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English Pages 262 [255] Year 2010
Christian Stadler · Sabine Kern Psychodrama
Christian Stadler Sabine Kern
Psychodrama Eine Einführung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Kea S. Brahms VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16539-4
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ...................................................................................................................... 9 Einleitung .................................................................................................................11 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Was ist Psychodrama? .....................................................................................13 Das Psychodrama Morenos und seine Wurzeln .............................................16 Die Wurzeln des Psychodramas in Spiel, Theater und Soziologie.................18 Die theologische Wurzel: Chassidismus und Kabbala ...................................22 Die Wurzel Psychotherapie..............................................................................24 Die zweite soziologische Wurzel und ein eigenes Anwendungsfeld: die Soziometrie .................................................................................................28 1.6 Rollen von PsychodramatikerInnen ................................................................30 1.7 Das Psychodrama heute ...................................................................................31
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Die Instrumente des Psychodramas...............................................................35 Die Bühne..........................................................................................................35 Die Psychodrama-LeiterIn ...............................................................................39 Die ProtagonistIn..............................................................................................42 Die MitspielerInnen, Hilfs-Iche........................................................................44 Die Gruppe........................................................................................................47
3 3.1 3.2 3.3 3.4
Psychodramatische Arrangements.................................................................51 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama................................................51 Das Rollenspiel .................................................................................................87 Das Gruppenspiel.............................................................................................96 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama .....................................................................................................102
4 4.1 4.2 4.3
Die Psychodrama-Techniken .......................................................................111 Szenenaufbau..................................................................................................112 Doppeln...........................................................................................................116 Rollenspiel in der eigenen Rolle.....................................................................121
6
Inhaltsverzeichnis
4.4 Rollenwechsel, Rollenspiel in der Rolle eines anderen Menschen und Rollenfeedback................................................................................................123 4.5 Das Spiegeln .................................................................................................. 125 4.6 Rollentausch....................................................................................................127 4.7 Szenenwechsel und Amplifikation ................................................................130 4.8 Sharing ............................................................................................................131 5 5.1 5.2 5.3 5.4
Rollentheorie..................................................................................................135 Definitionen des Rollenbegriffs .....................................................................136 Die vier Rollendimensionen...........................................................................137 Die Eigenschaften von Rollen ........................................................................138 St€rungen und Beeintr•chtigungen im Zusammenhang mit Rollen und Rollenkonfiguration........................................................................................150 5.5 Die psychodramatische Diagnostik ...............................................................156 6 6.1 6.2 6.3 6.4
Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen..............................................................................................167 Soziometrische Grundprinzipien...................................................................168 Aktionssoziometrie, Spektogramme und Skalen..........................................173 Soziales Atom – kulturelles – soziokulturelles Atom ...................................176 Der Soziometrische Test, der Perzeptionstest und das Soziogramm...........183
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Anwendungsfelder oder Formate ................................................................191 Behandlung .....................................................................................................191 Beratung ..........................................................................................................199 Bildung ............................................................................................................203 Selbsterfahrung ...............................................................................................204 Psychodrama ohne Gruppe ...........................................................................204
8 8.1 8.2 8.3 8.4
Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren..............211 Das Psychodrama und die psychodynamischen Verfahren.........................211 Das Psychodrama und die Verhaltenstherapie.............................................214 Das Psychodrama und andere humanistische Verfahren ............................216 Das Psychodrama und die systemische Therapie und Beratung .................220
9 9.1 9.2 9.3
Der Weg zur PsychdramatikerIn..................................................................227 Aus- und Weiterbildungsangebote in ƒsterreich .........................................227 Weiterbildungsangebote in Deutschland ......................................................233 Weiterbildungsangebote in der Schweiz.......................................................237
Inhaltsverzeichnis
10 10.1 10.2 10.3
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Empfohlene Literatur ....................................................................................241 Psychodrama ..................................................................................................241 Empfohlene methodenübergreifende Literatur ............................................243 Zeitschriften ....................................................................................................244
Anhang....................................................................................................................245 Glossar ....................................................................................................................249 Stichwortverzeichnis .............................................................................................259
Einleitung
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Vorwortȱ
Psychodrama, Soziometrie, Rollenspiel – so nennt sich das Triadische System im Blick auf die Anwendungsfelder Beratung, Behandlung und Bildung. Liegt der Akzent auf dem Anwendungsfeld Psychotherapie und dort auf der allem menschlichen Handeln zugrunde liegenden sozialen Interaktion, greift man auf die Trias Psychodrama, Soziometrie, Gruppenpsychotherapie zu. In der Fachwelt wird kurz von Psychodrama gesprochen. Historisch gesehen, kann man Psychodrama als die klassische erlebnisorientierte Aktionsmethode für Beratung, Behandlung und Bildung bezeichnen. Alle, die Psychodrama als handlungsorientiertes Verfahren erlernt oder kennengelernt haben, wissen den Wert seines Potenzials und die Wirksamkeit seiner Techniken zu schätzen, besonders in der Gruppe, aber auch in der Triade und der Dyade. Psychodrama wird über die Zielgruppe der PsychodramatikerInnen hinaus auch von prominenten VertreterInnen anderer Verfahren geschätzt. So wird von Ericȱ Berne, dem geistigen Vater der Transaktionsanalyse, berichtet, wie er vom Moreno-Problem sprach. Damit soll er das Phänomen bezeichnet haben, dass jeder „aktive“, d.h. handlungsorientierte Psychotherapeut damit konfrontiert sei, dass praktisch alle „aktiven“ Techniken bereits von MoreȬ no ausprobiert worden seien (vgl. A.ȱBadaines in: J.ȱRowanȱund W.ȱDrydenȱ(1990): Neue Entwicklungen der Psychotherapie, S. 126). Bei der verhaltenstherapeutischen Standardmethode Rollenspiel benennt SteffenȱFliegel eindeutig die psychodramatischen Wurzeln dieser Vorgehensweise, um ein weiteres Beispiel zu nennen (SteffenȱFliegelȱin: J.ȱMargraf (Hrsg.) (2002²): Lehrbuch der Verhaltenstherapie Bd. 1, S. 465). Andere sind weniger deutlich in der Darstellung ihrer Wurzeln. Sie bedienen sich aber dennoch vielerlei psychodramatischer Techniken, allerdings ohne diese zu benennen, und, was bedenklicher ist, auch ohne sich auf das Menschenbild des Psychodramas zu beziehen. Verfolgt man die Diskussion über die Ergebnisse der Kleinkindforschung, der Neurobiologie, der Hirnforschung und der Epigenetik findet man dort erstaunliche Entsprechungen zum Gedankengut und zur Konzeption des Triadischen Systems. Mit dem Triadischen System wurde vor rund 100 Jahren von
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Vorwort
J.ȱL.ȱMoreno in genialer Weise ein Verfahren begründet, dessen zukunftsweisende Grundgedanken sowie die damit verbundenen Techniken heute als modern aufgefasst werden können. Angesichts dieser Lage ist es sinnvoll und notwendig, stetig und beharrlich auf das Potenzial des Verfahrens hinzuweisen, dafür Neugierde zu wecken und Zugänge zu ebnen. Christianȱ Stadler und Sabineȱ Kern haben mit ihrem Psychodrama-Buch zum rechten Zeitpunkt eine aktuelle Einführung in das Psychodrama geschrieben. Mögen manche bisher den Zugang zum Psychodrama gemieden haben, weil ihnen das Verfahren zu komplex und die Vielfalt der Techniken zu verwirrend erschienen, so können sie sich nun mit der neuen Einführung ins Psychodrama einen gut lesbaren Überblick verschaffen. Den AutorInnen ist gelungen, Geschichte und Geist des Psychodramas zu beschreiben und die daraus entwickelten Arbeitsformen, Instrumente und Techniken anschaulich darzustellen. Die vielfältigen Praxisbeispiele leisten, was man sich von einem szenischen Verfahren wünscht: sinnliche Anschaulichkeit. Die AutorInnen geben aber nicht nur eine anschauliche Einführung in das Verfahren. Anhand geschickt ausgewählter Themen zeigen sie auf, wie sich das Grundkonzept bisher weiter entwickelt hat. Sie zeigen aber auch auf, welche Themen in der fachlichen Diskussion sind und bedacht, beforscht und weiter entwickelt werden sollten. Die Einbettung der Einführung in eine verfahrensübergreifende Perspektive, die sowohl zum Dialog mit anderen Verfahren anregt, als auch die Ergebnisse anderer Forschungsrichtungen berücksichtigt, gibt den LeserInnen Orientierung und weckt Lust auf eigene Erkundungen. Psychodrama ist nach den Worten seines Begründers eine Einladung zur Begegnung. Die vorliegende Einführung von ChristianȱStadler und SabineȱKern ist in diesem Geist eine gelungene Einladung, dem Psychodrama zu begegnen. Dem Buch sind viele neugierige, aber auch handlungslustige LeserInnen zu wünschen. LeserInnen, die es nicht nur beim Lesen belassen, sondern sich auch aufmachen, das kreative Potenzial des Psychodramas selbst zu erfahren. HelmutȱSchwehmȱ Vorsitzender des Deutschen Fachverbandes für Psychodrama und der Sektion Psychodrama im DAGG
Einleitung
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Einleitungȱ
Kreativität ist eines der Schlüsselworte, um das Verfahren Psychodrama und seine Wirkmechanismen zu verstehen. Wenn sich die Kreativität frei entfalten kann, ist alles gesund. Wo sie blockiert ist, wird alles „krank“: der Mensch, die Gesellschaft, Familiensysteme. Um kreativ bleiben zu können, müssen zuweilen alte Muster dem Neuen weichen. Der indische Künstler Anishȱ Kapoor pointiert, wie es der Psychodramagründer Moreno zu Lebzeiten auch gerne getan hat: „Orderȱisȱdeath.ȱCreaȬ tivityȱisȱchaotic.ȱIȱmustȱbreakȱtheȱsystemȱIȱhaveȱbuilt.“ (2008, Boston). Moreno verwandte den Begriff kulturelle Konserve für die kristallinen, festgefahrenen Strukturen, die immer wieder neu aufgebrochen, verändert werden müssen, damit Systeme lebendig bleiben. In diesem Sinn haben wir uns als AutorInnenteam die überlieferten psychodramatischen Kulturkonserven durchgesehen, sortiert, zum Teil übernommen, zum Teil neu beschrieben und wieder in eine Form gegossen. Sie halten damit wieder eine Kulturkonserve in Händen, und sind eingeladen, sie zu öffnen, wo nötig, wieder aufzubrechen und für sich neu zu gestalten. Wir hoffen, dass das Buch Sie zu vielen kreativen Prozessen anregt. Es ist als Einführung in das Verfahren Psychodrama gedacht und soll interessierten StudentInnen, WeiterbildungskandidatInnen, aber auch KollegInnen aus anderen Verfahren und Gebieten die Möglichkeit bieten, sich einen ersten Einblick in das Psychodrama zu verschaffen. Jedes der Kapitel im Buch ist in sich abgeschlossen und kann daher auch unabhängig von den anderen gelesen werden. Gleichwohl haben wir uns beim Schreiben über die Reihenfolge Gedanken gemacht, und dabei das Buch so aufgebaut, wie es uns am sinnvollsten erschien. In Anlehnung an die psychodramatischen Prinzipien der Kreativität und Spontaneität empfehlen wir Ihnen jedoch, das Buch so zu lesen, wie es Ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht. Damit auch Neulinge sich schnell mit den Begrifflichkeiten zurechtfinden, haben wir am Ende des Bandes ein Glossar der wichtigsten Begriffe sowie ein Stichwortverzeichnis eingefügt. Die Literatur zu den einzelnen Themen finden Sie jeweils am Ende des Kapitels; weiterführende Literatur, die wir persönlich empfehlen können, steht am Ende im Literaturverzeichnis. Da das Buch einen Einführungscharakter hat, haben wir auch den Aus- und Weiterbildungsmög-
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Einleitung
lichkeiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein eigenes Kapitel gewidmet. Danken möchten wir an dieser Stelle den zahlreichen HelferInnen im Hintergrund, die an der Entstehung des Buches beteiligt waren. An erster Stelle sei unseren KlientInnen gedankt, denn die beste Theorie bleibt leer ohne den Bezug zur Praxis. Von ihnen haben wir am meisten gelernt, und unser Dank gilt auch für das Einverständnis, hier konkrete Beispiele – natürlich anonymisiert – verwenden zu dürfen. Dann gilt der Dank all jenen, die uns als Psychodrama-LehrerInnen und KollegInnen inspiriert haben: wir verneigen uns im Geiste vor dem Gründer des Verfahrens, J.L.ȱ Moreno. Ohne ihn gäbe es das Psychodrama nicht. Gretelȱ Leutz,ȱ Reinhardȱ Krüger,ȱ Michaelȱ Schacht,ȱ Helmutȱ Schwehm,ȱ Thomasȱ Schwinger,ȱ Jörgȱ BurȬ meister,ȱ Hildegardȱ Pruckner,ȱ Barbaraȱ ErlacherȬFarkas,ȱ Juttaȱ Fürst,ȱ Helmutȱ Haselbacher,ȱ KarolineȱZeintlingerȬHochreiter,ȱKlausȱOttomeyer,ȱNorbertȱNeuretter,ȱAnnelieseȱSchigutt,ȱ Mariaȱ Schönherr,ȱ Manfredȱ Stelzig,ȱ Ferdiȱ Buer,ȱ Susanneȱ HeidelbergerȬHeidegger und Edithȱ Reißmann sei namentlich gedankt, dass sie uns psychodramatisch beflügelt haben. Für die Erstellung von Zeichnungen danken wir ElkeȱSchönberger, für Fotografien YvonneȱSaltzmannȱund für die Gestaltung von Grafiken SabineȱSpitzer und MarionȱPiaȱWolff. Für die geduldige und ermunternde Durchsicht sowie viele hilfreiche Anregungen danken wir ChristophȱBecker,ȱSonjaȱHintermeier, KerstinȱRapelius,ȱ Christianeȱ Schlüter,ȱ Reinholdȱ Schrappeneder,ȱ Ernstȱ Silbermayrȱ undȱ Sabineȱ Spitzer;ȱ für die Unterstützung des gesamten Projektes der Redaktion der ZeitschriftȱfürȱPsychoȬ dramaȱundȱSoziometrie sowie KeaȱBrahms vom VSȱVerlag. Last not least geht unser Dank an unsere Nächsten, die uns mit großem Herzen Zeit, Geduld und Unterstützung für die Realisierung dieses Buchprojektes geschenkt haben: Claudia, Simon, Hannah, Paula und Andreas. Sie haben es schon bemerkt: wir haben uns entschlossen, das Buch in der Schreibweise mit dem großen „I“ zu verfassen, da wir diese für die am besten lesbare geschlechterfaire Schreibweise halten. Da auch ein solches Projekt in ständiger Weiterentwicklung begriffen ist, freuen wir uns über Anregungen, Ergänzungsvorschläge, Kommentare und Kritik zu den Inhalten.
1 Was ist Psychodrama?
1 1
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WasȱistȱPsychodrama?ȱ
Psychodrama ist …? In dem Versuch, den Gegenstand Psychodrama zu erfassen, fallen uns die Beschreibungen des Elefanten ein, der von verschiedenen Personen, die das Tier mit geschlossenen Augen an unterschiedlichen Körperstellen berühren sollten, zwar sehr klar, aber eben auch recht unterschiedlich charakterisiert wurde: Diejenigen, die an die Beine fassten, schilderten den Elefanten als „säulenartiges Wesen“, diejenigen an der Flanke erlebten ihn als „groß und flächig“, diejenigen, die das Ohr berührten, empfanden ihn als „dünn“, die an den Stoßzähnen als „hart“. Alle haben sie recht. Und allen fehlen Teile in ihren Beschreibungen. So verhält es sich auch mit dem Psychodrama und seinen Definitionen. Selbst wer bei Psychodrama nicht an Fernsehen und Kino oder bestenfalls Theater denkt, sondern an einen Begriff aus dem Feld der Psychologie, ist noch mit einer Vielzahl unterschiedlicher Definitionen und Zuordnungen konfrontiert. In diesem ersten Kapitel soll versucht werden, eine handhabbare Definition des Verfahrens Psychodrama zu geben. Im gleichen Zug werden die Wurzeln des Verfahrens und mögliche Anwendungsbereiche des Psychodramas deutlich gemacht. Wenn wir weit genug vom Elefanten Psychodrama Abstand nehmen, könnte eine allgemeine Definition von Psychodrama so lauten: Das Verfahren Psychodrama in all seinen Anwendungsfeldern ist die handelnde oder szenische Darstellung des inneren Erlebens einer oder mehrerer Personen sowie deren äußerer Situationen.
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Abbildungȱ1:
1 Was ist Psychodrama?
Der Psychodrama-Elefant
Das bedeutet zunächst einmal, dass im Psychodrama nicht nur gesprochen, sondern auch gehandelt wird. Weiter geht es dabei sowohl um das innere Erleben der betreffenden Personen als auch um die jeweils subjektiven Gedanken, Gefühle und Impulse sowie um die äußere Situation, in der sich die betreffenden Personen befinden. Dabei wird eine Klärung und Veränderung des persönlichen Erlebens ebenso angestrebt wie das Verstehen und Verändern der äußeren Lage, in der sich die betreffenden Personen befinden. Der Arzt, Theologe, Sozialforscher und Schriftsteller Jakobȱ Leviȱ Moreno, der Mann, mit dessen Namen man das Verfahren bis heute in erster Linie verbindet, wird gerne mit dem prägnanten Satz zitiert, das Psychodrama sei „diejenige Methode […], welche die Wahrheit der Seele durch Handeln ergründet“ (Moreno 2008: 77). Ergänzen können wir diesen Satz entsprechend dem obigen Definitionsversuch so: Das Psychodrama untersucht Interaktionen und Situationen durch szenische Darstellungen. Und: Durch Psychodrama werden Personen und Situationen, im Fachjargon auch Lagen genannt, mithilfe kreativer Prozesse verändert. Wikipedia weist Psychodrama (von griechisch ΜΙΛ psyche „Seele“, und ΈΕΣΐ΅ drama „Handlung, Vorgang“) als eine Methode der Gruppenpsychotherapie aus. Historisch gesehen ist dies richtig:ȱMoreno erfand zu Beginn des letzten
1 Was ist Psychodrama?
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Jahrhunderts sowohl das Psychodrama als auch die Gruppentherapie; Psychodrama und Gruppenpsychotherapie waren danach lange Zeit ein Junktim, jedoch gilt dies heute nicht mehr uneingeschränkt. Psychodrama wird heute sowohl als Gruppenverfahren wie auch im Einzelsetting angewendet. Karp, eine bekannte britische Psychodramatikerin unserer Tage, betont den experimentellen Charakter des Psychodramas: Sie beschreibt es als „eine Art Lebenspraxis, bei der man nicht dafür bestraft wird, wenn einem Fehler unterlaufen“ (Karp 1998: 3). Einige wesentliche Bestandteile des Psychodramas sind in obigen, relativ allgemeinen Definitionen enthalten: Das Psychodrama ist ein Verfahren, welches zunächst ausschließlich in der Gruppe angewandt wurde, das Anwendungsgebiet oder Format war zunächst vor allem die Psychotherapie, es beinhaltet eine fehlerfreundliche und experimentierfreudige Haltung, es setzt auf das Primat der Handlung und beschäftigt sich mit der Suche nach den Ursachen menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns. Aus der Sicht des heutigen Psychodramas ist dies jedoch nur ein kleiner Ausschnitt. Bereits Moreno hatte das Psychodrama immer in Kombination mit zwei anderen Begriffen genannt, der Soziometrie und der Gruppenpsychotherapie, also im Kontext von Messung und Behandlung sozialer Beziehungen und Gefüge und der Heilung psychischer Symptome mithilfe mehrerer Menschen. Über die Jahrzehnte hat es sich eingebürgert, das gesamte Verfahren mit dem Oberbegriff Psychodrama zu bezeichnen, auch wenn damit meist die Trias Psychodrama, Soziometrie, Gruppenpsychotherapie oder in neuerer Zeit auch die Trias Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel gemeint ist. Damit ist Psychodrama gleichzeitig Name für das gesamte Verfahren wie für ein spezielles Arrangement (siehe Kapitel 3) innerhalb des Verfahrens, welches heute neben dem Feld der Psychotherapie und Beratung auch in vielen anderen Anwendungsfeldern zum Einsatz kommt. Für den Moment können wir unter Psychodrama verstehen: Es ist eine kreative Methode, die mit Einzelnen oder in der Arbeit mit Gruppen eingesetzt wird. Dabei wird sowohl das Verhalten als auch die Entwicklung von Gedanken, Gefühlen und Haltungen fokussiert. Eine Besonderheit liegt darin, dass das Verfahren einerseits Erlebnis aktivierend und Spontaneität fördernd wirkt, also eine deutliche Handlungsorientierung aufweist, zum anderen den Menschen in Rollen beschreibt und in diesen handeln lässt. Dabei können sowohl vergangene als auch gegenwärtige und sogar auch zukünftige Situationen in Szene gesetzt werden. Entscheidend ist die innere Wirklichkeit der betreffenden Person, die szenisch dargestellt wird.
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1 Was ist Psychodrama?
DasȱheutigeȱPsychodramaȱkommtȱzurȱAnwendungȱin:ȱ
Psychotherapie im Einzel- und im Gruppensetting
Beratungsangeboten im klinischen Bereich (Familie, Sucht, Psychiatrie)
Schulischer und außerschulischer Bildung (Erwachsenenbildung)
Personal- und Organisationsentwicklung
Supervision und Coaching
Seelsorge
Fort- und Weiterbildungen als didaktische Methode
Soziometrischen Untersuchungen der Feld- und Aktionsforschung
Universitärer Forschung (Psychologie, Soziologie, Soziale Arbeit)
Tabelleȱ1:
Heutige Anwendungsfelder des Psychodramas
Fallbeispiel:ȱ Herr Maier möchte gerne einen Konflikt mit seiner älteren Schwester klären. Er wird dazu vom Leiter der Gruppe aufgefordert, für seine Schwester eine Person aus dem Kreis der Gruppe zu wählen. Nach der Festlegung, wo und wann das Konfliktgespräch stattfinden soll (Samstagnachmittag in einem Cafe), gibt Herr Maier der Mitspielerin ein paar Informationen zur Person der Schwester (Alter, beruflicher und familiärer Hintergrund, Beziehung zueinander). Danach setzen sich Herr Maier und seine Schwester (vertreten durch eine Mitspielerin) auf die zuvor definierten Plätze. Herr Maier wird nun aufgefordert, das Gespräch zu beginnen. Nach den ersten Sätzen wird er vom Leiter aufgefordert, mit der Schwester die Rolle zu tauschen. Dazu wechseln Herr Maier und die Mitspielerin die Plätze. Herr Maier antwortet nun in der Rolle der Schwester, während die Mitspielerin in der Zwischenzeit den Part von Herrn Maier übernimmt. Danach wird wieder zurückgetauscht. Dieser Prozess kann mehrmals hin und her gehen, bis sich die Konfliktlage verändert hat.
1.1 DasȱPsychodramaȱMorenosȱundȱseineȱWurzelnȱ Wie es nun zu den verschiedenen Facetten im Psychodrama kam, wird anschaulich, wenn wir die Wurzeln des Psychodramas ins Auge fassen. Das Verfahren Psychodrama hat im Wesentlichen vier Wurzeln: das Theater, die Medizin und hierbei die zu Beginn des letzten Jahrhunderts neue Disziplin der Psychotherapie, die Soziologie und die jüdische Theologie bzw. Philosophie. Der Psychodrama-
1.1 Das Psychodrama Morenos und seine Wurzeln
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Gründer Moreno war ein vielseitig interessierter und gebildeter Mann, dem es gelang, aus diesen Wurzeln ein eigenes Verfahren zu entwickeln, ähnlich wie es seinem Zeitgenossen Freud mit der Entwicklung der Psychoanalyse kurze Zeit zuvor gelungen war. Einige der Wurzeln, wie das Theater oder die Theologie, muten heute im Kontext eines solchen Verfahrens seltsam an, da die wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit dem Menschen beschäftigen, sich immer neuen Positivismen verschrieben haben, zuletzt zum Beispiel den Aufsehen erregenden Darstellungen der Neurobiologie.
Philosophie
Soziologie
Theologie
Anthropologie
Kulturwissenschaften
Der Mensch
Pädagogik & Recht
Ökologie
Medizin & Biologie
Abbildungȱ2:
Psychologie
Perspektiven auf den Menschen
Der Psychologe und Arzt Tretter beschreibt jedoch in seinem Buch Ökologieȱ derȱ Personȱanschaulich, wie sehr die Perspektiven einer Systemphilosophie und einer ökologischen Anthropologie vonnöten sind, soll der Mensch nicht reduktionistisch betrachtet und behandelt werden (Tretter 2008). Menschen leben früher wie heute in Systemen, sind Umwelten ausgesetzt und gestalten diese, und jegliche Wissenschaft, die sich mit Menschen beschäftigt, hat zugrunde liegende Axiome, die die Untersuchungen und Handlungsweisen prägen. So wird der psychodramatische Ansatz heute wieder modern.
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1 Was ist Psychodrama?
Um ein Bild von der Entwicklung des heutigen Psychodramas zu bekommen, ist es hilfreich, zumindest in groben Zügen von den Wurzeln des Verfahrens zu wissen, unabhängig davon, wie stark sie jeweils in die eigene Arbeit mit einbezogen werden.
1.2 DieȱWurzelnȱdesȱPsychodramasȱinȱSpiel,ȱTheaterȱundȱSoziologieȱ Gerne wird die Geschichte erzählt, dass Moreno schon als Kind „Theater“ gespielt habe. Im Alter von etwa fünf Jahren schlug er seinen Wiener Nachbarskindern vor, man solle „Gott und die Engel“ spielen. Er selbst nahm die Rolle Gottes ein, der auf einem Turm aus Tischen und Stühlen quasi im Himmel thronte, bis zu dem Moment, als er sich auf Bitte eines Engels zum Flug aufmachte und sich dabei, wie nicht anders zu erwarten, den Arm brach. Zu Gründern gehören Mythen; so bezeichnete Moreno diese Geschichte später als eine wesentliche für sein Leben und für die Entwicklung des Psychodramas. Auch trafen hier Theaterspiel und Religion zum ersten Mal aufeinander. Dies ist vermutlich die Geburtsstunde einer Sonderform des Psychodramas, des Bibliodramas1, einer Variante, bei der biblische Erzählungen im Rollenspiel reinszeniert werden. In seiner Anthropologie und der später entwickelten psychotherapeutischen Philosophie findet sich diese Idee wieder: erstens, Gott zu spielen, und zweitens, Gott ähnlich oder gleich zu sein. Dabei stellt das Spiel den Bezug zum Theater, der Aspekt der Gott-Ähnlichkeit den Bezug zur Theologie dar. Moreno versteht dabei Gott nicht als unerreichbares Gegenüber, sondern sieht in jedem Menschen das Göttliche oder einen Anteil Gottes: Gott und Mensch tragen beide schöpferische, kreative Kräfte in sich; auf diesen philosophisch-theologischen Aspekt wird später noch ausführlicher eingegangen. Die zentrale Rolle, die diese Art von Kreativität in Morenos Werk einnimmt, hat hier ihre Grundlage. So ist das kreative Moment im Menschen das, was im psychotherapeutisch orientierten Psychodrama heilt, den Menschen aus der Krise führt, und allgemeiner gesagt das, was dem Menschen an Energie, sich weiter zu entwickeln, also an Potential innewohnt. Moreno war mit dieser Sicht nicht allein. Je nach philosophischem Hintergrund wurden dafür andere Begriffe verwendet: Spinoza nannte diese kreative Kraft die Ursubstanz des Universums2, Freudianischeȱ PsychotherapeuȬ tInnen könnten dies als Libido bezeichnen, physikalisch orientiertere AutorInnen als
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Stangier (1997) beschreibt Entstehung und Anwendung des Bibliodramas ausführlich und anschaulich. TomaschekȬHabrina (2004) beschreibt die jüdischen Wurzeln von Morenos Theater- und Therapiekonzepten ausführlich.
1.2 Die Wurzeln des Psychodramas in Spiel, Theater und Soziologie
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Materie oder Energie, dualistisch geprägte Menschen als Geist. Es gibt eine Reihe bekannter Philosophen, deren Konzepte verwandt sind mit dem Kreativitätskonzept Morenos: AlfredȱNorth Whitehead,ȱGottfriedȱWilhelmȱLeibniz,ȱHenriȱBergson,ȱPierreȱ TeilhardȱdeȱChardin und Ken Wilber3. Das Interesse an der Kreativität des Menschen und am Theaterspiel blieb ein zentraler Bestandteil in Morenos Leben, der ihn wenig später auch zur Entwicklung seiner soziologischen Perspektive auf den Menschen brachte. Als Medizinstudent spielte er mit Kindern im Wiener Augarten Theater. Zunächst erfand er selbst Fantasiegeschichten, in denen es um die Suche nach dem König ging, später wurden auch Szenen gespielt, die die Kinder von zu Hause erzählten; er griff aber auch Märchen aus dem jeweiligen kulturellen Hintergrund der Kinder auf. Die Kinder hörten zunächst die Geschichten und nahmen dann die darin vorkommenden Rollen ein. Sie lernten sich in diesen vorgegebenen Rollen zu bewegen und zu verhalten, aber auch durch diese Rollenübernahmen etwas Neues auszuprobieren; dies waren Vorgehensweisen, die für die Entwicklung des Verfahrens Psychodrama von großer Bedeutung sein sollten. Die Ansicht, dass Menschen auch in Rollenkategorien beschrieben werden können, wie sie die Soziologie von Mead (1934) und Dahrendorf (2006) und darauf aufbauend die Sozialpsychologie vertreten, hat hier ihre Vorläufer4. Während aber die Soziologie die Rollen als deskriptive Konzepte verwendet, betonte Moreno den Aspekt der Veränderung dieses Konstrukts. Menschen können sich gegenseitig in Rollen wahrnehmen, aber sie können sich auch in Rollen verhalten: Sie können Dinge spielen, die sie im echten Leben (noch) nicht machen würden. Hier nehmen das Rollenspiel5 und das Rollentraining ihren Ausgang. Um sich einen anschaulichen Begriff dieser Wahrnehmung in Rollen zu machen, können Sie sich einmal eine Arbeitskollegin, wie sie in der nachstehenden Tabelle beschrieben wird, vorstellen. Sie können sie, je nach situativem Kontext, in unterschiedlichen Rollen sehen:
3 4 5
Wilber nennt dies: „GEIST-in-Aktion“; vgl. auch Blatners (1988) Ausführungen zu dem Thema. Vgl. Kippers (1996) Ausführungen zur Geschichte der Betrachtung des Menschen in Rollen. Die Entwicklung des Rollenspiels und seine Bedeutung für das Psychodrama werden ausführlich beschrieben bei Stadler und Spörrle (2008).
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1 Was ist Psychodrama?
Kontextȱ Arbeitȱ
Familieȱ Wohnenȱ Freizeitȱ
Werthaltungenȱ
Tabelleȱ2:
Rollenȱ Kollegin auf gleicher hierarchischer Ebene Personalberaterin in großer Firma Schwester Ihrer Freundin Single Berlinerin WG-Bewohnerin Mitspielerin in einem BeachVolleyball-Team Sopranistin in einem Laienchor Aktivistin bei Amnesty International
Handlungsebeneȱ Kollegialer Austausch Einstellungsgespräche führen Familienfest vorbereiten Partnersuche Großstadt genießen Gemeinsames Kochen Turnier planen Öffentlich auftreten Brief an einen Gefangenen schreiben
Wahrnehmung in Rollenȱ
Selbstverständlich haben Menschen schon seit jeher in ihrer Kindheit und Jugend Rollenspiele gemacht; vermutlich haben auch schon im Mittelalter Kinder so etwas wie „ich wär’ jetzt mal der Knappe“ oder „ich wäre jetzt mal die Marketenderin“ gespielt, aber der gezielte Einsatz des Rollenspieles als Technik oder Arrangement zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit gründet hier. Der soziologische Ansatz, den Mensch in Rollen zu beschreiben, half Moreno in seiner späteren Theorieentwicklung maßgeblich. Die Beschreibungen der Entwicklung von Rollen im Laufe eines Menschenlebens und der Versuch, die Rollen eines Menschen zu einem gegebenen Zeitpunkt zu erfassen, sind zentrale Bestandteile psychodramatischer Anthropologie geworden, aus denen sich praktische Handlungsweisen für das psychodramatische Vorgehen ableiten lassen.
Abbildungȱ3:
Beispiel für das Spielen in kulturell vorgegebenen Rollen anhand des Märchens von Hänsel und Gretel
1.2 Die Wurzeln des Psychodramas in Spiel, Theater und Soziologie
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Aber nicht nur im Rahmen der „Kinderspiele“ setzte sich Moreno mit dem Rollenspiel und dem Theater auseinander. Das Theater war ihm Mittel, sich mit dem Menschen zu beschäftigen und dessen Kreativität anzuregen. So war es nur folgerichtig, dass er nicht Gefallen daran fand, Stücke anderen AutorInnen einfach nur nachzuspielen, sondern dass es ihm um das kreativeȱMoment im Theaterspiel ging. Ein dritter Bezugspunkt zum Theater ist damit Morenos Interesse und Orientierung an der Tradition des Stegreiftheaters. Theater und Leben sollten nicht voneinander getrennt sein: Hier wie dort lehnte er falsche, das heißt nicht passende, Rollen ab. UnterȱStegreiftheaterȱwirdȱimȱWesentlichenȱverstanden:ȱ Es gibt keinen Theaterschriftsteller und auch kein fertig geschriebenes Stück. Die komplette Darstellung wird improvisiert, von den Texten bis zur Gesamthandlung. Die klassische Bühne ist nicht vorhanden; an ihre Stelle tritt die zum Alltagsleben offene Bühne. Es gibt keine ZuschauerInnen im klassischen Sinne, alle sind MitspielerInnen.
Tabelleȱ3:
Definition des Stegreiftheaters
1922 gründete Moreno sein eigenes Stegreiftheater in der Maysedergasse in Wien. In einem kleinen Raum, der kaum mehr als 30 Personen fasste, kamen zwei- bis dreimal die Woche Menschen zusammen, die von der Rolle der ZuschauerInnen in die Rolle der AkteurInnen wechselten. Gespielt wurden entweder persönlich erlebte oder erzählte Geschichten der „ZuschauerInnen“ – wie bereits im Spiel mit den Kindern – oder aber, in Form der „Lebendigen Zeitung“, Ereignisse, die in der Tagespresse standen. LebendigeȱZeitungȱ Unter Lebendiger Zeitung versteht man eine Technik, aktuelles Tagesgeschehen, das in Zeitungsartikeln beschrieben ist, auf der Psychodramabühne nachzuspielen. Dabei wird zunächst ein Artikel ausgesucht, dann gemeinsam gelesen. Die im Artikel vorkommenden Rollen werden an die MitspielerInnen vergeben, danach wird das beschriebene Geschehen gemeinsam in freiem Spiel szenisch umgesetzt. Es gab im Stegreiftheater keine ZuschauerInnen im eigentlichen Sinn: Alle, die kamen, waren potentielle SpielerInnen bzw. MitspielerInnen. Hier sammelte Moreno erste Erfahrungen mit dem Theaterspiel Erwachsener als Ausdrucks-, aber auch als Heilmittel; die Brücke zur Psychotherapie war geschlagen: „Absichtȱ ist,ȱdieȱKrankheitȱsichtbarȱzuȱmachen,ȱnichtȱgesund,ȱsondernȱkrankȱzuȱwerden.ȱDerȱKranȬ
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1 Was ist Psychodrama?
keȱ selbstȱ treibtȱ seineȱ Krankheitȱ aus.ȱ Dieȱ Wiederholungȱ inȱ derȱ Illusionȱ machtȱ ihnȱ frei.“ (Moreno 1970: 71) Es konnte alles gespielt und gezeigt werden, und es war dabei nicht entscheidend, ob etwas krank oder gesund war. In der Welt der Bühne konnten die SpielerInnen eine heilsame, distanzierende Erfahrung machen. „Jedesȱ wahreȱzweiteȱMalȱbefreitȱvomȱersten“ (Moreno 1980: 28), eines der bekanntesten MoȬ reno-Zitate, gehört in den Kontext dieser Theater-Form. Psychodrama beschreibt hier ein Arrangement: Nach bestimmten Regeln wird ein Erlebnis, eine Erfahrung oder, im Falle von Krankheit, ein Symptom szenisch dargestellt. Durch das Nachspielen in der von Moreno sogenannten Surplus-Realität der Bühne wird der Selbstheilungsprozess der ProtagonistIn angestoßen. In dieser anderen Wirklichkeit der Psychodrama-Bühne können die ErzählerInnen ihre Erlebnisse noch einmal in sicherem Rahmen erleben und sich gleichzeitig davon distanzieren, indem sie die Situation von außen betrachten. „Die Zuschauer waren meine Mitwirkenden. Die Menschen im Publikum waren wie Tausende unbewusste Bühnenautoren. Das Stück war die Situation, in die sie durch die historischen Ereignisse hineingeworfen worden waren, in der jeder von ihnen einen wirklichen Part spielen musste. […] Wenn es mir gelänge, das Publikum in Akteure zu verwandeln, in Akteure ihres eigenen kollektiven Dramas, des kollektiven Dramas sozialer Konflikte, in das sie in der Tat täglich verwickelt waren, dann würde meine Kühnheit belohnt werden.“ (Moreno 1995: 80)
Auch als Schriftsteller und Herausgeber machte sich Moreno einen Namen. Es war die Zeit des Expressionismus. Aufbruchstimmung herrschte, man gab sich mit dem bürgerlichen Leben nicht mehr zufrieden. Der Schein wurde hinterfragt, das commeȱ ilȱ faut war nicht mehr so wichtig wie die Echtheit und die Wahrhaftigkeit, heute würde man sagen: die Authentizität. Der Humanismus wurde Programm, es war eine Zeit der Manifeste und Zeitschriften, in denen das Menschsein in Prosa, Lyrik, bildender und darstellender Kunst zum Ausdruck gebracht wurde. Moreno schrieb sehr viel und seine Frühschriften haben durchaus ihren eigenen literarischen Wert. Der Daimon und der Neueȱ Daimon waren Zeitschriften, die von Moreno ab 1918 herausgegeben wurden und in denen Prominente wie FranzȱWerfel, MaxȱBrod, MarȬ tinȱBuber, PaulȱClaudel und andere veröffentlichten.
1.3 DieȱtheologischeȱWurzel:ȱChassidismusȱundȱKabbalaȱ Neben dem Einfluss des Theaters auf die Entwicklung des Psychodramas war das Interesse Morenos an seiner jüdischen Herkunft, hier besonders am Chassidismus und der Kabbala, von Bedeutung, auch wenn Moreno kein frommer Synagogengän-
1.3 Die theologische Wurzel: Chassidismus und Kabbala
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ger war. Von der Kabbala übernahm er das Bild des handelnden Gottes, eines Gottes in Aktion, der sich im Menschen zeigt. Gott entwickelt sich nach Moreno dann im Menschen weiter, wenn jener kreativ und schöpferisch ist. Er bezeichnete diese Art von Gottheit als IchȬGott, also als Gott in jedem Menschen. Der Mensch steht damit nicht nur als Teil der Schöpfung einem „DuȬGott“ gegenüber, sondern er ist auch Teil des Schöpfers und damit „IchȬGott“: „DerȱIchȬGottȱistȱderȱMensch,ȱderȱdiesenȱ Rollentauschȱ vollzogenȱ hatȱ undȱ dadurchȱ inȱ derȱ Lageȱ ist,ȱ dieȱ Verantwortung,ȱ dieȱ ausȱ derȱ BegegnungȱmitȱderȱGottheitȱerwächst,ȱzuȱübernehmen.“ (Hutter 2002: 326) Die Lehre der Kabbala, dass jegliches Lebewesen eine Emanation der Gottheit ist, berührte Moreno zutiefst. Diese Haltung verlieh ihm eine positive Grundhaltung gegenüber dem Menschen und dessen Entwicklungsfähigkeit. „Ichȱmöchteȱihnenȱ[denȱMenschen]ȱMutȱ zuȱneuenȱTräumenȱgeben.ȱ[…]ȱIchȱbringeȱdenȱMenschenȱbei,ȱwieȱsieȱGottȱspielenȱkönnen.“ (Moreno in Leutz 1986: 139) Und Gott spielen bedeutet in diesem Fall keine Blasphemie, sondern es ging Moreno um die Tatsache, dass jeder Mensch sich stetig neu erschaffen oder mit heutigen Worten weiterentwickeln kann. Aus der Tradition des Chassidismus rührt die Betonung eines weiteren zentralen Aspektes des Psychodramas her: der Begegnung. Sie war für Moreno elementar. Ebenso wie das dialogische Prinzip Bubers ist Morenos Betonung der Begegnung, sei es mit Gott, sei es mit den Mitmenschen, auf chassidische Wurzeln rückführbar. In seinen lyrisch-geprägten Frühschriften finden sich hierzu folgende Zeilen (Moreno 1922: 15): „O wer mich sehen will, Muss mir begegnen. Wer mir begegnen will, Muss sich beeilen.“
Und bereits 1915 formulierte er in deutlichen Worten, was er als Einladungȱ zuȱ einerȱBegegnung bezeichnete: „Ein Gang zu zwei: Auge vor Auge, Mund vor Mund. Und du bist bei mir, so will ich dir die Augen aus den Höhlen reißen und an die Stelle der meinen setzen, und du wirst die meinen ausbrechen und an Stelle der deinen setzen, dann will ich dich mit den deinen und du wirst mich mit meinen Augen anschauen.“ (Moreno 1915: 5)
Die Sprache erscheint uns heute fremd, die Begrifflichkeit an dieser Stelle auch drastisch und der klare Bezug des psychodramatischen Verfahrens zur Theologie unwissenschaftlich für ein Verfahren, das in den nächsten Jahrzehnten vor allem im psychotherapeutischen Bereich beheimatet sein sollte; dennoch findet sich hierin die Herkunft psychodramatischen Handelns, auch wenn dieses mittlerwei-
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1 Was ist Psychodrama?
le längst in eine wissenschaftliche Sprache und entsprechende Kategorien übersetzt ist. Das oben beschriebene Prinzip des Rollentauschs ist neben dem Faktor Kreativität eines der Markenzeichen des gesamten Psychodramas geworden6. Bevor wir zu den medizinischen bzw. psychologischen Wurzeln des Psychodramas kommen, soll Moreno noch einmal mit einem Zitat zu Wort kommen, das den Zusammenhang seines Gottesbildes mit dem Konzept der Kreativität deutlich macht: „Es gibt keine Notwendigkeit, zu beweisen, dass Gott existiert und die Welt geschaffen hat, wenn dieselben Ichs, die er geschaffen hat, teil hatten daran, sich selbst und auch alles andere zu erschaffen […] Die Gottes-Idee ist revolutionär, man muss sie aber vom Beginn der Zeit in die Gegenwart zurückholen, in das Selbst, in jedes Ich. Der Er-Gott der Schöpfung muss vielleicht seine Existenz beweisen. Der Du-Gott der christlichen Bibel muss vielleicht den Beweis der Begegnung erbringen. Der Ich-Gott des Selbst aber ist selbst-verständlich. Das neue „Ich“ kann sich nicht vorstellen, geboren zu werden, ohne sein eigener Schöpfer zu sein. Es kann sich nicht irgendjemand anderen vorstellen, der geboren wird, ohne sein eigener Schöpfer zu sein. Noch kann es sich irgendeine zukünftige Welt vorstellen, die entsteht, ohne ihr eigener Schöpfer zu sein. Es kann sich nicht irgendeine zukünftige Welt vorstellen, ohne persönlich verantwortlich zu sein für das, was sie hervorbringt.“ (Moreno 1947: 13)
1.4 DieȱWurzelȱPsychotherapieȱ Die Psychotherapie ist heute ein eigenständiges Format, welches sich aus den Disziplinen Medizin und Psychologie entwickelt hat. Sie ist säkular (geworden). Damit verlassen wir den Bereich der Theologie und kommen zur Psychotherapie als weiterer Quelle des Psychodramas. Moreno verstand darunter die „Heilung“ von Seele, Körper und Gesellschaft. Mit 20 Jahren nahm er in Wien sein Medizinstudium auf. Zuvor hatte er sechs Jahre lang ohne seine Familie als Untermieter bei einer Wiener Familie gelebt und seinen Lebensunterhalt durch eine Hauslehrertätigkeit verdient. Während seines Studiums gründete er mit Freunden ein Wohnheim für MigrantInnen und Flüchtlinge und eine Selbsthilfegruppe für Prostituierte, die er medizinisch und sozial-therapeutisch begleitete. Sein medizinischer wie psychotherapeutischer Zugang zu den Menschen war immer schon mit einer sozialen Fragestellung verbunden. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er ab seinem 30. Lebensjahr als Arzt in einem Flüchtlingslager für SüdtirolerInnen in Mitterndorf/Österreich. Auch hier verband sich für ihn die Medizin und die Psychotherapie mit einer sozialen Fragestellung: Er machte Sozialthera6
Vgl. Schacht und Pruckner (2003)
1.4 Die Wurzel Psychotherapie
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pie. Die Behandlung des Einzelnen sollte in einen größeren Rahmen eingebettet sein, in die Behandlung der ganzen Gesellschaft bzw. in Morenos – nicht immer bescheidener – Wortwahl: der Behandlung der ganzen Menschheit. Nach seiner Emigration in die USA 1925 verdichtete er diesen Ansatz zur Soziatrie, der Idee, die Gesellschaft sei das Objekt der Heilung. Das klingt aus heutiger Perspektive etwas vollmundig, wirkt beinahe totalitär. Nicht umsonst ist dies eine Idee der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Es darf Moreno jedoch bei aller Hybris, die sich in diesem Satz zeigt, keine unlautere Absicht unterstellt werden; vielmehr befreite er mit seinem sozialen Ansatz das seelische Leid Einzelner aus der damals vorherrschenden individualistischen Sicht, wie sie seine psychotherapeutischen, v.a. seine psychoanalytischen ZeitgenossInnen mehrheitlich vertraten. Das System, welches Moreno mit seiner Methode im Auge hatte, war nicht ausschließlich intrapsychisch, wie zum Beispiel das psychoanalytischeȱ Drei-InstanzenModell von Es, Ich und Über-Ich, sondern interpsychisch und interaktionell. Der psychodramatische Blick richtete sich auf den Raum zwischen den Menschen; damit war die systemische Sichtweise in die Psychotherapie gekommen. Im Psychodrama allgemein, aber auch besonders innerhalb des psychotherapeutischen Zweiges sind die Konzepte von Kreativität und Spontaneität wesentliche Bestandteile für die Entwicklung bzw. Gesundung des Menschen. Ein gesunder Mensch ist kreativ, bzw. eine „gesunde“ Gesellschaft ist kreativ und in der Lage, spontan zu handeln und sich weiterzuentwickeln. Unter Spontaneität verstand MoȬ reno dabei nicht das, was heute landläufig unter spontan verstanden wird. Ein System, egal ob Mensch oder Gesellschaft, ist nach Moreno dann spontan, wenn es auf eine neue Situation angemessen und auf eine bekannte (z.B. sich wiederholende) Situation neu reagieren kann. An zwei Beispielen wird dies deutlich: Herr Zill handelt – im Sinne des Psychodramas – spontan, wenn er die Umstellung des Archivs von Verkaufsdaten von Mikrofiches auf die elektronische Datenverarbeitung per PC mit vollziehen kann; weniger spontan wäre es, wenn er Probleme bei dieser Umstellung hätte. Nicht spontan wäre auch das Verhalten der 13-jährigen Tochter Vera, die trotz wiederholter Aufforderungen, ihre schmutzige Wäsche in den Wäschekorb und nicht daneben auf den Fußboden zu werfen, ihr Verhalten nicht ändert und deswegen mit Sanktionen in der Familie rechnen muss. Allgemeiner werden gelingende spontane Prozesse in folgendem Flussdiagramm dargestellt. Dieses von Moreno entwickelte Prozessmodell klingt zunächst einfach und leuchtet den meisten Menschen „spontan“ ein. Es dient im Psychodrama dazu, Veränderung menschlichen Verhaltens zu beschreiben. Bei näherer Betrachtung erweist es sich als äußerst komplex, da es verschiedene Vorannahmen beinhaltet:
26
1 Was ist Psychodrama?
Menschen sind immer in eine Umgebung eingebettet: soziale und ökologische Perspektive. Menschen haben Begegnungen und leben in Beziehungen: interaktionelle Perspektive. Menschen nehmen diese Umgebungsvariablen wahr und verarbeiten diese auf unterschiedliche Weise: emotionale und kognitive Perspektive, und sie ziehen daraus Schlüsse für ihr Handeln: anthropologische und aktionale Perspektive.
3: Entwicklung und Anwendung neuen und / oder adäquaten Verhaltens
2: Kreativer Prozess im Zustand der Spontaneität
4: Festigung des neuen Verhaltens oder: Bestätigung des adäquaten Verhaltens
1: blockierende WiederholungsSituation oder: neue situative Anforderung
5: regelhafte Anwendung erworbenen oder bestätigten Verhaltens
Abbildungȱ4:
Verhaltensentwicklung bzw. -veränderung im Zustand der Spontaneität
Wenn nur diese vier Perspektiven herangezogen werden, wird deutlich, wie viele Faktoren auf menschliche Veränderungen Einfluss nehmen. Unterstützende Gegebenheiten, aber auch Störfaktoren können an jeder beliebigen Stelle auftauchen und den kreativen Prozess fördern oder gefährden. Die spontane Reaktion des
1.4 Die Wurzel Psychotherapie
27
Menschen wird dadurch optimiert oder aber der Mensch läuft Gefahr, aus der Spontaneitätslage herauszufallen und dann nicht mehr angemessen reagieren zu können. Klinisch zeigt sich dann neurotisches Verhalten. Durch die bisherige Beschreibung der Wurzeln des Psychodramas zogen sich verschiedene Fäden: die Rolle (Soziologie), das Spiel oder – allgemeiner – die Handlung (Theater), die Kreativität (Theologie), die Spontaneität (Psychotherapie) und die Begegnung (Philosophie). Im Feld der Psychotherapie erfolgte für Moreno und sein Psychodrama der wissenschaftliche Durchbruch allerdings erst 1932 in seiner neuen Heimat, in den USA, mit einer weiteren Neuerung. Bei einem Vortrag vor der Americanȱ Psychiatricȱ Association (APA) konnte er sein von ihm entwickeltes GruppentherapieȬKonzept vorstellen. Es beinhaltet verschiedene Aspekte: Es ist eine Therapie in der Gruppe, mit der Gruppe und eine Therapie der Gruppe. Therapie in der Gruppe bedeutet, dass eine einzelne Person, im Psychodrama ProtagonistIn genannt, innerhalb einer Gruppe behandelt wird und nicht, wie in den anderen damals gängigen psychotherapeutischen Verfahren, ausschließlich im Einzelsetting. Die meisten psychotherapeutischen Behandlungen Morenos in Beacon, seiner Privatklinik in den USA, wurden im Gruppensetting durchgeführt, wobei die Gruppe in der Regel aus einer PatientIn und MitarbeiterInnen Morenos bestand (Buer 2007: 164). Therapie mit der Gruppe heißt in diesem Kontext: Es werden andere Personen mit einbezogen, die der ProtagonistIn beim Heilungsprozess helfen; diese Personen wurden von Moreno HilfsȬIche genannt. Diese Hilfs-Iche nehmen Rollen in der szenischen Darstellung der ProtagonistIn ein. Hier zeigt sich wieder der für Moreno so bedeutsame Aspekt der Begegnung der Menschen. Zu guter Letzt der dritte Aspekt, die Therapie der Gruppe. Dieser Punkt ist besonders relevant für PatientInnengruppen, d.h. Gruppen, in denen mehrere PatientInnen behandelt werden. Jede einzelne Person in der Gruppe und die Gruppe als Ganze erleben einen Veränderungs- oder Heilungsprozess, unabhängig davon, ob die Mitglieder als MitspielerIn, als ZuschauerIn oder als ProtagonistIn beteiligt waren. Schließlich unterliegt auch die Gruppe selbst einer Entwicklungsdynamik. Aber auch wenn Morenos Durchbruch in den USA mit seinem Gruppenkonzept kam, da die Behandlung in der Gruppe den Heilungsprozess effektiver machte, ist sie damals wie heute keine conditioȱ sineȱ quaȱ non für die psychodramatische Psychotherapie. Wir werden dies an späterer Stelle ausführlicher beschreiben. Was zum Konzept der Gruppenbehandlung dazugehört, ist neben dem Begriff der Begegnung das gemeinsame Bewusste bzw. das gemeinsame Unbewusste. Diese beiden Felder ergänzen die Konzepte Freuds und Jungs; Ersterer beschrieb ein individuelles Unbewusstes in seinen Theorien, Letzterer ein kollektives. Das gemeinsame Bewusste und Unbewusste Morenos ist quasi dazwischen angesiedelt: Er ging davon
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1 Was ist Psychodrama?
aus, dass Menschen nie isoliert von anderen auftreten und dass diese Dyaden, Triaden, Klein- oder Großgruppen ein gemeinsames bewusstes sowie ein gemeinsames unbewusstes Feld haben. Dieses interpersonelle Feld des gemeinsamen Bewussten und Unbewussten betrifft nicht nur die Familie und nahen Angehörigen, sondern auch zum Beispiel FreundInnen, MitarbeiterInnen, Mitglieder in Clubs und Vereinen. Es liegt zwischen der intrapsychischen und der soziokulturellen Ebene, und es ist das klare Verdienst Morenos, dies in den Blick von Therapie und Sozialforschung gerückt zu haben.
1.5 DieȱzweiteȱsoziologischeȱWurzelȱundȱeinȱeigenesȱAnwendungsfeld:ȱdieȱ Soziometrieȱ Über den Bereich Soziologie und das Instrument Gruppe ist das Feld der SozioȬ metrie, der Messung und Beschreibung des Zwischenmenschlichen, schon in den Blick gekommen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird diese ausführlicher behandelt (siehe: Kapitel 6). Im Rahmen der Beschreibung des Verfahrens Psychodrama und seiner Wurzeln soll sie aber auch hier kurz angesprochen sein. Erste Erfahrungen mit der Messung von Beziehungen hatte Moreno bereits im österreichischen Mitterndorf während seiner Tätigkeit in einem Flüchtlingslager gesammelt, als es darum ging, dort kooperative Gemeinschaften zu bilden. Die österreichische Regierung hatte in einem Flüchtlingsdorf nahe Wien Südtiroler BäuerInnen angesiedelt. Die Gruppen waren wahllos zusammengestellt und es gab zahlreiche Konflikte. Moreno interessierte sich für die Strukturen, die sich in diesen Gruppen bildeten, und untersuchte das Flüchtlingsdorf mit seinen BewohnerInnen anhand unterschiedlicher Kriterien: nationale Identität, Parteizugehörigkeit, geschlechtsspezifische Kriterien, Untergruppenzugehörigkeiten etc. Anhand der entdeckten Untergruppen ließ er nach persönlicher Zuneigung neue Gruppen bilden und diese miteinander wohnen, in der Überzeugung, dass sowohl die Zusammenarbeit als auch das allgemeine Zusammenleben sich dann konfliktfreier gestalten sollten. Seine spätere soziometrische Aktionsforschung im Gefängnis SingȬSing in den USA hatte zum Ziel, die Rehabilitation der Sträflinge zu verbessern; auch seine Anstellung als Forschungsdirektor in einer großen New Yorker Schule für schwer erziehbare Mädchen war ein Feld, in dem er die Soziometrie anwandte und weiterentwickelte. Einige der großen soziometrischen Untersuchungen sind in seinem Buch „Whoȱshallȱsurvive?“ von 1934 zusammengefasst. Die Psychotherapie und die Messung und Veränderung sozialer Gefüge wurden damit erstmals systematisch zusammengeführt.
1.5 Die zweite soziologische Wurzel und ein eigenes Anwendungsfeld: die Soziometrie
29
Morenos Vision von Soziometrie war, dass Menschen ihre Umwelt aktiv erforschen und sie entsprechend ihren eigenen Bedürfnissen verändern. Hieraus spricht der demokratische und humanistische Geist des Psychodramas. Mit den Methoden der Soziometrie können Tiefenstrukturen innerhalb von Gruppen untersucht und abgebildet werden, die sich nicht immer an der Oberfläche einer Gemeinschaft, wie zum Beispiel durch ein Organigramm, ablesen lassen, sondern dieser Oberfläche sogar manchmal zuwiderlaufen können; darüber hinaus kann mit der Soziometrie innerhalb von Gruppen gruppendynamisch gearbeitet bzw. sozialpsychologisch untersucht werden (vgl. Blatner 1988: 138 und ausführlicher in diesem Band Kapitel 6). Damit sind die Eckdaten des Psychodramas in ihrem historischen Kontext beschrieben. Vertieft werden die einzelnen Punkte in den Kapiteln zu den Arrangements, Techniken und Anwendungsfeldern. Die Gewichtung der einzelnen Satelliten in der folgenden zusammenfassenden Grafik obliegt den jeweiligen AnwenderInnen. PsychodramatikerInnen verwenden die Bestandteile nicht alle gleich. Damit sind wir bei dem Punkt Psychodrama und seine AnwenderInnen angelangt.
Kreativität / Schöpferkraft Spontaneität / adäquate PersonUmweltPassung
Rolle
Psychodrama
Begegnung / Interpersonalität / Soziometrie
Szenisches Spiel / „als ob“
Handlung
Abbildungȱ5:
Bestandteile des Psychodramas
30
1 Was ist Psychodrama?
1.6 RollenȱvonȱPsychodramatikerInnenȱȱ Auch wenn der Begriff PsychodramatikerIn umgangssprachlich anmutet, scheint es derjenige zu sein, der am umfänglichsten und allgemeinsten trifft, womit Menschen beschrieben werden können, die das Psychodrama anwenden. Von Moreno noch Psychodrama-Direktorȱgenannt, wurde der Name im deutschsprachigen Raum später je nach Anwendungsgebiet abgewandelt in PsychodramaȬTherapeutIn, PsychodramaȬ LeiterIn oder PsychodramaȬPraktikerIn7; im englischsprachigen Raum hat sich der Director und der Practioner gehalten. Aus dem oben Beschriebenen geht hervor, dass eine PsychodramatikerIn Basiskompetenzen in den Bereichen der Psychologie, der Soziologie einschließlich der Gruppendynamik sowie der Philosophie und Theologie haben sollte. Es gibt selbstverständlich nicht viele PsychodramatikerInnen, die alle Fächer im Sinne eines Studiumȱgenerale absolviert haben, ein Grundlagenwissen in den genannten Bereichen ist jedoch hilfreich. Kellermann, ein israelischer Psychodramatiker, fasst die spezifischen Rollenanforderungen an eine für den Bereich Psychotherapie ausgebildete PsychodramatikerIn zusammen als: AnalytikerIn, ProduzentIn, TherapeutIn und GruppenleiterIn, die jeweils verschiedenen Idealen unterworfen sind, einem hermeneutischen, einem ästhetischen, einem heilenden sowie einem sozialen (Kellermann 2000: 46). Für die im Bereich der Psychotherapie tätigen PsychodramatikerInnen ist selbstverständlich auch ein Grundwissen in den Bereichen Psychiatrie und Psychosomatik nützlich, wenn nicht unabdingbare Voraussetzung. Fasst man die PsychodramatikerInnen allgemeiner, also nicht ausschließlich als PsychotherapeutInnen, können in Anlehnung an die Aufstellung Kellermanns PsychodramatikerInnen wie in der folgenden Tabelle beschrieben werden. Selbstverständlich ist dies eine idealtypische Darstellung, und unterschiedliche PsychodramatikerInnen haben entsprechend ihren Persönlichkeiten und Berufsausbildungen ihre jeweiligen Schwerpunkte.
7
Der Deutscheȱ Fachverbandȱ fürȱ Psychodrama sieht für den Abschluss der ersten Ausbildungsstufe nun den Titel der Psychodrama-PraktikerIn, für den Abschluss der zweiten Ausbildungsstufe den Titel der Psychodrama-TherapeutIn bzw. -LeiterIn, abhängig vom erlernten Grundberuf, vor.
1.7 Das Psychodrama heute
31
Rollenȱ SchöpferInȱ
Funktionenȱ Atmosphäre und Energielevel schaffen
Fertigkeitenȱ stimulieren
Idealeȱ kreativ und spontan
AnalytikerInȱ
Einsicht für Persönliches, Interpersonelles und Prozesse gewinnen
verstehen
hermeneutisch
ProduzentInȱ
Methoden zur Verfügung stellen
szenisch umsetzen und koordinieren
organisatorisch
BeraterInȱ
Situationen klären und verändern
helfen und Prozesse begleiten
konfrontierend bis unterstützend
GruppenleiterInȱ
Gruppenstruktur und Klima managen
leiten und koordinieren
sozial
Tabelleȱ4:
Allgemeine Qualifikationen einer PsychodramatikerIn
1.7 DasȱPsychodramaȱheuteȱ Wir haben gesehen, dass das Psychodrama wie andere Verfahren vielfältige Wurzeln hat, die heute jedoch nicht immer gleichermaßen zur Wirkung kommen. Über die oben beschriebenen Rollen, Fertigkeiten und Ideale prototypischer PsychodramatikerInnen sind wir in der Gegenwart des Psychodramas angelangt. Im nachstehenden Psychodramabaum sind die Wurzeln und die aktuellen Anwendungsfelder noch einmal in einem Bild zusammengefasst. Dabei kann man sowohl den Bereich der Wurzeln fokussieren als auch den Bereich der Krone. Auch die Zielgruppe des Psychodramas erklärt sich zum Teil aus der Baumgrafik. PsychodramatikerInnen kommen aus unterschiedlichen Grundberufen und finden sich in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern, wie zum Beispiel als PsychologInnen oder BetriebswirtInnen in Personalabteilungen großer Unternehmen, als PsychotherapeutInnen oder SozialarbeiterInnen in psychosomatischen und psychiatrischen Krankenhäusern, in Suchtkliniken, in eigenen Praxen als niedergelassene PsychotherapeutInnen, als BeraterInnen in Familien-, Paar-, Lebens- sowie Suchtberatungsstellen, als PfarrerInnen im Bereich der Seelsorge, als StreetworkerInnen, als freiberufliche OrganisationsberaterInnen, als SupervisorInnen und MediatorInnen, als LehrerInnen oder ErwachsenenbildnerInnen sowie als soziometrische ForscherInnen an Fachhochschulen und Universitäten. Manchmal wird das gesamte Verfahren mit all seinen im Folgenden näher beschriebenen Arrangements und Techniken angewandt, manchmal sind es nur Bausteine, die Verwendung finden. Ein besonders prominentes Beispiel für eine
32
1 Was ist Psychodrama?
Bausteinverwendung ist das Familienstellen, das in den letzten zehn Jahren bedauerlicherweise besonders mit Hellinger und seinen Schülern in Verbindung gebracht wird (vgl. Buer 2005). Bedauerlicherweise, da die Tiefe und Hilfe, die den Betroffenen zuteil werden könnte, durch zum Teil unsachgemäße Anwendung des Arrangements und durch eine Einbettung in eine rigide, konservativ geprägte Philosophie bei den PatientInnen oft mehr Schaden als Nutzen angerichtet hat. Das Familienstellen ist ein genuin psychodramatisches Arrangement, das, gezielt und mit fundiertem Wissen und Können eingesetzt, äußerst effektiv für die Betroffenen ist. Weitere Arrangements, Methoden und Techniken finden sich in den folgenden Kapiteln ausführlich beschrieben.
