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German Pages 349 [364] Year 1965
THEO HERRMANN PSYCHOLOGIE DER KOGNITIVEN
ORDNUNG
PHÄNOMENOLOGISCH-PSYCHOLOGISCHE FORSCHUNGEN
H E R A U S G E G E B E N VON
C. F. GRAUMANN UND J. LINSCHOTEN f
BAND 6
1965 WALTER
DE
GRUYTER
& CO.
/BERLIN
V O R M A L S G. J . G Ö S C H E N * S C H E V E R L A G S H A N D L U N G - J. G U T T E N T A G , V E R L A G S BUCHHANDLUNG GEORG REIMER K A R L J. T R Ü B N E R - VEIT & COMP.
PSYCHOLOGIE DER KOGNITIVEN ORDNUNG VON
THEO H E R R M A N N
1965
WALTER
DE
GRUYTER
& CO. / B E R L I N
V O R M A L S G. J. G Ö S C H E N * S C H E V E R L A G S H A N D L U N G - J. G U T T E N T A G , V E R L A G S B U C H H A N D L U N G - G E O R G R E I M E R - K A R L J. T R U B N E R - V E I T Sc C O M P .
Archiv-Nr.: 3 4 9 9 6 5 2
© 1964 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. 1 Berlin 30 (Printed in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: H. Heenemann KG, 1 Berlin 31
Meiner Frau
„Menschen verstehen sich je in ihrer Gesellschaft und in ihrer geschichtlichen Lage auf eine andere Weise; und wenn es so ist, daß sie in diesem Sinnverständnis ihr Wesen erst feststellen, dann hat der Mensch viele Wesen; es sei denn, man sieht das Wesen des Menschen eben darin, daß er mitwirken muß, es jeweils zu finden." J. H a b e r m a s
Vorbemerkung Unsere Absicht ist die Eingrenzung und Bearbeitung eines Sachgebiets, das wir „kognitive Ordnung" nennen. Der Inhalt dieses Buches deckt sich nicht mit einer „Denkpsychologie". Es ist einerseits thematisch weiter gefaßt, insofern besonders in den ersten Teil der Arbeit methodologische und wissenschaftstheoretische Erörterungen eingehen, die gemeinhin nicht zum Themenkreis denkpsychologischer Monographien gehören. Andererseits ist diese Schrift thematisch enger, weil sie nicht alle zur Denkpsychologie gezählten Sachbereiche (z. B. das „produktive" Denken) untersucht und weil sie nicht alle wichtigen denkpsychologischen Methoden (z. B. die Faktorenanalyse von Denkprozessen) verwendet oder sie doch in ihrer Verwendung aufweist. Der gegenwärtige Versuch rechnet zu einer Art von Arbeiten, die die heute übliche Institution der „Faktenvermittlung" nur ungern etwa der Kategorie der Lehrbücher subsumieren würde, weil man solche Arbeiten für „perspektivisch" bzw. „aspektiv" hält. Der von uns intendierte Perspektivismus wird zu Anfang dieser Schrift methodologisch begründet; er sollte aber freilich nicht dazu geführt haben, dem gesicherten Problemund Wissensstand unseres Fachs zuwenig gerecht zu werden. Allerdings würden wir uns gegen den Vorwurf nichterfüllter Vollständigkeitsansprüche deshalb verwahren, weil wir das, was man Vollständigkeit zu nennen pflegt, für eine wissenschaftsfremde, ja eigentlich wissenschaftsfeindliche Konstruktion halten. Dem Leser, der nicht so sehr an „Problemen", an „Voraussetzungen" u. dgl. Gefallen findet, möchten wir raten, den ersten Teil dieser Schrift (bis Seite 72) zu überschlagen. Derjenige hingegen, der an speziellen experimentellen Untersuchungen nicht interessiert ist, sollte die Lektüre auf VII
Seite 165 abbrechen. Wir haben lange geschwankt, ob wir die Darstellung unserer experimentellen Untersuchungen entweder dem theoretischen Teil dieser Arbeit voranstellen oder sie in diesen einarbeiten sollten. Wir wählen die dritte Möglichkeit und lassen die Experimente dem theoretischen Teil folgen, um deutlich zu machen, daß sie einige uns wichtig erscheinende theoretische Thesen zwar exemplifizierend belegen, nicht aber als hinreichende empirische Fundierung unserer theoretischen Aufstellungen dienen können. Unsere theoretischen Überlegungen sind nicht die Interpretation von stets zureichend verfügbaren Fakten, sondern oft nur Voraussetzungen für die Bildung zu entscheidender Hypothesen. Einige solche Hypothesen wurden unter Angabe konkreter Rahmenbedingungen im experimentellen Teil unserer Arbeit formuliert, geprüft und bestätigt. Nichts anderes ist damit gemeint, wenn wir soeben sagten, unsere Experimente dienten unseren theoretischen Thesen zum exemplifizierenden Beleg. Das Manuskript wurde, abgesehen von einigen späteren Einfügungen, im Jahre 1961 abgeschlossen. Eine Reihe von bewertenden Thesen würden wir heute anders fassen, ein oder zwei Experimente würden wir anders ansetzen, in der Argumentation würden wir die Gewichte an einigen Stellen anders verteilen. Da wir aber vorauszusagen wagen, daß wir in einigen Jahren dieselben Distanzierungen in bezug auf unsere heutigen Auffassungen vornehmen müßten, entschließen wir uns, die gegenwärtige Arbeit so vorzulegen, wie sie seinerzeit geschrieben wurde, zumal allfällige Korrekturen lediglich kleine Details betreffen würden. Diese Arbeit entstand im diskussionsfreudigen und toleranten Milieu des Psychologischen Instituts der Universität Mainz. Die Gewißheit der Übereinstimmung, mehr aber noch die freundschaftliche Auseinandersetzung haben sich vielleicht deutlicher in unseren Überlegungen niedergeschlagen, als es expliziter Hinweis und Zitat belegen. Wir danken Herrn Professor Wellek, allen Mainzer Kollegen, insbesondere aber Herrn Dr. Otto Ewert, für langjähriges wissenschaftliches Gespräch und für die Förderung unserer experimentellen Untersuchungen. Gern genügen wir der angenehmen Pflicht, dem Verlag und dem Herausgeber dieser Reihe, Herrn Professor C. F. Graumann, für die Ermöglichung der Drucklegung und den Herren Dipl. Psych. Friedrich Denig, cand. rer. nat. Kurt Stapf und cand. phil. Martin Degenhardt für die Mithilfe bei der Korrektur und bei der Anfertigung des Registers Dank zu sagen. Theo
Herrmann
Inhalt A. Psychologische Probleme der kognitiven Ordnung I. Vorüberlegungen zum Problem der „thematischen" und der „methodalen" Ordnung II. Uber Grundbestimmungen der kognitiven Ordnung: Anpassung, Zeiterstreckung, Erfahrungszusammenhang und Intentionalität (Die Aspektstruktur kognitiver Ordnung) 1. Zur Terminologie: Kognitive Ordnungsbildungen und kognitive Vollzüge 2. Uber erkenntnispragmatische Implikationen 3. Biotheoretische Modelle und das Problem der Regulation 4. Die Zeiterstreckung der Erfahrung: Zum Problem des Gedächtnisses a) Das Uberdauern der „Abbilder" b) Der „physiologische Umweg" c) Die „Kräfte des Wiederhervorbringens" d) Die „Aspektstruktur" des Gedächtnisses 5. Erfahrungsordnung, Kontiguität und Gestaltgesetze 6. Methodische Konsequenzen B. Theoretische Beiträge zur Psychologie kognitiver Ordnungsbildungen
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I. Schematisierung als Paradigma kognitiver Ordnungsbildung • • 1. Vorbemerkung 2. Uber das Ungenügen des Kontiguitäts- und Elemententheorems 3. Kognitive Ordnungsbildung und der Schemabegriff
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II. Modalitäten der kognitiven Ordnung 1. Kognitive Ordnung als primäre Gegebenheitsordnung 2. Kognitive Ordnung als Objektivitätsabweichung und als Gegebenheitsmodifikation 1. Autochthone Ordnungsfaktoren 2. Ordnungsfaktoren des Lernens und der Gewöhnung (Erfahrungsnormen) 3. Motivationale Ordnungsfaktoren 3. Die Persönlichkeitsrelevanz kognitiver Ordnung 4. Die Sozialrelevanz kognitiver Ordnung 5. Zusammenfassung
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III. Die signitive Dimension kognitiver Ordnung 132 1. Einleitung: Kontext und Repräsentation 132 2. Entwurf einer Beschreibungssystematik der kognitiven Ordnung 140 3. Zum Problem der Bedeutungsverleihung 149 4. Uber verbale Repräsentationen 154 5. Repräsentation und Kommunizierbarkeit 162 C. Experimentelle Beiträge zur Psychologie kognitiver bildungen
Ordnungs-
I. Einige formale Beschreibungsweisen kognitiver Ordnungsbildungen: Urteilskonkordanz, semantische Differenzierung und Urteilsnuanciertheit 1. Vorbemerkungen 2. Der Bedeutungsgehalt als Urteilskonkordanz 3. Die semantische Differenzierung von Bedeutungen 4. Die Urteilsnuanciertheit als formales Merkmal des semantischen Differenzierens II. Über operative Komponenten kognitiven Geschehens und ihre aktuelle Umgestaltung 1. Untersuchung: Operative Einstellungen, Reproduktionsmenge und Reproduktionsweise 1. Versuchsanordnung 2. Ergebnisse 3. Diskussion 2. Untersuchung: Die Beantwortung von Wissensfragen und materiale und operative Lösungskomponenten 1. Versuchsanordnung 2. Ergebnisse 3. Diskussion 3. Untersuchung: Die aktuelle Umgestaltung eines kognitiven Ordnungssystems (Schätzung von Verwandtschaftsgraden) 1. Versuchsanordnung 2. Ergebnisse 3. Diskussion 4. Untersuchung: Über kognitive Umschematisierungen und das Gefälle der Urteilsstrenge (Mitarbeiterbeurteilungen im Industriebetrieb) 1. Voraussetzungen 2. Untersuchungsmaterial 3. Ergebnisse und Diskussion
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III. Zur Bildung kognitiver Ordnungsschemata: Die Bedeutungsverleihung 204 5. Untersuchung: Bedeutungsverleihung bei Vorlage sinnfreier Quasi-Wörter 205
1. Fragestellung 2. Versuchsanordnung 3. Ergebnisse und Diskussion 1. Kontextartung 2. Kontextgröße und Kontextsequenz 3. Irradiation einer Bedeutungsverleihung auf eine andere .. 4. Entlastungen 5. Der Einfluß „fremder Meinungen" 6. Prestigewirkungen 7. Bedeutung und Sinnfreiheit 6. Untersuchung: Bedeutungsverleihung, Urteilskonkordanz und semantische Differenzierung 1. Versuchsanordnung 2. Ergebnisse und Diskussion 3. Zusammenfassung (Untersuchungen 5 und 6) IV. Z u m Problem der signitiven Repräsentation u n d Kommunizierbarkeit kognitiver O r d n u n g e n 7. Untersuchung: Über zeichnerische und quasi-definitorische Repräsentation und Mediation 1. Versuchsanordnung 2. Ergebnisse und Diskussion a) Graphische Repräsentationen Zur Thematik der graphischen Repräsentationen Kommunizierbarkeit als Zuordnungsrichtigkeit Zuordnungsrichtigkeit, Anschaulichkeit, Repräsentationshomogenität und einige andere Kommunikationsdeterminanten Gruppenspezifische Zuordnungsschwierigkeiten, Unabhängigkeit von der Repräsentationshomogenität Bedeutungsähnlichkeit als Repräsentationsvertauschung . . b) Quasi-definitorische Repräsentation 3. Zusammenfassung V. Das Gefälle der subjektiven Schätzsicherheit als Ausdruck phänomenaler Ordnungsgefälle 8. Untersuchung: Uber die subjektive Schätzsicherheit bei Entfernungsschätzungen 1. Versuchsanordnung 2. Ergebnisse und Diskussion
205 206 209 209 214 216 217 218 219 220 220 221 228 229 230 230 234 234 234 237 238 245 248 254 258 262 263 263 264
VI. Zusammenfassende Diskussion der Untersuchungsergebnisse • • 276 D. Literatur
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E. Sachregister
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A. Psychologische Probleme der kognitiven Ordnung I. Votüberlegungen zum Problem der „thematischen" und der „methodalen" Ordnung 1. Es geht nicht an, in einer psychologischen Arbeit schlechthin das Problem der Ordnung behandeln zu wollen. Eine Systematik und eine Geschichte der Ordnungsbegriffe und darüber hinaus der Ordnungsmetaphorik sind äußerst schlecht überschaubar; immer wieder überschreitet ein solches Unternehmen die Grenze wissenschaftlicher Erkenntniseinstellung - und führt doch auf den vortheoretischen, den vorwissenschaftlichen Boden, aus dem die seelenwissenschaftlichen Theorien- und Modellbildungen wachsen. Das Ordnungsproblem ist so alt wie die Philosophie. Es hier auch nur skizzenhaft darstellen zu wollen, fehlt uns die Kompetenz. Es sei nur daran erinnert, daß schon Heraklit die Weltbewegung als geordnet sah; diese Ordnung, der Logos, galt ihm als das einzig Überdauernde. Desgleichen stellte sich dem Anaxagoras das Weltall dar als eine schöne und zweckmäßige Ordnung (Kosmos). Er spricht von der „Harmonie der Welt". Wissen ist in dieser frühen Phase der griechischen Philosophie die schlichte Unterwerfung unter das geordnete Allgemeine (nous). Jeder hat zwar seine M e i n u n g und damit seine eigene kognitive Ordnung; das E r k e n n e n beziehungsweise das W i s s e n aber unterwirft sich dem Weltgesetz. Die Stellung der S t o a zu diesem Weltgesetz ist schon bei weitem problematischer. Das Erkenntnisproblem ist nicht mehr mit der schlichten Unterwerfung unter die Weltordnung abgetan. Die Entstehung der „Vorstellungen" und der „Vorstellungsverbindungen" wird als von der menschlichen Entscheidung unabhängig gedacht; sie sind naturnotwendige Prozesse. Daneben aber steht die f r e i e n t s c h e i d e n d e Zustimm u n g o d e r A b l e h n u n g der „Vorstellungen" (vgl. hierzu Windelband [1511]; 170)°. Mit der Frage, wie Wahrheit (und kognitive Ordnung) sich in der freien Zustimmung zu gerade den „ r i c h t i g e n " Vorstellungen konstituiert, entfaltet sich die Erkenntnisproblematik, die bis heute einen guten Teil allen Philosophierens ausmacht. Es geht im Laufe der philosophischen Bemühungen der Jahrhunderte immer wieder um die e r k e n n e n d e T e i l h a b e d e s M e n s c h e n an d e r O r d n u n g * Die in eckigen Klammern kursiv gesetzten Ziffern verweisen auf das Literaturverzeichnis S. 285 ff. 1 Herrmann
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d e s W i r k l i c h e n . Erkennen ist Nachvollziehen der kosmischen Ordnung. Ebenso wird auch wissenschaftliches Erkennen bis heute weithin verstanden. So beschreibt R. Kirchhoff mit vielen anderen Theoretikern Wissenschaft als die „Ordnung von Wirklichem" ([656]; 1). Er spricht aber auch von der „Verwurzelung alles .Theoretischen' in einem alle Theorie transzendierenden Vor-Theoretischen" ([a. a. O.]; 2). Psychologische Theorie ist Bemühung um Ordnung, wobei die Ordnungsprinzipien, die Art und Weise des Ordnens, der Herleitung nicht zuletzt aus epochalen verwissenschaftlichen M e n s c h e n b i l d e r n zugänglich sind. In der seelenwissenschaftlichen Theorie kristallisiert sich das jeweilige Selbstverständnis der Menschen aus - oder doch wesentliche Züge desselben. Damit soll freilich nicht gesagt sein, jede Epoche habe ihre eine eigene theoretische Psychologie. Das hieße die Einheitlichkeit und Spannungslosigkeit von Zeitsituationen - besonders aber der derzeitigen Zeitsituation - überschätzen1. Wird schon seit Jahrzehnten die Lage der wissenschaftlichen Psychologie mit Recht als „krisenhaft" bezeichnet (Bühler [1428], Wellek [1334] u. a. O.) und tritt die Hilflosigkeit immer wieder zutage, die theoretische Position der anderen, wenn schon nicht bejahen, so doch überhaupt nur nach voll ziehen und damit angemessen und „immanent" kritisieren zu können, so wird hier in höchst bedenklicher Weise eine „Divergenz der Menschenbilder" (Wellek) spürbar. Die heutigen Theorienbildungen sind mit der historischen Hypothek höchst unterschiedlicher anthropologischer Konzepte belastet. Um zwei Beispiele in aller Kürze zu skizzieren: a) Die Leipziger G e n e t i s c h e Ganzheitspsychologie führt wesentliche theoretische Grundlagen ihres strukturtheoretischen Persönlichkeitskonzepts auf Hegels Objektiven Idealismus zurück: „Die ganze Konzeption . . . [der Kruegerschen] Strukturlehre ist eine wesentlich Hegelianische und läßt sich einzig dialektisch lösen und zu Ende denken." (Wellek [1322]; 108, vgl. auch [J323]; 37 f.) Das wird insbesondere bei der Betrachtung von F. Kruegers Entwicklungstheorie deutlich. Hegel sagt: „Die Erscheinung ist das Entstehen und Vergehen, das selbst nicht entsteht und vergeht, sondern an sich i s t . . . " (vgl. Wellek [a.a.O.]; 117). Dieses „dialektische" Modell der „dynamischen Konstanz" (Wellek), das sich in ausgeprägtester Weise bei dem Hegelianer O. Spann findet2 und über diesen 1 „Wir schleppen Veraltetes und Neues, Anachronismus und moderne Anschauungen, mittelalterlichen Aberglauben und neueste Wissenschaft in unserem Geiste unverbunden nebeneinander mit." (Mühlmann [904]; 174) 2 Wellek zitiert den Wiener Philosophen und konservativen Soziologen. „Alles Zeitliche ist zugleich überzeitlich - weil an die (unzeitliche, zerstreute) Einheit der Entfaltung des Ganzen in der Zeit angeknüpft..." (Kategorienlehre. Jena 1924, 2 1939; 201; nach [a. a . O ] ; 117).
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in der Leipziger Schule Eingang gefunden hat, beeinflußte die Theorienbildung der Genetischen Ganzheits- und Strukturtheorie (insbesondere Wellek) bis zum heutigen Tage. Vielleicht weniger leicht nachweisbar, doch durchaus merklich, herrscht in Kruegers Genetischer Strukturtheorie das goetheanische Pathos der Erhebung des Menschen über den „Augenblick": Die bekannteste Formulierung findet man in Goethes „ G ö t t l i c h e m " : „Nur allein der Mensch vermag das Unmögliche; er unterscheidet, wählet und richtet; er kann dem Augenblick Dauer verleihen." Bei F. Krueger heißt es denn auch: „Dem Menschen wird es immer von neuem ergreifend zum Erlebnis gebracht, wie die gestaltende Kraft der Seelen dem Augenblick Dauer verleiht." ([711]; 121). Da im gegenwärtigen Zusammenhang lediglich zwei knappe Beispiele gegeben werden sollen, kann dieser Hinweis auf das sehr anspruchsvolle Leipziger Persönlichkeits- und Entwicklungsmodell nicht mehr sein als eine Andeutung (vgl. u. a. Wellek [i323, 1328]. Eine befriedigende Explikation ist weder beabsichtigt noch in der Kürze möglich. Vielleicht wird es aber deutlich, daß in die Leipziger Psychologie spezifische vortheoretische und philosophische Implikationen eingehen, ein spezifisch „idealistisches" Menschenbild, das weder eine willkürliche Verabredung noch aber gewissermaßen vom Himmel gefallen, sondern aus geistesgeschichtlichen Traditionen ableitbar ist. b) Ein ganz anderes anthropologisches Konzept manifestiert sich beispielsweise in der modernen psychologischen L e r n t h e o r i e . Ein sehr umsichtiger und kritischer und mit Recht zunehmend auch von der deutschen Psychologie beachteter Forscher ist O. H. Mowrer. Er nimmt den Hume sehen Empirismus zur philosophischen Grundlegung seiner Theorienbildung (vgl. auch z. B. E. Straus [1216]) und zitiert den englischen Philosophen wie folgt ([900]; 328 ff.): „. . .we may observe, that the animal infers some fact beyond what immediately strikes his senses; and that this inference is altogether founded on past experience, while the creature expects from the present object the same consequence, which it has always found in its observation to result from similar objects" (Enqu. conc. hum. underst. [1748]; 110 f.). Diese Zentralstelle des skeptischen Empirismus vermittelt für Mowrer „the possibility for studying ,mental processes', not subjectively and logically', but objectively, behaviorally" [330]. Er meint, es habe sich bis heute nur „little advance" über Hume hinaus ergeben. 3
So tritt in dieser Theorienbildung ein (im Kantisdien Sinne) vorkritisches, zugleich skeptizistisches und empiristisches Menschenbild zutage. Mowrer verwendet beispielsweise viel Mühe daran, Kausalität auf „conditioning or learning by contiguity" zu reduzieren. Das ist orthodoxer „Humescher Zweifel" im Jahre 1960. Es dürfte anschaulich geworden sein, daß sowohl das PersönlichkeitsModell als auch die (im umfassenden Sinne) methodische Haltung der beiden angeführten psychologischen Positionen grundverschieden sind. Sie sind nicht nur als verschieden aufweisbar, sondern darüber hinaus, zumal die Selbstbesinnung der Vertreter beider „Richtungen" Hilfen gibt, auf ihre vortheoretischen und philosophischen Wurzeln zurückzuführen. In der zeitgenössischen Psychologie treffen sich in höchst „pluralistischer" Weise die Menschenbilder verschiedener Epochen. Auch über den säkularisierten Glaubenseifer, mit dem einige Kybernetiker und Vertreter einer „objektiven Psychologie" die Richtigkeit ihrer Modellkonstruktionen (qua Systemkonsistenz und empirische Verifizierbarkeit) mit der gelungenen Reinigung der Wirklichkeit von „Irrationalismen" verwechseln, müßte - was hier nicht möglich ist - eingehend diskutiert werden. Man argumentiert zuweilen wie folgt: 1. Ein empirischer Sachverhalt x kann im Modell y (z. B. eines Regelkreises) beschrieben werden; unter den Modellvoraussetzungen y kann man zu nachprüfbar eintreffenden Voraussagen, die x betreffen, kommen. 2. E r g o ist die Annahme z („Seele", „Bewußtsein", „Instinkt" usw.) entbehrlich. 3. E r g o ist die Welt heilsam entzaubert und vom „Irrationalen" befreit (vgl. z. B. audi D. O. Hebb [488]). Es leuchtet ein, daß die beiden letzten Schlußglieder eine uneingestanden metaphysische Hintergründigkeit besitzen. Es geht uns hier n i c h t darum, diesen Schluß oder diese Metaphysik zu k r i t i si e r e n , sondern sie in ihrem Metaphysik-Charakter zu e r k e n n e n .
Jede philosophische Besinnung zeigt, daß zwischen den Selbstinterpretationen der Menschen nicht theoretisch e n t s c h i e d e n werden kann (vgl. hierzu Blumenberg [121]). Ein solcher Cartesianismus sollte zum mindesten seit Kant begraben sein. Daß er es nicht ist, sondern z. B. in der positivistischen Einheitswissenschafts-Konzeption immer noch als ein gnoseologischer Optimismus zweiter und dritter Hand zu faszinieren vermag, ist aber nicht erstaunlich. Er ist insofern „entschuldigt", als nun einmal der historisierende Relativismus der Menschenbilder ganz unmittelbar nur schlecht e r t r ä g l i c h ist (vgl. Dinglers „Wille zur Eindeutigkeit"). Es geht hier um Fragen, die u. E. (theoretisch) unlösbar, aber zugleich auch „nie unentscheidbar" (Blumenberg) und d e s h a l b für den einzelnen vor Eintritt in die Theorie meist schon entschieden sind. Wissenschaft zu treiben heißt ordnen, das Ordnen aber ist der Verlust von „Möglichkeiten", es heißt Festlegung und Abwehr des Fluktuierenden, Chaotischen. So gewinnt das Wissenschaft-Treiben in der Unerträglichkeit des Unentschiedenen ein Haltungsfundament. Und das trifft auf die Psychologie um so mehr zu, als
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das Objekt dieser Wissenschaft letztlich „jeder selbst" ist. So ist der weithin vorhandene theoretische Dogmatismus der Psychologen verständlich wie nur irgend etwas. Ebenso verständlich aber ist auch der Pluralismus der vortheoretischen Implikationen, damit aber auch die „Krisenhaftigkeit" des Fachs und die dialektische Dramatik seiner Geschichte3. Ist das reproduktive Nebeneinander des geschichtlich nacheinander Dagewesenen ein Kennzeichen der heutigen geistigen Situation, so gründet die „Krise der Psychologie" in eben diesem viel berufenen Mangel an „Geschlossenheit" des derzeitigen Menschenbildes (vgl. z. B. Wellek [1331])*. Diese Gegebenheiten kann man u. E. nur in zweierlei Weise zu bewältigen versuchen: Man kann (1) die eigene Position verabsolutieren, indem man entweder im hergebrachten Sinne aphoristische Voraussetzungen macht beziehungsweise indem man, um seine Voraussetzungen nicht wissend, voraussetzungslosen Empirismus zu treiben meint (vgl. hierzu Wittenberg [I5Í3], Herrmann [1449]); oder aber man weiß (2) um den Aspektcharakter der eigenen Position und „hält ihn aus". Im ersten Falle wird der Aspektcharakter nicht „im" Vertreter einer wissenschaftlichen Position sichtbar, wohl aber im Nach- und Gegeneinander der wissenschaftlichen Positionen. Dann ist der Perspektivismus nicht Bestandteil der Wissenschaftstheorie; er ist nicht intendiert, sondern ein nicht thematisiertes Merkmal der historischen Faktizität der Wissenschaft. Im zweiten Falle wird dieses Merkmal in die theoretischen Intentionen und Thematisierungen „hineingenommen" und 3 Die ganze Schwierigkeit des hier angeschnittenen Problems drängt sich beim Lesen einer neuen Studie von W. J. Revers über die „Ideologischen Horizonte der Psychologie" [1546] auf, die zu diskutieren uns keine Zeit mehr geblieben ist. Es sei nur vermerkt, daß Revers' höchst instruktive „Entlarvung" ideologisdier Voraussetzungen einer „objektiven Psychologie" auf der Matrix e b e n f a l l s ideologischer Vorentschiedenheit erfolgt und daß so in beispielhafter Weise die Dialektik der psychologischen Selbstbesinnung sichtbar wird. Im übrigen findet der Leser in der Reuersschen Arbeit eine Fülle von sorgfältig ausgewählten Details, die die hier versuchten Auffassungen zu stützen in der Lage sind. 4 „Aus... [dem] Stadium der gegenseitigen Bekämpfung beginnen die verschiedenen Richtungen in der Psychologie herauszutreten und sich einander zu nähern; immer mehr ist in dem letzten Jahrzehnt die Gemeinsamkeit der Methoden und die Einheit des Zieles betont worden. Es sind mancherlei Ursachen, die diese Annäherung gefördert haben. Sie dürfte hauptsächlich darauf beruhen, daß die „Introspektiven" und die „Experimentellen" voneinander gelernt haben." In Anbetracht der Tatsache, daß diese Zeilen vor etwa 60 Jahren geschrieben wurden - fast 25 Jahre vor Bühlers Buch „Die Krise der Psychologie" und fast 60 Jahre vor Welleks Schrift „Der Rückfall in die Methodenkrise der Psychologie und ihre Uberwindung" - sind allerlei skeptische Gedanken über unsere methodische Situation und über immer wieder zu vernehmende optimistische Prognosen kaum abweisbar. (E. Meumann: Zur Einführung. Arch.ges. Psychol. 1 (1903); 1 ff.).
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als gegeben bejaht. Eine eingehendere Durchführung dieses Ansatzes kann im gegenwärtigen Zusammenhang nicht mitgeteilt werden; es sei hier auf entsprechende methodologische Versuche der jüngsten Zeit verwiesen5. In praxi wird die Lage der Psychologie dadurch entscheidend entlastet, daß zwar nicht in Hinblick auf die vortheoretischen Voraussetzungen, wohl aber auf umschriebene W i s s e n s c h a f t s t e c h n i k e n weitgehende Übereinstimmung besteht. Gemeint sind die Rückführung theoretischer Fragestellungen auf e x p e r i m e n t e l l e H y p o t h e s e n , die e x perimentelle Methodik und die maßmethodischstatistische Bearbeitung experimenteller Daten. Schon die wissenschaftstheoretische F u n k t i o n von Experiment und Maßmethodik ist wiederum umstritten (vgl. Funke [i439]); als t e c h n i s c h e s W e r k z e u g aber werden sie - aufs ganze gesehen - gleichwohl allgemein bejaht und verwendet. H i e r l i e g t d e r g a r n i c h t zu ü b e r s c h ä t z e n d e heuristische Nutzen dieser w i s s e n s c h a f t l i c h e n M i t t e l . Mit ihnen ist ein vergleichsweise neutraler Bereich entstanden, der die wissenschaftliche Geschlossenheit der Psychologie im pragmatischen Sinne zu garantieren vermag. 2. Wenn in der Psychologie von Ordnung gesprochen wird, so ist damit ein Kennzeichen der Wissenschaftlichkeit überhaupt gegeben. Äußerst unübersichtlich wird aber die theoretische Situation, wenn es eine Wissenschaft, konkret: die Psychologie, unternimmt, die Ordnungsbildungen der Menschen zu ihrem T h e m a zu machen. Die Denkpsychologie ist in dieser Lage. Jeder Mensch nennt ein Ordnungsbild der Welt und seiner selbst, wenigstens vorbegrifflich, sein eigen. Sein Handeln, sein Erleben, seine Leistungen und Werkgestaltungen lassen auf sein Welt- und Menschenbild schließen. Selbstverständlich kann nun das „erlebte" (intendierte) Ordnungsbild verschieden sein von demjenigen, das der andere (beispielsweise der wissenschaftliche Beobachter) an ihm gewahrt. Das alles ist in einer Zeit, in der Gedankengänge Freuds, auch Nietzsches, Ibsens, Dostojewskis usw. gewissermaßen als „gesunkenes Kulturgut" allerorten spürbar sind, selbstverständlich geworden. Der Irrtum über das eigene Sein und Tun ist ein wesentliches literarisches, philosophisches und wissenschaftliches Motiv nicht erst der heutigen Zeit. Man macht sich aber auch widerwillig klar, daß man eigene Ordnungsbildungen in den anderen hineinsieht, ja notwendigerweise hineinsehen muß, da man selbst keine t a b u l a r a s a beziehungsweise kein passiv u n d adäquat registrierender Apparat ist. Geht es nicht gerade um diese Schranken bei der Erkenntnis des anderen, so ist man selbstverständlich sehr froh, ein 5
Wellek ([1332] a. a. O.), Kirchhoff [a. a. O.], Wittenberg
[525, 1449] u. a.; vgl. auch u. S. 66 ff. 6
[1513],
Herrmann
produktiv und aktiv erfassendes, nicht aber ein passiv Eindrücke registrierendes Wesen zu sein. Für die in der Selbstinterpretation gewonnene Autonomie des „Stellungnehmens" bezahlt man nur ungern mit der Einsicht in die „Vermitteltheit" des Gegebenen, auch des mitmenschlich Gegebenen. Bei der w i s s e n s c h a f t l i c h e n Betrachtung des Menschen unter dem E r l e b n i s a s p e k t (K. Bühler) besteht die Gefahr der Fehlinterpretation in ungewöhnlichem Maße. Bekanntlich liegen hier die Gründe für die völlige Abwendung weiter Teile der Psychologie von der Introspektion (vgl. z. B. Hebb [489]). Rieffert [1060], Brunswik [178] und andere konnten aufweisen, daß schon die getreue Registrierung des eigenen Erlebens auf große Schwierigkeiten stößt, bevor der interindividuelle Vermittlungsprozeß überhaupt beginnt; sich „vorzustellen", „festzustellen", was man erlebt, birgt mannigfache Fehlerquellen®. Viel schwieriger noch ist die Übermittlung des „festgestellten" Erlebens an den Partner (z. B. den Versuchsleiter). So ist nach allem schon die wissenschaftliche Kenntnisnahme von „erlebten" Ordnungskonzepten höchst problematisch. Die Gefahr der Projektion eigener Ordnungsbildungen auf fremdes Verhalten und Erleben wurde erwähnt. Verläßt man sich nicht nur auf „ErlebnisAussagen" des anderen, sondern betrachtet man dessen V e r h a l t e n , L e i s t u n g e n und W e r k g e s t a l t u n g e n , so ist die Gefahr des „Hineininterpretierens" sicherlich nicht geringer. Die Sozialpsychologie (vgl. z. B. „images", „Stereotype", „Halo-Effekt" usf. [dazu z. B. Hartley - Hartley 1444]) und die Psychologie der „social perception" (vgl. Graumann [445]) sollten gerade dem Psychologen die Relevanz dieser Gefahren vor Augen führen. Doch wird zuweilen vergessen, daß der Psychologe, insofern er „Mensch" ist, stets auch sein eigene] Klient sein sollte. Geht man an Ordnungsbildungen - was darunter verstanden werden soll, wird ausführlich darzulegen sein - e x p e r i m e n t e l l und m a ß m e t h o d i s c h heran, so kann man durch „Standardisierung" beziehungsweise „Objektivierung" der Fragestellung, durch statistische Sicherung und anderes manchen Fehler vermeiden. Doch gerät man zugleich in eine A p o r i e des psychologisch-wissenschaftlichen Arbeitens überhaupt. Je mehr man durch abstraktive Formalisierungen wissenschaftliche Stabilität gewinnt und einem wissenschaftlichen consensus näherkommt, um so weniger behält man von der phänomenalen Fülle des Gegebenen in der Hand. Es wäre naiv zu glauben, man habe dann zwar „wenig"; doch was man habe, sei wenigstens „gesichert". Die zu starke abstraktive „Denaturierung" (Wellek) des Phänomenalen ist vielmehr ein schwerer methodischer Fehler [1332]. A n d e r e r s e i t s k a n n a u f Formalisierungen, will man W i s s e n s c h a f t treiben, nicht verz i c h t e t w e r d e n . Uns scheint das Bewußtsein von den n o t w e n d i g e n Einseitigkeiten jeder, ebenso n o t w e n d i g e n , wissenschaftlichen Abstraktion und Formalisierung, sowie die Bemühung, die abstrak6 Vgl. z. B. Brunswiks „Objektentgleisung" oder Riefferts „Aussagen ex parte post" [a. a. O.].
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tiven Modelle möglichst plastisch und variabel zu halten und sie stets als Aspekte zu betrachten, welche andere Aspekte fordern, am sinnvollsten zu sein. Ebenso kritisch, doch weniger beachtet, erscheint uns das Problem, daß Wissenschaft auf Ordnung a n g e l e g t ist. Unter der ordnenden Hand wissenschaftlicher Methodik wird alles zur Ordnung: Eine ihrer V o r a u s s e t z u n g e n ist gewissermaßen das Ubi-materia-ibi-geometria. Paul Claudel sagt hingegen: „Die Ordnung ist das Vergnügen der Vernunft, die Unordnung das Entzücken der Phantasie." Viel schärfer formuliert ist die „lebenspraktische" Maxime: „Das Chaos brütet oft Leben aus, während die Ordnung nur die Gewohnheit ausbrütet" (Henry Adams)7. Die Zwiespältigkeit von Ordnung, besonders ihre „Kehrseite", die Leere, der Zwang, die Starrheit, sind immer - auch im „wissenschaftlichen Zeitalter" im Bewußtsein gewesen. Hier ist in exemplarischer Weise Kierkegaard zu nennen; in seiner Lehre von den Paradoxen schreibt er zum Beispiel: „Doch darf man von dem Paradox nicht gering denken; denn das Paradox ist des Denkers Leidenschaft, und der Denker ohne Paradox ist wie der Liebende ohne Leidenschaft: ein mittelmäßiger Patron 8 ." Alles was in die Selbstinterpretationen der Menschen als „Freiheit", „Autonomie", „Produktivität", „schöpferische Unordnung bzw. Unruhe" usf. eingeht, ist von der Psychologie, wie sie sich heute versteht, viel schwieriger zu erfassen als Ordnung, Regelmäßigkeit, Determination. Weite Teile der Wissenschaft nehmen solche „autonomen Sachverhalte" in „grandioser Entsagung" (v. Hofmannsthal) als „unvermittelbar" hin. Wir sind nicht sicher, ob auch die genannten Seiten des Menschlichen psychologisch in den Griff zu bringen sind, jedenfalls dürften die derzeitigen methodischen (besonders maßmethodischen) Möglichkeiten eine starke Akzentuierung der deterministischen Züge unseres „Menschenbildes" nahelegen. Es wäre allerdings ganz falsch, dieser (kalkulierten) Einseitigkeit wegen auf die bereitliegenden (besonders maßmethodischen) Mittel der psychologischen Arbeit verzichten zu wollen. Man muß diese Voraussetzungen vielmehr in Rechnung stellen, und die Ergebnisse, die wir mit Hilfe unserer Methoden erhalten, gewissermaßen mit einem Index versehen. Vor allem wäre es ein Irrtum, wollte man argumentieren, die deterministischen Züge unseres Menschenbildes seien „wahrer" oder auch nur „wahrscheinlicher" als die anderen, w e i l die wissenschaftliche Methodik immer wieder „regelmäßige", „überzufällige" Zusammenhänge aufweise, Voraussagen über die 7 Bertolt Brecht läßt in seinen „Flüchtlingsgesprächen" (Frankfurt 1961) einen der Beteiligten sagen: „Wo nichts am rechten Platz liegt, da ist Unordnung. Wo am rechten Platz nichts liegt, ist Ordnung." 8 Philos. Brocken. Werke (Sdirempf), Bd. VI, Jena 1910; 34. Vgl. Löwith [1470], R. Heiss (Der Gang des Geistes. Bern 1948; 270 f.).
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Handlungen von Menschen zulasse und dergleichen. In einem hintergründigen Sinne sind die Ergebnisse immer schon in den Methoden vorangelegt; die Methoden haben aber ihre Wurzeln in vorgängigen, meist nicht thematisierten vortheoretischen Selbstverständnissen. So ist die psychologische Maßmethodik das Kind einer bestimmten Wissenschaftsauffassung, die ihrerseits mit einem spezifischen Menschenbild einhergeht. Dieses Menschenbild nun mittels der Maßmethodik „beweisen" zu wollen, wäre sachlich und logisch unsinnig, da zirkulös. Darüber hinaus: Menschenbilder kann man überhaupt nicht beweisen; man kann sie nicht einmal hinreichend begrifflich formalisieren. Dennoch sind sie nicht weniger wirklich und wirkmächtig 8 . Betrachtet man die Schwierigkeiten, vor denen eine Psychologie der Ordnungsbildungen steht, so kommt man zu den folgenden Resultaten: a) Jede Wissenschaft geht auf Ordnung des Wirklichen aus. Insofern ist das Wirkliche, soweit es vortheoretisch oder doch vorwissenschaftlich als geordnet erlebt wird, das rechte Feld der Wissenschaft. D e m Chaotischen, aber auch dem Unbestimmten, Willkürlichen, „Produktiven", „Freien" ist Wissenschaft, als eine Bewältigungsweise des Wirklichen neben anderen, weniger konform als dem Regelhaften, Voraussagbaren, Determinierten, Geordneten und auch „Manipulierbaren". b) Soweit Psychologie sich als Wissenschaft begreift, ist sie diesen Affinitäten und Diffugitäten unterworfen. I n s o f e r n ihre Methoden ordnen, erhält Psychologie als „positives Ergebnis" ihrer Arbeit stets psychische Ordnung. Steht am Ende psychologischer Bemühungen kein Aufweis einer solchen Ordnung (z. B. keine Korrelation, kein überzufälliger Zusammenhang oder Unterschied, keine sachliche und logische „Stimmigkeit"), so ist zu fragen, was ein solches Ergebnis besagt. Wissenschaftsimmanent gedacht, ist ein solches Resultat ein Fehlschlag. Man wird an der Richtigkeit der Fragestellung und/oder der Methode zweifeln und nicht ruhen, bis man Ordnung aufgespürt hat. So ist Ordnung das Ziel der Psychologie qua Wissenschaft. Unordnung, aber auch „Freiheit" - was keineswegs gleichgesetzt werden soll d. h. wesentliche Merkmale der uns überkommenen Bilder vom Menschen, sind den wissenschaftlich-psychologischen Bemühungen diffug. Die Konsequenz dieser Feststellung ist für uns selbstverständlich nicht der Verzicht auf die aus einer ehrwürdigen Tradition herzuleitenden und, wie erwähnt, heuristisch wertvollen wissenschaftlichen Mittel und Wege, sondern ausschließlich das Bewußtsein der A s p e k t i v i t ä t der Psychologie. Die aus dem Gefühl der Begrenztheit wissenschaftlicher Ordnungs9 Metzger formuliert die gegenteilige Auffassung wie folgt: „Was man nicht in widerspruchsfreie Aussagen fassen kann, das gibt es nicht." Diesen von ihm so genannten „eleatischen Grundsatz" verurteilt er zu recht ([866]; 8).
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bildungen erwachsende Abneigung gegen das Ordnen, besonders gegen das quantitativ-messende Ordnen, scheint uns mithin eine s c h l e c h t e Folgerung zu sein. Kein ernstzunehmendes Menschenbild kann sich den deterministischen Zügen des Menschlichen entziehen. Wir alle leben im „Vertrauen in die Ordnung der Welt, das schon in den Tiefen unseres Wesens angelegt sein muß, da es unser Verhalten in jedem Augenblick beherrscht und leitet, auch wenn es noch gar nicht in einer Weltanschauung ausgesprochen i s t . . . " (Metzger [566]; 241). So muß man durchaus experimentieren, zählen und messen, zugleich aber wissen, mit welch weittragenden Voraussetzungen man es tut. c) Befaßt sich Psychologie, wie es hier im folgenden beabsichtigt ist, mit Ordnungsbildungen des Menschen, konkret: mit kognitiven Ordnungsbildungen, mit den Schematen seiner Erfahrungen und deren Anwendung, so wird das soeben Besprochene in besonderer Weise zum Problem. Die auf Ordnung angelegte psychologische Methodik ( = method a l e O r d n u n g ) bezieht sich auf die für den Menschen unterstellte Ordnung, zum Beispiel seiner Erfahrungen, Einstellungen, Erlebnis- und Tunsbereitschaften ( = t h e m a t i s c h e O r d n u n g ) . Findet sich zum Beispiel eine signifikante Korrelation zwischen der Artung bestimmter aktueller kognitiver Vollzüge und vorgängiger Erfahrungen, die der Mensch (beispielsweise als Mitglied einer sozialen Gruppe) gemacht hat, läßt sich demnach sein Verhalten aus seiner „Gruppenzugehörigkeit" mit überzufälliger Vermutungsintensität voraussagen, so kann man diesen Sachverhalt als die Auffindung von („thematischer") Ordnung beschreiben. Es besteht „psychologische Regelmäßigkeit", zum Beispiel „Gruppenabhängigkeit des Verhaltens". Befragt man jedes Mitglied der betreffenden Menschengruppe, so ist es denkbar, daß (dennoch) durchgängig das unverrückbare Bewußtsein besteht, spontan und „nach freiem Willen" gehandelt zu haben. Dieser Sachverhalt aber wäre ebenfalls eine „psychologische Regelmäßigkeit": Das Vorkommen des Spontaneitätsbewußtseins ist ebenfalls „überzufällig voraussagbar". Findet die empirische Psychologie also beispielsweise Spontaneität beziehungsweise das Bewußtsein davon vor, so kann sie diesen Sachverhalt als solchen feststellen, beschreiben; sie ordnet ihn beschreibend in deskriptive Bezugssysteme ([1449]; 111 f., 121 f.), sie reduziert also die unmittelbare phänomenale Gegebenheit in aspektiver Weise10. Will Psychologie mehr sein - und sie hat 10 Phänomene wie „Spontaneität", „Wille", „Individualität" - man denke an die problematische s c i e n t i a d e i n d i v i d u i s - werden durch die deskriptive Einordnung in Beschreibungssysteme in besonders spürbarer Weise aspektiv reduziert. Pointiert gesprochen: von solchen phänomenalen Sachverhalten scheint uns der Philosoph und der Theologe, aber auch der Künstler angemessener handeln zu können als der Wissenschaftler (vgl. hierzu „lebensphilosophische" Ansätze bei Klages, Palägyi u. a.).
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sich diese Aufgabe gestellt - so thematisiert sie das Phänomen „Spontaneität" erst recht nicht mehr in seiner erlebbaren Fülle; sie thematisiert die R e g e l h a f t i g k e i t des Spontanen. Die offensichtlich dialektische Beschaffenheit der „Ordnung des Spontanen" oder auch etwa der „Voraussagbarkeit von Freiheitsoder Wollenserlebnissen", der „Vergleichungen von Individualitäten" usf. bestätigen die These von der „durchschlagenden" methodalen Ordnungsfunktion der wissenschaftlichen Psychologie.
Die methodale Ordnung der wissenschaftlichen Methoden macht es nur schwer möglich, vorgefundene Unordnung (Insignifikanz, „Zufall", Widersprüchlichkeit) gewissermaßen ernst zu nehmen. Wollte man einmal hypothetisch unterstellen, der Gegenstand der Psychologie sei „wesenhaft" chaotisch, so würde dieser Tatbestand nicht gewürdigt werden können, weil die Auffindung des Ungeordneten methodischem Ungenügen zugerechnet würde, oder doch zwischen diesem und dem „wesenhaft" Chaotischen zu unterscheiden das Kriterium fehlte. Daran ändert die W a h r s c h e i n l i c h k e i t s f o r m vieler psychologischer Aussagen nichts. Wir haben keine wissenschaftlichen Entscheidungsmöglichkeiten für die sich ausschließenden Auffassungen, beispielsweise die „bloß wahrscheinliche", nicht sichere Voraussagbarkeit des Verhaltens eines Menschen komme daher, 1. daß der Mensch nicht „voll determiniert" sei, oder aber 2. daß uns nicht die Gesamtheit der Determination bekannt sei. Dem w i s s e n s c h a f t l i c h e n K a l k ü l und dem l e g i t i men Auftrag der p s y c h o l o g i s c h e n Wissenschaft k o m m t d i e z w e i t e A l t e r n a t i v e e n t g e g e n . „Bloße" Wahrscheinlichkeit bedeutet den Auftrag, mehr von der determinativen Ordnung zu erfahren, die Voraussagesicherheit zu erhöhen. Die Annahme der mangelhaften Determiniertheit läßt die wissenschaftlichen Bemühungen vorzeitig erlahmen und die Grenzen, mit denen vielleicht gerechnet werden muß, überhaupt nicht erst suchen. So kann die wegen des grundsätzlich auf Ordnungsfindung angelegten Charakters der Psychologie cum grano salis „unwissenschaftliche" Indeterminationsthese erkenntnisprakti s c h e Nachteile erbringen. d) Für die in der Folge angebotenen Untersuchungen ergibt sich die Konsequenz, daß im psychologisch-wissenschaftlichen Kalkül der „methodischen Ordnung" gedacht, beziehungsweise daß der Blick auf „thematische" Ordnungsbildungen gerichtet wird, daß der Aspektcharakter dieser Betrachtung zwar meist ad hoc methodisch eingeklammert bleibt, aber als Relativierung der eigenen Aussagen „eigentlich" mitzudenken wäre. Von dieser Relativierung und dem Aspektcharakter des wissenschaftlichen Zugangs überhaupt soll eine Aspektivität konkreterer Art unterschieden werden:
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Innerhalb der psychologischen Betrachtung sind v e r s c h i e d e n e („thematische") Modelle kognitiver Ordnung aufweisbar. Diese Modelle, etwa das gestalttheoretische Modell „reizimmanenter" Ordnungsfaktoren (z. B. Metzger) oder das Motivations- und Einstellungsmodell (z. B. Lewin, R. Fuchs) (s. u.), werden ebenfalls nicht verabsolutiert beziehungsweise schlechthin abgelehnt, sondern als aufs ganze berechtigte, nicht aber alleinberechtigte Perspektiven betrachtet. Wo - u. E. oft zu vordergründig - die theoretische Einheit einer Wissenschaft wie der Psychologie erwartet wird, findet man Gefüge von Aspekten, von „Bezugssystemen" {Kirchhoff [a.a.O.]), von „Bedeutungsgeweben" (Wittenberg [a. a. O.]), die nicht zuletzt aus epochalen Selbstinterpretationen des Menschen historisch hergeleitet werden können. Die (je perspektivisch betrachtete) I n v a r i a n t e d e r P s y c h o l o g i e und damit der p h ä n o m e n o l o g i s c h e U r s a c h v e r h a l t , von dem auszugehen ist, ist freilich der Mensch, der nicht nur ist, sondern der sich stets auch zu sich verhält11, der sich stets ein Bild von sich macht. Und ein solches Bild machen sich auch die Menschen, die das „Ordnungsgeschäft" der Psychologie betreiben und in zunehmendem Maße rational durchformte Konzepte vom Menschen und seinen Merkmalen bilden. So stellen sich aber die m e t h o d a 1 e und die t h e m a t i s c h e O r d n u n g dar als k o r r e s p o n dierende G 1 i e db e st än de einer spezifischen Weise, s i c h z u s i c h s e l b s t z u v e r h a l t e n : Was wir unter Ordnung verstehen, läßt sich als noetische und noematische Bestandteile der „theoretischen Lebensform" (Spranger) auffassen.
II. Über die Grundbestimmungen der kognitiven Ordnung: Anpassung, Zeiterstreckung, Erfahrungszusammenhang und Intentionalität (Die Aspektstruktur kognitiver Ordnung) Es ist selbstverständlich, daß der Gesamtbestand der „thematischen" Ordnung, die Ordnungsbestimmungen des Menschen, in einem konkreten psychologischen Zusammenhang auch nicht in Annäherung umfassend abgehandelt werden können. In der Folge wird kognitive Ordnung unter einem begrenzten Blickwinkel betrachtet werden. Die schon p r i m a v i s t a offenbare Flegelhaftigkeit des menschlichen Erlebens und Verhaltens, die sinnvolle Eingebundenheit in die Umwelt, die folgerichtige Verwendung des in der 11
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Vgl. A. Gehlen ([404]; 17).
Vergangenheit Erfahrenen, die erkennende Nachbildung der Wirklichkeit (und einige andere Merkmale, in denen sich die kognitive Ordnung des Menschen ausweist) werden im wesentlichen unter dem Aspekt der individuellen „Gewordenheit", vor allem in der Perspektive der E r f a h r u n g e n v o n d e r W e l t , betrachtet werden. 1. Zur Terminologie: Kognitive Ordnungsbildungen und kognitive Vollzüge Der psychologische Bereich, den die folgenden Untersuchungen anzielen, ist der des kognitiven Tuns [1041, 1115] und der Erfahrungswirkungen, die in dieses eingehen. Zu Anfang sind einige oft verwendete deskriptive Termini zu bestimmen. Diese Bestimmungen können an dieser Stelle kaum mehr als provisorische Sprachregelungen sein. Die Anwendung im theoretischen Kontext und die Demonstration am empirischen Beispiel werden die intendierte Bedeutung der Termini klären. Wahl und Verwendung der Termini stellen selbstverständlich eine implizite Vorentscheidung in bezug auf die Wahl des Bezugssystems dar, in dem beschrieben wird (s. u.). Nach Metzger ([867]; 404) ist E r k e n n t n i s die „Entstehung und fortgesetzte Klärung, Berichtigung, Verschärfung, Ergänzung und Erweiterung der dem Menschen zugeordneten anschaulichen Welt, die für ihn die Grundlage und Voraussetzung eines lagegemäßen und daher lebensdienlichen Verhaltens darstellt". Der Autor trennt zugleich „Erkenntnis" von „Bewußtsein": der Tagtraum habe beispielsweise keinen Erkenntnischarakter, sei aber bewußt (404). Das Tagtraumbeispiel ist u. E. schon deshalb nicht sehr glücklich gewählt, weil es doch zweifelhaft ist, ob Tagträume nicht oder nicht häufig doch der „Klärung" der persönlichen Weltansicht dienlich sein können. Insofern ist es für den gegenwärtigen Zusammenhang aber bedeutsam, was unter „anschaulicher Welt" verstanden werden soll. Sicherlich ist Erkenntnis, wie ausführlich dargetan werden soll, interindividuell relativ verbindlich und auf eine, wie auch immer philosophisch zu bestimmende, das „Subjektive" transzendierende „Wirklichkeit" („Welt") bezogen (vgl. hierzu beispielsweise die moderne Diskussion des Wahrnehmungsproblems [Gibson, Bruner, Postman u. a.]). Insofern und nur insofern kann Metzger annehmen, Träume oder auch Tagträume seien in jedem Falle keine Erkenntnis, als sie stark „subjektiv" bestimmt sind und die „Welt" in höchst individueller Weise abbilden (vgl. Graumann [447]; 80 ff.). Ohne auf Metzgers Position weiterhin einzugehen, ohne vor allem des Autors kompliziertes Anschaulichkeitskonzept zu diskutieren (vgl. [867]; 13
13 ff.), wird vorgeschlagen, durch eine leichte Änderung der Terminologie E r k e n n t n i s in für unsere Zwecke angemessener Weise zu beschreiben: Sie ist die „Entstehung und fortgesetzte Klärung, Berichtigung, Verschärfung, Ergänzung und Erweiterung", also die Bildung und Wandlung, zugleich die ordnende Gestaltung der dem Menschen je eigenen E r f a h r u n g e n d e r W e l t , „die für ihn die Grundlage und Voraussetzung eines lagegemäßen und daher lebensdienlichen Verhaltens" darstellen. Die selbstverständliche Bezogenheit der je eigenen Welt a n s i e h t auf „ d i e Welt" ist in beiden Beschreibungen gleichermaßen mitgemeint. Aussagen über diese Bezogenheit sind im wesentlichen außerpsychologischer, weil philosophischer Natur; sie werden von psychologischen Beschreibungsvarianten der Erkenntnis nicht berührt. Wie ausgeführt werden soll, ist das Erfahren der Welt ein Ordnen, zugleich aber der Verlust von „Freiheitsgraden", eine Prägung und eine Einschränkung der Totalität des Möglichen (des p o t e n t i a Gegebenen) auf das Wirkliche (das a c t u Gegebene). Erfahrung ist Ordnungsbildung; intellektuelle Erfahrung ist kognitive Ordnungsbildung. Beschreibt man Erkenntnis als Bildung und Wandlung geordneter Erfahrungen von der Welt, so wird zum Beispiel die Bemerkung, Tagträume könnten sehr wohl Erkenntnischarakter tragen, verständlich, weil Tagträume wie alle Phantasievorgänge zur individuellen Ordnungsbildung beitragen oder doch solche Ordnungsbildungen im Erleben repräsentieren. Selbstverständlich ist mit der Wahl des Terminus „Erfahrung" nicht eine „Verdoppelung" der Welt (in eine „subjektive" [abbildende] und eine „objektive" [abgebildete]) gemeint. Ontologische Hypostasierungen sind nicht intendiert. Viel vordergründiger soll „Erfahrung" unter anderem als eine Anzeige für den methodischen Auftrag dienen, die personale Eigenart, auch die partielle interindividuelle Ubereinstimmung von Erkenntnisvorgängen und ihren Resultaten und dergleichen - Tatbeständen, die im gegenwärtigen Zusammenhang besonders interessieren - in der Deskription nicht zu vernachlässigen12. Schon terminologisch soll die Implikation einer sensualistischen Abbildtheorie, das alleinige Messen des Psychischen an der „objektiven" Realität und damit der psychologische „Objektivismus" im Sinne von F. Krueger vermieden werden. Besonders im Bereich des Denkens ist eine Beschreibung nach „richtig" und „falsch" oft unangemessen; sehr häufig sind in dieser Beziehung „Frei12 Wir stimmen mit Graumann ([447]; 141 u. a. O.) und vielen anderen darin überein, daß „Welt - A n s i c h t", d. h. der je eigene Aspekt beziehungsweise die je eigenen Aspekte von d e r „Welt", weder Welt - A b b i l d e r sind, noch daß es sich um „ b l o ß e n S c h e i n " handelt. Kognitives Weltinnewerden (Lersch) ist vielmehr das Haben von H i n s i c h t e n , P e r s p e k t i v e n , von d e r Welt.
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heitsgrade" vorhanden. So ist es angängig, die E r k e n n t n i s zunächst nicht im Sinne ihrer größeren oder geringeren Realitätsangemessenheit zu beschreiben, sondern als B i l d u n g und O r d n u n g individueller Erfahrungen von der Welt. Daß Erfahrung geordnet ist, imponiert als eine jener oft berufenen S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t e n , die u. E. dennoch durchaus als deskriptiver Aspekt akzentuiert werden können und sollten; von heuristischem Wert kann erst die attributive Bereicherung dieses Leitbegriffes sein. K o g n i t i v e O r d n u n g s b i l d u n g e n : Geordnete Erfahrung im weiteren Sinne ist Tuns- und Erlebnisbereitschaft (vgl. Wellek [1322]), Handlungsvoraussetzung kognitiver Art. Das Wissen, das „intellektuelle Können (Rüstzeug)", die Erfahrungen, die ein Mensch besitzt, sind Bedingungen dafür, wie er in entsprechenden Situationen kognitiv agiert. Betrachtet man kognitive Ordnungssysteme unter dem Aspekt ihrer Entstehung („Bildung"), so können sie auch k o g n i t i v e Ordnungsbildung e n genannt werden. Strukturpsychologisch gewendet, meint die Gesamtheit dieser Ordnungsbildungen die „leistungsstrebige Ausstattung" des Menschen (Wellek), die ihrerseits eingebettet ist in die strukturellen (auch „angeborenen") Tünsund Erlebnisvoraussetzungen der Gesamtperson. K o g n i t i v e V o l l z ü g e : Diese werden in Zusammenhang mit kognitiven Ordnungsbildungen betrachtet. Für den gegenwärtigen Zweck wird der Bereich p e r z e p t i v e r Vollzüge nicht selbständig thematisiert. Weil kognitives Geschehen oft aber nicht ohne seine „Wahrnehmungskomponente" betrachtet werden kann, gehen perzeptive Operationen akzessorisch (z. B. als „aktuelle Informationsaufnahme" und dergleichen) in das zu Besprechende ein. Zu den Gründen, die zur Beschränkung auf die in der Hauptsache nicht-perzeptiven kognitiven Vollzüge führen, sind 1. die natürliche Beschränkung auf einen nicht zu großen Themenkreis zu nennen; 2. der Tatbestand, daß umfangreiche Forschungsrichtungen, insbesondere unter dem Titel „social perception" (vgl. Graumann [445], insbes. 606) kognitive Ordnungsbildungen, die in die Wahrnehmung eingehen, stark exponiert haben; 3. müssen wir die Absicht bekennen, „außersensoriellen" Komponenten des kognitiven Geschehens durch entsprechende Akzentuierung zur gebührenden Beachtung zu verhelfen. Einfachste („e i n g l i e d r i g e") kognitive Vollzüge (Operationen) sind beispielsweise unmittelbare Wissensaktualisierungen („Reproduktionen"). Hierhin gehören auch etwa einfache operative Zuwendungsweisen zu reproduktivem Material (das vom „Was" des Reproduzierten deskriptiv zu trennende, materialspezifische „Wie" des Reproduzierens [s.u.]). Die meisten kognitiven Vollzüge sind indes „m e h r g l i e d r i g " : zu einfachen
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materialen und materialspezifisch-operativen Gliedern des Vorgangs treten „materialverarbeitende" Komponenten (z. B. Analogiebildungen, Deduktionen, Kombinationen, „Umstrukturierungen" und vieles mehr). Von diesen „materialverarbeitenden" Operationen sind solche Gliedbestände zu unterscheiden, die eher unter dem Aspekt der S i t u a t i o n s b e w ä l t i g u n g als dem der leistungs-(lösungs-)spezifischen M a t e r i a l v e r a r b e i t u n g zu beschreiben sind. Alle diese Vollzüge werden zumeist im Verhaltens-, seltener im Erlebnis-Bezugssystem beschrieben. Sie sind lediglich als Ad-hoc-Unterscheidungen (Lersch: „Akzentuierungen"), nicht aber als hypostasierte Elemente der Vorgänge zu verstehen. Es ergibt sich nach allem, daß aktuelle kognitive Vollzüge von den „Bereitschaften" zu diesen Vollzügen deskriptiv getrennt werden sollen.
2. Über erkenntnispragmatische Implikationen Das Problem der kognitiven Ordnung ist, wie dargestellt, zu einem guten Teil das Problem der „Menschenbilder", der menschlichen Selbstinterpretationen. Es hat daneben unter anderem die nicht gering zu schätzende erkenntnispragmatische Implikation, daß es mehr oder minder universelle deskriptive und explikative M o d e n gibt (vgl. Buytendijk [206], Zubin [1415]). Die Bezugssysteme, die zur Erfassung eines Sachgebietes erfolgreich entwickelt wurden - und zwar zumeist für ein solches von epochalem Interesse - diffundieren und bieten sich an zur Deskription von Sachbereichen, die mit dem ersten, an dem sie erprobt wurden, oft sehr wenig zu tun haben. Nur im günstigsten Falle pflegen die heterogenen Wirklichkeitsbestände, die im gleichen „Modell" beschrieben werden, insofern „isomorph" zu sein, als sie an einer und derselben (gemeinsamen) streng bestimmbaren sach- oder gar zahlenlogischen Struktur teilhaben. Man kann ganze wissenschaftliche Epochen nach ihren zentralen Modellbegriffen definieren: Man erinnere sich beispielsweise an die Modelle der klassischen Mechanik, der chemischen Analytik und Synthetik, der elektrischen Potentiale und Felder oder der biologisch-organismischen Ganzheit (der biologischen Zelle oder des Organ Verbandes). So erweist wiederum die neueste Arbeit von K. Bühler [196] über das „Gestaltprinzip" in eindringlicher Weise die innige Verbindung des Ganzheitsdenkens mit einem biozentrischen Weltbild. In neuerer Zeit treten beispielsweise die Homöostase und der Regelkreis hinzu. Und was für die Psychologie vielleicht morgen Relais und Kondensator sein werden, das waren für sie seither die Anziehung und die Abstoßung, die Wachstafel und die Einprägung, geologische Schichten, Kristallstrukturen und vieles andere. Ein Fortschritt, 16
der mit der Inanspruchnahme der modernsten „Naturbeschreibung" für die Psychologie zu gewinnen wäre, könnte in der ausdrücklichen Thematisierung der s a c h - u n d z a h l e n l o g i s c h e n Strukturmerkm a l e liegen, soweit sie dem Erleben, dem Verhalten, der organischen und der „technischen" Natur g e m e i n s a m sind. Nach Hofstätter ([551]; 3) ist uns die „metrische Weltform" „nicht ursprünglich gegeben", sie ist nichts „schlechtweg Existierendes"; wir haben sie vielmehr - im Verlauf des fortschreitenden methodalen Ordnungsgewinns - „gemacht". K. Bühler ( [ a . a . O . ] ; 101) weist denn auch darauf hin, „daß das Vermenschlichen eines außerweltlich-physikalischen Geschehens primärer, primitiver und in der Stammesgeschichte des Homo sapiens unvergleichlich älter ist als, umgekehrt, die physikalischen Erklärungsversuche der eigenen Erlebnisse". Diese scheinen das Charakteristikum des „wissenschaftlichen Zeitalters" zu sein. Es ist auffällig, daß die deskriptiven und interpretativen Konzepte, von denen wir sprechen, im Bereich der unbelebten und belebten (doch unbeseelten) Natur, d. h. schichtentheoretisch gesprochen: „unterhalb" des Psychischen, gewonnen zu werden pflegen. Auf diesen Gebieten waren und sind sie in der Tat von umwälzender heuristischer und technisch-zivilisatorischer Bedeutung. Es kann leicht nachgewiesen werden, daß alle diese Modelle auch deskriptiv und explikativ für die Psychologie genutzt wurden und werden. Andererseits ist es u. W. der Psychologie bisher nicht vergönnt gewesen, ein deskriptives und explikatives Konzept zu finden, das seinerseits „epochemachend" zum universellen Ordnungsmodell der Wirklichkeit geworden wäre. Darüber hinaus ist in diesem Sinne die oft geforderte „psychologische" Psychologie (vgl. Spranger: „psychologica psychologice") wohl überhaupt noch nicht hinreichend konstituiert. Auch beispielsweise der schichtentheoretische Denkansatz ist sicherlich kein genuin psychologischer. Will man ihn auf die Dreiteilung der Seele bei Plato zurückführen, so sollte man sich vergegenwärtigen, daß er bei diesem Philosophen keineswegs für die theoretische Erfassung der menschlichen Seele reserviert war; er wurde bekanntlich auch etwa (via „Tugenden") auf Staatsgebilde bezogen. Ohne dieses schwierige wissenschaftstheoretische Problem weiter behandeln zu wollen, ist doch die Anmerkung geboten, die außerpsychologische - schichtentheoretisch: „unterpsychologische" - Herkunft psychologischer Modellvorstellungen könne nicht allein in pragmatischer Weise auf die technisch-zivilisatorischen Konsequenzen physikalischer, chemischer und auch biologischer Konzepte zurückgeführt werden. Sicherlich hat zwar die Faszination, die mit den lebenspraktischen Erfolgen dieser Modelle einherging und einhergeht, zu ihrer Ausbrei2
Herrmann
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tung auf andere Sachbereiche, so auch den psychologischen, beigetragen. Das läßt sich beispielsweise für Galileis und Newtons, aber auch etwa Faradays Denkansätze recht eindringlich aufzeigen. Für die P s y c h i a t r i e schreibt neuerdings Petrilowitsch, das „Aufkommen neuer Strömungen" lasse sich „grundsätzlich nur [!] vor dem Hintergrund der gerade vorherrschenden Kultur- und Geistesbewegung verstehen" ([1482]; 5). Was die Übertragung aufs Psychische angeht, so ist aber sicherlich ebenso ein schlichter Sachverhalt ins Auge zu fassen, der eine phänomenologische Selbstverständlichkeit darstellt, gleichwohl aber nicht immer ein Gegenstand der psychologischen Reflexion war: Der Mensch ist in den Kategorien des Biologischen, sogar des Physikalischen, zu einem guten Teil schon deshalb zu beschreiben und zu „erklären", weil er sich, schon vor jeder Theorie, als auch diesen Seinsbereichen zugehörig zu empfinden vermag. Das moderne anthropologische Konzept der „ P e r s ö n l i c h k e i t " (vgl. z. B. neuestens Kelly [1460]) nimmt auf diese phänomenologische Grundtatsache gebührend Rücksicht. Es ist danach nicht damit getan, etwa physikalische Modellvorstellungen der Psychologie (s. u.) als schlechthin „materialistisch" abzutun, weil der Mensch „mehr" sei als Materie und Energie; er ist a u c h Materie und Energie. Es ist nach allem nicht verwunderlich, daß die Frage nach der kognitiven Ordnung immer wieder auch mit m e c h a n i s c h e n , e n e r g e t i s c h e n und im engeren Sinne b i o l o g i s c h e n Konzepten angegangen worden ist. Zum einen 1. versucht man die Entstehung, Wandlung und Verwendung der E r f a h r u n g selbst mit Hilfe dieser Modelle zu beschreiben und zu erklären; zum anderen 2. bieten sich, besonders von energetischen Konzepten her, Interpretationen der kognitiven Ordnung an, die nicht primär mit dem Erfahrungsmodell arbeiten, sondern mit dem der A n p a s s u n g an und der E i n p a s s u n g in die Umwelt (vgl. Lückert [786]; 16 ff.). Anpassung und Einpassung sind freilich nicht im eigentlichen Sinne kognitive Vollzüge; geordnetes Verhalten von Organismen kann zum einen nicht mit Erfahrungsnutzung, zum anderen nicht mit „Erkenntnis" gleichgesetzt werden (in welchem Sinne man diesen Terminus auch sinnvoll gebrauchen will). Gemeinsam sind dem Erfahrungskonzept und dem Konzept der Anpassung, aufs ganze gesehen, das „ R e s u l t a t " : das „geordnete Verhalten". Was die Anpassungstheorien betrifft, so hat beispielsweise v. Uexküll die Regelhaftigkeit des menschlichen Verhaltens durch die im Tierreich gewonnene Funktionskreistheorie erklären wollen ([i50I], s. auch u. S. 23 ff.)13. Das Konzept der „angeborenen Auslösungsmechanismen", der Homöostase, 13
Neue kritische Bemerkungen über v. Uexkülls
Graumann ([447]; 44 ff.). 18
Theorie finden sich bei
Reglermodelle und anderes werden mit derselben Weiterung angewandt 14 . Es sei betont, daß in diesen Fällen die menschlichen Ordnungscharaktere nicht mit der Erfahrung, überhaupt nicht mit dem Gewordensein des Menschen interpretiert werden, sondern mit Regulations- und Ökonomievorstellungen, die unter anderem auf Machsche Denkansätze zurückgehen dürften. (Vgl. auch [524]; 18 ff.) Wenn wir auch keine lückenlose Darstellung dieser deskriptiven und explikativen Ansätze beabsichtigen, so sollen zunächst doch einige dieser Versuche, das Ordnungsproblem zu bewältigen, am Beispiel referiert werden: Wir gehen aus von einigen vorwiegend biologischen Modellvorstellungen, die das Erfahrungsmoment weitgehend außer acht lassen. Anschließend werden mechanische und energetische Modelle besprochen, die sich auf das Problem der Erfahrung und ihrer Ordnung selbst beziehen. Kritische Besprechungen der mechanischen und energetischen Erfahrungskonzepte führen sodann auf die Darstellung der im engeren Sinne psychologischen Theorien kognitiver Ordnungsbildungen (s. S. 31 ff.)15.
3. Biotheoretische Modelle und das P r o b l e m der Regulation (Konstanthaltung energetischer und energie-analoger Ordnungen) Für die Besprechung des Anpassungs- und Einordnungsproblems erscheint es notwendig, sich zunächst einige für die Psychologie wichtig gewordene biotheoretische Denkmodelle - die selbst nicht „Psychologie" sind - zum mindesten in einer von unserem Gegenstand bestimmten Auswahl und in aller Kürze vor Augen zu führen. a) Man erinnere sich, daß E. Hering [5J9] und H. v. Helmholtz [1446] mit anderen Physiologen versuchten, für jedes sinnespsychologische Datum ein Pendant im physiologischen Bereich aufzufinden. So nahm v. Helmholtz für jede Tonempfindung eine besondere Nervenfaser an, während Hering (für den „Farbensinn") den drei Paaren von Komplementärfarben drei ver14 s. u. S. 22 f. Vgl. auch K. Bühler [196], Fletdier [370], Gage-Cronbadi [394], Hamburger [472], Metzger [865], Piaget-Inhelder [992], Ploog [1004], Vinaeke [1280], Wiener [1510], Wieser [1367] u. a. 15 Die persönlichkeitstheoretische Frage, ob und wieweit die Person in einem feldtheoretischen Modell dargestellt werden kann, bleibt hier außerhalb der Erörterung. Es geht uns um die weitaus begrenztere Frage unter anderem der „Simultaneität" (s. u.). Insbesondere wird hier keineswegs der Themenkreis „Mensch und Maschine" thematisiert, also das „anthropologische Problem" der Kybernetik: Verfügbare oder „mögliche" Maschinen werden nicht mit Menschen verglichen; vielmehr wird die Anwendbarkeit von Modellvorstellungen auf Sachverhalte der kognitiven Ordnung diskutiert.
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schiedene „antagonistische" chemophysiologische Prozesse in Entsprechung setzte. Dieses in der Folge außerordentlich fruchtbare „parallelistische" Vorgehen der Physiologen wurde bald aus dem schlichten wissenschaftlichen Tun in die naturphilosophische Programmatik gehoben (vgl. [524]; 19 f., 104 ff.). E. Mach16 hielt diese parallelistische Betrachtungsweise für heuristisch wertvoller als die Analyse der Sinnesdaten ohne Rüdegang auf physiologische Sachverhalte. Diese Anschauung hat sich bei einigen Gestalttheoretikern (wovon zu sprechen sein wird), aber audi schon bei v. Kries17, Goldsteinls, später bei Rohradier19 und dessen Mitarbeitern bis zum heutigen Tage erhalten. Doch soll dieser Entwicklungszug der physiologischen Psychologie an dieser Stelle nicht verfolgt werden. Es müssen jedoch Ansätze festgehalten werden, die übrigens insbesondere für die Berliner Gestalttheorie wichtig werden sollten. Mach wendet sich sowohl gegen einen leib-seelischen Parallelismus im metaphysischen Sinne als auch gegen einen Zweiseitenaspekt im gleichen Verstände, wobei das Leibliche und das Seelische zwei Seiten eines „unbekannten Dritten" wären (50 f.). An Stelle dessen aber hält er, wie gesagt, eine parallele Bearbeitung des in Frage Stehenden für wertvoll und macht zugleich darauf aufmerksam, daß es dabei gerade auf die physiologischen „Endglieder" in der Kette der Nervenprozesse (also auf die Zentralvorgänge) ankomme (49). Gleichzeitig aber kommt er in der Nachfolge von Hering zu der Ansicht, das Physiologische und das Psychologische seien doch „eigentlich" ein und dasselbe; man betrachte es nur jeweils „. . . in verschiedenem Zusammenhange" (11, 34 etc.). Hering20 hatte schon formuliert: „Der Stoff, aus welchem die Sehdinge bestehen, sind die Gesichtsempfindungen." Verallgemeinernd sagt Mach: „An dem Thatsächlichen wird nichts geändert, ob wir alles Gegebene als B e w u ß t s e i n s i n h a l t oder aber theilweise oder ganz als p h y s i k a l i s c h ansehen" (29). Es gibt „kein Drinnen und Draußen" (241). Diesen Aspekt nennt der Autor selbst den „monistischen" (II) 21 . Es sind „gemeinsame Elemente aller möglichen physischen und psychischen Erlebnisse . . ." anzunehmen: die E m p f i n d u n g e n . Eine wesentliche inhaltliche Bestimmung seiner monistischen Auffas16
([1472]; 47 ff.) " [703] 18 [428] 19 [1067] Vgl. hierzu: Bedier [79], Driesdi [301], 20 In: L. Herman (Ed.) ([520]; 345). 21
20
Im selben Sinne befürwortet er eine „Gesamtwissenschaft" [a. a. O.].
sung fand Mach im ö k o n o m i e p r i n z i p 2 2 . Ähnlich wie Avenarius postuliert er die umfassende Tendenz der Sachverhalte, einen Effekt mit der kleinstmöglichen Energiemenge (Avenarius: „kleinstes Kraftmaß"!) zu erzielen; Umlagerungen der Sachverhalte gehen in Richtung auf einen energetischen G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d . Dieses Prinzip wird ebenso etwa für die „Bewegung des Geistes", also für philosophische Gesichtspunkte (Avenarius), wie auch für physiologische Gegebenheiten herangezogen. So kann etwa der „Antagonismus" der Nervenprozesse oder der Sinnesapparate des Farbsinnes bei Hering als auf W i e d e r h e r s t e l l u n g eines solchen G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d e s gerichtet angesehen werden 23 . R. Hamburger24 spricht später vom „Prinzip der minimalen Energieaufwendung", Gemelli25 in der Wahrnehmungslehre von der „Organisation der Sinnesdaten nach der größtmöglichen Ökonomie". Organisiert sich ein Sachverhalt in Richtung auf das Energiegleichgewicht, so bedeutet das Veränderung. Diese ist aber n i c h t als ein kausaler Vorgang ( e i n e Ursache ergibt e i n e Wirkung!) gedacht (73), sondern im Sinne der „Abhängigkeit der Merkmale der Erscheinungen von einander" (74) entsprechend dem mathematischen Funktionsbegriff (74). „Alle genau und klar erkannten Abhängigkeiten lassen sich . . . als g e g e n s e i t i g e S i m u l t a n b e z i e h u n g e n ansehen" (75). „Eine gegenseitige Abhängigkeit läßt V e r ä n d e r u n g nur zu, wenn irgendeine Gruppe der in Beziehung stehenden Stücke als u n a b h ä n g i g variabel betrachtet werden kann." (74 f.) Hier tritt ein Gesichtspunkt deutlich hervor, der in seiner Bedeutung unter anderem f ü r die spätere Berliner Gestalttheorie gar nicht überschätzt werden kann 26 . Die Sachverhalte werden bei Mach als „ S y s t e m e", etwa im Sinne des physikalischen Feldes aufgefaßt. Felder im Sinne der Physik sind geordnete Kräfteverteilungen in einem Raum. Ausgehend vom Ö k o n o m i e - P r i n z i p wurde und wird die L e b e n s f u n k t i o n von Teilen der Biotheorie 27 , insbesondere im Sinne der lange im Mittelpunkt der Diskussion stehenden Ontogenie, als eine nach den Gesetzen der Energetik verlaufende, durch das Energiegefälle 22
Mach [1472], Einwände dagegen u. a. bei Külpe [717], neuestens u. a. bei Hedihausen (Entwurf einer Theorie des Spielens. Psychol. Forsdi. 27 (1964); 225). 23 Mach ([1472]; 49) 24 Hamburger [472] 25 Gemelli [406] 26 Auf die Abhängigkeit der „Gestaltpsydiologie" von Math weist Rohradier wiederholt hin (z.B. [1071]; 195). 27 Man vgl. auch die Darwin-Haeckehdie Selektionstheorie, die, formal gesehen, als Selbstregulation der Stammesentwiddung, ebenfalls dem ÖkonomiePrinzip gehorcht. Hierzu Haeckel ([464]; 12 f.). 21
des biologischen Systems determinierte S e l b s t r e g u l a t i o n verstanden.
