. VIII, 4 (Avicenna latinus 4, ed. Van Riet, 397–404). 51 Hilarius, De trin. VII, 11 (CCSL 62, 271).

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7. Dazu paßt, was in Jer. 10, 24 steht: »Züchtige mich, o Herr, doch nur nach Gebühr, nicht aber in deinem Zorn, auf daß du mich nicht zunichte machest.« 8. Nun könnte man einwenden: Gott straft nie über Gebühr wegen seiner Barmherzigkeit, die bei Gottes Gericht mit seiner Gerechtigkeit einhergeht. Deswegen werden die Sünder nicht völlig von der Teilhabe an seinen Wohltaten ausgeschlossen. – Dem ist zu erwidern: Barmherzigkeit erweist man solchen Menschen nicht dadurch, daß man ihnen etwas gibt, bei dem es besser gewesen wäre, sie hätten es nicht bekommen. So wäre es für die in die Hölle Verdammten besser gewesen, überhaupt nicht zu sein als in dieser Lage zu sein. Dies erhellt aus dem, was in Mt. 26, 24 über Judas gesagt wird: »Es wäre besser gewesen, dieser Mensch wäre nie geboren worden.« Demnach kennzeichnet es nicht die Barmherzigkeit Gottes, daß er die Verdammten am Sein erhält. 9. Nach dem 3. Buch der Metaphysik vergeht dasjenige, das nicht aus einer Materie besteht, schlichtweg, d. h. zur Gänze, wenn es zu sein aufhört.52 Dies gilt etwa von den Akzidentien. Nun geschieht es des öfteren, daß das Sein der Akzidentien aufhört. Demnach wird Manches wieder zunichte. 10. Aristoteles führt im 6. Buch seiner Physik das Argument an, daß ein Kontinuum, würde es aus Unteilbarem bestehen, sich zwangsläufig in Unteilbares aufteilen lassen müßte.53 Dem kann man entnehmen, daß alles in das zerlegt werden kann, woraus es besteht. Nun besteht die gesamte Schöpfung aus dem Nichts. Folglich wird sie einst ins Nichts aufgelöst. 11. In 2 Petr. 3, 10 heißt es: »Die Himmel werden zusammenkrachen und vergehen«. Nun können sie aber bei ihrer Zerstörung nicht in einen anderen Körper umgewandelt werden, da an ihnen keine Gegensätze auftreten. Folglich werden sie zu Nichts zergehen. 12. Dasselbe ist gemeint, wenn es in Ps. 102, 26 heißt: »Das Werk deiner Hände sind die Himmel, sie werden vergehen«; und in Lk. 21, 33 heißt es: »Himmel und Erde werden vergehen.«

52 Aristoteles, Met. III, 5; 1002 a 12–14. 53 Aristoteles, Phys. VI, 1; 231 b 10 ff.

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dagegen spricht: In Koh. 1, 4 heißt es: »Die Erde bleibt ewig bestehen«. In Eccl. 3, 14 heißt es zudem: »Ich erkannte: Alles, was Gott tut, das bleibt in Ewigkeit bestehen.« Folglich fällt die Schöpfung nicht wieder ins Nichts zurück. antwort: Die Schöpfung in ihrer Gesamtheit wird niemals mehr zu Nichts zergehen. Zwar sind die vergänglichen Geschöpfe nicht immer schon dagewesen, doch sie werden in ihrer Substanz für immer bestehen bleiben. Freilich haben manche Autoren die Behauptung aufgestellt, daß alle vergänglichen Geschöpfe am Ende der Welt zu Nichts zergehen. Diese Ansicht wird Origenes zugeschrieben, der aber diese Ansicht offenbar nicht selbst vertreten hat, sondern hier nur die Meinung anderer wiedergibt. Eine Begründung unserer Ansicht können wir im Ausgang von zwei Punkten geben. [A.] Erstens im Ausgang vom göttlichen Willen, dem sich das Sein der Schöpfung verdankt. Zwar kann sich Gottes Wille, einmal für sich betrachtet, in einer bestimmten Weise oder auch anders zu seiner Schöpfung verhalten, insofern er ebensowenig an dies wie an das gebunden ist. Hat er aber einmal eine bestimmte Entscheidung54 getroffen, so hat er eine bestimmte Notwendigkeit an sich. Genauso erhält im kreatürlichen Bereich etwas, das sich einmal so oder auch anders verhalten kann, eine Notwendigkeit, sobald eine bestimmte Lage einmal eingetreten ist. So besteht etwa die Möglichkeit, daß Sokrates sitzt oder nicht sitzt. Doch wenn Sokrates einmal sitzt, ist es notwendig, daß er sitzt. Genauso kann Gottes Wille, soweit es an ihm liegt, etwas und dessen Gegenteil wollen, also z. B. die Erlösung von Petrus wollen oder auch nicht. Es ist ihm aber unmöglich, die Erlösung von Petrus nicht zu wollen, wenn er einmal die Erlösung von Petrus will. Da aber Gottes Wille unabänderlich ist, sobald es dazu kommt, daß er etwas will, so will er dies aufgrund seiner Entscheidung mit Notwendigkeit auf immer. Gleichwohl will er nicht

54 Übersetzung für »suppositio«.

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mit Notwendigkeit, daß es für immer bestehen bleibe, wenn er will, daß es zu einem bestimmten Zeitpunkt Bestand habe. Wer nun eine Sache rein um ihrer selbst willen will, will, daß diese für immer bestehen bleibt, und zwar gerade deswegen, weil er sie um ihrer selbst willen will. Denn das, was man zu einem Zeitpunkt bestehen lassen will und danach nicht mehr, will man zwecks der Vollbringung von etwas anderem. Nach dessen Vollbringung benötigt man dasjenige nicht mehr, was man wollte, um jenes andere zu vollbringen. Gott will aber die gesamte Schöpfung um ihrer selbst willen, auch wenn er sie um seiner selbst willen bestehen lassen will. Beides widerspricht sich nämlich nicht. Denn Gott will das Sein seiner Geschöpfe wegen seiner Güte, damit sie auf ihre Weise seiner Güte nacheifern und sie zum Vorschein bringen. Dies tun sie insofern, als sie dank seiner Güte ihr Sein haben und in ihrem jeweiligen Wesen Bestand haben. Daher läuft es auf dasselbe hinaus, wenn man sagt, daß Gott alles für sich erschaffen hat – wie etwa in Spr. 16, 4: »Alles schuf der Herr zu seinem Zweck« –, wie wenn man sagt, daß er die Schöpfung wegen ihres Seins hervorgebracht hat, wie in Weish. 1, 14: »Er hat alles erschaffen, auf daß es sei«. Gerade daraus also, daß Gott die Schöpfung hervorgebracht hat, wird klar, daß er sie für immer bestehen lassen wollte. Das Gegenteil davon wird wegen der Unabänderlichkeit seines Willens niemals eintreten. [B.] Zweitens können wir eine Begründung geben im Ausgang von der Natur der Dinge als solcher. Denn Gott hat ein jedes Wesen so angelegt, daß er ihm nicht dessen Eigentümlichkeit benimmt. Deswegen bemerkt die Glosse zu Röm. 11, 24,55 daß Gott, der der Schöpfer der Natur ist, nicht wider die Natur wirkt, selbst wenn er zur Unterstützung des Glaubens an dem Erschaffenen zuweilen etwas Übernatürliches bewirkt. Für die materielosen Dinge, an denen keine Gegensätze auftreten, ist es nun ein natürliches Merkmal, daß 55 Petrus Lombardus, Collectanea; In Romanos XI, 24 (PL 191, col. 1488 B). – Vgl. Röm. 11, 24: »Denn wenn du von dem wilden Ölbaum, zu dem du von Natur gehörst, abgeschnitten und wider die Natur auf den edlen Ölbaum aufgepfropft wurdest, wieviel leichter werden diese, die von Natur dahin gehören, dem eigenen Ölbaum aufgepfropft werden.«

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sie über ein immerwährendes Dasein verfügen. Denn sie bergen keine Möglichkeit ihres Nichtseins in sich, wie vorhin aufgezeigt worden ist. Wie Gott daher dem Feuer nicht dessen natürliche Eigenbewegung nach oben benimmt, so benimmt er auch nicht den besagten Dingen ihr immerwährendes Dasein, um sie dadurch wieder ins Nichts zu bringen. Zu 1. Zwar ist nach Averroes’ Metaphysik-Kommentar 56 jede Kraft, die ein Körper in sich birgt, begrenzt. Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, daß nun jeder beliebige Körper auch eine begrenzte Kraft in sich birgt, mit der er sein Sein sichert. Denn ein Körper, der aufgrund seiner Natur vergänglich ist, birgt gar nicht – weder in einem begrenzten noch in einem unbegrenzten Maß – die Kraft in sich, sein Sein sichern zu können. Er birgt vielmehr nur die Möglichkeit in sich, daß er bewegt werden kann. Diese Feststellung reicht jedoch noch nicht zur Lösung unseres Problems hin. Denn »sein können« versteht sich nicht nur im Sinne einer passiven Möglichkeit, welche von der Materie herrührt, sondern auch im Sinne einer aktiven Kraft, die sich einer Form verdankt.57 Eben diese aktive Kraft kann aber den unvergänglichen Dingen nicht abgehen. Die Kraft eines jeden Dinges, mit der es sein Sein sichert, hängt denn auch davon ab, in welchem Grad es geformt ist. Aus diesem Grund vertritt Aristoteles im 1. Buch von Über den Himmel die Ansicht, daß manche Dinge die Kraft und das Vermögen zu einem immerwährenden Dasein haben.58 Unser Problem muß man also auf andere Weise lösen, und zwar folgendermaßen: Aus der Tatsache, daß etwas von einer zeitlich unbegrenzten Dauer ist, läßt sich nicht folgern, daß es auch ein unendliches Sein hat. Dieser Schluß wäre nur anwendbar auf dasjenige, was sich entweder direkt nach der Zeit bemißt, also z. B. die 56 Averroes, In XII Metaphysicorum com. 41 (Aristotelis opera cum Averrois commentaria, Vol. VIII, fol. 323 v L–326 v M). 57 »Sein können« (potentia ad esse) meint also (1.) die »passive« Möglichkeit, ins Sein gelangen zu können, und (2.) die »aktive« Kraft eines bereits bestehenden Dinges, durch die es sein Fortbestehen sichert bzw. am Sein bleibt. 58 Aristoteles, De caelo I, 12; 281 b 22 ff.

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Bewegung, oder was sich akzidentell nach der Zeit bemißt, so z. B. das Sein derjenigen Dinge, die einer Bewegung unterliegen. Diese Dinge bleiben nur so lange bestehen, wie sie bewegt werden, danach jedoch nicht mehr. Das Sein eines Himmelskörpers bleibt jedoch in jeder Hinsicht davon unberührt: sowohl von der Zeit als auch von der Bewegung. Denn er unterliegt überhaupt keiner Veränderung. Von der Tatsache also, daß der Himmel von zeitlich unbegrenzter Dauer ist, läßt sich nicht auf ein unendliches Sein des Himmels schließen, mit der er völlig außerhalb des Zeitkontinuums zu stehen käme. Angesichts dieses Umstandes sprechen die Theologen davon, daß der Himmel sich nach der Weltzeit59 bemißt. Somit muß der Himmel keine unbegrenzte Kraft in sich bergen, um immerwährend sein zu können. Zu 2. Genauso wie ein Heeresteil einem andern Heeresteil und seinem Befehlshaber untergeordnet ist, so sind auch die körperhaften Geschöpfe dazu bestimmt, der Vervollkommnung der geistigen Geschöpfe dienlich zu sein und Gottes Güte zum Vorschein zu bringen. Letzteres werden sie immer tun, selbst wenn das erstere einmal aufhört. Zu 3. Spricht man vom substantiellen Sein, so ist mit diesem Sein kein Akzidens gemeint, das zur Gruppe der Akzidentien zählt, denn es ist ja die Wirklichkeit des Wesens. Man spricht hier vielmehr vergleichsweise von einem Akzidens, insofern das Sein genausowenig Teil des Wesens ist wie ein Akzidens. Aber auch wenn das Sein zur Gruppe den Akzidentien zählen würde, dann spräche nichts gegen seine unendliche Dauer. Denn die wesentlichen Akzidentien treten mit Notwendigkeit an ihren jeweiligen Substanzen auf. Daher spricht nichts dagegen, daß sie unentwegt an diesen Substanzen auftreten. Dagegen sind diejenigen Akzidentien, die in akzidenteller Weise an den Substanzen auftreten, ihrer Natur nach keineswegs von immerwährender Dauer. Ein Akzidens von dieser Art kann aber das substantielle Sein eines Dinges nicht sein, da es ja die Wirklichkeit seines Wesens ist. Zu 4. Bevor die Dinge waren, gab es noch kein Wesen, das sich durch ein immerwährendes Dasein auszeichnete. Anders war es 59 Übersetzung für »aevum«.

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nach der Erschaffung der Dinge, wo es solche Wesen dann gab. Zudem konnte es für eine Vervollkommnung der geistigen Geschöpfe nur gut sein, wenn die Dinge nicht schon immer dagewesen sind. Denn dadurch kommt deutlich zum Vorschein, daß Gott die Ursache der Dinge ist. Wenn jedoch alles wieder zunichte gemacht würde, ließe sich damit kein Sinn und Zweck verbinden. Daher sind hier Anfang und Ende nicht vergleichbar. Zu 5. Dasjenige, was für immer andauern wird, hat die Kraft, für immer zu sein. Diese Kraft hatte es aber nicht schon immer, und deshalb war es nicht schon immer da. Zu 6. Zwar könnte Gott gerechterweise einem Geschöpf, das sich gegen ihn versündigt, das Sein entziehen und es wieder ins Nichts fallen lassen. Doch paßt es besser zu Gottes Gerechtigkeit, wenn er ein solches Geschöpf zur Strafe am Sein beläßt, und dies aus zwei Gründen. Erstens hätte im ersten Fall die Gerechtigkeit keine Barmherzigkeit an sich, denn es gäbe dann nichts mehr, an dem noch Barmherzigkeit geübt werden könnte. In Ps. 14, 10 heißt es aber: »Alle Wege des Herrn sind Barmherzigkeit und Wahrheit«. Zweitens reagiert im zweiten Fall die Gerechtigkeit [welche ein Geschöpf zur Strafe am Sein beläßt] in angemessener Weise auf ein schuldhaftes Vergehen, und zwar in zweierlei Hinsicht. [a.] Zum einen ist es ja der Wille, der bei einem schuldhaften Vergehen gegen Gott handelt, nicht aber die Natur, die die ihr von Gott vorgegebene Ordnung einhält. Deshalb muß hier die Strafe so ausfallen, daß sie dem Willen zusetzt durch die Schädigung derjenigen Natur, welche der Wille [zu seinem Zweck] mißbraucht hat. Wenn jedoch dieses Geschöpf völlig ins Nichts fallen gelassen würde, dann würde allein die Natur zu Schanden, dem Willen hingegen würde nicht zugesetzt. [b.] Zum anderen besteht eine Sünde in Zweierlei: in der Abwendung vom unwandelbaren Guten und in der Hinwendung zu einem wandelbaren Gut, und diese Hinwendung bringt dabei jene Abwendung mit sich. Denn kein Sünder sucht die Abwendung von Gott, er sucht vielmehr den Genuß eines zeitlichen Gutes, bei dem ihm der Genuß Gottes gleichzeitig unmöglich wird. Wenn daher die schuldhafte Abwendung [vom unwandelbaren Guten] die Strafe der Verdammnis nach sich zieht, und wenn die schuldhafte Hin-

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wendung [zu einem wandelbaren Gut] in einer aktuellen Sünde die Strafe für die Sinne nach sich zieht, dann ist es angemessen, wenn die Strafe der Verdammnis nicht ohne eine Strafe für die Sinne erfolgt. Wenn jedoch dieses Geschöpf wieder ins Nichts fallen gelassen würde, dann wäre dies zwar die Strafe der ewigen Verdammnis, aber keine Strafe für die Sinne mehr. Zu 7. Wenn der Prophet hier von seiner Verurteilung spricht, dann verweist er auf die eben ausgeführte Folgerichtigkeit, Angemessenheit und Verfolgung von Strafe und Schuld. Denn der Zorn, von dem Abstand zu nehmen er Gott bittet, schließt eine mäßigende Barmherzigkeit aus. Zu 8. ›Besser‹ wird etwas entweder deswegen genannt, weil es ein größeres Gut mit sich bringt. In diesem Sinne ist es für einen Verdammten besser, zu sein als nicht zu sein. Oder aber es wird so genannt, weil hier ein Übel ausbleibt. Denn nach Aristoteles fällt auch das Ausbleiben eines Übels unter den Begriff des Guten.60 In diesem letzteren Sinn versteht sich das hier beigezogene Wort des Herrn [daß es nämlich für Judas besser gewesen wäre, nie geboren worden zu sein]. Zu 9. Zwar gehört die Materie nicht zu den Bestandteilen, aus denen sich die Formen und Akzidentien bilden. Doch aber treten die Formen und Akzidentien an einer Materie auf, aus deren Möglichsein sie in die Wirklichkeit gelangen. Wenn sie daher ihr Sein verlieren, so werden sie nicht gänzlich zunichte, sondern sie gehen, wie schon gesagt, wieder in ein materiales Möglichsein über. Zu 10. Wie die Schöpfung aus dem Nichts kommt, so könnte sie auch wieder ins Nichts fallen, wenn es Gott gefiele. Zu 11./12. Die hier angeführten Zeugnisse sind in dem Sinne zu verstehen, daß nicht die Substanz der Welt vergeht, sondern ihre Gestalt, wie der Apostel in 1 Kor. 7, 31 sagt.

60 Aristoteles, Eth. Nic. V, 8; 1135 a 15 ff.

5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Wird die Himmelsbewegung einmal aufhören? 61 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. In Gen. 8, 22 heißt es: »Solange die Erde besteht, sollen Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht mehr aufhören.« Für all das Angeführte ist aber die Himmelsbewegung verantwortlich. Folglich wird die Himmelsbewegung nicht aufhören, solange die Erde besteht. Die Erde aber »besteht auf ewig«, wie es in Koh. 1, 4 heißt. Folglich besteht auch die Himmelsbewegung auf ewig. 2. Man könnte nun einwenden: Hier ist die Erde gemeint, insofern sie dem Menschen in seiner gegenwärtigen Situation zu Diensten ist, in der der Mensch durch Anbau und Ernte den Ertrag aus ihr bezieht für seinen Lebensunterhalt. Hingegen ist hier nicht die Erde gemeint, die dem bereits verherrlichten Menschen zu Diensten ist und die von ewiger Dauer ist zur größeren Erbauung der Guten. – Dem ist mit Jer. 31, 35 f. zu erwidern: »So spricht der Herr, der die Sonne zum Tageslicht bestellte, der Mond und Sterne bestimmte zum Licht der Nacht, der das Meer aufwühlt, daß seine Wogen brausen; Herr der Heerscharen ist sein Name: ›Geraten jemals diese Ordnungen vor mir ins Wanken, dann hören auch Israels Nachkommen auf, vor mir ein Volk zu sein für alle Zeit‹.« Damit ist aber nicht das wirkliche Volk Israels gemeint, das ja wegen seiner Diaspora nicht als ein Volk bezeichnet werden kann. Es muß daher das geistige Israel gemeint sein, das erst dann ein Volk vor Gott sein wird, wenn es das Wesen Gottes schaut. Demnach werden im Stand der Seligkeit die besagten Ordnungen, die die Himmelsbewegung leiten, nicht zergehen, und mithin auch nicht die Himmelsbewegung. 3. Alles, was seine Notwendigkeit einem bereits Notwendigen verdankt, ist nach dem 2. Buch der Physik schlechthin notwendig.62 So ist etwa der Tod bei den Lebewesen notwendig, weil ihn die Ma61 Paralleltexte: ScG IV, 97. Sent. II, d. 11 q. 2 a. 6 ad 3; IV, d. 43 q. 1 a. 1 ad 1; a. 3 s. c.; d. 44 q. 1 a. 3 q.la 4; q. 2 a. 3 q.la 2; d. 47 q. 1 a. 1 q.la 3 c.; q. 2 a. 2 q.la 1 c.; d. 48 q. 2 a. 2 c.; a. 3 ad 2. 62 Aristoteles, Phys. II, 9; 199 b 34 ff.

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terie notwendig macht. Nun ist das Wirken der unvergänglichen Dinge – worunter auch die Himmelsbewegung zu zählen ist – für das substantielle Sein derjenigen Dinge da, von denen dieses Wirken ausgeht. Somit erhält dieses Wirken seine Notwendigkeit offensichtlich durch etwas, was bereits notwendig ist. Umgekehrt verhält es sich bei den vergänglichen Dingen: Das substantielle Sein dieser Dinge ist dafür da, daß sie eine Wirkung entfalten können. Daher ist die Notwendigkeit ihres Wirkens durch etwas Späteres bedingt, wie Averroes zu der angeführten Stelle aus Aristoteles bemerkt.63 Folglich ist die Himmelsbewegung notwendig im Sinne absoluter Notwendigkeit und wird daher niemals aufhören. 4. Das Ziel der Bewegung des Himmels ist es, daß sich der Himmel mit dieser Bewegung Gott angleicht. Denn er geht dabei aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit über, und zwar in Form eines ständigen Wechsels seiner Positionen, die er nacheinander wirklich einnimmt. Denn alles gleicht sich Gott, der reine Wirklichkeit ist, dadurch an, daß es selbst in der Wirklichkeit ist. Dieses Ziel64 würde aber verfehlt, wenn die Bewegung des Himmels aufhören würde. Da also eine Bewegung nur dann aufhört, wenn sie das Ziel erreicht, auf das sie sich richtet, so wird die Himmelsbewegung niemals aufhören. 5. Man könnte nun einwenden: Die Himmelsbewegung hat nicht dieses Ziel, sondern ihr Ziel ist Vollzähligkeit der Erwählten. Ist diese einmal erreicht, dann hört die Himmelsbewegung auf. – Dem kann man entgegenhalten: Kein Ding hat etwas zu seinem Ziel, was von geringerem Wert ist als es selbst, da ja ein Ziel einen höheren Wert hat als die Mittel zu diesem Ziel. Denn das Ziel macht die Mittel gut. Nun ist aber der Himmel unvergänglich, und insofern ist er von höherem Wert als das, was dem Werden und Vergehen unterliegt. Man kann also nicht sagen, daß das Ziel der Himmelsbewegung in irgendeinem Werden liegt, das hier unten stattfindet und das zur Vollzähligkeit der Erwählten beitragen könnte. 63 Averroes, In II Physicorum com. 87 (Aristotelis opera cum Averrois commentaria, Vol. IV, fol. 82 r D–E). 64 Gemeint ist die Angleichung an Gott, die die erschaffenen Dinge über ihr Wirklichsein erlangen.

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6. Nun könnte man einwenden: Die Hervorbringung der Erwählten ist nicht das hauptsächliche Ziel, sondern ein zweitrangiges Ziel der Himmelsbewegung. – Dem kann man entgegenhalten: Hat eine Bewegung ihr zweitrangiges Ziel erreicht, dann hört sie nicht auf, denn sie bewegt sich ja auf ihr eigentliches Ziel zu. Wenn also dasjenige Werden, mit dem die Vollzähligkeit der Erwählten erreicht wird, ein zweitrangiges Ziel der Himmelsbewegung sein sollte, dann wird mit Erreichen dieses Zieles die Himmelsbewegung nicht zu Ende gehen. 7. Jedes Möglichsein bleibt unvollendet, solange es nicht zur Wirklichkeit kommt. Nun wird aber Gott am Ende der Welt nichts unvollendet lassen. Wenn also das Möglichsein, das sich im Falle des Himmels auf seine örtliche Lage bezieht, nur in Form von Bewegung zur Wirklichkeit kommt, dann wird offensichtlich die Himmelsbewegung auch am Ende der Welt nicht aufhören. 8. Wenn die Ursachen einer Wirkung unvergänglich und unveränderlich sind, dann hat auch die Wirkung ein immerwährendes Dasein. Nun sind die Ursachen für die Himmelsbewegung unvergänglich und unveränderlich, gleich ob wir die Bewegungsursache oder das Bewegte selbst in den Blick nehmen. Folglich wird die Himmelsbewegung für immer andauern. 9. Demjenigen, was ein immerwährendes Dasein erhalten hat, wird dieses immerwährende Dasein auch niemals mehr von Gott genommen. Dies gilt für die Engel, für die vernunftbegabte Seele und die Substanz des Himmels. Nun hat die Himmelsbewegung ein immerwährendes Dasein erhalten, denn allein eine Kreisbewegung kann ewig andauern, wie im 8. Buch der Physik erwiesen wird.65 Folglich wird die Himmelsbewegung für immer andauern, wie auch all das, was zu einem immerwährenden Dasein bestimmt worden ist. 10. Angenommen, die Himmelsbewegung kommt einmal zum Stillstand, dann geschieht dies entweder augenblicklich oder innerhalb der Zeit. Geschieht dies augenblicklich, dann ist hier der Himmel gleichzeitig in Ruhe und in Bewegung. Denn da der Himmel sich zuvor die ganze Zeit bewegt hat, so bewegte er sich zwangsläu65 Aristoteles, Phys. VIII, 8; 264 b 9 ff.

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fig auch in jedem Moment dieses Zeitraumes, in dem es seine Veranlagung ist, sich zu bewegen. Nun ist es aber zu dem bezeichneten Augenblick, an dem der Himmel zum Stillstand kommen soll, seine Veranlagung, sich zu bewegen. Denn Bewegung und Ruhe treten an ein und demselben Ding auf. Dieser Augenblick gehört aber zur vorangegangenen Zeit, insofern er ihr Ende darstellt. Folglich bewegt sich der Himmel in diesem Augenblick. Zugleich soll er in diesem Augenblick auch zum Stillstand kommen. Im selben Augenblick würde er demnach zum Stillstand kommen und sich bewegen. Dies ist jedoch unmöglich. Käme der Himmel aber innerhalb der Zeit zum Stillstand, dann gäbe es nach der Himmelsbewegung auch noch Zeit. Nun gibt es aber keine Zeit ohne die Himmelsbewegung. Demnach würde sich die Himmelsbewegung fortsetzen, nachdem sie zum Stillstand gekommen ist. Und dies ist ebenfalls unmöglich. 11. Wenn die Himmelsbewegung einmal zum Erliegen käme, dann müßte auch die Zeit aussetzen, da sie ja das Maß der Bewegung ist, wie aus dem 4. Buch der Physik erhellt.66 Nun kann aber die Zeit unmöglich aussetzen. Folglich ist es unmöglich, daß die Himmelsbewegung zum Erliegen kommt. Beweis des Mittelsatzes: Das Sein dessen, was stets an seinem Anfang und an seinem Ende steht, hat niemals begonnen und wird niemals aufhören. Denn ein jedes Ding ist nur, nachdem es seinen Anfang genommen hat und bevor es zu seinem Ende kommt. Nun kann man für die Zeit nichts veranschlagen als den Augenblick, der den Anfang von Zukünftigem und das Ende von Vergangenem darstellt. Somit steht die Zeit immer an ihrem Anfang und Ende. Folglich wird die Zeit niemals aussetzen. 12. Für den Himmel ist seine Bewegung ebenso natürlich, wie es für die schweren und die leichten Körper die entsprechenden Bewegungen sind. Dies erhellt aus dem 1. Buch von Über den Himmel.67 Ein Unterschied liegt hier darin, daß die elementaren Körper nur dann eine ihnen natürliche Bewegung vollziehen, wenn sie sich nicht an ihrem natürlichen Ort befinden, während der Himmel sich auch dann bewegt, wenn er sich an seinem natürlichen Ort befin66 Aristoteles, Phys. IV, 11; 219 b 1 ff. 67 Aristoteles, De caelo I, 3; 270 b 26 ff.

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det. Daraus läßt sich nun Folgendes entnehmen:68 Wenn ein elementarer Körper sich nicht an seinem natürlichen Ort befindet, dann weist er genauso seine natürliche Bewegung auf, wie der Himmel seine natürliche Bewegung aufweist, wenn sich er an seinem natürlichen Ort befindet. Denn ein elementarer Körper, der sich nicht an seinem natürlichen Ort befindet, kommt nur infolge einer Gewalteinwirkung zum Stillstand. Demnach kann auch der Himmel nur zum Stillstand kommen, wenn dieser Stillstand gewaltsam bedingt ist. So etwas kann jedoch nicht vorkommen. Denn da eine Gewalteinwirkung nicht von ewiger Dauer sein kann, so würde daraus folgen, daß dieser Stillstand des Himmels nicht von ewiger Dauer wäre und die Himmelsbewegung zu einem Zeitpunkt wieder einsetzte. Dies ist aber eine phantastische Behauptung. Folglich kann man nicht sagen, daß die Himmelsbewegung einmal zum Stillstand kommen wird. 13. Bei Aufeinanderfolgendem muß es eine bestimmte Abfolge und ein gleiches Maß geben. Nun besteht aber zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen keinerlei gleiches Maß. Folglich ist die Behauptung unzutreffend, daß der Himmel sich für eine begrenzte Zeit bewegt und dann unendlich lange zum Stillstand kommt. Zu dieser Behauptung wäre man aber gezwungen, wenn die Himmelsbewegung einmal begonnen hätte, zu einem Ende kommen und nie wieder beginnen würde. 14. Je höher der Wirklichkeitsgrad ist, durch den ein Ding Gott gleicht, desto vorzüglicher ist hier seine Gleichheit mit Gott. So gleicht etwa der Mensch durch seine vernunftbegabte Seele Gott in vorzüglicherer Weise als die vernunftlosen Lebewesen mit ihrer sensitiven Seele. Nun steht aber die zweite Wirklichkeit über der ersten Wirklichkeit, also z. B. das Denken über dem Wissen. Demnach ähnelt der Himmel in seiner zweiten Wirklichkeit, d. h. durch seine Beeinflussung des Bereiches hier unten, Gott in vorzüglicherer Weise als durch seine Helligkeit, welche seine erste Wirklichkeit darstellt. Wenn also am Ende der Welt ihre Hauptbestandteile besser werden, dann wird der Himmel offensichtlich nicht zum Stillstand kommen, sobald er von einem noch größeren Glanz erfüllt ist. 68 ex quibus accidi potest M : ex quibus accipi potest L.

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15. Größe, Bewegung und Zeit hängen miteinander zusammen im Hinblick auf ihre Unterteilbarkeit und ihre Endlichkeit bzw. Unendlichkeit. Dies wird im 6. Buch der Physik nachgewiesen.69 Nun gibt es aber bei einer kreisförmigen Größe keinen Anfang und kein Ende. Folglich wird es auch bei einer kreisförmigen Bewegung kein Ende geben. Da nun die Himmelsbewegung kreisförmig ist, so wird sie offensichtlich nie zu einem Ende kommen. 16. Nun könnte man einwenden: Zwar wird eine Kreisbewegung niemals ihrer Natur nach zu einem Ende kommen, doch aber, wenn dies Gottes Wille ist. – Dem ist mit Augustinus zu erwidern: »Wenn es um die Einrichtung der Welt geht, dann fragen wir nicht danach, wozu Gott in der Lage wäre, sondern vielmehr danach, was mit der Natur der Dinge vereinbar ist.«70 Nun steht die Vollendung der Welt zu ihrer Einrichtung im gleichen Verhältnis wie das Ende zum Anfang. Demnach sollte man sich bei dem, was mit dem Weltende zu tun hat, nicht auf den Willen Gottes berufen, sondern auf die Natur der Dinge. 17. Durch ihre Gegenwart läßt es die Sonne hier unten hell und Tag werden, bei ihrer Abwesenheit wird es aber dunkel und Nacht. Nun kann aber die Sonne nur aufgrund ihrer Bewegung in beiden Hemisphären zugegen sein. Wenn also die Himmelsbewegung zu einem Ende käme, dann würde es infolge der Anwesenheit der Sonne in dem einen Weltteil ständig Tag sein und in dem anderen Weltteil, dem die Sonne fernbliebe, ständig Nacht. Damit aber wäre am Ende der Welt dieser letztere Weltteil nicht besser geworden, sondern hätte sich verschlechtert. 18. Das, was zu mehreren Dingen in einem gleichmäßigen Verhältnis steht, ist entweder mit jedem einzelnen dieser Dinge verbunden oder mit keinem davon. Nun hat die Sonne von ihrer Natur her ein gleichmäßiges Verhältnis zu jeder einzelnen Stelle am Himmel. Folglich wird sie entweder eine jede dieser Stellen einnehmen können oder gar keine. Nun kann sie aber nicht nirgendwo sein, da jeder sinnlich wahrnehmbare Körper irgendwo ist. Also muß sie an jeder

69 Aristoteles, Phys. VI, 2; 232 a 22 ff.; VI, 4; 235 b 1 ff. 70 Augustinus, De Gen. ad litt. II, 12 (CSEL 28/1, 32 ff.).

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beliebigen Stelle einmal sein. Dies gelingt ihr nur durch sukzessive Bewegung. Also wird sie sich ständig bewegen. 19. Am Ende der Welt wird demjenigen, was dann noch besteht, seine Vollkommenheit nicht genommen. Denn diejenigen Dinge, die dann noch bestehen, verschlechtern sich in ihrer Verfassung nicht, sondern werden noch besser. Nun bedeutet die Bewegung für den Himmel seine Vervollkommnung. Das erklärt sich daraus, daß die Bewegung nach dem 3. Buch der Physik das vollendete Wirklichsein des Beweglichen als eines solchen darstellt.71 Dazu kommt noch, daß nach dem 2. Buch von Über den Himmel der Himmel durch Bewegung seine vollkommene Güte erlangt.72 Demnach wird am Ende der Welt dem Himmel seine Bewegung nicht fehlen können. 20. Kein Körper wird je die Stufe der geistigen Natur erklimmen. Nun kennzeichnet es die geistige Natur, daß sie ohne Bewegung von vollendeter Güte ist. Dies erhellt aus dem 2. Buch von Über den Himmel.73 Der Himmel würde also niemals eine vollendete Gutheit erreichen, wenn seine Bewegung aufhören würde. Dies aber widerspricht dem Wesen von der letzten Vollendung der Welt. 21. Alles zergeht nur durch das, was ihm entgegengesetzt ist. Nun kennt aber die Bewegung des Himmels keinen Gegensatz. Folglich wird die Himmelsbewegung niemals zum Stillstand kommen. dagegen spricht: 1. In Offb. 10, 5 heißt es: »Und der Engel, den ich auf dem Meer und auf dem Land stehen sah, erhob seine Hand und schwur bei dem, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit: ›Die Zeit wird nicht mehr sein‹.« Nun wird es die Zeit so lange geben, wie der Himmel sich bewegt. Folglich wird die Himmelsbewegung einmal aufhören. 2. In Hiob 14, 12 heißt es: »Wenn der Mensch eingeschlafen ist, wird er nicht mehr aufstehen, bis der Himmel zerrüttet ist. Er wird nicht erwachen und nicht von seinem Schlaf aufstehen«. Nun kann dies aber nicht heißen, daß der Himmel seiner Substanz nach zerrüttet wird. Denn er wird ja für immer bestehen bleiben, wie vor71 Aristoteles, Phys. III, 2; 202 a 7 f. 72 Aristoteles, De caelo II, 12; 292 a 18; b 25. 73 Aristoteles, De caelo II, 12; 292 b 10 ff.

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hin nachgewiesen wurde. Demnach wird bei der Auferstehung der Toten der Himmel in dem Sinne zerrüttet werden, daß seine Bewegung aufhören wird. 3. Zu Röm. 8, 22 »Die gesamte Schöpfung seufzt bis zur Stunde und liegt in Wehen« bemerkt die Glosse von Ambrosius: »Alle Elemente erfüllen unter Anstrengungen ihre Aufgabe. So durchmessen auch Sonne und Mond nicht ohne Mühe den ihnen bestimmten Raum. Dies alles geschieht aber wegen uns. Nach unserer Aufnahme in den Himmel werden sie daher zur Ruhe kommen.«74 Demnach wird bei der Auferstehung der Heiligen die Bewegung der Himmelskörper zur Ruhe kommen. 4. Isidor sagt: »Nach dem Gericht wird die Sonne ihren Lohn für ihre Mühe erhalten, und es werden weder Mond noch Sonne untergehen.«75 Dies könnte jedoch nicht der Fall sein, wenn der Himmel sich noch bewegen würde. Demnach wird sich der Himmel dann nicht mehr bewegen. antwort: In Übereinstimmung mit den Lehren der Heiligen halten wir daran fest, daß die Himmelsbewegung einmal aufhören wird. Allerdings ist dies eher eine Sache des Glaubens, als daß es sich mit Vernunftgründen erweisen ließe. Um aber zu verdeutlichen, worin das Problem bei der vorliegenden Frage liegt, muß man sich bewußt machen, daß die Himmelsbewegung nicht in der Weise für einen Himmelskörper natürlich ist, wie es die Bewegung für einen elementaren Körper ist. Denn für diese letztgenannte Bewegung ist ein Ding, das zur Bewegung fähig ist, nicht nur die materiale Grundlage, insofern die Bewegung an ihm auftritt, sondern dieses Ding ist auch die formale Grundlage, insofern es diese Bewegung aktivisch vollzieht. Denn diese Bewegung verdankt sich der Form eines elementaren Körpers, wie sich ja auch seine anderen natürlichen Eigenschaften seinen wesentlichen Grundlagen verdanken. Daher bezeichnet man hier den Erzeuger auch als Beweger, insofern er die Form verleiht, die infolge von Bewegung zustande kommt. 74 Ambrosiaster, In ep. ad Romanos (CSEL 81, 280 ff.). 75 Isidor von Sevilla, De ordine creaturarum (PL 83, col. 924 C).

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So etwas läßt sich jedoch nicht von einem Himmelskörper behaupten. Denn da die Natur stets in festgelegter Weise jeweils auf ein einziges Ziel geht und sich nicht Mehreres zum Ziel nimmt, so kann ein natürliches Wesen unmöglich eine Bewegung um ihrer selbst willen vollziehen. Dies ist der Tatsache geschuldet, daß in jeder Bewegung eine gewisse Ungleichförmigkeit vorherrscht, insofern sich ein bewegtes Ding nicht immer in gleicher Weise verhält. Gleichförmigkeit bei einem bewegten Ding widerspricht aber dem Begriff der Bewegung. Daher vollzieht sich in der Natur eine Bewegung niemals um der reinen Bewegung willen, sondern wegen etwas Bestimmtem, das aus dieser Bewegung resultiert. So strebt ja auch ein schwerer Körper nach einer Ruhelage in der Mitte und vollzieht mithin eine abwärts gerichtete Bewegung, insofern er dank dieser Bewegung an diesen Platz gelangt. Der Himmel jedoch erreicht mit seiner Bewegung nicht einen bestimmten Punkt, zu dem er seiner Natur nach hinstrebt, und dies deswegen, weil ein jeder Punkt den Anfang und das Ende seiner Bewegung darstellt. Daher kann sich die natürliche Bewegung des Himmels sozusagen nicht dem Drang einer natürlichen Kraft, die in ihm steckt, verdanken, so wie dies etwa der Fall ist bei der aufwärts gerichteten Bewegung des Feuers, die diesem natürlich ist. Nun kann man die Kreisbewegung insofern als natürlich für den Himmel bezeichnen, als der Himmel aufgrund seiner Natur sich für diese Bewegung eignet. In diesem Sinne ist der Himmel selbst eine Grundlage für die Kreisbewegung, insofern diese an ihm auftritt. Jedoch das aktive Prinzip für diese Bewegung ist eine materiefreie Substanz, also etwa Gott oder der Geist oder aber die [Welt-]Seele, wie manche meinen, was aber für die gegenwärtige Frage keinen Unterschied macht. Demnach kann man die unentwegte Bewegung eines Himmelkörpers nicht aus dessen Natur begründen – aufgrund seiner Natur eignet er sich allenfalls zu einer Bewegung. Vielmehr muß man den Grund für diese Bewegung in einem aktiven, materiefreien Prinzip suchen. Da zudem jede Tätigkeit sich auf ein Ziel richtet, muß man sich klar darüber werden, was das Ziel der Himmelsbewegung ist. Denn wenn es mit diesem Ziel vereinbar ist, daß die Bewegung des Him-

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mels einmal zu einem Ende kommt, dann wird der Himmel irgendwann zum Stillstand kommen. Wenn jedoch ein Stillstand mit diesem Ziel unvereinbar ist, dann wird die Bewegung des Himmels immerwährend sein. Denn daß die Bewegung des Himmels einmal aufhören könnte, kann unmöglich daran liegen, daß in der Ursache für seine Bewegung eine Änderung auftritt: Gottes Wille ist nämlich ebenso wie seine Natur unabänderlich. Und es liegt an diesem Willen, daß auch die mittelbaren Ursachen, die für die Himmelsbewegung verantwortlich sind, ebenso unabänderlich bleiben. Angesichts der eben angestellten Überlegungen muß man Dreierlei vermeiden. Erstens ist dies die Behauptung, das Ziel der Himmelsbewegung liege in dieser Bewegung selbst. Es wurde ja gesagt, daß das Dasein des Himmels sein Ziel in demjenigen Sein hat, mit dem er Gott ähnlich ist. Denn der Charakter einer Bewegung läßt es nicht zu, sie als ein Ziel zu fassen, und zwar deswegen, weil eine Bewegung auf etwas anderes hinstrebt. Daher läßt sie sich nicht als ein Ziel charakterisieren, sondern eher als etwas, was zu einem Ziel hinführt. Das bestätigt auch ein Wort aus dem 3. Buch von Über die Seele,76 wonach die Bewegung die Wirklichkeit von etwas Unvollendetem ist. Ein Ziel hingegen stellt die abschließende Vollendung dar. Zweitens sollte man das Ziel der Himmelsbewegung nicht in etwas sehen, was weniger wertvoll ist als sie selbst. Denn da ein Ziel dasjenige ist, wonach sich ein bestimmtes Vorgehen bestimmt, so muß ein Ziel zwangsläufig über dem stehen, was zu diesem Ziel führt. Es kann zwar vorkommen, daß das Wirken eines wertvolleren Dinges einen nicht so wertvollen Ausgang nimmt, nicht aber in dem Sinne, daß dieser Ausgang das angestrebte Ziel wäre. So ist etwa auch die Sicherheit eines Bauern ein bestimmtes Ziel, wonach sich das Tun der königlichen Regierung richtet. Gleichwohl setzt sich die königliche Regierungsgewalt nicht die Sicherheit dieses einzelnen Bauern zu ihrem Ziel, sondern etwas Höheres, nämlich das Allgemeinwohl. Aus diesem Grund läßt sich nicht sagen, daß das Ziel der Himmelsbewegung in der Hervorbringung der Dinge hier unten liegt, auch wenn diese Hervorbringung eine ihrer Wirkungen 76 Aristoteles, De an. III, 7; 431 a 6 f.

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bzw. Zwecke ist. Denn sowohl der Himmel steht über den Dingen hier unten, wie auch seine Bewegung über den Bewegungen und Wechselfällen hier unten. Drittens sollte man das Ziel der Himmelsbewegung nicht in etwas sehen, das unendlich ist. Wer nämlich, wie es im 2. Buch der Metaphysik heißt,77 etwas Unendliches als Zielursache ansetzt, der hebt das Ziel und das Wesen in seiner Tauglichkeit auf. Denn es ist unmöglich, etwas Unendliches zu erreichen. Nichts bewegt sich aber, wie es im 1. Buch von Über den Himmel heißt,78 auf etwas hin, dessen Verfolgung ihm gar nicht möglich ist. Daher läßt sich auch nicht behaupten – wie dies anscheinend Avicenna tut79 –, daß das Ziel der Himmelsbewegung darin besteht, der Wirklichkeit nach diejenige Lage zu erreichen, zu der sie der Möglichkeit nach bestimmt ist. Dies ist ihr aber deswegen unmöglich, weil sie unendlich ist. Sobald sie nämlich in Wirklichkeit einen bestimmten Punkt durchläuft, ist sie an dem anderen Punkt, an dem sie zuvor wirklich war, nur mehr der Möglichkeit nach. Als Ziel der Himmelsbewegung muß man demnach etwas ansetzen, was der Himmel infolge seiner Bewegung auch erreichen kann, was sich von dieser seiner Bewegung unterscheidet und was von höherem Wert ist als sie selbst. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen kann man das Ziel der Himmelsbewegung in etwas sehen, was am Himmel selbst und zugleich mit seiner Bewegung zum Vorschein kommt. Dementsprechend sahen manche Philosophen das Ziel der Himmelsbewegung darin, daß sie in ihrem Ursachencharakter Gott ähnlich wird. Dies gelingt freilich nur, wenn die Bewegung selbst von Dauer ist. Daher trifft es nach dieser Ansicht nicht zu, daß die Himmelsbewegung zum Erliegen kommt. Denn wenn sie zum Erliegen käme, dann würde auch das gesetzte Ziel verfehlt. Zum anderen kann man das Ziel der Himmelsbewegung in etwas sehen, das außerhalb des Himmels liegt, das er durch seine Bewegung erreicht und das auch bestehen bleibt, wenn sie einmal zum Erliegen kommt. Dies aber ist unsere Ansicht. Denn nach unserer An77 Aristoteles, Met. II, 2; 994 b 10 ff. 78 Aristoteles, De caelo I, 12; 281 b 15 ff. 79 Avicenna, Met. IX, 2 (Avicenna latinus 4, ed. Van Riet, 447–464).

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sicht ist die Himmelsbewegung dazu da, daß die Vollzähligkeit der Erwählten erreicht wird. Denn eine vernunftbegabte Seele nimmt einen höheren Rang ein als der gesamte körperliche Bereich, ja sogar als der Himmel. Daher ist es nicht unpassend, wenn man das Ziel der Himmelsbewegung in der Vermehrung der vernunftbegabten Seelen sieht. Diese Vermehrung kann jedoch nicht ins Unendliche gehen, da dies mit der Himmelsbewegung nicht zu erreichen ist. Der Himmel würde sich ja auf etwas hin bewegen, dessen Verfolgung ihm gar nicht möglich ist. Es kann daher nur so sein, daß das Ziel der Himmelsbewegung eine ganz bestimmte Anzahl von vernunftbegabten Seelen ist. Ist diese einmal erreicht, wird die Himmelsbewegung aufhören. Zwar kann man jede der beiden angeführten Ansichten mit guten Gründen vertreten. Gleichwohl erscheint die letztere, welche eine Glaubensansicht ist, aus drei Gründen plausibler zu sein. Erstens macht es keinen Unterschied, ob man nun sagt, das Ziel einer Sache liege darin, Gott in einer bestimmten Hinsicht ähnlich zu werden, oder ob man sagt, ihr Ziel liege darin, daß sie selbst Gott gleich wird. So ist ja bereits oben ausgeführt worden, daß als das Ziel der Dinge entweder ihre Angleichung an Gottes Gutsein namhaft gemacht werden kann oder aber ihr Sein selbst, in welchem sie Gott ähneln. Dementsprechend meint es dasselbe, wenn man sagt, das Ziel der Himmelsbewegung liege darin, in ihrem Ursachencharakter Gott ähnlich zu werden, oder wenn man sagt, ihr Ziel liege darin, Ursache zu sein. Nun kann aber das Ursachesein kein Ziel darstellen, da es sich hierbei um ein Tätigsein handelt, das ein Ergebnis zeitigt und das auf etwas geht, was jenseits seiner selbst liegt. Bei Tätigkeiten dieser Art ist zudem das Ergebnis von höherem Wert als die Tätigkeit, wie es am Anfang der Ethik heißt.80 Solche Tätigkeiten können daher nicht das Ziel dessen sein, der sie ausführt, denn sie bringen ja nicht den Ausführenden, sondern in erster Linie den Gegenstand dieser Tätigkeiten zur Vollendung. Somit ist hier das, was zustande gebracht wird, das eigentliche Ziel, wie im 9. Buch der Metaphysik

80 Aristoteles, Eth. Nic. I, 1; 1094 a 5 ff.

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und im 1. Buch der Ethik erklärt wird.81 Nun kann aber, wie bereits besprochen, dasjenige, was durch die Himmelsbewegung hervorgebracht wird, nicht das Ziel dieser Bewegung sein, da es von geringerem Wert ist als der Himmel. Von daher ist die Behauptung unplausibel, das Ziel der Himmelsbewegung liege darin, daß sie in ihrem Ursachencharakter Gott ähnlich wird. Zweitens: Wie ausgeführt, bewegt sich der Himmel, der als solcher nur die Eignung zu einer Bewegung aufweist, aus dem Grund, weil ein aktives Prinzip außerhalb von ihm vorhanden ist. Daher vollziehen sich seine Bewegung und sein Wirken nach der Art eines Werkzeuges. Das gerade Gesagte kennzeichnet nämlich ein Werkzeug, wie sich etwa im handwerklichen Bereich zeigt: Ein Beil hat ja bloß die Eignung zu einer bestimmten Bewegung, das Prinzip für diese Bewegung liegt jedoch im Handwerker. Was daher eine Bewegung vollzieht und seinerseits bewegt ist, dessen Bewegung vollzieht sich, wie die Philosophen sagen, nach Art eines Werkzeuges. Bei dem Tun, das mit Hilfe eines Werkzeugs zur Ausführung kommt, kann aber das Ziel nicht in dem Werkzeug selbst liegen – oder allenfalls in akzidenteller Weise, sofern man nämlich ein Werkzeug seinerseits als das Ergebnis einer handwerklichen Herstellung und nicht rein als Werkzeug betrachtet. Daher ist es unplausibel, daß die Bewegung des Himmels der eigenen Vervollkommnung dient. Vielmehr ist es so, daß sie der Vervollkommnung von etwas dient, das außerhalb von ihm liegt. Drittens: Wenn das Ziel der Himmelsbewegung darin liegt, eine Ähnlichkeit mit Gott im Ursachencharakter herbeizuführen, dann betrifft diese Ähnlichkeit in erster Linie den Ursachencharakter desjenigen, was von Gott unmittelbar verursacht wird, also die vernunftbegabte Seele. Zu ihrer Hervorbringung trägt der Himmel bei, indem er durch seine Bewegung die Materie [für eine Form] aufnahmefähig macht. Aus diesem Grund ist es plausibler, wenn das Ziel der Himmelsbewegung in der Schar der Erwählten liegt, als wenn es in einer Angleichung an Gott im Hinblick auf die Verursachung von Werden und Vergehen bestünde, wie die Philosophen meinen.

81 Aristoteles, Met. IX, 8; 1050 a 15 ff.

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Aus diesem Grund halten wir dafür, daß die Himmelsbewegung mit der Vollzähligkeit der Erwählten zu ihrem Ende kommt. Zu 1. Der biblische Text spricht hier von einem langen Bestehen der Erde, insofern diese Veränderungen unterworfen ist. Denn in dieser Weise kommen auf ihr Wachstum und Ernte zustande. Solange aber dieser Zustand der Erde anhält, wird die Himmelsbewegung nicht zum Erliegen kommen. Zu 2. Das hier herangezogene Zeugnis meint nicht das Israel aus Fleisch und Blut, sondern das geistige Israel. Allerdings ist hier nicht gemeint, daß es bereits in seiner himmlischen Heimat bei Gott wäre und ihn von Angesicht schaut, sondern daß es während seines irdischen Wandels bei Gott ist durch den Glauben. Somit meint diese Stelle dasselbe wie das, was der Herr in Mt. 28, 20 zu seinen Jüngern spricht: »Seht, ich bin bei euch bis ans Ende aller Tage.« Zu 3. Die Präposition »aufgrund von« macht eine Ursache namhaft. Zuweilen bezeichnet sie dabei eine Finalursache, die dem Sein nach später da ist, zuweilen aber eine Material- und Wirkursache, die dem Sein nach früher da ist. Wenn nun behauptet wird, daß im Falle der unvergänglichen Dinge eine Tätigkeit aufgrund einer wirkenden Instanz zustande kommt, dann bezeichnet hier das »aufgrund« keine Finalursache, sondern eine Wirkursache. Es ist nun diese Wirkursache – nicht ein Ziel –, das hier für die Notwendigkeit [der Himmelsbewegung] verantwortlich ist. Betrachtet man also das Verhältnis der Himmelsbewegung zu dem, woran sie auftritt, dann bezieht sie, wie gezeigt, nicht aus dieser Wirkursache ihre Notwendigkeit. Notwendigkeit wird ihr vielmehr durch einen Beweger verliehen, der – da er willentlich in Bewegung versetzt – Notwendigkeit in die Himmelsbewegung bringt nach Maßgabe der göttlichen Weisheit und nicht zum Zweck ihres immerwährenden Daseins. Zu 4. Das Ziel der Himmelsbewegung kann nicht darin liegen, Gott dadurch ähnlich zu werden, daß am Himmel nacheinander die verschiedenen Konstellationen tatsächlich auftreten, die zuvor der Möglichkeit nach da waren. Zum einen ist dem so, weil ein solches Unterfangen, wie aufgezeigt, unabschließbar ist. Zum anderen steigert sich in der Himmelsbewegung die Ähnlichkeit mit Gott zwar dadurch, daß die vordem möglichen Konstellationen wirklich

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werden; doch gleichzeitig reduziert sich auf der anderen Seite die Ähnlichkeit mit Gott dadurch, daß die vordem wirklich gewordenen Konstellationen wieder ins Möglichsein übergehen. Zu 5. Zwar ist das, was dem Werden und Vergehen unterliegt, von geringerem Wert als der Himmel. Doch von höherem Wert als ein Himmelskörper ist die vernunftbegabte Seele. Gleichwohl wird diese von Gott in einer für sie aufnahmefähigen Materie zum Sein gebracht vermittels der Himmelsbewegung. Zu 6. Die Vollzähligkeit der Erwählten stellt nach der Glaubenslehre kein zweitrangiges Ziel der Himmelsbewegung dar, sondern ist ihr erstrangiges Ziel. Allerdings ist dies auch nicht ihr letztes Ziel. Denn das letzte Ziel eines jeden Dinges ist Gottes Gutsein, insofern die Geschöpfe sie auf jede Art zu erreichen suchen, ob nun in Form der Angleichung oder in Form der Dienstbarkeit, die sie Gott schulden. Zu 7. Als unvollkommen gilt ein Ding nicht dann, wenn nicht alle seine Möglichkeiten Wirklichkeit werden, sondern nur in dem Fall, wenn seine Wirklichkeit nicht zur vollen Entfaltung kommt. Denn ein Mensch, der die Möglichkeit hat, in Indien zu weilen, ist nicht unvollkommen, wenn er dort nicht gewesen ist. Vielmehr gilt er dann als unvollkommen, wenn es ihm an Wissen und Tugend mangelt, zu denen er von Natur aus bestimmt ist. Nun erlangt aber der Himmel seine Vollkommenheit nicht durch eine örtliche Bestimmung, wie es bei den Körpern hier unten der Fall ist, die sich an ihrem jeweiligen Ort erhalten. Und so mag zwar die Möglichkeit, an einem bestimmten Ort sein zu können, niemals Wirklichkeit für den Himmel werden. Doch folgt daraus noch nicht, daß er unvollkommen ist. Denn für sich genommen ist seine Vollkommenheit an einem Ort nicht größer als an einem anderen. Vielmehr steht der Himmel zu allen Orten in einem gleichmäßigen Verhältnis, da er sich von Natur aus zu jedem von ihnen hinbewegt. Ein solches gleichmäßiges Verhältnis führt aber eher zu einem Ruhezustand als einer immerwährenden Bewegung, wenn man einmal absieht vom Willen desjenigen, der den Himmel in Bewegung versetzt und ihm sein Ziel vorgibt. So sahen ja auch manche Philosophen den Grund dafür, daß die Erde in der Weltenmitte ruht, darin, daß sie zu den sie umgebenden Himmelsgegenden in einem gleichmäßigen Verhältnis steht.

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Zu 8. Zwar sind die Ursachen für die Himmelsbewegung allesamt von unbegrenzter Dauer. Doch der Beweger, dem sich die Notwendigkeit der Himmelsbewegung verdankt, handelt aus freien Stükken, und somit besteht für ihn kein Zwang, den Himmel auf immer zu bewegen, sondern nur insoweit, als dies erforderlich ist für das Ziel. Zu 9. Von seiner Natur her gesehen, hat der Himmel in je anderer Weise die Fähigkeit zu einer immerwährenden Bewegung und zu einem immerwährenden Sein. Denn sein Sein verdankt sich den Grundlagen, die in seinem Wesen liegen und aus denen sich die Notwendigkeit seines Seins ergibt, insofern nämlich diese Grundlagen, wie bereits oben aufgezeigt, die Möglichkeit seines Nichtseins ausschließen. Dagegen schließt sein Wesen keine immerwährende Bewegung ein, sondern nur die Fähigkeit dazu. Notwendigkeit erhält seine Bewegung vielmehr durch den Beweger. Auch nach der Auffassung von Averroes82 gründet daher das immerwährende Sein des Himmels in den Prinzipien, die in seinem Wesen liegen. Dagegen gründet seine immerwährende Bewegung nicht in diesen Prinzipien, sondern in etwas Anderem außerhalb von ihm. Daher sehen auch diejenigen, nach deren Meinung die Himmelsbewegung niemals zu einem Ende kommen wird, die Ursache für die immerwährende Dauer der Himmelsbewegung im Willen Gottes, und dies, obgleich von der Unabänderlichkeit seines Willens nicht mit Notwendigkeit, so wie diese Autoren es wollen, auf die Allzeitigkeit der Himmelsbewegung geschlossen werden kann. Denn es bedeutet keine Abänderung seines Willens, wenn Gott Verschiedenes aufeinander folgen lassen will nach Maßgabe der Erfordernisse für das Ziel, das er unabänderlich will. Daher liegt der Grund für die allzeitige Bewegung des Himmels eher in seinem Ziel als in der Unveränderlichkeit seines Bewegers. Zu 10. Die Himmelsbewegung hört augenblicklich auf. In diesem Augenblick herrscht weder Bewegung noch Ruhe, vielmehr bedeutet dieser Augenblick das Ende der Bewegung und den Anfang der Ruhe. Diese sich einstellende Ruhe wird jedoch nicht innerhalb der 82 Averroes, In XII Met. com. 6 (Aristotelis opera cum Averrois commentaria, Vol. VIII, fol. 312 A).

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Zeit auftreten. Denn die Ruhe bemißt sich nicht unmittelbar nach der Zeit, sondern mittelbar, wie es im 4. Buch der Physik heißt.83 Stellt sich daher bei einem Körper eine Ruhe ein, die durch keine Bewegung mehr abgelöst werden kann, so bemißt sie sich nicht nach der Zeit. Gleichwohl kann man, wenn man so will, sagen, daß sich mit dem Ende der Bewegung zwar keine Ruhe, doch aber eine Art von Bewegungslosigkeit beim Himmel einstellt. Zu 11. Sobald die Himmelsbewegung aussetzt, gibt es auch keine Zeit mehr. Das bestätigt auch das hier herangezogene Zeugnis aus der Apokalypse. Nun wird aber der letzte Jetztpunkt aller Zeiten zwar den Endpunkt des Vergangenen darstellen, nicht aber den Anfangspunkt für Zukünftiges. Denn wenn ein Jetztpunkt den Endpunkt für Vergangenes und zugleich den Anfangspunkt für Zukünftiges markiert, dann liegt dies daran, daß er innerhalb einer kontinuierlichen Kreisbewegung auftritt, bei der jeder einzelne Punkt unzerteilbar Anfang und Ende für Verschiedenes ist. Wenn also die Himmelsbewegung einmal aussetzen wird, dann wird es hier einen letzten unzerteilbaren Moment sowohl bei der Bewegung als auch bei der Zeit geben. Zu 12. Wie [in der Antwort] ausgeführt, ist für den Himmel – und zwar im Gegensatz zu den Elementen – eine Bewegung nicht deshalb natürlich, weil ein Himmelskörper aufgrund seiner formalen Grundlagen von sich aus die Neigung zu solch einer Bewegung hätte. Daher kann nicht geschlossen werden, daß, wenn der Himmel zum Stillstand kommt, diese Ruhe auf einer Gewalteinwirkung beruhen muß. Zu 13. Angenommen, die Himmelsbewegung vollzöge sich nicht wegen etwas anderem, dann müßte man hier einen Bezug zwischen dieser Bewegung und einer Ruhe, die auf diese Bewegung folgt, annehmen – vorausgesetzt, man hält die Himmelsbewegung nicht für immerwährend. Weil aber die Himmelsbewegung auf ein Ziel ausgerichtet ist, das jenseits ihrer selbst liegt, so besteht dieser Bezug in ihrer Ausrichtung auf dieses Ziel und nicht in ihrer Ausrichtung auf eine nachfolgende Ruhe.