Bildung Seelsorge Supervision
Psychotherapie Beratung
Personal- und Organisationsentwicklung
Soziale Arbeit
Mediation
Psychodrama
Theater Psychologie / Medizin
Abbildungȱ6:
Theologie Soziologie
Wurzeln und Anwendungen des Psychodramas
1.7 Das Psychodrama heute
33
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1 Was ist Psychodrama?
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2.1 Die Bühne
2 2
35
DieȱInstrumenteȱdesȱPsychodramasȱ
PsychodramatikerInnen stehen fünf Instrumente für ihre Arbeit an der Entfaltung der Spontaneität und Kreativität ihrer KlientInnen zur Verfügung. Die Instrumente des Psychodramas Die Bühne Die Psychodrama-LeiterIn Die ProtagonistIn Die Hilfs-Iche Die Gruppe
Tabelleȱ5:
Instrumente des Psychodramas
2.1 DieȱBühneȱ „Die Bühne repräsentiert einen psychischen Raum, einen Ausschnitt aus der Innenwelt des Protagonisten.“ Schönke (1991)8
Die Bühne ist das zentrale Instrument des Psychodramas. Für Moreno, der die Psychodramatherapie aus seinen im Stegreifspiel mit Kindern und sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen gesammelten Erfahrungen entwickelt hat, war es selbstverständlich, dass das, was im psychodramatischen Spiel dargestellt wird, eine Bühne benötigt. Er wollte damit der Szene mehr Wert verschaffen und sie für ein Publikum gut sichtbar machen, da manche Ereignisse die wohlwollende Zeugenschaft anderer benötigen, damit sie gut verarbeitet werden können. In seinem Institut in BeaconȱHill,ȱNewȱYork, ließ Morenoȱhierfürȱeine imposante Bühnenkonstrukti-
8
Schönke (1991, zitiert nach Haselbacher 2004)
36
2 Die Instrumente des Psychodramas
on errichten, die aus drei Ebenen und einem halbrunden Balkon besteht (Leutz 1986; VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramerȱ2005) und die auch heute noch, wenngleich an einem anderen Standort, für psychodramatische Inszenierungen genutzt wird.
Abbildungȱ7:
Beacon Bühne9
Der spezielle Aufbau dieser Bühne spiegelt die verschiedenen Phasen und die Symbolik eines psychodramatischen Spiels wider: So bietet die erste Ebene des stufenförmigen Aufgangs Sitzgelegenheit für das Publikum, die zweite wird während der Phase der Exploration benutzt und die dritte dient dem eigentlichen Spiel. Der Balkon kommt dann zum Einsatz, wenn Transzendentes oder Göttliches zum Ausdruck gebracht werden soll, aber auch, wenn strafende Instanzen ihren Auftritt haben (Schacht 2005). Aus heutiger Sicht bedarf es für ein psychodramatisches Spiel keiner eigens dafür gebauten Bühne. Es ist ausreichend, wenn diese ein für alle Beteiligten erkennbarer, klar abgegrenzter Bereich des Gruppenraumes ist, dessen Standort von der Leitung bzw. von der HauptdarstellerIn eines psychodramatischen Spiels, der sogenannten ProtagonistIn, als Bühne definiert wird. Damit kann die Bühne von Spiel zu Spiel variieren. Die Anforderungen, die an eine psychodramatische Bühne gestellt werden, sind minimal: Der Umfang der Bühne muss ausreichende Bewegungsfreiheit gewährleisten, um die psychodramatische Akti-
9
Gezeichnet von Schönberger (2010)
2.1 Die Bühne
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on nicht zu behindern. Hilfreich sind einige wenige Requisiten wie ein Tisch und Stühle und ein Fundus an Kleidungsstücken sowie Tücher, Kissen oder Seile. Diese Utensilien können als Platzhalter für verschiedene Einrichtungsgegenstände, als Abgrenzungen und vieles mehr dienen. In den Anfängen des Psychodramas wurden veränderbare Lichtverhältnisse zur Verdichtung der in den Szenen vorherrschenden Stimmungen als nützlich empfunden, heute ist dies in den Hintergrund gerückt (vgl. Leutzȱ 1986; ZeintlingerȬHochreiter 1996; Schacht 2005). Die Verwandlung der Bühne in den Raum oder die Umgebung, in der sich die Szene abspielen soll, erfolgt durch die jeweilige ProtagonistIn selbst. Durch deren genaue Schilderungen, zum Beispiel, wo sich in diesem Raum die Türen, die Fenster und die Einrichtungsgegenstände befinden, entstehen in den Anwesenden Bilder der äußeren Gegebenheiten, aber auch Eindrücke von der vorherrschenden Atmosphäre (Leutz 1986). Psychodrama-Leiterin: „Wo auf der Bühne könnte sich Ihr Arbeitszimmer befinden? Sollen wir dieses mit Seilen von den angrenzenden Räumen abtrennen? … Wo ist der Eingang und wo die Fenster? … An dieser Wand steht also Ihr Schreibtisch, was könnten wir als Platzhalter für ihn verwenden? …“
Ein sorgfältiges Einrichten der Bühne bewirkt bei der ProtagonistIn, aber auch bei den MitspielerInnen, dass ihr Erwärmungsgrad steigt und sie sich mehr auf die zu bearbeitende Szene einlassen können: Ziel ist es, dass die ProtagonistIn möglichst im Hier und Jetzt der Szene ankommt. Die psychodramatische Bühne soll für alles offen sein und gleichzeitig einen geschützten Raum bilden, in dem ohne Angst vor Konsequenzen oder Verurteilungen innere und äußere Konflikte, Ängste, Emotionen und Gedanken dargestellt werden können. Unbewältigte Ereignisse aus der Vergangenheit, der Gegenwart, aber auch Zukunftsszenarien können hier in Szene gesetzt werden. Spontan können Handlungsalternativen erprobt und neue Wege eingeschlagen werden. Aber auch Wunschvorstellungen, Fantasien und Träume können in diesem Rahmen belebt werden (ZeintlingerȬ Hochreiter 1996). Für Moreno (1989, 2001: 45) „istȱderȱBühnenraumȱeineȱErweiterungȱ desȱ Lebensȱ überȱ denȱ Realitätstestȱ desȱ Lebensȱ hinaus.ȱ Realitätȱ undȱ Phantasieȱ bekämpfenȱ einanderȱnicht,ȱsondernȱsindȱbeideȱFunktionenȱinnerhalbȱeinerȱerweitertenȱSphäreȱ[…]“.ȱ In diesem Fall wird von SurplusȬrealityȱgesprochen, da auf der Psychodramabühne mehr als nur das reale Leben Platz findet. Auch im psychodramatischen Einzelsetting kommt die psychodramatische Bühne zum Einsatz. In vielen psychodramatischen Praxen gibt es dafür einen abgegrenzten Bereich, wie zum Beispiel einen Teppich. Häufig wird ein Tisch zur Bühne umfunktioniert, er wird zur Tischbühneȱ(Krüger 2005: 250).
38
Abbildungȱ8:
2 Die Instrumente des Psychodramas
Tischbühne
Mit Figuren oder Gegenständen aus dem Fundus der LeiterIn, die Personen, Gefühlslagen oder innere Anteile symbolisieren, werden Szenen aus der Erlebniswelt der ProtagonistIn auf dem Tisch nachgestellt. Nicht nur die „reale Bühne“, sondern auch „Bühne“ als Konstrukt stellt für einige spezifische psychodramatische Anwendungsfelder einen bedeutenden Eckpfeiler dar. So wird im Monodrama, und hier speziell in der psychodramatischen Therapie mit Kindern und Jugendlichen, häufig nach dem „DreiȬBühnenȬ Modell“ (Pruckner 2001) gearbeitet. Dabei wird zwischen der Sozialenȱ Bühne, der Begegnungsbühne und der Spielbühne unterschieden. Auf der Sozialen Bühne finden Begegnungen mit den Angehörigen oder den Betreuungspersonen, dem sogenannten sozialenȱ Atom des Kindes oder der Jugendlichen statt: dies wären etwa Begrüßungsszenen beim Hinbringen, beim Abholen oder bei Elterngesprächen. Auf der Begegnungsbühne steht die Interaktion zwischen der TherapeutIn und der jungen KlientIn im Mittelpunkt des Geschehens. Hier werden Regeln besprochen, Rahmen abgesteckt, Spielideen entwickelt, Rituale abgehalten und die Qualität der Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn besprochen. Auf der Spielbühne findet das Symbolspiel statt, das je nach Thematik der KlientIn unterschiedlich geartet sein kann und von Regelspielen bis zum freien Spiel, zum Beispiel mit Handpuppen, gestaltet sein kann (BieglerȬVitek,ȱRiepl,ȱSageder 2004).
2.2 Die Psychodrama-LeiterIn
Abbildungȱ9:
39
Beispiel für die Verwendung des Drei-Bühnen-Modells
2.2 DieȱPsychodramaȬLeiterInȱ „Be with your protagonist.“ Elefthery10
Methodische Kompetenz, einfache Herzlichkeit, wahrer Mut, Flexibilität, sich auf nicht vorhersehbare schwierige Situation einzulassen, schöpferische Fantasie sowie Offensein für andere – das sind die Eigenschaften, über die eine Psychodrama-LeiterIn nach Ansicht Morenosȱ (zit. nach Leutz 1986: 86) verfügen sollte. Diese Qualitäten können auch der PsychodramatikerIn von heute bei der Bewältigung ihrer Aufgaben als LeiterIn hilfreich sein. Als ExpertIn der Methode Psychodrama besteht ihre Hauptaufgabe darin, mit dem von ihr erworbenen Wissen um psychodramatische Techniken und Arrangements sowie ihrem Erfahrungsschatz die KlientInnen bei ihren Veränderungsprozessen zu unterstützen. Allgemein wird zwischen der direktiven und den perzeptiven, den aus den Wahrnehmungen der LeiterIn herzuleitenden, Aufgaben unterschieden. Bei Ersteren tritt die Psychodrama-LeiterIn sehr aktiv und bestimmend in Erscheinung, bei Zweiteren nimmt sie sich als Personen zurück und stimmt sich auf die jeweilige ProtagonistIn ein, begleitet diese und beobachtet und diagnostiziert das Geschehen. 10
Mündliche Mitteilung zitiert nach Leutz (1986)
40
2 Die Instrumente des Psychodramas
In ihrer direktiven Rolle als LeiterIn ist sie aktiv am Aufbau einer Gruppenkultur beteiligt, indem sie die Rahmenbedingungen und Gruppennormen festlegt. In der Einstiegs- oder Erwärmungsphase ist es ihre Aufgabe, die GruppenteilnehmerInnen dazu zu aktivieren, ihre derzeitigen Befindlichkeiten und Problemstellungen zu offenbaren, daraus die Gruppenthematik herauszufiltern und die Form der folgenden Inszenierung zu bestimmen. Dazu gehört die Klärung, ob die Gruppe zu einem Gruppenspiel eingeladen werden soll oder ob ein protagonistInnenzentriertes Spiel angesagt ist. Ausgehend von der Fragestellung der Gruppe oder der ProtagonistIn entwickelt sie eine diagnostische Hypothese, Prozessziele und eine Idee über den Ablauf des Spiels. Dieses Spiel leitet sie danach unter Zuhilfenahme psychodramatischer Techniken. Dabei muss sie auf die Zeiteinteilung und auf die Einhaltung von Regeln achten. Im Anschluss daran stellt sie den Raum für das Feedback, das Sharingȱund die Prozessanalyse zur Verfügung (zu diesen Begriffen später mehr). Die perzeptive Funktion der Psychodrama-LeiterIn ist von ebenso großer Bedeutung wie die direktive. Dazu zählt das Beobachten von bestimmten Abläufen: etwa, die Abwicklung einer Szene oder die Reaktion der ProtagonistIn zu erfassen und zu erkennen, was diese Szene bei den MitspielerInnen oder beim Publikum auslöst, welche Gruppendynamik vorherrschend ist und welche Positionen die verschiedenen GruppenteilnehmerInnen einnehmen. Während des Spieles ist es wichtig, dass sich die Psychodrama-LeiterIn in die Problematik der ProtagonistIn einfühlt und mit ihr mitschwingt. Sie sollte, die wie auch immer gearteten Äußerungen der ProtagonistIn, der MitspielerInnen und der ZuschauerInnen wahrnehmen und im passenden Moment darauf reagieren. Zu guter Letzt hat die Psychodrama-LeiterIn auch die Funktion einer „teilnehmenden ProtagonistIn“. Sie kann sich zum Beispiel durch Mitlachen oder Mittrauern persönlich einbringen. Auch steht ihr das Äußern eines persönlichen Sharings, das Mitteilen eigener Erfahrungen rund um das bearbeitete Thema, offen, soweit dieses für den therapeutischen Fortschritt zweckdienlich ist und soweit es die Gruppenmitglieder nicht belastet (ZeintlingerȬHochreiter 1996: 19). Im Einzelsetting ist der Aufgabenbereich der Psychodrama-LeiterIn ein ähnlicher. Hier ist naturgemäß der Fokus auf die Einzelperson gerichtet. Eine warme und einladende Atmosphäre soll der KlientIn ermöglichen, sich in diesem Setting wohlzufühlen, und klar strukturierte Rahmenbedingungen sollen für die nötige Sicherheit und Vertrauensbasis sorgen (Fürst 2004). In der sogenannten Warming-up-Phase gilt es, das Thema der KlientIn zu identifizieren und sie zur Bearbeitung dieser Problematik zu erwärmen. Die LeiterIn hat darauf aufbauend zu entscheiden, welche monodramatischen Techniken zur Inszenierung dieser Thematik am besten geeignet wären, und begleitet die KlientIn bei der Suche
2.2 Die Psychodrama-LeiterIn
Abbildungȱ10:
41
Die direktive und perzeptive Funktion der LeiterIn11
nach Lösungsansätzen. In der Integrationsphase unterstützt die LeiterIn die KlientIn beim Entdecken von Strategien, wie der soeben erfahrene Veränderungsprozess in ihr reales Leben transferiert werden kann. Mehr als in der Gruppentherapie kommt es in der Einzeltherapie zur Begegnung zwischen KlientIn und TherapeutIn. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Qualität der Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn einen bedeutenden Einfluss auf den Thera11
Gezeichnet Schönberger (2010)
42
2 Die Instrumente des Psychodramas
pieerfolg hat, denn ohne positive therapeutische Beziehung sind keine erfolgreichen Therapieresultate zu erwarten (Yalom 2005).
2.3 DieȱProtagonistInȱ „Er ist Dichter, Regisseur und Schauspieler in einer Person.“ Moreno (1914)12
Die ProtagonistIn ist die Person, deren Lebensgeschichte, Problematik oder Wünsche auf der Psychodramabühne dargestellt werden, sie steht für einen begrenzten Zeitraum im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das Hervorheben persönlicher Themen einzelner Gruppenmitglieder charakterisiert das protagonistInnenȬ zentrierteȱ Psychodrama. Es unterscheidet sich dadurch vom gruppenzentriertenȱ Psychodrama und vom Soziodrama, bei denen der Fokus der Aufmerksamkeit während des gesamten Geschehens auf die Gruppe gerichtet ist. Die ProtagonistIn entscheidet, welches ihrer Anliegen inszeniert werden soll, nach ihren Vorstellungen wird die Bühne eingerichtet, sie wählt die MitspielerInnen aus und bestimmt, welche Rolle diese in ihrem psychodramatischen Spiel übernehmen. In diesem Moment ist sie HauptempfängerIn der therapeutisch-pädagogischen Effekte des Psychodramas. Wann und wer ProtagonistIn wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einerseits sollte die Person eine Fragestellung oder einen Wunsch haben, wie zum Beispiel einmal die Rolle einer durchsetzungskräftigen Person einzunehmen oder eine Szene aus der Vergangenheit nachzuspielen, um sie besser zu verstehen. Dann muss die potentielle ProtagonistIn auch bereit sein, ihr Anliegen auf die Bühne zu bringen. Sie sollte so offen sein, dass es ihr möglich ist, anderen einen Einblick in ihre Innenwelt zu gewähren, so mutig sein, dass sie sich auch auf Unvorhergesehenes einlassen kann, und Interesse an neuen Erfahrungen haben. In der Sprache des Psychodramas: Die jeweilige Person muss den nötigen Grad an Erwärmung für ein Thema haben, um sich als ProtagonistIn zur Verfügung stellen zu können. Frau Riemer hat seit längerer Zeit Probleme mit ihrem pubertierenden Sohn, dessen schulische Leistungen im letzten Jahr stark nachgelassen haben und der sich kaum mehr an Vereinbarungen hält. Vor einer Woche wurde er mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert. Frau Riemer belastet diese Situation schon seit Wochen,
12
Zitiert nach Leutz (1986)
2.3 Die ProtagonistIn
43
sie hatte aber bisher den Anspruch, mit dieser Problematik alleine fertig zu werden. Beim Erzählen der derzeitigen familiären Situation fällt ihr auf, dass sich ihr ganzes Leben derzeit nur um ihren ältesten Sohn dreht und sie keine Zeit zum Entspannen hat, dass sie kaum Ruhe findet, um ein Buch zu lesen, und die Gespräche mit ihrem Mann nur das eine Thema beinhalten. Obwohl Frau Riemer spürt, wie ihr beim Gedanken daran, dass ihre Problematik im Mittelpunkt dieser Gruppensitzung stehen könnte, etwas mulmig wird, kündigt sie an, dass sie mit Hilfe eines ProtagonistInnenspiels erfahren möchte, wie sie trotz der Wirren, die die Pubertät ihres Sohnes in ihr Familienleben bringt, auf sich und ihre Bedürfnisse achten kann.
Neben der ProtagonistIn müssen auch die übrigen TeilnehmerInnen für das Thema erwärmt sein. Deshalb sollte die Gruppe bei der Auswahl der ProtagonistIn mitbestimmen können. Häufig wird dazu die Methode der soziometrischenȱ Wahl (vgl. Kapitel 6 Soziometrie) herangezogen. Durch dieses Verfahren wird sichtbar, wie viele Gruppenmitglieder mit welchen Anliegen der möglichen ProtagonistIn am besten partizipieren können. Da die ProtagonistIn im Sinne MoreȬ nos auch als RepräsentantIn der Gruppenthematik gesehen werden kann, bearbeitet sie mit ihrer Inszenierung nicht nur ihre eigene Fragestellung, sondern in gewissem Ausmaß auch die Probleme der anderen. Somit können auch die restlichen Gruppenmitglieder von der Essenz der auf der Bühne sich abspielenden Veränderungsprozesse profitieren. Das bestätigt sich auch im Sharing, dasȱan die Spielphase anschließt. Dort kommenȱ die übrigen TeilnehmerInnen zu Wort, wenn sie diese oder eine ähnliche Thematik aus ihrer eigenen Lebenserfahrung kennen. Zwei Gruppenteilnehmerinnen können sich vorstellen, mittels eines ProtagonistInnenspiels ihren Problematiken auf den Grund zu gehen. Frau Reithmayer beschäftigt ein Konflikt mit ihrer Schwiegermutter, Frau Riemer, wie sie trotz der Schwierigkeiten mit ihrem Sohn auf die eigenen Bedürfnisse achten kann. Indem sich die TeilnehmerInnen hinter die jeweiligen Personen stellen (eine Form der soziometrischen Wahl), teilen die Gruppenmitglieder mit, welche Problematik mehr der ihren entspricht. Da Frau Riemers Schwierigkeiten das Gruppenthema „wie kann ich meine Stresswaage im Gleichgewicht halten“ besser trifft, wird Frau Riemer von der Gruppe mehrheitlich zur nächsten Protagonistin gewählt.
Auch wenn mehrere Gruppenmitglieder von derselben Problematik betroffen sind, ist es wichtig, dass nur eine Person die Rolle der ProtagonistIn innehat.
44
2.4
2 Die Instrumente des Psychodramas
DieȱMitspielerInnen,ȱHilfsȬIcheȱȱ „Sie sind Extensionen des Leiters, indem sie wie er erforschen und führen, aber sie sind auch Extensionen des Spielers, indem sie tatsächliche oder phantasierte Personen aus dessen Leben darstellen.“ Moreno (2001: 47)
Die MitspielerInnen einer psychodramatischen Szene sind mit wenigen Ausnahmen die Gruppenmitglieder selbst, die zur Darstellung einer bestimmten Rolle von der ProtagonistIn gewählt werden. Sie werden auch als Hilfs-Iche bezeichnet, weil sie durch ihre Rollenübernahmen zum Beispiel Teile des Umfeldes oder Persönlichkeitsanteile der ProtagonistIn verkörpern. Sie haben mehrere wichtige Funktionen zu erfüllen: Sie unterstützen die ProtagonistIn bei der Bearbeitung ihrer Problematiken, helfen der LeiterIn bei ihrer diagnostischen und therapeutischen Tätigkeit und ermöglichen den anderen Gruppenmitgliedern, einen Einblick in die Welt und die Dynamik der ProtagonistIn zu bekommen, indem sie ihr helfen, ihre ganz persönliche Szene auf die Bühne zu bringen. Hilfs-Iche übernehmen die Rollen von Personen, die in der von der ProtagonistIn dargestellten Szene von Bedeutung sind, wie zum Beispiel, die Mutter, der Ehemann, die Chefin. Aber auch Persönlichkeitsanteile, Gefühle oder Wünsche der ProtagonistIn, Tiere, Gegenstände oder für die Atmosphäre einer Begebenheit relevante Faktoren können im Psychodrama von Hilfs-Ichen verkörpert werden. Nicht zuletzt kann ein Hilfs-Ich die Rolle der ProtagonistIn als StellvertreterIn übernehmen. Dann ist es ihre Aufgabe, der ProtagonistIn zu helfen, die Szene aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Herr Kramer, ein junger, aufstrebender Mitarbeiter eines mittelgroßen Betriebes, bekommt eine Position angeboten, in der er zum ersten Mal eine leitende Funktion innehat. Herr Kramer möchte wissen, welche Auswirkungen dieser Wechsel auf das Beziehungsgeflecht innerhalb der Abteilung hat. Die psychodramatische Organisationsberaterin Frau Raab bietet ihm an, sich dies in Form einer psychodramatischen Skulpturarbeit vor Augen zu führen. Aus dem Kreis der Gruppenmitglieder wählt Herr Kramer eine Person, die seinen Chef darstellt, andere, die seine bisher gleichrangigen KollegInnen mimen sollen, und auch ein Gruppenmitglied, das seine Rolle stellvertretend für ihn in dieser Aufstellung übernehmen soll.
Eine ganz spezielle Funktion kommt der Darstellung der AntagonistIn zu. Die AntagonistIn ist eine MitspielerIn, die als GegenspielerIn der ProtagonistIn in
2.4 Die MitspielerInnen, Hilfs-Iche
45
Erscheinung tritt. An ihr entfacht sich meist der Konflikt, sie ist aber auch die Person, bei der durch eine Beziehungsveränderung ein Ausweg aus einer schwierigen Lage gefunden werden kann.
Abbildungȱ11:
Rollen, die durch Hilfs-Iche eingenommen werden können
Die Hilfs-Iche haben sich an das von der ProtagonistIn vorgegebene Skript sowie an die Anweisungen der ProtagonistIn und der LeiterIn zu halten, dürfen aber entsprechend ihrer Rollenvorgabe improvisieren, solange die ProtagonistIn nichts Gegenteiliges äußert oder die LeiterIn nicht interveniert. Durch die Rückmeldungen der Hilfs-Iche an die ProtagonistIn, welche Gefühle während der Rollenübernahme bei ihnen aufgetreten sind, erfüllen sie weitere wichtige Funktionen. Diese Rückmeldungen werden Rollenfeedbacks genannt und werden von den Hilfs-Ichen manchmal während des Spiels in Form eines Interviews durch die LeiterIn, aber meist in einem dafür vorgesehenen Abschnitt einer Psychodramasitzung, der sogenannten Integrationsphase, geäußert. Sie helfen der ProtagonistIn, die Gefühlswelt ihres Gegenübers zu erfassen, und erweitern damit den Blick auf die Szene. Durch das Betrachten einer Situati-
46
2 Die Instrumente des Psychodramas
on aus verschiedensten Perspektiven kann das Eingefahrensein auf bestimmte Strategien aufgelöst und neue Wege zur Lösung eines Problems entdeckt und eingeschlagen werden. Moreno verwendete für seine Inszenierungen professionelle Hilfs-Iche, psychodramatisch geschultes Personal, welches für die ProtagonistIn die verschiedenen Rollen ihrer Szene übernahmen. In manchen Situationen wird auch heute noch zu professionellen Hilfs-Ichen gegriffen oder bestimmte Rollen werden von der Co-LeiterIn übernommen. Dies kann der Fall sein, wenn die Rolle für die Gruppenmitglieder zu belastend wäre, wie etwa die Rolle eines Gewalttäters, oder wenn die Gruppe aus Personen besteht, die aufgrund ihrer Krankheitsgeschichte Probleme haben, sich in unterschiedliche Rollen einzuleben und diese auch für längere Zeit einhalten zu können. In psychodramatischen Einzelsitzungen wird das Problem, dass in diesem Setting naturgemäß keine MitspielerInnen vorhanden sind, die als Hilfs-Iche eingesetzt werden können, auf unterschiedliche Weise gelöst: Am „Psychodramaȱ zuȱ dritt“, einer seltenen Form der psychodramatischen Einzeltherapie, nimmt neben der TherapeutIn und der KlientIn ein professionelles Hilfs-Ich teil, das die Rollen der MitspielerInnen übernimmt. Eine Einzeltherapievariante, in der die TherapeutIn in die Rolle der AntagonistInnen schlüpft, wird als „Psychodramaȱ àȱ deux“ bezeichnet. Im Monodrama, dem Psychodrama ohne Gruppe, werden alle für eine Darstellung nötigen Rollen zeitlich versetzt von der KlientIn selbst übernommen (Fürst 2004: 283).
2.5 Die Gruppe
47
Therapeutin
Psychodrama zu dritt: Therapeutin beobachtet Klientin: Ich möchte eine Gehaltserhöhung! Hilfs-Ich als Chefin: Wie soll sich die Firma das
Hilfs-Ich als Chefin
Klientin
leisten können?
Therapeutin
Psychodrama à deux: Klientin: Ich möchte eine Gehaltserhöhung! Therapeutin in der Rolle als Chefin: Wie soll sich die Firma das leisten können?
Therapeutin als Chefin
Klientin
Therapeutin
Monodrama: Klientin: Ich möchte eine Gehaltserhöhung! Klientin in der Position als Chefin: Wie soll sich die Firma das leisten können? Klientin
Abbildungȱ12:
Klientin als Chefin
Formen psychodramatischer Einzeltherapie
2.5 DieȱGruppeȱ „Psychodrama ist die Therapie in der Gruppe, durch die Gruppe, für die Gruppe und der Gruppe.“ Moreno (1956)13
Morenos Definition sagt aus, dass eine psychodramatische Gruppentherapie nicht nur als Einzeltherapie im Rahmen einer Gruppe gesehen werden darf, sondern 13
Zitiert nach Leutz (1986)
48
2 Die Instrumente des Psychodramas
dass der Gruppe selbst eine heilende Funktion zukommt und, dass die Gruppe selbst Heilung erfährt. Der Faktor, der in einer Gruppe als Basis für die optimale Entfaltung psychodramatischer Techniken dient und damit zum Erfolg einer psychodramatischen Gruppe grundlegend beiträgt, ist die Kohäsion oder der GruppenȬ zusammenhalt. Dieser entwickelt sich aus tragfähigen Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern untereinander und zur Leitung, wird aber auch aus der Beziehung zwischen den einzelnen TeilnehmerInnen und der Gruppe als Gesamtheit genährt. Die Kohäsion bewirkt, dass sich die Angehörigen dieser Gruppe wertgeschätzt, akzeptiert und angenommen fühlen, was zur Steigerung ihres Selbstwertgefühls beiträgt (Yalom 2005). Durch die Gruppenzugehörigkeit wird das Verantwortungsgefühl für andere gestärkt und durch die Erfahrung, dass das eigene Handeln in der Gruppe auf andere eine positive Wirkung hat, kann das Gefühl der Selbsteffektivität gehoben werden. Die Kohäsion ist es, die es den GruppenteilnehmerInnen erleichtert, sich zu öffnen, authentisch über ihre Probleme und Konflikte zu sprechen, sie erhöht die Selbstreflexion und unterstützt die Gruppe dabei, spontan und kreativ zu handeln. Durch die verschiedenen Lebenswelten der TeilnehmerInnen werden unterschiedliche Aspekte, Sichtweisen und Weltanschauungen in eine Gruppe eingebracht. Die Gruppe stellt somit im Kleinen einen größeren Kosmos dar, wodurch sich ähnliche Gruppendynamiken wie im realen Leben widerspiegeln können. Das bedeutet, dass sich nach einem gewissen Zeitabschnitt auch in der Gruppe Problematiken und Verhaltensmuster zeigen, die die TeilnehmerInnen aus anderen Lebensbereichen kennen. Durch die Kohäsion bildet die Gruppe einen geschützten Rahmen, in dem sich deren Mitglieder weniger angstbesetzt als in Alltagssituationen mit diesen Prozessen auseinandersetzen können. Dadurch kann es den TeilnehmerInnen zum Beispiel leichter fallen, negative Gefühle gegenüber anderen Gruppenmitgliedern, aber auch gegenüber der LeiterIn auszudrücken. Im Übungsfeld der Gruppe können diese Konflikte erforscht und gegebenenfalls Lösungsansätze erprobt werden. Eine solche Atmosphäre, in der Vieles erlaubt und ausprobiert werden darf, ermöglicht es den TeilnehmerInnen, sich mit all ihren positiven und negativen Wesenzügen zu zeigen und sich selbst als Personen mit vielfältigen Ausprägungen zu akzeptieren. Dass die Gruppe einen Mikrokosmos darstellt, hat den Vorteil, dass die in ihr gemachten Erfahrungen auch in die Welt außerhalb der Gruppe transferiert werden können. Natürlich trägt nicht nur die Gruppe an sich, sondern auch jedes einzelne Mitglied zum Erfolg der Gruppe bei. Durch authentische Begegnungen, die innerhalb einer Gruppe zum Beispiel in Form von echter Anteilnahme, Rührung oder Trost zustande kommen, kann Kraft geschöpft und die Gewissheit gestärkt werden, dass man mit der Problematik nicht allein zu kämpfen hat.
2.5 Die Gruppe
49
Eine Gruppe hat noch weitere mannigfaltige Vorteile zu bieten, die oft unterschätzt werden. Durch die vielfältigen Themen, die verschiedenen Herangehensweisen oder die unterschiedlichen Temperamente der einzelnen Gruppenmitglieder können die TeilnehmerInnen Zusammenhänge erkennen, die sie, unter Umständen, ohne den Input der anderen Gruppenmitglieder nicht erkannt hätten, oder beobachten, wie andere mit ähnlichen Situationen auf eine ganz andere Weise umgehen. Wie bereits erwähnt, können alle Gruppenmitglieder aus der Inszenierung der Problematik Einzelner Nutzen ziehen, unabhängig davon, ob sie selbst aktiv auf der Bühne beteiligt gewesen sind oder ob sie, als BeobachterInnen im Publikum sitzend, dem Szenenablauf gefolgt sind. Dabei kommen die Spiegelneuronen zum Einsatz, die bewirken, dass beim Beobachten von Verhaltensabläufen ähnliche kortikale Prozesse wie bei den direkt Betroffenen ablaufen und so durch das Mitschwingen mit einer anderen Person eigene Lernprozesse vonstatten gehen (Hütherȱ2006). In Wechselwirkung sind es aber hier nicht nur die TeilnehmerInnen, die Veränderungsprozesse durchwandern, sondern auch die Gruppe selbst, die durch die geteilten Emotionen eine Weiterentwicklung erfährt. Diese positiven Gruppeneffekte lassen sich natürlich nicht nur in psychotherapeutischen Psychodramagruppen beobachten, aus ihnen wird auch in psychodramatischen Supervisionen, Coachings und Organisationsentwicklungen Nutzen gezogen. Psychodramatische Gruppen können unterschiedlich groß sein, die Bandbreite geht von Kleingruppen mit fünf Personen bis zu Großgruppen, die über 100 TeilnehmerInnen umfassen können. Sind so viele Personen beteiligt, wird meist ein Soziodrama inszeniert, bei dem je nach Thema soziale und kulturelle Interaktionen eines Systems, einer Organisation oder einer Gesellschaft und deren Auswirkungen auf das Erleben und Handeln eines Individuums erkundet werden. Die TeilnehmerInnen von psychodramatischen Gruppen können miteinander bekannt sein, wie das in einem Team der Fall ist. Die Gruppe kann sehr homogen zusammengesetzt sein, wie zum Beispiel eine Supervisionsgruppe von WeiterbildungskandidatInnen zum Thema „Psychodrama mit Kindern und Jugendlichen“, oder auch heterogen wie bei einer psychodramatischen Jahresgruppe für PatientInnen mit unterschiedlichen Störungsbildern. Auch bei den Formen von Gruppen gibt es unterschiedliche Varianten. Eine sehr häufige Gruppenform ist die Jahresgruppe. Dabei treffen sich die GruppenteilnehmerInnen wöchentlich oder vierzehntägig über einen gewissen Zeitraum – z.B. ein Jahr in einer gleichbleibenden Gruppenzusammensetzung, was als geȬ schlosseneȱGruppe bezeichnet wird. Eine Gruppensitzung dauert in diesem Setting üblicherweise zwischen 90 und 180 Minuten. In Institutionen wie Krankenhäu-
50
2 Die Instrumente des Psychodramas
sern, Rehabilitationszentren oder Beratungsstellen sind häufigȱ halboffeneȱ oderȱ offeneȱGruppenȱanzutreffen. Diese Gruppen finden regelmäßig zu einem bestimmten Zeitpunkt statt. Der daran teilnehmende Personenkreis kann von Sitzung zu Sitzung variieren. Mehrtägige psychodramatische Seminare werden vor allem von Personen bevorzugt, die eine Psychodramagruppe aus Selbsterfahrungsgründen, zur Supervision, zur Organisationsentwicklung bzw. zur Fort- und Weiterbildung besuchen. Diese Gruppen sind häufig themenspezifisch, das bedeutet, dass die Gruppe unter ein bestimmtes Motto gestellt wird, das den inhaltlichen Rahmen bildet.
Literaturȱ Biegler-Vitek, G.; Riepl, R.; Sageder, T. (2004): Psychodrama mit Kindern und Jugendlichen. In: Fürst, J., Ottomeyer, K.; Pruckner, H. (Hrsg.): PsychodramaȬTherapie.ȱEinȱHandbuch. Wien. Facultas S. 306-325 Fürst,ȱJ. (2004): Psychodrama in der Einzeltherapie. In: Fürst, J., Ottomeyer, K.; Pruckner, H. (Hrsg.): Psychodrama-Therapie. Ein Handbuch. Wien: Facultas S. 281-298 Haselbacher, H. (2004): Die Instrumente des Psychodramas. In: Fürst, J., Ottomeyer, K.; Pruckner, H. (Hrsg): PsychodramaȬTherapie.ȱEinȱHandbuch. Wien: Facultas S. 208-221 Hüther, G. (2006): Wie Embodiment neurologisch erklärt werden kann. In: Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher, W.: Embodiment.ȱ Dieȱ Wechselwirkungȱ vonȱ Körperȱ undȱPsycheȱverstehenȱundȱnutzen. Bern: Huber S. 73-98 Krüger,ȱR. T.ȱ(2005): Szenenaufbau und Aufstellungsarbeit, Praxis und Theorie, Variationen und Indikationen im Gruppensetting und in der Einzelarbeit. In: ZeitschriftȱfürȱPsychoȬ dramaȱundȱSoziometrieȱ4 (2) S. 249-274 Leutz, G. (1986): Psychodrama.ȱTheorieȱundȱPraxis. Heidelberg: Springer (Erstveröffentlichung 1974) Moreno, J. L. (2001): PsychodramaȱundȱSoziometrie. Köln: EHP Pruckner, H. (2001): Dasȱ Spielȱ istȱ derȱ Königswegȱ derȱ Kinderȱ –ȱ Psychodrama,ȱ Soziometrieȱ undȱ RollenspielȱmitȱKindern. München: inScenario. Schacht, M. (2005): Theater und Bühne in Beacon – Erinnerungen. In: ZeitschriftȱfürȱPsychoȬ dramaȱundȱSoziometrie 4 (2) S. 245-248 Von Ameln, F., Gerstmann, R., Kramer, J. (Hrsg). (2005): Psychodrama. Heidelberg: Springer Yalom, I. D. (2005): Theorieȱ undȱ Praxisȱ derȱ Gruppenpsychotherapie.ȱ Einȱ Lehrbuch. Stuttgart: Klett-Cotta Zeintlinger-Hochreiter, K. (1996): KompendiumȱderȱPsychodramaȬTherapie. Köln: inScenario
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
3 3
51
PsychodramatischeȱArrangementsȱ
3.1 DasȱprotagonistInnenzentrierteȱPsychodramaȱ In diesem Abschnitt werden wir uns speziell mit dem protagonistInnenzentriertenȱ Psychodrama auseinandersetzen. Nachdem erörtert wurde, was unter dieser Arbeitsform des Psychodramas verstanden wird, werfen wir einen kurzen Blick auf die Rahmenbedingungen einer protagonistInnenzentrierten Psychodrama-Gruppe. Danach werden wir uns den verschiedenen Abschnitten einer Gruppensitzung wie der Erwärmung, der Aktions- oder Spielphase und der Integrationsphase und deren Funktionen widmen.
WasȱwirdȱunterȱprotagonistInnenzentriertemȱPsychodramaȱverstanden?ȱ Im protagonistInnenzentrierten Psychodrama steht für einen bestimmten Zeitraum innerhalb einer Gruppensitzung eine Person im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, deren Thema in der Gruppe bearbeitet wird. Im Psychodrama wird davon ausgegangen, dass das ProtagonistInnen-Thema gleichzeitig auch – quasi stellvertretend – die aktuelle Fragestellung der Gruppe repräsentiert. Die anderen Gruppenmitglieder unterstützen diese Person, indem sie sich für die Bearbeitung ihrer Fragestellung als Hilfs-Iche zur Verfügung stellen. Das bedeutet, sie übernehmen die Rollen von InteraktionspartnerInnen, Gefühlszuständen oder Gedanken, wenn nötig auch von Gegenständen, die bei der Darstellung und der Beantwortung der Fragestellung der ProtagonistIn von Bedeutung sind. Dabei kommen verschiedene Techniken zum Einsatz, z.B. der Szenenaufbau, das Doppeln und Spiegeln sowie Rollenwechsel, Rollentausch, Szenenwechsel, Rollenfeedback und Sharing (siehe Kapitel 4).
52
3 Psychodramatische Arrangements
Rahmenbedingungenȱ Bei der Planung und Gestaltung einer protagonistInnenzentrierten PsychodramaGruppe müssen die Rahmenbedingungen und das Setting wohldurchdacht werden. Es muss abgeklärt werden, welche Zielsetzung die Gruppe verfolgen soll, für welche Klientel sie ausgerichtet wird, über welchen Zeitraum und mit welcher Frequenz die Gruppensitzungen stattfinden sollen. In Kapitel 2 wurden bereits einige Gruppenformen vorgestellt. Die Gruppengröße hängt von äußeren Bedingungen ab, etwa von der Größe des vorhandenen Gruppenraums oder davon, wie viele Personen Interesse an dieser Gruppe zeigen. Ein weiterer, dabei nicht außer Acht zu lassender Faktor ist die Höhe der emotionalenȱ Kapazitätȱ der LeiterIn (ZeintlingerȬHochreiterȱ 1996), das heißt, zu wie vielen Personen sie, ohne überfordert zu sein, Beziehung aufnehmen kann. Die Leitung muss das Gruppengeschehen zu jeder Zeit gut überblicken können, damit ihr wichtige Informationen, die von den GruppenteilnehmerInnen oft nonverbal oder verdeckt ausgesendet werden, nicht entgehen. Die übliche Gruppengröße einer protagonistInnenzentrierten Psychodrama-Gruppe besteht aus 6-15 TeilnehmerInnen. Wenn es die Gruppengröße oder die Aufgabenstellung erfordert, wird eine Co-LeiterIn hinzugezogen. Bei thematisch ausgerichteten Gruppen, bei denen z.B. der Genderaspekt eine Rolle spielt, empfiehlt es sich, für die Co-Leitung eine gegengeschlechtliche Person einzusetzen.
PhasenȱeinerȱprotagonistInnenzentriertenȱpsychodramatischenȱAktionȱ Unabhängig vom Anwendungsformat,ȱ z.B. Psychotherapie, Selbsterfahrung, Supervision oder Organisationsberatung, setzt sich jede protagonistInnenzentrierte psychodramatische Gruppensitzung aus der Erwärmungs-, der Aktions- oder Spielphase und der Integrationsphase zusammen.
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
Abbildungȱ13:
3.1.1
53
Phasen einer psychodramatischen Aktion
DieȱErwärmungsphaseȱ „Erwärmung ist ein universaler Begriff für die Anfangsphase eines Interaktionsprozesses, eines Handlungsablaufes oder einer Entwicklung.“ Frohn (1994: 74)
Die Erwärmung leitet eine psychodramatische Sitzung ein. Sie wird auch als Initial-, Anwärm- oder Warming-up-Phase bezeichnet. Sie bereitet auf die Aktionsoder Spielphase vor.
DieȱZieleȱderȱErwärmungsphaseȱ Die Aufgabe der Erwärmung besteht auf der individuellenȱEbeneȱdarin, dass möglichst jedes Gruppenmitglied Zugang zu dem Thema findet, das es gerade am meisten bewegt und dessen Bearbeitung seine Entwicklung fördern würde. Die einzelnen TeilnehmerInnen sollten so weit aktiviert werden, dass sich etwaige Spielhemmungen oder Spontaneitätsblockaden lösen, dass die Neugierde geweckt, die Experimentierfreudigkeit angeregt und die Angst verringert werden. Ziel der Erwärmung ist es, einen Zustand oder, wie PsychodramatikerInnen sagen, eine Spontaneitätslage, also jenen Moment eines Aktivierungsprozesses zu
54
3 Psychodramatische Arrangements
erreichen, in dem eine Person bereit ist, neue Lösungsansätze zum ersten Mal zu erproben. Wird diese Lage erreicht, kann es ein Mensch wagen, sich dem Unbekannten und Neuen zu stellen (vgl. Schacht 2003).
Abbildungȱ14:
Ziele der Erwärmungsphase
Auf der Gruppenebene dient die Erwärmungsphase dazu, dass sich durch verschieden geartete Begegnungen – wie ein Gespräch, einen Blickkontakt, ein Mitschwingen mit der Problematik der anderen Person oder eine gemeinsame Aktivität zwischen den TeilnehmerInnen – ein Wir-Gefühl und eine Vertrauensbasis bilden, die der Gruppe Tragkraft verleihen und sie auf die Aktionsphase vorbereiten. Innerhalb der Gruppe fokussiert sich das Thema, welches von den meisten GruppenteilnehmerInnen geteilt und akzeptiert wird. Damit ein gemeinschaftliches Arbeiten an diesem Thema möglichst effektiv wird, sollte der Grad der Erwärmung der einzelnen TeilnehmerInnen in etwa gleich hoch sein. Jede neue Gruppensituation stellt auch für die LeiterInnen eine Herausforderung dar, da sie immer etwas Erstmaliges und Unvorhergesehenes in sich birgt (Schwingerȱ1994). Die Erwärmungsphase dient somit auch der Gruppenleitung als Einstimmung auf ihre Arbeit mit der Gruppe und die folgende Inszenierung. Mit geschultem Blick erkundet die LeiterIn, mit welchen Fragestellungen sich die TeilnehmerInnen derzeit auseinandersetzen, welche Problematiken ihnen eventuell zu schaffen machen, wie das Gruppenthema lautet und welches Gruppenmitglied dieses mit seiner Problematik am besten repräsentieren könnte.
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
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DieȱGestaltungȱderȱErwärmungsphaseȱȱ Damit die in weiterer Folge beschriebenen Methoden zur Gestaltung der Erwärmungsphase Früchte tragen können, gilt es Ausgangsbedingungen zu schaffen, die die Gruppe zu einem sicheren Raum werden lassen, in dem angstfrei Neues erprobt werden kann. Dazu zählt, die Regeln und Rahmenbedingungen von Psychodrama-Sitzungen zu vermitteln, wie etwa die zeitliche Struktur und das Ziel der Gruppe, denn klare Regeln und das Wissen über den Ablauf der Gruppe bieten Struktur und geben den TeilnehmerInnen Sicherheit. Eine kurze Einführung in die Methode Psychodrama erhöht die Transparenz und das Verständnis für bestimmte Handlungen und Abläufe. Die Klärung der Verschwiegenheitspflicht und die Erläuterung der Verantwortlichkeiten der LeiterInnen und der Gruppenmitglieder ermöglichen erst einen offenen und vertrauensvollen Umgang miteinander. Ebenso müssen Interaktionsformen besprochen werden, wie zum Beispiel, ob man sich gegenseitig siezt oder duzt.ȱ Die individuelle Erwärmung beginnt meist schon Stunden, manchmal sogar Tage vor der eigentlichen Gruppensitzung. Viele TeilnehmerInnen machen sich bereits auf dem Weg zum Ort des Zusammentreffens Gedanken darüber, wie die Sitzung verlaufen könnte, was sie sich davon erwarten und erhoffen, aber auch, wovor sie sich unter Umständen fürchten. Ebenso stimmen sich die LeiterInnen auf die Gruppe ein, indem sie z.B. den Gruppenraum gestalten, den Prozess früherer Gruppensitzungen Revue passieren lassen oder sich mögliche Szenarien für die nun folgende Gruppensituation überlegen. Dies sollte aber mehr der Aktivierung dienen als der Planung eines starren, fix vorgegebenen Programms, welches der Spontaneität der LeiterInnen und einem gezielten Anpassen an die Bedürfnisse der Gruppe abträglich wäre. Häufig beginnen protagonistInnenzentrierte Psychodramagruppen mit einer Befindlichkeitsrunde, bei der die TeilnehmerInnen nach ihren derzeitigen Stimmungslagen, zurückliegenden Erlebnissen, ihren aktuellen Bedürfnissen und Wünschen an die Gruppe oder ihren innerpsychischen Konflikten befragt werden. Daraus kann sich oft schon ein Spielwunsch nach einer psychodramatischen Inszenierung entwickeln und es kann sich die nächste ProtagonistIn herauskristallisieren. Da von solchen Automatismen jedoch nicht immer ausgegangen werden kann, bedarf es zudem bestimmter Arrangements oder bestimmter Anwärmtechniken, die den Übergang in die Aktionsphase erleichtern. Gerade in der Anfangsphase eines Gruppenprozesses benötigen die TeilnehmerInnen, um für ein ProtagonistInnenspiel ausreichend erwärmt zu sein, zusätzliche Impulse, damit sich die teilnehmenden Personen besser kennenlernen
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3 Psychodramatische Arrangements
können und ein Vertrauensverhältnis zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern aufgebaut werden kann. Ohne diese Vertrauensbasis ist ein in die Tiefe gehendes Spiel nicht möglich. Aber auch in späteren Phasen eines Gruppenprozesses können Anwärmtechniken hilfreich sein, um das Gruppenthema bzw. individuelle Problematiken besser herausfiltern zu können. Allgemein gilt, dass die eingesetzten Erwärmungen der aktuellen Lage der Gruppe entsprechen sollten und nicht nach einem vorgefertigten Schema oder, wie es Schwinger ausdrückt (1994: 9), „aus der Konserve“ eingesetzt werden, da sonst der Gruppenprozess überlagert bzw. künstlich gelenkt würde. Um hier möglichst situationsadäquat reagieren zu können, ist es günstig, wenn die LeiterInnen eine Vielfalt an Erwärmungstechniken in petto haben und diese angepasst an die Lage der Gruppe einsetzen können.
FormenȱvonȱArrangements,ȱdieȱderȱErwärmungȱdienenȱ Es gibt eine Vielzahl von Arrangements, die der Erwärmung dienen, und eine ebensolche Mannigfaltigkeit in der Form ihrer Kategorisierung. Moreno bezeichnete sie als Starter:
KörperlicheȱStarter: Die Erwärmung erfolgt durch Bewegung oder eine Körperhaltung. Mentaleȱ undȱ psychischeȱ Starter: Die Erwärmung kommt durch Gefühle, innere Bilder oder infolge der Anregung durch andere Personen zustande.
ChemischeȱStarter: Diese Form von Startern wird im Kontext des Psychodramas nicht verwendet; die Erwärmung würde durch chemische Stimulantien wie etwa Medikamente oder Alkohol hervorgerufen.
Tabelleȱ6:
Systematik von Startern
ZeintlingerȬHochreiter (1996) unterteilt die verschiedenen Arrangements anhand der Rollenkategorien. So unterscheidet sie Erwärmungsübungen, die auf die somatische, die psychosomatische, die psychische, die soziale und die transzendente Rollenebene abzielen. Andere PsychodramatikerInnen wie Vonȱ Ameln,ȱ Gerstmann,ȱ Kramer (2005) kategorisieren wiederum die unterschiedlichen Arrangements nach dem Ziel, das mit ihnen verfolgt wird: ob sie dem Kennenlernen dienen oder eine Vorbereitung auf die Aktionsphase darstellen, ob sie sich an Einzelpersonen oder an die Gruppe richten, ob sie offen oder themenspezifisch sind oder welcher Wahrnehmungsbereich damit angesprochen werden soll.
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
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ZumȱKennenlernenȱ Offen Ein Symbol oder Hilfsobjekt „stellt die TeilnehmerIn vor“.
Themenspezifisch „Treffen im Märchenwald“
ZurȱVorbereitungȱaufȱdieȱAktionsphaseȱ Offen Auf Einzelpersonen bezogen Auf die Gruppe bezogen
Tabelleȱ7:
Darstellung der derzeitigen Befindlichkeit mittels eines Symbols „Ein Abend in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett“
Themenspezifisch „Mein Familienalbum“
Darstellung von typischen Strukturen in der Firma mittels einer Vignette
Verschiedene Formen von Arrangements
Bei offenen Arrangements werden die TeilnehmerInnen zu einer Verlagerung ihrer Aufmerksamkeit auf innerpsychische Prozesse angeregt, um einen Zugang zu den Themen zu erhalten, die zu diesem Zeitpunkt ihr Leben beeinflussen. „Was läuft in Ihrem Leben derzeit nach Plan? In welchen Lebensbereichen gibt es Irritationen?“ Da die GruppenleiterIn bei dieser Form der Erwärmung die Aufmerksamkeit der TeilnehmerInnen nicht auf einen bestimmten Brennpunkt richtet, haben die Gruppenmitglieder die Möglichkeit, sehr unterschiedliche Fragestellungen darzulegen. Es ist dann Aufgabe der Leitung, den Prozess der Zusammenführung zu moderieren. Themenspezifische Techniken führen, wie der Name bereits verrät, durch die Art der Vorgabe auf das Thema hin, wodurch die oben beschriebene Problematik umgangen wird. Sie bieten aber weniger Vielfalt. Des Weiteren unterscheidet man, wie in Tabelle 7 zu sehen, zwischen Techniken, die den Schwerpunkt auf die Erwärmung von Einzelpersonen legen und damit individuelle Themen stärker in den Mittelpunkt stellen, und solchen, die die Gruppe als Ganze zu erreichen suchen, die für Begegnungen innerhalb der Gruppe sorgen und damit die Gruppenkohäsion unterstützen. Es wird auch zwischen Arrangements differenziert, die unterschiedliche Wahrnehmungsbereiche ansprechen, wie kognitiveȱ oder emotionale Arrangements (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005). Soll zum Beispiel eine Fortbildungsgruppe auf die Auseinandersetzung mit einer bestimmten Thematik eingestimmt werden, ist es ratsam, eine Erwärmungstechnik zu benutzen, die auf einen kognitiven Wahrnehmungsbereich
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3 Psychodramatische Arrangements
abzielt. Bei Selbsterfahrungsgruppen wird eher ein die Emotionen ansprechendes Arrangement zum Einsatz kommen. Werden dabei gefühlsmäßig tiefliegende Aspekte aktiviert, muss ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, dass diese auch bearbeitet werden können. Im Folgenden wird eine kleine Auswahl unterschiedlicher Arrangements vorgestellt:
ArrangementsȱzumȱKennenlernenȱundȱzurȱStärkungȱderȱGruppenkohäsionȱ SoziometrischeȱExplorationȱ(aufȱGruppeȱbezogen/offenȱoderȱthemenspezifischȱsein/EmotiȬ onenȱansprechend):ȱ Ein Arrangement, das zum Kennenlernen der TeilnehmerInnen in psychodramatischen Gruppen häufig angewendet wird, ist die SoziometrischeȱExploration (Frohn 1994: 83) oder Aktionssoziometrie. Hierfür sollen sich die GruppenteilnehmerInnen zur Beantwortung spezieller Fragen in dem dafür vorgesehenen Bereichen des Gruppenraumes zusammenfinden, z.B. zu folgenden Aspekten:
„Die TeilnehmerInnen, die vorher noch nie eine Psychodrama-Gruppe besucht haben, stellen sich bitte auf die linke Seite des Raumes, jene, die bereits eine solche absolviert haben, auf die rechte.“ „Personen, die in ihrer Freizeit am liebsten Sport treiben, gruppieren sich bitte hier, solche, die gerne ausgehen, da, und jene, die es vorziehen, sich zu Hause zu entspannen, bitte in diesem Bereich des Gruppenraumes aufstellen.“ „Die TeilnehmerInnen, die dieses Seminar aus eigenem Interesse besuchen, finden sich bitte hier ein, jene, denen dieses Seminar von Seiten ihrer ArbeitgeberInnen nahegelegt worden ist, stellen sich bitte auf diese Seite des Gruppenraums.“
Auf diese Weise können Lebensumstände, Hobbies, die Motivation, aber auch Geburts- oder Wohnorte erfragt werden. Damit bietet diese Methode eine rasche und meist auflockernde Orientierungsmöglichkeit, welche Erfahrungshintergründe, Wünsche und Erwartungen die TeilnehmerInnen in die Gruppe mitbringen. Durch das Zusammenfinden in Kleingruppen kann in kurzer Zeit ein Gefühl von Gemeinsamkeit und in Folge auch von Nähe entstehen. Die Gruppenmitglieder können etwas von sich zeigen, ohne dabei bereits einen tiefen Einblick in ihre Persönlichkeit geben zu müssen. Dieses Arrangement bietet sich vor allem für Gruppenstarts und Seminarbeginne an, es wird auch gerne in Organisationsberatungen eingesetzt (vgl. Kapitel 6 Soziometrie).
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VorstellungȱüberȱeinȱSymbolȱoderȱHilfsobjektȱ(aufȱGruppeȱbezogen/offen/Emotionenȱ ansprechend):ȱ Dafür wählen die TeilnehmerInnen einen Gegenstand, den sie mit sich führen und der für sie von Bedeutung ist, wie ein Kalender oder ein Schmuckstück. Es können dafür aber auch Handpuppen aus dem Fundus der Leitung gewählt werden. Dann übernehmen die Gruppenmitglieder die Rollen dieser Symbole und stellen sich selbst aus dieser Rolle heraus vor. „Ich bin der Kugelschreiber von Helga. Sie hat mich als Abschiedsgeschenk von ihren KollegInnen erhalten, als sie in die neue Abteilung gewechselt ist. Helga hält mich sehr in Ehren und hat mich immer mit dabei, deshalb kann ich euch auch viel über sie erzählen. Sie ist …“ Die anderen Gruppenmitglieder werden aufgefordert, mit dem ausgewählten Gegenstand in Kontakt zu treten und Fragen zur Person zu stellen. „Kugelschreiber, du kennst Helga ja sehr gut, du kannst uns sicher berichten, wie Helga so lebt, was sie beruflich macht und ob sie einen Partner und Kinder hat.“
Durch dieses Arrangement kann man ohne allzu große Überwindung in die Welt des Psychodramas eintauchen und sich mit der Methode des Rollenwechsels vertraut machen. Außerdem ist es, etwa für gehemmtere TeilnehmerInnen, leichter, sich aus einer Außenperspektive heraus vorzustellen. Einen Gegenstand in der Hand zu halten, kann im wahrsten Sinne des Wortes Halt bieten. Julian besucht zum ersten Mal eine psychodramatische Jahresgruppe. In der ersten Sitzung stellt er sich anhand seines Terminkalenders vor: „Ich bin der Filofax von Julian. Julian geht selten ohne mich aus dem Haus, er ist nämlich sehr gewissenhaft und verlässlich, er kommt so gut wie nie zu spät, und in all den Jahren, in denen ich ihn begleitet habe, habe ich es noch nie erlebt, dass er einen Termin vergessen hat. Früher hat er in mir auch private Treffen und Ereignisse notiert. Jetzt sind solche fast gar nicht mehr zu finden. Das ist seit einem guten halben Jahr so. Seit dieser Zeit schläft er sehr schlecht, grübelt viel und fühlt sich gar nicht wohl. Die Gruppe besucht Julian, weil er etwas gegen seinen niedergeschlagenen Zustand unternehmen möchte. Außerdem möchte er lernen, sich etwas besser abzugrenzen.“
ErweitertesȱBefindlichkeitsbildȱ(aufȱGruppeȱbezogen/offen/Emotionenȱansprechend):ȱ Für dieses von Hintermeier, einer österreichischen Psychodramatikerin, entwickelte Arrangement haben die TeilnehmerInnen einige Minuten Zeit, ihre aktuelle Befindlichkeit abstrakt oder gegenständlich zeichnerisch darzustellen. Zur Untermalung und Einstimmung kann Musik gespielt werden. Die Leitung sollte den
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3 Psychodramatische Arrangements
TeilnehmerInnen vermitteln, dass es bei dieser Übung nicht wichtig ist, besonders schön zu zeichnen, sondern dass die kreative und emotionale Auseinandersetzung im Mittelpunkt steht. Wenn die vereinbarte Zeit zu Ende ist, wird die Zeichnung an das nächstsitzende Gruppenmitglied weitergereicht. Dieses hat nun zwei Minuten Zeit, das hinzuzufügen, wozu es angesichts des bereits Abgebildeten inspiriert wurde. Dieser Vorgang wird so lange wiederholt, bis alle TeilnehmerInnen auf jedem Werk etwas hinzugefügt haben. Dann erhalten die Personen ihr ursprünglich von ihnen gestaltetes Exemplar zurück. In der Besprechungsphase können die TeilnehmerInnen berichten, was sie beim Betrachten dieses nun neuen und veränderten Bildes empfinden, was ihnen gefällt und welcher Aspekt dieser Zeichnung ihnen weniger behagt. Sie können auch die anderen Anwesenden fragen, was sie bewegt hat, das Bild derart zu verändern oder dieses und jenes hinzuzufügen. „Mir gefällt das Bild in seiner neuen Form im Großen und Ganzen sehr gut, es ist viel farbenfroher und ausdrucksstärker geworden. Für das ursprüngliche Bild habe ich vorwiegend Pastellfarben verwendet, die sollten meine Unsicherheit und meine Angst vor dieser neuen Gruppensituation darstellen. Besonders gut gefällt mir diese Blumengirlande, etwas irritiert mich aber die schwarze Träne, wer hat sie gezeichnet? Was wolltest du damit ausdrücken?“
Mit diesem Arrangement soll den TeilnehmerInnen vermittelt werden, dass Gruppentherapie mehr ist als Einzeltherapie in einem Gruppenkontext. Denn das, was die TeilnehmerInnen durch ihre Ansichten, Wesensarten und Vorgehensweisen in die Gruppe einbringen oder durch die Gruppe an Veränderungen erleben, kann wiederum Einfluss auf jedes einzelne Gruppenmitglied und auf die Gruppe selbst haben. Es ist aber auch wichtig, dass den TeilnehmerInnen vermittelt wird, dass sie nicht alle Anmerkungen oder Feedbacks der anderen annehmen müssen, sondern Inputs auch ablehnen können. Für die Leitung stellt dieses Arrangement ein gutes Diagnosekriterium dar. Die Sensibilität, die die TeilnehmerInnen beim Hinzufügen eigener Aspekte in die fremden Bilder an den Tag legen, spiegelt sich oft im Umgang mit den anderen Gruppenmitgliedern wider.
EinȱTreffenȱimȱMärchenwaldȱ(aufȱGruppeȱbezogen/themenspezifisch/Emotionenȱ ansprechend):ȱ Bei themenspezifischen Seminaren wie zum Beispiel einem Märchenseminar kann dieses Gruppenspiel zum besseren Kennenlernen und zur Einstimmung auf
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die Thematik dienen. Die Bühne wird imaginär zu einem Märchenwald gestaltet, zur besseren Veranschaulichung können Requisiten herangezogen werden. Dann werden die einzelnen TeilnehmerInnen dazu angeregt, sich zu erinnern, welches Märchen sie als Kind am meisten in den Bann gezogen hat, mit welcher Märchenfigur sie sich am stärksten identifiziert haben oder welches Märchenwesen für sie eine abstoßende Wirkung hatte. In der Rolle einer dieser Märchengestalten sollen sie nun auf die Bühne treten und mit den anderen Figuren, die auch nach und nach den Märchenwald besuchen, interagieren. Für in der Methode des Psychodramas ungeübte Personen stellt es eine Erleichterung dar, wenn dabei das Treffen dieser Figuren unter ein bestimmtes Motto gestellt wird und über dieses diskutiert werden kann, wie z.B. „Rettet den Märchenwald“. Im Anschluss wird über die Rollenwahl und die in diesem Spiel gemachten Erfahrungen reflektiert. Peter: „Für mich war klar, dass ich als Zwerg den Märchenwald betreten werde. Mich faszinierten die Zwerge bei Schneeweißchen und Rosenrot immer sehr. Auf der einen Seite waren sie mir unheimlich, weil sie unter der Erde lebten und dort tief verborgen ihre Schätze bewachten. Auf der anderen Seite beeindruckte mich, dass sie sich, obwohl ihnen geholfen wurde und sie sich eigentlich hätten bedanken müssen, über den durch die Hilfestellung entstanden Schaden, wie den abgeschnittenen Bart, beklagten. Als Zwerg habe ich in der Diskussion um den Erhalt des Märchenwaldes beinhart meine eigenen Interessen vertreten, ohne auf die Wünsche und Bedürfnisse der anderen auch nur ein Stück weit einzugehen. Als Peter würde ich so nie auftreten.“
ArrangementsȱzurȱErwärmungȱfürȱdieȱAktionsphaseȱ EinstiegsrundeȱmitȱderȱUnterstützungȱeinesȱSymbolsȱoderȱIntermediärȬObjektesȱ(aufȱ Einzelpersonȱbezogen/offen/Emotionenȱansprechend):ȱ Hierzu werden die TeilnehmerInnen gebeten, sich im Gruppenraum ein Symbol wie z.B. etwa eine spezielle Ansichtskarte aus der Sammlung der LeiterIn oder einen Gegenstand aus dem Gruppenraum auszuwählen, der ihrer derzeitigen Stimmung am ehesten entspricht oder das Thema verkörpert, mit dem sie sich gerade am intensivsten auseinandersetzen. Dieses Symbol wird vom spanischen Psychodramatiker RojasȬBermúdezȱ (Prucknerȱ 2004: 267) als IntermediärȬObjekt bezeichnet, weil es die Person dabei unterstützt, innerpsychische Probleme, die manchmal schwer in Worte zu fassen sind, nach außen zu tragen. Julian hat einen Tannenzapfen gewählt: „Mir ist dieser Tannenzapfen sofort ins Auge gestochen. Mit ihm verbinde ich einen unbeschwerten Spaziergang im Wald. Wie
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schön wäre es, einfach abschalten zu können und nur den Waldgeruch in der Nase zu spüren. Derzeit habe ich unheimlich viel Stress in meinem Job. Meine Vorgesetzten üben ständig Druck auf mich aus, weil das Projekt im nächsten Monat abgeschlossen sein soll. Außerdem hatte ich einen Streit mit meiner Mutter. Vor einer Woche stand sie ganz plötzlich ohne Vorankündigung in meiner Wohnung – sie hat ja einen Zweitschlüssel – da bin ich zum ersten Mal so richtig ausgerastet und habe sie angebrüllt. Sie hat sich so aufgeregt, dass sie fast keine Luft mehr bekam und sich starke Schmerzen im Herzbereich einstellten. Ich musste den Notarzt rufen. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich befürchte, dass ich zu heftig reagiert habe.“
MeinȱFamilienalbumȱ(aufȱEinzelpersonȱbezogen/themenspezifisch/Emotionenȱ ansprechend):ȱ Die TeilnehmerInnen sollen auf das Thema, das den Schwerpunkt dieser Gruppensitzung oder des Seminars bildet, eingestimmt werden. Steht zum Beispiel die Auseinandersetzung mit der Ursprungsfamilie im Brennpunkt dieser Zusammenkunft, können die Gruppenmitglieder aufgefordert werden, bedeutsame Fotos aus ihrem Familienalbum mitzubringen und diese der Gruppe zu präsentieren. Welchen Stellenwert haben diese Fotografien, welche Erinnerungen und Gefühle lösen sie aus? Dies kann auch imaginativ ablaufen; in diesem Fall beschreiben die jeweiligen Gruppenmitglieder die für sie bedeutsamen Familienfotos so detailreich wie möglich. Klara: „Auf dem ersten Foto seht ihr meine Urgroßeltern im Kreise ihrer sechs Kinder abgebildet, es ist schwarz-weiß und schon etwas vergilbt. Mein Urgroßvater trägt einen Schnauzbart und blickt sehr streng. Meine Urgroßmutter sitzt im hochgeschlossenen Spitzenkleid neben ihm, auf ihrem Schoß thront der jüngste Sohn, das war mein Großvater. Auch ihr scheint man kein Lächeln entlocken zu können … Dieses Bild drückt für mich die unbeugsame Strenge und die Unfähigkeit, Liebe zu zeigen, aus, Wesenszüge, die in der Familie meines Vaters vorherrschend und auch in seinem Verhalten mir gegenüber zeitweise spürbar waren.“
StegreifȬȱoderȱGruppenspielȱalsȱArrangementȱderȱErwärmungȱ(aufȱGruppeȱbezogen/offen/ȱ Emotionenȱansprechend):ȱ Stegreif- oder Gruppenspiele als Erwärmung dienen dem Kennenlernen der Methode, dem Sich-Einlassen auf die Einnahme einer Rolle und natürlich der Gruppenkohäsion. Die Beweggründe, die zur Rollenwahl geführt haben, und die Erfahrungen, die während der Rollenübernahme gesammelt wurden, können den Anstoß zu einem protagonistInnenzentrierten Spiel geben.