Selbstgliederung
und
Die O r d n u n g des lebendigen Geschehens ist eine solche energiedynamische Art. Sie ist nicht durch systemexterne Determinanten „erzwungen", sondern im energetischen Aufbau des Systems selbst angelegt und in diesem Sinne „natürlich" (Metzger28). Bei alledem imponiert das anatomischmorphologische Substrat (als systemextern!) als Medium, in dem energetische Prozesse ablaufen oder energetische Gleichgewichtslagen „ruhen" 29 . Letztere sind nichts anderes als physiologische „Gestalten". Die Ordnung ist demnach nicht eine anatomisch-morphologische, sondern eine energetische. Inhaltliche Bestimmungen dieser Ordnung gelten für den physikalischen wie für den physiologischen und den Erlebnisbereich gleichermaßen und sind in den „Gestaltgesetzen" formuliert. So „entspricht" der psychologisch „guten Gestalt", die wir erleben, ein energetischer Optimalzustand des Hirns, wobei die Lokalisation des Erregungsgeschehens als weitgehend irrelevant angesehen wird 30 . Wesentlich erscheint, daß der Organismus nicht ein Aggregat von lokalisierbaren Einzelapparaten ist, die jeweils ihre umschriebene Funktion haben, daß „die Reaktionen keineswegs ein für allemal feststehen, sondern durch die jeweilige Situation, in der sich der Apparat befindet, mitbestimmt werden". Es gibt keine „konstante(n) Grundleistungen, die an bestimmte Teile des Nervensystems gebunden s i n d . . ."31. Eine „anatomisch-physiologische Konstanzannahme" (Goldstein) kann nicht vorausgesetzt werden 32 . Dieses gestalttheoretische Konzept fand sich in Konkurrenz mit anderen biotheoretischen Vorstellungen, vor allem mit dem H o 1 i s m u s und dem N e o v i t a l i s m u s . Diese Konzeptionen können im gegebenen Zusammenhang nicht abgehandelt werden 33 . b) Zur Beschreibung der e n e r g i e d y n a m i s c h e n Beschaffenheit biologischer Ordnung wird heute zunehmend - über das klassische Ökonomie-Modell hinausgehend - mit den Prinzipien der H o m ö o s t a s e , der R ü c k k o p p l u n g und der U l t r a s t a b i l i t ä t operiert. Der Begriff der R ü c k k o p p l u n g (Prinzip des Regelkreises; „feedback"), ein Zentralbegriif beispielsweise der Kybernetik, meint, „daß sich in einer Reaktion A->B->C das C mit dem A wieder in Beziehung setzt und es beeinflußt" (Wieser [1367]; 41). Ein einfaches technisches Modell der 28
([866]; 201) So Metzger ([a. a O J ; 208 f., 210, 231) Goldstein ([428]; 623 ff.) 31 Goldstein ([a.a.O.]; 643 f.). Vgl. auch v. Weizsäcker ([1317]; 4 f.). 32 Zur Kritik vgl. Rohradier [1070], Eccles [317], Siehe unten S.37ff. 33 Vgl. u.a. F.Krueger [711], Spann [a.a.O.], Driesch ([302] u. a. O.) und Becher [78], 28
30
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Rückkopplung ist im Thermostaten allseits bekannt. Während Lorente de N6 (u. a. [764]) für die nervöse Organisation der Lebewesen ein morphologisches Rückkopplungsmodell vorlegte (Schaltungen der Neuronenketten), gelang es v. Holst ([562] u. a. O.), mit dem „Reafferenzprinzip" eine physiologische feedback-Theorie zu entwickeln34. Rohradier legt Regelungsmodelle des „Bewußtseins" vor [1072, 1073]. Rückkopplung dient zur Konstanthaltung eines stabilen Zustands (der H o m ö o s t a s e)35. Wie der Thermostat die Stabilität beispielsweise der Raumtemperatur garantiert, so sichern die hormonalen Regulationen der Bauchspeicheldrüse und der Hypophyse die Stabilität des Blutzuckerspiegels. Nun ist beispielsweise der Thermostat an Umweltänderungen „angepaßt", die in e i n e r Dimension (Temperaturschwankungen) verlaufen. Im Modell der U l t r a s t a b i l i t ä t ist die Regulation mit Hilfe des komplizierten und hier nicht zu besprechenden Prinzips der S t u f e n f u n k t i o n (hierzu Ashby [45, 46]) auch dann abbildbar, wenn k e i n Wert dieser e i n e n Dimension (beispielsweise durch spezielle Funktionsstörungen) zur Systemstabilität führt. Das Modell der Ultrastabilität erlaubt die „Wahl" verschiedener Variablen beziehungsweise den „Sprung" in eine andere Dimension. Stets geht es bei diesen Konzepten um die Ordnung eines dynamischen Systems und deren Aufrechterhaltung. Die Umgebungswirkungen (zum Beispiel alle „Informationen") werden nicht zur primären Bedingung dieser Ordnung; vielmehr geht es ja meist geradezu darum, die Stabilität des Systems g e g e n ü b e r U m w e l t e i n f l ü s s e n aufrecht zu erhalten. Daß damit eine angemessene Modellvorstellung für das „ E r f a h r u n g e n - M a c h e n", und besonders auch für die U m g e s t a l t u n g der Ordnung durch Umweltbedingungen, per se noch nicht gegeben ist, dürfte einleuchten (s. jedoch unten). c) Das Anpassungs- und Regulations-Konzept ist für die biologischen Wissenschaften, und nicht nur für sie (man denke beispielsweise an die Volkswirtschaftslehre), von geradezu zentraler Bedeutung. Zwei auch für die Psychologie wichtig gewordene Forschungsansätze seien kurz referiert (vgl. [524]; 108 ff.). a) In der modernen Biologie besteht die Auffassung, die anatomische und physiologische („molekulare") Arbeitsweise der Zoologie (und der Biologie) müsse ergänzt werden durch eine Betrachtung des G e s a m t 34 Vgl. auch Tinbergen [1248], R. Wagner [1288], Wieser [a. a. O.], Brillouin [1521], Oppelt [1543], sowie für das Homöostasemodell W. B. Cannon [212]; Rohradier [1072]. 35 Vgl. in der Nachfolge von C. Bernard: Cannon [a. a. O.]; Wiener [a. a. O.], Stagner [1196], Helson ([511, 512] u. a. O.) u. a.
23
V e r h a l t e n s der Lebewesen36. Die Organismen „funktionieren" nicht nur, sie sind auch „eingepaßt" in ihre Umwelt (v. Uexküll). Die U m w e l t ist derjenige „Ausschnitt" der Umgebung ( = objektive Reizwelt), der mit dem Lebewesen einen F u n k t i o n s k r e i s bildet. Nur eine begrenzte Anzahl von Umgebungsfaktoren ist für die jeweiligen Lebewesen von „ B e d e u t u n g". Die arteigene Umwelt gliedert sich in M e r k m a l e ( = Merkwelt) und W i r k male ( = Wirkwelt), also in Objekte der Rezeptivität und der Effektivität. So besteht die Umwelt der Z e c k e zunächst „nur" in dem Schweißgeruch, der allen Säugetieren gemeinsam ist. Auf die Rezeption dieses 1. Merkmals hin läßt sie sich von einem Ast auf den Haarpelz eines vorbeikommenden Tieres fallen. Sie tastet darauf die Behaarung (2. Merkmal) und arbeitet sich bis auf die Haut vor. Als 3. Merkmal wirkt die Wärme der Haut, die durch eine Temperaturorgan rezipiert wird. Der Stachel der Zecke durchstößt die Haut und saugt das Blut des Säugetieres ein. Die Zecke besitzt weder ein Seh-, noch ein Hör-, noch ein Geschmacksorgan. „Die Konstitution der Zecke ist einzig daraufhin komponiert, jedes Säugetier in ihrer Umwelt als den gleichen Bedeutungsträger auftreten zu lassen." Dieses Säugetier „besteht" für die Zecke nur aus Schweißgeruch, Haar und Hautwärme, außerdem läßt es sich zur Blutentnahme anbohren37. Diese „Ärmlichkeit der Umwelt bedingt aber gerade die Sicherheit des Handelns, und Sicherheit ist wichtiger als Reichtum 38 ."
„Da jede Handlung mit der Erzeugung eines Merkmals beginnt und mit der Prägung eines Wirkmals am gleichen Bedeutungsträger endet, kann man von einem Funktionskreis sprechen, der den Bedeutungsträger mit dem Subjekt verbindet39." Der Begriff des Funktionskreises ist ein O r d n u n g s b e g r i f f , der den Organismus und die Umwelt als „Ganzheit" umfaßt, und zwar auf Grund der „Einpassung durch Sinneswahrnehmungen" (v. Uexküll). Diesen Denkansatz wendet J. Piaget in der Nachfolge von Claparede auf die kognitiven Funktionen des Menschen an. Während Claparede in dezidiertester Weise das psychische, auch das kognitive Verhalten als einen Spezialfall aller wechselseitigen Austauschprozesse zwischen Außenwelt und Subjekt bestimmt und es somit in engste Beziehung mit etwa den Stoffwechselprozessen setzt (vgl. Piaget [9S7]; 10), postuliert Piaget: „Jedes Verhalten - gleichgültig ob es sich um eine äußere oder eine als Gedanken verinnerlichte Handlung handelt - stellt sich uns als eine A n p a s s u n g oder, um genauer zu sein, als eine Wiederanpassung dar." 36 Vgl. Hull [1263], Tolman 37 Uexküll 38 ( [ a . a . O . ] ; 39 ( [ a . a . O . ] ;
24
[575], Tinbergen [1251], ([1501]; 136 f.) 29) 110)
[1248],
Brock [154] und vor allem v. Uexküll
Der Mensch handelt nur, „wenn das Gleichgewicht zwischen Organismus und der Umwelt für den Augenblick zerstört ist. . ." ([a. a. O.]; 10). Ähnliche Auffassungen finden sich unter anderen bei K. Lewin ([741]; vgl. Anderson-Anderson [i5i6], Brillouin [a. a. O.]). So sicher es sehr wertvoll ist, den „molekularen" Aspekt der Biologie durch den Funktionskreisgedanken zu ergänzen, so bleibt die anatomischphysiologische Fragestellung selbstverständlich daneben bestehen. Wohl sind Organismus und Umweltobjekt in ein „planmäßiges Ganzes" „eingepaßt". Das Wechselspiel von Merken und Wirken (zum Beispiel Rezeption des Schweißes, Loslassen der Beine und Herabfallen, Anstoßen, „Merken" der Haare etc.) legt das Denkmodell des K r e i s e s nahe. Dennoch besteht, p h y s i o l o g i s c h betrachtet, eine Mehrheit von Reflex b ö g e n , zum Beispiel von der Rezeption des Geruchs zum Impuls des Loslassens der Beine. Aber auch die zerebralen „Kreisschaltungen", wie wir sie in Neuronen-Netzwerken kennen, dürfen selbstverständlich nicht mit den Funktionskreisen der Umweltlehre verwechselt werden. Die verschiedenen Betrachtungsweisen schließen sich nicht aus, ja sollten aus heuristischen Gründen nebeneinander gepflegt werden. Daß ein Aspekt nicht die Falsifizierung des Gegenaspekts bedeutet, ist einsichtig. Daß die „Bedeutungs"-Ordnung arteigener Funktionskreise allein kein zureichender Erklärungsgrund für biologische Verhaltensprobleme ist, hat gerade auch die V e r h a l t e n s f o r s c h u n g um K. Lorenz und N. Tinhergeni0 zurecht betont. Die Frage nach der K a u s a l s t r u k t u r des angeborenen Verhaltens tritt bei diesen Forschern in den Mittelpunkt der Beachtung41. Die Ordnung des Verhaltens wird kausalanalytisch aus spezifischen Außenreizen und Innenfaktoren abgeleitet. Von hier aus kommt beispielsweise K. Lorenz zum Begriff des Auslösungsschemas, einer in vielen experimentellen Untersuchungen aufgewiesenen, oft eng umschriebenen Reizkonstellation, die ein bestimmtes Reaktionsgeschehen neurophysiologischer Art „auslöst"42. Daß aber auch Innenfaktoren (Brunst etc.) eine für die [767] Bierens de Haan [104] betrachtet auch psychische Faktoren als echte Kausalfaktoren, was u. E . aus kategorialen Gründen abgelehnt werden muß. 42 ([770] etc.) Unter dem „angeborenen Auslösungsschema" [heute meist „angeborener Auslösungsmedianismus" (AAM) genannt] wird nach v. Uexkiill [1263], Lorenz [767 u. a. O.], Tinbergen [1248], u. v. a. bekanntlich die (heute häufig maßmethodisch formalisierte) Merkmalsgesamtheit derjenigen Reizkonstellation verstanden, die - unter methodisch konstant gesetzten „internen Bedingungen": Gestimmtheit, Bedürfnisspannung usw. - spezifische Reaktionsabläufe auslöst. Der Begriff meint etwas durchaus anderes als der denkpsychologische Schema-Begriff (s. u. S. 76 ff.), was sich schon daraus ersehen läßt, daß die Auslösungsschemata ex definitione angeboren sind, also keine Erfahrungsfolgen darstellen. Auf die sogenannte „Leistungskonstanz" (dazu z. B. Metzger [865]), auf 40 41
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Reaktion konstituierende Rolle spielen, tritt deutlich hervor. Das Verhaltensgeschehen ist sehr komplex und verwickelt. „Eine Anzahl von Außenund Innenfaktoren wirkt auf komplexe zentralnervöse Strukturen 43 ." ß) Der Begründer der G e s t a l t k r e i s - L e h r e , V. v. Weizsäcker wendet sich, ähnlich wie Goldstein (s. o.), gegen das physiologische „L e i t u n g s p r i n z i p", das voraussetzt, die Erregungsleitung erfolge stets auf denselben neurophysiologischen Wegen 4 5 . Vielmehr findet er, beispielsweise der Gang, der Stand, das Körpergleichgewicht usw. seien nur durch das „ L e i s t u n g s p r i n z i p " zu erklären. So ist der Gang [als „Bildeinheit" (5)] nicht durch die Frage anzugehen, durch welche Organe und Funktionen die „Leistung" des Ganges ermöglicht werde (5). In der Verfolgung einer „Qualifizierung des Quantitativen" (182) interessiert vielmehr, inwiefern S e h e n und B e w e g e n als e i n „biologischer Akt", e i n e Leistung, aufzufassen sind. Die Selbstbewegung des Organismus (zum Beispiel der Gang) „stört" die Umwelt; die wahrgenommenen Umweltobjekte bewegen sich relativ zum Subjekt, doch „nehme" ich diese Bewegung nicht „ernst", ich „opfere" die Gegenstände bis auf dasjenige Objekt, „in Bezug auf [welches] ich mich gegenwärtig eingeordnet wahrnehme 4 6 ". So aber sind Bewegung und Wahrnehmung „verschränkt". Die Wahrnehmung bedingt die Bewegung, die Bewegung die Wahrnehmung. Das Theorem der „Hervorbringung der Wahrnehmung durch die Funktion der Organe" ( = „Leitungsprinzip") (14) wird „ersetzt" durch das der „Bewegung" von Subjekt und Objekt. Die Kohärenz und Wechselwirkung beider sind im Prinzip des G e s t a l t k r e i s e s (.171 ff.) formuliert. Vom Gestaltkreis-Gedanken aus wird die Konzeption der Begegnung von Organismus und Umwelt, wie sie sich bei v. Uexküll findet (s. o.), nach der Meinung von Weizsäcker unzureichend. Nicht ein Organismus tritt mit seiner Umwelt in Beziehung, sondern das „Ich", die „Person" (177). Als Arzt ist v. Weizsäcker der Hauptvertreter der P s y c h o s o m a t i s c h e n M e d i z i n geworden 47 . Der Patient ist nicht „Organismus", sondern „Person". Krankheit ist nicht Fehlleistung des Organismus, sondern „persönliche Krise". „Zwischen dem Rationalen des Physischen und dem Irrationalen des Psychischen steht eine unüberwindliche Scheidewand 48 ." die Frage nach der Transponierbarkeit auf die Psychologie des integrierten Menschen (dazu u. a. Ploog [1004, 1005]), auf umwelttheoretische Überlegungen, wie sie unter anderen Mühlmann [904] anstellte, und anderes mehr kann hier nidit eingegangen werden. 43 Tinbergen ([a. a. O.]; 69) 44 Vgl. [1327] 45 Vgl. v. Weizsäcker ([1317]; 4). 46 [a.a.O.] Vgl. jedoch auch v. Uexküll [a.a.O.]. " V.Weizsäcker [1318 etc.]. Vgl. auch Hollmann-Hantel [560]. 48 Hollmann-Hantel ([a. a. O.]; 3).
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Das Seelisch-Geistige ist (als „alogisch") rational nicht erfaßbar. Trotz der „Scheidewand" zwischen den beiden Seiten des Menschlichen wird aber eine „W e c h s e l b e z i e h u n g " angenommen (4). Auf die konkrete ärztliche Situation angewandt, bedeutet das beispielsweise, daß sowohl Tuberkulose als auch Kontaktschwierigkeiten eines jungen Mädchens Gemeinsames bewirken: Es wird nicht heiraten. Psychisches und Physisches werden umgriffen von der „persönlichen Krise"49. Es wird deutlich, daß in der Stellvertretung von Tuberkulose und Kontaktschwierigkeiten das Denkmodell des Leistungsprinzips wiederkehrt. An die Stelle des lokalisierten somatischen Krankheitsgeschehen tritt in den Mittelpunkt der Betrachtung das K r a n k - s e i n in seinem Stellenwert (quasi seiner „Leistung") für die Lebenskrise des Mädchens. An Stelle einer u. E. sehr wohl möglichen eingehenden Kritik sei im gegenwärtigen Zusammenhang lediglich festgestellt, daß der vergleichsweise „globale" Leistungsaspekt des Lebensgeschehens zwar heuristisch wertvoll ist, daß er den Forscher jedoch nicht aus der Notwendigkeit entläßt, die Leitungsverhältnisse selbst in aller Gründlichkeit zu untersuchen50. d) Es war schon angedeutet worden, daß das Anpassungs- und Regulationsmodell in einem gewissen grundsätzlichen Widerspruch zum Konzept der Erfahrung steht. In letzterem ist immer Z e i t e r s t r e c k u n g , die G e w o r d e n h e i t des Erfahrungen machenden Menschen, das Ü b e r d a u e r n der Erfahrungsgehalte, mitgemeint (Lewin: „genetic or historical explanation"). Anpassung (auch Wiederanpassung) stellt sich hingegen als ein aktueller, momentaner Vorgang dar. K. Lewin beschreibt das so: „It is important to realize that the psychological past and the psychological future are simultaneous parts of the psychological field existing at a given time t." ([a.a.O.]; 308) Das Verhalten des Organismus (vgl. auch oben Mach, Claparede und Piaget) hängt nach Lewin a u s s c h l i e ß l i c h ab von den gegenwärtigen System Verhältnissen (Lewin: „conditional explanation"). Zeiterstredcung ist in diesem Modell nicht mitgedacht. Das Vergangene, mnestische Bestände, überdauernde Einstellungen und anderes, sind keine zeitlich v o r g ä n g i g e n Bedingungen, sondern a k t u e l l e Systembestimmtheiten (vgl. Gottsdialdt [439]; 80 u. a. O.). W. Köhler, wie fast alle anderen Mitglieder der ehemals Berliner Gestalttheoretischen Schule, vertreten zwar nicht ein so radikales „simultanistisches" Konzept wie Lewin, setzen aber zum mindesten ähnliche Akzente51. v. Weizsäcker ([1318]; 9 ff.). Vgl. hierzu Rohradier ([1067]; 523). 51 Im Unterschied zu den bisher besprochenen Ansätzen umfaßt bei Köhler und Koffka das „Feld" nicht den Organismus und die Umwelt; das „Feld" befindet sich gewissermaßen „unter der Haut", es ist i n t r a p e r s o n a l . Die Feldkomponenten (Gestaltglieder) sind Gliedbestände des in der Wahrnehmung Ge49
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e) Bei A. Gehlen [a. a. O.] findet sich das eindrucksvolle philosophischanthropologische Unternehmen, das Anpassungskonzept mit einem Überstieg der bloßen Simultaneität und „Einordnung" zu verbinden. Der Autor lehnt, wie auch beispielsweise M. Scheler, E. Plessner und A. Portmann (vgl. [1007]), das Umwelt- und Einordnungskonzept von v. Uexküll zum mindesten für den Menschen ab. So wie Portmann ihn - im Unterschied zum Tier - „weltoffen" und „entscheidungsfrei" nennt [a. a. O.], so bezeichnet ihn Gehlen in Anklang an Nietzsche als das „noch nicht festgestellte Tier" (17). Der Mensch „verfügt noch über seine eigenen Anlagen und Gaben, um zu existieren, er verhält sich zu sich selbst"; er lebt nicht nur, sondern „er führt sein Leben" (ebd.). Das menschliche Bewußtsein wird als eine „Phase der Handlung" (65) aufgefaßt. Erkennen und Denken bestehen stets in einem „Zusammenschluß wahrnehmender und handelnder Tätigkeiten" (66). Auch bei Gehlen werden die erkennenden („merkenden") und die handelnden („wirkenden") Komponenten des Verhaltens erstens als (kreisanalog) zusammengeschlossen gedacht52, zum anderen im Zusammenhang mit der Verarbeitung von Umwelteinflüssen betrachtet. Eine Fülle von Eindrücken strömt ständig auf den Menschen ein, seine Welt ist ein „Überraschungsfeld", es gilt, sich von der „Reizüberflutung" zu „ e n t l a s t e n " (38). Auch hier geht es nach allem um das Konzept der Regulation; doch ist es wesentlich modifiziert und gewissermaßen „anthropologisch sublimiert". Der Mensch ist, wie erwähnt, nicht im Zwang v. Uexkülhdier Funktionskreise gefangen; er ist nicht „festgestellt", „festgerückt" (17), nicht an die „bloße Gegenwart", die homöostatische Simultaneität, „gebunden" (66). „Unter besonderen, hochentwickelten sozialen Bedingungen kann die handelnde Seite [des „Verhaltens"] sich zur Symbolik verkürzen." Der Mensch vermag seine „Beziehungen zur Welt von der bloßen Gegenwart zu entbinden, und deshalb muß der Mensch seine Erfahrungen mühsam und tätig selbst vollziehen, damit sie ihm verfügbar werden, und dies mit einem hochgezüchteten auf bloße Andeutungen hin variablen Können. Am Ende des Prozesses sind große Symbolfelder des Sehens, Sprechens, Vorstellens aufgebaut, in denen man sich bereits andeutungsweise' verhalten kann . . . " (66). Mit der symbolisierenden Handlungsreduktion erschließt sich dem Menschen die Z e i t ; „vorzugreifen, zurückzugreifen, uns einund umzustellen" vermögen wir durch die „fortschreitende Indirektheit" (68) unserer Tätigkeiten. Diese Entbindung von der „bloßen Gegenwart" gebenen, mnestische „Spuren" usf. (Vgl. jedoch u. a. Koffka [1463]; 148 f.: Gestalt, „die vom Tier bis zur Frucht reicht"). 52 Gehlen konstituiert übrigens den interindividuellen „sozialen Zusammenhang" mit Hilfe des kreisanalogen Modells der Reziprozität (Tausch, Sprache) (vgl. [405]; 19 a . a . O . ) .
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kennzeichnet die menschliche Freiheit als Verfügungsfreiheit beziehungsweise Freiheit des „Entwurfs". Es wird vielleicht trotz der Knappheit der Darstellung deutlich, daß hier eine philosophisch-anthropologische - und zwar eine „biozentrische" - Betrachtung des uns interessierenden Problemkreises vorliegt, nicht aber eine im engeren Sinne psychologische. Es sei deshalb nur kurz auf einen u. E. freilich wesentlichen Gesichtspunkt hingewiesen, zu dem uns Gehlens Argumentation führt. Es dürfte einleuchten, daß beispielsweise v. Uexküll, wie auch biologisdie Verhaltensforscher und viele Psychologen, sich weigern würden, von der symbolisierenden Handlungsreduktion aus auf so etwas wie die „menschliche Freiheit" zu schließen. Die moderne psychologische Lerntheorie kennt ebenso ein symbolisches „Bedingen" (conditioning, vgl. [1045]) wie etwa Gibsons Wahrnehmungstheorie ein Wahrnehmungslernen auch für „coded Stimuli" ([415] u. a. O.) unterstellt. In diesen durchgängig deterministischen Modellen ist für „Entwurf", „Verfügen", oder gar „Freiheit" kein Platz. Die symbolische Handlungsreduktion würde nicht, wie bei Gehlen, als Unterscheidung zur Beschaffenheit des Tieres, sondern (unter anderem) als „Lernprodukt" aufgefaßt; die Entbindung von der „bloßen Gegenwart" könnte als die Bestimmtheit des aktuellen Verhaltens nicht bloß durch aktuelle Umgebungseinflüsse, sondern auch durch mnestische Mitbedingungen interpretiert werden, usf.. Dennoch würde auch ein solcher Forscher, falls er zu einschlägigen Aussagen überhaupt zu bewegen ist, nicht umhinkönnen zu konzedieren, das E r l e b e n der Freiheit, „Simultaneitätsentbindung" und anderes sei durchaus als Tatsache hinzunehmen. Er würde aber vielleicht zugleich sagen, ihn interessiere nicht das e r l e b n i s d e s k r i p t i v e Moment des Problems, sondern das f u n k t i o n a l - o r d n u n g s t h e o r e t i s c h e . Die funktionale Ordnung des Verhaltens aber könne nicht durch Begriffe wie „Entwurf" usf. beschrieben werden. Während A. Gehlen offenbar ein S i n n v e r s t ä n d n i s menschlichen Wesens zu vermitteln trachtet, geht es diesen psychologischen Ordnungstheoretikern um die D e t e r m i n a t i o n des Verhaltens. Während A. Gehlen die deskriptiven Bezugssysteme des Erlebens und der funktionalen Ordnung untereinander und gegenüber transphänomenal-sinngebenden Hinsichten nicht immer reinlich scheidet, sehen die Theoretiker der funktionalen Ordnung vom Erlebnisaspekt (und von der Beziehung beider Aspekte) im allgemeinen ganz ab. Auf die daraus resultierende methodische Situation wird einzugehen sein. f) Seit einigen Jahren versuchen, wie kurz angemerkt werden soll, vor allem englische Gedächtnistheoretiker, mit Hilfe eines energetischen Rückkopplungs-Modells das Ü b e r d a u e r n von Erfahrungsbeständen (von ehemaliger „Information") verständlich zu machen. Dieses Modell wird ausdrücklich n i c h t als eine p h y s i o l o g i s c h e Theorie verstanden. Oldfield [939] wendet sich gegen die zu besprechende Vorstellung, Gedächtnisbestände seien (in Analogie zu einer „Prägung" oder Gravur) in 29
ein „Spurenfeld" eingegraben ( = „Engramme"). Statt dessen wird die Information als in rückgekoppelten Speichervorrichtungen („circuital storage devices": „tubes") aufbewahrt gedacht. Diese lassen sich in einfachen elektrischen Kreisschaltungen deskriptiv abbilden: Der „Informationsstrom" - wie auch immer gedacht - läuft stetig in einem Kreisschalt-Element (tube) um, bis er endlich zur reproduktiven Aktualisierung abgeleitet wird (vgl. Brain [145], Gomulicki [431], Hebb [490], Rohradier [1072]; zu Oldfields Schema-Theorie s. unten S. 83). g) Uberschaut man die untereinander gewiß recht unterschiedlichen Forschungsansätze, die mit dem Prinzip des „ F e l d e s", des „Systems" und der „Regulation" operieren, so darf für unsere Zwecke festgehalten werden: 1. daß sie O r d n u n g s v o r s t e l l u n g e n einschließen, die auf die A u f r e c h t e r h a l t u n g (Konstanthaltung) von (in Analogie zu energetischen Feldern gedachten) Ordnungssystemen gegenüber U m g e b u n g s ä n d e r u n g e n verschiedenster Art gerichtet sind, 2. daß sie das Determinationskonzept der klassischen unilateralen UrsacheWirkung-Beziehung (der sogenannten „Kausalkette") ablehnen (vgl. Machs „Funktionalbeziehungen"), 3. daß sie keine explizite Affinität zur Z e i t e r s t r e c k u n g haben, zur Bedingtheit eines „Späteren" durch ein „Früheres". Die allgemeinste theoretische Bestimmung dieses Modells findet sich wohl in Paretos „ I n t e r d e p e n d e n z p r i n z i p " ([1544], vgl. hierzu Hofstätter [554] a. a. O.). Das Modell kann mit Hilfe technischer und biologischer Tatbestände exemplifiziert werden (Thermostat, Regulation des Blutzuckerspiegels). Ob man aber den Gestaltkreis, Piageis Ansatz, die Lewinsdie Feldtheorie, oder aber entsprechende Ansätze der Gestalttheoretiker betrachtet: immer ist hier das in der Technik und Biologie Vorfindliche zur Analogie geworden53. Man versucht keine primäre Deskription eines sinnfälligen Sachverhalts, sondern bildet ein Modell, das in der Tat großen heuristischen Nutzen verspricht, aber doch die angezielten sehr komplexen Gegebenheiten notwendigerweise einseitig bestimmt. So fordert das F u n k t i o n s k r e i s - und G e s t a l t k r e i s d e n k e n zu seiner Ergänzung die „einzelheitliche" physiologische Erforschung der Leitungs- und Bahnverhältnisse, der spezifischen elektrophysiologischen Energieverhältnisse, der „Reflexbögen" (und „-kreise") und vieles mehr. Die psychologische Feldbetrachtung fordert zu ihrer Ergänzung deskriptive und explikative Modelle, die unter anderem 53 Auf das anspruchsvolle I s o m o r p h i e - P r i n z i p der Berliner Schule kann im gegenwärtigen Zusammenhang nicht eingegangen werden (vgl. u. a. Metzger [866]; 299 ff.); s. jedoch unten S. 60 f.
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die Z e i t e r s t r e c k u n g , die Wirkmächtigkeit des Vergangenen als Vergangenes, motivierende Kräfte und die Persönlichkeits- und Sozialrelevanz der Erfahrung gebührend berücksichtigen (vgl. z. B. R. Fuchs [392]). Von ihnen soll in der Folge die Rede sein. Es sei jedoch ausdrücklich betont, daß mit Hilfe der Feldtheorie und ähnlicher Konzepte umschriebene Sachverhalte der Denk- und Gedächtnispsychologie in wünschenswertester Weise interpretiert werden können (vgl. z. B. W. Köhler [687]); allerdings selbstverständlich nicht alle.
4. Die Zeiterstreckung der Erfahrung: Zum Problem des Gedächtnisses Mit der Vergegenwärtigung der Feld- und Regulations-Konzepte hatte sich, in Gegenüberstellung zum simultanistischen Ansatz, eine sehr allgemeine Bestimmung der E r f a h r u n g angedeutet: ihre Z e i t e r s t r e c k u n g (vgl. auch Seiffert [1146]). Insofern Erfahrung zeiterstreckt ist, geht sie ein in den thematischen Bereich des G e d ä c h t n i s s e s ; sie tangiert damit aber ein überaus komplexes und mit begriffs- und theoriegeschichtlichen Hypotheken wie kaum ein anderes belastetes Problem. Es kann für uns augenblicklich nicht die Aufgabe sein, eine auch nur annähernd vollständige Ubersicht über die Entwicklung des Gedächtnisproblems vorzulegen; es ist aber durchaus im Hinblick auf unsere Fragestellung notwendig, bestimmte Teilfragen ins Licht zu rücken. Das chronologische Ü b e r d a u e r n ist u. E. eine der phänomenologischen Grundbestimmungen, die von jeher mit dem Bilde einhergehen, das sich Menschen vortheoretisch und theoretisch von der Erfahrung und vom Gedächtnis gemacht haben. Auf den ersten Blick mag Gedächtnis und Uberdauern geradezu identisch sein. Soweit wir die theoretische Beschäftigung mit dem Gedächtnis zurückverfolgen können, wurde es stets (auch) als eine „Speicherung", als „Eingeprägtheit" oder aber doch als „zeitliche Identität", als Uberdauern, verstanden. So wird bei Aristoteles (De memoria et reminiscentia) ein „Schema" des Wahrgenommenen, ein „typos", „ein geprägt". Dem Augustinus ist das Gedächtnis der „Magen der Seele"54. Heute spricht man von Gedächtnisspuren und Engrammen. Selbst ein Forscher wie Wellek, der die Spurentheorie (s. u.) des Gedächtnisses ablehnt, beschreibt es per analogiam als eine „überaus komplizierte Architektur . . ., in welche jeweils durch neue Erfahrungen neue Ausziselierungen, 54 Vgl. auch seine Kennzeichnungen des Gedächtnisses als „Gefilde", „Halle" und „Behältnis" (Confessiones, 10. Buch).
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zuweilen sogar neue Trakte ein- oder angebaut werden . . ." ([1329]; 113, vgl. [1322]; 100 ff.). W i e allerdings die Zeiterstreckung der Erfahrung (beziehungsweise das zeitliche Uberdauern) konkreter zu denken sei, ist seit jeher umstritten gewesen, besonders aber „was" in „welcher Gestalt" „wo" überdauere. Stets aber wird das Gedächtnis quasi „euklidisch", als zeitlich erstreckt und räumlich oder doch raumanalog, vorgestellt (s. u.). Vergleicht man des Aristoteles Position mit der des Leibnizianers Christian Wolff [1387], so sieht man sich paradigmatischen Unterschieden in beider Vorstellung vom mnestischen Uberdauern gegenüber. Der erste - wie auch Augustinus - sieht das Gedächtnis an als ein M e d i u m , in dem Vergangenes in irgendeiner Form a u f b e w a h r t wird („Magen", „Wachstafel" oder ähnliches). Wolff bestimmt es demgegenüber als die M ö g l i c h k e i t (das „Vermögen") Gegenstände, „die nicht zugegen sind", sich zu vergegenwärtigen ( = „Einbildungskraft") und das Vergegenwärtigte als etwas s c h o n E r l e b t e s zu bestimmen ( = „Gedächtnis" im Sinne von Wolff). Bei Aristoteles überdauert die „Seele" nebst dem speichernden Medium, bei Wolff die „Kraft", sich Vergangenes zu vergegenwärtigen und es als Vergangenes (das heißt früher Gehabtes) zu identifizieren (vgl. Ewert [1436]). Es soll gezeigt werden, daß beide Modellvorstellungen bis heute für die Theorienbildung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. a) D a s
Uberdauern
der
„Abbilder"
Bei Aristoteles - wie übrigens seither bei fast allen Gedächtnistheoretikern - ist das Vergangene als in einem Gedächtnismedium aufbewahrt gedacht. Sogleich stellt sich die Frage, inwiefern das Aufbewahrte (!) vergangen, das Vergangene (!) aufbewahrt sei (vgl. auch Seiffert [a.a.O.]; 415). Offensichtlich ist diese Ausdrucksweise widersprüchlich. E. Straus beschreibt das Konzept, um das es hier geht, wie folgt: Man stellt sich vor, „daß das Gedächtnis aktuelle Wahrnehmungen aufbewahre und einen, dem ursprünglichen sinnlichen Eindruck ähnlichen, wenn auch abgeschwächten Abdruck der Erinnerungen reproduziere . . . " ([1216]; 1). „Wahrnehmungen" und „Erinnerungen" sind in dieser Formulierung - hier ist etwa an sprachkritische Anmerkungen zu denken, die E. Husserl schon vor etwa 65 Jahren in seine „Logischen Untersuchungen" einfügte offensichtlich nicht als kognitive V o l l z ü g e verstanden. Nicht das ehemalige W a h r n e h m e n beziehungsweise das aktuelle E r i n n e r n einer intendierten Wirklichkeit, sondern das nach seiner kategorialen Beschaffenheit sehr undurchsichtige „Resultat", „Objekt" (?), „ObjektAbbild" (?), des Wahrnehmens beziehungsweise Erinnerns wird als ge32
speichert gedacht. Das Intendierte, Vermeinte, überdauert selbst nicht, zum mindesten nicht „in mir". Der Mensch, auf den sich mein Wahrnehmen ehemals bezog, kann längst gestorben sein, wenn er „in mir", in meiner Erinnerung noch vorhanden ist, „weiterlebt". Erinnere ich mich an einen Toten, stelle ich ihn mir vor, „als lebte er noch", so intendiere ich ihn in der erlebnisphänomenologisch vom Wahrnehmen zu trennenden Weise des Erinnerns. Betz und Wellek haben die charakteristische Gegebenheitsweise des Erinnerns in vorbildlicher Weise beschrieben [101, 1327], Ich intendiere den Toten - wie übrigens jedes Intendierte - (in der Regel) nicht als in mir „Gespeichertes". Ich bin in der natürlichen Wirklichkeitszuwendung („intentio recta") „bei der Sache", ich bin nicht „beim" gespeicherten Bilde oder Signum der Sache. Ich erinnere mich an den Mann, nicht an die in mir aufbewahrte (einmalige oder mehrmalige) Wahrnehmung des Mannes. Gedächtnis ist in diesem Sinne nichts i n mir, sondern eine q u a l i t a tive „Färbung" des Noemas55. Denke ich in einem anderen Bezugssystem, so kann ich selbstverständlich sagen, ich hätte ihn i n meinem Gedächtnis „bewahrt", ich hätte eine gute (oder schlechte usf.) Erinnerung an ihn, ich wunderte mich selbst, daß sich sein „Bild" über so lange Zeit in mir „erhalten" habe und dergleichen mehr. Ich kann ebensogut sagen, ich könne ihn mir noch ganz bildhaft, „plastisch", deutlich, lebhaft, farbig oder aber nur noch schwach, blaß, „schemenhaft" vorstellen. Auch diese Bestimmungen sind mir unter Umständen durchaus „direkt" und ohne alle theoretischen Implikationen gegeben. Ich bin in phänomenologisch primärer Weise so gut „bei der Sache", wie ich andererseits auch das „Überdauern in mir" unmittelbar erleben kann. Es gibt u. E. mindestens drei Weisen, sich in ganz schlichter Zuwendung zum Vergangenen zu verhalten: Ich kann mich 1. erinnern; dann ist das jetzt Erinnerte und ehemals Wahrgenommene im strengen Sinne inhaltlich identisch, ohne daß ich diese Identität zum Objekt meiner Zuwendung machte; das Noema ist vielmehr in die Sphäre der Vergegenwärtigung, Bekanntheit, Vertrautheit oder ähnliches eingetaucht. „Gedächtnis" ist eine qualitative „Färbung" des Vermeinten ( = unthematisierte Identität des „so-gegebenen" Intendierten) (vgl. [526]). Ich kann 2. darauf abheben, das Vergangene habe in mir überdauert ( = thematisiertes Überdauern des „Ehemaligen"), kann aber auch 3. darauf reflektieren, ich hätte (auch heute noch) die Möglichkeit, das Vergangene zu reaktivieren ( = thematisierte [partielle] Verfügbarkeit beziehungsweise Gleichheit (oder doch Ähn55 Man vergleiche auch Seiferts „realistische" Position: Erinnerung ist etwas An-sich-Seiendes, ebenso wie Gegenstände der Wahrnehmung. Sie besteht nicht nur „in mente"; immerhin - wenn das so wäre - „bestünde" sie ([a. a. O.]; 519). (So auch z.B. N. Hartmann [Zur Grundlage der Ontologie. Berlin 1935; 154]: „Die mens mit ihren Inhalten ist selbst ein Seiendes (geistiges Sein).") Vgl. auch neuestens Revers ([1546]; 75 ff.). Siehe auch unten S. 51.
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Herrmann
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lichkeit) der „originären" Gegebenheitsweise des Intendierten). (Vgl. auch Seiffert [1146].) Besonders die zweite Möglichkeit, das thematisierte Uberdauern des Ehemaligen, ist dabei noch unzureichend beschrieben, insofern die kategoriale Beschaffenheit des „Ehemaligen" nach wie vor undurchsichtig bleibt. Was kann nach den bisherigen Überlegungen als „in mir" n i c h t überdauernd verstanden werden? (Auf die Problematik s o m a t i s c h e r [„physiologischer"] Korrelate des psychischen Überdauerns wird S. 37 ff. einzugehen sein.) 1. Das Intendierte als Bestandteil der subjekt-unabhängigen „Welt" überdauert, wie betont, selbstverständlich nicht „in mir". 2. Das in Erlebnissen Intendierte ist nicht im Erleben „wiederholbar"; es ist „identisch": Ich wiederhole nicht den wahrgenommenen Menschen, allenfalls das Wahrnehmen des Menschen; ich nehme ihn wiederholt wahr. Es ist aber sogleich zu fragen, ob ich auch nur das Wahrnehmen des Menschen tatsächlich „wiederhole". Ich kann zwar zum mindesten wiederholte psychophysische Prozesse unterstellen, die sich durch ihre Stellung im objektiven Zeitablauf unterscheiden, sonst aber (im Idealfall) nicht. Daß aber die erlebnisphänomenologische Repräsentation dieser Prozesse, streng genommen auch diese selbst, - werden sie „wiederholt" - nicht völlig gleich sein können, sondern höchstens ähnlich, sei hier nur angemerkt; die Konstituenten der Prozesse und Repräsentationen sind steter Entwicklung und mithin steter Änderung unterworfen. In biologischen Systemen „fließt" alles (Vgl. Krueger [711, 712]), Wellek ([1322]; 112, [1327, 1329]). Als sicher kann gelten, daß E r l e b n i s s e , sollten sie selbst cum grano salis wiederholbar sein, gewiß n i c h t ü b e r d a u e r n . Weder das Wahrnehmen noch dessen noematische Korrelate („Wahrgenommenes") können sinnvoll als „in mir" ü b e r d a u e r n d gedacht werden, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt „nicht erlebt" werden. Auch Gefühle, die zeitweilig nicht gefühlt, figúrale Züge des Intendierten, die zeitweilig nicht „mitgegeben" sind usf., sind hölzerne Eisen. Wellek hat diesen Gedanken seit 1941 mehrfach wie folgt formuliert: Die „Inhalte gibt es m. E. nicht länger, als sie e r 1 e b t (aktuell) gehabt werden: überdauernd (oder relativ überdauernd) gibt es nur die Potenzen, zu ihnen zu gelangen" ([a. a. O.]; 98 f.) 56 . Wenn man wie wir der Überzeugung ist, zwischen Erlebnis-„Inhalten" und „intendierten Weltgehalten" (Noemata) könne sinvoll unterschieden werden, so gilt, daß weder diese noch jene „in mir" überdauern. „Erlebnisse", „Inhalte", 56 Selbst Fechner ([348 II]; 432), der von „unbewußten Empfindungen" und „unbewußten Vorstellungen" spricht, sagt von diesen: „Sie haben freilich im Zustande des Unbewußtseins aufgehört, als wirkliche zu existieren [1] . . . , aber es geht etwas in uns fort [!], die phyehophysische Tätigkeit [!]". (Vgl. auch Wundt ([1398]; 436 ff.)
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„Gestalten" usf. sind nota bene keine Objekte der natürlichen Weltgegebenheit, sondern theoretische, und zwar „erlebnispsychologische" Reduktionen. Als primärer phänomenologischer Sachverhalt ist beispielsweise gegeben: „Der Mann steht dort"; ich „habe" ihn primär nicht als „Erlebnisinhalt". „Inhalte" und dergleichen stellen sich als zum Teil stark stilisierte „erlebnispsychologische" Reduktionen dar; sie gehören in spezielle theoretische Bezugssysteme. „Inhalte" treten nicht n e b e n die vermeinten Wirklichkeitsbestände; die Erlebnispsychologie beziehungsweise die psychologische Erlebnisphänomenologie „verdoppelt" die Wirklichkeit (Welt) insofern nicht, als sie dasjenige, was als „draußen", als „Objektives" („Transzendentes") vermeint ist, k e i n e s w e g s als Erlebnisinhalt „wiederholt". Sie betrachtet das primär Vermeinte vielmehr u n t e r d e m A s p e k t (im Bezugssystem) seiner „Mir-Gegebenheit", seines „ErlebnisinhaltSeins". (Vgl. hierzu Graumann [a.a.O.].) Nicht Wiederholung, Verdoppelung, sondern Reduktion des Vorfindlichen „unter einem Aspekt" ist die Grundoperation der Erlebnispsychologie. Ihr Resultat ist kein Wirklichkeitsabbild, sondern die Wirklichkeit selbst, wobei diese in einer „Hinsicht" (Graumann) betrachtet wird. Es sei zugleich ganz eindringlich betont, daß Erlebnisinhalte, was ihre Gegebenheitsweise angeht, oft gar nicht als g e g e n ständlich beschrieben werden können. Das Sympathische, Bedrohliche, Vertraute usf. eines Menschen - wie aber auch etwa die Sphäre m e i n e r Traurigkeit, in die die Begegnung mit diesem Menschen eingebettet ist - sind eher als „zuständliche" denn als gegenständliche Züge meines Erlebens zu bezeichnen. Auf diese so überaus notwendigen deskriptiven Differenzierungen des Erlebens hat die Leipziger Schule F. Kruegers seit über einem halben Jahrhundert immer wieder mit Hecht hingewiesen, ohne daß das „Komplexqualitative", „Gefühlsartige", „Zuständliche" in seiner kategorialen Eigenbestimmtheit bisher die gebührende Beachtung gefunden hätte. (Vgl. Wellek [1323], bes. auch [1335].) Daß beispielsweise die Bedrohlichkeit eines Menschen so gut etwas Zuständliches wie etwas Gegenständliches ist, daß es so gut jenem Menschen ( = „Objekt") wie mir ( = „Subjekt") deskriptiv zuzusprechen ist, daß also das S u b j e k t - O b j e k t - S c h e m a für die Beschreibung solcher Erlebnisinhalte n i c h t t a u g l i c h ist, hat zur Folge, daß eine abbildhafte Verdoppelung des „Gefühlsartigen" im oben angeführten Sinne erst recht nicht sinnvoll gedacht werden kann. Zu sagen, hier bilde sich eine „objektive" Bedrohlichkeit ab, mein „realer" Gefühlszustand sei erlebnismäßig abgebildet oder dergleichen, ist offensichtlich unsinnig. Erst recht aber die S p e i c h e r u n g meines früheren Gefühlszustandes oder allgemeiner: eines ehemalig Gegebenen, das irgendwie zwischen Zuständigkeit und Gegenständlichkeit gelegen ist, hat höchstens die Funktion einer (schlechten) Metapher, die die Probleme gewissermaßen „kurzschließt", das heißt uns von ihnen auf allzu billige Weise entlastet (so auch Wellek [1329]; 140 f). Wollte das heißt weiter, bis Besinnung 3*
man trotz alledem dennoch behaupten, Erlebnisse überdauerten, sie „bestünden" als zeitweilig nicht-erlebte ( = „unbewußte") sie wieder „aktiviert" werden, so müßte eine phänomenologische u. E. das folgende groteske Bild zeitigen; sie werde als Versuch 35
einer reductio ad absurdum unternommen: Primär gegeben ist uns ein Stück Wirklichkeit, zum Beispiel jener Mann dort. Weiter gegeben sei die Feststellung: „Ich sehe den Mann." Diese Konstatierung ist schon durchaus sekundär, reflexiv, eine oblique Intention; sie ist relativ selten, sicherlich aber keine notwendige Folge der ersten schlichten „ Vermeintheit". Das Ereignis „Ich-sehe-einen-Mann" fängt sich gleichsam in der SubjektPrädikat-Struktur unserer Sprache (beziehungsweise unserer kognitiven Welt-Strukturierung); es substantiviert sich und wird zum „Sehen", zum „Wahrnehmen" des Mannes, endlich zur „Wahrnehmung" desselben. Das Ergebnis der Reflexion („ich sehe . . ."), das in deskriptiver Substantivierung zur „Wahrnehmung" wurde, ist „mehr" als ein Substantiv: es ist hypostasiert, ein durch ein Substantiv bezeichnetes Etwas, das mit dem primär Intendierten (dem Mann) in einem spezifischen Verhältnis steht: Die „Wahrnehmung" des Mannes „bildet" den Mann „ab". Will man den Versuch, die „Abbild-Speicherung" phänomenologisch zu konstituieren (unter der Zielsetzung der reductio ad absurdum), weiterführen, so muß man sich vergegenwärtigen, „abbilden" sei gar nicht so sehr bloß metaphorisch gemeint, wie es zunächst den Anschein hat. Wahrnehmung ist nicht ein „Bild im Spiegel", eine bloß „flüchtige" Verdoppelung; bis hierher wäre die Unterstellung der abbildenden Wahrnehmung nur wissenschaftlich „unökonomisch", luxuriös und, etwa im Sinne Carnaps [1429], sinnlos. Die Wahrnehmung besteht aber nicht nur, solange das „Wahrgenommene" vorhanden ist, sondern sie ü b e r d a u e r t es. Sie ist kein „subjektives Spiegelbild", sondern eine signitive Darstellung, viel eher mit einem (langsam vergilbenden oder auch nachträglich retuschierten) Foto zu vergleichen. Nicht nur das: Die gespeicherte (zeitweilig „unbewußte") Wahrnehmung kann noch mehr; sie, die ein Abbild, ein „Bedingtes", ist, kann das Abgebildete, ihre eigene Bedingung, wieder aus sich hervorbringen: Die Reproduktion (!) ist die Wiederhervorbringung des Abgebildeten durch das „überdauerte" Abbild. (Vgl. Straus [a. a. O.].) Das Foto zaubert den auf dem Foto abgebildeten Menschen wieder hervor; zwar nur sein „Schemen", jedoch das „identifizierbar" Wesentliche von ihm. Die „Vorstellung" des Menschen ist zwar blaß und vielleicht verzerrt, doch ist es die „Vorstellung" dieses und keines anderen Menschen. Geht es aber gar um sinnlose Silben, die ich in einem psychologischen Experiment lernend wahrgenommen habe, so ist das Reproduzierte im günstigen Falle später ebenso vollständig vorhanden, wie ich es damals aufnahm; ich kann alle gelernten Silben reproduzieren: Das Foto schafft das Abgebildete vollständig neu57. 57 Nach Aristoteles ist das „im Bild" Dargestellte zugleich das Abgebildete (zum Beispiel Tier) und das Abbildende (zum Beispiel Bild eines Tieres): Die
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Wollte man einwenden, nicht das Abbild rufe „aus sich heraus" das Abgebildete hervor, vielmehr b e t r a c h t e man das Abbild (das „Foto"), so wäre sogleich zu fragen, wer denn „man" sei (von diesem „man" wurde bisher noch nicht gesprochen). Darüber hinaus ist die Frage zu stellen, mit Hilfe wessen „man" denn auf diesem Abbild das Abgebildete „ w i e d e r e r k e n n e". Das Abgebildete wäre ja nur unter „Maßgaben" zu identifizieren, die wiederum überdauern müßten - und zwar so, daß die das Abbild „betrachtende" Instanz absurderweise ihr eigenes Gedächtnis hätte, in dem die Identifikationsmaßgaben gespeichert wären. Man sieht sogleich, daß diese unsinnige Überlegung zu einer reductio in infinitum führt. Man kann das Gemeinte auch in einem anderen Bilde verdeutlichen. Marionetten, die „wirkliche Personen" darstellen, befinden sich auf der Bühne, verschwinden dann und kehren nach einer Weile (auf ein Signal hin?) zurück. Wo aber ist das Publikum, das in den Marionetten die dargestellten Personen e r k e n n t ? Wo ist das Gedächtnis des Publikums, das die dargestellten Personen w i e d e r e r k e n n t ? Ohne die Noesis des Publikums bleiben die Marionetten totes Holz. Spielt aber der Puppenspieler (?) nur für sich allein, verzichtet er auf ein Publikum, so muß wenigstens er selbst ein Gedächtnis bzw. ein S p i e l m a n u s k r i p t haben. Es fällt leicht, den Wust von Widersprüchlichkeit und Sinnlosigkeit aufzufinden, der im Modell der Abbild-Speicherung eingeschlossen ist. Es muß aber sogleich zugegeben werden, daß e i n e Modellvorstellung, die widerspruchsfrei wäre und das Überdauern des Ehemaligen befriedigend verstehbar machte, soweit wir es beurteilen können, bisher nicht vorliegt. So fassen Kritiker dieses Ansatzes (Wellek [a.a.O.], Siraus [a.a.O.]) ihren Beitrag ebenfalls zunächst als eine Negation des Bestehenden auf, dem sie eine ebenso umfassende, eingehende und durchgearbeitete, aber richtigere Konzeption durchau nicht entgegenstellen können: Wellek bietet eine bloße „Rahmentheorie", Straus schreibt sogar, es bestehe überhaupt keine neue Theorie des Gedächtnisses, die die aufgewiesenen Unzulänglichkeiten vermeide. b) D e r
„physiologische
U m w e g" 58
Wir können unterstellen, daß das Konzept der gespeicherten (und zeitweilig „unbewußten") Wahrnehmungen nicht nur den Widerspruch derjenigen Gedächtnistheoretiker erregt, die phänomenologischen Argumenten, wie den soeben angebotenen, zugänglich sind, sondern auch gerade derVorstellung ist etwas „an sich" und zugleich etwas „von einem anderen". (Daß diese Argumentation dem Psychologen nicht genügt, darf nach den bisherigen Überlegungen als erwiesen gelten.) (Vgl. Aristoteles: Werke [Nestle], Leipzig [1934]; 150 ff., insbes. 192 f.) 5 8 „Die physiologischen Hypothesen stellen eigentlich einen Umweg dar" (E. Becher [78]; 293).
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jenigen, die „Seele" mit „Bewußtsein" gleichsetzen, mithin das Prinzip der „ r e i n e n A k t u a l i t ä t d e s S e e l i s c h e n " (Wundt) zusammen mit einer p h y s i o l o g i s c h e n Gedächtnistheorie vertreten, welche theoretischen Positionen meist in Zusammenhang mit dem philosophischen E p i p h ä n o m e n a l i s m u s des Seelischen stehen. Rohradier, vielleicht der bekannteste deutschsprachige Vertreter einer physiologischen Reduktion des Psychischen, postuliert: „Was nicht bewußt ist, kann nicht als Erleben und daher (!) auch nicht als ,psychisch' bezeichnet werden." ([1067]; 86) Dieser „dogmatische Phänomenalismus" (F. Krueger) wird zugleich epiphänomenalistisch zugespitzt: „Das Psychische hat kein Eigendasein." Aus dieser Position folgt, daß die m n e s t i s c h e S p e i c h e r u n g in das materielle Substrat des Hirns verlegt ist. So spricht der Autor von Hirnzentren, „in denen der Erfahrungsinhalt und der Name . . . irgendwie niedergelegt" sind ([1067]; 61, vgl. schon Tschermak [1500] u. v. a.). Nachdem sich der Autor offenbar der cartesischen Dichotomie „cogitans vs. extensa" für eigene Systematisierungszwecke bedient, bleibt nun nichts anderes übrig, als alles, was nicht Erlebnis ist, für „ausgedehnt" (bzw. „somatisch") zu halten. Durch andere Traditionseinschüsse wird aus der Dichotomie dann sogar ein näher spezifiziertes A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s von „Erlebnis" und „materiellem Substrat". Es wäre allerdings eine ganz ungerechtfertigte Vereinfachung, wollte man im Zusammenhang mit dem Gedächtnisproblem die Thematisierung der H i r n b i o l o g i e nur darauf zurückzuführen, daß bei der genannten Zweiteilung für alles, was nicht Erlebnis ist, nur noch das Schubfach des „materiellen Substrats" per exclusionem übrig bleibe. Die Hirnbiologie kann unter anderem aus den folgenden Gründen für den Psychologen von Interesse sein: 1. Man kann als Psychologe beispielsweise hirnbiologisch interessiert sein und in diesem Bereiche empirisch tätig werden. Es besteht dann zunächst nur eine Verbindung via „ P e r s o n a l u n i o n " , die hier nicht weiter interessiert. 2. Man kann die Regeln der Z u o r d n u n g von (empirisch ermittelten) Modifikationen des somatischen Substrats und/oder physiologischer Prozesse und von (ebenfalls empirisch ermittelten) Modifikationen des Verhaltens und/oder des Erlebens untersuchen. Der Zweck kann in der Gewinnung a) psychischer Indikatoren für somatische Modifikationen und b) somatischer Indikatoren für psychische Modifikationen gelegen sein. Zuordnungsregeln lassen V o r a u s s a g e n zu. 3. Man kann darüber hinaus e m p i r i s c h ermittelte somatische Sachverhalte mit „zugeordneten" e m p i r i s c h ermittelten psychischen Sachverhalten (Verhalten, Erleben) v e r g l e i c h e n . Aus diesem Vergleich können g e m e i n s a m e System- bzw. Ablaufstrukturen ermittelt werden, die a) in einem f o r m a l i s i e r t e n M o d e l l abgebildet, und zum Teil b) mechanisch-elektronisch „nachgebaut" und c) mittels eines Rechenautomatenprogramms „simuliert" wer-
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den können. E i n s o l c h e s M o d e l l i s t p s y c h o p h y s i s c h n e u t r a l , n i c h t a b e r „ p h y s i o l o g i s c h " . Die „Substanz" eines solchen Modells sind diejenigen sach- und zahlenlogischen Strukturen, die der fraglichen Verhaltensweise, dem fraglichen Hirnprozeß, der fraglichen kybernetischen Modellvorrichtung und dem fraglichen Atomatenprogramm g e m e i n s a m sind. So ist zum Beispiel Steinbuchs „Lernmatrix" [1549] eine sach- und zahlenlogische Formalisierung der Zuordnung (und der Genese der Zuordnung) von „Zeichen" zu denjenigen (gespeicherten) „Bedeutungen", denen die „Zeichen" am „ähnlichsten" sind. Die von Steinbuch unternommene theoretische Analyse des signitiven Zuordnungs- und Ähnlichkeitsproblems bildet die V o r a u s s e t z u n g seiner technisch-apparativen Realisierung (z. B. mittels elektrochemischer Vorrichtungen oder durch ferromagnetische Ringkerne). Die gewonnene sach- und zahlenlogische Modellstruktur kann nun vom Psychologen daraufhin untersucht werden, inwieweit sie empirische psychologische Daten „deckt". Soweit das der Fall ist, sind die technischen Vorrichtungen und das psychologische Dateninsgesamt insofern i s o m o r p h , als sie an einer g e m e i n s a m e n F o r m a l s t r u k t u r teilhaben. Bei anderen Modellvoraussetzungen können dieselben psychologischen Daten in einer Weise formalisiert werden, daß sie mit den fraglichen technischen Vorrichtungen ohne alle formalen Gemeinsamkeiten sind. 4. Man kann außerdem empirisch ermittelte psychische Sachverhalte e x p l i k a t i v auf e m p i r i s c h ermittelte somatische Sachverhalte r e d u z i e r e n . Ein solches Vorgehen nimmt seine Berechtigung aus der V o r a u s s e t z u n g , Psychisches müsse erklärt werden oder sei erklärt durch den Aufweis zugeordneter somatischer Sachverhalte. Diese „Erklärung" ist also eine Zuordnung sensu Punkt 2, zuzüglich einer kausalistisdien - letztlich metaphysischen - Imputation. 5. Man kann endlich empirisch ermittelte psychische Sachverhalte explikativ auf h y p o t h e t i s c h e quasi-somatische Sachverhalte reduzieren. Dann handelt es sich um eine s o m a t o l o g i s c h e M e t a p h o r i k , die im günstigsten Falle zu einer Modellentwicklung sensu Punkt 3 führen kann. 6. Selbstverständlich kann man außerdem empirisch ermittelte psychische Sachverhalte ohne „Vergleich" (sensu Punkt 3) unmittelbar in einem logisch formalisierten Modell darstellen, welch letzteres dann ebenso selbstverständlich kein „somatisches" genannt werden kann. Wir haben die Auffassung gewonnen, daß sich bis heute eine große Anzahl von Psychologen, die sich beispielsweise mit der Einbeziehung kybernetischer Arbeitsweisen in die Psychologie befassen, mit einer ebenso großen Anzahl von Gegnern darin trifft, daß sie die unter Punkt 2 bis 6 versuchten Unterscheidungen nicht realisieren. Diese mangelnde methodisch-begriffliche Unterscheidung, vor allem aber die E r s e t z u n g v o n P u n k t 6 d u r c h 4 u n d 5 (nicht durch 2 und 3), ist dasjenige, was wir - nicht ganz in Ubereinstimmung mit der Argumentation Bechers - den „physiologischen Umweg" nennen wollen. Im Zusammenhang mit unserem Thema wenden wir uns ausschließlich gegen die unter Punkt 4 und 5 dargestellten Alternativen, also gegen die e x p l i k a t i v e R e d u k t i o n des Psychischen auf Somatisches und gegen die p s e u d o - e x p l i k a t i v e somatische Metaphorik, deren, meist uneingestandene, philosophische Grundlegung das unilaterale 39
Verursachungsprinzip (Kausalismus) oder doch ein „leibseelischer Epiphänomenalismus" sind. Modellkonstruktionen, Hypothesenbildungen u. dgl. sind als solche frei davon, „Endgültiges" etwa über „das" Gedächtnis aussagen zu wollen; als Modelle und Hypothesen sind sie darauf angewiesen und in der Lage, in „friedlicher Koexistenz" mit anderen Modellen und Hypothesen zu leben. Modelle, die monistisch reduzieren wollten, wären keine Modelle. Darüber hinaus können 1. die Behauptung der Verursachung des Psychischen durch das Somatische und 2. die Behauptung, das Gedächtnis könne unter Absehung von somatischen Variablen nicht beschrieben werden, nicht sinnvoller Bestandteil von wohlgebauten Gedächtnismodellen sein. Leider aber sind oft ausgezeichnete theoretische Befunde, die auf scharfsinnigen empirischen Erhebungen beruhen, in ein kategoriales Zwielicht getaucht; man weiß dann nicht, ob es sich um modellartige Explikationen der empirischen Fakten handelt oder aber um die Reduktion der Fakten auf pseudo-reale „Ursachen". Wie steht es bei Hebb ([488]; 62 ff.), wenn er von „an assembly of cells whose activity is [!?] the perception of the triangle . . ." spricht? Wenn es sich beispielsweise um eine Theorie der mnestischen Speicherung handelt, so würde die Modellannahme von elektrischen Kreisschaltelementen (so Oldfield [a. a. O.]) rechtens nur das eine bedeuten, daß der Autor sachoder gar zahlenlogische Strukturen annimmt, die dem im Modell abgebildeten empirischen Verhaltens-Tatbestand und den besagten Kreisschaltelementen g e m e i n s a m sind. Solche Modell-Strukturen können von Fall zu Fall verschieden abstrakt, verschieden prägnant und präzise sein; sie können viel oder wenig empirische Information „decken" (so wird z. B. die Speicherung von Gedächtnis-„Inhalten" neuestens auch chemophysiologisch als molekulare Strukturveränderung der intrazellularen Ribonucleinsäuren [RNS] erklärt). Sie können vielleicht in Analogie zu verschiedenen statistischen „Skalen-Niveaus" betrachtet werden. Wie dem auch sei, niemals aber könnten die Kreisschaltelemente als „Ursachen" verstanden werden. Ebensowenig darf aber auch gesagt werden, der empirische Tatbestand könne a u s s c h l i e ß l i c h im Kreisschaltelementen-Modell abgebildet werden. Und alles dieses liegt Oldfield freilich auch fern. Beispiele für hochformalisierte Modellentwicklungen, bei denen ontologisierende Hypostasen in geradezu pikanter Randständigkeit gleichwohl häufig vorhanden sind, bietet im deutschsprachigen Gebiet die im übrigen auch für den Psychologen überaus lesenswerte Zeitschrift „Kybernetik". Ein ganz vordergründiges Mißverstehen einer Modellkonstruktion ist darin gelegen, wenn man Modellbestandteile, in denen Fakten abgebildet werden, selbst für Fakten hält. Dieser Fall wäre gegeben, wenn man Oldfields „tubes" f ü r empirisdie Phänomene hielte. Dabei ist es freilich denkbar, Kreisschaltelemente im nervösen Substrat empirisch zu identifizieren. Was wäre aber dann gewonnen? Im besten Falle die Zuordnung von Verhaltens- (Erlebnis-) Daten
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und somatischen Daten oder eine Reformuliemng des Modells, in das dann psychische u n d somatische Fakten eingingen. Nie aber wäre durch die Entdeckung von physiologischen Kreisschaltelementen in der mnestischen Rinde der empirische psychische Tatbestand, um den es Oldfield geht, damit auf somatische „Ursachen" „zurückgeführt", mit denen allein es sich dann nur noch abzugeben verlohnte. Man bedenke wohl, daß die „tubes" des Modells nicht identisch sind mit den eventuell aufzufindenden Substratbestandteilen. In der „klassischen Zeit" der Physiologischen Psychologie waren die „m a t e r i e l l e n Grundlagen des Seelenlebens" alles andere als empirische Fakten: Nachdem die Lokalisationslehre 50 zunächst eine feste Zuordnung bestimmter Zentren zu bestimmten seelischen Inhalten annahm, mußte diese Aufstellung später in ihrer strengen Fassung aufgegeben werden 60 . Die A s s o z i a t i o n mehrerer Inhalte wurde zunächst durch die B a h n u n g s - (oder Einschleifungs-) T h e o r i e erklärt. Danach sollten bei der gleichzeitigen nervösen Erregung zweier Zentren von dem einen zum anderen für die Erregung „leicht gangbare nervöse Bahnen" „eingeschliffen" werden ( L e i t u n g s h y p o t h e s e ) , oder beide Zentren sollten „Büschel" von Erregungen 61 aussenden, die sich berühren. Solche Erregungsberührungen führten danach zu Ausschleifungen ( B ü s c h e l hypothese). Diese Bahnungshypothesen kamen der experimentell begründeten Gedächtnispsychologie der damaligen Zeit 62 entgegen; denn die Bahneinschleifung konnte als Erklärungsgrund für das Lern- und Übungsphänomen dienen. Auf der anderen Seite ergab sich die Schwierigkeit, daß nach einer gewissen Zeit schließlich jedes Zentrum mit jedem anderen verbunden zu denken wäre, wodurch eine „Auswahl", eine Spezifizierung, des Assoziationsgeschehens nicht mehr möglich wäre. Es seien noch andere Schwierigkeiten genannt: Das Nahzusammenliegen zweier Zentren müßte eine Assoziationsstiftung begünstigen, ein Weitauseinanderliegen eine solche erschweren. Dem widerspricht die Erfahrung. Becher63 schreibt pointiert: „Bei ,König' kann man an Friedrich d. Gr. und an den Herausgeber der Zeitschrift f. Ps. denken . . .", was schon auf eine Kritik der Assoziationstheorie im allgemeinen hinausläuft. Eine solche Kritik wirkt sich auf jede Hirntheorie aus, die die Assoziationslehre impliziert. Vgl .Brodmann [1426] Vgl. Becher"([78]; 131) und Rohradier ([a. a. O.]; 4 f., 56 ff.) 61 nach Becher [a. a. O.] 62 Ebbinghaus [313], G.E.Müller ([905]; 221). Vgl. auch Verworn 73 ff.): „Gedächtnis und Übung". 63 [a.a.O.] 59 60
([1503];
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H i e r z e i g t es s i c h in a l l e r D e u t l i c h k e i t , w i e d i e p s y c h o l o g i s c h e T h e o r i e n b i 1 d u n g die hirnphysiol o g i s c h e o f t m e h r zu b e e i n f l u s s e n s c h e i n t als u m gekehrt64. v. Kriese5 hat der als „psychologisch" unzweckmäßig erkannten B a h n u n g s t h e o r i e , also dem i n t e r zellularen Ansatz, eine I n t r a z e l l u l a r t h e o r i e entgegengestellt. Er versucht, das Spezifische assoziativer Verknüpfung durch die Annahme spezifischer (bleibender) Modifikationen der erregten Zellgruppen zu erklären; das heißt der e i n e n E r r e g u n g der Bahnungstheoretiker stellt er eine Vielzahl von Erregungsmodifikationen entgegen, die spezifische intrazellulare Veränderungen der betreffenden Zellgruppen zur Folge haben. Wenn nun eine neuauftretende Erregung einer bestimmten Modifikation eines Zellkomplexes entspricht, so wird der letztere reaktiviert. Es handelt sich also um ein R e s o n a n z - P h ä n o m e n 6 0 . Später gab die physiologische Psychologie das Assoziationsprinzip auf und stellte sich - gewissermaßen dem Zuge der Zeit folgend - auf einen quasi-ganzheitlichen Ansatz um67. So legt Hubert Rohradier eine Theorie der „ S p e z i f i s c h e n E r r e g u n g s k o n s t e l l a t i o n" 6 8 vor, die im Begriff der „Konstellation" ganzheitlichen Prinzipien zu genügen glaubt. Auch hier handelt es sich um eine Resonanztheorie69, doch erstrecken sich die Modifikationen nicht immer auf einzelne Zellgruppen, sondern auch auf große Hirngebiete. Dadurch werden „ R a h m e n k o n s t e l l a t i o n e n " möglich, die besonders weit ausgebreitet und wenig spezifisch sind, das heißt (im Sinne der Resonanz) von vielen Erregungsmodifikationen aktiviert werden können. Sie bilden „Leitgedanken", „Einstellungen" und ähnliches70. Das Gefühl erklärt Rohradier als Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zwischen der Rahmen- und der Einzelkonstellation; das heißt: wenn sich beide „entsprechen" (?), werde die Einzelkonstellation als „angenehm" empfunden usf.71. Es dürfte nach dieser kurzen Betrachtung deutlich geworden sein, daß viele Theorienbildungen, wie sie hier in Frage stehen, die methodische Positionszentrierung vermissen lassen: Wollen sie beispielsweise Suchmodelle für den biologischen Empiriker sein? Was ist damit für die Psychologie gewonnen? Sollen solche Hirnmodelle halbformalisierte Vorstufen für 64 65 66 67 68 69 70 71
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so auch Becher ([a. a. O.]; 162) a. a. O. Vgl. Semon [1488] Becher ([a.a.O.]; 195) Vgl. Koffka [678], Kretsdimer [1465], Rohracher ab 1939 {[1067]; 62 f.) ([a.a.O.]; 84 f.) ([a.a.O.]; 90)
[1067,1068]
p s y c h o p h y s i s c h n e u t r a l e Formalmodelle sein, in denen a u c h Psychisches abbildbar ist? Auf keinen Fall wird übrigens bei auch nur einer einzigen solchen Konstruktion einsichtig, warum „das Psychische" kein Eigendasein habe. Wenn man - paradox ausgedrückt - zur „Erklärung" des Psychischen „mehr" als das Psychische benötigt, so ist dieses Mehr allenfalls die (psychophysisch neutrale) sach- und zahlenlogische Struktur von Systemen und Abläufen, nicht aber etwas (im naiv-realistischen Sinne) Somatisches. (Dieses Somatische kann in eben diesem Sinne ja auch nicht durch Somatisches allein „erklärt" werden!) Andererseits können Modellstrukturen für empirische Tatbestände des Gedächtnisses nicht nur aus der Betrachtung des biologischen Substrats entwickelt werden. Das Gedächtnis ist ja keineswegs nur etwas „unter der Haut", sondern u. a. ein epochaler, sozialer und kultureller Tatbestand. Dabei sei noch ganz davon abgesehen, daß die „physiologischen" Gedächtnismodelle ohnehin stets mit dem selektiven Überdauern von „Gedächtnismaterial", nicht aber beispielsweise mit dem spezifischen Erlebnis-Quale der wehmütig verklärten Erinnerung an die erste Liebe befaßt sind. Und solche Erlebnisqualitäten sind legitime Gegenstände der empirischen Psychologie.
Vor einem halben Jahrhundert schrieb E. Becher: „Nie wird es gelingen, aus physiologischen Tatsachen oder Annahmen die qualitative Eigentümlichkeit des Seelischen abzuleiten . . ," 72 Abzuleiten sicher nicht! Es bleibt aber auch unplausibel zu hoffen, man könne auch nur solche sachlogischen Strukturen auffinden, die beispielsweise der E r l e b n i s q u a l i t ä t des déjà vu und irgendeinem empirischen somatischen Datum g e m e i n s a m sind. Es ist pragmatisch viel sinnvoller, bei einer großen Klasse von Erlebnis- und Verhaltensweisen den theoretischen Einstieg unter Ausklammerung psychosomatischer Zuordnungen zu suchen. Und das gilt nicht zuletzt für eine große Gruppe von Gedächtnisphänomenen (s. u.). Geht es aber doch um solche Z u o r d n u n g e n , so sei an das am Anfang dieses Kapitels Entwickelte erinnert: Die Möglichkeit psychosomatischer Zuordnungen sagt nichts darüber aus, ob (oder gar: was worauf) reduziert und ob (oder gar: was wovon) verursacht wird. Besteht aber nicht doch eine e i n s e i t i g e Abhängigkeit des Psychischen vom Somatischen? In diesem Zusammenhang sei an eine geistvolle Bemerkung H. Bergsons {[94]-, IV) erinnert: „Es besteht. . . ein Zusammenhang zwischen dem Kleid und dem Nagel, an dem es aufgehängt ist, denn wenn der Nagel herausgezogen wird, fällt das Kleid herunter. Kann man deshalb sagen, daß die Form des Nagels die Form des Kleides andeute oder uns irgendeinen Schluß auf sie erlaube?" Wie ausgeführt, ist nicht jede physiologische Modellvorstellung ein Bekenntnis zum Epiphänomenalismus oder zum Kausalprinzip. Oft geht es 72
a. a. O.