83 Aristoteles, Phys. IV, 12; 221 b 21 ff.

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So wird verständlich, daß Gott selbst, indem er die gesamte Schöpfung aus dem Nichts ins Sein brachte, die erste Vervollkommnung des Weltganzen mit seinen wesentlichen Bestandteilen und seinen verschiedenen Arten hervorbrachte. Für die letzte Vervollkommnung aber, die mit der Vollzähligkeit des Standes der Seligen erreicht sein wird, beorderte Gott die verschiedenen Bewegungen und Tätigkeiten der Geschöpfe. Teils vollziehen sich diese Bewegungen auf natürlichem Wege, so z. B. die Himmelsbewegung und das Wirken der Elemente; sie dienen dazu, die Materie für die Aufnahme einer vernunftbegabten Seele vorzubereiten. Teils vollziehen sie sich aus freien Stücken, so etwa der Beistand der Engel, den sie denjenigen gewähren, die zur Erbschaft des Heils bestimmt sind. Ist daher einmal die Vollzähligkeit der Seligen erreicht und von unveränderlicher Dauer, dann wird das, was zu dieser Vollzähligkeit beigetragen hat, sein Ende finden. Zu 14. Das hier vorgebrachte Argument konzentriert sich auf die zweite Wirklichkeit, d. h. auf ein Tätigsein, das in dem verbleibt, der es vollzieht. Dieses Tätigsein ist das Ziel und mithin wertvoller als die Form des Ausführenden. Dagegen ist die zweite Wirklichkeit im Sinne einer Tätigkeit, die zu einem Produkt führt, nicht das Ziel des Ausführenden und auch nicht von größerem Wert als dessen Form, es sei denn die Produkte selbst sind von größerem Wert als dasjenige, was sie entstehen läßt. So sind etwa Handwerksprodukte von größerem Wert als das Handwerkszeug, das für diesen Zweck verwendet wird. Zu 15. Zwar gibt es bei einer kreisförmigen Größe keinen wirklichen Anfang und kein wirkliches Ende. Gleichwohl läßt sich bei ihr ein Anfang bzw. ein Ende angeben infolge des Anhebens bzw. der Beendigung einer Bewegung. Zu 16. Am Anfang der Welt hat die Natur ihre Verfassung erhalten. Deswegen darf man bei der Erörterung des Anfangs der Welt dasjenige nicht außer Acht lassen, was für die Natur eigentümlich ist. Am Ende der Welt hingegen erreicht das Wirken der Natur ein Ziel, das ihr Gott gesetzt hat. Daher muß man hier auf den Willen Gottes zurückgreifen, der dieses Ziel beschlossen hat. Zu 17. Mit dem Stillstand des Himmels wird zwar die Sonne ständig auf der einen Seite der Erde scheinen. Gleichwohl wird auf

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der anderen Seite der Erde nicht völlige Finsternis und Dunkelheit herrschen wegen der Verklärung, die Gott dann den Elementen verleihen wird. So heißt es auch in Offb. 21, 3, daß »die Stadt weder der Sonne noch des Mondes bedarf. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtete sie«. Wenn dann noch größere Helligkeit auftritt auf derjenigen Seite der Erde, die von den Seligen bewohnt wird, ergibt sich daraus keine Unstimmigkeit. Zu 18. Obwohl der Himmel ein gleichmäßiges Verhältnis zu allen ihm möglichen Konstellationen hat, so dient doch seine Bewegung nicht der Erlangung einer bestimmten Konstellation, sondern etwas Anderem. Daher ist es völlig egal, welche Konstellation es ist, mit der der Himmel zum Stillstand kommt, wenn sich einmal das erfüllt hat, wozu er dient. Zu 19. Auch wenn die Bewegung die Wirklichkeit desjenigen ist, was sich bewegen kann, so ist sie doch die Wirklichkeit von etwas Unvollkommenem. Daher kann man aus dem Umstand, daß die Bewegung einmal verschwinden wird, nicht schließen, daß damit schlichtweg jede Vollkommenheit verschwinden wird. Dies gilt insbesondere für den Fall, wenn dasjenige, was sich bewegt, durch seine Bewegung nichts hinzugewinnt. Wenn aber Aristoteles davon spricht, daß der Himmel durch Bewegung seine vollkommene Gutheit erreicht, dann drückt sich darin die erste der oben angeführten Ansichten über das Ziel der Himmelsbewegung aus, welches mit einer immerwährenden Bewegung des Himmels vereinbar ist. Zu 20. Die Vollkommenheit der geistigen Wesen zeigt sich daran, daß sie Ursache für anderes sein können, ohne dabei selbst bewegt zu werden. So eine Fähigkeit wird der Himmel niemals erreichen. Gleichwohl wird damit nicht sein Wert geschmälert. Denn sein Ziel liegt ja, wie ausgeführt, nicht darin, anderes zu verursachen. Zu 21. Die Bewegung des Himmels wird nicht durch etwas zum Stillstand kommen, was seine Bewegung blockiert, sondern allein dadurch, daß es sein Beweger so will.

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6. Artik el Die sechste Frage lautet: Kann der Mensch wissen, wann die Himmelsbewegung ihr Ende findet?84 Allem Anschein nach kann er dies; denn: 1. Laut der Schlußpassage von Augustins Gottesstaat 85 dauert das sechste Weltalter von der Ankunft Christi [auf Erden] bis zum Ende der Welt. Nun ist aber bekannt, wie lange die vorangehenden Weltalter gedauert haben. Folglich kann man auch wissen, wie lange dieses sechste Zeitalter dauern muß, indem man es an den anderen mißt. Somit kann man wissen, wann die Himmelsbewegung ihr Ende findet. 2. Das Ende einer jeden Sache korrespondiert mit ihrem Anfang. Nun weiß man aber vom Anfang der Welt dank der Offenbarung, aufgrund von der Moses schrieb: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde«. Folglich kann man auch vom Ende der Welt wissen dank der Offenbarung, die in der Hl. Schrift niedergelegt ist. 3. Den Grund für die Ungewißheit des Weltendes sieht man gemeinhin darin, daß der Mensch stets in Sorge um sein Seelenheil lebt. Als Anlaß zu dieser Sorge reicht aber schon die Unwägbarkeit des eigenen Todes hin. Folglich muß nicht unbedingt Ungewißheit über das Weltende herrschen, es sei denn vielleicht bei denen, in deren Lebenszeit das Weltende fällt. 4. Manchen Menschen soll der eigene Tod geoffenbart worden sein, wie etwa dem Hl. Martin. Nun sagt Augustinus in seinem Brief an Orosius, daß ein jeder so vor dem jüngsten Gericht erscheint, wie er zum Zeitpunkt seines Todes war.86 Somit geschieht es aus ein und demselben Grund, wenn für jemand der Tag des eigenen Todes und der des Gerichts in Dunkel gehüllt bleibt. Folglich muß der Tag des Gerichts, der alle Menschen betrifft, in der Hl. Schrift, die alle Menschen belehrt, geoffenbart sein. 84 Paralleltexte: Sent. IV, d. 43 a. 3 q.la 2 c.; d. 47 q. 1 a. 1 q.la 3 c.; d. 48 q. 2 q. 2 ad 8. 85 Augustinus, De civ. Dei XXII, 30 (CCSL 48, 865 f.). 86 Augustinus, Ad Orosium contra Priscillanistas et Origenistas (PL 42, col. 669–678).

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5. Ein Zeichen dient dazu, etwas kenntlich zu machen. Nun werden aber in den Evangelien einige Anzeichen für die Wiederkunft des Herrn, die am Weltende erfolgt, gegeben, so etwa in Mt. 24, 24 ff. und in Lk. 21, 9 ff. Ähnliche Anzeichen gibt es auch bei den Aposteln, so etwa in 1 Tim. 4, 1 ff., 2 Tim. 3, 2 ff. und 2 Thess. 2, 3 ff. Demnach kann man offensichtlich den Zeitpunkt der Wiederkunft des Herrn und des Weltendes wissen. 6. Niemand kann hier auf Erden für etwas getadelt oder bestraft werden, was nicht in seiner Macht liegt. Nun werden aber in der Hl. Schrift manche Leute dafür getadelt und gemaßregelt, daß sie die Zeichen der Zeit nicht erkennen. Daher sagt der Herr in Mt. 16, 4 zu den Pharisäern: »Das Aussehen des Himmels wißt ihr zu unterscheiden, dieses Zeichen der Zeit vermögt ihr aber nicht zu erkennen«; und in Lk. 19, 44 sagt er: »Sie werden nicht Stein auf Stein in dir lassen, weil du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast«; und in Jer. 8, 7 heißt es: »Selbst der Storch am Himmel kennt seine Frist; auch Taube, Schwalbe und Drossel halten die Zeit ihres Kommens ein. Doch mein Volk kennt nicht das Gericht des Herrn.« Demnach kann man sehr wohl den Tag des Gerichtes bzw. die Zeit des Weltendes wissen. 7. Bei seiner Wiederkunft wird Christus in weit deutlicherer Weise erscheinen als bei seiner ersten Ankunft. Denn dann wird ihn alles Volk schauen, auch diejenigen, die ihn durchbohrten, wie es in Offb. 1, 7 heißt. Nun wurde in der Schrift für seine erste Ankunft sogar der genaue Zeitpunkt, an dem sie stattfinden sollte, vorhergesagt, wie etwa aus Dan. 9, 24–27 erhellt. Demnach müßte in der Schrift auch für seine Wiederkunft der genaue Zeitpunkt vorhergesagt sein. 8. Der Mensch wird als eine Welt im Kleinen bezeichnet, da er der Welt im Großen ähnelt. Nun kann man aber das Ende des menschlichen Lebens mit Bestimmtheit vorhersehen und folglich auch das Ende der Welt. 9. Groß und klein, lang und kurz werden von etwas relativ, durch Vergleich mit etwas anderem, ausgesagt. Nun wird diejenige Zeit, die von der Ankunft Christi [auf Erden] bis zum Ende der Welt vergeht, kurz genannt, wie aus 1 Kor. 7, 29 »Die Zeit ist kurz« und ebd. 10, 11 »Wir sind es, für die das Ende der Zeiten gekommen

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ist«87 hervorgeht. Und in 1 Joh. 2, 18 heißt es: »Es ist die letzte Stunde.« All dies wird in vergleichender Bezugnahme auf die vorangegangene Zeit gesagt. Allem Anschein nach kann man demnach wenigstens darüber Bescheid wissen, daß die Zeit von der Ankunft der Herrn bis zum Weltende ungleich kürzer ist als diejenige vom Anfang der Welt bis zu Christus. 10. Augustinus sagt in seinem Gottesstaat, daß jenes Feuer, das am Ende der Welt die Gestalt der Erde in Schutt und Asche legen wird, sich aus dem Zusammenschluß aller Feuer dieser Welt speisen wird. Nun ist es durch Beobachtung der Himmelsbewegung möglich, die Zeitspanne in Erfahrung zu bringen, bis zu der die Himmelskörper, die von Natur aus dazu bestimmt sind, für die Wärme hier unten zu sorgen, in diejenige Konstellation eintreten werden, in der sie dieses Ziel am wirkungsvollsten verwirklichen, so daß also durch das Zusammenspiel des Wirkens der Himmelskörper mit dem Wirken der Feuer hier unten jener Weltenbrand entfacht wird. Somit ist es möglich, in Erfahrung zu bringen, wann das Ende der Welt eintreten wird. dagegen spricht: 1. In Mt. 24, 36 heißt es: »Jenen Tag und jene Stunde weiß niemand, auch nicht die Engel des Himmels.« 2. Wenn dies zudem einem Menschen hätte geoffenbart werden sollen, dann doch wohl in erster Linie den Aposteln, die zu den Lehrern der gesamten Welt bestellt worden sind. Doch auf ihre Frage nach der Wiederkunft des Herrn in Apg. 1, 7 erhielten sie die Antwort: »Nicht eure Sache ist es, Zeiten oder Stunden zu wissen, die der Vater festgesetzt hat in der ihm eigenen Macht.« Erst recht wurde dies daher den übrigen Menschen nicht geoffenbart. 3. Es ist uns nicht verboten, an die Wahrheit und die in der Schrift enthaltene Offenbarung zu glauben. Der Apostel verbietet jedoch in 2 Thess. 2, 2, denjenigen Glauben zu schenken, die sich auf irgendeine Weise in Verkündigungen ergehen, »als stünde der Tag des Herrn nahe bevor«. Demnach soll man sich vor denen, die den Zeitpunkt für den Tag des Herrn vorhersagen wollen, wie vor Irrefüh87 Der Satz fehlt in der Vulgata.

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rern hüten. Denn an der nämlichen Stelle heißt es weiter: »Niemand führe euch irre auf irgendeine Weise.« 4. Augustinus bemerkt in seinem Brief an Hesych : »Kann man, so frage ich dich, die Zeit der Wiederkunft so weit bestimmen, daß man zumindest sagen könnte, Christus komme zu uns wieder in, sagen wir, hundert Jahren oder innerhalb einer größeren oder auch kleineren Anzahl von Jahren?«88 Wir sind hier jedoch ganz und gar unwissend. Welche Anzahl von Jahren man also auch vorschlägt, ob nun zehntausend oder zwanzigtausend, ob nun zwei oder drei Jahre – man kann nicht wissen, ob die Zeit für das Ende der Welt dann gekommen ist. antwort: Den genauen Zeitpunkt des Weltendes kann überhaupt niemand wissen mit Ausnahme von Gott allein und von Christus als Mensch. Der Grund dafür ist, daß wir auf zweifache Weise Zukünftiges im voraus wissen können, nämlich auf dem Wege natürlicher Erkenntnis und durch Offenbarung. Auf dem Wege der natürlichen Erkenntnis können wir bestimmte zukünftige Ereignisse im voraus erkennen aufgrund von Ursachen, die wir gegenwärtig vor Augen haben und von denen wir Wirkungen in der Zukunft erwarten. Dies gelingt entweder mit wissenschaftlicher Genauigkeit, wenn Ursachen auftreten, die mit Notwendigkeit ihre Wirkungen zeitigen, oder aber in Form einer Mutmaßung, wenn Ursachen auftreten, die in den meisten Fällen ihre Wirkungen zeitigen. In diesem Sinne weiß etwa ein Sternkundiger eine bevorstehende Sonnenfinsternis und ein Arzt den bevorstehenden Tod im voraus. Auf diese Weise läßt sich jedoch nicht der genaue Zeitpunkt für das Weltende im voraus wissen. Denn die Ursache für die Himmelsbewegung und für ihren Stillstand ist keine andere als der Wille Gottes, wie oben aufgezeigt worden ist. Und von dieser Ursache können wir freilich nicht auf natürlichem Wege Kenntnis erlangen. Andere Dinge, die durch die Himmelsbewegung oder durch andere sinnlich wahrnehmbare Ursachen verursacht sind, können wir aber auf natürlichem Wege im voraus wissen, so etwa die Zerstörung 88 Augustinus, Ep. 199 ad Esichion VI, 16 (CSEL 57, 256 f.).

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eines bestimmten Landstrichs, der vordem bewohnbar war und es später nicht mehr sein wird. Durch Offenbarung könnte man zwar ein Wissen [vom Weltende] erlangen, wenn Gott sich zur Offenbarung entschließen würde. Gleichwohl wäre es nicht plausibel, wenn es geoffenbart würde – Christus als Menschen davon ausgenommen. Dies hat drei Gründe. Erstens stellt sich das Weltende nur mit der Vollzähligkeit der Erwählten ein, deren Erreichen gleichsam die Erfüllung des Ganzen der göttlichen Vorherbestimmung darstellt. Daher wird sinnvollerweise die Offenbarung des Weltendes nur dem zuteil, dem das Ganze der göttlichen Vorherbestimmung geoffenbart ist, nämlich Christus als Menschen, durch den die göttliche Vorherbestimmung des gesamten Menschengeschlechtes in gewisser Weise zur Erfüllung kommt. In Joh. 5, 20 heißt daher: »Der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut.« Zweitens: Gerade weil es ungewiß ist, wie lange noch der Zustand dieser Welt anhalten soll – ob noch für ein Weilchen oder für längere Zeit –, so sollen die Dinge dieser Welt so genommen werden, als würden sie in Kürze vergehen. Daher heißt es in 1 Kor. 7, 31: »Die mit dieser Welt verkehren«, sollen sich so verhalten, »als verkehrten sie nicht mit ihr. Denn die Gestalt dieser Welt vergeht.« Drittens sollen sich die Menschen vorbereitet zeigen in der Erwartung von Gottes Gericht, solange dessen genauer Zeitpunkt ganz und gar ungewiß bleibt. Daher heißt es in Mt. 24, 42: »Seid wachsam, denn ihr wißt nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt.« Deswegen stimmt, wie Augustinus bemerkt, auch derjenige, der von sich sagt, er wisse nicht, wann der Herr kommen wird, ob nun in kurzer Zeit oder viel später, mit den Lehren der Evangelien überein. Von zwei Leuten, die von sich behaupten, sie wüßten es, begeht aber derjenige einen gefährlicheren Irrtum, der behauptet, Christus werde in nächster Zukunft kommen bzw. das Ende der Welt stehe unmittelbar bevor. Denn dies kann dazu führen, daß man völlig die Hoffnung auf das Kommende aufgibt, wenn es nicht zu dem Zeitpunkt eintritt, für den es vorausgesagt wurde.89

89 Augustinus, Ep. 199 ad Esichion; XIII, 52 (CSEL 57, 289 ff.).

6. Artikel

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Zu 1. Wie Augustinus sagt, ist das letzte Weltalter mit dem letzten Lebensabschnitt eines Menschen vergleichbar.90 Dieser Abschnitt läßt sich nicht wie die anderen Lebensabschnitte durch die Angabe von Jahren genau bestimmen. Vielmehr dauert er oft so lange wie all die anderen Lebensabschnitte zusammen oder sogar noch länger als sie. Daher läßt sich auch das letzte Weltalter nicht durch eine genaue Angabe von Jahren oder Generationen bestimmen. Zu 2. Mit der Offenbarung des Weltanfangs [im Schöpfungsbericht] sollte zu erkennen gegeben werden, daß Gott die Ursache von allem ist. Doch ein Wissen um den bestimmten Zeitpunkt des Weltendes ist zu nichts nutze, sondern eher schädlich. Daher kann man hier Beides nicht gleichsetzen. Zu 3. Der Mensch sorgt sich von Natur aus nicht nur um sich selbst, sondern auch um den Bestand der Gemeinschaft, der er angehört, also etwa um den Bestand der Haus- oder der staatlichen Gemeinschaft, ja sogar um den Bestand der ganzen Welt. Daher war es zum Schutz des Menschen notwendig, beides – sowohl das Ende des eigenen Lebens als auch das der Welt – im Dunkeln zu lassen. Zu 4. Die Offenbarung des eigenen Lebensendes ist eine Offenbarung in einem Einzelfall. Doch für eine Offenbarung des Endes der gesamten Welt müßte das Ganze der göttlichen Vorsehung geoffenbart werden. Daher kann man hier Beides nicht gleichsetzen. Zu 5. Die hier angeführten Zeichen sollen die Tatsache zu erkennen geben, daß die Welt irgendeinmal zu ihrem Ende kommen wird, nicht aber den genauen Zeitpunkt ihres Endes. Unter diesen Zeichen gibt es nämlich einige, die seit Anbeginn der Welt auftraten, z. B. der Aufstand eines Volkes gegen das andere und Erdbeben an bestimmten Stellen. Ist aber der Augenblick des Weltendes gekommen, dann werden diese Geschehnisse in weit größerem Ausmaß auftreten. In welchem Ausmaß aber jene Zeichen am Ende der Welt auftreten, bleibt uns verschlossen. Zu 6. Der hier angeführte Tadel des Herrn gilt denjenigen, die den genauen Zeitpunkt seiner ersten Ankunft [auf Erden] nicht er-

90 Augustinus, De diversis quaestionibus LXXXIII; q. LVIII, 2 (CCSL 44 A, 105).

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kannten; er gilt aber nicht jenen, die den genauen Zeitpunkt seiner zweiten Ankunft nicht kennen. Zu 7. Die erste Ankunft des Herrn eröffnete uns den Weg, durch den Glauben und andere Tugenden Verdienste zu erwerben. Deswegen wird von uns erwartet, daß wir von seiner ersten Ankunft Kenntnis nehmen, damit wir uns im Glauben an ihn, der gekommen ist, durch seine Gnade Verdienste erwerben. Bei seiner zweiten Ankunft aber werden die Verdienste belohnt. Von uns wird da nicht erwartet, daß wir etwas tun oder erkennen, sondern wir sollen da etwas in Empfang nehmen. Daher braucht man auch nicht den genauen Zeitpunkt für die Wiederkunft im voraus zu wissen. ›Offenkundig‹ heißt diese Wiederkunft aber nicht deswegen, weil sie im voraus offenkundig wäre, sondern weil sie offenkundig sein wird, wenn sie Gegenwart geworden ist. Zu 8. Das physische Leben eines Menschen hängt von bestimmten, ihm vorgängigen physischen Ursachen ab, aus denen sich etwas für sein Lebensende prognostizieren läßt. Bei der Welt im ganzen kann man jedoch nicht so verfahren. In dieser Hinsicht kann man also Beides nicht gleichsetzen. In anderen Bereichen jedoch behält der Mensch als eine Welt im kleinen seine Ähnlichkeit mit der Welt im Großen. Zu 9. Die hier angeführten Schriftstellen, die offensichtlich von der Kürze der Zeit bzw. der Nähe des Endes sprechen, sollten nicht so sehr mit einem Zeitmaß in Verbindung gebracht werden als vielmehr mit der Abfolge der Weltepochen. Denn auf das Gesetz des Evangeliums, das die Erfüllung gebracht hat, folgt keine weitere Epoche, so wie es ja selbst auf das alte Gesetz, und das alte Gesetz auf das Gesetz der Natur gefolgt ist. Zu 10. Jener Zusammenschluß der Feuer dieser Welt wird wahrscheinlich nicht durch irgendeine natürliche Ursache zustande kommen, durch die der Zeitpunkt seines Eintretens aus der Beobachtung der Himmelsbewegung hätte vorausgesehen werden können. Vielmehr wird er eintreten, sobald dies Gottes Wille ist.

7. Artik el Die siebte Frage lautet: Bleiben nach dem Ende der Himmelsbewegung die Elemente bestehen? 91 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. In 2 Petr. 3, 10 heißt es, daß sich am Ende der Welt die Elemente in der Feuersglut auflösen werden. Was sich aber auflöst, bleibt nicht bestehen. Demnach werden die Elemente nicht bestehen bleiben. 2. Nun wurde eingewandt: Ihrer Substanz nach werden die Elemente bestehen bleiben, nicht aber ihre Eigenschaft, Wirkungen hervorzubringen und Einwirkungen zu unterliegen. – Dem ist zu erwidern: Solange eine Ursache bestehen bleibt, bleibt auch ihre Wirkung bestehen. Nun verursachen die wesentlichen Prinzipien die charakteristischen Akzientien. Da also die Eigenschaft, Wirkungen hervorzubringen und Einwirkungen zu unterliegen, ein Akzidens ist, das für die Elemente charakteristisch ist, so werden auch ihre aktiv wirksamen Eigenschaften offensichtlich solange bestehen bleiben wie ihre wesentlichen Prinzipen, ohne die wiederum die Substanz nicht sein kann. 3. Ein unveräußerliches Akzidens kann niemals wirklich von seinem Träger abgetrennt werden. Nun stellt aber die Hitze ein unveräußerliches Akzidens des Feuers dar. Folglich kann das Feuer nicht bestehen bleiben, ohne daß da nicht auch die Hitze bestehen bliebe. Das Gleiche gilt auch für die übrigen Elemente. 4. Nun wurde eingewendet: Gottes Kraft wird es ermöglichen, daß die Elemente ohne ihre Eigenschaften, Wirkungen hervorzubringen und Einwirkungen zu unterliegen, bestehen bleiben, auch wenn so etwas nicht auf natürlichem Wege möglich ist. – Dem ist zu erwidern: So wie die Natur am Anfang der Welt angelegt wurde, so wird sie am Ende der Welt vollendet. Bei der Frage nach dem Anfang der Welt muß man aber, wie Augustinus sagt, nicht das in Betracht ziehen, was Gott alles hätte tun können, sondern das, was für die Natur der Dinge charakteristisch ist.92 Demnach ist dies auch für das Ende der Welt im Auge zu behalten. 91 Paralleltexte: ScG IV, 97. Sent. IV, d. 47 q. 2 a. 2 q.la 2 c.; d. 44 q. 2 a. 1 q.la 1 c.; d. 48 q. 1 a. 4 q.la 2 ad 3. Opusc. III, 3; 171. Opusc. IX, a. 19. 92 Augustinus, De Gen. ad litt. II, 12 (CSEL 28/1, 32 ff.).

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5. Die Eigenschaft, Wirkungen hervorzubringen und Einwirkungen zu unterliegen, besitzen alle Elemente. Nun bemerkt aber Beda in seiner Glosse zu der oben herangezogenen Stelle aus dem Petrusbrief,93 daß jenes Feuer, das am Ende der Welt auftreten wird, zwei der Elemente vernichten, die beiden anderen aber in eine lautere Gestalt überführen wird.94 Die Auflösung der Elemente kann also nicht für ihre Eigenschaft gelten, Wirkungen hervorzubringen und Einwirkungen zu unterliegen. Denn sonst könnte keine Rede davon sein, daß nur zwei Elemente vernichtet werden. 6. Nun wurde eingewendet: Bei zwei Elementen, beim Feuer und Wasser, sticht die Eigenschaft hervor, daß sie Wirkungen, nämlich Hitze und Feuchtigkeit, hervorbringen. Deswegen ist hier die Rede davon, daß diese beiden Elemente im Gegensatz zu den anderen vernichtet werden. – Dem kann man entgegenhalten: Am Ende der Welt werden die Elemente geläutert. Nun steht aber nach Augustinus das, was eine Wirkung vollbringt, höher als das, was einer Wirkung unterliegt.95 Folglich müßten eher diejenigen Elemente bestehen bleiben, bei denen die Eigenschaft, Wirkungen hervorzubringen, hervorsticht, als diejenigen, bei denen die Eigenschaft hervorsticht, Wirkungen zu unterliegen. 7. Augustinus bemerkt, daß Wasser und Erde die Neigung zeigen, einer Wirkung zu unterliegen, Luft und Feuer hingegen die Neigung zeigen, eine Wirkung hervorzubringen.96 Wenn man also behauptet, daß einige Elemente wegen ihrer aktiven Kraft vernichtet werden, dann dürfte dies doch offensichtlich eher vom Feuer und der Luft als vom Feuer und dem Wasser gelten. 8. Wie heiß und kalt, feucht und trocken natürliche Eigenschaften der Elemente darstellen, so auch schwer und leicht. Wenn also jene [zuerst genannten] Eigenschaften nicht an den Elementen bestehen bleiben würden, dann auch nicht die Schwere und Leichtigkeit. Nun bestimmt sich aber der jeweilige Ort der Elemente nach ihrer natürlichen Schwere und Leichtigkeit. Wenn also die Eigen93 94 95 96

Vgl. De pot. q. 5 a. 7 arg. 1. Beda Venerabilis, Expositio in Ep. II Petri III (PL 93, col. 82 C). Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 16 (CSEL 28/1, 402). Augustinus, De Gen. ad litt. III, 10 (CSEL 28/1, 73).

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schaften der Elemente nach dem Ende der Welt keinen Bestand mehr hätten, dann verlöre sich bei ihnen die Trennschärfe ihrer Lage, also z. B., daß die Erde unten und das Feuer oben ist. 9. Die Elemente sind hervorgebracht worden für den Menschen auf seinem Weg zur Seligkeit. Ist aber einmal dieses Ziel erreicht, dann verschwindet das, was diesem Ziel dient. Steht also der Mensch einmal in der vollen Seligkeit – was am Ende der Welt der Fall sein wird –, dann verschwinden auch die Elemente. 10. Die Materie ist für eine Form da, die sie bei einem Entstehungsprozeß erhält. Nun erfüllen die Elemente für alle anderen zusammengesetzten Körper die Funktion der Materie. Wenn also nach dem Ende der Welt die Entstehung der zusammengesetzten Körper an ihr Ende kommt, dann werden offensichtlich auch die Elemente nicht mehr bestehen bleiben. 11. Zu Lk. 21, 33 »Himmel und Erde werden vergehen« bemerkt die Glosse: »nachdem sie ihre frühere Form abgelegt haben«. Insofern also die Form das Sein verleiht, so werden offensichtlich die Elemente am Ende der Welt ihr Sein verlieren. 12. Nach Aristoteles97 gehören das Vergängliche und das Unvergängliche nicht zur selben Gattung, und dies gilt daher auch für das Veränderbare und das Unveränderbare. Wenn also etwas aus der Veränderbarkeit in die Unveränderbarkeit übergeht, dann wird es nicht mehr derjenigen Gattung angehören, die für es natürlich ist. Nun gehen aber die Elemente aus der Veränderbarkeit in die Unveränderbarkeit über, wie ja auch die Glosse zu Mt. 5, 19 »Bis der Himmel und die Erde vergehen …« bemerkt: »Bis sie aus der Veränderbarkeit in die Unveränderbarkeit übergehen«. Demnach werden die Elemente ihre gegenwärtige Natur nicht behalten können. 13. Die Verfassung, die die Elemente momentan haben, ist ihnen natürlich. Angenommen aber, ihnen würde diese genommen und sie erhielten dafür eine andere, dann wird ihnen die letztere nicht natürlich sein. Was aber widernatürlich ist und sich einer Gewalteinwirkung verdankt, kann nicht für immer bestehen bleiben. Dies weist Aristoteles in De caelo nach.98 Demnach könnte diese neue 97 Aristoteles, Met. X, 10; 1058 b 26 ff. 98 Aristoteles, De caelo III, 2; 300 a 20 ff.

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Verfassung nicht für immer an den Elementen bestehen bleiben. Vielmehr würden sie wieder zu ihrer früheren Verfassung zurückkehren. So etwas kann aber offensichtlich nicht geschehen. Demnach werden die Elemente in ihrer Substanz zerstört – und nicht bloß in ihrer [gegenwärtigen] Verfassung, während ihre Substanz erhalten bleibt. 14. Nur dasjenige kann nicht dem Werden und Vergehen unterliegen, dessen Materie vollständig von derjenigen Form durchdrungen ist, für die es angelegt ist. Dies ist etwa bei den Himmelskörpern der Fall. Auf die Elemente trifft so etwas jedoch nicht zu. Denn die Materie, die von der Form eines Elementes durchdrungen ist, kann die Form eines anderen Elementes annehmen. Demnach können die Elemente nicht unvergänglich sein und mithin können sie nicht für immer bestehen bleiben. 15. Das, was nicht die Kraft zu einem immerwährenden Dasein hat, kann nicht unentwegt andauern. Da nun die Elemente vergänglich sind, haben sie auch nicht die Kraft zu einem immerwährenden Dasein. Demnach können sie nicht weiter bestehen bleiben, sobald die Himmelsbewegung zu ihrem Ende kommt. 16. Nun wurde eingewendet: Zwar sind die Elemente im Einzelfall vergänglich, doch nicht aufs Ganze gesehen. – Dem ist zu erwidern: Das Erstere gilt, weil infolge der Himmelsbewegung ein Element im einen Fall zergeht und im anderen Fall entsteht. Dadurch bleibt also dieses Element, aufs Ganze gesehen, erhalten. Sobald aber die Himmelsbewegung zu ihrem Ende kommt, läßt sich bei diesem Element in seiner Gesamtheit kein Grund mehr für seine Unvergänglichkeit angeben. 17. Aristoteles bemerkt, daß die Himmelsbewegung gleichsam der Lebensquell für alles in der Natur ist.99 Rabbi Moses sagt zudem, die Himmelsbewegung sei für das Weltganze das, was der Herzschlag für ein Lebewesen ist, insofern von diesem das Leben dieses Lebewesens vollständig abhängt.100 Kommt es aber zum Herzstillstand, dann zergehen alle Teile des Lebewesens. Kommt dem99 Aristoteles, Phys. VIII, 1; 250 b 14 f. 100 Mose ben Maimon, Führer der Unschlüssigen I, 72 (ed. Weiss I,

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nach die Himmelsbewegung zum Stillstand, so werden alle Teile des Weltganzen zugrunde gehen. Mithin werden auch die Elemente nicht bestehen bleiben. 18. Jedes Ding verdankt sein Sein seiner Form. Nun stellt aber die Himmelsbewegung die Ursache für die Formen hier unten dar. Dies erklärt sich daraus, daß nach Auffassung der Philosophen alles hier unten nur kraft der Himmelsbewegung seine Gestalt erlangt. Hört also die Himmelsbewegung auf, dann verlieren die Elemente ihr Sein, da sich ihre Formen auflösen. 19. Scheint Sonne, dann sind stets die höheren Elemente den niederen überlegen. Dies ist etwa im Sommer der Fall wegen der verstärkten Erwärmung. Scheint die Sonne aber nicht, dann tritt das Gegenteil ein. Kommt aber die Himmelsbewegung zum Erliegen, dann scheint die Sonne immer in einer Gegend, in einer anderen aber nicht. Folglich zersetzen sich in der einen Gegend die kalten Elemente vollständig, und in der anderen die warmen Elemente. Somit können die Elemente nicht bestehen bleiben, sobald die Himmelsbewegung aufhört. dagegen spricht: 1. Zu Röm. 8, 20 »Der Hinfälligkeit ist die Schöpfung unterworfen« bemerkt die Glosse des Ambrosius: »Alle Elemente erfüllen unter Anstrengungen ihre Aufgabe. Nach unserer Aufnahme in den Himmel werden sie daher zur Ruhe kommen.«101 Ruhe gibt es aber nur bei dem, was auch Sein hat. Demnach werden die Elemente am Ende der Welt bestehen bleiben. 2. Die Elemente sind erschaffen worden, damit die Güte Gottes offenbar werde. Nun müßte aber die Güte Gottes dann am deutlichsten zum Vorschein kommen, wenn die Dinge ihre letzte Vollendung erhalten. Demnach werden die Elemente am Ende der Welt bestehen bleiben. Antwort: Es herrscht allgemeine Übereinstimmung darüber, daß die Elemente irgendwie bestehen bleiben und irgendwie vergehen werden. 101 Ambrosiaster, In ep. ad Romanos (CSEL 81, 280 ff.).

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Doch darüber, in welcher Weise sie nun bestehen bleiben und vergehen werden, herrscht Uneinigkeit. (A) Einige Autoren behaupteten nämlich, daß alle Elemente materiell bestehen bleiben, einige von ihnen aber eine höhere Form erhalten, namentlich das Wasser und das Feuer, welche die Form des Himmels erhalten werden. Somit könnten dann drei Elemente mit ›Himmel‹ bezeichnet werden: die Luft, die schon von ihrem Wesen her in der Hl. Schrift zuweilen als Himmel bezeichnet wird, sowie das Wasser und das Feuer, welche die Form des Himmels annehmen werden. In diesem Sinne würde sich dann erfüllen, was in Offb. 21, 1 steht: »Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde«, insofern hier mit dem Wort ›Himmel‹ dann Dreierlei gemeint ist: Feuer, Luft und Wasser. Diese Ansicht ist jedoch unhaltbar. Denn die Elemente bergen nicht die Möglichkeit in sich, die Form des Himmels anzunehmen, und zwar deswegen, weil die Form des Himmels keinen Gegensatz kennt und sie diejenige Materie vollständig durchdringt, welche auf diese Form hin angelegt ist. Im anderen Fall wäre ja der Himmel dem Werden und Vergehen unterworfen, was ja, wie Aristoteles nachweist, falsch ist.102 Auch der begründende Charakter [von Offb. 21,1], durch den diese Ansicht gestützt werden soll, ist hinfällig. Denn wie Basilius in seinen Homilien zum Sechstagewerk bemerkt,103 meint die Hl. Schrift, wenn sie von weit auseinander liegenden Dingen spricht, auch das, was zwischen ihnen liegt, so z. B. in Gen. 1, 1: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« Denn die Rede von der Erschaffung des Himmels und der Erde meint auch die Elemente, die zwischen ihnen liegen. Zudem sind an einigen Stellen im Wort ›Erde‹ all die Dinge hier unten miteinbegriffen, so etwa in Ps. 148, 7: »Lobet den Herrn, ihr auf der Erde«, wo es dann weiter heißt: »Feuer und Hagel« usw. Daher kann man durchaus behaupten, daß die Hl. Schrift in ihrer Rede vom neuen Himmel und von der neuen Erde auch die Erneuerung der Elemente mit einschließt, welche dazwischen liegen, bzw. daß das Wort ›Erde‹ alle Elemente einschließt. 102 Aristoteles, De caelo I, 10 – II, 1; 279 b 4 ff. 103 Basilius, Homiliae I, 7 (SC 26, 116 ff.).

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(B) Aus diesem Grund behaupteten andere Autoren, daß alle Elemente in ihrer Substanz erhalten bleiben, und dies meine nicht nur ihre Materie, sondern auch deren substantiale Formen. So erhalten sich ja auch, wie Avicenna meint,104 die substantialen Formen der Elemente in einem zusammengesetzten Körper. Hierbei bleibt aber ihre Eigenschaft, Wirkungen hervorzubringen bzw. Einwirkungen zu unterliegen, nicht mehr in vollem, sondern nur mehr in einem reduzierten Umfang erhalten. Dementsprechend ist es dann möglich, daß im letzten Stadium der Welt die Elemente ohne diese ihre Eigenschaft bestehen bleiben. Einer solchen Ansicht scheinen auch die folgenden Worte Augustins beizupflichten: »Bei jenem Weltenbrand werden die Eigenschaften der vergänglichen Elemente, über die ja auch unser Körper verfügt, völlig verglühen, und ihre Substanz wird Eigenschaften aufweisen, über die die unsterblichen Körper kraft einer wundersamen Wandlung verfügen werden.«105 Eine solche Behauptung ist jedoch, wie es scheint, unhaltbar. Erstens deswegen: Weil die Eigenschaft, Wirkungen hervorzubringen bzw. Einwirkungen zu unterliegen, den Elementen an sich zukommt, so muß sich diese Eigenschaft Prinzipien verdanken, die für die Elemente wesentlich sind. Solange deshalb an den Elementen diese Prinzipien, die für sie wesentlich sind, bestehen bleiben, kann auch jene Eigenschaft nicht verschwinden, außer infolge von Gewalteinwirkung, die aber nicht von Dauer sein kann. Aus diesem Grund scheint auch jene Ansicht Avicennas nicht haltbar zu sein, der zufolge sich die Formen der Elemente in einem zusammengesetzten Körper als wirkliche erhalten. Vielmehr erhalten sie sich, wie Aristoteles sagt, der Möglichkeit nach.106 Sonst müßten sich nämlich die Formen der einzelnen Elemente jeweils gesondert in der Materie erhalten, und dies könnte nur der Fall sein, wenn diese Formen auch hinsichtlich ihrer Lage unterschieden blieben. Dann aber gäbe es hier keine richtige Zusammensetzung [aus Elementen], sondern nur eine dem äußeren Anschein nach. In einem zusammengesetzten Körper jedoch wirken die Eigenschaften des einen Elementes ge104 Avicenna, Met. IX, 5 (Avicenna latinus 4, ed Van Riet, 488 ff.). 105 Augustinus, De civ. Dei XX, 16 (CCSL 48, 726 f.). 106 Aristoteles, Met. VII, 11; 1037 b 1–5.

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gen die Eigenschaften des anderen Elementes. Dies kann es aber bei der Vollendung der Welt nicht mehr geben, mit der ja alle Gewalteinwirkung aufhören wird. Zweitens deswegen: Angesichts der Tatsache, daß die Eigenschaft, Wirkungen hervorzubringen bzw. Einwirkungen zu unterliegen, mit der Unversehrtheit des Wesens der Elemente steht und fällt, müßte es [nach der obigen These] dazu kommen, daß die Elemente nicht mehr intakt wären. Daher bezieht sich die gerade angeführte Stelle aus Augustinus nicht auf die Eigenschaft, Wirkungen hervorzubringen bzw. Einwirkungen zu unterliegen, sondern auf den Zustand der Dinge, die dem Werden, dem Vergehen und der Veränderung unterliegen. (C) So muß man also feststellen, daß die Elemente sowohl in ihrer Substanz wie auch in den Eigenschaften, die für sie natürlich sind, erhalten bleiben. Jedoch das ständige Werden, Vergehen und Verändern wird aufhören. Denn dadurch tragen die Elemente zur Vollzähligkeit der Erwählten bei, wie dies auch der Himmel durch seine Bewegung tut. Denn wenn, wie vorhin aufgezeigt, das Weltganze für immer bestehen bleibt, dann bleibt zwangsläufig auch das, was zur Vollkommenheit des Weltganzen dazugehört, bestehen. Dies gilt nun auch für die Elemente, da sie ja wesentliche Bestandteile des Weltganzen sind, wie Aristoteles aufzeigt.107 Wenn nämlich das Weltall ein kugelförmiger Körper ist, dann muß es einen Mittelpunkt haben, und dies ist die Erde. Schreibt man jedoch der Erde, da sie ja von Haus aus schwer ist, den Platz im Mittelpunkt zu, dann muß man ein Gegenstück zu ihr annehmen, und dies ist das Feuer, das von Haus aus leicht ist. Denn wenn das eine Glied eines Gegensatzes ein bestimmtes Wesen hat, so gilt dies auch für das andere Glied. Hat man nun zwei Glieder, die denkbar weit auseinander liegen, dann läßt sich zwangsläufig auch etwas denken, was zwischen ihnen liegt, und dies müssen die Luft und das Wasser sein, die im Vergleich zum Feuer etwas schwerer sind und im Vergleich zur Erde etwas leichter.108 Dabei liegt eines von beiden näher an der Erde als 107 Aristoteles, De caelo II, 5-6; 287 b 22 ff. 108 quae sunt ad ignem quidem levia, ad terram autem gravia M: ad

ignem quidem gravia, ad terram autem levia L.

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das andere. Bereits am Aufbau des Weltganzen zeigt sich also, daß die Elemente seine wesentlichen Bestandteile sind. Dies zeigt sich auch in aller Deutlichkeit, wenn man sich das Verhältnis von Ursache und Wirkung bewußt macht. Denn wie der Himmel einwirkt auf all die Dinge, die dem Werden unterworfen sind, so stellen die Elemente die Materie für all diese Dinge dar. Wenn es daher für die Vollständigkeit des Weltganzen unabdingbar ist, daß die Elemente in ihrer Substanz erhalten bleiben, so sind die Elemente auch von Haus aus dafür angelegt. Was aber die Vergängnis der zusammengesetzten Körper und der Elemente anbelangt, so kommt sie auf je andere Weise zustande. Denn die zusammengesetzten Körper bergen das aktive Prinzip in sich, das zu ihrer Vergängnis führt, und zwar deswegen, weil sie aus Gegensätzlichem bestehen. Doch die Elemente, die einen Widerstand nur von außen erfahren, selbst aber nicht aus Gegensätzlichem bestehen, bergen in sich kein aktives, sondern nur ein passives Prinzip, das zu ihrer Vergängnis führt, insofern sie eine Materie besitzen, die für eine andere Form ausgelegt ist, welche an ihr noch ausbleibt. Infolge dieses passiven Prinzips erfolgt, Averroes zufolge, das Werden und Vergehen bei den Elementen in Form von natürlichen Bewegungen und Veränderungen, und nicht infolge eines aktiven Prinzips.109 Da also, wie oben gezeigt, für einen Himmelskörper das Prinzip, welches seine Bewegung aktiv bewirkt, ein äußerliches ist, so besteht die Möglichkeit, daß seine Bewegung ohne Gewalteinwirkung zum Erliegen kommt und er selbst dabei bestehen bleibt. Genausogut besteht die Möglichkeit, daß das Zergehen der Elemente einmal aufhört und sich ihr Dasein erhält, sobald einmal der von außen einwirkende Faktor verschwindet, der für ihr Zergehen verantwortlich ist. Dieser Faktor ist in der Himmelsbewegung zu sehen als dem ersten Prinzip für das Werden und Vergehen. Zu 1. Mit der hier angeführten Vernichtung ist keine Zerstörung der Elemente in ihrer Substanz gemeint, sondern ihre Läuterung, die durch das Feuer erfolgt, das dem Erscheinen des Richters vor109 Averroes, In II Phys. com. 74 (Aristotelis opera cum Averrois commentaria, Vol. IV, fol. 75 r D–F).

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angeht. Nach dieser Läuterung werden aber die Elemente, wie ausgeführt, in ihrer Substanz und in ihren natürlichen Eigenschaften erhalten bleiben. Zu 2./3. Das hier Angeführte lassen wir gelten. Zu 4. Am Anfang der Welt wurde die Natur der Körper so angelegt, daß sie dem Werden und Vergehen unterliegen, wodurch die Vollzähligkeit der Erwählten zustande kommt. Am Ende der Welt wird die Substanz der Elemente erhalten bleiben, insofern sie zur Vollständigkeit des Weltganzen dazugehören. Daher brauchen die Elemente in jenem letzten Stadium nicht all das in sich zu bergen, was sie am Anfang der Welt an sich haben mußten. Zu 5. Bedas Glosse ist so zu verstehen, daß zwei Elemente nicht in ihrer Substanz zerstört werden, sondern daß ihr Zustand verändert wird. Dies gilt vor allem für die beiden Elemente der Luft und des Wassers, auf die sich nach Ansicht mancher Autoren diese Glosse bezieht. Gleichwohl beziehen andere Autoren diese Glosse auf das Wasser und das Feuer, bei denen die Eigenschaft hervorsticht, Wirkungen zu vollbringen. Zu 6. Ein Wirken hängt in erster Linie vom Wirkenden ab und nicht von dem, das diesem Wirken unterliegt, und zwar einfach deswegen, weil das, was wirkt, von höherem Wert ist als das, was einem Wirken unterliegt. Wenn daher die Elemente nicht mehr einer Veränderung und einer gegenseitigen Einwirkung unterliegen werden, läßt sich dies eher als ein Ausbleiben von aktiven Kräften fassen als ein Verschwinden von passiven Eigenschaften. Zu 7. Wenn man das Wirken und die Rezeptivität bei den Elementen auf ihre substantiellen Prinzipien zurückführt, so behält Augustinus Recht mit dem, was er an der hier angeführten Stelle sagt, daß nämlich Wasser und Erde die Neigung zeigen, einer Einwirkung zu unterliegen, während Luft und Feuer die Neigung zeigen, eine Wirkung hervorzubringen. Denn bei der Luft und beim Feuer überwiegt die Form, die ja das Prinzip für ein Wirken darstellt. Bei der Erde und beim Wasser überwiegt die Materie, die dafür verantwortlich ist, daß sie einer Einwirkung unterliegen können. Wenn man aber das Wirken und die Rezeptivität bei den Elementen auf ihre Eigenschaft zurückführt, Wirkungen hervorzubringen bzw. Einwirkungen zu unterliegen, – die ja unmittelbar für ein Wir-

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ken verantwortlich sind –, dann sind Feuer und Wasser in höherem Maße wirksam, während Luft und Erde in höherem Maße einer Einwirkung unterliegen. Zu 8. Das hier Ausgeführte lassen wir gelten. Zu 9. Im Hinblick auf ihre Veränderbarkeit sind die Elemente für den Menschen auf seinem Weg zur Seligkeit erschaffen worden. Was aber ihre Substanz anbelangt, sind die Elemente zwecks der Vollständigkeit des Weltganzen und eben auch für das Dasein des Menschen erschaffen worden, der ja aus den Elementen besteht. Zu 10. Am Ende der Welt werden nicht alle zusammengesetzten Dinge ihr Sein verlieren, da ja die menschlichen Körper bestehen bleiben. Es stimmt daher, daß, wenn die Elemente im menschlichen Körper als der Welt im Kleinen teilweise bestehen bleiben, sie alle auch in der Welt im Großen erhalten bleiben. Zu 11. Diejenige Form, welche die Elemente ablegen, betrifft ihre Veränderbarkeit und meint nicht die Form, die das Prinzip für ihr Dasein darstellt. Zu 12. Den Elementen wird ihr Hang zur Veränderung benommen, denn Veränderung wird bei ihnen nicht mehr vorkommen. Doch ihre veränderbare Natur werden sie nicht verlieren. Zu 13. Die Anlage der Elemente zum Werden und Vergehen sowie zur Veränderung ist für sie natürlich, solange die Himmelsbewegung bestehen bleibt. Dies gilt aber nicht mehr, nachdem einmal die Himmelsbewegung zu ihrem Ende gekommen ist. Zu 14. Das hier vorgebrachte Argument weist nach, daß für das Vergehen der Elemente ein materiales und kein aktiv wirksames Prinzip verantwortlich ist. Mithin unterliegen die Elemente keiner Veränderung mehr, wenn die Himmelsbewegung aufhört, die ja das [aktiv wirksame] Prinzip für ihre Veränderung darstellt. Zu 15. Genauso wie ein Element nicht die Kraft zu einem immerwährenden Dasein besitzt, insofern es ja durch etwas, was von außen auf es einwirkt, zerstört werden kann, so birgt es, wie eben gesagt, auch nur die materiale Möglichkeit zu seiner Zerstörung in sich. Zu 16. Solange die Himmelsbewegung anhält, sind die Elemente, aufs Ganze gesehen, unvergänglich, während sie im Einzelfall dem Werden und Vergehen unterliegen. Hört aber einmal die Himmelsbewegung auf, so wird etwas anderes für ihre Unvergänglichkeit

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verantwortlich sein, da sie ja nur durch etwas zerstört werden können, was von außen auf sie einwirkt. Mit dem Erliegen der Himmelsbewegung wird aber dieser von außen einwirkende Faktor, der für ihre Zerstörung verantwortlich ist, verschwinden. Zu 17. Die Himmelsbewegung belebt gewissermaßen die gesamte Natur in ihrem Zustand der Veränderbarkeit, der sich aber am Ende der Welt verliert. Zu 18. Zwar hängt die Überführung der Formen aus ihrem Möglichsein in die Wirklichkeit von der Himmelsbewegung ab. Doch ihre Erhaltung hängt, wie bereits ausgeführt, von höheren Prinzipien ab. Zu 19. Durch ihre Bewegung verursacht die Sonne die Wärme, wie Aristoteles sagt.110 Mit ihrem Stillstand fällt daher die Ursache für das Vergehen der Elemente weg, welches ja von der Überhitzung herrührt. 8. Artik el Die achte Frage lautet: Bleibt nach dem Ende der Himmelsbewegung die Aktivität und Rezeptivität bei den Elementen bestehen?111 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Die natürlichen Kräfte sind auf ein einziges Ziel festgelegt. So richtet sich ja die Kraft des Feuers als eine natürliche Kraft auf die Erhitzung, nicht aber darauf, nicht zu erhitzen. Nun bleibt aber, wie im letzten Artikel ausgeführt, am Ende der Welt die Kraft des Feuers und der übrigen Elemente erhalten. Demnach können das Feuer und die übrigen Elemente unmöglich nicht aktiv wirksam sein. 2. Aristoteles sagt: Damit es zu einer Einwirkung und einer entsprechenden Wirkungsaufnahme kommt, muß beim Einwirkenden und Aufnehmenden eine Gleichheit in der Materie und eine Ungleichheit in der Form vorherrschen.112 Dies wird aber bei den Elementen der Fall sein, sobald die Himmelsbewegung aufhört. Denn 110 Aristoteles, De caelo II, 7; 289 a 20 ff. 111 Paralleltexte: Sent. II, d. 11 q. 2 a. 6 ad 3; d. 33 q. 2 a. 1 ad 3; IV, d. 44

q. 3 a. 1 q.la 3 c. Quodl. VII, a. 11. Opusc. III, c. 176. 112 Aristoteles, De gen. et corr. I, 7; 323 b 15 ff.

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die Substanz der Elemente wird erhalten bleiben, und somit bleiben auch ihre wesentlichen Prinzipien von einer Veränderung unberührt. Demnach wird es Aktivität und Rezeptivität bei den Elementen auch noch nach dem Ende der Himmelsbewegung geben. 3. Die Aktivität und Rezeptivität bei den Elementen kommt daher, daß bei der elementaren Materie immer das Streben nach einer anderen Form besteht, selbst dann noch, wenn sie dank einer bestimmten Form vervollständigt ist. Nun wird aber dieses Streben in der Materie auch nach dem Ende der Himmelsbewegung erhalten bleiben, da ja die Möglichkeiten der Materie nicht durch eine einzige Elementarform ausgeschöpft werden können. Demnach wird am Ende der Welt die Aktivität und Rezeptivität bei den Elementen bestehen bleiben. 4. Das, was zur Vollständigkeit eines Elements gehört, wird ihm nicht benommen werden. Nun gehört es aber zur Vollständigkeit von allem, was da ist, daß es etwas von seinesgleichen hervorbringt. Denn die Weitergabe des Seins verdankt sich beim Seienden insgesamt dem höchsten Gut. Demnach werden die Elemente auch am Ende der Welt etwas von ihresgleichen hervorbringen. Mithin wird ihre Aktivität und Rezeptivität bestehen bleiben. 5. Wie es für das Feuer charakteristisch ist, heiß zu sein, so ist es auch sein Charakteristikum, Hitze zu erzeugen. Denn wie das Heißsein sich den wesentlichen Prinzipien des Feuers verdankt, so verdankt sich auch seine Hitzeerzeugung seinem Heißsein. Wenn also am Ende der Welt das Feuer und seine Hitze bestehen bleiben, dann wird offensichtlich auch seine Hitzeproduktion erhalten bleiben. 6. Alle natürlichen Körper, die miteinander in Berührung kommen, verändern einander in irgendeiner Weise. Dies erhellt aus dem 1. Buch von Über das Werden und Vergehen.113 Nun kommen aber die Elemente in jenem [letzten] Weltstadium miteinander in Berührung. Demnach werden sie einander verändern, und mithin wird es hier Aktivität und Rezeptivität geben. 7. Am Ende der Welt »wird das Licht des Mondes dem der Sonne gleich sein, das Licht der Sonne aber wird siebenfach« (Jes. 30, 26). Nun erleuchten aber Sonne und Mond gegenwärtig mit ihrem Licht 113 Aristoteles, De gen. et corr. I, 7; 324 a 22 ff.

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die Körper hier unten. Demnach werden sie sie dann erst recht erleuchten. Somit wird bei den Dingen hier unten ein gewisse Aktivität und Rezeptivität erhalten bleiben, denn das erleuchtete Medium wirft das Licht zurück auf ganz weit entfernte Körper. 8. Die Heiligen werden mit ihren eigenen Augen die Dinge dieser Welt schauen. Nun kann man aber nichts sehen ohne eine Aktivität und Rezeptivität, denn der Gesichtssinn vernimmt ja das, was sichtbar ist. Demnach wird es Aktivität und Rezeptivität auch noch nach dem Ende der Himmelsbewegung geben. dagegen spricht: 1. Verschwindet eine Ursache, dann verschwindet auch ihre Wirkung. Nun ist aber nach der Lehre von Aristoteles114 die Himmelsbewegung die Ursache für Aktivität und Rezeptivität bei den Dingen hier unten. Verschwindet also die Himmelsbewegung, dann verschwinden auch Aktivität und Rezeptivität bei den Dingen hier unten. 2. Ohne Bewegung kann es keine Aktivität und Rezeptivität bei den Körpern geben. Verschwindet aber die erste Bewegung, die nach dem Aufweis von Aristoteles identisch ist mit der Himmelsbewegung,115 dann verschwinden zwangsläufig auch die ihr nachgeordneten Bewegungen. Verschwindet also die Himmelsbewegung, dann verschwinden Aktivität und Rezeptivität bei den Dingen hier unten. antwort: Sobald, wie es im Buch von den Ursachen heißt,116 die Erstursache ihr Wirken dem von ihr Verursachten entzieht, entzieht zwangsläufig auch die Zweitursache ihm ihr Wirken, und zwar deswegen, weil sich eben dieses Wirken der Zweitursache dem Wirken der Erstursache verdankt, kraft derer sie wirkt. Da aber alles nur eine Wirkung vollbringt, sofern es in der Wirklichkeit ist, so muß sich die Rangordnung der wirksamen Ursachen nach ihrem Wirklichkeitsgrad bemessen. 114 Aristoteles, Meteor. 338 a 20 ff.; De caelo II, 1; 284 a 7 ff. 115 Aristoteles, Phys. VIII, 9; 265 a 13 ff. 116 Liber de Causis, prop. 1, n. 2–5 (ed. Schönfeld, 2 f.).

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Nun ist aber der Wirklichkeitsgrad bei den Körpern hier unten geringer als bei den Himmelskörpern. Denn bei den Körpern hier unten ist die Möglichkeit nicht vollständig durch die Wirklichkeit ausgeschöpft, und zwar deswegen, weil an der Materie, während sie einer bestimmten Form zugrunde liegt, die Möglichkeit zu einer anderen Form bestehen bleibt. Bei den Himmelskörpern kommt so etwas nicht vor, da bei der Materie eines Himmelskörpers nicht die Möglichkeit zu einer anderen Form besteht. Daher ist ihre Möglichkeit vollständig durch diejenige Form ausgeschöpft, die der Himmelskörper besitzt. Die materielosen Substanzen aber haben sogar einen noch höheren Wirklichkeitsgrad als die Himmelskörper, da sie sich nicht aus Materie und Form zusammensetzen, sondern selbständige Formen darstellen. Gleichwohl stehen sie noch unter der Wirklichkeit Gottes, der sein Sein ist, was den übrigen materielosen Substanzen jedoch nicht zukommt. So sehen wir ja auch, daß sich bereits die Elemente untereinander in ihrem Wirklichkeitsgrad überbieten, insofern das Wasser feingestaltiger ist als die Erde, und die Luft feingestaltiger als das Wasser, und das Feuer wiederum feingestaltiger als die Luft. Dasselbe gilt für die Himmelskörper und für die materielosen Substanzen. Die Elemente sind also wirksam kraft der Himmelskörper, und die Himmelskörper kraft der materielosen Substanzen. Setzt daher das Wirken der materielosen Substanzen aus, so kommt zwangsläufig auch das Wirken eines Himmelskörpers zum Erliegen. Kommt aber dieses zum Erliegen, dann zwangsläufig auch das Wirken eines elementaren Körpers. Nun sollte man sich aber dessen bewußt sein, daß es zwei Weisen gibt, wie Körper wirksam werden. Zum einen wird ein Körper so wirksam, wie es seiner Eigentümlichkeit als Körper entspricht. Denn ein Körper ist infolge von Bewegung wirksam, da es für ihn eigentümlich ist, etwas zu bewegen und zu bewirken, wenn er seinerseits bewegt wird. Zum anderen aber wird ein Körper dadurch wirksam, daß er an die Verfassung der materielosen Substanzen herankommt und er damit etwas von ihrer Art und Weise bekommt. So bekommen ja auch die niedrigen Wesen des öfteren etwas von den Eigentümlichkeiten der höheren Wesen; z. B. bekommen man-

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che Tiere eine gewisse Ähnlichkeit mit der Verständigkeit, wie sie den Menschen auszeichnet. Diese letztere Art der Wirksamkeit eines Körpers bezweckt aber nun nicht eine Veränderung an der Materie. Ihr Zweck ist es vielmehr, die gleiche Form über ein Medium zu verbreiten. Dies ist sozusagen eine Art von geistiger Ausstrahlung, die von einem Ding ausgeht und von den Sinnen oder vom Intellekt vernommen wird; und dies ist diese Art und Weise, in der die Sonne die Luft erleuchtet und eine Farbe ihren Farbton über ein Medium verbreitet. Diese beiden Arten von Wirksamkeit hier unten werden aber durch die Himmelskörper verursacht: Dank der Einwirkung eines Himmelskörpers führt einerseits das Feuer mit seiner Hitze eine Veränderung an der Materie herbei. Andererseits verbreiten die sichtbaren Körper kraft des Lichtes, das von einem Himmelskörper herrührt, ihre Formen über ein Medium. Wenn daher beide Arten der Wirksamkeit, die von einem Himmelskörper ausgehen, zum Erliegen kommen, dann wird es auch hier unten keinerlei Wirken mehr geben. Doch wenn die Himmelsbewegung zum Erliegen kommt, dann wird zwar die erste Form von Wirksamkeit verschwinden, nicht aber die zweite. Das bedeutet also: Wenn die Himmelsbewegung zum Erliegen kommt, dann wird sich bei den Dingen hier unten dasjenige Wirken fortsetzen, mit dem es zu der Erleuchtung eines Mediums kommt und mit dem die sinnlich wahrnehmbaren Dinge keine Veränderung an diesem Medium vornehmen. Ausbleiben wird dagegen dasjenige Wirken, das eine Veränderung an der Materie vornimmt und dadurch zum Werden und Vergehen führt. Zu 1. Die Kraft des Feuers zielt in der Tat stets darauf, Hitze zu erzeugen, doch dies nur auf aufgrund von höheren Ursachen, welche für diese Leistung des Feuers erforderlich sind. Zu 2. Ähnlichkeit in der Materie und Gegensätzlichkeit in der Form sind eine zureichende Bedingung für die Aktivität und Rezeptivität hier unten. Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, daß sich der Himmel auch in Bewegung befindet, dank derer alle aktiven Kräfte hier unten ihre Wirksamkeit entfalten. Zu 3. Die Materie ist nur dann eine zureichende Bedingung für eine Wirksamkeit, wenn auch ein aktiv wirksames Prinzip hinzu-

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kommt. Daher ist das Streben der Materie [nach einer Form] kein zureichendes Indiz für eine Wirksamkeit der Elemente, solange man hierbei die Himmelsbewegung außer Acht läßt, der sich diese Wirksamkeit allererst verdankt. Zu 4. Die niederen Dinge erreichen niemals den Vollkommenheitsgrad von höher stehenden Dingen. Nun kennzeichnet es aber die Vollkommenheit des höchsten Wirkers, so vollkommen zu sein, daß er, ohne irgendeiner Fremdeinwirkung zu unterliegen, seine Wirksamkeit entfaltet. Dies kann man aber bei dem, was hier unten wirkt, nicht sagen. Zu 5. Vorausgesetzt, ein Feuer entfaltet seine Wirksamkeit, dann ist es charakteristisch für das Feuer, daß es Hitze erzeugt. Seine Wirksamkeit hängt jedoch, wie gesagt, noch von etwas anderem ab. Zu 6. Das Gleiche gilt auch hier: Nur unter der Voraussetzung, daß sich der Himmel auch bewegt, ist dann der Umstand, daß die Elemente miteinander in Berührung kommen, eine zureichende Bedingung dafür, daß sie ihre Wirksamkeit entfalten. Zu 7./8. Die hier vorgebrachten Argumente lassen wir gelten. Denn sie gehen von einem Wirken aus, das keine Veränderung an der Materie vornimmt, sondern von einem Wirken, mit dem sich die Formen sozusagen nach Art einer geistigen Ausstrahlung verbreiten. 9. Artik el Die neunte Frage lautet: Bleiben nach dem Ende der Welt die Pflanzen, die Tierwelt und die mineralischen Körper bestehen?117 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. In Koh. 3, 14 heißt es: »Ich erkannte: Alle Werke Gottes bestehen für immer.« Nun sind die mineralischen Körper, die Pflanzen und die Tierwelt Gottes Werk. Folglich werden sie auf ewig bestehen bleiben. 2. Nun könnte man einwenden: Dies gilt für diejenigen Werke Gottes, die in gewisser Weise zur Unvergänglichkeit bestimmt sind, 117 Paralleltexte: ScG IV, 97. Sent. IV, d. 43 q. 1 a. 4; q. 2 a. 4 c.; d. 48 q. 2 a. 5 c.; d. 50 q. 2 a. 3 q.la 2 c.