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Hierfür gibt die Leitung nur ein Motto vor, das den Rahmen des nachfolgenden Spiels bietet, wie z.B. „Eine Nacht in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, in der die Figuren zum Leben erweckt werden“, oder „Ein Marktplatz im Mittelalter“ oder „Gestrandet auf einer einsamen Insel“. Die GruppenteilnehmerInnen können eine wie immer geartete Rolle wählen, die sie in diesem Spiel verkörpern wollen. Die einzige Voraussetzung ist, dass mit der gewählten Rolle ein Bezug zum Thema hergestellt werden kann, zum Beispiel die Königin Victoria im Wachsfigurenkabinett oder der Henker in der mittelalterlichen Szene oder der Indigene auf der einsamen Insel. Die Handlung ist meist nicht vorgegeben, sondern entwickelt sich aus der Fantasie der MitspielerInnen oder entsteht aus der Interaktion mit den anderen Beteiligten. Die Dauer des Gruppenspiels hängt davon ab, ob neue Impulse hinzukommen oder ob sich die Handlungsabläufe wiederholen. Das Ende eines Gruppenspiels wird von der Gruppenleitung vorgegeben, wobei die SpielerInnen im Vorfeld auf das baldige Ende aufmerksam gemacht werden sollten. „Die ersten Lichtstrahlen dringen durch die Gardinen des Wachsfigurenkabinetts. Langsam müssen die einzelnen Figuren wieder ihre ursprüngliche Position einnehmen und erstarren“ oder „Ein Schiff nähert sich der einsamen Insel. Die Rettung der Gestrandeten ist nahe.“ Aus diagnostischer Sicht kann ein Gruppenspiel Auskunft über die Persönlichkeitsstruktur einzelner TeilnehmerInnen sowie über die Stellung der Mitglieder im Gruppengeflecht geben. Lenkt die Person, die das Kommando auf der einsamen Insel innehat, auch die Gruppendynamik im realen Gruppenkontext? Steht der Mitspieler, der sich zum Suchen von Feuerholz zurückzieht, auch sonst etwas außerhalb des Gruppengeschehens? Mehr zu Gruppenspielen folgt in Abschnitt 3.3. DarstellungȱeinesȱProblembereichsȱmittelsȱeinerȱVignetteȱ(kurzes,ȱausȱeinerȱeinzigenȱ SzeneȱbestehendesȱSpiel):ȱ Die GruppenteilnehmerInnen werden aufgefordert, sich in Zweier- oder Dreiergruppen zusammenzufinden. Sie sollen sich zum Beispiel darüber austauschen, welche strukturellen Veränderungen der letzten Jahre zu einer Verbesserung der Arbeitszufriedenheit der MitarbeiterInnen geführt haben. In Form einer kurzen Szene sollen sie danach diese Veränderung den anderen GruppenteilnehmerInnen zeigen. War der Einsatz dieser Arrangements erfolgreich, sind die Aktivierungsniveaus der einzelnen TeilnehmerInnen gestiegen, die Gruppe hat sich zu einer tragfähigen Einheit formiert und das Vertrauen in die Leitung ist gefestigt. Der Zugang
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3 Psychodramatische Arrangements
zu den derzeitigen Befindlichkeiten und der aktuellen Thematik ist geschaffen. Nun muss entschieden werden, welches Thema bearbeitet wird, welche Arbeitsform gewählt wird, welche Person als ProtagonistIn zum Zug kommt und in welcher Form deren Fragestellung inszeniert wird. DieȱWahlȱderȱArbeitsformȱ Aus den Begebenheiten während der Erwärmungsphase sollte ersichtlich werden, welche weitere Vorgehensweise angebracht wäre und von welcher Arbeitsform die Gruppe am meisten profitieren könnte. Zur Wahl steht ein gruppenzentȬ riertesȱoder ein protagonistInnenzentriertesȱSpiel. Woran erkennt die PsychodramaLeiterIn, welche Arbeitsform eingesetzt werden sollte? Ein Gruppenspiel bietet sich dann an, wenn Fragestellungen, die sich aus dem Gruppenthema ergeben, durch ein solches am besten bearbeitet und beantwortet werden können, wenn die Gruppe zur Aktivierung für ein protagonistInnenzentriertes Spiel noch eine weitere Phase der Erwärmung benötigt oder wenn die Gruppenkohäsion verstärkt werden soll (Genaueres über die Gestaltung eines Gruppenspiels unter 3.3). Ist eine oder sind mehrere TeilnehmerInnen dazu erwärmt, ihre Problemstellung auf der psychodramatischen Bühne zu bearbeiten, ist ein ProtagonistInnenspiel angesagt. In diesem Fall muss als erster Schritt entschieden werden, welche Person und welche Thematik in weiterer Folge in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Hierbei gibt es verschiedene Vorgehensweisen, die im Folgenden dargestellt werden. DieȱWahlȱderȱProtagonistInȱ Zunächst wird die LeiterIn die einzelnen Gruppenmitglieder fragen, wer sein oder ihr Anliegen mittels psychodramatischer Inszenierung klären möchte. Dabei ist darauf zu achten, dass die in Frage kommende Person für die Bearbeitung der Thematik ausreichend erwärmt ist. Das bedeutet nicht nur, dass die Person bereit sein muss, ihre Problematik szenisch auf der Bühne darzustellen, sondern auch, dass sich aus der Thematik eine bestimmte Fragestellung ergeben hat, deren Beantwortung für sie hilfreich wäre. Ist diese noch etwas diffus und damit nicht ganz greifbar, spielt dies zunächst keine Rolle; jedoch sollte in solch einer Lage die TeilnehmerIn die Bereitschaft zeigen, sich auf den nachfolgenden Prozess einzulassen, sich also in der Spontaneitätslage befinden. Sind diese Faktoren nicht gegeben, kann die folgende psychodramatische Inszenierung in der
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Regel nicht die gewünschte Antwort bieten und der erwartete Erfolg bleibt möglicherweise aus. Von großer Bedeutung ist, dass auch die Gruppenmitglieder für die jeweilige Thematik erwärmt sind, denn die Gruppe muss der ProtagonistIn bei der Lösung ihrer Problematik den nötigen Resonanzboden zur Verfügung stellen und ihr Schutz bieten. Oft sind mehrere TeilnehmerInnen einer Gruppe für ein psychodramatisches Spiel erwärmt. Einige äußern diese Bereitschaft nicht verbal, sondern auf somatische Weise, indem sie etwa unruhig auf ihrem Stuhl hin- und herrutschen, schwitzen oder indem sich ihre Gesichtsfarbe verändert. Auch solche „körperlichen Andeutungen“ können von der Leitung zum Anlass für eine Einladung zum Spiel genommen werden (HollensteinȬBurtscher 2004).
HilfsmittelȱzurȱUnterstützungȱdesȱEntscheidungsprozessesȱ Wenn mehrere Gruppenmitglieder einen Spielwunsch äußern, muss das Augenmerk besonders auf den Gruppenprozess und die Bedeutsamkeit der angebotenen Themen für die Gruppe selbst gelegt werden. Bestimmte Vorgehensweisen können bei der Auswahl der geeignetsten ProtagonistInnen eine Unterstützung bieten. Klassischerweise wird die Methode der soziometrischenȱ Wahl eingesetzt. Hierfür verändern die potentiellen ProtagonistInnen ihre Sitzposition, indem sie sich in das Innere des Stuhlkreises begeben und in kurzen Sätzen ihr Anliegen und ihre Fragestellung beschreiben. Nun können die übrigen Gruppenmitglieder ihre WunschkandidatInnen wählen, indem sie sich hinter das Gruppenmitglied stellen, bei dessen Fragestellung sie am stärksten mitschwingen können. Das Gruppenmitglied, dessen Thematik die meisten Gruppenmitglieder berührt hat, wird bei diesem Vorgehen die nächste ProtagonistIn. Um die nicht gewählten potentiellen ProtagonistInnen zu entlasten, können die LeiterInnen erwähnen, dass es sich hierbei um eine Themenwahl handelt. „DieȱEntscheidungȱgiltȱnurȱfürȱdenȱjetzigenȱZeitpunkt.ȱWirȱ werdenȱ vielleichtȱ späterȱ verstehen,ȱ warumȱ diesesȱ Themaȱ (nicht die gewählte Person nennen!)ȱ geradeȱ jetztȱ zumȱ Zugȱ kam.“ Die Nicht-Gewählten sollten gefragt werden, was diese Entscheidung bei ihnen auslöst. Liegt eine Kränkung oder eine große Verunsicherung vor, sollte dies vor dem ProtagonistInnenspiel geklärt werden, da dieser Konflikt die Inszenierung überlagern könnte. Eine andere Möglichkeit zur Bestimmung der nächsten ProtagonistIn besteht darin, die GruppenteilnehmerInnen ihren Grad der Erwärmung darstellen zu lassen. Dafür sollen diese je nach Erwärmungsgrad ihre Sitzposition in das Innere des Kreises verlagern: TeilnehmerInnen, die keinen Spielwunsch haben, bleiben mit ihren Stühlen am Platz, diejenigen, die ihrer Problematik durch ein psychodramati-
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3 Psychodramatische Arrangements
sches Spiel auf den Grund gehen wollen, begeben sich so weit in Richtung Kreismittelpunkt, wie sie sich selbst für ein ProtagonistInnenspiel bereit empfinden.
Abbildungȱ15:
Wahl einer ProtagonistIn14
Diese Methode kann auch Anwendung finden, wenn die GruppenteilnehmerInnen wenig Spielbereitschaft zeigen oder noch Angst vor der „Ungewissheit der Konsequenzen“ eines psychodramatischen Spiels haben. Dann kann man jene Personen, die zumindest ein wenig mit einem ProtagonistInnenspiel liebäugeln, dazu einladen, dies dadurch kundzutun, dass sie zum Beispiel ihre Beine in Richtung Kreismitte strecken. Gerade zu Beginn eines Gruppenprozesses ist das Setzen solcher Zeichen etwas leichter als das verbale Äußern eines Spielwunsches. Manchmal empfiehlt es sich, dass die LeiterIn einzelne Gruppenmitglieder direkt darauf anspricht, ob bei ihnen ein Spielwunsch vorliegt. Das ist dann notwendig, wenn TeilnehmerInnen bei der vorhergehenden ProtoganistInnenwahl nicht zum Zug gekommen sind oder wenn sie im ProtagonistInnenspiel die Rolle der AntagonistIn oder einer anderen sehr belastenden Rolle innehatten. Auch wenn die Leitung den Eindruck hat, dass eine Person bereits sehr erwärmt ist, aus einem wie auch immer gearteten Grund aber davor zurückscheut, ihre Thematik zu bearbeiten, sollte sie ihre Wahrnehmung rückmelden. Wenn die Entscheidungsfindung abgeschlossen ist und die ProtagonistIn feststeht, kann zur Spiel- oder Aktionsphase übergegangen werden.
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Gezeichnet von Schönberger (2010)
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In unserem Fallbeispiel wurde Julian mittels soziometrischer Wahl von der Mehrheit der GruppenteilnehmerInnen zum Protagonisten gewählt.
3.1.2
DieȱSpielȬȱoderȱAktionsphaseȱ „Die Aktionsphase bietet den Rahmen für die therapeutische oder beraterische Intervention.“ VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramerȱ(2005: 144)ȱ
ZieleȱderȱSpielȬȱoderȱAktionsphaseȱ Das erste Teilziel der Aktionsphase ist, das eigentliche Thema der ProtagonistIn und damit verbundene Problematik zu erfassen, zu konkretisieren und daraus einen Arbeitsauftrag zu formulieren. Erst daraus wird ersichtlich, welcher Teilbereich der „inneren Bühne“ auf die für andere sichtbare, psychodramatische Bühne transferiert werden soll. Durch dieses Erfahrbar-Machen wird der ProtagonistIn ermöglicht, die Thematik aus einer anderen Perspektive heraus zu betrachten. Es erlaubt aber auch ein tiefes emotionales Eintauchen, wodurch der Problematik der ProtagonistIn auf den Grund gegangen werden kann.
Abbildungȱ16:
Ziele der Aktionsphase
Die Hauptaufgabe der LeiterIn während der Aktionsphase eines protagonistInnenzentrierten Spiels ist es, die ProtagonistIn mit Hilfe psychodramatischer
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3 Psychodramatische Arrangements
Techniken so weit zu begleiten und zu unterstützen, dass sie Auswege aus der Situation erkennt und bereit ist, Lösungsmöglichkeiten zu erproben. PhasenȱderȱAktionsphaseȱ
Abbildungȱ17:
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Phasen der Aktionsphase (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramerȱ2005)15
Gezeichnet von Schönberger (2010)
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EröffnungȱderȱBühneȱ Mit der Festlegung des Bühnenorts im Gruppenraum und der EröffnungȱderȱBühne startet die Aktionsphase. Indem die ProtagonistIn die Bühne betritt, tritt sie aus dem Gruppenkreis heraus und in den Handlungsraum des psychodramatischen Interviews und in weiterer Folge in den Handlungsraum der Szene hinein (vgl. VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005: 145). Der Protagonist Julian betritt nun gemeinsam mit der Therapeutin den vorher festgelegten Bühnenbereich.
ErfassungȱderȱThematikȱ Bevor es zum eigentlichen psychodramatischen Spiel kommt, findet eine Exploration in Form eines Interviews statt. Dabei bewegt sich die Psychodrama-LeiterIn in der Regel mit der ProtagonistIn durch den Bühnenraum, wiederholt die Fragestellung und klärt folgende Punkte:
Welche Themenbereiche umfasst die Fragestellung? Gibt es innere Bilder oder Szenen zu diesem Thema? Welche Wünsche existieren für und an das Spiel? Was soll das Ziel der Inszenierung sein?
Tabelleȱ8:
Fragen zur Erfassung der Thematik
Durch das empathische Nachfragen und Mitschwingen der LeiterIn vertieft sich das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden. Das erleichtert es der ProtagonistIn, die Fragestellung mit all ihren Facetten darzulegen. So erhält die TherapeutIn neben objektiven Angaben (z.B. welche Personen an dem Problem beteiligt sind) und subjektiven Auskünften (z.B. Stärke des Leidensdrucks) auch szenische Informationen: wie sich zum Beispiel die Körperhaltung verändert, während die ProtagonistIn die Geschehnisse schildert (vgl. VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer,ȱ2005). Therapeutin: „Julian, du hast angekündigt, dass du dir in dieser psychodramatischen Inszenierung die Beziehung zu deiner Mutter näher ansehen möchtest. Kannst du uns einen Einblick in eure Form der Beziehung gewähren?“ Julian: „Ich bin das einzige Kind meiner Mutter, und ich war immer ihr Ein und Alles. Sie hat mir alles ermöglicht, war aber auch sehr streng, und ich musste mich stets gut benehmen. Mein Vater hatte ein Alkoholproblem und hat sich wenig um uns gekümmert, er hatte auch einige Affären. Er ist vor sechs Jahren nach langer Krankheit gestorben, meine Mutter hat ihn sehr aufopfernd gepflegt. Seit dem Tod meines Vaters
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versucht sie ständig mit mir in Kontakt zu treten, sie dringt immer mehr in mein Leben ein.“ Therapeutin: „Kannst du genauer beschreiben, wie deine Mutter in dein Leben eindringt? Kannst du uns ein Beispiel nennen, wie das vor sich geht?“ Julian: „Meine Mutter telefoniert jeden Tag mit mir, manchmal auch mehrmals täglich. Sie möchte ständig wissen, wie es mir geht und was ich so unternehme. Für sie ist es selbstverständlich, dass ich immer für sie da sein sollte. Ich habe ja schon erzählt, dass wir, weil sie vor Kurzem unangekündigt bei mir erschienen ist, einen heftigen Streit hatten, der mit einer Spitalseinweisung aufgrund einer Panikattacke ihrerseits endete.“ Therapeutin: „Welche Gefühle werden durch diese Situationen bei dir wachgerufen?“ Julian: „Auf der einen Seite mache ich mir große Sorgen um ihren gesundheitlichen Zustand, und ich empfinde Mitleid, weil sie einsam ist, auf der anderen Seite bin ich sehr wütend. Vor allem habe ich das Gefühl, dass mir die Hände gebunden sind. Sie wird sich nach wie vor in mein Leben einmischen, und ich wage nun nichts mehr zu sagen, weil ich Angst habe, dass ich schuld bin, wenn es ihr gesundheitlich schlecht geht.“ Während dieser Schilderung beobachtet die Therapeutin, wie Julians Körper sich verkrampft und sich der Ausdruck von Ratlosigkeit in seinem Gesicht breit macht. Im Kontakt mit Julian nimmt sie eine Form der Aggression wahr, die schwer zu kanalisieren ist und dadurch unterdrückt werden muss.
Dieses Interview kann als erster Schritt der Problembearbeitung betrachtet werden. Denn mit Hilfe einer strukturierenden Gesprächsführung wird die Fragestellung klarer erkannt, nicht beachtete Emotionen, die mit der Problematik einhergehen, können gesehen und benannt werden. Dadurch verändert sich die Perspektive auf die dargestellte Lage. In weiterer Folge klärt die LeiterIn gemeinsam mit der ProtagonistIn, welchen Auftrag es zu bearbeiten gilt.
FormulierungȱdesȱAuftragesȱ Hierbei wird entschieden, welches Ergebnis durch die psychodramatische Inszenierung erzielt werden soll. Es gilt: Je konkreter ein Auftrag formuliert wird, desto eher können die eingesetzten Techniken und Interventionen auf diesen abgestimmt werden und desto eher kann auch ein befriedigendes Resultat erzielt werden. Wünsche, die an die Inszenierung gerichtet sind, sollten nicht zu allgemein gefasst sein, wie etwa „WieȱkannȱichȱmeinȱGlückȱfinden?“, zudem sollten sie widerspruchsfrei sein. Aufträge, die lauten: „Ichȱ möchteȱ mirȱ dieȱ Problematikȱ mitȱ meinemȱuntreuenȱEhemannȱgenauerȱansehen,ȱaberȱdiesesȱSpielȱsollȱmichȱemotionalȱnichtȱ aufwühlen“, sind nur schwer zu erfüllen. Bei der Festlegung der Aufträge hat die
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Leitung auch darauf zu achten, dass die Inszenierung und die damit verbundene Problemlösung in der zur Verfügung stehenden Zeit zu bewerkstelligen sind. Therapeutin: „Was soll durch dieses Spiel erreicht werden? Was möchtest du erfahren haben, wenn du heute Abend nach Hause gehst?“ Julian: „Ich möchte einen Weg finden, die nötige Distanz zu meiner Mutter zu bekommen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.“
Selbstverständlich ist die Klarheit des Auftrages keine unabdingbare Voraussetzung für ein ProtagonistInnenspiel: Zuweilen dient das Spiel zur Präzisierung einer Fragestellung, die dann in einem weiteren Spiel angegangen werden kann. Ebenso können ambivalente Wünsche der ProtagonistIn wie der obige „Ichȱmöchteȱ mirȱ dieȱ Problematikȱ mitȱ meinemȱ untreuenȱ Ehemannȱ genauerȱ ansehen,ȱ aberȱ diesesȱ Spielȱ sollȱ michȱ emotionalȱ nichtȱ aufwühlen“ zunächst szenisch dargestellt werden, um dadurch den Widerspruch deutlich und veränderbar zu machen.
Interventionsplanungȱ Aus den im Interview gesammelten Informationen soll die LeiterIn nun Annahmen über die Hintergründe und Zusammenhänge der Problematik erstellen (Hypothesenbildung), um daraus Prozessziele, zu entwickeln, die der ProtagonistIn erleichtern, schrittweise das eigentliche Auftragsziel zu erreichen. Auf diesem Gerüst soll ein provisorischer Plan über eine mögliche Vorgehensweise verfasst werden: also welche Prozessschritte gesetzt werden und welche Arrangements dafür zum Einsatz kommen sollen. Die Prozessschritte sollten durch einen roten Faden verbunden sein. Im Folgenden werden die einzelnen Punkte der Interventionsplanung genauer beschrieben.
Hypothesenbildungȱ Zeitgleich mit der Auftragsklärung bildet die Leitung Hypothesen darüber, warum die ProtagonistIn in dieser oder jener Situation so und nicht anders reagiert. Ähnlich wie bei Klassifikationen von Störungsbildern im therapeutischen Format, die dazu dienen, bestimmte Phänomene und Zustände besser zu verstehen und einzuordnen, hat die Psychodrama-LeiterIn Deutungshilfen zur Verfügung, die es ihr erleichtern, den Sachverhalt der ProtagonistIn besser erfassen zu können. Buer (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramerȱ2005: 152) bezeichnet diese als InterpretationsȬ folien: als theoretische Modelle, die ein Verstehen bestimmter Phänomene erleich-
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3 Psychodramatische Arrangements
tern sollen. Den PsychodramatikerInnen dienen die Rollentheorie und die Spontaneitäts- und Kreativitätstheorie als ihre ureigensten Interpretationsfolien. Je nach Vorlieben und Vorwissen der LeiterInnen können zusätzlich auch andere Theorien und Modelle (z.B. entwicklungspsychologische oder feministische Theorien, Kommunikationsmodelle etc.) herangezogen werden, mit deren Hilfe diagnostische Hypothesen gebildet und Lösungsmöglichkeiten ins Auge gefasst werden können (vgl. VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005). Hypothese 1: Julian ist aufgrund seiner Erfahrungen mit seiner Mutter in seinem Rollenrepertoire eingeschränkt. Die Rolle des erwachsenen Mannes, der sein Leben unabhängig von seiner Mutter gestaltet, konnte bisher kaum von ihm ergriffen werden. Dadurch war es ihm nicht möglich, die nötigen Grenzen zu ziehen und seine eigenen Bedürfnisse in ausreichendem Maß zu berücksichtigen. Hypothese 2: Seine Spontaneität ist durch die frühere Strenge der Mutter und die Reaktionsweise der Mutter zusätzlich beschnitten. Hypothese 3: Julian verfolgt perfekte Ziele: „Ich möchte von allen wertgeschätzt und geliebt werden“ und perfekte Vermeidungsziele: „Ich darf niemanden vergrämen und gegen mich aufbringen.“
AbleitenȱvonȱProzesszielenȱ Aus diesen Hypothesen lassen sich Prozessziele für die ProtagonistIn ableiten, die ihr helfen, ihrem Auftragsziel ein Stück näherzukommen. Im Falle von Julian könnte das sein:
Julian sollte erkennen, welche inneren Anteile und früheren Lebenserfahrungen für sein Verhalten verantwortlich sind – Rollenanalyse – Erkennen von perfekten Zielen Julian sollte im Perspektivenwechsel erfahren, was die Mutter in diesen Situationen empfindet und was seine unterschiedlichen Reaktionen bei ihr auslösen – Perspektivenerweiterung Julian sollte das Rollenverhalten erproben, das im Bezug auf seine Mutter für ihn passend wäre – Rollenerweiterung Stärkung des Rollenanteils, der Julian mehr Selbstbestimmtheit ermöglicht
FestsetzungȱbestimmterȱProzessschritteȱundȱihrȱDurchlaufenȱ Um die Prozessziele erreichen zu können, muss die ProtagonistIn zuerst einzelne Prozessschritte durchlaufen. Aus diesen Schritten ergeben sich die Arrangements und psychodramatischen Techniken und Methoden, die in der Folge in unterschiedlicher Gewichtung zum Einsatz kommen können:
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
Prozessschritt 1: Prozessschritt 2:
Prozessschritt 3: Prozessschritt 4: Prozessschritt 5:
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Durchspielen einer Situation, die für die geschilderte Problematik beispielhaft ist, im therapeutischen Setting wäre dies die Symptomszene Herausarbeiten, welche Erfahrungen (genetische oder Ursprungsszene), Ängste, Wertvorstellungen und perfekten Ziele es sind, die die ProtagonIstin daran hindern, ihren Bedürfnissen und Anliegen nachzukommen Erarbeiten von Handlungsalternativen Zukunftsprobe Erarbeiten von Maßnahmen, die einen Transfer ins reale Leben unterstützen könnten
FindenȱdesȱrotenȱFadensȱ Die Abfolge der Prozessschritte entspricht einem „roten Faden“, der als implizites Drehbuch einer psychodramatischen Inszenierung dient, denn er bildet ein methodisches Gerüst, an das sich die LeiterIn halten kann. Es handelt sich dabei um kein starres Grundgerüst, vielmehr wird im Prozess immer wieder überprüft, ob die Prozessziele und die daraus abgeleiteten Prozessschritte mit der inneren Dynamik, den Wünschen und Bedürfnissen der ProtagonistIn übereinstimmen. Die Psychodrama-LeiterIn muss sich bewusst sein, dass ihre diagnostischen Hypothesen eben nur Hypothesen sind und damit nur Hilfskonstrukte darstellen, sowie bedenken, dass die ProtagonistIn als Individuum auf bestimmte Ereignisse bzw. Umstände einzigartig reagiert. Stellt sich heraus, dass die Grundannahmen nicht standhalten, muss die LeiterIn flexibel genug sein, Veränderungen schnell vorzunehmen (vgl. VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005). WahlȱderȱArrangementsȱ Für die Umsetzung der einzelnen Prozessschritte muss das jeweils passende Arrangement gefunden, also eine Entscheidung darüber getroffen werden, in welcher Form die Thematik der ProtagonistIn auf die Bühne gebracht wird. Solche Arrangements wären z.B. ein szenisches Spiel von biografischen oder fiktiven Ereignissen, eine Vignette, eine Skulpturarbeit, der leere Stuhl, der Zauberladen u.v.m. Mit Hilfe dieser Arrangements begibt sich die ProtagonistIn in eine Surplus-reality. Denn in diesen verschieden gearteten Inszenierungen wird nicht angestrebt, die objektive Realität widerzuspiegeln (was auch gar nicht möglich wäre), sondern das subjektive Erleben der KlientIn. Darüber hinaus sind in einem solchen Spiel Ereignisse möglich, die über die normale Lebensrealität hinausgehen, wie etwa das Erscheinen einer guten Fee, die einen Wunsch erfüllt.
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3 Psychodramatische Arrangements
Häufig verwendete Varianten von Arrangements werden am Ende dieses Abschnittes vorgestellt. Im Falle Julians entscheidet sich die Therapeutin für den ersten Prozessschritt zu einer Reinszenierung eines biografischen Ereignisses: Julians Auseinandersetzung mit seiner Mutter, die zu einer Spitaleinweisung der Mutter führte.
EinrichtenȱderȱBühneȱ–ȱSzenenaufbauȱ Ist die Einstiegsszene festgelegt, wird zur Einrichtung der Bühne übergegangen. Hierbei bieten einfache Fragen eine gute Orientierungshilfe:
Zu welchem Zeitpunkt findet die Szene statt? Wo spielt sich die Szene ab? Welche Personen sind daran beteiligt? Welche Gegenstände sind von Bedeutung? Wie ist die Atmosphäre? Welche Stimmungslagen sind vorherrschend? Welche Rollenanteile kommen zum Einsatz?
Tabelleȱ9:
Einrichten der Bühne
Durch die Gestaltung der Bühne wird die ProtagonistIn weiter erwärmt. Die Leitung wird mit der Szene vertraut, ebenso die MitspielerInnen und potentiellen Hilfs-Iche. Als Erstes werden in der Regel Ort und Zeit abgefragt: Wo und wann hat die Szene stattgefunden? Wer waren die beteiligten Personen? Nach diesem Bericht wird die Bühne aufgebaut. Eine Decke kann Platzhalterin für ein Bett sein, zwei Stühle können einen Eingang symbolisieren. Einige Dinge können auch imaginiert werden. „Anȱ dieserȱ Wandȱ hängtȱ dasȱ Hochzeitsbildȱ meinerȱ Elternȱ …“ oder: „HierȱistȱeinȱFenster,ȱdurchȱdasȱmanȱaufȱeinenȱParkȱblicktȱ…“ Beim Szenenaufbau ist es nicht wichtig, dass der Raum, in dem sich das Ereignis abgespielt hat, eins zu eins auf die Bühne gebracht wird. Die Anzahl der Gegenstände auf der Bühne sollte so gewählt werden, dass sich die ProtagonistIn, die MitspielerInnen und die Leitung gut orientieren können, jedoch nicht durch eine allzu große Vielfalt vom Wesentlichen abgelenkt werden. Vor allem die Atmosphäre dieses Ortes sollte vermittelt werden, also welche Ausstrahlung diese Umgebung für die ProtagonistIn hat und welche Emotionen durch sie hervorgerufen werden. Die ProtagonistIn sollte durch den Szenenaufbau im Hier und Jetzt der dargestellten Szene ankommen. Wie ausführlich und detailreich die Szene exploriert und eingerichtet wird, hängt neben Indikationsfragen, auf die unter Techniken näher eingegangen wird, vom Mit-
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
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teilungsbedürfnis der ProtagonistIn und vom Leitungsstil ab. Manche LeiterInnen zeigen beim Szenenaufbau eher ein spartanisches Vorgehen, andere legen besonderen Wert auf die Symbolisierung der Atmosphäre, wieder andere ermuntern die ProtagonistIn, die Szene mit möglichst vielen Hilfs-Ichen anzureichern. Wenn spezielle Gegenstände für den Szenenablauf von besonderer Bedeutung erscheinen, können diese durch MitspielerInnen dargestellt werden. Hier kann die menschliche Fähigkeit genutzt werden, dass Informationen von einer Sinnesmodalität in eine andere übertragen werden können. Therapeutin: „Julian, du hast berichtet, dass sich die von dir gewählte Szene in deiner Wohnung abgespielt hat. Wie sieht deine Wohnung aus? Welche Bereiche der Wohnung sind für diese Inszenierung von Bedeutung? Kannst du uns auf der Bühne einen Einblick in sie gewähren?“ Julian: „Meine Wohnung besteht aus drei Zimmern. Für das Geschehen sind allerdings nur der Eingangsbereich und die Wohnküche wichtig. Vielleicht auch noch das Schlafzimmer, in dem totales Chaos herrscht.“ Die Zimmer werden mit Seilen voneinander abgegrenzt. Der Standort der Türen wird mit Tüchern dargestellt, die Fenster werden angedeutet. Therapeutin: „Welche Einrichtungsgegenstände spielen in dieser Szene eine Rolle?“ Julian: „Das Sofa, der Couchtisch und der Küchenbereich, da steht nämlich meine italienische Espressomaschine, die ein so angenehmes Aroma im Raum verbreitet. Das liebe ich so an Tagen, an denen ich mich entspannen kann. Leider gibt es die bei mir viel zu selten.“ Für das Sofa wird eine Matratze herangezogen, der Couchtisch wird durch einen Beistelltisch verkörpert und der Küchenbereich durch eine Decke. Auf ihr thront die Kaffeemaschine, die durch eine Vase symbolisiert wird. Der Geruch des frisch gebrühten Kaffees wird imaginiert. Das „Chaos“ repräsentieren Tücher.
WahlȱderȱHilfsȬIcheȱ Die ProtagonistIn wählt beim Szenenaufbau auch die in der Szene vorkommenden InteraktionspartnerInnen aus dem Pool der GruppenteilnehmerInnen. Diese werden so zu Hilfs-Ichen, die im Rahmen der Inszenierung die beteiligten Personen darstellen. Sie können aber auch StellvertreterInnen für Gefühle, Rollenanteile oder Metaphern sein, die in konkretisierter Form dargestellt werden, wie z.B. eine „zugeschnürte Brust“ oder „ein ständiger Beobachter“. Die Wahl der Hilfs-Iche folgt meist der unbewussten Wahrnehmung der TeleȬ beziehung zwischen ProtagonistIn und Gruppenmitgliedern. Gewählte TeilnehmerInnen haben das Recht, die Rolle abzulehnen. Gründe für die Ablehnung könnten zum Beispiel sein, dass die Rolle sie zu sehr an eigene Erfahrungen erinnert und die
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3 Psychodramatische Arrangements
TeilnehmerIn befürchtet, dass sie in diesem Fall zu wenig auf die Bedürfnisse der ProtagonistIn eingehen könnte, oder dass diese Rolle für die TeilnehmerIn zu negativ besetzt ist (zum Beispiel die Darstellung eines Gewalttäters). Die Entscheidung, eine Rolle nicht übernehmen zu wollen, müssen die ProtagonistIn wie die LeiterIn akzeptieren. Besonders konfliktträchtige, belastende oder sehr negativ besetzte Rollen können auch von der Co-LeiterIn übernommen werden. Therapeutin: „Wer von den anwesenden Gruppenmitgliedern könnte für diese Szene die Rolle deiner Mutter übernehmen?“ Julian wählt zur Darstellung seiner Mutter Ulrike, eine Gruppenteilnehmerin, die um die 60 Jahre alt ist und die Gruppe besucht, weil sie Probleme beim Eintritt in die Pensionsphase hat. Ulrike willigt ein. Therapeutin: „Jetzt brauchen wir noch die Rettungsmannschaft. Wie viele Personen benötigen wir dafür?“ Julian: „Den Arzt und die Sanitäter.“ Therapeutin: „Wer wäre für diese Rollen passend?“
DieȱRolleneinführungȱderȱHilfsȬIcheȱ Die gewählten MitspielerInnen oder Hilfs-Iche benötigen Informationen über die jeweilige Person, die sie in der Szene verkörpern sollen. Dazu müssen sie etwa erfahren, wie die Person heißt, deren Rolle sie übernehmen sollen, wie alt sie ist, welche Eigenschaften sie hat und wie die Beziehung zwischen ihr und der ProtagonistIn geartet ist. In Österreich wird dieser Vorgang als Einkleiden oder Einrollen der Hilfs-Iche bezeichnet, in Deutschland sind diese Ausdrücke nicht gebräuchlich. Die nötigen Hinweise können die Hilfs-Iche auf unterschiedliche Weise erhalten:
Das Hilfs-Ich hat durch die in der Explorationsphase berichteten Zusammenhänge bereits ausreichende Informationen über die Wesenszüge und Beziehungsqualitäten der darzustellenden Person erhalten, oder die ProtagonistIn berichtet den Hilfs-Ichen, wie die von ihnen gespielten Personen aussehen, wie sie sich verhalten und welche Persönlichkeitszüge sie auszeichnen. Eine weitere gebräuchliche Art der Rolleneinführung ist das Doppeln. Dazu treten die ProtagonistInnen hinter das Hilfs-Ich und führen es mittels dieser Technik in ihre Rolle ein. In der Ich-Form wird die darzustellende Person beschrieben und mit ihren typischen Attributen versehen (Näheres siehe
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
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Technik Doppeln). Dies wird zuweilen verdeutlicht, indem die ProtagonistIn der einzudoppelnden Person eine Hand auf die Schulter legt. Das Hilfs-Ich kann aber auch mittels Rollenwechsel in die darzustellende Person eingewiesen werden. Dabei übernimmt die ProtagonistIn für diesen Moment die jeweilige Rolle, zeigt die für diese Person charakteristische Körperhaltung und nennt die für sie typischen Sätze. Die Psychodrama-LeiterIn befragt die ProtagonistIn, die für diese Zeit die Rolle – etwa der AntagonistIn – eingenommen hat, zu ihrer (der eingenommen Rolle) Person.
Tabelleȱ10:
Formen der Rolleneinführung (ZeintlingerȬHochreiterȱ1996)
Durch Nachfragen können die Hilfs-Iche weitere Informationen einholen, die sie noch zur Einstimmung auf die Rollenübernahme benötigen. An die von der ProtagonistIn vorgegebenen Rollenanweisungen sollten sich die Hilfs-Iche so eng wie möglich halten. Therapeutin: „Tritt bitte hinter Ulrike und beschreibe in der Ich-Form deine Mutter.“ Julian: „Ich bin Margarete, ich bin 69 Jahre alt. Vor sechs Jahren ist mein Mann gestorben. Jetzt lebe ich alleine in meiner Wohnung. Der einzige Sinn, der mir in meinem Leben geblieben ist, ist mein Sohn. Auf den bin ich sehr stolz, er ist sehr erfolgreich und sehr fleißig. Da er noch immer keine Frau gefunden hat, muss ich mich um ihn kümmern, schauen, ob es ihm gut geht und ob er auch gut versorgt ist. Als ich an diesem Sonntag zu Julian gekommen bin mit dem großen Korb voll Essen, habe ich die Welt nicht mehr verstanden, ich hab’s ja nur gut mit ihm gemeint, wollte ihm Arbeit abnehmen. Dass er mich so anbrüllt, habe ich unerhört gefunden, mit einer Mutter spricht man nicht so. Habe ich nicht alles für ihn getan? Mich wundert es nicht, dass ich darauf mit so einer Attacke reagiert habe.“ Ulrike: „Habe ich als Margarete irgendwelche Hobbys?“ Julian doppelnd: „Früher habe ich gerne gestickt, aber das kann ich aufgrund meiner Sehschwäche nicht mehr. Jetzt sehe ich gerne fern, und manchmal treffe ich mich mit meiner Freundin auf einen Kaffee.“
DieȱszenischeȱAktionȱ Wird nun mit dem Spielen einer Szene begonnen, taucht die ProtagonistIn ein weiteres Stück in die Surplus-reality der psychodramatischen Erlebniswelt ein. Julian ist nun vorwiegend Sohn und nicht mehr Teilnehmer einer Psychodramagruppe – Rollenwechsel, er verlässt den Gruppenraum und lässt sich in seiner eigenen Wohnung nieder – Raumwechsel, und die Zeit wird um einige Wochen zurückgedreht – Zeitwechsel.
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3 Psychodramatische Arrangements
Das Ziel eines psychodramatischen Spiels ist es, dass die ProtagonistIn die nachgestellten Szenarien so erlebt, als würden sie im Hier und Jetzt stattfinden. Je stärker sie sich im Moment des Spiels in ihre Problematik einfühlen kann, desto leichter werden die damit verbundenen Gefühle in ihr wachgerufen. Sie bilden die Ausgangslage für weitere psychodramatische Interventionen: „Was empfinden Sie jetzt?“ – „Was benötigen Sie, damit Sie sich weniger ohnmächtig fühlen?“ Gleichzeitig wird durch dieses tiefe emotionale Eintauchen in das Erlebte verhindert, dass die ProtagonistIn ihr Thema nur intellektualisierend betrachtet. Veränderungsprozesse stellen sich in der Regel erst dann ein, wenn die ProtagonistIn aktiv im Hier und Jetzt angesprochen ist. Wenn die Veränderungen gelingen, ist die Dissonanz zwischen den Problemen aus kognitiver Sicht und den emotionalen Empfindungen aufgelöst. Wenn die Person zwar erkennt, dass es wichtig wäre, in bestimmten Lebensbereichen auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und sich abzugrenzen, gleichzeitig aber emotional das Ziel verfolgt: „Ich möchte es allen recht machen, um von allen geliebt zu werden“, wird sie zwar unter Umständen einige Versuche in Richtung Durchsetzung der eigenen Bedürfnisse starten, eine längerfristige Verhaltensänderung und damit eine Verbesserung der psychischen Symptomatik wird aber vermutlich ausbleiben. Die geäußerten Empfindungen können auch als Basis einer weiteren psychodramatischen Intervention, nämlich der Konkretisierung, dienen. Hierbei werden die von der ProtagonistIn beschriebenen Metaphern in konkrete Handlungen umgesetzt, um die Situation und die damit einhergehenden Gefühle zu verdichten. „In dieser Situation fühle ich mich, als wären mir die Hände gebunden.“ Die Leitung nimmt ein Seil oder eine Schnur und bindet der ProtagonistIn die Hände zusammen. Oder: „Ich fühle mich ständig beobachtet.“ Ein Hilfs-Ich wird herangezogen, das die Rolle des „Ständigen Beobachters“ mimt.
DurchspielenȱderȱSzeneȱ Die ausgewählte Szene wird zunächst so nachgespielt, wie die ProtagonistIn diese in der Explorationsphase beschrieben hat. Kommt es zur Interaktion mit Hilfs-Ichen, muss die LeiterIn darauf achten, dass die Dialoge so stattfinden, wie die ProtagonistIn sie als stimmig erachtet. Trifft dies nicht zu, kommt es zu einer Korrektur durch die ProtagonistIn. In diesem Fall wechselt die ProtagonistIn in die jeweilige Rolle des Hilfs-Ichs und gibt so vor, was die Person in diesem Fall sagen oder antworten würde. Dann kehrt sie wieder in ihre eigene Rolle zurück.
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
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Therapeutin: „Es ist Sonntag, 10 Uhr morgens. Wir befinden uns in Julians Wohnzimmer.“ Julian liegt auf der Couch, liest die Zeitung und nippt immer wieder von seinem Kaffee. Da tritt die Mutter (gespielt von der Mitspielerin Ulrike) mit einem Korb ins Wohnzimmer. Julian: „Was machst du denn da?“ Ulrike: „Ich hab’ mir gedacht, ich bring’ dir schnell was zu essen vorbei, damit du nicht kochen musst.“ Julian springt auf und geht zur Mutter. Julian: „Das war aber nicht ausgemacht. Ich will dein Essen nicht!“ Ulrike: „Ich hab’s ja nur gut gemeint, ich bleibe auch nicht lange. Schau, dadurch hast du weniger Arbeit.“ Therapeutin: „Passt das so?“ Julian: „Nicht ganz, meine Mutter reagiert etwas schärfer.“ Therapeutin: „Julian, kannst du Ulrike zeigen, wie deine Mutter reagiert? Wechselt einmal die Rollen. Ulrike, kannst du als Julian seinen letzten Satz wiederholen?“ Julian nimmt die Rolle der Mutter ein. Ulrike als Julian: „Das war nicht ausgemacht! Ich will dein Essen nicht!“ Julian als Mutter: „Wie sprichst du mit deiner Mutter?! Führ dich nicht so auf! Ich habe nicht vor, lange zu bleiben, und ein anständiges Mittagessen hat noch niemandem geschadet.“ Julian und Ulrike kehren wieder in ihre ursprünglichen Rollen zurück. Ulrike wiederholt den Satz, den ihr Julian vorgegeben hat. Julian in der eigenen Rolle heftig: „Was nimmst du dir heraus, ich habe dich nicht um deine Hilfe gebeten! Ich möchte dich nicht ständig um mich haben. Verschwinde aus meinem Leben und komm nicht mehr wieder!“ Nach einem heftigen Wortwechsel simuliert Ulrike als Mutter die Herzattacke. Julian verständigt den Notarzt. Die TeilnehmerInnen, die die Rettungsmannschaft darstellen, bringen sie ins Krankenhaus. Therapeutin zu Julian: „Wie fühlst du dich?“ Julian: „Ich fühle mich unheimlich schuldig und gleichzeitig auch sehr wütend. Noch dazu erlebe ich mich total ohnmächtig, ich habe das Gefühl, der Situation total ausgeliefert zu sein.“ Therapeutin: „Erinnern dich diese Gefühle an etwas?“ Nun kommt es zu einem Szenenwechsel, denn Julian berichtet: „Ja, als ich klein war, so ungefähr fünf, haben meine Eltern sehr viel gestritten, mein Vater war ja dem Alkohol nicht abgeneigt und er hat auch immer wieder etwas mit anderen Frauen gehabt …“ In diesem Austausch wird ersichtlich, dass Julian sich für die Streitigkeiten der Eltern und für die Reaktion der Mutter verantwortlich gefühlt hatte.
Durch eine Inszenierung treten meist neue Aspekte einer Problematik zu Tage. Um diese neu gewonnenen Erkenntnisse besser kognitiv erfassen zu können,
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3 Psychodramatische Arrangements
wann die ProtagonistIn aufgefordert werden die Spielebene zu verlassen. Gemeinsam mit der LeiterIn werden die gemachten Erfahrungen besprochen, darauf aufbauend die weiteren Prozessziele bestätigt oder adaptiert und die zum Einsatz kommenden Arrangements abgestimmt. Im Fallbeispiel von Julian ändert sich ein Prozessziel. Jetzt steht die Tröstung des irritierten und verängstigten Knabens im Vordergrund, der den erwachsenen Julian in seiner Spontaneität und in seinem Rollenrepertoire einengt. Im gemeinsamen Suchen nach einer Ressource, die ihm damals die Situation erleichtert hätte, wird eine neue Szene entwickelt, bei der das Arrangement der Surplus-reality herangezogen wird. Denn es genügt nicht, dass Julian kognitiv erfasst, dass er am Streit der Eltern keinen Anteil hat, er muss es emotional erfahren. In dieser zweiten Szene übernimmt ein Hilfs-Ich die Rolle eines Spielzeugbären (der für Julian ein wichtiges Übergangsobjekt war), der in dieser Inszenierung sprechen kann. Er tröstet Julian und macht ihm die Situation verständlich. Durch diese beiden szenischen Darstellungen sind bereits zwei Prozessziele erreicht worden: die Rollenanalyse, durch die Julian erkennen konnte, welche inneren Anteile und früheren Denkmuster für sein heutiges Verhalten mitbestimmend sind, und die Tröstung früherer Verletzungen. Offen sind noch die Perspektivenerweiterung, also die Betrachtung der Situation aus den Augen seiner Mutter, und die Rollenerweiterung, die durch die Erprobung neuer Verhaltensmuster erreicht werden kann. Deshalb bietet die Therapeutin Julian an, seine bisher in diesem Spiel gemachten Erfahrungen zu nutzen und seine Bedürfnisse in einem Gespräch mit der Mutter einzufordern. Als Arrangement wird die Zukunftsprobe eingesetzt. Im klärenden Gespräch, das auf „neutralem Boden“ in einem Restaurant stattfindet, legt Julian der Mutter seine Gefühle und Bedürfnisse dar. Er versucht, seine Anliegen sehr sachlich vorzubringen, ohne dabei heftig zu werden. Durch Doppeln wird er seitens der ZuschauerInnen und der Co-Leitung unterstützt. Dann tauscht er in die Rolle der Mutter und erkennt durch diesen Perspektivenwechsel, dass seine Mutter nicht so fragil ist, wie er bisher angenommen hat, und eine sehr mächtige Position innehat. Mit diesen Erkenntnissen gewappnet, nimmt er wieder seine Rolle ein und kann nun viel bestimmter und selbstbewusster seine Forderungen darlegen.
Abschlussȱ Eine psychodramatische Aktion wird dann beendet, wenn die von der ProtagonistIn gestellte Frage befriedigend beantwortet wurde. Manchmal ist ein Ende auch dann angezeigt, wenn die zur Verfügung stehende Zeit um ist. Aus verschieden gearteten Gründen kann der Erfolg einer psychodramatischen Aktion
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ausbleiben, zum Beispiel, weil das Thema zu vielschichtig war oder weil die ProtagonistIn zur Klärung des Problems noch nicht bereit war. Worauf muss in diesem Fall geachtet, welche Maßnahmen können ergriffen werden? Die oberste Devise lautet, dass die ProtagonistIn nicht mit einer „offenen Wunde“ nach Hause geschickt werden darf. Um den Prozess zumindest notdürftig abzuschließen, kann, wenn alle Gruppenmitglieder damit einverstanden sind, eine Zeitverlängerung beschlossen werden. Diese sollte zum Finden von Ressourcen genutzt werden, die die ProtagonistIn bei der Bewältigung des noch nicht geklärten Problems unterstützen sollen, oder es kann in der Reflexionsphase besprochen werden, welche Faktoren dazu geführt haben, dass die Fragestellung nicht beantwortet werden konnte. Wenn in absehbarer Zeit eine weitere Sitzung stattfindet, kann auch an diesem Punkt ein Schnitt gemacht und die Aufarbeitung des Problems auf den nächsten Termin verschoben werden. Manchmal kann es auch im Rahmen eines anderen Settings, zum Beispiel in der Einzeltherapie, weiter bearbeitet werden (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005).
EntlassungȱderȱHilfsȬIcheȱausȱihrenȱRollenȱ(Entrollung)ȱundȱBühnenabbauȱ Nachdem beschlossen wurde, das psychodramatische Spiel zu beenden, entlässt die ProtagonistIn ihre MitspielerInnen aus ihren Rollen, psychodramatisch ausgedrückt: Sie werden entrollt. Dazu kann sich die ProtagonistIn bei jedem einzelnen Hilfs-Ich für die aktive Beteiligung an der Darstellung der Szene bedanken. Sie nennt dabei die richtigen Namen der MitspielerInnen. Auch die Bühne muss abgebaut werden. Diese Aufgabe sollte großteils von der ProtagonistIn selbst übernommen werden, damit sie selbst leichter wieder im Hier und Jetzt der Gruppensituation ankommen kann, aber auch, damit den Requisiten der Symbolwert genommen wird und sie wieder zu neutralen Einrichtungsgegenständen des Gruppenraumes werden. Zum Abschluss dieses Abschnittes werden kurz die gängigsten Arrangements angeführt, mit deren Hilfe die Thematik der ProtagonistIn auf der Bühne inszeniert werden kann. ReinszenierungȱbiografischerȱEreignisse:ȱ Das wohl bekannteste und im therapeutischen Bereich am häufigsten eingesetzte Arrangement ist die Darstellung biografischer Ereignisse. Hierbei wird eine bestimmte Begebenheit aus der Sicht der ProtagonistIn nachgespielt. Diese Szenen können vergangene Ereignisse darstellen (Streit des Fünfjährigen mit der Schwester), aber auch Ereignisse, die in der Zukunft liegen (die Lebensgestaltung der
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3 Psychodramatische Arrangements
ProtagonistIn nach der Pensionierung) oder Wunschszenen (z.B. eine Arbeitsstelle mit optimalen Bedingungen). Bietet die ProtagonistIn mehrere Szenen an, so ist jene zu wählen, die von der jeweiligen Person am emotionalsten besetzt ist, von der sie am längsten oder von der sie zuerst berichtet hat. Skulpturarbeit:ȱ Ein im protagonistInnenzentrierten Psychodrama beliebtes Arrangement ist die Arbeit mit Skulpturen. Dabei werden innere Befindlichkeiten oder Konflikte, aber auch Systeme, wie das einer Familie oder einer Organisation, symbolischabstrahierend dargestellt. Im Gegensatz zu einer bewegten psychodramatischen Inszenierung stellt die Skulptur ein Standbild dar. Auf diese Weise kann zum Beispiel der Gefühlszustand einer an Prüfungsangst leidenden Studentin dargestellt werden, indem unter Einsatz von Hilfs-Ichen die Symptome dieser Prüfungsangst als Standbild auf die Bühne gestellt werden. Einer mimt „das flaue Gefühl im Magen“, eine andere „die Blockade, die den Zugang zum Gelernten verwehrt“, ein Dritter „die innere Stimme, die der jungen Frau vermittelt, dass sie diese Prüfung auf keinen Fall bestehen wird“. Vor allem in der Organisationsberatung wird der Arbeit mit Skulpturen neben den Aufstellungen, die dem Bereich der Soziometrie zuzurechnen sind, eine große Bedeutung beigemessen, da dadurch schnell und effektiv Themen angegangen werden können. SzenischeȱAbbildungȱvonȱProzessverläufen:ȱ Für die Umsetzung eines Prozessschrittes kann es auch notwendig sein, nicht nur ein isoliertes Ereignis oder den Aufbau eines Systems zu betrachten, sondern sich mit Hilfe von time-lines mit Prozessverläufen auseinanderzusetzen. Das wären zum Beispiel die verschiedenen Lebensabschnitte und Entwicklungen einer Person oder unterschiedliche Phasen bei Umstrukturierungsmaßnahmen einer Firma. So können diese verschiedenen Abschnitte mit Tüchern oder Seilen symbolisiert werden und bedeutende Ereignisse mit Hilfs-Ichen oder Hilfs-Objekten besetzt werden. SurrealeȱArrangements:ȱ Surreale Arrangements kommen dann zum Einsatz, wenn die „reale Welt“ scheinbar keine befriedigende Antwort auf einen inneren Konflikt, auf ein ungerechtes Ereignis oder unzureichend Schutz bietet. Wird zum Beispiel eine Person bezüglich eines bestimmten Ereignisses schon lange Zeit von ambivalenten Gefühlen gequält, die sich nur schwer auflösen lassen, so können die daran betei-
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
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ligten Anteile auf der Psychodrama-Bühne zu einer Podiumsdiskussion geladen werden, die die Lösung des Problems zur Aufgabe hat. Frau Binder überlegt sich seit geraumer Zeit, ob sie ihren sicheren Arbeitsplatz, der mit viel Routine und einem geringen Gehalt verbunden ist, zugunsten einer neuen Tätigkeit aufgeben soll, die viel Ungewissheit, aber auch eine neue Herausforderung und vor allem ein höheres Entgelt bieten würde. Der Psychodrama-Leiter, Herr GrabȬ ner, schlägt ihr vor, die Argumente und Gefühle, die dafür und dagegen sprechen, mit Hilfs-Ichen zu besetzen und diese je nach Schweregrad zu gewichten. Dann wird mit der auf der Psychodrama-Bühne symbolisch errichteten Waage abgewogen, welche der Entscheidungsmöglichkeiten sich als gewichtiger herausstellt.
3.1.3
Integrationsphaseȱ(GesprächsphaseȱoderȱAbschlussphase)ȱ „Jetzt übernimmt das Gruppendrama, das Publikum die Führung der Darstellung.“ Moreno (1959)16
DieȱZieleȱderȱIntegrationsphaseȱ Das Ziel der Integrationsphase liegt – neben dem Abschluss von Prozessen durch die Erweiterung der Perspektiven – in der Übertragung der im psychodramatischen Spiel gewonnenen Erkenntnisse ins reale Leben. Dies wird durch die psychodramatischen Techniken des Rollen- und des Integrationsfeedbacks sowie des Sharings ermöglicht. In welcher Form Rollenfeedback und Sharing gegeben werden, unterliegt bestimmten Regeln, auf deren Einhaltung die Gruppenleitung zu achten hat (siehe dazu: Kapitel 4 Techniken). Dadurch soll verhindert werden, dass sich die ProtagonistIn durch heftiges Interpretieren oder Rationalisieren seitens der Gruppenmitglieder be- oder verurteilt fühlt (vgl. Leutz 1986). Im Regelfall wird zunächst ein Sharing abgefragt, darauf folgen Rollenfeedback und zuweilen das Identifikationsfeedback.
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Zitiert nach Hutter & Schwehm (2009)
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Abbildungȱ18:
3 Psychodramatische Arrangements
Ziele der Integrationsphaseȱ
Rollenfeedbackȱ Beim Rollenfeedback werden die MitspielerInnen gebeten, Rückmeldungen darüber zu geben, wie sie sich in den dargestellten Rollen gefühlt haben, welche Empfindungen im Vordergrund standen und welche Gefühlsregungen, Impulse und Gedanken sie in Bezug auf die ProtagonistIn bei sich wahrgenommen haben. Durch diese Feedbacks erfährt die ProtagonistIn im Sinne eines Perspektivenwechsels, welche Reaktionen ihre Verhaltensweisen und Interaktionen bei ihren Gegenübern ausgelöst haben. Ihr wird vermittelt, wie sie von anderen gesehen und erlebt wird, worin sich das Selbst- mit dem Fremdbild vergleichen lässt und wie nötige Korrekturen durchgeführt werden können. (Vonȱ Ameln,ȱ Gerstman,ȱ Kramer 2005) Das Rollenfeedback ist aber nicht nur für die ProtagonistIn von Nutzen, es dient auch den MitspielerInnen. Das Innehaben bestimmter Rollen ist ein sehr gefühlsbetontes Geschehen, oft fiebern die TeilnehmerInnen danach, die Erfahrungen, die sie dabei gemacht haben, mitzuteilen und damit auch eine Erleichterung zu erfahren. Je stärker bestimmte Rollen für TeilnehmerInnen emotional besetzt sind, desto mehr besteht ein Zusammenhang zwischen der Rolle, die sie gemimt haben, und den eigenen Themen; im Psychodrama spricht man in diesem Fall von einer starken Telebeziehung bezüglich dieser Rollen. Wird durch die übernommene Figur die eigene Thematik stark berührt, fällt es den Gruppenteil-
3.1 Das protagonistInnenzentrierte Psychodrama
85
nehmerInnen oftmals schwer, sich von diesen Rollen zu lösen, auch wenn sie nach dem ProtagonistInnenspiel fachgemäß entrollt wurden. So kann die LeiterIn an hochgradig emotionalen Wortmeldungen, aber auch an der Körpersprache und Mimik einzelner TeilnehmerInnen erkennen, wenn jemand noch aus der Sicht der zuvor übernommenen Rolle agiert. Diese Beobachtungen kann die Psychodrama-LeiterIn ansprechen und die Betroffenen beim Aussteigen aus der Rolle unterstützen. Oder sie kann der TeilnehmerIn das Feedback als Erwärmung für ein eigenes Thema spiegeln. Beim Aussteigen kann der Vorschlag hilfreich sein, sich „auszuschütteln“ oder sich um die eigene Achse zu drehen, um bewusst wieder die eigene Position einzunehmen.
Identifikationsfeedbackȱ Auch die ZuschauerInnen, also Personen, die in der Szene nicht als Hilfs-Ich zum Einsatz gekommen sind, können emotional ins Geschehen involviert gewesen sein, weil sie sich mit einer Rolle der psychodramatischen Darstellung identifiziert haben. Im Rahmen des Identifikationsfeedbacks können auch sie, neben den MitspielerInnen Auskunft geben, mit welcher Figur der Inszenierung sie am meisten emotional mitgeschwungen sind, welche Reaktionen für sie am stärksten nachvollziehbar waren und welche Rolle für sie am vertrautesten war. Dieses Identifikationsfeedback kann einerseits deutlich machen, dass TeilnehmerInnen für ein bestimmtes Thema sehr erwärmt sind und daraus ein weiteres ProtagonistInnenspiel entstehen könnte, andererseits erhält die ProtagonistIn dadurch auch wichtige Informationen, wie die Gefühls- und Gedankenwelt ihrer InteraktionspartnerInnen außerhalb dieser Gruppe aussehen könnte. Das Identifikationsfeedback ist nicht immer unproblematisch, da durch diese Technik die Wahrnehmung der ProtagonistIn auch stark in Frage gestellt werden kann, wenn zum Beispiel eine TeilnehmerIn durch die Identifikation mit der AntagonistInnenrolle deren Sichtweise vertritt. In der Integrationsphase ist die ProtagonistIn oft noch recht dünnhäutig und kann Identifikationen mit anderen, vor allem KonfliktpartnerInnen im Spiel schlecht ertragen. Daher wird im Sinne des ProtagonistInnenschutzes das Identifikationsfeedback nicht immer abgefragt. Renate, die bei Julians ProtagonistInnenspiel im Publikum saß, gibt folgendes Identifikationsfeedback: „Ich bin am meisten mit Julians Mutter mitgeschwungen: Ich habe ihre Kränkung aufgrund von Julians Reaktion förmlich am eigenen Leib gespürt.“
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3 Psychodramatische Arrangements
Sharingȱ Bei einem psychodramatischen Spiel werden viele Facetten der Persönlichkeit der ProtagonistIn sichtbar, auch solche, die sonst nicht allen Personen zugänglich sind, weil sie aus Gründen der Scham nicht gezeigt werden oder weil sie als Zeichen von Schwäche oder Unvermögen angesehen werden könnten und deshalb im Verborgenen gehalten werden. Manche ProtagonistInnen fühlen sich nach der Spielphase auch unbehaglich, weil sie aus ihrer Sicht viel Raum und Zeit innerhalb der Gruppe in Anspruch genommen haben. Sie benötigen nun die Unterstützung der anderen GruppenteilnehmerInnen (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005). Beim Sharing berichten die GruppenteilnehmerInnen von vergleichbaren Lebenserfahrungen oder Gefühlsregungen, wie sie die ProtagonistIn erlebt hat, zum Beispiel, dass ihnen auch etwas ähnlich Peinliches oder Ärgerliches widerfahren ist oder dass sie auch schon einmal mit ähnlichen Gefühlszuständen zu kämpfen hatten und wie sie damit umgegangen sind. Dabei hat die Leitung darauf zu achten, dass das Sharing aus eigenen Erlebnissen besteht, also in der Ich-Form formuliert wird, und dass es keine Ratschläge, Deutungen oder Bewertungen beinhaltet. Das Sharing dient einerseits der Entlastung der ProtagonistIn, und zwar dadurch, dass sie wahrnehmen kann, dass sie mit ihren Erlebnissen und Empfindungen nicht alleine ist, und andererseits der Entlastung der ZuschauerInnen, wenn sie – mitschwingend mit der ProtagonistIn – tiefe Gefühle erlebt haben, die nach außen drängen. Darüber hinaus dient es der Gruppenkohäsion, da das Teilen von tief gehenden Erfahrungen und Erkenntnissen im Normalfall den Gruppenzusammenhalt stärkt (Yalom 2005). Durch das Sharing erfolgt eine Wiedereingliederung der ProtagonistIn in den Kreis der Gruppe, da mit dem Sichtbarwerden der Probleme anderer der Grad der Aufmerksamkeit von der ProtagonistIn abgezogen und auf alle GruppenteilnehmerInnen gleichmäßiger verteilt wird. Nicht zuletzt kann sich aus dem Sharing das nachfolgende Thema oder die nächste ProtagonistIn heraus kristallisieren (HollensteinȬBurtscher 2004). ProcessingȱoderȱProzessanalyseȱ Als letzter Teil der Integrationsphase kann eine Prozessanalyse durchgeführt werden. In dieser wird das vorangegangene Gruppengeschehen aus dem Blickwinkel der theoretischen Grundmodelle des Psychodramas oder der Gruppendynamik betrachtet, wie zum Beispiel der Rollentheorie oder der Soziometrie (Leutz 1986). Mögliche Fragestellungen sind hierbei: WarumȱwurdeȱdiesesȱThemaȱgewählt?ȱWelchesȱ GruppenthemaȱwurdeȱmitȱdieserȱInszenierungȱstellvertretendȱbehandelt?ȱWelchenȱEinflussȱ hatteȱdieserȱLösungsansatzȱaufȱdieȱDynamikȱinȱderȱGruppe?