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nur um Zuordnungsregeln bzw. um V o r a u s s a g e n (s.o. Punkt 2). Und in der Tat ist - ohne jede Entscheidung des „Leib-Seele-Problems" das Faktum hinzunehmen, daß Hirnfunktionen in einem spezifischen Sinne die „Voraussetzungen" psychischer Funktionen sind: Man kann nämlich in der Tat schlüssig voraussagen, daß beim Vorliegen spezieller morphologischphysiologischer Merkmalsmodifikationen bestimmte Änderungen im psychologischen Bereich eintreten. Eine vorsichtige Theorie wird diesen Sachverhalt der Voraussagbarkeit nicht kausalistisch oder epiphänomenalistisch hypostasieren. Hier hat „positivistische Enthaltsamkeit" ihr Verdienst. Man denke aber daran, daß selbstverständlich auch der umgekehrte Voraussage-Weg möglich ist, von der Änderung psychischer Merkmale her beispielsweise Substratmodifikationen pathogener Art vorauszusagen. Bezeichnenderweise kommt heute niemand auf den Gedanken, aus dieser Voraussagbarkeit des Somatischen (vom Psychischen her) eine (nun „spiritualistische") Kausaltheorie zu konstruieren. (Über die für die Voraussage des Somatischen aus dem Psychischen einschlägigen Probleme der „psychologischen Symptomatologie" kann hier nicht gesprochen werden; es geht hier nur um die grundsätzliche Möglichkeit solcher Voraussagen.) In das psychophysische Abhängigkeitsproblem (Psychisches abhängig vom Physischen) gehen im übrigen zwei meist unreflektiert bleibende Implikationen ein: 1. das althergebrachte Schichtenmodell, nach dem das Psychische im Biologischen „fundiert" ist; 2. die mit dem Prinzip der „reinen Aktualität des Seelischen" einhergehende Voraussetzung, das Biologische sei (während des individuellen Lebens) kontinuierlich, während das Psychische (qua „Erlebtes") diskontinuierlich sei. Das „Leben" überdauere danach auch während der „Bewußtlosigkeit"; Bewußtsein ohne Leben aber sei nicht denkbar. Hierzu sei angemerkt, daß diese Annahme zum einen voraussetzt, es gebe kein „Unbewußt-Seelisches", was bekanntlich in weiten Kreisen der Psychologie bestritten wird. Und dieses Unbewußt-Seelische (sei es das „Unbewußte" der Tiefenpsychologen, sei es die „Struktur" der Leipziger Psychologen-Schule) ist nun gerade mit den Mitteln, die die Aktualitätstheoretiker des Seelischen als die allein wissenschaftlichen betrachten, nicht zu widerlegen. Bezieht man den Standpunkt, diese „transphänomenalen" Konzepte seien zwar nicht widerlegbar, doch (im Sinne der Logistik) „sinnlos", so muß diese Qualifizierung für alle „transphänomenalen" Konzepte gelten, also auch für die „psychologischen" Hirntheorien. Außerdem kann gegen die Unterstellung des Biologisch-Somatischen als „kontinuierlich" und des Psychischen als „diskontinuierlich" das Bedenken vorgebracht werden, daß doch offensichtlich durchaus ein allgemeines Ubereinkommen darüber zu erzielen ist, den „diskontinuierlichen" psychischen Ereignissen (Erlebnissen, Bewußtseins-„Akten") entsprächen f u n k t i o n e l l e somatische Korrelate, die d a n n und n u r d a n n festgestellt werden, wenn spezielle psychische Ereignisse konstatiert werden (zum Beispiel Aktionsstrom-Modifikationen). Findet man beispielsweise für ein aktuelles („entstehendes und vergehendes") Gefühls-
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erlebnis ein somatisches Korrelat, so ist dieses durchaus mit jenem synchron zu denken; es entsteht und vergeht in „objektiver" zeitlicher Übereinstimmung mit dem Erlebnis. Das Somatische ist in diesem Sinne selbstverständlich ebenso diskontinuierlich wie das Psychische. Es geht deshalb nicht an, a k t u e l l e Erlebnisse gegen d i s p o s i t i o n e l l e Merkmale des somatischen Substrats auszuspielen. Denkt man im Bezugssystem der psychophysischen Korrelation, so dürfte u. E. der „empirische Parallelismus" (K. Jaspers) immer noch heuristisch am fruchtbarsten sein73. Kommen wir zurück auf das Gedächtnisproblem, so darf überlegt werden, was die somatische Reduktion und Metaphysik, sowie die b e r e c h t i g t e Unterstellung somatischer Korrelate (Äquivalente) des „Überdauerns", für die Förderung der hier besprochenen Sache zu leisten vermögen. Daß Merkmale des somatischen Substrats notwendige „Voraussetzungen" des mnestischen Überdauerns sind, kann nach allem nicht bestritten werden. Pathologische Substratmodifikationen machen das mnestische Uberdauern offenbar unmöglich. Auch Wellek, der betontermaßen eine „psychistische" Gedächtnistheorie vertritt, also auf die Reduktion des mnestischen Überdauerns auf Merkmale des Somatischen verzichtet, konstatiert selbstverständlich die Notwendigkeit, „physiologische Korrelate", „ein Äquivalent" im „zentralnervösen Apparat", zu unterstellen 74 . So scheint uns die Blickwendung auf die physiologischen Korrelate vor allem dann berechtigt zu sein, wenn wir (vor allem „negative") V o r a u s s a g e n (sensu Punkt 2) über die Möglichkeit psychischer Vollzüge treffen wollen. Diagnostizieren wir bestimmte physiologische Ausfälle, so ist eine weitaus überzufällige Voraussage über den Ausfall psychischer Vollzüge (meist „Leistungen") möglich. Dieser Vorgang ist, wie betont, dem Grundsatz nach umkehrbar: Von psychologischen Merkmalen (zum Beispiel Testdaten) kann eine Prognose auf (pathogene) zentralnervöse Modifikationen gewonnen werden 75 . Zum anderen aber scheint uns - im Sinne Bergsons der Rückgang auf somatische Korrelate die wesentlichen ungelösten Probleme des Gedächtnisses nicht lösen zu helfen. Vor allem stellt uns das epiphänomenalistische beziehungsweise kausalistische Konzept vor das „Welträtsel" der Transformation von im Somatischen beobachtbaren Vorgängen ins Psychische76. Wellek [1506] ([1322]; 101, vgl. [Í329]; 133ff.) 75 O. Ewert bemerkt aber in einem testkritischen Zusammenhang ([340]; 213), auch aus gesicherten korrelativen Zuordnungen könne nicht ohne weiteres „die Frage nach der inneren Möglichkeit der Zusammenhänge, die ,quaestio iuris', beantwortet" werden. (Vgl. auch z. B. Helen M. Walker: Statistische Methoden für Psychologen und Pädagogen. Weinheim-Berlin 1954; 285.) 76 In einer kritischen Besprechung von Rohrachers Ansatz stellt auch /. von Allesch den „doppelten Übergang vom und zum Psychischen" als unlösbares Problem dar. (Psychol. Rundsdi. 1 (1949/50); 122). 73
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Neuestens formuliert T. Parson
[1438]":
„Das Lebewesen kann . . . studiert werden wie ein physikochemisches System, in welchem dies und das vorgeht." Es kann aber auch als ein „Intentionssystem" verstanden werden. „Beide Analysen sind wissenschaftlich berechtigt, doch ist es unmöglich, beide ineinander in demselben Denkschema zu vollziehen." Piaget ([a. a. O.]; 142) postuliert: „Um das einzigartige und spezifische Wesen des Bewußtseins zu verstehen, muß man absehen von allen materiellen Attributen, die ihm analogisch zugeschrieben werden. Es ist weder stofflich, noch eine Art Energie. Es ist keine Substanz." Kann man, nach Parson, die biologisch-somatische und die im engeren Sinne psychologische Betrachtungsweise nicht „in einem Denkschema" vollziehen, so ist damit gesagt, daß man das eine nicht - oder doch nicht hinreichend - aus dem anderen ableiten, das eine nicht — oder doch nicht hinreichend - auf das andere reduzieren kann (vgl. auch Weidel [1553]). — Wir hatten festgestellt, daß „Ehemaliges", wie auch immer, unbestreitbar (auch) „im Gedächtnis" („in mir") überdauert. Hier treffen sich alle Theoretiker auf dem gewissermaßen neutralen Gebiet phänomenologischer Selbstverständlichkeit. Wir hatten desgleichen aufgewiesen, daß eine Abbildtheorie beziehungsweise das Konzept der Abbild-Speicherung höchst unbefriedigend ist. Kann eine physiologische Reduktion dieses Ungenügen beseitigen? Offenbar nicht. Soll ein Erlebnis die W i r k u n g einer somatischen U r s a c h e sein, so muß nicht nur die Voraussagbarkeit des „Daß", sondern auch das „So", die E i g e n a r t des Erlebnisses qua Erlebnisses, aus der somatischen Ursache abgeleitet werden können (causa aequat effectum!), was offenbar nicht möglich ist. So ist aber eine explikative Reduktion auf das Somatische schon aus heuristischen Gründen nicht ausreichend. Faßt man aber Erlebnisse nicht als Wirkungen, sondern als E p i p h ä n o m e n e , also gewissermaßen als „Seiten" des Biologischen, so ist auch hier über die kategoriale Eigenart des Erlebens qua Erlebens nichts gesagt. Diese E i g e n a r t ist offenbar überhaupt nicht ableitbar; sie muß - und kann - empirisch aufgewiesen werden; sie (wie auch immer) ableiten zu wollen, ist fruchtlos. Ist sie aber nicht ableitbar, so muß man sich fragen, w a r u m m a n n i c h t d e n m e t h o d i s c h e n E i n s a t z p u n k t im P s y c h o l o g i s c h e n w ä h l t , warum man nicht eine „psychologische Psychologie" zu treiben versucht (vgl. Wellek [1331]). Geht es aber um die funktionale Abhängigkeit von Leistungen, so kann man f u n k t i o n a l e M o d e l l e bilden, o h n e s i e s o m a t i s c h z u h y p o s t a s i e r e n und damit eine unthematisierte Pseudo-Ontologie zu treiben78. Vgl. zum folgenden K. Bühler ([196]; 63 ff.). Hier scheint uns die methodische Position einiger Zweige des Neobehaviorismus, besonders auch der Lerntheorie (z. B. Skinner), wesentlich klarer durchdacht zu sein (vgl. Foppa [372]; man denke aber auch z. B. an Bartletts „Thinking" [73]). Eine höchst eigentümliche Auffassung des mnestischen Überdauerns 77
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Glaubt man, daß beispielsweise selektive Gedäditnisfunktionen im Feld-Modell abbildbar sind (so Köhler [687]), so sollte dieses Modell ein „psychophysisch neutrales" Modell (s. o.) bleiben; als ein solches braucht es nicht einen vulgärmaterialistischen H a l t im H i r n . Die Tatsache, daß wir in der Erinnerung bei der „Sache" sind, daß es rätselhaft bleibt, wie aus dem Abbild das Abgebildete „reproduziert" wird, das alles gewinnt durch die Substitution neurophysiologischer Speichervorgänge keine Klärung. Die Tatsache, daß wir als Erinnerung sowohl in der Gegenwart als auch „beim" Vergangenen sind, bleibt weiterhin rätselhaft. Die Wahrnehmungs-Speicherungs-Theorie, zunächst „psychophysisch neutral", gewinnt durch die physiologische Reduktion keine zusätzliche Plausibilität. Auch das Speichern von „Spuren" (Engrammen oder Umlaufströmen), seien die „Spuren" vollständige „Nachzeichnungen" des Perzipierten oder „kodifiziert" (vgl. u. S. 83), ist dem Rahmenkonzept der Abbildspeicherung und seiner Kritikwürdigkeit zu subsumieren. c) D i e
„Kräfte
d e s W i e d e r h e r v o r b r i n g e n s"
Zu Beginn der gegenwärtigen Erörterungen hatten wir auf die Gedächtnisauffassung Christian Wolffs hingewiesen. Dieser sieht das Gedächtnis keineswegs im Bilde eines „Behältnisses" und sagt nichts von überdauernden Abbildern der Wirklichkeit. Vielmehr spricht er von „Kräften der Seele", die uns das Abwesende „einbilden" (Einbildungskraft) und es uns als schon einmal erlebt kennzeichnen (Gedächtnis im engeren Sinne). Fragt man, w a s bei Wolff nun eigentlich überdauere, so muß man auf „die Seele" selbst zurückgehen, die einschließlich jener Kräfte überdauert, die das Abwesende beziehungsweise Vergangene wieder hervorbringen. Nach Fechner (s. o.) geht die „psychophysische Tätigkeit" „in uns fort". Ähnlich spricht übrigens J. Locke von der „Fähigkeit", Ideen „nach Belieben wieder zu beleben" (Essay conc. hum. underst. [1690]). Vergleicht man mit diesen Positionen die These Welleks, nicht „Inhalte" überdauerten, sondern „die Potenzen, zu ihnen zu gelangen" (s. o.), so ist auch in dieser Formulierung der Regreß auf den „überdauernden Menschen" selbst sichtbar. Der Autor (a. a. O.) spricht sich gegen eine D i s p o s i t i o n a l t h e o r i e des Gedächtnisses aus, das heißt, gegen alle diejenigen theoretischen Konstruktionen, die mit der Abbild- beziehungsweise Spuren-Speicherung operieren. Er stellt diesen seine S t r u k t u r T h e o r i e des Gedächtnisses gegenüber, wobei „Struktur", im Sinne F. Kruegers und seiner Schule, „Zusammenhangsvolle, relativ überdauernde findet sich neuestens bei Picha ([1545]; 126 ff.). Den von ihm abgelehnten „Gedächtnisspuren" stellt der Autor eine durch „Transformation" „physischer Energie" entstandene „psychische Energie" entgegen. 47
G e r i c h t e t h e i t e n der Seele, durchgreifende Konstanten des Gesamtverhaltens" (Krueger [711]; 57), bedeutet; es ist das individuelle psychische Sein und Sosein, das „den Augenblick bis zu Lebzeiten überdauert" ([a. a. O.]; 100) und „u n m i 11 e 1 b a r (!) i m E r l e b e n w i r k s a m " wird (Wellek [1322]; 44). Die Strukturtheorie des Gedächtnisses nimmt „nicht früher einmal gehabte Inhalte, ins sogenannte Unbewußte abgesunken, sondern spezifische .dynamische' Gliedstrukturen, das heißt Potenzen zur Reproduktion solcher Inhalte, als den eigentlichen psychischen Bestand des Gedächtnisses an" (Wellek [1329]; 133). „Diese (spezifischen) Reproduktionspotenzen, nicht die Vorstellungen (das Reproduzierbare) selbst sind es, was in der physiologischen ,Gedächtnisspur' verankert [?] ist. Diese inhaltlich noch so genau bestimmten Reproduktionspotenzen sind Reaktions-, besser L e i s t u n g s b e r e i t s c h a f t e n (im weitesten Sinne: Tunsbereitschaften) wie andere auch, um nichts spezialisierter als irgendeine unter diesen." [a. a. O.] Das Gedächtnis ist danach weder im Bilde des „Magens" noch der „Wachstafel" zu sehen; es ist, wie oben zitiert, vielmehr „nach Analogie einer durchaus komplizierten Architektur zu denken, in welche jeweils durch neue Erfahrungen neue Ausziselierungen, zuweilen sogar neue Trakte einoder angebaut werden - von unterschiedlicher Haltbarkeit je nach der Verankerung dieses neuen Erwerbs, zunehmend locker und oberflächlich angebaut im allgemeinen zum Beispiel in fortgeschrittenen Jahren" [a. a. O.]; 133). Man kann es auch im Bilde eines „lebenden Organs" beschreiben [a. a. O.]. Den von uns diskutierten „physiologischen Umweg" lehnt der Autor mit E. Becher und anderen ab. Wellek diskutiert den möglichen Einwand, die „ u n m i t t e l b a r e Setzung der Erlebnisse aus der Struktur" lasse den offensichtlichen Bekanntheitseindruck, den beispielsweise die „wiedererkannten" Erlebnisinhalte vermitteln, uninterpretiert. Das hier interessierende Argument des Autors gegen diesen Einwand lautet wie folgt: „Wenn . . . Anmutungen überhaupt, und Feststellungen überhaupt, als Erlebnisse beziehungsweise Akte unmittelbar durch die Struktur gesetzt zu denken sind, warum dann nicht auch die Anmutungen und Feststellungen von Bekanntheit?" ([1322]; 100)79. 79 Man vergleiche auch M. Sdielers „ich-phänomenologische" Wendung: „Nicht also, daß [jedes meiner Erlebnisse] in einem Strome enthalten ist, . . . macht es zum Erlebnis eines bestimmten Ich, sondern da es dieses bestimmten Ichs Erlebnis ist, muß es auch einem solchen Strome angehören." „Und was sich uns empirisch als .Assoziation' darstellt, als Verbindung vorher geschieden gedachter Einheiten [!], das ist - phänomenologisch angesehen - im Prinzip nur eine fortwährende W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r u r s p r ü n g l i c h e n E i n h e i t des Ich und des puren .Ineinander' seiner Erlebnisse; jener Einheit
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Übrigens besteht auch für den „simultanistischen" Feldtheoretiker die Möglichkeit, analog zu argumentieren: Wenn aktuelle Erlebnisse überhaupt die Resultanten von augenblicklichen Feldwirkungen sind, warum sollten dann nicht auch die Wirkungen der „past experience" als augenblickliche Feldwirkungen denselben erlebnis-konstituierenden Charakter haben wie alle anderen Feldwirkungen?
Für Wellek ist die unmittelbare Setzung aller Erlebnisse (auch der Bekanntheitserlebnisse) aus der („gegenwärtigen") Struktur, das heißt aus dem augenblicklichen Sein und Sosein des Menschen - vergleichbar den „Kräften der Seele" bei Christian Wolff — ein „allgemein erkenntnistheo-
retischer und ontologischer Ursachverhalt, der weiterer Rückführung nicht fähig ist" ([a. a. O.]; 99). Welleks Gedächtniskonzept will keine „Erklärungshypothese" sein, vielmehr „gibt [sie] den Rahmen an, in den eine eigentlich erklärende Theorie erst noch einzubauen wäre, sollte eine solche überhaupt erreichbar sein" [!] ([1329]; 148). d) D i e
„Aspektstruktur"
des
Gedächtnisses
Blättern wir zurück (S. 33 f.): 1. Ich kann realiter Abwesendes unmittelbar - im noetischen Modus des Erinnems - intentional vermeinen: Ich bin intentional bei der „so gehabten" Sache. 2. Ich kann in reflektierender Weise darauf abheben, das Vergangene habe „in mir" überdauert. 3. Ich kann darauf reflektieren, ich hätte (auch heute noch) die Möglichkeit, das Vergangene „angemessen" zu aktivieren (oder nicht).
Man vergegenwärtige sich die folgenden Beispiele: Ich werte Meßwerte eines psychologischen Experiments aus und bin gezwungen, eine Winkeltransformation anzuwenden. Ich überlege mir die Winkelfunktionen, fertige mir zu diesem Zwecke eine kleine Skizze an usf. In diesem Falle bin ich intentional bei der mathematischen „Sache", die in der schwer beschreibbaren Gegebenheitsweise des V e r g e g e n w ä r t i g e n s gehabt wird. Es kann keine Rede davon sein, daß ich darüber reflektiere, die Winkeltransformation habe als ehemals Wahrgenommenes und Gedachtes in meinem Gedächtnis überdauert; ich hätte die Möglichkeit, sie angemessen zu aktivieren usf. - Ich erfuhr soeben, daß Herr X. gestorben ist und „geim Ineinander, die - gleichsam und im Bilde gesagt - erst durch die verschiedenartige Bedeutung, welche die Icherlebnisse für die jeweilige Leibgegenwart besitzen, zerteilt und zerbrochen worden ist." (Formalismus [Bern 4 ]; 474 f.) Seiffert [a. a. O.] formuliert: „Die dauernde Sichtung einer unendlichen Fülle von Erinnerungen ist nur innerhalb eines beharrenden Seelenrealen, einer Person, eines Ich begreiflich." 4 Herrmann
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denke" in einer gewissen Wehmut eines Gespräches, das ich mit ihm hatte und in dem er die Ansicht vertrat, daß . . . Auch hier bin ich „bei der Sache" und nicht beim Reflektieren auf Überdauern und Verfügbarkeit. Ich bin es im noetischen Modus des „G e d e n k e n s", der vom Modus des „Vergegenwärtigens" verschieden ist. Vergegenwärtigen, Gedenken, Sich-Besinnen, Sich-Versetzen-in usf. sind empirische Tatbestände, die psychologischer Behandlung zugänglich sein müßten. Man kann sie klassifizieren beziehungsweise klassifikatorisch beschreiben. Kann man sie auch zum Zweck der Erklärung oder der „Verständlichmachung" auf andere Sachverhalte explikativ reduzieren? Uberblicken wir das in den vorstehenden Kapiteln Entwickelte, so muß sich der Eindruck ergeben, daß das i n t e n t i o n a l e S o - H a b e n d e r S a c h e n weder im Modell der Abbildspeicherung noch auch in physiologischen Modellkonstruktionen angemessen expliziert werden kann. In diesen Bezugssystemen kann hingegen b i s z u e i n e m g e w i s s e n G r a d e verständlich gemacht beziehungsweise erklärt werden, wie es sich mit dem mnestischen Ü b e r d a u e r n beziehungsweise mit der V e r f ü g b a r k e i t des Vergangenen verhält. Wie steht es in dieser Beziehung mit dem Konzept der „Kräfte des Wiederhervorbringens" ? Ist die strukturtheoretische Rückführung der Erinnerungserlebnisse auf strukturelle Setzung eine zureichende Explikation des intentionalen So-Habens oder des Uberdauerns? Zur Untersuchung dieser Frage ist es wichtig, nochmals festzustellen, daß die „Setzung" von Wellek selbst als „allgemein erkenntnistheoretischer und ontologischer Ursachverhalt, der weiterer Rückführung nicht fähig ist", aufgefaßt wird. Nun scheint uns aber über dieses „Ignorabimus" hinaus nach wie vor eine schon eingehend besprochene Schwierigkeit a l l e r Gedächtniskonzepte bestehen zu bleiben. Wollte man die strukturelle Setzung der Erlebnisse als „zureichenden Grund" der Erlebnisse qua E r l e b n i s s e akzeptieren, so bliebe doch die Frage nach dem Unterschied beispielsweise von Gedenken und Vergegenwärtigen bestehen. Darüber hinaus: Ich bin beim Vergegenwärtigen nicht bei Abbildern in mir, aber auch nicht bei Reproduktionspotenzen, nicht beim „Setzen" oder „Wieder-Setzen" und nicht bei „Erlebnissen", sondern „bei der Sache", die n i c h t a l s „m e i n E r l e b n i s", sondern a l s t r a n s z e n d e n t e „W e 11" vermeint ist. Reflektiere ich darauf, daß ich ein Gedächtnis „habe", so ist dieser Sachverhalt nicht ohne weiteres mit der Ganzes-Glied-Relation der Ganzheitspsychologie verstehbar zu machen. G l i e d (eines Ganzen) sein heißt sachlogisch noch nicht, I n s t r u m e n t des Ganzen (der Person?, des „Ich"?) zu sein. Strukturelle Ganzheit als Erkenntniskategorie ist demnach noch nicht der zureichende Grund für den I n s t r u m e n t a l c h a r a k -
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t e r des Gedächtnisses als eines raum-zeit-analogen Trägers des Ehemaligen oder der Wiederhervorbringungsmöglichkeit des Ehemaligen. Sie ist es auch nicht für den Tatbestand, daß eine strukturelle Instanz nicht nur im k o n d i t i o n a l e n Sinne Erlebnisse „setzt", sondern daß die erinnerte, wiedererkannte, vergegenwärtigte (usw.) Sache als Noema einer Noesis i n t e n t i o n a l korrespondiert. Die Bedingungsrelation von Setzender Instanz und Gesetzem Erlebnis ist nicht dieselbe wie die intentionale Relation von Noesis und Noema (vgl. auch Linschoten [1540]; 241 ff.). So kann aber das „intentionale" Konzept des Gedächtnisses nicht endgültig im Krueger-Welleksdien Sinne strukturtheoretisch reduziert beziehungsweise zusammen mit den strukturellen Reproduktionspotenzen in e i n e m Theoriengebäude harmonisiert werden. Das spezifische Quäle des Jetzt-so-Habens von vergangenen Sachen wird nicht dadurch zureichend erfaßt, daß man das „Gedächtnis-Erlebnis" als strukturell bedingtes (gesetztes) „Erlebnisphänomen" versteht. Daß mir meine Wohnung in spezieller Weise vertraut ist, daß ich einen alten Freund als bekannt wiedererkenne, daß sich mir eine mitmenschliche Szene im Wolffsehen Sinne „einbildet", wobei sie mir in verschiedener Weise als vergangen gegeben sein mag oder aber auch nicht: all dieses imponiert der phänomenologischen Reflexion primär weder als „Überdauern" noch aber auch als „Setzung" oder „Wieder-Setzung" o d e r a b e r a u c h ü b e r h a u p t a l s „ E r l e b n i s". Es ist zu beachten, daß das strukturpsychologisch bestimmte „Erlebnis" einen gewissermaßen verdünnten Wirklichkeitscharakter besitzt. Seelisches „Sein" ist im strukturtheoretischen Verstände das Merkmal der personalen Struktur [1322] u. a. O.), das heißt des sich besinnenden, „gedenkenden" M e n s c h e n . Das Erlebnisthema, die S a c h e , die ich vermeine, ist hier nichts Seelisch-Seiendes, sondern (!?) etwas „Erlebtes". Im i n t e n t i o n a l e n Bezugssystem gedadit, ist es gleichwohl primäre Wirklichkeit. Daß es (nur) i n m e n t e sei, ist gerade keine Bestimmung innerhalb des intentionalen Konzepts. Das Wiedererkannte oder Erinnerte ist ebenso wirklich wie der Mensch, der wiedererkennt oder erinnert. Ich bin bei der Sache und keineswegs bei dem hochtheoretischen und aspektiven Tatbestand, diese Sache sei ein „Erlebnisinhalt", der durch die realpsychische Struktur „gesetzt" ist. Das strukturtheoretische Setzungs- oder WiederSetzungs-Konzept ist eine konditionalpsychologische Reduktion auf Bedingungen (wenn auch auf solche „sui generis" [Wellek]), nämlich auf ü b e r d a u e r n d e P o t e n z e n , welche Reduktion uns letzten Endes doch recht verwandt zu sein scheint mit allen übrigen Bedingungsanalysen des Gedächtnisses, w e l c h e r a u m - z e i t - a n a l o g e G e d ä c h t n i s v e h i k e l s u p p o n i e r e n . Auf die grundsätzlichen Schwierigkeiten aller dieser theoretischen Zugänge wurde eindringlich hingewiesen. Daß strukturelle Bedingungen keine Kausalbedingungen im klassisch-mechanistischen Sinne sind, ist uns bei alledem wohl bewußt.
Die Dispositionaltheorien wie auch die strukturtheoretische Potenzentheorie sind alle - die einen weniger, die anderen mehr - von unbestreitbarem Wert. Sie sind es dann und nur dann, wenn sie nicht das ungelöste G e s a m t p r o b l e m des Gedächtnisses monistisch lösen wollen, sondern 4'
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sich auf den begrenzten Aspekt des Ü b e r d a u e r n s und der s e l e k t i v e n V e r f ü g b a r k e i t von Vergangenem beschränken. Denke ich an überdauernde Abbilder, überdauernde physiologische Korrelate oder an überdauernde Potenzen, so h a b e i c h im Ablauf meines chronologischen Lebens ein Gedächtnis „mit mir", ein „Gerät": d a s G e d ä c h t n i s i s t e i n I n s t r u m e n t . Es hat quasi-raumzeitliche (vierdimensionale), „ q u a s i - e u k l i d i s c h e " 8 0 Trägerstruktur für Ehemaliges oder für die Ermöglichung des Wiederhervorbringens von Ehemaligem. Dieser „zeiterstreckte Träger" der Dispositionen oder Potenzen weist als Instrument aber über sich hinaus auf denjenigen oder dasjenige, der oder was dieses Instrument „benutzt": Ich h a b e mein Gedächtnis81. Das „Bei-der-Sache-Sein", das heißt das schlichte Haben des im Modus des Erinnerns oder des Wiedererkennens (usw.) gegebenen Noemas, mithin aber gerade der e r l e b n i s p h ä n o m e n o l o g i s c h e Grundsachverhalt des Gedächtnisses, ist im quasi-euklidischen Bilde des instrumentalen Trägers nicht zu fassen und wird auch in der vorwissenschaftlichen Weltsicht nicht so erfaßt. Hier reicht zumal das Modell der chronologischen Zeit nicht mehr aus. Das „dispositionell" Überdauerte und auch das von überdauernden Potenzen Gesetzte sind a l s „ j e t z i g e E r l e b n i s s e " g e g e n w ä r t i g . Die Sache, die ich intendiere, kann aber eine „ v e r g a n g e n e S a c h e " sein82. Der intentionale Aspekt des Gedächtnisses bedeutet, im angeführten Sinne, ein spezielles intentionales H a b e n v o n W i r k l i c h k e i t ; und zwar in den noetischen (in entsprechenden Reflexionen explizierbaren) Modalitäten des Erinnerns, Wiedererkennens, „Identifizierens", „Sich8 0 „quasi-euklidisch" soll den raum-zeit-analogen Charakter psychologischer Sachverhaltsbeschreibungen bezeichnen und zugleich pointieren, diese raum-zeitanalogen Deskriptionsstrukturen seien der „klassischen" und zugleich „gewöhnlichen" Raumanschauung entsprechend gedacht. „Spécialement, on appelle euclidien l'espace ordinaire à 3 dimensions, en tant qu'il vérifie l'axiome des parallèles" (Vocab. techn, et crit. de la philos [A. Lalande] Paris 6 1951; 309). Das Merkmal „euklidisch" wird danach, strenggenommen, bestimmten dreidimensionalen Räumen zuerkannt. Wir erweitern den Begriff ad hoc auf den vierdimensionalen Zeit-Raum, der als vortheoretisches Bezugssystem ebenfalls „klassisch" und „gewöhnlich" zu heißen verdient. 81 Bilz vermutet: „Es muß wohl so sein, daß wir auch . . . [der] geistigen Abweit räumliche Dimensionen zusprechen, weil wir von Haus aus nur die E r l e b n i s - S c h e m a t a f ü r d i e b i o l o g i s c h e U m w e l t haben." Diese „Relationsübertragung" geschieht, obwohl „das Objekt, auf das übertragen wird, für diese Schemata gar kein Substrat hat, sie aufzunehmen" ([206]; 256). Vgl. auch Thiele [1238], 82 Vgl. Straus {[1217]; 350): Unterscheidung des „zur Gegenwart gehörenden Aktes des Wiedererinnems" und des „Wiedererinnerten, das zum Vergangenen gehört".
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Zurückwendens-auf" und ähnlichem. G e d ä c h t n i s i s t d a n n g a r n i c h t s „ i n m i r", es ist nichts Instrumentales. Gedächtnis ist gewissermaßen „ e t w a s a n d e r S a c h e", am Noema. (Selbstverständlich kann auch ich selbst diese „Sache" sein.) Die spezifische Kategorie des chronologischen Überdauerns geht offenbar in dieses Konzept nicht ein. Es ist u. E. nach allem nicht zu umgehen, sich zu vergegenwärtigen, daß „Gedächtnis" in einem Raum-Zeit-Modell n i c h t a u f g e h t . Es ist ebenso deutlich, daß beide Konzepte: 1. d a s („q u a s i - e u k 1 i d i s c h e") K o n z e p t d e s Überd a u e r n s und 2. d a s („i n t e n t i o n a l e") K o n z e p t d e s So-Habens der Noemata, nicht aufeinander zurückgeführt werden können. Sie sind - analog der zitierten Bemerkung Parsons - nicht in einem einzigen Denkmodell zu vereinigen; sie fordern sich aber gegenseitig; keines genügt für sich allein 83 . Diese Lage scheint in einer gewissen, allerdings nur formalen Analogie zu N. Bohrs K o m p l e m e n t a r i t ä t s t h e o r e m (1928) der physikalischen Lichttheorie (vgl. z. B. Heisenberg [507]) zu stehen. Nach N. Bohr folgt aus dem Komplementaritätsprinzip, „daß eine allseitige Beleuchtung eines und desselben Gegenstandes verschiedene Gesichtspunkte verlangen kann, die eine eindeutige Beschreibung verhindern" ([J5J8]; 485) 84 . Die zu Beginn unserer Untersuchung verdeutlichte Absicht, wir wollten die kognitiven Ordnungsbildungen „unter Aspekten" betrachten, erfährt einen Halt darin, daß - soweit das Problem kognitiver Ordnung in das Gedächtnisproblem eingeht - d e r m e t h o d i s c h e P e r s p e k t i v i s m u s d u r c h d i e v o r f i n d l i c h e A s p e k t s t r u k t u r des Gedächtnisses erzwungen ist (s. auch [1449]; 124)85. Der „quasi-euklidischen" und der „intentionalen" Beschreibung des Gedächtnisses liegen, was hier 83
Zum Problem „unvereinbarer Modellvorstellungen" schreibt Metzger neuestens: „Sobald es in der Psychologie Befunde gibt, die nur noch auf solche zweigleisige Weise faßbar sind, wird sich niemand den dann notwendigen Folgerungen entziehen dürfen. Diese Lage scheint mir aber im gegenwärtigen Augenblick in u n s e r e r Wissenschaft noch nicht eingetreten zu sein" ([868]; 284). (Wir können uns nach den gegenwärtigen Überlegungen dieser Auffassung nicht anschließen.) 84 Vgl. audi zum Beispiel mathematische Antinomien (Wittenberg [a.a.O.]; 78 a. a. O.). Die unvollständige Kenntnis des Systems ist die V o r a u s s e t z u n g für die Quantenmechanik (vgl. [507]; 129). 85 Diese A s p e k t s t r u k t u r ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß 1) die begriffliche Abbildung des angezielten Themenkreises ausschließlich in „quasi-euklidischen" (raum-zeit-analogen) Konzepten nicht ausreicht; 2) darüber hinaus eine geschlossene „cartesianische", a-perspektivische „Universalformel" des Gedächtnisses nicht möglich erscheint (s. u. S. 71). 53
nicht ausgeführt werden kann, offensichtlich auch verschiedene „Beobachtungsmittel" zugrunde, wonach das Komplementaritätsprinzip im Sinne der „Wechselwirkung zwischen Gegenstand und Beobachtungsmittel" zu explizieren wäre (Bohr [a. a. O.]; 483). Vielleicht darf wie folgt unterschieden werden: 1) Das q u a s i - e u k l i d i s c h e Konzept des Gedächtnisses dient in erster Linie zur Verständlichmachung f u n k t i o n a l e r Sachverhalte. Die O r d n u n g des Erlebens und Verhaltens (zum Beispiel die Selektivfunktion des Gedächtnisses) kann man mit dem Modell des „Überdauems" in den Griff bekommen. Diese funktionale Ordnung, der Einfluß der Bildung, Wandlung und Verwendung des chronologisch Überdauernden, ist der wissenschaftlichen Empirie (der Beobachtung und dem Experiment) zugänglich. 2) Das i n t e n t i o n a l e Konzept des Gedächtnisses dient in erster Linie zur Deskription des Erlebens, das heißt nicht so sehr der „Ordnung" als der qualitativen E i g e n a r t und F ü l l e des Phänomenalen, des intendierten Noemas. Dieses ist uns unmittelbar gegeben, in der Beflexion zu fixieren und zu formalisieren, also phänomenologisch-erfahrungsfundiert zu beschreiben.
Methodisch gewendet, fordert die Aspektstruktur des Gedächtnisses also einen Methodenpluralismus (dazu Wellek [J33J]). Wie indes, im zu Beginn beschriebenen Sinne, jene offenbare Unerträglichkeit des aspektiven Fluktuierens besteht, wird die „methodenmonistische" Verkürzung aber aller Voraussicht nach unausrottbar sein; Aspektwechsel dürften nicht so sehr intraindividuell als interindividuell - im dialektischen Vorschreiten der Wissenschaftsentwicklung - erfolgen. Daß auch die Anerkennung der Aspektstruktur des Gedächtnisses nicht hindern kann, e i n e n der Aspekte (zum Beispiel den des Überdauerns) in momentanem Absehen von dem anderen, als deskriptiven Bezugsrahmen z e i t w e i l i g zu übernehmen, wird im Fortgang der gegenwärtigen Untersuchung gezeigt werden. Ein deskriptiver Bezugsrahmen beziehungsweise ein explikatives Modell erweist sich jedoch stets als „relativ" zur wissenschaftlichen A r b e i t , zum lebendigen Entwicklungsstrom unserer W i s s e n s c h a f t , man vermeide ontologisierende Hypostasen: platonisierende und vulgär-materialistische.
5. Erfahrungsordnung, Kontiguität und Gestaltgesetze Neben dem Sachverhalt des Überdauerns und den erlebnisphänomenologischen Modalitäten des Erinnerns, der Bekanntheit, des Wiedererkennens usf. ist im Zusammenhang unseres Themas der Tatbestand der E r f a h r u n g s o r d n u n g von besonderem Interesse. Abgesehen von dem soeben Besprochenen und ihm nicht widersprechend, kann man fragen, wie sich nicht das Uberdauern und nicht die Erfahrung schlechthin, sondern die 54
offensichtliche O r d n u n g der Erfahrung, ihr g e o r d n e t e r Zus a m m e n h a n g , konstituiert. Wie etwa ist es zu verstehen, daß mir anläßlich einer Gegebenheit X die Gegebenheit Y und nicht die Gegebenheit Z einfällt, daß ich eine Aufgabensituation mit der „Lösungstechnik" M und nicht mit der „Lösungstechnik" N zu bewältigen trachte usf. Es wird sogleich deutlich, daß mit den Termini „Erfahrungsordnung" oder audi „Erfahrungszusammenhang" das Gedächtnis und die Erfahrungsbildung unter dem Aspekt der S e l e k t i v i t ä t betrachtet werden. Unsere Erfahrungen, unsere Gedächtnisbestände, sind insofern geordnet, als ihr f a k t i s c h e s S o s e i n gewissermaßen jeweils gegenüber den (logischkombinatorischen, oder besser: den psychologisch-anthropologischen) M ö g l i c h k e i t e n zurückbleibt. Kognitive Ordnung ist der Verlust von logischen, oder besser: anthropologischen Freiheitsgraden; Ordnung ist (auch) „Prägung" (vgl. Thomae), ist Faktizität beziehungsweise biographische Irreversibilität. Über selektive Beschaffenheiten der Erfahrung wird im Fortgang unserer Untersuchungen eingehend und sehr konkret zu verhandeln sein. Im Zusammenhang unserer gegenwärtigen eher vorbereitenden Überlegungen soll der „Erfahrungszusammenhang" unter den sehr allgemeinen Gesichtspunkten seiner allfälligen „Kontiguitätsabhängigkeit" und der „Gestaltgesetze" kritisch erörtert werden. Die S t r u k t u r t h e o r i e der Erfahrung findet als Konstituenten der Erfahrungsordnung das hierarchische Gebäude der sich entwickelnden und (relativ) überdauernden Potenzen, jene „Architektonik", von der Wellek (s. o.) spricht. Man denke auch an die angeführte Formulierung Seifferts, die „dauernde Sichtung der unendlichen Fülle von Erinnerungen" - man muß hinzufügen: sowie alles bereitliegenden Wissens und alles kognitiven Könnens - sei „nur innerhalb eines beharrenden Seelenrealen, einer Person, eines Ich begreiflich" ([a. a. O.]; 65). Ganz anders stellt sich das Problem der Erfahrungsordnung den Dispositionaltheorien dar - wie unterschiedlich sie sonst auch immer untereinander sein mögen: a) Das älteste und ehrwürdigste Konzept des Erfahrungszusammenhanges ist zweifellos das der A s s o z i a t i o n . Schon bei Aristoteles86 und in der Scholastik (Abaelard, Joh. v. Salisbury87) sind Ansätze zu einer Assoziationstheorie auffindbar; ihre Entwicklung ist jedoch eng an den Englischen Empirismus geknüpft. Hobbesss, J. Locke6*, D. Hume00, 86 87 88 89 90
Über die Seele (Bender) Stuttgart 1871, III/1-2 Vgl. Windelband ([a. a. O.]; 257f.) De homine, (Frischeisen-Köhler) 1915/16 An essay conceming human understanding (1690) Treatise of human nature (1/2,3), Werke (Röttgen), Leipzig 1895 55
James Milln, aber auch J. Fr. Herbart92, bauten die sogenannte „klassische" Assoziationspsychologie auf, die sich weitgehend mit dem als „Elementenpsychologie" bezeichneten Grundsatz deckt, deren Prinzipien K. Bühler in vier Axiomen zusammengefaßt hat 93 : Ein m e c h a n i s t i s c h e r Determinismus94 des Seelenlebens zusammen mit a t o m i s t i s c h e n Annahmen und einem konsequenten S e n s u a l i s m u s bildeten - und bilden - neben s u b j e k t i v i s t i s c h e n Einseitigkeiten die Voraussetzungen der Assoziationslehre. Die seelischen „Elemente" 95 ketten sich im Sinne dieser Theorie nach bestimmten Gesichtspunkten aneinander, die besonders seit Humem untersucht und mit der Bezeichnung „Assoziationsgesetze" versehen wurden. Wenn ein Element bewußt ist, so hat es die Tendenz, andere Elemente nach sich zu ziehen, mit denen es sich zusammen im Bewußtsein befunden hatte (Kontiguitäts- oder Berührungsassoziation) oder denen es ähnelt beziehungsweise deren „Gegensatz" es bildet (beispielsweise: blau - violett; groß - klein)97. Letztere wurden Ähnlichkeits- und Kontrastassoziationen genannt und oft (unter der ersteren Bezeichnung) zusammengefaßt. Neben der Assoziationstendenz nahm später G. E. Müller in Wiederaufnahme eines schon bei Herbart auftretenden Ansatzes eine P e r s e v e r a t i o n s t e n d e n z 1 8 der Vorstellungen an. Danach sollten Bewußtseinsinhalte das Bestreben haben, ohne assoziative Verknüpfung möglichst lange im Bewußtsein zu verharren und auch wieder (als „freisteigende Vorstellungen") bewußt zu werden. b) Wenn auch schon um 1820 Th. Brown [160] motivationale Bedingungen für die Assoziation zweier Gegebenheiten unterstellte, wenn beispielsweise Herder das Gefühl, später Chr. v. Ehrenfels „Gestaltqualitäten" [14S4], Rignano [1485] den „Gebrauchszweck", Liepmann und Ach ( f 7 4 9 ] , [4]) „Obervorstellungen", Mayer und Orth die „Bewußtseinslage" [826], Ach das „Wissen" und die „Bewußtheit" [4], Höffding [547] die „Aufmerksamkeit" als „ B i n d e g l i e d e r " (Metzger [ 8 6 6 ] ; 99 f.) für den Zusammenhang von assoziierten Elementen annahmen: das klassische Konzept war das K o n t i g u i t ä t s p r i n z i p der Assoziation. Danach „ist die einzige Ursache der Verknüpfung seelischer Inhalte der Z u f a l l des (möglichst wiederholten) räumlich-zeitlichen Zusammentreffens" (Metzger [a. a. O.]). Schon Höffding, später Krueger und insbesondere die Gestalttheoretische Schule, wendeten sich gegen das Berührungsprinzip der Assoziation. Zur Veranschaulichung dieser kritischen Ansätze sei von Wundts m i l a t i o n s t h e o r i e des Wiedererkennens ausgegangen: 91 92 93
Analysis of the phenomena of the human mind (1829) Psychologie als Wissenschaft 1824/25, Werke (Kehrbach), [1428]
Assi-
1882-1901
Schon vorbereitet bei Descartes und Spinoza Zunächst als „Ideen", dann als „Vorstellungen", auch als „Empfindungen" gefaßt, bei Wundt ([1398]; 279) auch als „Elementargefühle". 98 [a.a.O.] 97 So schon Aristoteles 88 ([906]; 131) 94
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Wundt bezeichnete das Wiedererkennen als „Modellfall der psychischen Kausalität" 99 . E r faßt es als „ r e p r o d u k t i v e A s s i m i l a t i o n", das heißt als Verschmelzung sensorieller und reproduktiver Elemente 100 . Herbart101 hatte das Wiedererkennen als ein Zusammentreffen der wahrgenommenen Vorstellung A102 mit der reproduzierten Vorstellung a verstanden; das heißt: A verhilft a zur Reproduktion und verschmilzt mit ihr. Durch diese Verschmelzung erhält A den Charakter der Bekanntheit. Wundt faßt bekanntlich die Vorstellung wie die Wahrnehmung auf als z u s a m m e n g e s e t z t aus Elementen (Empfindungen, Elementargefühlen). Sein Ansatz gewinnt gegenüber dem Herbartschen dadurch an Elastizität, daß die Wahrnehmung A auch die ihr nur ä h n l i c h e Vorstellung a t reproduzieren und mit ihr in einer Assimilation verschmelzen kann. Ähnlichkeit ist in der Wundf sehen Auffassung eine partielle Gleichheit von Elementen. Die Assimilation ist somit die Verknüpfung derjenigen Elemente von A und a 1; die gleich sind. Durch die Möglichkeit der Assimilation von nur ähnlichen, nicht gleichen, sensoriellen und reproduktiven Inhalten erklärt Wundt, daß man auch einen Gegenstand dann wiedererkenne, wenn man ihn unter einem anderen optischen Blickwinkel, bei anderer Beleuchtung usf. sieht - ein Sachverhalt, der mit Herbartschen Aufstellungen nicht gut zu erfassen war. Die von Wundt beschriebene Assimilation ist eine Verknüpfung nach Maßgabe der partiellen Gleichheit, das heißt der (so definierten) Ä h n l i c h k e i t . Eine bloße B e r ü h r u n g s assoziation (Kontiguitätsassoziation) kann nicht statthaben, da A und a nie zusammen im Bewußtsein gewesen waren. Das Kontiguitätsprinzip der Assoziation scheint dem Ähnlichkeitsprinzip allerdings in der „inhaltlichen" Irrelevanz der Elemente überlegen zu sein. In den Begriffen der Ähnlichkeit (und des Kontrastes) ist ja immer das Inhaltliche der Vorstellungen mitgemeint; das heißt die Assoziation nach der Ähnlichkeit (und nach dem Kontrast) ist eine inhaltlich relevante Verknüpfung. Das gilt für die Assoziation nach der Kontiguität offensichtlich nicht: Kontiguität ist ja nichts als das räumliche oder zeitliche Miteinandervorkommen inhaltlich wie auch immer beschaffener Elemente. Es überrascht nun nicht, daß diejenigen Forscher, die am innigsten einer mechanistischen Seelentheorie verschworen waren, die Ähnlichkeitsassoziation nicht akzeptierten, sondern nur noch das Kontiguitätsprinzip gelten ließen 103 . In ihrer E r w a r t u n g s t h e o r i e des Wiedererkennens versuchten sie, ohne die Ähnlichkeitsassoziation auszukommen 104 . ([1399]; 170) ([1514]; 273ff.) 101 a.a.O. 102 Herbart bezeichnete, wie die gesamte ältere Psychologie, auch den wahrgenommenen Inhalt als „Vorstellung". 103 So J. Mill (a. a. O.) 104 Vgl. Höf ding ([546]; 441 f.) 99
100
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Ich erblicke beispielsweise ein Fenster (A). Diese Wahrnehmung weckt durch eine Berührungsassoziation die Vorstellung des (schon einmal erlebten) angrenzenden Gebäudeteiles b. Ich e r w a r t e , daß die Wahrnehmung des angrenzenden Gebäudeteiles (B) mit der v o r h e r gehabten Vorstellung (b) übereinstimme. Ich vergleiche B und b 105 und habe dann einen Bekanntheitseindruck, wenn meine Erwartung erfüllt wird. Höffding griff diese Theorie an109, indem er geltend machte, die Bekanntheit resultiere k e i n e s w e g s immer aus der V e r g l e i c h u n g von B und b, sondern ergebe sich meist „unmittelbar". Diese „ u n m i t t e l b a r e W i e d e r e r k e n n u n g " faßte er (ähnlich wie Wundt) als Verschmelzung von A und a auf, welche Verschmelzung sich ihm jedoch (im Gegensatz zu Wundt) als (sukzessive) Ähnlichkeitsassoziation darstellte, während dieser sie - wie erwähnt - als eine (simultane) Assimilation (nach Maßgabe der Ähnlichkeit) ansah. Höffding betonte, daß der Wahrnehmungsgegenstand zeitlich vor dem Erinnerungsbilde erlebt werde, daß sich das letztere erst als „Verification" später bilde. Meist allerdings kommt es nach Höffding nicht mehr zur Verifikation, da die Assoziation von A und a nicht mehr „bewußt" werde. Der Autor spricht in diesem Zusammenhang von einem „Übungsphänomen" und einem „secundären Unbewußten" 107 . Im folgenden versuchte er, jede Berührungsassoziation als von einer Ähnlichkeitsassoziation abhängig darzustellen. Er faßte die Ähnlichkeit nicht als partielle Gleichheit von Elementen und argumentierte zum Beispiel, bei „gelb" und „orange" sei kein einziges gleiches Element auffindbar108. Ähnlichkeit kann nach seiner Meinung nur mittels der Aufmerksamkeit verstanden werden. Er faßt die letztere als „psychische Tätigkeit"109. Vorstellungen sind nicht „Atome" des Seelenlebens, sondern „Vorgänge"110. W. Köhler bespricht Höffdings Einwände gegen die Berührungsassoziation durchaus positiv und kommt, wie dieser, zu dem Schluß, eine Berührungsassoziation sei ohne die Voraussetzung einer „selektiven Ähnlichkeitswirkung" nicht denkbar (99). Doch folgert er im Unterschied zu Höffding, die Reproduktion erlaube „keine andere Interpretation als das Feldprinzip" (98). Dem von ihm vertretenen gestalttheoretischen „Isomorphie-Prinzip" entsprechend, konvertiert seine Argumentation sogleich ins Somatische. E r lehnt das Modell der Berührungsassoziation ab und ersetzt es durch das Prinzip der „Paarbildung": Ist der sensorielle Inhalt C in irgendeiner Weise der Spur c „ähnlich", bestehen funktionelle Ähnlich105 Wiedererkennen als Vergleich auch in der Psychopathologie der damaligen Zeit: Jensen [145S], Anjel [1419] u.a. Vgl. auch Lindworsky ([1466]; 256). 106 [a.a.O.] 107 ([a.a.O.]; 438f.) 108 ([a.a.O.]; 170) 109 ([a.a.O.]; 181 ff.) 110 ([a.a.O.]; 192) 58
keitsbeziehungen zwischen beiden Paargliedern, so führt diese „beim Auftreten von C zur Reproduktion von c" (101). Sein bekanntes feldtheoretisches Wahrnehmungskonzept benutzt er zur Interpretation der Reproduktion: „Der selektive Einfluß der Ähnlichkeit auf die Gruppenbildung läßt sich ebensogut bei zeitlicher oder sukzessiver Organisation wie bei simultanen Gegebenheiten nachweisen" (102). Eine von dem Autor für notwendig gehaltene „spezielle Feldtheorie" ist noch nicht genügend weit entwickelt worden (101, 105). c) Was aber ist - nach der gestalt- beziehungsweise feldtheoretischen Auffassung - Ä h n l i c h k e i t ? Die eingehendste gestalttheoretische Diskussion des Zusammenhangsproblems bietet wohl Metzgers „Psychologie" (a. a. O.). Der Autor schreibt: „Die sachliche Beschaffenheit des Gegebenen selbst entscheidet über die Bildung von umfassenden Einheiten irgendwelcher Art. . ." (105). „Für die Bildung von Einheiten ist maßgebend das gegenseitige Verhältnis, das inhaltliche Zueinander des Gegebenen; sie kann von der Betrachtung der Beschaffenheit jedes einzelnen Elementes für sich her nie verstanden werden. Natürlicherweise erscheint zusammengeschlossen dasjenige, w a s s e i n e r N a t u r n a c h z u s a m m e n g e h ö r t ; insofern ist die natürliche Gruppierung, Gliederung und Grenzbildung, in der klaren und lebendigen Bedeutung des Wortes, s i n n v o 11." (106) Danach ist beispielsweise die „Paarbildung nach Ähnlichkeit" (s. o.) eine „sinnvolle" Verknüpfung, eine solche, die der „sachlichen Beschaffenheit des Gegebenen" entspricht. Was heißt das? „Die gegebenen Elemente [?] schließen sich . . . stets so zusammen, daß möglichst e i n f a c h e , e i n h e i t l i c h e , möglichst d i c h t e . . ., g e s c h l o s s e n e , auf die Dauer möglichst f e s t e . . ., ferner möglichst s y m m e t r i s c h e , . . . möglichst . v o l l s t ä n d i g e ' und u n t e r e i n a n d e r . . . g l e i c h a r t i g e Ganzgebilde entstehen. Dies ist gemeint, wenn man vom F a k t o r d e r N ä h e (Grenzfall: B e r ü h r u n g ) , der Ähnlichkeit (Grenzfall: G l e i c h h e i t ) [!!], der Geradlinigkeit, der durchgehenden Kurve oder des glatten Verlaufs, des gemeinsamen Schicksals, des Aufgehens ohne Rest usw. spricht." (109) Somit ist „Ähnlichkeit" ein Gestaltfaktor. Alle Gestaltfaktoren aber sind Spezifikationen des P r ä g n a n z p r i n z i p s der gestalttheoretischen Schule. „Sinn", „Sachlichkeit", „Natürlichkeit" usf. (s. o.) gehen auf in dem umgreifenden Prinzip der Prägnanz. „Sinn" ist „natürliche, innere, sachliche Ordnung", „die nicht aus Zwang, sondern ,in Freiheit' da" ist (210). Was aber sinnvoll, geordnet, ist, hängt nach Metzger nicht nur von den aktuellen figuralen Gegebenheiten ab, sondern auch von „der Gesamtheit 59
der Sachverhältnisse in der näheren und weiteren Umgebung" (112). Zu den (weiten) Umgebungsverhältnissen gehören aber auch die E r f a h r u n g e n , die ein Mensch gemacht hat. Sie sind „simultane", zugleich „periphere" Feldbestimmtheiten, wie sie von Leioin (s. o. S. 27) beschrieben wurden. Dabei ist Erfahrung nicht das kontiguitätstheoretische „Klebenbleiben beliebiger Inhalte infolge wiederholten zufälligen Zusammenvorkommens" {Metzger [a.a.O.]; 98); Erfahrungen-Machen gehört „zu den Grundvorgängen alles Denkens und aller Wissenschaft" (234) und meint „nicht umkehrbare" „Strukturwandlungen" ( = „Umstrukturierungen"), bei denen sich das „anschaulich Vorliegende" so „neu gestaltet", daß „die vorher unstimmigen oder ,ohne Sinn und Verstand' nebeneinanderstehenden Teilsachverhalte sich entweder als doch notwendig so Zusammen g e h ö r i g e herausstellen oder sich als offensichtliche ,Fremdkörper', als sachlich unzusammengehörig und nur ,zufällig' zusammen g e s e h e n trennen" (234). (Vgl. Wertheimer [-Z356].) Die Nachwirkungen so gemachter Erfahrungen (Umstrukturierungen) gehen als mitkonstituierende Feldbedingungen in die augenblickliche anschauliche Ordnung des Gegebenen ein. Nach allem ist Sinn nicht etwas „Gemachtes", sondern etwas, was man vorfindet, was sich bildet, etwas Hinzunehmendes oder aber zu „Durchschauendes". Sinnvoll-Sein bedeutet: den Gestaltgesetzen (zum Beispiel dem Faktor der Nähe, der Ähnlichkeit [s. o.]) gehorchen. Man muß sich bei alledem vergegenwärtigen, daß Metzgers Ansatz insofern „phänomenologisch" ist, als es nicht um eine „transzendente" „physikalische" Welt geht, sondern um die „ a n s c h a u l i c h e W e l t", die uns im dargelegten Sinne eben stets als sinnvoll gegeben ist. Allerdings: besteht
„Einsinnige
[!]
Verursachungsrichtung
1. vom Zustand der physikalischen Welt (einschließlich des Organismus) auf die Sinnesorgane; 2. von den Sinnesorganen zur anschaulichen Welt (einschließlich des KörperI c h ) . . . " (303) [!]. Es herrscht „Gestaltidentität" („Isomorphie") zwischen dem anschaulich Gegebenen und zentralen physiologischen Vorgängen, und zwar in dem Sinne, daß „wir an dem anschaulich Erlebten unmittelbar die Gestalteigenschaften, besonders des Aufbaus und des dynamischen Gefüges, jener Vorgänge ablesen können" [a. a. O.]. (Vgl. Köhler [686].) Sinn, Ordnung des anschaulich Gegebenen, ist danach die Wirkung der „Geschlossenheit", „Symmetrie", „Dichte" usw. von zentralphysiologischen Prozessen; auch für physiologische Ordnungen sind der Faktor der Nähe, der Ähnlichkeit usf. zu unterstellen. Köhlers Paarbildung von C und c (s. o.) beruht zu guter letzt auf der Ähnlichkeit sensorieller Prozeß-Merkmale und mnestischer Spur-Merkmale im physiologischen Bereich, wobei diese Ähnlichkeit nicht nur von diesen beiden Merkmalsgruppen, sondern auch von den Beschaffenheiten des Gesamtfeldes - letztlich des individuellen lebendigen Organismus und
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der aktuellen physikalischen Umgebung - abhängen. Daß bedeutet aber: Alles was über den heuristischen Nutzen und die metatheoretische Problematik von (psychologischen!) Hirnmodellen gesagt wurde, gilt auch hier.
d) Um das gestalttheoretische Konzept würdigen zu können, muß man ein Anliegen der Gestalttheoretiker beachten, das uns von den bisher referierten Positionen nicht trennbar erscheint: Die Gestalttheorie wendet sich scharf gegen alle „ A u f m e r k s a m k e i t s t h e o r i e n". Was zusammengehört, ist nicht nur n i c h t das durch „zufällige" Kontiguität Verknüpfte, sondern auch n i c h t das durch die „Beachtung", die „Aufmerksamkeit", durch „produzierende" (v. Meinong, Benussi) oder, im Verstände Kants „synthetische" T ä t i g k e i t e n des Betrachters Entstandene (101). Nicht das „So-Beachtete", das „Zusammengefaßte", sondern, wie gezeigt, das den (physiologisch-anschaulich isomorphen) Gestaltgesetzen Entsprechende ist „Ordnung", hat „Sinn". Als eines der zahlreichen, sehr erwägenswerten einschlägigen Argumente wird zumeist angeführt, daß die Anzahl der logischen (mathematischkombinatorischen) Möglichkeiten, Gegebenheiten zu gruppieren, viel größer ist als die Anzahl der tatsächlich verfügbaren Gruppierungsmöglichkeiten. Eine regelmäßige Gruppe von neun Punkten:
wird durchaus nicht in allen mathematisch-kombinatorisch möglichen, sondern nur in wenigen „prägnanten" — will sagen: den Gestaltgesetzen entsprechenden - Versionen gruppiert (vgl. 102). Will man eine gewisse Freiheit annehmen, wie beispielsweise Punkte gruppiert werden können - und das muß man aus erlebnisphänomenologischen Gründen —, so kann doch der A u f f a s s u n g s t h e o r e t i k e r nicht umhin zuzugeben, „daß sachliche Beschaffenheiten des Betrachteten die Aufgabe der Zusammenfassung mindestens erleichtern oder stören, ja daß sie die Aufmerksamkeit in gewisser Weise,lenken'.. .".Auch was durch aufmerkende Willkür gruppiert wird, war zuvor durchaus nicht chaotisch, sondern schon als gruppiert gegeben. Willkürliches Gruppieren ist insofern stets ein U m g r u p p i e r e n (103 ff.). Auch das, was „freie Produktion" zu sein scheint, ist nicht P r o d u k t i o n „aus dem Chaos", sondern eine U m s t r u k t u r i e r u n g (zum Beispiel Umgruppierung) des Gegebenen, das entsprechend den (anschaulich-physiologisch isomorph aufgefaßten) Gestaltgesetzen, letztlich entsprechend dem Prägnanz-Prinzip, geordnet ist. Man vergegenwärtige sich noch einmal Metzgers Position: 61
1. Metzger bestreitet selbstverständlich nicht, daß wir uns als „Gruppierende", „Produzierende" - als „spontan" - erleben können. 2. Er weist aber in bemerkenswerter Deutlichkeit nach, daß wir die G r e n z e n dieser Spontaneität ebenfalls unmittelbar erleben können, wenn wir uns beispielsweise vor der Aufgabe sehen, möglichst viele Versionen der 9-PunkteGruppierung anschaulich zu verifizieren. 3. Metzger legt eine auf M. Wertheimer zurückgehende, außerordentlich sorgfältig durchgearbeitete Theorie der G e s t a l t g e s e t z e vor, nadi denen sich die „sinnvollen" (gestaltgesetzlichen) Zusammenfassungen konstituieren und andere ausgeschlossen (oder doch erschwert) werden. 4. Die „subjektiven Eingriffe", die als relativ „frei" erlebbaren Gruppierungen, Gliederungen und Grenzbestimmungen, bestätigen nach Metzger durchaus die These, daß jeder Zusammenhang des Gegebenen, „auch seine besondere Art", auf „psychologischen Ursachen" beruht (102). Aufmerksamkeit ist „zum Schluß nichts mehr als W a c h h e i t und allenfalls noch Z u w e n d u n g zu einem bestimmten Sinnesgebiet" (104). Wachheit und Zuwendung werden u. W. bei Metzger nicht eingehend interpretiert; diese Begriffe scheinen im Theoriengebäude der Gestalttheorie keinen rechten Platz zu haben. Vielleicht könnte man übrigens im gestalttheoretischen Sinne argumentieren, die quasi-spontane Gruppierung beispielsweise der 9-PunkteAnordnung käme so zustande, „daß das im umfassenden Bereich Sinnvolle den Ausschlag gibt" (113). Es wäre danach f ü r die „Gesamtperson" sinnvoll, eine ungewöhnliche Gruppierung zu suchen beziehungsweise zu versuchen. Beispielsweise könnte durch den Versuch des ungewöhnlichen Gruppierens (eigentlich: Umgruppierens) eine umgreifende motivationale Gleichgewichtslage wiederhergestellt werden, etwa der vorhandene „Sach-Ehrgeiz" befriedigt werden. Da ein solches Gleichgewicht etwas „Prägnantes" ist, würde auch die „quasi-spontane" unprägnante Gruppierung von Punkten in einem weiteren Sinne nach der P r ä g n a n z t e n d e n z verlaufend zu denken sein. Aber auch mit dieser Konstruktion wird das Spontaneitätsproblem nicht befriedigend gelöst. Die Annahme einer umfassenden Prägnanztendenz würde die kategoriale Eigenbestimmtheit des Spontaneitätserlebens nicht nur nicht „erklären" ( - wo gäbe es eine psychologische Erklärung dieser Art! - ), sondern nicht einmal deskriptiv erfassen. Die Gestalttheorie wird u. E. der notwendigen deskriptiven Berücksichtigung gefühlsartiger Gegegebenheiten, wie sie die „Spontaneität", aber auch etwa die „Bekanntheit" usf. darstellen, nicht gerecht. (Vgl. dazu Wellek [1328, 1327] u. a. O.). Zum anderen aber wird der Prägnanzbegriff durch eine solche Ausweitung in bedenklicher Weise seines Sinnes entleert: „Überhaupt-Determiniert-Sein" und „Den-Gestaltgesetzen-Gehorchen" (beziehungsweise „Dem-Prägnanzprinzip-Gehorchen") ist dann letzten Endes identisch. Der heuristische Wert des „totalen" Prägnanzbegriffs entspräche so aber etwa nur demjenigen der „Vermögen" Wolffscher Observanz. Ob ich sage, man verhalte sich so und nicht anders, weil man das Vermögen dazu hätte, oder ob ich sage, das Verhalten entspreche der Prägnanztendenz - gibt es doch nur diese eine! - , wäre letztlich einerlei. Es folgt, daß das Prägnanzkonzept in der versuchsweise erwogenen Erweiterung schwerlich sinnvoll zu handhaben ist. Dann aber bleiben der „ s u b j e k t i v e E i n f l u ß " , die „ A u f m e r k s a m k e i t " und ähnliches im gestalttheoretischen Zusammenhang uninterpretiert. Sie bleiben uninterpretiert, wie sie in fast allen Theorien uninterpretiert bleiben.
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Unserer Auffassung entspricht es eher, wenn Wellek die „Setzung" des „Bekanntheitserlebens" unmittelbar aus der „Struktur" als i r r e d u z i b e l bezeichnet und damit die Grenzen seines interpretativen Konzepts erkennt und anerkennt.
Im u n b e z w e i f e l b a r e n S p o n t a n e i t ä t s e r l e b e n , dem Erleben der Aufmerksamkeit, Gerichtetheit, Beachtung, Besinnung-auf, der Freiheit, Willkürlichkeit usf., scheint eine G r e n z e s o w o h l d e s f u n k t i o n a l e n a l s a u c h d e s g a n z h e i 11 i c h - s t r u k t u r a l i s t i s c h e n D e n k e n s zu liegen, die zugleich die Grenze aller bekannten psychologischen Ansätze ist. Was erreicht werden kann, ist 1. der Verzicht darauf, diese unmittelbaren Erlebnisgegebenheiten wegzudisputieren, 2. eine möglichst saubere deskriptive Erfassung dieser Erlebnisse abgesehen davon, ob und wie sie in funktionale oder strukturelle Interpretationskonzepte eingearbeitet werden können. e) Insbesondere Wellek hat wiederholt darauf hingewiesen, daß S i n n nicht im Figuralen aufgeht (so schon Brunswik [1427]; 139, neuerdings Graumann [447]). Sinn ist nicht allein dasjenige, was den (physiologischanschaulich isomorphen) Gestaltgesetzen entspricht; vielmehr weist der Bedeutungsgehalt des Gegebenen zum einen auf „objektiv-geistige Sinngehalte"; zum anderen ist gegebene Bedeutung immer auch dasjenige, was das Gegebene „für midi", das heißt „strukturell ist und bedeutet" (Wellek [z. B. 1335], vgl. auch [524]; 78). Wie an anderer Stelle noch kurz zu besprechen sein wird (s. u. S. 168 f.), ist die Möglichkeit, Sinn zu beschreiben, äußerst vielfältig (vgl. Graumann [a. a. O.]; 98 ff.). Dann aber sollte der Sinn-Begriff nicht gestalttheoretisch eingeschränkt bleiben; schon allein nach dem heuristischen Postulat der tunlichen Vergrößerung des deskriptiven Inventars ist eine solche Reduzierung abzulehnen111. Ein hier nicht explizit auszuführendes Argument gegen den gestalttheoretischen Sinn-Begriff ist insbesondere im Zusammenhang der Beschränkung des Gestaltkonzeptes auf wesentlich „quasi-euklidische" Ordnungsbegriffe zu betonen. „Nähe", (figurale!) „Ähnlichkeit" als „Teilgleichheit", „Geradlinigkeit", aber auch „Paarbildung" usf. sind raum-zeitanalogische Kategorien, die u. E. zur Interpretation nicht einmal der visuellen Wahrnehmung, sicherlich aber nicht des Psychischen überhaupt ausreichen, vor allem aber den Ursachverhalt des Intentionalen, wie auch denjenigen des Überdauerns, nicht befriedigend zu erfassen vermögen (s. o.). Wie etwa kann phänomenale Ä h n l i c h k e i t im figuralen Teil-Gleich111 Wellek [1324, 1332] weist darauf hin, daß die geometrisch ausgezeichneten und einfachen Gestalten „keineswegs immer die sinnreichsten, sinnträchtigsten sind . . ." Graumann ([a. a. O.]; 100) zieht die Summe: „Der Versuch der Gestalttheorie, Sinn rein «sachlich» als Kriterium von Konfigurationen zu beschreiben beziehungsweise zu erklären, muß . . . als gescheitert angesehen werden."
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sein aufgehen; wie können beispielsweise Gefühlskonkordanzen [vgl. 529] dadurch ausreichend beschrieben werden, sie seien sowohl „anschauliche" wie auch „zentralphysiologische" Paarbildungen nach dem Gesetz der Ähnlichkeit? Mit alledem soll freilich das Verdienst des gestalttheoretischen Modells keineswegs verkannt werden; wir wenden uns nur gegen jeden interpretativen Absolutheitsanspruch, mithin auch gegen den gestalttheoretischen „Kategorienmonismus". Unsere Absicht ist nicht polemisch, sondern eine Grenzbetrachtung; zeigte sich doch klar, daß unser Problem der kognitiven Ordnung überhaupt nicht in e i n e m Modell oder sogar in e i n e m „Menschenbild" hinreichend zuende zu denken oder auch nur hinreichend zu b e s c h r e i b e n ist. f) Schon nach unseren früheren Überlegungen ist es wohl deutlich geworden, daß die A b l ö s u n g d e s e m p i r i s t i s c h e n Kontig u i t ä t sp r i n z i p s der A s s o z i a t i o n n i c h t allein durch d a s g e s t a 111 h e o r e t i s c h e Ä h n 1 i c h k e i t s p r i n z i p e r folgen sollte. Die strukturtheoretische Relation „Potenz-Phänomen" ist sowohl von der Kontiguitäts-Relation als auch von der Paarbildungs-Relation insofern unterschieden, als auf die „ordnende Zusammenfassung" zweier kategorial gleichartiger Relate (Elemente, „Paarlinge") verzichtet wird. Ein in dieser, aber auch nur in dieser Beziehung ähnliches Konzept legte Lewin schon in jungen Jahren vor. Zuvor war es schon Ach [4] aufgefallen, daß mit der „assoziativen" und der „perseverierenden" Tendenz allein nicht auszukommen ist. Er gesellte diesen die d e t e r m i n i e r e n d e n Tendenzen zu. Schon in der Unterstellung assoziativer T e n d e n z e n , dann aber besonders in der Unterstellung solcher Tendenzen, die „determinierend" (also in einem besonderen Sinne „dynamisch") sind, unternimmt es Ach, der Psychologie zeitweilig vergessene deskriptive und explikative Mittel wiederzugewinnen: das V o l u n t a t i v e , M o t i v a t i o n a l e . (Daß dieses für die Seelenwissenschaft auch in der „mechanistischen" Ära nie völlig verlorengegangen war, beweisen zum Beispiel Wundts „Apperzeption" [1398] und Höffdings „psychische Activität" [546].) Achs Ansatz wurde um die Zeit des ersten Weltkrieges von Lewin radikalisiert. Dieser schreibt: „Eine Assoziation (Gewohnheit) stellt keine bewegende Kraft dar, die bei Eintreten des einen Erlebnisses auf die Reproduktion des anderen gewöhnlich gefolgten Erlebnisses hindrängt, und zwar weder die .Assoziationen', die für Tätigkeitskomplexe, noch solche die für Kenntniskomplexe maßgebend sind. Vielmehr muß eine - zum Beispiel auf einem Trieb oder 64
einem willensmäßigen Akt beruhende - Tätigkeitsbereitschaft hinzukommen, wenn eine Reproduktionstendenz einsetzen soll." ([738]; 138 f.) Diese Einbettung kognitiver Ordnungen in Motivationss y s t e m e beziehungsweise der in der damaligen Entwicklungsphase der Psychologie wohl geradezu unpassend wirkende Regreß auf „einen Trieb", mithin die R e - B i o l o g i s i e r u n g , die in Lewins Ansatz gelegen ist, hat das verkargte Begriffsinventar der Psychologie in der Folge wieder vergrößert, wenn auch Lewin selbst im Laufe der Zeit mit seiner „Topologischen Psychologie" ein recht orthodoxes Lehrgebäude errichtete {[740] u. a. O.). Lewins „Tätigkeitsbereitschaft" vermittelt eine gegenüber der Assoziation oder auch Paarbildung neue Beschreibungsdimension: die „m o t i v a t i o n s t h e o r e t i s c h e". (S. u. S. 104 ff., vgl. hierzu insbesondere R. Fuchs [391,392] und H. Thomae [1239].) Hier sei nur angemerkt, daß sowohl für die dynamisch-biologischen, wie auch für im engen Sinne „ p e r s ö n l i c h k e i t s t h e o r e t i s c h e " Gesichtspunkte, zum Beispiel die Einbettung kognitiver Ordnungsbildungen in „Werthaltungen" (F. Krueger, Wellek), in „Interessenahmen" (Rothacker) oder in die „Daseinsthematik" (Hippius, Thomae), in der gestalt- und feldtheoretischen Konzeption wenig Platz zu sein scheint. Hält man sich diese und andere deskriptiven Möglichkeiten vor Augen (vgl. z. B. Kornadt [692] ) 112 ), so scheint das Begriffssinventar der Gestalttheorie in dieser Beziehung nicht viel reichhaltiger zu sein als etwa dasjenige der späten „synoptischen" Assoziationstheoretiker, beispielsweise G. E. Müllers (vgl. z. B. [905]). (Daß es indes sicherlich „richtiger" ist, sei unbestritten!) Es ging uns darum aufzuweisen, daß auch die in bezug auf ihre begrifflich-theoretische Durcharbeitung bewundernswert geschlossene Gestalttheorie offenbar nicht a u s r e i c h t , kognitive Ordnung (in e i n e m e i n z i g e n interpretativen Bezugssystem) zu formalisieren - so wenig wie irgend e i n e andere Theorie. g) Es widerspricht der schlichtesten phänomenologischen Besinnung, kognitive Ordnung sei durch Einfachheit, Einheitlichkeit, Geschlossenheit, Symmetrie, Dichte und dergleichen hinreichend zu beschreiben. Das wurde bereits eingehend dargetan. Wie viele verschiedene „Daseinsthemata", wie viele individuelle Werthaltungen, Geriditetheiten, Bereitschaften, Einstellungen, Haltungen, Uberzeugungen und Meinungen können mit dem einen Prägnanzprinzip formal erfaßt werden? Man muß aber darüber hinaus eine 112 Um eindringlich auf die ungeheure Spielbreite der Denkmöglichkeiten hinzuweisen, die sich für das Problem der Erfahrungsordnung anbieten, sei auch beispielsweise an Nietzsches Ausspruch erinnert: „Hat man Charakter, so hat man sein typisches Erlebnis, das immer wieder kommt." (Jenseits v. Gut u. Böse: Sprüche und Zwischenspiele Nr. 70)
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Herrmann
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Lanze für gewisse Gesichtspunkte der heute noch weithin verfemten „klassischen" Psychologie brechen. Wenn Metzger auch zu Recht betont, Ordnungsbildung könne nicht mit Hilfe des „zufälligen Zusammenseins" von Elementen interpretiert werden, so ist dazu doch zu sagen, daß das vom B e t r a c h t e r (z. B. von D. Hume) als Z u f a l l Begriffene für den „ B e t r o f f e n e n " keineswegs „zufällig" (im Sinne von „unverbindlich") ist. Auch wenn die Kontiguitätstheoretiker Recht hätten, so wäre die Kontiguität doch das kontingente „Schicksal" des Einzelnen, seine biographische Faktizität. Wenn nun auch nicht die Kontiguität, sondern zum Beispiel die „Paarbildung nach Ähnlichkeit" (oder andere selektive Funktionen des Gedächtnisses) zur Erfahrungsordnung führen, so ist doch das „Ergebnis" dieser Ordnungsbildung das tatsächliche So-Sein des Menschen. Auch wenn das Prägnanz-Prinzip gleichsam als ein „Sinn-Filter" anzusehen ist oder wäre, der nur dasjenige Widerfahrende effektiv werden läßt, was - im Meizgerschen Sinne - schon „sinnvoll" i s t , so ist kognitive Ordnung doch auch sowohl „welthaltig" wie „schicksalhaltig". In der Kontingenz des Widerfahrenden findet der gestalttheoretische Sinn-Begriff eine seiner Grenzen. Die unbestreitbare phänomenologische Grundgegebenheit ist der Mensch, sein So-Sein und So-Gewordensein; er, beziehungsweise sein „Biographie-Haben", ist gewissermaßen der Inbegriff seiner Erfahrungen. Beispielsweise die „empiristische" Lerntheorie scheint diesem Tatbestand des Werdens besser gerecht zu werden als das Modell der autochthonen Gestaltfaktoren. In der jüngeren Theorienbildung geht es denn auch nicht mehr so sehr um die Alternative „autochthone Gestaltfaktoren vs. Erfahrungswirkung"; heute sucht man vielmehr, wie auszuführen sein wird (s. S. 97 f.), nach der A n t e i l i g k e i t und der I n t e r d e p e n d e n z beider Sachverhaltsgruppen. Die Dichotomie der für die Gedächtnisproblematik aufgewiesenen intentional-erlebnisphänomenologischen und der funktional-ordnungstheoretischen Konzepte bleibt im übrigen auch im hier beschriebenen Zusammenhang unaufgelöst. 6. Methodische Konsequenzen In seiner „Phänomenologie und Psychologie der Perspektivität" führt Graumann ([447]; 33 ff. u. a. O.) die Herkunft des methodologischen Perspektivismus beziehungsweise der „perspektivischen Struktur des Weltinnewerdens" (32 ff.) zurück auf die empirische Lehre von der zunächst o p t i s c h e n (auch zum Beispiel bühnentechnischen) P e r s p e k t i v i t ä t („Scaenographie" und anderes). Leibniz, G. Teichmüller, Nietzsche, 66
J. v. Uexküll, E. Rothacker, A. Gehlen, E. Straus und L. Binstvanger werden in diesem Zusammenhang besprochen. Der Autor selbst faßt die Perspektivität als „ h o r i z o n t a l e [ = „horizonthafte"] Verweisungs-Ganzheit" auf: „Perspektivisch gegeben heißt in Abschattung gegeben sein. Dasjenige, was sich in perspektivischer Abschattung unserem Gewahren bietet, ist immer Anblick, und zwar Anblick eines Ganzen. Anblick oder Aspekt des Ganzen meint dasjenige vom Ganzen, was je von unserem Blick erreicht wird. Wenn wir alles, was sich für unser Gewahren von einem wie immer gearteten Grund abhebt, Gestalten nennen, so verweisen Gestalten, die Ansichten sind, auf ein den Anblick übergreifendes Ganzes. Dieses nicht mehr unmittelbar anschauliche Ganze steht mit dem (unmittelbar anschaulichen) Anblick in einem Gestaltzusammenhang .funktionaler Interdependenz'". (66) Das unmittelbar Anschauliche „verweist" auf einen „Spielraum von zugehörigem W a h r n e h m b a r e n " . Allgemeiner spricht A. Gurwitsch ([459]; IV a. a. O.) von einer T y p i k des Unanschaulichen, Graumann vom „StrukturierungsPrinzip alles perspektivisch Gewahrten" (67), das durch die unmittelbar ansdiauliche Ansicht „vorentworfen" wird. Der Autor nennt ein „Bündel konzentrisch konvergierender Pfeile" zwar ein „Verweisungs-Ganzes", nicht aber schon ein p e r s p e k t i v i s c h e s Verweisungs-Ganzes: „Erst wenn das Verweisende selber perspektivisch ist und auf einen Horizont hin konvergiert, das heißt wenn der vom Verweisenden gegliederte Raum selbst zu einer Ansicht eines übergreifenden größeren Raumes [!] wird, der in seiner Gänze nidit mehr voll durchsichtig ist, ist das so gegliederte Verweisungs-Ganze perspekti visdi: Es hat Horizont-Struktur. Der Horizont ist nicht nur die letzte, weil unerreichbare Grenze zwischen dem noch in unmittelbarer Anschaulichkeit Gegebenen und dem nicht mehr direkt Gegebenen, sondern er ist auch als letzte Verweisung dasjenige Strukturglied, von dem her alle anderen Verweisungen von originär Gegebenem auf bloß Mitgegebenes ihre Orientierung und ihren Sinn erhalten." (67) Die horizonthafte Verweisungs-Ganzheit ist dadurch ausgezeichnet, daß es unmöglich ist, „die Peripherie des Horizonts je leibhaftig zu besetzen". Wir selbst sind das „Zentrum", und zwar „notwendig", insofern „wir es nie verlassen können". „Zu erreichen vermögen wir immer nur das, was Horizont w a r." „Immer auf Horizont hin unterwegs kann ich Standpunkte aufsuchen, die mir einen anderen Blickpunkt gewähren und damit eine neue Sicht eröffnen auf das je horizontal Gegebene." (68) „Anblick" ist gleichzusetzen mit dem „prinzipiellen Ungenügen eines einzelnen Blickes" (71). Graumann bespricht den allfällig perspektivischen Charakter - die „Aspekt-Struktur" - des aus wissenschaftlichen „Prozessen resultierenden und objektivierten Gedachten" (130) zwar n i c h t e x p l i c i t e , er weist jedoch darauf hin, daß „Uberlieferung und Gemeinsamkeit der Wissenschaft" (vgl. auch Husserl [1455]) unserem Denken einen „Horizont setzen": „Dieser Horizont (,Zeitgeist') ist es denn auch, der Befunden und Funden, Entdeckungen und Erfindungen ihren jeweiligen horizontalen Ort anweist." (136)
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Wissenschaftlichkeit ist dem Autor nicht schlechthin A p e r s p e k t i v i t ä t , sondern die „methodische Festgelegtheit und Kontrolliertheit der Perspektivität unseres Erkennens", die „reflexive ,Anstrengung des Geistes', die Modalität des Intendierens wie des Aussagens mitzuintendieren und verbindlich mitauszusagen" (140). Man beachte in diesem Zusammenhang einige der in den bisherigen Überlegungen herausgearbeiteten kritischen Sachverhalte. Sie seien unter Verweisung auf die vorgängige ausführliche Besprechung in F o r m von zugespitzten T h e s e n nochmals genannt: 1) Thematische und methodale Ordnung stehen in einer z i r k u l ö s e n Beziehung: Wissenschaft, als „Ordnung von Wirklichem", ist schon immer auf die Auffindung von thematischer Ordnung vorangelegt und findet nichts anderes. 2 a) Die Beziehung zwischen dem psychologischen Subjekt und seiner (Um-) Welt kann unter anderem so betrachtet werden, daß Umweltänderungen s i m u l t a n e Regulations- beziehungsweise Anpassungsvorgänge nach sich ziehen; das Resultat ist geordnetes Verhalten (Feldtheorie und andere); 2 b) Dieselbe Beziehung kann auch so verstanden werden, daß Umweltänderungen „ E r f a h r u n g e n " konstituieren, die das Subjekt nicht (oder nicht in erster Linie) zur gegenwärtigen Anpassung, sondern die ihm vielmehr zur Möglichkeit späteren (modifizierten) Verhaltens und Erlebens verhelfen; der Mensch „lernt", erwirbt Wissen und Können; das Resultat ist geordnetes Verhalten (und Erleben) (Erfahrungs- und Lemtheorie). 3 a) Erfahrung wird als s i m u l t a n e Feldwirkung betrachtet (Feldtheorie); 3 b) Erfahrung versteht sich als ein Aspekt des menschlichen „Gewordenseins"; Erfahrung entwickelt sich, ist z e i t e r s t r e c k t (Strukturtheorie). 4 a) Erfahrungsordnung ist Organisation, entsprechend (anschaulich-physiologisch isomorphen) „a u t o c h t h o n e n " Gestaltfaktoren (Gestalttheorie); 4 b ) Erfahrungsordnung gründet in der je eigenen B i o g r a p h i e des Individuums (Strukturtheorie); 4 c) Erfahrungsordnung wird durch das K o n t i g u i t ä t s p r i n z i p der Vorstellungsassoziation gewährleistet („klassische Assoziationstheorie"). 5 a ) Gedächtnis ist ein Ü b e r d a u e r n v o n A b b i l d e r n (oder deren kortikalen Korrelaten) (Dispositionaltheorien); 5 b ) Gedächtnis ist ein Ü b e r d a u e r n v o n s t r u k t u r e l l e n Pot e n z e n (Strukturtheorie). 6 a) Erinnerung ist durch „P a a r b i 1 d u n g " (nach Ähnlichkeit) zu interpretieren (Feldtheorie); 6 b ) Erinnerung ist eine „ u n m i t t e l b a r e S e t z u n g aus der Struktur" (Strukturtheorie); 6 c ) Erinnerung ist ein spezifisches „ S o - H a b e n " d e s N o e m a s (erlebnisphänomenologische Betrachtung). 7 a) „Gedächtnis" meint Gedächtnis-Haben. Es ist eine i n s t r u m e n t a l e q u a s i - e u k l i d i s c h e T r ä g e r s t r u k t u r von Dispositionen oder Potenzen (instrumentales quasi-euklidisches Gedächtnis); 7 b ) „Gedächtnis" zielt auf ein S o - G e g e b e n s e i n d e s N o e m a s (intentionales Gedächtnis). 8 a ) Im So-Haben eines Noemas ist das U b e r d a u e r n eines vikariierenden Signums des Noemas nicht mitgegeben;
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8 b ) Mit dem Überdauern ist das S o - H a b e n eines Noemas nicht in seiner kategorialen Eigenart verständlich zu machen. 9 a) In der instrumentalen, raumzeit-analogen Trägerstruktur ist das im Modell geforderte (aber als ein solches nicht raumanalog abbildbare) S u b j e k t , welches Spuren „liest", Dispositionen identifiziert usw., nicht mitgedacht; 9 b) oder aber es wird vorausgesetzt, daß das Abbild oder sein kortikales Korrelat das Abgebildete a u s s i c h h e r a u s wieder hervorbringt. 10 a) Mit der „Setzung" der Erlebnisse, auch der Bekanntheitserlebnisse, „unmittelbar aus der Struktur", bleibt die Konstitution des Bekanntseins als i r r e d u z i b l e r U r s a c h v e r h a l t unaufgeklärt; 10 b) In den Assoziations- und Paarbildungstheorien kann vielleicht die Ähnlichkeit oder Gleichheit, nicht aber die I d e n t i t ä t des Erinnerten, Bekannten usw. verstehbar gemacht werden.