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also etwa für die Elemente, die, aufs Ganze gesehen, unvergänglich sind, doch im Einzelfall der Vergängnis unterworfen sind. – Dem ist zu erwidern: Genauso wie die Elemente, aufs Ganze gesehen, unvergänglich sind, doch im Einzelfall der Vergängnis unterworfen sind, so sind auch die eben angeführten Dinge in ihrer jeweiligen Spezies unvergänglich, ihre einzelnen Exemplare unterliegen jedoch der Vergängnis. Demnach werden offensichtlich auch die eben angeführten Dinge auf ewig erhalten bleiben. 3. Das Streben in der Natur kann unmöglich ins Leere gehen. Daß aber die Natur ein Streben aufweist, liegt ja daran, daß Gott der Natur ein Ziel gesetzt hat. Nun strebt die Natur danach, im Werden und Vergehen den ständigen Erhalt einer Spezies zu gewährleisten. Wenn also die besagten Dinge nicht in ihrer jeweiligen Spezies erhalten blieben, dann ginge das Streben der Natur ins Leere. Das aber kann, wie gesagt, nicht sein. 4. Die Schönheit des Weltganzen wird zur Herrlichkeit der Seligen beitragen. Daher sagen die Väter, daß zur größeren Herrlichkeit der Seligen die Elemente der Welt in einen besseren Zustand versetzt werden. Nun tragen aber die Pflanzen, die mineralischen Körper und die Tierwelt zur Schönheit des Weltganzen bei. Folglich werden sie in jenem letzten Zustand vollkommener Seligkeit nicht entfernt. 5. In Röm. 1, 20 heißt es, daß das Unsichtbare an Gott geistig erfaßt wird an dem, was er erschaffen hat – und dazu gehören auch die Pflanzen und die Tierwelt. Nun erfaßt der Mensch in jenem Zustand vollkommener Seligkeit mit Notwendigkeit das Unsichtbare an Gott. Folglich wäre es unstimmig, wenn die besagten Werke Gottes als Mittel [zu dieser Schau] vernichtet würden. 6. In Offb. 22, 2 heißt es: »An beiden Seiten des Flusses steht der Baum, der zwölf Mal Früchte trägt.« Da hier also von der vollendeten Seligkeit der Heiligen die Rede ist, so bleiben in jenem Zustand offensichtlich die Pflanzen erhalten. 7. Aus Gottes Sein erhält alles, was ist, ein Verlangen nach der Ewigkeit, insofern alles dem ersten Seienden, das ewig ist, ähnelt. Was die Dinge aber aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem göttlichen Sein in sich tragen, das wird ihnen bei ihrer letzten Vollendung nicht genommen. Demnach werden die Pflanzen und die Tierwelt für immer Bestand haben, zumindest in ihrer jeweiligen Spezies.

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8. Im Zustand ihrer letzten Vollendung wird den Dingen nicht das genommen, was zu ihrer Vollkommenheit beiträgt. Nun stellt aber das Werk der Ausschmückung eine Art Vollendung der Schöpfung dar. Da also die Lebewesen zum Werk der Ausschmückung ihren Beitrag leisten, so verlieren sie offensichtlich in jenem letzten Stadium der Welt ihr Sein nicht. 9. Wie die Elemente so sind auch die Pflanzen und die Tierwelt dem Menschen auf seinem Lebensweg dienlich. Nun werden aber die Elemente bestehen bleiben, mithin auch die Pflanzen und die Tierwelt. Somit werden sie offenbar ihr Sein nicht verlieren. 10. Je mehr ein Ding an dem teilhat, was dem obersten ewig Seienden, d. h. Gott, zu eigen ist, desto eher ist es offenbar ewig. Nun haben im Vergleich zu den Elementen die Tiere und Pflanzen in höherem Maße an dem teil, was Gott zu eigen ist, denn die Elemente haben bloß Dasein, die Pflanzen aber Leben, und die Tiere besitzen darüber hinaus auch Wahrnehmung. Folglich müssen die Pflanzen und Tiere weit eher als die Elemente für immer erhalten bleiben. 11. Wie Dionysius bemerkt, hat es die göttliche Weisheit so eingerichtet, daß die höchste Stufe einer niederen Natur in Berührung steht mit der untersten Stufe einer höheren Natur.118 Dem wäre aber nicht so, wenn die Tiere und Pflanzen ihr Sein verlören. Denn die Elemente tragen überhaupt nichts zur Vollkommenheit des Menschen bei, die Tiere hingegen in gewisser Weise durchaus. Unter den Tieren stehen aber gleich die Pflanzen, und unter diesen die mineralischen Körper, unter denen wiederum unmittelbar die Elemente stehen. Da also am Ende der Welt nichts weggelassen werden kann, was dazu beiträgt, die göttliche Weisheit zum Vorschein zu bringen, so dürften offensichtlich auch die Tiere und Pflanzen ihr Sein nicht verlieren. 12. Wenn bei der Erschaffung der Welt die Tiere und Pflanzen nicht hervorgebracht worden wären, wäre die Welt unvollkommen. Nun wird aber die Welt an ihrem Ende vollkommener sein als an ihrem Anfang. Demnach bleiben die Tiere und Pflanzen offensichtlich vollständig erhalten. 13. Bestimmte mineralische Körper und Tiere werden zur Be118 Dionysius Areopagita, De div. nom. VII, 3 (Dion. I, 407 f.).

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strafung der Verdammten eingesetzt. So heißt es etwa in Ps. 10, 7 : »Feuer, Schwefel und Sturmgetöse werden Teil ihres Geschickes sein«; und in Jes. 66, 24: »Ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer nicht erlöschen.« Die Bestrafung der Verdammten wird aber in Ewigkeit dauern. Demnach bleiben auch die Tiere und die mineralischen Körper offensichtlich auf ewig bestehen. 14. In den Elementen liegt der Keim zu den zusammengesetzten Körpern, den Tieren und Pflanzen, wie Augustinus bemerkt.119 Nun wären aber diese Keime zu nichts gut, wenn aus ihnen nicht das Besagte hervorgehen würde. Da also am Ende der Welt die Elemente bestehen bleiben, mithin auch die Keime in ihnen, und da kein Werk Gottes vergeblich ist, so werden die Tiere und Pflanzen bei der Erneuerung der Welt bestehen bleiben. 15. Die letzte Läuterung der Welt erfolgt durch das Wirken des Feuers. Nun weisen bestimmte Mineralien, z. B. Gold, einen so starken Zusammenhalt auf, daß sie nicht einmal durch das Feuer zerstört werden können. Demnach werden zumindest diese Mineralien jene Feuersbrunst überstehen. 16. Ein Universale hat ein immerwährendes Dasein. Nun existiert aber ein Universale nur in Gestalt eines Einzeldinges. Demnach hat eine einzelne Ausprägung eines beliebigen Universale offensichtlich ein immerwährendes Dasein. Folglich haben die Tiere, Pflanzen und mineralischen Körper ein immerwährendes Dasein. dagegen spricht: 1. Origenes sagt: »Man braucht nicht zu meinen, daß die Tiere, sowohl die zahmen als auch die wilden, sowie die Bäume und Steine dieses Ende erleben werden.«120 2. Tiere und Pflanzen sind für das leibliche Dasein des Menschen bestimmt. Daher heißt es in Gen. 9, 3: »Alles, was sich regt und lebendig ist, habe ich zur Nahrung gegeben, wie auch all das, was grünt.« Nun wird aber das leibliche Dasein des Menschen ein Ende finden. Demnach werden auch die Tiere und die Pflanzen ihr Sein verlieren. 119 Augustinus, De trin. III, 8–9 (CCSL 50, 139 ff.). 120 Origenes, De principiis II, 6, 1 (SC 268, 238).

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antwort: Bei jener Erneuerung der Welt wird kein zusammengesetzter Körper bestehen bleiben mit Ausnahme des menschlichen Körpers. Zur Begründung dieser Ansicht sollte man so vorgehen, wie es uns Aristoteles vormacht: Zuerst sollte man die Zielursache in den Blick nehmen, dann die materialen und formalen Prinzipien und zuletzt die bewegenden Ursachen.121 (A) Als Ziel der mineralischen Körper, der Tiere und Pflanzen kommt Zweierlei in Betracht. Erstens ist dies die Vervollständigung des Weltganzen, und dies ist das Ziel, auf das sich alle Teile des Weltganzen richten. Zu diesem Ziel sind die besagten Dinge allerdings nicht in der Weise bestimmt, daß sie an sich und ihrem Wesen nach für die Vervollständigung des Weltganzen erforderlich wären. Denn sie enthalten nichts, was nicht auch in den Hauptbestandteilen der Welt zu finden ist. Dies sind die Himmelskörper und die Elemente, also die aktiv wirksame und materiale Grundlage des Weltganzen. Daher stellen die besagten Dinge vereinzelte Auswirkungen von den allumfassenden Ursachen, also von den Hauptbestandteilen des Weltganzen, dar. Deswegen haben sie mit der Vervollständigung des Weltganzen nur insofern zu tun, als sie aus ihren Ursachen hervorgehen, und dies geschieht durch Bewegung. So tragen sie also zur Vervollständigung des Weltganzen nur solange bei, als dieses in Bewegung ist, nicht aber in einem absoluten Sinn. Hören daher einmal die Veränderungen im Weltganzen auf, so verlieren die besagten Dinge zwangsläufig ihr Sein. Ihr anderes Ziel ist aber der Mensch. Denn wie sagt Aristoteles in seiner Politik: Das, was in der Natur unvollkommen ist, hat das zu seinem Ziel, was vollkommen ist.122 Weil zudem, wie er an derselben Stelle bemerkt, das tierische Leben unvollkommener ist im Vergleich zum menschlichen Leben, das ja schlichtweg vollkommen ist, und das pflanzliche Leben unvollkommener als das tierische, so sind die Pflanzen der Tiere wegen da, weil sie ihnen von Natur aus zur Nahrung dienen; und die Tiere wiederum sind für den Menschen da, weil sie für seine Ernährung und für andere Dienstleistungen un121 Vgl. Aristoteles, Phys. II, 9; 200 a 5-14. 122 Aristoteles, Pol. I, 5; 1254 a 28.

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erläßlich sind. Ihre Unerläßlichkeit dauert aber nur so lange, wie das leibliche Dasein des Menschen andauert. Letzteres wird freilich bei jener Erneuerung der Dinge verschwinden, denn auferweckt wird, wie es in 1 Kor. 15, 44 heißt, kein fleischlicher Körper, sondern der geistige Leib. Aus diesem Grund werden dann auch die Tiere und Pflanzen ihr Sein verlieren. (B) Zum selben Ergebnis führen auch die Materie und Form der besagten Dinge. Denn da sie aus Gegensätzlichem bestehen, tragen sie auch ein aktiv wirksames Prinzip für ihre Vergängnis in sich. Nimmt man daher einmal an, ihre Vergängnis würde nur durch ein von außen kommendes Prinzip gehemmt, dann wäre diese ihre Unvergänglichkeit erzwungen und könnte nicht immer so blieben. Denn das, was auf Gewalteinwirkung beruht, kann nicht von immerwährender Dauer sein, wie Aristoteles in Über den Himmel erklärt.123 Ebensowenig aber haben sie ein internes Prinzip, das sie vor der Vergängnis bewahren könnte. Ihre Formen sind nämlich von Natur aus dem Vergehen unterworfen, da sie ja nicht für sich bestehen, sondern in ihrem Sein von der Materie abhängig sind. Daher können die besagten Dinge weder in ihrer Anzahl noch in ihrer jeweiligen Spezies auf immer dieselben bleiben, sobald einmal das Werden und Vergehen aufhört. (C) Zum selben Ergebnis führt auch die Betrachtung ihrer bewegenden Ursachen. Denn das Sein der Pflanzen und Tiere besteht darin, daß sie leben, und bei körperhaften Dingen geht dies nicht ohne Bewegung. Daher verlieren die Tiere ihr Sein, sobald die Herzbewegung zum Stillstand kommt, und die Pflanzen das ihrige, sobald die Aufnahme der Nährstoffe ausbleibt. Nun findet sich aber an diesen Dingen kein Prinzip für ihre Bewegung, das sich nicht dem Obersten unter all dem verdankte, was da in Bewegung ist. Denn die Seelen der Pflanzen und Tiere stehen vollständig unter dem Einfluß der Himmelskörper. Kommt daher die Himmelsbewegung einmal zum Stillstand, dann wird in ihnen unmöglich noch Bewegung und Leben sein. Somit ist klar, daß bei jener Erneuerung der Welt die besagten Dinge nicht bestehen bleiben können.

123 Aristoteles, De caelo I, 2; 269 b 7 ff.

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Zu 1. Alle Werke Gottes werden in Ewigkeit bestehen bleiben, entweder als sie selbst oder in ihren Ursachen. Auf die letztere Art werden die Tiere und Pflanzen bestehen bleiben, weil ja die Himmelskörper und die Elemente erhalten bleiben. Zu 2. Die immerwährende Dauer, die für eine Spezies und nicht für ein einzelnes Exemplar gilt, wird durch die Fortpflanzung gesichert, die mit dem Stillstand der Himmelsbewegung zum Erliegen kommt. Zu 3. Die Natur strebt solange danach, den ständigen Erhalt einer Spezies zu gewährleisten, als die Himmelsbewegung anhält, durch die diese Ständigkeit gewährleistet werden kann. Zu 4. Die hier in Frage stehenden Dinge tragen zur Schönheit des Weltganzen insofern bei, als es hierbei um den veränderbaren Weltzustand und das leibliche Dasein des Menschen geht. Mehr jedoch tragen sie, wie gesagt, nicht dazu bei. Zu 5. In jener Seligkeit werden die Heiligen es nicht mehr nötig haben, das Unsichtbare an Gott über das Erschaffene vermittelt zu erfassen, wie dies in diesem Leben noch der Fall ist. Auf dieses Leben bezieht sich denn auch der Apostel hier. Die Heiligen werden vielmehr das Unsichtbare an Gott dann als es selbst schauen. Zu 6. Der Baum des Lebens steht hier in übertragener Bedeutung für Christus bzw. für die göttliche Weisheit, von der es in Spr. 3, 18 heißt: »Ein Lebensbaum ist sie für den, der sie ergreift.« Zu 7. Das Verlangen nach der Ewigkeit haben die Geschöpfe aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Gott, ein jedes Geschöpf jedoch auf seine Weise. Zu 8. Das Schöpfungswerk kommt durch die Ausschmückung [der Erde] mit Tieren und Pflanzen insofern zur Vollendung, als dies die erste Vollendung der Welt und ihren der Veränderung unterworfenen Zustand betrifft, der zur Vollzähligkeit der Erwählten beitragen soll. Damit ist aber nicht, wie ausgeführt, die Vollendung der Welt schlechthin gemeint. Zu 9. Wenn man davon spricht, daß den Elementen als solchen etwas vergolten wird, dann meint dies nicht, daß die Elemente selbst sich Verdienste erworben hätten. Es meint vielmehr, daß die Menschen in ihnen ihre Vergeltung erhalten, insofern die Verklärung der Elemente zur Herrlichkeit der Erwählten beitragen wird. Doch

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die Tiere und Pflanzen werden dem Menschen nicht mehr von Nutzen sein, und dies im Gegensatz zu den Elementen, die gewissermaßen den Ort seiner Herrlichkeit darstellen. Daher hinkt hier der Vergleich. Zu 10. In Hinblick auf Leben und Denken stehen Pflanzen und Tiere zwar höher als die Elemente. Im Hinblick auf die Einfachheit jedoch, die ja zur Unvergänglichkeit dazu gehört, haben die Elemente eine größere Ähnlichkeit mit Gott. Zu 11. Der Mensch selbst stellt eine Verbindung der Naturen dar, insofern in ihm die Natur eines zusammengesetzten Körpers, die pflanzliche und die tierische Natur zu einer Einheit zusammengefaßt sind. Zu 12. Wie oben ausgeführt, ist die Vollkommenheit der Welt bei ihrer Erschaffung und bei ihrem Ende eine jeweils andere. Was daher von ihrer zweiten Vollkommenheit gilt, muß nicht unbedingt auch von ihrer ersten gelten. Zu 13. Der Wurm, der zur Bestrafung der Ruchlosen eingesetzt wird, ist nicht im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinn zu verstehen, so daß also, wie Augustinus bemerkt, der Wurm den Stachel in ihrem Gewissen meint.124 Wenn sich noch ähnliche Formulierungen finden, so lassen sich diese in derselben Weise auslegen. Zu 14. Die Keime, die die Elemente in sich tragen, bleiben wirkungslos ohne eine Unterstützung durch die Himmelsbewegung. Wenn daher die Himmelsbewegung zum Stillstand kommt, dann muß dies nicht zwangsläufig heißen, daß es dann noch Tiere und Pflanzen geben wird. Doch ebensowenig heißt dies, daß die Keime keinen Zweck hätten. Denn sie gehören ja zur Vollkommenheit der Elemente. Zu 15. Zwar gibt es manche Dinge, die sich für eine Weile im Feuer nicht auflösen. Gleichwohl gibt es, wie Galen bemerkt,125 nichts, was sich letztlich nicht im Feuer auflösen würde, wenn es nur lange genug im Feuer liegt. Doch jener Weltenbrand wird viel gewaltiger sein als das uns vertraute Feuer. Im übrigen kommt es 124 Augustinus, De civ. Dei XX, 21 (CCSL 48, 740). 125 Galenus, De complexionibus (Galenus Latinus, Opera I, ed. R. J.

Durling, Berlin 1976, 118).

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zur Auflösung der zusammengesetzten Körper in jenem Feuer nicht allein durch dessen Wirken, sondern auch dadurch, daß die Himmelsbewegung zum Stillstand kommt. Zu 16. Ein Universale kann man in drei Hinsichten betrachten. Unter jeder dieser Hinsichten ist es aber wahr, daß ein Universale in bestimmter Weise ein immerwährendes Dasein besitzt. Erstens kann man nämlich ein Universale unter der Hinsicht betrachten, daß es jedem bestimmten Sein enthoben ist. Daß ein Universale ein immerwährendes Dasein hat, ist dann in erster Linie deswegen wahr, weil kein Grund dazu besteht, das Universale auf einen bestimmten Zeitraum einzugrenzen – und nicht deswegen, weil man hier einen Grund für sein immerwährendes Dasein ausmachen könnte. Denn es ist für die Natur eines Universale eben nicht charakteristisch, daß es vorwiegend zu einer bestimmten Zeit existiert und zu einer anderen Zeit eher nicht. In diesem Sinne spricht man auch von der Einheitlichkeit der ersten Materie. Zweitens kann man ein Universale unter der Hinsicht desjenigen Seins betrachten, welches es in den einzelnen Dingen hat. Daß ein Universale ein immerwährendes Dasein hat, ist hier deswegen wahr, weil es immer auch dann ist, wenn es ein ihm entsprechendes Einzelding gibt. In diesem Sinne spricht man auch davon, daß ein Universale überall ist. Denn es ist überall dort, wo ein ihm entsprechendes Einzelding auftritt. Und doch gibt es viele Orte, an denen sich die ihm entsprechenden Einzeldinge nicht befinden, so daß sich auch das Universale dort nicht befindet. Drittens kann man ein Universale unter der Hinsicht desjenigen Seins betrachten, welches es im Geist hat. Auch hier ist es wahr, daß ein Universale ein immerwährendes Sein hat, vor allem im göttlichen Geist.

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10. Artik el Die zehnte Frage lautet: Bleiben nach dem Ende der Himmelsbewegung die menschlichen Körper bestehen?126 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. In 1 Kor. 15, 50 heißt es: »Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben.« Nun besteht aber der menschliche Körper aus Fleisch und Blut. Demnach werden am Ende der Welt die menschlichen Körper nicht bestehen bleiben. 2. Jede Mischung der Elemente wird durch die Himmelsbewegung verursacht, da für eine Vermischung eine Veränderung nötig ist. Nun stellt der menschliche Körper eine Mischung aus den Elementen dar. Kommt also die Himmelsbewegung zum Stillstand, so wird er nicht bestehen bleiben können. 3. Die Notwendigkeit, die in der Materie liegt, ist eine absolute, wie im 2. Buch der Physik erklärt wird.127 Nun ist bei einem Körper, der sich aus Gegensätzlichem zusammensetzt, die Notwendigkeit seiner Vergängnis gerade durch seine Materie bedingt. Demnach ist es unmöglich, daß solche Körper nicht dem Vergehen unterliegen, und mithin, daß sie nach dem Ausbleiben von Werden und Vergehen bestehen bleiben. Nun trifft aber auf die menschlichen Körper das Obige zu. Folglich können sie am Ende der Welt unmöglich bestehen bleiben. 4. Der Mensch hat mit den Tieren einen sinnenhaften Körper gemein. Nun werden aber die sinnenhaften Körper der Tiere am Ende der Welt nicht bestehen bleiben, und folglich auch nicht die menschlichen Körper. 5. Das Ziel des Menschen liegt darin, sich Gott vollkommen anzugleichen. Nun gleicht sich aber die Seele Gott, der ja nicht körperhaft ist, eher an, wenn sie vom Körper losgelöst ist, als wenn sie an ihn gebunden ist. Demnach werden in jenem Stadium der höchsten Seligkeit die Seelen körperlos sein.

126 Paralleltexte: Sent. IV, d. 43 q. 2 a. 4 c.; d. 48 q. 2 a. 5 c.; d. 50 q. 2 a. 3 q.la 2 c. Opusc. III, c. 171. 127 Aristoteles, Phys. II, 9; 199 b 34 ff.

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6. Zur vollkommenen Glückseligkeit des Menschen gehört unabdingbar auch eine vollkommene Tätigkeit seines Geistes. Nun ist aber die Tätigkeit einer Geistseele von höherer Vollkommenheit, wenn sie vom Körper losgelöst ist, als wenn sie an ihn gebunden ist. Denn nach dem Buch von den Ursachen ist jede geeinte Kraft unendlich größer als eine vervielfältigte.128 Nun sind aber die materielosen Formen in sich einheitlich. Diejenigen Formen jedoch, die an die Materie gebunden sind, verlieren sich gewissermaßen in der Vielheit. Demnach werden in jeder höchsten Glückseligkeit die Seelen nicht mehr an die Körper gebunden sein. 7. Diejenigen Elemente, aus denen sich ein Körper zusammensetzt, weisen ein natürliches Streben nach dem Ort auf, an den sie eigentlich gehören. Nun kann aber ein natürliches Streben nicht ins Leere gehen. Aus diesem Grund kann das, was der Natur zuwiderläuft, nicht von unbegrenzter Dauer sein. Demnach kann es nicht sein, daß die Elemente, aus denen sich ein Körper zusammensetzt, nicht wieder an den Ort streben, an den sie eigentlich gehören. Mithin kann ein zusammengesetzter Körper unmöglich nicht dem Vergehen unterliegen. Demnach werden nach dem Ende aller Vergängnis die menschlichen Körper nicht erhalten bleiben, da sie ja eine Mischung aus den Elementen darstellen. 8. Die natürliche Bewegung aller Körper hängt in ihrer Gesamtheit von der Himmelsbewegung ab. Nun stellt der Herzschlag, ohne den es kein Leben im menschlichen Körper geben kann, eine natürliche Bewegung dar. Kommt also die Himmelsbewegung zum Stillstand, dann wird diese Bewegung nicht weitergehen können und mithin auch nicht das Leben im menschlichen Körper. 9. Die Körperglieder sind beim Menschen größtenteils dazu da, sein leibliches Dasein zu erhalten. Dies zeigt sich etwa an den Adern, am Magen und dergleichen, was für die Nahrungsaufnahme bestimmt ist. Nun wird aber das leibliche Dasein des Menschen in der Seligkeit nicht fortbestehen. Mithin gilt dies auch für seine Körperglieder – sie hätten ja da keinen Zweck. Somit wird auch nicht der menschliche Körper bestehen bleiben.

128 Liber de Causis prop. 16; n. 138 (ed Schönfeld, 34 f.).

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dagegen spricht: 1. In 1 Kor. 15, 53 heißt es: »Dieses Verwesliche muß die Unverweslichkeit anziehen.« Dieses Verwesliche ist aber der Körper. Demnach wird der Körper erhalten bleiben, nachdem er die Unverweslichkeit angezogen hat. 2. In Phil. 3, 21 heißt es: »Unseren elenden Leib wird er so verwandeln, daß er seinem verherrlichten Leib ähnlich wird.« Nun hat aber Christus seinen Leib, den er einmal bei seiner Auferstehung erhalten hat, niemals abgelegt, noch wird er ihn ablegen; so Röm. 6, 9: »Christus, der von den Toten auferweckt worden ist, stirbt nicht mehr.« Demnach werden die Heiligen in Ewigkeit mit ihren Körpern leben, mit denen sie zusammen auferweckt werden. Somit werden die menschlichen Körper nach dem Ende der Welt bestehen bleiben. antwort: Nach dem Bericht von Augustinus129 war Porphyrius der Ansicht, daß für die vollkommene Glückseligkeit der menschlichen Seele alles Körperliche gemieden werden müsse, so daß seiner Ansicht nach eine Seele im Zustand vollkommener Seligkeit nicht an einen Körper gebunden sein könne. Diese Ansicht gibt auch Origenes in seinem Buch Über die Prinzipien wieder in den folgenden Worten: »Manche waren der Meinung, daß die Heiligen, die ihre Körper bei ihrer Auferstehung wieder erhalten, diese vielleicht einmal wieder ablegen könnten, um so ähnlich wie Gott vollkommen selig zu leben.« Doch abgesehen davon, daß diese Ansicht im Widerspruch zum Glauben steht, wie man aus den angeführten und vielen weiteren Zeugnissen klar ersehen kann, so steht sie auch im Widerspruch zur Vernunft. Denn es kann da keine vollkommene Glückseligkeit geben, wo es der Natur an Vollkommenheit mangelt. Da nun die Einheit von Seele und Körper eine natürliche Einheit von substantiellem – und nicht akzidentellem – Charakter darstellt, so kann die Natur der Seele nur dann vollkommen sein, wenn sie mit einem Körper eine Einheit bildet. Deswegen kann auch eine Seele ohne ihren Körper nicht die letzte Vollkommenheit der Seligkeit erreichen. Aus diesem Grund bemerkt Augustinus gegen Ende seines Genesis-Kommen129 Augustinus, De civ. Dei XXII, 26 (CCSL 48, 853 ff.).

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tars, daß die Seelen der Heiligen vor ihrer Auferweckung nicht in so vollkommenem Maße in den Genuß der Schau Gottes kommen wie danach.130 Demnach müssen für die Seligkeit in ihrer höchsten Vollendung die menschlichen Körper mit ihren Seelen vereint sein. Die oben erwähnte These ist aber eine Konsequenz aus der Ansicht derjenigen Leute, für die die Seele eine akzidentelle Einheit mit einem Körper eingeht, wie dies z. B. auch ein Seemann mit seinem Schiff oder ein Mensch mit seiner Bekleidung tut. Daher behauptete, wie Gregor von Nyssa berichtet, auch Platon, daß der Mensch einer Seele gleichkomme, die in einen Körper gehüllt sei.131 Diese Ansicht ist jedoch unhaltbar, denn sonst wäre der Mensch nichts, was für sich Bestand hätte, sondern er hätte ein akzidentelles Sein. Ebensowenig wäre dann sein Sein ein substantielles Sein, sondern ein akzidentelles Sein, also wie z. B. bekleidet oder beschuht zu sein. Zudem ist klar, daß die Argumente, die vorhin für die zusammengesetzten Körper vorgebracht worden sind, angesichts des Menschen fehl am Platze sind. Denn der Mensch trägt als ein wesentlicher Bestandteil zur Vollkommenheit des Weltganzen bei, da der Mensch etwas in sich birgt, was nicht einmal der Möglichkeit nach in den Elementen und in den Himmelskörpern beschlossen liegt: seine Geistseele. Der menschliche Körper wiederum ist für den Menschen bestimmt, und dies nicht nur für den Menschen in seinem leiblichem Dasein, sondern auch in der Vollkommenheit seiner Natur. So besteht zwar der menschliche Körper aus Gegensätzlichem; doch birgt er auch ein unvergängliches Prinzip in sich, das ihn vor der Vergängnis zu bewahren vermag, und dies ohne Gewalteinwirkung von außen, da dieses Prinzip in seinem Inneren beschlossen liegt. Dieses Prinzip wird zu seiner Bewegung hinreichen, wenn einmal die Himmelsbewegung aufhören wird; denn es hängt von ihr nicht ab. Zu 1. Fleisch und Blut meinen hier die Vergängnis von Fleisch und Blut. Daher heißt es unmittelbar nach an der angeführten Stelle: »Ebensowenig wird die Verweslichkeit die Unverweslichkeit erben.« 130 Augustinus, De Gen. ad litt. XII, 35 (CSEL 28/1, 432 f.). 131 Gregor von Nyssa, De natura hominis I (ed. Verbeke/Moncho, 5).

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Zu 2. Die Bewegung ist die Ursache dafür, daß eine Mischung der Elemente zustande kommt. Daß sich aber diese Mischung erhält, das verdankt sie einer substantialen Form und darüber hinaus Prinzipien, die noch über dem Himmel [und seiner Bewegung] stehen. Dies ist bereits in den vorangegangenen Artikeln besprochen worden. Zu 3. Aufgrund ihrer vollkommenen Einung mit Gott wird eine Geistseele sich die Materie in jeder Hinsicht untertan machen. So unterliegt zwar die Materie, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, der Vergängnis. Gleichwohl wird ihr kraft der Seele Unvergänglichkeit zuteil. Zu 4. Die Sinnesvermögen verdanken sich beim Menschen einem Prinzip, das nicht der Vergängnis unterworfen ist, nämlich seiner Geistseele. Bei den Tieren hingegen verdanken sie sich einem Prinzip, das der Vergängnis unterworfen ist. Deswegen kann der sinnenhafte Leib des Menschen in der Ewigkeit bestehen bleiben, nicht aber der sinnenhafte Leib eines Tieres. Zu 5. Wenn die Seele eine Einheit mit dem Körper bildet, ähnelt sie Gott in höherem Maß, als wenn sie vom Körper losgelöst ist. Im ersteren Falle ist ja ihre Natur in höherem Grad vollkommen. Je mehr aber etwas Gott ähnelt, desto vollkommener ist es, und dies, obwohl die Vollkommenheit Gottes und diejenige seiner Geschöpfe nicht von derselben Art sind. Zu 6. Wenn die Seele mit dem Körper eine Einheit eingeht, dann vervielfältigt sie sich hierbei nicht in der Art, wie dies bei den materialen Formen der Fall ist. Denn diese können geteilt werden, wenn ihr Träger zerteilt wird. Vielmehr bleibt die Geistseele in sich einfach und einheitlich. Daher wird ihr Wirken nicht durch ihre Vereinigung mit dem Körper eingeschränkt, sobald einmal der Körper ihr vollständig unterworfen ist. In diesem Leben aber ist ihr Wirken aufgrund ihrer Vereinigung mit dem Körper eingeschränkt, da ihre Macht über den Körper nicht vollkommen ist. Zu 7. Das natürliche Streben der Elemente an den Ort, an den sie eigentlich gehören, wird durch die Herrschaft der Seele über den Körper aufgefangen werden, so daß sich die Elemente nicht voneinander lösen können. Denn dann werden die Elemente im menschlichen Körper ein Sein haben, das vollkommener ist als das, welches sie an dem Ort, an den sie eigentlich gehören, je gehabt haben.

10. Artikel

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Zu 8. Der Herzschlag verdankt sich beim Menschen der Natur seiner Geistseele, die von der Himmelsbewegung unabhängig ist. Deswegen wird sein Herzschlag nicht aufhören, wenn einmal die Himmelsbewegung zum Stillstand kommt. Zu 9. Alle Körperglieder werden bestehen blieben, freilich nicht zum Zweck des leiblichen Daseins, sondern zur Vollkommenheit der menschlichen Natur.

VI. WUNDER

Die hier behandelten Fragen lauten: 1. Kann Gott etwas an den Geschöpfen bewirken, was keine natürlichen Ursachen hat oder was der Natur bzw. dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft? 2. Kann man alles, was Gott unter Umgehung der natürlichen Ursachen bzw. entgegen dem Geschehen in der Natur vollbringt, als ein Wunder bezeichnen? 3. Können die geisthaften Geschöpfe mit ihrer eigenen natürlichen Kraft Wunder wirken? 4. Können die guten Engel und Menschen durch das Geschenk der Gnade Wunder wirken? 5. Sind die Dämonen beim Wirken von Wundern beteiligt? 6. Haben die Dämonen bzw. die Engel einen Körper, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen? 7. Können die Engel bzw. die Dämonen körperhafte Gestalt annehmen? 8. Kann ein Engel bzw. ein Dämon mit einem angenommenen Köper die Tätigkeiten eines lebendigen Körpers ausführen? 9. Ist für das Wirken von Wundern der Glaube ausschlaggebend? 10. Lassen sich die Dämonen durch sinnen- und körperhafte Dinge, durch Taten oder Worte zum Wirken von Wundern zwingen, welche offensichtlich mit Hilfe der Magie geschehen?

1. Artik el Die erste Frage lautet: Kann Gott etwas an den Geschöpfen bewirken, was keine natürlichen Ursachen hat oder was der Natur bzw. dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft?1 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1 Paralleltexte: Sum theol. I, q. 105 a. 6; q. 106 a. 3. ScG III, 98–99. Comp. theol. 136.

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1. Die Glosse zu Röm. 11, 24 bemerkt: »Gott als der Urheber aller Wesen tut nichts, was der Natur zuwiderläuft.«2 2. Eine andere Glosse bemerkt zu dieser Stelle: »Gegen das Richtmaß für die Natur kann Gott ebensowenig handeln wie gegen sich selbst.«3 Gegen sich selbst handeln kann nun Gott überhaupt nicht, denn »er kann sich nicht verleugnen«, wie es in 2 Tim. 2, 13 heißt. Folglich kann Gott nicht gegen die Ordnung der Natur, die ja das Richtmaß für die Natur ist, handeln. 3. Wie die Ordnung der menschlichen Gerechtigkeit von der göttlichen Gerechtigkeit, so leitet sich auch die Ordnung der Natur von der göttlichen Weisheit her. Denn diese ist es, die, wie es in Weish. 8, 1 heißt, »alle Dinge sanft in ihre Ordnung bringt«. Nun kann sich aber Gott nicht über die Ordnung der menschlichen Gerechtigkeit hinwegsetzen. Andernfalls wäre er ja die Ursache der Sünde, und allein dies schon ist mit der Ordnung der Gerechtigkeit unvereinbar. Da also Gottes Weisheit nicht geringer ist als seine Gerechtigkeit, so kann er sich offensichtlich auch nicht über die Ordnung der Natur hinwegsetzen. 4. Alles, was Gott an den Geschöpfen in Form einer keimhaften Grundlegung bewirkt, läuft nicht dem Geschehen in der Natur zuwider. Nun kann aber Gott nichts in der Natur auf angemessene Weise bewirken, wenn es nicht als keimhafte Grundlage in der Natur angelegt ist. Soll es also angemessen zugehen, so kann Gott nichts vollbringen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. – Erweis des Mittelsatzes: Augustinus bemerkt, daß die Erscheinungen, die den Patriarchen zuteil wurden, mit Hilfe der Engel zustande kamen, insofern Gott die Körperwelt mit Hilfe der Geistwesen lenkt.4 In ähnlicher Weise, so Augustinus weiter, lenkt Gott auch die niedere Körperwelt mit Hilfe der höheren Körper. Und so läßt sich sagen, daß Gott alle Wirkungen mittels von Ursachen steuert. Wenn also in den natürlichen Ursachen keimhafte Grundlagen angelegt sind, so kann Gott offensichtlich nur vermittels dieser keimhaften Grundlagen Wirkungen in der Natur vollbringen. Somit entsteht 2 Petrus Lombardus, Collectanea; In Rom. XI, 24 (PL 191, col. 1488 B). 3 Petrus Lombardus, Collectanea; In Rom. XI, 24 (PL 191, col. 1488 B). 4 Augustinus, De trin. III, 9 (CCSL 50, 150 ff.).

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durch ihn nichts, was dem Geschehen in der Natur zuwiderlaufen würde. 5. Gott kann es nicht geschehen lassen, daß eine Bejahung und eine Verneinung zugleich wahr sind. Denn da dies im Widerspruch zum Begriff des Seienden als solchen steht, so steht es auch im Widerspruch zum Begriff des Erschaffenen. Im Buch von den Ursachen heißt es ja: Das erste der erschaffenen Dinge ist das Sein.5 Da aber der angeführte Grundsatz der oberste von allen ist, auf den alle übrigen zurückgeführt werden können – was im 4. Buch der Metaphysik nachgewiesen wird6 –, so muß er in jedem notwendigen Aussagesatz beschlossen sein, sowie sein Gegenteil in jedem Satz, der Unmögliches behauptet. Wenn also das, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, naturunmöglich ist – z. B. daß ein Blinder wieder sieht oder ein Toter wieder lebt –, dann ist hier das Gegenteil des angeführten Grundsatzes impliziert. Demnach kann Gott nichts vollbringen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. 6. Eine Glosse bemerkt zu Eph. 3, 7 ff., daß Gott seinen Willen nicht ändert und er sich daher nicht über die Ursachen hinwegsetzt, die er einmal nach seinem Willen festgelegt hat.7 Nun hat Gott die Ursachen in der Natur nach seinem Willen festgelegt. Demnach setzt er sich weder über sie hinweg noch kann er dies tun, insofern er ja keiner Veränderung unterliegen kann. Denn eine Willensänderung liegt augenscheinlich dann vor, wenn jemand sich über dasjenige hinwegsetzt, worauf er sich zuvor willentlich festgelegt hat. 7. Die Gutheit des Weltganzen besteht im Gut seiner Geordnetheit, und dazu gehört auch das Naturgeschehen. Nun kann Gott nicht gegen die Gutheit des Weltganzen handeln. Denn es liegt ja an seiner höchsten Güte, daß alles sehr gut ist innerhalb der Ordnung des Weltganzen. Demnach kann Gott nichts vollbringen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. 8. Gott kann nicht die Ursache des Übels sein. Nach Augustinus stellt nun das Übel eine Privation eines rechten Maßes, einer Form 5 Liber de Causis, prop. 4; n. 37 (ed. Schönfeld, 8 f.). 6 Aristoteles, Met. IV, 3; 1005 b 12 ff. 7 Petrus Lombardus, Collectanea; In Ephesios III, 7 (PL 192, col. 190 A).

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und einer Ordnung dar.8 Demnach kann Gott nichts vollbringen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, da diese ja zur Ordnung des Weltganzen gehört. 9. In Gen. 2, 2 heißt es: »Gott ruhte am siebten Tag von all seinem Werk, das er vollbracht hatte.« Dies tat Gott nach der Glosse deswegen, weil er davon Abstand nahm, weitere Werke zu vollbringen.9 Nun hat Gott im Sechstagewerk nichts erschaffen, was mit dem Geschehen in der Natur unvereinbar wäre. Daher sagt Augustinus, daß es angesichts des Sechstagewerkes nicht um die Frage geht, was Gott denn alles auf wundersame Weise hätte erschaffen können, sondern vielmehr darum, was mit dem Wesen der Dinge, das Gott damals eingerichtet hat, vereinbar ist.10 Demnach hat Gott auch danach nichts mehr erschaffen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. 10. Nach Aristoteles ist die Natur die Ursache für die Ordnung in allen Dingen.11 Nun kann Gott etwas nur geordnet entstehen lassen, denn in Röm. 13, 1 heißt es ja: »Alles was von Gott kommt, ist geordnet.« Demnach kann Gott nichts vollbringen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. 11. Wie die menschliche Vernunft so stammt auch die Natur von Gott. Nun kann Gott nicht gegen die Grundsätze der Vernunft verstoßen, so z. B., daß eine Gattung nicht von ihrer Spezies ausgesagt werden könnte oder daß die Seite eines Quadrates zu seiner Diagonalen in einem kommensurablen Verhältnis stünde. Demnach kann Gott auch nichts vollbringen, was mit den Grundsätzen in der Natur unvereinbar ist. 12. Das gesamte Geschehen in der Natur geht in ähnlicher Weise aus der göttlichen Weisheit hervor wie die künstlich hergestellten Dinge aus der Kunstfertigkeit des Menschen. Diese Bemerkung macht Augustinus angesichts von Joh. 1, 3 »Das, was geworden ist, war Leben in ihm«.12 Nun verstößt aber ein Handwerker nicht gegen 8 9 10 11 12

Augustinus, De natura boni 4 (CSEL 25/2, 857). Walafrid Strabo, Glossa ordinaria. Liber Gen. II, 3 (PL 113, col. 82 D). Augustinus, De Gen. ad litt. II, 1 (CSEL 28/1, 32 ff.). Aristoteles, Met. VII, 7; 1032 a 11 ff. Augustinus, In Johannis evangelium tractatus I, 17 (CCSL 26, 10).

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die Regeln seiner Kunst, es sei denn irrtümlicherweise, was aber bei Gott nicht der Fall sein kann. Demnach vollbringt Gott auch nichts, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. 13. Aristoteles sagt: Jedes Ding kommt auf eine Weise zustande, die jeweils seiner natürlichen Anlage entspricht.13 Was aber auf eine Weise zustande kommt, die seiner natürlichen Anlage entspricht, das entsteht nicht auf eine Weise, die mit dem Geschehen in der Natur unvereinbar wäre. Demnach entsteht nichts, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. 14. Anselm bemerkt im 1. Buch von Warum Gott Mensch geworden ist: Gott ist das unmöglich, was auch nur in geringstem Ausmaß unstimmig ist.14 Nun wäre es aber unstimmig, wenn das Geschehen in der Natur einen anderen als den üblichen Verlauf nehmen würde. Stimmig ist hingegen, wenn das Geschehen in der Natur seinen Verlauf nimmt. Demnach ist es unmöglich, daß Gott etwas vollbringt, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. 15. Wissen und Falsches verhalten sich so zueinander wie Möglichkeit und Unmögliches. Nun kann Gott kein Wissen davon haben, was innerhalb der Natur falsch wäre. Demnach kann Gott nichts vollbringen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, denn so etwas ist innerhalb der Natur unmöglich. 16. Das, was an sich unmöglich ist, ist in höherem Grade unmöglich als das, was akzidentell unmöglich ist. Denn dasjenige, was sich von selbst auf eine bestimmte Weise verhält, verhält sich eher auf diese Weise als andere Dinge. Nun ist es aber akzidentell unmöglich, etwas, was geschehen ist, ungeschehen zu machen. So etwas bleibt auch Gott versagt, wie Hieronymus15 und Aristoteles16 bemerken. Demnach ist Gott auch das nicht möglich, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. Denn ein widernatürliches Geschehen ist ja an sich unmöglich, z. B. daß ein Blinder wieder sieht. 13 Aristoteles, Phys. II, 8; 199 a 10 ff. 14 Anselm von Canterbury, Cur Deus homo I, 20 (Opera omnia II,

ed. Schmitt, 86). 15 Hieronymus, Epist. ad Eystochium XXII, 5 (PL 22, col. 397, 91). Hier findet sich das drastische Beispiel: »Obwohl Gott Anderes kann, kann er aus einer ruchlosen Frau keine Jungfrau mehr machen.« 16 Aristoteles, Eth. Nic. VI, 2; 1139 b 9 f.

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17. Nach Aristoteles17 beruht etwas auf Gewalteinwirkung, wenn der Anstoß zu ihr von außen kommt und wenn das, dem Gewalt angetan wird, hierbei nicht mitwirkt. Nun können aber die natürlichen Dinge bei dem, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, nicht mitwirken. Angenommen also, ein widernatürliches Geschehen würde von Gott herrühren, dann würde dieses auf Gewalteinwirkung beruhen und damit könnte es nicht von immerwährender Dauer sein. Dies kann jedoch nicht stimmen, da den Blinden, denen Gott das Augenlicht wieder geschenkt hat, ihre Sehkraft auf Dauer erhalten bleibt. 18. Nach dem 3. Buch der Physik18 gibt es bei jeder Gattung den Unterschied zwischen dem Möglichen und Wirklichen. Unter das Mögliche fällt nun eine passive Veranlagung, unter das Wirkliche aber eine aktive Kraft. Innerhalb der Natur gibt es daher eine passive Veranlagung nur für das, zu dem auch eine entsprechende natürliche aktive Kraft vorhanden ist. Denn beide treten ja jeweils innerhalb ein und derselben Gattung auf. Dies behauptet auch Averroes in seinem Kommentar zum 9. Buch der Metaphysik.19 Nun läßt sich aber innerhalb der Natur keine natürliche aktive Kraft zu einem naturwidrigen Geschehen ausfindig machen, und daher gibt es hier auch keine passive Veranlagung für ein solches Geschehen. Dasjenige jedoch, für das das Erschaffne keine passive Veranlagung hat, ist, wie man sagt, unmöglich, und dies unbeschadet der Tatsache, daß Gott aufgrund seiner Allmacht alles vollbringen kann. Daß also ein naturwidriges Geschehen unmöglich ist, liegt nicht daran, daß Gottes Kraft dafür nicht ausreichen wäre, sondern daran, daß das Erschaffene seine Grenzen hat. 19. Es ist nicht unstimmig, daß Gott das, was er zu einem bestimmten Zeitpunkt vollbracht hat, schon immer vollbracht hat. Es wäre jedoch unstimmig, wenn Gott alle natürlichen Wirkungen unter Umgehung ihrer natürlichen Ursachen hervorbrächte. Denn dann wären die Dinge der Natur um ihre Wirksamkeit gebracht. 17 Aristoteles, Eth. Nic. III, 1; 1009 b 35 ff. 18 Aristoteles, Phys. III, 1; 201 a 9 f. 19 Averroes, In XI Met. com. 11; 17 (Aristotelis opera cum Averrois

commentaria, Vol. VIII, fol. 236 r E-237 r D bzw. fol. 243 r F-244 r D).

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Demnach ist es unstimmig, daß Gott an den Dingen hier unten etwas unter Umgehung ihrer natürlichen Ursachen bewirkt. Wenn jedoch Gott diese Ursachen gelten läßt, dann vollbringt er nichts, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. Folglich vollbringt Gott nichts, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. 20. Für eine Ursache als solche ist der Bezug auf ihre Wirkung wesentlich. Dies gilt auch im umgekehrten Fall. Nun kann aber Gott einem Ding nicht das benehmen, was für es wesentlich ist, solange dieses Ding Bestand hat, also z. B., daß der Mensch ein Lebewesen ist. Demnach kann Gott keine Wirkung hervorbringen unter Umgehung ihrer natürlichen Ursache, denn für diese Ursache ist der Bezug auf ihre Wirkung wesentlich; z. B. kann Gott niemandem das Augenlicht schenken unter Umgehung der natürlichen Ursachen, denen sich die Sehkraft verdankt. 21. Es ist nicht in der Ordnung, wenn ein höheres Gut für ein geringeres Gut20 aufgegeben wird. Nun steht aber das Gut des Weltganzen höher als das einzelne Gut eines jeden beliebigen Dinges. Daher sagt Augustinus: Gott hat die einzelnen Dinge gut, sie aber zugleich in ihrer Gesamtheit sehr gut gemacht hat, auf daß das Weltganze geordnet sei.21 Demnach ist es nicht in der Ordnung, wenn Gott zum Wohle eines bestimmten Menschen oder eines bestimmten Volkes das Geschehen in der Natur abänderte. Denn letzteres gehört zur Ordnung des Weltganzen, in der wiederum das Gut des Weltganzen besteht. Folglich vollbringt Gott niemals etwas, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. dagegen spricht: 1. In der Natur führt von einer Privation kein Weg zu einem Habitus zurück, wohl aber gelingt dies der Kraft Gottes. Denn es heißt ja in Mt. 11, 5: »Blinde sehen, Taube hören« usw. Demnach vollbringt Gott etwas, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. 2. Die Kraft eines höherstehenden Wesens ist weder von der Kraft eines niederen Wesens abhängig, noch bemißt sie sich nach dessen Kraft. Nun steht aber Gott über der Natur. Folglich bemißt sich 20 bono F : homo M. 21 Augustinus, Ench. III, 10 (CCSL 46, 53).

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seine Kraft auch nicht nach der Kraft der Natur. Somit hält ihn nichts davon ab, etwas ins Werk zu setzen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. antwort: Ohne jeden Zweifel kann Gott etwas an den Geschöpfen unabhängig von ihren kreatürlichen Ursachen bewirken, so wie er ja auch in allen kreatürlichen Ursachen wirkt, was bereits an anderer Stelle nachgewiesen worden ist.22 Bei diesem Wirken, das sich unabhängig von den kreatürlichen Ursachen vollzieht, kann Gott nun genau diejenigen Wirkungen und in eben der Reihenfolge vollbringen, wie er sie mit Hilfe dieser kreatürlichen Ursachen vollbringt. Gott kann aber auch andere Wirkungen und in einer anderen Reihenfolge hervorbringen. Somit kann er etwas vollbringen, was dem allgemein üblichen Geschehen in der Natur zuwiderläuft. Daß dies der Wahrheit entspricht, wird ersichtlich, wenn wir uns drei Ansichten vergegenwärtigen, die die Wahrheit des Gesagten zu bestreiten scheinen. Erstens ist da die Ansicht einiger Philosophen aus alter Zeit, die bestritten, daß es für die körperhaften Dinge noch eine höhere Ursache gibt, durch die sie ihr Sein erhalten. Und so nahmen einige von ihnen, z. B. Anaxagoras, an, daß der Geist für eine Bewegung bei diesen Dingen, also etwa für ihre Absonderung, verantwortlich sei. Nach dieser Auffassung können aber die natürlichen Formen, die für das Wirken der Natur grundlegend sind, durch übernatürliche Ursachen weder verändert noch in ihrem Wirken beeinträchtigt werden. Somit könne es nicht vorkommen, daß etwas dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, welches ja infolge der Notwendigkeit dieser körperhaften Ursachen geregelt ablaufe. Diese Ansicht ist aber falsch. Denn das höchste Seiende muß der Grund dafür sein, daß alles Übrige sein kann, so wie ja auch das, was am heißesten ist, nach dem 2. Buch der Metaphysik23 der Grund dafür ist, daß alles Übrige heiß sein kann. Darüber haben wir an anderer Stelle aus-

22 Vgl. De pot. q. 3 a. 7. 23 Aristoteles, Met. II, 1; 993 b 25.

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führlicher gehandelt, wo wir nachgewiesen haben, daß alles Sein nur von Gott kommen kann.24 Das Zweite, was gegen die besagte Wahrheit sprechen kann, ist die Ansicht von anderen Philosophen, die behaupteten, Gott sei mit seinem Denken die Ursache für alles Seiende. Hierbei meinten sie, daß Gott ein allumfassendes Wissen vom Seienden hätte, insofern er sich selbst erkenne, und er das Seinsprinzip für alles, was da ist, sei, daß er aber kein je eigenes Wissen um jedes Einzelne habe. Ein allgemeines und allumfassendes Wissen aber wirke sich nur dann im Einzelfall aus, wenn auch eine Einsicht in den jeweiligen Einzelfall hinzukomme. Denn wenn man darum weiß, daß Ehebruch im allgemeinen zu unterlassen ist, so wird man diese Tat im Einzelfall nur dann unterlassen, wenn man einsieht, daß es sich in einem bestimmten Einzelfall um Ehebruch handelt. Dementsprechend sind Manche der Ansicht, daß von Gott keine Wirkungen für den Einzelfall ausgingen, es sei denn, es kämen noch andere Ursachen in einer bestimmten Abstufung hinzu, wobei die höheren von ihnen eher das Allgemeine und die niederen eher den Einzelfall beträfen. Demnach könne Gott nichts vollbringen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. Diese Ansicht ist jedoch falsch. Denn da Gott sich selbst vollkommen erkennt, so erkennt er zwangsläufig auch all das, was in irgendeiner Weise in ihm ist. In ihm liegt aber das Verursachte in seiner Gesamtheit als Bild beschlossen, da ja nichts sein kann, was nicht versucht, ihm gleich zu werden. Daher muß er von allem ein je eigenes Wissen haben, wie an anderer Stelle ausführlicher gezeigt worden ist.25 Das Dritte, was gegen die besagte Wahrheit sprechen könnte, ist die Ansicht von manchen Philosophen, die behaupteten, daß Gottes Wirken auf einer Naturnotwendigkeit beruhe. Damit wäre aber sein Wirken auf eben das Geschehen beschränkt, welches nach den Regeln der Natur abläuft. Daher könne Gott auch nichts vollbringen, was der Natur zuwiderläuft. Doch auch dies ist offenkundig falsch. Denn über all dem, was aus Naturnotwendigkeit wirksam ist, muß es etwas geben, das die Natur auf ein Ziel hin festlegt. Dies 24 Vgl. Sum. theol. I, q. 44 a. 1. 25 Vgl. Sum. theol. I, q. 14.

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ist an anderer Stelle ausführlicher aufgezeigt worden.26 Daher kann Gott als das oberste Wirkende unmöglich aus Naturnotwendigkeit wirksam sein. Auch dies ist mehrfach in anderen Untersuchungen nachgewiesen worden.27 Hat man einmal diese drei Punkte ins Auge gefaßt – daß nämlich Gott die Ursache für das Sein der natürlichen Dinge ist, daß er ein je eigenes Wissen und Vorherwissen von jedem Einzelnen hat, sowie daß sein Wirken nicht auf einer Naturnotwendigkeit beruht –, so folgt daraus, daß Gott unabhängig vom Geschehen in der Natur an den Dingen einzelne Wirkungen hervorbringen kann. Dies gilt sowohl für ihr Sein, insofern Gott den Dingen in der Natur eine andere Form verleihen kann als die ihnen von Natur aus mögliche – so z. B. die Form ihrer Verherrlichung – bzw. insofern er einer bestimmten Materie eine Form verleiht, also z. B. einem Blinden die Sehkraft. Dies gilt aber auch für ihr Wirken, insofern Gott den Dingen in der Natur das Wirken vorenthält, zu dem sie von Natur aus bestimmt sind, so z. B., daß er ein Feuer nicht brennen läßt wie in Dan. 3, 24 oder daß er das Wasser nicht fließen läßt wie im Falle des Jordan.28 Zu 1. Gott und sogar die natürlichen Dinge können im Einzelfall gegen die Natur wirken. So geht es z. B. gegen die besondere Natur eines ganz bestimmten Feuers, wenn es ausgelöscht wird. Daher sagt auch Aristoteles, daß das Vergehen, das Altern sowie jede Art von Verfall naturwidrig sind.29 Dagegen wirkt kein Ding in der Natur gegen die Natur im großen Ganzen. Denn der Einzelfall in der Natur betrifft das Ordnungsgefüge von einzelner Ursache und einzelner Wirkung, während das große Ganze der Natur das Ordnungsgefüge zwischen dem, was als Oberstes in der Natur wirkt, d. h. zwischen dem Himmel, und dem, was alles hier unten wirkt, betrifft. Da aber jeder Körper hier unten nur kraft eines Himmelskörpers seine Wirksamkeit entfaltet, so kann kein natürlicher Körper wider das große Ganze der Natur seine Wirksamkeit entfalten. Doch das, 26 27 28 29

Vgl. Sum. theol. I, q. 19 a. 4. Vgl. Sum. theol. I, q. 19 a. 3. De pot. q. 3 a. 15. Vgl. Jos. 3, 26. Aristoteles, De caelo II, 6; 288 b 15 f.

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was seine Wirksamkeit wider die Natur im Einzelfall entfaltet, tut dies in Übereinstimmung mit dem großen Ganzen der Natur. Wie nun der Himmel die allumfassende Ursache für das Reich der Körper hier unten ist, so ist Gott die allumfassende Ursache für den gesamten Bereich des Seienden, innerhalb dessen auch der Himmel seinerseits eine vereinzelte Ursache darstellt. Denn nichts spricht dagegen, wenn ein und dieselbe Ursache einen allumfassenden Charakter hat für den Bereich hier unten und zugleich den Charakter einer Einzelursache im Bereich dort oben. Dies zeigt sich etwa auch bei den Prädikamenten. Denn ›Lebewesen‹ hat im Vergleich zu ›Mensch‹ einen allumfassenden Charakter, im Vergleich zu ›Substanz‹ stellt es aber einen Einzelfall dar. So kann also durch die Kraft des Himmels etwas geschehen, was im Einzelfall der Natur zuwiderläuft, doch kann so etwas nicht schlechthin der Natur zuwiderlaufen, da es in Übereinstimmung mit dem großen Ganzen der Natur geschieht. In gleicher Weise kann durch Gottes Kraft etwas geschehen, was dem großen Ganzen der Natur zuwiderläuft, für welches ja die Kraft des Himmels verantwortlich ist. Und doch wird so etwas nicht schlechthin der Natur zuwiderlaufen, da es in Übereinstimmung mit dem allumfassenden Ganzen der Natur geschieht, welches das Ordnungsgefüge von Gott und seiner Schöpfung in ihrer Gesamtheit meint. Dies hat Augustinus im Blick, wenn er in der angeführten Glosse sagt, daß Gott nichts vollbringt, was der Natur zuwiderläuft. Aus diesem Grunde sagt Augustinus zudem, daß die Natur eines jeden Dinges das ist, was Gott an ihm vollbringt. Zu 2. Aus dem eben Gesagten erhellt auch die Antwort auf dieses Argument. Denn in der hier angeführten Glosse spricht Augustinus von dem oberstem Richtmaß für die Natur, welche das Ordnungsgefüge von Gott und seiner gesamten Schöpfung meint. Zu 3. Nach dem eben Ausgeführten kann Gott zwar etwas vollbringen, was der Ordnung zuwiderläuft, die zwei Geschöpfe untereinander verbindet. Denn so etwas stellt für ihn gleichsam einen Einzelfall in der Natur dar. Doch kann Gott nichts vollbringen, was der Ordnung zuwiderläuft, die zwischen der Schöpfung und ihm selbst besteht. Nun steht und fällt aber die menschliche Gerechtigkeit in erster Linie mit der Anerkennung der Ordnung, die zwischen Mensch und Gott besteht. Daher kann Gott nichts vollbringen, was

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der Ordnung der Gerechtigkeit zuwiderläuft. Dagegen verläuft das Geschehen in der Natur nach der Ordnung, die die Geschöpfe untereinander verbindet, und deshalb kann Gott etwas vollbringen, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. Zu 4. Wie Gott an den körperhaften Dingen unter Umgehung ihrer natürlichen Ursachen Wirkungen vollbringen kann, so kann er dies auch ohne die Mithilfe der Engel. Doch dieses Tun hat in beiden Fällen nicht denselben Charakter. Denn unter Umgehung von natürlichen Ursachen vollbringt Gott eine Wirkung, um den Menschen dazu zu bringen, diese Wirkung, die er keinen offensichtlichen Ursachen zuschreiben kann, unweigerlich auf eine höhere Ursache zurückführen zu müssen, auf daß so30 Gottes Macht in einem sichtbaren Wunder offenbar werde. Das Wirken der Engel jedoch ist nicht sichtbar. Daher stellt die Mithilfe der Engel kein Hindernis dafür dar, daß der Mensch dazu gebracht wird, [eine solche Wirkung] der Kraft Gottes zuzuschreiben. Aus diesem Grund behauptet ja Augustinus auch nicht, daß Gott nicht in der Läge wäre, ohne die Mithilfe der Engel seine Wirksamkeit zu entfalten; er sagt vielmehr, daß er nicht ohne die Mithilfe der Engel wirkt. Zu 5. Wie Gott es nicht geschehen lassen kann, daß eine Bejahung und eine Verneinung zugleich wahr sind, so kann er auch nicht das geschehen lassen, was in der Natur unmöglich ist, insofern dies eine Unmöglichkeit im obigen Sinne meint. So liegt z. B. in dem Umstand, daß ein Toter wieder lebendig wird, eine Kontradiktion beschlossen – sofern man nämlich annimmt, daß durch ein Prinzip, das im Toten selbst liegt, auf natürlichem Wege wieder Leben in ihn kommt. Denn ein Toter ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß ihm das Prinzip für sein Leben fehlt. So etwas läßt Gott daher nicht geschehen; er läßt es vielmehr geschehen, daß durch ein von außen kommendes Prinzip wieder Leben in den Toten kommt, und dies beinhaltet keine Kontradiktion. Das Gleiche gilt für all das Übrige, das naturunmöglich ist und das Gott vollbringen kann. Zu 6. Gott ändert nicht seinen Willen, wenn er etwas vollbringt, das mit den natürlichen Ursachen unvereinbar ist. Denn von Ewigkeit an sah Gott das voraus und wollte das tun, was er in der Zeit 30 ut si M : ut sic L.