3.2 Das Rollenspiel
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Meist wird die Prozessanalyse an das Ende der übergeordneten Gruppeneinheit angehängt, z.B. an das Ende eines gesamten Kurses, und nicht unmittelbar an das Ende der Spieleinheit, da zu diesem Zeitpunkt die ProtagonistIn wie auch die gesamte Gruppe von ihrer affektiven Gestimmtheit her meist nicht offen für die kognitiven Vorgänge einer Prozessanalyse sind. Eine Ausnahme bilden hier Weiterbildungsgruppen, in denen die TeilnehmerInnen explizit lernen sollen, Gruppenprozesse auch kognitiv zu erfassen. Vom klassischen ProtagonistInnenspiel, bei dem eine ProtagonistIn in einer Gruppe ein Thema bearbeitet, kommen wir nun zu einem Vorgehen, das weniger ein spezielles Thema als vielmehr das Spielen an sich in den Fokus stellt.
3.2 DasȱRollenspielȱ Das Spielen in Rollen ist neben dem oben beschriebenen ProtagonistInnenspiel eines der Kernstücke des Psychodramas (Stadler und Spörrle 2008). Wie schon im Einführungskapitel erwähnt, fand Moreno vielfältige Zugänge zum Thema Rollenspiel. Er leitete selbst bereits sehr früh Rollenspiele mit Kindern und mit Erwachsenen, Rollenspiele mit vorgegebenen Rollen wie im Märchen oder spontan entstehende Rollenspiele ohne vorgegebenen Plot in seinem Stegreiftheater. Manche spielten bei ihm Rollen zu Trainingszwecken, andere als PatientInnen, um gesund zu werden, oder als Paare, um etwas über ihre Beziehung zu erfahren. Das Wort Rolle selbst leitet sich von der lateinischen „Rotula“ ab, was „Rädchen“ bedeutet; um die Holzrollen der Antike wurden Papyrusblätter gewickelt, damit diese nicht zerbrachen. Sie wurden in der Öffentlichkeit, bei Gericht und in den Vorläufern der Parlamente als Textträger verwendet. Später fanden sie vor allem für längere Texte im Theater Verwendung, damit die DarstellerInnen sich ihre Texte einfacher merken konnten. Die Betrachtung der Menschen in Rollen, also in dem, was sie situativ als Handlungsvorlage bzw. im Theater als Textvorlage haben, hatte also schon eine längere Tradition, bevor Soziologie und Psychologie sie entdeckten. So schrieb Montaigne: „IchȱgebeȱmeinerȱSeeleȱbaldȱdieses,ȱbaldȱjenesȱ Gesicht,ȱ jeȱ nachȱ welcherȱ Seiteȱ ichȱ esȱ wende.ȱ Wennȱ ichȱ unterschiedlichȱ vonȱ mirȱ spreche,ȱ dannȱdeswegen,ȱweilȱichȱmichȱalsȱunterschiedlichȱbetrachte.“ (nach Keupp 2004: 1) Auch Nietzsche greift diesen Blick auf den Menschen auf: „Scharfȱundȱmilde,ȱgrobȱundȱfein,ȱ vertrautȱundȱseltsam,ȱschmutzigȱundȱrein,ȱderȱNarrenȱundȱWeisenȱStelldichein:ȱDiesȱAllesȱ binȱich,ȱwillȱichȱsein,ȱTaubeȱzugleich,ȱSchlangeȱundȱSchwein.“ (nach Keupp 2004: 2) Aus den beiden Zitaten wird deutlich, dass die rollenspezifische Betrachtung des Menschen und auch der Wechsel in ganz unterschiedliche Rollen und Identitäten nicht erst eine Entdeckung des letzten Jahrhunderts waren.
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3 Psychodramatische Arrangements
Der Mensch kann aber nicht nur in Rollen betrachtet werden, sondern er kann auch in Rollen spielenȱ (Erfahrungsdimension). Im frühen kulturellen Kontext tauchen Rollenspiele in unterschiedlichen Gesellschaften als Rituale auf, zum Beispiel in religiösen Zusammenhängen. Der amerikanische Psychodramatiker Kipperȱ berichtet, dass diese frühen Rollenspiele meist mit der Bewältigung von Hilflosigkeits- und Unsicherheitsgefühlen assoziiert wurden. Sie dienten auch zur Reduzierung von unkomfortablen Gefühlen, etwa von Furcht oder unstillbaren Sehnsüchten; ebenso wurden sie mit Heilung und mit gegenseitigem Verständnis in Verbindung gebracht. Das Rollenspiel befriedigte damit von Anbeginn grundlegende psychologische Bedürfnisse und erfüllte gleichzeitig wertvolle therapeutische Qualitäten (Kipper 1996: 101). Nicht nur in der Phylogenese, also der Menschheitsgeschichte, auch in der Ontogenese, also der Entwicklungsgeschichte eines einzelnen Menschen, tauchen Rollenspiele früh auf, nämlich zwischen dem 8. und 16. Lebensmonat (Stern 2000: 25). In den ersten Lebensjahren, etwa bis zur Einschulung, ist es jedoch für Kinder uninteressant, sich selbst zu spielen. Wenn sie sich selbst spielen, dann mit veränderten Eigenschaften, also in einer anderen Rolle. Dabei werden zunächst einzelne Interaktionen nachgeahmt; in einem weiteren Entwicklungsschritt werden Rollen mit komplexeren Interaktionsmustern mitsamt dem dazugehörigen Handlungsrepertoire übernommen. Als letzter Schritt werden nicht nur die Rollen, sondern auch das dazugehörige Regelwerk gespielt. Zum Beispiel wird zunächst eine Mama gespielt, dann eine Mama, die erst Essen kocht, dann in die Arbeit fährt, dann vielleicht ein älteres Geschwisterkind aus dem Kindergarten abholt. Mit zunehmender Reife der Kinder werden Rollen realitätsnäher und vollständiger übernommen. Diese Entwicklungsschritte haben Bedeutung für die störungsspezifische Anwendung des Rollenspiels im therapeutischen und beraterischen Kontext, worauf später noch eingegangen wird. Jeder Mensch hat also im Laufe seines Lebens Erfahrungen mit Rollenspielen gemacht und daher auch mehr oder weniger konkrete Vorstellungen vom Rollenspiel. Bei den meisten basieren diese Erfahrungen auf kindlichen Varianten des Rollenspiels. Jedoch sind zunehmend, insbesondere bei jüngeren Erwachsenen, auch computerbasierte Rollenspiele verbreitet, bei denen eine mehr oder weniger entfremdete, virtuelle Repräsentanz des eigenen Selbst, ein sogenannter Avatar, die SpielerIn in einer Fantasiewelt vertritt. Im Erwachsenenalter werden zudem in vielen Berufsausbildungen Rollenspiele eingesetzt. Ein Beispiel, welches von Morenos Anwendungen überliefert ist, beschreibt eine Rollenspielsituation, in der VerkäuferInnen zu Trainingszwecken eine Rolle spielen; eine Frau spielt eine potentielle Kundin, die in einem Geschäft einen Hut aussucht, während eine andere die Rolle der Freundin übernimmt, die an keinem
3.2 Das Rollenspiel
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der Hüte Gefallen finden kann, und die dritte stellt eine Verkäuferin dar, deren Aufgabe es ist, sich mit der beratenden Freundin auseinanderzusetzen und dennoch einen Hut zu verkaufen. Die spielerische Darstellung hatte einen starken positiven Einfluss auf das Klima bei der späteren, realen Verkaufssituation im Geschäft (Moreno 1988: 148). Neben dieser Art des Einsatzes gab es bei Moreno auch regelrechten Rollenspielunterricht, wo er in großen Einheiten, z. B. mit 40 bis 50 Personen, Übungskurse abhielt, in denen die teilnehmenden Personen mehrere Tage in ihren Rollen blieben und dabei ein kleines Schild mit den Namen ihrer Rollen um den Hals trugen. Man kann sich vorstellen, wie intensiv so etwas wirkt. Der Schauspieler Danielȱ DayȬLewis, bekannt unter anderem durch seine Rollen in „DerȱletzteȱMohikaner“,ȱ„GangsȱofȱNewȱYork“,ȱ„MeinȱlinkerȱFuß“ȱoder „Thereȱwillȱbeȱblood“, kann seine Filmrollen unter anderem deswegen so überzeugend darstellen, weil er nach eigener Aussage für die Dauer des Drehs ständig in seiner Filmrolle bleibt. Möchte man Rollenspiel definieren, wird man bei dem Schweizer Pädagogen und Psychodramatiker Schaller fündig. Er beschreibt Rollenspiel allgemein als „[…]ȱ forschendes,ȱ problemorientiertesȱ Lernen,ȱ beiȱ demȱ Fehlerȱ undȱ Misserfolgȱ alsȱ Lernchanceȱ angesehenȱ werdenȱ […]ȱ Inȱ diesemȱ Sinneȱ istȱ Rollenspielȱ einȱ Instrumentȱ zurȱ Weiterentwicklungȱ desȱ Selbstmanagements.“ (Schaller 2006: 9f) In der englischsprachigen und vor allem älteren Psychodrama-Literatur werden beim Thema Rollenspiel häufig drei Dimensionen des Rollenhandelns unterschieden (nach ZeintlingerȬHochreiterȱ1996): Das „role-taking“ oder „role-enactment“: Hierunter wird die Übernahme einer vollständig vorgegebenen Rolle ohne Variationsfreiheit verstanden. Das „role-playing“: Das Rollenspielen im engeren Sinn ist das Spiel einer vorgegebenen Rolle, wobei ein gewisser Grad an freier Gestaltung möglich ist. Das „role-creating“: Hierbei handelt es sich um eine schöpferische Gestaltung, also um eine Erfindung neuen Rollenverhaltens mit einem hohen Grad an Gestaltungsfreiheit.
Die Dimensionen variieren vor allem in den Freiheitsgraden der RollenspielerInnen: Wie viel ist vorgegeben, bzw. wie viel kann frei selbst gestaltet werden. Anhand einiger prototypischer Beispiele soll im Folgenden das psychodramatische Rollenspiel kurz veranschaulicht werden. Alexander (A) hat bisher Erfahrungen in mehreren Rollen gemacht, bevor er im Rahmen eines Psychodrama-Coachings mit weiteren Rollen konfrontiert wird. Seine bisherigen sozialen Rollen sind: Partner und Geliebter seiner Freundin, Vater eines Sohnes, Sohn seiner Eltern, Studienabsolvent, Mieter einer kleinen Wohnung, Freund, Fußballspieler in einem Verein. Wenn man den psychischen Zustand eben-
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3 Psychodramatische Arrangements
falls als Rolle beschreiben möchte, so wie dies zuweilen im therapeutischen Kontext des Psychodramas geschieht, könnte sein psychisches Rollenrepertoire wie folgt beschrieben werden: Es zeichnet sich aktuell besonders durch die Rolle des Unruhigen aus, da er sich demnächst in einer Firma als Diplom-Ingenieur vorstellen wird und der Gedanke an den Start ins Berufsleben ihm Sorge bereitet. Weitere vorhandene psychische Rollen sind der Fürsorgliche und der Kollegiale. Im Rahmen eines verhaltenstrainierenden Coachings werden ihm fünf zusätzliche Rollen vorgeschlagen, in denen er probehandelnd tätig werden soll: guter Erklärer, Diplom-Ingenieur, ideenreicher Kollege, kämpfender Freizeitsportler und Netzwerker (siehe Abb. 19). Indem Alexander die neuen Rollen einnimmt, in ihnen aktiv spielt, erweitert er zum einen sein Rollenrepertoire und es fällt ihm auch dadurch leichter, zu einem späteren Zeitpunkt Rollen in anderen Zusammenhängen zu übernehmen (MannȱundȱMann 1959). Durch häufiges Wiederholen von gespielten Rollen werden neuronale Netzwerke geschaffen und gefestigt (Hüther 2008), die Alexander im späteren Vorstellungsgespräch hilfreich sein können. Die neuen Rollen dürfen ihm dabei nicht zu fremd, zu ich-dyston sein, sonst können neue Anknüpfungen nicht dauerhaft gelingen; es wäre dann nur ein Spielen als-ob ohne Effekt. Der Coaching-Prozess verläuft in der Regel mehrstufig: Zunächst fragt der Coach, wie die neue Rolle aussehen könnte. Danach zeigt der Coach, wie er die Beschreibung der Rolle durch den Coachee verstanden hat; dadurch sieht Alexander, wie die Rolle in einem erfolgreich verlaufenden Gespräch somatisch gefüllt werden kann. Damit werden bei ihm bereits entsprechende Hirnareale über die Spiegelneuronen ohne eigenes aktives Verhalten seinerseits aktiviert (Storch 2006). Im anschließenden eigenen Rollenspiel sammelt Alexander somato-psychisch Erfahrungen in den unterschiedlichen Rollen und ankert diese in seinem RollenȬ Selbst, sie werden damit Teil seines soziokulturellenȱAtoms. Dieses Vorgehen wird mittlerweile auch in der neurologischen Rehabilitation von SchlaganfallpatientInnen eingesetzt. Diese können, nachdem ihnen gelungene Bewegungsabläufe anderer Personen in Videosequenzen gezeigt werden, die sie selbst erst noch wieder erlernen müssen, deutlich schneller ihre Defizite kompensieren. Alexander verlagert in dem beschriebenen Beispiel sein Gewicht von der Rolle des Studienabgängers hin zum Diplom-Ingenieur in einem konkreten Berufsfeld. Obwohl dies im Sinne einer Zukunftshandlung via Rollenspiel geschehen ist, also im „als-ob“-Modus, kann er Erfahrungen dazu abspeichern. Im Rollenspiel nimmt er bereits die Hürde, die im realen Leben noch vor ihm liegt. Im strengen Sinne ist hier ein Rollenwechsel vollzogen worden, da die Rolle bislang außerhalb seines Rollenrepertoires lag. Die Rolle des Studienabgängers beginnt schwächer zu werden, da sie nicht mehr genutzt, also hirnphysiologisch abgeru-
3.2 Das Rollenspiel
91
fen wird. Die Verkörperung oder wie die Psychodramatikerin Storch (2006) es neudeutsch nennt, das Embodiment, ist ein wesentlicher und äußerst effizienter Bestandteil des Rollenspieles.
Rollenerweiterung 1: guter Erklärer
Rollenerweiterung 5: Netzwerker
Kern-Selbst von A mit einer bestimmten Anzahl bereits bestehender Rollen
Rollenerw. 4: kämpfender Freizeitsportler
Abbildungȱ19:
Rollenerweiterung 2: Dipl.-Ingenieur
Rollenerweiterung 3: ideenreicher Kollege
Rollentraining im Coaching
Das oben beschriebene Beispiel von Alexander zeigt die einfachste Variante eines Rollenspieles: das Spielen (in) einer neuen Rolle. Rollenspiel ist jedoch auch in der Form möglich, dass eine Person, unser Beispiel zeigt Christine, eine bestimmte Rolle einer anderen Person, Dorothea, spielt.
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3 Psychodramatische Arrangements
Depressive Spiel in der Rolle eines Persönlichkeitsanteils einer anderen Person Geliebte
Betriebswirtin Dorotheaȱ
Leitende Angestellte
Abbildungȱ20:
Tochter
Christineȱ mit ihrem kulturellen Atom
Rollenspiel in einer Rolle einer anderen Person
Christine spielt in der Beispielgrafik einen Anteil, eine bestimmte Rolle von DoroȬ thea, nämlich die Rolle der Geliebten. Es wäre hier ebenso möglich, dass Christine einen anderen Anteil spielt, etwa die Tochter oder die Angestellte. Es wäre auch möglich, dass die verschiedenen Rollen Dorotheas von verschiedenen MitspielerInnen oder RollenträgerInnen gleichzeitig übernommen würden. In diesem Fall wäre aber Dorothea die Protagonistin und würde die Rollenträgerin wählen. Welche Variante zum Zug kommt, hängt von der Fragestellung ab, die gerade behandelt werden soll. Für Dorothea als Protagonistin könnte es interessant sein, ihre verschiedenen Rollen einmal lebendig zu erleben und zu befragen. Für ChrisȬ tine als Protagonistin könnte es interessant sein, andere, ihr bislang fremde Rollen auszuprobieren, die sie bei Dorothea bewundert. Häufig wird eine Person in eine bestimmte Rolle gewählt, weil die Wählende erkennt, dass die gewählte Person genau die passende Rolle in ihrem RollenRepertoire oder kulturellem Atom zur Verfügung hat. Dorothea als Protagonistin würde in dem Beispiel Christine als Verkörperung ihrer Geliebten-Rolle wählen, weil sie unbewusst wahrnimmt, dass Christine zu dieser Rolle selbst einen starken Bezug hat, und diese demnach für Dorothea am geeignetesten verkörpern kann.
3.2 Das Rollenspiel
93
Schachspieler
Schreinerȱ
Ehemann
Franzȱ mit seinem kulturellen Atom
Georgȱ
Geselle
Abbildungȱ21:
Sohn
Rollenspiel in der Rolle eines anderen
Eine weitere Möglichkeit eines psychodramatischen Rollenspiels ist in Abb. 21 dargestellt. Franz spielt dort die Rolle von Georg. Er spielt damit nicht nur einen Anteil, eine Rolle aus dem kulturellen Atom von Georg, sondern Franz spielt Georg. Hier sprechen wir klassischerweise von einem Rollenwechsel. Wenn zusätzlich Georg auch noch Franz spielt, wird von einem reziprokenȱRollenwechsel, von einem Rollentausch, gesprochen. Es handelt sich dabei immer noch um ein Rollenspiel, aber es ist um zusätzliche Komponenten erweitert worden. Vollständig müsste dieses Vorgehen eigentlich Rollenspiel im Rollenwechsel bzw. Rollentausch bezeichnet werden. Der Rollenvielfalt, die eingenommen werden kann, ist theoretisch keine Grenze gesetzt. Einzig in den einzelnen RollenträgerInnen sind Realisierungsgrenzen vorhanden. Die meisten Menschen aktivieren in ihren Alltagsroutinen nur eine kleine Anzahl von Rollen, wären aber durchaus in der Lage, im Rahmen eines Rollenspieles deutlich mehr und verschiedenartige Rollen einzunehmen. Dieses Spiel in einer im Alltag nicht gewohnten Rolle bringt in den jeweiligen RollenspielerInnen Kreativitätsprozesse in Gang, die Auswirkungen auf den gesamten Menschen haben, nicht nur auf die augenblickliche Situation. Die oben genannten Beispiele beziehen sich alle auf Rollenspiele einzelner ProtagonistInnen im Psychodrama mit und ohne Gruppe. D.h. eine Person spielt,
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3 Psychodramatische Arrangements
die anderen sind ZuschauerInnen. Es gibt im Psychodrama aber auch Rollenspiel in der Gesamtgruppe. Hierbei spielen in der Regel alle Personen einer Gruppe gleichzeitig. Es folgen einige Beispiele, welche sich auf das Rollenspiel einer Gruppe beziehen. 1.
2. 3. 4.
Ein Stationsteam eines Krankenhauses kommt zu einer Supervisionssitzung und möchte eine Konfliktsituation im Team bearbeiten. Der Supervisor fordert die Beteiligten auf, die Situation, in der der Konflikt entstand, nachzuspielen; jede teilnehmende Person nimmt dabei ihre eigene Rolle ein. In derselben Supervisionssitzung bittet der Supervisor das Team, eine mögliche Lösung des Konfliktes im Stegreif zu spielen. In einer Weiterbildungsgruppe bittet die Leiterin die TeilnehmerInnen, sich eine Rolle aus einem vorgegebenen Märchen zu wählen und diese Rolle zu spielen. In einem Verband sollen Ziele bezüglich zukünftiger Marketingstrategien erarbeitet werden. Die Mitglieder teilen sich in drei verschiedene Untergruppen (Anbietende, KundInnen und Produkt) und spielen soziodramatisch in den durch die Untergruppen definierten Rollen.
Was durch die vier Beispiele deutlich wird, ist die Tatsache, dass es Rollenspiel in eigener und anderer,ȱ bzw.ȱ fremderȱ Rolle gibt, und dass es Rollenspiel in vorher festgelegten Rollen mit oder ohne definierte Regeln – psychodramatisch: Konserven – und in der Stegreifsituation geben kann. Schaller unterscheidet zusätzlich zwischen Rollenspielen mit pädagogischer und solchen mit psychologischer Zielsetzung (Schaller 2006: 67). Die Übergänge können teilweise fließend sein: Die TeilnehmerInnen der Weiterbildungsgruppe aus Beispiel 3 können in der festgelegten Rolle einer Märchenfigur beginnen, im Laufe des Spieles jedoch die Rolle verändern, ihr eine eigene Note geben. Oder ein verkaufstrainierendes, also pädagogisches Rollenspiel wird psychologisch nachbesprochen: Die TeilnehmerInnen werden befragt, inwieweit sie sich bei welchen Szenen gehemmt oder besonders frei fühlten und ob darin Bezüge zu anderen lebensgeschichtlichen Situationen enthalten waren. Stadler und Spörrle (2008: 182) haben den Versuch unternommen, das psychodramatische Rollenspiel anhand der oben genannten Unterscheidungen zu kategorisieren, wobei die Unterscheidung pädagogisch/psychologisch nicht aufgenommen wurde. In der Tabelle wird Bezug genommen auf die unterschiedlichen Bezeichnungen bei Moreno, Krüger und denen des englischsprachigen Raumes.
3.2 Das Rollenspiel
95 Beispieleȱ Mit festgelegter Handlung
ȱ Mitȱfestgelegterȱȱ Handlungȱ Diktion nach Moreno Diktion nach Krüger englische Bezeichnung ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ Handelnȱinȱ eigenerȱRolleȱ
ȱ Konserveȱ gebundeneȱKreativität roleȬtaking,ȱ roleȬenactmentȱ x Soziales, kulturelles und soziokulturelles Atom x Vignette und ProtagonistInnenspiel in der Rolle der ProtagonistIn x Probehandeln in festgelegtem Setting und Ablauf
ȱ
ȱ ȱ ȱ ȱ Handelnȱinȱ derȱRolleȱdesȱ anderenȱ
x Nachahmendes Spiel, Perspektiven- und Rollenübernahme einer vorgegebenen Rolle x Spiel im Rollenwechsel
ȱ ȱ ȱ Handelnȱalsȱ Gruppeȱ
x Gemeinsame Rollenübernahme bei festgelegter Handlung
x Handeln in der Mitspiel- oder AntagonistInnenrolle x Anti-Rollenspiel x „Wie hat das Ihre Frau/Kollegin gemacht?“ x PlaybackTheater x Märchenspiel x Bibliodrama x Soziodrama x „lebende Zeitung“ x Nachspielen einer Teamsituation als Team
Tabelleȱ11:
ȱ
x Klassische ProtagonistIn in Szenen der Vergangenheit, Gegenwart oder definierter Zukunft x „Können Sie mir bitte zeigen, wie Sie das machen…“ x Handpuppenspiel
Beispieleȱ Ohne festgelegte Handlung
ȱ Ohneȱfestgelegteȱ Handlungȱ ȱ Stegreifȱ ȱ freieȱKreativität ȱ roleȬcreatingȱ x Geschichte imaginieren / erfinden und spielen x Stegreifspiele in eigener Rolle x SpontaneitätsȬ test: auf Zuruf spontan eine eigene Rolle spielen
x Stegreifspiel bei vorgegebener Ausgangslage und/oder vorgegebenem Rolleninventar x spontanes Spiel in Mitspiel- und AntagonistInnenposition x Gemeinsames StegreifGruppenspiel bei freier oder festgelegter Ausgangslage
ȱ
x Narration und GeschichtenErfinden im protagonistInnenzentrierten Spiel mit oder ohne klar definierte Ausgangslage x „Wie könnte das möglicherweise aussehen?“ x Handpuppenspiel x „Wie würde es aussehen, wenn Ihr Chef für Sie optimal reagieren würde?“ x „Könnten Sie spontan aus der Rolle heraus handeln…“ x Klassisches Stegreifspiel in Gruppensituation x Soziodrama
Kategorisierung von psychodramatischen Rollenspielen
Das psychodramatische Rollenspiel ist in seiner Vielfalt immer ein äußerst wirkungsvolles Arrangement, da durch seine Anwendung ein neuronales Korrelat des Handlungsmusters bei demjenigen geschaffen wird, der die Handlung ausführt; ebenso in den Köpfen der MitspielerInnen, der Psychodrama-LeiterIn und der ZuschauerInnen; letztere über deren Spiegelneuronen (Becker 2008: 28ff). Im
96
3 Psychodramatische Arrangements
Rollenspiel werden motorische, sensorische und affektive Muster, seien es bekannte, seien es neue, aktiviert. Die neu geschaffenen Muster wiederum beeinflussen alle mit diesen in Verbindung stehenden Verschaltungen, was die Neurobiologie als Kopplung bezeichnet (Hüther 2005 und 2006). Dabei wirken Handlungsmuster, die öfters wiederholt und dadurch gestärkt werden, stärker handlungsleitend als nur einmalig geübte Handlungsabläufe. Dies bedeutet, dass für Rollenspiele die Wiederholung von entscheidender Bedeutung ist. So wie die Kinder in ihrer Entwicklung Rollen spielen, bis sie internalisiert oder neuronal repräsentiert sind, bzw. bis das enthaltene Thema „erledigt“ ist, so ist auch beim psychodramatischen Rollenspiel im beraterischen oder therapeutischen Kontext die Wiederholung elementar für eine stabile Verankerung.
3.3 DasȱGruppenspielȱ An dieser Stelle soll noch einmal explizit auf das Arrangement Gruppenspiel eingegangen werden, auch wenn es in der Systematik des Rollenspiels bereits Erwähnung gefunden hat. Wie im einführenden Kapitel beschrieben, wurden das Psychodrama und die Gruppe lange Zeit als Junktim betrachtet. Historisch gesehen hat Moreno beides verbunden, jedoch im psychotherapeutischen Kontext meist eine Psychotherapie in der Gruppe durchgeführt. Dabei haben professionelle Hilfs-Iche, also besonders geeignete MitarbeiterInnen von Moreno, die Gruppe gebildet und die Rollen der MitspielerInnen übernommen. Dass Psychodrama nicht notwendig ein Gruppenverfahren sein muss, hat sich erst in den letzten fünfzehn Jahren in der Theoriebildung niedergeschlagen. Im deutschsprachigen Raum ist es Krüger (1997) und ErlacherȬFarkas und Jorda (1996) zu verdanken, dass das Psychodrama auch als Einzelverfahren in den Blick gerückt ist. Während im vorhergehenden Abschnitt zum Protagonistenspiel deutlich wurde, welche Rolle die Gruppe für das protagonistInnenzentrierte Vorgehen hat, widmet sich der nun folgende Abschnitt ausschließlich dem Psychodrama als Gruppenverfahren, und hierbei dem sogenannten Gruppenspiel. Wie der Name unschwer erkennen lässt, sind hier alle GruppenteilnehmerInnen auf der Bühne, d.h. im Spiel. Es soll zunächst eine Systematik vorgestellt werden, die Gruppenspiele auf zwei Achsen unterscheidet, wobei die eine Achse den FreiheitsgradȱderȱHandlung abbildet, den wir bereits im vorhergehenden Abschnitt beschrieben haben, und die andere Achse den OrtȱderȱEntscheidungȱfürȱdieȱRollenwahl kennzeichnet.
3.3 Das Gruppenspiel
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selbst gewählte Rolle Maximale Autonomie
1ȱ
2
StegreifSpiel
kulturelle Konserve
3ȱ
4 Maximale Anpassung
fremdbestimmte oder zugewiesene Rolle
Abbildungȱ22:
Einteilung des Gruppenspieles
Betrachten wir nun die vier Quadranten anhand von Beispielen: 1.
Nina, die Gruppenleiterin, soll für ein kleines, neu zusammengestelltes Projekt-Team die Teamfähigkeit verbessern. Dazu möchte sie zunächst verstehen, wie die Beziehungen, die Interaktionen und der Zusammenhalt innerhalb des Teams sind. Sie gibt die Anweisung: „BitteȱstellenȱSieȱsichȱvor,ȱSieȱbeȬ findenȱsichȱanȱeinemȱBahnhof.ȱEsȱistȱ8ȱUhrȱmorgens.ȱÜberlegenȱSieȱsichȱeineȱRolle,ȱ dieȱSieȱeinnehmenȱmöchten.ȱSieȱhabenȱnunȱalleȱgemeinsamȱ20ȱMinutenȱZeit,ȱinȱdieȬ serȱ Rolleȱ Erfahrungenȱ zuȱ sammeln.ȱ Wirȱ machenȱ danachȱ eineȱ kurzeȱ NachbespreȬ chung.ȱIchȱgebeȱIhnenȱeinȱSignal,ȱwennȱdasȱSpielȱnochȱ3ȱMinutenȱdauert.“ Markus, einer der Teilnehmer, nimmt die selbst gewählte Rolle Reiseleiter im beginnenden Stegreifspiel ein. Luisa wählt die Rolle einer pubertierendenȱ JugendliȬ chen, die nicht mit ihrer Mutter verreisen möchte. Klara entscheidet sich spontan für die Rolle der Mutter des pubertierenden Mädchens. Jan nimmt die Rolle des Schaffners ein. Die Gruppenleiterin erfährt so, dass Markus in neuen Situationen eher zu strukturierenden Handlungsmustern greift, Luisa gerne der AdvocatusȱDiaboli ist, Klara gerne fürsorgliche Rollen im Team einnimmt und Jan sich gerne mit Controlling beschäftigt. Selbstverständlich
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2.
3.
4.
3 Psychodramatische Arrangements
sind dies zunächst Arbeitshypothesen, die in der Nachbesprechung abgeklärt werden müssen. In einer Weiterbildungsgruppe für PsychotherapeutInnen entscheidet sich die Gruppe, das Märchen Der Froschkönig zu spielen. Nach dem Vorlesen des Textes werden die vorkommenden Rollen gesammelt, auf ein Flipchart geschrieben und jedeTeilnehmerIn sucht sich eine Rolle. Bernd meldet sich für die Rolle des Frosches, Karola für die Rolle der Prinzessin und Andrea für die Rolle des Vaters. So werden alle Rollen nach und nach verteilt. Nachdem jede eine Rolle hat, wird das Märchen nachgespielt. In der Nachbesprechung geht es auf Gruppenebene darum, warum die Gruppe gerade dieses Märchen gewählt hat, und auf individueller Ebene, warum Bernd gerade die Froschrolle wollte, Karola die der Prinzessin usw. Es wird auch untersucht, was für die SpielerInnen in ihren Rollen an neuen Handlungsmustern enthalten war und welche Handlungsweisen aus der Märchenrolle sie aus ihrem Leben gut kennen. In einer PatientInnengruppe einer Suchtklinik geht es darum, sich mit unliebsamen, auch zum Teil abgespaltenen Anteilen zu beschäftigen. Die Gruppe überlegt sich daher gemeinsam, welche Rolle jede TeilnehmerIn einnehmen könnte. Petra, eine ansonsten eher harmonisierende, junge Frau wird von der Gruppe mit der Rolle lautȱ brüllenderȱ Hooligan bedacht. Die Gruppe möchte, dass Petra eine ihrer AntiȬRollen kennenlernt. Kai, ein Lehrling in der Gastronomie, der in der Gruppe als sehr vermittelnd erlebt wird, bekommt von der Gruppe die Rolle des fürsorglichenȱPaters zugeschrieben. Hier ist die Absicht der Gruppe, Kai durch Übertreibung einer bei ihm bereits vorhandenen Rolle zu provozieren, damit er auch seine – bislang nicht gelebten, aber für die Gruppe spürbaren – aggressiven Seiten entdecken kann. Auf einer Station in einem psychiatrischen Krankenhaus wird in der wöchentlich stattfindenden psychodramatischen Gruppe für Menschen mit Psychose-Erfahrung ein Gruppenspiel vereinbart. Am Abend zuvor hatten alle gemeinsam den Film KönigȱArthur gesehen. Manuel, der Stationspsychologe, schlägt der psychodrama-erfahrenen Gruppe vor, sie solle ihm kurz die Handlung des Filmes szenisch zeigen. „Wer könnte denn den KönigȱArȬ thur spielen?“ Die Gruppe schlägt spontan Ernst vor. Dieser nimmt die Rolle gerne an. Die ansonsten aggressiv eher gehemmte Gruppe der Psychosebetroffenen, die zusätzlich noch durch Neuroleptika sediert sind, kann so lustvoll symbolische Erfahrungen mit aggressiven Seiten sammeln. In der Nachbesprechung wird deutlich, wie schwer es den PatientInnen im Alltag fällt, auch einmal etwas aggressiver nach außen aufzutreten. Ernst überlegt, dass es vielleicht gut wäre, ab und zu ein kleines bisschen von KönigȱArthurs Wut und Kraft zu haben.
3.3 Das Gruppenspiel
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Ablaufȱ Die vier unterschiedlichen Beispiele für das psychodramatische Gruppenspiel haben ein paar Gemeinsamkeiten. Zunächst im Ablauf: Begonnen wird die Gruppenspielsitzung wie bereits im protagonistInnenzentrierten Vorgehen mit der Phase der Erwärmung. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nur so viel Anwärmung wie nötig eingesetzt wird. Anwärmung ist kein Selbstzweck, sondern wird nur in dem Maße von der LeiterIn vorgeschlagen, wie die Gruppe noch nicht bereit wäre, sich mit dem nun anstehenden Thema zu beschäftigen. Das unter 1 genannte Team zum Beispiel ist zum Zweck der Teambildung zusammen. Nach einem Eröffnungscafé und einer kurzen Vorstellung aller TeilnehmerInnen ist der LeiterIn klar, dass die Gruppe bereit ist, gleich in Aktion zu gehen. Hier wäre eine weitere Anwärmung kontraproduktiv. Anders verhält es sich in Beispiel 2, der Weiterbildungsgruppe. Die gemeinsame Auswahl des Märchens sowie das Vorlesen wärmen auch die nichtmärchen-versierten Gruppenmitglieder für das Thema an. Auch im Beispiel 3 der Suchtgruppe kann eine körperliche Anwärmung hilfreich sein. Die TeilnehmerInnen werden von der Leitung aufgefordert, sich entsprechend ihrem Gefühlszustand durch den Raum zu bewegen (schnell, langsam, träge, gebeugt, etc.); danach sollen sie sich genau entgegen ihrem augenblicklichen Befinden bewegen. Die zuvor Trägen wären nun die Dynamischen, wer zuvor gebeugt ging, geht nun bewusst aufrecht durch den Raum. Als letztes werden sie gebeten, einmal ganz bewusst die anderen Gruppenmitglieder im Raum zu betrachten. Mit dieser kurzen Abfolge wäre einerseits das Thema RolleȬ Antirolle, andererseits das RollenȬZuweisen erwärmt. Neben der Phase der Anwärmung ist den Gruppenspielen auch gemeinsam, dass die LeiterIn zu Beginn der Spielphase einige Regeln benennt.
Begrenzung der Bühne und Definition eines Raumes, wo sich die GruppenspielerInnen zurückziehen können, wenn sie eine „Auszeit“ brauchen. Nennung des zeitlichen Rahmens (durchschnittliche Spieldauer 30 Minuten). Benennung körperlicher Grenzen: keine reale Gewaltanwendung und keine reale Berührung primärer und sekundärer Geschlechtsorgane. Möglichkeit, die Rolle zu verändern. Möglichkeit, sich mit evtl. vorhandenem Material zu „verkleiden“.
100
3 Psychodramatische Arrangements
In der Spielphase achtet die LeiterIn darauf, dass möglichst alle im Spiel sind. D.h. sie kann evtl. auch kurzfristig selbst eine Rolle einnehmen, um einer spielgehemmten MitspielerIn in den Spielfluss zu helfen. Daneben achtet sie darauf, dass in den beiden Stegreifvarianten niemand symbolisch getötet wird. In den kulturellen Konserven dagegen finden sich häufig Personen (Rollen), die sterben, wie etwa die leibliche Mutter im Märchen Schneewittchen. Hier ist in der Nachspielphase besonders darauf zu achten, dass die SpielerInnen gut entrollt werden. Spiele können unterschiedlich lange dauern. Es ist wichtig, nicht beim ersten Abflachen der Spieldynamik gleich das Signal zum Beenden des Spiels zu geben. Häufig befindet sich die Gruppe hier in einer vorspontanen Phase, die zu einer Vertiefung führt. Ein bisschen Frustration für die TeilnehmerInnen darf also durchaus sein. Grundsätzlich gilt: Je stabiler und entwickelter die Persönlichkeitsstruktur der TeilnehmerInnen ist, desto länger können sie spielen. Bei PatientInnen mit einem gering integrierten Strukturniveau bzw. PatientInnen mit schweren Störungen oder entsprechenden Defiziten wird ein Gruppenspiel zum Teil nach wenigen Minuten beendet sein. In der Phase der Nachbesprechung gibt es Unterschiede für die Auswertung, je nach Art des Spieles. FragenȱnachȱselbstȱgewähltenȱRollen:ȱ 1. Was von deiner Rolle oder der Art, wie du sie gespielt hast, kennst du aus deinem Leben? 2. Was von deiner Rolle oder der Art, wie du sie gespielt hast, war neu? Wo hast du etwas Neues erfahren oder ausprobiert? 3. Mit wem hattest du im Spiel Kontakt? FragenȱnachȱzugewiesenenȱRollen:ȱ 1. Wie ging es dir mit deiner Rolle? 2. Warum denkst du, dass dir die Gruppe diese Rolle zugewiesen hat? 3. Möchtest du jemand fragen, warum er/sie dir diese Rolle gegeben hat? 4. Was von deiner Rolle oder der Art, wie du sie gespielt hast, kennst du aus deinem Leben? 5. Was von deiner Rolle oder der Art, wie du sie gespielt hast, war neu? Wo hast du etwas Neues erfahren oder ausprobiert? Auf eine Besonderheit bei der Nachbesprechung von Märchenspielen soll noch eingegangen werden. Der in Schweden lebende Psychodramatiker Franzke hat dazu spezielle Vorgehensweisen entwickelt.
3.3 Das Gruppenspiel
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Im Märchenspiel, bzw. in jedwedem vorstrukturierten Gruppenspiel, bietet sich die Möglichkeit, das Spiel direkt hintereinander in zwei Varianten durchzuspielen. Das „Drehbuch“ bleibt dabei gleich, während die DarstellerInnen der Rollen wechseln. Dazu wählt die Gruppe zu Beginn für jede Rolle zwei RollenspielerInnen, eine für die erste Version, eine für die zweite. Die Spiele werden dann nacheinander durchgeführt, ohne eine Nachbesprechung nach dem ersten Spiel. Nach dem zweiten Durchgang werden beide Spiele unter Einbeziehung der Unterschiede nachbesprochen. Nachdem die beiden Varianten sehr dicht aufeinander folgen, werden die Unterschiede sehr klar deutlich. Die SpielerInnen sehen ihre eigene Rolle im Spiegel, sie können Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit den jeweils anderen RollenträgerInnen erkennen, und gruppendynamische Prozesse, wie etwa Rivalitätsthemen, werden dadurch ansprechbar. Eine weitere Möglichkeit, die sich ausschließlich auf die Nachbesprechung bezieht, besteht darin, die SpielerInnen auf ihre emotionale Betroffenheit hin zu fokussieren. Sie werden dazu nach dem Märchenspiel gebeten, sich entlang des roten Fadens der Märchenhandlung aufzustellen. Mit einem Seil wird eine Linie gelegt, die den Märchenverlauf im Raum darstellt, und jede SpielerIn stellt sich unabhängig von der selbst gerade gespielten Rolle auf dem Zeitstrahl dorthin, wo sie sich am meisten emotional angesprochen gefühlt hat (Identifikationspunkte). Hier werden häufig ganz persönliche Lebensthemen, seien sie aktueller Natur, seien es vergangene, deutlich.
Indikationȱ Nach der Darstellung des Ablaufs von Gruppenspielen kommen wir nun zu Fragen der Indikation. Allgemein lässt sich sagen, dass sich ein Gruppenspiel dann anbietet, wenn auftauchende Fragestellungen offensichtlich die gesamte Gruppe betreffen, wenn gruppendynamische Prozesse zu bearbeiten sind oder allgemein die Gruppenkohäsion verstärkt werden soll. Die oben vorgestellten vier Typen von Gruppenspielen legen noch speziellere Indikationen nahe. Typ 1: Stegreifspiel mit selbst gewählten Rollen Typ 2: Spiel kulturell vorgegebener Handlungen mit selbst gewählten Rollen Typ 3: Stegreifspiel mit zugewiesenen Rollen Typ 4: Spiel kulturell vorgegebener Handlungen mit zugewiesenen Rollen Grundsätzlich gilt: Je ausgereifter die Persönlichkeitsstruktur (Rudolf 2006) oder der aktuelle Status der Person, desto eher gelingt ein Stegreifspiel. Je einsichtsfä-
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3 Psychodramatische Arrangements
higer, oder psychodramatisch ausgedrückt, je besser das AutoȬTele der Person, desto eher gelingen Spiele mit selbst gewählten Rollen. Umgekehrt bedeutet dies, dass man als SpielleiterIn in Gruppen mit wenig strukturierten Personen eher kulturell vorgegebene Handlungen vorschlagen wird. Stegreifspiele werden in der Regel als emotionale Herausforderung verstanden im Sinne von „Jetzt muss ich etwas produzieren“ und können zu Beginn von Gruppen dadurch auch überfordern. „Sei spontan“, ist die klassische Falle hierzu. Hier ist es als Gruppenleitung wichtig, den Maßstab nicht künstlich hoch zu halten. Im Wesentlichen geht es um den Anstoß kreativer Prozesse in der Gruppe und in jedem Einzelnen. Vorstrukturierte Spiele wie zum Beispiel Märchen muten den SpielerInnen einen festen Plot zu und induzieren eher Fragen von „Mache ich es richtig?“, „Habe ich nichts vergessen?“, aber evtl. auch „Muss ich mich jetzt eigentlich daran halten?“ Wie bereits in der Grafik zu sehen war, bewegen sich die SpielerInnen im Feld zwischen Autonomie und Anpassung, wobei das Ziel nicht die maximale Autonomie ist, sondern eine situationsadäquate Balance zwischen beiden Polen. Das hat zur Folge, dass prinzipiell mit jeder Gruppe jede Art von Gruppenspiel durchgeführt werden kann, das Anforderungsniveau jedoch auf die TeilnehmerInnen und die Gruppenphase genau zugeschnitten sein sollte.
3.4 SpezielleȱGruppenȬArrangements:ȱClapȬTheater,ȱPlaybackȬTheater,ȱ Soziodramaȱȱ Im folgenden Abschnitt werden Arrangements beschrieben, die sich zum Teil eigenständig (weiter-)entwickelt haben. Am stärksten verbunden mit dem Psychodrama ist das Soziodrama, es wurde aber längere Zeit stiefmütterlich behandelt. Erst in neuerer Zeit ist es wieder ins Interessensfeld der PsychodramaGemeinde gerückt, im deutschsprachigen Raum durch den Sammelband von Wittinger (2005), im englischsprachigen durch die Bücher von Wiener (1997; deutsch: 2001) und Kellermann (2007 und 2009). Das Playback- und das ClapȬTheater tragen das Theater bereits im Namen. Beide Arrangements stellen Misch- bzw. Sonderformen psychodramatischer und theatraler Vorgehensweisen dar. 1) Das Clap-Theater oder: „Immer nur zwei“ Für das ClapȬTheater wird eine Bühne festgelegt, die ZuschauerInnen sitzen im Halbkreis gegenüber. Die LeiterIn sitzt am Rand an der Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum. Es handelt sich um ein Stegreif-Arrangement, d.h. es wird ohne vorher festgelegtes Skript gespielt und die SpielerInnen wählen sich ihre
3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama
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Rollen spontan in der Situation selbst, vor oder bei dem Betreten der Bühne, manchmal erst auf der Bühne. Das ClapȬTheater beginnt damit, dass eine Person aus dem Zuschauerraum die Bühne betritt und spontan zu spielen beginnt. Eine zweite Person kommt dazu und beide spielen nun so lange gemeinsam, bis eine dritte Person mit einem Händeklatschen, einem Clap, die Bühne betritt, und damit das Signal gibt, dass die erste Person, also diejenige, die am längsten von den Dreien auf der Bühne ist, wieder zur ZuschauerIn wird und sich setzt. Kommt die vierte Person, geht die zweite usw. Die Geschwindigkeit des Spiels wird ausschließlich durch die Wechsel der MitspielerInnen bestimmt; ebenso die möglichen Rollenveränderungen und Szenenwechsel. So ist es möglich, dass Albert auf der Bühne zunächst ein Zugschaffner ist, durch das Hinzukommen von Clara aber unversehens als kleiner Lausbub angesprochen wird. Es gibt dabei keine Regel, wer die Rollen und Situationen vorgibt: Alles ist dem freien, spontanen Spiel der Kräfte überlassen. Neben der klassischen Variante, bei der die abklatschende Person den Zeitpunkt des Auf-die-Bühne-Kommens bestimmt, besteht die Möglichkeit, dass die Person, die am längsten auf der Bühne ist, nach eigenem Impuls eine neue Person aus dem Zuschauerkreis bestimmt, die damit aufgefordert ist, auf die Bühne zu gehen und zu spielen. Es handelt sich beim ClapȬTheater nicht um ein eindeutiges GruppenArrangement, sondern um eine Mischform zwischen Kleingruppen- und Gesamtgruppen-Arrangement. Aus dem Stegreif werden in der Dyade auf der Bühne Szenen entwickelt, die sich aus dem Unbewussten der Einzelnen, der Dyade, aber auch aus dem Gruppen-Unbewussten ableiten. 2) Das Playback-Theater: „Schauen Sie mal …“ Wesentlich bekannter und elaborierter als das ClapȬTheater ist das Playback, wie es manchmal knapp genannt wird. Aus psychodramatischer Sicht handelt es sich beim PlaybackȬTheater ebenfalls um eine Mischform. Eigentlich ist es eine protagonistenzentrierte Arbeitsform, aber die ProtagonistIn spielt auf eine besondere Weise nicht selbst, sie sieht vielmehr als DrehbuchautorIn und RegisseurIn zu und lässt spielen. Das PlaybackȬTheater ist vor allem mit dem Namen JonathanȱFox verbunden, der dieses Arrangement in den USA der 1970er-Jahre entwickelte. Daneben sind JoȱSalas in den USA und DanielȱFeldhendler sowie MarliesȱArping im deutschsprachigen Raum bedeutende VertreterInnen dieses Vorgehens. PlaybackȬTheater ist als Arrangement bis heute eigenständig geblieben, d.h. es ist nie ganz im PsychoȬ drama aufgegangen. Gleichwohl soll es an dieser Stelle als psychodramatische Arbeitsform beschrieben werden.
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3 Psychodramatische Arrangements
Vereinfacht gesprochen geht es beim PlaybackȬTheater darum, dass erzählte Geschichten von einer Gruppe von DarstellerInnen in Szene gesetzt werden, während die ProtagonistIn, also die eigentliche ErzählerIn der Geschichte, zusieht. Dies kann in Form von Szenen, fließendenȱSkulpturen oder Paararbeiten geschehen. Nach einer kurzen Einführung durch die LeiterIn, was PlaybackȬTheater ist, wird die gesamte Gruppe zunächst gebeten, zu verschiedenen Themen fließendeȱ Skulpturen darzustellen. Hierbei handelt es sich um ein kurzes, abstraktes Zusammenspiel von Tönen und Bewegungen. Nach dieser Anwärmung wird den ZuschauerInnen, die sich abgegrenzt gegenüber der Bühne befinden, eine Frage in der Richtung „Werȱ erzähltȱeineȱbzw.ȱdieȱnächsteȱGeschichte?“ gestellt. Ist die Person gefunden, nimmt sie neben der LeiterIn Platz und erzählt ihre Geschichte. Auf der Bühne befinden sich indessen vier bis fünf DarstellerInnen, die der Geschichte aufmerksam folgen. Die LeiterIn hilft der ProtagonistIn, die Geschichte mit ihren wesentlichen Details und ihrem Spannungsbogen zu erkunden. Die ProtagonistIn verteilt dann im klassischen PlaybackȬTheater die Rollen an die DarstellerInnen. Danach beginnen diese die erzählte Szene so zu spielen, wie sie sie verstanden haben. Hierzu können sie sich kürzer oder länger absprechen, was aber nicht unbedingt notwendig ist. Nach Abschluss der Spielszene hat die ProtagonistIn noch einmal das Wort: Auf die Frage der Leitung „War das Ihrer Geschichte ähnlich?“ kann sie dazu Stellung nehmen, bzw. auch Änderungen vorschlagen, die die DarstellerInnen dann noch einmal in Szene setzen können. Auch sind grundsätzliche Veränderungen möglich; die ProtagonistIn kann sich zum Beispiel ein anderes Ende wünschen. Was zunächst wie ein einfaches Arrangement klingt, stellt sich bei näherer Betrachtung als ein komplexes und unter Umständen auch störanfälliges Setting heraus: Geschichte, Assoziationshintergrund der ErzählerIn (Gedanken, Gefühle, Impulse), Fokus der Leitung und die Art der Darstellung müssen harmonieren, wenn die PlaybackȬSzene gelingen soll. Auf welche Feinheiten dabei zu achten ist, kann eindrücklich bei Salas (1998) nachgelesen werden. Schließlich reihen sich im klassischen PlaybackȬTheater Geschichten an Geschichten, wie Perlen auf einer Schnur, und bilden so gleichzeitig den meist unbewussten Prozess einer Gruppe ab. Es wird also bei dieser Arbeitsform sowohl protagonistInnenzentriert als auch gruppenzentriert gearbeitet. Es sollte bei dem Arrangement Playback darauf geachtet werden, dass die ProtagonistInnen sich durch die Art der Darstellung nicht bloßgestellt fühlen; so können durch persiflierende Inszenierungen leicht Schamgrenzen erreicht werden; aber auch, wenn sich die ProtagonistInnen in der Darstellung ihrer Geschichte nicht richtig wiedergegeben fühlen, ist das Risiko einer psychischen Verletzung gegeben.
3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama
Abbildungȱ23:
105
Playback-Spiel
Im Arrangement PlaybackȬTheater müssen nicht zwangsläufig die schrecklichen, belastenden Geschichten zur Erzählung und damit auf die Bühne gebracht werden. Kleine Geschichten, die für die ProtagonistIn Bedeutung haben, durchaus auch im positiven Sinne, können ebenfalls auf die Bühne gelangen. KlassischerȱAblaufȱimȱPlaybackȬTheaterȱ 1 2
Anwärmung (z.B. durch FließendeȱSkulpturen) Geschichte, Interview und Wahl der RollenträgerInnen
3
Szenenaufbau und Darstellung
4
Anerkennung
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Rückgabe der Geschichte an die ErzählerIn
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Änderungen und Transformationen
Tabelleȱ12:
Playback-Theater-Ablauf
3) Das Soziodrama: „Gruppen als Thema “ Das Soziodrama ist eine Arbeitsform, die sich mit Gruppen, Gruppenphänomenen und Beziehungen zwischen Gruppen und kollektiven Ideologien beschäftigt. Das Subjekt ist in diesem Fall also nicht eine einzelne ProtagonistIn oder eine einzelne Gruppe, sondern Gruppen, repräsentative Typen, Kulturen und deren
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3 Psychodramatische Arrangements
Beziehungen untereinander. Eine Gruppe bzw. eine RepräsentantIn einer Gruppe spielt nicht im Spiel einer ProtagonistIn als Hilfs-Iche oder ZuschauerInnen mit, sie spielt auch nicht ein Thema wie bei einem Märchenspiel, sondern eine Gruppe bzw. die RepräsentantIn spielt Gruppen oder Typen. Als Beispiel kann sich eine Gruppe soziodramatisch mit dem Thema LehrerInȬSchülerIn oder MännerȬFrauen auseinandersetzen, oder die Gruppe inszeniert gemeinsam den Typus Macho, den Typus ManagerIn oder den Typus MigrantIn. Im Bereich der Team- und Organisationsentwicklung kann ein Soziodrama zum Einsatz kommen, um interne Abläufe zu verbessern oder das Zusammenspiel von potentiellen KundInnen, LieferantInnen, KonkurrentInnen und MitarbeiterInnen zu untersuchen. Das Ziel soziodramatischen Arbeitens ist dementsprechend, die komplexe Dynamik sozialer Zusammenhänge und Interaktionen verstehen zu lernen. Dabei wird von unterschiedlich vorhandenen Interessen, Perspektiven und Handlungsoptionen ausgegangen, die im soziodramatischen Spiel erschlossen werden können. In Erweiterung von Wieners Darstellung der Ziele von Soziodramen (1997: 11) können folgende Ziele systematisch erfasst werden:
1 2 3
4
ZieleȱvonȱSoziodramen Soziale Szenarien wie Gruppen, Typen und Kulturen besser verstehen lernen Allen Beteiligten neue Erkenntnisse zu den verschiedenen Rollen (eigenen wie fremden) verschaffen, die mit den betr. Szenarien verbunden sind Den TeilnehmerInnen die Möglichkeit zur Öffnung und Auseinandersetzung bieten, indem die Gefühle, Gedanken und Handlungsimpulse, die mit dem Szenario verbunden sind, ausgedrückt und erkundet werden Entwicklung neuer Rollenkompetenzen und Performanzen in den betreffenden sozialen Szenarien
Tabelleȱ13:
Ziele von Soziodramen
AblaufȱeinesȱSoziodramasȱ Auch im soziodramatischen Vorgehen gibt es Phasen, die bereits von Moreno vorgeschlagen wurden: „ErwärmungȱundȱdieȱWahlȱdesȱsozialenȱPlans,ȱdieȱProduktionȱundȱ dieȱAnalyse“ (HutterȱundȱSchwehm 2009: 353). Zuerst sollen die TeilnehmerInnen für ein gemeinsam zu bearbeitendes Thema erwärmt werden. Zuweilen ergibt sich dies von allein, z. B. durch einen äußeren Anlass, der die Gruppe beschäftigt: Ein bekannter Sänger ist gestorben oder ein Attentat mit weitreichenden Folgen ist bekannt geworden (9/11). Ist dies nicht der Fall und ist die Gruppe auch nicht von vornherein zur soziodramatischen Bearbeitung eines Themas zusammengekom-
3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama
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men (Bsp. Teamentwicklungstag in einer sozialen Einrichtung), wird die LeiterIn Zeit darauf verwenden müssen, um das Thema gemeinsam mit der Gruppe herauszuarbeiten: Welche Art von sozialem Szenario spricht die Gruppe an? Wenn das Thema klar ist, wird es durch die Gruppe bzw. eine GruppenvertreterIn durch ein Rollenspiel in Szene gesetzt. Abhängig von dem Thema wird sich dies entweder mehr im Stegreifbereich bewegen (Bsp. Typusdarstellungen: Männer-Frauen), oder aber ein Nachspielen vorgegebener Erlebnisse sein (Bsp. Tschernobyl, „9/11“). Verschiedene Anwendungsformen sowie das jeweils angezeigte Vorgehen finden sich bei Kellermann (2007) und Wittinger (2005). Eine Form der soziodramatischen Darstellung ist die Teilung der Gruppe in zwei Untergruppen, die danach kollektiv die Rollen tauschen und das Szenario mit vertauschten Rollen noch einmal spielen. In der das Soziodrama abschließenden Analyse werden Sharings gegeben sowie der Prozess und dessen Ergebnis reflektiert.
Indikationȱ Die Indikationen ergeben sich aus dem oben Dargestellten. Eine soziodramatische Inszenierung sollte dann in Erwägung gezogen werden, wenn das Gruppenthema oder die Problematik einer Einzelperson mehr mit kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Belangen verwoben ist als mit individuellen, einzelnen innerpsychischen Faktoren, etwa wenn TeilnehmerInnen unter den Vorurteilen leiden, die ihnen aufgrund ihres MigrantInnen-Hintergrundes entgegengebracht werden, oder wenn zum Beispiel ein politisches Ereignis das Gruppengeschehen überschattet.
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3 Psychodramatische Arrangements
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3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama
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3.4 Spezielle Gruppen-Arrangements: Clap-Theater, Playback-Theater, Soziodrama
4 4
111
DieȱPsychodramaȬTechnikenȱ
„So lass uns gehen, du aber gehe alsdann immer voraus. Und gib mir, wenn dir irgendwo ein Stecken geschnitten ist, dass ich mich darauf stütze, da Ihr ja sagt, es sei der Weg sehr schlüpfrig“ (Homer17)
Nach den Arbeitsformen, den Arrangements des Psychodramas kommen wir nun zu den psychodramatischen Techniken, den Hilfsmitteln. Unter den Techniken verstehen wir das konkrete Vorgehen innerhalb bestimmter Arbeitsformen. Die im Folgenden beschriebenen Techniken bauen aufeinander auf und nehmen im Komplexitätsgrad zu. In der psychodramatischen Theoriebildung der ersten Jahre wurden die Psychodrama-Techniken ausschließlich entwicklungspsychologisch hergeleitet. Auf diese Darstellung sei an dieser Stelle verzichtet und auf die entsprechende Literatur verwiesen (Leutz 1986). Krüger (2009) hat aktuell acht aufeinander aufbauende zentrale Psychodrama-Techniken in seinem Modell der Allgemeinenȱ Theorieȱ derȱ Psychodramatechniken gefasst, das die Grundbedürfnisse des Menschen, bestimmte Störungsbilder, Ich-Funktionen, funktionelle Rollen sowie Bezüge zum Störungskonzept der psychoanalytischen Techniken verdeutlicht (siehe Abbildung „Kreismodell der Psychodrama-Techniken“ im Anhang). Wir wollen an dieser Stelle keine vertiefende Darstellung vornehmen, sondern nur die zentralen Psychodrama-Techniken nacheinander in Anlehnung an die Krüger’sche Systematik kurz beschreiben: den Szenenaufbau, das Doppeln, das Spielȱ inȱderȱ eigenenȱ Rolle und das SpielȱinȱderȱRolleȱeinesȱanderen, den Rollenwechsel, das Spiegeln, den Rollentausch sowie das dazugehörige Rollenfeedback, den SzenenwechȬ sel, die Amplifikation und das Sharing. VonȱAmeln,ȱGerstmann und Kramer benennen im Bereich der Techniken noch weitere Varianten, auf die wir an dieser Stelle nicht näher eingehen wollen, die aber der Vollständigkeit halber Erwähnung finden sollen: Verkörperungȱ vonȱ Metaphern und Gefühlen, Zeitlupe, Zeitraffer und 17
aus Homer, Die Odyssee (2004: 301)
112
4 Die Psychodrama-Techniken
das EinfrierenȱeinerȱSzene (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2009: 71ff). Unter Regietechniken beschreibt Schaller darüber hinaus das Rückwärts- und Vorwärtsspulen von Szenen, den Stummfilm und die Maximierung (Schaller 2009).
4.1 Szenenaufbauȱ „Ich kann [...] nicht genügend betonen, dass die Konstellationen des Raumes als Teil des therapeutischen Prozesses nach unserer Forschung von höchster Bedeutsamkeit sind. Sie erwärmen den Protagonisten dafür, in einer Umgebung zu sein und zu handeln [...] (Moreno 1989: 35)
Die grundlegendste Technik ist der Szenenaufbau. Im Arrangement des ProtagonistInnenspiels beschreibt die ProtagonistIn, wie im letzten Kapitel ausführlich geschildert, zunächst die Szene und die daran beteiligten Personen. Was dann auf die Beschreibung folgt, der Szenenaufbau, ist bereits Teil des Spiels und damit auch ein technisches Vorgehen. Es werden Rollen benannt und mit MitspielerInnen besetzt, Kontexte werden erfragt und szenisch eingerichtet, Rahmen wie Ort und Zeit werden auf der Bühne verankert. Durch den Szenenaufbau wird das innere Bild der ProtagonistIn nach außen auf die Bühne gebracht. Alles, was innen ist, wird nun außen, für LeiterIn und ZuschauerInnen sichtbar, verortet. Die ProtagonistIn sucht zusammen mit der Psychodrama-LeiterIn Orte auf der Bühne für alles, was mit dem Thema in Zusammenhang steht. Dieses Vorgehen schafft eine äußere Ordnung, die der inneren der ProtagonistIn entspricht: Die MitspielerIn, die den Vater der ProtagonistIn auf der Bühne repräsentiert, steht ebendort so weit von der ProtagonistIn entfernt, wie es dem inneren Erleben der ProtagonistIn entspricht. Aber auch umgekehrt schafft das äußere Platzieren und Symbolisieren eine veränderte innere Ordnung: Indem die ProtagonistIn dem (durch den Mitspieler repräsentierten) Vater einen bestimmten Platz auf der Bühne gibt, erhellt sich ihr eigenes Verständnis von ihrer Beziehung zum Vater. Durch den Szenenaufbau wird die Systemorganisation der ProtagonistIn angeregt. „Der Protagonist organisiert durch Szenenaufbau mit Hilfe des Therapeuten seine innere Vorstellung vom Konfliktsystem als äußere Wahrnehmung und lässt ihn dabei prüfen, wer und was in dem Konfliktraum existent ist und dazugehört. Durch Konkretisieren und Positionieren der zum Konflikt dazugehörigen inneren Bilder im Raum der Bühne organisiert der Szenenaufbau die energetische und räumliche Bezogenheit des Protagonisten in seinem Konflikt-
4.1 Szenenaufbau
113
feld […] als Voraussetzung für die spielerische psychodramatische Bearbeitung des Konfliktes.“ (Krüger 2005: S. 257).