Betrachtet man diese Thesen, so wird es deutlich, a) daß sie allesamt den Themenkreis „kognitive Ordnung - Erfahrung Gedächtnis" betreffen, in einem f o r m a l e n Sinne A s p e k t e dieser Thematik anzielen; b) daß zwei oder drei aufeinanderfolgende Thesen zum Teil in einer k o n k r e t e r e n Weise als A s p e k t e auf einen aspektiv anvisierten Sachverhalt verweisen: zum Beispiel Erfahrung als Feldwirkung; Erfahrung als (zeiterstreckte) Entwicklung; c) daß aber auch zwei oder drei aufeinanderfolgende Thesen teilweise nicht Aspekte anzielen, welche andere Aspekte fordern, sondern edite Alternativen: zum Beispiel Dispositional- vs. Potenzentheorien; d) daß einige Thesen solche aspektiven Konzepte betreffen, die „in sich" defizient sind; sie sind unfertig (unvollständig), haben systematische Dunkelstellen; ihre als notwendig zu fordernden, aber fehlenden Strukturglieder heben aber, setzt man sie ein, die ursprüngliche theoretische Intention auf; zum Beispiel Abbild-Speicherung u n d Forderung eines Subjekts; e) endlich daß einige Thesen gar nicht auf Aspekte (qua Verweisungen auf etwas „Verwiesenes") hinzielen, sondern gewissermaßen „Grenzbetrachtungen" (Erkenntnisverzicht) meinen: zum Beispiel Irreduzibilität der strukturellen Setzung von Bekanntheit. Die kategoriale Eigenart der Thesen ist nach allem recht unterschiedlich; gleichwohl betreffen sie, denkt man in einem formalen Bezugsrahmen, als „Aspekte" unseren Themenkreis. Fassen wir aber „Aspekt", „Perspektive", im Sinne Graumanns in der notwendigen begrifflichen Z u s c h ä r f u n g (vgl. auch Herrmann [1449]) als „horizontales Verweisungs-Ganzes", so ist zu fragen, ob unsere Überlegungen 1. zu Abschattungen e i n e s Abgeschatteten geführt haben, 2. dieses Abgeschattete in Analogie zu einem perspektivisch angezielten Raumkörper zu sehen ist. 1. Das mit der Horizontstruktur der Perspektivität einhergehende Charakteristikum des „Immer-weiter-Gehenkönnens" ist für unseren Themenkreis zwar durchgängig zu unterstellen, doch heißt dann „Weitergehen" 69
A s p e k t - W e c h s e l . Die Grenzen e i n e s Aspekts, a) im Sinne des Nicht-Erfassen-Könnens bestimmter Sachverhalte, b) im Sinne systematischer Fehlerhaftigkeit oder dodi des „Nicht-Aufgehens", sind immer wieder deutlich geworden. 2. Die Aspektstruktur unseres Themas ist n i c h t in Analogie zu einem perspektivisch angezielten Raumkörper zu betrachten. Die von Gurioitsch (s. o.) geforderte „Typik" dessen, worauf die Aspekte verweisen, ist sicherlich nicht „more geometrico" zu konstruieren; es dürfte - vor allem für das Gedächtnis - sicher sein, daß diese Typik nicht „aufgeht", daß eine „universelle Konstitutionsformel" des Gedächtnisses, welche alle aufweisbaren Aspekte, ohne sie in bloßer unverbindlicher „Formalisierung" (Husserl) zu vereinigen, nicht erreichbar erscheint. Aus unseren im Zusammenhang des Gedächtnisproblems versuchten Klärungen und zuvor schon bei den Überlegungen zur „methodalen" und „thematischen" Ordnung dürfte die Tendenz sichtbar geworden sein, das von Graumann in bemerkenswerter Eindringlichkeit untersuchte Prinzip der Perspektivität in einer Hinsicht radikaler zu fassen (vgl. auch [524]; 86 ff., 118, [525]; 189 f., [1449]). Auch wir unterlegen zum Beispiel den beiden herausgearbeiteten Konzepten des Gedächtnisses eine Bezogenheit auf ein „Unanschauliches" im Sinne von Graumann; doch ist die als „Aspektstruktur des Gedächtnisses" bezeichnete methodologische beziehungsweise gnoseologische S i t u a t i o n nicht dem von Graumann für das Perspektivische geforderten „übergreifenden Raum" (67) gleichzusetzen; als ein solcher wäre das, worauf beide Konzepte „verweisen", nur in bedenklich lascher Analogie zu bezeichnen. Gewiß leitet sich die Kategorie des Aspektes, der Ansicht, Hinsicht, der Perspektive usf., wie der Autor schlüssig aufweist, von der „optischen Welt" her (Graumann: „Anerkennung des Primates des Auges" [126]). Wird „Aspekt" auf nicht mehr sinnvoll „euklidisch" zu denkende Ganze angewendet, so kann mit Fug und Recht eingewendet werden, die AspektMetapher sei hier überzogen. (Vgl. hierzu auch Kirchhoff [656]; 3 ff., [1449]; 121 ff.). Indes fehlt uns ein angemessener Terminus und ein angemesseneres Bild; es wäre allerdings zu erwägen, ob man nicht mit Wittenberg [a. a. O.] von „ B e d e u t u n g s g e w e b e n " sprechen sollte (vgl. [a. a. O.]; 118 ff.). Wie dem auch sei: wir meinen, die unbestritten vorherrschenden „Raumanalogien" unseres kognitiven Weltinnewerdens (und „Menschen-Innewerdens") sollten uns die Augen nicht davor verschließen, daß, besonders auch im Bereiche des Humanen, Gegebenes nicht immer im raum-zeitlichen quasi-euklidischen Sinne „aufgeht". Zu einer solchen „unräumlichen" oder doch „nicht-nur-räumlichen" Wirklichkeitsstruktur gehört u. E. auch das als „Gedächtnis" Bezeichnete sowie die kognitive Ordnung, soweit sie an dieser Wirklichkeitsstruktur teilhat. Deshalb erscheint uns 70
seine wissenschaftliche Erfassung nicht so sehr als ein „Auf-dem-WegeSein" zu immer „neuen Horizonten", vielmehr als ein „A n - d i e G r e n z e - K o m m e n " oder a u c h als ein dialektisches G e g e n e i n a n d e r des N i c h t z u v e r e i nb a r e n d e n , a b e r d o c h in h i n t e r g r ü n d i g e r W e i s e In-einander-Umschlagenden. Und dieses In-einander-Umschlagen kann nicht mehr das Problem einer Einzelwissenschaft sein. Will man naturphilosophisch argumentieren, so kann man sagen, daß - wie alle „Natur" - auch das Seelenleben als ein Naturobjekt „nicht «ist», sondern in bestimmten Verfahren konstituiert ist", daß es „kein an sich bestehendes und dann rezeptiv erfaßbares Wesen hat", sondern daß es sein „Wesen" erst in den Erkenntnisleistungen der beobachtenden, experimentierenden und theoretisch reflektierenden Wissenschaftsarbeit „erhält" ( F u n k e [1439]; 434f.). Diese Wissenschaftsarbeit ist die verwirrende Geschichte der methodalen Ordnung, deren „andere Seite" die thematische Ordnung ist (s. o.).
Wie zu Beginn ausgeführt, liegt das „Perspektivische" unserer Menschenbilder und auch unserer Bilder vom Gedächtnis und von der Erfahrung nicht so sehr im (einen) „heutigen Zeitgeist"; vielmehr treffen verschiedene nicht aufeinander reduzible „Bilder" aufeinander. Wäre - was wir nach allem nicht annehmen - wissenschaftliche Erfassung einer Wirklichkeitsstruktur dasselbe wie ihre Formalisierung „more geometrico", wäre wissenschaftliche „Wahrheit" aber auch nur die „widerspruchslose Einstimmigkeit aller Aussagen innerhalb desselben Gebietes" (Reininger [1483]; 191), s o k ö n n t e e s u. E. b e i s p i e l s w e i s e e i n e W i s s e n s c h a f t vom G e d ä c h t n i s und von den k o g n i t i v e n O r d n u n g s b i l d u n g e n n i c h t g e b e n ; es mag dann eine „erlebnisphänomenologische" Wissenschaft und eine „funktionalordnungstheoretische" geben, und die letztere mag sich, wie im Fortgang unserer Untersuchung gezeigt werden soll, vielleicht nochmals in „sozialpsychologische", „semiotisch-signitive", „motivationale" und andere „Wissenschaften" gliedern. Auch eine durchaus mögliche formal-begriffliche (metatheoretische) Synthese vermag u. E. nichts daran zu ändern; endgültige sachlogische Reduktionen oder Synthesen scheinen uns nicht gut möglich. Für eine Psychologie kognitiver Ordnungsbildungen sehen wir die folgenden Konsequenzen: Betrachtet man 1. die Erlebnisdeskription der Erinnerung, 2. die Erfassung kognitiver Ordnungsbildungen unter dem Aspekt der „Zeiterstreckung" beziehungsweise der Bildung, Wandlung und Verwendung von Erfahrungen, sowie 3. das „simultanistische" Anpassungs-Modell, so sollte aus den dargestellten Gründen eine widerspruchslose Synthese in einem einzigen Erklärungsgebäude nicht möglich sein. Eine ontologisierende 71
Hypostasierung ist u. E. zum mindesten nicht mittels derjenigen Kategorien denkbar, die uns die zeitlich-räumliche „Natur" anzuwenden gelehrt hat. Diese Situation zwingt uns zur Bescheidenheit. Wir werden entsprechend unserer terminologischen Vorklärung (s. o. S. 15) k o g n i t i v e O r d n u n g a l s zeiterstreckte und „überdauernde" E r f a h r u n g b e t r a c h t e n . Ihre Bildung, Wandlung und ihre „Bewährung" in kognitiven V o l l z ü g e n wird untersucht werden. Unsere Intention wird insofern eher „lytisch" sein, als wir nicht universelle deskriptive Kategorien suchen, sondern im Gegenteil mit bescheidenen Kräften an der V e r g r ö ß e r u n g d e s d e s k r i p t i v e n I n v e n t a r s mitarbeiten wollen. Die zu untersuchende „Persönlichkeitsrelevanz", die „operativen Komponenten", die „Bewältigungsfunktion", „Ordnung und Information", die „Kontextrelevanz", die „signitive Dimension", die „phänomenale Validitätsstruktur von Bewältigungsweisen" und anderes sind — im übrigen fast sämtlich schon in der Literatur beschriebene - Bestandstücke dieses deskriptiven Inventars. Einige deskriptive Formalisierungen und die Darstellung eigener empirischer Untersuchungen sollen diese Bemühungen vertiefen. Bei alledem sind wir dessen eingedenk, daß sich die Denkpsychologie, und mit ihr die Psychologie kognitiver Ordnungsbildungen, gewissermaßen noch im „vorkopernikanischen" Stadium ihrer Entwicklung befinden. Vielleicht wird der Verzicht auf die beinahe alleinige Verwendung quasieuklidischer Kategorien (zum Beispiel „Abbilder", „Spuren", „Strukturen", „lebendiges Organ", „Nähe", „(figurale) Ähnlichkeit", „Paarbildung", „Feld", „tube" usf.) sowie der Verzicht auf irgendwelche „berauschenden Einheitsformeln" (K. Bühler) und der damit zu erwartende Neubau der Psychologie eine „kopernikanische Wendung" herbeiführen. Bis dahin sollte man in aller Bescheidenheit die Phänomene beschreiben, sie ordnen so gut und so v i e l s e i t i g man kann.
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B. Theoretische Beiträge zur Psychologie kognitiver Ordnungsbildungen 1. Schematisierung als Paradigma kognitiver Ordnungsbildung 1. Vorbemerkung Aus den im ersten Teil dieser Arbeit (A) diskutierten Gründen soll im folgenden lediglich ein, wenngleich wesentlicher, Aspekt des Problems der kognitiven Ordnungsbildungen eingehend behandelt werden. 1. K o g n i t i v e O r d n u n g wird, wie schon in einer vorläufigen terminologischen Regelung vorweggenommen (S. 15), als die „geordnete Erfahrung", die ein Mensch besitzt, als sein „Wissen" beziehungsweise sein „intellektuelles Können" verstanden werden. Dabei bleiben — den vorgängigen Überlegungen entsprechend - 1. die „ s i m u l t a n i s t i s c h e n " Ordnungskonzepte, 2. die ausschließlich e r l e b n i s p h ä n o m e n o l o g i s c h e n Zugangsweisen ausgeklammert. Kognitive Ordnung wird mithin aus methodischen (nicht aber aus axiomatischen) Gründen im gegenwärtigen Zusammenhang als „zeiterstreckte und geordnete Erfahrung" aufgefaßt. Der methodische Zugang ist „funktional-ordnungstheoretisch"; genauer: k o g n i t i v e O r d n u n g ( = „thematische Ordnung") wird unter („methodalen") Ordnungsgesichtspunkten b e s c h r i e b e n , 1. ohne daß diese Gesichtspunkte im unmittelbaren Erleben primär vorfindbar zu sein brauchen und 2. ohne daß sie in transphänomenalen Seinsbegriffen hypostasiert werden. (Vgl. hierzu Herrmann [524].) 2. K o g n i t i v e V o l l z ü g e werden mit Hilfe spezifischer Modalitäten kognitiver Ordnung i n t e r p r e t i e r t , wobei letztere den kategorialen Charakter von Z w i s c h e n v a r i a b l e n oder doch von t h e o r e t i s c h e n K o n s t r u k t e n haben (vgl. dazu S. 140 f.).
2. Über das Ungenügen des Kontiguitäts- und Elemententheorems 1. Im folgenden wird auf die Darstellung und Diskussion aller k o n t i g u i t ä t s t h e o r e t i s c h e n K o n z e p t e verzichtet. Kontiguität verstehen wir mit Metzger ([866]; 96 f.) wie folgt: „Alles kann mit allem vereinigt werden; und zwar kann alles mit allem gleich gut 73
vereinigt werden; ebenso lassen sich an beliebigen Stellen einer seelischen Mannigfaltigkeit Scheidewände ziehen. Die sachlichen Beschaffenheiten - das Zueinander - der Bestandteile ist für die Frage des Vereinigt- oder Getrenntseins ohne Belang." Einzige Ursache des Zusammenschlusses (und der kognitiven Ordnung) ist der „Zufall des (möglichst wiederholten) räumlich-zeitlichen Zusammentreffens" •(97 f.). (Vgl. oben S. 55 ff.) Das Kontiguitätstheorem ist, wie besprochen, eines der Hauptkennzeichen der „klassischen" Assoziationstheorien1. Es ist aber auch ein wesentlicher Bestandteil der behavioristischen Lerntheorien2. Die in der Folge zu behandelnden Auffassungen von der kognitiven Ordnung sind allesamt - so verschieden oder gar gegensätzlich sie sein mögen - durch die Ablehnung oder doch die NichtVerwendung des Kontiguitätstheorems bestimmbar. Sie sind sogar zu einem großen Teil in expliziter Auseinandersetzung mit der sogenannten Assoziationspsychologie entstanden.
2. Selbstverständlich gibt es so etwas wie Assoziation, ja sogar wie „Berührungsassoziation". Man kann bisweilen Erlebniszusammenhänge unter dem Gesichtspunkt der Verknüpfung von Erlebnisinhalten beschreiben, welche Verknüpfung offenbar in der Tat (auch) nach Maßgabe des „Zusammen-Gehabthabens" dieser Inhalte erfolgt ist. Ich gehe beispielsweise an einem Gartentor vorbei. Da fällt mir ein Gespräch ein, das ich mit Herrn N. führte, als ich mit ihm an diesem Gartentor stand. In irgendeiner Weise hat das Wiederwahrnehmen des Gartentors die Erinnerung an jenes Gespräch „nach sich gezogen". Solche nicht eben seltenen Erfahrungen sind wohl die legitimen phänomenalen Fundamente der gleichwohl völlig unzureichenden Assoziationspsychologie. Wie für Höffding, Ach, Lewin, Köhler und Metzger (s. o. S. 57 ff.) bereits ausgeführt, wurde von den Kritikern der Assoziationstheorie unter anderem immer wieder darauf hingewiesen, daß zur Interpretation solcher Erlebniszusammenhänge (und erst recht a l l e r Erlebniszusammenhänge) das Kontiguitätstheorem nicht ausreicht. Ich hatte zum Beispiel an jenem Gartentor nicht nur Gespräche mit Herrn N., sondern auch mit Herrn O. und Herrn P. Warum fällt mir heute gerade das Gespräch mit 1 Vgl. Bühler [1428], Krueger [711], Wellek ([1322] u. a. O.), Köhler [684] u. a. O.). 2 Vgl. zum Beispiel Foppa [372], - Nach dem „ A s s i m i l a t i o n s g e s e t z " (Law of assimilation) tendiert jede Stimulation dazu, die Reaktion (response) hervorzurufen, die mit ähnlichen Reizen von früher her assoziiert ist (Carr [219]; vgl. Vinacke ([2280]; 151 f.). Nach dem „ G e s e t z d e r R e a k t i o n s g e n e r a l i s i e r u n g " (Law of response generalization) tendiert jede Stimulation dazu, auch solche Reaktionen hervorzurufen, die denen ähnlich sind, mit welchen sie einst verknüpft wurde (Robinson [1062]; vgl. Vinacke [ebd]).
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Herrn N. ein? „Determinierende Tendenzen", „Einstellungen" („sets") (vgl. Woodivorth [1391], Gibson [412]), „Erwartungen" (Bruner u. a.) oder auch „Motivationszusammenhänge" (Lewin [a. a. O.]), R. Fuchs [391 ], das „Schema" (Selz [JJ53]) oder die jeweilige „Bewußtseinslage" (Marbe [808]), die „Aufgabe", der man sich gegenübersieht (Watt [1308]) und anderes wurden als Beschreibungs- und Erklärungsbegriffe aufgeboten, die Determinationslücken zu schließen, die beim bloßen „Zusammengehabthaben" offenblieben3. Allerdings wurde auch von assoziationstheoretischer Seite (vgl. G. E.Müller [905]) versucht, die allzu einfache Kontiguitätsannahme durch die Zusatztheorie von „ZielVorstellungen", „Obervorstellungen" oder „Konstellationen" den tatsächlichen Sachverhalten entsprechend zu ergänzen. Daß diese Bemühungen auf die Dauer nicht zum Ziele führten, das heißt, daß sie den weitgehenden Verzicht auf die Assoziationstheorie klassischer Prägung nicht verhindern konnten, ist wohl, vor aller sachlicher Kritikwürdigkeit (vgl. zum Beispiel Selz [1156], u. a. O., Wulf [73.95]), in dem Sachverhalt gelegen, daß mit Hilfe von Zusatzhypothesen vervollständigte und eigentlich überdehnte theoretische Systeme an Plausibilität verlieren und von jungen prägnanten Konzepten (im konkreten Fall: der Gestalttheorie) verdrängt werden. Hier zeigt sich eine methodische „Prägnanztendenz" beziehungsweise ein „Ökonomieprinzip", das seinen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf theoretische Entwicklungen ausübt. Eine zureichende theoretische Bewältigung der vorfindbaren kognitiven Ordnung ist durch die bloße (zum Beispiel kontiguitätstheoretische) Interdependenz elementenhaft verstandener Erlebnispartikel nicht möglich. Es wird deshalb seit dem Beginn dieses Jahrhunderts versucht, „ganzheitlich" vorzugehen: Das geordnete Gefüge der Erlebnisse, ihre in diesem Sinne relationale Beschaffenheit, ist nicht durch Merkmale verständlich (oder nicht zureichend verständlich) zu machen, die den einzelnen Relaten („Elementen") selbst zugehören. Vielmehr werden relationale Gefüge durch kategorial von den Relat-Merkmalen unterschiedene Ordnungsfaktoren (höherer Ordnung) bestimmt. Diese Faktoren höherer Ordnung wurden zunächst, wie erwähnt, zum Beispiel als „Bewußtseinslage" beschrieben. Diese „bestimmt", w e l c h e der möglichen „Assoziationen" (zum Beispiel „Gartentor - Herr N." oder aber „Gartentor - Herr O.") tatsächlich wirksam wird. Später lernte man einsehen, daß Konzepte wie die „Bewußtseinslage" 3 Vgl. u. a. Mayer-Orth [826], Marbe [808], Adi [4], Messer [862], K. Bühler [188], Titdiener [1249], Woodworth [1391], Gibson [412], v. Kries [703], Cordes [1432], Ch. Bühler [187], Prandtl [1026], Bartlett ([66] u. a. O.), N. R. F. Maier {[794] u. a. O.), Jaensch-Schweicher [592], Stebbing [1201], Gibson-Robinson [414], Vinacke [1280], Johnson [602], Fireman [359], J.Maltzman [802], R. Mathews [821], Goodnow-Pettigreiv ([434]; 381 ff.), Kostenezkaja [694] u. v. a.
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wesentliche Bestimmungen kognitiver Ordnung nicht erfassen: so beispielsweise die motivationalen, bedürfnishaft-dynamischen Komponenten 4 . Heute weiß man, daß es nicht nur zu einfach war, die kognitive Ordnung als Assoziation von Elementen aufzufassen, sondern daß es auch zu einfach wäre, jene Ordnungsfaktoren höherer Ordnung als eine h o m o g e n e K l a s s e zu beschreiben. E s gibt offenbar eine unübersehbare Vielfalt kognitiver Ordnungsfaktoren. Jede dogmatische Vereinseitigung der Beschreibung ist kaum weniger kurzschlüssig als der kontiguitätstheoretische Kategorienmonismus oder aber die ausschließliche Verwendung des simultanistischen Regulationsprinzips (s. o.).
3. Kognitive Ordnungsbildung und der Schema-Begriff 5 1. Das Wort „Schema", lexikalisch nicht eben einheidich mit „Stellung", „Umriß", „Rahmung", „Muster", „Plan", „Methode", „äußerliche Form einer Ordnung" und dergleichen umschrieben, bezieht sich nach dem heutigen Sprachgebrauch auf zwei Bedeutungssphären: zum einen auf Geordnetheit, Organisation, Regelhaftigkeit, zum anderen auf Unwesentlichkeit, Äußerlichkeit, Starrheit, Zwang. In der begriffsgeschichtlichen Entwicklung von „Schema" lassen sich denn auch beide Sinnkomplexe unterscheiden. Dazu sei im gegeben Rahmen nur erwähnt, daß der Schema-Begriff, als er in der spätantiken Philosophie zuerst Bedeutung erlangte, den Charakter von Außenseite, der Erscheinungsform eines Wesens, seines Gehabes, aber auch der Fragwürdigkeit und Unwesentlichkeit, sowie des bloßen Hinweises auf das Wesentliche trug, axij^a war von uoQtpr}, demjenigen, was in der klassischen Morphologie der G o e t h e - Zeit und seither „Gestalt" genannt wurde und wird, durchaus unterschieden. Diese begriffliche Abgrenzung im Hellenismus arbeitet neuestens Carl Schneider [1129] in aller Deutlichkeit heraus. Es finden sich parallele Unterscheidungen zwischen Schema und Gestalt bei Fr. Sander [1101] und R. Hippius [543], 4 Wenn soeben von relationalen Gefügen gesprochen wurde, so ist das selbstverständlidi eine sehr abstrakte Kennzeichnung: Auch das „Ganze", das das „Zueinander" seiner „Glieder" bestimmt (vgl. zum Beispiel Wellek [1322], ist f o r m a l i t e r Ordnungsfaktor höherer Ordnung, der [ex definitione]) nicht auf Merkmale der „Glieder" reduzierbar ist. (Spann: das Ganze geht „in den Teilen nicht unter", vgl. auch Höfler [1450]). Daß die Ganzheitskategorie nicht mit der Kategorie „Relation" gleichgesetzt werden kann wie etwa noch bei Spearman, berührt nicht die Möglichkeit, das Formalverhältnis des „Ganzen" und seiner „Glieder" als „relational" zu bezeichnen (vgl. [524]; 49). 5 Die folgenden unter 3 dargestellten Erörterungen wurden in erweiterter Form als Sammelreferat auf dem 22. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (Heidelberg 1959) vorgetragen (vgl. [1448]).
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Während „Schema" in der mittelalterlichen Geistesgeschichte u. W. kaum eine Rolle spielte - „Schema" ist beispielsweise bei Thomas von Aquin nicht nachweisbar - , knüpft sich an den modernen philosophischen Gebrauch des Wortes der Name Kant. Selbstverständlich kann es hier nicht Absicht sein, auch nur in kursorischer Weise in das Schematismus-Problem der Transzendentalphilosophie einzutreten. Denkt man etwa an die Interpretationen und Stellungnahmen so verschiedener Philosophen wie Krugs, Schopenhauers, Lotzes, Kuno Fischers, Husserls, Schelers, Heideggers, oder auch Bruggers, oder aber Cassirers oder der Camap-Schule, so ist heute der „Schematismus der reinen Verstandesbegriffe", die „sinnliche Hülle der Kategorien" (so der Kantianer Krug), jene „verborgene Kunst unserer Seele" geblieben, als die Kant selbst den Schematismus bezeichnet. Unterwirft man dennoch die Grundzüge des Schematismus-Problems ad hoc einer schon beinahe nicht mehr zulässigen Vereinfachung, so hebt sich vielleicht bei Kant und seinen Nachfolgern die Frage heraus, wie jene sinnlich unerfüllten, zeitenthobenen, „leeren" Begriffe in Zusammenhang treten können mit dem zeitlich-räumlichen Bereich der reinen Sinnlichkeit, der Anschauung. Die reinen Verstandesbegriffe geben - sind sie „verzeitlicht" - der Anschauung Regeln, Notwendigkeit und Ordnung. (Einen interessanten logistisch-axiomatischen Beitrag zum Schematismus-Problem und der Zeitenthebung des Begriffs gibt der Finne Reenpää [1049, 1050].) Es muß aber beachtet werden, daß bei Kant der Schematismus im Bezugsrahmen der transzendentalen Möglichkeitsbetrachtung verhandelt wird, so daß schon von hierher ein grundlegender kategorialer Unterschied zwischen dem philosophischen und allen psychologischen Schema-Modellen aufscheint. (Vgl. dazu zum Beispiel auch Meinertz [853]; 13 ff.) Immerhin haben, betrachtet man etwa die teilweise allerdings recht mittelbaren Einwirkungen der Philosophen Fries, Lotze, Husserl, Scheler und Cassirer auf die Psychologie, eine Reihe sicherlich von Kant beeinflußter Vorstellungen vom Geordneten, der Regelhaftigkeit, bis heute auf psychologische Schema-Vorstellungen größten Einfluß. Die zweite Bedeutungssphäre von „Schema" hingegen, gewissermaßen die hellenistische und goetheanistische, die der Starre und Verkargung, ist - wie gezeigt werden soll - stets sehr viel weniger in der Beachtung gewesen als die Bedeutungssphäre der Ordnung. Gründe dafür sehen wir in der Struktur unserer Wissenschaft gelegen (s. o. S. 8 f.). 2. Auch bei Einführung des Schema-Begriffes in die Psychologie stand das Problem der Ordnung, Organisation und Regelhaftigkeit im Vordergrund. Das gilt für Selz ( [ Ü 5 3 ] u. a. O.), der den Terminus zwar nicht als erster Psychologe verwendet, der aber die erste Schema-Theorie vorlegt, aber auch beispielsweise für Ward [1294], der, früher als Selz, das Wort benutzt und unter Schema einen Handlungsplan, Handlungsentwurf (plan of action) versteht. a) Das Schema
bei
Selz
Selz ging es, wie er es nennt, um die „Gesetze des geordneten Denkverlaufs" [1153]. Schon im Jahre 1904 hatte Liepmann [745] postuliert, die Elementarvorstellungen seien im geordneten Denken nicht oder doch nicht allein nach den Assoziationsprinzipien verbunden, sondern auch nach
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Maßgabe zusammenfassender richtunggebender Faktoren. G. E. Müller ([905] u. a. O.) versuchte, wie erwähnt, diese Richtungsfaktoren - häufig auch Zielvorstellungen genannt - in seiner Konstellationstheorie einer umfassenden Interpretation zu unterziehen. Danach sollte, vergröbernd ausgedrückt, die gegenseitige Förderung und Hemmung einzelner aktuell wirksamer Reproduktionstendenzen Ordnung in den Denkablauf bringen. Erklärungsfaktoren der Ordnung waren die Vorstellungspartikel und ihre Dynamik. Demgegenüber hatten die Külpe-Sdiule, so Marbe [808], Ach [4] und Watt [-Z308], aber im Ansatz auch schon Mayer und Orth [826], neben die Elementendynamik neue Ordnungsprinzipien gestellt. Selz setzte (nach vorbereitenden Untersuchungen) in seiner Theorienbildung (1913) an bei der Auseinandersetzung mit Müllers Konstellationstheorie und stellt dieser seine Komplextheorie entgegen 6 . Das Selzsdie Konzept erscheint auf den ersten Blick für unsere heutige Sicht - reduziert man es auf seinen Grundgedanken - recht selbstverständlich: Man kann die Gesamtheit eines Eindrucks, eines Wahrnehmungsgegenstands (eines Wortes und dergleichen) nicht auf die Verbindung ihrer Elemente reduzieren. Selz bezieht sich hier ausdrücklich auf v. Ehrenfels ([JI53]; 94). Folgerichtig setzt der Autor neben die Assoziation von Einzelelementen (zum Beispiel Buchstaben) die unvermittelte Verknüpfung von Komplexen (zum Beispiel Wörtern). Der Denkverlauf stellt sich dem Autor dar als ein komplexes, aber streng determiniertes System von Komplex- und Elementaroperationen beziehungsweise -reaktionen. Wollen wir beispielsweise den Namen „Melanchthon" reproduzieren und wissen nur, daß die ersten drei Buchstaben des gesuchten Namens „Mel-" lauten, so sind drei verknüpfte Einzelbuchstaben (Elemente) gegeben, außerdem aber auch das Wissen, daß es sich um die Anfangsbuchstaben des gesuchten Eigennamens handelt. Der Komplex „Melanchthon" ist also schon neben einzelnen Elementen irgendwie gegenwärtig, nur nicht konkret - dann wäre die Reproduktion ja schon geglückt. Verfügbar ist, nach Selz ([a. a. O.]; 113), zunächst nur ein „abstraktes Bewußtsein von . . .", ein vorweggenommenes, antizipiertes Schema des Komplexes. Dieses Schema ist eine spezifische unklare Erlebnisweise, also erlebnisdeskriptiv gemeint; es ist aber auch ein Determinationsfaktor und somit funktional gefaßt: Der schematische Komplex regt zur Konkretisierung an. Er bringt diejenigen Einzelbuchstaben (Elemente) zur Vergegenwärtigung, die zum Gesamtwort (Komplex) noch fehlen. Selz glaubt nun, auf diese Weise eine lückenlose Determination der Wortreproduktion konstruiert zu haben. 6
So die Terminologie von Selz. Bekanntlidi wurde anders gerade Müllers Theorie als „Komplextheorie" der „Gestalttheorie" der Berliner Schule konfrontiert (zum Beispiel: [684]). 78
Es sei angemerkt, daß die Wortreproduktion, teilweise unter Verwendung des Schema-Modells, in deskriptiver wie in theoretischer Weise von Duncker [307], A. Wenzl [1340, 1341], Schmidt-Durban [1128], Käthe Bier [103], Witte [1378], aber auch von Hebb [489] und anderen in der Folgezeit eingehend behandelt wurde.
Die Auffassungen von Selz unterscheiden sich von G. E. Müllers Konstellationstheorie dadurch, daß des ersteren Ordnungsbegriff nicht auf die Interdependenz einzelner Elementarreproduktionen zurückgeschnitten werden kann. Die Komplextheorie steht andererseits der Ganzheits- und Gestalttheorie dadurch gegenüber, daß Selz einen sachfremden, sinnirrelevanten Mechanismus der intellektuellen Vorgänge beibehielt. Das zeigte sich in den späteren Arbeiten des Autors deutlicher als 1913. In einer Abhandlung aus dem Jahre 1924 [Ü56] spricht er von einem „System reflexoidaler Zuordnungen" und stellt seine Ergebnisse in die unmittelbare Nähe der Kettenreflex-Theorie von Thorndike7. Koffka hat sich denn auch in einer Kontroverse mit Selz und Bühler ([677,193] u. a. O.) entschieden von ersterem distanziert. Wichtige Einwände gegen Selz finden sich auch bei E. R. Jaensch und Weher; neuerdings beispielsweise bespricht Metzger [.Z357] den Se/zschen Ansatz recht kritisch. b) Das „Sdiehm" bei Betz Bei Selz war die funktional-deterministische Fragestellung, wie angedeutet, vermischt mit der erlebnisdeskriptiven des „abstrakten Bewußtseins v o n . . . " . Nach dem Vorgang Bühlers [-Z88], der neben die anschaulichen Vorstellungen eine ganz andere Repräsentationsweise des Psychischen stellte, die Gedanken, ist Schema in der Folgezeit mehrfach als Interpretationsmodell für diese nichtvorstellungshafte Gegebenheitsweise der Phänomene benutzt worden. Von 1910 an, vor allem in seinem denkpsychologischen Hauptwerk (1918), versuchte W. Betz, den Vorstellungsbegriff ganz für die Denkpsychologie entbehrlich zu machen [100,101]. Eher zuständliche emotionalvolitive als gegenständlich-abbildende Weisen des Erlebens, die Einstellungen, machen nach diesem Autor das kognitive Geschehen zur Hauptsache aus. Bei Müller-Freienfels [908] findet man etwa gleichzeitig ähnliche Gedankengänge (1916). Schon vorher hatte bekanntlich F. Krueger die Gestaltqualitäten von gefühlsartigen, quasi-zuständlichen, diffusen, jedoch - wie oft vergessen wird - qualitativ durchaus reich nuancierten Komplexqualitäten unterschieden. (Vgl. dazu zum Beispiel Wellek [1328]). 7 In diesem Zusammenhang findet sidi bei Selz übrigens die seither verschiedentlich verwendete und durchaus anfechtbare Kennzeichnung der Psychologie als einer „Biologie von innen" ([1156]; 31).
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Freilich läßt Betz die Objektivierung der eher zuständlichen Einstellungen zu, doch erscheint dann die Wirklichkeit nicht oder doch nur selten als Abbild vergangener Wahrnehmungen; sie ist vielmehr auf die wesentlichen kognitiven Grundzüge reduziert und in spezifischer Weise dynamischhalbgegenständlich erlebbar. Solche phänomenalen Repräsentationen bezeichnet Betz in Anlehnung an das Wort „Schema" in einer seiner nicht eben seltenen Wortneubildungen mit „Schehm". (Aufschlußreiche Bemerkungen zum Anschaulichkeitsproblem des Denkens finden sich übrigens neuestens bei Gutjahr [461].) c) „Symbolische Schemata" bei Auguste Flach Bei K. Bühler, Jaensch, vor allem auch bei der ßüWer-Schülerin Auguste Flach, bei Willwoll [1370] und anderen wird die Frage gestellt nach dem Nutzen der Veranschaulichung des Gedachten für den Denkfortschritt. Es ist deutlich, daß in diesem Verstände „Denkfortschritt" ein Begriff ist, der in das Bezugssystem des Funktionierens gehört, während „Veranschaulichung" und dergleichen sowohl nach der funktionalen als aber auch der erlebnisdeskriptiven Seite hin schillert. Dieses kategoriale Problem liegt auch über dem Schema-Begriff, wie ihn schon Selz anwendet. Die Ansichten über den Nutzen der Veranschaulichung gehen - meist schon vorentschieden durch die spezielle Forschungsperspektive - weit auseinander. So vertrat Willwoll [a. a. O.] beispielsweise die These, die fruchtbaren Momente des Denkens seien anschauungsunabhängig. Duncker [307] wies auf anschauliche Hemmungsfaktoren des Denkfortschritts hin. Demgegenüber trennte Auguste Flach [365] im Jahre 1925 von den bloßen Denkillustrationen, sowie von den seit Galton, Flournoy [371], G.E.Müller [905], Henning [576] und anderen bekannten Diagrammen und Chromatismen (vgl. dazu D. Katz [640]), aber auch von den sogenannten „autosymbolischen Phänomenen" (hypnagogen Nachbildern usf.), die sämtlich keinen entscheidenen Funktionswert für den Denkfortschritt haben sollen, die „symbolischen Schemata". Diese sind anschauliche Erlebnisgehalte, die ohne unanschaulichen Gedankenkontext das Denken nicht weiterführen. Andererseits vermittelt dieser Gedankenkontext aber auch keinen Denkfortschritt ohne die symbolischen Schemata. Ähnlich wie die Autorin schreiben Jaensch und sein Kreis (vgl. zum Beispiel [590]) den „Fluxionen" eine große funktionelle Bedeutung für das Denken zu. d) Schema im, Krueger- und
Sander-Kreis
Eine, wenn auch ebenfalls nicht von Funktionalisierungen freie, erlebnisphänomenologische Fassung des Schema-Begriffs finden wir in der folgenden Zeit nur noch in der Krueger- und der Sander-Schule. Danach 80
wird die Schematisierung der Wirklichkeit als eine mögliche Gegebenheitsweise der Welt aufgefaßt. Sander (zum Beispiel [1101]; 153 f.), Hippius ([542]; 122 etc.) und andere stellen die Schematisierung in den Zusammenhang der „einzelheitlichen Erlebnisweisen". In extremer Ausformung verfehlt diese Weltzuwendung die Sinn- und Wertfülle des Vorfindlichen, sie erscheint erstarrt und verkargt, unzentriert und übermäßig versachlicht. Neuere empirische Beiträge bringen die aktualgenetischen Untersuchungen des Sander-Kreises (vgl. u. a. Graumann [446]). Insofern Denken - sicherlich aber abstrakt-begriffliches Denken - weitgehend Schematisieren ist, wird es folgerichtig von Hippius als eine Verkargung der Wirklichkeitsfülle betrachtet ([544], man vgl. aber auch Klages [657] u. a. O.). In der „Schau", im gefühlshaften Angemutetwerden bleibt dasjenige erhalten, was in der Schematisierung verlorengeht. Wellek sagt mit verwandter Intention in einem methodologischen Zusammenhang von den Persönlichkeitstypologien, diese bildeten „Allgemeinbegriffe, Schemata", und könnten (insofern) „in diese niemals das blutvoll Einmalige eines Lebendigen einfangen" ([1324]; 25). In allen diesen Aussagen klingt die sonst wenig beachtete zweite Bedeutungssphäre von „Schema" an, die der Wirklichkeitsverkargung. e) Das Schema bei Bartlett Selz, von anderem Zugang aus Betz und Auguste Flach hatten das Schema dem bloßen Abbild, der Kopie, vergangener Wahrnehmungsgegebenheiten entgegengesetzt. Schon Steinthal hatte im Jahre 1871 formuliert: „So ist die Natur der Seele, daß jede Wiedererinnerung eine Schöpfung ist, jede Reproduktion eine Produktion." ([1202]; 179) Im Schema ist das Vergangene zwar da, es ist aber nicht abbildhaft, insofern es die (in verschiedener Weise interpretierbar) „wesentlichen" Züge des Vergangenen in höherem „Allgemeinheitsgrad" (v. Ällesch) repräsentiert (dazu Wellek [J328]). (Neben dem Schema sind selbstverständlich meist einige wichtige Details des Ehemaligen annähernd abbildhaft verfügbar.) Diese Funktion des Schemas als organisierter, reduzierter und zugleich verwesentlichter Nachkonstruktion der Wirklichkeit steht im Mittelpunkt der Bartlettsdien Schema-Theorie. Nach einigen vorbereitenden Arbeiten schon 1921 [63] spricht der englische Psychologe von „schematisierten Vorstellungen" - legte er 1932 sein bekanntes Werk „Remembering" [66] vor, in dem er, wie Oldfield und Zangwill [941] später wohl zu Recht bemerkten, in zuweilen nicht genügend klarer Darstellung seine Theorie des Schemas anbot. Er ging, nicht immer zum Nutzen der psychologischen Fragestellung, aus von der Schema-Auffassung des Neurologen Head (vgl. [1445]; 605 ff., 487; 498 ff.). Dieser bekämpfte die damals noch weitverbreitete Vorstellung 6
Herrmann
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des Hirns als eines Behälters von Bildern und Bewegungsspuren und postulierte, die Organisation beispielsweise der Bewegungen sei für die Geordnetheit des Bewegungsgeschehens entscheidend; es müsse unterstellt werden „a combined Standard, against which all subsequent changes of posture are measured" ([1445]; 605 f.). Diesen S t a n d a r d nennt er Schema und meint damit die sich stetig wandelnde Stellungsmatrix, auf die sich alle Einzelbewegungen beziehen (dazu auch Schilder [1122]). Seither ist dieser Sachverhalt bekanntlich Gegenstand vieler Forschungsansätze geworden, von der Funktionskreis- und Gestaltkreislehre bis hin zu modernen feedback-Modellen (s. o.). Bartlett trifft sich mit der Headschen Auffassung darin, daß das Gedächtnis nicht schlechthin ein Engramm-Speicher sei, ein Gesichtspunkt, der freilich nicht erst von Head und Bartlett in die Diskussion gebracht wurde (vgl. zum Beispiel schon v. Kries [703], Becher [78] u.a.). Nach Bartlett werden zumeist keine Vorstellungspartikel gespeichert, sondern ein resultatives p a 11 e r n , das Schema, das als entstanden zu denken ist nach Maßgabe von spezifischen Organisationsgesichtspunkten. Diese Organisationsgesichtspunkte sind wesentlicher Teil von Bartletts Theorie. Das Schema ist so gestaltet, daß die Interessen und Einstellungen (attitudes) des Menschen möglichst erhalten bleiben und gerechtfertigt werden. So ist das Schema weder Wirklichkeitskopie noch Phantasma, sondern eine Modelung der Wirklichkeit im Sinne des schon vorhandenen Wirklichkeitsbildes. Schemata werden nach Bartlett gebildet im Sinne einer „Rationalisierung" der Wirklichkeit, der Vereinheitlichung und Widerspruchsvermeidung oder -minderung im kognitiven Bereich ([a. a. O.]; 84 ff.). Daneben werden freilich sogenannte „dominante Details" (zum Beispiel Zahlen, Namen und dergleichen) abbildhaft, das heißt ohne qualitative Änderung, gespeichert und reproduziert. Sozialpsychologisch gewendet, stellt die Schematisierung eine „Konventionalisierung" dar, eine Reduzierung auf das Vertraute, Übliche ([a. a. O.]; 239 ff.). In Bartletts Schematisierung nach Maßgaben darf man vielleicht einen der Brennpunkte sehen, in dem sich alle jene Forschungsbemühungen treffen, die sich seit langem mit der Verarbeitung und Gestaltung der Erfahrung befassen, inzwischen freilich das Ergebnisniveau des Jahres 1932 bei weitem überschritten haben. Es wird über sie noch zu sprechen sein. Mit der „Konventionalisierung" stehen ferner sozialpsychologische Theorienbildungen in gewissem Verwandtschaftsverhältnis, so die der social norms (s. Sherif [1164]), der öffentlichen Meinung (dazu u.a. Hofstätter [552]), der Vorurteile (dazu zum Beispiel Sodhi [IIS3] und der Gerüchtbildung (s. Allport u. Postman [22]). Selbst zum Beispiel die neuesten image-Theorien (dazu Gardner u. Levy [402], sowie Kleining [663]) schließen zu einem Teil an theoretische Sachverhalte an, die ihrerseits Beziehungen zur „Konventionalisierung" haben. 82
Übrigens ging und geht es Bartlett bei seinem theoretischen Konzept keineswegs um den Terminus „Schema". E r schreibt schon 1932: „I strongly dislike the term ,Schema'", und benutzt ihn in seinem neuesten Buch „Thinking" überhaupt nidit mehr. Die neuen Grundbegriffe sind „skill" und „evidence" [73].
Wenn Bartlett in dieser seiner neuen Denktheorie das Denken als ein Ausfüllen von Lücken (Evidenzlücken) [a. a. O.] betrachtet und für einen Teil des Denkens diese Lücken als Leerstellen in einem geschlossenen System interpretiert, so schließt er in verblüffender Weise an einige Auffassungen an, die Selz im Jahre 1913 [a. a. O.] mit seinem „antizipierten Schema" äußerte. In beiden Fällen handelt es sich um die faktische Ausfüllung der Leerstellen eines gewissermaßen nur potentia gegebenen Ordnungssystems, um eine Komplexergänzung im Sinne des deutschen Autors8. f) Das Schema bei Oldfield Im Jahre 1954 brachte Oldfield das Bartlett-Sdiema in Zusammenhang mit einem Gesichtspunkt, der in der Theorie des Denkens heute stark im Vordergrund steht: der intellektuellen Entlastung. Entlastung - beispielsweise macht Rapaport sie zu einem der Stützpfeiler seiner Denktheorie s. S. 28 f.) - ist eine in der modernen Anthropologie geläufige Vorstellung, wie etwa das Hauptwerk von Gehlen [404] zeigt (dazu Lückert [786]). Bei Oldfield [939] ist das Folgende gemeint: Die Kapazität des Gedächtnisses (dieses physiologisch-energetisch betrachtet) ist zu gering, um die Überfülle der Erlebnismomente, der der Mensch ständig ausgesetzt ist, zu speichern. Deshalb wird die Reizmannigfaltigkeit chiffriert. Einer Mehrzahl von regelhaft zusammen gehabten Details entspricht nur noch eine Chiffre. Schema ist bei Oldfield das derart entstehende Chiffrensystem. Die abbildähnlichen dominanten Details nach Bartlett sind bei Oldfield solche Erlebnisbestände, die sich einer Chiffrierung entziehen und deshalb separat gespeichert werden. Diesen Ansatz kombiniert der Autor mit dem bereits besprochenen Kreisprozeßmodell der mnestischen Speicherung, das in ähnlicher Weise Hebb ([489] u. a. O.), Brain [a. a. O.], Olds [a. a. O.] und andere zur neurophysiologischen Interpretation der organisierten Erfahrungsspeicherung verwenden. Für die hirnphysiologische Ordnungsproblematik überhaupt sei auf die entsprechenden Arbeiten Rohrachers [zum Beispiel 1073] hillgewiesen. 8 In vielen experimentellen Untersuchungen Bartletts und seiner Schüler (so von Oldfield [937, 939], Zangwill [1405, 1406, 1408], Mary Northway [929, 930], Hanawalt [474, 475], Demarest [475], D. R. Davis [297, 281], Brain [145], Olds [942], Gomulicki [431] u. a.) wurde seither das Bartlettsdie Schema-Konzept exemplifiziert. Vgl. auch Kothurkar ([695]; 59 ff.).
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g) Das Schema bei
Broadbent
Broadbents Schemabegriff [253] schließt sich an das Modell von Öldfield an und ist im Bezugsrahmen der Informationstheorie zu betrachten. Wichtig ist die Vergegenwärtigung des Ordnungsbegriffes dieser Theorie: Ordnung ist danach bekanntlich erfaßbar durch die überzufällige Voraussagbarkeit von Ereignissen, Ordnimg meint zugleich Informationsüberschuß (Redundanz). Durch die Wechselbeziehung der geordneten Informationselemente ist das Vorkommen eines Elements mehr als zufällig; es ist im Extrem mit Sicherheit voraussagbar, gewissermaßen erzwungen. Dieses Extrem sei der leichteren Darstellbarkeit wegen hier unterstellt: Bei dem Ausdruck „4+3=7" ist „7" durdi die Elementenkombination „ 4 + 3 = " erzwungen, wenn die „natürlichen" arithmetischen Regeln gelten, das heißt eine solche Ordnung herrschen soll. Man kann auch sagen, „7" sei mitgegeben, dergestalt aber überflüssig; dieses Element vergrößert nicht die Informationsmenge des Ausdrucks. Besteht hingegen nicht die Ordnung der Arithmetik, so folgt auf die Elementensequenz „4, + ,3,=" das Element „7" nur mit entsprechender Zufallswahrscheinlichkeit. Zwischen beiden Extremen, der bloßen Zufallswahrstheinlidbkeit und der Voraussagesicherheit, liegt das Kontinumm der überzufälligen Wahrscheinlichkeitsintensitäten. Schema ist bei Broadbent eine spezielle Art der Geordnetheit, die man im Reiz-Reaktions-Geschehen (Sprechen, Handlungsvollzug und dergleichen) vorfindet. Nicht jeder Reiz ist mit „seiner" Reaktion „eindeutig" gekoppelt. Wenn Reaktionen Reizen zugeordnet sind, also eine solche Geschehensordnung besteht, kann sich vielmehr die Frage erheben, wie es zugehe; daß beispielsweise 4 verschiedene Reaktionsmöglichkeiten nur 2 verschiedenen Reizmöglichkeiten voraussagbar zugeordnet sind. Da nur 2 Reizalterösrtiven verfügbar sind, determiniert ja ein Reiz nicht eine bestimmte der 4 möglichen Reaktionsweisen zureichend. Zureichende Voraussagbarkeit ist nur denkbar, wenn man unterstellt, daß jede Reaktion nicht nur von dem jeweiligen aktuellen Reiz determiniert ist, sondern zugleich von dem (oder den) vorhergehenden, oder aber von der (den) vorhergehenden Reaktion(en). Besteht die Abhängigkeit von 2 aufeinander folgenden Reizen, so ist das Determinaticmsproblem für das gegebene Beispiel gelöst. Sind nämlich, wie' angenommen, 2 Reizalternativen vorhanden, so sind 4 Reizkombinationen aus 2 benachbarten Reizen möglich: AA, AB, BA, BB. Nun ist die Gleichheit der Reiz- und Reaktions-Alternativenanzahl hergestellt; eine „eindeutige" Zuordnung ist möglich. Der Ordnungsfaktor, der die zureichende Voraussagbarkeit ermöglicht, ist die Kombination von benachbarten Reizen (oder aber von aktuellem Reiz und vorhergehender Reaktion). Broadbent definiert Schema als das Verhalten (behavior), bei dem die Reaktionsalternativenanzahl größer ist 84
als die Reizalternativenanzahl und zugleich kleiner ist als die Anzahl der Reiz-Reaktions-Paaranzahl einer Reiz-Reaktionsreihe ([a. a. O.]; 63). Wahmehmungs- und gedächtnispsychologische Gegenstände wurden in den vergangenen Jahren u. a. von Attneave [52], Quastler [1032], Shannon und Weaver [1161], sowie G. A. Miller [875] informationstheoretisch behandelt. Ein Sammelreferat über „Informationstheoretische Modelle zur Darstellung der kognitiven Ordnung" gibt neuestens der Verfasser (Handb. d. Psychol., Hrsg. H. Thomae, Bd. 1/2, Göttingen 1964; 641-669). Attneave ([a.a.O.]; 189 ff.) beschreibt, in Anlehnung an Woodworth, Hebb und andere, spezielle intellektuelle Ordnungsbildungen als „Schema mit Korrektur". Diese Modellvorstellung hat Ähnlichkeit mit Oldfields These, es blieben bei der Chiffrierung (s. o.) gleichsam unchiffrierbare „Sinnspitzen" übrig, die separat und abbildhaft gespeichert werden. In diesem Sinne ist ja auch Oldfields Schema ein solches „mit Korrektur". 3. Überschaut man die Entwicklung des Schema-Begriffs von Selz bis Broadbent, so ergibt sich das folgende Bild: Selz sah intellektuelle Ordnung an als perfekte Determiniertheit des Reaktionsmedianismus. Beoadbent faßt sie auf als überzufällige Voraussagbarkeit von Informationselementen. Beide Ordnungsvorstellungen finden sich in der Physik, spiegeln sogar die Entwicklung einiger physikalischer Grundannahmen wider. „Schema" meint bei beiden Autoren, wie auch bei fast allen übrigen, Geordnetheit, Organisation, Regelhaftigkeit des Denkens und Reproduzierens, bezieht sich also auf die zu Anfang so genannte erste Bedeutungssphäre von „Schema". Ausgenommen bleiben hier eigentlich nur die genannten Ansätze der Krueger- und der Sancier-Schule. Nun ist der Hinweis notwendig, daß die Schema-Begriffe als Ordnungsbegriffe gewissermaßen von dem jeweiligen Bild der Ungeordnetheit, des Zufalls, der Beliebigkeit und dergleichen leben, gegen die sie sich absetzen. Eine umfassende Kritik der Beliebigkeitssätze in der Psychologie bietet Metzger ([866]; 96 ff.). Und es ist auch für unseren Zusammenhang fraglich, ob denn die Ungeordnetheit im hier gemeinten Sinne überhaupt vortheoretisch erlebt werden kann oder aber vielmehr mittels zuweilen recht komplizierter methodischer Operationen als Nullstelle des jeweiligen Interpretationssystems privilegiert, g e s e t z t ist. Zum mindesten bei Broadbent und der Informationstheorie ist Zufallswahrscheinlichkeit die privilegierte Nullstelle des verwendeten Bezugssystems. Es besteht dabei übrigens die (allerdings von Broadbent vermiedene) Gefahr, zunächst nur methodal gemeinte Nullstellen-Begriffe zu hypostasieren. Ein solches Vorgehen - nicht nur in der Informationstheorie - wäre der Einbruch des Spekulativen in die Psychologie dort, wo nach weithin herrschender wissenschaftlicher Auffassung Voraussetzungslosigkeit unterstellt zu werden pflegt. Daß die Begriffsbildung von „Schema" von hierher Probleme aufwirft, leuchtet ein.
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Es ist in diesem Zusammenhang von Interesse, daß die Bartlett-Sckiuler Oldfield und Zangwill, wie vorher schon Wolters und etwas später Mary Northway ([930], [941], vgl. auch [J389]), die Schema-Theorie ihres Lehrers zu Beginn der vierziger Jahre einer eingehenden und sorgfältigen Kritik unterzogen. Sowohl bei Selz als auch zum Beispiel bei Auguste Flach erfolgte die Beschreibung des Schemas, wie betont, zum einen im erlebnisdeskriptiven, zum anderen im funktional-ordnungstheoretischen Bezugssystem. Solche deskriptiven Vermischungen wurden auch von Oldfield und Zangwill als kritikwürdig befunden: unzweifelhaft wird ein Erlebnisinsgesamt nicht a l s schematisiert e r l e b t . Während das Schema von Bartlett als „organisiertes Material" aufgefaßt wurde, hatte schon sehr früh Ward (wie später übrigens Mary Northway) das Schema als einen H a n d l u n g s e n t w u r f (plan of action) beschrieben. Wolters (a. a. O.) spricht in ähnlicher Weise von einem „system of tendencies" (vgl. auch Woodworth [i392]j. Beschreibt man das Schema gewissermaßen m a t e r i a l i t e r , so setzt man sich der Gefahr aus (nicht unähnlich der Elementenpsychologie älterer Prägung), ein „Erlebnis" als aus „organisierten" Partikeln „bestehend" zu hypostasieren. Die Möglichkeit, von Schemata, Schematisierung und ähnlichem zu sprechen, ist indes keineswegs in p r i m ä r e n E r lebnisgegebenheiten f u n d i e r t . Bartletts Schema-Begriff gründet vielmehr in einer durchaus nicht einfachen methodischen Operation: Bestimmte aktuelle L e i s t u n g e n (zum Beispiel Reproduktionen) werden mit quantitativen und qualitativen Merkmalen früherer Informationen v e r g l i c h e n . Wenn jemand beispielsweise einen ehemals gelesenen Text ( = ehemalige Information) im Sinne von Bartletts „Rationalisierung" oder „Konventionalisierung" nur noch „schematisch" zu reproduzieren vermag, beziehungsweise wenn er dazu noch „dominante Details" reproduziert, so daß das Reproduktionsresultat ( = „Leistung") mit der „objektiven" Beschaffenheit der ehemaligen Information nur zu einem kleinen Teil übereinstimmt, so ist damit nichts über das Erleben der Versuchsperson ausgemacht. Man hat aber Aufschlüsse über spezifische selektive F u n k t i o n e n ihres Gedächtnisses beziehungsweise über eine kognitive O r d n u n g s b i l d u n g gewonnen, welche Ordnung nun nicht mehr mit der „objektiven" Ordnung (der „Information") übereinstimmt. Es ist - wenn man ein solches hypothetisches constructum bilden will - eine S c h e m a t i s i e r u n g des „Erfahrungsmaterials" erfolgt; nicht aber wird ein Schema e r l e b t . Insofern trägt der Terminus „Schema" nach allem die Gefahr in sich, als sprachliche Substantivierung eines V o r g a n g e s zu Hypostasen zu verführen (vgl. auch Graumann ([a.a.O.]; 95f.)). Wenn demnach Wolters sich scharf dagegen wehrt, Schemata seien „Entitäten" ([1388]; 136 f.), so ist er durchaus im Redit. Wenn er
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aber, wie anscheinend auch. Oldfield und Zangwill, Schemata „as characters of the organism" beschreibt (ebd.), so wird damit gewissermaßen der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, die Erlebnishypostase durch eine physiologisch-biologische Hypostase (einen Regress aufs Somatische) ersetzt. Soll das Schema ein psychologischer Beschreibungsbegriff sein, so ist es nur als das R e s u l t a t von spezifischen kognitiven O r d n u n g s b i l d u n g e n zu verstehen, nicht aber als die B e s c h a f f e n h e i t v o n E r l e b n i s s e n (zumal ohne vergleichende Rückwendung auf das einst Erlebte) oder als Eigenschaften des somatischen Substrats. Es läßt sich argumentieren, man könne m a t e r i a l e und o p e r a t i v e Merkmale an kognitiven Vollzügen ohne alle Hypostasierungsabsicht u n t e r s c h e i d e n . Wie im Zusammenhang mit Metzger diskutiert (s. o. S. 61 f.), erleben wir „ich-ferne" Erlebnisqualitäten, die wir als Weltgegebenheiten einfach hinzunehmen haben. Zum anderen fühlen wir uns (in Grenzen) frei und spontan; wir erleben „ich-nahe" Gegebenheiten, ein „Verfügenkönnen", ein „Manipulierenkönnen" des Gegebenen. Man erinnere sich an Metzgers 9-Punkte-Konfiguration: Die Gruppierung der Punkte im Sinne der Horizontalen oder der Vertikalen wird zumeist als „Muster" schlicht v o r g e f u n d e n . Es erscheint durchaus nicht als „gemacht", „produziert". Daneben können wir uns dieser Gegebenheit gegenüber verschieden v e r h a l t e n : wir können das Vorgefundene beispielsweise gewissermaßen undiskutiert lassen, können es (verbal) beschreiben, wir können uns aber auch gegen die Gegebenheit auflehnen und uns mit dem Gefühl der Angestrengtheit bemühen, eine andere (ungewöhnliche) Gruppierung des Punkte-Musters gegen die primäre Gegebenheit durchzusetzen. Danach ist aber der Aufweis von operativen Komponenten kognitiver Vollzüge nicht zu verwechseln mit dem einst von der österreichischen Schule (v. Meinong, Benussi) unterstellten „Produzieren", dem Aufbereiten eines kognitiven „Stoffes". Die materialen Gegebenheiten sind nicht das Rohmaterial, aus dem etwas „gefertigt" wird. Metzger ist völlig im Recht, wenn er in aller Deutlichkeit betont, daß materiale Gegebenheiten, beispielsweise eine Punktegruppierung, eine perfekte anschauliche Wirklichkeit (das heißt gewissermaßen: „Endprodukte") darstellen. Der Terminus „operative Komponenten" soll vielmehr anzeigen, daß sich der Mensch willkürlich oder unwillkürlich zu den primären Gegebenheiten seines Erlebens (dem „Erfahrungsmaterial") zu v e r h a l t e n vermag; er ist nicht nur ein A n s c h a u e n d e r , sondern auch ein Verfügender, Manipulierender, Bewältigender, Anerkennender, Ablehnender, Hinnehmender, Ab(Ver-)drängender, Feststellender, Sich-Besinnender, Suchender, Findender, Schließender, Kombinierender, Schätzender usf. Diese erlebnisdeskriptiv aufweisbaren und experimentell definierbaren Merkmale nennen wir „operativ". So ist zum Beispiel das „Was" und das „Wieviel" des Reproduzierens von Wörtern (die Menge und die „Auswahl" behaltener Wörter) vom „Wie" desselben (unter anderem von einer eher „pedantischen" oder aber
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mehr „konfabulierenden" Reproduktions w e i s e des Behaltenen) zu trennen. Beide Variablen (Reproduktionsmenge [und -auswahl] vs. Reproduktionsweise) können experimentell geschieden werden (s. u. Untersuchung 1). Man kann also m a t e r i a l e u n d o p e r a t i v e K o m p o n e n t e n k o g n i t i v e r V o l l z ü g e 1. zum einen erlebnisdeskriptiv aufweisen, 2. zum anderen unter einem ordnungstheoretisch-funktionalen Aspekt betrachten9. Es ist zu untersuchen, ob „Schematisierung" sowohl für die materialen als auch für die operativen Komponenten nachzuweisen ist. Man darf beispielsweise unterstellen, daß 1. die Menge und die Auswahl des reproduzierten Materials (zum Beispiel von Wörtern) von der ehemaligen Darbietungsfolge, von der Auswirkung später wahrgenommener homogener Materialien oder ähnlichem abhängt. Die operative Zugangsweise beziehungsweise „Behandlungsform" kann 2. unter anderem vom personalen kognitiven Stil des Erinnernden (vgl. Klein [662]) abhängen oder aber von Motivationseigenarten, von „Gerichtetheiten", die mit der ehemaligen Darbietung des Materials oder mittels einer expliziten „Instruktion" vermittelt wurden. Ist das Resultat einer solchen „Schematisierung" ein „Schema"? Ist beispielsweise eine „konfabulierende Behandlungsform" des Reproduzierten ein „Schema"? Oder sind nur die Resultate „materialer" Schematisierungen „Schemata"? Man sieht sofort, daß die Kennzeichnung „Schema" schon für die hier verhandelten überaus anspruchslosen deskriptiven Trennungsversuche ohne großen Nutzen ist. Es ergibt sich: Von „Schematisierung" als einem hypothetischen constructum ist zwar eher sinnvoll zu sprechen als von „Schema". „Schematisierung" selbst aber ist ein sehr allgemeines Konzept, das 1. beispielsweise die Unterscheidung von materialen und operativen Komponenten kognitiven Geschehens nicht impliziert und 2. die Modalität (die Art und Weise) 9 Betz unterscheidet die „ E r l e b n i s s e " („Empfindungen") von der Weise, wie ich mich zu diesen „ v e r h a l t e " ( = „Einstellungen") ([101]; 21 f. u. a. O.). - Vgl. Taft [1229], Martin [875]; Den eher „materialen" „reproduktiven V a l e n z e n " werden „Hypothesen" (vgl. Lewin, Kredievsky, Bruner u. a.) als „V e k t o r e n" gegenübergestellt. Auch in den Ansätzen von Mowrer [897], McGeoch [840], Miller-Galanter-Pribram [1476], sowie, im deutschsprachigen Bereich, von der v. Allesch-Gruppe (vgl. Jäger [593 II]; 19) werden Reproduktionskomponenten in zwei kategoriale Gruppen geteilt: und zwar in eher materiale und eher operative. Gutjahr [462] unterscheidet mit Gottschaidt eine „ich-feme" autodithone Erlebnisdynamik von einer „gewollten" („ich-nahen") Motivationsdynamik ( [ a . a . O . ] ; 4), vgl. auch Gottschaidt: Situations- vs. Suchfaktor [439], sowie R.Fuchs [392], und Kornadt ([692]; 356ff.). Gottsdialdt formuliert neuestens ([440]; 260): „Jeder konkrete Denkhandlungsvollzug i s t . . . auch durch die operative Entwicklung des Geschehens in der Zeit zu charakterisieren. Man kann von einem individuell unterschiedlichen Fortschreiten in der Bewältigung von Anforderungssituationen sprechen."
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der jeweiligen „schematisierenden" Verarbeitung unbeschrieben läßt (weshalb unter anderem Bartlett die „Rationalisierung" und die „Konventionalisierung" als Schematisierungs m o d i in seine Theorie einzuführen gezwungen ist). Schematisierung ist somit - will man nichts präjudizieren - eine Modalität desjenigen, was wir kognitive O r d n u n g s b i l d u n g nennen. Und diese ist einer viel eingehenderen Analyse bedürftig, als sie vom Schema-Konzept allein her möglich wäre.
II. Modalitäten der kognitiven Ordnung Der psychisch „Gesunde" hat die durchgängige Gewißheit, orientiert zu sein, die Welt angemessen zu erkennen, über seine Erfahrungen, Kenntnisse und in der Regel auch über seine Erinnerungen frei zu verfügen und sie „sinngemäß" zu verwenden. Wir leben nicht in einem „Wahrnehmungschaos" (/. Volkelt); ebenso wenig sind unsere Denkinhalte chaotisch. Die erlebte Wirklichkeit ist ein relativ stabiles mundanes Gefüge. So ist aber kognitive Ordnung unvermittelt in der Erlebniswirklichkeit enthalten, sie ist nicht nur erschlossen, nicht nur abgeleitet, sondern schon eine p r i m ä r e phänomenale Mitgegebenheit. Daneben ist die Ordnung, die Regelhaftigkeit, die relative Stabilität unseres Weltinnewerdens, ein möglicher Gegenstand der reflexiven Vergegenwärtigung, sie sei das R e s u l t a t sowohl unserer je eigenen „Angelegenheiten" als auch unseres G e w o r d e n s e i n s (unserer Biographie, unseres Schicksals), sie sei das Ergebnis unserer ganz persönlichen, der Entwicklung unterliegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten, unseres (erworbenen) Wissens und Könnens, letztlich: im weiteren Sinne unserer g e o r d n e t e n E r f a h r u n g e n : Kognitive Ordnung wird als „ p e r s ö n l i c h k e i t s r e l e v a n t " verstanden. Außerdem wird uns die je individuelle Ordnung unseres Weltinnewerdens gerade dann bewußt, wenn es den „objektiven Sachverhalten" nicht entspricht. „Objektive Sachverhalte" sollen ad hoc als die Resultate verstanden werden, die man einmal bei analytischer Reduktion der Erlebniswelt auf physikalisches Geschehen (physikalische Meßdaten) erhält, zum anderen bei der Reduktion auf anschauliche „Weltvariablen" (beispielsweise auf die „tatsächliche" Anzahl von sinnlosen Silben, die zu lernen waren, auf den „tatsächlichen" Wortlaut eines zu erinnernden Textes usf.). Bartlett vergleicht zum Beispiel Merkmale unserer „Erinnerungsresultate" („reproduziertes Material") mit den „tatsächlichen" Merkmalen des einst wahrgenommenen Textes. Die subjektive Ordnungsbildung wird so als 89
Objektivitätsabweichung s i c h t b a r . (Zum hier einschlagenden Objektivismusproblem vgl. Wellek [2326]). Vergleicht man nun nicht aktuelle „Leistungen" mit „tatsächlichen" Materialeigenschaften, sondern aktuelle Erlebnisgegebenheiten mit ehemals gehabten (und nun erinnerten) Erlebnisgehalten (beispielsweise die Erinnerungen an das lange nicht gesehene Geburtshaus mit den aktuellen Erlebnisgegebenheiten, wenn ich es endlich wieder einmal wahrnehme: sogenannter „Erinnerungsoptimismus"), so wird deutlich, daß die ehemals gehabten phänomenalen Gegebenheiten während des mnestischen Uberdauerns m o d i f i z i e r t wurden. Subjektive Ordnungsbildungen sind nicht nur nach ihrer Objektivitätsdifferenz, sondern auch als G e g e b e n h e i t s m o d i f i k a t i o n beschreibbar. Endlich kann kognitive Ordnung im Erlebnis der i n t e r i n d i v i d u e l l e n K o m m u n i z i e r b a r k e i t sichtbar werden. Das je Eigene der kognitiven Ordnung ist bis zu einem hohen Grade im mitmenschlichen Bezug („im anderen", aber auch im „Kulturrahmen") wiederzufinden; es ist zugleich „ s o z i a l r e l e v a n t " (s. u.). Kognitive Ordnung ist nach allem aufweisbar: 1. 2. 3. 4. 5.
in der unmittelbaren phänomenalen Mitgegebenheit, in der Objektivitätsabweichung kognitiver Vollzüge, in den Gegebenheitsmodifikationen, in ihrer Persönlichkeitsrelevanz, in ihrer Sozialrelevanz.
In der Folge werden die vier letzten Zugangsweisen im Vordergrund der Betrachtung stehen. (Vgl. u. a. Vernon [1278].)
1. K o g n i t i v e O r d n u n g als primäre Gegebenheitsordnung Kognitive Ordnung ist in der „Gestaltetheit" unserer Erlebnisse u n m i t t e l b a r m i t g e g e b e n 10 . Neuestens legt Wellek {[1322]; 731, vgl. auch [2335]; 386 ff.) eine systematische Ausfaltung der Ordnungsfaktoren von Erlebnisgegebenheiten vor, die sowohl im engen Sinne gestaltpsychologische Gesichtspunkte als auch Resultate der Genetischen Ganzheitspsychologie F. Kruegers enthält: Gestalten ( = gestaltete Erlebnisgegebenheiten) sind beschreibbar: 1. als „ a b g e s e t z t " von einem Grund (vgl. Volkelt [2504], Sander [1099], aber auch zum Beispiel A. Gurwitsch [457]); das figurale Gefüge einer Erlebnisgegebenheit hat seinen Ordnungscharakter schon darin, daß 10 Nach K. Bühler ist in den „Intentionen" „etwas wie eine Ordnung" bewußt ([288/]; 357).
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es von etwas anderem (dem Grund, Hintergrund; im akustischen Bereich: der „Stille", „Pause") abgehoben erscheint; 2. als g e s c h l o s s e n und e i n h e i t l i c h (vgl. auch Metzger [a. a. O.]); 3. als g e g l i e d e r t ; eine Gestalt ist nicht „einfach", unanalysierbar, sondern eine u n i t a s m u l t i p l e x . Besonders hierin zeigt sich Erlebnisgegebenes als geordnet. Gestalten sind weiterhin beschreibbar: 4. nach dem Mehr oder Weniger ihrer A u s g e p r ä g t h e i t im Sinne von „Musterhaftigkeit": ein gezeichnetes Dreieck kann mehr oder minder dem figuralen „Prototyp" des Dreiecks entsprechen; 5. nach ihrem G e s t a l t n i v e a u : Dieses meint: a) die G e s t a l t g ü t e , ihre Festigkeit und Geschlossenheit: ein Kreis ist optimal „geschlossen", „fest"; b) die G e s t a l t h ö h e , den Gliederreichtum: ein Kreis ist nicht gegliedert („gliedverschliffen"), eine komplizierte Figur ist gliederreicher, aber vielleicht nicht sehr „fest", nicht sehr „geschlossen". 6. Während die Erlebnisgegebenheiten bisher nach ihrem figural-gefügehaften Ordnungsniveau beschrieben wurden 11 , fordert Wellek zusätzlich - last not least - den Beschreibungsbegriff der „ S i n n t r ä c h t i g k e i t " (Gestalttiefe). Diese meint: a) die im weitesten Sinne „physiognomische" Bedeutsamkeit eines Erlebnisinhaltes für einen Menschen, b) die Abbildung von objektiv-geistigen Sinngehalten in figuralen Gegebenheiten (vgl. schon Ipsen [585]; 441). In mannigfaltiger Weise erscheint so in der Gestaltetheit von Erlebnisgegebenheiten die Ordnung des Weltinnewerdens. Wie diese Ordnung allerdings im einzelnen beschaffen und nach welchen Gesichtspunkten sie als entstanden zu denken ist, wird in diesen Unterscheidungen noch n i c h t z u r e i c h e n d s i c h t b a r . Im gegebenen Rahmen sei nur darauf hingewiesen, daß Wellek, mit F. Krueger, die Sinnträchtigkeit der Gestalten auf strukturelle Wesensbestimmtheiten des Menschen zurückführt. Im gleichen Sinne spricht Sander ([1100]; 3) von „transphänomenalen Richtungskonstanten", der „funktionalen Struktur", die in der figuralen Geordnetheit der Erlebnisse und in ihrer Sinnfülle zur Erscheinung kommen. Sie sind gewissermaßen der systematische Ort des „Dranges zur Gestalt", das heißt aber: der Tendenz zur Erlebnisordnung. Der „Mensch in der Situation" ist das konstituierende Prinzip der phänomenalen Ordnung. 11
Es wurde verdeutlicht, daß sidi Metzger auf diese Gesichtspunkte im wesentlichen beschränkt (s. o. S. 59). 91
Auch bei Betrachtung der operativen Komponenten des kognitiven Geschehens wird unmittelbare kognitive Ordnung sichtbar. Im Erlebnis des Verfügens über die Weltgegebenheiten, in der Spontaneität, im Sich-Verlassen-Können auf die Stabilität des Gegebenen, in der situativen Orientierung, auch im Antizipieren dessen, was im nächsten Moment geschehen wird (Bartlett [72]), offenbart sich die organisierte Erfahrung, über die man verfügt. Besonders aber im Nichtorientiertsein, in der Ungewißheit, im schmerzlichen Drang zur Sinnerfassung [vgl. 529] oder auch im Zwang, in der Unterwerfung unter unverständliche Faktizität, lernt man gewissermaßen p e r n e g a t i o n e m kennen, was die je eigene kognitive Ordnung bedeutet. Selbst nach diesen nur skizzenhaften Hinweisen dürfte es unfraglich sein, daß sowohl in der naiven vortheoretischen Weltzuwendung wie in der psychologisdi-phänomenologischen Analyse der Weltgegebenheiten primäre kognitive Ordnung zur Erscheinung kommt.
2. K o g n i t i v e O r d n u n g als Objektivitätsabweichung und als Gegebenheitsmodifikation Eine der bereits unter verdeutlichte modus unter
wichtigsten Modalitäten kognitiver Ordnungsbegrifie wurde dem Titel „Schema" und „Sdiematisierung" besprochen. Doch es sich sogleich, daß „Schematisierung" nur einen Ordnungsanderen bezeichnet.