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tut. Er legte demnach das Geschehen in der Natur so an, daß nach seinem ewigen Willen gleichwohl all das im vorhinein bestimmt war, was er entgegen diesem Geschehen in der Natur einst vollbringen wollte. Zu 7. Wenn Gott etwas vollbringt, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, so setzt er damit nicht die gesamte Ordnung des Weltganzen außer Kraft – dessen Gelungensein besteht ja in dieser Ordnung –, sondern er setzt das Ordnungsgefüge zwischen einer Einzelursache und ihrer Wirkung außer Kraft. Zu 8. Das als Strafe auferlegte Übel richtet sich gegen die Ordnung, die zwischen dem einen und dem anderen Teil des Weltganzen besteht, und das Gleiche gilt für das Übel in jeglicher Form einer natürlichen Verfallserscheinung. Doch das schuldhafte Übel richtet sich gegen die Ordnung, die zwischen dem gesamten Weltganzen und seinem höchsten Ziel besteht. Und dies deshalb, weil der Wille, von dem das schuldhafte Übel ausgeht, schuldhaft aus der Ordnung mit diesem höchsten Ziel des Weltganzen heraustritt. Deswegen kann Gott nicht die Ursache für dieses Übel sein. Denn Gott kann dieser Ordnung nicht zuwiderhandeln, auch wenn er dies bei der zuerst erwähnten Ordnung kann. Zu 9. Gottes Wunder geschehen nur an den Geschöpfen, die bereits da sind, und in gewisser Weise waren sie auch schon mit dem Sechstagewerk da. Daher gingen wundersame Werke auch schon mit dem Sechstagewerk einher, auch wenn damals, als die Natur grundgelegt worden ist, nicht unbedingt etwas auf wundersame Weise entstanden ist, das dem Geschehen zuwiderläuft. Zu 10. Die Natur ist die Ursache dafür, daß alles innerhalb der Natur seine Ordnung hat, nicht aber dafür, daß schlechthin alles seine Ordnung hat. Zu 11. Der Logiker und Mathematiker betrachten die Dinge ausschließlich in ihren formalen Grundlagen. Daher ist nur das logisch und mathematisch unmöglich, was gegen den formalen Charakter einer Sache verstößt. Derartig Unmögliches beinhaltet eine Kontradiktion und ist somit an sich unmöglich. Unmögliches von dieser Art kann Gott aber nicht geschehen lassen. Der Naturphilosoph dagegen bezieht das Unmögliche auf eine bestimmte Materie. Daher ist in seinen Augen auch das unmöglich, was für ein bestimmtes

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Ding unmöglich ist. Es spricht aber nichts dagegen, daß Gott etwas vollbringen kann, was dem unmöglich ist, das hier unten wirkt. Zu 12. Gottes Kunst erschöpft sich nicht vollständig in der Hervorbringung der Kreaturen. Deshalb kann er mit seiner Kunst etwas auch noch auf andere Weise vollbringen als auf diejenige Weise, die dem Geschehen in der Natur entspricht. Daher kann nicht gefolgert werden, daß, wenn Gott etwas vollbringen würde, das dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, dies nicht im Einklang mit seiner Kunst stehen würde. Denn auch ein handwerklich tätiger Mensch kann mit seiner Kunstfertigkeit auf eine Weise ein weiteres Produkt herstellen, die derjenigen Weise entgegengesetzt ist, auf die er dieses Produkt zuvor hergestellt hat. Zu 13. Aristoteles spricht hier von demjenigen, was innerhalb der Natur zustande kommt. Denn dieses kommt so zustande, wie es seiner natürlichen Anlage entspricht. Zu 14. Daß ein natürliches Geschehen seinen Verlauf nimmt, ist insofern stimmig, als dies so von der göttlichen Vorsehung eingerichtet worden ist. Wenn es daher die Ordnung der göttlichen Vorsehung mit sich bringt, daß etwas auf andere Weise zustande kommt, so ist daran nichts Unstimmiges. Zu 15. Man kann etwas nicht als ›an sich falsch‹ und als ›falsch für jemand Bestimmten‹ bezeichnen, so wie man vom ›an sich Unmöglichen‹ und von ›unmöglich für jemanden Bestimmten‹ redet. Vielmehr kann man nur von etwas an sich Falschem reden. Gott kann daher ebensowenig ein Wissen von Falschem haben, wie ihm das unmöglich ist, was an sich unmöglich ist. Hingegen ist Gott ebenso dasjenige möglich, was für jemand Bestimmten unmöglich ist, wie ihm das möglich ist, was für jemand Bestimmten unbekannt ist. Zu 16. Jeder akzidentelle Umstand läßt sich auf etwas zurückführen, was an sich so ist. Daher spricht nichts dagegen, daß ein akzidenteller Umstand sich im höheren Maß als so und so zeigt, wenn er auf dasjenige zurückgeführt wird, was an sich so ist. So blendet z. B. der Schnee durch seine Weiße das Auge mehr als das Weiß einer Wand, weil ja das Weiß des Schnees kräftiger ist als das Weiß der Wand. Und so ist es auch unmöglich, einen Spaziergang von Sokrates ungeschehen zu machen, weil sich dies auf etwas an sich Unmögliches

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zurückführen läßt: auf das Nicht-Geschehen-Sein eines Geschehens, was ja eine kontradiktorische Behauptung ist. Daher spricht nichts dagegen, daß dieses Geschehen in höherem Grade unmöglich ist als etwas, was für jemanden Bestimmten unmöglich ist, obgleich dieses Geschehen akzidentell nicht unmöglich ist. Zu 17. Jedes Ding in der Natur ist in natürlicher Weise auf alle höheren Ursachen hingeordnet und bezogen. Daher kommt es, daß das, was der Einfluß der Himmelskörper mit den Körpern hier unten geschehen läßt, sich keiner Gewalteinwirkung verdankt, auch wenn es manchmal den Anschein hat, daß etwas mit den natürlichen Bewegungen der Körper hier unten unvereinbar ist, wie z. B. die Ebbe und Flut des Meeres, die von der Bewegung des Mondes abhängen. Erst recht verdankt sich daher dasjenige, was Gott an den Dingen hier unten vollbringt, keiner Gewalteinwirkung. Zu 18. Je größer eine aktive Kraft ist, desto größer ist die Wirkung, die sie an ein und demselben Ding vollbringen kann. So kann die Natur aus einer Mischung von Erde und weiteren Elementen Gold entstehen lassen, das künstlich nicht hergestellt werden kann. Daran liegt es auch, daß ein Ding die Möglichkeit zu Verschiedenem in sich birgt, je nachdem, welche Kräfte auf es einwirken. Daher spricht nichts dagegen, daß die erschaffene Natur die Möglichkeit zu etwas in sich birgt, was durch Gottes Kraft, nicht aber durch eine geringere Kraft vollbracht werden kann. Diese in der Natur beschlossene Möglichkeit bezeichnet man als ihr Vermögen, sich zu fügen, da ein jedes Geschöpf sich dem Schöpfer fügt. Zu 19. Daß jedem Geschöpf seine entsprechende Wirksamkeit zugeordnet ist, liegt an Gott. Daher ist nichts Unstimmiges daran, daß durch die göttliche Vorsehung eine bestimmte Wirkung zustande kommt unter Umgehung eines natürlichen Wirkens. Zu 20. Zwar vollbringt Gott eine Wirkung unter Umgehung ihrer natürlichen Ursache, doch setzt er hierbei nicht das Ordnungsgefüge zwischen einer Ursache und ihrer Wirkung außer Kraft. Daher blieb das Ordnungsgefüge zwischen jenem Feuer im Ofen und seiner Brennkraft erhalten, auch wenn das Feuer die drei Jünglinge im Ofen nicht verbrannte.31 31 Vgl. Dan. 3, 19 ff.

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Zu 21. Wenn Gott etwas vollbringt, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, dann wird damit nicht die gesamte Ordnung des Weltganzen außer Kraft gesetzt, sondern ein Geschehen, das die Ordnung zwischen zwei Einzeldingen betrifft. Daher ist nichts Unstimmiges daran, wenn das, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, zuweilen zum Heil des Menschen geschieht, welches darin besteht, daß er auf das höchste Ziel des Weltganzen hingeordnet ist. 2. Artik el Die zweite Frage lautet: Kann man alles, was Gott unter Umgehung der natürlichen Ursachen bzw. entgegen dem Geschehen in der Natur vollbringt, als ein Wunder bezeichnen?32 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Wie man den Worten von Augustinus entnehmen kann, ist ein Wunder »etwas Erhabenes und Außergewöhnliches, das die Möglichkeiten der Natur übersteigt und das wider die Erwartung dessen, der ihm staunend beiwohnt, auftritt.«33 Nun vollbringt Gott zuweilen sogar an den geringsten Dingen etwas, das dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft. So hat er z. B. Wasser in Wein verwandelt,34 und dies tat er unter Umgehung der natürlichen Ursachen. Demnach kann man nicht alles, was Gott unter Umgehung von natürlichen Ursachen vollbringt, als ein Wunder bezeichnen. 2. Was ziemlich häufig geschieht, kann man nicht als außergewöhnlich bezeichnen. Nun vollbrachte aber Gott zur Zeit der Apostel ziemlich häufig Werke unter Umgehung von natürlichen Ursachen. So heißt es in Apg. 5, 15, daß »man die Kranken auf die Straße trug« usw. Demnach war dies nichts Außergewöhnliches und daher auch kein Wunder. 3. Das, was die Natur bewirken kann, übersteigt nicht ihre Möglichkeiten. Nun vollbringt aber Gott zuweilen ohne das Zutun von 32 Paralleltexte: Sum. Theol. I, q. 105 a. 7. ScG III, 101. Sent. II, d. 18 q. 1 a. 3. In II Thess. II, 2. 33 Augustinus, De utilitate credendi 16 (CSEL 25/1, 43). 34 Vgl. Joh. 2, 1–11.

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natürlichen Ursachen etwas, das auch auf natürlichem Wege geschehen könnte. So befreite etwa der Herr nach Lk. 4, 38 f. die Schwiegermutter des Petrus von dem Fieber, das sie befallen hatte. Demnach überstieg dies nicht die Möglichkeiten der Natur und war daher auch kein Wunder. 4. Daß ein Toter wieder zum Leben erweckt wird, kann sich keinen natürlichen Ursachen verdanken. Nun erwarten aber die Heiligen die Auferweckung der Toten, bei der Gott am Ende der Welt allen Toten das Leben schenken wird. Und so heißt es ja auch im Glaubensbekenntnis: »Ich erwarte die Auferstehung der Toten.« Demnach geschieht nicht alles, was Gott ohne das Zutun von natürlichen Ursachen bewirkt, wider menschlicher Erwartung, und daher stellt so etwas auch kein Wunder dar. 5. Die Erschaffung des Himmels und der Erde sowie die Erschaffung der vernunftbegabten Lebewesen sind Gottes Werk, und zwar, ohne daß hierbei noch weitere Ursachen wirksam gewesen wären. Denn allein Gott vermag zu erschaffen, wie in einer anderen Untersuchung festgestellt worden ist.35 Doch diese Dinge kann man nicht als ein Wunder bezeichnen. Denn sie wurden nicht zum Erweis einer Gnade vollbracht – und einzig aus diesem Grund geschehen nach Augustinus Wunder36 –, sondern deswegen, weil die Natur eingerichtet werden sollte. Demnach kann man nicht alles, was Gott ohne das Zutun von natürlichen Ursachen vollbringt, als ein Wunder bezeichnen. 6. Die Bekehrung eines Sünders geschieht einzig durch Gott und ohne das Zutun von natürlichen Ursachen. Jedoch stellt sie kein Wunder dar, vielmehr ist sie der Zweck eines Wunders. Denn Wunder geschehen, auf daß sich die Menschen zu Gott bekehren. Demnach stellt nicht alles, was Gott ohne das Zutun von natürlichen Ursachen bewirkt, ein Wunder dar. 7. Wenn etwas durch geringere Kraft entsteht, so ist dies eher verwunderlich, als wenn es durch eine größere Kraft entsteht. Nun besitzt Gott eine größere Kraft als die Natur. Das Wirken der Natur kann man jedoch nicht als ein Wunder bezeichnen, also z. B. die 35 Vgl. De pot. q. 3 a. 1–4. 36 Augustinus, De Gen. ad litt. IX, 17 (CSEL 28/1, 290 ff.).

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Genesung eines Kranken und dergleichen. Demnach kann man es noch weniger als ein Wunder bezeichnen, wenn Gott so etwas geschehen läßt. 8. Mißgeburten sind widernatürlich und werden doch nicht als Wunder bezeichnet. Demnach läßt sich nicht alles, was wider die Natur geschieht, als ein Wunder bezeichnen. 9. Wunder geschehen zur Stärkung des Glaubens. Nun hatte aber die Fleischwerdung des Wortes nicht den Zweck, den Glauben sozusagen durch einen Beweis zu stärken. Vielmehr ist sie ein Gegenstand des Glaubens und mithin kein Wunder. Und doch war dies allein Gottes Werk, ohne daß hier noch weitere Ursachen wirksam gewesen wären. Demnach stellt nicht alles, was Gott ohne das Zutun von natürlichen Ursachen vollbringt, ein Wunder dar. dagegen spricht: 1. Augustinus [recte: Anselm] bemerkt, daß die Dinge auf dreifache Weise geschehen: auf natürliche, willentliche und wundersame Weise.37 Nun hat aber das, was ausschließlich Gott ohne das Zutun von natürlichen Ursachen vollbringt, nichts mit einem natürlichen Geschehen zu tun, aber auch nichts mit einem willentlich veranlaßten Geschehen, da weder die Natur noch ein kreatürlicher Wille hierbei mitwirken. Demnach hat dies mit einem wundersamen Geschehen zu tun, und mithin stellt dies ein Wunder dar. 2. Richard von St. Viktor sagt, daß ein Wunder ein Werk des Schöpfers ist, worin die göttliche Kraft offenbar wird.38 Dazu gehören aber diejenigen Dinge, die Gott ohne das Zutun von natürlichen Ursachen vollbringt. Demnach stellen diese Dinge Wunder dar. antwort: Das Wort ›Wunder‹ leitet sich von ›sich verwundern‹ ab. Eine Verwunderung kann nun durch Zweierlei ausgelöst werden, wie man den Worten des Aristoteles am Anfang seiner Metaphysik entneh37 Anselm von Canterbury, De peccato originali 11 (Opera omnia II, ed. Schmitt, 154). 38 Vermutlich stammt dieses Zitat aus Hugo von St. Viktor, De modo orandi (PL 176, col. 981 C).

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men kann.39 Zum einen ist dies der Umstand, daß die Ursache dessen, worüber man sich verwundert, verborgen ist. Zum anderen tritt mit dem, worüber man sich wundert, das genaue Gegenteil zu dem ein, was allem Anschein nach hätte geschehen müssen, und dies erregt dann unsere Verwunderung. So könnte sich z. B. jemand verwundern, wenn er ein Stück Eisen zu Gesicht bekäme, das von einem Magneten nach oben gezogen wird, und wenn er dabei keine Ahnung von der magnetischen Kraft hätte, da es allem Anschein nach doch so sein müßte, daß das Eisen eine Fallbewegung als die ihm natürliche vollzieht. Das gerade Gesagte hat aber zwei Aspekte: Zum einen ist etwas an sich verwunderlich, zum anderen ist es für uns verwunderlich. Für uns ist nun etwas verwunderlich, wenn die Ursache für den Gegenstand unserer Verwunderung nicht schlechthin, sondern für den einen oder anderen von uns verborgen bleibt, und wenn am Gegenstand unserer Verwunderung ein Zustand eintritt, der in Wirklichkeit sehr wohl vereinbar ist mit der Wirkung, die unser Staunen erregt, der aber nach Meinung des Staunenden damit nicht vereinbar ist. Daher kommt es auch, daß das, was für jemanden verwunderlich oder erstaunlich ist, für jemand anderen nicht weiter verwunderlich oder erstaunlich ist. So ist ja auch jemand, der aufgrund seiner Geschultheit und Erfahrung um die Kraft eines Magneten weiß, nicht weiter verwundert über die besagte Wirkung, während jemand, der davon keine Ahnung hat, ins Staunen gerät. An sich jedoch ist etwas verwunderlich oder erstaunlich, wenn seine Ursache schlechthin verborgen bleibt und wenn der natürliche Zustand eines Dinges unvereinbar ist mit einer Wirkung, die an ihm zum Vorschein kommt. So etwas läßt sich nicht nur als wirklich verwunderlich oder als möglicherweise verwunderlich bezeichnen, sondern auch als ein Wunder, da es sozusagen den Grund zur Verwunderung in sich trägt. Diejenige Ursache aber, die unseren Sinnen im höchsten Grade verborgen und verschlossen bleibt, ist Gott, der in allen Dingen überaus geheimnisvoll wirkt. Deswegen kann man im eigentlichen Sinne nur diejenigen Wirkungen als Wunder bezeichnen, die Gottes Kraft an den Dingen vollbringt, welche von 39 Aristoteles, Met. I, 2; 982 b 10 ff.

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ihrer natürlichen Veranlagung her eine damit unvereinbare Wirkung oder Wirkensweise haben. Dasjenige aber, was die Natur vollbringt und das dabei uns bzw. einem von uns undurchsichtig bleibt, sowie dasjenige, das Gott vollbringt und das dabei nicht anders als durch Gott zustande gebracht werden kann, kann man nicht als ein Wunder bezeichnen, sondern höchstens als verwunderlich oder bewunderungswürdig. Wenn Augustinus40 daher bei der Begriffsbestimmung von ›Wunder‹ davon spricht, daß es »die Möglichkeiten der Natur übersteigt«, so ist ein Wunder dadurch charakterisiert, daß es über die natürliche Ordnung hinausgeht. Dem entspricht auf Seiten des wundersam entstandenen Dinges, daß es als »etwas Erhabenes« bezeichnet wird. Wenn Augustinus zudem davon spricht, daß ein Wunder »wider die Erwartung dessen, der ihm staunend beiwohnt, auftritt«, dann ist es dadurch charakterisiert, daß es unsere Erkenntnis übersteigt. Dem entspricht auf Seiten des wundersam entstandenen Dinges, daß es als »außergewöhnlich« bezeichnet wird. Denn die Gewöhnung ist es, die etwas für unsere Erkenntnis vertrauter macht. Zu 1. Daß ein Wunder als »etwas Erhabenes« definiert wird, meint nicht die Großartigkeit des Geschehens als eines solchen, sondern dies bezieht sich vergleichend auf die Möglichkeiten der Natur. Was daher Gott an einer auch noch so unbedeutenden Sache etwas vollbringt, wozu die Natur nicht im Stande ist, dann gilt dies als etwas Erhabenes. Zu 2. »Außergewöhnlich« nennt man ein Wunder deswegen, weil es dem üblichen Geschehen in der Natur zuwiderläuft, und dies auch dann, wenn dieses Geschehen sich täglich wiederholt. So wiederholt sich ja auch die Verwandlung des Brotes in den Leib Christi täglich, und doch bleibt dies stets ein Wunder. Denn man sollte eher bei demjenigen von einem üblichen Geschehen reden, was innerhalb der gesamten Ordnung des Weltganzen gemeinhin vonstatten geht, als bei dem, was nur mit einem einzigen Ding passiert. Zu 3. Bei den Werken, die Gott in Form eines Wunders vollbringt, trifft man üblicherweise die Unterscheidung, daß manche von ihnen 40 Vgl. De pot. q. 6 a. 2 arg. 1.

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auf übernatürliche Weise, manche auf widernatürliche Weise und manche an der Natur vorbei geschehen. Übernatürlich ist nun ein Wunder, wenn Gott etwas vollbringt, wozu die Natur in keiner Weise imstande ist. Dies wiederum kann auf zweifache Weise geschehen: [a.] Entweder verleiht Gott eine Form, welche von der Natur gar nicht verliehen werden kann, also z. B. die Form der Verherrlichung, die Gott den Körpern der Erwählten verleiht, oder auch die Fleischwerdung des Wortes. [b.] Oder aber Gott verleiht eine bestimmte Form, welche zwar auch die Natur der Materie verleihen könnte, aber nicht einer ganz bestimmten Materie. So ist z. B. die Natur in der Lage, Leben hervorzubringen. Jedoch ist sie nicht in der Lage, in einem ganz bestimmten Leichnam Leben hervorzubringen. Widernatürlich ist ein Wunder, wenn die Natur ihre Fähigkeit beibehält, genau das Gegenteil von dem zu bewirken, was Gott vollbringt. So behielt etwa das Feuer, vor dem Gott die Jünglinge im Feuerofen bewahrte, seine Brennkraft bei; und als das Wasser des Jordans still stand,41 da behielt auch es seine Schwere bei. Das Gleiche ging auch vor sich, als die Jungfrau den Sohn gebar. An der Natur vorbei vollzieht sich ein Wunder, wenn Gott etwas, wozu auch die Natur imstande ist, vollbringt, dies allerdings auf eine Weise, die der Natur versagt bleibt. Denn entweder sind die Mittel, deren sich die Natur bedient, zu schwach dafür. Beispiel hierfür ist die Verwandlung von Wasser in Wein durch Christus.42 Denn auch die Natur kann so etwas in gewisser Weise vollbringen, wenn sich nämlich das Wasser, das vom Rebstock als Nahrung aufgesaugt wird, mit der Zeit in Traubensaft umwandelt. Oder es kann sein, daß die Wirkung, die Gott vollbringt, weitaus reichlicher ausfällt als in der Natur üblich. Beispiel dafür sind die Frösche, die in Ägypten hervorgebracht worden sind.43 Oder aber es kann sein, daß die Wirkung, die Gott vollbringt, in ungleich kürzerer Zeit eintritt. Beispiel hierfür ist, daß jemand durch das Gebet eines Heiligen auf der Stelle gesund wird. Auch die Natur könnte diesen Menschen zwar nicht 41 Vgl. Jos. 3, 26. 42 Vgl. Joh. 2, 3–11. 43 Vgl. Ex. 7, 26 ff.

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auf der Stelle, doch aber nach einer Weile, nicht jetzt, doch aber zu einem anderen Zeitpunkt genesen lassen. Und so ist es ja auch etwa beim Wunder an der Schwiegermutter des Petrus tatsächlich geschehen.44 Von daher übersteigen all diese Werke, wenn man sich sowohl ihr Resultat als auch die Art ihrer Ausführung ansieht, ganz klar die Möglichkeiten der Natur. Zu 4. Die kommende Auferstehung der Toten geschieht wider die natürliche Hoffnung, nicht aber wider die gnadenhaft verliehene Hoffnung. Von dieser zweifachen Hoffnung spricht Röm. 4, 18: »Gegen alle Hoffnung hat er voller Hoffnung geglaubt«. Zu 5. Der Himmel, die Erde und auch die vernunftbegabten Seelen können in ihrer natürlichen Ordnung durch keine andere Ursache erschaffen werden als durch Gott. Deshalb stellt die Erschaffung dieser Dinge kein Wunder dar. Zu 6. Das Gleiche ist hier zur Bekehrung eines Sünders zu sagen. Zu 7. Was von Natur aus geschieht, ist auch ein Werk Gottes. Das aber, was Gott in Form eines Wunders vollbringt, geschieht nicht von Natur aus. Daher ist das hier angeführte Argument nicht stichhaltig. Zudem stellt die Natur in ihrem Wirken eine Ursache dar, die für uns augenfällig ist. Gott jedoch ist die Ursache, die uns verborgen bleibt; und deswegen bestaunen wir eher die Werke Gottes als diejenigen der Natur. Zu 8. Mißgeburten laufen der Natur im einzelnen zuwider, nicht jedoch dem großen Ganzen der Natur. Zu 9. Die Fleischwerdung des Wortes ist das Wunder der Wunder, wie die Väter sagen. Denn dieses Wunder ist größer als alle anderen Wunder, welche alle auf dieses Wunder zulaufen. Deswegen hält uns die Fleischwerdung nicht bloß dazu an, auch an die übrigen Wunder zu glauben. Vielmehr halten uns die übrigen Wunder dazu an, an die Fleischwerdung zu glauben. Es spricht nämlich nichts dagegen, wenn ein Wunder uns dazu anhält, an ein anderes Wunder zu glauben. So hält uns z. B. die Auferweckung des Lazarus45 dazu an, an die kommende Auferstehung zu glauben. 44 Vgl. Lk. 4, 38 f. 45 Vgl. Mk. 1, 29 ff.

3. Artik el Die dritte Frage lautet: Können die geisthaften Geschöpfe mit ihrer eigenen natürlichen Kraft Wunder wirken?46 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Was eine geringere Kraft vermag, das vermag eine größere Kraft erst recht. Nun übersteigt aber die Kraft der geisthaften Geschöpfe die Kraft der körperhaften Natur. So heißt es auch in Hiob 41, 24: »Es gibt auf Erden keine Kraft, die ihm vergleichbar wäre.« Demnach können die geisthaften Geschöpfe dieselben Wirkungen vollbringen wie die Natur. Wenn jedoch eine Wirkung in der Natur keine natürliche Ursache hat, sondern eine Ursache, die verborgen bleibt, dann stellt dies ein Wunder dar. Folglich können die geisthaften Geschöpfe Wunder wirken. 2. In je höherem Grad etwas wirklich ist, desto höher ist seine Wirksamkeit. Denn alles wirkt, insofern es in der Wirklichkeit ist. Nun haben die Formen, welche die geisthaften Geschöpfe darstellen, einen höheren Wirklichkeitsgrad als die Formen, die an den körperhaften Geschöpfen auftreten, weil sie im höheren Grade frei von Materie sind. Mithin sind sie auch wirksamer. Nun bringen die Formen, die an den körperhaften Geschöpfen auftreten, etwas hervor, was dem Wesen nach von ihresgleichen ist. Erst recht sind daher die Formen im Denken der geisthaften Geschöpfe zu so etwas in der Lage. Somit vermag ein geistiges Geschöpf natürliche Wirkungen zu vollbringen ohne das Zutun von natürlichen Ursachen, und dies erfüllt das Merkmal eines Wunders. 3. Der Intellekt eines Engels gleicht dem göttlichen Intellekt in höherem Maße als der menschliche Intellekt. Nun gibt es im menschlichen Intellekt einige aktiv wirksame Formen, die im praktischen Verstand beheimatet sind, so z. B. die Formen einer Kunstfertigkeit. Demnach sind die Formen im Intellekt eines Engels noch viel stärker

46 Paralleltexte: Sum theol. I, q. 110 a. 2–4; q. 65 a. 4; q. 91 a. 2; q. 94 a. 4. ScG III, 102–103. De malo q. 16 a. 9; a. 1 ad 14; a. 10. Quodl. IX, q. 4 a. 5. In Galat. III, 1. Comp. theol., 136. Opusc. IX. Resp. De XXXVI art., a. 15–16; 18. In Ioh. X, 5. In Job I, 3.

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wirksam. Denn bekanntlich sind es die Ideen im göttlichen Intellekt, die im höchsten Maße wirksam sind. 4. Nun könnte man einwenden: Wie die Formen im menschlichen Intellekt so kommen auch die aktiven Formen im Intellekt eines Engels nur zu ihrer Wirkung, wenn zur deren Hervorbringung auch eine körperliche Kraft eingesetzt wird. – Dem kann man entgegenhalten: Eine Kraft, die zu ihrer Verwirklichung einen Körper einsetzen muß, hat nur einen Sinn bei jemanden, der auch einen organischen Körper besitzt. Denn die Kraft zur Fortbewegung hätte keinen Sinn bei einem Lebewesen, das keine Mittel zur Fortbewegung hat. Nun ist aber ein Engel von seinem Wesen her nicht mit einem Körper verbunden. Demnach braucht er auch keine körperliche Kraft einzusetzen, um seine Werke ausführen können. 5. Jede Kraft, die eine größere Reichweite hat als eines ihrer Organe, kann unabhängig von diesem Organ ihre Wirkung entfalten. Denn da das Auge nicht an die Kraft der gesamten Seele heranreicht, so bringt die Seele viele Wirkungen ohne die Zuhilfenahme des Auges zustande. Nun kann aber ein Körper in keinem Verhältnis zur gesamten Kraft eines Engels stehen. Folglich kann ein Engel manche Wirkungen ohne Einsatz von körperlichen Kräften vollbringen. Somit kann er offensichtlich mit seiner eigenen natürlichen Kraft Wunder wirken. 6. Die Kraft eines Engels übertrifft die Kraft eines jeglichen Körpers weit mehr, als die Himmelskörper die elementaren Körper übertreffen. Nun bringt die Kraft eines Himmelskörpers an den Dingen hier unten Wirkungen hervor ohne das Zutun der aktiven und passiven Eigenschaften, d. h. ohne die Kräfte, welche für die Elemente kennzeichnend sind. Erst recht kann daher die Kraft eines Engels bestimmte Wirkungen an den natürlichen Dingen hervorbringen ohne die Zuhilfenahme von natürlichen Körperkräften. 7. Nach Augustinus lenkt Gott alle Körper vermittels einer geistigen Lebenskraft.47 Auch Gregor ist derselben Auffassung.48 Somit werden offensichtlich die Bewegungen des Himmels und der gesamten Natur von den Engeln gelenkt, ganz wie auch die Bewegun47 Augustinus, De trin. III, 4, (CCSL 50, 136). 48 Gregor der Große, Libri dialogorum IV, 5, 4 (SC 265, 34).

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gen des menschlichen Körpers von der Seele gesteuert werden. Nun bringt aber die Seele am Körper Formen zustande, und zwar unabhängig von dessen natürlichen aktiven Kräften. Nach Aussage der Ärzte kann es nämlich jemanden rein durch Einbildung warm oder kalt werden und er kann in einigen Fallen Fieber oder sogar Aussatz bekommen. Erst recht ist es daher möglich, daß rein durch die geistige Kraft eines Engels, der den Himmel bewegt, an den Dingen hier unten ohne das Zutun von natürlichen Ursachen bestimmte Wirkungen auftreten. Demnach vermag ein Engel Wunder zu wirken. 8. Nun könnte man einwenden: Das gerade Angeführte hat seinen Grund darin, daß die Seele die Form des Körpers ist. Ein Engel ist dagegen nicht die Form für ein körperhaftes Geschöpf. – Dem kann man entgegenhalten: Alles, was die Seele bei ihrem Wirken hervorbringt, das bringt sie dadurch hervor, daß sie den Körper in Bewegung versetzt, und nicht dadurch, daß sie dessen Form ist. Denn wenn die Seele wirkt, dann fungiert sie hierbei nicht als Form, sondern als Beweger des Körpers. Die oben angeführten Zustände, die die Seele am Körper hervorruft, hängen aber von den Vorstellungen der Seele ab. Folglich verdanken sie sich der Seele im Sinne eines Bewegenden und nicht im Sinne einer Form. 9. Gott kann deswegen Wunder wirken, weil seine Macht unendlich ist. Nun heißt es im Buch von den Ursachen, daß die Kraft eines Geistwesens unbegrenzt ist, insbesondere seine Kraft über das ihm Unterstehende.49 Dies läßt sich auch dadurch erhärten, daß ein Geistwesen die Himmelsbewegung verursacht, die, wie bereits gezeigt worden ist, die natürliche Anlage zu einem immerwährenden Dasein hat; und nur eine unbegrenzte Kraft kann eine immerwährende Bewegung verursachen, wie im 7. Buch der Physik nachgewiesen wird.50 Demnach können die Engel offensichtlich auch mit ihrer eigenen natürlichen Kraft Wunder wirken. 10. Im Buch von den Ursachen heißt es: Jede geeinte Kraft ist unendlicher als eine vervielfältigte.51 Und der Kommentar bemerkt 49 Liber de Causis, prop. 15 [16]; n. 131; (ed. Schönfeld, 32). 50 Vermutlich handelt es sich um eine Anspielung auf Aristoteles,

Phys. VIII, 10; 266 a 25 ff. 51 Liber de Causis, prop. 16 [17]; n. 138 (ed Schönfeld, 34 f.).

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zu diesem Satz: Je mehr die Kraft eines Geistwesens konzentriert und geeint ist, desto größer und stärker wird sie und desto eher vollbringt sie Wundersames.52 Der Kommentar spricht hier aber von der natürlichen Kraft eines Geistwesens, denn die gnadenhaft verliehene Kraft kennt er nicht. Demnach kann ein Engel aus eigener natürlicher Kraft Wunder wirken. 11. Nun könnte man einwenden: Wunder wirken kann ein Engel nicht aus eigener Kraft, sondern mit Hilfe derjenigen Kraft, die Gott in den Dingen der Natur angelegt hat; und diese Kraft setzt er dann für die Wirkung ein, die er im Auge hat. – Dem kann man entgegenhalten: Eine Entfaltung dieser keimhaften Anlagen in der Natur, worin ihre aktiven Kräfte beschlossen liegen, kann nur gelingen in Form einer Ortsbewegung. Nun läuft es aber auf dasselbe hinaus, ob sich die Körper in ihrer Ortbewegung oder ob sie sich in einer ihrer anderen Bewegungen einer geistigen Substanz fügen bzw. nicht fügen. Denn zu einer jeden Bewegung in der Natur gehört ein jeweils ganz bestimmter Beweger. Wenn es also in der Verfügungsgewalt der Engel steht, in Form der Ortsbewegung jene keimhaften Anlagen für eine Wirkung in der Natur zur Entfaltung zu bringen, so steht es auch in ihrer alleinigen Verfügungsgewalt, durch eine verändernde oder hervorbringende Bewegung eine bestimmte Form der Materie aufzuprägen, und d. h. Wunder zu wirken. 12. Die Kraft, der Materie eine Form aufzuprägen, und die Kraft, eine solche Aufprägung zu verhindern, gehören derselben Gattung an. Denn genauso wie durch eine körperliche Kraft die Form des Feuers der Materie aufgeprägt wird, so wird auch die Aufprägung dieser Form durch die Kraft eines Körpers verhindert. Nun kann aber durch die Kraft eines geisthaften Geschöpfes ein natürlich tätiges Wesen daran gehindert werden, daß es der Materie eine Form aufprägt. So soll es ja auch vorgekommen sein, daß jemand ins Feuer geworfen wurde und dank der Kraft eines bestimmten Schriftstükkes nicht verbrannte. So etwas war ganz klar nicht Gottes Werk, der seine Heiligen aufgrund ihrer Verdienste und nicht wegen irgendeines Schriftstückes vor Qualen bewahrt. Somit konnte dies nur das Werk eines Dämons sein. Gleichermaßen steht es also offenbar in 52 Liber de Causis, prop. 16 [17]; n. 141 (ed Schönfeld, 34 f.).

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der alleinigen Verfügungsgewalt eines geisthaften Geschöpfes, der Materie eine Form ohne das Zutun eines körperhaft tätigen Wesens aufzuprägen. Und doch scheint es ein Wunder zu sein, wenn ein Mensch ins Feuer geworfen wird und nicht verbrennt, so z. B. beim Wundergeschehen mit den drei Jünglingen.53 13. Eine Form, die in der Vorstellung und in den Sinnen auftritt, steht über einer Form, die an der körperhaften Materie auftritt, insofern sie ja im höheren Grade frei von Materie ist. Nun ist ein geisthaftes Wesen dazu in der Lage, in unserer Vorstellung und in unseren Sinnen eine Form hervorzubringen, so daß dann uns etwas anders erscheint, als es tatsächlich ist. So sagt ja auch Augustinus: »Die Dämonen erschaffen sicherlich keine Wesen, doch verändern sie das, was von Gott wahrhaft erschaffen worden ist, in seiner äußeren Gestalt.«54 Dann fügt er noch hinzu, daß dies durch eine Einwirkung auf unsere Vorstellung erfolgt. Demnach kann ein geisthaftes Geschöpf erst recht der körperhaften Materie eine Form aufprägen. Somit gilt das Gleiche wie oben. 14. Man könnte nun einwenden: Ein Dämon wirkt auf unsere Vorstellung nicht dadurch ein, daß er in ihr neue Formen hervorbringt, sondern dadurch, daß er bereits vorliegende Formen zusammensetzt und auseinandernimmt. – Dem kann man entgegenhalten: Die Seele steht auf einer höheren Stufe als die körperhafte Natur. Wenn aber ein Dämon aus eigener Kraft das tun kann, was die eigentümliche Leistung der sensitiven Seele ist – nämlich Vorstellungsbilder zusammenzusetzen und auseinanderzunehmen –, dann kann offenbar ein Dämon erst recht aus eigener Kraft Wirkungen an der körperhaften Natur hervorbringen. Und damit gilt das Gleiche wie oben. 15. Das Verhältnis, in dem eine Kraft zu einer anderen Kraft steht, gilt auch für die Art und Weise, in der diese Kräfte jeweils wirken. Nun hängt die Kraft eines Engels nicht von der Kraft eines körperhaften Geschöpfes ab, und mithin hängt auch sein Wirken nicht vom Wirken eines körperhaften Geschöpfes ab. Somit ist ein Engel

53 Vgl. Dan. 3, 19 ff. 54 Augustinus, De civ. Dei XVIII, 18 (CCSL 48, 608).

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in der Lage, unabhängig von natürlichen Ursachen auf wundersame Weise zu wirken. 16. Es gehört eine unendliche Kraft dazu, um aus dem Nichts etwas zu erschaffen, da ja der Abstand zwischen dem Seienden und dem Nichts unendlich ist. Gleichermaßen ist es einer endlichen Kraft möglich, etwas aus dem Möglichsein in die Wirklichkeit zu bringen. Nun ist aber die größte unter den endlichen Kräften diejenige der Engel. Mithin kann ein Engel aus eigener Kraft und ohne das Zutun irgendeiner natürlichen Ursache alle Formen, die in der Materie der Möglichkeit nach liegen, Wirklichkeit werden lassen. 17. Jedes ungehindert tätige Wesen vollbringt Wirkungen und erfährt Einwirkungen. Nun erfährt ein Engel, wenn er Wirkungen an den Körpern hier unten vollbringt, keinerlei Einwirkung durch diese. Mithin läßt sich das Wirken eines Engels auch nicht daran hindern, Wunder zu tun und also unabhängig von den natürlichen Ursachen zu wirken. dagegen spricht: 1. Gott wirkt deswegen Wunder, weil ihm die Natur untersteht. Den Engeln untersteht sie jedoch nicht. Denn den Engeln hat Gott die Welt nicht unterworfen, wie es in Hebr. 2, 5 heißt. Demnach können die Engel mit ihrer eigenen natürlichen Kraft keine Wunder wirken. 2. Augustinus bemerkt, man könne nicht annehmen, daß die Materie der körperhaften Welt ins Belieben der sündhaften Engel gestellt sei.55 Sie wäre jedoch in ihr Belieben gestellt, wenn die geisthaften Geschöpfe aus eigener Kraft in der Lage wären, Wunder zu wirken. Demnach können sie keine Wunder wirken. antwort: Nachdem Augustinus im 3. Buch von De Trinitate unser Problem sorgfältig verhandelt hat, schließt er folgendermaßen: »Ich tue gut daran, meiner Grenzen gewahr zu sein, und ich möchte meine Brüder daran erinnern, der ihrigen gewahr zu sein, auf daß die Schwäche des Menschen nicht über das hinausstrebe, was gesichert ist. Denn 55 Augustinus, De trin. III, 8 (CCSL 50, 139).

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auf welche Weise die Engel diese Dinge bewerkstelligen, oder besser: auf welche Weise Gott dies vermittels seiner Engel geschehen läßt, dies vermag die Schärfe meiner Augen nicht in der Weise zu durchdringen, die Zuverlässigkeit meines Verstandes nicht in der Weise zu erklären und die Wendigkeit meines Geistes nicht in der Weise zu erfassen, daß ich über all das, was man hier erforschen kann, so sichere Auskunft geben könnte, als wäre ich ein Engel, ein Prophet oder ein Apostel.«56 Daher sollten wir diese Selbstbescheidung hier beherzigen und sollten, ohne bloße Behauptungen aufzustellen und ohne vorweg für die bessere Ansicht zu plädieren, diesem Problem so weit nachgehen, wie uns die Vernunft und die Autoritäten hier weiterhelfen können. Man sollte sich also darüber im Klaren sein, daß die Philosophen bei dieser Fragestellung keine Einigkeit erzielt haben. (A) Avicenna war der Ansicht, daß diejenige geistige Substanz, welche die Himmel in Bewegung hält, nicht bloß mittels dieser Himmelsbewegung, sondern sogar ohne jegliches Zutun eines Körpers Wirkungen an den Dingen hier unten hervorruft. Er war nämlich der Überzeugung, daß sich die Materie der Körper viel eher den Absichten und Entscheidungen dieser geistigen Substanz füge, als daß sie sich einer ihr entgegenwirkenden Kraft in der Natur oder irgendeinem einwirkenden Körper fügen würde. An dieser Ursache, so meinte er, liege es aber, daß zuweilen ungewöhnliche Veränderungen der Luft auftreten und Heilungen von Kranken geschehen, die wir als Wunder bezeichnen. Als Beispiel hierfür nennt er die Seele: Sie versetze den Körper in Bewegung, und aufgrund ihrer Einbildungen würde der Körper ohne das Einwirken eines weiteren Körpers kalt und warm werden und zuweilen sogar Fieber und Aussatz bekommen. Diese Ansicht steht sehr wohl im Einklang mit den von ihm angenommenen Prinzipien. Denn Avicenna ist der Auffassung, daß die natürlichen Wirkkräfte nichts weiter tun, als die Materie aufnahmebereit [für eine Form] zu machen. Die substantialen Formen aber stammen von einer geistigen Substanz, die er als den ›Spender der Formen‹ bezeichnet. Daher fügt sich auch die Materie aufgrund 56 Augustinus, De trin. III, 10 (CCSL 50, 149).

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ihrer natürlichen Anlage der geistigen Substanz, wenn sie von dieser ihre Form erhält. Daher ist es auch nicht erstaunlich, wenn diese geistige Substanz allein nach ihrem Willen und ohne das Zutun von körperhaften Wirkkräften der Materie bestimmte Formen aufprägt. Denn wenn die Materie sich der materielosen Substanz fügt, sobald sie von dieser eine Form erhält, dann ist es nur konsequent, daß sie sich ebenso fügt, wenn sie [für eine Form] aufnahmefähig gemacht wird. Denn letzteres erfordert keine so große Kraft. (B) Nach Auffassung von Aristoteles und seiner Anhänger ist diese Ansicht unhaltbar. Aristoteles weist nämlich mit zwei Argumenten nach, daß die Formen nicht von einer materielosen Substanz der Materie aufgeprägt werden, sondern daß die Formen aus einer in der Materie liegenden Möglichkeit in die Wirklichkeit gelangen, und zwar durch das Wirken einer Form, die ihrerseits mit einer Materie verbunden ist. Den ersten Nachweis gibt er im 7. Buch der Metaphysik,57 wo er aufzeigt, daß dasjenige, was entsteht, streng genommen etwas Zusammengesetztes ist und nicht die Materie oder die Form. Denn es ist das Zusammengesetzte, das im eigentlichen Sinne Sein hat. Nun bringt jedes tätige Wesen etwas von seinesgleichen hervor. Daher muß dasjenige, was die Dinge in der Natur auf dem Wege der Erzeugung wirklich werden läßt, ein Zusammengesetztes sein und keine materielose Form, in anderen Worten: keine von der Materie abgelöste Substanz. Den zweiten Nachweis liefert Aristoteles im 8. Buch seiner Physik.58 Ein und dasselbe Ding hat nämlich von seiner Natur her die Anlage, immer wieder Dasselbe hervorzubringen. Dasjenige jedoch, was entsteht oder vergeht bzw. sich verändert, vergrößert oder verkleinert, verhält sich nicht immer gleich, und so kann das, was ein Werden und eine dieser Arten von Bewegung herbeiführt, nicht alle Zeit dieselbe Verfassung haben, sondern muß vom einen Zustand in den anderen übergehen. Dies aber kann nicht eine materielose Substanz sein, da keine dieser Substanzen einer Veränderung unterliegt. Denn was einer Veränderung unterliegt, ist immer ein Körper, wie

57 Aristoteles, Met. VII, 8; 1033 a 24 ff. 58 Aristoteles, Phys. VIII, 7; 261 a 1 ff.

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im 6. Buch der Physik nachgewiesen wird.59 Daher ist ein Körper die unmittelbare Ursache dafür, daß eine Form auf dem Wege der Fortpflanzung oder einer qualitativen Veränderung eine Form aus ihrem Möglichsein in die Wirklichkeit gelangt. Dieser Körper geht dabei vom einen Zustand in den anderen über, insofern er dank seiner Ortsbewegung einmal näherkommt und sich wieder entfernt. Dies ist auch der Grund dafür, daß eine materielose Substanz durch ihren Machtspruch unmittelbar die Ortsbewegung eines Körpers verursacht. Über diese Ortsbewegung aber verursacht sie indirekt die übrigen Arten von Bewegung, durch die der bewegte Körper eine bestimmte Form erhält. Diese Abfolge ist nun durchaus sinnvoll. Denn die Ortsbewegung ist die erste und vollkommenste Bewegung, insofern sie ja ein Ding nicht innerlich verändert, sondern nur in seiner Lage, die ihm äußerlich ist. Deswegen empfängt auch ein körperhaftes Wesen von einem geisthaften Wesen zunächst seine Bewegung in Form einer Ortsbewegung. So fügt sich also ein körperhaftes Geschöpf einem geisthaften Wesen in seiner natürlichen Anlage zur Ortsbewegung, nicht aber in seiner natürlichen Anlage, eine Form annehmen zu können. Dies gilt freilich nur für ein erschaffenes Geistwesen, dessen Kraft und Sein auf einen ganz bestimmten Bereich eingeschränkt ist, es gilt aber nicht für die unerschaffene geistige Substanz, deren Kraft unendlich ist und die nicht auf einen ganz bestimmten Bereich und dessen Normen eingeschränkt bleibt. So weit kommt diese Ansicht mit den Glauben überein. Daher bemerkt auch Augustinus, daß die körperhafte Materie nicht ins Belieben der Engel gestellt ist.60 Doch unterscheidet sich hier auch die Glaubenslehre vom Standpunkt der Philosophen. Denn die angeführten Philosophen sind der Auffassung, daß die materielosen Substanzen durch ihren Machtspruch zwar die Ortsbewegung der Himmelskörper verursachen, daß aber die Ortsbewegung bei den Dingen hier unten nicht unmittelbar von einer materielosen Sub59 Vgl. In Phys. IV, 23 (n. 626). Aristoteles, Phys. III, 14; 223 a 17–20. VII, 5; 249 b 30. VIII, 6; 258 b 25. VIII, 10; 267 a 22 f. Siehe auch J. Hamesse, Les auctoritates Aristotelis, n. 172 und n. 194. 60 Augustinus, De trin. III, 8–9 (CCSL 50, 140–146).

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stanz verursacht wird, sondern von anderen – natürlichen, willentlichen oder Gewalt ausübenden – Ursachen. Aus diesem Grund schrieb auch Alexander, der [Aristoteles-]Kommentator, all diejenigen Wirkungen an den Dingen hier unten, für die wir die Engel oder Dämonen verantwortlich machen, dem Einfluß der Himmelskörper zu.61 Dies läßt sich so nicht ganz aufrecht erhalten. Denn diese Geschehnisse folgen keinem festgelegten Ablauf wie die Dinge, die durch die natürliche Einwirkung der höheren und niederen Körper zustande kommen. Zudem trifft man auf bestimmte Wirkungen, zu denen die Himmelskörper überhaupt nicht in der Lage sind, so z. B. zur schlagartigen Verwandlung von Stäben in Schlangen62 und dergleichen mehr. (C) Nach der Glaubenslehre verursachen aber nicht nur die Himmelskörper, sondern auch andere Körper durch ihren Machtspruch die Ortsbewegung, sobald Gott dies so anordnet und erlaubt. Diese Körper verursachen nämlich durch ihren Machtspruch die Ortsbewegung bei denjenigen Körpern, die eine natürliche aktive Kraft zur Hervorbringung einer bestimmten Wirkung haben. Diese Kraft nennt Augustinus die keimhafte Grundlage der Natur.63 Daher erfolgt ihr Wirken auch nicht auf wundersame Weise, sondern nach den Regeln einer Kunst. Denn bei Wundern stellen sich Wirkungen ein aufgrund einer übernatürlichen Ursache und ohne das Zutun der Natur. Hingegen kennzeichnet es eine Kunstfertigkeit, daß sie unter Einsatz von natürlichen Prinzipien eine Wirkung vollbringt, zu der die Natur entweder nicht oder zumindest nicht so sehr in der Lage ist. So bemerkt auch Aristoteles im 2. Buch seiner Physik,64 daß eine Kunstfertigkeit die Natur nachahmt und dabei teils etwas zustande bringt, wozu die Natur nicht in der Lage ist, teils die Natur unterstützt. So unterstützt etwa ein Arzt die Natur bei ihrem Heilungsprozeß durch Verabreichung dessen, was eine natürliche Heilkraft für den Stoffwechsel und die Verdauung besitzt. Bei der Hervorbringung solcher Wirkungen zeigt sich die Kunst61 62 63 64

Alexander von Aphrodisias, De fato VI; 169, 22 ff. (ed. Zierl, 36 ff.). Vgl. Ex. 7, 10. Augustinus, De Gen. ad litt. IX, 17 (CSEL 28/1, 290 ff.). Aristoteles, Phys. II, 2; 194 a 20 ff.

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fertigkeit eines guten bzw. schlechten Engels als leistungsfähiger und führt zu besseren Ergebnissen als die menschliche Kunstfertigkeit. Dies hat zwei Gründe. Erstens: Da die Wirkungen, die die Körper hier unten hervorbringen, hauptsächlich von den Himmelskörpern abhängen, so kann eine Kunstfertigkeit vorzüglich dann ihre Wirkung entfalten, wenn hierbei die Kraft eines Himmelskörpers mitwirkt. Daher ist es beim Ackerbau und in der Medizin ratsam, die Bewegung und die Konstellation von Sonne, Mond und den anderen Sternen zu berücksichtigen, über deren Kräfte, Bewegungen und Konstellationen die Engel von Natur aus weitaus besser Bescheid wissen als die Menschen. Daher vermögen sie auch die Stunden besser auszuwählen, an denen die Kraft eines Himmelskörpers zu einer erwünschten Wirkung in höherem Maße beiträgt. Dies ist offensichtlich auch der Grund, warum die Anhänger der schwarzen Magie bei ihrer Beschwörung der Dämonen die Konstellationen der Sterne berücksichtigen. Der zweite Grund ist der, daß die Engel die aktiven und passiven Kräfte bei den Dingen hier unten besser kennen als die Menschen und sie daher leichter und schneller zum Zweck einer bestimmten Wirkung einsetzen können, insofern sie durch ihr Eingreifen die Körper eine Ortsbewegung vollziehen lassen. So haben ja auch die Ärzte ziemlich erstaunliche Erfolge bei der Heilung, da sie vertrauter sind mit den Kräften der Natur. Ein dritter Grund könnte der sein, daß ein Hilfsmittel nicht bloß aus eigener Kraft, sondern auch dank der Kraft seines Bewegers wirkt. So erzielt ja auch ein Himmelskörper manche seiner Wirkungen kraft derjenigen geistigen Substanz, die ihn in Bewegung hält; so z. B. läßt er Leben entstehen, wie sich im Falle derjenigen Lebewesen zeigt, die durch Fäulnis entstehen.65 Ebenso trägt die natürliche Wärme zum Aufbau des Muskelfleisches bei, insofern sie dabei der vegetativen Seele dienlich ist. Daher ist die Annahme nicht unplausibel, daß die natürlichen Körper größere Wirkungen erzielen, wenn sie von einer geistigen Substanz in Bewegung versetzt werden. Dies läßt sich aus dem ersehen, was in Gen. 6, 4 geschrieben steht: 65 Nach damaliger Auffassung entstehen z. B. Würmer aus faulendem Schlamm.

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»Zu jenen Zeiten waren Riesen auf Erden, denn hernach verkehrten die Gottessöhne mit den Töchtern der Menschen, und diese gebaren ihnen. Das sind die starken Männer der Urzeit, Leute mit Namen.« Die Glosse bemerkt zu dieser Stelle, daß es nicht unglaubwürdig sei, wenn solche Menschen durch den Verkehr von Dämonen mit Frauen hervorgebracht worden seien.66 Somit ist also klargestellt, daß die guten und auch die bösen Engel mit ihrer eigenen natürlichen Kraft keine Wunder wirken können, sondern manch erstaunliche Wirkung auf kunstfertige Art zustande bringen. Zu 1. Zwar ist die natürliche Kraft eines Engels bzw. eines Dämons größer als die natürliche Kraft eines Körpers. Gleichwohl geht die Kraft eines Engels nicht so weit, daß sie der Materie unmittelbar eine Form aufprägt, sondern sie kann dies nur mit Hilfe eines Körpers tun. Diese Prägung führt ein Engel daher auf bessere Art aus als ein Körper, da der erste Beweger den zweiten im Wirken übertrifft. Zu 2. Die Formen der natürlichen Dinge, die im Geist eines Engels gegenwärtig sind, haben einen höheren Wirklichkeitsgrad als die Formen, die an der Materie auftreten. Deswegen stellen sie den unmittelbaren Ausgangspunkt für einen Vorgang dar, der einen höheren Wirklichkeitsgrad hat, nämlich für das Denken. Für einen Vorgang hingegen, der an der Materie eine Veränderung hervorruft, sind diese Formen nicht unmittelbar der Ausgangspunkt, sondern nur, wenn auch der Wille dazu da ist. Der Wille wiederum kann so etwas nur in die Tat umsetzen, wenn auch eine Kraft da ist, welche direkt die Ortsbewegung verursacht. Erst mit dem Auftreten von Ortsbewegung sind jene Formen die Ursache für die anderen Arten der Bewegung und insofern auch die Ursache für die Prägung der Materie durch eine Form. Zu 3. In gleicher Weise bringen die Formen, die im menschlichen Geist gegenwärtig sind, die künstlich hergestellten Dinge nur hervor, wenn auch ein Wille, eine bewegende Kraft, natürliche Hilfsmittel und künstliche Werkzeuge hierfür da sind. 66 Walafrid Strabo, Glossa ordinaria. Liber Genesis 6, 2 (PL 113, col. 104).

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Zu 4. Eine Kraft, die in der Lage ist, ein Organ einzusetzen, welches ihr bei all ihren Tätigkeiten dienlich ist, muß an dieses Organ gebunden sein, wie dies etwa bei der Sehkraft und dem Auge der Fall ist. Nun kann aber kein Körper einem Engel in der Weise dienlich sein, daß er dessen Kraft entsprechend umsetzen könnte. Deswegen besitzt ein Engel kein körperliches Organ, an das er von Natur aus gebunden wäre. Daher behaupteten diejenigen Philosophen, nach deren Ansicht die materielosen Substanzen nur über den Himmel vermittelt auf die Dinge hier unten einwirken, daß eine bestimmte materielose Substanz an den Himmel als ihrem Hilfsmittel gebunden sei, und diese Substanz nannten sie ›Himmelsseele‹. Daneben aber gibt es ihrer Ansicht nach noch eine materielose Substanz, die nicht an den Himmel gebunden ist und durch die die Himmelsseele so in Bewegung gehalten wird wie ein Liebender vom Gegenstand seiner Liebe. Diese Substanz nannten sie ›Geist‹. Zu 5. Auch wenn ein Engel den Himmel bewegt, so kann er unabhängig von der Himmelsbewegung auf die Dinge hier unten einwirken und ohne das Zutun eines Körpers andere Körper in Bewegung versetzen, und zwar durch sein Denken. Gleichwohl kann er der Materie keine Form aufprägen ohne das Zutun einer körperhaften Kraft. Zu 6. Da der Himmel ein körperhaftes Wesen hat und auch so wirkt, so kann er unmittelbar eine Veränderung [an der Materie] herbeiführen und auf eine Form hinwirken. Dies gilt jedoch nicht für die Engel. Zu 7. Innerhalb der Ordnung der Natur bestimmt die Seele über die Ortsbewegung des Körpers. Denn das Begehrungsvermögen der Seele steuert diese Bewegung, und der Körper fügt sich ihrem Belieben. Ausgeführt wird dies von Bewegungskräften, die an die Körperorgane gebunden sind und die aus der Seele in den von ihr geformten Körper eingehen. Die übrigen Veränderungen, wie z. B. Erwärmung, Abkühlung und dergleichen, löst die die Seele ebenfalls über die Ortsbewegung aus. Somit ist auch klar, daß die Vorstellungskraft eine Affektion herbeiführt, durch die sich der Herzschlag und die Bewegung der Lebensgeister irgendwie verändert. Wenn sich diese Lebensgeister im Herzen zusammenziehen oder wenn sie sich über die Körperglieder verbreiten, dann führt dies auch zu einer

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Veränderung des Körpers. Dies kann dann zu Krankheiten führen, insbesondere wenn die Materie eine Veranlagung dazu hat. Zu 8. Damit ist auch die Antwort zu diesem Argument klar. Zu 9. Unbegrenzt kann man die Kraft eines Engels nur im Hinblick auf das nennen, was unter ihm steht, insofern ja seine Kraft nicht an eine Materie gebunden ist. Deswegen setzt ihr auch kein niederes Wesen, an dem sich diese Kraft entfaltet, dabei Grenzen. Wie bereits ausgeführt, ist die Kraft eines Engels jedoch nicht unbegrenzt im Hinblick auf das, was über ihm steht, denn von Gott erhält ein Engel ein begrenztes Sein. Deswegen ist auch seine Substanz an einen bestimmten Bereich gebunden und mithin seine Kraft an eine bestimmte Wirkensweise. Dies läßt sich aber von Gott nicht behaupten. Zu 10. Wie bereits ausgeführt, bringt ein Engel zwar erstaunliche Dinge auf kunstfertige Weise zustande, er wirkt jedoch keine Wunder. Zu 11. Zwar werden sowohl die Ortsbewegung als auch die übrigen Bewegungen bei den Körpern hier unten durch ganz bestimmte natürliche Ursachen ausgelöst. Einem geisthaften Geschöpf jedoch fügt sich ein körperhaftes Geschöpf von Natur aus in seiner Ortsbewegung, nicht aber in seinen übrigen Bewegungen. Die Begründung dafür ist oben gegeben worden. Insbesondere gilt dies, wenn die Kraft eines geisthaften Geschöpfes nicht in der Art an einen bestimmten Körper gebunden ist, wie die Kraft der Seele an denjenigen Körper gebunden ist, mit dem sie eine Einheit bildet. Zu 12. Wie eine erschaffene geistige Substanz nicht in der Lage ist, durch ihren Machtspruch der Materie eine Form aufzuprägen, so kann es sie es auch durch ihren Machtspruch nicht verhindern, daß der Materie durch eine natürliche Wirkkraft eine Form aufgeprägt wird. Und wenn sie dies doch zuweilen verhindert, dann gelingt ihr dies unter Zuhilfenahme eines natürlichen Hindernisses, was aber der menschlichen Wahrnehmung unzugänglich bleibt. Insbesondere vermag nämlich eine geistige Substanz die Flammen eines Feuers so zu bewegen, daß sie nicht an brennbares Material gelangen. Zu 13. Eine erschaffene materielose Substanz ist mit ihrer eigenen natürlichen Kraft in der Lage, unsere Vorstellung zu beeinflussen. Dies gelingt ihr allerdings nicht dadurch, daß sie durch ihren

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Machtspruch dem Sitz unserer Vorstellungen bestimmte Formen aufprägt, sondern dadurch, daß sie die Lebensgeister und die Körpersäfte aus dem Gleichgewicht bringt. Wenn nämlich die Lebensgeister und die Körpersäfte durcheinander geraten, dann führt dies offensichtlich zu bestimmten Einbildungen, was z. B. bei Wahnsinnigen oder im Schlaf vorkommt. Die Fähigkeit zur Beeinflussung unserer Vorstellung haben auch, so sagt man, bestimmte natürliche Dinge, deren sich die Anhänger der schwarzen Kunst bedienen sollen, um Trugbilder zu erzeugen. Zu 14. Daraus erklärt sich auch die Antwort zu diesem Punkt. Zu 15. Wie ein Engel einen Himmelskörper an Kraft übertrifft, so übertrifft er ihn auch an Wirksamkeit. Dies ist bereits ausgeführt worden. Gleichwohl reicht die Kraft eines Engels nicht so weit, daß er durch seinen Machtspruch unmittelbar der Materie eine Form aufprägen könnte. Zu 16. Eine endliche Kraft vermag etwas aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit zu bringen. Dies gelingt aber nicht jeder beliebigen Kraft auf beliebige Weise. Denn eine jede endliche Kraft hat eine genau festgelegte Wirkensweise. Zu 17. Wenn etwas ungehindert seine Tätigkeit entfaltet, so kann es selbst dann nichts vollbringen, was nicht in seiner Macht steht. So könnte z. B. ein Feuer selbst dann noch keine Abkühlung bringen, wenn kein äußerliches Hindernis das Feuer davon abhalten würde. Daher kann aus der Tatsache, daß die Engel nicht durch ihren Machtspruch der Materie eine Form aufprägen können, nicht geschlossen werden, daß sie ein äußerliches Hindernis davon abhält. Vielmehr ist dem so, weil dies von Natur aus nicht in ihrer Macht steht.