Fallbeispiel:ȱ Herr Bald:
PD-Leiter:
Herr Bald: PD-Leiter:
Herr Bald: PD-Leiter:
Herr Bald:
„Ich habe Probleme mit meinem Chef. Er ist super-penibel: In den Morgenbesprechungen gibt er mir jedes Mal meine Schriftstücke zurück und dann macht er mich vor allen Kollegen wegen meiner Rechtschreibfehler zur Schnecke. Am liebsten würde ich dann alles hinschmeißen und heimgehen. Oder wenigstens im Boden versinken. Es ist mir so peinlich. Was die Kollegen dann von mir denken! Letzten Montag habe ich in der Besprechung einen Schweißausbruch bekommen, dass ich direkt zum Duschen hätte gehen können.“ „OK, wenn Sie einverstanden sind, beginnen wir einmal mit der Szene, die Sie schildern. Können Sie bitte aus der Gruppe Mitspieler für die Rollen Ihres Chefs und für Ihre Kollegen aussuchen.“ [Wählt Florian für seinen Chef, und zwei weitere Mitspieler für zwei Kollegen aus] „Gut, können Sie jetzt zunächst hier auf der Bühne markieren, wo der Besprechungsraum ist. Wie ist der eingerichtet? Gibt es da Stühle, Tische, Fenster, andere wichtige Gegenstände? Wo ist denn die Tür, durch die Sie hereinkommen?“ [NachdemȱderȱRaumȱeingerichtetȱist,ȱdieȱMitspielerȱvonȱHerrnȱ Baldȱ aufȱ ihreȱ Positionenȱ gebrachtȱ wurden:] „Können Sie bitte den Mitspielern ein paar Sätze zu ihrer Rolle sagen, wie alt sie sind, wie lange sie schon in der Firma arbeiten, was ihre Funktion ist etc.“ [Gibt ein paar knappe Informationen an die Rollenträger] „Sie haben auch davon gesprochen, dass Sie Schriftstücke zurückbekommen, und dass Sie einen Schweißausbruch bekommen haben, so dass Sie am liebsten zum Duschen gegangen wären. Können Sie bitte jemand auswählen, der für die Schriftstücke steht, und eine weitere Person für den Schweißausbruch, und zu guter Letzt eine Person für die Dusche.“[Nachȱderȱ entsprechendenȱInstallation] „Welche Gefühle oder Gedanken nehmen Sie bei den anderen wahr? Können Sie bitte jeweils das überwiegende Gefühl den anderen Personen zuordnen?“ [Wählt für den Chef das Gefühl Macht, für den Kollegen 1 das Gefühl Angst und für den Kollegen 2 das Gefühl Häme]
Auf der Bühne entsteht die Szene, wie sie in Abbildung 24 zu sehen ist.
114
4 Die Psychodrama-Techniken
Dusche (zuhause)
Chef
Macht
Schriftstück
Angst K1
SchweißAusbruch
Häme K2
Abbildungȱ24:
B
„Am liebsten würde ich heimgehen… was die Kollegen denken … peinlich …ich könnte jetzt duschen…“
Szenenaufbau
Im Szenenaufbau wird die gesamte Szene erfasst, nicht nur einzelne Aspekte, und die vorhandenen Bestandteile werden in ihren Bedeutungen exploriert. Der Klient, im Beispiel Herr Bald, nimmt wahr, dass er von seinem Chef vor allem die Macht wahrnimmt, während die Häme des Kollegenȱ2 für ihn nicht so klar fassbar ist. Auch die Angst des Kollegenȱ 1 ist nicht so deutlich sichtbar; die Gefühle der Kollegen sind im Gegensatz zu seinen eigenen eher für die anderen Personen verborgen. Sein Schweißausbruch, den er als Ausdruck seiner Angst und Pein verstehen kann, ist jedoch für alle anderen klar sichtbar, ebenso sein fehlerhaftes Schriftstück. Nach den Qualitäten des Schriftstückes und der Dusche befragt, beschreibt Herr Bald, dass das Schriftstück mit viel Anstrengung in Verbindung gebracht wird und gleichzeitig mit Mängeln versehen ist. Die Dusche beschreibt er als einen Ort der Sicherheit vor Angriffen, einen Ort, wo er abkühlen kann und sich wieder von Fehlern gereinigt sieht. In der Nachbesprechung wird Herrn Bald klar, dass er in seinem Schriftstück sich selbst sieht mit seinem Lebensgefühl, dass er sich immer anstrengen muss, und sich dennoch mit Mängeln behaftet fühlt. Zur Dusche fällt ihm ein, dass er sich ähnlich bei seiner Lebensgefährtin fühle, die ihm immer wieder sage, was für Qualitäten er habe, und die ihn immer wieder animiere, raus in die Natur zu gehen, damit er sich erholen könne.
4.1 Szenenaufbau
115
Beim Szenenaufbau ergeben sich folgende Fragestellungen und damit verbundene Funktionen:
Wo soll die Bühne sein? Durch die Bühnendefinition wird für die ProtagonistIn ein neuer Handlungsraum eröffnet, der durch seine klare Definition, seine eindeutige Begrenzung und seinen experimentellen Charakter Sicherheit verleiht. Wer und Was gehört alles zu Ihrem inneren Bild? Das innere Bild der ProtagonistIn mit all seinen Bestandteilen wird außen in seiner Komplexität sichtbar. Was gehört wo hin? Wo stehen Sie selbst in dieser Landschaft? Die ProtagonistIn ordnet sich selbst, andere Personen, Gegenstände, Gefühle, Gedanken, Impulse, Räume auf der Bühne entsprechend ihrer inneren Welt. Sie erhält damit Orientierung und gewinnt zusätzlich Regie- oder Selbststeuerungskompetenz. Was verbinden Sie mit den verschiedenen Bestandteilen, die hier auf der Bühne zu sehen sind? Die Psychodrama-LeiterIn exploriert zusammen mit der ProtagonistIn die verschiedenen Rollen und die eigene, innere Struktur des gesamten dargestellten Systems oder der Situation. Wer oder was fehlt noch? Abklärung, inwieweit die Darstellung das innere Bild vollständig wiedergibt. Was sehen, fühlen, denken Sie jetzt? Exploration der Reaktion der ProtagonistIn auf das Erleben der gesamten Situation.
In Abhängigkeit von der Strukturiertheit der ProtagonistIn dient der Szenenaufbau auch der Erwärmung zum Handeln durch Belebung der Szene. In diesem Fall würde die Exploration nicht so ausführlich stattfinden, wie wenn der Szenenaufbau die einzige Maßnahme bleibt. Pauschal gesagt: Je reifer die Persönlichkeitsstruktur der Person, desto eher wird der Szenenaufbau nur die Anwärmung für ein weiteres Handeln sein. In der Arbeit mit psychoseerkrankten Menschen, mit Menschen, die an einer Suchterkrankung leiden oder eine schwere Traumatisierung erlebt haben, werden in der Regel der Szenenaufbau und das darauf folgende Doppeln die Techniken der Wahl sein, die zur Anwendung gebracht werden können. Eine ausführliche Systematik zu Indikations- und Herleitungsfragen, die vor allem für therapeutisch und beraterisch tätige PsychodramatikerInnen von Nutzen ist, findet sich bei Krüger (1997 und 2009).
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4 Die Psychodrama-Techniken
4.2 Doppelnȱ „Zusammen ist man weniger allein“ (Gavalda)ȱ
Aufbauend auf der Psychodrama-Technik Szenenaufbau folgt als nächster Schritt das Doppeln, das von PsychodramatikerInnen häufig als Chiffre für drei Techniken verwendet wird: das Doppeln selbst, die DoppelgängerIn oder das Double und die StellvertreterIn oder das StandȬIn (vgl. Tabelle Doppeln,ȱ DoppelgängerIn,ȱ StellȬ vertreterIn im Anhang).
Doppelnȱ „Sie sehen zwei Menschen, die in Wirklichkeit die gleiche Person sind. Eine Person hält den Arm so (Moreno macht es vor). Und die andere macht das gleiche. Wenn die eine ihren Kopf beugt, macht die andere das gleiche. Das Doppel ist eine geschulte Person, geschult darin, die gleichen Verhaltensmuster, die gleichen Gefühlsmuster, die gleichen Gedankenmuster, die gleichen Muster verbaler Kommunikation, die der Patient hervorbringt, zu produzieren. Nun brauchen wir dieses Doppel natürlich nicht nur als ästhetisch Handelnden, sondern um Zutritt zum Bewusstsein dieser Person zu erhalten und um diese Person zu beeinflussen“ (Moreno 2009: 323).
Was Moreno hier zum Doppeln gesagt hat, gilt heute nahezu unverändert. Es gibt im Wesentlichen eine Einschränkung: „geschultes“ Personal für das Doppeln findet sich heute nur äußerst selten, da Psychodrama-LeiterInnen aus Kostengründen meist alleine mit ihren KlientInnen arbeiten. So sind die doppelnden Personen meist selbst Gruppenmitglieder und im klinischen Bereich damit PatientInnen. Geschult wird der Personenkreis insofern, als erklärt und geübt wird, wie beim Doppeln vorzugehen ist. Doppeln ist nicht einfaches Nachmachen, sondern es beinhaltet eine Einfühlung der doppelnden Person in die ProtagonistIn, und bis zu einem gewissen Grad auch umgekehrt ein Einschwingen der ProtagonistIn in das Doppel. Es handelt sich also um eine wechselseitige Einfühlung. Entwicklungspsychologisch leitete Moreno diese Technik aus der frühen Eltern-Kind-Interaktion ab, wo sich die Mutter oder der Vater im günstigen Fall als Doppel zur Verfügung stellen, wenn sie zum Beispiel Gefühle nachempfindend zum Säugling sagen: „Gell, das freut dich…“ oder beim Stillen: „Das schmeckt fein, gell…?“ Um zu doppeln, geht ein anderes Gruppenmitglied oder nach Ankündigung auch die Psychodrama-LeiterIn schräg hinter die ProtagonistIn und versucht sich
4.2 Doppeln
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in diese einzufühlen. Dies gelingt leichter, wenn die gleiche Körperhaltung, Mimik und Gestik eingenommen wird. Das Doppel verbalisiert dann aus der Sicht der ProtagonistIn deren inneres Erleben. Dies kann sich auf die äußere Situation beziehen („Ich sitze hier alleine an einem Tisch…“), auf Gedanken („Es wäre schön, wenn jemand da wäre…“), auf Gefühle („Ich fühle mich alleine…“), aber auch auf Wünsche, Absichten und Impulse („Am liebsten würde ich jetzt aufstehen und bei der Nachbarin klingeln…“). Das Doppeln wird eingesetzt, um das blockierte innere (Selbst-) Gespräch der ProtagonistIn wieder in Gang zu bringen. Die Selbst-, Fremd- und Situationswahrnehmung, das Sich-Gewahr-Werden der eigenen Lage wird dadurch verbessert: Die ProtagonistIn kommt wieder in Kontakt mit sich selbst oder, psychodramatisch ausgedrückt, das AutoȬTele wird optimiert. Das Doppel spricht in der Ich-Form und dabei die MitspielerInnen nur in der 3. Person an („Meine Kollegin sieht mich jetzt an wie…“ statt: „Du siehst mich jetzt an wie…“). Durch diese Technik wird es der ProtagonistIn leichter gemacht, den Fokus auf das eigene Befinden zu legen und weniger auf die Interaktion bzw. die MitspielerIn. Wichtig beim Doppeln ist, dass die ProtagonistIn, die gedoppelt wurde, ausreichend Gelegenheit erhält, den Inhalt, soweit er stimmt, in eigenen Worten wiederzugeben. Was nicht stimmt, wird verneint oder einfach nicht aufgegriffen. Dementsprechend ist das Doppeln in der Regel nur eine kurze Intervention, die nur solange angewandt wird, bis die ProtagonistIn wieder ihren eigenen inneren Faden aufgenommen hat, sich selbst Klarheit über die innere und äußere Lage verschafft hat und handeln kann. Doppeln fördert im Allgemeinen die Regression; wir erinnern uns, dass Moreno die Idee zum Doppeln aus der frühen Eltern-Kind-Interaktion ableitete. Sehen wir hier von spezifischen Indikationsfragen ab, gilt für das Doppeln allgemein: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Wie Krüger (1997) beschreibt, ist die Psychodrama-LeiterIn hier wie eine Hebamme tätig, die nicht aktiv werden muss, wenn das Kind gut von alleine auf die Welt kommt oder sich in ihr bereits bewegen kann. Auch wenn der Spielverlauf der Szene dynamisch angelegt ist, muss mit Doppeln spärlich umgegangen werden, da es eine Technik der Innerlichkeit ist, welche äußere, dynamische Prozesse entschleunigt.
Fallbeispiel:ȱ Herr Kurz: PD-Leiterin: Herr Doppel: Herr Kurz:
[Steht in einer Szene seiner Frau gegenüber und schweigt] „Kann jemand aus der Gruppe doppeln? Hat jemand eine Idee, was in Herrn Kurz vor sich gehen könnte?“ „Hier stehe ich jetzt vor ihr und kann nichts sagen…“ „Ja genau, so ist es immer! Mir fällt nichts ein, obwohl mir gerade noch alles klar war, was ich dir sagen wollte.“
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Frau Kurz: Herr Kurz: Herr Doppel:
Herr Kurz:
Herr Doppel: Herr Kurz:
PD-Leiterin:
4 Die Psychodrama-Techniken
„Was möchtest du mir denn sagen? Das kannst du doch nicht einfach vergessen haben!“ [Schweigt mit zusammengekniffenen Lippen] [kneift zunächst auch die Lippen zusammen] „Doch, genau so ist es. Es ist, als ob ich alles vergesse, wenn ich vor ihr stehe. Ich bin dann so wütend auf mich selbst, dass ich das nicht schaffe…“ „Ja, das stimmt: Ich komme mir dann so klein vor, wenn ich vor dir stehe und kein Wort herausbringe. [Schweigt mit leicht gerötetem Gesicht; die Augen jetzt direkt auf seine Frau gerichtet] „Und eigentlich bin ich auch ärgerlich auf sie. Am liebsten würde ich mal auf den Tisch hauen und ihr sagen…“ „Nein, auf den Tisch hauen würde ich nicht, aber mal einen Teller auf den Boden werfen. Lieber soll mal ein Teller kaputt gehen, als dass ich mich weiter von dir kaputt machen lasse von deinen ständigen Vorwürfen!“ „Herr Kurz, können Sie Ihrer Frau mal sagen, was das für Vorwürfe sind, die sie nicht mehr hören möchten?“
An dieser Stelle wird das Doppeln beendet, da der Protagonist sich selbst in seinem Denken, Fühlen und Wollen wieder vollständiger wahrnimmt und damit die Voraussetzung erfüllt, handeln zu können. Doppeln ist in der Regel eine unterstützende Technik; manche AutorInnen unterscheiden viele verschiedene Unterformen. Die prominenteste ist das so genannte AmbivalenzȬDoppeln. Hierbei werden die zwei Seiten der Ambivalenz bei der ProtagonistIn von zwei MitspielerInnen gedoppelt. Die gedoppelte Person erlebt dadurch anschaulich das Hinund-her-gerissen-Sein zwischen den beiden Positionen. Im psychodramatischen Einzelsetting werden die beiden Rollen von der LeiterIn nacheinander eingenommen. Eine weitere Unterform ist das explorierendeȱDoppeln: Hier werden nur Satzanfänge angeboten, die die ProtagonistIn ermutigen, diese Sätze selbst zu vollenden. Es wird also nur ein Aufmerksamkeitsfokus angeboten wie „…ȱ amȱ liebstenȱwürdeȱichȱjetztȱ…“ oder „Ichȱfühleȱmichȱ…“. Diese Form des Doppelns lässt der ProtagonstIn einen großen Freiraum, was den Inhalt anbelangt, lenkt sie aber deutlich in Richtung Selbstwahrnehmung. Indiziert ist das Doppeln besonders bei Menschen, deren Selbstwahrnehmung eingeschränkt ist oder deren Selbstbezug unterbrochen ist. Dies gilt für alle Formate, also für die Beratung und Supervision ebenso wie für Bildungs- und Psychotherapieprozesse. Für letztere ordnet Krüger (2002: 277ff; Sturmȱ2009: 122f; siehe „Kreismodell“ im Anhang) in seiner Systematik der Psychodramatechniken das Doppeln ebenso wie den Szenenaufbau den Diagnosen Psychose, Trauma, Sucht und Borderline zu.
4.2 Doppeln
119
Allgemeiner schreibt Moreno: „Die Doppeltechnik ist die wichtigste Therapie für einsame Menschen und deshalb wichtig für isolierte und zurückgewiesene Kinder. Ein einsames Kind wird ebenso wie ein schizophrener Patient vielleicht nie in der Lage sein, einen Rollentausch zu machen, aber es wird ein Doppel akzeptieren.“ (Moreno 2009: 325).
DieȱDoppelgängerInȱoderȱdasȱDoubleȱ Die DoppelgängerIn ist eine Erweiterung der Doppelrolle. Während das Doppeln ein punktuelles Zur-Sprache-Bringen der Innenwelt der ProtagonistIn ist, handelt es sich bei der DoppelgängerIn um eine, mindestens eine Szene, manchmal auch das ganze Spiel begleitende Rolle. Hierbei übernimmt ein durch die ProtagonistIn gewähltes Gruppenmitglied die Rolle einer mithandelnden BegleiterIn, die dieselben Situationen erlebt wie die ProtagonistIn, jedoch mit ihren eigenen Gedanken, Gefühlen und Impulsen. Aufgrund der gefühlten Ähnlichkeit zwischen ProtagonistIn und DoppelgängerIn und der Differenz zwischen den Gedanken, Gefühlen und Impulsen der DoppelgängerIn zu denen der ProtagonistIn entsteht das hilfreiche Moment. Die DoppelgängerIn kann so zum Beispiel Handlungen zum Positiven hin verändern, Impulse geben für neue Lösungen, unterstützen durch die bloße Anwesenheit oder aktiven Schutz bieten vor bislang nicht bewussten Bedrohungen. Die DoppelgängerIn kann im alltäglichen Sinn eine echte DoppelgängerIn sein, also die ProtagonistIn schlicht verdoppeln; sie kann aber auch in einer anderen Rolle in Erscheinung treten, zum Beispiel in der Rolle eines Schutzengels, einer engen FreundIn oder einer imaginierten HelferIn. Die Doppelgängerrolle ist also eine zweifache Erweiterung des reinen Doppelns. Erstens ist sie von zeitlich längerer Dauer, zweitens zeichnet sie sich durch einen stärkeren Handlungsbezug aus. Die DoppelgängerIn wird meist zu Beginn einer Szene, bzw. zu Beginn eines ProtagonistInnenspieles gewählt und als Rolle besetzt, sobald klar ist, dass es für die Thematik angezeigt erscheint. Der Vorschlag, eine DoppelgängerIn einzusetzen, kommt von der Psychodrama-LeiterIn, die Wahl der betreffenden RollenträgerIn erfolgt selbstverständlich durch die ProtagonistIn. Besonders indiziert ist die Besetzung der Rolle der DoppelgängerIn bei Situationen, in denen die ProtagonistIn Unterstützung und Hilfe benötigt, da zum Beispiel eine starke Bedrohung vorliegt. Die DoppelgängerIn kann aber auch dabei helfen, den Dialog mit sich selbst wieder in Gang zu bringen bzw. alternative Handlungswege aufzuzeigen.
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4 Die Psychodrama-Techniken
DieȱStellvertreterInȱoderȱdasȱStandȬInȱ Die letzte Variante des Doppelns ist die StellvertreterIn bzw. das StandȬIn. Das Besondere an dieser Variante ist, dass die ProtagonistIn in dem Moment, wo die StellvertreterIn sich in der Szene befindet, selbst außerhalb der Szene ist. Auch wird die StellvertreterIn in der Regel ausschließlich das doppeln, was ihr von der ProtagonistIn gesagt oder gezeigt wurde. Anders als bei der DoppelgängerIn, die mehr Spielräume für eigene Impulse hat, ist damit bei diesem Vorgehen die StellvertreterIn von Ausnahmen abgesehen sehr stark an die Vorgaben der ProtagonistIn gebunden. Hier ist der Übergang zu einer weiteren Psychodrama-Technik, dem SpieȬ geln (siehe unten): das Stand-In entspricht der Rolle der MitspielerIn beim Spiegeln. Fallbeispiel:ȱ Die Protagonistin Frau Blau berichtet in einer Psychodrama-Sitzung während des Szenenaufbaus von einer Situation, die der Trennung von ihrem alkoholkranken Ex-Mann vor einem Jahr vorausging. Die Szene spielt in der Küche nach dem Abendessen; anwesend sind ihre siebenjährige Tochter Klara und ihr damaliger Ehemann in alkoholisiertem Zustand. Frau Blau:
„Ernst [der Ehemann] steht da drüben neben dem Esstisch und Klara möchte gerade in ihr Zimmer gehen. Aus heiterem Himmel fängt Ernst an zu schreien, Klara soll erst das Geschirr abspülen. Ich weiß nicht mehr genau, was dann passiert ist, ob Klara irgendwie reagiert hat oder einfach nur zur Tür gegangen ist. Ich weiß nur noch, dass er plötzlich die schmutzigen Teller genommen hat und gegen die Wand bei der Tür geworfen hat. Ich weiß, dass dann alle durcheinander geschrieen haben und Klara geweint hat. Als mein Mann dann fluchend aus dem Haus ist, bin ich mit Klara hoch, habe ein paar Kleider für uns in einen Koffer gepackt und bin zu meiner Freundin gefahren.“ PD-Therapeut: „Das war gut, dass Sie das gemacht haben, ich kann mir gut vorstellen, wie schlimm es gewesen sein muss.“ Frau Blau: „Um ehrlich zu sein, ich weiß es gar nicht. Ich habe damals nichts gespürt, auch heute nicht. Ich weiß nicht einmal, ob es richtig war, was ich damals getan habe.“ PD-Therapeut: „Ich würde Ihnen vorschlagen, dass Sie eine Stellvertreterin für sich in dieser Situation suchen, die für Sie in die Szene geht. Dann können wir danach hören, wie es sich für Ihre StellvertreterIn angefühlt hat. Vielleicht erkennen Sie dann einige Gefühle bei sich wieder. Sind Sie damit einverstanden?“
In dem Beispiel hat die Protagonistin eine Gefühllosigkeit nach einem traumatischen Erlebnis. Gefühle, die in der Traumasituation übermächtig erlebt werden, können nicht verarbeitet werden. Die Stellvertreterin, die die ProtagonistIn dop-
4.3 Rollenspiel in der eigenen Rolle
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pelnd vertritt, kann diese abgespaltenen und verkapselten Gefühle, die zu der Situation gehören, bei sich erleben und wiedergeben. Indiziert ist der Einsatz eines Stand-Ins in allen Situationen, wo ein stellvertretendes Erleben für die ProtagonistIn hilfreich sein kann. Dies kann einmal dann sein, wenn Distanz aufgrund von Unübersichtlichkeit oder Bedrohung notwendig ist, aber auch dann, wenn der innere Prozess situationsinadäquat abläuft, die ProtagonistIn also aufgrund (hilfreicher und notwendiger) Abwehrmechanismen die Situation kognitiv und affektiv nicht mehr angemessen verarbeiten kann. Die StellvertreterIn kann demgegenüber in der Realität der Psychodrama-Szene Gedanken, Gefühle und Impulse, die zur Situation im Sinne einer gesunden psychischen Verarbeitung gehören, wahrnehmen und verbalisieren. Durch dieses Doppeln kann die ProtagonistIn wieder an das eigene Erleben anschließen und das Erlebte weiter verarbeiten.
DasȱZurȬSeiteȬSprechenȱ Diese Technik ist im weitesten Sinn auch dem Doppeln zuzuordnen. Hierbei wird die ProtagonistIn gebeten, einen eigentlich inneren, leisen Monolog über die eigene Befindlichkeit laut zur Seite zu sprechen, während die äußere Situation ruht. Das Zur-Seite-Sprechen hilft besonders in den Lagen, wo die AntagonistIn oder die gesamte Szene den Handlungsfluss unterbrechen. Die ProtagonistIn kann über diese Maßnahme quasi sich selbst doppeln; über das Verbalisieren lockert sich die Blockade und sie gelangt wieder in eine Spontaneitätslage, die den FadenȱderȱinnerenȱHandlung frei gibt. Auf die folgenden zwei Psychodrama-Techniken wurde bereits im Kapitel „Arrangements“ eingegangen: Das Rollenspiel in der eigenen Rolle und das Rollenspiel in der Rolle eines anderen Menschen. Es handelt sich dabei sowohl um eine Arbeitsform als auch um eine Technik.
4.3 RollenspielȱinȱderȱeigenenȱRolleȱ „Als die Bilder laufen lernten“
Während mit den bisherigen Techniken Szenenaufbau und Doppeln ein mehr oder weniger statisches Szenario gegeben ist, kommt mit dem Schritt zum Rollenspiel das Handeln auf die Bühne. Die ProtagonistIn tritt als Handelnde in Erscheinung. Ein klassischer Satz der Psychodrama-LeiterIn in diesem Kontext lautet: „Können
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4 Die Psychodrama-Techniken
Sie mir mal bitte zeigen, wie Sie das machen?“, oder „…, wie Sie das gemacht haben?“, oder „…, wie Sie das gern machen würden?“. Szenenaufbau und Doppeln sind als Techniken wie Fotografien, Veranschaulichungen ohne einen zeitlichen Verlauf. Mit dem Rollenspiel reihen sich für die ProtagonistInnen Bilder aneinander, werden zu einem Film, der einer inneren und äußeren Logik folgt. Damit tauchen der Faktor Zeit und eine Chronologie bzw. eine Choreografie der Szenen auf. In der Technik des Rollenspiels erweitert sich der Raum durch die Zeitachse: es gibt ein Vorher, ein Nachher, aber auch ein Nebenher. Der salutogene Faktor dieser Technik ist die Bewegung auf der Zeitachse. Die ProtagonistIn macht die Erfahrung, dass sie Handlungen und damit auch sich selbst entwickeln kann. Sie kann ausprobieren, noch einmal zurück hinter eine Szene zu gehen, aber auch, dass es ein Danach gibt, dass das Leben sich kreativ weiterentwickeln kann. Rollenspiel in der eigenen Rolle bedeutet, die ProtagonistIn spielt sich bei dieser Technik selbst, sie wechselt nicht die Person und verlässt damit nicht ihr eigenes soziokulturelles Atom. Bei den Arbeitsformen wurde beim Rollenspiel bereits unterschieden zwischen dem Spiel von etwas Vergangenem, klar Definiertem, psychodramatisch der Konserve, und dem Spiel von etwas Neuem, dem Spiel in der Stegreiflage. Diese Unterscheidung gilt auch für das Rollenspiel als Technik. So kann eine ProtagonistIn etwas nachspielen, was sie erlebt hat oder was kulturell überliefert ist (Märchen, Sage, Krimihandlung, Kinofilm, Theaterstück), aber sie kann auch eine neue Szene im Stegreif erschaffen. Fallbeispielȱ Frau Holt berichtet, dass sie in ihren Beziehungen immer wieder das Gleiche erlebt. Sie gerate immer an Männer, die sich vor ihr zurückziehen würden. Früher oder später werde sie dann eifersüchtig, und je eifersüchtiger sie auf ihre Partner sei, desto angriffslustiger werde sie. Der Therapeut fordert Frau Holt auf, eine typische Interaktion ihrer aktuellen Ehe darzustellen. Frau Holt zeigt darauf eine kurze Sequenz eines Konfliktes mit ihrem Mann, bevor dieser sich an den Computer im Keller zurückgezogen hat, um seiner Leidenschaft Computerspiel nachzugehen. Anschließend bittet der Therapeut Frau Holt zu zeigen, was dieser Szene vorausging. Es folgt eine Szene, in der sie ihrem Mann beim Abendessen viele Vorwürfe macht, immer wieder stichelt, dass er so spät abends nach Hause komme. Während sie die Szene nachspielt, spürt sie die Angst, dass sie ihren Mann verlieren könnte. Sie versteht, wie ihre eigene Angst sie anstachelt und aggressiv macht. Anschließend fordert der Therapeut Frau Holt auf, sich eine ähnliche Szene in der Zukunft vorzustellen. Frau Holt erfindet im Spiel eine neue, veränderte Szene, wie sie trotz ihrer Angst auf ihren Mann zugehen kann.
4.4 Rollenwechsel, Rollenspiel in der Rolle eines anderen Menschen und Rollenfeedback 123
In den Spielsequenzen hat die Patientin das Zusammenwirken ihrer Kognitionen, Affekte und Handlungen mit denen ihres Mannes verstanden. In einem zweiten Schritt konnte sie dieses Zusammenspiel in einem Zukunftshandeln verändern. Sie musste dazu nicht die Rolle wechseln, Frau Holt blieb dabei immer Frau Holt, sie nahm nicht die Rolle ihres Mannes ein, verstand aber dennoch ihre Beteiligung an der Situation und bekam dadurch die Möglichkeit an die Hand, sie zu verändern. Durch das RollenspielȱinȱderȱeigenenȱRolle werden die Selbstreflexion und das Verständnis für eigene Anteile an einer Problematik gefördert, ebenso wie das der Chronologie von Konflikten. Dadurch können die ProtagonistInnen leichter zu neuen, kreativen Handlungsweisen bewegt werden. Nirgends ist das MoreȬ no’sche Diktum „jedesȱ wahreȱzweiteȱMalȱistȱdieȱBefreiungȱvomȱersten“ (Moreno 2009: 139) so treffend wie hier. Im Rollenspiel in der eigenen Rolle erkennt sich der Mensch selbst. Deshalb ist es in sich wiederholenden Konflikten besonders hilfreich, so zum Beispiel auch in jeglicher klinischen Symptomatik, die mit Zwang assoziiert ist.
4.4 Rollenwechsel,ȱRollenspielȱinȱderȱRolleȱeinesȱanderenȱMenschenȱundȱ Rollenfeedbackȱ „Wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können.“ (Shakespeare)
Während das Rollenspiel in der eigenen Rolle die Selbsterkenntnis und die eigene Beteiligung in den Fokus stellt, zeigt sich im Rollenwechsel und dem Spiel in der Rolle einer anderen Person das Du. Die ProtagonistIn macht die Erfahrung, wie es sich anfühlt, in der Haut eines anderen zu stecken und darin zu handeln. Das Ziel ist damit ein Zweifaches: Einerseits vergrößert die ProtagonistIn ihr eigenes Rollenrepertoire, indem sie sich eine neue Rolle zu eigen macht, andererseits lernt sie auch ein wenig von der Welt des anderen kennen. Die Möglichkeiten, in der Rolle eines Anderen zu spielen, in eine andere Rolle zu wechseln, sind nahezu unerschöpflich. Es gibt nichts, was man als PsychodramatikerIn nicht spielen könnte: den eigenen Vater oder die Mutter, die eigene Tochter oder den Sohn, die PartnerIn, ein verstorbenes Kind oder einen toten Großvater, den Dackel Paula, den Baum im Garten, den Esstisch in der Küche oder die Gitterstäbe am Tigerkäfig im Tierpark. Auch kulturell bedeutsame und überlieferte Rollen sind ein dankbares Material: Moses,ȱMartinȱLuther,ȱWillyȱBrandt,ȱdieȱJesusmutterȱMaria,ȱFridaȱ
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4 Die Psychodrama-Techniken
Kahlo,ȱ Monaȱ Lisa,ȱ Mercedesȱ Sosa oder ein Lied von Janisȱ Joplin. Beliebt und Ehrfurcht gebietend sind unter PsychodramatikerInnen natürlich Darstellungen von Moreno. Jede RollenträgerIn entfaltet in der übernommenen Rolle ihre eigene Dynamik, zeigt den anderen damit etwas über sich und erfährt gleichzeitig etwas über sich selbst wie über die Rolle. Eine simple Technik mit großer Wirkung! Wenn die Rede davon ist, welcher Rollenreichtum zur Verfügung steht, liegt die Mahnung nahe, an die Grenzen zu denken. Nach eventuell vorhandener Spielhemmnis übernehmen die meisten Menschen gerne lustvolle Rollen, auch Rollen, in denen „man einmal richtig die Sau rauslassen darf“. Jedoch ist als Psychodrama-LeiterIn eine sorgfältige Abklärung nötig, wenn Rollen wie Hitler,ȱ Goebbels oder Stalin, eine KZ-AufseherIn, ein Selbstmord-Attentäter, ein Vergewaltiger oder eine MörderIn gespielt werden sollen. Hier sind ethische Grenzen zu berücksichtigen, Fragen der Belastbarkeit der RollenträgerInnen im Vorhinein abzuschätzen und gegebenenfalls ist auf das Erleben in der Rolle zu verzichten zugunsten einer symbolischen Darstellung. Auch für das Rollenspiel in der Rolle eines Anderen gilt wie schon für das Rollenspiel in der eigenen Rolle, dass es zwei Varianten gibt, die Konserve und das Stegreifspiel,ȱ das Bekannte und das Neue. Psychodrama-Neulingen fällt es meist leichter, vorgegebene Szenen mit den dazugehörigen Rollen nachzuspielen. Hierzu waren im Kapitel zu den Arrangements Beispiele zu lesen. Handeln und Wechseln sind die Schlüsselbegriffe zu dieser Technik, und entsprechend den oben beschriebenen Zielen der Erweiterung des eigenen Rollenrepertoires und der Erkenntnis des Anderen liegt die Hauptindikation für diese Art des Rollenspiels bei Menschen, die in ihren eigenen, sich wiederholenden Mustern festgefahren scheinen; im klinischen Bereich sind dies Menschen mit so genannten frühen Störungen oder mit einer Zwangssymptomatik im Denken, Fühlen oder Handeln. Aber es gibt kaum Menschen, die nicht an der einen oder anderen Stelle festgefahren sind, es muss nicht immer eine klinische Symptomatik sein, die ein Rollenspiel in der Rolle eines Anderen hilfreich werden lässt. Und Krüger mahnt zu recht, wenn er schreibt: „WirȱsindȱalsȱPsychodramaȬTherapeutenȱimmerȱwiederȱverführt,ȱ inȱderȱTherapieȱdasȱfreieȱRollenspielȱinȱderȱRolleȱandererȱzuȱvernachlässigen.ȱDieȱ(berechtigȬ te)ȱErwartungȱvonȱPatienten,ȱihreȱKonflikteȱdirektȱzuȱbearbeitenȱundȱzuȱlösenȱverleitetȱunsȱ nurȱallzuȱoftȱzuȱ„nur“ȱprotagonistenzentriertemȱVorgehen.“ (Krügerȱ2004: 27)
Rollenfeedbackȱ Beim Rollenfeedback handelt es sich um eine Technik, die bereits beim Ablauf des ProtagonistInnen-Spieles besprochen wurde. In der Regel wird es am Ende
4.5 Das Spiegeln
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des Spieles gegeben. Die RollenspielerIn wechselt in der Integrationsphase noch einmal innerlich in die zuvor gespielte Rolle und berichtet daraus: „InȱderȱRolleȱderȱ TochterȱvonȱFrauȱBlauȱhabeȱichȱerlebt,ȱdassȱ…“ȱoder „ObwohlȱmeineȱHandlungsinstrukȬ tionȱsoȱwar,ȱdassȱichȱmichȱnichtȱbewegenȱsollte,ȱwollteȱichȱamȱliebstenȱweglaufen“. Wenn das Rollenfeedback während des Spiels gegeben wird, spricht man vom RolleninȬ terview. Für die RollenträgerIn, also die MitspielerIn ist es ein erneuter Rollenwechsel, für die ProtagonistIn ist es ein Feedback, was zu einem Abgleich der eigenen Wahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung eines Anderen führt. Projektionen können damit teilweise aufgelöst werden.
4.5 DasȱSpiegelnȱ Er stellt sich vor sein Spiegelglas Und arrangiert noch dies und das. […] Probiert auch mal, wie sich das macht, Wenn er so herzgewinnend lacht […]“ 18 (Busch )ȱ
Um die Technik des Spiegelns einzusetzen, braucht es eine StellvertreterIn. Dieser Begriff wurde weiter oben bereits erläutert. Während in jenem Abschnitt die Funktion der StelllvertreterIn im Fokus stand, geht es nun um die ProtagonistIn; sie verlässt die Szene, um sie von außen, wie in einem Spiegel zu betrachten. Beim Blick auf die Szene erfährt sie eine Sicherheit gebende Distanz und kann sich im Geflecht ihrer aktuellen sozialen Bezüge und Interaktionen ohne Handlungsdruck betrachten. Das Stand-In übernimmt inzwischen ihre Rolle, wobei nur das gezeigt wird, was die ProtagonistIn zuvor selbst auf der Bühne dargestellt hatte. Die Fragen der Psychodrama-LeiterIn an die ProtagonistIn kreisen um Themen wie: „WasȱsehenȱSieȱvonȱhier?“ȱ„WasȱdenkenȱoderȱfühlenȱSieȱhierȱüberȱdieȱ Situation,ȱdieȱSieȱdortȱsehen?“ oder „WasȱkönnenȱSieȱderȱPersonȱinȱdieserȱSituationȱfürȱ einenȱRatȱgeben?“ Vergegenwärtigen wir uns noch einmal das Fallbeispiel von Frau Blau aus dem Abschnitt StellvertreterIn. Fallbeispiel:ȱ Die Protagonistin Frau Blau berichtete während des Szenenaufbaus von einer Situation, die der Trennung von ihrem alkoholkranken Ex-Mann vor einem Jahr vorausging. Die Szene
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WilhelmȱBusch, Gedichte (1999: 49)
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4 Die Psychodrama-Techniken
spielte in der Küche nach dem Abendessen; anwesend waren ihre siebenjährige Tochter Klara und ihr damaliger Ehemann in alkoholisiertem Zustand. Die letzte geschilderte Intervention des Therapeuten war der Vorschlag, eine StellvertreterIn in die Szene zu schicken. PD-Therapeut: „Ich würde Ihnen vorschlagen, dass Sie eine Stellvertreterin für sich in dieser Situation suchen, die für Sie in die Szene geht. Dann können wir danach hören, wie es sich für Ihre StellvertreterIn angefühlt hat. Vielleicht erkennen Sie dann einige Gefühle bei sich wieder. Sind Sie damit einverstanden?“ Frau Blau: [ist einverstanden und wählt eine Mitspielerin, mit der sie viel Kontakt in der Gruppe hat als Stellvertreterin; diese geht anstelle von Frau Blau in die Szene] PD-Therapeut: [Therapeut und Frau Blau stehen abseits der Bühne und betrachten die szenische Handlung] „Wie geht es Ihnen, wenn Sie das von hier draußen sehen?“ Frau Blau: „Ich bin so froh, dass es vorbei ist. Und ich bin auch froh, dass ich hier draußen außerhalb der Handlung bin.“ PD-Therapeut: „Das kann ich mir gut vorstellen, denn es war ja auch wirklich schlimm. Sie haben ja gesagt, dass Sie in der Szene damals und auch in der hier gezeigten keine Gefühle hatten. Wie geht es Ihnen jetzt hier draußen?“ Frau Blau: „Wenn ich mir das so anschaue, habe ich ein bisschen Angst um die beiden [Frau Blau und ihre Tochter]. Aber wenn ich hier stehe, weiß ich genau, dass es richtig war, damals zu gehen. Ich würde ihr am liebsten sagen, dass sie sich deswegen keine Gedanken mehr machen soll. Sie hat so viel und so lange ausgehalten. Es ist Zeit geworden, dass sie gegangen ist und auch ihre Tochter in Sicherheit gebracht hat.“
In der Spiegelposition gewinnt die Protagonistin Abstand zur Bedrohung und kann dadurch ihre Gefühllosigkeit etwas zurücknehmen. Sie spürt etwas mehr und kann die Situation anders bewerten. Zusätzlich konnte sie im gezeigten Beispiel einen stärkenden Handlungsimpuls entwickeln. Die Stellvertreterin erlebte die Angstgefühle, aber auch die Wut sehr deutlich bei sich und konnte dies der Protagonistin in der Nachbesprechung mitteilen. Durch den Blick von außen erkennt die ProtagonistIn, was nicht stimmig ist in der Situation und kann aus dieser BeobachterIn- und Regieposition korrigierend eingreifen. Wo sie nicht weiterkommt, hat sie die Psychodrama-LeiterIn an der Seite, um sich zu besprechen. Das Beispiel von Frau Blau zeigt, dass das Spiegeln eine hilfreiche Intervention bei traumatisierten Menschen sein kann. Hier ist wieder besonders auf die Stärkung des Selbstbewusstseins oder die Ich-Stärkung zu achten. Für andere Menschen kann das konfrontative Element des Spiegelns nützlich sein: Rationalisierungen und Störungen in der Anpassung an eine Situation lassen sich damit
4.6 Rollentausch
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ebenfalls gut behandeln. Auch im Bereich der Supervision und der Organisations- bzw. Teamberatung ist das Spiegeln eine beliebte Technik: Die Betroffenen können in der Spiegelposition eigene Verstrickungen erkennen und aus dem Off neue Impulse entwickeln.
4.6 Rollentauschȱ „Ein Teil von dir Steckt für immer in mir. Und ein Teil von mir Steckt für immer in dir“ (DieȱTotenȱHosen)ȱ
Hinsichtlich der Begrifflichkeit dieser Technik gibt es immer wieder Unklarheiten. Im englischsprachigen Raum wird der Begriff roleȱ reversal sowohl für den Rollenwechsel als auch für den Rollentausch verwendet. Deshalb sei an dieser Stelle eine Definition vorangestellt: Um einen Rollenwechsel im psychodramatischen Sinne handelt es sich, wenn die RollenspielerIn von einer Rolle in eine andere wechselt, so wie es z.B. bei dem Spiel in der Rolle eines Anderen beschrieben wurde. Von Rollentausch sprechen wir, wenn zwei RollenspielerInnen wechȬ selseitig ihre Rolle tauschen, also einen reziproken Rollenwechsel vornehmen: A übernimmt die Rolle von B und B übernimmt gleichzeitig die Rolle von A. Dazu begibt sich im Psychodrama A auch an die Position von B und umgekehrt.
Abbildungȱ25:
Rollentausch
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4 Die Psychodrama-Techniken
Das klassische Moreno-Zitat, welches den Rollentausch veranschaulicht, wurde bereits im ersten Kapitel zitiert, es sei aber an dieser Stelle noch einmal angeführt: „Undȱbistȱduȱbeiȱmir,ȱsoȱwillȱichȱdirȱdieȱAugenȱausȱdenȱHöhlenȱreißenȱundȱanȱStelleȱderȱ meinenȱsetzen,ȱundȱduȱwirstȱdieȱmeinenȱausbrechenȱundȱanȱStelleȱderȱdeinenȱsetzen,ȱdannȱ willȱichȱdichȱmitȱdenȱdeinenȱundȱduȱwirstȱmichȱmitȱmeinenȱAugenȱanschauen“ȱ(Moreno 1915: 5). Es versteht sich von selbst, dass PsychodramatikerInnen sich nicht auf der Bühne gegenseitig Augen ausreißen und wieder einsetzen, aber in der plastischen Beschreibung wird deutlich, dass ein Rollentausch eine Technik ist, die nicht ohne Spuren zu hinterlassen angewandt werden kann. Die Wirkungen des Rollentauschs sind vielfältig. Um dies zu veranschaulichen, stellen wir uns zwei Personen A und B vor. Wenn A und B die Rolle tauschen und dann wieder zurück in ihrer eigenen Rolle sind, ist Folgendes passiert:
A hat einen Einblick (somatisch, kognitiv, affektiv, willens- und absichtsmäßig) in das Innenleben von B bekommen (Du-Erkenntnis). B hat umgekehrt einen Einblick (somatisch, kognitiv, affektiv, willens- und absichtsmäßig) in das Innenleben von A bekommen (Du-Erkenntnis). A hat einen Blick aus der Perspektive von B auf sich selbst und ihre gemeinsame Beziehung bekommen (Selbst- und Beziehungserkenntnis). B hat einen Blick aus der Perspektive von A auf sich selbst und ihre gemeinsame Beziehung bekommen (Selbst- und Beziehungserkenntnis). A hat einen „inneren Abdruck“ von B in sein Innenleben mitgenommen (Selbstveränderung und Distanzierung). B hat einen „inneren Abdruck“ von A in sein Innenleben mitgenommen (Selbstveränderung und Distanzierung).
Der Rollentausch ist eine Erweiterung der vorhergehenden Techniken. Er beinhaltet sowohl den Szenenaufbau als auch das Doppeln, als auch den Rollenwechsel und das Spiegeln. Obwohl das Vorgehen vordergründig sehr einfach aussieht – zwei Menschen tauschen kurzfristig ihre Rollen – erfordert diese Technik, wenn sie denn von den beiden Beteiligten richtig vollzogen werden soll, ein hohes Maß an psychischer Strukturiertheit. Die oben beschriebenen Wirkungen machen deutlich, dass ein Rollentausch nur dann vorgenommen werden sollte, wenn beide Beteiligten die Bereitschaft und das Interesse haben, sich selbst in Frage zu stellen, den anderen besser kennenzulernen sowie die Beziehung näher in Augenschein zu nehmen. „DerȱpsychodramatischeȱRollentauschȱstelltȱsichȱ[…]ȱalsȱTechȬ nikȱ dar,ȱ mitȱ derenȱ Hilfeȱ dieȱ jederȱ Interaktionȱ zugrundeȱ liegendenȱ PerspektivverschränȬ kungenȱrekonstruiert,ȱanalysiertȱundȱggf.ȱmitȱeinemȱneuenȱSkriptȱversehenȱwerdenȱkönȬ nen“ (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2009: 59).
4.6 Rollentausch
129
Ein Rollentausch gibt es in zwei Varianten, als echten Rollentausch und als stellvertretenden Rollentausch. Der Unterschied wird an den folgenden Beispielen deutlich. Fallbeispieleȱ Der echte Rollentausch Herr Keil und Herr Köpf kommen gemeinsam zur betrieblichen Mediation. Nachdem die beiden der Psychodrama-Leiterin von ihrer schwierigen Situation als Teamkollegen erzählt haben, bittet sie diese, die letzte Situation, in der sich ihr Konflikt gezeigt hat, zu zeigen. Zunächst zeigt Herr Keil die Situation aus seiner Sicht. Nachdem die Szene von ihm gezeigt wurde, werden beide gebeten, ihre Rollen zu tauschen. Herr Köpf spielt nun nach den Vorgaben von Herrn Keil die Rolle von Herrn Keil und umgekehrt. Danach wird Herr Köpf gebeten, die Szene aus seiner Sicht darzustellen. Wieder kommt es zum Rollentausch: Herr Keil spielt nun nach den Vorgaben von Herrn Köpf die Rolle von Herrn Köpf und umgekehrt. Der stellvertretende Rollentausch Die bereits mehrfach erwähnte Frau Blau erzählt davon, dass sie ihre Tochter Klara manchmal einfach nicht versteht. Ihre Tochter sei jetzt acht Jahre alt, aber sie benehme sich manchmal wie ein kleines Kind. Sie weiche ihr oft nicht von der Seite, wolle mit ihren acht Jahren immer noch auf ihren Schoß sitzen, und dann sei sie plötzlich total aggressiv und schmeiße die Tür zu ihrem Zimmer zu. Frau Blau wird vom Therapeuten gebeten, die Szene einmal zu zeigen. Frau Blau wählt ein Gruppenmitglied in die Rolle ihrer Tochter Klara und sagt ihr, was sie tun soll. Nachdem die Szene einmal durchgespielt ist, bittet der Therapeut Frau Blau, einmal mit Klara die Rolle zu tauschen.
Im stellvertretenden Rollentausch ist also die „wirkliche“ zweite Person nicht in der Szene, sondern eine RollenspielerIn. Die Indikationen des Rollentauschs bestehen, wenn eine oder mehrere Personen Interesse haben, etwas über sich selbst in Bezug auf einen Anderen, etwas über den Anderen oder etwas über die gemeinsame Beziehung erfahren zu wollen. Häufig wird er im Kontext von Beziehungsklärungen oder Konfliktlösungsinteressen angewandt, daher auch das Fallbeispiel aus dem Bereich der Mediation. Im klinischen Bereich wird der Rollentausch im Bereich der Depressionen und Trauerreaktionen eingesetzt (vgl. Krüger 1989, 1997; Sturm 2009). Ein Rollentausch wird in der Regel nicht gelingen, wenn die ProtagonistIn nicht bereit ist, sich mit Fragen der Beziehungsklärung oder Konfliktlösung zu beschäftigen oder Vorbehalte gegen die AntagonistIn hat, wie dies zum Beispiel bei traumatisierten Menschen aus guten Gründen der Fall ist. Ebenso ist der Rollentausch kontraindiziert, wenn es sich um Menschen mit einer Suchterkrankung oder um Menschen mit psychotischen Erkrankungen handelt.
130
4 Die Psychodrama-Techniken
4.7 SzenenwechselȱundȱAmplifikationȱ „Aus einer Mücke einen Elefanten machen“ (Sprichwort)
Der Szenenwechsel kann von der Ausgangsszene, also der Szene, mit der die KlientIn zur BeraterIn kommt, sowohl in eine vergangene als auch in eine Parallelszene in der Gegenwart oder in eine mögliche Zukunftsszene führen. In der Abbildung „Szenenwechsel“ hat der Protagonist (das linke, eingefärbte Dreieck) Schwierigkeiten mit seinem Chef (Symptomszeneȱ inȱ derȱ Gegenwart); parallel dazu fühlt er sich bei dem Trainer seines Fußballvereins an die Szene mit dem Chef erinnert und reagiert ähnlich allergisch (ParallelszeneȱinȱderȱGegenwart). Im Gespräch mit seinem Therapeuten erinnert sich der Protagonist, dass er mit seinem Vater früher ähnliche Konflikte erlebt hat (genetischeȱoderȱfrühereȱSzene). In dem darauf vom Therapeuten vorgeschlagenen Probehandeln in der Zukunft testet der Protagonist mit seinem Chef einen anderen Umgang (Probehandelnȱ inȱ derȱ Zukunft). Zurück in der Gegenwart geht der Protagonist gestärkt aus der Szene in seine „realen“ aktuellen Szenen mit seinem Chef und seinem Trainer. Im Gewand des Sharings, einer Parallelszene eines anderen Teilnehmers der Gruppe zur Ursprungsszene des Protagonisten, ist auch ein Szenenwechsel enthalten. Dazu kommen wir bei der Vorstellung der letzten Technik. Im therapeutischen Setting sprechen wir von der Symptomszene in der Gegenwart und der genetischen Szene in der Vergangenheit. Unter Amplifikation wird verstanden, wenn der Szenenwechsel in eine der nächst größeren Szenen stattfindet, d.h. das soziokulturelle Atom der ProtagonistIn verlassen wird. Hier bieten sich zunächst Abstraktionen, aber auch kulturelle Konserven wie Romane, Kinofilme, Theaterstücke, aber auch Märchen oder Sagen an. Der Effekt des Szenenwechsels ist ein mehrfacher: Zum einen kann die ProtagonistIn durch Parallelen die Struktur einer Situation besser erfassen und damit die Essenz des Konfliktes, zum anderen kann sie sich entlasten durch die Erkenntnis, dass ihr Problem ein universales ist. Andere Menschen mussten oder müssen mit ähnlichen Schwierigkeiten umgehen. Deswegen bietet sich der Szenenwechsel im klinischen Bereich besonders bei Menschen mit einer Angstsymptomatik an.
4.8 Sharing
131
Chef Symptomszene inSymptomszene der Gegenwart
in der Gegenwart Ch f Zukunft
Vergangenheit
Trainer
Vergangenheit Vater
Parallelszene in der Gegenwart
Genetische od. frühere Szene
Chef
Probehandeln in der Zukunft
GT
Chef
Parallelszene eines anderen Teilnehmers
Abbildungȱ26:
Szenenwechsel
4.8 Sharingȱ „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ (Sprichwort)
Das Sharing wird im Allgemeinen eingeführt durch die Frage der PsychodramaLeiterIn: „Was kennen Sie von dem eben (im Psychodrama-Spiel) Gezeigten aus Ihrem eigenen Leben?“ In Abbildung 26 zum Szenenwechsel ist bereits das Sharing integriert. Ein anderer Gruppenteilnehmer (GT) berichtete in dem Beispiel im Sharing, dass er diese Art von Reaktion auf seinen Chef aus seiner aktuellen Berufssituation auch kennt. Das Sharing beinhaltet demnach einen Szenenwechsel, nämlich in die
132
4 Die Psychodrama-Techniken
erinnerte Szene eines anderen Gruppenmitglieds (nicht mehr der ProtagonistIn), die der Szene der ProtagonistIn aber ähnlich ist, und einen Rollenwechsel von der MitspielerIn zur „ProtagonistIn“. Letztere wird hier in Anführungszeichen gesetzt, da die Sharing gebende MitspielerIn nur in ihrer eigenen, erinnerten Szene ProtagonistIn sein kann. Sharing entlastet durch die Erfahrung, mit den eigenen Gefühlen, Gedanken, Impulsen und Erfahrungen nicht allein zu sein, sondern zu erleben, dass andere Menschen ähnliche Erfahrungen gemacht haben; es entlastet aber auch die MitspielerInnen und ZuschauerInnen, da sie im Sharing die Möglichkeit haben, Dinge mitzuteilen, die sie – angestoßen durch das Miterleben der Situation der ProtagonistIn – belasten. Für das Verständnis dieses zweiten Prozesses sind die Entdeckung und die Forschung zu den Spiegelneuronen hilfreich. Auch durch bloßes Zuschauen werden kognitive, affektive und handlungsnahe Prozesse innerlich in Gang gesetzt, die dazu führen, dass auch die ZuschauerInnen eine Möglichkeit brauchen, sich der Gruppe mitzuteilen.
Literaturȱ Hutter, C. und Schwehm, H. (2009): J.L.ȱ Morenosȱ Werkȱ inȱ Schlüsselbegriffen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft Krüger, R.T. (1989): Der Rollentausch und seine tiefenpsychologischen Funktionen. PsychoȬ drama 2 (1), S. 45-67 Krüger, R.T. (1997): Kreativeȱ Interaktion.ȱ Tiefenpsychologischeȱ Theorieȱ undȱ Methodenȱ desȱ klassiȬ schenȱPsychodramas. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Krüger, R.T. (2002): Wie wirkt Psychodrama? Der kreative Prozess als übergeordnetes Theoriekonzept des Psychodramas.ȱ Zeitschriftȱ fürȱ Psychodramaȱ undȱ Soziometrie 2 (2), S. 273-316 Krüger, R.T. (2004): Wirkfaktor Kreativität. Theorie und Praxis der zentralen Psychodramatechniken. Unveröffentlichtes Manuskript. Krüger, R. T. (2005): Szenenaufbau und Aufstellungsarbeit, Praxis und Theorie, Variationen und Indikationen im Gruppensetting und in der Einzelarbeit. Zeitschriftȱ fürȱ PsychoȬ dramaȱundȱSoziometrieȱ4 (2), S. 249-274 Krüger, R.T. (2009): Das Herz des Psychodramas. Die Grundlagen der störungsspezifischen Psychodramatherapie. Unveröffentlichtes Manuskript Leutz, G. (1986): Psychodrama.ȱTheorieȱundȱPraxis. Berlin: Springer. Pruckner, H. und Schacht, M. (2003): Machen Sie bitte einen??? Zur Begrifflichkeit von Rollenwechsel und Rollentausch. ZeitschriftȱfürȱPsychodramaȱundȱSoziometrieȱ2 (1), S. 7-15 Schaller, R. (2009): Stellenȱ Sieȱ sichȱ vor,ȱ Sieȱ sind…ȱ Dasȱ EinȬPersonenȬRollenspielȱ inȱ Beratung,ȱ CoachingȱundȱTherapie. Bern: Hans Huber
4.8 Sharing
133
Stadler, C. und Spörrle, M. (2008): Das Rollenspiel. Versuch einer Begriffsbestimmung. ZeitschriftȱfürȱPsychodramaȱundȱSoziometrie 7 (2), S.165-188 Sturm, I. (2009): „Elisabeth“ – Drehbuch für die Präsentation einer Kasuistik. Zur Anerkennung des Psychodramas in der Schweiz. Zeitschriftȱ fürȱ Psychodramaȱ undȱ Soziometrie 8 (1), S.120-140. DOI 10.1007/s11620-009-0041-1 von Ameln, F., Gerstmann, R., Kramer, J. (2009): Psychodrama, 2.Aufl. Heidelberg von Siebert. W. und Stadler, C. (2007): Psychodrama und Mediation. ZeitschriftȱfürȱPsychoȬ dramaȱundȱSoziometrieȱ6 (2), S. 227-245
4.8 Sharing
5 5
135
Rollentheorieȱ
„Denn jedes Individuum drängt danach, weitaus mehr Rollen zu verkörpern, als die, die ihm im Leben gestattet sind zu spielen und sogar in ein und derselben Rolle mehrere Variationen darzustellen.“ Morenoȱ(1934 in 2001: 106)
GeorgeȱHerbertȱMead und RalphȱLinton, die sich in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts mit den Zusammenhängen von menschlichem Verhalten und gesellschaftlichen Gegebenheiten beschäftigten, werden als die Urväter der modernen sozialpsychologischen Rollentheorie gesehen. Moreno, der sich bereits ein Jahrzehnt früher mit derartigen Fragestellungen auseinandersetzte, bleibt in diesem Zusammenhang meist unerwähnt (Petzoldȱ &ȱ Mathias 1982: 15). Das mag daran liegen, dass seine poetische Wortwahl und seine komplizierte Darstellungsweise seine theoretischen Konzepte schwer verständlich machen, aber auch daran, dass es seinen rollentheoretischen Überlegungen mitunter an Struktur mangelt, sie teilweise Widersprüchlichkeiten aufweisen und Morenoȱ mehr seinen spontanen Eingebungen Folge leistete, als sich den wissenschaftlichen Vorgaben seiner Zeit zu unterwerfen. Das hatte zur Folge, dass seine fortschrittlichen Gedanken zu bestimmten Fragestellungen unbeachtet blieben, wie etwa seine Beiträge zum Verständnis von menschlichem Verhalten und vor allem seine eigenständig entwickelten und praxisnahen Theorien (Petzold &ȱMathias 1982). Seinen SchülerInnen Leutz,ȱRojasȬBermúdez, PetzoldȱundȱMathias (Petzoldȱ&ȱMaȬ thias 1982) ist es zu verdanken, dass sein rollentheoretisches Konzept systematisiert und weiterentwickelt wurde. Auch Hochreiterȱ(1996,ȱ2004), Krotz (2008) und Schacht (2003, 2009) haben – basierend auf den Gedanken Morenos und seiner Ehefrauen Florenceȱund Zerka – eine Erweiterung der Rollentheorie vorgenommen. RollentheorikerInnen bedienen sich bestimmter Bühnenmetaphern. Sie schließen dabei an eine in der Renaissance und im Barock beliebte Tradition an, das Leben und Ereignisse mit Begriffen aus der Theaterwelt zu beschreiben, wie etwa „das Skript des Lebens“ oder „auf der Bühne dieser Welt“. In früheren Zeiten wurde davon ausgegangen, dass eine göttliche Macht oder das Schicksal
136
5 Rollentheorie
bestimmt, wie das Leben eines Menschen verläuft und damit, der oben erwähnten Metaphorik folgend, was auf der „Bühne dieser Welt“ geschieht bzw. in welcher Art „das Skript“ verfasst ist. Später wurden gesellschaftliche Umstände dafür verantwortlich gemacht, welchen Status eine Person innehatte und wie dadurch ihre Rollen determiniert waren. Durch soziale Sanktionen, so nahm man an, würde ihr Verhalten gelenkt. Beide Weltanschauungen gehen davon aus, dass der Mensch ein fremdbestimmtes Wesen ist (Petzold & Mathias 1982: 24). Inwieweit ist unter solchen Voraussetzungen eigenständiges Handeln möglich? Moreno setzte sich im Laufe seines Schaffens mit diesen Fragen auseinander und kam zu folgenden Ergebnissen:
5.1 DefinitionenȱdesȱRollenbegriffsȱ Aus der Sicht Morenos ist der Mensch ein Rollenspieler. Jedes Individuum zeichnet sich durch eine bestimmte Anzahl von Rollen aus, die sein Handeln prägen, wie Tochter, Schwester, Beziehungspartnerin, Werktätige, Kollegin, Mitglied eines Dorfverschönerungsvereins. Auch jede Kultur weist eine Reihe von Rollen auf, die sie ihren Angehörigen mit unterschiedlichen Graden an Erfolg zu- oder vorschreibt (Moreno 2001), denken wir zum Beispiel an den Auszählreim: „Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann“. Menschen erleben sich in Rollen und nehmen andere in solchen wahr. Ohne sie können wir auf spezifische Situationen mit anderen Personen oder Objekten nicht angemessen reagieren. Rollenhandeln kann nur als ein Interagieren in einem sozialen Kontext verstanden werden. In diesem Sinne definiert Krotz (2008) den Begriff „Rolle“ als eine Form, die ein Individuum wählt, um mit sich selbst und mit anderen, die ihrerseits ebenso im Rahmen ihrer Rollen agieren, in Beziehung zu treten. Auf diese Weise entsteht eine situative Interaktion. Folglich wird Rolle aus psychodramatischer Sicht als ein fundamentaler Beziehungsmodus verstanden, der Menschen einen Rahmen gibt, um sich auszudrücken und zu anderen Beziehung aufnehmen zu können. Dabei spielen nicht nur die eigenen Absichten im Umgang mit einer speziellen Situation eine Rolle, ebenso orientiert sich die Person an den Erwartungen der anderen. „Nurȱausȱ einerȱRolleȱherausȱistȱInteraktion,ȱalsoȱBeziehungȱmöglich,ȱundȱumgekehrtȱistȱjedeȱRolleȱinȱ derȱ psychodramatischenȱ Szeneȱ inȱ einȱ konkretesȱ Beziehungsgefügeȱ eingebunden,ȱ dasȱ ausȱ aufeinanderȱbezogenenȱRollenȱbesteht“ (Krotzȱ2008: 33). Die psychodramatischen Definitionen des Rollenbegriffs ermöglichen es, individuelle und gesellschaftliche Einflüsse auf menschliche Verhaltensmuster zu verbinden. Moreno unterscheidet sich hiermit von Rollentheoretikern wie Mead
5.2 Die vier Rollendimensionen
137
(1934, 1975) und Parsons (1951, zit. n. Petzold & Mathias 1982: 86), die die gesellschaftlichen Prägungen einer Rolle in den Vordergrund schieben. So geht Moreno zwar vom prägenden Einfluss gesellschaftlicher Rollenmuster, Normen und Werte aus, die dem „Spieler bis ins Fleisch dringen“ (Moreno 1939b, zit. n. Petzold & Mathias 1982: 86) und sein Handeln prägen, doch dem Individuum obliegt es, diese Rollen persönlich auszugestalten. Somit wird neben der gesellschaftlichen Determination einer Rolle auch dem persönlichen Freiraum Bedeutung beigemessen. Dazu Moreno (2001: 105): „JedeȱRolleȱistȱeineȱFusionȱpersönlicherȱundȱkollektiȬ verȱElemente.ȱJedeȱRolleȱhatȱzweiȱSeiten,ȱeineȱpersönlicheȱundȱeineȱkollektiveȱSeite.“ PetȬ zold (1982), der gemeinsam mit Mathias Morenos rollentheoretische Konzepte zusammenfasste und systematisierte, bezeichnet den gesellschaftlich determinierten Aspekt einer Handlungseinheit als die kategoriale Rolle und den individuell geprägten Anteil als die aktionaleȱRolle.
5.2 DieȱvierȱRollendimensionenȱ Wie oben erwähnt, werden Rollen sowohl von gesellschaftlichen als auch von persönlichen Faktoren beeinflusst. Je nachdem, wie stark die gesellschaftliche und die individuelle Komponente die Rollengestaltung beeinflussen, unterscheidet ZeintlingerȬHochreiterȱ(1996: 125f) im Sinne Morenos vier Rollendimensionen. 1. 2. 3. 4.
Rollen als kollektive soziokulturelle Stereotypen Rollen als vorgegebene individuelle Handlungsmuster Rollen als individuell gestaltete, abrufbare Handlungsmuster Rollen als tatsächliches Handeln in einer aktuellen Situation
Tabelleȱ14:
Die vier Rollendimensionen
1) Rollen als kollektive soziokulturelle Stereotypen Hierunter werden Rollen verstanden, die durch soziokulturelle Normierungen geformt wurden und unabhängig von Personen und Situationen Bestand haben. Dies sind zum Beispiel Berufsrollen wie die der ObstverkäuferIn, der RichterIn, der HandwerkerIn oder der PolizistIn. Wir tragen in uns bestimmte Vorstellungen und Erwartungshaltungen darüber, wie sich VertreterInnen bestimmter Berufsgruppen zu verhalten haben, etwa wie eine PolizistIn den Verkehr regelt, wenn die Ampel einer stark frequentierten Kreuzung ausgefallen ist, oder wie eine ObstverkäuferIn ihre Ware feilbietet. Die individuelle Note dieser Handlung ist dabei nicht von Belang.