Es gibt buchstäblich unzählbar viele Modifikationen kognitiver Ordnungsbildung; der Tatbestand, daß der Mensch „mehr" ist als eine bloße t a b u l a r a s a , in die sich Impressionen einprägen, ist außerordentlich heterogen und gründlicher deskriptiver Ausfaltung bedürftig. Für eine - notwendigerweise nur sehr fragmentarische - begriffliche Aufgliederung der kognitiven Ordnungsbildungen ist es vielleicht tunlich, die Unterscheidung materialer und operativer Komponenten so weit wie angängig zu verwenden. 1. A u t o c h t h o n e O r d n u n g s f a k t o r e n Visuelle Wahmehmungsgegebenheiten werden nicht wiedererkannt, wenn sie in umgreifende Gestaltzusammenhänge eingebunden sind (vgl. Gottschaidt [438], Johannes [599]; s. auch Köhler [685], Metzger [866] und Henle [514]). Lernt man eine Reihe sinnloser Silben und prägt man sich kurz danach eine Reihe ähnlicher Silben ein, so stört das Lernen der letzteren die Reproduzierbarkeit der ersten ( = retrograde Hemmung; vgl. G. E. Müller - Pilzecker [906], Postman - Postman ([1020]; 236 ff.). Dieser Hemmungseffekt ist nicht aufweisbar, wenn das später Gelernte dem früher Gelernten nicht ähnlich ist. Ist das Erfahrungsmaterial seriell angeordnet, so kann man den Anfangs- und den Endbereich in der Regel leichter auffassen und behalten als den Mittelbereich. So wies Hovland [1453] (vgl. [570]) beispielsweise für das Lernen sinnloser Silben nach, daß (bei Reihen von 12 Silben) die ersten beiden und die letzte (zwölfte)
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Silbe nach nur durchschnittlich 1 bis 4 Fehlem, die 6., 7., 8. und 9. Silbe aber nach durchschnittlich mehr als 8 Fehlern richtig reproduziert werden kann (vgl. auch Hull et al. [577]). Sowohl im Falle der Gestaltbindung als in denen der retrograden Reproduktionshemmung und der Anfangs- und Endbevorzugung handelt es sich zweifellos um autochthone Selektionen beziehungsweise Modifikationen unserer Erfahrung, die nicht in der Beschaffenheit des jeweiligen konkreten Erfahrungsmaterials („Sachsinn", „Bedeutung") gelegen und nach Auffassung der meisten Forscher niclit erworben12 sind, sondern a l l g e m e i n e Selektionsund Modifikationsgesetzlichkeiten13 unseres „kognitiven Funktionierens" darstellen. Die Gestaltbindung hat eine „Verfügbarkeitsselektion" von Erfahrungsgehalten zur Folge; der Gestaltkontext determiniert die Wiedererkennbarkeit (beziehungsweise die Identifizierbarkeit) von Erlebnisinhalten. Die retrograde Hemmung selegiert ,die Reproduzierbarkeit von Gelerntem. Beide „Effekte" bewirken, daß .einst Erlebtes nicht gleichmäßig gut wiedererkannt oder erinnert wird. In „dieser Ungleichmäßigkeit wird die Ausbildung subjektiver — unter Umstän,den „objektivitätsdifferenter" - Ordnungen sichtbar. Das Was beziehungsweise Wieviel der kognitiven „Leistungen" (mithin die materiellen Komponenten kognitiver Vollzüge) werden durch solche autochthonen kognitiven Ordnungsfaktoren beeinflußt. Einen in erster Linie autochthonen Ansatz bieten Witte und seine Schüler,mit ihrer Theorie der B e z u g s s y s t e m e (vgl. [i379] u. a. O.). Danach sind spezifische formale Bestimmungen einfacher Kategorisierungen überraschend durchgängig feststellbar. Wittes Modell erfaßte vorerst d i m e n s i o n i e r t e Kategoriensysteme (zum Beispiel „sehr groß / groß / mittel / klein / sehr klein") und Serien von solchen Beurteilungsobjekten (zum Beispiel Bleistiftlängen und vielem anderen), die in bezug auf das thematisierte Bezugssystem ä q u i d i s t a n t sind. Läßt man beispielsweise Bleistifte in bunter Reihenfolge in ein fünfteiliges Größensystem einordnen, so zeigt es sidi u. a., daß jeder Kategorie gleich viele Objekte zugeordnet -werden. Die phänomenale Ähnlichkeit von Gegebenheiten mit den Extremen („Polen") (bei Zweibereichsstruktur zum Beispiel mit dem größten und dem kleinsten Gegenstand) fällt nach Witte mit der Gegenstandsgröße l i n e a r ab. Sein Modell, das in vollem Umfang mathematisch formalisiert wurde, ist weitaus komplizierter, als hier berichtet werden kann; beispielsweise erwiesen sich die „Wahl" der dimensionalen Einheiten und die Konstitution von Partialsystemen als von großer Bedeutung. Die „signitive Dimension" (s. u.) und die motivationalen Determinanten kognitiver Ord12 13
g e n".
Vgl. jedoch unten S. 97 ff. und S. 147. A. O. Jäger ([593]; 11) spricht von „ f o r m a l e n A b l a u f b e d i n g u n 93
nungsbildungen (vgl. u. a. Sherif-Hovland [Ü69]), sowie der „Lernaspekt" treten der Erforschung autochthoner Urteilsstrukturen gegenüber bisher zurück. Schon die Kontiguität ist im hier vorausgesetzten Sinne autochthon gedacht. Sie ist nicht erfahrungs a b h ä n g i g , sondern e r m ö g l i c h t erst die geordnete Erfahrung (Gutjahr [462], vgl. auch Hoff ding ([548]; 149): „Beziehungsgesetze"). Die Feldfaktoren, die Ähnlichkeit von Gestaltgliedern (s. o.), der Aufbau von Gliederreihen, Paarbildungen und manches andere organisieren unser Erleben und unsere Erfahrungen. Autochthone „Spannungsverhältnisse", die durch physiologische Energiegefälle erklärt werden (s. o.), beispielsweise die „Schließungstendenzen", wie sie für die Reproduktion nichtgelöster Aufgaben unterstellt werden (Zeigarnik [1411], vgl. jedoch auch Peters' „Tendenz zur Unlustverminderung" [970] und unten S. 117) oder die Sättigungsphänomene, die die Gliederung von Erlebnisganzheiten in Unterganze, den Zerfall von Situationen, Leistungsverschlechterungen und Veränderungen der Handlungsgestalt nach sich ziehen (Karsten [629] ; 164), sind als autochthone Erfahrungs- und Erlebnisorganisatoren verstanden worden. Auch Forscher, die gestalttheoretischen Gedankengängen nicht fernstehen, ohne doch zur Berliner Schule zu gehören, weisen autochthone Ordnungsfaktoren nach. (Zum Beispiel N. R. F. Maier: „direction" [794], Werner und Lagercrantz: „Zentrierung", „Abschleifung" ([7357] ; 318), Obonai und Katsui: „Prägnanz" [933], vgl. auch Fraisse und Florès [378].) Auch moderne probabilistische und informationstheoretische Kapazitätsüberlegungen, wie wir sie schon bei Oldfield und Broadbent kennenlernten, betreffen erfahrungsunabhängige Organisatoren. Bruner, Miller und Zimmermann weisen beispielsweise auf, daß das kognitive Verhalten unter anderem von der Reizalternativenanzahl abhängt ([170]; 192). Oldfield ([938]; 28 ff.) spricht von der Bedeutung der „Gleichförmigkeit des sensoriellen Feldes". I. Kohler [i538] unterstellt ein (autochthones, physiologisch „erklärbares") „Prinzip der Erreichung eines optimalen Informationsflusses zwischen Umwelt und Organismus", das mit Hilfe einer sogenannten „R e i z s t a t i s t i k" realisiert wird. (Vgl. auch G. A. Miller [875], Sutherland [1224], Pitts et al. [364], Vurpillot-Brault [1287] u. v. a.) Rogge ([1065]; 462) fand schon vor langem für die Analogiebildungen die Tendenz zur „Uniformierung". Piaget und seinen Schülern ([988]; 218 ff.) geht es bei den „Invarianten", der „Transitivität" und anderen kognitiven Organisatoren um entsprechende Sachverhalte. Bartlett nimmt in seinem jüngsten Buch („Thinking") die Tendenz „to fill a gap in the evidence" [75] offenbar als autochthon an. Die Reihe ähnlicher theoretischer Bemühungen ließe sich schon heute fast endlos fortsetzen. Wie erinnerlich, wies Bartlett unter den Titeln „Rationalisierung" und 94
„Konventionalisierung" die Tendenzen auf, Erfahrungsbestände zum einen „üblicher", „konventioneller", zum anderen „rationaler", „präziser" zu erinnern, als sie ehedem tatsächlich gehabt wurden beziehungsweise als sie „objektiv" sind (s. o.). Wulf unterschied vor Bartlett im Jahre 1922 für diese seiegierenden Gedächtnisfunktionen unter anderem die Tendenz zur P r ä z i s i e r u n g und zur N i v e l l i e r u n g ([1395]; 345). Vorher schon hatte Katz ([637]; 161 ff.) für die von ihm so genannte „Figurensphäre" eine „periphere" und für die „Dingsphäre" eine „zentrale" Auffassungsweise getrennt. Brunswik kommt ebenfalls zur Unterscheidung der „Formalisierung" von der „Empirisierung" {[179], vgl. Wellek [J332]) 14 . Es ist nun aber durchaus fraglich, ob es sich bei alledem stets um letztlich „erfahrungsunabhängige" autochthone Ordnungsfaktoren oder aber um die Wirkung von durch die Erfahrung erworbenen „empirischen" Normen handelt, an denen das Wahrgenommene gewissermaßen „gemessen" und dann dementsprechend modifiziert wird (vgl. Gibson [410] u. a. O.). Während Bartlett (in seinen früheren Arbeiten) und einige seiner Schüler, aber auch Gibson (a. a. O.), Henle [514] sowie Carmichael [217] (s. u.) die Erfahrungsorganisation als von „empirischen" Ordnungsgesichtspunkten abhängig auffaßten, wird die Erfahrungsorganisation, wie betont, von Wulf vor allem im Zusammenhang mit autochthonen Gestaltfaktoren betrachtet15. Lewin [740] und Metzger [366] (vgl. auch Gottsdialdt [439]) lassen demgegenüber, wie erwähnt, auch die „Einstellung", die „Gewohnheitsbildungen" und ähnliches als „Umgebungsbedingungen" zu. Das Problem der Determination der Erfahrungs- und Erlebnis-Organisation bewegt sich heute überhaupt nicht mehr so sehr in der Alternative „autochthone Gestaltfaktoren vs. Einstellungs- und Gewohnheitsfaktoren" (so zum Beispiel noch in der Kontroverse zwischen G. E. Müller und der Gestalttheoretischen Schule zu Anfang der Zwanziger Jahre [vgl. 1479, 684]; vielmehr wird eher nach der A n t e i l i g k e i t und der I n t e r d e p e n d e n z beider Faktorengruppen gefragt (Henle [514], Brengelmann [149], Jäger [593], R. Fuchs [392], Gutjahr [462]; vgl. auch Wellek [1323], Rausch [1041]). Ein Beispiel für die mehr und mehr erkannte Kompliziertheit dieser Sachlage ist darin gelegen, daß das Phänomen der G e s t a l t b i n d u n g (Gottsdialdt) (s. o.) in seiner Existenz zwar unbestritten ist, daß man aber einen Faktor geringe14 Die unter anderem von McGeodi ([840]; 387), Jäger ([593]; I 939f., II 24 ff. u. a. O.) und in den „quantitativen" Gedächtnistheorien behandelte Dimension des „ Z e i t a b s t a n d s " der Reproduktion vom „ursprünglichen Erlebnis" dürfte audi unter Umständen als a u t o c h t h o n e r Selektions- und Modifikationsfaktor betrachtet werden. 15 Für neuere entwicklungspsychologisdie Gesichtspunkte vgl. u. a. Rüssel [1088], Ghent [407], Vurpillot-Brault [1287], Flament [367], Vernon [1278] u. a.
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rer oder stärkerer „ F r e i h e i t g e g e n ü b e r d e r G e s t a l t b i n d u n g " auffand. (Vgl. Thurstone [1551]: „flexibility of closure".) Menschen lassen sich nach ihrer relativen Unabhängigkeit von der Gestaltbildung unterscheiden. Übrigens fand Bauman [1517] eine große intraindividuelle Stabilität dieser relativen Unabhängigkeit (Retest-Reliabilität: r = +.89). Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich der Streit um autochthone o d e r empirische („erworbene") Ordnungsfaktoren häufig - nicht immer - als Scheinproblem entlarven läßt. Oft wird derselbe vorfindliche Sachverhalt auf hoher Abstraktionsstufe als ein Resultat autochthoner Organisation, auf niederer Abstraktionsebene aber als ein Ergebnis erworbener Erfahrungsnormen beschrieben. Die Kontroverse entzündet sich an der Vermengung beider Bezugssysteme, entspringt also einer M e t a b a s i s eis allo genos. Duncker [308] wies zum Beispiel auf, daß in die Wahrnehmungsgegebenheit von Oberflächenfarben das implizite Wissen um die Beschaffenheit der Körperfarben von „konventionellen" Dingen eingeht16. Ist - physikalisch definiert die Oberflächenfarbe eines Papiers, das einmal die Form eines Pflanzenblattes und einmal die eines Esels hat, „objektiv" identisch, so wird die Blatt-Figur dennoch eher grün, die Esel-Figur eher grau gesehen. Diese im „Herstellungsverfahren" gewonnenen Ergebnisse sind einmal als Wirkung des e r w o r b e n e n Wissens von Körperfarben zu interpretieren ( = A n g l e i c h u n g a n d i e e r w o r b e n e E r f a h r u n g s n o r n ) ; zum anderen kann aber argumentiert werden, in der Angleichung der „tatsächlichen" („physikalisch" definierten) Farben an konventionelle Dingfarben manifestiere sich ein a u t o c h t h o n e s K o n s t a n z p h ä n o m e n , das nicht erworben wurde, sondern der Erfahrung gewissermaßen erst ihre „Regeln" gibt. Beides ist zweifellos richtig; beide deskriptiven Bezugssysteme gegeinander auszuspielen, ist zweifellos falsch. Wenn auch sicher nicht alle kognitiven Ordnungsbildungen ausschließlich mit Hilfe erfahrungsunabhängiger Prinzipien interpretiert werden sollten, so kann doch andererseits nicht verkannt werden, daß es sich bei diesen um einen überaus wesentlichen Organisationsgesichtspunkt der Erfahrung handelt. Materiale Komponenten kognitiver Vollzüge sind nach allem auch als die Resultate autochthoner Modifikationen beziehungsweise Selektionen zu betrachten. Sind aber solche autochthone Ordnungsbildungen nun auch für operative Komponenten zu unterstellen? Dazu ist zunächst zu bemerken, daß die deskriptive Unterscheidung beider Komponentengruppen durchaus nicht dem Konzept derjenigen Forscher entspricht, die die erfahrungsunabhängigen Organisationsfaktoren zu ihren theoretischen Leitbegriffen erhoben. Das Operative hat in der Berliner Gestalttheorie keinen bevorzugten Platz. 16 Arbeiten von Harper [1443], Bolles et al. [132] und eigene unveröffentlichte Untersuchungen zeigen allerdings, daß Dunckers Befunde bisher nicht in vollem Umfange reproduzierbar sind. Am Bestehen des Dunckerschen Phänomens dürfte indes kein Zweifel sein (vgl. schon Katz [636, 638] u. a. O.).
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Immerhin wurde schon besprochen, daß die Denktheorie der Gestalttheoretischen Schule in ihrem U m s t r u k t u r i e r u n g s m o d e l l eine o p e r a t i v e Gegebenheit anzielt (vgl. Süllwold [1220]). Umstrukturierung erfolgt so, daß das anschaulich Vorliegende in einer Weise „neu gestaltet" wird, daß „die vorher unstimmigen oder ,ohne Sinn und Verstand' nebeneinanderstehenden Teilsadiverhalte sich entweder als doch notwendig so Zusammen g e h ö r i g e herausstellen oder sich als offensichtliche . F r e m d k ö r p e r ' , als sachlich unzusammengehörig und nur .zufällig' zusammen g e s e h e n trennen" (Metzger [a. a. O.]; 234). Daß das kritische Problem darin gelegen ist, was nun „sinnvoll", „sachlich" heißen soll, wurde eingehend besprochen und soll hier ausgeklammert bleiben. Für deskriptive Zwecke ist das Umstrukturierungskonzept sicherlich von großem Nutzen, zumal Wertheimer [1357] ein fein ausgearbeitetes Deskriptionsinventar anbietet, mit Hilfe dessen sich das mit „Umstrukturierung" Gemeinte auseinanderlegen läßt. Für die Lösung kognitiver Aufgaben unterscheidet der Autor ([a. a. O.]; 263 f.) die folgenden „strukturellen Operationen": Ausgleich, Ausscheidung nicht zugehöriger Bestände, Aussonderung, Aufteilung, Beseitigung beziehungsweise Unterbringung von Resten, Einbettung, Einführung, Entstörung, Berichtigung, Ergänzung, Erweiterung, Erkennen der Rollenfunktion und Bedeutungsfunktion, Erwartungswechsel, Umorientierung, Gruppierung, Umgruppierung, Gliederung, Paarung, Sonderung, Zusammenfassung usw., Ausfüllen von Lücken, Passen, Sich-Ineinanderfügen, Schließung, Transponierung, Umschlagen, Umspringen, Funktionswechsel, Verdoppelung, strukturelles Verschwinden, Vertiefung, Bildung und Verschiebung von Zäsuren, Zentrierung, Umzentrierung, Zurechtrücken, Zusammenfassen, Zusammenfügen.
Gleichwohl bleibt es fraglich, ob Umstrukturierungen tatsächlich stets (auf „Erfahrungen" irreduzible) Prinzipien unseres kognitiven Verhaltens darstellen (dazu Kohler [J538]), ob und inwieweit Umstrukturierungsmodi lernbar beziehungsweise tradierbar sind, inwieweit es sich um sozialabhängige, „normierte" Verfahrensweisen handelt (dazu Süllwold [a. a. O.]). Immerhin ist unsere Gerichtetheit auf das Sinnvollere, Richtigere, Wahrere sicherlich etwas Allgemeinmenschliches, aber auch etwas so Allgemeines, daß es in seiner Merkmalsarmut fast allen deskriptiven Wert verliert. Es ergibt sich immerhin: Sowohl materiale als auch operative Komponenten kognitiven Geschehens können (auch) auf autochthone kognitive Ordnungsfaktoren zurückgeführt werden (vgl. aber unten S.147). 2. O r d n u n g s f a k t o r e n d e s L e r n e n s u n d Gewöhnung (Erfahrungsnormen)
der
Autochthone Ordnungsfaktoren sind nicht „Lernresultate", sondern „Lerndeterminanten". Daneben gibt es kognitive Ordnungsbildungen, die das Resultat von Lernvorgängen sind. 7
Herrmann
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Kognitive Ordnung bildet sich jedoch nicht autochthon o d e r durch Lern- und Gewohnheitseinflüsse. Die vorfindbaren und experimentell formalisierbaren kognitiven Vollzüge „bestehen" so wenig aus materialen und operativen Komponenten wie sie sich aus autochthonen und Lerneffekten „zusammensetzen". Immer handelt es sich u m deskriptive Unterscheidungen „unter Gesichtspunkten" oder um Interdependenzen 1 7 . So können „dieselben" Ordnungsbildungen, wie für Duncker ausgeführt, oft sowohl unter dem Aspekt der autodhthonen Ordnungsfaktoren wie unter dem Lernaspekt beschrieben werden. Behalte ich unerledigte Aufgaben besser als erledigte (gelöste), so kann ich diesen Sachverhalt gestalttheoretisch mit Hilfe der Schließungstendenz bestimmen. Ich kann aber auch sagen, in unserer Kultur heiße es, Aufgaben ernst zu nehmen; das hätte ich „gelernt", deshalb beunruhige mich jede ungelöste Aufgabe. Beide Beschreibungen w i d e r s p r e c h e n s i c h im ausschließlich deskriptiven Sinne durchaus n i c h t . Stark unterschiedlich sind freilich die t r a n s p h ä n o m e n a l e n Leitb e g r i f f e , die zur Grundlage der Deskription dienen. So erscheint uns heute eine schon erwähnte Kontroverse der frühen Dreißiger Jahre über die qualitative Veränderung von Erfahrungsinhalten nicht mehr so kritisch wie damals - und letztlich gar nicht mehr entscheidbar: Der Wertheimer-Schüler Wulf hatte, wie berichtet, die Änderungen, die ehemalige Wahrnehmungsgegebenheiten („mehrdeutige" Figuren) in der Erinnerung erfahren, mit Hilfe autochthoner Ordnungsfaktoren erklärt. Analog Bartletts späteren Thesen unterliegen figurale Gegebenheiten unter anderem der mnestischen „ P r ä z i s i e r u n g " oder aber der „ N i v e 1 l i e r u n g " . Nach Auffassung des Autors geht es beim Erinnern gar nicht so sehr um die getreue Wiedergabe eines figuralen G e f ü g e s ; dem „Gesetz der Zeichenstruktur" müsse entsprochen werden ([a. a. O.]; 353 ff.). D a b e i kann das Wahrgenommene einmal eher als figurales Muster, zum anderen als Zeichen für „ D i n g e " aufgefaßt werden (vgl. auch Koffka [1463]; 258 u. a. O.). Später unternahm J. J. Gibson [410] ähnliche Untersuchungen wie Wulf, erklärte aber die modifizierte Reproduktion von ehedem Wahrgenommenem nicht mit Hilfe autochthoner Gestaltfaktoren; vielmehr setzte er unter anderem voraus, daß das Wahrgenommene nicht nur „registriert" worden sei. E s sei auch „verbal analysiert" (vgl. zum Beispiel Alberoni [-Z2]), das heißt 17 Werden verschiedenfarbige H i n t e r g r ü n d e von prägnanten Figuren (zum Beispiel von bunten Flugzeugzeichnungen) beim Reiz-Reaktions-Lernen als Signale benutzt, so ist die Lernleistung bei Kindern entsprechend den gestalttheoretischen Erwartungen schwach. Dieser a u t o c h t h o n e Figur-GrundEffekt kann durch „ g e l e r n t e " kognitive Hilfen (Wissensaktualisierungen) kompensiert werden: Verschieden gefärbter Himmel, der das Starten der Flugzeuge „zuläßt" oder nicht: grauer Himmel = Regen ( Luria [1471]).
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mit einer B e z e i c h n u n g versehen worden. (Vgl. auch Gibson-Robinson [414] und Herde [514].) Beim Erinnern werde das Zu-Erinnernde als etwas „So-Genanntes" (zum Beispiel Pfeil, Stern) erinnert. Die Reproduktion erfolge so, wie man sich etwas So-Genanntes (zum Beispiel einen Pfeil) vorstelle. Man reproduziere nicht abbildhaft, sondern stelle etwas So-Genanntes dar („object assimilation") (vgl. auch Neisser [920]). Neben dieser Anpassung am dinghaften Sachsinn läßt der Autor freilich auch die Anpassung an figurale Bestimmtheiten (an das „Rechteckige" usf.) zu („figure assimilation") (vgl. Messmer [864], P. Meyer [871], Katz [a. a. O.]). Welche Assimilation in concreto gewählt werde, sei zu einem guten Teil auf G e w o h n h e i t s b i l d u n g e n zurückzuführen. Carmidiael et al. [217] interpretieren das Wulf sehe Phänomen ganz ähnlich mit Hilfe einer vorgängigen „Assoziation" von B i l d und W o r t (vgl. Turner-Craig [1261], Bruner, Busiek und Minturn [166], SchmidtSuchowskaja [1126]). Zangwill ([1406]; 12 ff.) nimmt für die Erklärung der qualitativen Erfahrungsänderung Bartletts „Konventionalisierung" in Anspruch. Sowohl Wulfs autochthone Nivellierung (vgl. auch Wulfs „Normalisierung") als auch Gibsons Objekt-Assimilation lehnt er als unzureichend ab. Hanawalt und Demarest ([475]; 159 ff.) betrachten, wie Gibson und Zangwill und neuerdings Kornadt [692], die Reproduktion als eine A u f g a b e , der man sich im konventionellen, „gelernten" Sinne unterzieht (vgl. Whipple [1859]; 69: „ Lernreaktion") 18 . Zangwill und Hanawalt-Demarest sind darüber hinaus in der Lage, die Wulfsche „Präzisierung" bestimmter Figurenteile mit Hilfe der getreuen, oft sogar „übertreibenden" Reproduktion d o m i n a n t e r Details s. o. S. 82 f.) zu interpretieren. Welche figuralen Züge aber als dominant erlebt und „präzisiert" reproduziert werden, richtet sich nicht nach autochthonen Gestaltgesetzen (so aber neuerdings Kothurkar [695]; 59 ff.), sondern nach „ s p e z i e l l e n I n t e r e s s e n " (Bartlett [66]; 281, Oldfield und Zangwill [941]; 128). Die genannten Autoren rekurrieren nach allem für die Interpretation qualitativer Erfahrungsänderungen keineswegs auf autochthone Faktoren, sondern auf Lerneffekte beziehungsweise auf Gewohnheitsbildungen. Das Lernen vermittelt „normale", „konventionelle" Schemata, eine zwar ganz 18
Henle versucht, gegen Wulfs gestalttheoretische Auffassung und auch gegen die Annahme situativer Einstellungen den Gesichtspunkt der „Alltagserfahrung" als wesentlichsten Faktor der Objekt-Assimilation zu sichern (a. a. O.). F. J. Schmitt fand in einer Vordiplom-Arbeit des Psychologischen Instituts der Universität Mainz (1962) daneben eine motivational interpretierbare Tendenz, aus Gründen der situativen Entlastung gerade m e h r d e u t i g e Figuren bei der Reproduktion zu bevorzugen („Mehrdeutigkeit aus Unsicherheit").
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persönliche, doch zugleich sozial- beziehungsweise milieuabhängige „Weltstruktur", an der neue Informationen „gemessen" und entsprechend modifiziert werden. (Vgl. auch Helson [522] und McClelland [832]; s. auch z. B.: Untersuchung 5.) Daß die s p r a c h l i c h e R e p r ä s e n t a t i o n der Dinge und Figuren dabei eine heute weithin unterschätzte Rolle spielt, wird eingehend zu besprechen sein. Man könnte im Sinne einer Reiz-Reaktions-Theorie (s. u.) unterstellen, Carmichaels mehrdeutige Figuren würden nicht an „Objekte", sondern an Wörter, das heißt an hochstrukturierte akustische R e i z m u s t e r , angeglichen („assoziative Assimilation" zweier Reizmuster). Abgesehen von allen theoretischen Schwierigkeiten scheinen gewisse experimentelle Befunde einer solchen Interpretation zu widersprechen. Bietet man mehrdeutige akustische Sukzessivgestalten (unprägnant getaktete Klopffiguren) zusammen mit verschiedenen optischen Zusatzinformationen (Punktabständen), so kann man prüfen, ob die von den Probanden reproduzierten Klopffiguren „in Richtung" dieser optischen Anhaltspunkte (cues) modifiziert werden. (Diese „Anker" sind von Wörtern insofern unterschieden, als sie keine Zeichenfunktion, keine signitive Relevanz, besitzen. Sicher repräsentieren sie keine „Objekte"). Es ergibt sich, daß 1) zwar gestalttheoretisch zu interpretierende Nivellierungen oder Präzisierungen der Klopffiguren in signifikanter Weise nachweisbar sind, daß aber 2) Assimilationen an die optischen Anker unterbleiben. (Unveröffentlichte Untersuchung.) Diese Ergebnisse scheinen die Vermutung zu stützen, daß Carmichaels mehrdeutige Figuren nicht an komplizierte akustische c u e s angeglichen werden, sondern - unter entsprechender Einstellung - an die „ I n h a l t e", die in den mitgegebenen Wörtern r e p r ä s e n t i e r t sind. Objektassimilation ist danach nicht die assimilatorische Angleichung von Sinnesgegebenheiten an andere Sinnesgegebenheiten („Reize an Reize"). Sie ist vielmehr die signitive Zuordnung mehrdeutiger Sinnesgegebenheiten (als „significans") zu denjenigen B e d e u t u n g e n („significatum"), die in mitgegebenen Informationen bereits r e p r ä s e n t i e r t sind und insofern „einstellungsgemäß" bereitliegen. Auch Kornadt ([692]; 357 ff.) kommt zu dem Ergebnis, alle Reiz-Reaktions-Theorien der mnestischen Modifikationen einfacher Figuren seien unzureichend. Er betont wie Hanawalt (s. o.) die Einstellungs- und Sinngebungsabhängigkeit beziehungsweise das Moment der Bedeutungsverleihung. (Zur signitiven Beschreibung kognitiver Ordnungsbildungen vgl. unten B III.) Aber nicht nur die materiale Seite des kognitiven Geschehens ist „lernabhängig". Auch kognitive Bewältigungsstile werden „gelernt" (vgl. Klein [662], Bruner et al. [268]). Erscheint uns auch die „motivationale" Frage und diejenige der „Persönlichkeitsrelevanz" (s. u.), w e l c h e r kognitive Stil nun gerade von d i e s e m Menschen in j e n e r Situation verwendet wird, von heuristisch größerem Interesse, so bleibt der Sachverhalt selbstverständlich davon unberührt, daß auch operative Zugangsweisen g e l e r n t werden, daß sie „erfahrungsabhängig" sind. Es ist deutlich, daß sich unsere Betrachtung an dieser Stelle eng mit der Entwick1ungspsycho1ogie der Erkenntnisvorgänge
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berührt. So reizvoll es wäre, die vor allem im Genfer Kreis von J. Piaget ([987-994]; vgl. auch K. Bühler [191] und Metzger [ 8 6 7 ] ) erarbeiteten Befunde dieser Forschungsrichtung zu referieren, so müssen wir aus Raummangel doch auf ein solches Vorhaben verzichten. E s sei aber betont, daß die denkpsychologische Theorie der Ordnungsbildung auf die Beiträge der Kinderpsychologie nicht verzichten kann. Insbesondere das Phasenschema Piagets gibt Einblicke in autochthone Systembildungen kognitiver Ordnung und ihre I n t e r d e p e n d e n z mit den zu Lernresultaten führenden zwischenmenschlichen Kommunikationen ( [ 9 8 7 ] ; 174 ff. u. a. O.). Lernstrategien werden gelernt („leaminghowtolearn"). Das kann man anhand einer ganz einfachen Versuchsanordnung aufweisen: Der Lemzuwachs bei der mehrfachen sukzessiven Darbietung von Wörtern unterscheidet sich danach, ob man die Probanden instruiert, (a) möglichst viele Wörter zu behalten, oder (b) möglichst viele Wörter in der richtigen Reihenfolge zu behalten. Im ersten Falle (a) entspricht der Lernzuwachs der klassischen Lernkurve: die Reproduktionsleistung steigt mit der Anzahl der Darbietungen (triáis) n e g a t i v b e s c h l e u n i g t an. Im zweiten Fall (b) ist der Leistungsanstieg l i n e a r (Waugh [ 1552]). Waugh weist nach, daß diese Unterschiede auf verschiedene Lemstrategien zurückzuführen sind. Beim seriellen Lernen (b) beginnt man in der Regel bei einer neuerlichen Materialdarbietung damit, die am Anfang stehenden, schon gelernten Wörter noch einmal in der richtigen Reihenfolge zu rekapitulieren, und prägt sich danach 5 bis 6 nachfolgende neue Wörter in ebenfalls der richtigen seriellen Ordnung ein. So wird die Reihe der behaltenen Wörter von trial zu trial in Annäherung um immer d e n s e l b e n Betrag von 5 bis 6 Wörtern verlängert. Ganz anders ist es beim „freien" Lernen (a). Hier läßt man gewissermaßen die Gesamtheit der Wörter auf sich wirken; zunächst wird man von Darbietung zu Darbietung relativ viele, später aber immer weniger neue Wörter hinzulernen. Diese unterschiedlichen operativen Zugangsweisen zum Lemmaterial sind schwerlich auf autochthone Bedingungen zu reduzieren. S i e s i n d s e l b s t e r l e r n t . Andererseits liegen für die Tatsache, daß im Falle (b) die Reihe jeweils um gerade 5 bis 6 Wörter verlängert wird, Kapazitätsüberlegungen nahe, die weniger wahrscheinlich in einem Lern- als in einem autochthonen Modell sinnvoll formuliert werden dürften. Hebb ([a. a. O.]; 116) gibt ein anderes Beispiel: Es ist sehr schwierig, Gesichter von Schimpansen zu unterscheiden und wiederzuerkennen. Hat man aber erst einmal einige Schimpansen nach ihren Gesichtern zu unterscheiden gelernt, so hat man zugleich eine S t r a t e g i e erlernt, mit Hilfe derer man nun neue Sdiimpansen schnell und leicht zu unterscheiden l e r n t . Das Erlernen einer Lernstrategie ist nicht dasselbe wie die klassische „Lernübertragung" (transfer). Im gegebenen Rahmen ist es unmöglich, eine auch nur einigermaßen vollständige Darstellung der vorliegenden lerntheoretischen B e i t r ä g e zum Problem der kognitiven Ordnungsbildung zu versuchen. So sei nur auf einen allerdings wichtigen Gesichtspunkt hingewiesen, der sich mit Recht großer Beachtung erfreut: auf die Abgrenzung des operativen Ordnungsschemas „Hypothese" von anderen Ordnungsbildungen (vgl. dazu auch Süllwold [1220]).
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Foppa gibt neuerdings eine experimentelle Explikation der Abgrenzung dreier kognitiver Lernmodalitäten ([373], vgl. [374]). Er geht dabei auf Arbeiten Deweys [259], Kredievskys [699], Claparedes [248], N. R. F. Maiers [794], Dunckers [307] und anderer zurück. Der Autor stellte seinen Probanden die Aufgabe, in die 10 Einwurflöcher einer „problem box" 10 Kugeln richtig einwerfen zu lernen. Die erste Kugel mußte so oft in verschiedene Löcher eingeworfen werden, bis durch ein entsprechendes Signal angezeigt wurde, der Einwurf sei „richtig" ( = Treffer). Dann war der Vorgang mit der zweiten Kugel zu wiederholen, usf., bis endlich eine vollständige richtige Reaktionssequenz für alle 10 Kugeln beziehungsweise Löcher gelernt war. (Jeder Kugel entspricht selbstverständlich nur ein zugehöriges Einwurfloch.) Es ließen sich 3 Arten von Lemstrategien („Lösungsverhalten") trennen: 1. V e r s u c h - I r r t u m - V e r h a l t e n 2. S y s t e m a t i s c h e s V e r h a l t e n („die Einwürfe erfolgen jeweils in einer bestimmten Reihenfolge, das heißt die Versuchsperson beginnt zum Beispiel bei Loch 0, versucht Loch 1, 2 usf., bis zum ersten Erfolg; dann wählt sie wieder Loch 0, 1, 2 usf., bis zum nächsten Erfolg" usw. (175)). 3. H y p o t h e s e n b i l d u n g („das heißt Lösungsverhalten, das durch .Erwartungen' über die Struktur der Gesamtlösung bestimmt ist" (ebd.)).
Für das Foppa-Problem und ähnliche Aufgaben sind also verschiedene kognitive Lösungsmodi zu unterscheiden, die zugleich als Lernprozesse aufgefaßt werden können. Es handelt sich um den mit Hilfe verschiedener vorgängiger operativer Zugangsweisen ermöglichten E r w e r b einer auf gab e n sp ezif i sc h en kognitiven Reaktionso r d n u n g . Die V e r s u c h - I r r t u m - S t r a t e g i e ist recht primitiv: die operative Einstellung ist die des „Probierens". Beim s y s t e m a t i s c h e n V o r g e h e n ist der angewandte Zuwendungsmodus „von vornherein" festgelegt; er wird während des gesamten Lösungsvorganges nicht geändert. Nur beim H y p o t h e s e n v e r h a l t e n tritt die operative Zugangsweise mit den sukzessiv bereits erhaltenen Informationen in einen spezifischen I n t e r d e p e n d e n z z u s a m m e n h a n g . Beim V e r s u c h - I r r t u m - V e r h a l t e n , das heißt durch probierendes Raten, stellen aufgefundene richtige Loch-Kugel-Kombinationen keinen Informationszuwachs für die n a c h f o l g e n d e n Reaktionen dar. Die Wahrscheinlichkeit, richtig einzuwerfen, steigt nur insofern, als mit jedem Treffer die „objektive" Trefferwahrscheinlichkeit systematisch zunimmt: Vor dem ersten Treffer ist die Trefferchance 1/10, nach dem ersten Treffer 1/9, nach dem zweiten Treffer 1/8 usf. Auch beim s y s t e m a t i s c h e n V e r h a l t e n ändert sich das Lösungsverhalten nur insofern, als die schon „identifizierten" Löcher beim systematischen Probieren übersprungen werden. Bei der H y p o t h e s e n b i l d u n g dagegen führen die Treffer zu E r w a r t u n g e n in bezug auf noch nicht ermittelte Loch-Kugel-Kombi102
nationen. Das ist aber nur möglich, wenn man aus den Lösungsbruchstücken hypothetisch die „Regel" extrapoliert, nach der die Gesamtlösung „geordnet" ist. Verhält man sich dem hypothetisch a n t i z i p i e r t e n „Fortgang" der aufgabenspezifischen Ordnungssystematik entsprechend und hat man damit Erfolg, so festigt sich die Hypothese. Man überträgt also das Schon-Gelerate auf das noch Unsichere, noch zu Bewältigende (vgl. Stebbing [1201], N. R. F. Maier [a. a. O.], Duncker [a. a. O.], Harlow [478], Bruner et al. [268], Wason [2300] u. a.). Es erhebt sich die Frage, ob das „Hypothesenlernen" im kontiguitätstheoretischen Reiz-Reaktions-Modell zu interpretieren ist (vgl. u. a. Harlow [a. a. O.], Moiurer [a. a. O.]). Sie kann im gegebenen Zusammenhang selbstverständlich weder hinreichend diskutiert noch gar entschieden werden. Doch ist nochmals zu betonen, daß die Wahl einer der drei von den Probanden verwendeten Lernmodalitäten (Versuch-Irrtum-Lernen, systematisches Vorgehen, Hypothesenlernen) nur mit Hilfe der Unterstellung v o r g ä n g i g e r operativer Einstellungen zu beschreiben ist. Ob aber solch komplexe Sachverhalte auf Reiz-Reaktions-Verhältnisse reduziert werden können, erscheint zweifelhaft. Das gilt noch mehr für den a n t i z i p i e r e n d e n Charakter von Hypothesen, für dessen Interpretation uns nicht einmal das sehr flexible Modell O. H. Mowrers19 auszureichen scheint. Aus heuristischen Gründen halten wir daher vorerst weniger formalisierte „kognitive" Theorien des Lernens für die hier in Frage stehenden komplexen Sachverhalte für angemessener. In die Beschreibung Foppas geht der Sachverhalt ein, daß „gelernte Reaktionen" nicht auf „ähnliches Material" oder auf „ähnliche Situationen" übertragen werden (vgl. auch Krecheosky [699]), sondern daß mit dem Lernen von „Reaktionen" die hypothetische „Regel", nach der sowohl das schon Bewältigte als auch das noch zu Bewältigende konstituiert ist, mitgelernt (oder aktualisiert?) wird (vgl. schon Bühlers „Aha-Erlebnis" und Koßkas Einwand gegen Thorndike [1463]). Der konditionale Transfer und auch eine „vermittelnde Assoziation" sind nicht dasselbe wie die hypothetische R e g e l a n t i z i p a t i o n . Bestätigt ein zunächst unbekanntes Material, auf das eine vorgängig gebildete Hypothese angewendet w'vd, die Richtigkeit derselben, so ist dieser Sachverhalt außerdem nicht e o i p s o gleichzusetzen mit der Bekräftigung („reinforcement") einer Reiz-Reaktions-Verknüpfung, die ja auch in einem Modell gedacht werden kann, in dem „Regel", „Ordnung" etc. durch kontiguitätstheoretische Annahmen ersetzt sind (vgl. auch Scheerer [1115], Katona [634], Reed [1048], Heidbreder [494], Harlow [a. a. O.], Treisman [1256] u. a.). Es erscheint bedeutsam, daß die Abhebung hypothesentheoretischer „kognitiver" Lernkonzepte von einfachen kontiguitätstheoretischen Lernmodellen ihre Vorgängerin in der bereits besprochenen Auseinandersetzung der SeZzschen Komplextheorie mit G. E. Müllers Konstellationstheorie hatte s. o. S. 78). Schon Selz ging es darum, daß das „Beziehungsganze", die „allgemeine Regel", das kognitive Verhalten determiniere. „Lösungsmethoden" werden gefunden und in neuen Aufgabensituationen angewen19 Vgl. Mowrers revidierte Zweifaktoren-Theorie des Lernens ([a.a.O.]; 12 ff., 35 ff.), s. auch Osgood ([949], 5 ff.), N. E. Miller (vgl. [900] u. a. O.) u. a. m. Dazu auch Cofer ([2525]; 43 ff.).
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det (vgl. schon Watt [1308]). Duncker ([307]; 89 ff.) spricht später von „Suchmodellen", mit denen man an (neue) Materialien herangeht (sogenannte „Durchlaufungen"). Wichtig ist es bei alledem, daß die, wie immer auch zu bezeichnende, „bereitgestellte" kognitive Ordnung die zu erwartende Lösung a n t i z i p i e r t und daß man die aktuelle Situation gewissermaßen an diesen Erwartungen mißt (vgl. Bruner et al. [i68]; 25, Maltzman - Morrisett [803] )20. Bruner und Mitarbeiter [a. a. O.] haben diesem Gesichtspunkt noch besser geredit werden wollen, indem sie davon sprechen, neue Informationen würden in bereitliegenden K a t e g o r i e n eingeordnet. Diese sind nichts anderes als Hypothesen; sie wurden „gelernt" (vgl. Postman-Bruner [I0-Z9]); man „erfindet" sie sogar ([i68]; 7). Kategorien spiegeln die Kultur, in der man lebt, die Sprache, die man spricht (vgl. Razran [1045], Brown [J58]). Sie spiegeln auch die Erfahrungsmenge, die Anzahl der Exemplare, die bisher „kategorisiert" wurden, sowie die Anzahl verschiedener anderer Kategorien, in die „mehrdeutige" Informationen allenfalls auch noch hätten eingeordnet werden können. Der Zeitdruck, dem Aufgabenlösungen unterliegen, das Risiko, das in eine allfällig falsche Lösung eingeht und viele andere situative Komponenten (zum Beispiel „stress") beeinflussen die Kategorisierungsprozesse (vgl. „Strategien") in hohem Maße [ebd.]. Kategorisierungen sind keineswegs immer „logisch", sondern meist „thematisch-anschaulich" (vgl. auch die frühe Wertheimersd\e Arbeit über Kategorisierungen bei Naturvölkern [J356]). Oft sind sie affektiv determiniert (vgl. auch Rretschmers „affektive Agglutinationen"). Das Hypothesen-Konzept, dessen große Fruchtbarkeit beispielsweise für das Problemgebiet der „social perception" vor kurzem Graumann wiederum eindringlich aufgewiesen hat [445], ist vielleicht für unsere Fragestellung nicht von einem so vordringlichen Interesse, wie es in einer wahrnehmungstheoretisdien Arbeit zu recht vorausgesetzt werden könnte. Im gegebenen Zusammenhang ist es aber von größter Wichtigkeit, mit der Besprechung des Hypothesenmodells lerntheoretische Beschreibungsmöglichkeiten kognitiver Ordnungsbildungen aufgewiesen zu haben, die in sinnvoller Weise von der Alternative „autochthon vs. empirisch" absehen.
3. M o t i v a t i o n a l e
Ordnungsfaktoren
1. Was die Termini „ E i n s t e l l u n g " („set") und „M o t i v" (auch „Motivation") betrifft, so erscheint die Sprachverwirrung in unserem Fach unentwirrbar. Vor 20 Jahren hat Gibson [412] eine befremdlich große 2 0 Zweifellos trifft sich dieses Konzept, der Sache nach, mit Achs „determinierenden Tendenzen" und den „Einstellungen". Der letzte Terminus erscheint uns, wie ausgeführt werden soll, zu vieldeutig und sollte für den hier einschlagenden Sachverhalt durch „Hypothese", „operative Zugangsweise" (oder doch durch die Spezifikation „operative Einstellung") ersetzt werden. (Zur Terminologie s. S. 108.)
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Anzahl von Sachverhalten zusammengestellt, die allesamt „set" genannt werden. Er nennt den Sprachgebrauch „chaotic", und daran hat sich bis heute nichts geändert (vgl. auch Woodworth [2391]). Entsprechend weist kürzlich Littman ([762]; 117) 52 motivationstheoretische Termini auf. Er schreibt: „there is still no substantial agreement about what motivation is" (115) (vgl. u. a. Bolles [131], Young [1403], Ancona et al. [31]). Unter diesen Umständen ist es im gegebenen Rahmen unmöglich, eine umfassende historische Herleitung der Begriffe und des Sprachgebrauchs oder aber eine sachliche Rechtfertigung und systematische Klärung derselben zu versuchen. Es muß bei einer Ad hoc-Verständigung bleiben. Für eine umfassende Einführung in das Motivationsproblem ist Youngs „Motivation and emotion" [J555] zu empfehlen. F. Schumann [2235], v.Kries [703] und Külpe ([717]-, 44) verstehen unter „Einstellung" zerebrale „Prädispositionen", die aus der Menge verfügbarer Reproduktionen nur ganz bestimmte aktualisieren. Ein hirnphysiologischer Selektionsmechanismus ist „eingestellt", hat gewissermaßen einen bestimmten Schaltstatus. In Külpes Nachfolge bedeutet „Einstellung" zunächst die „Auswahl" aus einer Mehrheit assoziativer Verknüpfungen (vgl. auch das „Schema" bei Selz). Die Funktion der Einstellung ist hiernach die Bildung selektiver Ordnung. Neben diese Begriffsnuance tritt sehr bald mit Ach [4], Bühler [288], Marbe [808] und anderen der e r l e b n i s d e s k r i p t i v e Aspekt der „determinierenden Tendenz", des „Vorsatzes", der „Aufgabe": die e r l e b t e dynamische Gerichtetheit. Betz ([a. a. O.]; 21 u. a. O.) setzt die Einstellung der Vorstellung entgegen, und zwar als die „Weise", wie man sich dem Gegebenen gegenüber „verhält": „Probieren", „Anpassen" und ähnliches sind Umschreibungen dessen, wie man sich dem materialiter Vorfindbaren gegenüber „einstellt". Einstellung meint also hier die operative Zugangsweise zu den materialen Komponenten kognitiven Geschehens. Auch Irion [586], Levine und Murphy [733] setzen die Einstellung dem „Material" (z. B. „Lernmaterial") entgegen. Immer stellt „Einstellung" die aktuelle Rahmenbedingung dar, die den „Inhalten" ihre Ordnung gibt. Jersild [597] unterscheidet Einstellungen verschiedener Ordnungsebene, wobei diejenigen höherer Ordnung verschiedene Einstellungen niederer Ordnung „regeln". Bei den angloamerikanischen Autoren tritt der Erlebnisaspekt, wie nicht anders erwartet werden kann, zurück. Zur Frage, ob es auch „unbewußte Einstellungen" gibt (dazu Ach [a. a. O.], Koffka [674 u. a. O.], Strohal [2496]), sei im Vorübergehen angemerkt, daß sie offensichtlich falsch gestellt ist. Definiere ich die Einstellung erlebnisdeskriptiv, so kann es per definitionem nichterlebte Einstellungen nicht geben. Bestimme ich sie aber in einem funktionalen Bezugssystem (z. B. als selektiven Mechanismus), so muß gefragt werden, ob den selektiven Ordnungsprozessen (oder anderen
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„Einstellung" genannten Funktionen) spezifische Erlebnisse der „Gerichtetheit" stets zugeordnet sind oder nicht. Dieses Problem sei hier nicht weiter verfolgt (s. Gutjahr [a. a. O.]). Mit der Berliner Gestalttheoretischen Schule trat neben das Modell der Selektion dasjenige instabiler Zustände energetischer Systeme (Felder). Bei Koffka [674], Lewin [a. a. O.] und anderen sind Einstellungen keine Schaltungen, durch die die Auswahl zwischen verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten reguliert wird (so z . B . auch Tresselt - Leeds [1258], Carmichael [216], Ludiins [776], Vinacke ([1280]; 185). Gestalttheoretisch betrachtet, ist Einstellung Gerichtetheit, „Eingestelltsein-auf", und wird expliziert im Modell der feldimmanenten Dynamik, mit der ein energetisches System aus einem instabileren in einen stabileren Zustand übergeht (dazu auch Henle [525 u. a. O.]). Für den Bereich der Problemlösungen wird die Felddynamik von Duncker gegen N. R. F. Maiers Unterstellung verteidigt, eine spezifische Gerichtetheit („direction") trete gleichsam zur situativen Konstellation hinzu [794, 307], Einstellung ist so aber ein energetisches Gefälle, eine „Spannung". Spannung ist bei jedem „Quasibedürfnis" vorhanden ( L e w i n [a. a. O.], Fuchs [a. a. O.]), und selbst die periphersten kognitiven Einstellungen können als solche Quasibedürfnisse betrachtet werden. Aber auch die Tendenz zur mnestischen Paarbildung, über die schon im Zusammenhang mit dem Ähnlichkeitsproblem gesprochen wurde (s. o. S. 58 f.), ist eine feldimmanente „Spannung". Das Moment der Gerichtetheit (Tendenz), keineswegs aber die technischphysikalische Metaphorik, findet sich auch im Einstellungsbegriff der Leipziger Schule F. Kruegers. Einstellungen sind (oft) relativ kurz andauernde Gerichtetheiten, „Leistungsbereitschaften", kognitiver, aber auch emotionaler und voluntativer Art, die als Untergliedstrukturen in umfassendere personale Bestände eingebunden sind (vgl. u. a. Wellek [1324]; 108) 21 . Fragt man sich, nach welchen „Maßgaben" zum einen gerade diese Schaltung entsteht und keine andere, nach welchen „Maßgaben" gerade dieses Motivationssystem in „Spannung" versetzt wurde, so kann man in der Literatur unter anderem 1. die „psychische Ganzheit", das totale Sosein und So-Gewordensein eines Menschen, 2. den biologischen Status des Organismus (z. B. Hunger, Ermüdung), 3. autochthone (psychophysiologisch isomorphe) Systembedingungen und 4. gespeicherte Erfahrungsresultate (habits) auffinden. Sie alle werden als Determinanten für Einstellungen betrachtet. Es ist wohl nicht verwunderlich, daß schon diese Vielzahl von Bedingungen zur heterogenen Verwendung des Einstellungsbegriffs beigetragen hat. 21 Vgl. auch G.W .Allport Henle [515],
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[i9], Vinacke
([a. a. O.]; 311), Peak
[959] und
Neuestens verwendet Viktoria Brandner [147] den Einstellungsbegriii für „persönliche Grundeinstellungen" (667). Aber auch „Hypothesen", „Erwartungen", „determinierende Tendenzen" und „attitudes" sind bei ihr Einstellungen. Die Kennzeichnungen, die die Autorin für die Einstellungen bereithält, umfassen unter anderem auch die motivationale Determination von „Prozeßabläufen", die bewirken, daß dieses „sinnvoll, zielgerichtet und geordnet" verlaufen (664). Solche terminologischen Ausweitungen, die Reaktionsdeterminanten umschriebenster Art wie auch zentrale Persönlichkeitsmerkmale mit einem und demselben Wort bezeichnen lassen, müssen wir für wenig zweckvoll halten. Uberblickt man die Vielfalt definitorischer Möglichkeiten, so zeigt es sich zum einen, daß „Einstellung" zunächst einmal entweder (A) erlebnisdeskriptiv oder aber (B) funktional-ordnungstheoretisch oder (C) im weiteren Sinne „persönlichkeitstheoretisch" betrachtet werden kann. Eine Vermischung dieser Bezugssysteme macht jede begriffliche Klärung unmöglich. Sollen E i n s t e l l u n g e n im Rahmen unseres Themas funktional untersucht werden ( = B), so kann man sie (1) als s e l e k t i v e k o g n i t i v e F u n k t i o n e n ansprechen (die allenfalls in motivationale Systeme e i n g e b e t t e t zu denken wären). Diese S e l e k t i v i t ä t kann (a) nur als deskriptives Mittel zur beschreibenden Einordnung empirischer Daten benutzt werden; sie kann aber auch (b) im Sinne verschiedener Modellvorstellungen (beispielsweise als hirnphysiologische Mechanismen) hypostasiert werden. Einstellungen können (2) eine dynamisch-motivation a 1 e Bestimmung erhalten (Lewin) und ebenfalls wieder (a) im deskriptiven und (b) im explikatorischen Sinne betrachtet werden. Die zweite (dynamische) Fassung des Einstellungsbegriffs führt in die nächste Nähe des Motiv- und Motivationsbegriffs. Bekanntlich bezeichnet Tolman Motive als „intervenierende Variablen" ([1250], vgl. Brown-Farber [157]). Sie sind demnach zunächst nur h y p o t h e t i s c h e K o n s t r u k t i o n e n , die zur Interpretation beobachtbarer Reaktionsdaten unterstellt werden, ohne selbst der Beobachtung zugänglich zu sein. Für andere Forscher sind Motive aber - im Sinne der Alltagserfahrung - schlicht e r l e b b a r e Phänomene. So beschreibt G. Murphy [92 i ] den Menschen - die Motive hypostasierend - geradezu als ein „ S y s t e m v o n M o t i v e n " (vgl. auch McClelland [832]). E r leitet die aktuellen „states of readiness", die etwa den Einstellungen im Sinne der ersten Version entsprechen, aus der jeweiligen Motivationslage des Individuums ab. Motive „aktivieren" und „richten" auf diesem Wege das Verhalten; sie geben ihm seine Persistenz (Littmann [a. a. O.]; 121 ff.)22. 22 Wellek wie vor ihm Ach, Linke, Pfänder u. a. verwenden den Terminus „Motiv" in einem engeren willenstheoretischen Sinne. Die Motivation wird dem Willen im engeren Sinne gegenübergestellt; dieser „wählt unter den Motiven aus"; jene gehören eher zur „Triebunterbauung" des Willens; sie sind vitalnahe ([1324]; 10811.). Beim „gereiften Menschen, der (im günstigsten Falle) einen
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Murray ([9J6]; 509 ff., vgl. auch Rosenzweig [1084]) betrachtet die Erfassung des kognitiven Geschehens unter dem Aspekt der Bedürfnisse und Motive („press-need-pattern") als e i n e n möglichen deskriptiven Z u g a n g , dem das Reiz-Reaktions-Bezugssystem als eine a n d e r e B e s c h r e i b u n g s m ö g l i c h k e i t zur Seite steht (vgl. schon Tolman: molecular vs. molar behavior). Motive werden in diesem Sinne als Bedürfnisse verstanden; das kognitive Geschehen wird unter dem „biozentrischen" Aspekt der B e d ü r f n i s b e f r i e d i g u n g (oder der Daseinsbewältigung) g e s e h e n . Im Bewußtsein, daß sich angesichts der vorliegenden terminologischen Situation Willkürlichkeiten nicht vermeiden lassen, schlagen wir für den gegenwärtigen Zusammenhang die folgenden Unterscheidungen vor: a) Das Wort „ E i n s t e l l u n g " bezeichnet die jeweilige (empirisch erschließbare) Verarbeitungsweise kognitiver Materialien beziehungsweise das „Programm", nach dem mit kognitiven Materialien (Informationen der Außenwelt und/oder Informationen, die mnestisch gespeichert waren) operiert wird. Ein Beispiel ist das Eingestelltsein auf den Wortlaut oder den „Sinn" eines gemeinsprachlichen Satzes. Die Fragen, warum im konkreten Falle gerade diese Einstellung vorliegt und nicht jene, warum diese Einstellung sehr persistent ist und jene leicht durch eine dritte ersetzt wird usf., sind interpretativer Natur und im Einstellungsbegriff selbst noch nicht vorentschieden. Wir dürfen dafür nach den gegenwärtigen Überlegungen zum mindesten drei Bedingungskomplexe erwarten (autochthone Bedingungen, Lembedingungen, „motivationale" Bedingungen). b) „ M o t i v a t i o n " , „m o t i v a t i o n a 1", „ M o t i v " sind Interpretationsbegriffe, die ihren Platz in einem spezifischen methodalen Bezugssystem haben: dem „biozentrischen" Bewältigungsaspekt (s. u.). c) „ M o t i v a t i o n a l e E i n s t e l l u n g " , „motivationale G e r i c h t e t h e i t " u. ä. sind Einstellungen (s. o.), die unter dem Bewältigungsaspekt beschrieben beziehungsweise interpretiert werden 23 . Das Erkennen nicht als selbständige und unabhängige Grundbestimmung des Menschen zu betrachten, sondern als ein Instrument der L e b e n s b e w ä l t i g u n g , der „Selbsterhaltung", der „biologischen Zweckmäßigkeit", es zugleich als gefärbt durch das „Begehren" zu verstehen - nimmt man dieses in seiner früheren umfassenderen Bedeutung - , ist eine Selbstinterpretation des Menschen, die wir so weit zurückverfolgen können, wie die Überlieferung reicht. ,Charakter' schon hat", steht die gesamte Persönlichkeitsausformung (Werthaltungen!) „beliebigen Motivierungen von vornherein im Wege" (111). 23 Graumann ([447]; 168 u. a. O.) lehnt die Unterscheidung von motivationalen und bloßen Einstellungsfaktoren ab; beide sind vom „Aufgabe-Charakter der Situationen intentionalen Sich-Verhaltens" umgriffen (176).
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So findet man in den Upanischaden des Veda: „Der Mensch ist ganz und gar gebildet aus Begierde; je nachdem wie die Begierde ist, danach ist seine Einsicht; je nachdem seine Einsicht ist, danach tut er das Werk." Diese Auffassung zieht sich durch die voluntaristischen und die biozentrischen Menschenbilder aller Zeiten24. Uns relativ nahe stehen die Thesen Fichtes vom Vorrang des Praktischen oder Schopenhauers voluntaristische Auffassung, unsere Begriffe seien Handlungsmotive25. Auch beispielsweise Vaihinger betrachtet das Denken als Mittel des „Willens". Vor allen anderen ist aber selbstverständlich an Nietzsche zu denken: „Bewußtsein ist so weit da, als Bewußtsein nützlich ist." Lebensphilosophische Konzepte (vgl. Gehlen [a. a. O.]), zum anderen die mit Freuds epochemachenden Entdeckungen einhergehenden deskriptiven Bereicherungen und wohl auch die Wiederentdeckung biologischer Betrachtungsweisen in der Psychologie (vgl. aber schon H. Spencer) führten - wie auch die besprochenen empirischen Ansätze bei Ach und Lewin - zur Erweiterung der denk- und erfahrungstheoretischen Modellvorstellungen in Richtung auf das „Dynamische", „Motivationale" und „Emotionale". So wurde bereits an Hand von Lewins Interpretation der Achsdien Befunde (s. o. S. 64 f.) aufgewiesen, daß das Bezugssystem der Motivation dem deskriptiven Inventar der Psychologie ganz neue Beschreibungsmittel hinzubeziehungsweise wiedergewann. Wenn nun aber versucht werden soll, diesen Gesichtspunkt genauer zu untersuchen, so stellen sich, trotz der vorausgegangenen terminologischen Klärungsversuche, nicht unerhebliche theoretische Schwierigkeiten ein. Denkt man an die „klassische" Interpretation kognitiver Ordnung durch das assoziationstheoretische Kontiguitätsprinzip, so spricht man heute oft etwas abschätzig von der „Assoziationsmechanik" der früheren Psychologie. Bühler [1428] kennzeichnet die Assoziationspsychologie als „mechanistisch". Heute wird gleichwohl von der „Motivationsdynamik" gesprochen, und es könnte so scheinen, als bestünde zwischen „Mechanik" und „Dynamik" kaum ein Unterschied. Gemeinsam ist beiden Modellen in der Tat der Versuch, (1) Reaktionen, zum Beispiel Art und Menge von reproduktivem Material (vgl. z. B. Ebbinghaus [313], aber auch Zeigarnik [a. a. O.]), vorauszusagen. Zum anderen (2) hypostasiert man die Abhängigkeit der Reaktionen, indem man einmal q u a s i m e c h a n i s c h e Beziehungen zwischen einzelnen psychischen Elementen ( = Assoziation), ein anderes Mal quasidynamische Determinanten komplexer Art (Vektoren u. ä. bis hin zu „Trieben") unterstellt, die als F e l d b e d i n g u n g e n wirksam werden. Das Modell der Assoziation gründet augenscheinlich in Vorstellungen der 24 Vgl. die Begriffsbildungen bei Augustinus (voluntas, intentio animi), Johannes v. Salisbury (passiones), Abaelard (delectatio, voluntas), Descartes (passions de l'âme, désir, perturbationes), Spinoza (appetitus). (Eine ausgezeichnete Darstellung dieser nicht zuletzt für den Psychologen überaus interessanten Ideenentwicklung gibt Windelband [I5Ü]. 25 Vgl. z. B. A. Gehlen: Die Resultate Schopenhauers. In: Gedächtnisschr. f. A. Schopenhauer zu seinem 150. Geburtstag. Berlin 1938.
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klassischen Mechanik, das der Feldbestimmtheiten in der physikalischen Feldtheorie. Beide Modelle sind insofern cum grano salis physikalistisch im Verstände von Brunswiks „thematischem Physikalismus", den dieser Autor für die Psychologie verwirft. Sicherlich geht nun aber in das Motivationskonzept eine Bestimmung ein, die nicht im feldtheoretischen Bezugssystem beschrieben werden kann: Erfolgt ein kognitiver Vorgang aus „quasimechanischen" Gründen, beispielsweise als Paargliedreproduktion bei sinnlosen Silbenpaaren, so hat er den p h ä n o m e n a l e n C h a r a k t e r des „Determinierten", zugleich des Persönlichkeitsirrelevanten und gewissermaßen Ich-Fernen, des Widerfahrenden. Erfolgt ein kognitiver Vollzug jedoch „aus einem Motiv heraus", so hat er den Charakter der Persönlichkeitsrelevanz und der Ich-Nähe. Zugleich ist er - um also erlebnisphänomenologische Argumente zu benutzen emotional getönt, das heißt gefühlsgeladen, gewissermaßen zuständlich und im ganz spezifischen Sinne „mein eigener". So „drängt" es mich, die Aufgabe, die ich nicht gelöst habe, zu beenden; ich habe ein unlustvolles Spannungsgefühl. Von alledem kann beim assoziativen Einfall des einst mitgelernten Paarglieds keine Rede sein; den „einfallenden" Inhalt nehme ich in der Regel ganz unbewegt zur Kenntnis. (Vgl. auch: Gedächtnis und Erinnerung bei Wellek.) So geht denn das, was mit Motivation gemeint sein kann, über die Ersetzung des einen physikalischen Modells durch ein anderes hinaus. Der Psychologe, der im Ernst behaupten wollte, im p h y s i k a l i s c h e n Feldmodell seien substantielle „Kräfte" mitgegeben, ein Feld habe einen „Drang" zum energetischen Gleichgewicht, machte sich zum Gespött der Physiker. So spricht denn auch Zeigarnik ([a. a. O]; 3) davon, Quasi-Bedürfnisse seien den Spannungszuständen „ ä q u i v a l e n t " . Gehen aber in die Beschreibung des motivationalen Geschehens „Kraft", „Drang", „Spannung" und ähnliches ein, so kann man diese Bestimmungen nicht aus dem rechtverstandenen physikalischen Feldmodell beziehen, sondern nur aus der I n t r o s p e k t i o n und allenfalls aus dem F r e m d v e r h a l t e n . Bildet man diese Erlebnisqualitäten im Feldmodell ab, so muß man wissen, daß es sich hier nur um Analogien - um Zeigarniks „Äquivalente" - handeln kann. Übrigens ist die qualitative Skala der Spannungen, Dränge, des „Motiviertseins", unendlich breit; behandelt man sie alle nur im Sinne der Feldtheorie als (autochthone) „Tendenzen", „Vektoren" usf., so begibt man sich der Fülle der Beschreibungsmöglichkeiten: Die „Tendenz zur Unlustverminderung" (Peters), die kognitive „Schließungstendenz" (Zeigarnik), sexuelle Triebspannungen, der Appetit, die Spielleidenschaft, der Anankasmus usw. usw. und deren ontogenetische wie auch unter Umständen aktuellsituative Entwicklung sollten nicht alle auf das eine Konzept des energetischdynamischen Gefälleausgleichs reduziert werden. Ganz abgesehen davon, 110
ob Psychisches überhaupt auf Physikalisches zurückgeschnitten werden soll, ist das Feldkonzept nach allem zu abstrakt und zu merkmalsarm, als daß es die Vielfalt des unter dem Titel der Motivation beschreibbaren psychischen Geschehens hinreichend erfaßbar machte. Daß eine Beschreibung der „Motivationsdynamik" o h n e die Reduktion auf das Feldmodell möglich ist, zeigte schon vor langem Fr. Sander in seinen aktualgenetischen Arbeiten (vgl. auch Graumann [446]). Aber auch beispielsweise R. Fuchs hat sich in eingehender Weise mit dem feldtheoretischen Modell auseinandergesetzt. Im Sinne der frühen Leninschen Thesen postuliert Fuchs ([397]; 134): „Motivationen sind stets mehr oder weniger unselbständige Glieder des gesamten dynamischen Systems eines Menschen." Für den Autor treten „dynamische Prozesse", die sich im Erleben als Schmerz, Hunger oder dergleichen repräsentieren, neben die kognitiven Komponenten des psychischen Geschehens. Der Mensch ist gewissermaßen „mehr als" nur ein Medium, in dem sich (erkenntnisrelevante) Weltgehalte abbilden, modifiziert werden und wieder zutage treten. Erfahrungsgehalte werden vielmehr in mehr oder minder konstante dynamisch-motivationale Systeme eingelagert. Auf die interessante Weiterung, daß diese Einlagerung durch eine a k t i v e „Verknüpfung" des Kognitiven mit dem „Dynamischen" geschehe (vgl. „Vorsatzbildung", „Gewißheit"), braucht im gegebenen Zusammenhang nicht eingegangen zu werden. Wichtig ist hingegen die von Fuchs experimentell belegte Abweisung der Köhlersdien These, spezifische Lösungsstrategien und deren Anwendbarkeit in verschiedenen Aufgabenserien seien auf autochthone, feldtheoretisch interpretierbare „Zwischenfeldbedingungen" reduzierbar. Fuchs weist demgegenüber nach, daß „Erwartungsbildungen" ( = Hypothesen) zur Interpretation der von ihm untersuchten Lösungsverläufe durchaus hinreichen ([392]; 627ff.). Neuestens zeigt Heckhausen, daß die zum klassischen Feldmodell gehörige Tendenz zur Minderung von Feldspannungen (Tendenz zum Systemgleichgewicht) bei Motivationsverläufen häufig nicht aufweisbar ist; dann aber sind solche Verläufe nicht mit Hilfe des Feldmodells zu bestimmen (Entwurf einer Theorie des Spielens. Psychol. Forsch. 27 [1964]; 225). U. E. ist, insbesondere für die Beschreibung operativer Komponenten des kognitiven Geschehens, auf das Motivationskonzept nicht zu verzichten. Kognitive Vollzüge sind u. E. zur Zeit nicht ohne die V o r a u s s e t z u n g m o t i v a t i o n a l e r Bereiche des P s y c h i s c h e n (Triebe, S t r e b u n g e n , Q u a s i - B e d ü r f n i s s e u s f . ) in befriedigender Weise verständlich zu machen. Deren Reduktion auf „Feldbedingungen" scheint uns den heuristischen Vorteil einer deskriptiven Bereicherung wieder hinfällig zu machen. Halten wir nach allem die Reduktion der Motivation auf ein spezielles 111
physikalisches Modell (Feldmodell) für eine ungerechtfertigte Simplifizierung, so gilt dasselbe für die Reduktion der Motivation auf zu einfache lerntheoretische Modelle. Ein charakteristisches Beispiel für einschlägige lernpsychologische Untersuchungen bietet ein Experiment von Sandra Pyke und N. McK. Agnew [1556]. Die Autoren gehen davon aus, daß die subjektive Bedrohlichkeit einer Aufgabensituation einen negativen Einfluß auf diejenigen kognitiven Leistungen hat, die von „komplexen" Aufgaben gefordert werden. Komplexe Aufgaben sollen solche sein, die die Erkennung und Benutzung relativ vieler „Anhaltspunkte" für die Aufgabenlösung notwendig machen (cue utilization). Die Leistung bei einfachen Aufgaben (wenige Anhaltspunkte werden zur Aufgabenlösung benötigt) leidet hingegen unter der Bedrohlichkeit nicht. Die Autoren beabsichtigen, diesen Sachverhalt am Beispiel des unmittelbaren Behaltens von Ziifemfolgen („Zahlennachsprechen") zu exemplifizieren. Sie evozieren die subjektive Bedrohlichkeit der Situation durch die Androhung von Strafe für jeden gemachten Fehler mittels (zuvor bereits „verspürter") elektrisdier Schläge (noxious Stimulation). Es ergeben sich 3 experimentelle Bedingungen: (1) zuerst Zahlennachsprechen ohne Bedrohung, dann Zahlennachsprechen mit Bedrohung, (2) zuerst Zahlennachsprechen mit Bedrohung, dann Zahlennachsprechen ohne Bedrohung, (3) nur Zahlennachsprechen ohne Bedrohung (Kontrollgruppe). Es zeigte sich, daß die Leistung nur unter Versuchsbedingung 2, nicht aber unter Versuchsbedingung 1 durch die Strafdrohung beeinträchtigt wurde. Pyke und Agnew interpretieren dieses Ergebnis so, daß im ersten Falle das Zahlennachsprechen bereits „geübt" sei, wenn die „noxische Reizung" einsetzt. „Geübte" Aufgaben seien aber relativ „einfach". Ungeübte Aufgaben, die unter „noxischer Reizung" gegeben werden (Versuchsbedingung 2) seien „komplex" und mithin durch die Bedrohlichkeit der Situation beeinflußt. Es liegt nahe zu vermuten, daß nicht allein der k o g n i t i v e Sachverhalt der V e r e i n f a c h u n g d e r A u f g a b e n durch Übung, sondern auch der m o t i v a t i o n a l e Tatbestand einer R e d u k t i o n d e r U n g e w i ß h e i t bezüglich der Fehler- beziehungsweise Straferwartung zur Interpretation der Ergebnisse herangezogen werden muß. Wie Pyke und Agnew selbst berichten, geht in den fraglichen Sachverhalt die variable habituelle „Angstbereitschaft" (s. u.) der Probanden ein. Sicherlich sind zur nur einigermaßen vollständigen Beschreibung der Sachlage unter anderem die Leistungsstrebigkeit, die Frustationstoleranz, die Erfolgs- vs. Mißerfolgszentrierung u. ä. zusätzlich in Ansatz zu bringen. Grob gesprochen, geht es um die Notwendigkeit, die vieldimensionale Struktur der S i t u a t i o n s b e w ä l t i g u n g beziehungsweise Murrays „press-needpattern" (s. o.) zu berücksichtigen. Ob man den „motivationalen Aspekt" als m e t h o d i s c h e s Bezugssystem behandelt - wozu wir neigen - oder ob man mit d e s k r i p t i v thematischen Hypostasierungen arbeitet, wie es etwa R. Fuchs tut (s. o.), ist dabei nicht einmal von entscheidender Bedeutung. Wichtig ist, daß die motivationale Betrachtung kognitiver Ordnung nicht auf autochthone (z. B. Feldmodell) oder auf Lern- und Übungsbedingungen reduziert wird. 112
Wir fassen zusammen: (1) Wir halten es im Sinne einer heuristischen Bereicherung des deskriptiven Inventars nicht für zweckmäßig, motivationale Faktoren auf autochthone oder Lernbedingungen zu reduzieren26. (2) Wir betrachten den Motivationsaspekt der kognitiven Ordnung als m e t h o d a l e O r d n u n g s b i l d u n g im Bezugssystem der Situations- und Daseinsbewältigung.
Sieht man, im Sinne der von uns für den gegenwärtigen Zweck gewählten Beschränkungen, von erlebnisphänomenologischen Argumenten für die Unterstellung von Motivationsdeterminanten kognitiver Ordnung ab, so ist dennoch hinreichend Anlaß gegeben, kognitive Ordnungsbildungen unter dem Aspekt der Motivation beziehungsweise unter dem Bewältigungsaspekt zu betrachten 27 . Es ist hier nicht der Ort, die kaum zu übersehende einschlägige Literatur zu referieren (vgl. hierzu z. B. das ausführliche Literaturreferat von Jäger [a. a. O.]). Sie besteht zum überwiegenden Teil aus experimentellen Einzeluntersuchungen, deren Ergebnisse sich zudem häufig zu widersprechen scheinen: Werden beispielsweise unerledigte Aufgaben besser oder schlechter erinnert als erledigte? Wie verhält es sich dabei mit der „Ich-Beteiligung" („ego-involvement") oder mit der Zeit, die zwischen der Aufgabensituation und der Reproduktionssituation vergangen ist? Welche relativ konstanten Persönlichkeitsmerkmale, die offenbar als intervenierende Variablen in die experimentelle Fragestellung eingehen, lassen sich empirisch sichern (vgl. Jäger [a. a. O.])? Verbessern die „Lernabsicht" oder der „Ehrgeiz" oder aber die„Leistungsstrebigkeit" das Lernresultat? Alle diese Gegenstände der empirischen Forschung sind noch weithin offene Probleme. Bei der Uberschau der bisher vorliegenden Ergebnisse kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Differenzen und Widersprüche der experimentellen Resultate nicht allein auf die unterschiedlichen Versuchsanordnungen reduziert werden können. Uns scheint vielmehr die oft zu große experimentelle Formalisierungshöhe beziehungsweise die zu weitgehende (operational-definitorische) Konstantsetzung wichtiger Faktoren des gesamten Beziehungsgefüges die bisherigen Ergebnisse ungünstig zu beeinflussen. Bisweilen fehlt offenbar die Vergegenwärtigung des phänomeno29 Demgegenüber hält es zum Beispiel Rausch ([1041]; 479) angesichts der heutigen Forschungslage für besser, wenn die Denkpsychologie zunächst die „kognitiven Prozesse" für sich allein - ohne den Rückgang auf Motivationales - untersucht. - A. O. Jäger faßt die gestalt- beziehungsweise feldtheoretischen Konzepte mit den im engeren Sinne motivationstheoretischen Ansätzen unter dem Titel „funktionale Theorien" zusammen ([593]; 11 ff.). 27 Zur Motivationstheorie des Denkens und des Gedächtnisses vgl. u. a. H. Maier [793], H.W.Meyer [870], Woodworth [a.a.O.], F. Krueger [712], Lewin [a. a. O.], M. F. Washhum [1299], C. L. Hull [572 u. a. O.L Guthrie [460], G.W. Allport [20], Rapaport [1036], McGeoch [840], G.Murphy [911], Murray [916], McClelland [832 u. a. O.], Irwin [587], Henle [515], R. S. Peters [969],
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logisch aufzuhellenden Gesamtsachverhalts der Motivation. Sie sollte zum mindesten stets zur Unterscheidung der folgenden Bedingungskomponenten führen: Mit dem Sachverhalt der M o t i v a t i o n s a b h ä n g i g k e i t des k o g n i t i v e n G e s c h e h e n s scheint gemeint zu sein, daß (1) ein Mensch von spezifischer (relativ konstanter) Eigenart, der zudem (2) in einer bestimmten temporären psychischen (emotional-volitiven) Verfassung ist, (3) in einer zu bewältigenden Gesamtsituation mit (4) speziellen kognitiven („materialabhängigen") Aufgaben befaßt ist. Diese 4 Komponenten konnten (durch experimentelle Konstanthaltung der 3 übrigen) als am „Motivationsprozeß" beteiligt aufgewiesen werden; das heißt: Sie alle determinieren beziehungsweise modifizieren kognitive Vollzüge (die meist im Bezugssystem der „kognitiven Leistung" beschrieben werden). Die Motivationsabhängigkeit der W a h r n e h m u n g , deren Beachtung geradezu den „New Look" der Perzeptionstheorie ausmacht, ist im gegebenen Zusammenhang nicht zu besprechen (vgl. u. a. Postman [1012], Luchins [778], Heider [503] u. v. a.). Es wurden jedoch auch diejenigen kognitiven Vollzüge, die Gegenstände der D e n k - und G e d ä c h t n i s p s y c h o l o g i e sind, unter den verschiedensten Forschungsansätzen als m o t i v a t i o n s a b h ä n g i g erkannt. Man denke nur an die motivationalen Einflüsse auf D e n k v o l l z ü g e verschiedenster Art (zum Beispiel Rees-Israel [1051], Luchins [776 u. a. O.], Morgan [892], Szekeli [1227], Tresselt-Leeds [1258]; vgl. auch Newcomb [921] u. v. a.), sowie auf die Art und die Intensität von R e p r o d u k t i o n s v o l l z ü g e n . Man vergleiche dazu die Arbeiten von Freud [u. a. 384], W. Peters [970] bis hin zu Ovsiankina [946], Levine-Murphy [733], Lewis [742], Alper [28],Prentice [1028], Atkinson [49], Turner-Craig [1262], Postman-Solomon [J023], Goldstein [429], Underwood [1266], Gutjahr [462], Kornadt [692] und läger [a. a. O.]. Die Motivationsabhängigkeit von S c h ä t z u n g e n untersuchten u . a . Brunswik ([178]; 120 f.), Munn [910], Marks [811], Prohanskij [1030], Ansbacher [34], Bruner-Goodman [167] und Bruner-Rodrigues [175], von „ a s s o z i a t i v e n E i n f ä l l e n " beispielsweise Zedek [1409] und von L e r n m e t h o d e n („Strategien") Edwards [320], KarolchuckWorell [628], Irion [586], Mittag [885] und Gutjahr [a. a. O.]. Motivationale Einflüsse auf G e g e n s t a n d s b e s c h r e i b u n g e n wiesen Viergutz [1279], auf die Lösung von Z e i c h e n a u f g a b e n Gantschewa [400] und Klauer [660] und auf A u s s a g e l e i s t u n g e n Zillig [1413] und Fritzsche [389] auf. Auch R e a k t i o n s z e i t e n stehen unter motivationalen Bedingungen (Botwinick-Brinley-Robbin [1425]). a) Am schwersten scheint es bisher gewesen zu sein, P e r s ö n l i c h k e i t s k o n s t a n t e n , das heißt relativ lang überdauernde Gerichtetheiten des Menschen (Werthaltungen, „Charakterzüge," „Daseinsthemata" 114
[s.u.]), als Bedingungen für umschriebene kognitive Verhaltens- und Erlebniseigentümlichkeiten experimentell zu sichern (vgl. unten: Persönlichkeitsrelevanz). Selbstverständlich ist die Mitbedingtheit unseres Weltinnewerdens durch unsere Persönlichkeitsartung ein phänomenologischer Grundsachverhalt, der (zum mindesten in unserem Kulturraum) kaum bezweifelt wird. So untersuchte die Leipziger Psychologenschule — um nur einige wenige experimentelle Beiträge zu nennen - die Abhängigkeit verschiedener Wahrnehmungs- und Auffassungsleistungen (Farb-Form-Bevorzugung, „erkennendes Tasten" und anderes) von t y p o l o g i s c h formalisierten Persönlichkeitsmerkmalen („analytischer" vs. „gefühlsganzheitlicher" Typ (.Sander [1101], Ipsen [584], Wellek [1324], Hippius [544], SchmidtDurban [1128], Sdiadeberg [1109] u. a.)28. Der McClelland-Kreis prüfte die Beeinflussung operativer Zugangsweisen (zum Beispiel die Beachtung von „Nebensächlichkeiten") durch die L e i s t u n g s s t r e b i g k e i t („need for achievement") (Atkinson [49], Karolchuck-Worell [628], vgl. auch Bruner-Postman [173], Mittag [885]29). Die F r u s t r a t i o n s t o l e r a n z , die „Angstbereitschaft" (Eriksen [335], Goldstein [429], Klauer [660]), die „ I n t o l e r a n z g e g e n M e h r d e u t i g k e i t " (Frenkel-Brunswik [3SI],'Witkin [1374]), die habituelle U r t e i l s v o r s i c h t (Fritzsche [ a . a . O . ] ) , spezifische W e r t h a l t u n g e n (Brunswik [a.a.O.], Bruner-Goodman [167]), vor allem aber auch die habituelle R i g i d i t ä t (vgl. auch das Problem des „Dogmatismus") (H. Werner [1346], Cattell [233], Rokeach [1074], Henle [5J5], Luchins [777]) wurden ebenfalls untersucht. (Zur neueren Kritik des Ansatzes vgl. u. a. Wand [1292], Hörmann [1452].) Es besteht die berechtigte Hoffnung, daß solche Persönlichkeitsmerkmale in ihrem Einfluß auf kognitive Vollzüge auch experimentell in befriedigender Weise zu belegen sein werden. Noch sind die Ergebnisse gleichwohl keineswegs zufriedenstellend. Der Grund dafür mag unter anderem in der zuweilen wenig phänomengerechten empirischen Verfahrensweise der experimentellen Persönlichkeitsforschung gelegen sein (hierzu vgl .Wellek [1329]; 122 ff., 181 ff., 215 ff., 239). b) Es dürfte demgegenüber methodisch leichter sein, die Abhängigkeit 28 Evoert (mit Helga de la Motte) gelang im Mainzer Arbeitskreis kürzlich unter anderem der Aufweis, daß die „Prozeßrigidität" bei Schätzleistungen (Gewichtsschätzungen bei optisch dargebotenem Material) mit Persönlichkeitseigentümlichkeiten („Perseveration"), die im Deutetest von Vetter-Wartegg repräsentiert waren, signifikant kovariieren (noch nicht veröffentlicht). 29 Klauer [a. a. O.] konnte in einer faktorenanalytischen Untersuchung der „Überforderung bei Zeichenaufgaben" (Mainzer Dissertation 1959) die Faktoren „Furcht vor Mißerfolg" und „Einstellung der Unverbindlichkeit und Unbekümmertheit" vom Faktor „Leistungsmotivation" trennen. (Vgl. neuestens Heckhausen (Hoffnung und Furcht in der Leistungsmotivation. Meisenheim a. Gl. 1963).)