4. Artik el Die vierte Frage lautet: Können die guten Engel und Menschen durch das Geschenk der Gnade Wunder wirken? 67 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Die Hierarchie unter den Engeln gibt es nur deshalb, weil sie 67 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 110 a. 4 ad 1; III, q. 13 a. 2 ad 3; q. 78

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[verschiedene] Aufgaben haben. Nun ist aber ein bestimmter Engelsrang dazu berufen worden, Wunder zu wirken. Denn Gregor bemerkt in einer seiner Homilien, daß die Gewalten68 es sind, durch die häufig Zeichen und Wunder geschehen.69 Demnach können die Engel durch das Geschenk der Gnade Wunder wirken. 2. In Apg. 6, 8 heißt es: »Stephanus aber, voll Gnade und Kraft, tat große Wunder und Zeichen unter dem Volk.« Die göttliche Gnade würde hier aber keine Erwähnung finden, wenn die nachfolgenden Taten nicht aus ihr kämen. Demnach können auch Menschen durch das Geschenk der Gnade Wunder wirken. 3. Das Geschenk der Gnade wird nur zu einem Zweck verliehen, den der damit Beschenkte auch verfolgen kann. Nun ist manchen die unverdiente Gnade zuteil geworden worden, Wunder zu wirken. Daher heißt es in 1 Kor. 12, 9: »Einigen ist die Gnade zuteil geworden, zu heilen in dem Einen Geist, andern wieder das Wirken von Wundern.« Demnach können die Heiligen aus Gnade Wunder wirken. 4. Man könnte nun einwenden: Von den Heiligen heißt es, sie hätten nicht durch ihr eigenes Tun Wunder gewirkt, sondern sie seien von Gott erhört worden, so daß dann diese Wunder geschahen. – Dem kann man entgegenhalten: Ein Gebet wird aufgrund der Dinge erhört, durch die das Gebet Gehör bei Gott findet, und das sind Glaube, Liebe und die übrigen Tugenden, die für die heiligende Gnade ausschlaggebend sind. Demnach braucht den Heiligen kein unverdientes Gnadengeschenk zuteil werden, damit sie Wunder wirken können. 5. Im 2. Buch seiner Dialoge bemerkt Gregor: »Wer Gott mit demütigem Herzen anhängt, der tut, wenn es die Notwendigkeit erfordert, für gewöhnlich Zeichen auf beiderlei Weise: Manchmal wirkt a. 4 ad 2. ScG III, 103. Sum. theol. I, q. 117 a. 3 ad 1; II-II, q. 178 a. 1 ad 1; III, q. 84 a. 3 ad 4. De pot. q. 6 a. 9. 68 Nach der mittelalterlicher Auffassung, die durch Dionysius Areopagita (De cael. hier. VI) wesentlich geformt wurde, ordnen sich die Engelsscharen zu neun Chören in drei Hierarchien: (I.) Seraphim, Cherubim und Throne; (II.) Herrschaften, Mächte und Gewalten; (III.) Fürstentümer, Erzengel und Engel. 69 Gregor der Große, XL Homiliae in Evangelia XXXIV, 10 (PL 76, col. 1251 C).

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er Wunder durch sein Gebet, manchmal durch seine Kraft.«70 Was man aber durch eigene Kraft tut, das vollbringt man durch eigenes Tun und nicht ausschließlich durch sein Gebet. Demnach wirken die Engel und Heiligen Wunder auch durch ihr eigenes Tun. 6. Nach Anselm nehmen die Dinge ihren Lauf durch Dreierlei: durch die Natur, den Willen und durch Wunder.71 Nun stellten die Engel beim natürlichen Ablauf der Dinge gleichsam die Mittler zwischen Gott und den natürlichen Körpern dar. So sagt auch Augustinus: »Gott lenkt alle Körper vermittels einer geistigen Lebenskraft.«72 Und Gregor sagt: »Alles in dieser sichtbaren Welt kann nur mit Hilfe der unsichtbaren Geschöpfe zustande kommen.«73 Das Gleiche gilt auch für ein willentlich veranlaßtes Geschehen, denn hier sind die Engel die Mittler zwischen Gott und uns, indem sie uns die Erleuchtungen überbringen, die sie von Gott erhalten. Demnach sind die Engel auch bei einem wunderhaften Geschehen die Mittler, so daß durch ihr Tun Wunder geschehen. 7. Nun könnte man einwenden: Als Mittler handeln die Engeln nicht aus eigener Kraft, sondern durch Gottes Kraft. – Dem kann man entgegenhalten: Jeder, der mit Hilfe der Kraft eines anderen handelt, führt in gewisser Weise das aus, was sich dieser Kraft verdankt. Wenn also die Engel mit Hilfe von Gottes Kraft Wunder wirken, dann führen sie in gewisser Weise diese Wunder aus. 8. Das alte Gesetz wurde von Gott auf wundersame Weise gegeben. So heißt es ja in Ex. 19, 16: »Es brachen Donner los, Blitze zuckten und schweres Gewölk hing über dem Berg.« Nun wurde aber das Gesetz durch die Engel überbracht, wie es in Gal. 3, 19 heißt. Demnach geschehen durch die Engel Wunder. 9. Augustinus sagt: »Wer etwas besitzt und es nicht hergibt, obwohl er dabei keine Einbuße erleiden würde, der besitzt es nicht, wie man es eigentlich besitzen sollte.«74 Nun besitzt aber Gott die Macht, 70 Gregor der Große, Libri Dialogorum II, 30, 2 (SC 260, 220–222). 71 Anselm von Canterbury, De peccato originali 11 (Opera omnia II,

ed. Schmitt, 157). 72 Augustinus, De trin. III, 4 (CCSL 50, 136). 73 Gregor der Große, Libri Dialogorum IV, 5, 8 (SC 265, 38). 74 Augustinus, De doctrina christiana I, 1 (CCSL 32, 6).

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Wunder zu wirken. Wenn er diese Macht anderen verleihen würde, dann wäre dies keine Einbuße für ihn. Wenn er also diese Macht an niemanden weitergeben würde, dann besäße er sie offenbar nicht so, wie man sie eigentlich besitzen sollte. Demnach hat Gott den Engeln und Menschen offensichtlich die Macht verliehen, Wunder zu wirken. dagegen spricht: In Ps. 72, 18 heißt es von Gott: »der allein große Wunder wirkt«. Zudem ist, wie Bernhard bemerkt,75 allein derjenige in der Lage, ein Gesetz zu ändern und von ihm zu entbinden, wer dieses Gesetz erlassen hat. Dies zeigt sich an den menschlichen Gesetzen, wo einzig der Herrscher, der ein Gesetz erlassen hat, dieses auch ändern kann. Nun hat aber Gott und nur er das Gesetz des natürlichen Geschehens erlassen. Demnach kann nur er allein Wunder wirken durch ein Tun, welches das natürliche Geschehen außer Kraft setzt. antwort: Durch das Geschenk der Gnade können die Engel etwas vollbringen, was die natürliche Kraft ihres Könnens überschreitet, insofern sie die Diener der göttlichen Macht sind. So kann man sagen, daß die Engel bei einem Wundergeschehen auf dreifache Weise ihren Beitrag leisten. Erstens tun sie dies in Form eines Bittgebetes, und auf diese Weise können sowohl die Engel als auch die Menschen ihren Beitrag leisten. Zweitens dadurch, daß die Engel mit ihrer eigenen natürlichen Kraft die Materie so weit herrichten, daß dann ein Wunder geschehen kann. Wie es heißt, sammeln die Engel z. B. bei der Auferstehung den Staub der Toten auf, die durch Gottes Kraft wieder zum Leben erweckt werden. Auf diese Weise können nur die Engel ihren Beitrag zu einem Wunder leisten. Denn der menschliche Geist ist ja an einen Körper gebunden und kann deshalb auf äußere Gegenstände nur vermittels seines Körpers einwirken, an den er von Natur aus gewissermaßen gekettet ist. Drittens tun die Engel dies dadurch, 75 Bernhard von Clairvaux, Liber de praecepto et dispensatione III, 6–8 (Opera, ed. Leclerq / Rochais, III, 257 ff.).

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daß sie an einem Wunder mitwirken. Augustinus läßt diesen Punkt allerdings offen, wenn er sagt: »Denn Gott mag selber unmittelbar und auf wundersame Weise diese Dinge tun oder aber seine Diener dazu gebrauchen, seien dies nun die Geister der Märtyrer oder noch leibhaftig lebende Menschen. Alles dies mag aber auch durch die Engel geschehen, denen er unsichtbar Befehl gibt – in diesem Fall geschähe alles, was die Märtyrer tun, nur auf ihre Fürbitte und ihr Eintreten hin und nicht durch ihr eigenes Wirken. Gott mag es aber auch auf anderlei Weise tun, die Sterbliche überhaupt nicht begreifen können. Gleichwohl legen diese Wunder Zeugnis für den Glauben ab, durch den die Auferstehung des Fleisches in der Ewigkeit verkündet wird.«76 Gregor77 hingegen scheint sich in dieser Frage festzulegen, wenn er sagt, daß die Heiligen auch in diesem Leben nicht nur durch Gebet und Fürbitte Wunder wirken, sondern auch in Vollmacht dabei mitwirken. Dies belegt er durch einen Vernunftgrund wie auch durch Beispiele. Seine Begründung ist die, daß, wenn den Menschen die Macht gegeben worden ist, Söhne Gottes zu werden, es nicht erstaunlich sei, wenn sie in Vollmacht Wunder wirken können. Als Beispiele führt er Petrus an, der nach Apg. 5, 1–11 ohne vorheriges Gebet die beiden Betrüger Hananias und Saphira durch seinen Tadel zu Tode brachte. Auch als der Hl. Benedikt auf die gefesselten Arme eines Bauern blickte, da lösten sich die Fesseln von dessen Händen mit einer derartigen Geschwindigkeit, daß kein Mensch sie so schnell hätte lösen können, selbst wenn er sich noch so beeilt hätte. So kommt Gregor zu dem Schluß, daß die Heiligen teils durch ihr Gebet, teils in Vollmacht Wunder wirken. Auf welche Weise dies geschehen kann, soll nun erörtert werden. Es steht fest, daß allein auf Gottes Geheiß hin Wunder geschehen. Nun sehen wir aber, daß Gottes Geheiß den niederen mit Vernunft begabten Geistern, d. h. den Menschen, durch die höherstehenden Geister, also durch die Engel, übermittelt wird. Dies geschah etwa bei der Verkündigung des alten Gesetzes. Auf diese Weise kann über den Geist eines Engels oder eines Menschen Gottes Geheiß 76 Augustinus, De civ. Dei XXII, 9 (CCSL 48, 827 f.). 77 Gregor der Große, Libri Dialogorum II, 30, 2–4 (SC 260, 220 ff.).

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zu den körperhaften Geschöpfen gelangen, wodurch die Natur mit Gottes Weisungen gewissermaßen vertraut wird. Somit trägt der Geist eines Menschen oder eines Engels als Übermittler der göttlichen Macht zur Vollbringung eines Wunders in gewisser Weise bei, jedoch nicht in der Weise, daß er beständig die – gnadenhaft verliehene oder natürliche – Kraft hätte, Wunder zu wirken. Denn dann könnte er Wunder wirken, wann immer er wollte. Gregor 78 erklärt jedoch dies für falsch und führt als Beispiele Paulus an, der sich erbat, daß der Stachel von ihm ablasse, und der nicht erhört wurde,79 sowie Benedikt, der gegen seinen Willen vom Regen, um den seine Schwester gebetet hatte, am Aufbruch gehindert wurde. Vielmehr muß man sich daher die Kraft der Heiligen, an Gottes Wundern mitzuwirken, wohl wie eine derjenigen unvollkommenen Formen vorstellen, welche, wie man sagt, ›ausstrahlen‹.80 Diese Formen bleiben nur so lange bestehen, wie auch ihre eigentliche Ursache gegenwärtig ist. Beispiele hierfür sind etwa das Licht in der Luft und die Bewegung, die ein Werkzeug ausführt. Als eine solche Kraft kann nun auch jenes unverdient verliehene Gnadengeschenk gelten: »die Gnade, Wunder zu wirken und zu heilen«81. Daher ähnelt dieses Gnadengeschenk, mit dem ein übernatürliches Wirken verbunden ist, der Gnade der Prophetie, mit der eine übernatürliche Erkenntnis verbunden ist. Dank dieser Gabe kann ein Prophet nicht allezeit nach Belieben weissagen, sondern nur dann, wenn der Geist der Weissagung über ihn kommt, wie Gregor erklärt.82 Und so ist es nicht erstaunlich, wenn sich Gott auf diese Weise eines geisthaften Geschöpfes bedient, um wunderhafte Wirkungen an der körperhaften Natur zu vollbringen. Denn Gott bedient sich ja auch der körperhaften Natur zur Heiligung der geistigen Geschöpfe, so z. B. bei den Sakramenten.

Gregor der Große, Libri Dialogorum II, 30, 2–4 (SC 260, 220 ff.). Vgl. 2 Kor. 12, 9. Übersetzung für »intentio«. Vgl. De pot. q. 6 a. 4 arg. 3. Gregor der Große, Homiliae in Hezechielem prophetam I (CCCM 142, 5 ff.). 78 79 80 81 82

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Das oben Ausgeführte reicht hin als Antwort auf die angeführten Argumente. Denn es ist wahr, daß ausschließlich Gott in seiner Machtfülle Wunder wirkt. Ebenso wahr ist, daß er einem Geschöpf die Fähigkeit, Wunder zu wirken, verleiht, wie es dessen Fassungsvermögen und der Ordnung der göttlichen Weisheit entspricht. Somit wirkt ein Geschöpf als Diener gnadenhaft Wunder.

5. Artik el Die fünfte Frage lautet: Sind auch die Dämonen beim Wirken von Wundern beteiligt?83 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. In Mt. 24, 24 heißt es: »Es werden falsche Messiasse aufstehen und falsche Propheten, und sie werden große Zeichen und Wunder tun.« Dies werden sie aber nur mit Hilfe der Kraft von Dämonen zustande bringen. Folglich sind die Dämonen beim Wirken von Wundern beteiligt. 2. Die schlagartige Heilung eines Kranken stellt ein Wunder dar. Solch ein Wunder geschah bekanntlich nach Luk. 4, 38–40, als Christus die Schwiegermutter des Petrus heilte. So etwas können aber auch die Dämonen zustande bringen. Denn die Heilmittel, die einem Kranken verabreicht werden, beschleunigen dessen Heilung. Nun können aber die Dämonen wirkungsvolle Heilmittel, mit denen sie gut vertraut sind, mit der Behendigkeit ihres Wesens heilend einsetzen. Somit können sie offenbar schlagartig eine Heilung vornehmen. Folglich können sie schlagartig Wunder tun. 3. Wenn Stumme zum Sprechen gebracht werden, ist dies ein Wunder. Nun ist es aber ein noch größeres Wunder, wenn ein Hund zum Sprechen oder Singen gebracht wird. So etwas hat aber Simon Magus, wie geschrieben steht, mit Hilfe der Kraft eines Dämons zustande gebracht.84 Folglich war dieser in der Lage, ein Wunder zu tun. 83 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 114 a. 4; q. 110 a. 4 ad 2; II-II, q. 178 a. 2; a. 1 ad 2. ScG III, 154. De malo q. 16 a. 9. Sent. II, d. 7 q. 3 a. 1. In Matth. 24. In II Thess. II, 2. Opusc. III, 136. 84 Vgl. Apg. 8, 9–24.

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4. Valerius Maximus berichtet, daß eine Statue der Fortuna, die in Rom an der Via Latina stand, nicht nur einmal, sondern zweimal folgende Worte sprach: »Zu Recht habt ihr zu mir aufgeblickt, Ihr Frauen, und zu Recht habt ihr mir geopfert.«85 Daß Steine sprechen, ist nun ein noch größeres Wunder, als daß Stumme zu sprechen beginnen, was ja auch schon wundersam ist. Demnach können die Dämonen offensichtlich Wunder wirken. 5. Es wird erzählt,86 daß eine vestalische Jungfrau zum Beweis ihrer unangetasteten Keuschheit Wasser aus dem Tiber in ein durchlöchertes Gefäß schöpfte und das Wasser doch nicht herausfloß. Dies war nur dadurch möglich, daß das Wasser durch irgendeine unnatürliche Kraft am Fließen gehindert wurde. Darin bestand auch das Wunder, als der Jordan sich teilte und stillstand.87 Demnach können die Dämonen Wunder wirken. 6. Es ist weit schwieriger, einen Menschen in ein wildes Tier als Wasser in Wein zu verwandeln. Nun stellt es aber ein Wunder dar, wenn Wasser in Wein verwandelt wird, wie sich an Joh. 2, 9 zeigt. Dies gilt daher erst recht, wenn ein Mensch in ein wildes Tier verwandelt wird. Es werden aber die Menschen durch die Kraft eines Dämons in Tiere verwandelt. So sind etwa, wie Varro berichtet,88 die Gefährten des Diomedes bei ihrer Rückkehr von Troja in Vögel verwandelt worden, die noch für lange Zeit um den Tempel des Diomedes flogen. Zudem berichtet Varro davon, daß die berühmte Zauberin Kirke die Gefährten des Odysseus in Tiere verwandelt hat und daß die Arkadier bei der Durchquerung eines Sumpfes in Wölfe verwandelt wurden. Demnach können die Dämonen Wunder wirken. 7. Die Prüfungen, die über Hiob kamen, verdankten sich dem Wirken eines Dämons. Das ergibt sich nämlich daraus, daß der Herr einem Dämon die Macht über alles gab, was Hiob sein eigen nannte.89 Diese Prüfungen waren jedoch von wundersamen Erscheinun85 Valerius Maximus, Factorum et dictorum memorabilia I, 8, 4 (ed. Kempf, 46). 86 Nach Augustinus, De civ. Dei X, 16 (CCSL 47, 290). 87 Vgl. Gen. 3, 15 f. 88 Nach Augustinus, De civ. Dei XVIII, 16–18 (CCSL 48, 606 ff.). 89 Vgl. Hiob 1, 12.

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gen begleitet, man denke etwa an das Feuer, das vom Himmel fiel, und an den Wind, der sein Haus zusammenstürzen ließ, wodurch Hiobs Kinder umkamen.90 Demnach können die Dämonen Wunder wirken. 8. Daß Moses seinen Stab in eine Schlange verwandelte, stellt ein Wunder dar. Doch das Gleiche vollbrachten auch die Zauberer des Pharao durch die Kraft eines Dämons, wie in Ex. 7, 8–13 geschrieben steht. Demnach können die Dämonen offensichtlich Wunder wirken. 9. Zum Wirken von Wundern ist die menschliche Kraft weniger in der Lage als die Kraft eines Engels. Gleichwohl geschehen zuweilen durch böse Menschen Wunder. So heißt es ja in Mt. 7, 22 aus dem Munde der Verdammten: »Haben wir nicht in Deinem Namen Dämonen ausgetrieben? Haben wir nicht viele Wunder gewirkt?« Demnach können auch durch Dämonen echte Wunder geschehen. dagegen spricht: Mit dem Auftreten des Antichristen wird der Teufel seine größte Wirkenskraft entfalten, denn »er muß«, wie es in Offb. 20, 3 heißt, »losgelassen werden für eine kurze Zeit«, d. h. für die Zeit des Antichristen. Doch wird er dann keine echten Wunder tun, was sich daraus erklärt, daß es in 2 Thess. 2, 9 heißt, das Auftreten des Antichristen zeige sich »in jeder Art von Macht, Zeichen und trügerischen Wundern«. Demnach können die Dämonen keine echten Wunder wirken. antwort: Wie die guten Engel aus Gnade etwas vollbringen können, was ihre natürliche Kraft übersteigt, so können die verworfenen Engel weniger vollbringen [als sie von ihrer natürlichen Kraft her vollbringen könnten], da sie Gottes Walten im Zaum hält. Denn nach Augustinus91 können die verworfenen Engel manches, was sie tun könnten, wenn es ihnen gestattet wäre, eben deswegen nicht tun, weil es ihnen nicht gestattet ist. So spricht man ja auch von ihrer 90 Hiob 1, 19. 91 Augustinus, De trin. III, 9 (CCSL 50, 143 ff.).

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Gebundenheit, insofern sie daran gehindert werden, das zu vollbringen, wozu ihre natürliche Kraft ausreicht; sowie von ihrer Loslassung, insofern sie auf Gottes Geheiß hin tun dürfen, wozu sie ihrer Natur nach imstande sind. Zu manchem aber, so Augustinus weiter, sind sie nicht imstande, selbst wenn es ihnen gestattet wäre, da ihre Wesensart, die Gott ihnen zugestanden hat, dies nicht erlaubt. Zu dem aber, was ihre natürlichen Fähigkeiten übersteigt, gibt Gott ihnen keine Kraft. Da nämlich Gott durch ein wundersames Wirken seine Kraft und Wahrheit bezeugt, so würde Gott als Zeuge für die Falschheit der Dämonen auftreten, wenn er ihnen, deren ganzer Wille sich auf das Böse richtet, die Kraft verleihen würde, Wunder zu wirken. Dies ist jedoch mit Gottes Güte unvereinbar. Dann und wann – sobald Gott den Dämonen das zu tun erlaubt, wozu ihre natürliche Kraft ausreichen mag – vollbringen daher die Dämonen Werke, die bloß den Menschen als Wunder vorkommen. Mit der ihnen natürlichen Kraft können die Dämonen, wie bereits oben ausgeführt,92 auf kunstfertige Art nur solche Wirkungen hervorbringen, zu denen auch die natürlichen Kräfte in den Körpern imstande sind. Diese Körper fügen sich in ihrer Ortsbewegung den Dämonen, und so können die Dämonen diese Körper dafür verwenden, eine bestimmte Wirkung in kurzer Zeit hervorzubringen. Bei einer solchen Einwirkung können die Körper wahrhaftigen Veränderungen unterliegen, und zwar ganz in dem Sinne, in dem wir von einem natürlichen Geschehen feststellen, daß eines aus dem andern entsteht. Bei einem solchen verändernden Eingriff in einen Körper können die Dämonen aber auch manches in unserer Vorstellung erstehen lassen, was es in der Natur nicht gibt. Diese Beeinflussung des Sitzes unserer Vorstellungen gelingt ihnen durch die Veränderung unserer Lebensgeister und Körpersäfte. So etwas können aber auch andere Körper von außen bewirken. Kommen daher diese Körper in entsprechender Weise zur Geltung, so erscheinen die Dinge in einer anderen als in ihrer tatsächlichen Gestalt, was z. B. bei Wahnsinnigen und Schwachsinnigen vorkommt. Somit können die Dämonen in zweierlei Hinsicht an uns auf wundersame Weise handeln: einerseits durch eine wahrhaftigen Verän92 Vgl. De pot. q. 6 a. 4.

5. Artikel

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derung unseres Körpers, andererseits durch die Täuschung unserer Sinne, die durch Beeinflussung unserer Vorstellungskraft zustande kommt. Doch keine dieser Handlungen stellt ein Wunder dar, sie kommen vielmehr auf künstlichem Wege zustande, wie wir vorhin ausgeführt haben. Daher gilt ohne Ausnahme, daß die Dämonen keine echten Wunder wirken können. Zu 1. Die »Zeichen und Wunder« meinen hier entweder Dinge, die durch eine natürliche Kraft zustande kommen, den Menschen aber wunderlich vorkommen; oder sie meinen Dinge, die, wie ausgerführt, sich einer Sinnestäuschung verdanken. Zu 2. Es spricht nichts dagegen, daß jemand durch dämonische Kunst schneller geheilt werden kann als durch die Natur, wenn sie sich selbst überlassen bleibt. Denn das gilt ja augenscheinlich auch für die menschliche Kunst. Gleichwohl können die Dämonen nicht eine schlagartige Heilung bewirken – obwohl sie andere Wirkungen schlagartig hervorbringen können. Denn die Heilmittel, die dem menschlichen Körper verabreicht werden, wirken als eine Art Werkzeug auf die Genesung hin. Die Natur aber stellt hierbei hauptsächlich die treibende Kraft dar. Daher muß man solche Heilmittel verabreichen, die die Natur hierzu verwenden kann. Wenn man im übrigen zu viele Heilmittel verabreicht, dann tragen sie nicht zur Genesung bei, sondern verhindern sie eher. Daher können diejenigen Krankheiten, zu deren Heilung die Kraft der Natur in keiner Weise imstande ist, auch nicht durch dämonisches Wirken geheilt werden. Anders verhält es sich bei denjenigen Wirkungen, die von einem äußerlich wirkenden Wesen als ihrer Hauptursache abhängen. Es ist jedoch zu beachten, daß es auch dann kein Wunder darstellen würde, wenn die Dämonen die Genesung schlagartig vollbrächten. Denn dies würden sie mittels ihrer natürlichen Kraft zustande bringen, wenn sie es denn zustande brächten. Zu 3. Das Sprechen des Hundes und dergleichen, was Simon Magus bewirkte, beruhte auf Täuschung und war nicht wahrhaft möglich. Angenommen aber, dies wäre wahrhaftig geschehen, dann ergäbe sich daraus keine Unstimmigkeit. Denn der Dämon verlieh dem Hund nicht in einem Wundergeschehen die Sprachfähigkeit, wie sie den Stummen zuteil wird. Vielmehr gab der Dämon selbst

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durch eine bestimmte Ortsbewegung Töne von sich, die in ihrer Art artikulierten Sprachlauten ähnelten. Auf diese Weise läßt sich auch das Sprechen von Bileams Esel93 erklären, auch wenn es in diesem Fall ein guter Engel war. Zu 4. Gleiches läßt sich auch zu dem Sprechen der Statue sagen. Denn dieses vollbrachte ein Dämon, der durch eine Bewegung der Luft Töne erzeugte, die der menschlichen Sprache ähneln. Zu 5. Es ist nicht abwegig, daß es zur Hervorhebung des Wertes der Keuschheit geschah, wenn der wahre Gott durch seine guten Engel dieses Wunder an dem innehaltenden Wasser wirkte. Denn was immer an Gutem geschah bei den Heiden, geschah durch Gott. Aber einmal angenommen, dies brachte ein Dämon zustande, dann steht dies nicht im Widerspruch zu dem eben Gesagten. Denn Ruhe und Bewegung rühren ihrer Gattung nach von ein und demselben Prinzip her, da dasjenige Wesen, das etwas zu einer Ortsbewegung veranlaßt, auch für dessen Ruhe an einem Ort verantwortlich ist. Wie daher die Dämonen die Körper örtlich bewegen können, so können sie sie auch an ihrer Bewegung hindern. Gleichwohl stellt dies kein Wunder dar, wie es von Gott vollbracht wird. Denn es gelingt ja den Dämonen mit ihrer natürlichen Kraft, diese ganz bestimmte Wirkung hervorzubringen. Zu 6. Jene Verwandlungen, die Varro anführt, geschahen nicht wahrhaftig, sondern waren Erscheinungen, bewirkt von einem Dämon, der, wie Augustinus bemerkt, der menschlichen Vorstellungskraft körperähnliche Bilder vorgaukelte. Zu 7. Mit Gottes Erlaubnis können die Dämonen durch ihre Bewegung der Luft manches Unheil anrichten, was augenscheinlich auch auf natürlichem Wege durch das Wehen des Windes zustande kommen kann. Auf diesem Wege bewirkten es also die Dämonen, daß das Unheil über Hiob hereinbrach. Zu 8. Für das, was die Zauberer des Pharao machten, gibt die Glosse zwei Erläuterungen.94 Zum einen diejenige, daß hier nicht wirklich eine Verwandlung der Stäbe in Schlangen stattfand, son93 Num. 22, 28. 94 Walafrid Strabo, Glossa ordinaria; Liber Exodus 7, 11 (PL 113,

col. 203).

5. Artikel

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dern daß dies bloße Erscheinungen waren, die durch betrügerische Täuschung zustande kamen. Zum anderen meint Augustinus, der in der Glosse angeführt wird, daß hier tatsächlich eine wahrhaftige Verwandlung der Stäbe in Schlangen stattgefunden hat. Dies erklärt er ziemlich glaubhaft dadurch, daß die Hl. Schrift dasselbe Wort gebraucht für die Stäbe der Zauberer und für den Stab des Moses, bei dem ja feststeht, daß er wirklich in eine Schlange verwandelt worden ist. Daß aber die Stäbe [der Zauberer] durch ein Wirken der Dämonen in Schlangen verwandelt worden sind, stelle kein Wunder dar. Denn dies brachten die Dämonen durch die Konzentration von Keimen zustande, welche die Kraft hatten, die Stöcke verfaulen zu lassen und in Schlangen umzuwandeln.95 Was Moses hingegen zustande brachte, war ein Wunder, denn dies geschah mit Gottes Kraft und ohne jedes Zutun einer natürlichen Kraft. Zu 9. Menschen mit einem sündigen Leben sind manchmal die Verkünder der Wahrheit. Daher wirkt Gott Wunder, um die Wahrhaftigkeit dessen zu bezeugen, was diese Menschen verkündigen. So etwas läßt sich aber nicht von den Dämonen behaupten. Zuletzt ist zu dem Gegeneinwand festzuhalten: Daß mit dem Auftreten des Antichrist die Macht des Teufels losgelassen wird, meint, daß er dann vieles tun darf, was ihm derzeit nicht gestattet ist. Daher wird er vieles tun, um diejenigen zu versuchen, die dies verdient haben, weil sie nicht die Wahrheit angenommen haben. Er wird zudem manches auf trügerische Weise tun, wodurch sich weder eine wahrhaftige noch eine wunderhafte Wirkung einstellt. Zudem wird er manches durch die tatsächliche Beeinflussung der Körper bewerkstelligen, was zwar eine tatsächliche Auswirkung hat, aber kein Wunder darstellt, da es mit Hilfe von natürlichen Ursachen zustande kommt. Man kann dies auch als Lüge bezeichnen in Anbetracht seiner Absicht, die Menschen durch seine erstaunlichen Werke so weit zu bringen, daß sie seinen Lügen Glauben schenken.

95 Diese ›naturwissenschaftliche‹ Erklärung beruht auf der Vorstellung, daß bestimmte Kriechtiere durch die Fäulnis von abgestorbenem Material entstehen.

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6. Artik el Die sechste Frage lautet: Haben die Dämonen bzw. die Engel einen Körper, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen? 96 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Bei jedem Lebewesen geht der Körper eine natürliche Einheit mit einer geistigen Kraft ein. Nun sind aber die Engel und die Dämonen Lebewesen. Denn Gregor merkt in seiner Homilie zum Fest der Erscheinung des Herrn an: »Da die Juden mit Vernunft begabt waren, so sollte auch ein vernunftbegabtes Lebewesen, d. h. ein Engel, ihnen die Botschaft überbringen.«97 Und über Dämonen sagt Augustinus: »Dämonen sind Lebewesen der Luft, denn ihre Umtriebigkeit verdankt sich der luftigen Beschaffenheit ihrer Körper.«98 Demnach haben die Engel und Dämonen einen Körper, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen. 2. Origenes sagt in Über die Prinzipien, daß keine geistige Substanz körperlos sein kann mit der einzigen Ausnahme von Gott.99 Da also die Engel und Dämonen erschaffene Substanzen sind, haben sie offensichtlich einen Körper, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen. 3. Die Vorstellungskraft, die emotionale Erregbarkeit und das sinnliche Begehren sind Kräfte, die ein körperliches Organ benötigen. Nun liegen aber derartige Kräfte in den Dämonen und gleichermaßen in den Engeln. Denn Dionysius bemerkt, daß das Böse an einem Dämon »seine Erregbarkeit zur Wut, seine Begierde nach Lust und seine zügellosen Einbildungen« sind.100 Folglich haben sie einen Körper, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen. 4. Die Engel setzten sich entweder aus Materie und Form zusammen oder sie tun dies nicht. [a.] Wenn sie sich aus Materie und Form zusammensetzen, dann 96 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 51 a. 1. ScG II, 91. Sent. II, d. 8 q. 16 a. 1. De spir. creat. a. 5. Opusc. de Angelis 18. 97 Gregor der Große, XL Homiliae X, 1 (PL 76, col. 1110 C). 98 Augustinus, De Gen. ad litt. III, 10 (CSEL 28/1, 126). 99 Origenes, De principiis I, 6, 4 (SC 252, 204 f.). 100 Dionysius Areopagita, De div nom. IV, 23 (Dion. I, 280).

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sind sie zwangsläufig körperhaft. Da nämlich die Materie für sich genommen ungeteilt ist und ihre Teilung nur mittels der Formen erfolgt, so muß man für all das, was unterschieden ist und aus Materie besteht, unterschiedliche Formen annehmen, die an verschiedenen Teilen der Materie zur Entfaltung kommen. Denn als je einzelne kann die Materie nicht verschiedene Formen annehmen. Verschiedene Teile lassen sich nun für die Materie nur denken im Falle ihrer Unterteilung, und ihre Unterteilung nur im Falle ihrer Ausdehnung, denn eine Substanz ohne Ausmaß ist unteilbar, wie im 1. Buch der Physik festgestellt wird.101 Demnach ist das, was aus Materie besteht, zwangsläufig auch ausgedehnt und mithin körperhaft. [b.] Wenn die Engel sich aber nicht aus Materie und Form zusammensetzen, dann stellen sie entweder Formen dar, die für sich bestehen, oder aber Formen, die mit einem Körper eine Einheit eingehen. Wenn sie nun Formen darstellen, die für sich bestehen, dann haben sie zwangsläufig ein Sein, das nicht von einem anderem herrührt. Denn da eine Form als solche das Prinzip für das Sein ist, hat das, was reine Form ist, keine Ursache für sein Sein, sondern ist umgekehrt die Seinsursache für anderes. [c.] Wenn die Engel aber Formen darstellen, die mit einem Körper eine Einheit eingehen, dann müssen sie einen Körper haben, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen. Denn die Verbindung von Form und Materie ist eine natürliche. Nun kann aber nur eine dieser drei Alternativen richtig sein: daß die Engel körperhaft sind, daß sie unerschaffene Substanzen sind oder daß sie einen Körper haben, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen. Nun sind die ersten beiden Alternativen unzutreffend. Folglich gilt die dritte Alternative. 5. Eine Form als solche stellt dasjenige dar, wodurch etwas anderes geformt wird. Das also, was reine Form ist, vollbringt eine Formung, ohne selbst in irgendeiner Weise einer Formung zu unterliegen. Dies trifft allein auf Gott zu, der die höchste Form ist und durch den alles wohlgeformt ist, wie Augustinus im 8. Buch seines Gottesstaates bemerkt.102 Demnach sind die Engel keine rei101 Aristoteles, Phys. I, 1; 185 b 15 ff. 102 Augustinus, De civ. Dei VIII, 6 (CCSL 47, 222 ff.).

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nen Formen und mithin Formen, die mit einem Körper eine Einheit eingehen. 6. Wie die Seele eine Wirkung an den Körpern der Außenwelt nur durch den Einsatz von körperlichen Mitteln vollbringen kann, so kann dies auch ein Engel nur mit Hilfe von körperlichen Kräften, die er als Mittel einsetzt. Nun verfügt aber die Seele für den Vollzug ihres Wirkens über körperliche Mittel, mit denen sie eine natürliche Einheit eingeht. Folglich ist dies auch bei einem Engel der Fall. 7. Die erste Bewegung unter den Körpern findet sich dort, wo ein Körper von einer unkörperlichen Substanz in Bewegung versetzt wird. Nun zeichnet sich die erste Bewegung nach dem 8. Buch der Physik103 dadurch aus, daß sie Selbstbewegung ist. Denn das, was von selbst Bestand hat, ist dem vorgeordnet, was durch etwas Anderes Bestand hat. Was also unmittelbar durch eine unkörperliche Substanz in Bewegung versetzt wird, bewegt sich in Form einer Selbstbewegung. Dies kann jedoch nur dann der Fall sein, wenn die körperlose Substanz, die für die Bewegung verantwortlich ist, mit einem Körper eine natürliche Einheit eingeht. Wenn also nach dem oben Ausgeführten104 die Engel und die Dämonen die Körper unmittelbar in Bewegung versetzen, dann haben sie offensichtlich einen Körper, mit dem sie eine Einheit eingehen. 8. Was lebt und belebt, hat einen höheren Grad von Lebendigkeit als das, was nur lebt. Genauso ist ja auch das Licht von einem höheren Vollkommenheitsgrad bei dem, was leuchtet und erleuchtet, als bei dem, was nur leuchtet. Nun lebt die menschliche Seele und belebt den Körper, mit dem sie eine natürliche Einheit eingeht. Folglich hat auch ein Engel keinen geringeren Grad von Lebendigkeit als die Seele. 9. Jede Bewegung eines Körpers, der sich auf verschiedene Arten bewegt, vollzieht sich in Form einer Selbstbewegung. Denn das, was nur eine einzige Art von Bewegung kennt, bewegt sich offensichtlich nicht von selbst, wie im 8. Buch der Physik festgestellt wird.105 103 Aristoteles, Phys. VIII, 4; 254 b 19 ff. 104 Vgl. De pot. q. 6 a. 2. 105 Aristoteles, Phys. VIII, 5; 256 a 12 ff.

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Nun kennt ein Himmelskörper verschiedene Bewegungen, denn nach der Aussage der Sternkundigen bewegen sich die Planeten zuweilen vorwärts, zuweilen rückwärts und manchmal bleiben sie an derselben Stelle. Demnach vollzieht sich die Bewegung der höheren Körper in Form einer Selbstbewegung; mithin sind diese Körper aus einer körperhaften und einer geistigen Substanz zusammengesetzt. Als diese geistige Substanz kann hier aber weder die menschliche Seele noch Gott fungieren. Folglich muß diese geistige Substanz ein Engel sein. Demnach hat ein Engel einen Körper, mit dem er eine natürliche Einheit eingeht. 10. Kein Ding bringt etwas zustande, was die Grenzen seines Wesens übersteigt. Nun sind die Himmelskörper die Ursache für das Leben hier unten, so z. B. für diejenigen Lebewesen, die dank der Einwirkung der Himmelskörper aus verfaulendem Material entstehen. Insofern nun nach Augustinus106 eine belebte Substanz einen höheren Rang einnimmt als eine unbelebte, so sind die Himmelskörper offensichtlich belebt und verfügen somit über eine geistige Substanz, mit der sie eine natürliche Einheit eingehen. Somit gilt das Gleiche wie vorhin. 11. Der erste aller beweglichen Körper ist der Himmel. Nun weist Aristoteles nach, daß sich alle Bewegungen auf den ersten beweglichen Körper zurückführen lassen, der sich von selbst bewegt.107 Demnach bewegt sich der Himmel von selbst. Mithin setzt er sich zusammen aus einem Körper, der einer Bewegung unterliegt, und einem unbewegten Beweger, d. h. einer geistigen Substanz. Somit gilt das Gleiche wie vorhin. 12. Nach Dionysius hat es die göttliche Weisheit so eingerichtet, daß die höchste Stufe der niederen Wesen stets mit der niedersten Stufe der darüberstehenden Wesen in Berührung steht.108 Nun nehmen die Himmelskörper den höchsten Rang innerhalb der körperhaften Wesen ein, da sie über den anderen Körpern stehen. Folglich stehen sie mit den geistigen Wesen in Berührung und gehen mit ihnen eine Einheit ein. Somit gilt das Gleiche wie vorhin. 106 Augustinus, De vera religione XXIX, 52, 144 (CCSL 32, 221). 107 Aristoteles, Phys. VIII, 5; 256 a 19 ff. 108 Dionysius Areopagita, De div. nom. VII, 3 (Dion. I, 407).

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13. Ein Himmelskörper steht genauso über dem menschlichen Körper wie das Immerwährende über dem Vergänglichen. Nun bildet der menschliche Körper eine natürliche Einheit mit einer geistigen Substanz. Folglich gilt dies erst recht für einen Himmelskörper, da ein höherstehender Körper eine erhabenere Form aufweist. Somit gilt das Gleiche wie vorhin. 14. Es gibt bestimmte Lebewesen, die aus der Erde geformt sind, so z. B. der Mensch und die Lebewesen [auf dem Land]. Andere sind aus Wasser geformt, so etwa, wie aus Gen. 1 hervorgeht, die Fische und Vögel. Demnach muß es auch noch Lebewesen geben, die aus Luft, aus Feuer und aus Äther geformt sind. Die Letzteren sind aber keine anderen als die Engel und Dämonen. Da sie aber die edleren Körper haben, so müssen sie auch die höher stehenden Lebewesen sein. So sind also Engel und Dämonen Lebewesen und haben folglich einen Körper, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen. 15. Derselbe Sachverhalt ergibt sich auch aus Platon, der in seinem Timaeus anmerkt,109 manche Lebewesen seien von erdiger Festigkeit, manche dem Flüssigen ähnlich, manche von luftiger Leichtheit und manche seien erfüllt von Göttlichem, womit nur die Engel gemeint sein können. Demnach sind die Engel Lebewesen. Somit gilt das Gleiche wie vorhin. 16. Ausschließlich Körper bewegen sich, wie im 6. Buch der Physik festgestellt wird.110 Nun bewegen die Engel sich. Folglich sind sie entweder körperhaft oder sie haben einen Körper, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen. 17. Das göttliche Wort111 steht über einem jeden Engel – und es ist mit einem Körper vereint. Demnach ist es nicht unter der Würde der Engel, wenn sie mit einem Körper eine natürliche Einheit eingehen. 18. Porphyrius bemerkt in seinen Kategorien,112 daß das Wort 109 Timaeus 31 C – 34 B (ed. Waszink, 24 ff.). 110 Vgl. In Phys. IV, 23 (n. 626). Aristoteles, Phys. III, 14; 223 a 17–20.

VII, 5; 249 b 30. VIII, 6; 258 b 25. VIII, 10; 267 a 22 f. Siehe auch J. Hamesse, Les auctoritates Aristotelis, n. 172 und n. 194. 111 Gemeint ist Gottsohn. 112 Phorphyrius, Isagoge, transl. Boethii, cap. De differentia (Aristoteles latinus I/6–7, ed. Minio-Palulello, 19).

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›sterblich‹ innerhalb der Definition des Menschen diesen von den Göttern unterscheidet, mit denen nur die Engel gemeint sein können. Demnach sind die Engel Lebewesen und haben somit einen Körper, mit dem sie eine Einheit eingehen. dagegen spricht: 1. Johannes von Damaskus sagt: »Ein Engel ist ein geistiges Wesen, stets beweglich, mit freiem Willen und unkörperlich.«113 2. Im Buch von den Ursachen heißt es, daß ein Geistwesen eine unteilbare Substanz ist. Und der Kommentar fügt hinzu, daß sie weder Vielheit ist noch sich über eine Vielheit erstreckt.114 Nun sind die Engel Geistwesen. Das erhellt aus Dionysius, der die Engel göttliche Gedanken und göttliche Geister nennt.115 Demnach ist ein Engel weder körperhaft noch geht er eine Einheit mit einem Körper ein. 3. Der Unterschied zwischen den Engeln und der Seele liegt darin, daß die ersteren keine Einheit mit einem Körper eingehen können, die letztere aber sehr wohl. Wenn also ein Engel mit einem Körper eine Einheit einginge, dann würde er sich in nichts von der Seele unterscheiden. Das aber kann nicht sein. 4. Es läßt sich eine geistige Substanz namhaft machen, für die das Körperliche sowohl Grundlage als auch Zweckbestimmung ist, und das ist die für den Stoffwechsel und für die Wahrnehmung zuständige Seele [einer Pflanze bzw. eines Tieres]. Daneben gibt es eine geistige Substanz, für die das Körperliche zwar Grundlage, nicht aber ihre Zweckbestimmung ist, und das ist menschliche Seele. Demnach wird es auch eine geistige Substanz geben, die das Körperliche weder als ihre Grundlage noch als ihre Zweckbestimmung benötigt, und das kann nichts anderes sein als ein Engel bzw. ein Dämon. Daß es aber eine geistige Substanz geben könnte, für die das Körperliche zwar die Zweckbestimmung, nicht aber ihre Grundlage wäre, ist unmöglich. 5. Es gibt Formen, die weder beseelt noch geisthaft sind, z. B. die Form eines Steines. Daneben gibt es Formen, die beseelt, doch nicht 113 Johannes Damascenus, De fide orthodoxa 17, 2 (ed. Buytaert, 69). 114 Liber de Causis, prop. 6 [7]; n. 64–66 (ed. Schönfeld, 16 f.). 115 Dionysius Areopagita, De div. nom. VII, 2 (Dion. I, 388 f.).

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geisthaft sind, so etwa die Form eines Tieres. Dann gibt es welche, die beseelt und geisthaft sind, z. B. die Form des Menschen. Folglich wird es auch Formen geben, die geisthaft, doch nicht beseelt sind, und dies sind die Engel. Somit gehen die Engel, anders als die Seele, keine natürliche Einheit mit einem Körper ein. antwort: Es ist festzuhalten, daß die Alten geteilter Meinung darüber waren, ob es unkörperliche Substanzen gibt. (A) Einige Philosophen des Altertums behaupteten nämlich, es gebe keine körperlosen Substanzen, vielmehr seien alle Substanzen körperhaft. Daß er sich einst in diesem Irrtum befunden habe, bekennt auch Augustinus.116 Diese Ansicht ist aber philosophisch widerlegt worden. Aristoteles117 widerlegte sie mit der Überlegung, daß es eine unendliche Kraft zur Bewegung geben muß, denn sonst könnte es keine immerwährende Bewegung geben. Zudem zeigte er auf, daß jede Kraft, die im Ausgedehnten vorkommt, endlich ist. Somit blieb nur der Schluß übrig, daß es eine vollkommen körperlose Kraft sein muß, die eine ununterbrochene Bewegung verursachen kann. Dies bewies er noch auf eine andere Weise:118 So geht, an sich betrachtet, die Wirklichkeit der Möglichkeit dem Wesen wie der Zeit nach voran. Zwar geht für etwas Bestimmtes, das aus seinem Möglichsein in die Wirklichkeit gelangt, die Möglichkeit der Zeit nach voran. Da jedoch etwas nur Wirklichkeit werden kann durch etwas, was seinerseits bereits wirklich ist, so muß die Wirklichkeit auch zeitlich der Möglichkeit schlichtweg vorangehen. Da nun jeder Körper ein Möglichsein in sich birgt – was sich an seiner Möglichkeit zur Bewegung zeigt –, so muß allen Körpern eine unbewegliche ewige Substanz vorangehen. Eine dritte Begründung für das Obige kann aus den Lehrmeinungen der Platoniker gewonnen werden. So muß einem bestimmten und vereinzelten Sein etwas Nicht-Vereinzeltes vorangehen. Wenn 116 Augustinus, Conf. IV, 15, 24 (CCSL 27, 52). 117 Aristoteles, Phys. VIII, 10; 266 a 25 ff. 118 Aristoteles, Met. XII, 6; 1072 a 1ff.

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sich z. B. die Natur des Feuers in einem Stück Eisen vereinzelt und gleichsam stückhaft findet, so muß sich die Natur des Feuers zuvor an dem entdecken lassen, was wesenhaft Feuer ist. Da nun das Sein und die übrigen Vollkommenheiten und Formen an den Körpern sozusagen stückweise auftreten – und zwar deswegen, weil sie an der Materie zur Entfaltung kommen –, so muß ihnen eine unkörperliche Substanz vorangehen, die nicht stückhaft, sondern in ganzer Fülle die Vollkommenheit des Seins an sich hat. Zu der irrtümlichen Ansicht, daß es nur körperhafte Substanzen gebe, gelangten jene Philosophen aber deswegen, weil sie nicht in der Lage waren, die sinnlichen Vorstellungen, die ans Körperhafte gebunden sind, im Denken hinter sich zu lassen und zur Erkenntnis von unkörperlichen Substanzen, welche allein im Denken erfaßt werden, zu gelangen. (B) Andere ließen zwar die Existenz von unkörperlichen Substanzen zu. Sie meinten aber, diese Substanzen seien mit einem Körper verbunden, und es lasse sich auch keine unkörperliche Substanz ausfindig machen, die nicht die Form eines Körpers sei. Daher setzten sie Gott selbst mit der Weltseele gleich. So berichtet Augustinus im 7. Buch seines Gottesstaates von Varro, daß dieser Gott für eine Seele gehalten habe, die die Welt durch Bewegung und Denken regiere.119 Daher habe Varro behauptet, das Weltganze sei mit Gott zwar nicht körperlich identisch, doch aber von der Seele her, so wie auch ein Mensch als verständig gelte angesichts seiner Seele und nicht vom Körperlichen her. Aus diesem Grund brachten auch die Heiden dem Weltganzen und allen seinen Teilen religiöse Verehrung entgegen. Doch auch diese Ansicht ist philosophisch mehrfach widerlegt worden. Denn erstens beschränkt sich eine Kraft, die als Form eines Körpers mit diesem eine Einheit eingeht, auf eine ganz bestimmte Wirkung, und zwar deswegen, weil sie eben mit einem Körper eine Einheit eingeht. Soll es nun etwas geben, das eine allumfassende Wirkung entfaltet und auf alle Körper seinen Einfluß ausübt, so kann man – da nach dem oben Ausgeführten der erste Beweger nicht 119 Augustinus, De civ. Dei VII, 6 (CCSL 47, 191); IV, 31 (CCSL 47,

125).

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körperhaft sein kann – nur zu dem Schluß kommen, daß der erste Beweger unkörperlich sein muß und mit keinem Körper eine Einheit eingehen kann. Daher mußte für Anaxagoras nach dem Bericht im 8. Buch der Physik120 der Geist ganz für sich bestehen, um überhaupt Herrscher sein zu können. Denn Herrschergewalt hat derjenige, der über dem steht, worüber er herrscht, und daran weder gebunden noch ihm verpflichtet ist. Zweitens: Wenn jede unkörperliche Substanz die Form eines Körpers wäre und so mit diesem eine Einheit eingehen würde, dann müßte das erste Bewegte sich selbst, ganz wie ein Lebewesen, bewegen, da es sich aus einer körperhaften und einer geistigen Substanz zusammensetzen würde. Was sich aber selbst bewegt, bewegt sich willentlich, insofern es etwas anstrebt. Denn ein Streben ist ein Bewegungsauslöser, der seinerseits bewegt wird; das dabei Angestrebte ist hingegen ein Bewegungsauslöser, der seinerseits nicht mehr bewegt wird. Damit müßte aber über einer Substanz, welche mit einem Körper eine Einheit bildet,121 noch etwas stehen, das diese Substanz so in Bewegung versetzt, wie das Angestrebte ein entsprechendes Streben veranlaßt. Dieses Etwas müßte ein geistig erfaßbares Gut sein, welches ja als etwas schlechthin Gutes angestrebt werden kann, wohingegen ein den Sinnen erreichbarer Gegenstand angestrebt wird als ein Gut innerhalb von Zeit und Raum. Nun ist ein geistig erfaßbares Gut zwangsläufig unkörperlich. Denn wenn es nicht frei von Materie wäre, dann könnte es auch nicht geistig erfaßt werden. Somit muß dieses Gut ein geisthaftes sein, da ja jede Substanz sich dadurch als eine geisthafte auszeichnet, daß sie frei von Materie ist. Es muß also über einer Substanz, die mit einem Körper verbunden ist, noch eine ihr übergeordnete Substanz geben, die als unkörperliche bzw. geisthafte nicht mit einem Körper verbunden ist. So verläuft Aristoteles’ Beweisgang im 12. Buch seiner Metaphysik.122 Denn es läßt sich nicht behaupten, daß das, was sich selbst bewegt, nichts außerhalb seiner selbst benötigt; denn 120 Aristoteles, Phys. VIII, 5; 256 b 25– 28. 121 supra substantiam corpoream coniunctam corpori M : supra sub-

stantiam coniunctam corpori L. 122 Vgl. Aristoteles, Met. XII, 11; 1069 a 19 ff.

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dann würde es sich niemals bewegen. Eine Bewegung erfolgt ja zu dem Zweck, sich etwas außerhalb seiner selbst in bestimmter Weise anzueignen. Drittens: Da nach dem 7. Buch der Physik123 das, was sich von selbst bewegt, sich bewegen kann oder auch nicht, so muß es, wenn es andauernd in Bewegung sein will, durch etwas von außen in Bewegung gehalten werden, welches seinerseits völlig unbeweglich ist. Nun ist der Himmel, dessen Seele jene Autoren mit Gott gleichsetzten, augenscheinlich andauernd in Bewegung. Daher muß es über dieser Substanz oder dieser Weltseele – gesetzt, es gibt eine solche Weltseele – noch eine übergeordnete Substanz geben, die an keinen Körper gebunden ist und für sich selbst besteht. Jene Autoren aber, nach deren Ansicht jede Substanz mit einem Körper verbunden sein muß, saßen diesem Irrtum deswegen auf, weil sie die Materie für das Seins- und Individuationsprinzip für alles Seiende hielten, wie dies ja bei den körperhaften Dingen tatsächlich der Fall ist. Daher glaubten sie, daß unkörperliche Substanzen nur an Körpern Bestand haben könnten. Diese Ansicht findet sich auch in einem kommentierenden Abschnitt des Buches von den Ursachen in Form eines Einwandes formuliert.124 (C) Platon und Aristoteles lehnten diese Ansichten ab und waren der Auffassung, daß es unkörperliche Substanzen gebe und daß einige davon mit einem Körper verbunden seien, einige aber nicht. Platon setzte, wie Macrobius berichtet,125 zwei materielose Substanzen an, und zwar an höchster Stelle Gott, den Vater des gesamten Weltganzen, und darunter Gottes Geist, den er als die väterliche Vernunft bezeichnete und worin die Urbilder oder Ideen für alle Dinge liegen. Daneben nahm er vielerlei unkörperliche Substanzen an, welche mit einem Körper verbunden sind. So seien einige mit den Himmelskörpern verbunden, die die Platoniker dann als Götter bezeichneten, einige aber mit Luftkörpern verbunden, die sie Dämonen nannten. Daher führt auch Augustinus im 8. Buch seines Gottesstaates Apuleius’ Definition der Dämonen an: »Dämonen sind 123 Aristoteles, Phys. VII, 4; 255 a 7–9. 124 Liber de Causis, prop. 26 [27]; n. 191–193 (ed. Schönfeld, 52 f.). 125 Macrobius, In somnium Scipionis I, 14, 6 (ed. Willis, 56).

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mit Vernunft begabte Lebewesen, fähig, Affektionen zu unterliegen, mit einem Luftkörper ausgestattet und von immerwährender Dauer.«126 Aufgrund ihres immerwährenden Daseins sollte all diesen unkörperlichen Substanzen nach Auffassung der nichtchristlichen Platoniker religiöse Verehrung entgegengebracht werden. Daneben nahmen sie auch unkörperliche Substanzen an, welche mit eher erdenschweren Körpern eine Verbindung eingehen, nämlich mit Körpern aus Erde und aus Wasser, und das seien die Seelen der Menschen und der übrigen Lebewesen. Mit Platon stimmt nun Aristoteles in zwei Punkten überein, in zwei Punkten weicht er aber von ihm ab. Übereinstimmung herrscht bei ihrer Annahme einer höchsten Substanz, die weder körperhaft noch mit einem Körper verbunden ist, sowie bei ihrer Annahme, daß die Himmelskörper beseelt sind. Die Abweichung liegt darin, daß Aristoteles mehrere unkörperliche Substanzen annahm, die nicht mit einem Körper verbunden sind und der Zahl der Himmelsbewegungen entsprechen, sowie darin, daß er die Existenz von Körpern aus Luft ablehnte. Letzteres ist vernünftiger, und zwar aus drei Gründen. Erstens steht ein Körper, der aus einer Verbindung [von mehreren Elementen] besteht, über einem Körper, der aus einem Element besteht, und dies insbesondere in Anbetracht seiner Form. Denn die Elemente bilden ja die Materie für diejenigen Körper, welche aus einer Verbindung bestehen. Daher gehen die körperlosen Substanzen, welche die höchsten Formen darstellen, zwangsläufig mit einem Körper, der aus einer Verbindung besteht, eine Einheit ein und nicht mit einem einfachen Element. Nun kann es aber keinen aus mehreren Elementen bestehenden Körper geben, bei dem nicht die Erde und das Wasser in materialer Hinsicht das mengenmäßige Übergewicht haben, da ja die höheren Elemente im höheren Maße die Kraft zum Tätigsein haben, insofern sie ein Mehr an Formung aufweisen. Wenn nun diese letzteren das mengenmäßige Übergewicht hätten, dann würde nicht das erforderliche Mischungsverhältnis gewahrt bleiben, denn die höheren Elemente würden die niederen völlig un126 Augustinus, De civ. Dei VIII, 16 (CCSL 47, 233). Vgl. Apuleius, De deo Socratis XIII (ed. Beaujeu, 33).

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terdrücken. Aus diesem Grund können die unkörperlichen Substanzen unmöglich als Formen für Luftkörper fungieren, sehr wohl aber können sie dies für zusammengesetzte Körper, bei denen die Erde und das Wasser in materialer Hinsicht das Übergewicht haben. Zweitens muß ein gleichmäßig und einheitlich geformter Körper ein und dieselbe Form im Ganzen wie in seinen Teilen aufweisen. Nun ist es augenscheinlich so, daß die Luft als Körper in ihrer Gesamtheit eine homogene Natur aufweist. Wenn daher bestimmte körperlose Substanzen mit einigen Teilen der Luft eine Einheit eingehen, so müßten sie mit der Luft auch als ganzer eine Einheit eingehen. Dann aber wäre die gesamte Luft belebt, was offensichtlich ein unsinnige Aussage ist. Gleichwohl nahmen eben dies manche der Alten an, wie im 1. Buch von Über die Seele berichtet wird,127 da sie behaupteten, die gesamte Luft sei voll von Göttern. Drittens: Angenommen, eine körperlose Substanz besitzt keine anderen Vermögen als Denken und Wollen, dann hätte es keinen Sinn, wenn sie mit einem Körper eine Verbindung eingehen würde. Denn der Vollzug dieser Vermögen gelingt unabhängig von einem Körper, während die Form eines Körpers stets auf körperlichem Wege eine Tätigkeit ausführt. Angenommen aber, eine körperlose Substanz hat noch andere Vermögen – dieser Meinung waren offenbar die Platoniker im Falle der Dämonen, wenn sie behaupteten, deren Seele könnte Affektionen unterliegen, und eine Affektion kann ja nur bei der für die Wahrnehmung zuständigen Seele auftreten, wie im 7. Buch der Physik nachgewiesen wird128 –, dann müßte diese Substanz eine Einheit mit einem organischen Körper eingehen, um jene Vermögen mit Hilfe bestimmter Organe auch in die Tat umsetzen zu können. Ein Luftkörper kann jedoch diese Bedingung nicht erfüllen, da er gestaltlos ist. Somit ist klar, daß die körperlosen Substanzen keine natürliche Einheit mit Luftkörpern eingehen können. (D) Ob aber bestimmte körperlose Substanzen auch eine Einheit mit Himmelskörpern eingehen, darüber ist Augustinus im Zweifel,129 127 Aristoteles, De an. I, 2; 404 a 16 ff. 128 Aristoteles, Phys. VII, 3; 248 a 6 ff. 129 Augustinus, De Gen. ad litt. II, 18 (CSEL 28/1, 62).

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während Hieronymus130 wie auch Origenes131 davon überzeugt zu sein scheinen. Diese Ansicht teilen mehrere Autoren der neueren Zeit jedoch offensichtlich nicht, und zwar deswegen, weil nach der Hl. Schrift die Schar der Seligen sich ausschließlich aus Menschen und Engeln zusammensetzt und daher jene geistigen Substanzen weder zu den menschlichen Seelen noch zu den Engeln, die körperlos sind, gezählt werden können. Doch auch bei dieser Ansicht ist Augustinus im Zweifel, wenn er sagt: »Es kann freilich nicht als sicher gelten, ob zu dieser Gemeinschaft« – d. h. hier: der Gemeinschaft der Engel – »auch Sonne, Mond und die anderen Sterne gehören, auch wenn es manchen so scheinen will, daß sie lichtvolle Körper ohne Wahrnehmung und Geist sind. Doch ganz sicher unterscheidet sich sowohl Platons als auch Aristoteles’ Lehre von der derjenigen des Glaubens dadurch, daß wir [Christen] viele Substanzen kennen, welche überhaupt nicht mit einem Körper verbunden sind, und zwar viel mehr, als einer von den beiden annimmt.«132 Diese Ansicht scheint uns vernünftiger zu sein, und zwar aus drei Gründen. Erstens: Wie die Körper dort oben einen höheren Rang einnehmen als die Körper hier unten, so nehmen auch die körperlosen Substanzen einen höheren Rang ein als die Körper. Nun bestimmt sich der Rangunterschied zwischen den oberen Körpern und den Körpern hier unten danach, daß sich nach Ausweis der Sternkundigen die Erde zum Himmel verhält wie ein Punkt zu einer Kugelschale. Daher übersteigt auch, wie Dionysius bemerkt, die Anzahl der unkörperlichen Substanzen die gesamte Anzahl der materialen Gestalten.133 Das ist auch in Dan. 7, 10 gemeint, wenn es heißt: »Tausendmal Tausende dienten ihm, zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm.« Es paßt zudem zur Fülle der göttlichen Güte, wenn sie in größerer Menge dasjenige ins Sein bringt, was einen höheren Rang einnimmt. Im übrigen hängt kein höheres Wesen von einem niedrigeren Wesen ab, und auch seine Kraft hält sich nicht in den 130 131 132 133

Hieronymus, Super Ecclesiastici I, 6 (CCSL 72, 254 f.). Origenes, De principiis I, 1 (SC 252, 208). Augustinus, Ench. XV, 58 (CCSL 46, 81). Dionysius Areopagita, De cael. hierarch. XIV (Dion. II, 981).