138
5 Rollentheorie
2) Rollen als vorgegebene individuelle Handlungsmuster Moreno bezeichnet diese auch als Rollenkonserven. Sie unterscheiden sich von den soziokulturellen Stereotypen hinsichtlich der Vorgabe von Text und Rahmen. Vorwiegend werden darunter Theaterrollen verstanden, wie die des Gretchens in Goethes Faust. 3) Rollen als individuell gestaltete, abrufbare Handlungsmuster Von ZeintlingerȬHochreiterȱ(1996) wird diese Form der Handlungsmuster als sozialpsychologische Dimension des Rollenbegriffs angeführt. Werden soziokulturell ausgeformte Rollen, wie die der BriefträgerIn, von Personen übernommen, steht es in ihrer Macht, diese auch individuell zu gestalten. Ob die BriefträgerIn die Pakete mit einem Lächeln und ein paar freundlichen Worten den AdressatInnen übergibt, hängt unter anderem von ihrer Persönlichkeitsstruktur ab. Auf diese Weise kommt es zu einem Zusammenspiel von kollektiven und privaten Elementen. 4) Rollen als tatsächliches Handeln in einer aktuellen Situation Rollen dürfen nicht unabhängig vom sozialen Kontext gesehen werden. Sie werden durch den bestimmten Rahmen einer Situation geformt, wie Zeit, Ort, anwesende Personen und deren Beziehung untereinander und vieles mehr. Die Rollengestaltung wird somit nicht nur durch gesellschaftliche Normen und Persönlichkeitsstrukturen beeinflusst, sondern auch durch die Form der Interaktion zwischen den Beteiligten und die vorhandenen Rahmenbedingungen. Die Rolle der Vortragenden wird in einem vertrauten Umfeld anders belebt als zum Beispiel vor einem 100-köpfigen Publikum.
5.3 DieȱEigenschaftenȱvonȱRollenȱ MorenosȱRollentheorie liegen bestimmte Annahmen zugrunde, die sie einzigartig machen. Diese werden in der Folge – angelehnt an frühere diesbezügliche Ausführungen (vgl. Petzoldȱ &ȱ Mathiasȱ 1982; Hochreiter 2004) – aufgelistet und beschrieben: 1. 2. 3. 4. 5.
Rollen werden verkörpert Rollenentwicklung ist ein lebenslanger Prozess Rollenhandeln wird als ganzheitliches Handeln verstanden; es wird zwischen vier Rollenkategorien unterschieden In der Rolle verschränken sich Individuum und Gesellschaft Rollenhandeln ist immer eine Form der Interaktion
5.3 Die Eigenschaften von Rollen
6. 7. 8. 9.
139
Die Rolle wird verstanden als eine inter- und intrapersonelle Erfahrung im Sinne einer wechselseitigen Regulation von Anziehung und Abstoßung Die Rolle ist abhängig von der Lage Rollen haben eine Bedeutung in psychodramatischen Handlungs- und Problemlösungsmodellen Die Rolle ist ein Ausdruck individueller und kultureller Kreativität
Tabelleȱ15:
Eigenschaften von Rollen
1) Rollen werden verkörpert In seinem 1934 erschienenen Werk „Who shall survive“ erwähnt Moreno zum ersten Mal die Bedeutung des Körpers bei der Rollenübernahme. Er beobachtete, dass jede Einnahme einer Rolle von entsprechenden körperlichen Ausdrucksweisen begleitet wird. Denn in einer spontanen Reaktion auf eine Situation oder Lage werden nicht nur Emotionen freigesetzt, diese gehen auch mit körperlichen Reaktionen einher, die sich in einem Mienenspiel oder einer Veränderung der Körperhaltung äußern können. Eine Person, die aufgrund einer bestimmten Situation verängstigt ist, wird dieses Gefühl somit auch somatisch zum Ausdruck bringen: Ihre Augen werden sich weit öffnen, ihr Herz wird schneller schlagen, und die Muskelspannung wird sich erhöhen. Dieser Drang nach Verkörperung wurde in der Psychodrama-Literatur zunächst als Aktionshunger bezeichnet. Vermag eine Person nicht, einer Rolle einen passenden körperlichen Ausdruck zu verleihen, wird in der Sprache Morenos vom „aus der Rolle Fallen“ gesprochen. In der aktuellen Literatur wird die Verkörperung einer Rolle als Embodimentȱbezeichnet. Die Schweizer Psychodramatikerin Storchȱ(2006), die diesem Thema ein ganzes Buch gewidmet hat, betont darin die starke Wechselwirkung zwischen Körperhaltungen, Gefühlsempfindungen und Handlungsweisen. Ihre Erkenntnisse stützt sie auf psychologische Forschungsergebnisse, die bestätigen, dass bestimmte körperliche Ausdrucksformen das Auftreten bestimmter Gefühlslagen begünstigen oder erschweren (z.B. Wellsȱ&ȱPetty 1980, Försterȱ&ȱStrack 1996 zit. n. Storch 2006). Zum Beispiel wird das Einziehen des Kopfes und eine gebückte Körperhaltung das Empfinden von Glücksgefühlen fast unmöglich machen. Ebenso wird gezeigt, dass Personen, die mittels eines Tricks dazu gebracht werden, mit ihrem Kopf nickende Bewegungen durchzuführen, eher einer bestimmten Aussage zustimmen, als wenn sie dazu veranlasst werden, ihren Kopf horizontal, wie bei einem Nein, hin und her zu bewegen.
140
5 Rollentheorie
2) Rollenentwicklung ist ein lebenslanger Prozess Da der Mensch schon pränatal mit seiner Umwelt in Interaktion tritt, agiert er aus der Sicht des Psychodramas bereits in Rollen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Moreno und seine zweite Frau Florence versuchten, entwicklungspsychologische Abläufe aus dem Blickwinkel der Rollentheorie zu betrachten. Zuletzt verknüpfte Schacht (2003) den aktuellen entwicklungspsychologischen Forschungsstand mit psychodramatischen Theorien. Aufbauend auf den rollentheoretischen Erkenntnissen von Krotz (2008) unterscheidet er drei Rollenebenen menschlichen Handelns, und zwar die psychosomatische, die psychodramatische und die soziodraȬ matische Rollenebene. Diese drei Ebenen weisen charakteristische strukturelle Merkmale auf, deren Fertigkeiten oder, in Schachts Begrifflichkeit, HandlungskomȬ petenzen im Laufe der kindlichen Entwicklung erworben werden. All diese Handlungskompetenzen sind für die Bewältigung der Anforderungen des Alltags während des ganzen Lebens notwendig. In der folgenden Tabelle wird einerseits gezeigt, welche Handlungskompetenzen in den Bereichen Rollenerwartungen, Selbsterleben, Verarbeitung von Wissen und Sinngebung in den verschiedenen Entwicklungsabschnitten erworben werden. Die Fertigkeiten, die mit ihrem Erwerb einen Wechsel der Rollenebenen kennzeichnen, sind mit einem grauen Balken unterlegt. Die Abbildung muss von unten nach oben gelesen werden.
5.3 Die Eigenschaften von Rollen
141
Soziodramatische Rollenebene Vom 4./6. Jahr bis zur Postadoleszenz 1. 2. 3. 4.
Aushandeln von Rollenerwartungen verbal, zunehmend mittels Perspektivenübernahme Selbstreflexion, Denken über eigenes Denken Konkret- bzw. formal-operatorisches Stadium, Verstehen psychischer Prozesse, Denken Sinngebung mittels diskursiver Symbolik Übergang: Sprache als Werkzeug der Selbstinstruktion, Personen können differenziert wahrgenommen werden Psychodramatische Rollenebene Vom 15./18. Monat zum bis 4./6. Lebensjahr
1. 2. 3. 4.
Rollenerwartungen können mittels Sprache ausgehandelt werden Selbstbewusstsein konkret Voroperatorisches, konkret anschauliches Denken, Verstehen psychischer Prozesse, Wünsche Sinngebung durch präsentative und diskursive Symbolik
Übergang: Das Kind erkennt sich selbst im Spiegel
Psychosomatische Rollenebene Ab der Geburt bis zum 15./18. Lebensmonat 1. 2. 3. 4.
Tabelleȱ16:
Aushandeln der Rollenerwartungen über Gestik und Mimik Selbstempfinden implizit, Selbst-als-Subjekt Implizites Wissen Sinngebung durch affektives Erleben
Rollenebenen nach Schacht (2009)
Rollenentwicklung darf dabei nicht als Prozess verstanden werden, der mit der Adoleszenz zum Erliegen kommt, sondern als einer, der sich bis ins hohe Alter fortsetzt. Manche Rollen sind allerdings zeitbegrenzt, wie die der SchülerIn oder der StudentIn. Sie haben eine Anfangs-, eine Reifephase und eine Phase des Verblassens. Auch wenn die Rolle nach einem Zeitabschnitt nicht mehr gelebt wird, so setzt sie sich doch als dynamischer Faktor im Leben fort. Sie kann eine
142
5 Rollentheorie
Matrix bilden, aus der eine neue Rolle Unterstützung und Stärkung erhält, bis die neue Rolle sich in ihrer eigenen Sphäre und Berechtigung etabliert (Petzoldȱ &ȱ Mathias 1982). 3) Rollenhandeln wird als ganzheitliches Handeln verstanden; es wird zwischen vier Rollenkategorien unterschieden Morenoȱ (1960)ȱ differenziert zwischen unterschiedlichen Kategorien von Rollen: den somatischen,ȱpsychischenȱundȱsozialen. Später fügte Leutz (1986) die transzendenȬ ten Rollen hinzu. Bei einer Rollenübernahme kommen meist alle Kategorien, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, zum Einsatz. Deshalb wird im Psychodrama unter Rollenhandeln ganzheitliches Handeln verstanden. Trotzdem macht eine Unterscheidung dieser Rollenkategorien Sinn. Denn erst durch das genaue Erkennen, worauf sich eine Rolle insbesondere bezieht, wird nachvollziehbar, woraus diese Rolle vorwiegend gespeist und wie sie stabilisiert wird. 4) In der Rolle verschränken sich Individuum und Gesellschaft Wie bereits erwähnt, hat jede vollzogene Rolle Anteile, die durch gesellschaftliche und kollektive Vorstellungen und Erfahrungen geprägt werden, und solche, die auf individuellen Erlebnissen und subjektiver Auffassung beruhen. Kommt es zu einer Akzentverschiebung, in der das Kollektive in den Vordergrund tritt, spricht Moreno (1934 b, zit. n. Petzold,ȱMathias 1982: 94) von einer soziodramatischen RollenȬ performanz, wird hingegen vor allem der persönlichen Auskleidung der Rolle Platz geboten, dann bezeichnet Moreno dies als psychodramatischeȱRollenperformanz.ȱȱ Die im europäischen Raum übliche kollektive Repräsentanz der Elternrolle sieht vor, dass ein Elternpaar seine Nachkömmlinge liebevoll versorgt, unterstützt und erzieht. In welcher Form dies im Alltag bei einem Elternpaar geschieht, hängt unter anderem von den eigenen Erfahrungen mit den eigenen Eltern, von Rollenmodellen, ihren Einstellungen zur Kindererziehung usw. ab. Wie viel Freiraum bei der Gestaltung dieser Rollen geboten wird, steht wiederum in engem Zusammenhang damit, in welchem gesellschaftlichen Umfeld dieses Paar Kinder geboren hat. Eine Gesellschaftsform, die strikte Regeln über die Form und Zielsetzung der Erziehung vorschreibt, wird ihnen weniger Möglichkeiten der individuellen Gestaltung dieser Rollen gewähren als ein liberaler eingestelltes Gesellschaftssystem.
In diesem Sinne wird je nach der Höhe der Freiheitsgrade zwischen Rollenübernahme und Rollengestaltung unterschieden. In diesem Abschnitt bezieht sich die Einteilung auf die Gestaltung von persönlichen Rollen und orientiert sich an der Interpretation dieser Kategorisierung nach der amerikanischen Psychodramatikerin Dayton (2005: 154f).
5.3 Die Eigenschaften von Rollen
143
Die Rollenübernahme (role taking) zeichnet sich durch eine hohe Rollenerwartung und geringe Freiheitsgrade aus. Hierbei spielt das Lernen am Modell eine große Rolle. In unserer Kindheit erleben wir, wie unsere Eltern mit uns sprechen, wie sie uns im Arm halten, wie sie mit uns in Beziehung treten. Wir lernen so ein Muster, wie Eltern mit Kindern umgehen. Diese Interaktionen werden in unserem Gedächtnis implizit gespeichert. Oft behandeln Kinder ihre Übergangsobjekte wie Puppen oder Teddy-Bären in ähnlicher Weise, wie sie selbst von Bezugspersonen behandelt werden. Auch als Erwachsene und selbst in der Elternrolle übernehmen wir unbewusst viele Verhaltensmuster, die bereits unsere Eltern an den Tag gelegt haben. Je mehr uns diese übernommenen Muster bewusst sind, desto eher ist es uns möglich, unser Verhalten selbst zu gestalten. Die Rollengestaltung (role creating) bietet einen hohen Freiheitsgrad, aber eine geringe Rollenerwartung. Freie Rollengestaltung ist dann möglich, wenn die erste Form voll integriert ist. Erst dann können Rollen neu gestaltet werden. Dayton (2005: 155f) vergleicht diesen Prozess mit dem Entwicklungsprozess von Picasso. Seine Anfangsphase zeichnete sich durch Bilder aus, die sehr detailgetreue und gegenständliche Abbildungen seiner Umwelt waren. Er wandte dabei Techniken an, die er sich in Kunstakademien angeeignet hatte. Als er allen bewiesen hatte, dass er die traditionelle Kunst des Malens wunderbar beherrschte, warf er alle Regeln dieser Arbeitsweise über Bord und entwickelte seine eigene, einzigartige Technik.
5) Rollenhandeln ist immer eine Form der Interaktion Morenoȱ hebt die unumgängliche soziale Komponente des Rollenhandelns hervor. Rollenhandeln istȱ„eineȱinterpersonelleȱErfahrungȱundȱbenötigtȱnormalerweiseȱzweiȱoderȱ mehrȱIndividuen,ȱumȱaktualisiertȱzuȱwerden.ȱEsȱkannȱnieȱlosgelöstȱvonȱderȱjeweiligenȱSituaȬ tionȱundȱdenȱentsprechendenȱkomplementärenȱRollenȱgesehenȱwerden.ȱRolleninteraktionenȱ sindȱstetsȱalsȱ„IchȬundȬandereȬSysteme“ȱzuȱverstehen“ȱ(Moreno 1982, zit. n.ȱSchachtȱ2003:ȱ 13).ȱEine vorwiegend individuell geprägte Rolle, also eine aktionale Rolle, benötigt immer ein Gegenüber, demnach eine MitspielerIn, zum Beispiel in Form von Komplementär- oder AntagonistInnen-Rollen, damit die Rolle als solche eine Form bekommt. Säuglinge benötigen die Mütter, die sie stillen, SchülerInnen die LehrerInnen, die sie unterrichten, KommissarInnen die VerbrecherInnen, die sie überführen, so wie das Gute auch das Böse braucht, um als solches wahrnehmbar zu sein. Auch die autark erscheinenden EinsiedlerInnen benötigen die Nicht-Anwesenheit von anderen um ihrer Definition gerecht zu werden.ȱ
144
5 Rollentheorie
Der Säugling bedarf aber nicht nur der Mutter, weil sie ihn nährt und er sich selbst als Nahrungsaufnehmenden erleben kann. Er muss auch die Mutter in der Rolle der Nährenden erleben, um diese Rollen in sein Selbst integrieren zu können. Menschen treten somit ständig miteinander in Beziehung. Um sich aufeinander abzustimmen und den wechselseitigen Austausch in Fluss halten zu können, muss bis zu einem gewissen Ausmaß vorhersehbar sein, wie das Gegenüber, also die Komplementärrolle, auf ein bestimmtes Verhalten reagiert. Es werden Rollenerwartungen an die andere Person gestellt, diese können verbal oder nonverbal geäußert werden. Läuft ein Kleinkind weinend mit weit geöffneten Armen zu seiner Mutter oder seinem Vater, weil es sich verletzt hat, so erwartet dieses Kind, dass es in den Arm genommen und getröstet wird. Moreno und F.ȱMorenoȱ (1944 zit. n. Schacht 2003: 14) führten für die Beschreibung dieser gegenseitigen Rollenerwartungen die Begriffe roleȱ giver und roleȱ receiverȱ ein. Das nach Trost suchende Kind agiert in deren Sinn als role giver, da es mit einer bestimmten Erwartungshaltung an seine Betreuungsperson herantritt. Die Betreuungsperson wird, wenn sie diese Rolle annimmt, zum role receiver. Lässt sich das Kind durch die tröstenden Worte und die behagliche Atmosphäre der Umarmung beruhigen, wird die Betreuungsperson zum role giver und das nun wieder ausgeglichene Kind zum role receiver. Damit Handeln gut aufeinander abgestimmt werden kann, sollte also absehbar sein, wie die InteraktionspartnerInnen auf ein bestimmtes Verhalten reagieren werden; es bedarf somit gut etablierter Verhaltensstrukturen, sogenannter Rollenkonserven. Nichts wäre irritierender als nicht zu wissen, ob auf einen freundlichen Gruß mit einem ähnlich freundlichen Gegengruß, mit einer stürmischen Umarmung oder mit einer heftigen Beschimpfung geantwortet wird. Sind die Reaktionen des Gegenübers nicht vorhersehbar oder nachvollziehbar, bedarf es eines genaueren Analysierens. Dabei muss miteinbezogen werden, dass Rollen auch einem Interpretationsprozess unterliegen (Krotz 2008). Wie wird die Lage oder Situation interpretiert, wie könnte diese Lage vom Gegenüber aufgefasst werden, wie deutet der oder die andere dieses Handeln? Durch gegenseitiges Einfühlen kann besser nachvollzogen werden, warum die AntagonistIn auf eine andere Weise reagiert als üblich. Beantwortet der Nachbar einen freundlichen Gruß mit einer mürrischen Abwendung, kann mit Hilfe eines imaginären Rollenwechsels erkannt werden, dass sein Ärger über das mitternächtliche Trompetenspiel ihn zu dieser Reaktion veranlasste. Solche Zusatzinformationen erleichtern das gegenseitige Abstimmen von Verhalten.
5.3 Die Eigenschaften von Rollen
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6) Die Rolle wird verstanden als eine inter- und intrapersonelle Erfahrung im Sinne einer wechselseitigen Regulation von Anziehung und Abstoßung Zwischen Individuen wirkt ein komplexer Prozess, den Moreno als den TeleȬ Prozess bezeichnet. Dieser reguliert Anziehung und Abstoßung. Zwischenmenschlich wird dies vor allem mittels Emotionen ausgedrückt, wobei es hier nicht nur um Sympathie und Antipathie geht. Intrapsychisch werden dadurch nicht nur Gefühle, wie Angst, Ärger, Freude, sondern auch Impulse, Wünsche, Zielvorstellungen oder Vermeidungstendenzen wirksam, die Triebfedern unserer Handlungen darstellen. Diese Formen des psychischen Antriebs haben eine Spannweite von ungeregelten Impulsen bis zu einem zielgerichteten Streben und können bewusst oder unbewusst verhaltenssteuernd wirken (Schachtȱ 2003). Die oben erwähnten Teleprozesse, deren Wechselspiel mittels Emotionen, Handlungen und Impulsen sowie Willens- und Motivationsaspekten seinen Ausdruck findet, sind vor allem in die angelsächsische Literatur als Konation eingegangen (Schacht, 2003: 16). Aber nicht nur Gefühlsregungen spielen bei der Regulation von Anziehung und Abstoßung oder bei soziometrischen Wahlen eine Rolle. Auch kognitive Aspekte beeinflussen diese Prozesse, wobei die emotionalen Prozesse meist stärker handlungsleitend sind (Krotzȱ2008). Der Schüler Timo nimmt sich vor, für den nächsten Mathematiktest intensiv zu lernen, da er, wenn er in diesem Fach zum Jahresabschluss gut benotet würde, von seiner Großmutter ein neues Skateboard geschenkt bekäme. Als er gerade sein Mathematikbuch aufschlägt, hört er, wie sein bester Freund Sebastian mit Laurenz, einem gleichaltrigen Schulkollegen, laut lachend an seinem Zimmerfenster mit dem Skateboard vorbeifährt. Bei Timo macht sich ein negatives Gefühl breit. Er hat Angst, dass Laurenz ihm seinen besten Freund „ausspannen“ könnte und dass die beiden in Zukunft, wenn er zu Hause ist und lernt, viel mehr gemeinsam unternehmen könnten. Timo schnappt sich sein altes Skateboard und folgt den beiden in Richtung Halfpipe.
7) Die Rolle ist abhängig von der Lage Eine Rolle ist vom Kontext abhängig; wird eine Rolle ausgeführt, muss es für diese Handlung auch einen Ausgangspunkt geben, einen locusȱnascendi. In seinen deutschen Frühwerken verwendet Moreno dafür den Begriff Lage, später, in seinen englischsprachigen Texten, wählt er den Ausdruck Situation (Schacht 2003). Diese beiden Ausdrücke werden in der heutigen psychodramatischen Terminologie synonym verwendet. Krotz versteht unter Situation eine für das Individuum sinnstiftende Einheit sozialen Geschehens: „Sieȱ stelltȱ einenȱ raumzeitlichenȱ AusȬ schnittȱderȱWeltȱdar,ȱderȱinȱderȱPerspektiveȱdesȱhandelndenȱIndividuumsȱdenȱfürȱInterakȬ tionenȱ undȱ Interpretationenȱ relevantenȱ Horizontȱ umreißtȱ undȱ damitȱ ausschließt,ȱ wasȱ nicht,ȱundȱeinschließt,ȱwasȱdazugehört“ (Krotz 2008: 32 f). In einfachere Worte gefasst
146
5 Rollentheorie
heißt dies, dass wir Menschen nicht losgelöst von Raum, Zeit und Kontext handeln können, da uns die nötigen Orientierungshilfen, auf die wir unser Handeln aufbauen können, fehlen würden. Wie bestimmte Lagen oder Situationen einzuschätzen sind, definieren wir selbst, wobei uns die Muster, nach welchen wir sie interpretieren, und die Regeln, nach welchen wir die darauf folgenden Handlungen gestalten, meist nicht bewusst sind. Der Rufton eines Handys kann bei ein und derselben Person unterschiedliche Reaktionen auslösen: Läutet das Handy während der Vorstellung eines klassischen Konzertes, wird es eine andere Reaktion auslösen, als wenn das Telefon an einem Arbeitstag im Büro klingelt. Wartet die Person sehnsüchtig auf den Anruf ihres Liebsten, wird das Erklingen des Ruftons anders interpretiert, als wenn sie vom ständigen Läuten des Telefons bereits genervt ist, weil sie dadurch immer wieder aus einer Arbeit gerissen wird, die Konzentration abverlangt.
8) Rollen haben Bedeutung in psychodramatischen Handlungs- und Problemlösungsmodellen Menschliches Handeln baut nach Moreno immer auf Rollen auf. Im Umgang mit Alltagsaufgaben greifen wir dabei auf Handlungsroutinen, sogenannte RollenkonȬ serven zurück. Ohne lange nachdenken zu müssen, wissen wir, wie wir täglich in die Arbeit kommen, wie wir Menschen begrüßen, die uns gerade vorgestellt wurden, oder wie wir reagieren können, wenn eine Person sich an der Einkaufskasse vordrängt. Wir bedienen uns dabei bestimmter Rollenkonserven. WasȱsindȱRollenkonserven?ȱ Moreno formte den Begriff der Rollenkonserve, worunter etablierte und gefestigte Verhaltensmuster verstanden werden, und den der kulturellen Konserve, worunter Brauchtum, Bücher oder Theaterstücke fallen. Obwohl beide essentielle Funktionen ausfüllen, Orientierungshilfen bieten und das Eingebundensein in ein soziales System erst gewährleisten, wurden sie von Moreno dem Spontanen und Neuzuschöpfenden nachgereiht, da er davon ausging, dass Menschen durch gesellschaftliche und kulturelle Vorgaben in ihrer Spontaneität stark eingeschränkt werden. Aus kritischer Distanz betrachtet sind aber gerade diese Konserven für die Ausbildung von inneren Repräsentationen generalisierter, prototypischer Rolleninteraktionen unumgänglich, ohne die ein sinnvolles und adäquates Interagieren mit anderen nicht möglich ist. Im psychodramatischen Spiel wird es aufgrund dieser kollektiven Muster den Hilfs-Ichen ermöglicht, empathisch in die Rolle einer völlig unbekannten Person zu schlüpfen und spontan aus dieser Rolle heraus zu interagieren. Kastenȱ1: Rollenkonserven
5.3 Die Eigenschaften von Rollen
147
Aus dem oben Beschriebenen geht hervor, dass Rollenkonserven zur Interaktion mit anderen und zum adäquaten, schnellen Reagieren auf bestimmte Situationen benötigt werden. Was passiert aber, wenn sich neue Sachlagen bilden, wenn Probleme entstehen, bei denen die üblicherweise angewendeten Rollenkonserven nicht zum gewünschten Erfolg führen? Zum Lösen dieser Probleme ist im Sinne des Psychodramas Spontaneität und Kreativität notwendig. VerhaltensänderungȱalsȱkreativerȱProzessȱ Durch Spontaneität und Kreativität können wir Lösungsstrategien für neu entstandene Problemlagen oder hemmende Wiederholungsrituale entwickeln und sie, wenn sie sich als zweckdienlich erweisen, auch etablieren.
Abbildungȱ27:
Verhaltensänderung als kreativer Prozess
Die Sozial- und Lebensberaterin Frau Lindner benutzt täglich die öffentlichen Verkehrsbetriebe Wiens, um in ihre Praxis zu kommen. Vor einiger Zeit streikten in Wien die MitarbeiterInnen der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Dieses Problem der veränderten Ausgangssituation, nämlich dass Frau Lindner nicht auf gewohnte Art und Weise
148
5 Rollentheorie
den Weg von ihrer Wohnung zu ihrer Praxis zurücklegen kann, wird als Starterȱeinesȱ Erwärmungsprozesses gesehen. Es ist nun notwendig, mithilfe von Spontaneität und Kreativität für diese neue Situation eine adäquate Lösung zu entwickeln. Dazu muss das Problem definiert und nach Lösungen gesucht werden. Vorerst werden stabile Rollenkonserven herangezogen, die vertraut sind. Sie könnte mit einem Auto fahren, da aber auch viele andere Personen versuchen werden, mit dem Auto zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es zu Verkehrsstaus kommen wird. Da es der Sozial- und Lebensberaterin sehr unangenehm ist, im Stau zu stehen, kommt für sie diese Möglichkeit nicht in Frage. Die normalen Handlungsmuster erweisen sich somit als nicht brauchbar, deshalb müssen neue gefunden werden. Sie befindet sich nun in der PhaseȱderȱErwärmung.
Zu welchen Handlungsalternativen eine Person letztendlich greift, hängt von vielen Faktoren ab. Hier spielen viele bewusste und unbewusste Bedürfnisse und Wünsche herein, die auf Erfahrungen beruhen, die in den verschiedenen Entwicklungsphasen gemacht wurden, und zwar nicht nur Erwartungen, die andere tatsächlich an die Person haben, sondern auch solche, von denen sie nur annimmt, dass andere sie haben könnten. Somit spielen die folgenden Faktoren eine Rolle: a. b. c.
eigene Motive als roleȱgiver die Berücksichtigung der Rollenerwartungen anderer als roleȱreceiver und der Einfluss innerlich repräsentierter Rollenerwartungen
Tabelleȱ17:
Handlungsmotive nach Schacht (2003: 287)
Diese Handlungsmotive müssen gegeneinander abgewogen werden. Frau Lindner ist eine sehr pflichtbewusste Person, es wäre ihr sehr unangenehm, wenn sie zu spät käme und ihre KundInnen auf sie warten müssten (a). Sie nimmt auch an, dass ihre KundInnen von ihr erwarten, dass sie eine Möglichkeit findet, zeitgerecht in der Praxis zu erscheinen (b). Das Bild, das sie von einer guten Lebens- und Sozialberaterin verinnerlicht hat, gibt vor, dass diese Berufsgruppe auch unter schwierigen Umständen für ihre KundInnen da sein muss (c). Frau Lindner befindet sich nun in einer Spontaneitätslage. Das bedeutet, dass sie sich in einer Spannungssituation befindet, in der es höchst angebracht ist, eine Handlung zu setzen. Welche Handlungsmöglichkeiten jetzt in Frage kommen, hängt von ihren Fähigkeiten und den äußeren Umständen ab. Sie könnte theoretisch zu Fuß in die Praxis gehen, der Weg wäre dafür aber zu weit. Sie besitzt aber ein Fahrrad. So wählt sie dieses Verkehrsmittel, um in die Praxis zu kommen. Damit kommt es zu einem statusȱ nascendi. Der status
5.3 Die Eigenschaften von Rollen
149
nascendi schafft einen neuartigen Weg des Problemlösens in Form einer Verhaltensänderung oder der Annahme einer neuen Rolle. Damit eine neue Handlungsstrategie ins Rollenrepertoire aufgenommen werden kann, muss sie sich als zweckdienlich erweisen, positiv bewertet werden und sich etablieren. Dies geschieht durch positive Rückkoppelungsmechanismen in der kreativenȱ Phase. Wie ist das bei Frau Lindner? Durch das Benützen des Fahrrads kommt sie schnell und pünktlich in die Praxis und bekommt zusätzlich noch Anerkennung aufgrund ihrer Sportlichkeit. Dies veranlasst sie, immer häufiger mit dem Fahrrad zu fahren, wodurch sich ihre Kondition steigert, was sie sehr begrüßt. Mittlerweile legt sie den Weg zur Praxis meist mit dem Fahrrad zurück, wodurch dieses neue Rollenverhalten zur Rollenkonserve wird.
Abbildungȱ28:
Verhaltensänderung als kreativer Prozess – Beispiel
150
5 Rollentheorie
9) Die Rolle ist ein Ausdruck individueller und kultureller Kreativität In diesem Abschnitt wurde gezeigt, dass PsychodramatikerInnen Menschen als Wesen verstehen, die in einem sozialen Geflecht eingebunden sind, in Rollen agieren, mit Hilfe von Spontaneität und Kreativität neue Handlungsstrukturen entwickeln, diese konservieren, aber auch wieder verändern und weiterentwickeln können. Um diese individuellen und kulturellen Leistungen sichtbar zu machen werden im Psychodrama folgende Darstellungen bzw. Konstrukte genutzt: Die sozialen Beziehungen einer Person werden in der Abbildung des soziaȬ lenȱAtoms erfasst. Die Rollen, die eine Person innehat, werden im kulturellenȱAtomȱ dargestellt. Eine Verbindung vom sozialen und kulturellen Atom stellt das soziokulturelle Atom dar. Es wurde von Schacht (2003) wie auch von Stimmer (2008) entwickelt, weil sie davon ausgehen, dass das soziale und kulturelle Atom in einer Wechselbeziehung miteinander stehen. Denn naturgemäß prägen die in sozialen Beziehungen vorhandenen Teleprozesse, also von wem ich mich angezogen oder abgestoßen fühle, mein Rollenverhalten. Näheres dazu kann in Kapitel 6, das der Soziometrie gewidmet ist, in Erfahrung gebracht werden. Unter dem inneren soziokulturellen Atom werden die inneren Repräsentationen des Selbst, das sich aus einer Anhäufung von erfahrenen Rollenmustern bildet, sowie aller emotional bedeutsamen Personen, Beziehungen und Rollenkonfigurationen verstanden (Schachtȱ2009). Ohne diese inneren Bilder, den Selbstund Objektrepräsentanzen des soziokulturellen Atoms, kann sich eine Person nicht als ein Wesen mit unterschiedlichen Eigenschaften wahrnehmen und zum Beispiel auch keinen Perspektivenwechsel vornehmen.
5.4ȱ StörungenȱundȱBeeinträchtigungenȱimȱZusammenhangȱmitȱRollenȱundȱ Rollenkonfigurationȱȱ 5.4 Störungen und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit… Aus psychodramatischer Sicht ist diejenige Person gesund, die in bestimmten sozialen Situationen auf eine passende Rolle aus ihrem soziokulturellen Atom zurückgreifen oder, wenn nötig, spontan eine neue, passende Rolle entwickeln kann (Vonȱ Ameln,ȱ Gerstmann,ȱKramerȱ 2005: 218). Ist dies nicht möglich, weil die Person keine angemessenen Rollenkonfigurationen aktivieren kann oder sie in ihrer Spontaneität blockiert ist, kann es zu gestörtem Erleben oder Handeln kommen. Dies kann auf mehreren Ursachen beruhen, wie zum Beispiel auf einem priȬ märenȱ Rollenmangel, der auf Störungen in der frühkindlichen Entwicklung zurückzuführen ist, oder auf einem sekundärenȱ Rollenmangel, auch Rollenatrophie genannt. Unter Letztgenanntem wird eine Verringerung des Rollenrepertoires
5.4 Störungen und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit…
151
verstanden, die dadurch entsteht, dass bereits erworbene Rollen aufgrund bestimmter Einflüsse in der bisherigen Form nicht mehr ausgefüllt werden können. Hierbei wird die pathologische von der physiologischenȱRollenatrophie unterschieden (Leutzȱ1986). Primärer Rollenmangel Rollendefizite
Sekundärer Rollenmangel Rollenatrophie
Pathologische Rollenatrophie
Abbildungȱ29:
5.4.1
Physiologische Rollenatrophie
Primärer und sekundärer Rollenmangel
PrimärerȱRollenmangelȱoderȱRollendefiziteȱ
Abgesehen von Ursachen wie genetischer Veranlagung oder somatischen Erkrankungen während der kindlichen Entwicklung macht das Psychodrama heute für die defizitäre Ausbildung von Rollen vor allem das nicht angemessene Beantworten von kindlichen Bedürfnissen verantwortlich. Das Psychodrama beruft sich dabei auf die von Leutz zusammengefassten rollenpathologischen Theorien (vgl. Leutz 1986) und die von Bowlbyȱ (2008) entwickelte Bindungstheorie. Menschen benötigen, um sich gut entwickeln zu können, von ihren engsten Bezugspersonen ein ausreichendes Maß an Nähe, Versorgung, Förderung und Wahrgenommen-Werden. Die Bedürfnisse eines Kindes als role giver müssen erkannt und verstanden und es muss adäquat auf sie reagiert werden. Wenn ein Kind z.B. in der Nacht weint, weil es aufgewacht ist, sollten die Eltern auf dieses Bedürfnis nach Trost reagieren, es in den Arm nehmen und beruhigen. So lernt es sich als selbstwirksames Wesen zu fühlen. Geschieht dies nur mangelhaft, kann es zu Entwicklungsstörungen kommen, die zu Rollendefiziten und in weiterer Folge zu psychischen Störungen führen können.
5.4.2
PathologischeȱRollenatrophienȱ
Pathologische Rollenatrophien entstehen aufgrund einer regressiven Rollendynamik. Können bestimmte Rollenaspekte aufgrund von psychiatrischen Erkrankungen, Hospitalisierung oder anderen Formen sozialer Isolierung nicht mehr gelebt werden, kommt es infolge zu einer deutlich sichtbaren Einengung (Stelzigȱ 2004).
152
5 Rollentheorie
Traumatisierende Erfahrungen, wie zum Beispiel der Tod einer nahestehenden Person, Gewalterfahrungen, aber auch veränderte sozioökonomische Verhältnisse, können ebenso zum Entstehen von pathologischen Rollenatrophien beitragen. Das Denken und Handeln von Personen, die an Suchterkrankungen leiden, ist je nach Stärke der Abhängigkeit auf das Suchtmittel fixiert. Aktivitäten, die nicht mit der suchterzeugenden Substanz oder dem suchterzeugenden Verhalten in Zusammenhang stehen, werden immer mehr vernachlässigt. Besonders gut wird dies im „Klaviermodell“ (Koller 1994) veranschaulicht, das in der Suchtprävention gerne eingesetzt wird: Die Tasten des Klaviers symbolisieren die Möglichkeiten und Ressourcen, die ein Mensch zur Verfügung hat, um sein Leben zu gestalten und Probleme zu bewältigen. Personen, die von einer Suchterkrankung betroffen sind, schlagen auf diesem Klavier weniger Tasten und diese dafür häufiger an, als Personen, die nicht an einer Abhängigkeitsproblematik leiden.
5.4.3
PhysiologischeȱRollenatrophienȱ
Verschiedene Lebensabschnitte stellen unterschiedliche Anforderungen an Personen. An neue Lebensumstände oder veränderte Lagen gilt es sich anzupassen, indem neu erworbene Rollen ins kulturelle Atom aufgenommen werden und andere in den Hintergrund treten. Diese natürlichen Veränderungen, wie das Abnabeln von den Eltern, eintretende Elternschaft, das Altern an sich oder der Übergang in den beruflichen Ruhestand können dann krisenhaft verlaufen, wenn zum Beispiel der neue Lebensabschnitt – aus der Perspektive dieser Person – zu wenig befriedigende Rollen zur Verfügung stellt. So können Eltern von heranwachsenden Kindern es als schmerzhaften Verlust erleben, wenn die Einnahme bestimmter Rollen von ihnen als role receiver nicht mehr verlangt wird. Gerät eine Person in eine Krise, weil es ihr nicht gelingt diesen Verlust durch das Aktivieren von anderen oder neuen Rollen zu kompensieren, wird von einer physiologischen Rollenatrophie gesprochen. Die oben beschriebenen Störungen sind solche, die eine Person meist in ihrem ganzen Sein beeinträchtigen. Aber auch „ungünstige“ Kombinationen von Rollen und -erwartungen, die im Psychodrama als Rollenkonflikte bezeichnet werden, können für Menschen zur Belastung werden. Sie werden allerdings nur dann als Problem erlebt, wenn sie als negative Stressoren wirksam werden (SchalȬ ler 2006).
5.4 Störungen und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit…
5.4.4
153
Rollenkonflikteȱ
Hierbei kommt es zu Kontroversen zwischen verschiedenen Rollen, die etwa eine Person in sich vereint, oder auch zwischen Rollen, die zwei unterschiedliche Personen in dieser Situation verkörpern. Es gibt zahlreiche Formen und Unterformen von Rollenkonflikten; die wichtigsten werden in Folge hier vorgestellt: 1. 2. 3. 4. 5.
Intra-Rollenkonflikt Inter-Rollenkonflikt Person-Rollen-Konflikt Intrapersonaler Rollenkonflikt Interpersonaler Rollenkonflikt
Tabelleȱ18:
Formen von Rollenkonflikten
1) Intra-Rollenkonflikt Unter einem Intra-Rollenkonflikt wird die Diskrepanz zwischen der Rolle, die eine Person ausübt, den Anforderungen, die diese Rolle an die Person stellt und dem Wertesystem dieser Person verstanden. Viele Rollen setzen sich ihrerseits wieder aus (Sub-)Rollen zusammen (Cluster), die von sehr unterschiedlicher Qualität sein können, und diese Art von Konflikt erzeugen können: So besteht die Rolle der LehrerIn aus Unterrollen wie der der WissensvermittlerIn, der Unterstützenden, der AnimateurIn, aber auch der Grenzen Setzenden. Nimmt zum Beispiel eine LehrerIn die Rolle der Grenzen Setzenden nicht wahr, weil sie auf keinen Fall als autoritär gelten möchte, wird sie in ihrer Rolle als LehrerIn wahrscheinlich auf Probleme stoßen.
Rollenanteil Abbildungȱ30:
Wertehaltung
Intra-Rollenkonflikt
2) Inter-Rollenkonflikt Kommt es zu Widersprüchen zwischen unterschiedlichen Rollen eines Individuums, wird dies als Inter-Rollenkonflikt bezeichnet. Berufstätige Eltern sind sehr häufig von dieser Form des Rollenkonflikts betroffen.
154
5 Rollentheorie
Der Bauingenieur Herr Mader wird immer unruhiger, weil der Abgabetermin eines wichtigen Auftrages näher rückt und noch einige Dinge ausständig sind. Neben seiner Rolle als verlässlicher Geschäftspartner möchte er auch seiner Rolle als verantwortungsvoller Elternteil gerecht werden und sein Kind pünktlich vom Kindergarten abholen. Seine Anspannung verstärkt sich.
ȱ ȱ ȱ
Eigene Rolle
Abbildungȱ31:
Eigene Rolle
Inter-Rollenkonflikt
Wenn die Vielfalt oder Widersprüchlichkeiten von Rollenerwartungen an sich selbst zur Überforderung führen, spricht man auch von Rollenüberlastung. 3) Person-Rollen-Konfliktȱȱ Hierunter versteht man Widersprüche zwischen den Rollenerwartungen, die jemand an sich selbst stellt, und dem, wie sich eine Person tatsächlich verhält. Martha erwartet von sich selbst, dass sie ihre Interessen selbstbewusst durchsetzt, geht aber jedem Konflikt aus dem Weg.
Eigenes Rollenverhalten Abbildungȱ32:
Rollenerwartung an sich selbst
Person-Rollen-Konflikt
4) Intrapersonaler Rollenkonflikt Dieser Konflikt drückt die Diskrepanz zwischen der eigenen Rollendefinition und den Erwartungen anderer aus. Frau Moser wurde zur Leiterin der Einkaufsabteilung einer großen Firma ernannt, in der sie selbst lange Zeit gleichberechtigt mit anderen MitarbeiterInnen tätig war. In der Rolle als LeiterIn tritt sie sehr autoritär auf und ahndet disziplinäre Vergehen wie Zuspätkommen rigoros. Ihre MitarbeiterInnen hätten sich aber gerade von ihr als früherer Kollegin erwartet, dass sie in solchen Situationen mehr Verständnis zeigt und ab und zu ein Auge zudrückt. Frau Moser ist enttäuscht, dass sie bei ihren MitarbeiterInnen nicht beliebt ist.
5.4 Störungen und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit…
Rollenerwartung an sich selbst Abbildungȱ33:
155
Rollenerwartung anderer
Intrapersonaler Rollenkonflikt
Werden unterschiedliche oder missverständliche Rollenerwartungen an eine Person gestellt, wird dies als Inter-Sender-Konflikt bzw. als Rollenambiguität bezeichnet. Sie können damit als Unterformen des Intrapersonalen Rollenkonflikts gesehen werden. InterȬSenderȬKonfliktȱ Zu diesem Konflikt kommt es, wenn zwei verschiedene Bezugspersonen unvereinbare Erwartungen an ein Individuum stellen. Die Mutter eines Kindes ist nach der Scheidung von ihrem Ehemann eine neue Beziehung eingegangen. Das Kind erwartet sich von der Mutter, dass sie ihr uneingeschränkt Aufmerksamkeit schenkt und ihre Freizeit mit ihr verbringt. Der neue Partner der Frau wünscht sich, dass sie mehr in ihrer Rolle als Liebhaberin in Erscheinung tritt und mehr Zeit für Stunden der Zweisamkeit freihält.
Rollenerwartung anderer Person Rollenerwartung anderer Abbildungȱ34:
Inter-Sender-Konflikt
Rollenambiguitätȱ Darunter werden unpräzise, mehrdeutige und missverständliche Rollenerwartungen an eine Person verstanden. Die RollenträgerIn weiß nicht, welches Verhalten von ihr erwartet wird. Tobias arbeitet seit zwei Tagen als Zivildiener bei einer sozial-medizinischen Einrichtung. Aufgrund des dort vorherrschenden Personalmangels war seine Einschulung sehr mangelhaft. Ständig eilen MitarbeiterInnen an ihm vorbei, manche sehen ihn dabei erwartungsvoll, manche verärgert an, andere wiederum ignorieren ihn. Tobias weiß nun nicht, ob von ihm erwartet wird, dass er selbstständig irgendwelche Tätigkeiten übernimmt oder ob er warten sollte, bis ihm bestimmte Aufgaben zugeteilt werden.
156
5 Rollentheorie
Person
Abbildungȱ35:
?
Rollenerwartung anderer
Rollenambiguität
5) Interpersonaler Rollenkonflikt Hier kommt es zu einer Kontroverse zwischen zwei Personen und deren unterschiedlichen Rollen. Nachdem ein guter Freund der Familie beim Mountainbiken tödlich verunglückt ist, zeigt Johanna beim Ausüben von sportlichen Aktivitäten immer häufiger ein ängstliches Verhalten. Mit ihrem Partner, der sehr abenteuerlustig ist und extreme Herausforderungen liebt, kommt es deshalb bei der gemeinsamen sportlichen Freizeitgestaltung immer wieder zu Auseinandersetzungen.
Eigene Rolle Abbildungȱ36:
Rolle einer anderen Person
Interpersonaler Rollenkonflikt
In diesem Abschnitt wurde gezeigt, dass Störungen im Rollenhaushalt und Irritationen zwischen eigenen Rollen, Rollenkonfigurationen und Rollenerwartungen Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben können. Derartige Beeinträchtigungen können mittels diagnostischer Verfahren sichtbar gemacht werden. Ein wichtiges Diagnoseinstrument des Psychodramas ist das Rollenverhalten einer Person, weshalb die psychodramatische Diagnostik in diesem Kapitel behandelt wird. Manche der nachfolgenden psychodramatischen Verfahren zum Erkennen von Defiziten beziehen sich nicht nur auf die Rolle, werden aber im Sinne der Vollständigkeit trotzdem aufgelistet und kurz vorgestellt.
5.5 DieȱpsychodramatischeȱDiagnostikȱ Das Besondere an der psychodramatischen Diagnostik ist, dass die Symptome, an denen KlientInnen mit bestimmten Problematiken leiden, nicht nur aufgelistet, beschrieben und in ein übergeordnetes System eingeordnet werden. Sie richtet ihr Augenmerk vielmehr auch auf die Form der Interaktion einer Person mit sich selbst und mit anderen, darauf, welche Rollen sie zur Verfügung hat, wie sie mit ihren verschiedenen Rollen verfährt und wie sie mit bestimmten Problemstellun-
5.5 Die psychodramatische Diagnostik
157
gen umzugehen pflegt. Dabei wird die ganze bio-psycho-soziale Matrix miteinbezogen. Deshalb muss laut Burmeister (2004) psychodramatische Diagnostik als prozessual verstanden werden. Die psychodramatische Diagnostik konzentriert sich aber nicht nur auf das Individuum, sondern hat auch die Gruppe als Gegenstand. Zur Diagnostik einer Gruppe werden soziometrische Verfahren eingesetzt (siehe auch Kapitel 6 Soziometrie). Die Instrumente der psychodramatischen Diagnostik auf Einzelpersonen bezogen sind: 1. 2. 3. 4. 5.
Analyse des sozialen Atoms Analyse des Rollensystems und des Rollenstatus Analyse des Spontaneitätsniveaus Die Beziehung KlientIn – Psychodrama-LeiterIn Die psychodramatische Diagnostik des Strukturniveaus
Tabelleȱ19:
Instrumente der psychodramatischen Diagnostik
1)ȱAnalyseȱdesȱsozialenȱAtomsȱ Dazu kann das Sozialeȱ Netzwerkȱ Inventarȱ (SNI), auf das im Kapitel Soziometrie näher eingegangen wird, eingesetzt werden. Es bietet eine Übersicht über die subjektiv bedeutsamen Bezugspersonen einer Person zu verschiedenen Zeitpunkten, zum Beispiel vor oder nach einer Erkrankung. Im Psychodrama können diese interpersonalen Beziehungen szenisch konkretisiert werden. Die Prozesse, die sich zwischen InteraktionspartnerInnen abspielen, können mittels einer psychodramatischen Aufstellung oder eines psychodramatischen Spiels dargestellt werden, aber auch innerpsychische Prozesse können zum Beispiel durch die Technik des inneren Dialogs nach außen transferiert werden. Konflikte und Problemstellungen innerhalb von Beziehungen und Beziehungsmuster werden dadurch erfasst. 2)ȱAnalyseȱdesȱRollensystemsȱundȱdesȱRollenstatusȱ Das beobachtbare Rollenverhalten eignet sich besonders gut als Diagnosekriterium, weil die implizite Auswahl von Rollenmustern, also auf welche Art und Weise welche Handlungen gesetzt werden, Auskunft über die individuelle emotionale Bewertung und die kognitive Einschätzung von Beziehungssituationen gibt. Rigide Rollenkonserven, auf die immer wieder zurückgegriffen wird, obwohl sie sich nicht mehr als zweckdienlich erweisen, können ebenso entlarvt werden wie die Triebkräfte oder die Hemmungen, die bewirken, dass eine Spontaneitätslage nicht erreicht werden kann, die zu neuen Rollenmustern führen könnte. Durch Beobachtungen von Rollenverhalten können auch Rückschlüsse
158
5 Rollentheorie
auf Rollenerwartungen und Rollendefizite gezogen werden. Das Psychodrama benützt dazu verschiedenste Arrangements. Planspieleȱ Eine Möglichkeit des Messens von Rollenverhalten sah Moreno (1946) in der Analyse der Bewältigung einer gestellten Situation, die mehrere Personen gemeinsam vor eine Aufgabe stellt, die sie lösen müssen. Moreno ließ dafür sechs Männer von gleichem militärischem Rang in einem Wald campieren. Plötzlich beobachteten diese, wie ein feindlicher Fallschirmspringer landete. Wie sie darauf reagierten, wurde von einer Jury anhand spezieller Kriterien durchleuchtet: a) Welche Beziehung entwickelte sich zwischen diesen Männern? Wer übernahm die Initiative, wechselten sie sich dabei ab? b) Welche Maßnahmen wurden bezüglich der Invasion des Feindes ergriffen? c) Wie und durch wen wurde diese Aktion abgeschlossen? Diese Aufgabenstellung ist natürlich vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu betrachten. Planspiele in anderen Kontexten finden jedoch nach wie vor ihre mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten. Ein Team von LehrerInnen wird im Rahmen des Workshops „Soziales Lernen“ in zwei Gruppen geteilt und aufgefordert, verschieden geartete Aufgaben, die Geschicklichkeit, Kreativität und Einfallsreichtum verlangen, gemeinsam in einer vorgegebenen Zeiteinheit zu lösen. In der anschließenden Reflexionsphase wird erörtert, wer dabei welche Rolle übernahm. Wer ergriff wann die Initiative, wer achtete auf den zeitlichen Rahmen, wer übernahm wann eine Leitungsfunktion, wer hielt sich beim Finden von Lösungen eher im Hintergrund? Wie haben sich die LehrerInnen dabei gefühlt? Entsprach ihr Verhalten dem, wie sie auch in vergleichbaren realen Situationen agieren würden? Die Informationen, die durch solche Übungen gewonnen werden, beziehen sich auf die Dynamik, die innerhalb der Gruppe herrscht, auf die Fertigkeiten, Ressourcen oder Rollendefizite der ganzen Gruppe wie auch ihrer einzelnen Mitglieder.
„Standardisierte“ȱRollenspieleȱ Moreno (1940) entwickelte ein „standardisiertes“ Testverfahren, um zu erkennen, ob bestimmte Reaktionsweisen seiner KlientInnen der Norm entsprachen oder nicht. Zur Standardisierung ließ er geschulte Hilfs-Iche bestimmte, alltagsnahe Situationen nachspielen. Durch soziometrische Wahl wurde ermittelt, welche Reaktionsvariante die üblichste ist. Diese diente fortan als Richtwert. Heute werden Verfahren, bei denen standardisierte Situationen herangezogen werden, um zu erkennen, wie eine Person mit bestimmten Problemstellungen verfährt, zum Beispiel in AssessmentȬCentern eingesetzt. Dort müssen sich KandidatInnen, die sich für eine bestimmte Funktion in einem Unternehmen
5.5 Die psychodramatische Diagnostik
159
bewerben, realitätsnahen Prüfungen unterziehen. Die Art und Weise, wie diese Aufgaben bewältigt werden, gibt Aufschluss darüber, ob die KandidatIn den notwendigen Anforderungen entspricht. Dabei werden Übungen verwendet, die ihren Ursprung im Psychodrama haben. Mittels Rollenspielen, die Kundenreklamationen oder einen Konflikt mit einer MitarbeiterIn simulieren, wird erkennbar, wie die BewerberIn in stressreichen Situationen reagiert oder über wie viel Feingefühl oder rhetorisches Geschick sie verfügt. Personen, die Leitungspositionen anstreben, können in einem derartigen Assessment-Center vor Aufgaben gestellt werden, die ihre Führungsqualitäten testen. Wie gut kann die KandidatIn die Problematik erfassen, wie schnell Entscheidungen treffen, wie leicht fällt es ihr zu delegieren und wie gut behält sie dabei das Ziel im Auge? Auch das Gruppenverhalten wird in Gruppendiskussionen analysiert: Wie viel Durchsetzungskraft, Kompromissbereitschaft und soziale Kompetenz ist bei der zu beobachtenden Person zu erkennen? Das Rollendiagramm, das RoleȬRating, Rollentrainingȱ undȱ dieȱ Rollenveränderung sind im Psychodrama häufig eingesetzte Verfahren, die dazu dienen, Rollenkonflikte, Rollendefizite oder Rollenüberbelastung festzustellen. Im Psychodrama wird meist zeitgleich mit dem Erfassen von Problemlagen nach Ressourcen und kreativen Lösungsmöglichkeiten gesucht, was in den folgenden Darstellungen gut sichtbar wird. ȱ DasȱRollendiagrammȱȱ Zur Erstellung eines Rollendiagramms werden die KlientInnen aufgefordert, in die Mitte eines Blattes einen Kreis zu zeichnen, in den sie ihren Namen schreiben. Um diesen herum wird wiederum ein Kreis geformt, der in Segmente geteilt wird und in dem sie die Rollen eintragen können, die sie zu diesem Zeitpunkt ausüben. Im Anschluss daran wird eine dieser Rollen ausgewählt, die sie genauer unter die Lupe nehmen möchten oder mit der sie im Konflikt stehen. Nun soll auf die gleiche Art und Weise ein Innen- und ein Außenkreis gezeichnet werden. Diesmal wird die zu analysierende Rolle in den Innenkreis geschrieben, im Außenkreis werden die damit in Verbindung stehenden Subrollen (Dayton 2005) angeordnet. Falls sich durch das Aufzeichnen des Rollendiagramms bestimmte Probleme, Irritationen oder Konflikte mit Subgruppen herauskristallisieren, kann dies Ausgangspunkt eines psychodramatischen Spiels oder einer Vignette werden. Durch dieses Arrangement sollen sich die TeilnehmerInnen ihrer Rollen stärker bewusst werden und verstehen, warum in der Ausführung bestimmter Rollen Irritationen auftreten. Kastenȱ2:ȱȱ Rollendiagramm als Diagnose-Verfahren
160
5 Rollentheorie
Abbildungȱ37:
Rollendiagramm 1
Abbildungȱ38:
Rollendiagramm 2
5.5 Die psychodramatische Diagnostik
161
Rollentrainingȱ Dabei werden die TeilnehmerInnen unterstützt, die Rollen zu eruieren, bei deren Übernahme sie noch Übung benötigen oder welche mit Angst oder Unsicherheit verbunden sind und welche sie gerne auf eine andere Weise leben möchten. Dies könnte zum Beispiel die Rolle der Durchsetzungsfähigen, der Person, die keine Drogen mehr konsumiert oder die der hingebungsvollen LiebhaberIn sein. Im Rahmen eines Gruppenspiels können die TeilnehmerInnen aufgefordert werden in eine Angst machende Rolle zu schlüpfen und in dieser auf die psychodramatische Bühne zu treten. Kastenȱ3:ȱ Rollentrainingȱ RoleȬRatingȱȱ Beim Role-Rating werden die wichtigsten Rollen, die eine Person derzeit ausübt, reflektiert. Diese sollen dazu auf einem Blatt Papier aufgelistet werden. Die TeilnehmerInnen werden gebeten, sich zu überlegen, ob die Rollen in Balance sind, welche Rollen dominant sind, welchen Rollen sie gerne mehr Zeit widmen würden und in welcher Rolle sie sich besonders wohl fühlen, ferner welche Rolle sie gerne hinzufügen würden, wenn dies durch Zauberei möglich wäre, und welche sie von dieser Liste streichen würden, wenn dies möglich wäre. Dann werden sie aufgefordert, ein Tortendiagramm zu zeichnen, in dem sie ihre Rollen einfügen. Die Größe der Tortenstücke entspricht der Zeit, die diese Rolle in ihrem Leben in Anspruch nimmt. Nun kann eine Rangreihung dieser Rollen nach bestimmten Kriterien erfolgen, wie etwa dem Grad der Zufriedenheit oder danach, wie auslaugend oder wie konfliktgeladen eine Rolle ist. Wie könnte ein ideales Rollendiagramm aussehen, was müsste die Person verändern, damit sie sich diesem annähern könnte? Natürlich kann dies auch durch ein psychodramatisches Spiel erfasst werden. Kastenȱ4: Role-Rating Rollenveränderungȱ In unterschiedlichen Lebensphasen sind unterschiedliche Rollen vorherrschend. Veränderungen der Stärke und Präsenz von Rollen werden oft als belastend erlebt, wie zum Beispiel die Rolle der Eltern, wenn die Kinder flügge werden, oder die Rolle als ErwerbstätigeR, wenn die Pensionierung ins Haus steht. Zur Bearbeitung dieser Problematik kann wieder ein Rollendiagramm zu Hilfe genommen werden. Ein Kreis wird auf einem Blatt Papier platziert, in diesem wird die Rolle notiert, die in Veränderung begriffen ist. Rundherum werden die Subrollen geschrieben, die mit dieser in Verbindung stehen. Die Rolle als Erwerbs-
162
5 Rollentheorie
tätigeR kann verbunden sein mit der als geschätzteR MitarbeiterIn, als ErfolgsverwöhnteR, als FrühaufsteherIn u. a. m. Die ProtagonistInnen können nun in Dialog mit den Rollen treten, die durch Hilfs-Iche oder durch Symbole dargestellt werden. Von welchen Rollen muss sich diese Person verabschieden, welche können an die neue Situation angepasst werden? Welche Rollenerwartungen hat der oder die ProtagonstIn an sich als RentnerIn? Welche Rollen sind nun nicht mehr vorhanden, welche neuen Rollen kommen hinzu, wie können die Lücken ausgefüllt werden? Kastenȱ5: Diagnose von Rollenveränderungȱ 3)ȱAnalyseȱdesȱSpontaneitätsniveausȱ Die von Moreno bereits in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelten psychodramatischen Testverfahren finden auch heute noch in psychodramatischen Gruppen Anwendung. Innerhalb dieser wird erkennbar, wie leicht oder wie schwer es Gruppenmitgliedern fällt, zum Beispiel in der Funktion als HilfsIche spontan, also unvorbereitet, verschiedene Gefühlszustände darzustellen (Spontaneitätstest) oder inwieweit Personen zur spontanen unvorbereiteten Darstellung komplexer sozialer Situationen mit unterschiedlichem Anforderungsprofil und verschiedenen sozialen Rollenkategorien fähig sind (Burmeisterȱ2004: 97). Die Analyse der Rollenmatrix, dies ist die Darstellung der Rollen, die eine Person in einem gewissen Zeitrahmen in einer Gruppe innehatte, kann sowohl als Diagnosekriterium dienen als auch zur Reflexion anregen: „Welche Rollen habe ich selbst gewählt, welche Rollen wurden mir in meiner Funktion als Hilfs-Ich zugewiesen? Von welcher Qualität waren diese Rollen? Gibt es Rollen, für die ich besonders häufig gewählt wurde? Wie häufig wurde ich als Double oder als AntagonistIn ausgesucht?“ Die Bearbeitung der Rollenmatrix gibt somit einen Einblick in die Spontaneität und Rollenflexibilität. Sie gibt auch Auskunft, welchen Status ein Gruppenmitglied hat. Bekommt ein Gruppenmitglied häufig die AntagonistInnenrolle zugeteilt, so kann dies einerseits bedeuten, dass diese Person auch im Gruppengefüge eine Position inne hat, die für Kontroversen sorgt oder andererseits, dass sie der Gruppe vermittelt hat, dass sie über ausreichende Ressourcen verfügt, um die mitunter belastenden AntagonistInnenrollen ausfüllen zu können. Die Rollenmatrix darf nicht losgelöst von der Dynamik gesehen werden, die innerhalb dieser Gruppe vorherrscht. Die Gruppenzusammensetzung, wie zum Beispiel der Anteil von Männern und Frauen oder die Anzahl von jüngeren und älteren TeilnehmerInnen in der Gruppe, das Gruppenthema und die Dynamik haben Einfluss auf die Wahl von Hilfs-Ichen.
5.5 Die psychodramatische Diagnostik
163
4)ȱDieȱBeziehungȱKlientInȱ–ȱPsychodramaȬLeiterInȱ Wie sich die therapeutische Beziehung gestaltet, wie sie sich anfühlt und was durch sie bei den Beteiligten ausgelöst wird, kann Auskunft über die Problemlagen der KlientInnen geben. Hilfreich sind dabei Fragen wie: „Mittels welcher Rollen präsentiert sich die KlientIn im Rahmen dieser Beziehung, welche rückt sie in den Vordergrund, welche werden nicht gezeigt? Welche Rollenerwartungen an die LeiterIn gehen von den KlientInnen aus, welche Gefühle werden dadurch bei der LeiterIn geweckt?“, aber auch: „In welche Rollen wird die KlientIn aufgrund des Settings und der Form der Beziehung gebracht?“ Das Psychodrama bietet für die Auseinandersetzung mit dieser Thematik die Begegnungsbühne an. Die TherapeutIn und KlientIn können sich hier im offenen Gespräch über ihre Beziehung zueinander austauschen (siehe auch Kapitel Techniken: Szenenwechsel).
InnererȱRollenȬȱ wechselȱ
StrukturȬ Niveauȱ
5)ȱDieȱpsychodramatischeȱDiagnostikȱdesȱStrukturniveausȱ Auf diese Möglichkeit psychodramatischer Diagnostik wird hier nur kurz eingegangen, weil eine genauere Ausführung den Einführungscharakter dieses Buches übersteigen würde. ȱ gutȱintegriertȱ ȱ alleȱNiveausȱȱȱNiveauȱ Kann einen inneren Rollenwechsel mit dem Gegenüber vollziehen. Kann sich in das Gegenüber als eine eigenständige Person mit eigenen Interessen, Gefühlen, Motiven und Bedürfnissen versetzen.
Tabelleȱ20:
ȱ mäßigȱintegriertȱ
ȱ geringȱintegriertȱ
ȱ 2Ȭ3ȱȱȱNiveauȱ1Ȭ2ȱȱȱNiveauȱ
ȱ
Ein innerer Rollenwechsel ist nur eingeschränkt möglich. Dieser wird unter Belastung durch die eigene Perspektive verzerrt.
Ein innerer Rollenwechsel ist nur in spannungsfreien Momenten möglich, wenn er eigenen Bedürfnissen dient. Das Gegenüber wird nicht wirklich als eigenständige Person wahrgenommen.