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kognitiver Leistungen von temporären Komponenten, vorübergehenden Einstellungen und Befindlichkeiten der Pbn, experimentell anzugehen. Andererseits ist es schwierig, die situativen Bedingungskomponenten, die eher „in der Persönlichkeit" gelegen sind, von solchen zu trennen, die eher „von der Aufgabe her" zu beschreiben sind. Der Sachverhalt „ S i t u a t i o n " umgreift ja den Menschen und die „Welt", so daß es auch hier nur immer um A k z e n t u i e r u n g e n , nicht aber um scharfe Trennungen gehen kann (vgl. her sài). Kornadt ([a.a.O.]; 365ff.) gibt seinen Vpn die Suggestion, sie sähen sich in der Folge „Gemeinheiten" gegenüber. Zeigt man ihnen daraufhin beispielsweise ein Bild, auf dem ein Mensch mit einer Katze dargestellt ist, so häufen sich Deutungen wie: „Man will die Katze abmurksen". Unter anderen motivationalen Bedingungen „krault" der Mensch die Katze, er „hat sie gern", usf. Die kognitive Ordnungsbildung ist deutlich motivationsabhängig; das heißt die Situationsauffassung ist von der (experimentell evozierten) emotionalen Geriditetheit beeinflußt.
Das (nicht habituelle, sondern temporäre, situative) A n s p r u c h s n i v e a u (vgl. Hoppe [567], Jucknat [606], Gardner [403], ChapmanVolkmann [238], Hansche-Gilchrist [477], u.a.) oder beispielsweise der H u n g e r (McClelland [837], Atkinson [50]), die A n g s t 3 0 (Mowrer [897], Solomon-Wynne [1491]) und der Ä r g e r (Derubo [285]) können als s i t u a t i v e P e r s ö n l i c h k e i t s b e d i n g u n g e n aufgefaßt werden, die das kognitive Geschehen mitbestimmen. c) Demgegenüber dürften G e f a h r (Wapner et al. [72,93]), situative B e 1 a s t u n g e n (N. R. F. Maier [800], Bruner et al. [168 u. a. O.], Mierke [874]), das von der Aufgabesituation geforderte E n g a g e m e n t (Marrou) [814], Wallen [1291], Rosenzweig [1082], Lewis [742], Shaw-Spooner [1163], Glixman [422], Eriksen [334], vgl. Taft [1229], Jäger [a. a. O.]) und das A u f g a b e r i s i k o (Bruner et al. [a. a. O.]) besser als s i t u a t i v e A u f g a b e b e d i n g u n g e n beschrieben werden. Botwinick et al. [a. a. O.] untersuchten die Abhängigkeit auditiver Reaktions-Zeiten von leichten elektrischen Schocks. Sicherlich handelt es sich bei alledem um ein Interdependenzverhältnis von personalen und Aufgabekomponenten; Für den (temporär) Ängstlichen ist die Aufgabe „risikovoll"; umgekehrt „macht" das Aufgaberisiko „Angst" („Furcht"). Daß die gewaltsame Zweiteilung der Situationsganzheiten zu experimentellen Fehlansätzen führen kann, wurde betont (vgl. auch Graumann [a. a. O.]). 30 R. B. Cattell und seine Mitarbeiter sind dabei, die kognitive Relevanz von Furcht und Angst in einem umfangreichen Forschungsprogramm aufzuklären
[1523, 1524, 1550].
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d) Sieht man von den bisher beschriebenen Komponenten ab, so sind es auch s p e z i f i s c h e M a t e r i a l m e r k m a l e , die in kognitive Vollzüge „motivierend" eingehen. Man denke nur an die mehrfach erwähnten u n e r l e d i g t e n A u f g a b e n (vgl. auch Pachauri [953], Ovsiankina [946], Postman-Solomon [1023], Prentice [1028] u.v.a.). Daß der Zejgarnifc-Effekt keineswegs nur im Bezugssystem der autochthonen Felddynamik beschrieben werden kann, wurde betont. Was die reproduktive Bevorzugung des „ a n g e n e h m e n " k o g n i t i v e n Materials betrifft (Peters [a.a.O.], vgl. auch Cason [226], Sharp [1489], White, [i360], aber Lafol [720] u. a.), so erhielt man durchaus uneinheitliche Ergebnisse. Immerhin dürfte es sinnvoll sein, von den Charakteren der Gesamtsituation (zum Beispiel „Prüfung") Merkmale des Einzelmaterials (zum Beispiel erledigte vs. unerledigte Aufgaben) zu trennen. Uberblickt man die 4 ad hoc akzentuierend unterschiedenen Komponenten der motivationalen Bedingungen kognitiver Ordnung, so mag man zu recht unzufrieden sein. Es handelt sich um deskriptive Formalisierungen, die, der Logik der experimentellen Verfahren entsprechend, als „experimentelle Variablen" behandelt werden. Der experimentierende Forscher „vernachlässigt" beispielsweise die konstanten Persönlichkeitsmerkmale und verläßt sich auf die statistische „Zentraltendenz". Oder er setzt auch noch die Motivationseigenschaften der Gesamtsituation als konstant und variiert nur die speziellen Materialeigenschaften. So geschieht es denn, daß emotional „positiv besetztes" Material nach Sharp [1489], White [1360] und anderen b e s s e r , nach Laffal [720], Waters-Leeper [i302] und anderen aber s c h l e c h t e r behalten wird. Jäger [a. a. O.] konnte aufzeigen, daß die im Experiment nicht beachtete „Ichbeteiligung" (also ein Merkmal der Gesamtsituation) als „Störvariable" den Grund für diese Widersprüche abgibt. Eine ähnliche Sachlage besteht für den Zeigarnik-ESekt (s. o.). Ein theoretisch noch aufschlußreicheres Ergebnis ist Jägers Befund ([a. a. O.], vgl. Gilbert [420], Bunch [197], Turner-Craig [1262], TresseltLeeds [1258], McGeoch [a. a. O.], Brengelmann [150], Fuchs [a. a. O.]), daß „Mißerfolgserlebnisse" (unerledigte Aufgaben) z u n ä c h s t besser reproduziert werden als „Erfolgserlebnisse" (gelöste Aufgaben), daß sich dieses Verhältnis aber mit der Zeit umkehrt und die Erfolgserlebnisse bald besser zu reproduzieren sind als die Mißerfolgserlebnisse, ja daß sie sogar zum Teil im absoluten Sinne besser erinnerbar werden als zuvor ( = „Reminiszenz"). Dieses Ergebnis scheint in der Tat die Handhabe für eine wesentliche interpretative Bestimmung des Motivationsproblems zu bieten. Nach allem bisher Besprochenen ist „Motivation" der Kernbegriff eines deskriptiven Bezugssystems: des B e w ä l t i g u n g s a s p e k t s . Wie unterscheidet sich in der Regel ein Experiment, das den Einfluß von Moti117
vationsmerkmalen auf kognitive Leistungen betrifft, von beispielsweise einem solchen, das autochthone Gestaltmerkmale untersucht? In beiden Fällen sei die abhängige Variable eine kognitive Leistung. Die unabhängige Variable sei etwa einmal der (experimentell definierte) Hunger der Probanden, zum anderen ein Gestaltmerkmal des zu lernenden Materials (zum Beispiel Mitte vs. Ende der Lernsequenz). Die Unterscheidung liegt im in der unabhängigen Variablen abgebildeten Tatbestand. Dieser kann bei Motivationsexperimenten u. a. als „Bedürfnisspannung" oder als relativ konstante Persönlichkeitsvariable definiert sein. Oder aber Materialeigentümlichkeiten werden u n t e r m o t i v a t i o n a l e m A s p e k t b e t r a c h t e t . So kann eine unerledigte Denkaufgabe als „Mißerfolgsmaterial" beschrieben werden. Sicherlich läßt sich aber eine Motivationslage aufweisen, bei der unerledigte Aufgaben keineswegs „mißerfolgsbesetzt" sind, das heißt bei der sie weder in dieser Weise erlebt werden, noch „vom Ergebnis her" (ex post) so zu bezeichnen sind. Nicht die „objektive" Beschaffenheit von kognitivem Material bildet also den Gegenstand der motivationalen Betrachtungsweise. Gemeinsam ist allen experimentellen und theoretischen Zugängen zur Motivation offenbar der allgemeine L e i t g e s i c h t s p u n k t , kognitive Leistung (kognitive Vollzüge) nicht schlechthin auf ihre „Bedingungen" („w o h e r " ?) zu befragen, sondern auf ihren I n s t r u m e n t a l c h a r a k t e r ; sie helfen, „Situationen" (und darüber hinaus das „Dasein") zu b e w ä l t i g e n („w o z u" ?). Wie sich die „Motiviertheit" i m E r l e b e n r e p r ä s e n t i e r t , ob Hunger „gespürt", die unerledigte Aufgabe als unangenehm „empfunden" wird, ist dabei nicht einmal von primärem Interesse. Seit Freuds Arbeiten ist es bekannt, daß persönlichkeitsrelevante Bewältigungsweisen und „zu bewältigende" Weltgehalte häufig gar nicht „bewußt" sind, daß sie oft gar nicht erlebt, vielmehr „verdrängt" werden. Es ist auch nicht ganz richtig, f u n k t i o n a l - o r d n u n g s t h e o r e t i s c h e Forschungsansätze unter dem Titel „Emotionale Einflüsse . . ." oder ähnlichem abzuhandeln (so zum Beispiel Jäger [a. a. O.]). Nicht das g e f ü h l s m ä ß i g e R e p r ä s e n t i e r t s e i n von „zentralen" und relativ überdauernden oder nur ephemeren Gerichtetheiten der Person, sondern d i e B e t r a c h t u n g k o g n i t i v e r O r d n u n g u n t e r d e m A s p e k t d e r B e w ä 11 i g u n g ist für den M o t i v a t i o n s a s p e k t entscheidend. In dieser „bewältigungstheoretischen" Hinsicht könnte auch der unter anderem von Jäger beschriebene „Umschlag" der Reproduzierbarkeit verstanden werden. Danach wird unter den Voraussetzungen, die mit der Probandenauswahl und der Aufgabesituation gegeben sind, zunächst das Unerledigte besser behalten, weil (!) entsprechend der Situationslage die T e n d e n z zur Erledigung, zum „Nachholen des Versäumten" nachwirkt. 118
Später, wenn man sich gewissermaßen mit der Nichtnachholbarkeit abgefunden hat, e r f o r d e r t die Situationslage die Abdrängung des Mißerfolgs („das Leben geht weiter!"). Beide anscheinend widersprüchlichen mnestischen Selektionen lassen sich so, unter dem „Bewältigungsaspekt", als für die „Daseinsbewältigung" z w e c k v o l l verstehen. Ein solcher interpretativer Aspekt schließt selbstverständlich nicht aus, unter dem Gesichtspunkt etwa der autochthonen Bedingungen die mnestische Selektion feldtheoretisch zu beschreiben. Es ist nur die Frage, welche von beiden methodischen Zugangsweisen heuristisch nützlicher ist. Im gegebenen Zusammenhang dürfte es wohl das motivationale Beschreibungssystem sein (vgl. auch Mittag [a. a. O.]). Bei einfacheren, umschriebenen Sachverhalten genügt vielleicht der „autochthone" oder der „Lernaspekt". Ob die aufgezeigten situativen Bewältigungsmodi „erlernt" wurden oder gewissermaßen apriori vorausgesetzt werden müssen, ist gleichwohl eine durchaus sinnvolle Frage, die allerdings unter dem Motivationsaspekt ( = Bewältigungsaspekt) ausgeklammert bleibt. So können Motivationen als experimentell „ g e s e t z t " oder aber als experimentell „ a k t i v i e r t " gedacht werden. Nach allem bleibt festzuhalten, kognitive Ordnungsbildung könne in der Hinsicht beschrieben werden, ein kognitiver Vollzug diene zur Situations- und letztlich zur Daseinsbewältigung. Als motivationale Komponenten lassen sich 1. relativ konstante Persönlichkeitsmerkmale, 2. eher persönlichkeitseigene, 3. eher „mundane" Situationscharaktere sowie 4. spezifische Materialeigenarten a k z e n t u i e r e n d unterscheiden. Keine dieser Komponenten kann als unabhängig von den drei übrigen betrachtet werden. Besonders die spezifischen Materia1eigenart e n k ö n n e n unter motivationalem Aspekt n i c h t „ f ü r s i e h " , s o n d e r n n u r ex s p e c i e i h r e s m o t i v a t i o n s s p e z i f i s c h e n Charakters bestimmt werden. Motivationale Einflüsse lassen sich sowohl für materiale wie für operative Komponenten des kognitiven Geschehens nachweisen. Immerhin dürfte für die nächste Zeit Cantrils Bemerkung ihre Berechtigung behalten: „Von allen Problemen, denen sich die Psychologen gegenübersehen, widersteht das der Motivation am meisten jeder Simplifikation." ([1522]; 30)
3. Die Persönlichkeitsrelevanz kognitiver Ordnung Man kann - wie betont - das kognitive Geschehen nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Objektivitätsabweichung und der Gegebenheitsmodifikation, und dies im Bedingungszusammenhang mit autochthonen, Lern- und Motivationsfaktoren betrachten. In sehr unmittelbarer Weise kann das Welterkennen eines jeden Menschen als Ausdruck seiner je individuellen Eigen119
art, seines Soseins und So-Gewordenseins, also als p e r s ö n l i c h k e i t s r e l e v a n t aufgefaßt werden. Man hat damit 1. den „individuellsten" Zugang zur kognitiven Ordnung gewonnen; man argumentiert aber 2. zugleich auf der höchsten Abstraktionsebene, die möglich ist. Das widerspricht sich nur scheinbar. Man vergleiche einmal die Aussage, das Weltinnewerden sei letztlich der Ausdruck des unwiederholbaren individuellen Soseins eines Menschen („Persönlichkeitsrelevanz"), mit der im Wefoerschen „Gesetz" formalisierten Aussage über den Zusammenhang von („physikalischen") Reizvariablen und (zum Beispiel im Verbalverhalten objektivierten) Erlebnisvariablen. a) Beide Aussagen betreffen nicht nur e i n e n , sondern viele (in Annäherung: alle) Menschen; beide Aussagen sind a l l g e m e i n . b) Persönlichkeitsrelevanz ist ein Kennzeichen des „ganzen Menschen"; sie betrifft nicht einen engen, umschriebenen Sachverhalt des Psychischen; es handelt sich in diesem Sinne um eine a b s t r a k t e Aussage. Demgegenüber betrifft der Webersche Bruch etwas äußerst K o n k r e t e s „am Menschen". c) Zum anderen ist - um es trivial zu formulieren - kein Mensch wie der andere; die Art seines Weltinnewerdens ist unwiederholbar. Insofern ist das mit dem Terminus „Persönlichkeitsrelevanz" Ausgedrückte aber i n d i v i d u e l l ; das im Weber- Bruch Erfaßte betrifft dagegen keinen Menschen „allein"; er teilt es mit den anderen Menschen: Es handelt sich um „Gattungsmäßiges". Insofern ist der Satz über die Persönlichkeitsrelevanz aber zugleich allgemein, abstrakt und individuell - je nachdem, in welches Bezugssystem man die Aussage einordnet. Der Sachverhalt der Persönlichkeitsrelevanz kognitiver Ordnung kann im vortheoretischen Welterleben schlicht mitgegeben sein. Wenn kognitive Ordnungsbildungen einmal unter dem Titel „unmittelbare phänomenale Mitgegebenheit" (s. o.) und nun unter dem der „Persönlichkeitsrelevanz" betrachtet werden, so ist 1. einmal der zweitgenannte deskriptive Tatbestand ein Spezialfall des ersteren, insofern Persönlichkeitsrelevanz ein „unmittelbar mitgegebener" Ordnungscharakter unter anderen ist. Umgekehrt kann 2. die Persönlichkeitsrelevanz nicht nur vortheoretisch schlicht erlebt, sondern auch theoretisch-deduktiv ermittelt werden; insofern ist die „unmittelbare Mitgegebenheit" ein methodaler Spezialfall für die Persönlichkeitsrelevanz. Es folgt: Beide Bezugssysteme stehen in einem metatheoretisch höchst komplexen Verhältnis zueinander, das im gegebenen Zusammenhang nicht geklärt werden soll. Hier handelt es sich um d e s k r i p t i v e A k z e n t u i e r u n g begrifflicher Modalitäten.
Es ist einsichtig, daß bei entsprechend „agnostizistischer" Haltung des Psychologen die Kennzeichnung des kognitiven Geschehens als persönlichkeitsrelevant gewissermaßen das Ende vom Lied der Psychologie sein könnte. Ist jeder Mensch letztlich „unvergleichbar", so ist die ordnende Vergleichung und damit eine psychologische Theorie d e s Menschen nicht 120
gut möglich. Es bliebe nur die „intuitive" (und nicht einmal vollständig verbalisierbare) Erfassung von Individuen 31 . Tatsächlich aber ordnet Wissenschaft ein; sie vergleicht, weist Plätze an usf. Sie tut es, wie zu Anfang unserer Erörterungen besprochen, unter dem gleichzeitigen „kalkulierten" Verzicht, das Phänomen des individuellen Menschen in seiner Totalität im Griff zu behalten. Die Persönlichkeitsrelevanz kann sich nicht in der Aussage erschöpfen, jedes Weltinnewerden sei streng unwiederholbar und unvergleichbar. Man kann vielmehr 1. die Individualität zum Gegenstand einer eigenen Betrachtung machen, was hier nicht unsere Aufgabe ist. Außerdem 2. kann unter dem Titel „Persönlichkeitsrelevanz" eine a u f r e l a t i v g r o ß e r A b strakt ionshöh e vollzogene Untersuchung der kog n i t i v e n O r d n u n g versucht werden, die zwar auch unterscheidet, zuordnet und Plätze anweist, die aber nicht nur solche Sachverhalte betrifft, wie sie unter den Titeln „Objektivitätsabweichung" und „Gegebenheitsmodifikation" besprochen wurden. In konkreten kognitiven Vollzügen (beispielsweise in einem Erinnerungsverlauf) drückt sich zwar das „je eine" Individuum aus; es drücken sich aber auch „typische" Erlebnis- und Verhaltensprägungen, kognitive Bewältigungsstile, „Weltentwürfe", „Daseinsthemata", „Daseinstechniken" aus, d i e d i e P e r s o n „ a l s g a n z e " c h a r a k t e r i s i e r e n , ohne daß doch eine solche Deskription, streng genommen, das Problem einer Wissenschaft vom Individuellen in sich schlösse. Es geht hier um solche Begriffsbildungen der P e r s ö n l i c h k e i t s t h e o r i e , die für die kognitive Ordnungsbildung relevant sind. Es ist eines, einen konkreten Erinnerungsvollzug „motivational" unter dem Bewältigungsaspekt zu beschreiben, und ein anderes, ihn in seiner Unwiederholbarkeit durch irgendeinen anderen Menschen zu verstehen. Audi die Zuordnung einer Reproduktion zu einer „typischen" Persönlichkeitsprägung, einem „typischen" Weltentwurf, kann zwar bewältigungstheoretisch aufgefaßt werden; sie muß es aber nicht. So wie in den motivationalen Aspekt nicht nur Persönlidikeitsvariablen eingehen, so geht in das Bezugssystem der Persönlichkeitsrelevanz nidit nur der Gesichtspunkt der Daseinsbewältigung ein. Uns geht es im gegenwärtigen Zusammenhang, wie mehrfach betont, um begriffliche A k z e n t u i e r u n g e n . Aus Darstellungsgründen wurden bereits einige Persönlichkeitsvariablen und ihre Beziehung zu umschriebenen kognitiven Vollzugsweisen aufgeführt: So zieht habituelle „Angstbereitschaft" eine ungleichmäßigere 31 Welch absurde Stellungnahmen man zu dieser Frage in der - im weiten Sinne - psychologischen Literatur finden kann, zeigt ein Zitat aus Fritz Runkels „Einführung in die Charakterkunde" ( 3 1930; 12): „Die Wissenschaft besteht nur da zu Recht, wo es sich um Welt, also um Objekte handelt, aber der Mensch, sofern er Subjekt ist, kann nun und nimmer Gegenstand einer Wissenschaft werden; sofern er jedoch unfrei [!!] lebt, sofern er sich selbst zum Objekt und zu einem Stück der Welt macht, muß er wissenschaftlich erklärbar sein."
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Verfügbarkeit mnestischer Materialien nach sich, als sie bei „Nichtängstlichen" zu finden ist (vgl. Eriksen [a. a. O.], Goldstein [a. a. O.]). Die Rigidität scheint gleichfalls nicht ohne Einfluß auf Stil und Effektivität kognitiver Vollzüge zu sein (Rokeach [a. a. O.], Henle [a. a. O.], Hörmann [a. a. O.]). Daß ein so komplexes Strukturmerkmal der Person wie ihre Intelligenz ihren Einfluß auf Art und „Umfang" des Weltinnewerdens ausübt, ist selbstverständlich. Betrachtet man die Vielzahl der hier nur am Beispiel darzustellenden Untersuchungen, so ist man aus zwei Gründen von den bisherigen Ergebnissen und den zu erwartenden Aufschlüssen nicht sehr befriedigt. Die meisten experimentellen Arbeiten haben den Charakter des Zufälligen und Unsystematischen, weil die untersuchten Persönlichkeitsmerkmale - oft aus einer an und für sich höchst anerkennenswerten methodischen Zurückhaltung heraus - zu einem guten Teil nicht in eine P e r s ö n l i c h k e i t s t h e o r i e eingeordnet sind, sondern in bloß pragmatischen beziehungsweise vulgärpsychologischen Persönlichkeitsauffassungen konstituiert sind. Selbstverständlich gilt das nicht für alle diese Versuche; man denke nur an die Ansätze McClellands [832] oder auch Eysencks [345], Außerdem scheint man die Persönlichkeitsmerkmale, die auf ihre kognitive Relevanz untersucht werden, zum Teil einseitig „ b i o z e n t r i s c h", als Mittel zur Lebensbewältigung, aufzufassen (s. o.). Sicherlich ist, wie angelegentlich hervorgehoben wurde, die motivationale Bewältigungsdynamik ein heuristisch wertvolles Konzept. Dennoch wird sie zur Ideologie, wenn sie keine anderen persönlichkeitstheoretischen Zugangsweisen neben sich duldet. (Vgl. dazu u. a. Wellek [1329].) Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei im gegenwärtigen nicht persönlichkeitstheoretischen, vielmehr denkpsychologischen Bezugsrahmen über einige Ansätze berichtet, die das Problem der kognitiven Ordnungsbildungen im Zusammenhang mit komplexeren Persönlichkeitsmerkmalen, also in dem der Persönlichkeitsrelevanz, betrachten. 1. Schon mit Bartletts „Konventionalisierung" wird das denkpsychologische Beschreibungsmodell verlassen: Kognitive Ordnungsbildung ist Persönlichkeits- und sozialrelevant. Das „intellektuelle Milieu", in dem der Mensch aufwächst, soziale Normen, kollektive Wertbestimmungen und vieles andere gehen in die persönlichen Erfahrungen ein und bilden die „Maßgaben" (s. o.), nach denen sich das Erfahrungsgut „schematisiert" (vgl. auch McKellar [843], Zubin [1415]). Hierhin gehören sicherlich auch diejenigen Ordnungsbildungen, die von Freud unter dem Titel der „ A b w e h r m e c h a n i s m e n " beschrieben wurden (vgl. Ferenczi, Anna Freud, R. Heiss, Lückert u. a.): die I n t r o jektion, Projektion, Verdrängung, Kompensation, Regression, Transmission und S u b l i m i e r u n g sind 122
„Spielarten der zentralen Steuerung des Selbst", die von Lückert ausdrücklich dem Funktionskreis der L e b e n s b e w ä l t i g u n g zugeordnet werden ([786] ; 198 f.). Sie alle haben selbstverständlich ihre kognitive Relevanz. Daß etwa die „Verdrängung" die Disponibilität der Erfahrungen in persönlichkeitsrelevanter Weise selegiert und damit ordnet, oder daß die „Projektion" spezifische „Objektivitätsabweichungen" nach sich zieht, leuchtet ein. Personale S t e u e r u n g s m o d a l i t ä t e n finden „in Begriffen wie Gewohnheitsbildung, Kanalisierung, Stilisierung, Habitualisierung, Schabionisierung, Formalisierung, Zeremonalisierung und Institutionalisierung ihre nähere Kennzeichnung" (Lückert [ a . a . O . ] ; 37 f.) 32 . Bei McClelland figurieren die motivationsabhängigen „Konzepte der W e l t " unter dem Titel „Schema", welch letzteres insofern nicht, wie bei Bartlett, einen im engeren Sinne denk- und gedächtnispsychologischen, sondern einen persönlichkeitstheoretischen Sachverhalt darstellt. Bei Allport [20], Murray [916] und McClelland [832] werden die Steuerungsmodalitäten und die Weltkonzepte nicht mehr nur „hormisch" (im Sinne von McDougall) oder „energetisch" aufgefaßt; sowohl McClellands „Motive" (needs for achievement, dominance usf.) als auch die von ihm beschriebenen konkreten „Weltentwürfe" sind keineswegs trieb- oder auch nur bewältigungstheoretisch eingeengt (vgl. auch Cattell [234 a. a. O.], Klein [661] u. v. a.). Allport spricht bekanntlich von der „funktionalen Autonomie der Motive" und meint damit ihre Emanzipation vom animalischen Triebinventar. In den Charakterologien von Pfänder, Lersch, Wellek und anderen ist die ausschließlich biozentrische Betrachtungsweise gänzlich verlassen. Vor allem die von F. Krueger und seinen Schülern beschriebenen „W e r t h a l t u n g e n " sind „vitalunabhängige" Persönlichkeitscharakteristiken; sie sind sogar bisweilen vital verhängnisvoll. Kognitive Ordnungsbildungen lassen sich offenbar in angemessener Weise von persönlichkeitsrelevanten E r k e n n t n i s h a l t u n g e n , von der persönlichen „ T h e m a t i k " und den „ L e b e n s t e c h n i k e n " her beschreiben. Dieser Ansatz findet sich u. W. zuerst bei Hippus ([544]; 146 ff.). Für das „erkennende Tasten" unterscheidet der Autor eine f o l g e r n d e , s c h e m a t i s i e r e n d e , d i s k u r s i v e , „ m e i s t e r n d e " , s y s t e m a t i s c h e und eine „ s c h a u e n d e " „Haltung". Später stellt er neben die (operativen) H a l t u n g e n die „ i n n e r e T h e m a t i k " [545] der Menschen. Diesen Ansatz hat Thomae [1240 u. a. O] ausgebaut. Bei ihm ist die D a s e i n s t h e m a t i k , wie bei Hippus, keineswegs auf die „Triebbefriedigung" oder überhaupt nur auf den „animalischen" Aspekt des Menschen begrenzt. Der Autor unterscheidet die 4 Themata der D a s e i n s b e h a u p t u n g , des D a s e i n s g e n u s s e s , der D a s e i n s s t e i g e r u n g und der D a s e i n s e r w e i t e r u n g . Die diesen Themata dienenden D a s e i n s t e c h n i k e n (zum Beispiel Leistung, Anpas32 Für Petrilowitsch [974] besteht die Modelung unserer Erfahrungen zuvörderst darin, die erfahrenen Wirklichkeitsbestände dem Menschen in seiner Totalität immer mehr anzupassen, anzugleichen („strukturelle Gründung").
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sung, Ausweichen, Flucht, schlichtes Schaffen, spielerischer Umgang mit Mensch und Welt, Opposition, Werkgestaltung, Betonung äußerer Form, Hingabe usf.) haben selbstverständlich ihren kognitiven Aspekt; sie stellen wiederum zum mindesten die „Maßgaben" dar, nach denen kognitive Ordnungsbildungen erfolgen. (Vgl. übrigens auch Sprangers „Lebenformen".) 2. Während die angeführten Daseinsthemata, Daseinstechniken und Weltkonzepte in verschieden weit entwickelter „Autonomie", das heißt Emanzipation vom Triebinventar des Lebewesens, beschrieben werden, ist der t y p o l o g i s c h e Aspekt kognitiver Ordnung nach seiner wissenschaftsgeschichtlichen Herkunft im allgemeinen frei von motivationalbewältigungstheoretischen Implikationen. E r hat den Vorzug, strenger formalisiert und systematisiert zu sein als die zum guten Teil „aufzählend" nebeneinandergestellten Themata und Techniken: „Unter der ungeheuren Vielfalt von Klassen und Ordnungen, die sich am seelischen Sosein, der seelischen ,Struktur', des Menschen auffinden oder bilden lassen, treten diejenigen heraus, die nicht schlechthin nebeneinanderzureihen sind, sondern sich notwendig ergänzen und gegenseitig fordern, notwendig zusammengehören, als Komplemente oder Korrelativa, wie Mann und Weib, Kind und Erwachsener, Jugendlicher und Greis" ('Wellek [732.9] ; 35 f.). „Zum T y p . . . gehört der ,Gegentyp" (hier ganz ohne Wertakzent gesprochen).. ." (37). Schon kurz nach der Jahrhundertwende hatten Hetjmans mit den typologischen Unterscheidungen der „ é m o t i v i t é " , „ a c t i v i t é " und dem Funktionspaar „ p r i m a r i t é " und „ s e c o n d a r i t é ", D. Katz mit seinen „ i s o l a t i v e n " und „ k o m p r e h e n s i v e n " (s. o.), E. Meumann mit den „ a n a l y t i s c h e n " und „ s y n t h e t i s c h e n " Typen (und mit der „ f i x i e r e n d e n " und „ f l u k t u i e r e n d e n " Aufmerksamkeit), sowie K. Bühler mit zwei Erinnerungstypen ([188]; 79 ff.) kognitiv relevante Typenunterscheidungen getroffen. Jaensch und Weber [1320] unterschieden das „ a f f e k t i v s y m b o l i s c h e " , das „ a f f e k t i v - r e a l i s t i s c h e " und das „ r e g e 1 b e w u ß t e " Denken und ordneten es den I n t e g r a t i o n s t y p e n ( S , J „ D ) zu. Neuestens trennt beispielsweise Broverman ([262]; 167 f.) verschiedene „ k o g n i t i v e S t i l e " („conceptual vs. perceptual-motor dominance", „strong vs. weak automatization" (vgl. Klein [661], s. auch Feßer-Gourevich [350] u. v. a.). N. Ach, unterschied den „ S e j u n k t i v e n " , vom „ F u s i o n i e r e n d e n " , von Jung stammt bekanntlich die Gegenüberstellung des „ E x t r a v e r t i e r t e n " und des „ I n t r o v i e r t e n " , von Kretschmer des „ Z y k l o t h y m e n " und des „ S c h i z o t h y m e n " ; die Leipziger Genetische Ganzheitspsychologie kennt neben (oder eigentlich „über") dem „ A n a l y t i s c h e n " und dem „ S y n t h e t i s c h e n " (Sander) - welch letzterer von Wellek „Gefühlsg a n z h e i t l i c h e r " genannt wird - den „ G e s t a l t u n g s k r ä f t i g e n " (vgl. u.a. Schmidt-Durban (1128), Wellek ([a.a.O.]; 35ff., 86ff. a.a.O.), neuestens: [1335]). Alle diese Typeneinteilungen betreffen nicht zuletzt „typische" Ausprägungen der kognitiven Ordnungsbildungen und des kognitiven Geschehens. So fand beispielsweise Lynn [789], im Anschluß an Eysenck [345], unter anderem eine
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negative Korrelation zwischen der Extraversion (nach dem „Maudsley Personality Inventory") und der Dauer spezieller perzeptiver Nacheffekte und eine positive Korrelation zwischen Extraversion und der „Reminiszenz". Witkin und Mitarbeiter ([1554]; 35 ff., 99 ff.) definieren mit Hilfe verschiedener Tests zwei A u f f a s s u n g s t y p e n : einen f e l d u n a b h ä n g i g („einzelheitlich") und einen f e l d a b h ä n g i g („ganzheitlich") auffassenden Typ. Die typologische Polarisierung erfolgt nach der stärkeren oder schwächeren analytischen Durchdringung der Erfahrungswelt. Die Autoren konnten empirisch sichern, daß die Feldunabhängigen (a) der retroaktiven Hemmung (s. o. S. 92) weniger stark unterliegen als die Feldabhängigen. Außerdem (b) behielten feldunabhängige männliche Jugendliche über einen Zeitraum von 3 Jahren eine Testsituation, in der sie sich befunden hatten, besser als die feldabhängigen. Es ergibt sich demnach, daß die mit dem unterschiedlichen Behalten und der unterschiedlichen Störbarkeit durch die retroaktive Hemmung einhergehende u n t e r s c h i e d l i c h e E r f a h r u n g s s e l e k t i o n entsprechenden Unterschieden „ u m f a s s e n d e r " P e r s ö n l i c h k e i t s m e r k m a l e zugeordnet ist. In Untersuchungen der angezeigten Art gelingt also der Aufweis des Zusammenhangs „umfassender" Persönlichkeitsmerkmale mit äußerst speziellen kognitiven Charakteristiken. Allerdings: Je stärker Persönlichkeitsmerkmale formalisiert werden, um so weniger sind sie im beschriebenen Sinne „persönlichkeitsrelevant"; auch hier wird abermals jene methodale c r u x sichtbar, von der mehrmals gesprochen wurde: „Was den Menschen zur Person, sein Wesen zum .Charakter' macht, kann nie in einem Typ, auch nicht in einer Vielfalt von typologischen Einordnungen aufgehen ohne Rest" (Wellek [a. a. O.]; 43). Gleichwohl ist der persönlichkeitstheoretische Aspekt der kognitiven Ordnungsbildungen - ob es sich um den Ausgang bei der personalen Thematik, der Daseinstechnik und dem Weltkonzept oder aber um typologische Unterscheidungen handelt - von steigendem denkpsychologischem Interesse.
4. D i e Sozialrelevanz kognitiver O r d n u n g Die „Auflösung" des individuellen menschlichen Charakters, der individuellen Persönlichkeit, in den theoretischen Konzepten der „sozialen Anpassung", „Sozialisierung", „Außenlenkung", der „sozialen Normen", der „Gruppencharaktere" usf. ist eine moderne, um nicht zu sagen modische, psychologische Sichtweise des Menschlichen. Auch die operativen und materialen Komponenten des Weltinnewerdens werden in wachsender Häufigkeit auf kultur-, sozial- und (im engeren Sinne) gruppenpsychologische Sachverhalte zurückgeführt. Dieser Perspektive gibt Robert Musil im „Mann ohne Eigenschaften" in witziger, zugleich hintergründiger Übertreibung wie folgt Ausdruck: „ . . . ein Landesbewohner hat mindestens neun Charaktere, einen Berufs-, einen National-, einen Staats-, einen Klassen-, einen geographischen, einen Geschlechts-, einen be125
wußten, einen unbewußten und vielleicht auch noch einen privaten Charakter; er vereinigt sie in sich, aber sie lösen ihn auf [!], und er ist eigentlich nichts als eine kleine, von diesen vielen Rinnsalen ausgewaschene Mulde . . . "
Der Gehalt dieses ironischen Aperçus wird indes von weiten Teilen der Sozialpsychologie und Kulturanthropologie in den Rang wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit erhoben. So kommt Ruth Benedict nach lebenslangen ethnologischen Studien zu dem Resultat, das menschliche Verhalten werde jeweils die Form annehmen, die die betreffenden „gesellschaftlichen Institutionen bereitstellen", gelegentlich sogar bis zu einem Ausmaß, von dem „der in seiner eigenen Kultur befangene Beobachter sich keine Vorstellung machen" könne ([86] ; 181): „The life-history of the individual is first and foremost [!] an accomodation to the patterns and standards traditionally handed down in his community." ([84]; 2 f.). Daß solche Thesen überspitzt und ebenso ideologisch verzerrt sind wie etwa die erbtheoretischen Entgleisungen jüngst vergangener Zeit, leuchtet jedem'Klardenkenden ein. Dennoch treffen sie e i n e n notwendigen Gesichtspunkt der psychologischen Theorienbildung, für dessen Vernachlässigung kein Grund besteht. 1. Es ist aber zu fragen, was die S o z i a l r e l e v a n z des menschlichen Erlebens und Verhaltens und ihrer psychischen Bedingungen meint. Unterscheidet sich der Vollzug einer Aufgabenlösung beispielsweise von einem anderen danach, ob man ihn für sich allein oder aber als Mitglied einer Arbeitsgruppe unternimmt, oder ist ein spezieller kognitiver Bewältigungsstil kulturell, „epochal" oder in einer Sozialgruppe (beispielsweise einer Berufsgruppe) bevorzugt, so kann man die Bedingungen, die in kognitive Vollzüge beziehungsweise in die Bildung kognitiver Ordnung eingehen, „sozial" nennen; kognitive Ordnungsbildungen sind (auch) s o z i a l a b h ä n g i g . Sozialpsychologische Variablen gehen in denkpsychologische Sachverhalte ein. Daneben ist das Mehr oder Minder der i n t e r i n d i v i d u e l l e n U b e r e i n s t i m m u n g (Konkordanz) von kognitiven Charakteristiken, zum Beispiel von Schätzleistungen, Bedeutungsverleihungen oder ähnlichem, eine d e s k r i p t i v e D i m e n s i o n kognitiver Ordnungsbildungen, die ihrerseits mit (auch sozialpsychologischen!) Variablen in Beziehung gesetzt werden kann. So kann man beispielsweise die „Urteilskonkordanz" einer Probandengruppe (s. u.) als von sozialpsychologischen Kontextbedingungen abhängig aufweisen. Aus diesen Überlegungen lassen sich zwei verschiedene Bedeutungen der S o z i a l r e l e v a n z kognitiver Ordnung ableiten: 1. Psychische Ordnung ist mitbedingt durch solche individuellen Erfahrungseinflüsse, die in den diversen Bezugssystemen der U m w e l t (insbesondere aber
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der s o z i a l e n und kulturellen Umwelt) beschrieben werden können: Psychische Ordnung ist s o z i a l a b h ä n g i g . 2. Auf eine abstraktere Ebene führt die Überlegung, daß kognitive Ordnung - auch für den Psychologen - kein Sachverhalt ist, den man nur gewissermaßen als „unter der Haut" des Individuums befindlich betrachten kann. Sie ist nicht nur eine intrapsychische Merkmalsstruktur des einzelnen Menschen, sondern muß stets auch als (relative) i n t e r i n d i v i d u e l l e V e r b i n d l i c h k e i t , als (partieller) c o n s e n s u s, als Übereinstimmung (Konkordanz) verstanden werden. Subjektive Ordnung konstituiert sich unter anderem in der T e i l h a b e an subjektunabhängigen33, überindividuellen Sinnstrukturen, beispielsweise der Sprache.
2. Die Sozialrelevanz als c o n s e n s u s (interindividuelle Verbindlichkeit) beziehungsweise als Teilhabe darf für den gegenwärtigen psychologischen Zweck weder im Sinne des „consensus omnium" noch im Sinne einer objektiv-idealistischen Philosophie überinterpretiert werden. Hält man sich an die psychologischen Realitäten, so ist die interindividuelle Verbindlichkeit kognitiver Ordnung, ihr jeweiliger Grad und ihre jeweilige Art, durchaus ein Problem empirisch-psychologischer Forschung: die Übereinstimmung ist selbstverständlich in der Regel nichts weniger als universell. Denkt man beispielsweise an den Übereinstimmungsgrad von Urteilen über soziale Fremdgruppen („Heterostereotype") oder über Wortbedeutungen oder an die von intellektuellen Lösungsmethoden, von „Skalenausnutzungen" usf. (s. u.), so stellen sich hier mannigfache Forschungsaufgaben, für die unsere experimentellen Untersuchungen einige bescheidene Beispiele geben sollen. Von allergrößter Wichtigkeit erscheint indes die bereits erwähnte Vergegenwärtigung, daß kognitive Ordnung, wird sie lediglich intrapsychisch (quasi „unter der Haut") beschrieben, psychologisch unterbestimmt bleibt. Das will sagen, daß - wie schon für analoge Verhältnisse mehrmals betont die intrapsychischen und die interpsychischen Betrachtungsweisen kognitiver Ordnung sich gegenseitig keineswegs falsifizieren, daß sie alle vielmehr zu dem umfangreichen deskriptiven Inventar gehören, welches unser Gegenstand erfordert. 3. Die Betrachtung der Sozialrelevanz psychischer Ordnung unter dem Gesichtspunkt der Art und des Grades der interindividuellen Übereinstimmung ist u. W. bisher wenig behandelt worden (vgl. jedoch Hofstätter [554,1533 u. a. O.]). Auch die Sozialabhängigkeit der kognitiven Ordnungsbildungen ist noch ein relativ junger Forschungsgegenstand (vgl. u. a. Halbwachs [470], Sherif [1164]; Hofstätter [552]); sie wird zur Zeit jedoch in wünschenswerter Intensität untersucht. Ein Referat dieser Bemühungen kann im gegebenen Rahmen nicht beabsichtigt sein. Es sei indes auf einige 3 3 „Subjektunabhängigkeit" will hier ohne alle philosophische Nebenbedeutung verstanden werden; sie meint „Vorfindlichkeit" für den jeweils betrachteten konkreten Menschen, das „Zu-Erlernende", „Zu-Erfahrene".
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Ansätze hingewiesen, die die Notwendigkeit der Betrachtung kognitiver Ordnung unter dem Aspekt der Sozialrelevanz hinreichend verdeutlichen: Politische Parteigängerschaft, wie andere gruppenspezifische Gesinnungen und Überzeugungen auch, lassen sich in Relation zu selektiven kognitiven Ordnungsbildungen erkennen. Schon 1941 zeigte Edwards [328], wie Studenten, die Parteigänger Roosevelts waren, aus einem Vortrag, der genau gleichviele Argumente für und gegen des Präsidenten New-Deal-Politik enthielt, sich viele Argumente f ü r dieses Wirtsdiaftsprogramm merkten und wenige Argumente d a g e g e n . Bei den politischen Gegnern Roosevelts überwogen hingegen die behaltenen Gegenargumente. Das scheint uns ein Modellfall dafür zu sein, wie hoch die S o z i a l a b h ä n g i g k e i t d e s W i s s e n s e r w e r b s - auch unabhängig von den „objektiven" Informationsmöglichkeiten - einzuschätzen ist. Ist das Informationsangebot gleich (Vortrag), sind aber die gruppenspezifischen Überzeugungen verschieden (Parteigängerschaft vs. Gegnerschaft), so ist das k o g n i t i v e R e s u l t a t der Informationsaufnahme ebenfalls verschieden. (Vgl. auch Hofstätter [1533]; 125 ff.)
Wenn weiterhin aufgewiesen werden konnte, daß das jeweilige persönliche Engagement, das von bestimmten Aufgabenstellungen her gefordert wird, den Ablauf kognitiver Vollzüge beeinflußt, so läßt sich aus diesem Sachverhalt ableiten, daß kulturelle beziehungsweise soziale Systeme, die sich in bezug auf die vom Individuum geforderte Leistungsstrebigkeit, sein Engagement, oder auch auf die Wettbewerbssucht und ähnliches, unterscheiden, verschiedene k o g n i t i v e B e w ä l t i g u n g s s t i l e nahelegen (vgl. McClelland [833, 838]). Ruth Benedict hat in ihren Untersuchungen über die Z u ñ i s und die K w a k i u 11 die Einbettung des kognitiven Verhaltens in umfassende kulturelle Kontexte im einzelnen beschrieben [84 u. a. O.]. (Vgl. auch Osgood [950] u.v.a.) Margaret Mead [1541] zeigt an drei Stämmen Neuguineas, wie mit den stammesspezifischen Unterschieden der Geschlechterrollen von Mann und Frau die Erfahrungen und Einübungen in höchst verschiedener Weise selegiert sind. So erreichen zum Beispiel die T s c h a m b u l i - Frauen eine sehr viel eingehendere Kenntnis von allem, was mit dem Fischfang zusammenhängt, als die Tschambuli-Männer; diese übertreffen jene dagegen in der Kenntnis des diffizilen kultischen Rituals und in den Techniken des Schnitzens, Flechtens und Malens. Innerhalb unserer eigenen Kultur wies Centers [237] die Abhängigkeit des persönlichen Engagements, des Sicherheitsbedürfnisses, des Prestigebedürfnisses und der Leistungsstrebigkeit von sozialen K l a s s e n u n t e r s c h i e d e n nach (vgl. Sorokin, Wallace et al. [1290] u. a.). Auch diese klassenabhängigen Haltungen wirken sich naturgemäß auf die Eigenarten des Denkens und Erinnerns aus. Die psychopathologische Vergleichung zeigt, daß zwar die formalstrukturellen Merkmale des W a h n e r l e b e n s gegenüber allen Erfahrungsdeterminanten unempfindlich sind, daß aber der W a h n i n h a l t 128
(das „Thema des Wahns") von epochalen Kultur- und Sozialverhältnissen abhängt. So untersuchte Kranz ([697]; vgl. Llavero [763], v. Baeyer [54]) an umfangreichem klinischen Material den Wandel der Wahnthematik in deutschen Kliniken. Er stellte unter anderem die Zunahme des „religiösen Indifferentismus" und die Abnahme von Wahninhalten aus der monarchistisch-patriarchalischen Sphäre fest und kommt zu dem Ergebnis, der Wahn „fülle sich" gewissermaßen mit „zeitbedingten Inhalten" (69), was nichts anderes bedeuten kann, als daß die materialen Komponenten auch pathogener kognitiver Vollzüge, wie sie die Wahnwahrnehmungen und Wahnerinnerungen darstellen, einer gewissen konventionellen Verbindlichkeit unterliegen und insofern sozialrelevant sind34. Bartlett hat in der K o n v e n t i o n a l i s i e r u n g (s. o.) einen sozialabhängigen Modus der kognitiven Ordnungsbildung beschrieben. Sie erfolgt nach Maßgabe gesellschaftlich normierter „ S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t e n " (Hofstätter [a. a. O.]), die weder bewiesen werden können noch des Beweises bedürfen und darin den mathematischen Axiomen verwandt sind. Die Selbstverständlichkeiten haben die Eigenschaft, nicht nur als Kristallisationskerne unserer Erfahrungen zu dienen, nicht nur zu selegieren und zu verfestigen, sondern - als Selbstverständlichkeiten - mit dem „Sein", der „Wirklichkeit", dem „Natürlichen" und ähnlichem identifiziert zu werden. Diese Identifikation wird erst dann zu einem Problem, wenn w i d e r s p r e c h e n d e Selbstverständlichkeiten (etwa bei der Kontaktnahme verschiedener „Kulturen") in Kollision geraten. Allport und Postman [22], sowie Firth [360] wiesen die Tendenz zum „Üblichen" in der G e r ü c h t b i l d u n g nach. Auch die Ordnungsbildungen, die von der Sozialpsychologie unter dem Titel „ S t e r e o t y p e " behandelt werden (vgl. Lippmann [755], Sodhi-Bergius [1184], Katz-Braly [643], Blake-Wayne [114], Spiegel [1192] u.v.a.), sind sozialrelevante „Nivellierungen", die unter anderem durch ihre K o n v e n t i o n a l i t ä t zu kennzeichnen sind. Hofstätter leitet die Bildung von Stereotypen unter anderem von der beherrschenden sozialen Forderung ab, stets eine Meinung auch dann zu haben, wenn die subjektiven und außersubjektiven Möglichkeiten fehlen, sich angemessen zu informieren [552]. Dieser Sozialdruck ist unter Umständen so stark, daß man auch stereotype Urteile über Gegenstände evozieren kann, die es „nicht gibt", zum Beispiel über das Volk der „Danireer" (vgl. Hartley [482]). Die Folge sind kognitive Ordnungsbildun3 4 Subjektive Leistungserwartungen, die durch die tatsächliche Leistung nicht gedeckt sind, führen zu sozial oft nicht erwünschten Bewältigungsweisen kognitiver Probleme. Eine solche Kritikschwäche steht in negativer Beziehung zur Intelligenz und zur „sozialen Reife". (Vgl. u. a. Silve-M. v. Bentivegni: Untersuchungen über Anspruchsniveau und Leistungsmotivation bei milieugeschädigten Kindern. Unveröffl. Vordiplomarbeit Psychol. Inst. d. Univ. Mainz 1961.)
9 Herrmann
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gen simpelster Gefügebeschaffenheit, primitive, zugleich radikale und wenig nuancierte Quasi-BegrifFe, die aber von höchster interindividueller Verbindlichkeit und leichter Kommunizierbarkeit sind. Daß diese Phänomene aber keineswegs nur sozialpsychologisch bestimmbar, daß für sie beispielsweise auch motivationale und „autochthone" Deskription möglich sind, dürfte nach den vorgängigen Erörterungen einsichtig sein. Beurteilungen, Schätzungen und ähnliche kognitive Vollzüge sind u. a. von Sherif [a. a. O.] auf ihre Sozialrelevanz untersucht worden. Der Autor setzte seine Versuchspersonen beispielsweise einzeln oder in Gruppen zu 2 oder 3 Mitgliedern in einen völlig dunklen Raum und exponierte ein kleines, fest lokalisiertes Licht. Er instruierte die Probanden, das Licht werde sich bewegen, und er bat unter anderem, das Bewegungsausmaß anzugeben. Da das Licht tatsächlich unbewegt blieb, wurde der Bewegungseindruck, der offenbar so gut wie stets auftrat, dem Objekt „subjektiv induziert" ( = „autokinetischer Effekt"). Es ergab sich, daß die Versuchspersonen, wurden sie einzeln untersucht, recht verschiedene Größenordnungen von Bewegungen angaben. Urteilten sie aber in der Gruppe und erfuhren sie, wie die übrigen Gruppenmitglieder reagierten, so näherten sich die Urteile einander immer mehr an (Streuungsabnahme innerhalb der Gruppen). Auch wenn die Probanden nach der Untersuchung (in der Gruppe) wieder allein urteilten, behielten sie den entstandenen „Gruppenstandard" bei. Die Wahl der Bezugssysteme, Beurteilungsnormen, der deskriptiven und interpretativen „Schemata", mit Hilfe derer geschätzt beziehungsweise geurteilt wird, ist also nicht nur - wie die Berliner Psychologenschule behauptet - von autochthonen Bedingungen abhängig, sondern nicht zuletzt von der sozialpsychologisch bestimmbaren Situation, in der diese Vollzüge gefordert werden. Urteilen mehrere Menschen, so ähneln sich die individuellen Beurteilungen beziehungsweise Schätzungen in der Regel immer mehr an. Es entsteht eine (sogar voraussagbare) „gruppenspezifische" Schätz- beziehungsweise Urteilsform. D i e s e O r d n u n g s b i l d u n g ist n i c h t m e h r von e i n e m e i n z e l n e n I n d i v i d u u m her h i n r e i c h e n d zu i n t e r p r e t i e r e n ; s i e i s t s o z i a l r e l e v a n t . Hofstätter nennt einen solchen Vorgang eine „Gruppenleistung vom Typus des Bestimmens" [554]. (Vgl. Asch [41], Festinger [1437], McGarvey [839], Neivcomb [921], de Montmollin [S88], Suppes-Krasne [1222] u.a.) Arbeitsgruppen, die intellektuellen Problemen konfrontiert werden (vgl. Kelley-Thibaut [648]), sind inzwischen eingehend untersucht worden. (Vgl. u. a. Carr [220], Dashiell [271], Benne-Sheats [1421], Bales [57], Bjerstedt [Ü3], Moreno [891], Hornaus [1534], Simon [1547] u. v. a.) Unter anderem lassen sich verschiedene „Rollen" unterscheiden, in die sich die Arbeitsgruppe, nach den persönlichen Voraussetzungen der einzelnen Gruppenmitglieder und im Verlauf des gruppendynamischen Differenzierungsprozesses, aufgespaltet. Benne und Sheats [a. a. O.] beschreiben unter anderem den „energizer", den „information seeker", den „opinion giver", und den „harmonizer". Es leuchtet ein, daß sich diese gruppenspezifischen Rollenübernahmen habituell verfestigen und zur Bildung höchst eigener kognitiver Stile führen können. Die Bedingungen für die Leistungshöhe der Gruppe und die Art des Lösungsablaufs stellen sich als ein komplexes Interdependenzgefüge heraus. Von Einfluß sind unter anderem die Arbeitsumgebung (Zuschauer!), individuelle und Gruppenmotive, die Aufgabetypen, die Gruppengröße, die Freundschaft zwischen Mitgliedern, die „Gruppenstandards", die Meinungsheterogenität, die Statusdifferen130
zen der Gruppenmitglieder, die Art der Gruppenleitung, sowie formale Prozeßnormen und Institutionalisierungen (Kelley-Thibaut [a. a. O]; 747 ff.). In dieser bis heute zu wenig erforschten Vielschichtigkeit der Bedingungen liegt wohl auch der Sachverhalt begründet, daß die zunächst fast sensationell zu nennenden Ergebnisse Bruners und Goodmans [167], welche Autoren umschriebene Schätzleistungen (Größe von Münzen) als unmittelbar abhängig von klassenspezifischen Werthaltungen („Arme" vs. „Reiche") aufgewiesen zu haben glaubten, sich nicht bestätigt haben (Carter-Schooler [223]; vgl. Graumann [a.a.O.]). Immerhin dürfte heute feststehen, daß die materiale und operative Artung kognitiver Vollzüge und die sie bedingenden kognitiven Ordnungsbildungen sowohl von umfassenden kulturellen und sozialen Kontexten (zum Beispiel kulturspezifischen Bewältigungsstilen) wie von „gruppendynamischen" Situationsdeterminanten (zum Beispiel Homogenisierung von Schätzurteilen) mitabhängen. Der Einzelforschung bleibt indes noch viel übrig zu tun.
5. Zusammenfassung Ohne den Anspruch einer logisch völlig abgeklärten und sachlich erschöpfenden Systematik zu erheben, kann man in Übereinstimmung mit den vorgängigen Erörterungen versuchen, die Modalitäten der Begriffe kognitiver Ordnung wie folgt schematisch darzustellen: KOGNITIVE ORDNUNG 1. Kognitive Ordnung als u n m i t t e l b a r e O r d n u n g d e s (zum Beispiel „Tiefendimension" der Gestalt) 2. Kognitive Ordnung als O b j e k t i v i t ä t s a b w e i c h u n g gebenheitsmodifikation:
Gegebenen und als
Ge-
A u f w e i s b a r in materialen operativen Komponenten des kognitiven Geschehens: a)
Autochthone Ordnungsfaktoren b) Ordnungsfaktoren des L e r n e n s und der G e w ö h n u n g (Erfahrungsnormen") c) M o t i v a t i o n a l e Ordnungsfaktoren („Bewältigungsaspekt")
z. B.
„Gestaltbindung"
z. B. „Objektassimilation"
z. B. „selektives Behalten von erfolgsbesetztem Material"
3. Die P e r s ö n l i c h k e i t s r e l e v a n z (zum Beispiel „Daseinstechniken")
z. B. „Umstrukturierung" z. B. „erworbener kognitiver Stil"
z. B. „leistungsstrebiges Lösungsverhalten"
kognitiver Ordnung
4. Die S o z i a l r e l e v a n z kognitiver Ordnung (Sozialabhängigkeit, interindividuelle Verbindlichkeit) 9'
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Bei alledem geht es um Begriffsmodalitäten, nicht aber um „unabhängige Faktoren". Die Einflüsse der („erlernten") Körperfarben auf die Farbwahrnehmung ( = Ordnungsfaktoren des Lernens) können zugleich als („autochthones") Konstanzphänomen verstanden werden. Soziale Nonnen ( = „Sozialabhängigkeit") werden vom Individuum assimiliert („Erfahrungsnormen"). Die Persönlichkeitsrelevanz kognitiver Ordnung ist oft in der vortheoretischen Weltschau mitgegeben ( = „unmittelbare Ordnung des Gegebenen") usf. So kann es sich, wie wiederholt betont, bei unseren Unterscheidungen nur um - teilweise nur historisch plausibel zu machende - A k z e n t u i e r u n g e n , um die Explikation verschiedener deskriptiv-interpretativer B e z u g s s y s t e m e handeln.
III. Die signitive Dimension kognitiver Ordnung 1. Einleitung: Kontext und Repräsentation 1. Alles einzelne, insofern es geordnet ist, ist durch anderes bestimmt. Solche und nur solche Wirklichkeitsbestände sind g e o r d n e t , anders: g e s t a l t e t , „bei denen nicht, was im Ganzen geschieht, sich daraus herleitet, wie die einzelnen Stücke sind und sich zusammensetzen, sondern umgekehrt, wo - im prägnanten Fall - sich das, was an einem Teil dieses Ganzen geschieht, bestimmt von inneren Strukturgesetzen dieses seines G a n z e n . . . " (Wertheimer [1508]). Es sei hier davon abgesehen, daß - streng genommen - „einzelne Stücke" überhaupt nicht als ausschließlich durch sich allein bestimmt gedacht werden können. Immerhin kann Wertheimers These, insbesondere sein Hinweis auf die „inneren Strukturgesetze", als e i n e deskriptive Bestimmung der kognitiven Ordnung in Anspruch genommen werden. Man erinnere sich, daß Wulf die qualitative Änderung reproduzierter Figuren (s. o. S. 95) nach dem „Gesetz der Zeichenstruktur" verlaufend dachte. Daß aber Gibson und andere mit ihrer O b j e k t a s s i m i l a t i o n Ordnungsfaktoren einführten, die u. E. weder durch Wertheimers allgemeine These nodi durch Wulfs „Gesetz der Zeichenstruktur" hinreichend interpretierbar sind, führt zu einer für das Ordnungsproblem notwendigen d e s k r i p t i v e n E r w e i t e r u n g . Es wurde vermerkt (s. o. S. 91), daß Wellek die Einbindung der Gliedbestände in das Ganze (und die „Realdominanz" dieses über jene) unter dem Titel des G e s t a l t n i v e a u s („Gestalthöhe", „Gestaltgüte") beschreibt ([1329]; 60, vgl. [1332, 1335 u. a. O.]). Neben diese Kennzeichnungen tritt aber die deskriptive Dimension der G e s t a l t t i e f e (ebd.). Sie meint „Art und Grad der ausdrucksmäßigen, im weitesten Sinne physiognomischen Bedeutsamkeit, in der die Gestalt ihr bloß figurales Gegebensein in Richtung auf objektiv-geistige Sinngehalte ,transzendiert"' (ebd.). Neuestens fügt der Autor hinzu, die Gestalttiefe („Sinnträchtigkeit", „Sinnerfüllung") sei nicht streng „eindimensional" aufzufassen, was sich übrigens schon in der früheren begrifflichen Fassung andeutet: Diese zielt offenbar einerseits die Bedeutung f ü r den Erlebenden, andererseits aber den „Sachsinn' der Gestalt an ([2332]; 729 ff.). 132
2. Dieser wohl zur Hauptsache aus der Wahrnehmungspsycliologie abgeleitete Befund läßt sich für unsere Zwecke erweitern (vgl. auch Graumann ( [ a . a . O . ] ; 111, 116 ff.). Wenn ein Gliedbestand der visuellen Wirklichkeit nach dem „Gesetz der Nähe", dem der „Geschlossenheit" und dergleichen f i g u r a 1 bestimmt ist, wenn er also nach „inneren Strukturgesetzen" (Wertheimer) geordnet ist, so scheint uns hier eine (formale) Parallele zur s y n t a k t i s c h e n B e s t i m m t h e i t v o n Z e i c h e n (Carnap) gegeben zu sein. Es gibt, allgemein betrachtet, eine „ f i g u r a l e G r a m m a t i k", die den einzelnen Gliedbeständen ihren Platz anweist oder besser: die sie erst zu dem macht, was sie im figuralen Sinne sind. Die „Gesetze des Sehens" (Metzger) sind q u a s i s y n t a k t i s c h , nicht s e m a n t i s c h . Sie gelten offensichtlich unabhängig - unter Absehung - vom Sachsinn (von der „Bedeutung") und von der „physiognomischen" Bedeutsamkeit (für den Erlebenden), das heißt aber: sie gelten für das „Gesehene a l s G e s e h e n e s". Ein Rorschach-Bild hat - obgleich ohne spezifischen Sachsinn - eine figurale Ordnung, die die Gliedzüge der Figur differenziert beziehungsweise „strukturiert" (gliedert). Mit der „Deutung" wird ihr erst ein S a c h s i n n imputiert oder/und ihre „physiognomische" B e d e u t s a m k e i t dokumentiert. S y m m e t r i s c h war die Rorschach-Vorlage schon zuvor; nun b e d e u t e t sie eine Fledermaus oder/und mutet „ekelhaft" an. Symmetrie ist eine quasisyntaktische Ordnungsbildung. Eine Fledermaus zu „bedeuten", macht die Figur cum grano salis zum semantischen „Zeichen", zum B e d e u t u n g s t r ä g e r . So imponieren unter der von uns gewählten Perspektive die Gestaltgesetze als quasisyntaktische Bestimmtheiten der perzeptiven Wirklichkeit. Daß sie zum einen auch in anderen Wirklichkeitsbereichen ihre Geltung haben, zum anderen aber nicht zur vollständigen quasisyntaktischen Bestimmung der Wahrnehmungswelt ausreichen, bleibe an dieser Stelle ausgeklammert (vgl. Herrmann [524]; 59 f., 76 ff., 100 f.). Betz [a. a. O.] hat versucht, die G e g e b e n h e i t s w e i s e der psychischen Inhalte beim Erinnern, Vergegenwärtigen und dergleichen zu beschreiben. So unterscheidet er unter anderem „Einstellungen" von „Schehmen" (s. o.) und „Könnungen" und untersucht ihre formale Beschaffenheit und ihre funktionalen Merkmale. Auch hier geht es u. E. um quasisyntaktische Bestimmungen. So wie das Noema B a u m sich in der visuellen Welt den Gestaltgesetzen entsprechend repräsentiert, so repräsentiert es sich in der Erinnerung den Bestimmungen entsprechend, die Betz beschrieb. Die Funktion der „symbolischen Schemata" (Auguste Flach [a. a. O.]), die mnestische Paarbildung, die Interferenz, die Schließungstendenz und andere Phänomene gehören zu den E i g e n b e s t i m m t h e i t e n mne133
stischer Ordnung35, die in jede erinnerte, jede reproduzierte Gegebenheit insofern eingehen, a l s s i e e r i n n e r t , r e p r o d u z i e r t w i r d . Erfolgt die mnestische Modifikation visueller Gegebenheiten nach Wulfs „Gesetz der Zeichenstruktur", beispielsweise als „Pointierung", so ist dieser Vorgang auf der Ordnungsebene des mnestischen Funktionierens zu beschreiben. Werden sie so modifiziert, daß sie dasjenige r e p r ä s e n t i e r e n , was von einem ehedem mitgegebenen Wort (zum Beispiel „Stern") repräsentiert wurde ( = „Objektassimilation"), so genügt die Beschreibung unter quasisyntaktischen Gesichtspunkten nicht mehr. Die Deskription auf der „semantischen" Ordnungsebene und die Berücksichtigung der Interdependenz beider Ebenen müssen hinzutreten. Der „Wahrnehmungsinhalt" wie das „Vorstellungsschema" können so als R e p r ä s e n t a t i o n e n von Bedeutungen aufgefaßt werden; sie sind B e d e u t u n g s t r ä g e r , die immer (auch) den Gesetzen des R e p r ä s e n t a t i o n s s y s t e m s unterworfen sind, dem sie zugehören und das ihre „quasisyntaktische Einordnung" bestimmt. Repräsentiert sich ein s i g n i f i c a t u m , so „unterwirft" es sich damit (auch) den Eigenbestimmtheiten des Repräsentationssystems36. Lewin [a. a. O.] wies auf, daß im Bezugssystem der Bewältigung (s. o.) bestimmbare m o t i v a t i o n a l e G e r i c h t e t h e i t e n den Weltgegebenheiten ihren „Aufforderungscharakter", so der Hunger bestimmten Dingen die Valenz des „Zu-Essenden", verleihen. Der starke Hunger gliedert die Welt gewissermaßen auf in Eß b a r e s und Nicht-Eß b a r e s ; die Ordnungsstiftung erfolgt hier (zum mindesten überwiegend) von der „Motivation" her. Das Resultat ist ein g e o r d n e t e s V e r h a l t e n , ein geordnetes U m g e h e n (Verwenden, Suchen, Meiden usf.). Dabei brauchen die Eßbarkeit beziehungsweise die Nicht-Eßbarkeit selbstverständlich nicht notwendig zum Thema der kognitiven Zuwendung zu werden. Die „Umgangs- beziehungsweise „tunsqualitative" (F. Krueger: „komplexqualitative") Gegebenheitsweise von Bedeutungen, wie auch der noetische Charakter des „Gewahrens", „Ahnens", „Angemutet-Werdens" sind von der Genetischen Ganzheitspsychologie (Krueger, Sander, H. Volkelt u. a.) einer eingehenden Analyse unterzogen worden (vgl. auch Graumann ([a. a. O.]; 140 ff.). Die Ordnung ist hier eher o p e r a t i v als m a t e r i a l : Eßbarkeit meint nämlich den „umgangsqualitativen" Aufforderungscharakter zum Essen. Sie kann aber auch das T h e m a einer sehr selbständigen gedank35 Zum Problem der vorstellungshaften Repräsentation Binet [111], Bühler [iSS], Titdiener [1249], Bartlett [63]; vgl. Johnson [602], Kornadt ([692]; 364 u. a. O.). 36 Wie die verbale Syntax scheint die „figurale Grammatik" in ihrer (transpersonalen) Eigengesetzlichkeit e i n e der Grundlagen für die den personalen Bereich transzendierende „Verbindlichkeit" unserer Welt zu sein.
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liehen Explikation sein. Das unter anderem 37 motivational „bedeutsame" („operative") Umgehenkönnen mit den Dingen ist nicht dasselbe wie das („materiale") Wissen um die Dinge. Steht die p e r z e p t i v e Weltgegebenheit, die wir „Apfel" nennen, in einem m o t i v a t i o n a l e n Bezug (vgl. Bewältigungsaspekt), so „bedeutet" sie unter Umständen die „Aufforderung zum Essen" oder ähnliches. Sie ist audi zumeist die Trägerin einer „materialen" und explizierbaren G e g e n s t a n d s b e d e u t u n g . Außerdem ist sie aber - als visuelle Weltgegebenheit - den quasisyntaktischen Gesetzen eben dieser visuellen Welt unterworfen. Zwar wird der Hunger dem Apfel eine motivational-volitive Valenz verleihen, die nach der Sättigung verschwindet; der „Gegenstand" Apfel werde zudem als ein solcher „erkannt" oder nicht: Stets wird das „Apfel" Genannte leichter gesehen werden können, wenn es auf einem relativ homogenen Hintergrund erscheint; die „Gestaltbindung" wird das Auffinden erschweren, usf. Auch hier lassen sich die quasisyntaktischen Bestimmtheiten von den motivationalen und den quasisemantisch-kognitiven unterscheiden. Sie lassen sich u n t e r s c h e i d e n ! Verschiedene Ordnungscharaktere bilden ein dynamisches Interdependenzgefüge (s. u.). So scheint zum Beispiel eine starke motivationale Relevanz visueller Wirklichkeitsbestände deren formal-figurale Gefügeverhältnisse in spezifischer Weise zu strukturieren, auch zu nivellieren und zu simplifizieren (vgl. u. a. Karsten [a. a. O.])38. 3. Zur Illustration der „signitiven Mehrschichtigkeit" kognitiver Ordnung sei auf das Problem der B e d e u t u n g s u n t e r s c h i e d e hingewiesen. In einer unserer experimentellen Untersuchungen soll gezeigt werden, daß der „erlebte" Bedeutungsunterschied von N e i d und M i t l e i d auch von den Repräsentationsverhältnissen abhängt. Die graphischillustrierende Darstellung beider Bedeutungen ist sehr ähnlich und leicht vertauschbar; sie rückt beide Bedeutungen - nicht „logisch", sondern in ihrer Gegebenheitsweise - enger zusammen, als es beispielsweise QuasiDefinitionen tun 39 . Beide Bedeutungen partizipieren gewissermaßen an 37 Der Einfachheit halber wird die p e r s o n a l e B e d e u t s a m k e i t in der Folge zumeist an m o t i v a t i o n a l e n Ordnungsmodalitäten (vgl. oben, „biozentrischer Bewältigungsaspekt") expliziert. Bedeutsamkeit soll aber im Sinne der P e r s ö n l i c h k e i t s r e l e v a n z überhaupt verstanden werden. 38 Die „phänomenale Kausalität" (vgl. Michotte [872 a. a. O.], Linschoten [1467], Boyle [1424] u. a.) erweist sich in steigendem Maße als ein äußerst komplexes Phänomen, an dem perzeptive, kognitive und motivationale Komponenten zu trennen sind. 39 In einer Z e i c h n u n g repräsentiert sich - in „natürlicher" Zuwendung das „dargestellte" Noema selbst. Unter anderem („obliquem") Aspekt kann auch gesagt werden, die Zeichnung bilde unter Umständen das „Vorstellungsbild" einer Bedeutung ab. Zeichne ich einen B a u m , so mag es sich so verhalten, daß ich quasiräumliche Vorstellungsqualitäten, vielleicht auch ins Räumliche transponierte vorstellungshafte („sdiehmartige") Bewegungsqualitäten in der Zeichnung darstelle. Ich kann den Baum aber auch „konstruktiv", entsprechend meinem „Wissen" um die „Baugesetze" des Baumes, zeichnen (vgl. den Maler Henri
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einer schiede
graphischen Repräsentation. Sicherlich sind repräsentationsspezifisch.
Bedeutungsunter-
a) Zum einen ist ein B e d e u t u n g s u n t e r s c h i e d repräsentiert durch die anschauliche Verschiedenheit zweier Bedeutungsträger („Zeichen"): „Neid" ist beispielsweise ein anderes W o r t als „Mitleid". Der Unterschied ist schon immer in ganz trivialer Weise z e i c h e n s p e z i fisch. b) Es wurde betont, daß Neid und Mitleid entsprechend ihrer „Vermittlung" in verschiedenen Repräsentationssystemen (zum Beispiel logischbegrifflich vs. graphisch-illustrierend) verschiedene phänomenale „Abstände" voneinander haben. Betrachtet man Schätzungen ihres „logischen Abstands", so ist das Ergebnis ein anderes, als wenn man ihn nach der Vertauschungshäufigkeit der graphischen Illustrationen bestimmt oder ihre „Polaritätenprofile" vergleicht (s. u.): Bedeutungsunterschiede sind r e p r ä sentationsspezifisch. c) Zum anderen ist der Bedeutungsunterschied mitbestimmt vom B e d e u t u n g s k o n t e x t , in den die Bedeutungen eingebunden sind: Das Zueinander von Neid und Mitleid stellt sich beispielsweise in einem moraltheologischen Zusammenhang (Bezugssystem) anders dar als in einem psychologisch-charakterologischen Kontext. Auch „ m o t i v a t i o n a l e K o n t e x t e " spezifizieren die Bedeutungsunterschiede. Letztere sind demnach kontextspezifisch. d) Vor diesen deskriptiven Unterscheidungen sind schon Unterschiede der personalen Ordnungssysteme (und damit auch der Beschaffenheit von Bedeutungsunterschieden) einzelner Menschen auffindbar: Bedeutungsunterschiede sind p e r s o n s p e z i f i s c h . Auf höherer Abstraktionsebene sind g r u p p e n s p e z i f i s c h e Bedeutungsunterschiede aufweisbar. Diese Unterscheidungen sind selbstverständlich nicht als eine - noch dazu reduktionistische - Stellungnahme zum philosophischen Bedeutungsproblem aufzufassen. Es geht hier ausschließlich um die Gewinnung deskriptiver Gesichtspunkte im psychologischen Bereich. Bedeutungsunterschiede können u. E. gewissermaßen a l s A u s s c h n i t t e a u s k o g n i t i v e n O r d n u n g s s y s t e m e n v e r s t a n d e n w e r d e n . Die - übrigens nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit - angebotenen deskriptiven Dimensionen, die in der nachfolgenden Erörterung und in experimentellen Rousseau]). Dann zeichne ich gewiß nicht notwendig ein „Vorstellungsbild" ab. Zum anderen kann ich eine vorstellungshafte Repräsentation beispielsweise des („unräumlichen") N e i d s gewissermaßen kopieren; ich kann diese Bedeutung aber auch „ungegenständlich symbolisieren" usf.: Die Repräsentationsverhältnisse sind also äußerst heterogen und müssen von Fall zu Fall analysiert werden.