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Grenzen, die der Kraft eines niedrigeren Wesens gesteckt sind. Daher kann man für ein höherstehendes Wesen nicht bloß diejenigen Merkmale geltend machen, wie sie sich am Wirken eines niedrigeren Wesens zeigen. Zweitens: Innerhalb der Rangordnung der natürlichen Dinge finden sich viele Abstufungen zwischen Wesen, die weit auseinander liegen. So stehen etwa zwischen den Tieren und den Pflanzen mancherlei unvollkommene Tiere, die mit den Pflanzen ihre Ortsgebundenheit gemeinsam haben und mit den Tieren ihre Wahrnehmung. Wenn also der Abstand zwischen der höchsten Substanz, d. h. Gott, und der körperhaften Natur unüberbietbar groß ist, dann werden sich dazwischen aus gutem Grund viele Abstufungen von Wesen finden und nicht bloß diejenigen Substanzen, von denen eine Bewegung ihren Ausgang nimmt. Drittens: Gott übt nicht bloß eine allgemeine Vorsehung für die körperhaften Dinge aus, sondern seine Vorsehung gilt auch den einzelnen Dingen, an denen er zuweilen, wie ausgeführt,134 unabhängig von der Abfolge der allumfassenden Ursachen wirkt. Daher ist es keine zwangsläufige Annahme, daß es nur körperlose Substanzen gibt, die Gott bei den allumfassenden Ursachen, d. h. bei der Bewegung der Himmelskörper, dienlich sind. Vielmehr ist die Annahme berechtigt, daß es auch körperlose Substanzen gibt, die Gott bei anderen Ursachen dienlich sind, welche Gott jeweils bei den einzelnen Dingen zur Geltung bringt. Dies gilt insbesondere für die Menschen, deren Geist nicht den Himmelsbewegungen untertan ist. So stellen wir also unter Einhaltung der Glaubenswahrheit fest, daß die Engel und Dämonen keinen Körper haben, mit dem sie eine natürliche Einheit eingehen, sondern daß sie, wie Dionysius sagt,135 völlig körperlos sind. Zu 1. An mehreren Stellen seines Werkes zieht Augustinus die Lehre der Platoniker über die Engels- und Dämonenkörper heran, ohne sich ihr anzuschließen. Daher erwähnt er im 21. Buch seines Gottesstaates, wo er die Bestrafung der Dämonen behandelt, so134 Vgl. De pot. q. 6 a. 1. 135 Dionysius Areopagita, De div. nom. II, 8 (Dion. I, 98).

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wohl die Meinung derer, für die die Dämonen Körper aus Luft haben, als auch die Meinung derer, für die die Dämonen völlig körperlos sind.136 Gregor aber bezeichnet einen Engel als Lebewesen und gebraucht dabei diese Bezeichnung in ihrem weiten Sinn für alles Belebte. Zu 2. Origenes folgt in mehreren Punkten der Auffassung der Platoniker. Daher scheint er der Meinung gewesen zu sein, daß alle unkörperlichen Substanzen mit einem Körper verbunden sind, auch wenn er dies nicht ausdrücklich sagt. Es läßt dies vielmehr unentschieden, indem er zugleich eine gegenteilige Ansicht anführt. Zu 3. Ohne jeden Zweifel hält Dionysius die Engel und die Dämonen für körperlos. Die Wörter ›Wut‹ und ›Begierde‹ gebraucht er hier in einem übertragenen Sinn für einen zügellosen Willen, sowie das Wort ›Einbildung‹ für einen Verstand, der in seiner Wahl irre geht, insofern ja jeder Übeltäter unwissend ist, wie Aristoteles im 3. Buch seiner Ethik bemerkt.137 Im übrigen heißt es auch in Spr. 14, 22: »Es geht in die Irre, wer Böses plant.« Zu 4. Wenn man behauptet, die Engel setzten sich aus Materie und Form zusammen, so muß das nicht heißen, daß sie deswegen körperhaft sind – es sei denn, man unterstellt, daß die Engel und die Körper dieselbe Materie kennen. Es ließe sich aber durchaus sagen, daß die Materie bei den Körpern anders, da teilbar ist, freilich nicht im Sinne ihrer räumlichen Unterteilbarkeit, sondern aufgrund ihrer Ausrichtung auf verschiedenartige Formen, je nachdem, welche ihrer Möglichkeiten Wirklichkeit wird. Wir glauben aber eher, daß sich die Engel nicht aus Materie und Form zusammensetzen, sondern reine, für sich selbst bestehende Formen sind. Doch dies heißt nicht, daß sie deswegen ungeschaffen sein müßten. Denn eine Form ist das Seinsprinzip, wodurch etwas ist, obwohl beim Zusammengesetzten das Sein seiner Form und das Sein seiner Materie von einem einzigen Verursacher herrühren. Wenn es also eine erschaffene Substanz gibt, die reine Form ist, dann gibt es für ihr Sein sehr wohl ein wirkursächliches Prinzip, aber kein formales Prinzip. 136 Augustinus, De civ. Dei XXI, 10 (CCSL 48, 775 f.). 137 Aristoteles, Eth. Nic. III, 2; 1110 b 25 ff.

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Zu 5. Nach Aristoteles gibt es auch bei den formalen Ursachen ein Früher und Später.138 So spricht nichts dagegen, daß sich eine Form ausbildet, weil sie an einer anderen Form teilhat. Somit ist Gott selbst, der das reine Sein ist, in gewisser Weise das Urbild für alle bestehenden Formen, die am Sein teilhaben und nicht ihr Sein sind. Zu 6. Von der natürlichen Ordnung her ist die Kraft eines Engels der Kraft der menschlichen Seele überlegen und hat mithin eine größere Reichweite. Daher kann es für einen Engel auch kein körperliches Organ geben, womit er dasjenige Wirken entsprechend umsetzen könnte, das er den Körpern der Außenwelt angedeihen lassen. Aus diesem Grund brauchen die Engel an keine körperlichen Organe gebunden zu sein, so wie dies die Seele aufgrund ihrer Verbundenheit [mit dem Körper] ist. Zu 7. Im Reich des Bewegten nimmt das, was sich selbst in Bewegung versetzt, die erste Stelle ein, und dies, weil es sich bewegt, ohne [durch Anderes] in Bewegung versetzt zu werden. Ob also ein unbewegter Beweger einen Körper in Bewegung versetzt, mit dem er eine natürliche Einheit bildet, oder einen Körper, mit dem er keine natürliche Einheit bildet, tut dem Charakter seiner Erstrangigkeit keinen Abbruch. Zu 8. Die Seele, die mit einem Körper verbunden ist, belebt diesen nicht bloß im Sinne einer Wirkursache, sondern auch im Sinne einer Formalursache. Für sich genommen ist es also ein Geringeres, einen Körper zu beleben, als allein durch sich selbst lebendig zu sein. Denn die Seele vermag ja den Körper nur dadurch zu beleben, daß sie den kleinsten Seinsgrad aufweist, den sie und der Körper bei ihrer Zusammensetzung gemeinsam haben können. Da aber ein Engel ein höheres Sein hat, so kann er sein Sein nicht auf diesem Wege einem Körper zuteil werden lassen. Daher ist er ausschließlich lebendig und belebt nicht im Sinne einer Formalursache. Zu 9. Daß sich die Planeten scheinbar rückwärts oder vorwärts bewegen und auf derselben Stelle stehen bleiben, liegt nicht an der verschiedenartigen Bewegung ein und desselben Planeten, sondern an den Bewegungen verschiedener Planeten. Dafür mag man, wie Ptolemäus, ekzentrische und epizyklische Kreisbahnen verantwort138 Aristoteles, Met. II, 2; 994 b 17 ff.

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lich machen oder man mag, wie dies andere taten, für die verschiedenartige Bewegung verschiedene Himmelsachsen verantwortlich machen. Aber selbst wenn die Himmelskörper verschiedenartige Bewegungen vollzögen, dann ist damit nicht erwiesen, daß ihre Bewegungen eher durch einen willentlichen Beweger verursacht sind, der mit ihnen verbunden ist, als durch einen Beweger, der von den Himmelskörpern geschieden ist. Zu 10. Auch wenn die Himmelskörper nicht belebt sind, so werden sie doch durch eine lebendige materielose Substanz in Bewegung versetzt. Durch deren Kraft werden sie genau in der Weise tätig wie ein Werkzeug durch die Kraft seines eigentlichen Bewegers, und auf diesem Wege verursachen sie das Leben hier unten. Zu 11. Aristoteles zieht aus seinem Gedankengang zwei alternative Schlußfolgerungen: Alles, was bewegt wird, läßt sich entweder unmittelbar auf einen unbewegten Beweger zurückführen oder aber auf etwas, das sich selbst bewegt, wobei ein Teil von ihm eine Bewegung verursacht, ohne selbst bewegt zu sein. Er selbst scheint der zweiten Möglichkeit zuzuneigen. Sollte man aber der ersten Möglichkeit zuneigen, dann ergibt sich nichts Ungereimtes aus seinen Gedanken. Zu 12. Das, was die oberste Stelle unter den Körpern einnimmt, steht mit der untersten Stufe der geistigen Wesen in Berührung, indem es an deren Eigenschaften teilhat; z. B. hat es Teil an der Unvergänglichkeit der geistigen Wesen. Dank dieser Berührung bildet es aber keine Einheit mit einem geistigen Wesen. Zu 13. In materialer Hinsicht ist der menschliche Körper einem Himmelskörper unterlegen. Doch hat er eine Form von höherem Wert, vorausgesetzt, die Himmelskörper sind nicht beseelt. Einen höheren Wert hat diese Form als eine solche, und nicht dadurch, daß sie einem Körper Form verleiht. Denn die Form des Himmels durchdringt die Materie, die dadurch ein unvergängliches Sein erhält, in einer vollkommeneren Weise als die vernunftbegabte Seele den Körper. Dies hat aber seinen Grund darin, daß die geistige Substanz, die den Himmel bewegt, einen zu hohen Rang einnimmt, als daß sie mit einem Körper eine Verbindung eingehen könnte. Zu 14. Aus den angegebenen Gründen kann es keine Körper aus Luft geben.

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Zu 15. Damit ist auch die Antwort zu diesem Argument klar, das Platons Lehre in Anspruch nimmt. Zu 16. Anders als die Körper bewegt sich ein Engel nicht, indem er einen Raum durchmißt. Vielmehr spricht man in einem äquivoken Sinn von einer Bewegung der Engel und einer Bewegung der Körper. Zu 17. Das göttliche Wort bildet nicht als die Form eines Körpers mit diesem eine Einheit. Denn dann wären das Wort und das Fleisch eines Wesens – und das ist eine häretische Ansicht. Zu 18. Porphyrius folgt hier der Lehre Platons, wenn er die Dämonen, die er wie die Himmelskörper für Lebewesen hält, als Götter bezeichnet.

7. Artik el Die siebte Frage lautet: Können die Engel bzw. die Dämonen körperhafte Gestalt annehmen?139 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Mit einer körperlosen Substanz kann ein Körper entweder dem Sein nach oder unter dem Aspekt der Bewegung eine Einheit bilden. Nun können die Engel keinen Körper haben, mit dem sie dem Sein nach verbunden wären, denn dann wären sie ja ihrem Wesen nach mit diesem Körper verbunden. Dies steht aber im Widerspruch zum gerade Ausgeführten.140 Somit bleibt nur noch die Möglichkeit übrig, daß die Engel insofern eine Einheit mit einem Körper eingehen, als sie diesen in Bewegung versetzen. Daraus kann aber nicht stichhaltig gefolgert werden, daß sie körperhafte Gestalt annehmen. Denn sonst würde ja ein Engel bzw. ein Dämon jede körperhafte Gestalt annehmen, die er gerade in Bewegung versetzt, und dies ist offensichtlich unsinnig. So hat ja ein Engel auch die Zunge von Bileams Esel in Bewegung versetzt,141 und doch kann man nicht sagen, er hätte dabei Eselsgestalt angenommen. Demnach läßt sich nicht be139 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 51 a. 2. Sent. II, d. 8 a. 2. 140 Vgl. De pot. q. 6 a. 6. 141 Vgl. Num. 22, 22–35.

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haupten, daß ein Engel bzw. ein Dämon körperhafte Gestalt annehmen kann. 2. Wenn die Engel bzw. die Dämonen körperhafte Gestalt annehmen, dann geschieht dies nicht, weil dies für sie nötig wäre, sondern es geschieht wegen uns, die wir zum Guten geführt bzw. zum Bösen verführt werden sollen. Doch zu beiden Zwecken genügt schon ihre imaginäre Erscheinung. Demnach nehmen sie offensichtlich keine körperhafte Gestalt an. 3. Gott erschien den Patriarchen im Alten Testament; und von den Engeln steht geschrieben, daß sie dies genauso taten, wie Augustinus nachweist.142 Nun kann man aber nicht sagen, daß Gott körperhafte Gestalt angenommen hätte außer im Geheimnis seiner Fleischwerdung. Demnach nehmen auch die Engel bei ihrem Erscheinen keine körperhafte Gestalt an. 4. Wie die Seele von Natur aus mit einem Körper verbunden ist, so sind dies die Engel von Natur aus nicht. Nun kann sich die Seele nicht nach ihrem Gutdünken vom Körper lösen. Demnach kann auch kein Engel [nach seinem Gutdünken] körperhafte Gestalt annehmen. 5. Keine endliche Substanz kann gleichzeitig mehrere Tätigkeiten ausführen. Nun stellt ein Engel eine endliche Substanz dar. Demnach kann er nicht gleichzeitig uns beistehen und körperhafte Gestalt annehmen.143 6. Zwischen dem Annehmenden und dem Angenommenen muß eine Art von Verhältnismäßigkeit bestehen. Nun besteht aber zwischen einem Engel und einem Körper keine Verhältnismäßigkeit, denn sie gehören gänzlich verschiedenen Bereichen an und sind deshalb miteinander unvereinbar. Demnach kann ein Engel keine körperhafte Gestalt annehmen. 7. Wenn ein Engel körperhafte Gestalt annimmt, so kann es sich hierbei nur um einen Himmelskörper handeln oder aber um einen Körper, der aus den vier Elementen besteht. Nun scheidet allerdings ein Himmelskörper aus, weil er sich weder teilen, noch gewaltsam 142 Augustinus, De trin. III, 10 (CCSL 50, 150 ff.). 143 Vgl. dazu Mose ben Maimon, Führer der Unschlüssigen II, 6 (ed.

Weiß II, 59).

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von seinem Platz entfernt werden kann. Genauso scheidet ein Körper aus Feuer aus, da dieser die anderen Körper in Brand setzen würde, mit denen er in Berührung käme; ebenso ein Körper aus Luft, da Luft sich nicht formen läßt; desgleichen ein Körper aus Wasser, da Wasser seine Form nicht behält; ebenso scheidet aber auch ein Körper aus Erde aus, da er sofort wieder verschwinden würde, wie sich an dem Engel zeigt, der Tobias erschien.144 Also kann ein Engel in keiner Weise körperhafte Gestalt annehmen. 8. Jede Annahme von etwas bezweckt eine Art von Vereinigung mit dem Angenommenen. Nun können aber ein Engel und ein Körper keine Einheit bilden, und zwar in keiner der drei Spielarten von Einheit, welche Aristoteles im 1. Buch seiner Physik anführt:145 Weder werden sie eins im Sinne eines Kontinuums noch im Sinne ihrer Unteilbarkeit noch auch im logischen Sinne. Demnach kann ein Engel keine körperhafte Gestalt annehmen. 9. Wenn die Engel körperhafte Gestalt annehmen, dann hat der von ihnen angenommene Körper entweder wirklich die Gestalt, in der dieser Körper sichtbar wird, oder er hat sie nicht wirklich. Wenn nun die Engel wirkliche Gestalt annehmen, dann muß – zumal sie manchmal in der Gestalt eines Menschen erscheinen – der von ihnen angenommene Körper wirklich ein menschlicher Körper sein. Dies ist aber unmöglich, es sei denn, man behauptet, ein Engel sei Mensch geworden, und das ist offensichtlich Unsinn. Wenn sie aber keine wirkliche Gestalt annehmen, dann ist dies ebenfalls unsinnig. Denn eine Täuschung steht den Boten der Wahrheit nicht gut an. In keiner Weise nimmt also ein Engel körperhafte Gestalt an. 10. Wie oben ausgeführt,146 können die Engel und Dämonen mit ihrer natürlichen Kraft nicht ohne das Zutun der Kräfte der Natur auf die Körper einwirken. Nun entfalten sich aber die natürlichen Kräfte der Körper nur in einem festgelegten Ablauf und aus einem ganz bestimmten Samen, wenn sich die Gestalt eines menschlichen Körpers herausbilden soll. Auf diesem Wege nimmt aber ein Engel bekanntlich nicht körperhafte Gestalt an. Dasselbe gilt auch für die 144 Vgl. Tob. 12, 21. 145 Aristoteles, Phys. I, 2; 185 b 5 ff. 146 Vgl. De pot. q. 6 a. 3–5.

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übrigen körperhaften Formen, in denen die Engel zuweilen erscheinen. Demnach kann dies kein Weg sein, auf dem die Engel körperhafte Gestalt annehmen. 11. Um einen Körper in Bewegung zu versetzen, muß der Beweger einen Einfluß auf ihn ausüben. Er kann aber nur dann einen Einfluß ausüben, wenn er irgendwie mit diesem Körper in Berührung kommt. Da aber keine Berührung zwischen einem Engel und einem Körper zustande kommen kann, so kann er ihn offensichtlich auch nicht in Bewegung versetzen und mithin keine körperhafte Gestalt annehmen. 12. Man könnte nun einwenden: Die Engel verursachen allein durch ihren Machtspruch die Ortsbewegung eines Körpers. – Dem ist entgegenzuhalten, was im 7. Buch der Physik nachgewiesen wird: Beweger und Bewegtes müssen gleichzeitig dasein.147 Doch daraus, daß ein Engel durch seinen Willen etwas befiehlt, folgt noch nicht, daß er gleichzeitig mit einem Körper da ist, welcher doch nach der obigen Behauptung durch den Engel in Bewegung versetzt werden soll. Demnach kann er ihn nicht allein durch seinen Machtspruch in Bewegung versetzen. 13. Wie vorhin festgestellt wurde,148 fügt sich ein Körper dem reinen Willen der Engel nicht bei derjenigen Bewegung, die zu einer Formgebung führt. Nun ist die äußerliche Gestalt eine Art von Form. Demnach kann ein Engel nicht bloß durch seinen Machtspruch einen Körper so gestalten, daß er das Erscheinungsbild eines Menschen oder dergleichen erhält, womit der Engel in Erscheinung treten könnte. 14. Zu Ps. 10, 4 »Der Herr ist in seinem heiligen Tempel« bemerkt die Glosse: Auch wenn die Dämonen äußerliche Macht über Götzenbilder haben, so können sie doch nicht innerlich von ihnen Besitz ergreifen.149 Also können sie so etwas auch nicht bei anderen 147 Aristoteles, Phys. VII, 2; 243 a 32 f. 148 Vgl. De pot. q. 6 a. 3–5. 149 Zu Ps 10, 4 findet sich in keiner Glosse die hier erwähnte Bemer-

kung. Wahrscheinlich liegt eine Verwechslung mit Habac. 2, 20 vor, wo sich derselbe Bibeltext findet (»Dominus autem in templo sancto suo«). Diesen führt Thomas selbst in einem ähnlichen Zusammenhang mehrfach an: Sent II, d. 8 q. 1 a. 5 arg. 1 sowie De malo q 16 a. 11 arg. 11. An

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Körpern. Wenn sie aber nun körperhafte Gestalt annehmen könnten, so müßten sie in einem Körper Aufnahme finden. Somit läßt sich nicht behaupten, daß sie körperhafte Gestalt annehmen. 15. Angenommen, die Engel nehmen körperhafte Gestalt an, dann gehen sie mit einem Körper entweder ganz oder teilweise eine Einheit ein. Wenn sie nun teilweise eine Einheit mit ihm eingehen, dann können sie diesen Körper als ganzen nur so in Bewegung versetzen, daß sie einen Körperteil mit Hilfe eines anderen in Bewegung versetzen. Dies ist aber offensichtlich nur dann möglich, wenn der angenommene Körper solche Körperteile aufweist, welche zur Bewegung bestimmt sind, und dies ist nur bei beseelten Körpern der Fall. Wenn sie unmittelbar mit dem ganzen Körper eine Einheit eingehen, dann muß ein Engel zwangsläufig in jedem Teil des angenommenen Körpers gegenwärtig sein, und zwar als ganzer, da er ja unteilbar ist. Folglich würde er an mehreren Orten gleichzeitig sein. Dies ist jedoch einzig Gott vorbehalten. Demnach kann ein Engel nicht körperhafte Gestalt annehmen. dagegen spricht: Von den Engeln, die nach Gen. 18, 2 dem Abraham erschienen, heißt es, sie seien ihm leibhaftig erschienen. Das Gleiche gilt auch für den Engel, der Tobias erschienen ist. antwort: Manche von denen, die den Berichten der Hl. Schrift über Engelserscheinungen Glauben schenken, behaupten, daß die Engel niemals körperhafte Gestalt annehmen. Rabbi Moses vertritt beispielsweise diese Meinung. So sagt er, daß alle Engelserscheinungen, von denen die Hl. Schrift berichtet, sich in Form einer prophetischen Schau, also in der bildlichen Vorstellung, zutragen, und zwar teils im wachen Zustand, teils im Schlaf.150 letzterer Stelle verweist Thomas auf die Glosse von Hieronymus, Comm. in prophetas minores; in Habac. 2, 19 f. (CCSL 76 A, 616). Für freundliche Hinweise sei Herrn Dr. Klaus Rodler (München) ganz herzlich gedankt. 150 Mose ben Maimon, Führer der Unschlüssigen II, 41 (ed. Weiss II, 268 f.).

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Diese Ansicht setzt sich über die Wahrheit der Hl. Schrift hinweg. Denn bereits aus dem Sprachgebrauch als solchem, dessen sich die Hl. Schrift bedient, läßt sich ersehen, was als tatsächliches Geschehnis und was im Sinne einer prophetischen Schau gemeint ist. Denn sobald eine Erscheinung als Vision verstanden werden soll, kommen Wörter vor, die dies anzeigen. So heißt es z. B. in Ez. 8, 3: »Ein Geisthauch hob mich zwischen Himmel und Erde empor und führte mich in göttlicher Schau nach Jerusalem.« Somit ist auch klar, daß das, was einfach als Geschehen berichtet wird, auch als ein solches zu verstehen ist, und dies trifft auf mehrere Erscheinungen im Alten Testament zu. Somit muß man ohne Einschränkung Folgendes zugestehen: Teils nehmen die Engel körperliche Gestalt an, indem sie diesem Körper sinnlich wahrnehmbare Gestalt verleihen und ihn so der äußerlichen bzw. der sinnlichen Anschauung zugänglich machen. Teils tun sie dies, indem sie bestimmte Vorstellungsbilder in der Einbildungskraft erzeugen und so in der bildlichen Vorstellung zugänglich werden. Dafür sprechen drei Gründe. Der erste und wichtigste ist, daß, wie Augustinus bemerkt,151 sich alle Erscheinungen im Alten Testament nach derjenigen Erscheinung bemessen, bei der Gottes Sohn sichtbar auf Erden erschienen ist. Da aber Gottes Sohn wahrhaftig körperhafte Gestalt angenommen hat und keine Scheingestalt, wie die Manichäer sich einbilden, so paßt es dazu, daß die Engel wahrhaftig körperhafte Gestalt angenommen haben und so den Menschen erschienen sind. Den zweiten Grund kann man Dionysius’ Worten in seinem Brief an Titus entnehmen.152 Dort sagt er, daß in der Hl. Schrift neben anderen Gründen deswegen die göttlichen Dinge uns in sinnlich faßbarer Gestalt mitgeteilt werden, damit der Mensch als ganzer so weit als möglich durch seine Teilhabe am Göttlichen Vollkommenheit erlange und er so die geistig faßbare Wahrheit nicht nur in seinem Denken, sondern sie auch in ihrem sinnlich wahrnehmbaren Wesen ergreife mit den Formen, die den Sinnen zugänglich sind und die gleichsam Abbilder des Göttlichen sind. Wenn daher auch die Engel 151 Augustinus, De trin. III, 10 (CCSL 50, 150 ff.). 152 Dionysius Areopagita, Epistola ad Titum (Dion. I, 638 ff.).

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den Menschen erscheinen, um sie zur Vollkommenheit zu führen, so ist es passend, wenn sie nicht nur den Intellekt des Menschen in Form einer geistigen Schau erleuchten, sondern auch seine Vorstellung und seine äußeren Sinne miteinbeziehen mit der bildlichen Anschauung jener Körper, welche sie annehmen. Aus diesem Grund führt auch Augustinus diese drei Arten von Anschauungen an.153 Der dritte Grund mag folgender sein: Obgleich die Engel ihrer Natur nach höher stehen als wir, so erhalten wir doch durch die Gnade Gleichheit und Gemeinschaft mit ihnen, wie es in Mt. 22, 30 heißt: »Sie werden sein wie die Engel im Himmel«. Um daher ihre Nähe und Verwandtschaft mit uns zu zeigen, gleichen die Engel sich auf ihre Weise an uns an: durch die Annahme eines Körpers. Indem sie aber das, was uns kennzeichnet, annehmen, ermöglichen sie es unserem Geist, zu dem aufzusteigen, was ihnen eigentümlich ist. Eben so hat Gottes Sohn uns durch seine Herabkunft zu sich emporgehoben. Dagegen versuchen die Dämonen, wenn sie sich die Gestalt von Engeln des Lichts geben, uns in dem zu täuschen, was die guten Engel zu unserem Nutzen ausrichten. Zu 1. Nicht jeden Körper, den ein Engel in Bewegung versetzt, nimmt er auch an. ›Annehmen‹154 meint ja ein Zu-sich-Nehmen155. Ein Engel nimmt also einen Körper nicht an, indem er diesen Körper dabei so mit seinem Wesen vereinen würde, wie etwa ein Mensch Nahrung in sich aufnimmt. Genausowenig vereint er diesen Körper so mit seiner Person, wie Gottes Sohn die menschliche Natur annahm. Vielmehr nimmt ein Engel einen Körper an, um dadurch so in Erscheinung zu treten, wie geistig Erfaßbares im sinnlich Wahrnehmbaren zum Vorschein kommen kann. So läßt sich also festhalten, daß ein Engel dann körperhafte Gestalt annimmt, wenn er einem Körper eine derartige Form verleiht, daß dieser sein Erscheinen ermöglicht. Dies zeigt auch das Ende von Dionysius’ Himmlischen Hierarchien, wo Dionysius festhält, daß

153 Augustinus, De Gen. ad litt. XI, 7; XI, 24 (CSEL 28/1, 340; 356 f.). 154 Übersetzung für »assumere«. 155 Übersetzung für »ad se sumere«.

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sich in den körperhaften Formen die Eigentümlichkeiten der Engel erkennen lassen.156 Zu 2. Nicht nur die bildliche Vorstellung dient unserer Belehrung, sondern auch, wie festgestellt, die sinnliche Anschauung. Zu 3. Wie Augustinus bemerkt, erfolgten alle Erscheinungen Gottes, von denen das Alte Testament berichtet, mit Hilfe der Engel, die bestimmte bildliche oder körperhafte Gestalten formen, durch die sie den Geist des anschauenden Menschen zu Gott führen. Ebensogut kann aber der Mensch durch sinnlich wahrnehmbare Zeichen zu Gott geführt werden. Bei jenen Erscheinungen nahmen also die Engel die körperhafte Gestalt an, in der sie dann erschienen. Daß hierbei auch eine Erscheinung Gottes stattfand, begründet sich dadurch, daß Gott selbst das Ziel war, zu dem die Engel mit ihrem leibhaftigen Erscheinen den menschlichen Geist emporzuheben trachteten. Aus diesem Grund spricht die Schrift im Falle solcher Erscheinungen teils davon, daß Gott erschienen sei, teils davon, daß die Engel erschienen seien. Zu 4. Kein Ding besitzt eine Kraft, die über sein Sein hinausgeht. Denn die Kraft eines jeden Dinges rührt von seinem Wesen her bzw. setzt es voraus. Da nun die Seele als die Form eines Körpers mit diesem eine Einheit bildet, so steht es nicht in ihrer Macht, sich aus dieser Einheit mit dem Körper loszulösen. Genauso ist ein Engel nicht in der Lage, als die Form eines Körpers zu fungieren und mit diesem eine Einheit dem Sein nach einzugehen. Er ist aber in der Lage, auf die eben beschriebene Weise eine körperhafte Gestalt anzunehmen: Mit diesem Körper geht er in seiner Funktion als Beweger eine Einheit ein, und zwar als dasjenige, was in dieser Gestalt verkörpert wird. Zu 5. Diese beiden Tätigkeiten – die Annahme einer körperhaften Gestalt und der Beistand – bedingen einander. Deswegen spricht nichts dagegen, wenn ein Engel sie gleichzeitig ausführt. Zu 6. Versteht man hier unter ›Verhältnismäßigkeit‹ ein meßbares Verhältnis, so besteht zwischen einem Engel und einem Körper keine Verhältnismäßigkeit, da ihre jeweilige Größe nicht derselben Gattung angehört und einen völlig anderen Charakter hat. Gleichwohl 156 Dionysius Areopagita, De cael. hier. XV, 1 (Dion. II, 985 f.).

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spricht nichts dagegen, daß zwischen einem Engel und einem Körper ein Verhältnis besteht, wie es zwischen einem Beweger und dem von ihm Bewegten bzw. zwischen einer Gestalt und dem, was sie verkörpert, herrscht. Dies mag man als eine Verhältnismäßigkeit bezeichnen. Zu 7. Ein Engel kann genausogut eine körperhafte Gestalt annehmen, die aus einem Element besteht, wie eine, die sich aus mehreren Elementen zusammensetzt. Allerdings steht es ihm eher an, einen Körper aus Luft anzunehmen, da sie sich ja leichter verdichten, eine Gestalt annehmen und auch behalten sowie verschiedene Farben annehmen kann, sobald sie in die Nähe eines Leuchtkörpers kommt. Das Beispiel der Wolken zeigt dies deutlich. Für die vorliegende Fragestellung ist aber der Unterschied zwischen trockener Luft und ihren anderen Zuständen wie Dunst und Dampf belanglos. Zu 8. Die angeführten Spielarten von Einheit betreffen eine Einheit als solche. Ein Engel bildet jedoch nicht in diesem Sinne eine Einheit mit einem Körper, sondern eine Einheit des Bezuges, d. h. so wie im obigen Beispiel ein Beweger mit dem von ihm Bewegten bzw. eine Gestalt mit dem, was sie verkörpert. Zu 9. Die Körper, welche die Engel annehmen, besitzen zwar wirkliche, d. h. wahrnehmbare Formen, die den Sinnen direkt zugänglich sind, also z. B. Farbe und äußere Gestalt. Diese Körper besitzen allerdings keine Formen im Sinne eines artspezifischen Wesens, welches nur akzidentell wahrnehmbar ist. Das muß aber nicht heißen, daß hier ein Trugbild vorliegt. Denn ein Engel präsentiert sich den menschlichen Augen nicht deswegen in menschlicher Gestalt, damit er für einen Menschen gehalten wird, sondern damit seine Kräfte durch seine menschlichen Züge erkannt werden können. So sind etwa auch metaphorische Ausdrücke nicht falsch, weil ihr Gehalt auf einen anderen Gehalt aufgrund einer sie verbindenden Ähnlichkeit verweist. Zu 10. Zwar sind die Kräfte der Natur nur in einem festgelegten Ablauf dazu in der Lage, die wirkliche Gestalt eines menschlichen Körpers hervorzubringen. Gleichwohl sind sie auch in der Lage, etwas hervorzubringen, was dem menschlichen Körper in Farbe, Gestalt und dergleichen äußerlichen Akzidentien ähnelt. Für die Hervorbringung solcher Akzidentien scheint insbesondere die Ortsbewegung bestimmter Körper zu genügen, wodurch die feuchte Luft

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verdichtet bzw. verdünnt wird und die Wolken verschiedenerlei Formen annehmen. Zu 11. Wenn ein Engel den von ihm angenommenen Körper in Bewegung versetzt, so bringt er in diesen Körper Bewegung; er berührt ihn dabei zwar nicht körperlich, doch aber seiner Kraft entsprechend geistig. Zu 12. Der Machtspruch eines Engels erfordert den Einsatz einer Kraft. Daher braucht es ein geistiges Einwirken auf den Körper, der in Bewegung versetzt werden soll. Zu 13. Die äußerliche Gestalt stellt eine Art von Form dar, die durch Zuschnitt, Verdichtung, Verdünnung, Modellierung oder eine ähnliche Bewegung an der Materie zum Vorschein gebracht werden kann. Aus diesem Grund gilt hier nicht das Gleiche von dieser Form und den übrigen Formen. Zu 14. Der Umstand, daß etwas in einem Körper ist, kann Zweierlei bedeuten. Erstens ist damit gemeint, daß sich etwas innerhalb der Grenzen eines Ausgedehnten befindet. In diesem Sinne hindert einen Dämon nichts daran, sich in einem Körper zu befinden. Zweitens ist damit gemeint, daß etwas im Wesen eines Dinges ist, daß es dabei diesem Ding Sein verleiht und in ihm wirkt. Dies ist allein Gott vorbehalten, auch wenn Gott nicht Teil des Wesens einer Sache ist. Auch die Glosse läßt sich so verstehen, daß ein Dämon nicht so in einem Götzenbild stecken kann, daß, wie die Götzendiener glauben, aus dem Standbild und dem ihm innewohnenden Geist eine Einheit entstünde. Zu 15. Ebenso wie die Seele ist auch ein Engel als ganzer in dem gesamten, von ihm angenommenen Körper sowie in dessen Teilen. Allerdings stellt er, anders als die Seele, nicht die Form des von ihm angenommen Körper, sondern dessen Beweger dar. Beweger und Bewegtes müssen aber gleichzeitig dasein. Gleichwohl heißt dies nicht, daß ein Engel nun gleichzeitig an mehreren Orten wäre. Denn für einen Engel gibt der ganze von ihm angenommene Körper einen einheitlichen Ort ab.

8. Artik el Die achte Frage lautet: Kann ein Engel bzw. ein Dämon mit einem angenommenen Köper die Tätigkeiten eines lebendigen Körpers ausführen?157 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Wer die Fähigkeit besitzt, etwas Bestimmtes ins Werk zu setzen, dem muß auch das zur Verfügung stehen, womit er dieses Werk ausführen kann. Andernfalls hätte diese Fähigkeit für ihn keinen Zweck. Nun kann aber das, was ein lebendiger Körper ins Werk setzt, nicht ohne körperliche Organe ausgeführt werden. Da aber einem Engel keine körperlichen Organe zur Verfügung stehen, mit denen er von Natur aus eine Einheit bildet, so kann er offensichtlich auch keine derartigen Werke ausführen. 2. Die Seele steht höher als die Natur. Nun kann ein Engel ein Werk der Natur nicht ohne das Zutun einer natürlichen Kraft ausführen. Folglich ist er erst recht nicht in der Lage, die Leistungen der Seele mit einem angenommenen Körper, welcher ja über keine Seele verfügt, zu vollbringen. 3. Von allen Tätigkeiten, die die Seele mit Hilfe von Organen vollbringt, kommen die Akte der sinnlichen Wahrnehmung den geistigen Tätigkeiten, welche für die Engel kennzeichnend sind, am nächsten. Nun ist aber ein Engel mit seinem angenommenen Körper weder zur sinnlichen Wahrnehmung noch zu Vorstellungen fähig. Folglich ist er erst recht nicht in der Lage, die übrigen Leistungen der Seele auszuführen. 4. Ohne stimmliche Verlautbarung kommt kein Sprechen zustande, und die stimmliche Verlautbarung ist ein Laut, den der Mund eines Lebewesens von sich gibt. Da nun ein Engel, der über einen angenommenen Körper verfügt, kein Lebewesen ist, so befähigt dieser Körper ihn offensichtlich nicht zur Sprache und damit erst recht nicht zu den anderen Tätigkeiten. Die Sprachfähigkeit könnte nämlich noch am ehesten einem Engel zukommen, da die Sprache ein Merkmal von Geistigkeit ist. 5. Bei ein und demselben Individuum stellt die Fortpflanzung

157 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 41 a. 3. Sent. II, d. 8 a. 4.

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diejenige Tätigkeit dar, die die vegetabilische Seele zuletzt ausführt. Denn bevor sich ein Lebewesen fortpflanzt, ernährt es sich und wächst. Nun läßt sich aber nicht behaupten, daß ein Engel bzw. der von ihm angenommene Körper Nahrung zu sich nimmt und Wachstumsbewegungen zeigt. Folglich kann sich ein angenommener Körper auch nicht fortpflanzen. 6. Nun könnte man einwenden: Ein Engel bzw. ein Dämon pflanzt sich sehr wohl mittels seines angenommenen Körpers fort. Dies tut er zwar nicht mit Hilfe eines Samens, den sein angenommener Körper ausscheiden würde, doch aber mit Hilfe des Samens von einem Mann, den jener Engel bzw. Dämon in eine Frau einbringt. Genauso ruft er ja manche tatsächlichen Wirkungen in der Natur hervor durch den Einsatz von jeweils entsprechenden Samen. – Dem kann man entgegenhalten: Der Same eines Lebewesens verdankt seine Fruchtbarkeit vornehmlich seiner natürlichen Wärme. Wenn nun der Dämon mit diesen Samen eine gewisse Distanz zu überwinden hätte, dann wäre es nicht zu vermeiden, daß die natürliche Wärme sich daraus verflüchtigte. Demnach kann ein Mensch unmöglich auf diesem Wege gezeugt werden. 7. Folgt man dem gerade erhobenen Einwand, so könnte ein Mensch durch einen solchen Samen nur so entstehen, wie es der Kraft des menschlichen Samens entspricht. Damit hätten diejenigen, die von den Dämonen gezeugt sein sollen, keine größere Statur und Kraft als diejenigen, die auf dem üblichen Wege durch den menschlichen Samen entstehen. In Gen. 6, 4 heißt es jedoch, daß »die Gottessöhne mit den Töchtern der Menschen verkehrten, und diese gebaren ihnen dann. Geboren wurden Riesen, die starken Männer der Urzeit, Leute mit Namen.« 8. Die Nahrungsaufnahme dient der Ernährung. Wenn also die Engel ihre angenommenen Körper nicht ernähren, so nehmen sie offensichtlich auch keine Nahrung auf. 9. Um die Wirklichkeit seines auferstandenen menschlichen Leibes unter Beweis zu stellen, wünschte Christus nach seiner Auferstehung etwas zu essen. Diese Nahrungsaufnahme wäre aber kein schlagender Beweis mehr für seine Auferstehung, wenn nun auch die Engel und Dämonen ihrem angenommen Körper Nahrung zuführen könnten. So kann es sich also nicht verhalten. Daraus folgt

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nun, daß die Engel und Dämonen mit ihrem angenommenen Körper keine Nahrung aufnehmen können. dagegen spricht: 1. In Gen. 18, 9 heißt es von den Engeln, die Abraham erschienen sind: »Als sie gegessen hatten, sprachen sie zu ihm: ›Wo ist deine Frau Sara?‹« Demnach essen und sprechen die Engel mit ihrem angenommenen Körper. 2. Zu Gen. 6, 2 »Da sahen die Gottessöhne …« usw. bemerkt Hieronymus: »Das hebräische Wort ‫›[ אלהים‬Elohim‹] ist singularisch und zugleich pluralisch. Denn es hat sowohl die Bedeutung von ›Gott‹ als auch von ›Götter‹. Aus diesem Grund glaubte sich Aquila dazu berechtigt, die Gottessöhne mit Göttern gleichzusetzen und meinte damit die Heiligen bzw. die Engel.«158 3. Wie bei der menschlichen Kunstfertigkeit nichts ohne Zweckbestimmung geschieht, so gilt dies auch für die Kunstfertigkeit der Engel. Nun läge aber kein Sinn darin, wenn die Engel einen Körper annehmen würden, der mit körperlichen Organen ausgestattet ist, und wenn sie diese körperlichen Organe nicht auch einsetzen würden. Folglich führen sie offensichtlich mit ihrem angenommenen Körper Tätigkeiten aus, für die sich ihre körperlichen Organe auch eignen; also z. B. sehen sie mit den Augen, hören sie mit den Ohren und dergleichen. antwort: Die spezifische Art einer jeden Tätigkeit ist offensichtlich durch zwei wesentliche Faktoren bestimmt: durch ihren Verursacher und durch ihr Ziel. So unterscheidet sich ja die Erwärmung von der Abkühlung dadurch, daß die erstere von der Wärme herrührt und auf Wärme hinwirkt, während die letztere von der Kälte herrührt und auf Kälte hinwirkt. Im eigentlichen Sinne aber spezifiziert sich eine Tätigkeit, genauso wie eine Bewegung, durch ihr Ziel. Ihren natürlichen Charakter verdankt eine Tätigkeit hingegen ihrem Ursprung. Denn eine Bewegung und eine Tätigkeit heißen dann natürlich, wenn sie ihren Ursprung in sich selbst haben. 158 Hieronymus, Hebraicae quaestiones in libro Geneseos (CCSL 72, 9).

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Man muß also berücksichtigen, daß manche Tätigkeiten der Seele nicht nur in der Seele ihren Ursprung haben, sondern daß manche Tätigkeiten auch ihr Ziel in der Seele und im beseelten Körper haben. Tätigkeiten dieser Art lassen sich nun nicht für die Engel und ihren angenommen Körper geltend machen, und zwar weder unter dem Vorzeichen einer Artgleichheit [mit den menschlichen Tätigkeiten] noch unter dem Vorzeichen der Natürlichkeit. Zu diesen Tätigkeiten gehören z. B. Wahrnehmung, Wachstum, Ernährung und dergleichen. Denn die sinnliche Wahrnehmung vollzieht sich als eine Bewegung von den Dingen aus und hin zur Seele. Ebenso dienen Ernährung und Wachstum der Hervorbringung von etwas, was einem lebendigen Körper zugute kommt. Daneben gibt es bestimmte seelische Tätigkeiten, die zwar in der Seele ihren Ursprung haben, deren Ziel aber eine bestimmte Wirkung in der Außenwelt ist. Wenn eine solche Wirkung nur mit Hilfe eines Körperteils oder durch Ortsbewegung zustande kommen kann, dann wird man sagen können, daß ein Engel mit seinem angenommenen Körper solch eine Tätigkeit ausführen kann. Dies gilt allerdings nur, insofern sich hier ein Wirkung einstellt, die in ihrer spezifischen Art [der Wirkung jener seelischen Tätigkeit] gleichkommt. Doch die Tätigkeit selbst ist nicht wirklich eine natürliche, sie ähnelt vielmehr einer solchen natürlichen Tätigkeit. Beispiele dafür sind das Sprechen, das durch die Bewegung eines Organs und die Bewegung der Luft zustande kommt, sowie die Nahrungsaufnahme, die sich in Form einer Zerkleinerung der Speise und deren Weiterleitung in die inneren Körperteile vollzieht. Aus diesem Grund ist das Sprechen, das den Engeln in ihrer leibhaftigen Gestalt zugeschrieben wird, kein wirklich natürliches Sprechen, sondern ähnelt diesem insofern, als sich hier die gleiche Wirkung einstellt. Dasselbe gilt auch für den Fall der Nahrungsaufnahme. So sagt ja auch der Engel in Tob. 12, 19: »Während der Zeit, in der ich bei euch war, aß und trank ich nur scheinbar mit euch. Ich bedarf aber einer Speise und eines Tranks, die unsichtbar sind.« Wenn jedoch eine solche Wirkung nur durch die Veränderung einer Form zustande kommen kann, dann ist ein Engel dazu nicht in der Lage, es sei denn vielleicht unter Zuhilfenahme eines natürlichen Wirkens, wie etwa das Beispiel der Erzeugung zeigt.

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Zu 1. Tätigkeiten, wie die hier angeführten, vollbringt ein Engel nicht von Natur aus. Daher braucht er auch keine körperlichen Organe zu haben, mit denen er von Natur aus eine Einheit bildet. Zu 2. Die Leistungen der Seele vollbringt ein Engel nicht wirklich, sondern er vollbringt, wie gesagt, nur ähnliche. Zu 3. Oben haben wir bereits die Begründung gegeben, warum einem Engel und seinem angenommenen Körper keine sinnliche Wahrnehmung zugeschrieben werden kann. Zu 4. Sprache läßt sich einem Engel und seinem angenommenen Körper nicht wirklich zuschreiben, sondern nur, wie oben ausgeführt, vergleichsweise. Zu 5. Eine Zeugung kann den guten Engeln in keinem Fall zugeschrieben werden. Was hingegen die Dämonen betrifft, so gibt es hier zweierlei Ansichten. Denn manche behaupten, daß auch die Dämonen mit dem von ihnen angenommenen Körper keinesfalls eine Zeugungsfähigkeit haben, und zwar aus den Gründen, die in den Gegenargumenten angeführt worden sind. Andere aber waren der Meinung, daß sie dazu fähig wären, doch nicht mit Hilfe eines Samens, den der von ihnen angenommene Körper ausscheiden würde, bzw. durch eine ihnen natürliche Kraft, sondern unter Zuhilfenahme eines männlichen Samens, der für die Fortpflanzung taugt; und dies gehe folgendermaßen vor sich: Ein und derselbe Dämon übernehme beim Verkehr mit einem Mann den weiblichen Part und bringe dann den Samen, den er von diesem Mann erhalten hat, in eine Frau ein, bei der er wiederum den männlichen Part übernimmt. Diese Ansicht läßt sich durchaus mit Gründen aufrecht erhalten, zumal die Dämonen auch andere Dinge in der Natur verursachen, indem sie, wie Augustinus bemerkt,159 dafür die jeweils entsprechenden Samen verwenden. Zu 6. Gegen die Verflüchtigung der Wärme im Samen weiß sich ein Dämon sehr wohl zu helfen, und zwar zum einen durch rasche Bewegung, zum anderen durch den Einsatz geeigneter Mittel, durch die sich die natürliche Wärme im Samen erhält. Zu 7. Ohne jeden Zweifel vollzieht sich die Zeugung, die auf die oben genannte Weise von statten geht, durch die Kraft des menschli159 Augustinus, De trin. III, 8–9 (CCSL 50, 143 ff.).

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chen Samens. Daher wäre ein solchermaßen gezeugter Mensch kein Sohn eines Dämons, sondern der Sohn desjenigen Mannes, von dem dieser Same stammt. Ungeachtet dessen besteht aber die Möglichkeit, daß auf diese Weise stärkere und größere Menschen gezeugt werden. Denn die Dämonen, die durch ihre Taten als wundertätig erscheinen wollen, sind dazu in der Lage, wenn sie eine ganz bestimmte stellare Konstellation und die Verfassung des Mannes und der Frau berücksichtigen. Dies gilt insbesondere, weil die Samen, die die Dämonen als Mittel verwenden, durch diese Verwendung eine Erhöhung ihrer Kraft erfahren. Zu 8. Man kann nicht behaupten, daß eine Nahrungsaufnahme für die Engel und ihren angenommenen Körper den Zweck hätte, sie zu ernähren. Vielmehr stellt diese Nahrungsaufnahme nichts weiter als die bloße Tätigkeit des Essens dar. Ebensowenig konnte nach der Auferstehung von Christus noch etwas seinem Körper zugeführt werden. Doch der Unterschied liegt hier darin, daß Christus wirklich Nahrung zu sich nahm, da er eine vegetabilische Seele besaß, und damit konnte diese Nahrungsaufnahme zum Beweis für die Wirklichkeit seiner [menschlichen] Natur werden. In beiden Fällen der Nahrungsaufnahme wurde jedoch die Speise nicht in Fleisch und Blut umgewandelt, sondern löste sich wieder in die Materie auf, aus der die Speise bestand. Zu 9. Damit ist auch die Antwort zu diesem Argument klar. zu den gegenargumenten ist folgendes anzumerken: Zu 1. In welchem Sinne Nahrungsaufnahme und Sprache den Engeln zugeschrieben werden können, ist in der »Antwort« ausgeführt worden. Zu 2. Mit den Gottessöhnen sind hier die Söhne Seths gemeint, die aus Gnade Söhne Gottes waren und Söhne der Engel infolge ihrer Angleichung. Als Söhne der Menschen hingegen wurden die Söhne Kains bezeichnet, die von Gott abgefallen und dem Fleisch verfallen waren. Zu 3. Die sinnlichen Mittel dienen den Engeln nicht zum Gebrauch, sondern als Zeichen. Wenn sie daher mit diesen auch nicht wahrnehmen, so sind sie doch nicht ohne Zweck.

9. Artik el Die neunte Frage lautet: Ist für das Wirken von Wundern der Glaube ausschlaggebend?160 Dies scheint nicht der Fall zu sein; denn: 1. Der Unterschied zwischen den unverdienten Gnadengeschenken und den Tugenden liegt darin, daß die Tugenden allen Heiligen gemeinsam sind, während die unverdienten Gnadengeschenke verschiedenen Personen zuteil werden, denn in 1 Kor. 12, 4 heißt es: »Es gibt Verschiedenheiten unter den Gnadengaben«. Nun ist es ein unverdientes Gnadengeschenk, Wunder zu wirken. Daher heißt es an derselben Stelle: »Manchen ist die Gabe verliehen, Wunder zu wirken.« Folglich ist für das Wirken von Wundern nicht der Glaube ausschlaggebend. 2. Man könnte nun einwenden: Wenn ein Wunder geschieht, ist dies ein Verdienst des Glaubens, die Ausführung eines Wunders ist aber ein unverdientes Gnadengeschenk. – Dem kann man entgegenhalten, was die Glosse zu Mt. 7, 22 »Herr, haben wir nicht geweissagt in deinem Namen?« bemerkt: »Prophezeiungen, das Wirken von Wundern und die Austreibung von Teufeln verdanken sich mitunter nicht dem Verdienst dessen, der dies tut, sondern dies verdankt sich der Berufung auf Christi Namen.«161 Demnach kann hier offenbar nicht der Glaube ausschlaggebend sein. 3. Die Liebe ist Quell und Wurzel des Verdienstes, ohne sie kann ein ungeformter Glaube162 keine Verdienste erlangen. Wenn also der Glaube aufgrund seiner Verdienste für das Wirken von Wundern ausschlaggebend wäre, so müßte erst recht die Liebe hierfür ausschlaggebend sein. 4. Wenn die Heiligen durch das Gebet Wunder tun, so ist für das Wirken von Wundern diejenige Kraft entscheidend, die es zustande bringt, daß die Gebete erhört werden. Dies aber bringt die Liebe zustande. So heißt es ja in Mt. 18, 19: »Wenn zwei von euch überein160 Paralleltexte: Sum. theol. II-II, q. 178 a. 1 ad 5; I-II, q. 111 a. 4. ScG III, 154. De pot. q. 6 a. 4. Sent. I, d. 48 q. 1 a. 2. Opusc. LX a. 15. 161 Beda Venerabilis, In Matthaei evangelium expositio I, 7 (PL 92, col. 58 C). 162 Gemeint ist damit ein toter Glaube, der bar aller Liebe ist.

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stimmen auf Erden in irgendeiner Sache, um die sie bitten: es wird ihnen zuteil werden von meinem Vater«; sowie in Ps. 37, 4: »Habe am Herrn deine Wonne, und er wird dir geben, was dein Herz begehrt«. Denn es ist das Werk der Liebe, daß der Mensch durch seine Liebe zu Gott seine Wonne an Gott hat und daß er durch die Nächstenliebe mit seinem Nächsten übereinstimmt. Folglich muß es die Liebe sein, die für das Wirken von Wundern ausschlaggebend ist. 5. In Joh. 9, 31 heißt es: »Wir wissen, daß Gott die Sünder nicht erhört.« Nun ist es einzig die Liebe, die die Sünden tilgt, denn in Spr. 10, 12 steht geschrieben: »Die Liebe deckt alle Vergehen zu.« Folglich kann es nicht der Glaube, sondern muß es die Liebe sein, die für das Wirken von Wundern ausschlaggebend ist. 6. Heilige Menschen erwirken nicht bloß durch ihr Gebet Wundergeschehen, sondern sie tun nach Gregor auch in Vollmacht Wunder.163 Das wird dadurch möglich, daß sich der Mensch mit Gott eint und so Gottes Kraft ihm zu Hilfe kommt. Diese Einung erfolgt aber durch die Liebe, denn wer nach 1 Kor. 6, 17 »Gott anhängt« – und zwar in Liebe –, »ist eines Geistes mit ihm«. Folglich muß es die Liebe sein, die für das Wirken von Wundern ausschlaggebend ist. 7. Die Liebe ist insbesondere das Gegenteil von Neid. Denn die Liebe erfreut sich am Guten, über das sich der Neid nur grämt. Wie aber die Glosse zu Gal. 3, 1164 bemerkt, ist es der Neid, der die Menschen behext und das Übel heraufbeschwört.165 Folglich muß es die Liebe sein, die für das Wirken von Wundern ausschlaggebend ist. 8. Der Intellekt ist nur durch das Zutun des Willens Ursprung einer Handlung. Nun ist der Glaube eine Sache der Einsicht, die Liebe eine Sache des Willens. Folglich ist der Glaube nicht wirksam ohne die Liebe, und so heißt es ja in Gal. 5, 6: »Der Glaube erweist sich als wirksam nur durch die Liebe«. Wenn also für die Ausführung von tugendhaften Handlungen eher die Liebe als der Glaube ausschlaggebend ist, so muß dies auch für das Wirken von Wundern gelten. 9. Alle übrigen Wunder haben ihren Maßstab in der Fleischwerdung Christi, die das Wunder aller Wunder ist. Nun ist für die 163 Gregor der Große, Libri Dialogorum II, 30, 3–4 (SC 260, 222). 164 Vgl. Gal. 3, 1: »Wer hat euch behext?« 165 Petrus Lombardus, Collectanea; in Gal. (PL 192, col. 117 D–118 A).

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Fleischwerdung Christi die Liebe ausschlaggebend, denn in Joh. 3, 16 heißt es: »Gott liebte die Welt so sehr, daß er seinen eingeborenen Sohn hingab.« Folglich kann es nicht der Glaube, sondern muß es die Liebe sein, die auch für die übrigen Wunder ausschlaggebend ist. 10. Es war ein Wunder, daß Sara als alte und unfruchtbare Frau von einem Greis noch einen Sohn empfing. Dafür war aber die Hoffnung ausschlaggebend, wie es in Röm. 4, 18 heißt: »Gegen alle Hoffnung hat [Abraham] voll Hoffnung geglaubt.« Demnach kann es nicht der Glaube, sondern muß es die Hoffnung sein, die für das Wirken von Wundern ausschlaggebend ist. 11. Nach Augustinus ist ein Wunder äußerst schwer auszuführen und etwas Außergewöhnliches.166 Auf dasjenige, was äußerst schwer auszuführen ist, kann man aber nur seine Hoffnung richten. Also muß es die Hoffnung sein, die für das Wirken von Wundern ausschlaggebend ist. 12. Ein Wunder läßt Gottes Macht offenbar werden. Wie sich nun die Liebe der Güte zuordnet, welche insbesondere dem Hl. Geist zugeschrieben wird, und der Glaube der Wahrheit, welche insbesondere dem Sohn zugeschrieben wird, so ordnet sich auch die Hoffnung der Macht zu, welche insbesondere dem Vater zugeschrieben wird. Demnach kann es nicht der Glaube, sondern muß es die Hoffnung sein, die für das Wirken von Wundern ausschlaggebend ist. 13. Augustinus bemerkt, daß sündige Menschen zuweilen Wunder tun aufgrund ihrer äußerlichen Rechtschaffenheit.167 Demnach kann es nicht der Glaube, sondern muß es die Rechtschaffenheit sein, die für das Wirken von Wundern ausschlaggebend ist. 14. In Apg. 6, 8 heißt es: »Stephanus, voll Gnade und Tapferkeit, tat große Wunder und Zeichen unter dem Volk.« Demnach muß es offensichtlich die Tapferkeit sein, die für das Wirken von Wundern ausschlaggebend ist. 15. In Mt. 17, 21 sagt der Herr zu seinen Jüngern, die einen Dämon nicht aus einem Besessenen austreiben konnten: »Diese Art von Dämonen wird nicht anders ausgetrieben als durch Gebet und 166 Augustinus, De utilitate credendi 16 (CSEL 25/1, 43). 167 Augustinus, De diversis quaestionibus LXXXIII, 79, 4 (CCSL 44

A, 228 f.).

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Fasten.« Nun zählt das Austreiben von Dämonen zu den Wundern. Das Fasten aber ist ein Akt von tugendhafter Enthaltsamkeit. Demnach gehört zum Wirken von Wundern auch die Enthaltsamkeit. 16. Bernhard sagt, daß es mehr Größe hat, ständig mit seiner Ehefrau zusammenzuleben und mit ihr keinen Beischlaf zu haben, als einen Toten aufzuerwecken.168 Dies aber ist ein Werk der Keuschheit. Demnach ist es die Keuschheit, die Wunder wirkt, und nicht der Glaube. 17. Das, was für den Glauben abträglich ist, kann dem Glauben nicht zuträglich sein. Nun sind aber Wunder für den Glauben abträglich, da die Ungläubigen sie der Magie zuschreiben. Daher sollte man nicht den Glauben für das Wirken von Wundern verantwortlich machen. 18. Gregor hebt den Glauben von Petrus und Andreas lobend hervor, da beide glaubten, ohne ein Wunder gesehen zu haben.169 Folglich ist das Wirken von Wundern für den Glauben abträglich, und so gilt das Gleiche wie oben. 19. Gibt es eine Ursache, so folgt aus ihr eine Wirkung. Angenommen also, der Glaube ist die Ursache für das Wirken von Wundern, dann müßten alle Gläubigen Wunder tun. Dies ist jedoch offensichtlicher Unsinn. Demnach ist es nicht der Glaube, der Wunder tut. dagegen spricht: 1. In Mk. 16, 17 heißt es: »Als Zeichen aber werden denen, die glauben, diese nebenhergehen: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben« usw. 2. In Mt. 17, 19 sagt der Herr: »Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Berg sagen: Geh von hier weg dorthin, und er wird weggehen, und nichts wird euch unmöglich sein.« 3. Wenn das erste Glied eines Gegensatzes der Grund ist für das erste Glied eines anderen Gegensatzes ist, so das zweite Glied des 168 Bernhard von Clairvaux, Sermones in Cant. Cant. 65, 4 (Opera, ed. Leclercq, II, 175). 169 Gregor der Große, XL Homiliae 5, 1 (PL 76, col. 1093 A).

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ersten Gegensatzes auch der Grund für das zweite Glied des zweiten Gegensatzes. Nun ist der Unglaube der Hinderungsgrund für das Wirken von Wundern, denn in Mk. 6, 5 heißt es von Christus: »Er konnte dort« – d. h. in seiner Heimatstadt – »keine Wunder wirken, nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er war befremdet über ihren Unglauben.« Auch in Mt. 17, 20 antwortet der Herr den Jüngern auf ihre Frage »Warum vermochten wir es nicht, den Dämonen auszutreiben?«: »Wegen eures Unglaubens«. Folglich ist der Glaube der Grund für das Wirken von Wundern. antwort: Nach dem 2. Buch von Gregors Dialogen wirken die Heiligen auf zweierlei Wiese Wunder. Zum einen erreichen sie durch ihr Gebet, daß durch göttliche Fügung Wunder geschehen, zum anderen tun sie Wunder in Vollmacht.170 In beiden Fällen ist es aber der Glaube eines Menschen, der ihn dazu befähigt, Wunder zu tun. Denn es ist im eigentlichen Sinne das Verdienst des Glaubens, wenn ein Gebet, das um ein Wundergeschehen bittet, erhört wird. Das erklärt sich aus folgendem Grund: Bei den Dingen der Natur ist es offenkundig, daß alle Einzelursachen ihre Wirksamkeit einer allumfassenden Ursache verdanken und daß gleichwohl jede bestimmte und eigentümliche Wirkung ihre ganz bestimmte Ursache hat. Beispielhaft zeigt sich dies daran, daß sich die aktiven Kräfte der Körper hier unten den Kräften der Himmelskörper verdanken, sowie daran, daß es hier unten ein Ordnungsgefüge gibt, das zwar im Einklang mit der Bewegung der obersten Sphäre steht, in dem aber auch jeweils eigene Bewegungen auftreten. Das Gleiche gilt nun auch für die Tugenden, mit denen wir uns Verdienste erwerben. So hat ja das, was an allen Tugenden verdienstvoll ist, seinen Grund in der Liebe, die uns eins werden läßt mit Gott, von dem jedes Verdienst kommt, und die unseren Willen, durch den wir uns verdient machen, vollendet. Gleichwohl gibt es für die einzelnen Tugenden einen jeweils bestimmten Lohn, der ihnen in gleichmäßiger Entsprechung zugeordnet ist. So ist z. B. der 170 Gregor der Große, Libri Dialogorum II, 30, 3–4 (SC 260, 222).