0Ȭ1ȱȱȱNiveauȱ0ȱ
Psychodramatische Diagnostik des Strukturniveaus am Beispiel Innerer Rollenwechsel (Schacht 2009)
Schacht (2009) hat aufbauend auf psychodramatischen Theoriekonzepten und in Anlehnung an die von Rudolf und seiner Arbeitsgruppe (2006) entwickelte operationalisierte psychodynamische Diagnostik, einen Katalog erstellt, indem in psychodramatischer Terminologie unterschiedliche strukturelle Fertigkeiten und Defizite aufgelistet werden. Damit können die Kompetenzen, über welche eine
164
5 Rollentheorie
Person verfügt bzw. die Defizite, die es ihr erschweren, den Bezug zum eigenen Selbst oder interpersonelle Beziehungen zu regulieren, beschrieben werden. Der Grad der Integration dieser Handlungskompetenzen wird in Strukturniveaus ausgedrückt. Störungen auf diese Art zu beschreiben hat den Vorteil, dass psychodramatische Behandlungskonzepte besser auf die Bedürfnisse der betroffenen Person zugeschnitten werden können. In diesem Kapitel haben wir uns mit zentralen Grundannahmen des Psychodramas auseinandergesetzt: Menschen handeln in Rollen und können anhand von Rollen beschrieben und untersucht werden. Aufgrund ihres ständigen Interagierens mit anderen können sie nicht losgelöst von ihrer Umwelt betrachtet werden. Diese Grundannahmen bilden das Gerüst für weiterführende psychodramatische Theorien und psychodramatische Techniken. Ähnlich wie bei der Rollentheorie handelt es sich bei der Soziometrie um ein Konstrukt, ohne das Psychodrama nicht gedacht werden kann.
Literaturȱ Burmeister, J. (2004): Diagnostik im Psychodrama. In: Fürst, J., Ottomeyer, K., Pruckner, H. (Hrsg.) (2004): PsychodramaȬTherapie.ȱEinȱHandbuch. Wien: Facultas, S. 81-102 Bowlby, J. (2008): Bindungȱ alsȱ sichereȱ Basis.ȱ Grundlagenȱ undȱ Anwendungȱ derȱ Bindungstheorie. Münschen: Reinhardt Dayton, T. (2005): TheȱLivingȱStage.ȱAȱStepȬbyȬStepȱGuideȱtoȱPsychodrama,ȱSociometryȱandȱExpeȬ rientialȱGroupȱTherapy. Deerfield Beach: Health Communications Hochreiter, K. (2004): Rollentheorie nach J.L. Moreno. In: Fürst, J., Ottomeyer, K., Pruckner, H. (Hrsg.) (2004): PsychodramaȬTherapie.ȱEinȱHandbuch. Wien: Facultas, S. 128-146 Krotz, F.(2008): Interaktion als Perspektivverschränkung. Ein Beitrag zum Verständnis von Rolle und Identität in der Theorie des Psychodramas. In: Gunkel, S. (Hrsg.) (2008): Psychodramaȱ undȱ Soziometrie.ȱ Erlebnisorientierteȱ Aktionsmethodenȱ inȱ Psychotherapieȱ undȱ Pädagogik. ZeitschriftȱfürȱPsychodramaȱundȱSoziometrie. Sonderheft 1, S. 27-50 Leutz, G. (1986): Psychodrama.ȱTheorieȱundȱPraxis. Berlin: Springer. Erstauflage 1974 Moreno, J. L. (1934): Who shall survive? Foundations of sociometry, group psychotherapy and sociodrama. A new approach to the problem of human interrelations. Washington D.C. (deutsch: Moreno, J. L. (1996): Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft. Opladen (Erstveröffentlichung 1954)) Moreno, J. L. (1940): Ein Bezugsrahmen für das Messen von Rollen. In: Petzold, H., Mathias, U. (1982): RollenentwicklungȱundȱIdentität.ȱVonȱdenȱAnfängenȱderȱRollentheorieȱzumȱsozialȬ psychiatrischenȱRollenkonzeptȱMorenos. Paderborn: Junfermann, S. 301-309 Moreno, J. L. (1946): Definition der Rollen. In: Petzold, H., Mathias, U. (1982): RollenentwickȬ lungȱ undȱ Identität.ȱ Vonȱ denȱ Anfängenȱ derȱ Rollentheorieȱ zumȱ sozialpsychiatrischenȱ RollenȬ konzeptȱMorenos. Paderborn: Junfermann, S. 277-285
5.5 Die psychodramatische Diagnostik
165
Moreno, J. L. (1960): Rolle. In: Petzold, H., Mathias, U. (Hrsg.) (1982): Rollenentwicklungȱundȱ Identität.ȱVonȱdenȱAnfängenȱderȱRollentheorieȱzumȱsozialpsychiatrischenȱRollenkonzeptȱMoȬ renos. Paderborn: Junfermann, S. 259-266 Moreno, J. L. (2001): PsychodramaȱundȱSoziometrie. Köln: EHP Petzold, H., Mathias, U. (1982): RollenentwicklungȱundȱIdentität.ȱVonȱdenȱAnfängenȱderȱRollenȬ theorieȱzumȱsozialpsychiatrischenȱRollenkonzeptȱMorenos. Paderborn: Junfermann Rudolf, G. (2006): Strukturbezogeneȱ Psychotherapie.ȱ Leitfadenȱ zurȱ psychodynamischenȱ Therapieȱ strukturellerȱStörungen. Stuttgart: Schattauer Schacht, M. (2003): Spontaneitätȱ undȱ Begegnung.ȱ Zurȱ Persönlichkeitsentwicklungȱ ausȱ derȱ Sichtȱ desȱPsychodramas. München: inScenario Schacht,ȱM. (2009): DasȱZielȱistȱimȱWeg.ȱStörungsverständnisȱundȱTherapieprozessȱimȱPsychodraȬ ma.ȱWiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaftenȱ Schaller,ȱ R.ȱ (2006):ȱ Dasȱ großeȱ RollenspielȬBuch.ȱ Grundtechniken,ȱ Anwendungsformen,ȱ PraxisbeiȬ spiele.ȱWeinheim und Basel: Beltzȱ Stelzig, M. (2004): Rollenpathologie. In: Fürst, J., Ottomeyer, K., Pruckner, H. (Hrsg.) (2004): PsychodramaȬTherapie.ȱEinȱHandbuch.ȱWien: Facultas, S. 147-160 Stimmer, F. (2008): Spiegelbilder: Typen und „soziokulturelle Atome“ narzisstischen Verhaltens. In: Gunkel, S. (Hrsg.) (2008): Psychodrama und Soziometrie. Erlebnisorientierte Aktionsmethoden in Psychotherapie und Pädagogik. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Sonderheft 1, S. 113-130 Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G., Tschacher W. (2006): Embodiment.ȱ Dieȱ Wechselwirkungȱ vonȱKörperȱundȱPsycheȱverstehenȱundȱnutzen. Bern: Hans Huber Von Ameln, F., Gerstmann, R., Kramer, J. (Hrsg.) (2005): Psychodrama. Heidelberg: Springer Zeintlinger-Hochreiter, K. (1996): Kompendiumȱ derȱ PsychodramaȬTherapie.ȱ Analyse,ȱ PräzisieȬ rungȱundȱReformulierungȱderȱAussagenȱzurȱpsychodramatischenȱTherapieȱnachȱJ.L.ȱMoreno.ȱ Köln: inScenario
5.5 Die psychodramatische Diagnostik
6 6
167
SoziometrieȱundȱandereȱMethodenȱzurȱ ErhebungȱsozialerȱFragestellungenȱ
„Die Vermessung der Welt“ (DanielȱKehlmann)ȱ
Zusammengesetzt aus Sozius, „der Mitmensch“ und Metrum, „das Maß“, versteht man unter Soziometrie zunächst einmal die Messung zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Soziometrie im Rahmen des Verfahrens Psychodrama beinhaltet jedoch weit mehr: neben der Messung geht es auch um Abbildung und auch um Intervention. Moreno beschreibt die Soziometrie als Befassung „mitȱdemȱmatheȬ matischenȱStudiumȱpsychologischerȱEigenschaftenȱderȱBevölkerung,ȱmitȱdenȱexperimenȬ tellenȱMethodenȱundȱdenȱErgebnissen,ȱdieȱausȱdenȱAnwendungenȱqualitativerȱPrinzipienȱ resultieren.ȱ Sieȱ beginntȱ ihreȱ Untersuchungȱ mitȱ derȱ Erforschungȱ derȱ Entwicklungȱ undȱ OrganisationȱderȱGruppeȱundȱderȱStellungȱderȱIndividuenȱinȱihr.ȱEineȱihrerȱHauptaufgaȬ benȱistȱes,ȱdieȱZahlȱundȱdieȱAusdehnungȱpsychosozialerȱStrömungen,ȱwieȱsieȱinȱderȱBeȬ völkerungȱ verlaufen,ȱ zuȱ ermitteln“ (Moreno 1996: 28f). Der einzelne Mensch ist immer eingebunden in ein soziales Netz; wenn wir den Einzelnen verstehen und verändern wollen, ist hierzu der Einbezug seines Umfeldes unabdingbar. Die Soziometrie war von Moreno als Teil eines Gesamtsystems konzipiert, der SozioȬ nomie. Unter Sozionomie versteht man die Wissenschaft sozialer Beziehungen und ihrer Entwicklungsgesetze. Hierzu gehören neben der Soziometrie die Soziodynamik und die Soziatrie. Während letztere, die von Moreno erwünschte Heilung der Gesellschaft, ein Schattendasein fristet und die Soziodynamik in verschiedene andere Verfahren eingegangen ist, wie zum Beispiel in die Gruppendynamik, ist die Soziometrie eine eigenständige Richtung geblieben. Im Verfahren Psychodrama war die Soziometrie lange Zeit das Stiefkind. Im Abstand von knapp zehn Jahren schreiben Gellert (1996: 346ff) und Pruckner (2004: 161), die Soziometrie erfahre nicht die Wertschätzung, die sie verdiene. Aber in Zeiten, da die quantitativen Methoden in der Sozialforschung Zulauf haben, wird auch die Soziometrie innerhalb des Verfahrens Psychodrama wieder populärer (vgl. auch Stimmer und Stimmer 2008; Spörrle und Strobel 2007).
168
6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
Sozionomieȱ Soziatrieȱ Soziometrieȱ Soziodynamikȱ Gruppendynamikȱ
Tabelleȱ21:
Wissenschaft sozialer Beziehungen und sozialer Entwicklungsgesetze Verständnis von Gesundheit und Krankheit als gesellschaftliches Phänomen, in Abgrenzung zur Psychiatrie Messung sozialer Beziehungen Entwicklung sozialer Beziehungen und Systeme Vorgänge und Abläufe innerhalb einer sozialen Gruppe
Begriffsklärungen
Welches sind nun die Grundprinzipien, auf denen die Soziometrie fußt?
6.1 SoziometrischeȱGrundprinzipienȱ „Soziometrie – die Methode der Wahl“ hat Schwehm (1994) zweideutig die Soziometrie gekennzeichnet. Sie ist zentral im Verfahren Psychodrama und weist als wesentliche Kennzeichen die Wahl bzw. Abwahl, die soziale Gravitation, den soziodynamischen und den soziogenetischen Effekt auf. Im Psychodrama werden Wahlen als grundlegende Tatsachen oder Tatsachenȱ ersterȱ Ordnung verstanden: wir können nicht nicht wählen. Jeder Handlung, aber auch jeder Nicht-Handlung, liegt eine Wahl zugrunde, unabhängig davon, ob den Personen die Wahlen bewusst oder nicht bewusst sind. „WahlenȱsindȱgrundlegendeȱFaktorenȱinȱallenȱmenschȬ lichenȱ Beziehungen.ȱ Wahlenȱ betreffenȱ Menschenȱ oderȱ Gegenstände.ȱ Obȱ dieȱ Motiveȱ demȱ Wählendenȱbekanntȱsindȱoderȱnicht,ȱistȱvonȱsekundärerȱBedeutung.ȱSieȱsindȱnurȱinȱHinȬ blickȱaufȱdenȱkulturellenȱoderȱethischenȱIndexȱbedeutungsvoll.ȱEsȱistȱzunächstȱnebensächȬ lich,ȱobȱsieȱunklarȱoderȱhöchstȱdeutlich,ȱirrationalȱoderȱrationalȱsind.ȱSolangeȱsieȱspontanȱ undȱechtȱdasȱSelbstȱdesȱWählendenȱzumȱAusdruckȱbringen,ȱbedürfenȱsieȱkeinerȱbesondeȬ renȱRechtfertigung“ (Moreno 1981: 446f) Die klassische Soziometrie bezieht sich hier auf eine philosophische Tradition, wie sie am pointiertesten von Sartreȱin seiner Philosophie desȱExistentialismus beschrieben wird: der Mensch hat die Freiheit, aber auch die Pflicht, zu wählen. Während die Wahl eine innere Bewegung auf etwas oder jemand hin zum Ausdruck bringt, beinhaltet der Gegenbegriff Abwahl eine Bewegung von etwas oder jemandem weg, eine Distanzierung. Diese Anziehungen oder Abstoßungen, bzw. die neutrale Position dazwischen, zeichnen alle Beziehungen zu einem Gegenüber aus, seien es Menschen, Tiere oder Gegenstände. Die Soziometrie untersucht diese Beziehungen anhand bestimmter Kriterien. Je nach Kriterium verändern sich die Wahlen und die soziometrischen Strukturen.
6.1 Soziometrische Grundprinzipien
169
BeispielȱeinerȱalltagsȬsoziometrischenȱFragestellungȱmitȱWahlenȱundȱAbwahlen:ȱ Herr Müller arbeitet als Gymnasiallehrer in einem großen Kollegium. Er wird von seinen KollegInnen häufiger angesprochen, als Zweitkraft Klassen auf ihren Klassenfahrten zu begleiten. Soziometrischeȱ Fragestellungȱ 1ȱ anȱ dasȱ Kollegium: Welchen Ihrer KollegInnen würden Sie am liebsten als BegleiterIn auf eine Klassenfahrt mitnehmen? Wahl: Die Mehrheit der KollegInnen wählt Herrn Müller zum Kriterium „Mitfahrer bei Klassenfahrten“. Mögliche Hintergründe der Wahlen könnten sein: Herrn Müllers Verantwortungsbewusstsein, seine Autorität bei SchülerInnen oder seine Bereitschaft, sich auch außerhalb der Unterrichtszeit für die Belange der Schule zu engagieren. Herr Müller wird aber im selben Kollegium gemieden, wenn es darum geht, zu einem gemeinsamen Mittagessen zu gehen. SoziometrischeȱFragestellungȱ2ȱanȱdasȱKollegium:ȱWelche Ihrer KollegInnen würden Sie am liebsten ansprechen, ob sie zu einem gemeinsamen Mittagessen mitgehen? Abwahl: Die Mehrheit des Kollegiums wählt Herrn Müller zum Kriterium „gemeinsames Mittagessen“ ab. Mögliche Hintergründe hierfür könnten sein: Herrn Müllers Duz-Freundschaft mit dem als problematisch erlebten Rektor der Schule und die damit verbundene Sorge, dass Tratsch an die falschen Ohren gelangen könne, Herrn Müllers Abneigung gegen die asiatische und italienische Küche verbunden mit der Tatsache, dass die einzigen beiden zu Fuß erreichbaren Essensmöglichkeiten genau diese Küche vertreten.
Mithilfe soziometrischer Techniken kann die Struktur einer Gruppe untersucht werden, aber auch die Strukturen und Beziehungen von Gruppen zueinander. In der untersuchten soziometrischen Struktur innerhalb einer Gruppe werden die Anziehungs- und Abstoßungsprozesse einzelner Gruppenmitglieder untereinander deutlich gemacht. Damit soll die Tiefenstruktur, oder wie sie Moreno nennt, die „Verkehrswege der sozialen Beziehung“ (1959: 32) innerhalb der Gruppe sichtbar gemacht werden, die sich von der Oberflächenstruktur unterscheiden kann.
BeispielȱfürȱsichȱunterscheidendeȱOberflächenȬȱundȱTiefenstrukturenȱ(vgl.ȱAbb.ȱ39):ȱ Frau Arndt ist in einer Firma neu als Abteilungsleiterin eingesetzt worden und hat Frau Ortler zu ihrer Stellvertreterin gemacht. In der Abteilung ist auch Frau Ullmann beschäftigt, die von den KollegInnen häufig um Rat gefragt wird, wenn Probleme bei Arbeitsabläufen bestehen, und die auch von der Mehrheit der KollegInnen wegen ihrer vermittelnden Art innerhalb der Firmenhierarchie geschätzt wird. Frau Ortler wird von den KollegInnen eher geschnitten. Die Abteilungsleiterin Frau Arndt wird von den meisten KollegInnen akzeptiert.
170
6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
Arndt
Arndt
Ullmann Ortler
Ullmann
Abbildungȱ39:
Ortler
Oberflächen- und Tiefenstruktur
DieȱsozialeȱGravitationȱ Anziehung, Abstoßung und Neutralität sind die konstituierenden Bestandteile der so genannten sozialenȱGravitation. Diese besagt, dass sich zwei Personen oder zwei Gruppen umso mehr aufeinander zubewegen, je stärker die Anziehungsund je schwächer die Abstoßungskräfte zwischen den Personen bzw. den Gruppen sind. Der Zusammenhalt, die Gruppenkohäsion innerhalb einer Gruppe, wächst demzufolge mit der Anzahl der positiven Wahlen, die innerhalb der Gruppe bestehen, und mit dem Nichtvorhandensein von Abwahlen. BeispielȱfürȱeineȱstarkeȱsozialeȱGravitationȱinnerhalbȱeinesȱTeamsȱ Im Team von Herrn Markwart gibt es viele gegenseitige positive Wahlen. Zwei Drittel der KollegInnen verstehen sich gut, arbeiten gerne zusammen, gehen gerne mittags gemeinsam essen und verabreden sich auch am Wochenende hin und wieder zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten wie Mountainbike-Touren oder Schlauchbootfahrten. Die übrigen Teammitglieder werden neutral gesehen, sind aber in den Arbeitsabläufen gut integriert. In diesem Team besteht eine ausgesprochen hohe soziale Gravitation.
DerȱsoziodynamischeȱEffektȱ Neben der sozialen Gravitation beschrieb Moreno in seinen Schriften zur Soziometrie den soziodynamischenȱ Effekt. Dieser beinhaltet – vereinfacht gesagt – zum einen, dass Menschen, die von ihrer Umwelt viele positive Wahlen erhalten, diese auch dann bekommen, wenn sich die Gruppe, in der gewählt wird, zahlenmäßig oder stimmenmäßig vergrößert: Stars bleiben Stars. Zum zweiten bedeutet der soziodynamische Effekt, dass Menschen, die in einem sozialen System isoliert
6.1 Soziometrische Grundprinzipien
171
sind, d.h. viele Abwahlen innerhalb einer Gruppe bekommen, auch beim Wachsen dieser Gruppe viele Abwahlen bekommen: Isolierte bleiben Isolierte. Der soziodynamische Effekt ist von einer deterministischen Grundhaltung geprägt, die pessimistisch stimmt, was die Entwicklung von Gruppen angeht. Hat man einmal in einer Gruppe bezüglich eines Kriteriums eine Position, so scheint sie nach den Untersuchungen Morenos in dieser Gruppe nicht veränderbar zu sein. Dies passt eigentlich nicht so recht in das insgesamt kreativitäts- und veränderungsbetonende Verfahren Psychodrama, hat jedoch zuweilen eine gewisse Evidenz. Wird zum Beispiel ein Schüler in einem Klassenverband als Streber angesehen, wird er diese Rolle innerhalb der Klasse schwer wieder los, auch wenn jede SchülerIn statt drei Stimmen in einem neuerlichen Wahlgang fünf Stimmen zu vergeben hat, und der Streberstatus ändert sich auch dann kaum, wenn die Klasse um fünf SchülerInnen anwachsen sollte. Stimmer19 beschreibt jedoch ein Beispiel, bei dem dieser Effekt gerade nicht eintritt: Wenn in einer Handballmannschaft drei Neue hinzukommen, bleibt der ehemalige Star manchmal nicht mehr in seiner Position, wenn von den drei Neuen einer besser ist als der „erste“ Star und damit zum neuen Star aufsteigt. Eifersüchtiges Verhalten des ehemaligen Stars kann sogar dazu führen, dass der ehemalige Star zum Isolierten in der Mannschaft wird. Möglicherweise hat Moreno mit der Beschreibung des soziodynamischen Effektes zu kurz gegriffen oder seine Sicht ist heute zu relativieren, da Gruppen- und Gesellschaftsstrukturen allgemein durchlässiger und damit offener für Veränderungen geworden sind20.
DasȱsoziogenetischeȱGesetzȱ Zu guter Letzt beschäftigt sich die Soziometrie auch mit der Entwicklung von Gruppen. Moreno beschreibt diese mit seinem soziogenetischenȱ Gesetz. Gruppen haben nicht nur eine Geschichte, sondern sie unterliegen auch einer Entwicklung. Moreno ging dabei davon aus, dass sich die Prozesse innerhalb der Gruppe immer weiter differenzieren. Zunächst haben Gruppen einfache Strukturen, im Laufe der Entwicklung erreichen sie höhere Organisationsformen, d.h. es differenzieren sich Rollen innerhalb von Gruppen weiter aus. Am Anfang besteht eine organischeȱ Isolation der Mitglieder, danach differenziert sich die Gruppe horizontalȱ(Kontakt knüpfen), zuletzt vertikalȱ (Hierarchiebildung). Diese Entwicklung bezieht sich nicht nur auf das Gruppenalter, sondern auch auf das Alter der Gruppenmitglie19 20
mündliche Mitteilung (2009) vgl. Beck (1986) und Keupp (1988) Literatur zu Freisetzungsprozessen
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6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
der: Im Kindergartenalter werden eher einfache Ketten gebildet, in Schulklassen kommt es dann auch zu Dreiecken, und im Erwachsenenalter sind auch komplexere Formen möglich. Je älter und differenzierter in ihrer Persönlichkeit die Gruppenmitglieder sind, desto differenzierter kann die Gruppenstruktur werden. Ein anderes, aktuelles Modell von Gruppenentwicklung ist das Modell von TuckȬ mann (1965), das von Gellertȱund Nowak (2007) in ihrer Teamentwicklungsuhr differenziert beschrieben wird. Hier werden Prozesse als Kriterium für die Gruppenentwicklung herangezogen. Gruppen beginnen in einerȱOrientierungsphase, in der ein vorsichtiges Kennenlernen die Arbeitsweise prägt; sie gelangen danach im Uhrzeigersinn in dieȱPositionsfindungsphase für die Mitglieder, in der Konflikte und Konfrontationen das sachbezogene Arbeiten häufig zu blockieren scheinen, auch Cliquen und Untergruppen werden hier gebildet. Darauf folgt die OrganisationsȬ phase, in der Normen und Umgangsweisen, sowie Arbeits- und Umgangskulturen entwickelt werden, um schließlich die Arbeitsphase zu erreichen, in der die Arbeit und gegenseitige Unterstützung im Vordergrund stehen. Für zeitlich begrenzte Gruppen schließt sich daran die AbschiedsȬȱ oderȱ Trennungsphase an. Für Gruppen wie zum Beispiel Teams, die länger bestehen, kann sich dann erneut eine Orientierungs-Phase anschließen, die wiederum gefolgt wird von einer PositionsfindingsPhase, usw. Die englischen Begriffe für die vier Grundphasen, durch die sich die Gruppen bewegen, sind bekannter: Forming, Storming, Norming und Performing. Ein anderes Modell soziogenetischer Entwicklung ist das von der amerikanischen Psychodramatikerin Hale (1994). Sie beschreibt den Zyklus soziometrischer Verläufe, der herangezogen werden kann, um aktuelle und zukünftige soziometrische Konstellationen innerhalb von Gruppen zu beschreiben. Sie lehnt sich dabei an Jahreszeiten an und sieht als Schlüsselbegriffe in Gruppenentwicklungsprozessen: Zugehörigkeit, Beständigkeit, Trennung und Wandlung21. So wie wir Jahreszeiten nacheinander durchlaufen, so durchlaufen wir als GruppenteilnehmerInnen thematische Prozesse von Zugehörigkeit (zwischen Winter und Frühling), Beständigkeit (zwischen Frühling und Sommer), Trennung (zwischen Sommer und Herbst) und Wandlung (zwischen Herbst und Winter), mit ihren jeweils eigenen Vor- und Nachteilen. Aufgrund der von Hale beschriebenen Zyklen können Vorhersagen getroffen werden, in welchem Feld sich die einzelne TeilnehmerIn, aber auch die Gruppe als Ganzes, im nächsten Schritt befinden wird.
21
vgl. Hale (1994): Soziometrische Zyklen
6.2 Aktionssoziometrie, Spektogramme und Skalen
Abbildungȱ40:
173
Teamentwicklungsuhr nach Gellert und Nowak (2007)
Nach dieser kurzen Einführung in die Grundgedanken der Soziometrie, kommen wir nun zu den diversen Praxis-Feldern, in denen Soziometrie zur Anwendung kommt.
6.2 Aktionssoziometrie,ȱSpektogrammeȱundȱSkalenȱ Die einfachsten Formen soziometrischen Vorgehens werden in dem Begriff der Aktionssoziometrie zusammengefasst. Dazu gehört die Anwendung von soziometrischen Spektogrammen und Skalen. Hierbei werden die TeilnehmerInnen einer Gruppe dazu aufgefordert, sich entsprechend eines Kriteriums in einem definierten Raum aufzustellen. Klassischerweise wird mit eindimensionalen Skalen begonnen, wie zum Beispiel: Namen in alphabetischer Reihenfolge, Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Erfahrung in einem Arbeitsfeld, aber auch subjektive Kriterien wie die eigene Befindlichkeit werden genannt. Die LeiterIn gibt dabei die räumliche Definition der Skala vor: „Hier rechts im Raum steht die jüngsteTeilnehmerIn, links die älteste; bitte reihen Sie sich dazwischen so ein, dass sich eine kontinuierliche Altersskala bildet“. Oder: „Hier rechts steht die Person, die
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6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
sich gerade sehr entspannt, hier links die Person, die sich sehr angespannt fühlt.“ Außer den kontinuierlichen Skalen gibt es die Möglichkeit, das Kriterium so zu wählen, dass das Abbild eine polare Darstellung ist. Ein Beispiel wäre hierfür die Frage: „Wer von Ihnen hat Kinder?“ In der einfachsten Variante gibt es hier nur zwei Möglichkeiten, sprich zwei Positionen im Raum: eine für „Ich habe Kinder“, eine für „Ich habe keine Kinder“. Hinter scheinbar einfachen, polaren Kriterien können sich jedoch weitere komplexe Differenzierungen verbergen. Nehmen wir einmal das Kriterium „Kinder“ von dem obigen Beispiel. Hier sind viele, biographisch hochsensible, Varianten von „ich habe Kinder“ und „ich habe keine Kinder“ möglich, wie z. B: „Ich hatte Kinder. Aber jetzt hat sie meine Frau und ich habe sie nicht mehr“ (ein vom Umgang mit seinen Kindern ausgeschlossener Vater), oder: „Ich hatte ein Kind. Das ist aber leider gestorben“ (ein verwaister Elternteil), oder: „Ich bin schwanger und möchte es noch nicht allen erzählen…“. Es gibt Kriterien, die auf den ersten Blick polar sind, aber bei denen sich innerhalb der polaren Gruppen weitere Differenzierungen zeigen können, die von den TeilnehmerInnen aber nicht gleich in einer Gruppe veröffentlicht werden, da sie kritische biographische Themen anschneiden. mir geht es sehr gut
… gut
Kinder
Abbildungȱ41:
… mittel
… schlecht
mir geht es sehr schlecht
keine Kinder
Eindimensionale Skalen für Befindlichkeit und Vorhandensein von Kindern
Weiter differenzierend können zweidimensionale Skalen eingeführt werden, so genannte Vier-Quadranten-Aufstellungen. Ein Beispiel hierfür ist: „Wer von Ihnen möchte sich jetzt mit dem Thema Vater beschäftigen (und wer nicht)?“ und „Wer möchte sich mit einem persönlichen Thema als ProtagonistIn beschäftigen, wer möchte sich mit einem Thema in der gesamten Gruppe beschäftigen?“
6.2 Aktionssoziometrie, Spektogramme und Skalen
175
Im Beispiel der Abbildung 42 möchte die gestreifte Figur links oben gerne ein Protagonistenspiel machen, aber nicht zum Thema Vater, sondern zu einem anderen Thema, während die karierte Figur rechts außen sich unbedingt mit dem Thema Vater beschäftigen möchte, und dies auch in Form eines Protagonistenspiels. Protagonistenspiel
Vater
NichtVater
als Gruppe
Abbildungȱ42:
Zweidimensionale Aufstellung
Als Nächstes sind die zweidimensionalenȱ nichtlinearen Skalen zu nennen. Zum Beispiel kann die LeiterIn einer Gruppe danach fragen, wo die TeilnehmerInnen wohnen und dies auf einer imaginären Landkarte aufstellen lassen (Abb. 43). Zu den nicht-linearen Aktionssoziometrien gehören die Kreis-Soziometrien: Hier stehen alle TeilnehmerInnen im Kreis und es werden verschiedene soziometrische Kriterien genannt: „Wer isst gerne Spaghetti-Eis?“, „Wer fährt gerne Fahrrad?“, „Wer ist von Beruf Schreiner?“ Wer dem Kriterium zustimmt, geht einen Schritt vor in Richtung Kreismitte. Eine Variante ist, dass ein Gruppenmitglied eine Frage stellt, selbst vortritt und schaut, wer zu dem Kriterium mit vortritt. Ziele von Aktionssoziometrien sind in der Regel, sich einerseits als LeiterIn einen schnellen Überblick über die Zusammensetzung bzw. den Zustand der Gruppe und ihrer TeilnehmerInnen zu einem bestimmten Kriterium zu verschaffen, andererseits die Mitglieder einer Gruppe miteinander in Kontakt zu bringen, also die Gruppenkohäsion zu erhöhen. Besonders bei Gruppenbeginn, in der Phase des Forming, ist die Aktionssoziometrie eine hilfreiche Methode. Für das
176
6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
Kennenlernen sind die Kriterien so zu wählen, dass sie zum einen eine genügend hohe Trennschärfe aufweisen, also die Individualität betonen und erkennbar machen, zum anderen aber auch genügend Verbindendes herstellen. Nicht sinnvoll wären demnach Kriterien, bei denen alle TeilnehmerInnen auf einem Platz stehen, z.B. nach dem Mittagessen die Frage zu stellen: „Wer ist müde?“ oder vor einer Prüfung zu fragen: „Wer ist aufgeregt?“; auch Kriterien zu wählen, bei denen jede TeilnehmerIn an einem anderen Platz für sich allein steht, ist der Gruppenkohäsion abträglich. Gerade bei Aktionssoziometrien zum Kennenlernen sind Kriterien hilfreich, die die Gruppenkohäsion fördern. Nichtlineare Skalen und Spektogramme („Wo wohnen Sie?“) sind hier gut geeignet, da sie nicht so scharf trennen wie polare („Wer hat ein Haustier und wer hat keines?“).
Abbildungȱ43:
Zweidimensionale nichtlineare Kriterien
6.3 SozialesȱAtomȱ–ȱkulturellesȱ–ȱsoziokulturellesȱAtomȱ Die verschiedenen Formen der psychodramatischen Atome können auf unterschiedliche Weise dargestellt werden, als Zeichnung, als Aufstellung mit Symbolen oder Stühlen oder als Aufstellung mit Personen auf der Psychodrama-Bühne. In der zeichnerischen Variante hat sich das Dreieck als Symbol für Männer, und der Kreis als Symbol für Frauen eingebürgert. Im klassischenȱsozialenȱAtom22 werden Personen erfasst, die für eine bestimmte Person A von Bedeutung sind. Die Person A steht im Zentrum und gruppiert die Anderen unterschiedlich nah und fern um sich herum. Moreno wählte den 22
vgl. Moreno (1949): Die Atomtheorie in den Sozialwissenschaften. In: Moreno (1981): Soziometrie als experimentelle Methode, S. 89
6.3 Soziales Atom – kulturelles – soziokulturelles Atom
177
Begriff Atom, da dieses zu seiner Zeit als die kleinste, unteilbare Einheit angesehen wurde. F•r ihn war das soziale Atom demgem‚ƒ die kleinste soziale Einheit, in der sich das Individuum bewegt. Dem Atomkern entspricht dabei das Individuum, welches von anderen Individuen umgeben ist. Im sozialen Atom existieren aber nicht nur lebende Personen, es befinden sich darin ebenso Tiere, Gegenst‚nde und auch verstorbene Menschen fr•herer Generationen. In der Darstellung werden folgende Gruppen unterschieden: Im absoluten Zentrum steht die eigene Person, im Inneren Kern befinden sich die Personen, mit denen Beziehungen unterhalten werden, im Äußeren Kern Personen, mit denen Beziehungen gew•nscht werden. Das Ganze wird umrahmt vom Bekanntschaftsvolumen, also Personen, die A bekannt sind und im emotionalen Sinne eine Bedeutung haben.
Bekanntschaftsvolumen
Innerer Kern: Personen, mit denen Beziehungen unterhalten werden
Äußerer Kern: Personen, mit denen Beziehungen gewünscht werden
Abbildung 44:
Das klassische soziale Atom
Aus dieser klassischen Form haben sich Sonderformen entwickelt, aus denen im Folgenden nur einige wenige herausgegriffen werden sollen.
Das dezentrale soziale Atom W‚hrend beim klassischen sozialen Atom nach Moreno die eigene Person im absoluten Mittelpunkt steht, kann in dieser Variante auch damit begonnen wer-
178
6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
den, die eigene Position auf dem Blatt oder der Bühne frei zu bestimmen, und danach die anderen Personen entsprechend ihrer Nähe und Distanz zuzuordnen.
eigene Person
Abbildungȱ45:
Dezentrales soziales Atom
DasȱsozialeȱAtomȱmitȱDarstellungȱderȱBeziehungsqualitätenȱ Als Erweiterung der grafisch gestalteten sozialen Atome können nicht nur Nähe und Distanz, sondern auch die Qualität der Beziehungen veranschaulicht werden. Hierfür haben sich verschiedene grafische Darstellungen eingebürgert:
einseitige Anziehung
einseitige Abstoßung
wechselseitige Anziehung
wechselseitige Abstoßung unterschiedliche Anziehung bzw. Abstoßung; zwei Darstellungsmöglichkeiten
Abbildungȱ46:
Legende Beziehungsqualitäten
6.3 Soziales Atom – kulturelles – soziokulturelles Atom
179
In dieser Form des sozialen Atoms werden nicht nur die Personen und deren Nähe und Distanz zur ProtagonistIn auf einem Blatt aufgezeichnet, sondern auch die Art der Beziehung, die zwischen ihnen besteht. Bei einer Bühnenaufstellung mit StellvertreterInnen oder Symbolen können die Pfeile durch verschiedenfarbige Tücher oder Seile ersetzt werden.
DasȱSoziokulturelleȱAtomȱ Von Stimmer ist diese Variante eines soziometrischen Atoms (2009). Hier werden sowohl die eigenen Rollen, die eigenen Eigenschaften, Gefühle und Gedanken, als auch die damit korrespondierenden Personen aufgestellt. Es werden das soziale und das kulturelle Atom einer Person zusammengefasst. Damit kann die Komplexität des Interaktionsfeldes Innenwelt – Außenwelt lebendig anschaulich gemacht werden.
1 A 2 B
P
3 C D
Abbildungȱ47:
4
Soziokulturelles Atom
ErläuterungȱzuȱAbbildungȱ47:ȱ In dem soziokulturellen Atom sind die aktuell bedeutsamen Beziehungen eines Protagonisten (P), Herr Karlson, zu Männern, in diesem Fall vier Personen und die vier dazugehörigen emotionalen Rollen sowie die Beziehungsqualitäten, angegeben. In der gepunkteten Ellipse finden sich der 20-jährige Herr Karlson und seine Rollen (A bis D). Außerhalb der Ellipse sind die vier Personen (1 bis 4)
180
6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
dargestellt. Zu seinem Stiefbruder (1) hat er ein ablehnendes, distanziertes Verhältnis (A – 1). Diese schlechte Beziehung beschäftigt ihn und er ist damit und mit seiner Rolle in dieser Beziehung nicht zufrieden (P – A). Ähnlich geht es ihm mit seinem Chef (4), nur, dass er den Chef weiter weg empfindet und ihm diese Beziehung auch nicht so nahe geht. Zu seinem älteren Bruder (2) hat er ein enges und positives Verhältnis (B – 2), und ist damit auch sehr zufrieden (P – B). Auch sein Bruder schätzt ihn sehr (2 – B). Zu seinem Vater (3) hat Herr Karlson ein sehr distanziertes Verhältnis (C – 3); auch fühlt er sich vom Vater abgelehnt (3 – C). Mit seiner Rolle in dieser Konstellation mit dem Vater (distanziert und ablehnend) ist Herr Karlson zum Zeitpunkt der Erhebung ganz zufrieden (P – C). Im Beispiel der Abbildung 47 sind als Rollen emotionale Rollen gewählt. Es hätten hier auch soziale Rollen gewählt werden können, z.B. Stiefbruder, Mitarbeiter, jüngerer Bruder, Sohn, oder es wären Rollen darstellbar gewesen, die mehrere Ebenen abdecken: als Mitarbeiter fühlt er sich angespannt und verbissen, ist distanziert und ablehnend gegenüber dem Chef, denkt, dass der Chef ihm eine Gehaltserhöhung anbieten sollte. Die Rollen können in Aufstellungen des soziokulturellen Atoms unterschiedlich stark exploriert werden. Dabei kann das ganze soziokulturelle Atom im Fokus sein oder nur Teile davon, z.B. die eine spezielle Beziehung, oder eine sich wiederholende eigene Rolle oder ein sich wiederholendes Beziehungsmuster zu anderen Personen. Der Vertiefung sind hier kaum Grenzen gesetzt. Eine populäre Anwendung dieses soziokulturellen Atoms findet sich in den Büchern SchulzȱvonȱThunsȱ(2004), wo er seine Arbeit mit „Inneren Teams“ beschreibt.
DasȱProjektȬAtomȱ Eine weitere Sonderform ist das „Projekt-Atom“ (Strobusch 2004; Strobusch,ȱSpörrȬ le,ȱStadler 2008). Dabei handelt es sich um die Anwendung des sozialen oder des soziokulturellen Atoms in einem speziellen Kontext, hier dem Feld der Organisations- und Personalentwicklung. Das Arrangement basiert auf einer soziometrischen Analyse und soll im organisationalen Kontext soziale Gefüge und die damit assoziierten Rollen in ihren Handlungen und Kommunikationskonstellationen deutlich machen und Interventionsansätze bieten. Das Projekt-Atom ist wie die anderen Atome zunächst eine visuelle Darstellung, die der Analyse der zwischenmenschlichen Beziehungen im Projekt dient. In dieser visuellen Darstellung werden sowohl das Ausmaß sozialer Vernetzung als auch die Qualität der Beziehungen abgebildet.
6.3 Soziales Atom – kulturelles – soziokulturelles Atom
181
TP SM BM E
APL PM
S Abbildungȱ48:
Org
Projekt
Beispiel eines Projekt-Atoms (Strobusch, Spörrle, Stadler 2008)
ErläuterungȱzuȱAbbildungȱ48:ȱ Durch den Vergleich seines Atoms mit dem anderer Projektmanager fällt dem Projektmanager (PM) Herrn Weiher in dem Beispiel eine Besonderheit seines Atoms auf: In seinem Projekt-Atom wird deutlich, dass er der einzige ist, der Beziehungen zu den anderen Projektbeteiligten (S, E, SM) und den beteiligten Abteilungen (Org, APL, TP) mit internen MitarbeiterInnen unterhält; zwischen den anderen dargestellten Projektbeteiligten (BM, E, TP, SM, ASL, Org und S) existieren wenige Beziehungen. Sein Projekt-Atom ist sternförmig ausgerichtet, mit ihm im Zentrum. Die gestrichelten Wege stellen unsichere Verbindungen dar.
DasȱFamilienstellenȱoder:ȱdasȱSozialeȱAtomȱderȱFamilieȱ Auf der gleichen Ebene wie das Projekt-Atom ist das so genannte „Familienstellen“ angesiedelt. Seine Definition leitet sich ebenfalls aus seinem Anwendungsbereich ab. Familienmitglieder aus der Herkunfts- und/oder Gegenwartsfamilie
182
6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
einer ProtagonistIn werden im Verhältnis zur eigenen Person aufgestellt. Eine Sonderform innerhalb dieses Arrangements ist unter dem Logo „Familienstellen nach Hellinger“ bekannt geworden. Hierbei handelt es sich nur noch in Grundzügen um ein psychodramatisches Vorgehen, weil wesentliche Grundannahmen und Regeln des Psychodramas dabei außer Acht gelassen werden23.
DasȱNetzwerkȱCoachingȱSystemȱ(NCS)ȱ Eine der neuesten Entwicklungen zum Thema soziales Atom ist das von Stimmerȱ undȱStimmer (2008) entwickelte NetzwerkȱCoachingȱSystem. Am Computer werden Beziehungs- und Rollennetzwerke visualisiert. Die Psychodrama-Bühne wird entweder auf den Bildschirm oder per Beamer auf die Wand projiziert; soziale und kulturelle Atome werden so bearbeitbar. Wie bei den gezeichneten oder gestalteten sozialen Atomen können die Computerdarstellungen sowohl zur Analyse als auch für Veränderungsprozesse genutzt werden. Ist- und Wunsch-, bzw. Soll-Zustände können verglichen werden, Zeitreihenanalysen erstellt und verschiedene Paar- und Teamkonstellationen jeweils zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die dabei sichtbar gemachten Netzwerke werden auch bei der Situationsanalyse und einer möglichen Evaluation in Problemlösungsprozessen in der Beratung und der Therapie verwendet.
MöglicheȱFragestellungenȱzuȱdenȱverschiedenenȱAtomenȱ Neben den nahe liegenden Fragen zu den Atomen, wie „Was fällt mir auf?“, „Was erstaunt mich?“, „Was gefällt mir nicht?“ und „Was möchte ich verändern?“, die bereits viel Veränderungsimpulse beim Zeichner setzen, hat Soppa (2001: 171f) eine Liste von möglichen Fragestellungen aufgelistet, mit denen soziale und andere Atome betrachtet werden können:
23
vgl. Buer (2005)
6.4 Der Soziometrische Test, der Perzeptionstest und das Soziogramm
183
BetrachtungȱeinesȱeinzelnenȱAtomsȱ Wer ist die Person? Wo lebt die Person? Welche Bedeutung hat die Person für dich? Was macht die Beziehungsqualität aus? Was bedeutet die Lage und Größe deines eigenen Symbols für dich? Welchen Raum hast du in deinem sozialen Atom? Zu welchen Personen geht deine Energie? Welche Konstellation(en) würdest du gerne verändern? Gibt es Personen, an die du gedacht, aber sie nicht gezeichnet hast? Gibt es eine erkennbare Balance in deinem Atom? Was fällt dir an den Konstellationen deines Bildes auf? Wie wirkt es als Bild? Gibt es eine Überschrift?
Tabelleȱ22:
Auswertungsfragen Soziales Atom nach Soppa (2001)
Werden mehrere (soziale) Atome verglichen, wie es zum Beispiel mit dem NCS möglich ist, kann man sich fragen, was ähnlich ist, was gleich geblieben ist und was sich verändert hat. Wenn Personen fokussiert werden: Welche Personen sind geblieben, welche sind nicht mehr im Atom, welche Beziehungen sind gleich geblieben, welche haben sich verändert und in welche Richtung?
6.4 DerȱSoziometrischeȱTest,ȱderȱPerzeptionstestȱundȱdasȱSoziogrammȱ Das soziale Atom hat das Individuum als Zentrum; der im Folgenden vorgestellte soziometrischeȱTest fokussiert eine Gruppe von Individuen. Mithilfe eines soziometrischen Tests werden die Tiefenstrukturen einer Gruppe in Bezug auf ein bestimmtes Kriterium deutlich. „Soziometrischeȱ Testsȱ zeigenȱ aufȱ dramatischeȱ undȱ exakteȱ Weise,ȱ dassȱ jedeȱ Gruppeȱ unterȱ ihrerȱ oberflächlichen,ȱ greifbaren,ȱ sichtbaren,ȱ ablesbarenȱ Strukturȱ eineȱzugrundeȱliegende,ȱnichtȱgreifbare,ȱunsichtbare,ȱinoffizielleȱ Strukturȱ besitzt,ȱ dieȱallerȬ dingsȱlebendiger,ȱwirklicherȱundȱdynamischerȱistȱalsȱdieȱerste“ (Moreno 1981: 169). Diese Tiefenstruktur soll sicht- und damit handhabbar gemacht werden, mit dem Ziel, den Zusammenhalt der Gruppe und deren Produktivität zu steigern. Für die Durchführung des Tests wird zunächst von der LeiterIn oder der Gruppe als Ganzer ein Kriterium vorgeschlagen und festgelegt. Zum Beispiel könnte sich ein Team, das vor die Aufgabe gestellt ist, in verschiedenen Projekten zusammenzuarbeiten, das Kriterium wählen: „Mit wem arbeite ich am produktivsten zusammen?“ Alle Gruppenmitglieder erhalten nun die gleiche Anzahl von Stimmen und wählen dann, geheim oder offen, innerhalb der Gruppe durch
184
6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
Verteilung ihrer Stimmen, wem sie für das Kriterium „produktivste Zusammenarbeit“ die meisten, die zweitmeisten etc. Stimmen geben möchten. Es gibt dabei zwei Vorgehensweisen: entweder es werden nur positive Stimmen vergeben (positive Rangreihen für die Plätze eins bis drei) oder es werden positive und negative („Mit wem ist meine Zusammenarbeit am wenigsten produktiv?“) Wahlen abgegeben (positive und negative Rangreihen, jeweils Plätze eins bis drei). Eine Besonderheit kann noch in den Ablauf eingebaut werden: der Perzeptionstest. Hierbei werden die TeilnehmerInnen gebeten, sich Gedanken zu machen, vom wem sie denken, dass sie positive und negative Stimmen erhalten. Nach der Auswertung anhand verschiedener Fragestellungen (siehe Tabelle 23) werden Tabellen (siehe Tabellen 24 und 25) und Soziogramme (siehe Abbildung 49) erstellt, die die Ergebnisse grafisch veranschaulichen. Anschließend erfolgt die Besprechung der Ergebnisse, die den größten Teil des soziometrischen Tests einnimmt. Mögliche Auswertungsfragen für soziometrische Tests Wer hat wen gewählt (positive Wahlen) bzw. abgewählt (negative Wahlen)? Wer hat wie viele Stimmen bekommen (Frage nach Stars oder Isolierten)? Wer hat keine Stimmen bekommen (weder positive noch negative)? Gibt es gegenseitige Wahlen (++ oder --)? Gibt es entgegen gesetzte Wahlen (+- oder -+)? Wie unterscheiden sich die Wahlen für Einzelne in Abhängigkeit von den festgelegten Kriterien? Stimmen die eigenen erhaltenen positiven und negativen Stimmen mit den eigenen Erwartungen überein (Perzeption)? Gibt es Ketten in der Stimmverteilung (A wählt B, B wählt C, C wählt D)? Gibt es Kreise in der Stimmverteilung (A wählt B, B wählt C, C wählt A)? Gibt es Sterne in der Stimmverteilung (A, B, C und D wählen alle E, aber sich nicht gegenseitig)?
Tabelleȱ23:
Soziometrische Auswertung
Entscheidend bei der Auswertung ist nicht nur die Offenlegung der abgegebenen Stimmen. Dies allein bringt zwar eine starke Dynamik in die Gruppe, aber entscheidender ist die Erläuterung der Motive der WählerInnen und die subjektive Bedeutung, die das Ergebnis für die Gewählten hat: erst dadurch entstehen konstruktive Veränderungsimpulse in der Gruppe und in den Einzelnen. Die Effektivität eines soziometrischen Tests wird damit von zwei Faktoren bestimmt: zum einen von der Wahl eines geeigneten Kriteriums, also von einer passenden Fragestellung für die Wahl, und zum anderen von der adäquaten Besprechung der
6.4 Der Soziometrische Test, der Perzeptionstest und das Soziogramm
185
Ergebnisse. Selbstverständlich sind hier ethische Grenzen zu berücksichtigen. Abwahlen, bzw. Nicht-Wahlen bei einem positiven Kriterium, bzw. Wahlen bei einem negativen Kriterium, können sehr stark kränken. Die Soziometrie ist lange Zeit das Stiefkind im Verfahren Psychodrama gewesen. Dies hängt auch mit der zum Teil unsachgemäßen Anwendung der Soziometrie zusammen. Nicht selten sind in Gruppen Verletzungen durch unpassende oder nicht gerechtfertigte Kriterien und Fragestellungen entstanden, die für die Einzelnen, bei positiv gewählten Kriterien besonders für die „Abgewählten“ oder die Personen ohne Stimmen, schwer zu verkraften waren. Die „beliebte“ Fragestellung, welche der Anwesenden in einem vom Sinken bedrohten Schiff bleiben dürfen und welche als erste ins Wasser geworfen würden, damit die Mehrheit überleben kann, mag in einer Live-Situation im Ruderboot auf dem Nordatlantik gerechtfertigt sein, in einem Team einer Beratungsstelle wird solch ein Kriterium jedoch zu Verwerfungen führen, die sich für Einzelne und das Gesamtteam sicher nicht einfach auflösen lassen. Das Kriterium sollte anwendungsbezogen und sozial- und ethisch verträglich gewählt sein. Die Soziometrie hat schließlich zum Ziel, die Gruppenkohäsion und Produktivität zu verbessern24, nicht die Isolierung einzelner Mitglieder offenzulegen oder gar sie zu verfestigen. Alexȱ Alexȱ Dani
1.2
Else
1.1
Gabi
1.0
Dani
Else
Gabi
Gerd
Kevin
Max
Mara
Maren
Paul
Werner
2.1
1.1
0.1
0.1
0.2
-3.2
3.2
-2.-1
-1.-3
0.1
3.0
-2.1
-3.0
0.3
0.2
0.1
-2.0
2.1
-1.-2
3.2
-2.0
2.0
3.2
-3.0
2.0 0.2
-1.-1 -3.0
0.-3
Gerd
1.0
2.0
0.-2
Kevin
2.0
1.0
0.2
Max
2.-3
0.-2
-1.-1
-1.-3
Mara
2.3
0.3
1.2
Maren
-1.-2
1.-2
-2.-1
2.3
Paul
-3.-1
0.-3
2.3
0.-3
Werner
1.0
3.0
Al
Da
El
3.-2 -2.3
-1.0
-3.-1
0.-1
-2.0
-3.3
0.3
-1.0
0.3
3.2
1.0
-3.0
-2.-1
0.-1
3.-3
0.-3
-1.0
3.0
0.1
-2.-2
-3.-2
0.-2
0.-1
0.-3
-3.1
3.0
3.0
-1.-2
-2.-2
1.-3
Pa
We
0.-1
-3.0
2.3
-1.0
-2.-3
0.3
Ga
Ge
Ke
Max
Mar
Maren
Die Zahl vor dem Punkt ist jeweils die abgegebene Wahl, die Zahl nach dem Punkt die erhalȬ tene Wahl.
Tabelleȱ24: 24
Beispielwahlen in einem soziometrischen Test als Tabelle
vgl. Moreno (1996) S. 387
186
6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
ErläuterungȱzuȱdenȱTabellenȱ24ȱundȱ25ȱ Alex wählte in diesem Beispiel Else auf Platz 1, Dani auf Platz 2 und Mara auf Platz 3. Umgekehrt wurde Alex von Dani, Else, Gabi, Gerd und Werner auf Platz 1 gewählt (die entsprechenden Zahlen sind in der Tabelle 24 fett und größer gedruckt). Alex hat Paul, Maren und Max in dieser Reihenfolge abgewählt. Insgesamt hat Alex acht positive Wahlen bekommen, und ist damit in Bezug auf dieses Kriterium der Star in der Gruppe, da sie die meisten positiven (8) und wenige negative (2) Wahlen bekommen hat (Fettdruck in Tabelle 25). Dreimal hat sie jemand positiv gewählt und wurde gleichzeitig von dieser Person positiv gewählt (Dani, Else und Mara), zweimal hat sie Personen negativ gewählt, von denen sie auch negativ gewählt wurde (Maren und Paul). Einmal hat sie jemand negativ (Max) gewählt und wurde gleichzeitig von ihm positiv gewählt. Diese letzte Situation erfordert am dringendsten eine Klärung, da sie für beide Seiten eher irritierend erlebt werden kann (grau hinterlegt in Tabelle 24).
Alexȱ
Pos/Pos
Neg/Neg
Positiv gesamt
Negativ gesamt
Pos/Neg
3
2
8ȱ
2ȱ
1 1
Dani
1
1
3
1
Else
3
1
6
1
Gabi
1
1
1
Gerd Kevin
2 1
Max Mara
6 6
2 2
2
2 6
4
1 2
2
Maren
1
2
2
6
2
Paul
1
3
1
6
1
Werner
1
1
2
2
Tabelleȱ25:
Auswertung gegenseitige, einseitige und entgegen gesetzte Wahlen
Bei einer umfangreichen soziometrischen Erhebung wird auch ein Perzeptionstest durchgeführt. Die Fragestellung bezieht sich auf die vorgestellte Fremdwahrnehmung der eigenen Person: „Wer, denkeȱ ich, hat mich als erste, zweite, dritte Wahl genommen, und wer hat mich entsprechend abgewählt?“ Die Ergebnisse werden verglichen mit den tatsächlich erhaltenen Wahlen und Abwahlen und geben so dem einzelnen Gruppenmitglied Aufschluss über die Angemessenheit der eigenen Selbstwahrnehmung und über die Fremdwahrnehmung in Bezug auf die eigene Person. Der Perzeptionstest ist damit die soziometrische Variante des Rollenwechsels.
6.4 Der Soziometrische Test, der Perzeptionstest und das Soziogramm
187
Im Beispiel der Tabelle 24 k€nnte Alex gedacht haben, dass Gabi sie als erste Wahl nimmt, was auch tats•chlich der Fall ist. Alex h•tte damit eine sehr gute Wahrnehmung von Gabi in Bezug auf die eigene Person. Wenn hingegen Gerd gedacht hat, Kevin habe ihn positiv gew•hlt oder maximal nicht gew•hlt, h•tte er eine schlechte Wahrnehmung von Kevin in Bezug auf die eigene Person, da dieser in als zweite Abwahl genommen hat. Das Soziogramm ist die grafische Darstellung sozialer bzw. soziometrischer Erhebungen. Es wird gezeichnet wie ein dezentrales soziales Atom, wobei die Wahlen, also die positiven und negativen Stimmen, mit Pfeilen zwischen den Personensymbolen dargestellt werden. Soll die Rangreihe der Wahlen ebenfalls anschaulich gemacht werden, werden diese Pfeile mit Nummern versehen (1 f‚r erste Wahl, 2 f‚r die zweite Wahl, usw., bzw. -1 f‚r die erste Abwahl usw.). Moreno nannte das Soziogramm die „psychologische Geographie einer Gemeinschaft“ (1981: 42). In der rechten Spalte der folgenden Grafik stehen die Gesamtsummen der positiven Wahlen f‚r die betreffende Zeile.
Alex Else
8 Kevin
Mara
4
Dani Werner Paul Gerd Abbildung 49:
6
3 Maren
2 Gabi
1 Max
0
Soziogramm positiver Wahlen ohne Rangreihen
Literatur Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Buer, F. (2005): Aufstellungsarbeit nach Moreno in Formaten der Personalarbeit in Organisationen. Beispiel: Aufstellung von F‚hrungsdilemmata. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie 4 (2). S. 285-310
188
6 Soziometrie und andere Methoden zur Erhebung sozialer Fragestellungen
Gellert, M. (1996): Lebendige Soziometrie in Gruppen. In: Bosselmann, R., Lüffe-Leonhardt, E., Gellert, M. (1996): Variationenȱ desȱ Psychodramas.ȱ Einȱ Praxishandbuchȱ –ȱ nichtȱ nurȱ fürȱ Psychodramatiker. Meezen: Limmer Gellert, M. und Nowak, C. (2007): Teamarbeitȱ –ȱ Teamentwicklungȱ –ȱ Teamberatung. Meezen: Limmer Gunkel, S. (2009): Psychodrama und Soziometrie. Erlebnisorientierte Aktionsmethoden in Psychotherapie und Pädagogik, ZeitschriftȱfürȱPsychodramaȱundȱSoziometrie Sonderheft 1 Hale, A. (1994): Soziometrische Zyklen. Ein soziodynamisches Verlaufsmodell für Gruppen und ihre Mitglieder. Psychodrama. Zeitschriftȱ fürȱ Theorieȱ undȱ Praxisȱ vonȱ Psychodrama,ȱ SoziometrieȱundȱRollenspiel 7 (2). S. 179-196 Keupp, H. (1988): RiskanteȱChancen.ȱDasȱSubjektȱzwischenȱPsychokulturȱundȱSelbstorganisation.ȱ Heidelberg: Asanger Moreno, J. L. (1949): Die Atomtheorie in den Sozialwissenschaften. In: Moreno (1981): SoȬ ziometrieȱalsȱexperimentelleȱMethode. Paderborn: Junfermann. 89 Moreno, J. L. (2008): Gruppenpsychotherapieȱ undȱ Psychodrama. 6.Auflage (Erstauflage 1959) Stuttgart: Thieme Moreno, J. L. (1981): SoziometrieȱalsȱexperimentelleȱMethode. Paderborn: Junfermann Moreno, J. L. (1996): Dieȱ Grundlagenȱ derȱ Soziometrie.ȱ Wegeȱ zurȱ Neuordnungȱ derȱ Gesellschaft. Opladen: Leske + Budrich Pruckner, H. (2004): Soziometrie. Eine Zusammenschau von Grundlagen, Weiterentwicklungen und Methodik. In: Fürst, J., Ottomeyer, K., Pruckner, H. (Hrsg) (2004): PsyȬ chodramatherapie.ȱEinȱHandbuch. Wien: Facultas Sartre, J-P. (1982): DasȱSeinȱundȱdasȱNichts.ȱVersuchȱeinerȱphänomenologischenȱOntologie. Hamburg: Rowohlt Schulz von Thun, F. (2004): Miteinanderȱ Redenȱ 3.ȱ Dasȱ „Innereȱ Team“ȱ undȱ situationsgerechteȱ Kommunikation. Reinbek: Rowohlt Schwehm, H. (1994): Soziometrie – Die Methode der Wahl. Psychodrama. Zeitschriftȱ fürȱ TheorieȱundȱPraxisȱvonȱPsychodrama,ȱSoziometrieȱundȱRollenspiel 7 (2). S. 165-178 Soppa, P. (2004): Psychodrama.ȱEinȱLeitfaden. Wiesbaden: Leske + Budrich Spörrle, M. und Strobel, M. (2007): Zum Zusammenhang zwischen soziometrischem Status und Aggression: Eine Bestandsaufnahme der aktuellen Forschungslage – Literaturübersicht und praktische Implikationen. Zeitschriftȱ fürȱ Psychodramaȱ undȱ Soziometrie 6 (1). 43-66 Spörrle, M., Strobel, M., Stadler, C. (2009): Interkulturelle Netzwerkforschung: Eine kulturspezifisch-explorative Analyse des Zusammenhangs zwischen Merkmalen sozialer Netzwerke und Lebenszufriedenheit. Zeitschriftȱ fürȱ Psychodramaȱ undȱ Soziometrie 8 (2), S. 297–319. DOI 10.1007/s11620-009-0059-4 Stahl, E. (2002): DynamikȱinȱGruppen. Weinheim: Beltz Stimmer, F. (2009): Spiegelbilder: Typen und soziokulturelle Atome narzisstischen Verhaltens. In: Gunkel, S. (2009): Psychodrama und Soziometrie. Erlebnisorientierte Aktionsmethoden in Psychotherapie und Pädagogik. Zeitschriftȱ fürȱ Psychodramaȱ undȱ SoziometrieȱSonderheftȱ1. S. 113-130
6.4 Der Soziometrische Test, der Perzeptionstest und das Soziogramm
189
Stimmer, E. und Stimmer, F. (2008): „Soziokulturelle Atome“ computergestützt? Das Netzwerk-Coaching-System (NCS). ZeitschriftȱfürȱPsychodramaȱundȱSoziometrie 7(2). S. 281-290 Strobusch, F. (2004): Das ‚Projekt-Atom’ beim Experten-Coaching. In: Hauke, G. und Sulz, S. (Hrsg.): ManagementȱvorȱderȱZerreißprobe.ȱOder:ȱZukunftȱdurchȱCoaching. München. S. 175181 Strobusch, F., Spörrle, M., Stadler, C. (2008): Projektatom und Rollenspiel als Arrangement im projektbasierten Organisationskontext. Zeitschriftȱ fürȱ Psychodramaȱ undȱ Soziometrie 7(2). S. 260-269 Tuckmann, B. (1965): Developmental Sequence in small groups. PsychologicalȱBulletin 63 Von Ameln, F., Gerstmann, R., Kramer, J. (Hrsg) (2004): Psychodrama. Heidelberg: Springer Williams, A. (1994): Klinische Soziometrie: Spielräume in Familiensystemen und Gruppen festlegen. Psychodrama. Zeitschriftȱ fürȱ Theorieȱ undȱ Praxisȱ vonȱ Psychodrama,ȱ Soziometrieȱ undȱRollenspiel 7 (2). S. 217-238 Zeintlinger-Hochreiter, K. (1996): Kompendiumȱ derȱ PsychodramaȬTherapie.ȱ Analyse,ȱ PräzisieȬ rungȱundȱReformulierungȱderȱAussagenȱzurȱpsychodramatischenȱTherapieȱnachȱJ.ȱL.ȱMoreno. Köln: Inscenario
7.1 Behandlung
7 7
191
AnwendungsfelderȱoderȱFormateȱ
In diesem Kapitel geben wir einen Einblick in einige klassische Anwendungsfelder von Psychodrama und Soziometrie. Anschließend werden wir noch einen Abschnitt zur Thematik Monodrama einfügen, obwohl es kein Format, sondern ein spezielles Vorgehen innerhalb des Verfahrens ist. Die klassischen psychodramatischen Anwendungsfelder oder Formate sind Behandlung, Beratung, Bildung und Training sowie Selbsterfahrung. Diese Formate werden im Weiteren differenziert.
7.1 Behandlungȱ Unter Behandlung wird im Allgemeinen das Format Psychotherapie und die medizinische Rehabilitation (Suchthilfe und Psychosomatik) verstanden. In beiden Fällen ist das Psychodrama ein gängiges Verfahren und zwar sowohl im Einzelsetting als auch in der Gruppe und im stationären Bereich wie auch im ambulanten. Gängig bedeutet in diesem Fall, dass das Psychodrama auf diesen Gebieten angewandt wird, und dass einige Kostenträger in Deutschland (v.a. im Feld der Rehabilitation) auch die Kosten für die Behandlung tragen. In Österreich werden die Kosten für Psychodramatherapie ohnehin unter bestimmten Voraussetzungen und mit bestimmten Kontingenten von den Krankenkassen bezahlt. Kellermann liefert für das psychotherapeutische Psychodrama, worunter im Folgenden auch die Rehabilitation gefasst sein soll, eine umfassende Definition: „Psychodrama ist eine Psychotherapiemethode, bei der Klienten ermutigt werden, ihre Handlungen durch Dramatisierung, Rollenspiel und dramatischem Selbstausdruck fortzusetzen und zu vervollständigen. Dabei kommt sowohl verbale als auch nonverbale Kommunikation zum Einsatz. Eine Reihe von Szenen werden im Hier und Jetzt gespielt oder dargestellt, zum Beispiel: Erinnerungen spezifischer Erlebnisse in der Vergangenheit, unvollendete Situationen, innere Dramen, Phantasien, Träume, Vor-
192
7 Anwendungsfelder oder Formate
wegnahmen zukünftiger riskanter Situationen oder Ausdrücke innerer, psychischer Befindlichkeiten. Diese Szenen entsprechen entweder Situationen des wirklichen Lebens oder bilden innere, geistige und psychische Prozesse ab. Soweit nötig, können andere Rollen von Gruppenteilnehmern oder unbelebten Objekten (Symbolen) übernommen werden. Dabei kommen viele Techniken zum Einsatz, wie zum Beispiel der Rollentausch, das Doppeln, das Spiegeln, die Konkretisierung, die Maximierung und das Selbstgespräch“ (Kellermann 2000: 20).