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Untersudiungen weiter abgeklärt werden sollen, können so zur Beschreibung von kognitiven Ordnungsbildungen ü b e r h a u p t verwendet werden. In schematischer Vereinfachung stellt sich die deskriptive Mehrdimensionalität von Bedeutungsunterschieden dar wie folgt:
M
N
Bedeutungsunterschiede: deskriptive Dimensionen Zeichenerklärung: M, N Vj, V 2 iKj a, b, c, d z r k i
= = = = = = = =
Individuen (Pbn) Repräsentationssysteme Kontexte Bedeutungsträger („Zeichen") zeichenspezifischer Bedeutungsunterschied repräsentationsspezifischer Bedeutungsunterschied kontextspezifischer Bedeutungsunterschied interpersonaler Bedeutungsunterschied
( + = vierfacher Bedeutungsunterschied [z, r, k, i])
4. Man versetze sich in die folgenden alltäglichen Situationen: Jemand bemerkt einen saftigen Apfel, wird sich erst jetzt seines Hungers so recht bewußt, greift nach dem Apfel und ißt ihn auf. - Jemand hat einen Tag lang Beeren gesammelt, liegt abends im Bett und leidet darunter, daß Sträucher, Unterholz, Beeren in einer zwar sehr aufdringlichen, aber nur schlecht „greifbaren" (fixierbaren) Weise vor seinem inneren Auge vorüberhuschen 137
( = hypnagoge Bilder). - Jemand stellt sich den Bahnhofsplatz seiner Stadt vor; dabei vergegenwärtigen sich ihm die lückenlose Reihe parkender Autos und bald darauf eine „Parklücke". Im Zusammenhang der gegenwärtigen Erörterungen dürfte es möglich sein, diese Erlebnisse 1. im Bezugssystem verschiedener O r d n u n g s e b e n e n und 2. nach den I n t e r d e p e n d e n z e n dieser Ordnungsebenen zu beschreiben: la) Die visuelle Weltgegebenheit, die wir „Apfel" nennen, ist den Eigengesetzlichkeiten ihres quasisyntaktischen Kontextes unterworfen (s. o.). Das „hypnagoge Bildstreifendenken" und das form- und bewegungshafte „Vorstellen" des Bahnhofsplatzes sind verschiedene Gegebenheitsweisen von Bedeutungen. Es ist ein anderes, ob ich mir die Beeren oder auch den Bahnhofsplatz „schehmartig" vergegenwärtige oder ob ich sie in der fast „eidetischen" und doch so schlecht fixierbaren Weise der hypnagogen Bilder erlebe. Beispielsweise die F i x i e r b a r k e i t gehört zu den „Eigengesetzlichkeiten" von Gegebenheitsweisen a b g e s e h e n davon, was das Gegebene „bedeutet". lb) Äpfel, Beeren und Bahnhofsvorplätze sind, abgesehen von ihrer Gegebenheitsweise, verschiedene B e d e u t u n g e n . Sie haben ihren Platz in „Sinnzusammenhängen", „kognitiven Bezugssystemen", welch letztere ihnen beispielsweise kognitive Ähnlichkeiten verleihen können. Apfel und Beeren können - in einem bestimmten Bedeutungskontext - sehr „verwandt" sein. lc) Der Hunger, die „nachwirkende" Einstellung des Beerensammelns, die Irritation gegenüber den hartnäckigen hypnagogen Repräsentationen und die dem Autofahrer zukommende Gerichtetheit auf die „Parklücke" gehören zur Ordnungsebene der motivationalen Gerichtetheitcn. 2a) Die visuelle Gegebenheit b e d e u t e t einen Apfel; im Gewirr des hypnagogen Bildstreifens i d e n t i f i z i e r t man Beeren; das „Schehm" des Bahnhofsplatzes wird im Sinne des Parkenkönnens k a t e g o r i s i e r t . Wie Etoert [1528] neuestens in einem ausdruckstheoretischen Zusammenhang berichtet, bietet Kuethe [1539] eine schlagende Demonstration des Einflusses von „Sinngebungen" auf die „perzeptive" Informationsverarbeitung. Im Herstellungsverfahren hatte jede Versuchsperson die Entfernung einer weiblichen und einer männlichen Silhouette zu reproduzieren. Jeder Vp stand dabei die Schätzung des Vorgängers als Ausgangspunkt zur Verfügung. Die (objektive) Ausgangsdistanz betrug 76 cm. Die zwanzigste Vp reproduzierte nur noch einen Abstand von 10 cm. Die modifizierende „Sinngebung" scheint in dem gelernten Wissen darum zu bestehen, daß „Mann und Frau zusammengehören". Ewert kommentiert: „Die Information über den tatsächlichen Abstand der beiden Silhouetten wurde von den Vpn unter dem Einfluß einer sehr allgemeinen, vielleicht trivial zu nennenden Hypothese ausgewertet, doch dürften gerade Selbstverständlichkeiten dieser Art von größter Bedeutung für die Wahrnehmung des anderen Menschen sein." Die „Sinngebung" wird so gut von den Repräsentationen e v o z i e r t wie sie den Strom des Gegebenen strukturiert, k a t e g o r i s i e r t (Bruner). 2b) Die visuelle Gegebenheit, der „Bildstreifen", das vorstellungshafte Vergegenwärtigen können motivationale Geriditetheiten a k t i v i e r e n . Beim Anblick des Apfels kann ein intensives Hungergefühl auftreten, ohne daß sowohl der Apfel als auch der Hunger kognitiv „kategorisiert" beziehungsweise „thema138
tisiert" zu sein brauchen 40 . Die hypnagogen Inhalte können als dahinrasende Bilder - abgesehen von ihrer Thematik - beunruhigen. So scheinen Beziehungen zwischen den repräsentierenden Gegebenheiten und den Motivationen zu bestehen, die von den kognitiven „Singebungen" weitgehend unabhängig sind (Graumann [ a . a . O . ] ; 86 ff). Auch Sachsinnfreies kann Gerichtetheiten aktivieren; es kann motivational bedeutsam sein. Wenn Lewin schreibt: „Eine Treppenstufe reizt das zweijährige Kind zum Heraufklettem und Herunterspringen; Türen reizen zum Auf- und Zuschlagen, kleine Krümchen zum Auflesen, ein Hund zum Streicheln" ([739]; 350), so dürfte der A u f f o r d e r u n g s c h a r a k t e r dessen, was wir „Treppe", „Tür" usf. nennen, nicht stets als eine e x p l i z i t e Verbindung einer B e d e u t u n g mit einem „Quasibedürfnis" aufzufassen sein. Wird ein Krümchen aufgelesen, so reizte oft nicht ein Krümchen, sondern gewissermaßen die Inhomogenität des Wahrnehmungsfeldes 4 1 . Das „Herauf" und „Herunter" auf der Treppenstufe hängt zu einem guten Teil von ihrem figuralen Sosein und nicht nur von ihrer „Dinghaftigkeit" ab. „Motivationsaktivierungen" (R. Fuchs) sind vielleicht zumeist im eigentlichen Sinne kognitiv [391] (vgl. unten 2c), doch zeigen unter anderem Untersuchungen Kornadts [692 u. a. O.], daß auch kognitiv nicht „eingeordnete" (kategorisierte) Sinnesgegebenheiten „motivationsaktivierend" wirken. Umgekehrt ist es bekannt, daß motivationale Gerichtetheiten s e n s i b i l i s i e r e n , daß sie Einfluß auf die Eigenordnung beispielsweise der Wahrnehmung nehmen, „Schwellen" senken, Erkennungszeiten modifizieren, das perzeptive Feld nuancieren usf. Die Angst ruft nicht nur bestimmte Bedeutungen hervor, sondern modifiziert auch deren Gegebenheitsweise. „Depressive" Erwartungsvorstellungen sind auch ihrer Eigenordnung nach von „euphorischen" Vorstellungen unterschieden. 2c) Die motivationale Gerichtetheit auf das „Parkproblem" gibt dem „Schehm" des Bahnhofsplatzes eine spezielle kognitive Strukturierung. Gerichtetheiten s e l e g i e r e n (vgl. z.B. Olds [1542], Cronbadi-Davis [1526] u . v . a . ) , schaffen kognitive Aspekte, setzen Akzente, geben „Maßgaben" (Bartlett). Gerichtetheiten können kognitive Inhalte geradezu zwangsartig f i x i e r e n . Die Bildstreifen-Situation dürfte in nicht unähnlicher Weise beschreibbar sein. Das Suchen (als Gerichtetheit-auf) m o d i f i z i e r t die kognitive Weltgegebenheit (Duncker). Umgekehrt werden Gerichtetheiten in der „Sinngebung" t h e m a t i s i e r t (R.Fuchs: „Gewißheit"); oft wirkt sich die Thematisierung als Affektneutralisierung aus (Wellek). Bedeutungsverleihung ist „Feststellung" im Sinne der kognitiven Fixierung und oft auch der „Enthebung" vom pathischen Geschehenlassen. Die nachklingende Unruhe des Beerensuchens wird zum einem im „Identifizieren" der Beeren zum kognitiven Thema; zum anderen kann man sich auf kognitive Weise von dieser Unruhe zu e n t l a s t e n suchen. Doch kann die kognitive Kategorisierung von Sinnesgegebenheiten (wie die Thematisierung von Einstellungen) die letzteren auch aktivieren beziehungsweise fixieren (Anblick des Apfels) (vgl. R. Fuchs, Kornadt). 40 Frappierende Beispiele bietet neuerdings Spiegel in einem marktpsychologischen Zusammenhang ( [ a . a . O . ] ; 40 f. u. a. O.). 41 Krümchen, Papierschnitzel und ähnliches auf einem Tischtuch reizen zum Wegwischen; auf einer Sandfläche tun sie es schon viel weniger; auf einem Schmutzhaufen werden sie meist gar nicht einmal bemerkt (vgl. auch die „Gestaltbindung").
139
2. Entwurf einer Beschreibungssystematik der kognitiven Ordnung Unter 1. - wie schon zuvor - wurde eine größere Anzahl von Beispielen genannt, die unterschiedliche deskriptive Gesichtspunkte zur Erfassung kognitiver Ordnung vor Augen führen sollten. Wir versuchen im folgenden, wichtige dort verwendete Deskriptionsgesichtspunkte („deskriptive Dimensionen") zu systematisieren. Diese Systematisierung hat den Charakter eines vorläufigen und stark verbesserungsfähigen Beschreibungsmodells. Es handelt sich nicht um eine modellmäßige Organisation empirischer Fakten, die Ereignisse vorauszusagen gestattet, sondern um eine Systematisierung von B e s c h r e i b u n g s w e i s e n kognitiver Ordnung, die zudem stetiger Differenzierung bedürftig und fähig ist. a) In so gut wie allen unter 1. berichteten Beispielen sind sensoriell beobachtbare Reizkonstellationen methodisch nicht variiert worden. Betrachten wir kognitive Ordnungsbildungen als Gegebenheitsmodifikationen beziehungsweise als Objektivitätsabweichungen (vgl. oben S. 89 f.), so werden in diesem Modellzusammenhang die primäre G e g e b e n h e i t (z. B. ehemals Wahrgenommenes), die mnestisch modifiziert wird, beziehungsweise die „Objektivität" („objektive Weltgehalte"), von der das kognitiv Produzierte abweicht, selbst n i c h t a l s v a r i i e r t a n g e s e t z t . Veränderungen des „objektiven" Rorschach-Bildes, der Treppe, die das Kind hinunterhüpft, der gepflückten Beeren usw. kommen bei unserer Betrachtungsweise nicht in Ansatz. Insofern haben wir es modellentsprechend mit k o n s t a n t e n R e i z b e d i n g u n g e n zu tun. Als v a r i a b e l anzusetzen sind hingegen Stärke, Art, Richtung und dergleichen von M o d i f i k a t i o n e n beziehungsweise A b w e i c h u n g e n ; variabel sind somit auch die kognitiven Vollzüge, in denen sich Modifikation beziehungsweise Abweichung objektivieren ( = v a r i a b l e R e a k t i o n e n ) . Die (konstant gesetzte) „objektive" geometrische Figur wird beispielsweise entweder pointiert oder aber nivelliert reproduziert (s. o.). Bei einer solchen Sachlage - „konstante Reizbedingungen; variable Reaktionen" - müssen zur Interpretation der Reaktionsverhältnisse weitere Veränderliche angesetzt werden: Diese sind entweder 1) z u s ä t z l i c h e sensoriell beobachtbare R e i z v a r i a b l e n (Zusatzreize) oder 2) objektivierte A u ß e n v a r i a b l e n (außerexperimentelle Kriterien, nach denen zu vergleichende Vpn differenziert werden: zum Beispiel Männer vs. Frauen) oder aber (im technischen Sinne) 3) i n t e r v e n i e r e n d e V a r i a b l e n . Im ersten Fall wird die variable Reaktion beispielsweise auf das Vorliegen vs. NichtVorliegen einer Strafdrohung (Verbalinstruktion) zurückgeführt (verbaler Zusatzreiz). Im zweiten Falle wird die variable Reaktion beispielsweise auf einen (mittels des Intelligenzkoeffizienten nach Wechsler objektivierten) Intelligenzunterschied zurückgeführt. (Viele Beispiele für 140
Außenvariablen finden sich oben unter dem Titel „Sozialrelevanz" [S.125 f.].) Im dritten Falle wird eine oder werden mehrere Veränderliche u n t e r s t e l l t , die nicht als sensoriell beobachtbare Reiz- oder als objektivierte Außenvariablen definiert sind. So wird eine variable Reaktion beispielsweise auf variablen Hunger zurückgeführt. Für solche nicht unmittelbar beobachtbare (intervenierende) Variablen gibt es gleichwohl beobachtbare I n d i k a t o r e n . Indikatoren für Hunger können etwa das Vp-Urteil auf einer Phänomenskala oder aber der zeitliche Abstand zur letzten Nahrungsaufnahme sein. Diese Indikatoren sind ex definitione nicht mit den intervenierenden Variablen identisch, für die sie Indikatoren sind. Weite Teile der Psychologie verzichten auf die Ansetzung intervenierender Variablen und beschränken sich auf die Registrierung der Interdependenzen von experimentellen Reiz- und Reaktionsvariablen, sowie von objektivierten Außenvariablen. Sie würden konsequenterweise auch auf die Unterstellung kognitiver Ordnungsfaktoren, so wie wir sie verstehen, verzichten; diese selbst sind ja weder sensoriell beobachtbare („ablesbare") Veränderliche, noch sind es objektivierte Außenvariablen. Man kann sie nur mit Hilfe von Indikatoren a u f w e i s e n . Wir glauben, man solle und könne intervenierende Variablen ansetzen, wenn man es im Rahmen von deskriptiven, interpretativen oder funktionalen M o d e l l e n tut. I n t e r v e n i e r e n d e V a r i a b l e n s i n d D e s k r i p t i o n s- u n d I n t e r p r e t a t i o n s g e s i c h t s p u n k t e im R a h m e n v o n Modellvoraussetz u n g e n , n i c h t a b e r im S i n n e e i n e r R e d u k t i o n auf „ W a h r h e i t an sich". b) Für die interpretative Einordnung variabler kognitiv-perzeptiver weltrepräsentationen, Gedächtnisvollzüge, Problemlösungsakte usf., heißt für die I n t e r p r e t a t i o n k o g n i t i v e r V o l l z ü g e ziehungsweise die D e s k r i p t i o n k o g n i t i v e r O r d n u n g , den intervenierende Variablen verschiedener Art angesetzt, die wir wie systematisch beschreiben 42 :
Umdas bewerfolgt
1. D i e quasisyntaktische Ordnungsebene: Selektion und q u a si sy n t ak t i s c h e Kodierung a) Nicht alle Signale, die von Außenweltereignissen ausgehen, werden aa) perzeptiv aufgenommen; sie müssen im psychometrischen Sinne überschwellig sein. Nicht alle aufgenommenen überschwelligen Signale der Außenwelt können bb) verarbeitet und mnestisch gespeichert werden. Es müssen also aa) Schwellencharakteristiken und bb) Verarbeitungs- und 42 Für die experimentellen Untersuchungen dieser Arbeit (s. u. S. 180 ff.) gilt die Selbstverständlichkeit, daß nur empirische Veränderliche in die Experimente eingehen. Aufgefundene statistische Zusammenhänge zwischen diesen werden im Modell der kognitiven Ordnung interpretiert (vgl. oben: Indikatorfunktion).
141
Speicherkapazitäten kognitiver Systeme angesetzt werden. Kurz gesagt, kann einem „objektiven" geschriebenen Text (Reizkonstellation) nur ein kognitiver Vollzug („Wahrnehmung") entsprechen, wenn aa) etwa die Beleuchtung nicht zu schwach ist; das Reizmuster muß überschwellig sein. Außerdem muß bb) genügend Lesezeit vorhanden sein. Analoge Verhältnisse scheinen für mnestisch gespeicherte Signale zu gelten: Signale müssen aa) „abrufbar" sein; sie müssen gewissermaßen über der „Reproduktionsschwelle" liegen. Ein kleines Kind erkennt die Großeltern, die es seit längerem nicht gesehen hat, nicht wieder, weil aa) die mnestischen Substrateigenschaften die gespeicherte Signalstruktur haben verlorengehen oder doch zu schwach werden lassen oder etwa weil eine aktive Extinktion statthat. Auch die abrufbaren und insofern überschwelligen „Gedächtnissignale" können bb) nicht in beliebiger Menge pro Zeiteinheit reproduziert werden. Die Verarbeitungskapazität für Gedächtnissignale ist begrenzt. Der hier beschriebene zweifache Selektionsvorgang hat selbstverständlich Objektivitätsabweichung und Gegebenheitsmodifikation zur Folge; Seiegieren ist kognitives Ordnen. b) Sowohl perzeptiv aufgenommene als auch gespeicherte und abgerufene Signale der Außenwelt werden nach den Gesetzen der Wahrnehmung und nach denen des Gedächtnisses geordnet beziehungsweise „kodiert". Eine Uberfülle von Beispielen für die Ordnung von perzeptiv aufgenommenen Signalen findet sich unter anderem bei Metzger [866]. So richtet sich die Differenzierung einer optischen Signalmehrheit in „Figur" und „Grund" beispielsweise nach dem „Gesetz der Geschlossenheit". Für den mnestischen Bereich wurde über die Ergebnisse von Wulf [1395] berichtet: figurale Signalmehrheiten werden mnestisch „präzisiert", „nivelliert" usf. Sowohl die S e l e k t i o n als auch die K o d i e r u n g sind psychische Ordnungsfaktoren, die unabhängig davon betrachtet werden müssen, was die selegierten und kodierten Signalstrukturen b e d e u t e n und ob beziehungsweise wie b e d e u t s a m sie für den erkennenden Menschen sind. Wir fassen die hier einschlägigen intervenierenden Variablen unter den Titel der q u a s i s y n t a k t i s c h e n O r d n u n g s e b e n e . Bedeutungen sind stets „bezeichnete" (repräsentierte) Bedeutungen (s. o.). Die Ordnung von Zeichen (Repräsentationen), was sie auch immer bedeuten, ist quasisyntaktisch. Wir sprechen im selben Zusammenhang auch von den „Repräsentationsebenen". 2. D i e
quasisemantische
Ordnungsebene
Ein weiterer Ordnungsvorgang besteht im E i n o r d n e n beziehungsweise Z u o r d n e n perzeptiver beziehungsweise mnestischer Signalstrukturen. Man „behandelt" perzeptive und aus dem Gedächtnis „abgerufene" kognitive Materialien, erwartet sie, ist auf sie „eingestellt" - oder nidit. 142
Signale bestätigen oder widerlegen Erwartungen, das heißt sie lassen sich, wie erwartet, semantisch ein- beziehungsweise zuordnen oder nicht. Das Signal o „ist" einmal eine Null und einmal ein Buchstabe. Der reproduzierte Text „ist" einmal ein „Sinnganzes", ein anderes Mal ein „Wortlaut". Eine vorstellungsartig vergegenwärtigte Figur „ist" einmal ein Trapez und einmal ein Dreieck, dem die Spitze abgebrochen ist. Das reproduzierte Zeichen 4 4 ist seiner Eigenbeschaffenheit nach nicht abhängig davon, ob es das Alter meines Freundes oder meiner Hausnummer b e d e u t e t - e s wird deswegen weder eine 4 3 noch eine andere Zahl daraus. Wenn die Zahl 456223 durch entsprechende mnestische Kodierung zur Zahl 45623 wird (fehlerhafte Reproduktion via „homogene Hemmung" nach Ranschburg, vgl. [2393]; 703), so ist diese quasisyntaktische Gegebenheitsmodifikation unabhängig davon, ob es sich um meine Telefonnummer handelt oder um die der Feuerwehr; die „homogene Hemmung" ist quasisyntaktisch, nicht quasisemantisch. Die intervenierenden Ordnungsvorgänge, die in der Zuordnung und Einordnung von Signalen (Zeichen) bestehen, fassen wir als q u a s i s e m a n t i s c h e („k o g n i t i v e") O r d n u n g s e b e n e zusammen43. 3. M o t i v a t i o n s e b e n e ( q u a s i p r a g m a t i s c h e ebene)
Ordnungs-
Betrachtet man den Menschen, der kognitive Vollzüge produziert, unter dem motivationalen Bewältigungsaspekt, das heißt aber: thematisiert man die B e d e u t s a m k e i t perzeptiver und mnestischer Materialien, so gewinnt man weitere intervenierende Ordnungsgesichtspunkte: Unterstellt man, wie besprochen, die „objektive" Beschaffenheit einer Reizkonstellation als konstant, und registriert man etwa eine veränderliche Strukturierung der Wahrnehmungswelt oder einen unterschiedlichen Verlauf von reproduktiven Vergegenwärtigungen, so können Hunger, die Suche nach einem verlorenen Groschen, unglückliche Verliebtheit oder das Warten auf einen Gast als Ordnungsfaktoren motivationaler Art angesetzt werden. Auf der M o t i 43 Wie empirische Befunde einmal quasisemantisch, zum anderen quasisyntaktisch interpretiert werden können, wird in der Diskussion über die Interpretation der Behaltensüberlegenheit sinnvollen Materials über sinnarmes Material deutlich. Die klassische Interpretation ist eindeutig quasisemantisch: Sinnvolles Material kann kognitiv besser „organisiert", „strukturiert", „eingeordnet", „zugeordnet" werden und ist zum Beispiel eher per associationem zu aktualisieren. Die Informationstheorie hingegen bietet die quasisyntaktische Interpretation an, sinnvolle Texte hätten, verglichen mit gleichlangen sinnarmen Texten, eine relativ geringere Informationsmenge. Da die Speicherkapazität begrenzt ist, kann also „mehr" sinnvolles Material behalten werden (vgl. dazu Miller-Galanter-Pribram
11476]).
143
v a t i o n s e b e n e beschreiben wir kognitive Ordnung unter dem Gesichtspunkt der Situations- und Weltbewältigung. Intervenierende
Variablen höherer
Ordnung
Das Signal o sei in bezug auf mitgegebene Signale (Ziffern) räumlich so geordnet, daß es phänomenal relativ klein und räumlich oberhalb der durchschnittlichen Lokalisation aller Signale angeordnet erscheint (quasisyntaktische Ordnung). Der Betrachter sei kognitiv auf die Zahl null eingestellt. Das Signal beziehungsweise Zeichen o kann gleichwohl nicht als null semantisch eingeordnet werden; seine kognitive Erfassung als Gradzeichen hingegen gelingt sofort. Die Bedeutung „null" kann sich nur im graphischen R e p r ä s e n t a t i o n s s y s t e m abbilden (repräsentieren), wenn bestimmte q u a s i s y n t a k t i s c h e V o r a u s s e t z u n g e n erfüllt sind. Man kann - allgemein gesprochen - I n t e r d e p e n d e n z e n z w i s c h e n O r d n u n g s e b e n e n ansetzen. Genauer: Reaktionsvariablen können in Abhängigkeit von der Interdependenz mehrerer Ordnungsebenen betrachtet werden. 1. Q u a s i s y n t a k t i s c h e Ordnungsebene
und
quasisemantische
Die unterschiedliche quasisyntaktische Beschaffenheit von Repräsentationen e v o z i e r t unterschiedliche kognitive Einstellungen beziehungsweise spezifische Ein- und Zuordnungen kognitiver Materialien. Umgekehrt k a t e g o r i s i e r e n variable kognitive Einstellungen quasisyntaktische Signalstrukturen in unterschiedlicher Weise. Die „Bedeutung" von Signalstrukturen beeinflußt ihre Selektion und quasisyntaktische Kodierung (vgl. Kippfiguren. Die Assoziation nach dem Prinzip der Kontiguität (s.o.S.73f.) ist quasisyntaktische Ordnung im Bereich des Gedächtnisses. Auch sie tritt in Interdependenz mit quasisemantischen Ordnungsbildungen. 2. Q u a s i s y n t a k t i s c h e
und
Motivationsebene
Unterschiedliche quasisyntaktisdie Konstellationen a k t i v i e r e n in unterschiedlicher Weise die motivationalen Gerichtetheiten. So reizt gerade die spezifische quasisyntaktische Geordnetheit dessen, was wir Treppe nennen, zum Hinauf- und Hinunterhüpfen (s. o.). Andererseits werden Selektion und syntaktische Kodierung durch unterschiedliche motivationale Gerichtetheiten in verschiedener Weise s e n s i b i l i s i e r t . Hierfür gibt der „New Look" der Wahrnehmungspsychologie (vgl. u. a. Bruner [165, 171], Postman-Bruner [J0J9]) unzählige Beispiele. Wertvolle Objekte können anschaulich größer und prägnanter erscheinen als wertlose Objekte von gleicher Beschaffenheit. Ein anderes leicht einsehbares Beispiel ist der sex appeal. 144
3. Q u a s i s e m a n t i s c h e
und
Motivationsebene
Unterschiedliche Gerichtetheiten motivationaler Art m o d i f i z i e r e n kognitive Ein- und Zuordnungen in unterschiedlicher Weise. In den vorstehenden Abschnitten (III. 1.) wurde eine größere Anzahl von Beispielen berichtet. Umgekehrt vermag die unterschiedliche Beschaffenheit quasisemantischer Einstellungen die motivationale Gerichtetheit in unterschiedlicher Weise zum Thema zu machen, zu t h e m a t i s i e r e n . 4. I n t e r d e p e n d e n z
aller
drei
Ordnungsebenen
Daß die Reaktionsvariablen in Abhängigkeit von der Interdependenz aller drei besprochenen Ordnungsebenen betrachtet werden können, dürfte einleuchten. So kann etwa die unterschiedliche quasisemantische Kategorisierung einer speziellen quasisyntaktischen Signalstruktur ihrerseits von differenten motivationalen Gerichtetheiten abhängen. c) Die Sprache verführt zu Hypostasierungen. So sind wir nicht sicher, ob unsere Erörterungen nicht doch als „Seinssetzung" seelischer Apparate, realseelisdier Mechanismen usf. mißverstanden werden können. Es sei deshalb nochmals betont, daß wir nach unserem eingehend erörterten Grandsatz kognitive Ordnung als Komplement m e t h o d a l e n O r d n e n s verstehen. Ordnungsebenen und ihre Interdependenzen sind B e s c h r e i b u n g s w e i s e n kognitiver O r d n u n g beziehungsweise I n t e r p r e t a t i o n s w e i s e n kognitiver V o 11 z ü g e " .
Wir unterscheiden nach allem die folgenden Beschreibungsweisen kognitiver Ordnung: I. B e s c h r e i b u n g e n e r s t e n G r a d e s 1. auf der quasisyntaktischen Ordnungsebene (Repräsentationsebenen) 2. auf der quasisemantischen (kognitiven) Ordnungsebene 3. auf der Motivationsebene (quasipragmatischen Ordnungsebene) II. B e s c h r e i b u n g e n z w e i t e n G r a d e s 1. zum Beispiel: Evokation, Kategorisierung 2. zum Beispiel: Aktivierung, Sensibilisierung 3. zum Beispiel: Modifizierung, Thematisierung III. B e s c h r e i b u n g e n d r i t t e n G r a d e s Abhängigkeit der Reaktionsvariablen von der Interdependenz aller drei Ordnungsebenen. Eine schematische Zusammenstellung zeigt Abb. 2 (vgl. zum Verständnis auch S. 281 ff.). Ordnungsebenen können auch „ K o n t e x t e " genannt werden. Interdependenzen zwischen Ordnungsebenen haben oft den Charakter s i g n i t i v e r R e p r ä s e n t a t i o n ; es geht häufig - formal gesehen um die Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem. 44
Vgl. auch Linschoten
10 Herrmann
([1540];
21)
145
Abb. 2 1 = Beschreibungen ersten Grades; 2 = Beschreibungen zweiten Grades
d) Was B e d e u t u n g (auch nur im psychologischen Bereich) „wirklich" sei, wissen wir nicht. Unserem Thema entsprechend versuchen wir, Bedeutung unter dem begrenzten Aspekt der kognitiven Ordnung zu verhandeln. In der zuvor berichteten Beschreibungssystematik erhält das, was unter Bedeutung verstanden werden soll, seinen Platz zur Hauptsache unter den Titeln „quasisemantische Ordnungsebene", „Kategorisierung" und „Thematisierung". Empirisch-experimentelle Definitionsprobleme von „Bedeutung" werden weiter unten (S. 170 ff.) besprochen werden45. 4 5 Die Bedeutung i s t a ) i n n a t ü r l i c h e r E i n s t e l l u n g (intentio recta) originär als ein Stück Wirklichkeit gegeben. So sagt Sartre: „Es gibt das Grün, es gibt das Rot, das ist alles, das sind Dinge, sie existieren durch sich." In Hegels „Phänomenologie des Geistes" heißt es: „Die Sache i s t , und sie i s t , nur weil sie i s t ; dies ist dem sinnlichen Wissen das Wesentliche . . . " (Werke Lasson-Hof-
146
e) Die Erörterung der empirischen und theoretischen Beiträge zum Problem der kognitiven Ordnung (s. o. B I, B II) führte uns zunächst zu einer nicht als Systematik gedachten, sondern als Bestandsaufnahme des vorhandenen deskriptiven Inventars gekennzeichneten Übersicht der k o gnitiven Ordnungsmodalitäten. Autochthone Ordnungscharaktere (zum Beispiel Konstanzmechanismen), solche des Lernens und der Gewöhnung (zum Beispiel Hypothesenbildung) und solche der Motivation (zum Beispiel Erfolgsbesetztheit mnestischer Materialien) werden von der Psychologie zur Interpretation der Objektivitätsabweichung und der Gegebenheitsmodifikation kognitiver Vollzüge in Anspruch genommen. Die Persönlichkeits- und Sozialrelevanz treten hinzu. Erkennt man etwas ehedem Erlebtes nicht wieder, weil es - im Unterschied zur damaligen situativen Konstellation - in umgreifende Gestaltkonfigurationen eingebunden ist (Gestaltbindung), oder richtet sich die Artung unseres kognitiven Verhaltens nach der Reiz-Alternativenanzahl, so wirken sich hier autochthone Ordnungsfaktoren aus. Es wurde ausgeführt, daß sich für die autochthonen Ordnungsmodalitäten die Frage erhebt, ob und inwieweit sie „erworben" wurden 46 . So konnte die Assimilation wahrgenommener Farben an „Dingfarben" (Erwartungsfarben) zum einen als ein Lerneffekt, zum anderen aber als die Auswirkung eines Konstanzmechanismus (und überdies als „Konvergenz" beider Komponenten) beschrieben werden. Dieses Sowohl-als-auch kann nach unseren letzten Erörterungen durch die folgende ordnungstheoretische These ergänzt werden: Wie es auch immer um die Lernabhängigkeit autochthoner Ordnungsmodalitäten bestellt ist, sie können als quasisyntaktische Eigenbestimmtheiten von Repräsentationssystemen verstanden werden. S i e h e i ß e n autocht h o n , n i c h t weil sie u n a b h ä n g i g von j e d e m E r w e r b w ä r e n , s o n d e r n weil sie als u n a b h ä n g i g von B e d e u tung und Bedeutsamkeit beschrieben werden könn e n . Die Gestaltbildung, der Reiz-Alternativenanzahl und anderes mehr werden unter Absehung vom Sachsinn und von der motivationalen Bedeutsamkeit des jeweils Gegebenen betrachtet. Der „Lernaspekt" kognitiver Ordnung dürfte vom autochthonen zum einen dadurch unterschieden sein, daß hier - ex definitione - eine besondere Betonung auf die Bildungsweise kognitiver Ordnung gelegt ist, zum anderen aber, daß der quasisemantischen Ordnungsebene und deren Interdependenz mit der quasisyntaktischen Ordnungsebene eine große Beachtung zukommt. So ändern sich nach Henle (s. o.) Figuren, die keinen Sachsinn haben, nicht meisterll, Leipzig-Hamburg 51949; 80). In b) p s y c h o l o g i s c h e r R e d u k t i o n (vgl. oben S. 34 f., 51) wird Bedeutung zum So-Erlebten, Repräsentierten, Kontextabhängigen usf. 46 Vgl. Gottschaidt [439], Henle [514] 10'
147
in derselben voraussagbaren „assimilativen" Richtung wie diejenigen, die „etwas bedeuten". Man erinnere sich, daß wir die Reduzierung des motivationalen Aspektes kognitiver Ordnungsbildung auf autochthone Feldfaktoren und auf Lernund Ubungsbedingungen ablehnen mußten. Wir stellten diesen Anschauungen den Bewältigungsaspekt gegenüber. Diese Position scheint uns durch die deskriptive Systematisierung, wie sie in diesem Kapitel erfolgt ist, eine zusätzliche Beleuchtung erfahren zu haben. Danach sind die quasisyntaktischen Eigenbestimmtheiten kognitiver Vollzüge von deren motivationalen Implikationen zu trennen. Die Ordnungsebene der motivationalen Bedeutsamkeit wird übrigens unter dem als „biozentrisch" bezeichneten Bewältigungsaspekt zu einseitig gefaßt. Was während der gegenwärtigen Überlegungen Motivationsebenen genannt wurde, umfaßt grundsätzlich alle motivationalen Gerichtetheiten des Menschen, der „so ist", „so geworden ist" und sich nun gerade in jener Situation befindet. Es geht, allgemein gesprochen, bei der Bedeutsamkeit tatsächlich zwar um die „Bewältigung des Daseins"; „Dasein" aber ist mehr als Selbsterhaltung; denn Spiel, Muße, Wertgerichtetheit, „Selbstauszeugung" ( P f ä n d e r ) machen ebenso das Dasein aus wie Leistung, Durchsetzung und Anpassung. Gleichwohl haben die k o g n i t i v e n Vollzüge naturgemäß eine größere Affinität zu den zuletzt genannten Daseinsbestimmtheiten. Überlegungen dieser Art führen zur Frage der P e r s ö n l i c h k e i t s r e l e v a n z der kognitiven Ordnung. Was nach allem unter der Perspektive des vorhergehenden Kapitels als eine eher summative Klassifizierung von kognitiven Ordnungsmodalitäten verhandelt wurde, dürfte unter dem ordnungstheoretischen Aspekt von Ordnungsebenen und Interdependenzen u. E. einer deskriptiven und cum grano salis interpretativen Systematisierüng zugänglich sein. Für eine eingehendere als die versuchte Durchführung dieses Ansatzes scheint es indes zu früh zu sein. Wie viele empirische Voraussetzungen für einen solchen Versuch heute noch fehlen, wird unter anderem unser eigener experimenteller Beitrag peinlich spürbar werden lassen. Keine ordnungstheoretische Systematisierung darf zudem vergessen machen, daß ein deskriptives und interprétatives Modell einen Aspekt darstellt, der andere Aspekte fordert. Nach der zu Anfang eingehend erörterten Intention dieser Arbeit geht es uns gegenwärtig hauptsächlich um eine „heuristische" Erweiterung des deskriptiven Inventars. Im folgenden sollen einige Anwendungen des von uns versuchten Deskriptionsmodells erprobt werden. Wir gehen dabei nicht systematisch vor und erheben selbstverständlich nicht den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit. 148
3. Z u m Problem der Bedeutungsverleihung Die Psychologie betraditet den Sachverhalt „Begriff" 47 nicht unter dem Gesichtspunkt des Logikers oder des Ontologen. So wenig wie die p s y c h o l o g i s c h e Deskription das Noema unabhängig von seiner Repräsentation (Gegebenheitsweise) zu betrachten pflegt, so wenig wird der Begriff von seiten der psychologischen Forschung heute als „essential character" aufgefaßt (Spearman [ Ü 8 9 ] ; 262 f.); er imponiert vielmehr als kognitive Ordnungsbildung spezifischer Art, als „apprehended character which has somehow become stably fixed in the usage of a person or a society" (ebd.). Es geht nicht an, diese begrenzte, aber notwendige einzelwissenschaftliche Perspektive philosophisch zu verabsolutieren und zum Beispiel das „Universalienproblem" von hier aus zu beurteilen. Umgekehrt ist der B e g r i f f im Sinne der Philosophie wohl nicht eigentlicher Gegenstand - zum mindesten der empirischen - Psychologie (so auch Edna Heidbreder
[494]).
D. M. Johnson ([602]; 212) bestimmt den Begriff psychologisch unter anderem als „a spherical pattern, with a center of precise meaning and a periphery of connotations". Charlotte Bühler ([187]; 155 ff.) hatte schon früh von der „sphärenhaften Einordnung" von Bedeutungen in „Komplexionen" gesprochen, Messer vom „Sphärenbewußtsein" ([862]; 77 ff.); Selz [a. a. O.] nahm für das „antizipierende Schema" ein „abstraktes Bewußtsein v o n . . . " an. Vermischen sich in diesen Kennzeichnungen auch Erlebnisphänomenologisches und Funktionales, so wird es doch deutlich, daß der p s y c h o l o g i s c h relevante Sachverhalt „Begriff" und „Begriffsbildung" - zum mindesten auch - im Bezugssystem von „Bedeutung", „Kontext" und „Repräsentation" beschrieben werden kann.
1. Galton ( [ 3 9 9 ] ; 109 ff.), Schwiete
[ I J 3 9 ] , Achenbadi
[7] und viele
andere Forscher hingen bekanntlich der Auffassung an, Begriffe bildeten sich gleichsam durch ein „Übereinanderphotographieren" von Vorstellungen verschiedener Einzelobjekte. Die Gemeinsamkeiten verstärkten sich bei diesem Vorgang, während das „Zufällige", das „Individuelle", vernachlässigt würde. Diese S u m m i e r u n g s - oder V e r d i c h t u n g s t h e o r i e n wurden unter anderen von N.Ach ([6]; 29) einer scharfen Kritik unterzogen. Sie sind ja in der Tat nichts anderes als eine - damals modische - mechanisch-technische Metapher für die „ t e i l i n h a l t l i c h e " Zur Begriffsbildung vgl. u.a.: Ach [6], Bartlett [73], Bergson [95], Betz [101], Bochensky [126], R. W. Brown [159], Bruner et al. [168], Charlotte Bühler [288], Karl Bühler [188 u. a. O.], Detambel-Stolurow [287], Deterline [288], Dollard-Miller [294], Flach [a. a. O], Fudis [392], Heidbreder [493, 494 u. a. O.], Hippius [544], Humphrey [a. a. O.], Johnson [a. a. O.], Kainz [621], Marty [818], Metzger [866], Piaget-Inhelder [991], Selz [a. a. O.], Spearman [1189], Stebbing [1201], Tomaszewski [1254], Usnadze [1272]. Wenzel-Flurry [1339], Willwoll [1370], Wohlwill [1385], Eine neue Übersicht gibt T.S.Kendler im Annual Review of Psychology 12 (1961); 447.
149
A b s t r a k t i o n " . Diese wurde auch noch von Ach [a. a. O.] als eines der wesentlichen Merkmale der Begriffsbildung angesprochen, und sicherlich wird sich die Begriffsbildung - denkt man vornehmlich von der Logik her a u c h als teilinhaltliche Abstraktion beschreiben lassen. (Vgl. auch H. Werner [1347]; 249 und dazu Wellek [1507]; 66). Dieser „logizistische" Aspekt ist aber schon deshalb unzureichend, weil 1) die abstraktiven Vollzüge psychologisch durchaus nicht homogen sind und weil 2) das „invariant Gemeinsame", das einen Begriff im wesentlichen ausmachen soll, nur im Sonderfall „materialiter" repräsentiert ist. Man denke an den Fall, in dem man zwar die „Worthaftigkeit" (syntaktische Relevanz) eines Wortes erkennt, aber nicht weiß, was es bedeutet. Ich erlebe das Wort in verschiedenen sprachlichen und situativen Kontexten und lerne langsam, mit dem Wort u m z u g e h e n (operative Bedeutung) und erkenne - nicht einmal immer gleichzeitig damit - , was es „bedeutet" (materiale Bedeutung). Es bildet sich eine operative und auch eine materiale (relative) „Bedeutungsinvariante". Man kann nun selbstverständlich sagen, die (relativ) invariante Bedeutung werde aus wechselnden Anwendungen beziehungsweise „Bezugssystemen" des Wortes schließlich „abstrahiert". (Vgl. Ach [a.a.O.]: „Verständigungsmethode".) Anders verhält es sich, wenn ich eine Mehrheit von dinglichen Gegenständen nach einem bestimmten Gesichtspunkt gruppiere, welcher Gesichtspunkt (selten!) die gemeinsame Farbe, aber auch (viel häufiger) ihr Gebrauchszweck (vgl. WenzelFlurry [1339] oder etwa ihre „Eßbarkeit", ihre „Widerwärtigkeit" oder ähnliches sein mag. Ich b e h a n d e l e (zum Beispiel verwende, suche, meide) die so gruppierten Dinge in gleicher Weise. (Vgl. dazu Osgood [949]: Bedeutung als gleiche Reaktion auf eine Reizklasse, sowie als gleiche propriozeptive Stimulation durch die Reaktion auf eine Reizklasse.) Diese Gemeinsamkeit kann aber auch - unabhängig vom Umgang mit den Dingen - vergegenständlicht werden. Das geschieht unter anderem dann, wenn ich sie gemeinsam b e n e n n e oder wenn ich sie (etwa auf dem Tisch, oder auch nur „in Gedanken") anschaulich gruppiere. Das B e n e n n e n ist einmal der aktuelle Vorgang der A b b i l d u n g einer B e d e u t u n g im verbalen Repräsentationssystem, zum anderen (im Sinne des „Benennenkönnens") die „erworbene" Bereitschaft dazu. Wie ein Wort erst durch seine semantische Trägerfunktion etwas benennen kann, so wird eine visuelle Weltgegebenheit erst durch ihre Bedeutungsfunktion zu einem benennbaren Gegenstand. Das „ordnungsstiftende Prinzip" der Benennung ist die „Bedeutung". Sowohl der Wortsinn als auch das „Bedeutung-Haben" der visuellen Gegebenheit sind Teilbestimmungen der e i n e n kognitiven Ordnungsbildung, die wir „Bedeutung" nennen. Die Bedeutungen sind - ordnungstheoretisch - von ihren signitiven Bezügen nicht zu trennen; die letzteren sind Bestimmungen der ersteren. Das „Verknüpftsein" der „benannten" Wahmehmungsgegebenheit und des „benennenden" Wortes i s t eine kognitive Ordnungsbildung beziehungsweise eine signitive Teilbestimmtheit derselben. Einem Wort Bedeutung verleihen beziehungsweise abgewinnen oder aber dingliche oder Geschehensgemeinsamkeiten „begrifflich" thematisieren ist psychologisch nicht dasselbe. Allgemeine funktionale und erlebnis150
phänomenologische Ubereinstimmungen der beiden kognitiven Prozesse gehen überdies gewiß nicht in der teilinhaltlichen Abstraktion auf; sie werden von dieser Kennzeichnung nicht einmal angemessen erfaßt. Wenn man von t e i l inhaltlicher Abstraktion spricht, so impliziert das auch diejenigen Dingmerkmale, die n i c h t beachtet werden. Gruppiere ich nach der Farbe, so „vernachlässige" ich de facto zwar beispielsweise die Formen; es ist aber sehr fraglich, wieweit diese Kennzeichnung der „psychischen Realität" des Vorganges überhaupt gerecht wird: Ich k a t e g o r i s i e r e nämlich; nicht aber abstrahiere ich v o n etwas anderem. Es ist auch nur ein Sonderfall, wenn jene anderen (konkurrierenden) Gruppierungsgesichtspunkte und die entsprechenden Dingmerkmale phänomenal überhaupt mitgegeben sind. Für den Hungernden ist die Welt im Extrem n u r noch in Eßbares und Nichteßbares geteilt; auch in vielen anderen Fällen treten die „kategorialen Alternativen" sowohl anschaulich-phänomenal wie auch als P r o z e ß a l t e r n a t i v e zurück. Die G e s i c h t s p u n k t e , n a c h denen „abstrahiert", besser: kategorisiert wird, sind - motivational eingebettete - Ordnungsprinzipien; die Gesichtspunkte, v o n denen „abstrahiert" wird, existieren oft nur im Kopf des Denkpsychologen oder Logikers. So ist aber die t e i l inhaltliche Abstraktion eine Kennzeichnung, die zum einen die Gesichtspunkte, nach denen jeweils „abstrahiert" wird (vgl. auch Bartlett [66]; 84 ff. u. a. O.), nicht mitenthält und die darüber hinaus den psychologischen Vorgang überhaupt nicht angemessen beschreibt. 2. W i e schon kurz besprochen wurde, verhält sich beispielsweise ein hungriges Kind verschiedenen Dingen (den „Dingen zum Essen") gegenüber gleichartig, beziehungsweise geht es mit ihnen in gemeinsamer Weise anders um als mit anderen Dingen. Dasjenige, was man als „Eßwaren" „materialiter" thematisiert (und meist nicht nur dieses), erhält dann für das Kind eine bestimmte gefühlsartige Valenz (Lewin: Aufforderungscharakter; Wellek: Leitqualität); die Wirklichkeit strukturiert sich entsprechend um, das Eßbare „tritt hervor", „bietet sich an" (vgl. auch Révész [1055]; 34 ff., Buytendijk [206]; 51 ff., 101 ff.). Wellek weist an verschiedenen Orten darauf hin, daß die sogenannte >5 Abstraktion" in einem solchen Falle weder, im soeben besprochenen Sinne, als die explizite Abweisung der „kategorialen Alternativen" erfolgt, noch daß die G e m e i n s a m k e i t e n des „Zu-Essenden" ü b e r h a u p t a l s s o l c h e im Erleben repräsentiert sein müssen. Die kognitive Ordnung ist hier o p e r a t i v , nicht phänomenal-material (vgl. Buytendijk [a. a. O.]). Sie konstituiert sich im U m g a n g oder doch im „ a n s c h a u l i c h - v o l l z i e h e n d e n " D e n k e n ([1324]; 137ff.), vgl. auch Piaget ([985]; 994). Man „abstrahiert" nicht, sondern man erlebt und verhält sich p e r a n a l o g i a m (Wellek: „Analogiegefälle" vgl. 151
auch H.Werner [1347] und neuestens Witte [1381]). Man verfügt nicht notwendig über explizierbare materiale Erlebnisinvarianten (Piaget [a. a. O.]) 4 8 .
Die „logische" Invarianz der Begriffe wird in der psychischen Realität sehr viel weniger oft erreicht, als man anzunehmen scheint. Sowohl in phönomenaler wie in funktionaler Weise bleiben „Bedeutungen" kontextund repräsentationsspezifisch relativ variabel (Werner-Kaplan [J349]). Die durchgängig streng invariante Verwendung von Bedeutungen ist im realen kognitiven Geschehen nicht sehr häufig. Auch hier darf man nicht die normativen Erfordernisse mit der psychischen Realität verwechseln. Die relative Bedeutungsvarianz muß sogar unter dem ordnungstheoretischen Aspekt als eine Selbstverständlichkeit angesehen werden, sind doch - fluktuierende - Kontexte und Repräsentationen konstituierende Komponenten eben der Ordnungsbildung, die wir „Bedeutung" nennen. Diese relative Variabilität der Bedeutungen nicht genügend erkannt zu haben, liegt u. E. teilweise im ehemals wirklichkeitsfremden Experimentieren der Denkpsydiologen begründet. Der Purismus, nur mit e r f a h r u n g s u n a b h ä n g i g e m „pseudodinglichem" Material und mit als s i n n f r e i erkennbaren Pseudowörtern zu arbeiten, stellt sich heute als ein Kunstfehler heraus (Ach [a. a. O.], Schwiete [a. a. O.], Moede [856], Aveling [53] u. a.). Angemessenere Methoden, wie sie sich bei Karl und Charlotte Bühler [188,187], Auguste Flach [a. a. O.], Selz [a. a. O.], Willwoll [1370], Piaget [a.a.O.], Werner-Kaplan [1350], Heidbreder [a.a.O.], Bruner und Mitarbeitern [a. a. O.] finden, lassen denn auch erkennen, daß die kognitiven Ordnungsbildungen in der Regel nicht streng „invariant" gegenüber Repräsentations- und Kontexteinflüssen sind. So wird schon die Wortbedeutung (operativ: der Wortgebrauch) durch sprachliche Kontexte modifiziert. Bedeutungen werden oft, pars pro toto, mit dem semantischen Kontext, in dem sie gehabt werden, i d e n t i f i z i e r t (Werner-Kaplan [a. a. O.]); das Bedeutungsgefüge bleibt gewissermaßen diffus. Die formal-figurale Gefügebeschaffenheit von Bedeutungen, so ihre Nuanciertheit (Herrmann [530]), hängt von der Art und Menge der mitgegebenen Kontextinformation ab. Kategorisierungen variieren unter anderem mit dem persönlichen Engagement (Sherif-Hovland [1169], Bruner et al. [a. a. O.]). 4 8 Die Ä h n l i c h k e i t zweier Erlebnisgegebenheiten kann u. E . unter Umständen mit der abständigen und versachlichten Analyse eines zuvor eher „gefühlsartig" erlebten Sachverhalts v e r s c h w i n d e n . So kann das Atmosphärische einer Landschaft mit demjenigen einer früher erlebten ähnlich anmuten, ohne daß eine versachlichte Betrachtung noch eine Ähnlichkeit bemerken würde. J. Herrmann ([522]; 479) formuliert, daß es „eine spezifische Ähnlichkeit (und Verschiedenheit) vom Komplexen als solchen - unabhängig von der der Teile gibt" (vgl. Betz [200]; 280), Th. Herrmann ([529]; 72 f.). Dieser Sachverhalt offenbart die Möglichkeit, daß zwei Erlebnisarten zu verschieden geordneten Ansichten des Wirklichen führen.
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Die Bedeutungsvariabilität wird unter positivem Wertaspekt als „Disponibilität" des kognitiven „Materials" (Duncker [307]), als Plastizität und als die Voraussetzung aller intellektuellen Produktivität (Wertheimer [J357]) betrachtet. Daß die relative Bedeutungsvariabilität zugleich relative Konstanz ist, zielt auf einen selbstverständlichen phänomenologischen Tatbestand ab und bedarf keiner Erörterung. Bedeutungen werden neuerdings unter anderen von Bühler [i96] („Gestaltprinzip") und von Witte [1381] („Transposition") als relative Invarianten beschrieben. 3. Bei der B e d e u t u n g s v e r l e i h u n g von Wörtern (beziehungsweise von Wortzusammenhängen) wird zum einen der W o r t s i n n aus den wechselnden Zusammenhängen, in denen das Wort erscheint, (quasiinduktiv) „abstrahiert" (s. jedoch oben), zum anderen trachtet man die Bedeutung per analogiam, nach „bewährten", vorgängig erworbenen und ad hoc aktualisierten materialen und operativen Ordnungsschematen zu finden, das heißt man leitet sie quasi-deduktiv aus dem bereitliegenden Wissen und mit Hilfe des intellektuellen Könnens ab (zum Beispiel „de-" bedeutet „von weg", „von herab" oder ähnliches). Am Anfang der Bedeutungsverleihung stehen diffus und anmutungsqualitativ erlebte Qualitäten 1. der „ S i n n h a f t i g k e i t " des in seiner Bedeutung noch nicht erkannten Wortes: es b e d e u t e t etwas allerdings noch Unerkanntes, doch vielleicht ganz „sphärenhaft" (s.u.) Erahntes ( = Wort in seiner semantischen Relevanz); 2. der „W o r t h a f t i g k e i t", seiner syntaktischen Manipulierbarkeit ( = Wort in seiner syntaktischen Relevanz). Der („semantische") Bedeutungscharakter wie die sprachhafte Manipulierbarkeit zusammen mit der Unbekanntheit des relativ invarianten Wortsinnes können bildhaft als B e d e u t u n g s v a k u u m , als Leerstelle im Bedeutungsgefüge, beschrieben werden; diese ist gleichzusetzen mit der T e n d e n z z u r A u s f ü l l u n g , einem „Quasibedürfnis" im Sinne von Lewin. „Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei auch etwas denken lassen" (Mephisto in Goethes „Faust"). Bedeutungsverleihung ist zum einen die Ausfüllung von „Sinnleerstellen" - und zwar vom semantischen Kontext her - , außerdem stellt sie eine „signitive" Korrespondenz zweier Ebenen dar, der „Wortebene" und der „Sinnebene" (vgl. Untersuchung 5). Endlich läßt sich diese signitive Beziehung als eingebettet verstehen in den Motivationszusammenhang des „Verstehenwollens" (vgl. auch Fuchs [a. a. O.]). (Man braucht einen Text nicht verstehen zu wollen, sondern kann das Blatt, auf dem er geschrieben steht, etwa zum Einwickeln benutzen.) Ordnungstheoretisch muß für die Konstitution der kognitiven Ordnungsbildung „Bedeutungsverleihung" nach alledem zum mindesten in Anspruch genommen werden: 1) der verbale K o n t e x t d e s W o r t e s , 2) der S i n n z u s a m m e n h a n g , der sich aus vorgängigen materialen und operativen Ordnungs-
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bildungen und aus der aktuellen Kontextinformation konstituiert, 3) der M o t i v a t i o n s z u s a m m e n h a n g , in den dieses kognitive Geschehen eingebettet ist („Verstehenwollen") und das unter anderem dem Wort und dem Sachsinn seine „physiognomische Bedeutsamkeit" („für mich") gibt. 4) Neben die Eigenbestimmtheiten dieser drei Ordnungssysteme tritt die s i g n i t i v e Beziehung der verschiedenen Ordnungsebenen49. 4. Über verbale Repräsentationen 1. Kainz unterscheidet für die „Wortbedeutungen" ([62J]; 643 f.): a) die (zentrale) Komponente der „Begriifsbedeutung", b) die „sphärische" Komponente der Nebenvorstellungen und -bedeutungen, c) die „emotionale" Komponente des Gefühlstons und Stimmungswertes, d) die „bildliche" Komponente des Vorstellungswertes. Diese Einteilung ist sicherlich nicht unproblematisch. Die Wahrnehmung eines Wortes wird zwar sehr oft „Vorstellungen" evozieren, doch haben unter anderem Bühler [788] und Betz [a. a. O.] festgestellt, daß es mit der Explizitheit dieser Vorstellungen meist nicht weit her ist (vgl. „Intentionen", „Wissen", „Meinungen"). In den W o r t e n bilden sich übrigens, wie betont, Bedeutungen ab; auch V o r s t e l l u n g e n bedeuten etwas. Ein Wort b e d e u t e t hingegen keine Vorstellung; es e v o z i e r t sie vielleicht. Die erlebte Bedeutung eines Wortes ist in der Regel nichts weniger als begrifflich formalisiert. „Begriffe" sind in erster Linie l o g i s c h e Einheiten. Das wurde ausgeführt. Erlebnisdeskriptiv betrachtet, ist die Gegebenheit von Bedeutungen „sphärisch", „bildlich" und „emotional" (s. o.). Sie wird jedoch so gut wie nie a l s sphärisch, bildlich und emotional erlebt, sondern eben - erlebt. Der Hinweis auf die „Sphärenhaftigkeit", Bildhaftigkeit und die komplexqualitative Einbettung erfolgt in psychologischer Reduktion der originär gegebenen Bedeutung. Er ist aber unter anderem deshalb dringend notwendig, weil die Verwendung des dem Psychischen vielfach inadäquaten Terminus „Begriff" in der Denkpsychologie zu einer wenig sachgerechten Beschreibung kognitiver Phänomene geführt hat (so noch beispielsweise bei Ach [a. a. O.]). Die Klassifikation von Kainz läßt sich u. E. ordnungstheoretisch insofern verwenden, als tatsächlich 1. der semantische Kontext („Sinnebene") (Komponente 1, 2), 2. die motivationale Bedeutsamkeit (Komponente 3) und 3. die „vorstellungshaften" Repräsentationsverhältnisse von Bedeutungen 49 In größtmöglicher Reduktion imponiert, wie betont, das Sosein beziehungsweise So-Gewordensein des konkreten M e n s c h e n , in einer konkreten S i t u a t i o n als das übergeordnete Ordnungsprinzip, aus dem sich die hier unterschiedenen Teilbestimmtheiten erst herleiten. So ist aber kognitive Ordnung immer „strukturell" (im Sinne Felix Kruegers). v. Bertalanffy nennt den Menschen das „animal symbolicum".
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als unterscheidbare Ordnungscharaktere in das Verstehen von Wörtern involviert sind. Hinzu tritt freilich der s y n t a k t i s c h e K o n t e x t („Wortebene"), dessen Einfluß auf das Wortverständnis, wie schon angedeutet, nicht unterschätzt werden sollte. Die „syntaktische" Ordnungsmodalität geht aber nidit in der linguistisch-grammatikalischen „Regelung" einer Sprache auf. Sicherlich „sucht" etwa ein Adverb „sein" Verb (Bühler [295]; 173), sicherlich sind beispielsweise die Suffixe ausgezeichnete Verständnishilfen; durch diese „syntaktischen Schemata" (Bühler) wird das verbal Gegebene in der Tat zu einem guten Teil geordnet. Doch sollten nicht solche E i g e n g e s e t z l i c h k e i t e n des Sprachlichen vergessen werden, die nicht in ihrer grammatikalischen Beschaffenheit, sondern vielmehr im t a t s ä c h l i c h e n S p r a c h g e b r a u c h liegen, dessen Erforschung unter anderem durch die Informationstheorie (vgl. u. a. Quastler [1032], Meyer-Eppler [1475], Zemanek [1515], Küpfmüller [728]) einen großen Auftrieb erhielt. Betrachtet man das „Häufigkeitswörterbuch der deutschen Sprache" (Kaeding [628]), so sieht man, daß (bei einer Auszählung von über 10 Millionen Wörtern) das Wort „die" mit einer Frequenz von 358 054 in der deutschen Schriftsprache des ausgehenden vorigen Jahrhunderts am häufigsten vorkommt. Es folgen „der" (354 526), „und" (320 985), „zu" (258 584) und „in" (214 308). Das Wort, das der Häufigkeit nach an der zwanzigsten Stelle steht („sich"), hat eine Frequenz von 92 995. Das häufigste Hauptwort erscheint erst an der 77. Stelle: „Zeit". Seine Frequenz beträgt nur noch 14 529; das zweithäufigste Hauptwort ist „Herr" (9688). Zählt man einzelne Buchstaben aus, so entfallen 15,6°/o der 26 Buchstaben auf das „e". Das „o" macht demgegenüber nur 2,14 °/o, das „p" weniger als 1%> aus. Ordnet man die Wörter einer Sprache entsprechend der Häufigkeit ihres Vorkommens (f) nach Rangplätzen (R), so ergibt sich in Annäherung die Beziehung: f • R = const. („Zipfsdies Gesetz"). Das häufigste Wort einer Sprache müßte danach doppelt so häufig wie das zweithäufigste, dreimal so häufig wie das dritthäufigste usf. verwendet werden. Das trifft, wie man sieht, zwar für die geschriebene deutsche Sprache nicht zu; die Betrachtung höherer Rangplätze ergibt jedoch ein Bild, das der Zip/sehen Relation besser entspricht. Wichtiger als die numerische Beziehung ist indes der Aufweis, daß die häufigsten Wörter einen unverhältnismäßig großen Anteil einer Sprache ausmachen. So besteht nach Miller ([875]; 89) die Hälfte der geschriebenen englischen Sprache aus nicht mehr als rund 50 verschiedenen Wörtern50. Das Zipfsdie Gesetz (vgl. Zipf [1414], Mandelbrot [1473]) gibt der einfachen Überlegung Raum, daß das immense Gefälle der Buchstaben- und Worthäufigkeiten auf ein analoges Gefälle der k o g n i t i v e n E r w a r t u n g e n von 50 Zählt man in einem Text die Anzahl der überhaupt verwendeten Wörter und die Anzahl der v e r s c h i e d e n e n Wörter und teilt man den zweiten Betrag durch den ersten, so erhält man den D i v e r s i f i k a t i o n s - Q u o t i e n t e n des Textes (W. Johnson).
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Lauten, Buchstaben, Silben und Wörtern verweist: „Im Zweifelsfalle" ist - sonst sei kein Anhaltspunkt gegeben - ein schlecht wahrgenommener Buchstabe eben eher ein „e" als ein „p".
Es ist allerdings zugleich hinzuzusetzen, daß sich in der verbalen Häufigkeitsstruktur auch die K o n v e n t i o n a l i t ä t v o n B e d e u t u n g e n abbildet (s. u.). Häufig gebrauchte Hauptwörter dürften Rückschlüsse auf die „Gebräuchlichkeit" dessen (auf die „Vertrautheit" mit dem) zulassen, was sie b e d e u t e n . Dieser Gesichtspunkt darf andererseits jedoch auch nicht überschätzt werden. Die allerhäufigsten Wörter („die", „der", „und" usw.) repräsentieren ja kaum einen Sachsinn; sie haben in erster Linie eine syntaktische Relevanz. Auch die Gebrauchshäufigkeit von Buchstaben kann nicht auf die semantische Konventionalität reduziert werden. Es folgt: die verbale Häufigkeitsstruktur ist keine bloße Kopie der Konventionalitätsverhältnisse der „Bedeutungsebene". In ihr drücken sich immer auch Eigengesetzlichkeiten des Verbalen aus, die allerdings ihrerseits auf kognitive Ordnungsbildungen ihren Einfluß haben, ebenso wie die Eigengesetzlichkeiten der visuellen Welt, wie gezeigt, die Ordnungsbildungen auf der Ebene des Sachsinns beeinflussen (zum Beispiel Gruppierungen nach dem „Gesetz der Nähe"). Übrigens kann noch in einem anderen Sinne von der Ordnungsfunktion der Häufigkeitsstruktur und überhaupt der „Wortebene" gesprochen werden. Nur rund zwei Drittel der regelhaft zusammenhängenden verbalen Informationen sind notwendig, damit Sprache noch zu verstehen sei (vgl. u. a. Küpfmüller [a. a. O.], Miller [ a . a . O . ] , Staniland [J199]: Redundanz, Entropie). Der syntaktische Kontext zusammen mit den „Stoffhilfen" (Bühler), das heißt dem semantischen Kontext, binden die verbalen Gegebenheiten in einen Verstehenszusammenhang ein, so daß allfällige „Informationslücken" vom Kontext her ausgefüllt werden können. Andererseits ist jedes Wort umso besser verständlich, je größer der verbale Kontext ist (Selfridge [1248], vgl. auch Wissemann [1512]). Werden also mehr Verbalinformationen verwendet, als „theoretisch" zum Verständnis notwendig wären (Miller [a. a. O.]; 103), so kann man diesen Sachverhalt zum einen - in quasi teleologischer Perspektive - als „Sicherung", als „Stabilisierung", der Verständlichkeit (so Miller) interpretieren; zum anderen kann man diesen Überhang aber auch als hinzunehmende Eigenbestimmtheit des Sprachlichen auffassen, insofern Sprache nicht nur etwas Signitives ist, sondern eine autochthone Ordnungsstruktur (eine „objektiv geistige Struktur" [so Wellek]).
Neben die Eigenbestimmtheiten des Sprachlichen tritt, wie betont, die „ S a c h s t e u e r u n g " der Sprache, die zum einen dadurch zur Wirkung kommt, daß Sprachliches 1. in einem „sympraktischen" Kontext (Bühler), in einer aktuellen Situation, statthat, wo beispielsweise häufig „hingewiesen", „hingedeutet" wird (Bühler: „demonstratio ad oculos", vgl. aber auch „Deixis am Phantasma"), daß aber auch 2. im Sprachlichen repräsentierte Bedeutungen in ein „ s y n s e m a n t i s c h e s U m f e l d " (Bühler), in die Ordnung der „Sinnebene", eingebunden sind. 156
Wie ist es zu verstehen, daß Sprache nicht nur „etwas bedeutet", sondern daß Wörter und auch Laute, Buchstaben, Silben, über ihre „semantische Relevanz" hinaus selbst als spezifische Gefühlswerte, aber auch vergegenständlichte „synästhetische" Qualitäten besitzen (vgl. Werner [1343], J. Wittmann [7382], Ansdiütz [36], Wellek [1321 u. a. O.], McKellar [843])? So erlebt ein Mensch etwa das „a" als stahlblau. Das Adjektiv „glitschig" b e d e u t e t nicht nur eine Eigenschaft; in dem „gl" und dem „tsch", zusammen mit dem kurzen „i", scheint diese Eigenschaft vielmehr selbst gelegen zu sein. Das mit „glitschig" Vermeinte ist zugleich eine Qualität des W o r t e s : Das Wort „glitschig" selbst kann als glitschig erlebt werden. Hier ist ein sehr schwieriges erlebnisphänomenologisches Problem angesprochen, das im gegebenen Zusammenhang beiseite gelassen werden soll, da wir in funktional-ordnungstheoretischer Weise über Kontexte und Repräsentationen handeln. Doch scheint es bedeutsam zu sein festzustellen, daß beispielsweise Laut-Farb-Synästhesien weder interindividuell verbindlich noch aber häufig (gegenüber verschiedenen Kontexten) intrapersonal stabil zu sein pflegen (vgl. Wellek [a. a. O.]). Andererseits ist es wahrscheinlich, daß bestimmte Laute, zum mindesten für die Angehörigen einer Sprachgruppe, relativ verbindliche „Sphärenqualitäten" besitzen: So findet Wellek für das k u r z e „i" die folgenden „lauthermeneutischen Attribute" : „klein ( w i n z i g ) , scharf, s p i t z , dünn, g e s c h w i n d , f l i n k , schlank, hoch, klar, f r i s c h , grell, glänzend, hell, l i c h t , warm, durchd r i n g e n d - also, wenn wir hier einen Wertgesichtspunkt einführen wollen, durchaus positive Eigenschaften, durchaus ,Plus'" ([1507]; 61, vgl. in Anschütz [36 77/]; 246). Die interindividuelle Konkordanz solcher gefühlsartig gegebenen Eigenbedeutungen von Lauten, Wörtern usf. ist sehr unterschiedlich. Versucht man, den im engeren Sinne semantischen Gehalt dieser komplexqualitativen „Sphären" zu formalisieren, so zeigt es sich bald, daß die oft üppige und qualitativ durchaus differenzierte (nuancierte) Gefühlsaura eines Lautes, einer Lautgruppe, eines Wortes letztlich recht wenig darüber aussagt, was das Wort, dem dieser Laut oder diese Lautgruppe zugehören und/oder das jene „Anmutungsqualität" besitzt, ganz konkret bedeutet. Die Wörter „winzig", „spitz", „flink", „frisch", „licht", „durchdringend" und „glitschig" sind eingebettet in die gemeinsame „Sphäre" des kurzen „i"; sie bedeuten aber etwas recht Unterschiedliches und sind nicht sprachlich promiscue zu verwenden. Sind Laute und Wörter nach ihrem Sphärendiarakter differenziert, so sind sie nach eben diesem Sphärencharakter g e o r d n e t . Erlebt ein Mensdi das „a" als stahlblau und das „i" als gelb usf., so verfügt er über ein synästhetisches Ordnungssystem. Ist „Maluma" - ein Kunstwort - rund und weich und „Takete" ein anderes Kunstwort - spitz und hart, so manifestiert sich hier eine ähnliche 157
Ordnungsbildung. Sie besteht unabhängig davon, welchen Sachsinn die QuasiWörter besitzen - sie haben keinen. W. Köhler fand, daß „Maluma" und „Takete", läßt man sie graphisch „symbolisieren", von erwachsenen Personen unseres Sprachgebiets zeichnerisch recht konkordant behandelt werden. Daß eine D e f i n i t i o n beider „ W o r t b e d e u t u n g e n " hingegen zu keiner Konkordanz führt (eigene unveröffentlichte Untersuchung), Hegt ganz in der Linie des bereits Ausgeführten. Daß die Konkordanz auch beispielsweise bei LautFarb-Synästhesien weitgehend fehlt, wurde erwähnt. Übrigens fanden Irwin und Newland, daß relativ konkordante Sphärenqualitäten, wie sie sich bei „Maluma" und „Takete" zeigen, erst nach dem 4. bis zum 16. Lebensjahr erworben wurden (vgl. Hofstätter [555]; 274 f., Kaplan [1536])". Die Sphärenqualitäten von Lauten und Wörtern scheinen - insofern sie gefühlshaft gegeben sind - weitaus besser graphisch „symbolisiert" als verbal „formalisiert" werden zu können (vgl. Obst [934]), wie ja das Malen, Zeichnen und auch das Tanzen und In-Töne-Setzen die echte Sprache des Gefühlshaften zu sein scheint (vgl. Werner-Kaplan [1350]). Nach allem stehen die gefühlsartig gegebenen Sphärenqualitäten von Lauten, Wörtern und ähnlichem als s p r a c h e i g e n e Verständn i s h i l f e n neben der im engen Sinne linguistischen „Regelung" und der „Erwartungsstruktur" der Sprache. Alle diese Komponenten gehören zur syntaktischen Eigenordnung der Sprache, und diese Eigenordnung kann unabhängig von der signitiven Verknüpfung b e s t i m m t e r Wörter mit b e s t i m m t e n Bedeutungen thematisiert werden. Auch das sinnfreie Quasi-Wort „Maluma" hat seine syntaktische Relevanz: „Maluma" ist ein Hauptwort, es kann Satzgegenstand sein. Es hat eine zeichnerisch „symbolisierbare" Sphärenqualität. Seine Buchstaben beziehungsweise Laute haben bestimmte Erwartungswerte usf. Das Wort mag für uns recht bedeutsam sein: Einen Sachsinn hat es gleichwohl nicht. Daß der syntaktische Kontext und auch die „Sphärenqualitäten" für das Sprachverständnis nicht ausreichen, ist eine Selbstverständlichkeit. Genügten die linguistische Regelung der Sprache, Ihre Erwartungsstruktur und ihre Sphärenqualitäten, so könnte es keine unbekannten Wörter der 51 O. Etvert konnte (mit Marianne Braun) die Befunde von Irwin und Newland für eine deutsche Population bestätigen (Braun, Marianne: Experimentelle Untersuchungen über die Entwicklung des Ausdrucksverstehens. Vordiplom-Arbeit, Mainz 1963 (unveröffentl.)). Diese Resultate entscheiden selbstverständlich nicht zugunsten einer „thesei"Theorie der Sprache, da 1) persönlicher Erwerb nicht dasselbe ist wie „Verabredung" und 2) die altersspezifische Steigerung der Zuordnungskonkordanz von Wort und „Sphäre" zum einen lerntheoretisch, zum anderen im Sinne der Funktionsreifung (oder aber als „Konvergenz" - so W. Stern - beider Komponenten) verstanden werden kann. Die sprachphilosophische Alternative „physei" vs. „thesei" wird hier nidit diskutiert. Angesichts der derzeitigen Problemlage scheint uns Porzigs These überaus treffend zu sein: „Die Beziehung der Namen auf die Sachen ist nicht naturgegeben und nicht willkürlich gesetzt, sie ist geistesgeschichtlich bedingt." ([a. a. 0 . ] ; 4 9 )
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eigenen Sprache und kaum überhaupt F r e m d sprachen geben. Sprachliches deutet sich nicht „aus sich selbst heraus"; es vermittelt jedoch (spracheigene) Verständnis h i 1 f e n. 2. In der A l g o n k i n - Sprache werden alle Objekte mit der Eigenschaft des „Lebens" und der selbsttätigen Bewegung durch Wörter bezeichnet, die das Suffix „-a" haben; nicht belebte und nicht „selbstbewegte" Objekte repräsentieren sich in Wörtern, die auf ,,-i" enden (nach Boas [24], vgl. Cassirer [230]; 275). So zerfällt die Objektwelt in zwei Kategorien, die unmittelbar sprachlich repräsentiert sind. Unsere Sprache kennt eine entsprechende Zweiteilung nicht. Die N a v a h o - Sprache teilt die unbelebten Objekte in analoger Weise in runde und lange; auch hier fehlt in den europäischen Sprachen jede Entsprechung. Übrigens kennen die N a v a h o Indianer kein W o r t für „runde Gegenstände" und „lange Gegenstände" (Whorf [1364]; 69). Die H o p i - Indianer kommen ganz ohne Massensubstantive aus. Sie kennen keine Binomina (zum Beispiel „Stück Holz"). Es gibt für sie nur „konkrete" Hölzer, Wässer usf., nicht aber Holz oder Wasser überhaupt (Whorf [a. a. O.]; 141, 147 ff.). Sie haben eine ungewöhnlich feine sprachliche Klassifizierung für Vibrations-Bewegungen (56). Über die verbale Bildung „10 Menschen" verfügen sie wie wir. Während wir aber zeitliche Gruppierungen ebenso kennzeichnen („10 Tage"), ist ihnen eine raumanaloge Behandlung des Zeitlichen völlig fremd (139). Weisgerber berichtet, daß die Verwendungshäufigkeiten der Endungen „-lieh" und ,,-bar" im Verlaufe der neuhochdeutschen Sprachentwicklung in den folgenden sich ändernden Verhältnissen standen: Jahr 1691 1800 1876
„-lieh" ,,-bar" 1 1 2
: : :
10 4 1
,,-bar bezeichnet nach Weisgerber unter anderem „zugänglich", „grundsätzlich offenstehend", „-lieh" hingegen „leicht bewältigt", „durch die Tätigkeit wirklich bewältigt" ([1315]; 169). In der Verhältnisänderung der Gebrauchshäufigkeiten beider Endungen komme ein „Wechsel im Urteil über die Faßbarkeit und Überschaubarkeit des Lebenskreises" zum Ausdruck (ebd.). Korn [1464] setzt eine eigene „Sprache der verwalteten Welt" an. Wörter wie „Nachholbedarf", „Obstanbauschwerpunkt", „Veranstaltung", „Europagedanke", vor allem aber die S u b s t a n t i v i e r u n g e n (vgl. zum Beispiel „veranstalten" •—»• „eine Veranstaltung durchführen" >- „die Durchführung einer Veranstaltung in Angriff nehmen"), werden von diesem Autor als sprachliche Manifestationen moderner Denkweise verstanden. Auf derselben Linie liegt die „Verdammung" des menschlichen Partners in den A k k u s a t i v : früher lieferte man d e m Kunden (das Brennholz); heute beliefert man d e n Kunden (mit Heizöl). Weisgerber ([a. a. O.]; 129 f.) schreibt: „Die Gesamtheit der in der deutschen Sprache vorhandenen Farbwörter trägt als Ganzes die gedankliche Gestaltung der Farbwelt; in diesem sprachlichen Feld vollzieht sich die geistige Verarbeitung,
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die dann in den Inhalten der einzelnen deutschen Farbwörter .geistige Gegenstände' herausstellt, die in ihrem Miteinander Gestalt, Umgrenzung, Verwendbarkeit gewinnt." Nach eigenen Beobachtungen fehlte im Oberhessischen der Marburger Gegend das Farbwort „braun". Es wurde erst in neuer Zeit aus dem Hochdeutschen übernommen. Der „hochdeutschen" Reihe „gelb-braun-schwarz" entspricht mundartlich „gisl - schwaz". Ein hellbrauner Anzug wird (oder wurde doch) als „gisl" bezeichnet. Daß sich in dieser vom Hochdeutschen abweichenden Benennungsordnung eine differente kognitive Strukturierung des Farbfeldes repräsentiert, dürfte einleuchten. Weisgerber gibt an, im Litauischen werde beispielsweise das Grau der Haare, der Augen, der Enten und Gänse durch verschiedene Wörter bezeichnet ([a. a. O.]; 88). Welche Schlüsse lassen sich aus diesen empirischen Befunden ziehen? Nach Cassirer ([a. a. O.]; 20) ist die Sprache ein „geistiges Grundmittel", nach Bühler eine „gewaltige Systemleistung" ([a. a. O.]; 218); die Welt des Gegebenen werde von „der Funktion des sprachlichen Denkens und des sprachlichen Ausdrucks" durchdrungen (Cassirer [ebd.]). „Jede Einzelsprache ist ein eigenartiges, mit spezifischen Kategorien, Apperzeptionsformen sowie Abstraktionsaspekten arbeitendes System des Weltbegreifens, und die solcherart zustande kommenden Erfassungskerne hat nachzuvollziehen, wer die Bedeutung eines ihrer Worte angemessen verstehen will." (Kainz [a. a. O.] ; 464 f.) Weisgerber spricht geradezu vom „Weltbild der Sprache", Whorf von einer „linguistically determined thought world" ([a. a. O.]; 154) 52 . Man sollte diese ähnlich klingenden - teilweise recht emphatischen Formulierungen allerdings nicht auf eine und dieselbe sprachtheoretische Position zurückführen. Während beispielsweise Weisgerbers Thesen (zur Kritik vgl. Porzig [a. a. O.] ; 108) auf W. v. Humboldts Konzept der „inneren Sprachform" gründen 53 , entspringt Whorfs Position einem „psycholinguistischen Relativismus" (dazu Graumann - Ewert - Graumann ([449]; 29), den er wie folgt formuliert: „Sprache ist mehr als alles andere eine Klassifikation und eine Verarbeitung des Stromes der sensoriellen Erfahrung, welch letztere in einer spezifischen Weltordnung resultiert." ( [ a . a . O . ] ; 55). Bei 52 Obst ([934]; 15 f.) stellt für die graphische Repräsentation von „abstrakten Begriffen" fest: „Auffallend ist trotz isolierten Arbeitens eine weitgehende Übereinstimmung in der Wahl der den abstrakten Begriff symbolisierenden oder vertretenden Vorstellung." In dieser interindividuellen Verbindlichkeit zeige sich die „einheitliche Durchstrukturierung" unseres „Weltbildes". (Für die graphische Repräsentation von Bedeutungen vgl. R. Krauss [698], H. Werner [1347], Maria Hippius [541], Graewe [443], Hartlaub [481], Rouma [1086], Mühle [902] u. a.). 53 Vgl. auch Marty [817], sowie H.Lipps ([757]; 113 f.): „Artikulation" der Gedanken durch die „Vorentscheidung einer bestimmten Sprache".
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v. Humboldt ist Sprache das, was man eine „objektiv-geistige Struktur" nennt, an welcher wir als Angehörige einer Sprachgemeinschaft teilhaben und die unser Denken sowohl mitbestimmt wie sie unsere Denkweise spiegelt. Bei Whorf ist Sprache ein vom Individuum „erworbenes" Kategoriensystem, das die perzeptiven Informationen klassifiziert (vgl. auch R. W. Brown [158]) und unsere Denkweise erst konstituiert. Einmal manifestiert sich kognitive Ordnung im Sprachlichen und stellt mit ihm in inniger Wechselbeziehung, im anderen Falle verdankt die kognitive Ordnung der Sprachordnung erst ihr Enstehen (vgl. Flavell [369]). Whorfs Ansatz erinnert übrigens an den frühen Behaviorismus, der das Denken mit der Tätigkeit von „language mechanisms" identifizierte (Watson [1305]; zur Kritik: Bartlett-Smith [74], Osgood in Cofer [i525] u. a.) Der psycholinguistische Relativismus identifiziert den Vorgang des Denkens zwar selbstverständlidi nicht mit sprechmuskulären Intentionen; Whorf teilt aber mit dem klassischen Behaviorismus die Extremposition des Interpretationsmonismus beziehungsweise des Reduktionismus: Watson reduziert den aktuellen Denkvorgang auf die Funktion von Sprachmechanismen, Whorf die Denkweise auf „language structures"54. Das Urteil über die „Faßbarkeit und Überschaubarkeit des Lebenskreises" ( W e i s g e r b e r s. o.) hat sich indes nicht deshalb geändert, w e i l die Verwendungshäufigkeiten der Endungen „-lieh" und ,,-bar" eine Änderung erfuhren. Wir würden allerdings auch nicht vorschnell das umgekehrte Bedingungsverhältnis unterstellen wollen. Die linguistischen Modifikationen und diejenigen der „Weltbilder" dürften (1) mit einem (schwer zu bestimmenden) Dritten - vielleicht mit Porzigs „geistesgeschichtlicher Bedingung" ([1009]; 49) - in Beziehung und (2) untereinander in einem sehr komplizierten und für jeden konkreten Fall neu aufzuklärenden I n t e r d e p e n d e n z v e r h ä l t n i s stehen (vgl. Porzig [a. a. O.]). Die höchst differenzierte linguistische K e n n z e i c h n u n g von Vibrationsbewegungen und deren auffällige B e a c h t u n g bei den H o p i s erscheinen uns viel eher als zwei Seiten desselben Tatbestandes oder doch als ein Wechselspiel, als daß wir annehmen könnten, die Beachtung g r ü n d e in der linguistischen Differenzierung. Zum mindesten bleibt die „Zweiseiten-" beziehungsweise die „Wechselwirkungsthese" solange plausibel, wie man auf dem deskriptiven Niveau der Sprache als einer personunabhängigen „objektiven" Struktur („la langue") argumentiert. Sowohl beim individuellen Erwerb einer bestimmten Wirklichkeitsstrukturierung (kognitiven Ordnungsbildung) als auch im aktuellen Vorgang des Denkens und Sprechens („la parole") mögen jedoch verbale Ordnungscharaktere - quasisyntaktische Eigenbestimmtheiten der verbalen Repräsentation 54 Eine Ubersicht über die hier einschlägigen Untersuchungen der PawlowSchule gibt A. A. Liublinskaja; vgl. [1469]: The development of children's speech and thought. (Simon, B. [Ed.]). Stanford, Calif. 1957; 305.
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(s. o.) - eine starke Wirkung sowohl auf die Bildung kognitiver Ordnung wie auf den Verlauf kognitiver Vollzüge ausüben und diese auch einmal geradezu unilateral determinieren. Die „allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" ist eine bereits von H. v. Kleist beschriebene Erscheinung {[1462]; 74 ff.): „L'idée vient en parlant" (vgl. auch J. Cohen [252]). 53 Denkvollzüge gehen darüber hinaus zu einem guten Teil mit „lautlosem Sprechen" einher (vgl. Dietz [290]). Wie allerdings Bühler [iSS], Betz [a. a. O.] und andere Forscher aufwiesen, gibt es Denk- und Erinnerungsvollzüge, bei denen materiale Komponenten verbaler Art nicht feststellbar sind (vgl. auch Bartlett [a. a. O.]). Das kognitive Geschehen ist zwar oft innig verflochten mit Sprachlichem; es ist aber nicht auf Sprachliches zu reduzieren.