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Lohn der Demut die Erhöhung und der Lohn der Armut das Reich Gottes. Wenn daher jemand, der ohne Liebe ist, sich eigentlich keinen Verdienst erwirbt mit anderen tugendhaften Taten, so erweist ihm doch Gott in seiner Großzügigkeit für diese Taten entsprechende Wohltaten, zumindest in diesem Leben. Daher ist die Behauptung gerechtfertigt, daß sich manchmal jemand durch seine Taten, die grundsätzlich gut sind, aber ohne Liebe geschehen, eine entsprechende Zunahme seiner zeitlichen Güter verdient hat. In diesem Sinne ist nun das Wirken von Wundern ein Verdienst des Glaubens, obgleich die Wurzel dieses Verdienstes die Liebe ist. Dafür lassen sich drei Gründe anführen. Erstens sind Wunder Beweise für den Glauben, insofern sich durch ein übernatürliches Geschehen die Wahrheit dessen erweist, was das natürliche Denken übersteigt. Daher heißt es in Mk. 16, 20: »Jene gingen hin und predigten überall, und der Herr wirkte in ihnen und bekräftigte das Wort durch Zeichen, die dabei geschahen.« Der zweite Grund ist der, daß der Glaube hauptsächlich auf die Macht Gottes vertraut; sie wird für ihn zum Grund bzw. zum Mittel dafür, daß er das anerkennen kann, was ihm übernatürlich erscheint. Deshalb unterstützt Gottes Macht mit einem Wundergeschehen insbesondere den Glauben. Der dritte Grund ist der, daß Wunder unabhängig von natürlichen Ursachen geschehen. Es ist aber der Glaube, der seine Beweise nicht aus natürlichen und sinnlich wahrnehmbaren Ursachen gewinnt, sondern aus dem Göttlichen. Wie daher der Lohn für die materielle Armut der Reichtum im Geiste und der Lohn für die Demut die Erhöhung im Himmel ist, so verdient sich auch der Glaube gleichsam aufgrund seiner Verachtung dessen, was auf natürlichem Wege geschieht, gewissermaßen das Wirken von Wundern, das ohne das Zutun von natürlichen Kräften erfolgt. Darüber hinaus wird der Mensch durch den Glauben am ehesten in die Lage versetzt, um in Vollmacht Wunder zu wirken. Dies erklärt sich ebenfalls aus drei Gründen. Erstens: Wie oben bereits ausgeführt,171 ist damit, daß die Heiligen in Vollmacht Wunder tun, nicht gemeint, daß sie die hauptsächlichen Urheber der Wun171 Vgl De pot. q. 6 a. 4.

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der wären, sondern vielmehr, daß sie als göttliche Werkzeuge den Dingen der Natur gewissermaßen den Befehl Gottes übermitteln, welchem sich ja die Natur in den wunderhaften Geschehen fügt. Daß aber Gottes Wort in uns Wohnung nimmt, verdankt sich dem Glauben, in dem wir an der göttlichen Wahrheit teilhaben. Daher ist es der Glaube, der den Menschen in die Lage versetzt, Wunder zu tun. Zweitens: Die Heiligen, die in Vollmacht Wunder tun, handeln mit der Kraft Gottes, die in der Natur am Werk ist. Denn Gottes Wirken ist für die gesamte Natur das, was die Seele für den Körper ist. Nun verändert jedoch die Seele den Körper und das Gleichgewicht seiner natürlichen Grundlagen insbesondere im Fall einer hartnäckigen Einbildung, bei der sich der Körper infolge eines Begehrens bzw. im Zorn erwärmt und sogar Fieber oder Aussatz bekommt. Demnach versetzt dasjenige den Menschen in die Lage, Wunder zu tun, was seiner geistigen Kraft Festigkeit und Stärke verleiht. Dies aber ist das Werk eines starken Glaubens. Daher befördert die Stärke im Glauben besonders das Wirken von Wundern. Dies deckt sich mit dem, was in Mt. 21, 21 steht: »Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht nur das tun, was mit dem Feigenbaum geschah, sondern wenn ihr zu diesem Berg sagt: ›Heb dich hinweg und stürz dich ins Meer!‹, so wird es geschehen«; sowie mit Jak. 1, 6: »Er bitte im Glauben, ohne irgendwie zu zweifeln«. Drittens: Da Wunder, die in Vollmacht gewirkt werden, in Form eines Befehls ausgeführt werden, so befähigt insbesondere dasjenige jemanden zu solchen Wundern, das ihn in die Lage versetzt, einen solchen Befehl auszuüben. Dies leistet nun eine Trennung und Abwendung von dem, wem der Befehl gilt. Daher bemerkt auch Anaxagoras, daß der Geist unvermischt sein muß, wenn er Herrscher sein will. Nun ist es der Glaube, der den Geist vom Bereich der Natur und der Sinne abwendet und ihn im Geistigen gründen läßt. Daher befähigt der Glaube den Menschen dazu, in Vollmacht Wunder zu tun. Von daher kommt es auch, daß besonders diejenigen Tugenden hilfreich sind für das Wirken von Wundern, welche den Geist des Menschen von denjenigen Dingen abwenden, die im höchsten Grade der Materie verhaftet sind. Dies sind etwa die Selbstbeherrschung und die Enthaltsamkeit, die den Menschen von seinen Vorlieben Ab-

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stand nehmen läßt, durch die er sich an die sinnlichen Dinge bindet. Die anderen Tugenden hingegen, deren Ziel der rechte Gebrauch der zeitlichen Güter ist, sind nicht in dem Maße hilfreich für das Wirken von Wundern. Zu 1. Das Wirken von Wundern ist ein unverdientes Gnadengeschenk, das hier das unmittelbare Prinzip ist. Dem Glauben verdankt es sich aber, weil er es ermöglicht, daß man einer solchen Gnade teilhaftig werden kann. Zu 2. Auch wenn ein Sünder zuweilen Wunder tut, so liegt dies nicht an einem Verdienst von ihm – damit meine ich einen rechtmäßig erworbenen Verdienst –, sondern an einer bestimmten Übereinstimmung, insofern dieser Sünder weiterhin am Glauben festhält, zu dessen Bekräftigung Gott Wunder tut. Zu 3. Weil die Liebe die größere Tugend ist als der Glaube, so ermöglicht sie es dem Glauben, sich überhaupt Verdienste zu erwerben. Gleichwohl ist es für den Glauben eher charakteristisch, daß er sich auf besondere Weise das Verdienst erwirbt, Wunder zu wirken. Denn der Glaube ist die Vervollkommnung des Intellekts, dessen Vollzug darin besteht, daß die geistig erfaßten Dinge auf gewisse Weise in ihm auftreten. Dagegen ist die Liebe die Vervollkommnung des Willens, dessen Vollzug darin besteht, daß er nach einem Ding selbst strebt. Daher bringt die Liebe den Menschen zu Gott und läßt ihn eins werden mit ihm. Der Glaube hingegen bringt das Göttliche zu uns; daher heißt es von ihm in Hebr. 11, 1, daß er »die feste Grundlage dessen ist, was wir erhoffen.« Im übrigen geschehen Wunder zur Kräftigung des Glaubens, und nicht zur Kräftigung der Liebe. Zu 4. Wie ausgeführt, ist es grundsätzlich das Verdienst der Liebe, wenn Gebete erhört werden. Doch wenn im besonderen das Gebet um ein Wunder erhört wird, ist dies, wie gesagt, ein Verdienst des Glaubens. Zu 5. Wie eine Glosse zu der angeführten Stelle (Joh. 9, 31: »Wir wissen, daß Gott die Sünder nicht erhört«) bemerkt,172 spricht hier 172 Augustinus, In Ioannis evangelium tractatus XLIV, 13 (CCSL 36,

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ein Blinder, den noch nicht vollkommen die Weisheit erleuchtet hat. Daher ist dieser Satz falsch. Denn in seiner Großzügigkeit erhört Gott die Sünder zuweilen, auch wenn er dies nicht wegen eines Verdienstes von ihnen tut. Und genauso wie ihr Gebet – wenn auch nicht verdientermaßen – erhört wird, so wird manchmal das Gebet eines Gerechten nicht erhört und verdiente dies doch. Denn die Erhörung betrifft den Gegenstand einer Bitte, und das ist allein Sache der Gnade, während ein Verdienst den Glauben betrifft, durch den man sich Verdienste erwirbt und das eine Sache der Gerechtigkeit ist. Zu 6. Wie bereits gesagt, läßt die Liebe den Menschen mit Gott eins werden, indem sie ihn zu Gott hinzieht, während der Glaube das Göttliche zu uns herbringt. Zu 7. Der Neid hätte keine behexende Wirkung, wenn hier nicht eine hartnäckige Einbildung mit am Werke wäre. Zu 8. Dieses Argument weist nach, daß der Glaube sich durch die Liebe Verdienste erwirbt, und damit haben wir uns oben einverstanden erklärt. Im übrigen gilt das Argument für diejenigen Handlungen, die der Mensch aus eigener Kraft vollbringt und bei denen der Verstand den Willen lenkt, der seinerseits über die Kraft zur Ausführung dieser Handlungen verfügt. Bei solchen Handlungen hingegen, bei denen die göttliche Kraft die ausführende Instanz ist, genügt für deren Vollzug allein der Glaube, der auf die Kraft Gottes vertraut. Zu 9. Dieses Argument hat ein Wunder im Blick, das Gott gewirkt hat, der aus Liebe zu all dem bewegt wird, was er an seiner Schöpfung tut. So sagt auch Dionysius, daß es Gottes Liebe nicht duldete, daß er unfruchtbar bliebe.173 Wir aber sprechen hier von Wundern, insofern sie vom Menschen getan werden. Daher trifft das hier angeführte Argument nicht den Punkt. Zu 10. Die Hoffnung ist nicht im eigentlichen Sinne ausschlaggebend für das Wirken von Wundern. Denn die Hoffnung richtet sich auf das, was erst noch erreicht werden soll, und daher hat sie es ausschließlich mit der Ewigkeit zu tun. Doch der Glaube hat es mit der Ewigkeit und der Zeit zu tun, und daher kann er sich auf 173 Dionysius Areopagita, De div. nom. IV, 10 (Dion. I, 201).

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das richten, was getan werden soll. Aus diesem Grund wird in der hier herangezogenen Bibelstelle (Röm. 4, 18) zuerst die Hoffnung und dann der Glaube erwähnt, da es ja heißt: »Voller Hoffnung hat er geglaubt.« Zu 11. Die Hoffnung richtet sich auf etwas äußerst schwer Erreichbares, nicht auf etwas äußerst schwer Durchführbares. Zu 12. Die Hoffnung gilt der Macht Gottes in ihrer über alles erhabenen Herrlichkeit. Auf ihr Kommen richtet sich die Hoffnung. Doch auf die Macht Gottes im Sinne seiner Kraft, Wunder eintreten zu lassen, vertraut vor allem der Glaube. Zu 13. Die äußerliche Rechtschaffenheit verdankt sich dem Glauben, durch den die gesamte Kirche gerechtfertigt wird, entsprechend dem Wort in Röm. 3, 22: »die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus«. Zu 14. Tapferkeit im Ertragen von Qualen und Standhaftigkeit in ihrem Bekenntnis zeigten die Märtyrer aufgrund ihrer Glaubensstärke. Zu 15. Auch Enthaltsamkeit befördert das Wirken von Wundern, doch nicht in so grundlegender Weise, wie es der Glaube tut. Zu 16. Ständig mit seiner Ehefrau zusammenzuleben und dabei mit ihr keinen Beschlaf zu haben, ist etwas Schwieriges. Doch stellt dies im eigentlichen Wortsinn kein Wunder dar. Denn dies ist Sache einer kreatürlichen Kraft, nämlich eine Sache des freien Willens. Zu 17. Die Abträglichkeit von Wundern für diejenigen, die schlecht von ihnen sprechen, hebt nicht die Möglichkeit auf, daß Wunder den Glauben zumindest bei denen stärken, die eine wohlwollende Einstellung zu ihnen haben. Zu 18. Der Glaube von Petrus und Andreas wird lobend erwähnt wegen seiner Bedingungslosigkeit, die um so größer war, als bei ihnen in geringerem Ausmaß Anhaltspunkte für den Glauben vonnöten waren; und zu solchen Anhaltspunkten zählen selbstverständlich auch Wunder. Zu 19. Der Glaube stellt keinen zureichenden Grund für das Wirken von Wundern dar, sondern ist eine Art Voraussetzung dafür. Wunder geschehen vielmehr gemäß der Ordnung der göttlichen Vorsehung, die aus verschiedenen Anlässen und auf verschiedene Weise die passenden Mittel zum Heil des Menschen bereithält.

10. Artik el Die zehnte Frage lautet: Lassen sich die Dämonen durch sinnenund körperhafte Dinge, durch Taten oder Worte zum Wirken von Wundern zwingen, welche offensichtlich mit Hilfe der Magie geschehen?174 Dies scheint der Fall zu sein; denn: 1. Augustinus führt den Bericht des Porphyrius an, wonach ein Mann aus Chaldäa, der von Neid ergriffen war, geistige Kräfte heraufbeschwor und sie durch Gebete darauf verpflichtete, den Bitten von niemand anderem Gehör zu schenken.175 Und im 21. Buch desselben Werkes sagt er: »Zum ersteren [d. h. zur Beschwörung der Geister] wäre er außerstande gewesen, wenn er nicht von den Dämonen selbst davon unterrichtet worden wäre, was jeder von ihnen begehrt, was er verabscheut, unter welchen Namen man ihn anruft und dadurch herbeizwingt.«176 Folglich lassen sich die Dämonen von Magiern zu magischen Handlungen zwingen. 2. Wenn jemand etwas gegen seinen Willen tut, dann wird er dazu in irgendeiner Weise gezwungen. Nun tun die Dämonen etwas gegen ihren Willen, wenn sie von den Magiern heraufbeschworen werden. Ein Dämon will aber den Menschen zur Sünde verführen. Und doch wird jemand, den es durch Magie zu schändlicher Liebe treibt, durch eben diese Kunst von diesem ihm aufgezwungenen Trieb erlöst. Demnach lassen sich die Dämonen von den Magiern zu etwas zwingen. 3. Von Salomon heißt es, daß er mancherlei Teufelsaustreibungen vorgenommen hat, bei denen die Dämonen dazu gezwungen wurden, aus dem Körper der Besessenen zu fahren. Demnach unterliegen die Dämonen dem Zwang einer Beschwörung. 4. Wenn die Magier die Dämonen anrufen und diese dann auftauchen, dann gelingt dies entweder durch Lockungen oder durch Zwang. Doch nicht immer lassen sie sich mit Lockungen herbeirufen. Denn manchmal lassen sie sich durch etwas herbeirufen, was sie verabscheuen, so z. B. durch die Bitten von Jungfrauen, obwohl sie 174 Paralleltexte: Sum. theol. I, q. 113 a. 3 ad 3; q. 110 a. 4 ad 2 und ad 3. 175 Augustinus, De civ. Dei X, 9 (CCSL 47, 281 ff.). 176 Augustinus, De civ. Dei XXI, 6 (CCSL 48, 767 ff.).

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doch von sich aus die Menschen ständig zu unzüchtigem Beischlaf verführen wollen. Demnach werden die Dämonen zuweilen durch Zwang herbeigerufen. 5. Es ist das Bestreben der Dämonen, den Menschen von Gott abzubringen. Nun tauchen aber die Dämonen auch dann auf, wenn sie durch Worte herbeigerufen werden, die eine Ehrbezeugung gegenüber Gott zum Ausdruck bringen, so z. B. beim Preis von Gottes Herrlichkeit. Folglich tun sie so etwas nicht aus freien Stücken, sondern unter Zwang. 6. Wenn die Dämonen durch sinnliche Gegenstände angelockt werden, dann nicht so, wie Tiere von einem Fressen, sondern so, wie Geister durch Zeichen angelockt werden, die ihrer Begierde schmeicheln, also, wie Augustinus anmerkt, mittels bestimmter Steine, Kräuter, Hölzer, Tiere, Gesänge und Zeremonien.177 Nun lassen sich die Dämonen offensichtlich nicht durch Zeichen anlocken. Denn nur der läßt sich mittels von Zeichen anlocken, der von ihnen auch Gebrauch machen kann, und das ist freilich nur jemand, der über Sinne verfügt. Ein Zeichen ist ja etwas, was neben seiner äußeren Erscheinungsform, die auf die Sinne wirkt, noch etwas anderes zu verstehen gibt. Folglich können Dämonen in keiner Weise angelockt werden, sondern werden eher herbeigezwungen. 7. In Mt. 17, 14 sagt ein Mann zu Jesus: »Herr, erbarme dich meines Sohnes! Denn er ist mondsüchtig und leidet sehr darunter.« In Mk. 9, 16 spricht er aber: »Ich habe meinen Sohn zu dir gebracht, der einen stummen Geist hat.« Nun bemerkt die Glosse zu der Stelle aus dem Matthäusevangelium: »Markus spricht von einem Verstockten und Stummen, wo Matthäus von einem Mondsüchtigem spricht. Dies tut Matthäus nicht, weil der Mond im Dienst der Dämonen steht, sondern weil sich ein Dämon nach dem Lauf des Mondes richtet und dadurch die Menschen ins Verderben stürzt.«178 Offensichtlich werden also die Dämonen dadurch zu einer bestimmten Handlung gezwungen, daß sie sich nach den Himmelskörpern und anderen Körpern richten. 177 Augustinus, De civ. Dei XXI, 6 (CCSL 48, 767 ff.). 178 Beda Venerabilis, In Mattei evangelium expositio III, 17 (PL 92,

col. 82 B).

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8. Da die Dämonen durch ihren Hochmut zu Fall gekommen sind, ist es unwahrscheinlich, daß sie durch Dinge angelockt werden könnten, die ihre Stellung in Zweifel ziehen. Nun werden sie aber sowohl durch die Anrufung ihrer Macht heraufbeschworen als auch durch die unglaublichsten Lügen, die ihrem Wissen Hohn lachen. So bemerkt auch Augustinus im 10. Buch seines Gottesstaates, wo er Porphyrius anführt: »Warum sollte ein den verschiedensten Lastern verfallener Mensch den Dämonen drohen und sie durch Lügen erschrecken, um so aus ihnen die Wahrheit herauszupressen? Da wird nämlich gedroht, man werde den Himmel einreißen und ähnliche Menschen unmögliche Dinge tun, damit die Götter wie dumme Jungen durch solche lügnerischen und lächerlichen Drohungen erschreckt werden und tun, was man von ihnen verlangt.«179 Demnach werden die Dämonen nicht angelockt, sondern herbeigezwungen, sobald man sie anruft. 9. Es ist die Absicht der Dämonen, den Menschen zur Idolatrie zu verführen. Dies gelingt ihnen vor allem dadurch, daß ihr Geist in Bildern seinen Aufenthalt nimmt. Wenn sie jedoch nach ihrer Anrufung aus eigenem Antrieb auftauchen würden, dann würden sie stets bei einer solchen Anrufung auftauchen. Nun tauchen sie aber nur dann auf, wenn man ganz bestimmte Zeiten, Gesänge und Zeremonien für diese geweihten oder vielmehr entweihten Bilder befolgt. Dämonen werden also nicht angelockt, sondern herbeigezwungen, sobald man sie anruft. 10. Zuweilen werden Dämonen mittels magischer Künste angerufen, um die Menschen zu schändlichem Geschlechtsverkehr zu bringen. Doch dies betreiben die Dämonen auch aus eigenem Willen. Man bräuchte sie also für eine solche Tat nicht anzulocken, wenn sie so etwas nach ihrer Anrufung immer täten. So etwas tun sie jedoch nicht jedes Mal. Wenn sie also so etwas tun, dann werden sie nicht angelockt, sondern herbeigezwungen, sobald man sie anruft. dagegen spricht: 1. In Hiob 41, 25 heißt es: »Es gibt auf Erden keine Kraft, die sich mit ihm« – d. h. mit dem Teufel – »vergleichen ließe«. Nun wird eine 179 Augustinus, De civ. Dei X, 11 (CCSL 47, 285).

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größere Kraft nicht durch eine kleinere bezwungen. Folglich können die Dämonen durch nichts auf Erden herbeigezwungen werden. 2. Jemanden anzurufen und jemanden herbeizuzwingen, ist nicht das Gleiche. Angerufen werden nach Porphyrius nämlich Höhergestellte, während man Untergebenen einen Befehl erteilt. Die Dämonen tauchen aber auf, sobald man sie anruft. Folglich werden sie nicht herbeigezwungen. 3. Nun könnte man einwenden: Mit Hilfe von Gottes Kraft werden sie herbeigezwungen. – Dem ist zu erwidern: Die Dämonen mit Hilfe von Gottes Kraft herbeizuzwingen, ist ein Geschenk der Gnade, mit dem sich die Anordnung der himmlischen Mächte erfüllt. Ein solches Gnadengeschenk wird aber Ungläubigen und verruchten Menschen, wie es die Magier sind, nicht zuteil. Demnach können sie auch nicht mit Hilfe von Gottes Kraft Dämonen herbeizwingen. 4. Es ist keine Sünde, das zu tun, was in erster Linie durch Gottes Kraft zustande kommt, und dazu gehört auch das Wirken von Wundern. Wenn also die Magier durch göttliche Kraft die Dämonen herbeizwingen würden, dann wäre dies keine Sünde. Dies ist offensichtlicher Unsinn. Demnach werden die Dämonen in keiner Weise durch Magie herbeigezwungen. antwort: Über die Wirksamkeit der Magie gibt es vielerlei Ansichten. (A) Nach der Auffassung von manchen Autoren, z. B. von Alexander,180 verdanken sich magische Wirkungen denjenigen Möglichkeiten und Kräften, die in den Dingen hier unten geweckt werden können mittels der Kraft bestimmter Körper und unter Berücksichtigung der Himmelsbewegungen. Daher war, wie Augustinus berichtet,181 Porphyrius der Überzeugung, der Mensch könne auf Erden mittels von Kräutern, Steinen, Tieren, bestimmten Tönen und Lauten, mittels bestimmter Figuren und Bilder, sowie durch die Beobachtung der Sternbewegungen bei der Himmelsrotation

180 Alexander von Aphrodisias, De fato VI; 169, 22 ff. (ed. Zierl, 36 ff.). 181 Augustinus, De civ. Dei X, 1 (CCSL 47, 271 f.).

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Kräfte freisetzen, die zur Entfaltung verschiedener Wirkungen der Gestirne taugen. Diese Ansicht ist jedoch offensichtlich unhaltbar. Zwar sind die Kräfte der natürlichen Körper der oberen und der unteren Welt durchaus zu etwas der Lage, was wie Magie aussieht, so etwa zu bestimmten Veränderungen in den Körpern. Gleichwohl gibt es Dinge, die durch Magie geschehen und zu denen sich keine körperhafte Kraft imstande sieht. Nun ist es eine bekannte Tatsache, daß Sprache Geist erfordert. Durch Magie werden aber Stimmen, die Antwort geben, vernehmbar. Diese müssen daher zwangsläufig von etwas Geistigem herrühren, zumal man durch solche Antworten von mancherlei Geheimnissen erfährt. Man kann sich nun nicht mit der Erklärung begnügen, daß hier auf die Vorstellung einfach dadurch Einfluß genommen würde, daß ihr etwas vorgegaukelt wird. Denn dann wären diese Stimmen nicht von allen, die dabei zugegen sind, vernehmbar, und auch nicht von Leuten, die sich im wachen Zustand befinden und ihre Sinne beisammen haben. Daher bleibt nur die Möglichkeit, daß diese Stimmen entweder von der Seele eines Menschen herrühren, der sich der Magie bedient, oder aber von etwas, das von außen kommt und mit Geist begabt ist. (a) Das Erstere ist jedoch aus zwei Gründen unmöglich. Einmal deswegen, weil die Seele des Menschen aus eigener Kraft zu einer Erkenntnis von Unbekanntem nur über bereits Bekanntes gelangen kann. Daher steht es nicht in der Macht des menschlichen Willens, verborgene Dinge offenbar zu machen, wie es die Magie tut, da die Prinzipien des Verstandes nicht dafür ausreichen. Zum anderen deswegen, weil die Seele eines Magiers nicht auf Beschwörungen und andere äußerliche Mittel zurückgreifen müßte, wenn sie solche Wirkungen aus sich heraus zustande brächte. (b) Es steht damit fest, daß sich solche magische Wirkungen bestimmten Geistern von außerhalb verdanken, freilich nicht rechtschaffenen und guten Geistern – und dies aus zwei Gründen. Einmal deswegen, weil die guten Geister keinen Umgang mit solch verruchten Menschen pflegen, wie es in der Regel diejenigen sind, die die Magie praktizieren. Zum anderen deswegen, weil sie dem Menschen

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keine Hilfestellung geben bei einem unerlaubten Tun, wie es die Magie in der Regel ist. Es bleibt also nur die Möglichkeit, daß dafür die bösen Geister – oder wie wir sie nennen: die Dämonen – verantwortlich sind. Wie leicht einzusehen ist, können diese Dämonen nun auf zweierlei Weise herbeigezwungen werden: zum einen durch eine höhere Macht, die Zwang auf ihr Handeln ausübt; zum anderen durch Anlockung in dem Sinne, wie Menschen zu dem gezwungen werden, wozu sie ihre Begierde verlockt. In beiden Fällen jedoch können die Dämonen an und für sich nicht mittels von körperhaften Dingen herbeigezwungen werden, es sei denn man unterstellt, daß die Dämonen Körper aus Luft besitzen, mit denen sie eine natürliche Einheit bilden, und daß sie mithin sinnliche Empfindungen haben wie andere Lebewesen auch. So war ja auch Apuleius der Meinung, daß die Dämonen Lebewesen mit einem Körper aus Luft und mit einer Seele seien, die für Eindrücke empfänglich ist.182 In diesem Falle könnten sie ja durch die Kraft eines Körpers in zweifachem Sinne herbeigezwungen werden: sowohl durch die Kraft der Himmelskörper, durch deren Wirken sie dann bestimmten Einflüssen unterliegen würden, als auch durch die Kraft eines niederen Körpers, an dem sie Gefallen fänden. So sagt ja auch Apuleius, daß sie Gefallen haben am Rauch der Opfergaben und dergleichen Dingen. Die Unsinnigkeit dieser Auffassung ist in den vorangegangenen Untersuchungen festgestellt worden. (B) Es bleibt also nur die Möglichkeit, daß die Dämonen, mit deren Hilfe die Magie praktiziert wird, sowohl herbeigezwungen als auch angelockt werden. Herbeigezwungen werden sie von einer höheren Macht: teils von Gott selbst, teils mit Gottes Macht von heiligen Engeln und Menschen. Denn es ist ja nach allgemeiner Auffassung die Aufgabe des Engelsranges der Mächte,183 die Dämonen im Zaum zu halten. Wie aber die Heiligen an der Begabung des Engelsranges der Gewalten teilhaben, Wunder zu wirken, so haben sie auch teil an der Begabung der Mächte, Dämonen auszutreiben. Zuweilen werden die Dämonen aber auch von höherstehenden Dä182 Zit. bei Augustinus, De civ. Dei VIII, 16 (CCSL 47, 233 f.). 183 Augustinus, De trin. III, 4 (CCSL 50, 136).

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monen herbeigezwungen, und nur in diesem Fall können sie durch magische Künste herbeigezwungen werden. Daneben lassen sie sich aber auch sozusagen durch die Verlockungen der Magie herbeizwingen, jedoch nicht wegen der körperhaften Dinge als solchen, die hierbei zum Einsatz kommen, sondern weil diese körperhaften Dinge noch einem anderen Zweck dienen. Dies hat seinen Grund erstens darin, daß sie sich bewußt sind, mit Hilfe dieser körperhaften Dinge leichter das ausrichten zu können, weswegen sie angerufen werden. Dies kommt ihnen ja auch gelegen, denn dadurch erscheint ihre Kraft als wundertätig. Von daher tauchen sie auch lieber auf, wenn man sie bei einer bestimmten stellaren Konstellation anruft. Der zweite Grund ist der, daß diese körperhaften Dinge Zeichen für bestimmte geistige Dinge sind, an denen die Dämonen ihren Gefallen finden. Daher bemerkt ja auch Augustinus, daß die Dämonen von diesen Dingen zwar nicht so angelockt werden wie die Tiere vom Fressen, sondern so wie Geister von Zeichen.184 Denn da die Menschen zum Zeichen ihrer Ehrerbietigkeit gegenüber Gott Opfergaben bringen und sich niederwerfen, so haben die Dämonen ihre Freude daran, wenn man ihnen Verehrung in Form von Zeichen entgegenbringt. Anlocken lassen sich aber die einzelnen Dämonen mit unterschiedlichen Zeichen, welche ihren unterschiedlichen Lastern besonders behagen. Drittens werden sie durch diese körperhaften Dinge angelockt, weil diese die Menschen zur Sünde verführen. Daran liegt es auch, daß sie durch Lügen und durch das angelockt werden, was den Menschen zu Irrtum und zur Sünde verleiten kann. Zu 1. Im Hinblick auf die eben angeführten Weisen trifft die Behauptung zu, daß die Dämonen sich durch Magie herbeizwingen lassen. Zu 2. Die Dämonen sind schon damit zufrieden, wenn es ihnen durch die Verhinderung eines Übels bzw. durch die Beförderung von etwas Gutem leichter gelingt, die Menschen so weit zu bringen, daß diese vertrauten Umgang mit ihnen haben und ihnen Bewunderung 184 Augustinus, De civ. Dei XXI, 6 (CCSL 48, 766 ff.).

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entgegenbringen. Nach 2 Kor. 11, 14 tarnen sich die Dämonen sogar als Engel des Lichts. Zu 3. Falls Salomon die Teufelsaustreibungen zu der Zeit vorgenommen hat, als er im Stand des Heils war, war es sehr wohl möglich, daß sich bei diesen Teufelsaustreibungen seine Kraft, die Dämonen zu bannen, der Kraft Gottes verdankte. Falls er sie aber zu der Zeit vorgenommen hat, als er noch Götzen anbetete, so daß man annehmen muß, er habe sie durch Magie vollbracht, dann hatte er bei diesen Teufelsaustreibungen jedoch nur in dem oben angegebenen Sinn die Kraft, die Dämonen zu bannen. Zu 4. Nach einer Anrufung durch Jungfrauen tauchen die Dämonen auf, um damit die Menschen in dem Glauben zu wiegen, sie wären Götter und hätten Gefallen an der Reinheit. Zu 5. Wenn die Dämonen auch beim Preis von Gottes Herrlichkeit erscheinen, dann wollen sie damit zu verstehen geben, daß sie nicht völlig von Gottes Gerechtigkeit ausgenommen sind. Denn sie streben ja nicht nach Göttlichkeit, weil sie Gott dem Allerhöchsten in allem gleich werden möchten. Vielmehr haben sie ihre Freude daran, wenn die Menschen ihnen an Gott vorbei göttliche Verehrung entgegenbringen. Zu 6. Man kann nicht sagen, die Dämonen würden mittels von Zeichen angelockt, weil diese ihnen selbst von Nutzen seien. Weil aber bei den Menschen der Gebrauch von Zeichen üblich ist, so haben sie ihren Gefallen an den Zeichen, welche die Menschen zum Ausdruck eines Inhaltes verwenden. Zu 7. Wie die Glosse an derselben Stelle bemerkt, setzen die Dämonen den Menschen in bestimmten Mondphasen mehr zu, um dadurch die Geschöpfe Gottes in den Ruf zu bringen, sie wären Diener von Dämonen, und um so die Menschen irre zu führen. Zu 8. Auch wenn solche Lügen die Macht der Dämonen zu mindern scheinen, so ist es ihnen doch willkommen, wenn die Menschen an diese Lügen glauben. Denn der Teufel selbst ist voller Lüge und ihr Vater. Zu 9. In Bildern nehmen die angerufenen Dämonen ihren Aufenthalt zu bestimmten Zeiten und mittels von bestimmten Zeichen, und zwar aus Gründen, die vorhin angegeben worden sind.

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Zu 10. Zwar wollen die Dämonen die Menschen stets zur Sünde verführen. Doch versuchen sie dies um so mehr dann, wenn die Menschen einen größeren Antrieb dazu haben und wenn die Aussicht besteht, daß eine größere Anzahl von ihnen zur Sünde verführt werden kann.

NACHWORT 1

Der hier vorgelegte zweite Teilband von »De potentia« umfaßt den zweiten großen Abschnitt dieses Werkes in deutscher Übersetzung und hat die folgenden Quaestionen zum Inhalt: Quaestio IV: Die Erschaffung der formlosen Materie (2 Artikel) Quaestio V: Gottes Erhaltung der Dinge am Sein (10 Artikel) Quaestio VI : Wunder (10 Artikel) Bereits diese erste Übersicht macht ein gravierendes Problem augenfällig, vor das sich wohl jeder Leser und Interpret dieses Abschnittes früher oder später gestellt sieht: Offenbar verhandeln diese drei Quaestionen eine bunte Palette von Einzelfragen, ohne daß sie eine thematische Geschlossenheit, geschweige denn eine enge Verbindung mit dem Generalthema der potentia divina erkennen lassen. So steht hier etwa neben der Frage, ob die Himmelsbewegung einmal aufhören wird (q. 5 a. 5), auch zur Debatte, ob die Engel bzw. die Dämonen körperhafte Gestalt annehmen können (q. 6 a. 7). Sieht man etwas genauer zu, dann ist jedoch unverkennbar, daß diese drei Quaestionen Fragen weiterführen und vertiefen, die Thomas bereits in Quaestio III eingehend erörtert hat. Vorab sei deshalb umrissen, welche die leitenden Gesichtspunkte sind, unter denen die Quaestionen IV–VI jeweils an das in der dritten Quaestio Erarbeitete anknüpfen. 1 Für allgemeine Bemerkungen zur Textkonstitution und zur Übersetzung von »De potentia«, zum Gesamtaufbau und zum Gliederungsprinzip dieser Schrift siehe mein Nachwort zum ersten Teilband, v. a. 311–319. – Wie im ersten Teilband sind auch hier diejenigen Stellen in den Fußnoten eigens vermerkt, an denen meine Übersetzung vom lateinischen Text der Marietti-Ausgabe abweicht und sich am noch unpublizierten Text der »Editio Leonina« orientiert. Dem Vorsitzenden der »Commissio Leonina«, Herrn Dr. P. Adriano Oliva OP, sei wiederum ganz herzlich gedankt für seine bereitwilligen Auskünfte zu Textproblemen und zu Fragen bei Quellennachweisen.

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Nachwort

I. Die Quaestionen IV–VI im Gesamtaufbau von »De potentia« 1. Im Zentrum von Quaestio III stand das göttliche Schöpfungsvermögen (potentia creandi). Dort hatte Thomas aufgezeigt, daß der Schöpfungsakt völlig zeitfrei zu denken ist und daß daher die Erschaffung des Weltganzen auch nicht als eine verlaufshafte Veränderung (mutatio) vorgestellt werden kann, welche sich an einer bereits vorliegenden Materie vollzieht (q. 3 a. 2 c.). Vielmehr geht auch die Materie selbst erst in diesem Schöpfungsakt hervor. Nun spricht aber der biblische Bericht (Gen. 1, 1–23) unleugbar und mit seinem vollen autoritativen Gewicht davon, daß die Welt innerhalb von sechs Tagen erschaffen worden ist. Geschildert wird hier offenbar die allmähliche Entstehung einer Ordnung, der ein zunächst völlig formloser Zustand der Materie vorangeht und die sich dann sukzessiv, Schöpfungstag für Schöpfungstag, entfaltet. Quaestio IV behandelt nun ausführlich dieses Problem: Kann es überhaupt diesen Urzustand einer gänzlich formlosen Materie gegeben haben und, wenn ja, bringt die biblische Rede von sechs Schöpfungstagen dann die schrittweise Formung einer ersten, formlosen Materie zum Ausdruck? Wird damit aber nicht das Theorem eines völlig zeitenthobenen Schöpfungsaktes hinfällig oder zumindest fragwürdig? Streng genommen wären diese sechs Tage nämlich keine Schöpfungstage mehr; der Schöpfungsbericht böte vielmehr eine bilderreiche Erzählung davon, daß nach der Erschaffung der ersten Materie sich das Weltganze mit Gottes Zustimmung zu seiner gegenwärtigen Form nach Plan entwickelt hat. Daher stellt sich Thomas hier der Aufgabe einer lectio difficilior des Schöpfungsberichtes: Es geht ihm nicht einfach darum, den alttestamentarischen Schöpfungsbericht als einen naturphilosophischen Traktat über die Urgeschichte unserer Welt lesbar zu machen. In Quaestio IV geht es Thomas vielmehr um die Aufrechterhaltung einer begrifflich konsistenten Rede von einer zeitfreien Schöpfung angesichts der biblischen Zeitangaben. 2. In Quaestio III hatte Thomas aufgezeigt, daß die Annahme einer zeitlich unbegrenzten Dauer (sempiternitas) der Welt zwar logisch nicht ausgeschlossen werden kann, daß diese Annahme

Nachwort

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aber zugleich keinen ernsthaften Einwand gegen den christlichen Glauben an die Erschaffenheit der Welt darstellt. Die These von der Ewigkeit der Welt braucht daher auch nicht aus schöpfungstheologischen Erwägungen heraus argumentativ widerlegt werden. Den Grund dafür sieht Thomas einerseits darin, daß sich der Schöpfungsakt überhaupt nicht in zeitlichen Kategorien fassen läßt, und andererseits darin, daß selbst eine unendlich andauernde Zeit nicht automatisch ihren kreatürlichen Charakter einbüßt (q. 3 a. 16–17): Die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Zeit selbst erschaffen worden ist, ist eine müßige, da unklärbare Frage, deren Unklärbarkeit ihrerseits aber durchaus noch eingesehen werden kann. Da der Anfang der Zeit unmöglich innerhalb der Zeit liegen kann, ist über ihre Anfangslosigkeit auch nicht im Falle ihrer unendlichen Dauer endgültig entschieden. Mit diesen Überlegungen schafft Thomas Platz für den Glauben, der er sich sozusagen leisten kann, im Schöpfungsakt den Grund für die Anfangshaftigkeit der Welt (novitas mundi) zu sehen. Diese Glaubenstatsache einer Anfangshaftigkeit der Welt besagt allerdings noch nicht, daß die zeitliche Dauer der Welt auch ein Ende finden muß. Einmal eingerichtet, könnten sich die kosmischen Prozesse dank der ihnen verliehenen Gesetzmäßigkeit zeitlich unbegrenzt am Sein erhalten.2 Hier zeigt sich die Kehrseite von Thomas’ Auffassung, der zufolge sich das Erschaffensein der Welt mit ihrer zeitlich ewigen Dauer vereinbaren läßt: Das Erschaffensein der Welt als solches ist kein schlagendes Argument gegen ihre künftig unbegrenzte Dauer. An dieses Problem knüpft nun die Quaestio V mit ihrer Leitfrage an, ob die erschaffene Welt überhaupt ein Ende haben kann oder nicht. Um in dieser Frage Klarheit zu bekommen, müssen aber zunächst einmal mögliche Gründe für die künftige Endlichkeit bzw. 2 Vgl. auch H. Heimsoeth, »Zeitliche Weltunendlichkeit und das Problem des Anfangs. Eine Studie zur Vorgeschichte von Kants Erster Antinomie«, in: ders., Studien zur Philosophiegeschichte, Köln 1961, 269–292; hier 278: »Bei allem Vorwalten des ›Anfangs‹-themas […] steht doch immer zugleich auch die Möglichkeit unendlich-künftigen Weltseins und -werdens zur Diskussion.«

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Nachwort

Unendlichkeit der Welt namhaft und einsichtig gemacht werden. Aus welchem Grund also sollte Gott das von ihm Erschaffene wieder zunichte machen bzw. auf ewig am Sein erhalten? In Quaestio V diskutiert Thomas eine Reihe von solchen Gründen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die unbestreitbare Tatsache, daß das Weltganze wesentlich durch Bewegung gekennzeichnet ist. Bewegung, zumal geordnete Bewegung, ist aber nur verständlich und erklärbar durch das Ziel, auf das sie sich richtet. Damit ist für Thomas auch klar, daß der Grund für das Aufhören bzw. für den Erhalt dieser Bewegung in ihrem Ziel zu suchen ist: Die Bewegung des Weltganzen geht weder einfach immer weiter noch hört sie irgendwann einfach wieder auf. Worin liegt aber dieses Ziel? Liegt es in der Himmelsbewegung selbst – in der Aufrechterhaltung der kosmischen Ordnung – oder dient die Himmelsrotation der Erreichung eines Zieles, das nicht in ihr selbst liegt? In der Frage nach dem künftigen Ende der Welt steuert Thomas also nicht sogleich und unbeirrbar auf biblisch verbürgte eschatologische Feststellungen zu, indem er mögliche Alternativen zu diesen Feststellungen scheuklappenartig aus dem Blick verliert. 3. Daß den natürlichen Vorgängen ein Eigenrecht und auch eine Selbständigkeit zukommt, schmälert, so hatte Thomas in der dritten Quaestio gezeigt, nicht die Allmacht Gottes (q. 3 a. 5–7). Gott bleibt nicht einfach nur Herr der Lage, selbst wenn er gewisse Rechte an das Erschaffene sozusagen veräußert und abgetreten hat.3 Für Thomas zeigt sich die Allmacht Gottes vielmehr gerade daran, daß Gott die Selbständigkeit des Erschaffenen nicht nur zuzulassen, sondern auch zu erhalten vermag. Dies bedeutet freilich nicht, daß Gott selbst an die von ihm erschaffenen Naturgesetze gebunden ist. Gottes Allmacht kann sich ›rein theoretisch‹ über die regelmäßig ablaufenden Vorgänge in der Natur hinwegsetzen – das liegt bereits im Begriff der Allmacht. 3 Zur Frage nach dem Verhältnis zwischen göttlicher Allmacht und der Autonomie von Naturprozessen vgl. neuerdings auch D. Perler/U. Rudolph, Occasionalismus. Theorien der Kausalität im arabisch-islamischen und im europäischen Denken, Göttingen 2000 (= Abh. Akad. der Wiss. Göttingen, Phil.-hist. Kl. 235), besonders 127–156 (zu Thomas).

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Was besagt es aber, daß Gott sich über die Natur »hinwegsetzen« kann? Heißt dies, daß Gott seine Allmacht gegen seine Schöpfung ausspielen kann, deren Eigenrecht sich dann doch nur als ein vermeintliches entpuppt? Leistet sich Gott zuweilen Eingriffe, die das natürliche Weltgeschehen im Einzelfall nachbessern, oder gar Übergriffe, die das Ordnungsgefüge des Weltganzen außer Kraft setzen? Zum Prüfstein solcher Fragen wird insbesondere das Phänomen der Wunder, die wie kein anderes göttlich gewirktes Geschehen das Eigenrecht der rational einsehbaren Prozesse in der Natur in Frage stellen und die im Zentrum von Quaestio VI stehen. Auch bei dieser Frage, die sich Wundergeschehen widmet, wird Thomas die ›irrationalen‹ Aspekte dieses Themas so fassen, daß sie keine fideistische Wundersucht begünstigen, sondern eine konsistente Einsicht in den berechtigten Glauben an gottgewirkte Wunder ermöglichen. Auf sein Ganzes gesehen, bündelt also dieser zweite Abschnitt von »De potentia« die Themen des Anfangs und des Endes der Welt sowie des dazwischen liegenden Weltenlaufes unter dem Gesichtspunkt der schöpferischen Allmacht Gottes.

II. Einige Grundgedanken in den Quaestionen IV−VI Quaestio IV besitzt zwar nur zwei, dafür aber sehr umfangreiche Artikel, die zudem nicht vollständig aus der Feder des Thomas stammen. Dessen eigener Text bricht im corpus des zweiten und letzten Artikels ab.4 Nur die solutiones zu den einzelnen Argumenten des zweiten Artikels hat Thomas demnach nicht mehr geschrieben.5 Vom formalen Aufbau einer Quaestio her gesehen, hat Thomas damit zwar den Großteil von Quaestio IV selbst verfaßt. Jedoch im 4 Die Textpassagen in diesem corpus articuli, die noch von Thomas selbst stammen, umfassen etwas mehr als eine Druckseite in der vorliegenden Übersetzung. 5 Ob das corpus des zweiten Artikels weitaus umfangreicher ausgefallen wäre, wenn Thomas diese Quaestio vollendet hätte, ist nicht eindeutig zu entscheiden, da die Ausführungen im corpus wesentlich davon abhängen, was Thomas in den ungeschriebenen Antworten hätte zur Sprache bringen wollen.

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Nachwort

Hinblick auf die Textmasse geht mehr als die Hälfte dieser Quaestio auf das Konto von Vincentius Bandellus de Castronovo, der das corpus articuli erheblich erweitert und die fehlenden solutiones ergänzt hat.6 An diesem quantitativen Verhältnis zeigt sich bereits das hauptsächliche Charakteristikum dieser Ergänzung: Vincentius’ Antworten zu den 34 (!) Argumenten und zu den 10 Gegenargumenten des zweiten Artikels wachsen sich nicht selten zu kleinen Traktaten aus, die es an Umfang mit einem durchschnittlichen corpus articuli innerhalb von »De potentia« aufnehmen können. Deutlich bemerkbar macht sich hierbei eine penible Ausführlichkeit, ja Übergenauigkeit und Ängstlichkeit des Bearbeiters gegenüber der Vorlage des berühmten Autors. Dies führt dazu, daß Vincentius’ Text zahlreiche, fast wortgleiche Wiederholungen und umständliche Formulierungen aufweist und daß ihm daher eine gewisse loquacitas nicht abzusprechen ist. So schadet diese Ergänzung dem Thomasischen Text 6 Soweit sich dies eruieren ließ, wird in der der ersten Gesamtausgabe von Thomas, der sog. »Editio Piana« (Opera omnia gratiis privilegiisque Pii V Pont. Max., Vol. VIII, Romae 1570) auch zum ersten Mal vermerkt, daß Vincentius de Castronovo die fehlenden Teile von Quaestio IV ergänzt hat. Alle späteren Ausgaben übernehmen diese Angabe und behalten den Text von Vincentius bei. Gleiches gilt auch für die Übersetzungen in moderne Sprachen. Im Index thomisticus ist diese Ergänzung ebenfalls eingearbeitet. Dies ist der Grund, warum auch in dieser Übersetzung der Text von Vincentius berücksichtigt wurde. – Vincentius Bandellus de Castronovo OP (Vincenzo Bandello di Castelnuovo OP) wurde 1435 in Castelnuovo Scrivia (Piemont) geboren und starb 1506 in Altomonte (Kalabrien). Er war der Onkel des bekannten Dichters Matteo Bandello (1484–1561) und bekleidete hohe Ämter in seinem Orden, zunächst als Prior des Dominkanerkonvents von Santa Maria delle Grazie in Mailand und als Generalvikar der lombardischen Ordensprovinz. Im Jahr 1501 wurde er dann zum General seines Ordens gewählt. Während seines Priorats (1495–1501) entstand übrigens Leonardos berühmtes »Abendmahl« im Refektorium des Klosters. Innerhalb der quaestiones disputatae findet sich noch eine weitere Fortsetzung eines unvollständigen Thomasischen Textes durch Vincentius: Es sind dies die solutiones der Argumente 9 bis 21 in q. 1 a. 2 von »De virtutibus«. Ein Werkverzeichnis von Vincentius ist leicht greifbar unter: www.alcuin.de.

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zwar nicht, sie bringt aber über das von Thomas bis dato Gesagte nicht viel oder gar entscheidend Neues bei. Thomas selbst hat die Sache, um die es ihm in Quaestio IV geht, so weit vorangetrieben, daß sie auch noch in der Form, wie sie uns Thomas hinterlassen hat, verständlich bleibt. Der Sache nach dreht sich Quaestio IV um die erste, vollständig formlose Materie, von der offensichtlich gleich im zweiten Vers des biblischen Schöpfungsberichtes die Rede ist.7 Zunächst sucht Thomas zu klären, ob dieser amorphe Zustand der Wüste und Leere, mit dem der Schöpfungsbericht einsetzt, auch in einem zeitlichen Sinn der erste ist. Ging also bei der Erschaffung der Welt ein formloser Zustand ihrer Formung zeitlich voraus (q. 4 a. 1)? Für eine solche zeitliche Vorgängigkeit der ersten Materie scheint nun zu sprechen, daß die Materie dasjenige Prinzip des Werdens benennt, woraus etwas entsteht (principium ex quo). Sie ist diejenige Instanz, an der Gegensätze, und damit auch derjenige Gegensatz von ›ungeformt‹ und ›geformt‹, allererst auftreten können (q. 4 a. 1 arg. 6 s. c.). Bei einem Werdeprozeß treten jedoch gegensätzliche Zustände nicht gleichzeitig, sondern nacheinander an einem Substrat auf. Wenn es daher der biblischen Überlieferung zufolge einen chaotischen Zustand am Anfang der Welt gegeben hat, so muß auch dieser anfängliche Zustand ein materiales Substrat – eben die erste, formlose Materie – zu seiner Grundlage haben. Allerdings kann dieser anfängliche Zustand höchstens privativ, als völlig formlos, umschrieben werden. Der Zustand dieser Materie ist damit kein direkt beschreibbarer Zustand, da an der reinen Materie keine weitere Bestimmung auftritt. Von einer Zuständlichkeit als einer Seinsweise der ersten Materie kann demnach streng genommen keine Rede sein. Die biblische Rede vom chaotischen Zustand der Erde und der Wasser scheint denn auch auf eine bereits elementarische Formung der Materie zu Beginn der Schöpfung hinzudeuten: Alles, was ins Sein tritt, ist auch schon in irgendeiner Weise geformt, und sei es noch so rudimentär wie im Falle der Elemente Erde und 7 Vgl. Gen. 1, 1 f.: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war aber wüst und leer. Finsternis lag über dem Abgrund, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.«

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Wasser. Gerade an den im biblischen Bericht erwähnten Wassern (Gen. 1,2) entzündet sich bereits in den argumenta, also noch im Vorfeld des corpus articuli, eine Diskussion über deren geformten oder ungeformten Zustand.8 Diese Diskussion vollzieht sich dabei mit einer spitzfindigen Hartnäckigkeit, so daß sich der Leser bisweilen nur schwer des Eindrucks erwehren kann, diese vierte Quaestio über die Erschaffung der formlosen Materie mutiere langsam, aber sicher zu einer quaestio de aquis. Bevor sich Thomas jedoch auf diese Einzelfragen in seinen solutiones einläßt, kommt er im corpus articuli zu prinzipiellen Feststellungen, die den Blick glücklicherweise (so zumindest aus einer modernen Perspektive) wieder weiten. Wenn die göttlich inspirierte Hl. Schrift einen unerschöpflichen Reichtum an Verständnismöglichkeiten bietet, dann ist dieser Umstand für Thomas noch keine Rechtfertigung dafür, daß jeder noch so offensichtliche Unsinn aus ihr abgeleitet und begründet werden kann. Auch die Frage nach dem anfänglichen Stadium der Schöpfung hat für Thomas daher zwei Aspekte: denjenigen der sachlichen Wahrheit selbst und denjenigen, im welchem Sinn die Hl. Schrift von diesem Zustand spricht. (a) Wie es der Sache nach um diesen anfänglichen Zustand der Schöpfung in Wahrheit bestellt ist, kann durchaus unabhängig von der biblischen Rede formuliert und durchdacht werden. Dies schützt den Interpreten vor einer Naivität, die in Borniertheit umschlägt, wenn er seine eigenen unausgegorenen Annahmen sogleich in der Hl. Schrift ›bestätigt‹ sieht und dadurch für immun gegen unstrittige Einwände hält. Mit einem solchen Vorgehen macht dieser Interpret nicht nur sich selbst bei seinen Gegnern lächerlich, sondern vor allem auch die Hl. Schrift, die er für die eigenen Belange instrumentalisiert. Bei der Frage nach dem anfänglichen Zustand der Welt darf also ruhig kritisch gedacht und unabhängig von der biblischen Vorgabe eine selbständige Position erarbeitet werden. (b) Kollidiert jedoch eine argumentativ erarbeitete Antwort auf jene Frage mit der Hl. Schrift, dann sollte dies nach Thomas nicht zu 8 Vgl. De pot. q. 4 a. 1 arg. 2, 5–6, 11, 14, 17–20. Gleich viermal meldet sich hier der opponens in der Frage nach dem anfänglichen Zustand jener Wasser mit einem »sed diceretur« zu Wort.

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der übereilten Schlußfolgerung verleiten, die Hl. Schrift verbreite offensichtliche Irrtümer. Dies meint kein sacrificium intellectus dort, wo ein Argument gegen die Aussage der Bibel steht. Vielmehr trägt Thomas hiermit dem Umstand Rechnung, daß die Hl. Schrift mannigfache wahre Verständnismöglichkeiten bereithält und zuläßt. Dies erschwert zwar eine interpretatorische Festlegung auf einen einzigen wahren Sinn; es verhindert aber zugleich, daß mit der sachlich fundierten Widerlegung einer Verständnismöglichkeit des Schöpfungsberichtes dieser selbst ein für alle Male erledigt ist. Es darf also mit der Bibel ruhig weiter, über eine einmal erarbeitete selbständige Position in jener Frage hinaus, gedacht werden. Thomas verteidigt somit die Wahrheit der Hl. Schrift sowohl gegen ihre vorschnellen Verächter, die einen ihrer eigenen Gedanken dort nicht wiederfinden können, als auch gegen ihre naiven Liebhaber, die alle ihre eigenen Intuitionen dort wiederzufinden glauben. Aus diesen Gründen legt sich Thomas in der Frage nach einem anfänglich formlosen Zustand der Welt nicht fest. Dies ist keine Verlegenheitslösung, sondern Thomas sieht darin die Lösung für mehrere Probleme zugleich. (a) Der Sache nach kann es keinen Zustand der Materie gegeben haben, der in einem zeitlichen Sinn ›noch‹ ohne jegliche Formbestimmtheit auskommt. Wirkliches Sein hat die Materie nur, wenn sie, und sei es noch so diffus, bestimmt und damit geformt ist. Demnach läßt sich allenfalls sagen, daß die Materie in der sachlichen Rangfolge (ordine naturae) einer Form vorangeht: Es muß eine materiale Grundlage geben, damit deren Formung überhaupt möglich wird. (Dies gilt freilich nur für den körperhaften, aus Materie und Form zusammengesetzten Bereich der Welt; die Erschaffung von materiefreien Wesen bleibt davon unberührt.) Schöpfung im Sinne einer Verleihung von wirklichem Sein versteht sich somit als die Hervorbringung von geformter Materie aus dem Nichts. Eine strikte Formlosigkeit der bestehenden Welt an ihrem Anfang bleibt daher der Sache nach ein Ding der logischen Unmöglichkeit. Hätte es nämlich vor der Formung der Welt bereits einen formlosen Zustand gegeben, dann wäre die Schöpfung aus dem Nichts zu verstehen als die Verleihung einer Form, die dem Nichts, d. h. der völlig ungeformten Materie, zuteil wird. Dieses Nichts könnte

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sich seinerseits jedoch keinem Schöpfungsakt verdanken – aus dem Schöpfungsakt geht wirkliches Sein, nicht das Nichts hervor. Als unerschaffbares könnte das Nichts mithin auch faktisch unerschaffen, immer schon dagewesen sein. Da dies aber den Widerspruch eines bereits existierenden Nichts impliziert, kann auf diesem Wege auch die faktische Unerschafffenheit der bloßen Materie zurückgewiesen werden.9 Somit läßt sich sachlich begründen, daß der Schöpfungsbericht mit gutem Recht sogleich von Dingen (Erde, Wasser) spricht, die die für Thomas denkbar rudimentärste, eben eine elementarische Formung aufweisen.10 (b) Schöpfung meint, so zeigte sich, die instantane Hervorbringung von Sein, das als geformte Materie in seine Wirklichkeit gelangt. Gleichwohl verliert damit die biblische Rede für Thomas nicht ihren guten Sinn, wenn sie von einer anfänglichen Formlosigkeit der Welt und von deren Formung in sechs Tagen spricht. Indiziert ist mit dieser Rede keine absolute, sondern eine relative Formlosigkeit des Weltanfangs im Vergleich zu den späteren ›Stadien‹ des Sechstagewerkes. Schöpfung meint daher zwar eine instantane Hervorbringung von wirklichem Sein, zugleich aber eine Hervorbringung, bei der nicht alles sogleich »die abschließende Vervollkommnung und Abrundung seines Wesens«11 erhalten hat. Dies wiederum meint nicht, daß im Schöpfungsakt bloß eine bestimmte Ausgangssituation kreiert wird, auf deren Grundlage sich dann die weitere Entwicklung des Weltganzen von alleine vollzieht. Es meint vielmehr, daß sich der Schöpfungsakt auch auf diese Entwicklung erstreckt und diese erhält. Insofern enthält der biblische Bericht für Thomas 9 Vgl. De pot. q. 4 a. 1 c.: »Damit läßt sich gegenüber denjenigen, die die Materie für unerschaffen halten, nachweisen, daß das Sein der Dinge aus Gott hervorgeht.« 10 Eine Diskussion über die Ewigkeit der Welt hat daher nur Sinn im Rahmen der Frage nach der Ewigkeit von bestimmtem, geformtem Sein. Denkbar ist für Thomas nur das immerwährende Dasein von geformtem Sein, nicht das ewige ›Sein‹ reiner Potentialität, wie sie die erste Materie kennzeichnet. Möglich ist nur das zeitlich unbegrenzt wirkliche Sein der Welt, nicht aber ihre reine Möglichkeit. Vgl. dazu auch De pot. q. 3 a. 1 ad 2. 11 De pot. q. 4 a. 1 c.

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einen deutlichen Hinweis darauf, »daß Gott auch der Urheber für die Vervollkommnung der Dinge ist« und daß somit »die Formung der Welt hier unten keinen anderen Ursachen als dem Schöpfergott zuzuschreiben ist«.12 Auch wenn für Thomas auf diesem Wege sichergestellt ist, daß die biblische Schilderung des Sechstagewerkes die Vorstellung von der Erschaffung der Welt als einer Art Initialzündung nicht zuläßt, so ist damit das entscheidende Problem noch nicht gelöst: In welchem Sinn kann hier von einer Abfolge die Rede sein, wenn doch der Schöpfungsakt der Sache nach ein instantaner sein muß? Im zweiten Artikel von Quaestio IV betont Thomas denn auch nochmals ausdrücklich, daß alles in einem einzigen Akt – gleichzeitig – erschaffen bzw. geformt worden ist.13 Die Rede von sechs Schöpfungstagen ist demnach nicht so zu verstehen, daß die Welt im Verlauf von mehreren Tagen erschaffen worden ist; die Formung des Weltganzen zieht sich nicht über sechs Tage hin. Der biblische Bericht kann daher nicht den Schöpfungsakt selbst im Blick haben, sondern bezieht sich auf das in diesem Akt Hervorgebrachte. Insofern nämlich dieses Hervorgebrachte ein Ordnungsgefüge darstellt, gibt es hier sehr wohl ein Früher und Später, wenn auch nicht in einem zeitlichen Sinn. Die Einteilung des Schöpfungswerkes in sechs Tage macht diese geordnete Gliederung des Erschaffenen sinnfällig: Das der Sache nach Frühere wird im biblischen Bericht auch zuerst er-

12 De pot. q. 4 a. 1 c. 13 De pot. q. 4 a. 2 c.: »Wenn man davon ausgeht, daß die formlose

Materie der Formung der Dinge nicht zeitlich, sondern nur als das Grundlegende vorangeht – und dies ist zwangsläufig so, wenn man unter der formlosen Materie eine Materie ohne jede Form versteht –, dann folgt daraus mit Notwendigkeit, daß die gesamte Formung der Dinge zugleich erfolgte. Denn einen ungeformten Teil der Materie kann es überhaupt nicht, auch nicht einen Moment lang geben. Mit der Annahme eines solchen Teils würde zudem die Materie ja bereits zeitlich der Formung der Dinge vorangehen. Berücksichtigt man, wie die letzte Fragestellung entschieden worden ist, so ist die gegenwärtige zweite Fragestellung, auch nach Ansicht von Augustinus, gegenstandslos. Vielmehr muß man strikt daran festhalten, daß alles gleichzeitig geformt worden ist.«

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wähnt; jedes wesentliche Bestandteil dieser Ordnung ordnet der biblische Bericht daher einem Schöpfungstag zu. Ihr volles Gewicht erhält diese Metaphorik von Tag und Nacht indes erst durch eine weitere Überlegung: Für welche geistbegabte Kreatur wird diese Ordnung überhaupt sinnfällig, wenn es doch am Anfang der Schöpfung keinen Menschen gibt, der diese Ordnung zu erkennen vermag? Es muß also Geschöpfe geben, welche die Ordnung in ihrem Ursprung und als gesamte zu überblicken vermögen: Dies können nur die Engel sein. Mit dieser Feststellung gelangt Thomas an die systematische Stelle, an der die biblische Metaphorik von Tag und Nacht vollends keine Abfolge mehr, sondern eine entzeitlichte Erkenntnisform beschreibt, welche gewissermaßen zwei Blickrichtungen kennt: in Richtung der göttlichen Helle und in Richtung des Erschaffenen, das im Vergleich dazu nur Finsternis ist. In enger Anlehnung an Augustins großen Genesis-Kommentar bezieht Thomas die in der Bibel namhaft gemachten Unterscheidungen auf die englische Erkenntnis. Zum einen markiert die biblische Unterscheidung zwischen sechs Tagen der schöpferischen Tätigkeit Gottes und einem siebten Tag der Ruhe dann zwei Aspekte an der englischen Erkenntnis, die nicht in der Zeit verläuft. Die Engel brauchen nicht sechs Tage, um das Werk der Schöpfung zu verstehen. Alle sieben Tage sind nur ein Tag der englischen Erkenntnis: Die sechs Tage stehen für diejenige Erkenntnis, mit der die Engel die schöpferische Tätigkeit Gottes erfassen, der siebte Tag steht für ihre Erkenntnis der ewigen Ruhe Gottes in sich selbst auch ›während‹ dieses Schöpfungsaktes. Zum anderen deutet die biblische Unterscheidung zwischen sechs Tagen und Abenden der Schöpfung auf den Modus hin, in dem die Engel das Hervorgebrachte erkennen: In Form einer morgendlichen Erkenntnis (cognitio matutina) erblicken sie die erschaffenen Dinge in der Helle der göttlichen Vernunft, d. h. im Wort (Logos); in Form einer abendlichen Erkenntnis (cognitio vespertina) erblicken sie die erschaffenen Dinge als solche.14 14 Die eben dargelegten Grundgedanken entwickelt Thomas im corpus von q. 4 a. 2 mit konzentriertem Blick auf das sachlich Wesentliche und einer entsprechend souveränen Ökonomie in der Darstellung. Die

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Thomas’ Deutung des Schöpfungsberichtes mag aus heutiger Sicht wie das typische Produkt eines sogenannt mittelalterlichen Symbolismus anmuten: »Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr’s nicht aus, so legt was unter« (Goethe). Gleichwohl gibt der Schöpfungsbericht in dieser Deutung nicht bloß etwas zu verstehen – eben die Erschaffung der Welt –, sondern reflektiert die Bedingungen dieses Verstehens mit: Keine an zeitlichen Vorstellungen orientierte und in ihnen sich vollziehende Erkenntnis wird dem Schöpfungsbericht gerecht. Durch diese Art der Rationalisierung wird der Schöpfungsbericht nicht einfach entzaubert oder entmythologisiert, in Form des Nachweises, daß hier alles, recht bedacht, auch mit rechten Dingen zugeht. Der Schöpfungsbericht wird vielmehr einer bestimmten Rationalitätsform entzogen, indem er so gelesen wird, daß er Kunde gibt von einer adäquaten Erkenntnis der Erschaffung der Welt, welche keine zeitverhaftete sein kann. Es bedarf eines anderen Geistes als des unsrigen, um den Schöpfungsakt ›ganz‹ zu verstehen. Insofern weiß diese Ausdeutung auch um ihre Grenzen, insofern sie sich mit aller denkerischen Intensität um den Begriff eines zeitfreien Schöpfungsaktes bemüht, der in sich konsistent ist und der zugleich nicht mit den biblischen Vorgaben kollidiert. Quaestio V gliedert sich, grob gesagt, in zwei gedankliche Abschnitte. Im Mittelpunkt des ersten, allgemeinen Teils steht die prinzipielle Frage nach den Bedingungen, unter denen sinnvoll von einem Ende der Schöpfung gesprochen werden kann (q. 5 a. 1–4). Der zweite Teil (q. 5 a. 5–10) nimmt sich nacheinander die einzelnen Bereiche der körperhaften Welt vor – zunächst den supralunaren Bereich der Himmelskörper, dann den sublunaren Bereich der Elemente, der Pflanzen- und Tierwelt und schließlich die menschlichen Körper –, um auf der Folie des ersten Abschnittes zu klären, ob und in welcher Form jeder dieser Bereiche sein Ende findet. sich daran anschließenden Ausführungen von Vincentius Bandellus zeichnen akribisch für jeden Schöpfungstag nach, wie sich dort im einzelnen die morgendliche und abendliche Erkenntnis der Engel ausnimmt. Auch die ergänzten solutiones buchstabieren Thomas’ Grundgedanken bis ins kleinste Detail aus.