Nachdem Révész die „Funktionen", die „Intentionen", die „Strukturen" und die „Inhalte" des Denkens und Sprechens einer eingehenden vergleichenden Analyse unterzogen hatte, kam er zu dem Resultat, Kognitives und Sprachliches bildeten eine „unzertrennliche Dualität"; eine Reduktion des einen auf das andere sei nicht möglich; jedes sei „autonom"; beides stehe in einer komplizierten „Wechselwirkung" [1056]. Daß diese „Wechselwirkung" - im ordnungstheoretischen Bezugssystem betrachtet - keine „symmetrische Relation", sondern durch das spezifische „stare pro" gekennzeichnet ist, leuchtet ohne weitere Ausführungen ein. Kein Etwas ist ohne ein „Anderes" (Cassirer [230]; 33); nichts Geordnetes ist ohne einen Kontext, ohne Einbettung in ein Ordnungssystem; nichts Geordnetes scheint auch ohne „signitive Dimension" zu sein. Jede figúrale Gegebenheit weist über sich hinaus; sie ist (für uns) bedeutsam und sie bedeutet etwas. Bedeutungen manifestieren sich - umgekehrt - in perzeptiven Gegebenheiten oder in der „Vorstellung", in einer „Intention" (Bühler), einem „Schehm" (Betz), in einem gehörten oder gelesenen Wort. Jedes Wort - ist es auch unbekannt - hat eine signitive Valenz, ist „mehr" als nur ein f l a t u s v o c i s ; schon insofern wir es als u n b e k a n n t erleben, weist es über sein figúrales Eigensein hinaus.
5. Repräsentation und Kommunizierbarkeit Ist es schon notwendig geworden, die Ordnungsstruktur kognitiven Geschehens (und seiner Bedingungen) über die gewissermaßen zweidimensionale Einbettung in Kontexte, Bezugssysteme, Ordnungsebenen hinaus in ihrer „dritten", der signitiven Dimension und damit nach der I n t e r d e p e n d e n z von Ordnungsebenen zu beschreiben (vgl. Schema S. 146), so stellt sich sogleich die Forderung, das deskriptive Inventar nochmals zu erweitern: 55
Man vergleiche auch verwandte Ansätze in der Theorie der modernen Lyrik: „Der Dichter überläßt die Initiative dem Wort." (St. Mallarmé [Oeuvres completes. Paris 1957; 366].)
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R e p r ä s e n t a t i o n hat nicht zuletzt insofern den kategorialen Charakter des Vermitteins, als sie die Frage der i n t e r i n d i v i d u e l l e n K o m m u n i z i e r b a r k e i t kognitiver Ordnungen aufwirft (vgl. Bühlers „Mitteilungsfunktion" der Spradie). 1. R e p r ä s e n t a t i o n s k o n v e n t i o n a l i t ä t : Es ist selbstverständlich, daß die gute interindividuelle Übereinstimmung und die intraindividuelle Stabilität einer Bedeutung mitbestimmt sind von der signitiven Verknüpftheit mit möglichst wenigen oder gar nur einem einzigen Bedeutungsträger („Zeichen") „pro Repräsentationssystem". So kann eine Dingoder Sachverhaltsbedeutung sich mit Hilfe eines oder mehrerer Wörter der deutschen Sprache, mit Hilfe eines oder mehrerer „ikonisierter" zeichnerischer Figurationen abbilden. Repräsentiert sich ein kognitiver Gehalt stets nur in ein und derselben Weise (und hat das Repräsentationssystem eine interpersonal vermittelnde Funktion), so ist die Kommunikation des Sachverhalts in der Regel weniger schwierig, als wenn für ihn eine ganze Skala von „gleichbedeutenden" Zeichen zur Verfügung steht: Die Kommunizierbarkeit steht in einem positiven Verhältnis zur R e p r ä s e n t a t i o n s h o m o g e n i t ä t 5 6 . Homogen repräsentierte Bedeutungen kann man unter die Bezeichnung der R e p r ä s e n t a t i o n s k o n v e n t i o n a l i t ä t fassen, insofern eine homogene Repräsentation meint, es bestehe eine relativ verpflichtende Konvention in bezug auf die „Zeichenwahl". Komplexe, diffuse kognitive Gehalte sind oft in höchst vielfältiger Weise zu bezeichnen; es besteht in Hinblick auf ihre sprachlichen Abbildungen keine rechte konventionelle Norm - und damit nur eine geringe Sicherheit, sie zu übermitteln. 2. G e b r a u c h s h ä u f i g k e i t : Ein vielleicht nicht weniger trivialer Gesichtspunkt ist darin gelegen, daß man die Repräsentationskonventionalität auch in „quantitativer" Weise beschreiben kann: Betrachtet man die Verbalsprache, so werden in der Regel solche Wörter h ä u f i g e r verwendet werden, die einen f e s t e r e n signitiven Zusammenhang mit demjenigen bilden, was sie bedeuten (vgl. oben: Erwartungsstruktur). Es scheint eine positive Beziehung zwischen der Gebrauchshäufigkeit von Wörtern und der Repräsentationskonventionalität zu bestehen (vgl. dazu auch Russel-Meseck [1094]). 56 Die Synonymität von Wörtern widerspricht u. E . dieser These nicht: Es besteht 1. kein Anlaß zu der Vermutung, synonym bezeichnete Bedeutungen würden leichter kommuniziert beziehungsweise ihre Mißverständlichkeit sei herabgesetzt. Die Beobachtung an Kindern erweist das Gegenteil. Außerdem legt 2. die genaue Bedeutungsanalyse von Wörtern den Verdacht nahe, daß sogenannte Synonyme zumeist gar nicht auf eine und dieselbe Bedeutungsnuance bezogen sind. Synonymität ist eine Funktion der Differenzierung kognitiver Felder.
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3. S e m a n t i s c h e K o n v e n t i o n a l i t ä t : Osgood (s. u. S. 173 ff.) denkt die Bedeutungen in einen n-dimensionalen euklidischen „semantischen Raum" eingeordnet. Schließt man sich für deskriptive Zwecke einmal ad hoc diesem Raummodell an, so kann man Bedeutungen unter anderem danach unterscheiden, ob sie mehr im mittleren Bereich, im Dichtebereich dieses Raumes, gelegen sind oder aber gleichsam am Rande („Außenseiterbedeutungen"). Anders: man kann sich Bedeutungen denken, die allen übrigen ähnlicher sind als andere. (Im experimentellen Teil dieser Arbeit wird Osgoods „semantisches Differential" zur deskriptiven Formalisierung dieses Gesichtspunktes verwendet werden.) Man kann die hier angesprochene s e m a n t i s c h e K o n v e n t i o n a l i t ä t nun auch mit der Kommunizierbarkeit in Beziehung setzen: Es wäre zum einen denkbar, sehr konventionelle Bedeutungen könnten nicht gut kommuniziert werden, da sie ja leicht mit den vielen ihnen ähnlichen verwechselt würden. Man kann aber auch anders und angemessener argumentieren, für die (semantisch) konventionelleren Bedeutungen stünde eine feinere Nuanciertheit zum mindestens des verbalen Repräsentationssystems bereit; so wäre unter anderem die Repräsentationshomogenität größer. Außenseiterbedeutungen würden seltener thematisiert und blieben relativ heterogen repräsentiert. Gewisse Befunde experimenteller Art scheinen diese zweite Interpretation für die v e r b a l e Repräsentation zu stützen (Untersuchung 7). 4. A n s c h a u l i c h k e i t : Die relativ leicht in quasi-raumzeitliche Repräsentationen („Vorstellungen", „Schemen") abbildbaren ( = anschaulichen) Bedeutungen scheinen besser kommuniziert zu werden als die vergleichsweise unanschaulichen. 5. F o r m a l e U r t e i l s s t r u k t u r : Betrachtet man kognitive Sachverhalte auf der quasisemantischen Ordnungsebene, so kann ihre Einordnung in Sinnzusammenhänge 1. t h e m a t i s c h („qualitativ") untersucht werden (Beispiel: Karfreitag steht im Kontext der Trauer, nicht der Freude); zum anderen ist eine Betrachtung 2. der f o r m a l e n G e f ü g e b e s c h a f f e n h e i t solcher Einordnungen möglich: Es gibt Bedeutungen, die - unter Absehung davon, wie sie thematisch beschaffen sind - in radikaler, extremistischer Weise eingeordnet zu werden pflegen; andere hingegen sind durch äußerste Nuanciertheit gekennzeichnet. (Daß es sich bei alledem um psychologisch-empirische, nicht aber um absolute Kennzeichnungen handelt, braucht nicht nochmals betont zu werden.) Faßt man quasisemantische Einordnungen in Sinnzusammenhänge als (nicht notwendig explizierte) Urteile auf, so kann man von einer a u s g e p r ä g t e n , ja radikalen, oder aber einer n i v e l l i e r t e n oder aber einer n u a n c i e r t e n f o r m a l e n U r t e i l s s t r u k t u r sprechen. Die Bedeutung X sei in Hinblick auf eine große Anzahl von Merkmalsdimensionen in extremer Weise wertmäßig negativ eingeordnet, die Be164
deutung Y aber radikal positiv; dann sind X und Y thematisch sicherlich nicht sehr ähnlich; betrachtet man aber ihre formale Urteilsstruktur, so sind sie insofern kaum unterschiedlich, als beide eine radikale, nicht aber eine nuancierte oder aber eine nivellierte Urteilsstruktur besitzen. (Diese begrifflichen Unterscheidungsversuche werden in der Untersuchung 5 („Bedeutungsdifferenzierung") und 6 („Urteilsnuanciertheit") experimentell exemplifiziert werden.) Verbale Bedeutungsträger, die mit einer nur sehr geringen syntaktischen und semantischen Kontextinformation gegeben sind, pflegen nur diffuse, komplexe Bedeutungen zu repräsentieren - solche, die vornehmlich dem bloßen „Sphärengerudi (Bühler) der abbildenden Sprachzeidien entsprechen (s. o.). Mit steigender Kontextinformation nehmen nicht nur die „Sinnerfülltheit" von Bedeutungen und ihre Kommunizierbarkeit zu, sondern audi die Nuanciertheit ihrer formalen Urteilsstruktur. Allerdings scheinen s e h r nuancierte und zugleich gewissermaßen „intime" Konzepte weniger repräsentationshomogen zu sein als konventionellere Konzepte. Die Repräsentationshomogenität von Bedeutungen dürfte also mit der Zunahme der Urteilsnuanciertheit zunächst schnell ansteigen; sie scheint aber mit der weiteren Zunahme verfeinerter und gemäßigter Urteilscharaktere wieder langsam abzusinken [530]. Die „Sinnerfülltheit" von Bedeutungen, ihre Kommunizierbarkeit und ihre formale Gefügebeschaffenheit stehen in keinem linearen Zusammenhang. Mit der Vergrößerung der Kontextinformation geht nicht nur eine Steigerung der Repräsentationshomogenität und eine (formale) Verfeinerung und Mäßigung eines Konzeptes einher, sondern auch ein Anstieg der B e r e i t s c h a f t z u r Verbalisierung (der Äußerungsbereitschaft). (Daß Zusammenhänge zwischen der oben [sub 2] angeführten Gebraudishäufigkeit verbaler Repräsentationen und der Äußerungsbereitschaft bestehen, läßt sich vermuten.) Nach allem dürfte die i n t e r i n d i v i d u e l l e Kommunizierb a r k e i t von kognitiven Ordnungsbildungen unter anderem unter den Gesichtspunkten der Repräsentationskonventionalität, der G e b r a u c h s h ä u f i g k e i t von Repräsentationen, der s e m a n t i s c h e n K o n v e n t i o n a l i t ä t , der „ A n s c h a u l i c h k e i t " und der f o r m a l e n U r t e i l s s t r u k t u r zu beschreiben sein. (Diese deskriptiven Begriffsbildungen werden experimentell eingehend expliziert werden.) Die Sprache unter dem Aspekt der Kommunizierbarkeit und diese unter dem Gesichtspunkt der Konventionalität, insbesondere der Repräsentationskonventionalität, zu betrachten, ist selbstverständlich nur ein begrenzter deskriptiver Ansatz zur Bewältigung dieses außerordentlich diffizilen Problembereichs. Beispielsweise der „sympraktische Kontext" (Bühler), in dem eine verbale Mitteilung ihren Platz hat, und die „emotionalen" Komponenten der Kommunikation („Ausdruck", „Kundgabe") sind in ihrer Wichtigkeit nicht zu unterschätzen. Ihre Behandlung liegt außerhalb der Intention der gegenwärtigen Erörterungen. 165
C. Experimentelle Beiträge zur Psychologie kognitiver Ordnungsbildungen I. Einige formale Beschreibungsweisen kognitiver Ordnungsbildungen: Urteilskonkordanz, semantische Differenzierung und Urteilsnuanciertheit 1. Vorbemerkungen 1. Breiteste Ubereinstimmung dürfte wohl in bezug auf die methodische Forderung bestehen, es müsse „notwendig eine saubere Deskription der Phänomene j e d e r Art von Analyse vorausgeschickt werden, sei letztere nun Kausalanalyse oder aber das sinndeutende ,zergliedernde' oder .verstehende' Verfahren, das Düthey postuliert" (Wellek [ 1325]; 847, vgl. schon Krueger [710]; 16 u. a. O.). Ähnlich lehnt Metzger den von ihm so genannten „eleatischen Grundsatz" ab und fordert, das „Vorgefundene zunächst einfach hinzunehmen" ([866]; 8-14, insbesondere 11 f.; vgl. auch [1449]). Diese Postulate dürfen selbstverständlich nicht vergessen machen, daß Deskription nicht voraussetzungslos sein kann. In der Tat läßt es sich unschwer zeigen, daß jede Deskription mit „privilegierten Begriffsgruppen" (vgl. Wittenberg [ 1513]; 245 ff.) arbeitet, dem Ordnungssystem ( = Bezugssystem), in dem beschrieben wird. Jede (auch beschreibende) Systematisierung systematisiert einen Bestand von (in der Erfahrung fundierten) Bedeutungen nach Gesichtspunkten, unter Aspekten (vgl. [1449]; 118 f.). Wir fassen auch die im folgenden darzustellenden Untersuchungen auf als (in Bezugssystemen unternommene) D e s k r i p t i o n von empirischen Sachverhalten. Zu den Beschreibungsgesichtspunkten (Privilegierungen) gehören unter anderen solche s t a t i s t i s c h e r Art: Die systematische N u l l s t e l l e ist die bloße Zufallswahrscheinlichkeit von Häufigkeiten, Verteilungen, Kovarianzen und dergleichen; Sachverhalte werden in bezug auf (beispielsweise als signifikante Abweichungen von) diese Nullstelle bestimmt. Entsprechend der Anlage der gegenwärtigen Arbeit kann es sich bei den angebotenen experimentellen Untersuchungen nicht um die experimen166
teile Konstitution e i n e r T h e o r i e der kognitiven Ordnung handeln. Unsere Absicht ist vielmehr der empirische A u f w e i s deskriptiver und interpretativer G e s i c h t s p u n k t e . Die experimentellen Ansätze wollen als begrenzte Modelle verstanden werden, die am Beispiel umschriebener empirischer Sachverhalte allgemeinere Thesen e x e m p l i f i z i e r e n (vgl. oben S. 141: Indikatorfunktion). Auf die Anwendung statistischer Formalisierungen höherer Ordnung wurde weitgehend verzichtet1. Für die Abbildung großer Problemgebiete in e i n e m experimentellen Modell scheint es uns, was das Problem der kognitiven Ordnung angeht, noch zu früh zu sein. 2. Der „materiale Aspekt" (Wellek [1334], vgl. Bühler [1428]), unter dem im folgenden hauptsächlich beschrieben werden soll, ist das v e r b a l e V e r h a l t e n von Versuchspersonen beziehungsweise Versuchspersonengruppen. Seltener werden mündliche oder schriftliche Äußerungen der Probanden unter dem Gesichtspunkt „richtig" vs. „falsch" (oder „logischwahr" vs. „logisch-nichtwahr") erfaßt ( = Leistungsaspekt). Wenn Probanden-Zeichnungen verwendet werden (Untersuchung 7), so unterstellen wir diesen nicht den Charakter von Werkgestaltungen ( = Werkaspekt); sie werden als außerlautsprachliche Kommunikationsmittel, und zwar nicht als Indikatoren für die Befindlichkeit der Zeichner, sondern als Repräsentationen und Mediationsmittel von/für Bedeutungen (vgl. Bühler: Darstellungsund Mitteilungsfunktion) betrachtet (s. u.). 3. Eine der wichtigsten Aufgaben, die der modernen Denkpsychologie gestellt sind, ist die Auffindung deskriptiver Modellvorstellungen. An diesen mangelt es offensichtlich auch heute noch in empfindlicher Weise. Wenn man allerdings kognitive Vorgänge, wie es häufig geschieht, ausschließlich als Leistungsvollzüge betrachtet, wobei Beschreibungen beispielsweise unter dem Gesichtspunkt „richtig vs. unrichtig" (oder auch „logisch-wahr vs. logisch-nichtwahr") üblich sind, so scheint das deskriptive Rüstzeug eher auszureichen. Zumal für „wahrnehmungsnahe" Denkvollzüge, wie „Umstrukturierungen" und ähnliches, stehen deskriptive Konzepte verschiedener Art bereit. Die Verhältnisse liegen ungünstiger, wenn man die Bildung und die Umbildung kognitiver Ordnungssysteme (zum Beispiel operativer Einstel1 Da die Merkmalsstruktur der untersuchten Sachverhalte oft noch wenig übersichtlich und die Stichprobengrößen aus organisatorischen Gründen bisweilen mäßig sind, wurden die Befunde meist auf niederem Skalen-Niveau (Nominal-, Ordinalskalen) abgebildet; überwiegend wurden verteilungsfreie statistische Verfahren verwendet. So ist es wahrscheinlich, daß experimentelle Informationen ungenutzt blieben. Es erscheint jedoch beispielsweise häufig nicht angängig, Normalverteilungen zu unterstellen (Beispiel: Polaritätenprofile). (Die gehäufte Anwendung der Rangreihen-Korrelation hat keinen anderen Grund als diesen.)
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lungen, „Bedeutungen", „Begriffe"), sowie ihre Verwendung bei der Bewältigung - vor allem „wahrnehmungsferner" - Aufgaben beschreiben will. Hier sind die Deskriptionsmöglichkeiten vergleichsweise noch recht begrenzt. Im folgenden soll ganz kursorisch über Beschreibungsversuche berichtet werden, die im Zusammenhang unserer empirischen Untersuchungen notwendig wurden. Neben der U r t e i l s n u a n c i e r t h e i t , die in der 6. Untersuchung an einem einfachen Beispiel exemplifiziert wird (vgl. auch [530]), handelt es sich um die von Osgood zuerst beschriebene und von Hofstätter und anderen weiter entwickelte „ s e m a n t i s c h e D i f f e r e n z i e r u n g " von Bedeutungen, sowie um einen formalisierten Ausdruck für die U r teilskonkordanz.
2. Der Bedeutungsgehalt als Urteilskonkordanz Ein vertrauter Sachverhalt ist in der Rede angezielt, irgendetwas habe „mehr oder weniger Sinn", es sei „sinnvoll" oder aber „sinnlos"; beispielsweise ein Wort habe eine „tiefe Bedeutung", es sei „bedeutungsvoll" oder „bedeutungsleer"; man sagt, etwas sei „eine leere Phrase, unter der sich jeder etwas anderes vorstellen" könne, usf. Hier wird auf den B e d e u t u n g s g e h a l t von B e d e u t u n g s t r ä g e r n (zum Beispiel Wörtern, aber auch Kunstgegenständen und vielem mehr), allgemein von „Gestalten" und auf ihre „G e s t a 111 i e f e" abgehoben (Wellek [a.a.O.]). Daß aber der Bedeutungsgehalt ein sehr komplexer und wohl kaum in e i n e m formalisierten Beschreibungsmodell abbildbarer Sachverhalt ist, dürfte deutlich sein: Bedeutungshaitig kann ein Bedeutungsträger sein mindestens im Sinne 1. seiner Bedeutsamkeit f ü r den Erlebenden (seiner motivationalen Relevanz), 2. seiner formal-figuralen Ausgeprägtheit (vgl. „Prägnanz der Gestalt" (Wertheimer [1357], dazu Wellek [J332]), 3. seiner Sachhaltigkeit („Sachsinn") im gemeinen Verstände, 4. seines logischen „Gehalts" (Carnap: „je mehr Fälle ein Satz ausschließt, um so mehr besagt er." [1429]; 20), 5. seiner interindividuellen Verbindlichkeit. Wir sind im gegenwärtigen Zusammenhang insbesondere an der fünften Version des Terminus interessiert. Es ist nämlich in steigendem Maße notwendig, Gegenstände der Denkpsychologie so zu beschreiben, daß sie, wie besprochen, nicht nur als „binnenseelische" Zustände und Vorgänge des Denkenden erscheinen, sondern 1. als bezogen auf intentionale Wirkliclikeitsbestände (auf „Welt"), als 2. mitfundiert in der interindividuellen Querverbundenheit, der kognitiven Kommunikation (vgl. oben S. 127). Moderne anthropologische Konzepte machen diese Bereichsvergrößerung (oder auch Blickwendung) der Denkpsychologie unabdingbar. Darüber hinaus ist die Sprache, nicht zuletzt nach den schon vor langem vorgetra168
genen Thesen K. Bühlers, sowohl Bedeutungsträger als auch Kommunikationsmedium. Handelt es sich bei den untersuchten Bedeutungsträgern um Wörter (einzeln oder im syntaktischen Verbände), so ist der interindividuelle (kommunikative) Aspekt der Bedeutungshaltigkeit phänomenologisch besonders angemessen. Wird danach der Bedeutungsgehalt (zum Beispiel von Wörtern) als i n t e r i n d i v i d u e l l e V e r b i n d l i c h k e i t verstanden, so handelt es sich hier nur um e i n e n deskiptiven Aspekt unter anderen. Die interindividuelle Bedeutungsverbindlichkeit eines Wortes wird für den gegenwärtigen Zweck ausschließlich als i n t e n s i v e G r ö ß e verstanden. Die Fragestellung geht auf das „Wieviel" des Bedeutungsgehalts. (Die Befragung eines Zeichens auf das „Was" der Bedeutung ist nicht gemeint.) Wenn beispielsweise die Bedeutungsverleihung untersucht wird, so ist die sogenannte „Kontextwirkung" (s. u.) einmal auf die Vergrößerung der interindividuellen Bedeutungsverbindlichkeit überhaupt („wieviel?"), dann aber auf die kontextspezifische B e d e u t u n g s d i f f e r e n z i e r u n g („was?") hin zu betrachten. Wird einem Worte so gut wie kein in irgendeiner Weise verbindlicher Sinn zuerkannt, so erweist sich das auch darin, daß eine Reihe von Menschen, fordert man sie auf, das was sie unter dem Wort verstehen aufzuschreiben, nichts Übereinstimmendes produzieren. Im Extremfall schreibt jeder Beteiligte etwas anderes auf. Wir dürfen dann sagen, es liege hier kein verbindlicher Bedeutungsgehalt vor. Fordert man aber etwa, die Bedeutung des Wortes „Aschenbecher" aufzuschreiben, so wird eine große Ubereinstimmung ( = Urteilskonkordanz) vorliegen. Der Bedeutungsträger „Aschenbecher" hat einen großen Bedeutungsgehalt. Ist diese Betrachtung des Bedeutungsgehalts sicherlich auch nur eine Perspektive unter anderen, so liegt es doch nahe, ihn (auch) als Urteilskonkordanz einer empirischen Stichprobe und darüber hinaus als eine solche derjenigen Population zu fassen, für die die Stichprobe repräsentativ ist. Ein quantitativ formalisierter Ausdruck für die Urteilskonkordanz ist auf verschiedenen Wegen zu gewinnen: Urteilskonkordanz kann zum Zwecke ihrer quantitativen Bestimmung vor dem Hintergrund ihres Gegensatzes, der U r t e i l s d i s k o r d a n z , betrachtet werden. Es wurde schon vermerkt, daß man sich die totale Urteilsdiskordanz als dadurch bestimmt denken kann, jede Person verbinde beispielsweise mit einem Wort eine andere Bedeutung; sie gebe ein anderes Individualurteil ab. Es ist aber auch möglich, daß die Natur der Aufgabenstellung beziehungsweise die sachlogische Beschaffenheit des Problems nicht so viele Urteilsklassen zuläßt, wie Individualurteile abgegeben werden. Die Kategorienzahl ist hier vom Problem her begrenzt beziehungsweise geringer als die Anzahl der Urteilenden. In diesem Falle besteht die totale Urteilsdiskordanz in der zufälligen Verteilung der Individualurteile auf die vorgegebenen Kategorien. Eine solche Urteilsverteilung dürfte in den meisten Fällen darin bestehen, daß auf jede Kategorie gleich viele Individualurteile entfallen.
169
Es ergeben sich zwei verschiedene D i s k o n k o r d a n z m o d e l l e : 1. Totale Urteilsdiskordanz ist gegeben, wenn die Anzahl der Urteilskategorien gleich der Anzahl der Urteilenden ist; die Besetzung je Kategorie beträgt ex definitione 1. 2. Totale Diskordanz ist gegeben, wenn die vorgegebenen Kategorien mit Individualurteilen gleichbesetzt sind. Für die Anzahl der Kategorien kann nur vorausgesetzt werden, daß sie gleich oder kleiner ist als die Anzahl der Urteilenden. Ist sie gleich, so geht das zweite Diskordanzmodell in das erste über. Aus beiden Diskordanzmodellen lassen sich deskriptive K o n k o r d a n z m a ß e beziehungsweise quantitative Konkordanz-Definitionen entwickeln: 1. S y m b o l r e d u n d a n z
(K%)
Jede Vp einer Stichprobe mit der Stichprobengröße N protokolliert, was zum Beispiel dieses oder jenes Wort bedeutet (=Individualurteile). Die Individualurteile werden nach hier nicht zu berichtenden Verfahren e m p i r i s c h e n Urteilskategorien subsumiert. Die Anzahl der empirischen Urteilskategorien (2 C;) und die Besetzungen dieser Kategorien mit Individualurteilen (fi) sind e m p i r i s c h e r m i t t e l t e W e r t e . Zum Beispiel sei die Stichprobengröße N = 100 und die Anzahl aufgefundener Urteilskategorien 2 Ci = 3; die empirische Urteilsverteilung (fi) betrage: Ü! = 60 C2 = 20 C3 = 20 Es ist vorteilhaft, wenn man diese empirischen Verteilungsverhältnisse unter dem Gesichtspunkt der kleineren oder größeren U r t e i l s k o n k o r d a n z der urteilenden Stichprobe beschreibt. Unter Voraussetzung des e r s t e n Diskordanzmodells kann man ein einfaches Maß für die Urteilskonkordanz angeben, das das völlige Fehlen der interindividuellen Ubereinstimmung ( = jede Vp produziert eine Wortbedeutung unterschiedlicher Kategorie) mit K = 0 % und die „Einigung" auf eine einzige Kategorie als K = 100 °/o bezeichnet. Unterstellt man eine induktive Relevanz der Stichprobenverteilung, so kann der Grenzübergang von der beobachteten Urteilsverteilung der Stichprobe auf unendlich viele Einzelurteile unternommen werden. Diese Sachlage scheint aber den Modellbeschaffenheiten der informationstheoretischen S y m b o l r e d u n d a n z zu entsprechen (vgl. u.a. Zemanek [a.a.O.]). Errechnet man den E n t s c h e i d u n g s g e h a l t ( = Informationsbetrag) (EG) der nach dem ersten Diskordanzmodell theoretisch erwarteten Urteilsstruktur ( = maximaler Enscheidungsgehalt) sowie denjenigen der 170
empirisch aufgefundenen Urteilsstruktur der Stichprobe ( = empirischer Entscheidungsgehalt), so ergibt sich daraus ein deskriptives Maß für die O r d n u n g , die im Hinblick auf beispielsweise die Wortbedeutung in dieser Stichprobe besteht. a) Der m a x i m a l e E n t s c h e i d u n g s g e h a l t (EGmax) ist der Logarithmus (Basis 2) der Stichprobengröße N (N = maximale Kategorienanzahl). b) Nach dem Grenzübergang (s. o.) werden die beobachteten Besetzungen der empirischen Kategorien (fi) als Wahrscheinlichkeiten gefaßt (pi). Der e m p i r i s c h e E n t s c h e i d u n g s g e h a l t errechnet sich nach der Formel von Boltzmann-Shannon (spezielle Form: EG,): ^ EGemp = 2 J Pi'
ld
1 ^
Der empirische Entscheidungsgehalt ist um so geringer, je ungleichmäßiger die Verteilung der Individualurteile auf die empirischen Kategorien ist. Bei nur einer besetzten Kategorie (C, : p, = 1.00, C2 . . . CN : P2 . . . PN = 0.00) sinkt er auf EGemp = 0. c) Setzt man den beobachteten Entscheidungsgehalt mit dem maximalen Entscheidungsgehalt in Beziehung, so erhält man ein Maß für die R e d u n d a n z (hier gleich „Ordnung", „Urteilskonkordanz"). Man dividiert den Entscheidungsgehalt der empirischen Urteilsstruktur durch den maximalen Entscheidungsgehalt und subtrahiert den erhaltenen Wert von 1. Man erhält so ein K o n k o r d a n z m a ß K %>: K ( = Symbolredundanz) =
1 0 0 • ( l - ™ f i m p | (»/„) \ ÜGmax/
Besteht völlige gruppenspezifische Übereinstimmung über eine Wortbedeutung, so beträgt das Konkordanzmaß K = 100 °/o; urteilt jede Vp unterschiedlich, so ist die Konkordanz K = 0 % . Beispiel: Die empirische Urteilsverteilung betrage: C;
fi
Co
60 20
c, C3 N
20 100
a) Maximale Kategorienanzahl N = 100. Maximaler Entscheidungsgehalt: EGmax = ld 100 = 6,64 171
b) Empirischer Entscheidungsgehalt: 60 , , 100 . _ / 20 EG em p = i ü ö - l d — + 2
, , 100'
= 0,44 + 2 (0,46) = 1^36 c) Konkordanz: K
1,36 % = 100 "i1-6,64, = 79,5%
Der Nachteil dieses Verfahrens liegt im Fehlen einer befriedigenden Prüfstatistik (Stichprobenfehler, Unterschieds-Signifikanzen usf.). Außerdem entsprechen verschiedene Stichprobengrößen, aber gleicher empirischer Kategorienanzahl und gleichen Besetzungsanteilen je Kategorie zum Teil stark unterschiedliche K°/o-Werte. Deskriptive Statistiken sollten aber selbstverständlich unabhängig von der Stichprobengröße sein. Ein numerischer Vergleich von K°/o-Werten ist danach nur beim Vorliegen von annähernd gleichen Stichprobengrößen möglich.
2. K o n t i n g e n z k o e f f i z i e n t (CC) Nach dem z w e i t e n Diskordanzmodell wird für den Fall minimaler interindividueller Ubereinstimmung nur vorausgesetzt, daß die Besetzung aller Kategorien gleich ist. Für die Anzahl der theoretisch erwarteten Kategorien kann nur gelten, daß sie nicht größer ist als die Summe aller Individualurteile N. Wenn die Anzahl der vorgegebenen Kategorien / ' .•> oder weniger als Vs der Anzahl der Individualurteile (N) beträgt, so ist bei Gleichverteilung jede Kategorie mit 5 oder mehr Individualurteilen besetzt. In diesem Falle kann der K o n t i g e n z k o e f f i z i e n t (CC) als Maß für die Urteilskonkordanz dienen. Seine Anwendung vermeidet einen Teil der für K °/o aufgewiesenen Nachteile 2 : CC
- v ;N + Z Dabei ist N die Anzahl der Individualurteile ( = Stichprobengröße). X2 gibt bekanntlich die Summe der quadrierten Differenzen zwischen jeder beobachteten und erwarteten Kategorienbesetzung, geteilt durch die entsprechende erwartete Kategorienbesetzung (über alle Kategorien). Die erwartete Kategorienbesetzung ist für alle Kategorien gleich; sie entspricht dem Quotienten aus der Anzahl der Individualurteile und der Anzahl der vorgegebenen Kategorien: 2
fi (theor.) =
N
^ Q
(fi (emp) — fi (theor.)) 2
*
2
= Z
fi (theor.)
2 Wir danken Herrn Professor Dr. G. A. Lienert, Düsseldorf, für entsprechende Hinweise, insbesondere auch im Hinblick auf zu unterstellende theoretische Erwartungen (Nullhypothesen).
172
Sind bei dem schon erwähnten Beispiel die 3 Kategorien nicht empirisch vorgefunden, sondern vorgegeben, so entspricht die Zufallserwartung dem zweiten Diskordanzmodell; jede der 3 Kategorien ist bei totaler Diskordanz mit etwa 3 3 (genau 3 3 , 3 3 . . . ) Urteilen besetzt, w e n n N = sich ein
100. E s ergibt
von 3 1 , 9 (s. s.) und ein Kontingenzkoeffizient C C =
.49
W ä h r e n d im Unterschied zu K °/o die numerische Größe von C C gegen N relativ
unempfindlich
ist, können mehrere
Kontingenzkoeffi-
zienten numerisch nur verglichen werden, wenn die zugrunde liegenden Kategorienanzahlen ( 2 Q ) annähernd gleich sind. D i e maximale Höhe, die C C erreichen kann, richtet sich ebenfalls nach 2 Ci 3 . CC sollte nicht angewendet werden, wenn über die Kategorienanzahl keine sadilogisdie Hypothese gewonnen beziehungsweise 2 Ci nicht sinnvoll vorgegeben werden kann. In diesem Falle sollte das e r s t e Diskordanzmodell vorausgesetzt und trotz aller Vorbehalte K°/o gerechnet werden.
3. Die semantische Differenzierung von Bedeutungen Will m a n erfahren, welche Bedeutung eine V p oder eine Vpn-Gruppe einem W o r t verleihen, so kann man beispielsweise um eine „Definition" des Wortes (nach Genus und Differenzen oder auch als „operationale" Definition [ B r i d g m a n ] ) oder aber um verbale Umschreibungen bis hin zu metaphorisch-symbolischen
Verdeutlichungen verbaler und nichtverbaler
Art
bitten. E s ist Gemeingut, d a ß insbesondere Bedeutungen komplexqualitativgefühlshafter
Gegebenheitsweise
(emotional
relevante,
beispielsweise
„affektbesetzte" kognitive Gegebenheiten) in ihrem vollen phänomenalen Gehalt nicht sichtbar gemacht, oft geradezu „denaturiert" (Wellek)
werden,
wenn man sie mit allzu formalen Beschreibungsmitteln zu fassen sucht; gewissermaßen „lockere" und zugleich komplexe verbale Umschreibungen leisten d a mehr. W e n n zwar auch diese komplexeren Sachverhalte in der Komplexität der verbalen Beschreibungsmittel eine meist befriedigende Angemessenheit ihrer deskriptiven A b b i l d u n g dieser
Komplexität
der
Kommunizierbarkeit und im E x t r e m
erreichen, so wird doch w e g e n
deskriptiven
Medien
die
der fraglichen Sachverhalte oft
unmöglich gemacht.
eben
zwischenmenschliche
Abbildungsadäquatheit
schwierig komplexer
Bedeutungen und Kommunizierbarkeit stehen in einem spannungsvollen gegenläufigen Verhältnis. D a ß hier eines der u. E . schwierigsten Probleme der psychologischen Methodik überhaupt gelegen ist, sei nur eben an3 Kürzlich gibt Pawlik eine Methode an, mit Hilfe derer CC bei differenter 2 Ci numerisch verglichen werden kann (Metrika 2 (1959); 150).
173
gemerkt. Die Lage wird noch dadurch erschwert, daß komplexe Beschreibungen bedauerlicherweise meist nicht einmal zu Ablehnungen (Kommunikationsverzicht) führen, sondern daß sie zum Fundament höchst eigener „Projektionen" werden. Nicht so sehr das N i c h t Verständnis als vielmehr das M i ß Verständnis bildet die Gefahr der komplexen Deskription. Im psychologisch-deskriptiven Bereich ist die Schwierigkeit, die man kurz so beschreiben kann, man verliere dasjenige an der Kommunizierbarkeit, was man an der Angemessenheit der Abbildung gewinne, selbstverständlich sowohl beachtet als auch zu überwinden versucht worden. So hilft man sich beispielsweise in phänomenologischen Arbeiten des Krueger-Kreises bei der Beschreibung komplexer psychischer Gegebenheiten häufig mit der Kombination mehrerer Eigenschaftswörter (vgl. zum Beispiel H. Volkelt, R. Hippius). Es ist nun das Verdienst Osgoods, der sich auf diese ersten Ansätze allerdings nicht bezieht, eine logische Analyse solcher kombinierenden Beschreibungstechniken durchgeführt und ein quantitatives Verfahren der angezeigten Art entwickelt zu haben (vgl. dazu Hofstätter [2557]). Nach Osgood et al. [949] wird eine Bedeutung (meaning) in einem (theoretischen) s e m a n t i s c h e n R a u m (semantical space) lokalisiert ([a. a. O.]; 25). Sie erhält ihren Ort in einem n-dimensionalen Koordinatensystem. Der semantische Raum stellt sich demnach dar als „a region of some unknown dimensionality and Euklidian in character" (25). Die Lokalisation von Bedeutungen erfolgt, indem man die fragliche Bedeutung sukzessiv unter polaren Gesichtspunkten beurteilen läßt. Diese Beurteilung ist formal denkbar einfach; sie besteht in der Fixierung der Bedeutung in einer als dimensional unterstellten Alternativen-Mehrheit, deren „Endpunkte" jeweils zwei polare Begriffe (Eigenschaften) bilden ( = Polarität); zum Beispiel: jung
1 I—I
2
3 1—I
4
5 1—I
6
7 (x) 1—I
alt
Die Bedeutung X wird beispielsweise unter den Skalenwert 7 subsumiert: in der Dimension „jung-alt" hat X dann eine Randstellung (x); X ist „extrem alt". Den Bedeutungen wird auf diese Weise ihr Ort auf einer ganzen Anzahl (meist 24) „polarer" Dimensionen angewiesen. M e h r e r e Bedeutungen haben auf jeder „Polarität" ablesbare A b s t ä n d e . Nach Osgood ist zur Konstitution des semantischen R a u m s die Bestimmung o r t h o g o n a l e r Dimensionen (Raumachsen) notwendig. Die (meist 24) Polaritäten sind danach „mehrfache Stichproben" (Hofstätter) der Raumachsen. Letztere kommen mit den Faktoren überein, die für die beteiligten Einzelskalen (Polaritäten) extrahiert werden. Die Vielzahl der Eigensdiaftspaare läßt sich nach Osgoods Untersuchungen auf die folgenden Faktoren reduzieren: I. „bewertender" Faktor (gut-schlecht), II. „Mächtigkeitsfaktor" (potency) (hart-weich, schwer-leicht), III. „Aktivitätsfaktor" (orientated activity) (aktivpassiv); außerdem auf die Restfaktoren der „Stabilität" (stabil-instabil), der
174
„Straffheit" (eckig-rund) und der „Neuigkeit" (neu-alt). Osgood beabsichtigt mit seinen Faktorenanalysen [a. a. O.; 62 ff.] eine „natürliche" Dimensionalität d e s (!) semantischen Raumes zu entdecken (31), wenn auch (bei Faktorenanalysen), wie er mit Cyril Burt sagt, „you only can get out what you put in" (31). Für unsere praktischen Zwecke kann die Annahme e i n e s „natürlichen" semantischen Raumes undiskutiert bleiben. Nicht die Einordnung e i n e r Bedeutung in ein a b s o l u t e s semantisches System, vielmehr die in einem experimentell definierten Polaritätensystem beschriebenen Verschiedenheiten m e h r e r e r Bedeutungen sind für uns von empirischem Interesse. Das experimentell definierte Polaritätensystem ist identisch mit einer Stichprobe von polaren Eigenschaftspaaren. (Wir verwendeten im Anschluß an Hofstätter ([554]; 64 a. a. O.) eine Skala von 24 Polaritäten.) Ein „natürliches" Eigenschaftensystem wird nicht unterstellt. Nadi Hofstätter [a. a. O.] entstellt nach der Platzanweisung einer Bedeutung auf allen 24 Polaritäten ein P o l a r i t ä t e n p r o f i l . (Es ist daran gedacht, die Einzelpolaritäten untereinander anzuordnen; verbindet man alle Urteilsmarkierungen, so erhält man eine Profil-„Kurve".) Man kann die Ähnlichkeit zweier Bedeutungen so bestimmen, daß man deren Polaritätenprofile vergleicht: Nehmen wir an, die Bedeutung X habe auf der Dimension „jung-alt" den Wert 4 erhalten ( = gleiche Entfernung von beiden dimensionalen Endpunkten). Die Bedeutung Y möge den Wert 7 bekommen haben ( = „extrem alt"). Man kann die möglichen Skalenwerte (1 bis 7) der Bedeutung X als Abszisse eines Koordinatensystems, die Skalenwerte (1 bis 7) der Bedeutung Y als dessen Ordinate auffassen. Betrachtet man nun die Polarität „alt-jung", so kann man ihr in diesem Koordinatensystem einen genau bestimmten Ort zuweisen (4; 7). So verfährt man mit allen Polaritäten (vgl. Hofstätter [a. a. O.]; 175). Die 24 Polaritäten sind danach die statistischen Individuen, die in bezug auf 2 variable Merkmale ( = Bedeutungen) betrachtet werden. Es liegt dann nahe, die beiden Bedeutungen (Variablen) auf ihre statistische Assoziation zu prüfen; die Verwendung von Pearsons Produkt-Moment-Korrelation bietet sich an. Osgood und Suci, sowie Cronbadi und Gleser konnten nachweisen, daß das soeben berichtete Verfahren erhebliche Mängel aufweist. Die letzteren Autoren geben einen verbesserten Korrelationskoeffizienten an, in dessen Errechnung sowohl die geometrische Distanz4 zweier Bedeutungen als auch die Profildispersionen derselben eingehen (dazu Hofstätter [1557] u. a. O.). Für den gegenwärtigen experimentellen Zweck ziehen wir die einfache Rangkorrelation nach Spearman (rho) vor, die bisweilen auch von Hof4 Wenn dij die ablesbare Distanz der Werte der Bedeutungen X und Y auf der k-ten Polaritätsdimension ist, so ist die g e o m e t r i s c h e D i s t a n z von X und Y:
Du = J / S d ^ (vgl. auch Kentier [651], Spiegel [1192]; 42 ff.). 175
stätter verwendet wird (z.B. [ a . a . O . ] ; 73 ff.). Jede Vp hat den zu vergleichenden Bedeutungen X und Y auf jeder der 24 Polaritäten einen Wert zugeteilt. Aus den Vpn-Werten errechnen sich auf Streuung zu prüfende Mittelwerte (z.B. Bedeutung X; Polarität „jung-alt": M = 4,16). Die Polaritäten werden für X und Y getrennt nach der absoluten Größe von M in Rangreihen gebracht. Rangreihenkorrelationen (rhoxY) sind ein Indikator für die „Ähnlichkeit" der beiden Bedeutungen X und Y. Neben diesem Ähnlichkeitsmaß versuchen wir eine andere Bestimmung von Bedeutungsunterschieden. Es ist nämlich notwendig sich zu überlegen, daß viele Bedeutungen nicht mit Hilfe jeder Polarität gleich zwanglos abgebildet werden können (vgl. unten unser Beispiel: „Kraken": „konservativ-liberal"!). Außerdem gibt das Ähnlichkeitsmaß nur ein Mehr oder Minder der Ähnlichkeit zweier Bedeutungen an, es liefert aber nicht eine verbale Umschreibung derselben. Man kann jedoch, um eine solche Beschreibungsmöglichkeit zu erhalten, für zwei Bedeutungen diejenigen Polaritäten (Bedeutungsdimensionen) ermitteln, in denen sie signifikant unterschieden sind. So kann beispielsweise ermittelt werden, die Bedeutung X sei signifikant „jünger" als Y; beziehungsweise X sei (verglichen mit Y) „jung". Stellt man diese unterscheidenden Bedeutungsdimensionen (unter Vernachlässigung aller anderen) zusammen, so erhält man zur Deskription von Bedeutungen E i g e n s c h a f t s k o m b i n a t i o n e n , die sich auf den ersten Blick nicht von den obenerwähnten, seit jeher verwendeten, unterscheiden, jedoch besser (stets in bezug auf eine „Vergleichsbedeutung") definiert und in empirischen Untersuchungen fundiert sind. Die semantische Differenzierung von Bedeutungen, korreliert man Polaritätenprofile, oder beschränkt man sich auf die (signifikant) unterscheidenden Bedeutungsdimensionen, dürfte eine vorzügliche Ergänzung der herkömmlichen Verfahren zur Bedeutungsdeskription darstellen.
4. Die Urteilsnuanciertheit als formales Merkmal des semantischen Differenzierens 1. Wie berichtet, benutzten wir für die semantische Differenzierung von Bedeutungen eine siebenstufige Skala nach Hofstätter. Wer die ProfilMethode verwendet weiß, daß die Besetzungshäufigkeit der sieben Skalenwerte durchaus nicht zufällig variiert. Faßt man das semantische Differenzieren beziehungsweise das Ausfüllen von Polaritätenbögen als eine U r t e i l s s e q u e n z auf, so kann man Aussagen über formale Merkmale dieses Vorgangs machen, die unabhängig vom „materialen" Charakter des differenzierten Begriffs sind. So kann es beispielsweise aufschlußreich sein, 176
daß beim semantischen Differenzieren des Begriffs X kaum einmal die extremen Skalenwerte 1 und 7 verwendet werden usf. Aufschluß über die psychologische Bedeutung der sieben Skalenwerte vermittelt eine F a k t o r e n a n a l y s e der Besetzungshäufigkeiten von Skalenwerten. Für jeden von 32 semantisch differenzierten Begriffen ergeben sich über alle 24 Polaritäten des Profilbogens und über N = 20 Vpn B e s e t z u n g s s u m m e n eines jeden der sieben Skalenwerte. Man kann errechnen, wie eng die Besetzungssummen der Skalenwerte kovariieren. Bei sieben Skalenwerten erhält man eine Interkorrelationsmatrix von 21 Korrelationen, aus denen wir zwei Faktoren extrahierten. Die rotierte Faktorenmatrix sieht wie folgt aus: Variablen: Skalenwerte 1 2 3 4 5 6 7
Fi'
Fn'
h2
-.79 .07 .88 -.08 .91 .08 -.87
.29 -.85 .00 .92 -.12 -.77 .20
.71 .73 .77 .83 .84 .60 .80
h2(gesch.) .75 .81 .82 .81 .82 .74 .79
F a k t o r I : Die extremen Skalenwerte 1 und 7 zeigen hohe negative, die Skalenwerte 3 und 5 hohe positive Ladungen. Am Zustandekommen der Besetzungssummen der Skalenwerte 2, 4 und 6 scheint Faktor I keinen Anteil zu haben. Wir interpretieren Faktor I a l s U r t e i l s n u a n c i e r t h e i t. Der Urteilsvorgang beim semantischen Differenzieren ist nuanciert, wenn die Werte 3 und 5 hoch und die Extremwerte 1 und 7 niedrig besetzt sind. Nach der Identifizierung dieses Faktors bietet sich das folgende deskriptive Maß für die U r t e i l s n u a n c i e r t h e i t v o n B e d e u t u n g e n an: S (3 + 5) - S (1 + 7) S (1 + 3 + 5 + 7)
Man hätte annehmen können, auch die Werte 2 und 6 seien „Nuanciertheitswerte". Unsere Analyse zeigt aber, daß die Werte 3 und 5 nicht dieselbe psychologische Bedeutung haben wie die Werte 2 und 6. Es sei ebenfalls betont, daß auch der zentrale Skalenwert 4 offenbar keinen für die Urteilsnuanciertheit relevanten Sachverhalt darstellt. F a k t o r II: Mit diesem sind der zentrale Skalenwert 4 hoch positiv, die Werte 2 und 6 hoch negativ geladen. Für seine Interpretation bilden wir die Hypothese, daß er die variable subjektive Strukturierung der 7-WerteSkala beziehungsweise die variable B e z u g s s y s t e m d i f f e r e n z i e 12 Herrmann
177
r u n g betrifft. Wenn der zentrale Wert 4 häufig verwendet wird, tritt die Verwendung der Werte 2 und 6 zurück (und umgekehrt). Wir nehmen an, man könne die vorgegebene 7-Werte-SkaIa (z. B. bei „jung-alt") einerseits als ungegliedertes G e s a m t s y s t e m m i t d e m Z e n t r u m 4 betrachten. Man kann es aber auch andererseits in z w e i T e i l s y s t e m e m i t d e n Z e n t r e n 2 u n d 6 (Teilsystem „jung" und Teilsystem „alt") gliedern. Die Teilsysteme haben im Skalenwert 4 ihre gemeinsame Grenze; der Wert 4 ist gewissermaßen Niemandsland und keinem der beiden Teilsysteme zugehörig. Alle drei fraglichen Werte (2, 4, 6) können also Zentralwerte von Bezugssystemen werden: Als Zentralwerte werden sie h ä u f i g verwendet. Sind sie hingegen Niemandsland (Wert 4) oder aber verlieren sie ihre ausgeprägte Stellung im ungegliederten Gesamtsystem (Werte 2, 6), so ist ihre Verwendungsfrequenz relativ gering. Uber erste experimentelle Sicherungen dieser Faktoreninterpretation kann im gegebenen Rahmen nicht berichtet werden, zumal Faktor II für die folgenden Erörterungen keine Rolle spielt. 2. Eine andere Betrachtungsweise der U r t e i l s n u a n c i e r t h e i t ist mit Hilfe der Informationstheorie zu gewinnen: Man nehme an, ein Proband benutze bei seinen Beurteilungen ausschließlich die Skalenwerte 1 und 7. Die semantische Differenzierung ist dann nicht nur extrem unnuanciert (NT = -1.00); vielmehr ist auch der U r t e i l s s p i e l r a u m des Probanden sehr begrenzt. Er verwendet ja nur zwei Skalenalternativen. Auch in diesem Sinne ist seine Beurteilung nur wenig „nuanciert". Sind seine Urteile hingegen über die ganze Skala gestreut, so ist der Urteilsspielraum relativ weit; in diesem Sinne ist die Beurteilung relativ hoch „nuanciert". Benutzt ein Proband ausschließlich die Werte 3 und 5, so ist die semantische Differenzierung im Sinne von NT extrem nuanciert (NT = +1.00). Der Urteilsspielraum hingegen ist wiederum eng: in diesem Sinne ist die Beurteilung unnuanciert. Es lassen sich also zwei operationale Definitionen von Nuanciertheit beziehungsweise zwei Nuanciertheitsmodalitäten unterscheiden. Uber N T wurde berichtet. Der U r t e i l s s p i e l r a u m soll mit Hilfe elementarer informationstheoretischer Maße formalisiert werden [vgl. 530] 5 . 1. Der weiteste (maximale) Urteilsspielraum sei dann gegeben, wenn alle 7 Skalenwerte gleichläufig beziehungsweise gleichwahrscheinlidi auftreten. 7 gleichwahrscheinliche Alternativen entsprechen einem Entsdieidungsgehalt (EG) von l d 7 = 2.81 (vgl. u. a. Zemanek [a.a.O.]): EG (max) = 2.81 5
Ein von uns vorläufig verwendeter deskriptiver Ansatz [530] wurde von W. H. Tack kritisiert [1499], Ohne auf Täcks Einwände einzugehen, verwenden wir hier ein einfacheres deskriptives Verfahren.
178
2. Nach dem statistischen Grenzübergang werden die empirischen Besetzungshäufigkeiten der 7 Skalenwerte als Wahrscheinlichkeiten betrachtet ( p t . . . p ; ). Der empirische Entscheidungsgehalt errechnet sich nach der schon für die Gewinnung von K (%) (s. o.) in Anspruch genommenen Boltzmann-Shannon-Formel:
EG (emp) =
V i=l
Pi "
ld
i ^T
3. Setzt man den jeweiligen empirischen Entscheidungsgehalt in Beziehung zu dem maximalen Entscheidungsgehalt, so ergibt sich nach der Formel für die Entscheidungsausnutzung:
für die von uns verwendete 7-Werte-Skala:
EApp = 35,59 EG (emp) (%).
Die Entscheidungsausnutzung ist das Komplement der (Symbol-)Redundanz
(s.o.).
Die Entscheidungsausnutzung (EA) bestimmt den als Modalität der U r t e i l s n u a n c i e r t h e i t aufgefaßten U r t e i l s s p i e l r a u m .
3. Man kann nach allem zwei Arten von Urteilsnuanciertheit unterscheiden: 1. die informationstheoretisch definierte Weite des Urteilsspielraums (EA) ( = Nuanciertheit erster Art) und 2. die Verwendungshäufigkeit nuancierter Werte, verglichen mit den Extremwerten (NT) ( = Nuanciertheit zweiter Art). Beide Arten stehen in der folgenden Beziehung zueinander: Die Nichtverwendung oder doch die sehr seltene Verwendung nuancierter Werte (NT) senkt die Nuanciertheit beider Arten. Die alleinige oder doch die stark überwiegende Verwendung der nuancierten Werte (NT) steigert ex definitione die Nuanciertheit zweiter Art und senkt diejenige der ersten Art: Wenn n u r „gemäßigte" Urteile abgegeben werden, ist der Urteilsspielraum stark reduziert. Bei niedrigen NT-Werten besteht danach Gleichsinnigkeit der Nuanciertheit beider Arten; bei hohen NTWerten trifft die „Verfeinerung" mit der Reduzierung des Urteilsspielraums zusammen. Wenn im folgenden von Nuanciertheit gesprochen wird, ist im allgemeinen diejenige der zweiten Art (NT) gemeint. Stets handelt es sich um durchaus verbesserungsfähige vorläufige Annäherungen.
II. Über operative Komponenten kognitiven Geschehens und ihre aktuelle Umgestaltung Mit Achs „determinierenden Tendenzen" [4] und Selz' „antizipiertem Schema [JJ53] beginnend, wurde wiederholt aufgewiesen, daß Reproduktionen nicht allein eine „assoziative Verknüpfung" mnestischer Elemente 12»
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beziehungsweise eine „assimilative Verknüpfung" einzelner mnestischer mit einzelnen aktuell-sensoriellen Elementen darstellen. In den Begriffen „Schema", „set" oder auch „Hypothese", „Strategie", „Erwartungseinstellung", „Quasi-Bedürfnis" und ähnlichem wird die Reproduktion als von einer gewissermaßen passiven, mechanischen Verknüpfung von aktuellen und dispositionellen Erlebnis-Entitäten („Vorstellungen") durchaus verschieden aufgefaßt. „Reproduzieren" ist ein Vorgang, der 1. nicht nur als „Wiederbewußtwerden" von Wissensbeständen, sondern auch nach seiner o p e r a t i v e n A r t u n g („Reproduktionsweise"), dem Wie, nicht nur dem Was und Wieviel des Reproduzierens, beschrieben werden, 2. der nicht streng von anderen kognitiven Operationen anderer Art (zum Beispiel Urteilsvorgängen, Problemlösungen) getrennt werden kann. Es lassen sich fließende Ubergänge von der einfachsten „eingliedrigen" Wissensaktualisierung bis hin zu vielgliedrigen Urteils- und Denkprozessen aufweisen. Die (experimentell nachweisbaren) operativen Verschiedenheiten ( = die vom „Reproduktionsmaterial" und seiner „Menge" unterscheidbaren Reproduktions w e i s e n desselben) sind in ihrem Zusammenhang mit vorweg gebildeten kognitiven Ordnungen (operativen Einstellungen) aufzuweisen (vgl. auch oben S. 87 f.). Die Trennung materialer und operativer Komponenten der Wissensaktualisierung läßt sich schon mittels sehr einfacher experimenteller Modelle beschreiben (vgl. auch u. a. Jäger [593]).
1. Untersuchung: Operative Einstellungen, Reproduktionsmenge und Reproduktionsweise 1. V E R S U C H S A N O R D N U N G : Unter verschiedenen Arbeitseinstellungen (Aufgabestellungen) wurde N = 93 Vpn (Primanern höherer Schulen, Studenten) Gedächtnismaterial der folgenden Art geboten. Jeweils sechs 10-Wort-Sätze wurden, wortweise untereinander geschrieben, zumeist auf Diapositiven in der unten zu beschreibenden Weise exponiert; zum Beispiel: Sicher trug Ursula drei irdene Eßteller nachts rheinaufwärts auf Terrassen. Solche Sätze wurden den Vpn in den folgenden situativen Zusammenhängen dargeboten:
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1. Gruppe I (Nj = 27): a) V o r p e r i o d e : Sechs Zahlen- und Buchstabenreihen, zum Beispiel: 4 6 9 13 18
deren Bauprinzip, wenn es erkannt wird, eine einzige ergänzende Weiterführung der Reihe zuläßt, wurden mittels eines zunächst abgedeckten Diapositivs geboten, das von oben her zeilenweise (10" pro Zeile) aufgedeckt wurde. Vp hatte „stop" zu rufen, wenn sie glaubte, die Reihe selbständig auf 10 Reihenglieder ergänzen zu können. Darauf wurde die volle Reihe jeweils niedergeschrieben. b) H a u p t p e r i o d e : Die obigen Sätze folgten ohne Pause und merklichen Einschnitt unter der in der Vorperiode gewonnenen Arbeitseinstellung und in derselben Darbietungsweise (kumulierte Exposition). Die Sätze sind so gewählt, daß die Anfangsbuchstaben, von oben nach unten gelesen, ein Wort ergeben (Beispiel „Ursula": Studienrat). Diese Eigenschaft der Sätze sollte, wenn möglich, die „formale" Einstellung auf das „Bauprinzip" unterstützen. (Diese „Hilfe" wurde bis auf vier Fälle erstaunlicherweise von keiner Vp erkannt.) 2. Gruppe II (N2 = 20): Die Sätze wurden ohne Vorperiode, aber in derselben Darbietungsweise exponiert. Die Instruktion der Vpn besagte, es handele sich darum, die Sätze nach der Darbietung sofort möglichst getreu niederzuschreiben. 3. Gruppe III (N3 = 21): Zur Kontrolle wurden die Sätze, dargeboten wie bei Gruppe II, einer weiteren Pbn-Gruppe mit dem Hinweis geboten, Vp möchta sie sich gut einprägen, die Sätze müßten später erinnert werden. 4. Gruppe IV (N4 = 25) erhielt die Sätze (satzweise auf Einzelblätter geschrieben) mit der Auflage, die beiden Sätze herauszusuchen, die untereinander am ähnlichsten sind. Welche Sätze als ähnlich beurteilt wurden, interessiert im gegebenen Zusammenhang nicht. Im übrigen scheint keine übereinstimmende Beurteilung der Ähnlichkeitsverhältnisse der Sätze vorzuliegen. 5. Die Gruppen I, II und IV wurden nicht auf die spätere Reproduktionsaufgabe hingewiesen. Nach einer durch andere Untersuchungen (zumeist projektive Tests) ausgefüllten Zeit von ca. 1 Stunde wurden alle Vpn gebeten, die vorher dargebotenen und niedergeschriebenen Sätze „möglichst wortgetreu" zu reproduzieren (schriftlich). 2. ERGEBNISSE: 1.
Materialanalyse:
Eine Stabilitätsuntersuchung des Aufgabenmaterials mit Hilfe der Gegenüberstellung der Reproduktionsmenge ( = Anzahl der richtig reproduzierten Wörter je Vp) für die Sätze 1, 3, 5 vs. 2, 4, 6 ergibt eine genügend hohe Aufgabenstabilität für alle untersuchten Vpn-Gruppen (rho jeweils > .72 (p < .01)). Die Sätze wurden in 42 „M o m e n t e " eingeteilt, die im wesentlichen mit den grammatikalischen Satzteilen übereinkommen. Beispielsweise bilden im obigen
181
Satz („Ursula") alle Wörter jeweils ein Moment; nur „auf Terrassen" wird als ein Moment gewertet. In den übrigen Sätzen sind 2-Wort-Momente relativ häufiger. Die Korrelation zwischen der Menge der richtig reproduzierten Wörter und der Menge der richtig reproduzierten Momente (je Vp) liegt für die Gruppen I, II und III jeweils über rho = .90 ( p / t / < .01), für Gruppe IV beträgt sie rho = .80 (p/t/ < .01). Die Wertungen nach Wörtern und nach Momenten erfassen also annähernd denselben Sachverhalt.
2.
Reproduktionsmenge:
Von 60 Wörtern wurden durchschnittlich von einer Vp richtig reproduziert: Gruppe Gruppe Gruppe Gruppe
I II III IV
: : : :
39,8 41,3 37,2 17,2
Wörter Wörter Wörter Wörter 6
Die Gruppen I und II sind nach der Reproduktionsmenge nicht signifikant unterschieden (t-Test). Es besteht desgleichen kein statistisch bedeutsamer Mengenunterschied beider Gruppen zu Gruppe III. Im gegebenen Zusammenhang verbessert der Hinweis, man werde die Sätze später reproduzieren müssen, die spätere Reproduktionsleistung also nicht. Die Gruppe IV verzeichnet eine signifikant geringere Anzahl richtig reproduzierter Wörter als die Gruppen I, II, III (jeweils p/t/ < .01). 3.
Reproduktionsweise:
a) Die Gruppe I reproduziert die Sätze signifikant häufiger in der ursprünglichen senkrechten Wort-für-Wort-Anordnung als alle anderen Gruppen (jeweils p/Chi 2 / < .05). b) Desgleichen treten bei Gruppe I beim reproduzierenden Niederschreiben signifikant häufiger Satzlücken (Freilassungen vs. falsches Ausfüllen) auf als bei allen übrigen Gruppen (jeweils p/Chi 2 / zugeordnet. Der entsprechende Richtigkeitswert für die 3 heterogensten Begriffe beträgt r°/„ =72,6°/o. Dieser Mittelwertunterschied ist auf dem 10°/o-Niveau bedeutsam. Betrachtet man die abhängigen Gruppen, so ist der Mittelwertunterschied für die homogensten und heterogensten Begriffe beträchtlich größer. Die entsprechenden Mittelwerte betragen: homogenste Begriffe: r«/, = 80,2%, heterogenste Begriffe: r°/0 = 48,6 fl/o. Der Unterschied ist hochsignifikant. Die Leistung der abhängigen und der unabhängigen Gruppen ist bei der Zuordnung sehr homogener Begriffe durchaus nicht unterschieden: unabhängig: ?•/„ = 83,6'; abhängig: r»/0 80,2. Andererseits sind die Leistungen bei sehr h e t e r o g e n e n Begriffen durchaus unterschiedlich: unabhängig r°/0 = 72,6; abhängig: F«/0 = 48,6 (p < .01).
D a n a c h erweist sich die U n a b h ä n g i g k e i t von der R e p r ä s e n t a t i o n s h o m o g e n i t ä t a b e r als die bessere Ko m m u n i z i e r b a r k e i t der repräsentationsheterogenen Begriffe. Es ist nun zu fragen, wie dieser Zusammenhang verstanden werden kann: 246
Sicherlich bedeutet Repräsentationshomogenität eine relativ feste Verbindung zwischen dem Repräsentierten (der Redeutung) und dem Repräsentierenden (konkret: der graphischen Darstellung). Innerhalb einer beteiligten Pbn-Gruppe herrscht eine nicht explizit verabredete relative Übereinstimmung über die „Wahl" der graphischen Repräsentationen. Der Übereinstimmungsgrad wechselt von Regriff zu Regriff. Im extremen Falle der Maximalhomogenität wäre gar keine individuelle Entscheidung über die Verknüpfung von Redeutung und Repräsentation mehr möglich; es bestünden dann keine Freiheitsgrade. (Ob und allenfalls wie dieser Mangel an „echter" Entscheidung e r l e b t wird, ist hier nicht zu untersuchen.) Da jede Einzelzeichnung eine mehr oder minder gelungene Darstellung eines Repräsentationsthemas ist (beispielsweise alle gezeichneten Schneemänner gewissermaßen „Abschattungen" des intendierten Repräsentationsthemas „Schneemann" (für „Winter")) sind, so müßte Repräsentationshomogenität, entsprechend der gewählten Versuchsanordnung, bedeuten, daß der Zuordner r e l a t i v h ä u f i g s e h r ä h n l i c h e Zeichn u n g e n ( = homogene Repräsentationen) vorfindet. Homogen repräsentierte Redeutungen dürften einmal deshalb leicht zuzuordnen sein, weil es sich 1. um „konventionelle", „gebräuchliche" (sogar bisweilen: „verbindliche") Repräsentationen handelt, zum anderen 2. weil durch die wiederholte Darbietung des Ähnlichen (Gleichintendierten) ein Gewöhnungs- und Lemeffekt vorliegt beziehungsweise induktiv-kombinierende Operationen ermöglicht werden. (Über den Einfluß der wiederholten Darbietung wurde berichtet.) Wenn neben die kommunikationserleichternde Wirkung der Konventionalität von Repräsentationen ein L e r n e f f e k t tritt, so müßte die Zuordnungsleistung w ä h r e n d d e r Z u o r d n u n g s a r b e i t bei repräsentationshomogenen Redeutungen mehr ansteigen als bei vielfältig repräsentierten Konzepten. Beschreibt man einen solchen Effekt als die Verbesserung der Zuordnungsleistung im l e t z t e n Drittel der Zuordnungsarbeit, verglichen mit dem e r s t e n Drittel, so kann man eine Rangreihe der untersuchten Bedeutungen nach der Häufigkeit der Leistungsverbesserungen (alle Zuordner) aufstellen. Setzt man diese in Beziehung zur Repräsentationshomogenität, so erhält man eine Korrelation von rho = + . 6 4 (p < .05).
Je homogener die von uns untersuchten Regriffe sind, um so mehr „lernt" der Zuordner während der Zuordnungsarbeit, um so mehr kann sich die wiederholte Darbietung des Gleichartigen auswirken (vgl. Hull [1454]). Untersucht man die Zuordnung der 20 besten und die der 20 schlechtesten aller Zuordner, so bestätigt sich die Erwartung, daß die schlechten Zuordner dem seriellen Verbesserungseffekt mehr unterworfen sind als die guten Zu-
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ordner (p/t/ < .10). Dieses (statistisch allerdings nicht hinreichend gesicherte) Resultat ist gar nicht verwunderlich, weil eine gute Zuordnungsleistung ja nur möglich ist, wenn schon „von vornherein" (schon zu Beginn der Zuordnungsarbeit) richtig zugeordnet wird.
Wenn nun die Repräsentationshomogenität die häufige Darbietungswiederholung des Gleichartigen einschließt und diese leistungsverbessernd wirkt, so liegt hier u. E. eine Erklärung dafür, daß „abhängig" zuordnende Pbn und Pbn-Gruppen in ihrer Zuordnungsleistung gerade bei heterogenen Begriffen hinter der Leistung der „unabhängigen" zurückbleiben. Unabhängigkeit von der Repräsentationshomogenität heißt dann zu einem guten Teil, daß nicht der Wiederholungseffekt zur Leistung führt, sondern die richtige Erfassung der E i n z e l r e p r ä s e n t a t i o n e n sowie die Verfügbarkeit v e r s c h i e d e n e r Verknüpfungen von Bedeutung und Repräsentationsthemen, beziehungsweise ein disponibles Repräsentationsinventar, das mehr als nur e i n e „mögliche" Verknüpfung umfaßt 30 . Diese Bewältigungsweise der Aufgabe scheint nach allem den guten Zuordnern (beziehungsweise Zuordnergruppen) gegeben zu sein. Sie haben allerdings andere (gruppenspezifische) Schwierigkeiten, die weniger die Darstellungsvielfalt als beispielsweise den Formalisierungsgrad der Repräsentationen betreffen.
Bedeutungsähnlichkeit
als
Repräsentationsvertauschung
Neben einer allgemeineren Darstellung der graphischen Repräsentation wurde die hier beschriebene Untersuchung bisher nur unter dem Gesichtspunkt der Zuordnungsrichtigkeit (Kommunizierbarkeit) referiert. Fragt man sich nicht nur, ob diese oder jene Zeichnung richtig oder falsch zugeordnet wurde, sondern prüft man vielmehr, mit welcher (falschen) Bedeutung eine Zeichnung allenfalls koordiniert wurde, so läßt es sich leicht feststellen, daß die V e r t a u s c h u n g e n ebensowenig zufallsbedingt sind wie die Zuordnungsrichtigkeit. Bei zehn Bedeutungen lassen sich 45 mögliche (bilaterale) Vertauschungen unterscheiden. Wählt man zur Exemplifizierung die Psychologen-Gruppe, so erhält man 3ine aus 45 Bedeutungspaaren bestehende Rangreihe nach der Häufigkeit der Vertauschungen, bei der das Paar „Ziel-Anfang" mit 40 Vertauschungen den Rangplatz 1, das Paar „Tausch-Winter" mit zwei Vertauschungen den Rangplatz 45 einnimmt. (Für den hier angezielten Sachverhalt wird außer acht gelassen, in welcher „Richtung" vertausdit wurde, ob also beispiels30
248
Dieser empirische Befund kann auch lemtheoretisch interpretiert werden.
weise eine Tausch-Zeichnung dem Wort „Winter" zugeordnet wurde, oder umgekehrt.) 1. Es liegt nun nahe, die Frequenz der Vertauschungen als e i n e s p e z i e l l e B e z i e h u n g der b e t e i l i g t e n B e d e u t u n g e n aufzufassen. So wie man den Bedeutungsabstand (die Bedeutungsähnlichkeit) von Begriffen nach Urteilsähnlichkeiten (vgl. Stagner, Osgood, Hofstätter u. a.) bestimmen kann, ist es möglich, die Verwandtschaft von Begriffen im Bezugssystem des „anschaulich-vollziehenden Denkens" (Wellek), das heißt als V e r t a u s c h b a r k e i t i h r e r Repräsentationen i m k o m m u n i k a t i v e n V o l l z u g zu beschreiben. „Ähnlich" heißen unter diesem Aspekt die Begriffe, die gewissermaßen an einem als eines und dasselbe erlebten Kommunikationsmedium (Repräsentation) partizipieren. So evoziert beispielsweise eine als „Anfangs"-Repräsentation i n t e n d i e r t e Darstellung bevorzugt die Bedeutung „Anfang" und „Ziel". Die Repräsentationsweisen schaffen so eine „Verwandtschaft", die im abstrakt-abständigen Ähnlichkeitsurteil nicht unbedingt wiederkehrt: „Anfang" und „Ziel" sind „im Sinne der g r a p h i s c h e n R e p r ä s e n tation" verwandt. Bei der Psychologen-Gruppe wurde eine Rangordnung aller Bedeutungspaare nach Ä h n l i c h k e i t s u r t e i l e n ermittelt. Zu diesem Zweck wurde einmal die Aufgabe gestellt, die fraglichen Bedeutungspaare 1. nach ihrer „logischen Verwandtschaft" einzustufen. Zum anderen wurde (bei der einen Hälfte der Pbn-Gruppe vor der „logischen" Beurteilung, bei der anderen Hälfte nach derselben) eine Beurteilung 2. der „gefühlsmäßigen Ähnlichkeit" der Bedeutungen verlangt. Addiert man die Punktsummen (Variation: 0-4 Punkte) aller Pbn für jedes Bedeutungspaar und bildet man zwei Ähnlichkeitsrangreihen (1, 2), so ergibt sich ein Zusammenhang von: rho = +.90 (p < .001): Beide Fragestellungen 1., 2. betreffen offenbar denselben Sachverhalt. 2. Vergleicht man nun beide Ähnlichkeitsreihen mit 3. der Rangreihe für die V e r t a u s c h b a r k e i t , so erhält man nur mäßige positive Beziehungen: rho ( 1 ) ( 3 ) = +.31 ( p < . 0 5 ) rho ( 2 ) ( 3 ) = + . 3 7 ( p < . 0 1 ) Ordnet man die Begriffspaare nach der Differenz der Rangplätze 1, 3 und sondert man das letzte Viertel dieser Reihe, das heißt die am stärksten nach Urteilsähnlichkeit und Vertauschbarkeit der Repräsentationen unterschiedenen Bedeutungspaare, aus, so steigt bei den verbleibenden 34 Paaren die Korrelation stark an: rho ( i')(3')= + - ' 7 2 ( p < . 0 1 ) 249
Es sind also relativ wenige Bedeutungspaare, die den festgestellten Unterschied der Urteils- und Vertauschungsähnlichkeit in Besonderheit ausmachen. Während die folgenden Bedeutungspaare nach dem „logischen" Ähnlichkeitsurteil der Psychologen-Gruppe sehr w e n i g v e r w a n d t sind, werden ihre graphischen Repräsentationen o f t v e r t a u s c h t : Neid - Mitleid Neid - Anfang Wiederholung - Ziel Wiederholung - Ruhe Wende - Ruhe Karfreitag - Winter
Bei den folgenden Begriffen ist die von den Pbn beurteilte „ l o g i s c h e " V e r w a n d t s c h a f t g r o ß , während die V e r t a u s c h u n g der Repräsentationen sehr s e l t e n unterläuft: Karfreitag - Wende Karfreitag - Ruhe Karfreitag - Anfang Karfreitag - Mitleid Winter - Wende.
Man beachte beispielsweise, daß „Neid" und „Mitleid" - für den Psychologen selbstverständlich eher gegensätzlich als verwandt! - in verwandter Weise repräsentiert ist: als Szene, in der das Zueinander zweier Personen und eines Objekts einmal als „Neider-Beneideter-Neidobjekt" zum anderen als „Tröstender (Schenkender) - Leidender - geschenktes Objekt" aufgefaßt wird. Der recht komplexe Begriff „Karfreitag" wird einmal in der Sphäre des Stillen, Niedergestimmten (Ruhe, Mitleid), zum anderen aber im theologischen Verstände als Wende und Anfang erlebt ( = Ähnlichkeitsurteile); die homogene und stark standardisierte sakrale, gewissermaßen ikonographische Darstellung (Kreuz und dergleichen) macht jedoch Vertauschungen der graphischen Repräsentationen von „Karfreitag" beinahe unmöglich. In Anlehnung an eine Darstellungsmethode von Osgood können die beiden Ähnlichkeitsgefüge in den Abb. 5 und 6 veranschaulicht werden. 3. Aus dem Paarvergleich „logischer" Ähnlichkeiten läßt sich für jeden untersuchten Begriff seine m i t t l e r e phänomenale Ähnlichkeit mit allen übrigen Begriffen errechnen. Eine große phänomenale Ähnlichkeit hat danach derjenige Begriff, der gewissermaßen im „dichtesten" Bereich des erlebten logischen Ordnungssystems gelegen ist (Ziel, Wende, Karfreitag). Begriffe mit einer geringen mittleren Ähnlichkeit (Mitleid, Anfang, Neid) sind „Außenseiter-Begriffe"; sie haben zu den übrigen relativ großen logischen Abstand. 250
Abb. 5 G r u p p e P : Ähnlichkeit (Ähnlichkeitsurteil)
Kann man aus der erlebten „logischen" Ähnlichkeitsstruktur der fraglichen Begriffe auf ihre graphische Kommunizierbarkeit schließen? Korreliert man 1. die Rangreihe nach der mittleren „logischen" Ähnlichkeit mit 2. der Zuordnungsleistung (r°/J, so erhält man eine unerhebliche Korrelation von rho = -.09 (n. s.). Die erlebte „logische" Ähnlichkeit der Begriffe steht in keinem nachweisbaren Zusammenhang mit der Kommunizierbarkeit. E s s i n d i m b e r i c h t e t e n F a l l e w o h l k a u m k o g n i t i v e B e s c h a f f e n h e i t e n d e r B e d e u t u n g e n (des Repräsentierten) s e l b s t , d i e i h r e n E i n f l u ß a u f d i e K o m munizierbarkeit ausüben, vielmehr solche des „vermittelnden" Repräsentationssystems (zeichnerische Darstellungsschwierigkeiten, Mehrdeutigkeiten gezeichneter Szenen [s. o.: Neid - Mitleid] usf.). 251
Abb. 6 Gruppe P : Ähnlichkeit als Vertauschbarkeit von Repräsentationen
4. Zur weiteren Prüfung dieser Vermutungen kann man neben die „logische" Ähnlidikeitsreihe und die Vertauschungsreihe eine V e r g l e i c h u n g d e r s e m a n t i s c h e n D i f f e r e n z i e r u n g e n (vgl. oben S. 173 ff.) treten lassen. Wie berichtet, können Bedeutungen in P o l a r i t ä t e n p r o f i l e n dargestellt und diese korrelationsstatistisch verglichen werden. Nach Osgood (s. o.) kann man die Voraussetzung treffen, daß sich in den Korrelationsbeträgen der Abstand von jeweils zwei Bedeutungen im „semantischen Raum" abbildet. Entsprechend den Rangreihen für die Repräsentationsvertauschung und für die „logische" Ähnlichkeitsschätzung können alle 45 Bedeutungspaare nach ihrem „semantischen Abstand" geordnet werden. Es entsteht eine Ähnlichkeitsrangreihe, wobei Ähnlichkeit nun nicht durch die Pbn-Schätzungen, sondern durch die Ä h n l i c h k e i t d e r P o l a r i t ä t e n p r o f i l e definiert ist. Vergleicht man die Bedeutungsähnlichkeiten (nach Profilähnlichkeiten) 252
mit der V e r t a u s c h b a r k e i t , lation von
so erhält man die unerhebliche Korre-
rho = —.12 (n. s.)
Die Abstände der untersuchten Bedeutungen im „semantischen Raum" sagen nichts über die Vertauschbarkeit ihrer g r a p h i s c h e n Repräsentationen aus. Die s e m a n t i s c h e K o n v e n t i o n a l i t ä t (s. o. S. 164) kovariiert mit der Kommunizierbarkeit gleichfalls insignifikant: rho = + . 2 8 (n. s.)
5. Um die G r u p p e n a b h ä n g i g k e i t der Vertauschungsprofile zu exemplifizieren, wurde die Vertauschungs-Rangreihe der PsychologenGruppe mit derjenigen der Heimschüler verglichen. Die Korrelation beträgt: rho = + . 5 3 (p