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Die grundsätzliche Frage nach dem Weltende ist für Thomas zunächst und zuvor eine Frage nach dem Erhalt der erschaffenen Dinge. Ob das Erschaffene jemals wieder zur Gänze vergehen, also zunichte werden kann, hängt wesentlich von der Beantwortung der Frage ab, wodurch das Erschaffene überhaupt in seinem Sein bleibt. Dementsprechend setzt Quaestio V mit der Frage ein, ob das Erschaffene durch Gott am Sein erhalten wird oder ob es sich auch ohne ein Zutun Gottes von selbst am Sein erhalten kann (q. 5 a. 1). Für die letztere Möglichkeit spricht allein schon die Tatsache, daß es die Form eines Dinges ist, die diesem Ding sein wirkliches Sein verleiht.15 Wäre hingegen Gott allein für das Sein der Dinge verantwortlich, so würden diese Formen ihre ursächliche Funktion für das Sein und das Werden der Dinge verlieren, sie wären mithin überflüssig und nutzlos. Dies wiederum würde bedeuten, daß Gott seine Schöpfung derart unvollkommen belassen hat, daß sie nicht einmal ein Quäntchen zu ihrem eigenen Bestand beitragen kann, sondern der andauernden Unterstützung Gottes bedarf. Warum sollten also die einmal erschaffenen Formen nicht auch ohne das Zutun Gottes den Fortbestand der Dinge garantieren können? So erhält sich beispielsweise auch die Wärme im Wasser, nachdem die Wärmequelle nicht mehr ihre entsprechende Wirkung ausübt. Gleich mit dem ersten Satz seines corpus articuli erteilt Thomas derartigen Erwägungen allerdings eine deutliche Absage: »Es ist über jeden Zweifel erhaben, daß die Dinge von Gott am Sein erhalten werden und daß sie schlagartig ins Nichts fielen, wenn Gott sie verließe.«16 Damit ist für Thomas jedoch nicht gesagt, daß die Material- und Formursache nichts mit dem Bestand eines Dinges zu tun hätten. Vielmehr hört, so Thomas, »ein jedes Ding mit der Beseitigung seiner Formal- und Materialursache sogleich auf zu sein, da ja diese beiden Prinzipien für das Sein eines Dinges verantwort-

15 Vgl. De pot. q. 5 a. 1 arg. 5, wo das Aristotelische Adagium »forma est causa essendi in rebus« bzw. »forma dat esse« (Met. VII, 17; 1041 b 8; VIII, 2; 1043 a 2) folgendermaßen formuliert wird: »omnis res generata habet esse per suam formam«. Dazu etwa auch Thomas, in Met. I, 17 (1668). 16 De pot. q. 5 a. 1 c.

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lich sind.«17 Korrodiert also z. B. bei einem Auto das Material oder tritt aufgrund eines Unfalls eine Deformation ein, dann handelt es sich hier um kein Auto mehr, sondern nurmehr um einen Haufen Schrott. Ebenso zeichnet der Autobauer als Wirkursache für das Sein eines Autos verantwortlich, insofern er dem Material eine bestimmte Form aufprägt bzw. es für diese Form vorbehandelt. Auch bleibt für den Autobauer das Ziel – die Herstellung eines Fahrzeugs – maßgebend, insofern dieses seine Tätigkeit motiviert und lenkt. Im Unterschied zu solch einer artifiziellen Herstellung wird jedoch bei natürlichen Prozessen nicht im eigentlichen Sinn eine Form hergestellt, sondern ein und dieselbe Form weitergegeben. In Thomas’ Beispiel gesprochen: Ein brennendes Feuer ist dafür verantwortlich, daß Feuer an einem weiteren brennbaren Material auftritt. Es bringt also die Form des Feuers an einem weiteren Material in die Wirklichkeit; die Form des Feuers als solche wird dabei nicht neu erfunden oder kreiert. Der natürliche Prozeß der Entstehung bzw. der Hervorbringung einer Form beschränkt sich somit darauf, daß ein körperhaftes Agens auf eine bestimmte Materie einwirkt und dort eine Veränderung (transmutatio) vornimmt. In diesem Sinn meint die Hervorbringung einer natürlichen Form deren Wirklich-Werden, das sich an entsprechenden materialen Substraten im Prinzip beliebig oft wiederholen kann. In dieser regulären Weitergabe der jeweils selbigen Formen liegt nun auch die Vollkommenheit der Natur: omne agens agit sibi simile.18 Freilich erschöpft sich diese Weitergabe in bloßer Iteration: Jedes wirkende Etwas bringt zwar etwas ihm Gleiches, ebenso Wirkliches hervor, aber eben nichts weiter als dieses. Insofern verlaufen die natürlichen Werdeprozesse mit bewußtloser Mechanik. Es ist aber zugleich diese Regularität, angesichts von der die Natur selbst als das Resultat einer ars – der ars divina – verstanden werden kann. Die Naturdinge werden so ihrerseits als Artefakte interpretierbar. 17 De pot. q. 5 a. 1 c. 18 Vgl. Aristoteles, De gen. et corr. I, 7; 324 a 10 f. De an. II, 4; 415

a 26–29. – Innerhalb von »De potentia« rekurriert Thomas an folgenden Stellen auf diesen Satz: q. 3 a. 1 arg. 12; q. 3 a. 5 arg. 3; q. 3 a. 6 arg. 25; q. 3 a. 9 arg. 5; q. 3 a. 15 arg. 3; q. 4 a. 1 arg. 12; q. 7 a. 1 ad 8.

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Daß die Natur sich dem göttlichen Geist verdankt, zeigt sich allerdings nur auf indirektem Wege. Denn prima facie ist die Entstehung von Naturdingen einem natürlichen Werdeprozeß geschuldet, bei dem eine bestimmte Form stets an einem entsprechenden Material auftritt. Das Sein dieser Form als solches erklärt sich jedoch nicht hinreichend aus diesem Werdeprozeß. Dieser Werdeprozeß setzt vielmehr das Sein jener Form bereits voraus – es ist z. B. ein Pferd, das ein weiteres Pferd zeugt bzw. austrägt und letzterem in die Wirklichkeit verhilft. Daß es also überhaupt Formen gibt, liegt nicht ausschließlich daran, daß diese mit schöner Regelmäßigkeit an der Materie wirklich werden. Für Thomas heißt dies: Das Sein der Formen verdankt sich in letzter Konsequenz keinem Werdeprozeß und damit auch keiner körperhaften Ursache, welche ja nur in Form der Veränderung eines vorliegenden Materials zu wirken vermag.19 Die Natur hat also den göttlichen Geist zu ihrer Grundlage, sie reduziert sich jedoch nicht auf ihn. Ansonsten wäre nämlich der geistige Ursprung der Naturprozesse unmittelbar an ihnen selbst ablesbar. Die Regularität von Prozessen ist aber als solche kein hinreichendes Kriterium für deren vernünftigen Charakter, sondern höchstens für deren Natürlichkeit. Daß die Naturprozesse im göttlichen Geist ihren Ursprung haben, zeigt sich erst im Blick auf ihren eigenen Anfang und ihr Ziel: Mit ihrer Erschaffung setzt wirklich Neues ein (novitas mundi), und mit ihnen ist zugleich ein Ziel verbunden, das über ihre bloße Aufrechterhaltung hinausführt. In Umkehrung einer berühmten Formel ließe sich somit sagen: Die Natur ahmt die göttliche ars nach.20 Das meint: Die Natur bildet die 19 Daß Werdeprozesse nicht im eigentlichen Sinn die Grundlage für das Sein der Formen abgeben können, zeigt sich für Thomas gerade auch an denjenigen Geschöpfen, deren Formen als solche keinen Werdeprozessen unterworfen sind: Dies sind zum einen die Engel als materielose Geistwesen und zum anderen die Himmelskörper, die nur einer Ortsbewegung als der ›schwächsten‹ Form von Veränderung unterliegen. Beide Formen sind also nicht aus ihrem Werden bzw. genetisch zu erklären. 20 Die Standardformel »ars imitatur naturam« ist bekanntlich Aristotelischen Ursprungs: Phys. II, 2; 194 a 21. Meteor. IV, 3; 381 b 6. – Den vielfältigen Inanspruchnahmen dieser Diktums in der mittelalterlichen Philosophie ist K. Flasch in seiner magistralen Studie nachgegangen: »Ars

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ars divina nicht getreu ab – allein schon deshalb nicht, weil sich die ars divina nicht vollständig in der Hervorbringung der bestehenden Natur ausdrückt und erschöpft.21 Vielmehr folgt die Natur den Vorgaben ihres Schöpfers, der ihr, wie sich noch zeigen wird, ein bestimmtes Ziel gesteckt hat. Diese Differenzierung zwischen dem Sein der Formen, das sich einem unkörperlichen, geistigen Prinzip verdankt, und ihrem Werden, das sich mittels von körperhaften agentia an einer Materie vollzieht, ist für alle weiteren Artikel der Quaestio V von grundsätzlicher Bedeutung. Dank dieser Differenzierung eröffnet sich nämlich die Möglichkeit, das Ende der Welt auf bestimmte Weise zu denken: Der Prozeß des Werdens, d. h. der mannigfachen Vermehrung der bestehenden Formen mag zum Stillstand kommen, sobald einmal sämtliche körperhaften agentia, also auch die Himmelskörper, in ihrer Bewegung aussetzen. Aber auch wenn dann keine weiteren Formen mehr in die Wirklichkeit gebracht werden, muß dies noch keinen Weltuntergang bedeuten, da Gott das Sein der Formen als solches erhält. Anders gesagt: Der Prozeß der natürlichen Hervorbringung kann zu einem Ende kommen, während dies für das Sein der hervorgebrachten Formen nicht gelten muß. Der Kosmos kann prinzipiell stillstehen, und damit können die Prozesse des Werdens und Vergehens überhaupt zum Erliegen kommen. Dieser Stillstand der Naturprozesse bedeutet somit nicht automatisch eine Annihilation der Schöpfung. Das »Ende« der Welt wird als ein Stillstand der Naturprozesse denkbar, welcher das in diesen Prozessen Erreichte nicht einfach wieder zunichte macht. Allerdings heißt dies nun nicht, daß die Schöpfung überhaupt nicht wieder zunichte werden kann, weil damit etwas an sich Unmögliches behauptet wäre. In den beiden nächsten Artikeln (q. 5 a. 2–3) geht Thomas daher der Frage nach, was es überhaupt heißt, imitatur naturam. Platonischer Naturbegriff und mittelalterliche Philosophie der Kunst«, in: Parusia. Studien zur Philosophie Platons und zur Problemgeschichte des Platonismus (FS J. Hirschberger), hg. von K. Flasch, Frankfurt a. M. 1965, 265–306; bes. 279 ff. (zu Thomas). 21 Vgl. De pot. q. 6 a. 1 ad 12: »ars divina non totam seipsam explicat in creaturarum productione«.

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daß das Erschaffene wieder zunichte werden kann. Hierbei werden zwei Spielarten unterschieden, in denen von der »Möglichkeit« eines Nichtseins des Erschaffenen gesprochen werden kann: (a) Logisch ausgeschlossen ist für Thomas, daß es ein Geschöpf geben könnte, das keinen Erhalt durch Gott benötigt, das also Herr seines Seins wäre und das insofern auch nicht durch Gott wieder zunichte gemacht werden könnte (q. 5 a. 2). Die gegenteilige Annahme hätte nämlich die Kontradiktion und mithin die logische Unmöglichkeit zu Folge, daß ein Geschöpf zugleich kein Geschöpf ist. Gott verfügt also über die prinzipielle Möglichkeit, die Schöpfung wieder zunichte zu machen, da das absolute Nichtsein der gesamten Schöpfung – weder vor noch nach ihrer Erschaffung – keine Kontradiktion impliziert. Im Hinblick auf Gottes potentia ist das schlichte Nichtsein der Schöpfung uneingeschränkt möglich. Das Erschaffene besitzt keine Seinsnotwendigkeit in dem Sinne, daß Gott es aus der Notwendigkeit seines Wesens oder zur notwendigen Demonstration seiner Güte ins Sein bringen mußte.22 (b) Gleichwohl gibt es innerhalb des erschaffenen Kosmos Geschöpfe, die die Möglichkeit ihres Nichtseins ausschließen und deren Sein somit durchaus eine Notwendigkeit zukommt. Diese Form von Notwendigkeit besteht allerdings darin, daß es jenen Geschöpfen unmöglich ist, dem Werden und Vergehen, d. h. einer Veränderung im Hinblick auf ihre Form, zu unterliegen. Dies trifft sowohl auf die materielosen Substanzen, d. h. die Engel, als auch auf die Himmelskörper zu, die ja Veränderung nur in Form der Ortsbewegung kennen. Aufgrund dieser ihrer Unveränderlichkeit steht ihr Nichtsein, d. h. das Nichtsein ihrer Form, nicht in ihrem eigenen Vermögen; sie können von sich aus nicht wieder zunichte werden: 22 De pot. q. 5 a. 3 c.: »Das schlichte Nichtsein der Schöpfung ist jedoch nicht an sich unmöglich, so als ob dies eine Kontradiktion beinhalten würde – ansonsten wäre sie ja von Ewigkeit an da. Dies hat seinen Grund darin, daß die Schöpfung nicht ihr Sein ist. […] Ebensowenig bringt Gott die Schöpfung aus einer Notwendigkeit hervor, die mit seinem Wesen verbunden wäre; sonst wäre Gottes Vermögen auf das Sein der Schöpfung festgelegt. […] Genausowenig hängt auch Gottes Güte von seiner Schöpfung ab. Sonst würde seine Güte mit der Schöpfung stehen und fallen. Die Schöpfung fügt aber der Güte Gottes nichts hinzu.«

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Sie sind unausweichlich das, was sie sind, solange die Schöpfung andauert. Dagegen scheint nun wenigstens der materialen Welt, die ja ein Vergehen von Formen kennt, die Möglichkeit zu eigen zu sein, wieder zunichte werden zu können. Doch dies scheint nur so: In einem natürlichen Prozeß des Vergehens verschwinden zwar Formen, sie sind damit aber nicht aus der Welt geschafft. Dieses Nichtsein von Formen meint vielmehr ihr vergangenes aktuales Sein. Die Form geht über ins Möglichsein der Materie, um dort an anderer Stelle bzw. zu anderer Zeit wieder wirklich zu werden. Auch die materiale Welt besitzt demnach von sich aus keine Möglichkeit zu ihrem vollkommenen Nichtsein.23 Keines der Geschöpfe ist also Herr seines Seins, da auch keines aus sich heraus über die Möglichkeit verfügt, schlichtweg ins Nichts überzugehen. Da also Gott weder die Schöpfung aus irgendeiner Notwendigkeit heraus ins Sein bringen mußte noch der Schöpfung ihr vollkommenes Nichtsein zur eigenen Verfügung gestellt hat, bleibt für Thomas nur eine Konsequenz: Gott hat es willentlich so verfügt, daß seine Schöpfung, aufs Ganze gesehen, im Sein verbleibt. Damit spitzt sich die Frage nach dem Ende der Welt auf den göttlichen Willen zu: Gott will etwas mit seiner Schöpfung, er verfolgt eine Absicht. Das Ende der Welt bestimmt sich daher nach dem Ziel dieser Absicht. Allerdings ist dies nicht so zu verstehen, daß die Schöpfung ein Mittel wäre, mit dem Gott seine eigenen, noch nicht erlangten Ziele erreichen will. Wäre die Schöpfung ein solches Mittel, dann würde Gott das Sein der Schöpfung nur solange wollen, als es zur Erreichung seiner Ziele dienlich ist. Wären diese Ziele einmal erreicht, dann könnte dieses Mittel wieder getrost beiseite gelegt werden. Gott will vielmehr mit seiner Schöpfung etwas für diese

23 De pot. q. 5 a. 3 c.: »Bei denjenigen Dingen, die die Möglichkeit ihres Nichtseins in sich bergen, überdauert die Materie. Wie aber die Formen bei der Entstehung der Dinge aus dem Möglichsein in die Wirklichkeit überführt werden, so werden sie beim Vergehen der Dinge aus ihrem Wirklichsein wieder in ihr Möglichsein gebracht. Somit wird der Schluß unumgänglich, daß es innerhalb der gesamten erschaffenen Natur nicht ein einziges Vermögen gibt, durch das es einem Ding möglich wäre, ins Nichts überzugehen.«

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selbst: Sie soll sich über die natürlichen Prozesse des Werdens und Vergehens hinaus in ihr eigenes Ziel bringen. Die Schöpfung wird daher in ihrer Gesamtheit niemals mehr zu Nichts zergehen (q. 5 a. 4 c.). Thomas führt zwei Gründe dafür an. Zum einen liegt dies an der wesenhaften Unveränderlichkeit des göttlichen Willens, der sich zur Erschaffung der bestehenden Welt um dieser ihrer selbst willen entschlossen hat und der sich daher nicht wieder eines Anderen besinnt. Zum anderen hätte Gott das immerwährende Sein bestimmter Geschöpfe – der Engel und der Himmelskörper – nicht gewollt, wenn er die Welt von vornherein unter dem Vorbehalt ihres künftigen Nichtseins erschaffen hätte. Gerade das letztere Argument zeigt, daß Thomas eine bestimmte Form von Regularität durchaus als Indiz für das künftig ewige Dasein der Welt nach ihrem Ende wertet. Denn zum einen meint die gleichmäßige Wiederkehr von stellaren Konstellationen keinen Prozeß des Werdens und Vergehens, dem die Himmelskörper unterliegen; ihre Ortsbewegung bleibt daher ihrem immerwährenden Sein im gewissen Sinne äußerlich. Zum anderen aber hat diese ihre reguläre Ortsbewegung selbst ein Ziel bzw. eine Funktion: die Ermöglichung der Werdeprozesse im sublunaren Bereich. Das Ende der Welt entscheidet sich also hier unten auf Erden. Gleichwohl ist dies nicht einfach ›geozentrisch‹ gedacht: Der Himmel ist nicht bloß ein Instrument, das zur Herbeiführung eines bestimmten Endzustandes auf der Erde dient; vielmehr bleibt er in seiner Substanz von diesem Ende des Weltenlaufes unberührt.24 Mit dem eben Gesagten sind wir bereits im zweiten Abschnitt dieser Quaestio (q. 5. a. 5–10) angelangt. Hier wendet sich Thomas nun den einzelnen Bereichen des erschaffenen Kosmos zu. Wie der Gang seiner bisherigen Überlegungen erahnen läßt, wird das konkrete Ende dieser einzelnen Bereiche nicht bestimmt durch martia24 Die bislang umfassendste Untersuchung zu Thomas’ Ansichten über die Himmelskörper ist immer noch die kompendienhafte Darstellung von Th. Litt, Les corps célestes dans l’univers de saint Thomas d’ Aquin, Louvain / Paris 1963 (= Philosophes médiévaux VII). Von besonderem Interesse für den hier besprochenen Zusammenhang ist das 10. Kapitel »Eschatologie«; vgl. ebd., 242 ff.

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lische Bilder der Vernichtung und des Weltenbrandes, sondern es steht im Zeichen der Erfüllung. Zunächst jedoch sieht es gar nicht danach aus. Denn ausgerechnet für den supralunaren Bereich der Himmelskörper läßt sich nicht mit schlagenden Argumenten erweisen, daß deren Bewegung tatsächlich einmal ihre Erfüllung finden wird und somit zum Erliegen kommen muß.25 Dies liegt für Thomas daran, daß eine Bewegung für die Himmelskörper in gewisser Weise nicht natürlich ist. Daher kann es auch keinen natürlichen, in den Himmelskörpern selbst liegenden Grund dafür geben, daß ihre Bewegung einmal aufhören wird. Allein schon aus diesen kosmologischen Gründen ist auch eine Voraussage des Weltendes unmöglich (q. 5 a. 6). Es kann keine natürlichen, an den Himmelskörpern selbst ablesbaren Anzeichen dafür geben, daß deren Bewegung und damit auch alle anderen Formen von Bewegung im Kosmos ein baldiges Ende finden.26 Nun eignen sich die Himmelskörper zwar grundsätzlich, wie jeder andere Körper auch, für eine Bewegung; insofern ist für sie eine Bewegung nicht schlichtweg unnatürlich. Die Himmelskörper kennen jedoch keine natürliche Bewegung in dem Sinne, daß diese Bewegung in ihrer Natur bzw. ihrer Form begründet wäre. Die Bewegung der Himmelskörper ist also nicht auf dieselbe Weise in deren 25 De pot. q. 5 a. 5 c.: »In Übereinstimmung mit den Lehren der Heiligen halten wir daran fest, daß die Himmelsbewegung einmal aufhören wird. Allerdings ist dies eher eine Sache des Glaubens, als daß es sich mit Vernunftgründen erweisen ließe.« – Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei daran erinnert, daß der Terminus »Bewegung« (motus) schon bei Aristoteles übergreifend alle Arten der Veränderung umfaßt, unter denen die Ortsbewegung (motus localis) nur eine Spielart darstellt. 26 Falschen Propheten des Weltuntergangs begegnet Thomas daher nicht bloß mit dem Hinweis auf Gottes unerforschlichen Willen, der allen Menschen – mit Ausnahme von Christus als Mensch – verschlossen bleibt. (Auch diese Propheten könnten sich auf den Willen Gottes für das vermeintliche ›Gnadengeschenk‹ ihrer Voraussagen berufen.) Vielmehr gibt es für Thomas bereits im Kosmos selbst beschlossene Gründe, warum das Ende des Weltgeschehens a liminie nicht vorhersagbar ist. Die rationale Schwäche, d. h. die Unbeweisbarkeit eines Endes der Himmelsbewegung, erweist sich als rationale Stärke angesichts von haltlosen Spekulationen über den Zeitpunkt des Weltuntergangs.

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Form fundiert, wie etwa die Fallbewegung eines Steines durch dessen Form, d. h. durch dessen Schwere, bedingt ist. Diese entscheidend durch die Aristotelische Physik geprägte Auffassung, daß alle Bewegungen des sublunaren Bereiches in der Form der bestehenden Dinge gründen und daß somit jedes Ding kraft seiner Form eine Bewegung aktiv initiiert, hat ihren guten Sinn innerhalb dieser Kosmologie. Denn die Bewegung dient hier jeweils zur Behebung eines bestimmten Mangels, insofern die Bewegung als ein natürliches Mittel die Aufrechterhaltung der natürlichen Ordnung sichert – sei es dadurch, daß jeder Körper, der von seinem natürlichen Ort verdrängt wird, von selbst, d. h. aktiv wieder dorthin »strebt«, sei es dadurch, daß jedes Lebewesen mit der Reproduktion seiner Form etwas von Seinesgleichen hervorbringt und so für das Überleben seiner Art sorgt. Dagegen dient die Bewegung eines Himmelskörpers nicht der Beseitigung irgendeines Störfaktors oder Mangels, dem seine Natur augesetzt sein könnte. Als Indiz dafür gilt Thomas der Umstand, daß die Bewegung der Himmelskörper kreisförmig ist und somit kein Ziel verfolgt, das den Himmelskörpern als Körpern unmittelbar zugute kommt.27 An sich betrachtet, bräuchten sich die Himmelskörper demnach überhaupt nicht zu bewegen. Daß sie es gleichwohl tun, liegt demnach nicht an ihnen selbst. Das aktive Prinzip für ihre Bewegung kann daher nur »eine materiefreie Substanz sein, also etwa Gott oder der Geist oder aber die Weltseele, wie manche meinen, was aber für die gegenwärtige Frage keinen Unterschied macht«.28 Die Bewegung der Himmelskörper resultiert ausschließlich aus der Einwirkung einer geistigen Kraft auf sie: Ihre Bewegung ist vernunftgemäße Bewegung. Dieser vernunftgemäße Charakter zeigt sich daran, daß die Himmelskörper ihre Bewegungen weder zu ihrer eigenen Aufrechterhaltung noch wegen dieser Bewegun-

27 De pot. q. 5 a. 5 c.: »Der Himmel erreicht mit seiner Bewegung nicht einen bestimmten Punkt, zu dem er von seiner Natur aus hinstrebt, und dies deswegen, weil ein jeder Punkt den Anfang und das Ende seiner Bewegung darstellt.« 28 De pot. q. 5 a. 5 c.

Nachwort

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gen selbst ausführen. Anders gesagt: Die unmittelbare Zweckfreiheit dieser Bewegungen erfüllt einen höheren Zweck. Dieser höhere Zweck könnte nun ausschließlich darin gelegen sein, daß die Himmelsbewegung den Kosmos als ganzen in Bewegung hält. Als die universale Ursache für jede Form von Bewegung hätte die Himmelsbewegung einen göttlichen und damit ewigen Charakter. Thomas bestreitet diese Möglichkeit nicht durchweg.29 Freilich würde in diesem Fall die Bewegung der Himmelskörper wiederum nur einer weiteren Bewegung dienen, nämlich der Verursachung von Werden und Vergehen im sublunaren Bereich: Das eigentliche Ziel der stellaren Bewegung wäre eine Bewegung, die von niedrigerem Rang als jene stellare ist und die ihrerseits kein substantielles Sein hat, sondern unabschließbar immer wieder auf- und zum Erliegen kommt. Für Thomas liegt daher das eigentliche Ziel der Himmelsbewegung in einem endlichen Ziel, das sozusagen ein substantielles Ergebnis darstellt und das die schlechte Unendlichkeit des sublunaren Werdens und Vergehens durchbricht: Nach unserer Ansicht ist die Himmelsbewegung dazu da, daß die Vollzähligkeit der Erwählten erreicht wird. Denn eine vernunftbegabte Seele nimmt einen höheren Rang als der gesamte körperliche Bereich, ja selbst noch als der Himmel ein. […] Es kann daher nur so sein, daß das Ziel der Himmelsbewegung eine ganz bestimmte Anzahl von vernunftbegabten Seelen ist. Ist diese einmal erreicht, wird die Himmelsbewegung aufhören.30 Die Himmelsbewegung bringt dabei nicht unmittelbar selbst Geist hervor, sondern dient der Hervorbringung von menschlichem Geist,

29 De pot. q. 5 a. 5 c.: »Zum einen kann man das Ziel der Himmelsbewegung in etwas sehen, was am Himmel selbst und zugleich mit seiner Bewegung zum Vorschein kommt. Dementsprechend sahen manche Philosophen das Ziel der Himmelsbewegung darin, daß sie sich in ihrem Ursachencharakter Gott angleicht. Dies gelingt freilich nur, wenn die Bewegung selbst von Dauer ist. Daher trifft es nach dieser Ansicht nicht zu, daß die Himmelsbewegung zum Erliegen kommt. Denn wenn sie zum Erliegen käme, dann würde auch das gesetzte Ziel verfehlt.« 30 De pot. q. 5 a. 5 c.

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Nachwort

welcher über der gesamten körperhaften Natur steht und unmittelbar von Gott selbst stammt.31 Auch wenn demnach das gesamte kosmische Geschehen auf die Hervorbringung einer bestimmten Anzahl von auserwählten menschlichen Seelen hinausläuft, bedeutet dies für Thomas keine völlige Elimination der körperhaften Welt am Ende der Zeit. Mit dem Stillstand der Himmelsrotation werden vielmehr nur diejenigen zusammengesetzten Körper zugrunde gehen, welche sich dank einer auf sie einwirkenden körperhaften Bewegung erhalten bzw. reproduzieren können. An ihrem Ende zeigt sich die Welt daher von Pflanzen und Tieren entvölkert. Nicht einmal die anorganischen (»mineralischen«) Körper, die sich jeweils aus verschiedenen Elementen zusammensetzen, werden dann bestehen bleiben (q. 5 a. 9). Weiter am Sein bleiben hingegen die rein elementarischen Körper, da sie nicht zusammengesetzt sind und daher auch kein inneres Prinzip für ihre Zersetzung besitzen (q. 5 a. 7). Die Elemente bilden weiterhin die materiale Grundlage für die an ihrem Ende erneuerte Welt und damit auch einen wesentlichen Bestandteil des künftigen Weltganzen. Wenn es also um das künftige Sein der Welt geht, sieht Thomas in der Lebendigkeit als solcher kein Kriterium für den Selbsterhalt eines Körpers mehr. Denn der Organismus von Pflanzen und Tieren ist auf vielfältige körperhafte Veränderungen angewiesen, die sich außerhalb von ihm vollziehen, also etwa auf den Wechsel von Tag und Nacht, von Sonne und Regen usw. Werden all diese von der Himmelsrotation verursachten Veränderungen hinfällig, dann wird nur noch ein geistiges Prinzip das Weiterbestehen eines Körpers garantieren können. Im Falle der Himmelskörper ist dies, wie gesehen, Gott selbst. Wie aber steht es um den menschlichen Körper? Für Thomas ist die Einheit des menschlichen Körpers mit seiner Vernunftseele von derart substantieller Natur, daß die leibliche Auferstehung geradezu eine metaphysische Notwendigkeit darstellt:

31 Vgl. dazu die Diskussion in q. 3. a. 9–10 sowie das Nachwort im ersten Teilband dieser Übersetzung.

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Denn es kann da keine vollkommene Glückseligkeit geben, wo es der Natur an Vollkommenheit mangelt. Da nun die Einheit von Seele und Körper eine natürliche Einheit von substantieller – und nicht von akzidenteller – Art darstellt, so kann die Natur der Seele nur dann vollkommen sein, wenn sie mit einem Körper eine Einheit bildet.32 Zwar ist auch der menschliche Körper zusammengesetzt, aber das ihm immanente Prinzip für seinen Erhalt ist der menschliche Geist. Letzterer wird nach der Auffassung von Thomas hinreichen, um dem Körper auch nach dem Stillstand der Himmelsrotation sein künftig ewiges Sein zu sichern. In dieser eschatologischen Perspektive ist offenbar eine Geisthaftigkeit, wie sie den Menschen auszeichnet, das exklusive Eintrittsbillett, mit dem sich ein Lebewesen seinen Platz in der Ewigkeit sichert. Diese eschatologisch bedingte Restriktion von Geisthaftigkeit auf den Menschen mag aus einer zeitgenössischen Sicht anstößig oder gar schierer Unsinn sein, zumal diese Restriktion aus der Angst vor einer Überbevölkerung des Jenseits, noch dazu mit Lebewesen von niederem Rang, gespeist zu sein scheint. Allen Lebewesen mit Ausnahme des Menschen muß eine Geisthaftigkeit vorenthalten bleiben, weil sonst viel zu vielen Lebewesen Tür und Tor in die künftige Ewigkeit geöffnet wäre.33 Nach Thomas ist allerdings 32 De pot. q. 5 a. 10 c. 33 In jüngster Zeit hat etwa J. R. Searle eine solche These vertreten:

»Die grundlegende aristotelische Dichotomie des Belebten und Unbelebten wurde durch eine noch fundamentalere Dichotomie jener Dinge, die einen Geist haben, und jener, die keinen Geist haben, übertroffen. Die Frage wurde noch dringlicher, als man über die theologischen Implikationen einer möglichen philosophischen Antwort nachdachte. Die CommonsenseAnsicht, höhere Tiere seien in genau demselben Sinn bewusst wie Menschen, führt zu dem Ergebnis, dass jedes dieser Tiere eine unsterbliche Seele besitzt. […] Wenn Tiere aber Bewusstsein haben, dann folgt daraus unmittelbar, dass sie eine unsterbliche Seele haben, und das Leben nach dem Tod wird, gelinde gesagt, gehörig überbevölkert sein. Schlimmer noch, sollte Bewusstsein sich weit die phylogenetische Skala hinunter erstrecken, so könnte sich herausstellen, dass das Leben nach dem Tod auch von einer sehr großen Anzahl Seelen von Flöhen, Schnecken, Ameisen

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nicht das bloße Faktum einer Geistbegabung von bestimmten Lebewesen ausschlaggebend für ihre Auserwählung, sondern eine Form von Geist, die die Früchte eines bestimmten Baumes – vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen – gekostet hat. Nach wie vor aber spricht vieles dafür, daß die Früchte dieses Baumes für die Tiere zu hoch hängen. Auserwählung hat nur Sinn bei denjenigen Lebewesen, die prinzipiell imstande sind, mit dieser Auserwählung auch einen Sinn für das eigene Leben zu verbinden. Wunder sind das beherrschende Thema von Quaestio VI . Der erste Artikel dieser Quaestio thematisiert noch einmal die grundsätzliche Reichweite von Gottes Macht über die Natur. Gott ist nicht nur die erste und universale Ursache für das geschaffene Sein insgesamt, sondern auch die unmittelbare Ursache für jedes einzelne seiner Geschöpfe. Zudem ist Gott bei seinem Wirken nicht auf die Mithilfe von natürlichen Ursachen angewiesen, sondern völlig unabhängig von ihnen. Damit ist ein denkbar großer Spielraum eröffnet, in dem sich Gottes potentia zur Natur verhalten kann: Unabhängig von kreatürlichen Ursachen kann Gott »genau diejenigen Wirkungen und in eben der Reihenfolge vollbringen, wie er sie auch mit Hilfe dieser kreatürlichen Ursachen vollbringt. Gott kann aber auch andere Wirkungen und in einer anderen Reihenfolge hervorbringen«.34 Was diese Feststellung für den Begriff des Wunders genau bedeutet, macht Thomas erst in den folgenden Artikeln deutlicher. Schon jetzt aber läßt sich erkennen, daß Thomas im Kontext der WunderThematik auch bestimmte Eingriffe Gottes in die Natur im Blick hat, welche die natürlichen Ursachen übersteigen und gleichwohl die Vorgänge in der Natur nicht einfach außer Kraft setzen. Seine Begriffsbestimmung von »Wunder« leitet Thomas mit einer Art Nominaldefinition ein: »Das Wort ›Wunder‹ (miraculum) leitet sich von ›sich verwundern‹ (a mirando) ab«.35 Wunder sind etc. bevölkert wäre« (Searle, »Der Geist der Tiere«, in: Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion, hg. von D. Perler und M. Wild, Frankfurt a. M. 2005, 132–152; hier 133 f.). 34 De pot. q. 6 a. 1 c. 35 De pot. q. 6 a. 2 c. Ganz ähnlich auch Sum. theol. I, q. 105 a. 7 c.

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also, ganz allgemein gesprochen, Vorkommnisse, die Erstaunen oder gar Bewunderung (admiratio) hervorrufen. Staunen erregt aber ein Geschehen, wenn zum einen mit ihm etwas eintritt, das der gewöhnlichen Erfahrung zuwiderläuft, und wenn zum anderen die Ursachen für sein Zustandekommen unbekannt bleiben. Allerdings ist diese erste Definition noch keine hinreichende Begriffsbestimmung: Daß für ein bestimmtes Phänomen keine Ursachen angegeben werden können, kann auch auf schlichter Unkenntnis des Betrachters beruhen.36 Nicht jedes Geschehen, das der alltäglichen Erfahrung zuwiderläuft und daher Verwunderung hervorrufen kann, kann also sogleich als ein Wunder bezeichnet werden. Im Gegenteil: Der ganz überwiegende Teil ungewöhnlicher Geschehnisse ist einfach nur »für uns verwunderlich«, insofern der verwunderliche Charakter dieser Geschehnisse vom jeweiligen Erfahrungshorizont und Kenntnisstand des Einzelnen abhängt. Ein echtes Wunder muß dementsprechend anspruchsvolle und eng umrissene Kriterien erfüllen, um auch als ein solches gelten zu können. Wunder im strengen Sinn sind für Thomas Geschehnisse in der Natur, deren Ursache – nämlich Gott selbst – schlechthin verborgen bleibt und in deren Verlauf bestimmte Wirkungen eintreten, die mit dem Möglichkeitsspielraum der natürlichen Dinge unvereinbar sind. Diejenige Ursache aber, die unseren Sinnen im höchsten Grade verborgen und verschlossen bleibt, ist Gott, der in allen Dingen überaus geheimnisvoll wirkt. Deswegen kann man im eigentlichen Sinne nur diejenigen Wirkungen als Wunder bezeichnen, die Gottes Kraft an den Dingen vollbringt, welche von ihrer natürlichen Veranlagung her eine damit unvereinbare Wirkung oder Wirkensweise haben.37 36 Thomas illustriert dies an einem Beispiel: »So könnte sich z. B. jemand verwundern, wenn er ein Stück Eisen zu Gesicht bekäme, das von einem Magneten nach oben gezogen wird, und wenn er dabei keine Ahnung von der magnetischen Kraft hätte, während es doch allem Anschein nach so sein müßte, daß das Eisen eine Bewegung nach unten als die ihm natürliche vollzieht« (q. 6 a. 2 c.). 37 De pot. q. 6 a. 2 c.

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Nachwort

Wunder beziehen sich für Thomas demnach stets auf die bestehende Natur; nur innerhalb von ihr können Wunder geschehen.38 Dies meint dann auch, daß da, wo die bestehende Natur (noch) nicht im Spiel ist, auch nicht von Wundern die Rede sein kann. So ist denn auch die Erschaffung der bestehenden Welt für Thomas kein wunderhaftes Geschehen – die Erschaffung der Welt überstieg ja nicht den gewöhnlichen Lauf der Natur; sie ist »höchstens erstaunlich bzw. bewunderungswürdig (mira vel mirabilia)«.39 Die Schöpfung als ganze hat sozusagen eine entsprechende Ursache, insofern sie »durch keine andere Ursache als durch Gott hervorgebracht werden konnte«.40 Zwar hat auch die erschaffene Natur als ganze im Schöpfungsakt ihre übernatürliche Ursache, insofern letztere jene 38 Vgl. auch Sum. theol. I q. 105 a. 8 c.: »nihil potest dici miraculum ex comparatione potentiae divinae, quia quodcumque factum, divinae potentiae comparatum, est minimum; secundum illud Isaiae XL, ecce gentes quasi stilla situlae, et quasi momentum staterae reputatae sunt. Sed dicitur aliquid miraculum per comparationem ad facultatem naturae, quam excedit. Et ideo secundum quod magis excedit facultatem naturae, secundum hoc maius miraculum dicitur.« (›Im Hinblick auf Gottes Vermögen kann man nichts als ein Wunder bezeichnen. Denn alles Gewordene ist für Gottes Vermögen eine Winzigkeit; so heißt es ja in Jes. 40, 15: ›Siehe, Völker sind ihm wie ein Tropfen am Eimer, und wie ein Stäubchen auf der Waage gelten sie ihm.‹ Von einem Wunder spricht man vielmehr im Hinblick auf die Möglichkeiten der Natur, über die es hinausgeht.‹) 39 De pot. q. 6 a. 2 c. 40 De pot. q. 6 a. 2 ad 5. Vgl. auch q. 6. a. 2 c.: »quae Deus facit, nec aliter nata sunt fieri nisi a Deo, miracula dici non possunt.« (›Dasjenige, was Gott vollbringt und was dabei auf keine andere Weise als durch Gott zustande gebracht werden kann, kann man nicht als ein Wunder bezeichnen.‹) – An anderer Stelle scheint Thomas nun genau das Gegenteil zum eben Angeführten zu behaupten; Sum theol. I, q. 110 a. 4 c.: »aliquid dicitur esse miraculum, quod fit praeter ordinem totius naturae creatae. Hoc autem non potest facere nisi Deus.« (›Als Wunder bezeichnet man etwas, was unter Umgehung der gesamten Natur geschieht. So etwas kann aber einzig Gott zustande bringen.‹) Allerdings steht hier die Frage im Vordergrund, ob das Wirken von Wundern allein in Gottes Macht steht. Auch wenn also das, was auf keine andere Weise als durch Gott geschehen kann, nicht als ein Wunder gelten kann, so können Wunder innerhalb der bestehenden Natur allein durch Gott gewirkt werden.

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allererst begründet. Anders als im Falle von Wundern tritt jedoch dieser übernatürliche Charakter des Schöpfungsaktes nicht direkt innerhalb der einmal eingerichteten Natur zu Tage.41 Thomas nennt drei Arten von Geschehnissen innerhalb der bestehenden Welt, welche von Haus aus die Möglichkeiten der Natur übersteigen und sich daher als Wunder bezeichnen lassen: Geschehnisse, die auf übernatürliche Weise (supra naturam), auf widernatürliche Weise (contra naturam) und unter Umgehung der Natur (praeter naturam) vonstatten gehen.42 Auch wenn Thomas in »De potentia« dies nicht explizit vermerkt, so lassen sich doch bei diesen drei Spielarten eines Wunders graduelle Abstufungen ausmachen, in denen sie den Möglichkeitsspielraum der Natur überschreiten: (a) Am wenigsten gehen Wunder, die unter Umgehung der Natur geschehen, über deren Möglichkeiten hinaus. Bei diesen Wundern werden Vorgänge, die sich in der Natur abspielen, gewissermaßen beschleunigt oder intensiviert, so daß es zu einem ungleich schnelleren bzw. weitaus üppigeren Ergebnis kommt als in der Natur üblich. Als biblische Beispiele nennt Thomas hier die Verwandlung von Wasser in Wein durch Christus (Joh. 2, 3 ff.) und die massenhafte Hervorbringung von Fröschen in Ägypten (Ex. 7, 26 ff.). Derartige, zumal biblisch verbürgte Vorgänge sind für Thomas nicht zu erklären als besonders raffinierte Vergärungstechnik oder als exorbitante Umweltkatastrophe. Hier geschieht vielmehr etwas mit der Natur, was sonst in der Natur so nicht geschehen kann. (b) Der Terminus des miraculum contra naturam scheint auf einen massiven Eingriff Gottes in die üblichen Vorgänge der Natur hinzudeuten. In Wirklichkeit ist Thomas jedoch daran gelegen, die Widernatürlichkeit eines solchen Wunders nicht mit einer Annihilation von Naturvorgängen gleichzusetzen. Bei einem derartigen Wunder behält vielmehr die Natur ihre Fähigkeit bei, genau das Gegenteil von dem zu bewirken, was Gott vollbringt. So behielt etwa das Feuer, vor 41 Auch die schöpferische conservatio in esse garantiert der Natur und den in ihr sich vollziehenden Prozessen ihren Fortbestand. 42 Zu dieser Differenzierung siehe De pot. q. 6 a. 2 ad 3.

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dem Gott die Jünglinge im Feuerofen bewahrte (Dan. 3, 19), seine Brennkraft bei; und als das Wasser des Jordans still stand (Jos. 3, 26), da behielt auch es seine Schwere bei. Das Gleiche ging auch vor sich, als die Jungfrau den Sohn gebar.43 Die Kategorie des widernatürlichen Wunders scheint für Thomas demnach auf ein partikuläres Phänomen beschränkt zu sein, welches durchaus nicht das umfassende Ganze der Natur außer Kraft setzt.44 Allerdings wird die Abgrenzung von widernatürlichen Wundern gegenüber herkömmlichen Vorkommnissen in der Natur zum Problem, insofern letztere ebenfalls gegen die Natur eines bestimmten Dinges gehen können und daher widernatürlich sind. So geht es etwa gegen die Natur eines bestimmten Feuers, wenn es ausgelöscht wird. Nicht alles, was für ein bestimmtes Ding widernatürlich ist, kann daher bereits als ein Wunder gelten. Im Gegenteil: Widernatürliches muß nicht ungewöhnlich sein. Die alltägliche Erfahrung lehrt, daß die Dinge in der Natur mannigfachen Fährnissen ausgesetzt sind. Widernatürliche Vorkommnisse wie etwa Mißbildungen und Mißgeburten sind in der Natur des Endlichen begründet, d. h. sie kommen von Natur aus dort vor und sind insofern als Privationen oder Ausfallserscheinungen beschreibbar, die die regulären Prozesse der Natur unweigerlich begleiten. Widernatürliche Wunder bezwecken dagegen nicht den bloßen Ausfall einer bestimmten natürlichen Funktion, wie etwa der Brennkraft eines Feuers, sondern verfolgen einen höheren Zweck.45 Widernatürliche Wunder verstehen sich daher auch nicht einfach als außergewöhnliche Ereignisse, die innerhalb der bestehenden Natur 43 De pot. q. 6 a. 2 ad 3. 44 Vgl. dazu De pot. q. 6 a. 1 ad 1 sowie ebd. ad 7: »Wenn Gott etwas

vollbringt, was dem Geschehen in der Natur zuwiderläuft, so setzt er damit nicht die gesamte Ordnung des Weltganzen außer Kraft – dessen Gelungensein besteht ja in dieser Ordnung –, sondern er setzt das Ordnungsgefüge zwischen einer Einzelursache und ihrer Wirkung außer Kraft.« 45 Thomas’ Beispiel für ein widernatürliches Wunder, die Mutterschaft Mariens, zeigt deutlich, daß die Widernatürlichkeit dieses Wunders nicht auf einer Privation beruht.

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hin und wieder auftreten und insofern deren regulären Abläufe bestätigen. Als naturtranszendente – und nicht bloß irreguläre – Ereignisse haben sie stets einen Charakter des Singulären an sich: Widernatürliche Wunder wiederholen sich nicht in dieser oder einen ähnlichen Form. (c) Auf der höchsten Stufe stehen die übernatürlichen Wunder. Bei solchen Wundern verleiht Gott der Natur eine Wirklichkeit, die diese überhaupt nicht hervorbringen kann. Die wundersame Verleihung einer Form kann sich dabei auf zweierlei Weise ereignen. Zum einen kann Gott eine natürliche Form einer Materie angedeihen lassen, welche die Natur dort nicht (mehr) hervorbringen kann, was z. B. bei der Wiedererweckung eines Toten oder bei der Heilung eines Blinden der Fall ist. Zum anderen erhält die Natur eine Form, die sie von sich aus überhaupt nicht hervorbringen kann, »also z. B. die Form der Verherrlichung, die Gott den Körpern der Erwählten verleiht, oder die Fleischwerdung des Wortes«. Gerade auf die Inkarnation als dem »Wunder aller Wunder« sieht Thomas alle anderen Wunder zulaufen: Denn dieses Wunder ist größer als alle anderen Wunder, welche alle auf dieses Wunder zulaufen. Deswegen hält uns die Fleischwerdung nicht bloß dazu an, auch an die übrigen Wunder zu glauben. Vielmehr halten uns die übrigen Wunder dazu an, an die Fleischwerdung zu glauben.46 46 De pot. q. 6 a. 2 ad 9. – In Sum. theol. I q. 105 a. 8 c. nimmt Thomas ebenfalls eine Dreiteilung der Wunder vor, die allerdings mit der eben dargestellten aus »De potentia« nicht völlig kompatibel ist. Auch hier nehmen die Wunder praeter naturam die unterste Stufe ein, insofern die Naturvorgänge nur hinsichtlich des modus und ordo in der Ausführung überboten werden. Die Art oder die Reihenfolge, in der ein Geschehen verläuft, ist hier wunderhaft, nicht das Geschehen selbst. Auf der zweiten Stufe stehen Geschehnisse, die ebenfalls nicht so sehr als Geschehnisse einen wunderhaften Charakter besitzen, sondern eher im Hinblick darauf, wem dieses Geschehnis widerfährt (quantum ad id, in quo [miraculum] fit). Beispiel hierfür ist die Auferweckung von Toten und die Heilung von Blinden. Dies entspricht der ersten Unterart von Wundern, die Thomas in »De potentia« als übernatürlich klassifiziert hatte. Den höchsten Rang nehmen Wunder ein, bei denen der Tatbestand eines Geschehens (substan-

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Alle wunderhaften Ereignisse sind für Thomas demnach Vorgänge, die nicht bloß innerhalb der Natur faktisch geschehen, sondern die etwas mit der Natur selbst geschehen lassen. Sie haben bewandtnishaften Charakter, indem sie etwas bestätigen, was die Natur von sich aus nicht bestätigen kann: Zweck aller Wunder ist die Bestätigung des Wunders der Inkarnation. Jedes einzelne Wunder ist daher auch kein sensationelles Spektakel, das die Sehnsucht der Gläubigen nach definitiven Gottesbeweisen direkt befriedigt oder die Schadenfreude der Ungläubigen begünstigt. Wunder erfüllen keine Erwartungen in der einen oder anderen Richtung. Weder in einem guten noch in einem schlechten Sinne sind sie direkte Eingriffe Gottes in den Lauf der Natur: Weder dienen sie zur Verdeutlichung dessen, was Gott bereits auf natürlichem Wege, leider aber nicht in aller Form geoffenbart hat. Noch haben sie den Zweck, den Lauf der Natur nachzubessern oder auf Kurs zu halten. Wunder, die die Funktion eines Korrektivs besäßen,

tia facti) in gar keiner Weise mehr mit einem natürlichen Ablauf in Bezug gesetzt werden kann. Hier ist ein Geschehen als solches wunderhaft, also z. B. die Verklärung des menschlichen Körpers. Dem entspricht die zweite Unterart von Wundern, die Thomas in »De potentia« als übernatürlich klassifiziert hatte. Demnach fallen bei der Dreiteilung in der »Summa« offenbar die Wunder contra naturam aus »De potentia« weg. Geht man davon aus, daß q. 105 später als q. 6 aus »De potentia« entstanden ist, so liegt die Vermutung nahe, daß Thomas die problematische Kategorie des Widernatürlichen gewissermaßen aufgehen ließ in die beiden Kategorien des praeter naturam und supra naturam. In einem Wunder wird entweder praeter naturam der ordo der gewöhnlichen Wirkungen umgangen oder supra naturam eine Form verliehen, welche an einer bestimmten Materie von Natur aus nicht auftreten kann bzw. welche in der Natur überhaupt nicht vorkommt. Das Problem bei der Kategorie des Widernatürlichen ist offenbar, daß Widernatürliches nicht unbedingt derart außergewöhnlich sein muß, daß es innerhalb der Natur gar nicht vorkommen kann. Es gibt reguläre Abläufe in der Natur, die sich direkt gegen die Natur eines einzelnen Dinges richten, so z. B. »das Vergehen, das Altern sowie jede Art von Verfall« (De pot. q. 6 a. 1 ad 1). Sowohl bei Wundern praeter naturam als auch bei denjenigen supra naturam ist hingegen deren naturtranszendenter Charakter evident.

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hätten eine allzu durchsichtige Ursache, die zudem alles andere als bewunderungswürdig wäre. Ebensowenig benimmt aber Gott mit seinen Wundern der Natur etwas, sondern er verleiht ihr etwas, wozu sie von selbst nicht imstande ist. Daher zeugen die Wunder auch von keinem Sinneswandel Gottes in Bezug auf seine Schöpfung: Ein Sinneswandel läßt sich eher dort vermuten, wo mit einer Kürzung oder Aufstockung von Mitteln auf auftretende Probleme reagiert wird, als dort, wo die überlegte Dosierung von Gaben einen vorausschauenden Ordnungssinn offenbart, den die Natur nicht besitzt. Auch Wunder gehören für Thomas zur Naturgeschichte des Kosmos, da dessen Natur ein Produkt der göttlichen ars ist. Wunder stellen nicht den Lauf der Natur auf den Kopf, sondern vollenden diesen. Die restlichen Artikel von Quaestio VI weisen zunächst nach, daß kein Geschöpf aus eigener Kraft (naturali virtute) ein echtes Wunder vollbringen kann (q. 6 a. 3–5). Als Geschöpfe, die möglicherweise von sich aus die Kraft zum Wirken von Wundern besitzen, kämen vor allem die Engel und Dämonen in Frage, da sie als geistige Substanzen Macht über die körperhafte Natur haben könnten. Da sie aber Bestandteil der Schöpfung sind und nicht außerhalb von ihr stehen, weist Thomas detailliert nach, »daß die guten und auch die bösen Engel mit ihrer eigenen natürlichen Kraft keine Wunder wirken können, sondern manch erstaunliche Wirkung zustande bringen, bei der sie auf kunstfertige Art tätig sind«.47 So vollbringen die Engel und Dämonen ihre zuweilen erstaunlichen Wirkungen auf der Grundlage der Natur, nicht aber jenseits von ihr. In diesem Zusammenhang widmet sich der vorletzte Abschnitt von Quaestio VI dem Verhältnis der Engel und Dämonen zur körperhaften Welt (q. 6 a. 6–8). Hier gelangt Thomas zu dem Ergebnis, daß die Engel und Dämonen zwar körperhafte Gestalt annehmen, jedoch keine natürliche Einheit mit einem Körper eingehen können. Der letzte Abschnitt in dieser Quaestio (q. 6 a. 9–10) verfolgt die Frage, ob ein Mensch durch eigene Anstrengung dazu beitragen kann, daß Gott ein Wunder wirkt. Wunder können zwar nicht herbeigebetet werden, sie bleiben vielmehr »ein unverdientes Gnadengeschenk« Got47 De pot. 6 a. 4. c.

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tes.48 Gleichwohl kann ein starker Glaube dazu verhelfen, daß man eines solchen Geschenkes auch teilhaftig wird. Auf keinen Fall können Wunder aber durch Schwarze Magie, Mantik und dergl. heraufbeschworen werden. All dies sind Probleme und Fragen, deren Beantwortung für Thomas’ damalige Hörer und Leser sicherlich drängend war, die aber für die überwiegende Mehrheit der heutigen Leser bereits als Fragen eher quälend sind. An sich mögen diese Fragen nicht verwunderlich sein. Für uns jedenfalls sind sie es geworden. Man übersetzt und liest sie daher am besten mit Staunen.

48 q. 6 a. 9 ad 1.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS DER ZITIERTEN WERKE

1. Text-Ausgaben F

Sancti Thomae Aquinatis Doctoris angelici ordinis praedicatorum Opera omnia ad fidem optimarum editionum accurate recognita, Parmae typis Petri Fiaccadori 1852 ff.; vol. VIII , Parmae 1856, 1−218.

L

Sancti Thomae de Aquino Opera omnia iussu Leonis XIII P. M. edita; Vol. XXI [in Vorbereitung].

M

S. Thomae Aquinatis doctoris angelici Quaestiones disputatae, cura et studio P. Bazzi et al., Taurini / Romae 101965; Vol. II , 7−276.

V

Doctoris angelici divi Thomae Aquinatis sacri Ordinis F. F. Praedicatorum Opera omnia sive antehac excusa, sive anecdota […], studio ac labore Stanislai Eduardi Fretté et Pauli Maré Sacerdotum, Scholaeque thomistica Alumnorum, Parisiis apud Ludovicum Vivès 1871 ff.; Vol. XIII : Quaestiones dispuatatae. De Potentia − De malo, Parisiis 1875, 1−319.

2. Editionen der zitierten Werke Beaujeu

Apuleius, Opuscules philosophiques (Du dieu de Socrate, Platon et sa doctrine, Du monde) et fragments, ed. J. Beaujeu, Paris 1973 (= Collection des universités de France).

Buytaert

Johannes Damascenus, De fide orthodoxa. Versions of Burgundio and Cerbanus, ed. E. M. Buytaert,

326

Abkürzungsverzeichnis

Louvain 1955 (= Franciscan Institute Publications. Text series 8). CCCM

Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis, Turnhout 1966 ff.

CCSL

Corpus Christianorum. Series Latina, Turnhout 1953 ff.

CSEL

Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Wien 1866 ff.

Coll. S. Bon.

Magistri Petri Lombardi Sententiae in IV libros distinctae, ed. Collegii S. Bonaventurae ad Claras Aquas, Grottaferrata (Romae) 1971 (= Spicilegium Bonaventurianum 4–5).

Dion.

Dionysiaca. Recueil donnant l’ensemble des traductions latines des ouvrages attribués au Denys de l’Aréopage et synopse marquant la valeur de citations presque innombrables allant seules depuis trop longtemps, remises enfin dans leur contexte au moyen d’une nomenclature rendue d’un usage très facile, Brügge 1937.

Kempf

Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia, ed. K. Kempf, Stuttgart 1966.

Leclerq

Bernardus Claraevallensis, Opera, ed. J. Leclerq et al., Rom 1957 ff.

Minio-Paluello Aristoteles latinus, ed. G. Lacombe / L. Minio-Paluello, Rom 1954 ff. PG

Patrologiae cursus completus, Series Graeca, ed. J.-P. Migne, Paris 1857 ff.

Abkürzungsverzeichnis

327

PL

Patrologiae cursus completus, Series Latina, ed. J.-P. Migne, Paris 1844 ff.

SC

Sources Chrétiennes, ed. H. de Lubac, J. Daniélou et al., Paris 1943 ff.

Schönfeld

[Anonymus;] Das Buch von den Ursachen / Liber de causis. Lateinisch – deutsch, übersetzt und mit einer Einleitung versehen von A. Schönfeld und R. Schönberger, Hamburg 2004 (= Philosophische Bibliothek 553):

Van Riet

Avicenna Latinus, ed. S. Van Riet et G. Verbeke, Louvain (u. a.) 1968 ff.

Verbeke

Nemesius von Emesa, De natura hiominis, ed. G. Verbeke, Leiden 1975 (= Corpus Latinum commentariorum in Aristotelem Graecorum. Suppl. 1).

Waszink

Plato, Timaeus a Calcidio translatus commentarioque instructus, ed. J. H. Waszink, London / Leiden 1962 (= Plato latinus IV ).

Weiss

Mose ben Maimon, Führer der Unschlüssigen, Übersetzung und Kommentar von A. Weiss. Mit einer Einleitung von J. Maier, Hamburg 1972 (= Philosophische Bibliothek 184 a–c).

Willis

Ambrosii Theodosii Macrobii commentarii in Somnium Scipionis, ed. J. A. Willis, Stutgart 1970.

Zierl

Alexander von Aphrodisias, Über das Schicksal, übersetzt und kommentiert von A. Zierl, Berlin 1995.

THOMAS VON AQUIN

Quaestiones Disputatae Regensburger Ausgabe herausgegeben von Rolf Schönberger

band 1–6 Über die Wahrheit (De veritate) band 7–9 Über das Vermögen Gottes (De potentia Dei) band 10 Über die Tugenden (De virtutibus) band 11–12 Über das Übel (De malo) band 13 Über die Seele (De anima)