Soweit zur allgemeinen Beschreibung des psychotherapeutischen Vorgehens, welches sich damit nicht grundlegend vom Ablauf in anderen Anwendungsfeldern unterscheidet. Ein Therapieverfahren zeichnet sich durch drei Bestandteile aus (Petzold 2003; Buer 2007): Praxeologie, wie sie sich in Teilen in dem Zitat KelȬ lermanns und ausführlicher in den Kapiteln zu den Psychodrama-Techniken und den Arbeitsformen abbildet. Weiter braucht es Interpretationsfolien, wie z.B. eine Krankheits- und Gesundheitslehre, Persönlichkeits- und Entwicklungstheorien, sowie Metatheorien, also eine Philosophie. In letzterer finden sich die Grundannahmen eines Verfahrens; dies war eingehender bereits im Kapitel zur Rollentheorie zu lesen. Aus dem Bereich der Interpretationsfolien wollen wir die Krankheits- und Gesundheitslehre herausgreifen, die entsprechend dem einführenden Charakter des Buches an dieser Stelle nur kurz vorgestellt werden soll. Im klassischen Psychodrama gibt es bezüglich der Krankheits- und Gesundheitslehre pointiert gesagt zwei Ausrichtungen: die kreativitäts- oder prozessorienȬ tierten VertreterInnen und die RollentheoretikerInnen. Krüger (1997, 2002, 2004, 2007, 2009) ist im deutschsprachigen Raum der früheste Repräsentant einer die Kreativität und den (Entwicklungs-)Prozess in den Mittelpunkt stellenden psychodramatischen Krankheits- und Gesundheitslehre. Aber auch Schacht (2003, 2009) betrachtet die Prozessorientierung als herausragendes Merkmal der Psychodrama-Therapie. Er unterstellt dabei, dass „jedes Handeln zielgerichtet ist“ (Schacht 2009: 12). Probleme tauchen entsprechend seiner Theorie dann auf, wenn die kreative Selbststeuerung der Person durch „perfekte“ Ziele gestört wird. Tendenziell betont sein Ansatz stärker die Kognition und die Motivation, während sich Krügers Prozess-Modell eher an psychodynamischen Modellen und damit an unbewussten Strukturen und deren Entwicklungen orientiert. Krüger stellt eine Verbindung zwischen Krankheitsbildern, Abwehrmechanismen und der Salutogenese von Psychodrama-Techniken her, die im Kapitel über die TechȬ niken zum Teil dargestellt wurde. Anders Burmeister (2001, 2009), der die Rollentheorie stark in den Vordergrund rückt. Störungen werden bei ihm in Rollenkategorien beschrieben: die Diagnostik bedient sich dabei der Einschätzung des Rollenstatus. Er unterscheidet ein funktionierendes Bewältigungs-Rollensystem
7.1 Behandlung
193
von einem dysfunktionalen (Burmeister 2009). Auch Leutz (1974: 158ff) zieht die Rollentheorie für die Beschreibung von Störungen heran, wenn sie von RollenȬ mangelsyndromen oder Rollenatrophien spricht (hierzu Näheres im Kapitel 5 zur Rollentheorie). In dem folgenden fiktiven Beispiel sollen die verschiedenen therapeutischen Herangehensweisen des Psychodramas prototypisch veranschaulicht werden. Selbstverständlich gibt es zwischen den Unterschieden im Vorgehen auch Gemeinsamkeiten. Das Beispiel würde so auch nicht in der therapeutischen Realität stattfinden, einer KlientIn würden niemals vier TherapeutInnen gegenüberstehen. Die Namen geben nur Tendenzhinweise auf den Hintergrund der therapeutischen Ausrichtung ähnlich klingender PsychodramatikerInnen wieder; die skizzierten Vorgehensweisen bieten die Gelegenheit, vier sich ergänzende Stile kennenzulernen.
FallbeispielȱPsychodramaȬTherapie:ȱ Frau Gleich kommt mit einer depressiven Symptomatik in eine Psychodrama-Therapiegruppe. Sie berichtet den vier anwesenden TherapeutInnen Burmeisterus,ȱKrügerix,ȱLeutzia und SchachȬ tix und der Gruppe, dass sie seit ca. einem Jahr Probleme beim Durchschlafen habe, sich gedrückt fühle; auch habe sie keinen Antrieb und keinen Appetit. Sie sei nun 44 Jahre alt, ihre zwei Töchter (Mara 20 und Katharina 17 Jahre) hätten letztes Jahr ihre Schulausbildungen beendet; Mara würde nun in einer anderen Stadt Jura studieren, Katharina eine Lehre als Raumausstatterin machen. Für die Lehrzeit wolle sie noch bei ihr wohnen bleiben. Die Trennung von ihrem Mann liege nun fünf Jahre zurück. Im letzten Jahr habe sie zweimal eine kurze Affäre gehabt, es sei jedoch leider nichts Ernstes daraus geworden. Die Technologiefirma, für die sie arbeite, habe letztes Jahr die Insolvenz nur knapp abwenden können, dies aber um den Preis, dass vielen Kolleginnen gekündigt wurde. Ihr eigener Arbeitsplatz sei nicht in Gefahr gewesen, aber zwei ihrer Mitarbeiterinnen hätten gehen müssen. Auf Nachfrage eines Gruppenmitglieds erzählt sie, dass sie bei all den Turbulenzen stetig vor sich hin gearbeitet habe ohne groß nach rechts und links zu schauen. Nachdem sie vor ein paar Monaten plötzlich starke Kopf- und Rückenschmerzen bekommen habe, die über einen längeren Zeitraum nicht weggingen, sei sie zum Hausarzt gegangen. Er habe ihr zu einer Therapie geraten, da ihr körperlicher Befund unauffällig gewesen sei. Krügerix eröffnet den Reigen therapeutischer Interventionen: „Frau Gleich, ich würde Ihnen vorschlagen, dass Sie uns Ihre Situation einmal hier auf der Bühne zeigen. Ich würde gerne damit anfangen, dass Sie aus dem Kreis der Gruppenmitglieder Menschen wählen, die die Rollen, die Sie genannt haben, besetzen können. Da waren einmal Ihre beiden Töchter Mara und Katharina, dann Ihr Exmann, dann die beiden Männer, die Sie im letzten Jahr kennengelernt haben, dann die Kolleginnen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, aber auch Ihr mangelnder Antrieb und ihr geringer Appetit, sowie Ihre Kopf- und Rückenschmerzen. Wir
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7 Anwendungsfelder oder Formate
fangen damit an, dass Sie zunächst einen Platz für sich selbst auf der Bühne wählen und danach den anderen RollenspielerInnen ihren Platz zuweisen. Es soll hier Ihre Seelenlandschaft zu sehen sein.“ Frau Gleich stimmt dem Vorgehen zu, und es entsteht eine Szene, bei der die erwähnten Menschen relativ weit entfernt von ihr stehen, während die körperliche Symptomatik sich wie ein enger Ring um ihre Position schließt. Krügerix: „Frau Gleich, können Sie einmal sagen, wie Sie sich an Ihrer Position inmitten Ihrer Seelenlandschaft fühlen?“ Frau Gleich: „Ja, so ist mein Leben, aber … ich weiß nicht, wie es mir geht. Ich funktioniere einfach.“ Krügerix: „Darf ich Sie hier einmal doppeln? Ich habe so eine Vorstellung, wie es Ihnen gehen könnte.“ Frau Gleich: „Ja.“ Krügerix (an der Position von Frau Gleich) doppelt: „Mir tut alles weh, die Sorgen drücken mich. Ich bin mir nicht sicher, wie es mit meiner Arbeit weitergeht. Ich bin traurig, dass immer mehr Menschen aus meinem Leben verschwinden; erst mein Mann, dann meine ältere Tochter, dann die Kolleginnen.“ Frau Gleich: „Ja, das stimmt. Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch Angst, dass ich meine Arbeit noch verlieren könnte.“ Leutzia (übernimmt das Doppeln an dieser Stelle): „Ich habe Angst zu erleben, dass immer mehr Menschen aus meinem Umfeld verschwinden. Ich habe immer weniger Kontakte und meine Versuche, Kontakte zu neuen Menschen aufzunehmen, gelingen auch nicht so, wie ich es mir wünsche.“ Frau Gleich (emotional jetzt sehr berührt): „Ja, meine größte Sorge ist, dass ich einmal ganz alleine dastehe. Früher war ich so ein geselliger Mensch.“ Leutzia: „Ich möchte ihn vorschlagen, dass Sie einmal Ihr soziales Atom mit den Gruppenmitgliedern aufstellen, und zwar zunächst so, wie es früher war, als es Ihnen gut gegangen ist, und danach so, wie es heute ist.“ Frau Gleich stellt nacheinander die beiden sozialen Atome auf. Das erste ist relativ umfangreich, mit unterschiedlichsten Kontakten, das zweite ähnlich der Seelenlandschaft. Leutzia: „Heute haben Sie Angst, dass Sie am Ende ganz alleine dastehen.“ (Signalisiert den anderen MitspielerInnen, die Bühne zu verlassen): „Jetzt sind Sie ganz alleine, wie alt fühlen Sie sich jetzt?“ Frau Gleich: „Wie ein kleines Kind.“ Burmeisterus übernimmt an dieser Stelle: „Mir fällt auf, dass hier Bewältigungsrollen für Ihre neue Situation fehlen. Wer könnte hier hilfreich sein?“ Frau Gleich: „Naja, als Kind wäre es gut gewesen, wenn meine Mama gekommen wäre. Heute würde ich mir eine tröstende und eine zuversichtliche, anpackende Freundin an der Seite wünschen, die mich aus dem Sumpf herauszieht.“ Burmeisterus: „Können Sie bitte einmal zwei MitspielerInnen auswählen, die diese Rollen verkörpern.“ (Nachdem Frau Gleich diese gewählt und hinter bzw. neben sich aufgestellt
7.1 Behandlung
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hat) „Spüren Sie jetzt einmal, wie sich das anfühlt, wenn die beiden bei Ihnen sind, hören Sie mal die Botschaften, die diese Ihnen sagen.“ Frau Gleich wirkt nun entspannter. Leutzia doppelt: „Ja, das fühlt sich jetzt schon viel besser an.“ Krügerix: „Können Sie mal bitte mit der Zuversichtlich-Anpackenden die Rolle tauschen?“ (Frau Gleich macht dies; danach Krügerix zu Frau Gleich in der Rolle der Z.-A.) „Jetzt sprechen Sie mal zu Ihrer Freundin Frau Gleich.“ Frau Gleich in der Rolle der Z.-A. spricht kraftvoll, aber zugewandt davon, dass sie jetzt zusammen das Problem des Alleinseins anpacken werden. Schachtix übernimmt an dieser Stelle: „Hm ja, die Frage des Alleinseins hat mich an Ihrer Thematik angesprochen. Ich habe mich beim Betrachten Ihrer Situation gefragt, wie es kommt, dass früher ja alles ganz gut geklappt hat. Sie waren ein kreativer und erfolgreicher Mensch, Sie haben manche Schwellen gemeistert, es lief alles ganz gut in Ihrem Leben. Sie scheinen einen starken Willen zu haben und ein gutes Durchsetzungsvermögen, sonst hätten Sie sich in der aktuellen Firmensituation wahrscheinlich ja nicht halten können. Mich würde daher besonders der Aspekt interessieren, dass Sie sagen, die beiden neuen Bekanntschaften hätten zu nichts Ernstem geführt: Können Sie mir mal beschreiben, wie Sie sich dieses Ernste genau vorstellen? Wie soll eine gute Beziehung oder noch früher, wie soll ein gutes Kennenlernen eines möglichen Partners für Sie aussehen?“ Frau Gleich beschreibt eine romantische Begegnung mit einem Mann, der zugleich sehr einfühlsam ist, aber auch sehr genau weiß, was er will. Sie wünscht sich, dass er ihre Freizeitinteressen teilt, aber auch gut Zeit für sich allein verbringen kann. Schließlich sollte er ein gewisses Einkommen haben und das Wichtigste, er sollte keine negativen Beziehungserfahrungen gemacht haben. Schachtix lässt Frau Gleich eine Person für den Traummann wählen und die Szene einrichten. Nachdem Frau Gleich eine Zeit lang die Szene der romantischen Begegnung mit ihrem Traummann genossen hat, bittet Schachtix Frau Gleich einmal die Rolle mit dem Traummann zu tauschen. Frau Gleich bemerkt, wie überfordernd die Rolle ist; sie könne unmöglich alle Anforderungen erfüllen: „Am liebsten wäre mir eine unbeschwerte Beziehung. Das ist mir alles zu perfekt, was ich hier als Anspruch spüre.“ Schachtix zu Frau Gleich (wieder zurück in ihrer eigenen Rolle): „Ich treffe immer wieder auf das Phänomen, dass Menschen sich ihre Ziele und die Ansprüche an Andere zu hoch stecken; ich nenne das nach perfektenȱZielen streben. Kann es sein, dass es sich in Ihrem Fall mit den Partnern auch so verhält? Und wie ist es bei Ihrer Arbeit? Sind Sie dort sehr ehrgeizig?“ Frau Gleich: „Na klar, ich will immer perfekt sein. Und die Anderen sollen das natürlich auch sein. Aber jetzt als Traummann habe ich zum ersten Mal die Anstrengung dabei gespürt. Ich habe ja einen starken Willen, aber immer mal wieder geht mir die Kraft aus.“ Leutzia doppelt: „Und gerade merke ich, dass …“ Frau Gleich: „…ich die blöde Anstrengung nicht mehr möchte. Wozu eigentlich immer perfekt sein?!“ Morenopterix meldet sich aus dem Off: „Wir müssen Meister des Imperfekten werden!“
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7 Anwendungsfelder oder Formate
Psychodramatische Störungstheorie nach Schacht Im Psychodrama wird gestörtes Erleben und Handeln als ein Versuch gesehen, mit einer Problematik so gut wie in diesem Moment möglich umzugehen. Dies stellt somit eine Anpassungsleistung an eine zu diesem Zeitpunkt nicht anders zu bewältigende Lebensbedingung dar. Ebenso wie bei gesundem Erleben und Verhalten verläuft diese Anpassungsleistung über die Zyklen der Spontaneität und Kreativität. Das Modell hierfür wurde weiter oben bereits vorgestellt. Die Entwicklung einer Störung, aber auch die Art der Störung, hängt davon ab, welche Belastungen eine Person während einer Entwicklung erlebt und welche Ressourcen einer Person zu Verfügung stehen, diese zu bewältigen. Bei der Verankerung dieser Störung spielen zwei Kräfte eine Rolle: die Motivation, die zu dieser Anpassungsleistung geführt hat, und die selbstverstärkenden Rückkopplungen. In der störungsspezifischen psychodramatischen Therapie muss laut Schacht diesen beiden Aspekten Rechnung getragen werden. So müssen beim Finden möglicher Ausstiegsszenarien zum einen die Beweggründe, die dazu geführt haben (zum Beispiel das Streben nach perfekten Zielen) und die Stärke, mit der diese Motive handlungsleitend sind (Volitionsstärke), zum anderen die vorhandenen Rückkopplungsmechanismen miteinbezogen werden. Kastenȱ6:ȱȱ Psychodramatisches Störungsmodell nach Schacht
Abbildungȱ50:
Störungsdynamik
7.1 Behandlung
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Grundlagen störungsspezifischer Psychodramatherapie nach Krüger Krüger geht davon aus, dass die Rollentheorie zur vollständigen Erfassung innerpsychischer Vorgänge nicht ausreicht. Deshalb ergänzt er das rollenzentrierte Psychodrama mit der von ihm entwickelten Theorie des kreativitäts- oder prozessorientierten Psychodramas. Dieses bezieht psychodramatische Techniken und deren Relation zu Selbstorganisationsprozessen, bzw. deren Blockaden und Abwehrmechanismen ein (siehe Abbildung Anhang 2). Er konstatiert bei den verschiedenen Krankheitsbildern eine Blockade des kreativen Selbstorganisationsprozesses auf unterschiedlichen Funktionsebenen (Systemorganisation, Realitätsorganisation, Kausalitätsorganisation und Finalitätsorganisation). So zeigt er, dass zum Beispiel bei Psychosen, Suchterkrankungen oder Traumatisierungen der Bereich der Systemorganisation gestört ist. Bei dem störungsorientierten therapeutischen Vorgehen kommen, abgestimmt auf die jeweilige diagnostizierte Problematik, entsprechende spezifisch psychodramatische Techniken zur Anwendung. Die TherapeutIn unterstützt bei Bedarf als Mithandelnde die ProtagonistIn beim Gestalten der eigenen Rolle, hilft salutogenes Verhalten zu entwickeln und kann durch das Zur-Verfügung-Stellen des eigenen, gesunden Repertoires an Handlungen, Gefühlen und Gedanken stellvertretend Blockaden lösen und der PatientIn helfen, wieder ihre Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit, Handeln, Wirkung und Lösung zu verwirklichen. Kastenȱ7:ȱȱ Grundlagen störungsspezifischer Psychodramatherapie nach Krügerȱ
Wir möchten nun noch einen Aspekt aus dem Bereich der Metatheorie herausgreifen. Dazu wollen wir versuchen, das Psychodrama als Therapieverfahren entsprechend seiner philosophischen Grundlagen in einem Koordinatensystem von Therapieverfahren zu verorten. Es sollen hierzu drei Achsen vorgestellt werden: eine Achse „Psychodynamische Therapie“, eine „Verhaltenstherapie“ und eine dritte „Systemische Therapie“. Die klassische Zuordnung des Psychodramas zu den humanistischen Therapieformen, wie sie in jüngster Zeit Eberwein (2009) wieder vorgeschlagen hat, ist historisch und in Fragen des Menschenbildes sicherlich richtig, differenziert jedoch durch den weiten Begriff des Humanismus an dieser Stelle nicht ausreichend. Schacht (2009) sieht das Psychodrama als komplett eigenständiges Verfahren, was in seiner Herleitung auch seine Berechtigung hat, aber die historischen Entwicklungswege und Berührungspunkte vernachlässigt.
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7 Anwendungsfelder oder Formate
Verhaltensorientierung, Training, Lösungsorientierung
Systemorientierung
Psychodynamische und hermeneutische Orientierung
Abbildungȱ51:
Koordinatensystem
Je nachdem, wie die einzelnen Psychodrama-TherapeutInnen ihre therapeutische Grundhaltung und daraus abgeleitet ihre Interventionen setzen, können sie in dem Koordinatensystem verortet werden. Je stärker zum Beispiel die Soziometrie in Form von sozialen Atomen Eingang findet, desto betonter ist die Achse Systemorientierung. Je stärker der Aspekt Rollentraining, etwa in der psychodramatischen Exposition einer bedrohlichen Situation, zum Tragen kommt, desto betonter ist die Achse der Verhaltens- und Lösungsorientierung. Je mehr die Entstehungsgeschichte einer Symptomatik betrachtet wird, je mehr Hypothesen über eine Szene und deren Genese gebildet werden, desto mehr hält man sich im Feld der psychodynamischen Orientierung auf (Siehe auch Kapitel 4 Techniken unter Szenenwechsel). In der Regel finden sich in der therapeutischen Arbeit einer PsychodramatikerIn immer Mischformen. Diese sind nicht beliebig, sondern leiten sich aus den spezifischen Indikationen der Störungen der PatientInnen und dem therapeutischen Prozess ab. Im Beispiel Frau Gleichs wird ein Ablauf deutlich, der als therapeutischeȱSpiraȬ le bezeichnet wird: ausgehend von einer Symptomszene in der Gegenwart (Frau Gleichs Depression) wird ein Umfeld untersucht (relevante Personen im sozialen Atom), evtl. Parallelszenen entdeckt (Angst um den Arbeitsplatz), die Genese in der Vergangenheit exploriert (Kind, welches die Mutter vermisst), eine Lösung für die Situation damals (Mutter) und heute gesucht (Freundinnen), wieder zurück in die Gegenwart gegangen und die blockierenden Vorgänge wie Gedanken,
7.2 Beratung
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Affekte, Impulse (verdrängte Angst, perfekte Ziele) mentalisiert. In den Kategorien des Koordinatensystems beschrieben: die Systemachse wurde angesprochen durch die sozialen Atome, die psychodynamische und hermeneutische Achse durch die Untersuchung der zugrundliegenden Entwicklungsdynamiken mithilfe von Seelenlandschaft, Doppeln und der Regression auf der Zeitachse, die Verhaltens- und Lösungsachse durch die Einführung hilfreicher Anderer wie der Mutter und der Freundin. Im Format Psychotherapie werden mithilfe von Psychodrama und Soziometrie KlientInnen aus den Bereichen der Psychiatrie, der Psychosomatik, der allgemeinen Psychotherapie sowie der Suchthilfe versorgt. Dies betrifft Erwachsene. Für Kinder und Jugendliche wurde ein spezielles Vorgehen entwickelt, das im deutschsprachigen Raum mit den Namen Aichinger, Holl, Krall und Pruckner verbunden ist. Die Versorgung findet je nach Setting – ambulant oder stationär – in Gruppen von sechs bis zwölf Personen, als Paar oder alleine statt.
7.2 Beratungȱ Beratung ist ein noch weiterer Begriff als Behandlung. In jüngster Zeit wird deshalb, ähnlich wie bereits in den Jahren zuvor für das Format Psychotherapie, der Versuch unternommen, Beratung zu definieren. In Deutschland hat sich die DeutȬ scheȱGesellschaftȱfürȱBeratungȱ(DGfB) konstituiert, die versucht, dieses Meta-Format in seinen verschiedenen Ausprägungen zu erfassen und zu vertreten. Für das Verfahren Psychodrama hat Buer (2007: 152) eine Beratungslandkarte entworfen, wo er den Oberbegriff in die Teilgebiete auffächerte:
Psycho-soziale Beratung mit den Arbeitsfeldern sozialpsychiatrische Beratung, Suchtberatung, Erziehungsberatung, Familienberatung, Ehe- und Paarberatung, Mediation und Lebensberatung. Consulting, worunter z.B. die Studienberatung, Karriereberatung oder die Unternehmensberatung fallen, und Supervision, Coaching sowie Organisationsentwicklung und -beratung.
Das Psychodrama kommt in diesen unterschiedlichen Feldern zum Einsatz, wobei entsprechend des formatinhärenten Beratungsauftrages der psychodynamische Aspekt weniger stark ausgeprägt ist als im oben vorgestellten Format Psychotherapie. Bei der psychosozialen Beratung kommt die psychodynamische Sichtweise zuweilen zwar auch zur Anwendung; dies orientiert sich aber an den
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7 Anwendungsfelder oder Formate
persönlichen Stilen und evtl. zusätzlichen psychodynamischen Weiterbildungen der BeraterInnen sowie an den Fragestellungen im Einzelfall. In der Regel überwiegen jedoch die Achsen Lösungs- und Verhaltensorientierung sowie Systemorientierung. Bei Consulting, Supervision, Coaching und Organisationsberatung ist die psychodynamische Herangehensweise im Allgemeinen kontraindiziert. Aufdeckendes, auf die eigene Lebensgeschichte reflektierendes Arbeiten und selbsterfahrungsorientierte Anamnesen sind im Kontext zukunftsorientierter und mehrheitlich berufsbezogener Anfragen selten passend. Gellert und Nowak (2007) haben in ihrem Handbuch zu Teamarbeit und -Beratung anschaulich dokumentiert, wie in diesem Bereich der Team- und Organisationsentwicklung psychodramatisch praktisch vorgegangen werden kann. Im Rahmen der psychosozialen Beratung wird das Psychodrama besonders in der Suchthilfe und im Bereich der ambulanten bzw. teilstationären Angebote für psychische Gesundheit (Beratungsstellen, Tagesstätten, Betreute Wohnformen wie Therapeutische Wohngemeinschaften) als Gruppenverfahren angeboten. Die anderen Subformate wie zum Beispiel die Ehe-, Familien- und Lebensberatung finden meist im Einzel-, zuweilen auch im Paarsetting wie bei der Eheberatung und der Mediation statt. Es folgen zwei Beispiele, wie Beratung psychodramatisch gestaltet werden kann. FallbeispielȱSuchtberatungȱinȱderȱGruppe:ȱ Herr Bald berichtet in der Suchthilfe-Gruppe von seiner zurückliegenden Zeit, als er regelmäßig getrunken hat. Der Psychodrama-Therapeut Herr Stein bittet Herrn Bald zu beschreiben, wie sich die Situation gegenwärtig für ihn darstelle. Herr Bald erzählt, dass er seit vier Monaten wieder einen neuen Arbeitsplatz habe. Er arbeite in einem Team mit drei anderen KollegInnen; seinen Teamleiter empfinde er als unterstützend, aber eine Kollegin würde ihn immer provozieren. Getrunken habe er schon lange nicht mehr, sehe sich da auch nicht gefährdet. An den Wochenenden sehe er manchmal seinen Sohn Andreas, der jetzt 7 Jahre alt sei. Herr Stein: „Können Sie bitte mal mit Hilfe der Gruppenmitglieder zeigen, wie Ihr Umfeld aussieht?“ Herr Bald stellt sich selbst etwa einen Meter entfernt vom Rand der Bühne hin, den Teamleiter leicht versetzt links in seinem Rücken, daneben die anderen KollegInnen. Die Kollegin, von der er sich provoziert fühlt, steht an seiner linken Seite und blickt ihn an. Auf der rechten Seite, in größerem Abstand, steht sein Sohn Andreas, der ihn ebenfalls anblickt. Herr Stein: „Können Sie jetzt bitte den Alkohol noch dazu stellen?“ Herr Bald wählt ein anderes Gruppenmitglied als Alkohol und stellt diesen ebenfalls ein wenig widerwillig hinter sich an den äußersten Rand.
7.2 Beratung
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Herr Stein: „Wenn Sie jetzt einmal die provozierende Kollegin anschauen, passiert dann etwas mit dem Alkohol? Ändert er seine Position?“ Über mehrere Rollentausche mit der provozierenden Kollegin, dem Alkohol und dem Teamleiter kommt Herr Bald zu der Erkenntnis, dass der unausgesprochene Konflikt mit der Kollegin Rückfallimpulse in ihm triggert. Er möchte deshalb um ein Dreiergespräch mit der Kollegin, dem Teamleiter und ihm selbst ersuchen, damit er wieder entspannter an seinem Arbeitsplatz sein kann. Im Rollenfeedback berichtet das Gruppenmitglied, welches den Alkohol verkörpert hat, dass er immer dann Macht über Herrn Bald empfunden habe, wenn die Kollegin ihn von der Seite fixiert habe. Mehrere Gruppenmitglieder gaben Herrn Bald ein Sharing, dass sie ebenfalls solche Situationen aus ihrer Arbeit kennen und sich besonders in der Probezeit unter Druck gefühlt hätten.
Am Beispiel der Suchtberatung wird deutlich, wie durch die Besetzung der Rolle des Suchtmittels wertvolle Informationen gewonnen werden können. FallbeispielȱfürȱConsultingȱimȱEinzelsetting:ȱ Herr Sedlmair kommt zur Schuldnerberatung, um mithilfe einer Expertin seine finanzielle Situation zu klären. Nachdem er in jungen Jahren eine größere Erbschaft gemacht hatte, konnte er sich einen höheren Lebensstandard leisten, als er durch sein Einkommen hätte erwirtschaften können. Er tätigte ein paar umfangreichere Anschaffungen wie ein eigenes Haus, ein großes Auto und teure Urlaube. Das Haus finanzierte er zum Teil über ein Darlehen, das Auto über einen Leasingvertrag. Er kam zur Schuldnerberaterin, nachdem er zuerst seinen Job und im Rahmen eines Börsencrashs sein gesamtes Vermögen verloren hatte und die Raten für das Auto und die Wohnung nicht mehr bezahlen konnte. Ein kurzfristig aufgenommener Kredit brachte sein persönliches Wirtschaften durcheinander. Er suchte bei der Schuldnerberaterin einen Expertenrat, wie er sein akutes Problem der fälligen Kredit- und Kaufraten, die ihn immer weiter in die roten Zahlen trieben, lösen könne. Fragen wie Folgenabwägung und Entscheidungsfindung standen an, für die er dringend Unterstützung brauchte. Die Schuldnerberaterin ließ Herrn Sedlmaier die verschiedenen Posten von Ein- und Ausgängen auf der Tischbühne mit unterschiedlich großen Holzklötzen aufbauen und versah die Symbole mit Post-Its, auf denen sie die jeweiligen Minus- und Plusbeträge notierte. Es folgte eine Priorisierung: die Symbole der dringenden Angelegenheiten lagen danach auf der Bühne näher bei ihm, die weniger dringenden weiter hinten. Anschließend erarbeitete sie zusammen mit Herrn Sedlmaier die nächsten zwei Schritte für die jeweiligen Problemfelder, die in den jeweiligen Fragen zu unternehmen waren. Auf Karteikarten notiert wurden sie neben den Symbolen abgelegt. Am Schluss wurde ein Abschlussbild erstellt, das Herr Sedlmaier mit nach Hause bekam, um bis zum nächsten Mal die entsprechenden Schritte in den Alltag umzusetzen. Psychodramatisches Consulting wird szenisch dargestellt; dadurch prägen sich die wichtigen Schritte beim Klienten besser ein.
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CoachingȱundȱSupervisionȱ Coaching und Supervision werden in dieser Darstellung als Subformate von Beratung betrachtet. Fachleute für Coaching werden meist herangezogen, wenn es um die Bewältigung einzelner, umschriebener Aufgaben geht. Die Ausbildung ist bislang nicht standardisiert, der Titel „Coach“ auch nicht geschützt. Es besteht jedoch Einigkeit, dass es im Wesentlichen um Befähigung zu einer Aufgabe und/oder Leistungssteigerung geht (vgl. Behrendt 2006). In der Regel handelt es sich bei dem Coach um eine BeraterIn mit Feldkompetenz. Eine Möglichkeit für ein Psychodrama-Coaching ist die Probehandlung. Hier werden zukünftige Begebenheiten in der SurplusȬRealität inszeniert und ein möglichst situationsadäquates Verhalten mit der KlientIn erarbeitet und eingeübt: ein bevorstehendes Bewerbungsgespräch, ein Aufstiegsszenario in der Firma oder aber die Vorbereitung auf eine schwierige Verhandlung mit neuen VertragspartnerInnen. Besonders der Rollenwechsel in die Position relevanter Anderer bietet hier die Chance, Einschätzungen und Entwicklungen einfühlend vorwegzunehmen und so besser vorbereitet in kommende Situationen zu gehen. Während das Coaching sich meist auf zukünftige Herausforderungen bezieht, ist die Supervision, oder die kollegiale Form, die Intervision, meist auf bereits zurückliegende und bis in die Gegenwart reichende Erfahrungen bezogen. Bereits vollzogene Handlungen werden reflektiert, um die Qualität der berufsbezogenen Anwendung eines Verfahrens zu überprüfen, zu sichern und gegebenenfalls zu verbessern. Wenn es sich nicht um eine einzelne Person handelt, sondern um ein ganzes Team, eine Abteilung, eine Firma, wird in diesem Kontext eher von Organisationsberatung gesprochen. Fragestellungen wie: „Wie haben wir den Prozess gestaltet?“, „Wer war mit welcher Kompetenz beteiligt?“, „Welche Diagnosen und Metatheorien über die Person, das Team, den Prozess können wir daraus ableiten?“ und „Wie können wir den Prozess in der Zukunft anders gestalten?“ spielen dabei eine Rolle. Psychodramatisch wird dies unter Zuhilfenahme von den entsprechenden Techniken (siehe Kapitel 4) szenisch umgesetzt. Situationen und Entwicklungen werden dazu noch einmal durchgespielt und aus der dadurch entstehenden Distanz kann es zu einer Neueinschätzung kommen, die auch neue Handlungsmuster einleiten kann. Im Bereich der Psychotherapie gibt es z.B. meist zahlreiche Aha-Momente, wenn die TherapeutIn einmal die Rolle ihrer PatientIn eingenommen hat. Aber auch im Bereich Coaching innerhalb von Unternehmen können sich Problemlagen schnell und äußerst effektiv durch einen passenden Rollenwechsel zwischen ChefIn und MitarbeiterIn klären.
7.3 Bildung
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7.3 Bildungȱ Das Format Bildung beinhaltet wie bereits bei den anderen Formaten zu sehen war diverse Subformate. Diese leiten sich ab aus dem Kontext, in dem Bildung vermittelt wird. Zu nennen sind hier Schul-und Hochschulbildung, die Erwachsenenbildung, Fort- und Weiterbildungen, aber auch so spezifische Bildungsangebote wie das Bibliodrama beinhaltet. Unter den deutschsprachigen PsychodramatikerInnen haben sich in neuerer Zeit vor allem Wittinger (2000) und Szczyrba (2006) mit dem Thema Bildung beschäftigt. Das Psychodrama wird dabei einerseits als didaktische Methode eingesetzt, das heißt, Inhalte können mithilfe von Psychodramatechniken vermittelt werden. LehrerInnen setzen im Schulunterricht zum Beispiel die Technik des Doppelns ein, um Wissenslücken von SchülerInnen in unterstützender, nicht beschämender Weise zu füllen. Auch im Sprachunterricht der Erwachsenenbildung kommt das Doppeln zum Einsatz. In der Hochschulausbildung mancher Fachgebiete wird das Wissen in psychodramatisch-szenischer Form an die StudentInnen weitergegeben, wodurch sich die vermittelten Inhalte besser einprägen. Daneben gibt es die Möglichkeit, gemalte Bilder oder innere Bilder im Szenenaufbau anderen zu zeigen, z.B. zum Thema Angst oder Geborgenheit, oder auch inhaltlich orientiert z.B. im Religionsunterricht zum Thema „Reich Gottes“, im Ethikunterricht beim Thema „Jugend und Gewalt“ zu Rollenwechseln in verschiedene Positionen einzuladen und deren Bedeutung von innen heraus zu erkunden; moralische Fragestellungen einer Person im Ambivalenzdoppel zu explorieren, Stegreifspiele zu gesellschaftlichen Fragestellungen durchzuführen. Auch im Bereich Schule und Erwachsenenbildung fast alle Techniken möglich, die weiter vorne beschrieben waren. In manchen Studienfächern wie zum Beispiel der Sozialpädagogik oder der Medizin werden Rollenspiele eingesetzt, um die Studentinnen besser auf den Berufsalltag vorzubereiten. Im Bereich der Fort- und Weiterbildung für therapeutische und sozialarbeiterische Berufe ist das Rollenspiel eine Standardkomponente geworden. Auch im Rahmen innerbetrieblicher Fortbildungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Verkaufsschulungen für AußendienstmitarbeiterInnen, ist die szenische Darstellung nicht mehr wegzudenken. Hierzu gehört auch das anschließende Rollenfeedback der MitspielerInnen, damit die potentiellen VerkäuferInnen etwas darüber erfahren, wie ihre Präsentation bei den potentiellen KundInnen angekommen ist. Eine Sonderform bildet das Bibliodrama (Stangier 1997). Unter den Arbeitsformen war bereits von diesem die Rede. Wenn das Bibliodrama unter dem Format Bildung eingesetzt wird, geht es um einen dynamischen Prozess des Lebendigwerdenlassen biblischer Texte in der Beziehung zwischen dem historischen
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7 Anwendungsfelder oder Formate
Text und dem heutigen Leben und den Erfahrungen der SpielerInnen. Es geht damit nicht allein um die Weitergabe von Wissen, also kulturellen Konserven, sondern zentral wird die Schnittstelle zwischen Text und Leben, das Wiederfinden eigener Erfahrungen im Text oder die Bereicherung von Erfahrungen in der Rolle für das eigene Leben, das Entwickeln von Wertesystemen und die Bereitschaft, sich auf moralische Fragestellungen einzulassen. Im Fall des Bibliodramas handelt es sich um eine Spezialform psychodramatischen Vorgehens, ähnlich dem Märchenspiel, bei dem der Inhalt durch einen Text klar definiert ist.
7.4 Selbsterfahrungȱ Selbsterfahrung ist ein therapie- und beratungsnahes Format. Es gehört zum Pflichtprogramm im Rahmen von Weiterbildungen für psychotherapeutische oder beraterische Verfahren. Daneben gibt es die Möglichkeit, an frei angebotenen Selbsterfahrungsgruppen teilzunehmen. Letztere haben gegenüber therapeutischen Gruppen den Vorteil, dass sie keine Krankheitsdiagnose voraussetzen. Selbsterfahrung findet meist in Gruppen statt, daher erscheint das Verfahren Psychodrama ähnlich wie andere Gruppenverfahren besonders geeignet. Die Vorgehensweise im Format Selbsterfahrung unterscheidet sich nicht wesentlich von dem im Format Psychotherapie, was bedeutet, dass in der Regel alle drei Achsen des oben beschriebenen Koordinatensystems bedient werden. In der Selbsterfahrung geht es um die Entwicklung eines Verständnisses für das SoȬSein eines Menschen und um die Erklärung dieses Prozesses, also um die psychodynamische und hermeneutische Komponente, es geht weiter um die Einbettung in einem sozialen System, also um die systemische Sichtweise, und nicht zuletzt geht es um konkretes Verhalten und dessen Optimierung, also um die Verhaltens- und Lösungsperspektive. Nach der Darstellung einiger Formate kommen wir wie bereits angekündigt an dieser Stelle noch einmal zum Psychodrama ohne Gruppe, also im Einzelsetting.
7.5 PsychodramaȱohneȱGruppeȱ Psychodrama wurde in seinen Anfängen als Gruppenverfahren konzipiert, in der Praxis wird es aber häufig auch als Einzelmethode eingesetzt. Wie funktioniert Psychodrama, wenn diesem Verfahren wichtige Instrumente wie Hilfs-Iche und die Gruppe nicht zur Verfügung stehen? Durch welche Veränderungen der Vor-
7.5 Psychodrama ohne Gruppe
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gehensweise in der psychodramatischen Einzeltherapie dieses Problem gelöst wird, wurde im Kapitel InstrumenteȱdesȱPsychodramas bereits kurz angerissen. Wir erinnern uns an die von Fürst (2004) vorgenommene Einteilung: Im Psychodramaȱ zuȱdritt wird für die Besetzung von Rollen ein professionelles Hilfs-Ich herangezogen, im Psychodramaȱàȱdeux wechselt die LeiterIn selbst in die Gegenrolle, und im Monodrama übernimmt die KlientIn alle Rollen in einer etwas zeitversetzten Abfolge. PsychodramatikerInnen gehen unterschiedlich mit diesen Möglichkeiten um. Darf je nach Situation einmal das Monodrama und das andere Mal Psychodrama à deux eingesetzt werden oder ist nur eine Methode das Mittel der Wahl? Für eine Übernahme der AntagonistInnenrolle seitens der LeiterIn spricht, dass es dadurch der KlientIn erleichtert wird in die Szene einzusteigen und dass wichtige Informationen aus dem Rollenfeedback der AntagonistInnenrolle gewonnen werden könnten. Andere wiederum empfinden diese Vorgehensweise als Kunstfehler, weil dadurch die LeiterIn ihre Leitungsfunktion abgibt, diese Rollenübernahme zur Konfusion führen oder die negativen Qualitäten der Gegenrolle an der LeiterIn haften bleiben könnten (vgl. Fürstȱ2004). Es würde den Rahmen des Buches sprengen, hier spezielle Indikationsfragen zu erörtern, die einem Entscheidungsrichtlinien an die Hand geben. Unabhängig von diesem Methodenstreit gilt, dass die psychodramatische Einzeltherapie ein wirksames Verfahren ist, das nur einzelner Modifikationen der gruppentherapeutischen Techniken bedarf. Im Folgenden wird die spezielle Vorgehensweise in der psychodramatischen Einzeltherapie und im Monodrama aufgelistet.
DieȱRolleȱderȱLeiterInȱȱ Im Gruppensetting entsteht, wenn die Gruppenkohäsion ihre Wirkung zeitigt, eine warme und vertrauensvolle Atmosphäre. Im Einzelsetting muss die LeiterIn neben ihren sonstigen Aufgaben, wie zum Beispiel die KlientIn bei der Themenfindung und beim Szenenaufbau zu unterstützen und zu begleiten, für ein vergleichbares Klima sorgen. Durch das Fehlen anderer GruppenteilnehmerInnen kommt es dabei verstärkt zu einer Begegnung zwischen der KlientIn und der LeiterIn. Krüger (2000) beschreibt diese als „existenzielle Begegnung“ und Pruckner (2001) hat, um diesem Effekt Rechnung zu tragen, das Konstrukt der „Begegnungsbühne“ eingeführt.
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7 Anwendungsfelder oder Formate
DieȱRaumgestaltungȱ Für psychodramatische Einzelarbeit sollte der Raum so beschaffen sein, dass er zur Aktion einlädt. Er sollte nicht zu klein sein, sodass, wenn man in der Spielphase den Gesprächsplatz verlässt und in Aktion tritt, noch ausreichend Raum für Stühle oder eine Bühne ist. Im Einzelsetting und natürlich besonders im Monodrama werden für die Darstellung von Rollen im Szenenaufbau, die im Gruppensetting mit Hilfs-Ichen besetzt werden, meist Gegenstände verwendet. Dazu sollten Utensilien wie Stühle, Kissen, Steine oder etwa Handpuppen im Praxisraum vorhanden sein. Ein Tisch, der zur Tischbühne umfunktioniert werden kann, ist ebenso hilfreich. Ablaufȱ Auch in der psychodramatischen Einzeltherapie gibt es die im protagonistInnenzentrierten Psychodrama beschriebenen Phasen einer Sitzung: Erwärmung, Aktions- oder Spielphase, Integrationsphase. GestaltungȱderȱErwärmungsphaseȱ Vielfach kommen die KlientInnen bereits mit einem bestimmten Anliegen zur psychodramatischen Einzelsitzung. Ist dies nicht der Fall, können auf Einzelpersonen abgestimmte Arrangements zur Erwärmung herangezogen werden. Durch diese und die aus der Reflexion der Geschehnisse auf der Begegnungsbühne gewonnenen Informationen wird – wie auch in der Gruppe – das Thema herausgefiltert, der Auftrag fixiert, Hypothesen erfasst und das passende Arrangement gewählt. GestaltungȱderȱAktionsphaseȱ Diese ist im Vergleich zu Gruppensitzungen meist etwas kürzer, da die Spielphase für die ProtagonistIn ohnehin länger ist durch die Tatsache, dass sie alle belebten Rollen selbst spielen muss. Manchmal kommen in psychodramatischen Einzelsitzungen nur bestimmte Elemente aus dem Repertoire psychodramatischer Arrangements zur Anwendung, wie zum Beispiel die Technik des leerenȱStuhls. Der Coach Herr Brand stellt einen leeren Stuhl neben Frau Schmidt, die aufgrund von Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg nach der Karenz die Unterstützung von Herrn Brand in Anspruch nimmt. Herr Brand: „Stellen Sie sich vor, Ihre Kollegin würde auf diesem Stuhl sitzen. Was würde sie zu der von Ihnen geschilderten Situation sagen? Frau Schmidt, würden Sie sich bitte mal auf diesen Stuhl setzen ...“
7.5 Psychodrama ohne Gruppe
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Frau Schmidt nimmt auf dem Stuhl Platz. Herr Brand: „Frau Schmidt, könnten Sie sich bitte in die Rolle Ihrer Kollegin Frau LindȬ ner hineinversetzen? (Rollenwechsel). Haben Sie als Frau Lindner bereits mit Frau Schmidt zusammengearbeitet, bevor diese in Karenz ging?“ Frau Schmidtȱin der Rolle von FrauȱLindner: „Ja, ich kenne Frau Schmidt schon sehr lange. Bevor sie ihr Baby bekam, war sie von früh bis spät in der Firma anzutreffen …“
Wird die Methode des Monodramas herangezogen, wird am Anfang der Aktionsphase, vergleichbar mit dem protagonistInnenzentrierten Psychodrama, symbolisch die Bühne eröffnet, indem zum Beispiel der Tisch zur Tischbühne umfunktioniert oder ein bestimmter Bereich im Praxisraum dafür festgelegt wird. Statt Hilfs-Ichen werden Gegenstände als Platzhalter für die Rollen anderer Personen, Rollenanteile oder Gefühle gewählt. Im Gegensatz zum protagonistInnenzentrierten Psychodrama spielt die ProtagonistIn alle Rollen selbst, indem sie ständig zwischen ihnen hin und her wechselt. Dadurch entsteht im Vergleich zur oben beschriebenen Methode eine stärkere Erlebnisdichte (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱ Kramer 2005: 91). Dora, eine junge Klientin, die an Magersucht leidet, kämpft mit inneren Anteilen, die bewirken, dass sie an dieser Erkrankung festhält, und anderen Instanzen, die sich sehnlichst einen Ausstieg aus dieser wünschen. In der Erwärmungsphase wird vereinbart, diesen inneren Konflikt auf der monodramatischen Bühne darzustellen. Nun werden für die in dieser Inszenierung nötigen Rollen passende Hilfsobjekte gewählt. TherapeutIn: „Welcher Gegenstand könnte für deine Angst stehen, dick zu werden, welcher für deinen Wunsch, endlich an etwas anderes als an Essen denken zu können?“ „Positioniere diese Gegenstände nun so, wie sich das in dir drinnen anfühlt.“ „Such dir nun bitte auch einen Gegenstand, der dich als Person repräsentieren könnte.“ Für die Angst, dick zu werden, wählt sie einen kugelförmigen Stein, für den Wunsch, auch an etwas anderes als an Essen denken zu können, eine Filzblume.
Wie auch im Gruppensetting können die Hilfsobjekte durch Zuschreibung oder mit Hilfe des Doppelns (Einrollens oder Einkleidens) ihre Rollenzuweisung erhalten. Im nun folgenden monodramatischen Spiel können die meisten psychodramatischen Techniken und Arrangements, die auch in Gruppentherapie zur Anwendung kommen, eingesetzt werden. In dem oben beschriebenen Fall wechselt Dora in die verschiedenen Rollen und stellt so deren Position in ihrem inneren Konflikt dar. Beim Hin-und-her-Wechseln unterstützt sie die TherapeutIn, indem sie zwar nicht die Rollen einnimmt, aber den letzten Satz wiederholt, um
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7 Anwendungsfelder oder Formate
den Fluss der Szene nicht zu unterbrechen und die Begegnung aufrechtzuerhalten (vgl. ErlacherȬFarkasȱundȱJorda 1996). Dora in der Rolle der Angst,ȱdickȱzuȱwerden spricht zu sich selbst: „Wenn ich da nachgäbe, das wäre eine Katastrophe. Wenn ich nicht ständig darauf achtete, dass du dich nicht in Situationen begibst, in denen du fressen kannst, wärst du schon ein Koloss!“ Dora wechselt in eine andere Rolle ihres kulturellen Atoms, in die Position des Wunsches, endlich wieder auf Partys gehen zu können. Therapeutin wiederholt den Satz der Angstȱvon Dora: „Ich muss ständig auf dich aufpassen, sonst wärst du schon ein Koloss!“
Für ErlacherȬFarkas (1996) ist es von großer Bedeutung, dass die KlientIn die Rückstellung der Hilfsobjekte selbst übernimmt, sie entrollt dabei die Gegenstände und bringt sich selbst in die Hier-und-Jetzt-Realität des Praxisraums zurück. Integrationsphaseȱ Da der Nachbesprechung im Monodrama ein ganz besonderer Stellenwert zukommt, die KlientIn muss sich nämlich das Rollenfeedback aus den verschiedenen Rollen selbst erarbeiten, sollte für sie ein längerer Zeitraum eingeplant werden. Im Rollenfeedback berichtet die Klientin aus den verschiedenen Positionen, wie auch aus der eigenen, was sie in den jeweiligen Rollen wahrgenommen hat. Die Begründung, warum welcher Gegenstand gewählt wurde (RollenwahlbegrünȬ dung), kann einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bieten. Das Sharing erfolgt durch die Leiterin. Wie bereits betont, sollte dies nur therapeutischen Zwecken dienen und nicht der eigenen Erleichterung.
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7.5 Psychodrama ohne Gruppe
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7 Anwendungsfelder oder Formate
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8.1 Das Psychodrama und die psychodynamischen Verfahren
8 8
211
DasȱPsychodramaȱundȱandereȱ psychotherapeutischeȱVerfahrenȱ
8.1 DasȱPsychodramaȱundȱdieȱpsychodynamischenȱVerfahrenȱ DieȱPsychoanalyseȱ Psychoanalyse bedeutet – vom Griechischen ins Deutsche übersetzt – die Zerlegung der Seele. Sie ist ein Verfahren, das vom in Mähren geborenen Neurologen Sigmund Freud um 1890 zur Erkundung psychischer Prozesse ins Leben gerufen wurde. Einerseits wird dieser Begriff zur Beschreibung und Erklärung psychischer Phänomene rund um das menschliche Denken, Fühlen und Handeln verwendet. Auf der anderen Seite steht er für eine psychotherapeutische Methode, die die Lösung innerer oder zwischenmenschlicher Konflikte durch das Erkennen von oft unbewussten Dynamiken und Zusammenhängen zum Ziel hat. Als solche zählt die Psychoanalyse zu den aufdeckenden Verfahren, die durch das Verständnis für diese Prozesse zu einer Veränderung der Erlebnis-, Denk- und Beziehungsfähigkeit führen soll. In der klassischen Psychoanalyse liegen die zu Analysierenden meist auf der Couch, sie erzählen über Ereignisse und Gedanken in Form des sogenannten freien Assoziierens, indem sie das verbalisieren, was sie derzeit beschäftigt. Die TherapeutIn nimmt mit der Haltung der gleichschwebenden Aufmerksamkeit die Aussagen der AnalysandInnen auf und deutet diese. Techniken, die dabei zur Anwendung kommen, sind zum Beispiel die Bearbeitung von Übertragungsphänomenen oder die Traumdeutung. Solche Sitzungen finden über mehrere Jahre hinweg in der Regel drei- bis maximal fünfmal pro Woche statt. Heute können auch analytische Kurzzeittherapien, die eine wesentlich geringere Dauer (zehn bis 50 Sitzungen) haben oder psychoanalytische Psychotherapien, mit einer Sitzungsfrequenz von ein bis zwei Stunden pro Woche, in Anspruch genommen werden (Kriz 2007). Kastenȱ8:ȱȱ Psychoanalyse
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8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren
VerbindendesȱundȱTrennendesȱinȱTheorieȱundȱMethodeȱ Schon zu Freuds Lebzeiten kam es aufgrund von theoretischen und methodischen Kontroversen zu zahlreichen Abspaltungen und Weiterentwicklungen (Adler,ȱ Jung,ȱFerenczi). Die Schulen, die sich auf das Fundament der psychoanalytischen Theorie berufen, werden im deutschsprachigen Raum unter dem Begriff „tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapien“ subsummiert, im internationalen Rahmen unter „psychodynamische Therapien“ gefasst. Für Moreno, dessen Weltanschauung sich in vielerlei Hinsicht von der Freuds unterschied, war es von großer Bedeutung sich von der klassischen Psychoanalyse zu distanzieren (vgl. Buerȱ&ȱSchmitz 1989, TomaschekȬHabrina 2004). Dadurch gibt es auf den ersten Blick mehr Trennendes, bei genauerer Betrachtung, aber auch manch Verbindendes (vgl. Hutter 2010). Die Unterschiede, aber auch die kleinen, verbindenden Elemente, sollen hier anhand der Triebtheorie und der Gestaltung der Beziehung zwischen KlientIn und TherapeutIn erläutert werden: Die Triebtheorie ist ein wichtiger Teil des psychoanalytischen Theoriegebäudes. Sehr vereinfacht ausgedrückt, versuchte Freud damit zu erklären, welche Kräfte und Dynamiken Menschen zu bestimmten Verhaltensweisen motivieren. Freud (1920) ging in diesem Konzept von zwei gegeneinander wirkenden Kräften aus, Eros und Thanatos, dem Liebes- und dem Destruktionstrieb. Als Libidoȱwird die Energie des Eros bezeichnet. Durch widerstreitende Instanzen und Impulse oder durch Hemmungen oder Fixierungen während der psychosexuellen Entwicklung kann es zu Neurosen oder Symptombildungen kommen (Morschitzky 2007). Für Moreno sind Spontaneität und Kreativität die Triebfedern menschlichen Handelns. Kreativität stellt für Moreno eine Art „Ursubstanz“ dar, eine schier unerschöpfliche Energiequelle, die durch die Spontaneität angezapft und in Bahnen gelenkt wird (Hutterȱ&ȱ Schwehm 2009: 297). Störungen werden als Blockaden der Spontaneität gesehen, wodurch der Zugang zur Kreativität unterbunden wird. Die Libido sah Moreno als eine Unterform der Kreativität an. Diese wird, seiner Meinung nach, aber nicht nur durch sexuelle, sondern auch durch kulturelle, zwischenmenschliche, ökonomische und physische Faktoren beeinflusst. Destruktivität wurde von Moreno nicht als primärer Trieb aufgefasst, sondern „als sekundäre Reaktion auf Hemmung von Selbstentfaltung“ (Buerȱ&ȱSchmitz 1989: 124). In der Psychoanalyse ist die therapeutische Grundhaltung durch Abstinenz, das Einnehmen einer neutralen Haltung gegenüber den AnalysandInnen, geprägt. Damit bieten die AnalytikerInnen ihren AnalysandInnen eine breite Projektionsfläche, wodurch Gefühle der KlientInnen gegenüber ihren AnalytikerInnen entstehen können, die nur zu einem geringen Anteil auf der realen zwischenmenschlichen Beziehung zwischen diesen beiden Personen beruhen, son-
8.1 Das Psychodrama und die psychodynamischen Verfahren
213
dern mehr Beziehungsmuster aus der Kindheit der PatientInnen spiegeln. Diese Gefühlsregungen werden als Übertragung bezeichnet und bieten, der psychoanalytischen Theorie folgend, häufig Einblick in die Grundstörung der AnalysandInnen. Moreno nutzte die Gruppe um derartige Phänomene offen zu legen; in seinem 1946 (zit. n. Hutter 2010) verfassten Werk Psychodrama legte Moreno – um Übertragungsphänomene und Teleprozesse zu umschiffen – den LeiterInnen nahe, den größtmöglichen Abstand zu den ProtagonistInnen einzuhalten und deren Bedürfnis nach Nähe durch Hilfs-Iche stillen zu lassen. In einem anderen Aufsatz (1957b zit. n. Hutter 2010) betonte er, dass die LeiterIn im Sozialgefüge einer Gruppe keine abstinente Haltung einnehmen darf, sondern in den jeweiligen Begegnungen als Person sichtbar sein müsse. Übertragung definierte er „als pathologische Form des zugrundeliegenden Teleprozesses“ (Buerȱ&ȱSchmitz 1989: 135). In der heute gängigen psychodramatischen Theorie wird die Übertragung als unbewusste Aktivierung einer Rolle aus der Vergangenheit definiert, die mit der gegenwärtigen Rolle in einem Rollencluster verbunden ist. Dieses Phänomen sollte aber nicht speziell zwischen LeiterIn und KlientIn forciert werden, sondern durch „Umleitung“ auf Hilfs-Iche in der Gruppe bearbeitbar gemacht werden. Die Techniken des Rollenspiels, des Rollenfeedbacks, des Sharings und der Prozessanalyse bieten die Möglichkeit, Übertragungen sichtbar und damit auch veränderbar zu machen (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005). Bei den SchülerInnen Freuds, die eigene Schulen entwickelten, gibt es – methodisch und mitunter vom Weltbild her gesehen – deutlichere Berührungspunkte mit dem Psychodrama. Adlers Positionspsychologie, mit der er den Einfluss der Stellung in einem Beziehungsgeflecht erforschte, kann in ihren Grundgedanken mit MorenosȱSoziometrie verglichen werden (Yablonsky 1989). Die Jung´sche Definition der Libido ist dem Kreativitäts- und Spontaneitäts-Konzept Morenos nicht unähnlich und Ferenczi baute Rollenspiele in seine Behandlungen ein (Buerȱ &ȱ Schmitz 1989). Seine negative Einstellung zur klassischen Psychoanalyse änderte Moreno 1944. Er selbst schlug eine Verbindung von psychodramatischen Methoden und der psychoanalytischen Theorie vor (Vonȱ Ameln,ȱ Gerstmann,ȱ Kramer 2005). Diese Idee wurde von den BegründerInnen des Analytischenȱ Psychodramas,ȱ wie dem Ehepaarȱ Limoineȱ oderȱ Sergeȱ Leboviciȱ (Anzieuȱ 1984) aufgegriffen. Sie versuchen durch psychodramatische Techniken Prozesse in Gang zu setzen, die Ausgangslagen für psychoanalytische Deutungen werden können. Im analytischen Psychodrama wählt die Gruppe ohne vorhergehende Erwärmung ein Thema. Die TeilnehmerInnen suchen sich ihre Rollen selbst und teilen auch der GruppenleiterIn eine Rolle zu. Damit wird sie zur AkteurIn im Rollenspiel, wobei sie nicht ihren eigenen Impulsen folgt, sondern nach den Wünschen der Gruppe handelt,
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8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren
wodurch die LeiterIn dem analytischen Abstinenzgebot Folge leisten kann. Das Agieren im Rollenspiel wird als eine Form des freien Assoziierens gesehen, das von der Gruppe gewählte Thema und die Rollenzuweisung an die LeiterIn werden als Basalübertragungen betrachtet. Zur psychoanalytischen Deutung dieser Phänomene wird die Nachbesprechung genutzt (Ruhs 1994). Nicht nur analytische PsychodramatikerInnen, sondern auch manche VertreterInnen des klassischen Psychodramas nach Moreno greifen zur Erklärung bestimmter Phänomene auf die psychoanalytische Terminologie und deren theoretische Modelle zurück, wie zum Beispiel Krüger. Eine weitere tiefenpsychologische Methode, die auch die Vorzüge eines Gruppensettings nutzt, ist die analytischeȱ Gruppentherapie. Wie im Psychodrama wird im Hier und Jetzt gearbeitet, Konflikte und Problemstellungen werden mit und durch die Gruppe reinszeniert und gelöst und sie wird auch als Großgruppenmethode eingesetzt. Unterschiede gibt es, abgesehen vom theoretischen Unterbau, in der Vorgehensweise: Die analytische GruppentherapeutIn bringt keine Themen ein, zeigt wenig von sich selbst als Person und greift kaum ins Gruppengeschehen ein um Übertragungsprozesse zu ermöglichen. Sie ermutigt die TeilnehmerInnen spontan, in Form des freien Assoziierens Gedanken, Gefühle, Wünsche und Träume in die Gruppe einzubringen. Dadurch soll verdrängtes, unbewusstes Material und Übertragungen für die TeilnehmerInnen zugänglich gemacht werden (Morschitzkyȱ2007).
8.2 DasȱPsychodramaȱundȱdieȱVerhaltenstherapieȱ DieȱVerhaltenstherapieȱ Die Verhaltenstherapie ist eine Methode die traditioneller Weise ihre Konzepte und Techniken auf Erkenntnissen der empirischen Psychologie aufbaut. Den Ausgangspunkt bot das lerntheoretische Konzept der 1930er-Jahre, das von der Annahme ausging, dass die meisten psychischen Problematiken erlernt und deshalb mit Hilfe von systematisch angewandten Interventionsmethoden auch wieder verlernt werden können. Die daraus resultierenden verhaltenstherapeutischen Techniken entstanden aber erst Jahre später. Aus der Kritik, dass diese behavioristischen Ansätze bestimmte Aspekte der menschlichen Natur, wie Gefühle oder Gedankengänge außer Acht ließen, kam es in den 60er- und 70erJahren des letzten Jahrhunderts zur „kognitiven Wende“. Durch diese gewannen Kognitionen und Emotionen bei den Erklärungsmodellen der Genese von Störungen an Einfluss. In den 1980er-Jahren wurde das verhaltenstherapeutische Modell um sozialpsychologische Aspekte erweitert. In den letzten Jahren ver-
8.2 Das Psychodrama und die Verhaltenstherapie
215
suchte man verstärkt andere psychotherapeutische Techniken und Modelle zu integrieren, wie zum Beispiel die Systemtheorie (Kriz 2007). Die Verhaltenstherapie wird im Einzel-, im Paar- und im Gruppen-Setting angeboten. Das Behandlungskonzept baut auf einer vorhergehenden Verhaltensanalyse auf, bei der die Mechanismen, die eine Störung verursachen und aufrechterhalten, eruiert werden. Häufig kommen standardisierte und evaluierte Behandlungsprogramme für bestimmte Störungsformen zum Einsatz. Bekannte verhaltenstherapeutische Techniken sind die systematische Desensibilisierung, die Reizkonfrontation, der Einsatz von Entspannungstechniken, soziale Kompetenz- und Problemlösungstrainings und das Rollenspiel (Morschitzky 2007). Kastenȱ9: Verhaltenstherapieȱ
VerbindendesȱundȱTrennendesȱinȱTheorieȱundȱMethodeȱ Vergleichen wir die Anfänge der Verhaltenstherapie mit den Ursprüngen des Psychodramas, ungeachtet dessen, dass sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu datieren sind, ist als Gemeinsamkeit hervorzuheben, dass sich beide Verfahren als Gegenkonzept zur Psychoanalyse sahen. Viel mehr Parallelen sind vorerst nicht zu erkennen, da die Verhaltenstherapie den Menschen als ein Wesen sah, dessen Verhalten rein auf lerntheoretische Prinzipien zurückzuführen ist. Aus der Sicht des Psychodramas hingegen lässt sich menschliches Verhalten aus den eingenommenen Rollen und den Rollenerwartungen herleiten. Zur Annäherung der beiden Verfahren kam es nach der „kognitiven Wende“. Diese Anknüpfungspunkte sind vor allem konzeptueller Natur. So wird auf der Basis der Faktoren, die zur Störung führten bzw. diese aufrechterhalten, versucht einen Zuwachs an Handlungs- bzw. Rollenkompetenzen zu erreichen, die einen Weg aus der Störung bahnen sollen. Dies erfolgt durch den Einsatz methodenspezifischer Techniken. In der Verhaltenstherapie wird mit ähnlichen Wirkmechanismen wie in bestimmten Bereichen des Psychodramas gearbeitet, wie zum Beispiel mit ModelllerȬ nen, das auf den Erkenntnissen von Banduraȱ (1969 zit. n.ȱ Krizȱ 2007) beruht. Das Konzept besagt, dass nicht nur durch positive oder negative Verstärkung gelernt wird, sondern auch durch Beobachtung von Handlungen anderer. Besonders wirksam ist diese Methode, wenn die nachzuahmende Person anwesend ist und nicht nur über einen Bildschirm beobachtet wird, wenn die Person die zu vollführende Handlung nicht sofort perfekt beherrscht, wenn ein positiver Kontext vorhanden ist und wenn die Person dieses Verhalten im Anschluss gleich selbst erproben kann (Kriz 2007: 132). Diese Form des Lernens kommt auch im Psychodrama zum Einsatz. Durch das Beobachten und Miterleben eines statusȱnascendi, in dem eine Per-
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8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren
son zum ersten Mal einen neuen Lösungsansatz erprobt, können auch die anderen GruppenteilnehmerInnen neue Erfahrungen sammeln, die sie wiederum im realen Leben umsetzen können. Durch den Einsatz psychodramatischer Arrangements, wie zum Beispiel einem Gruppenspiel, ist das Einüben dieser neuen Verhaltenmuster möglich. Auch für die ProtagonistIn kann Lernen durch das Beobachten anderer hilfreich bei der Beantwortung ihrer eigenen Fragestellung sein. Hierfür werden im Psychodrama DoppelgängerInnen eingesetzt, die der ProtagonistIn alternative Vorgehensweisen vorzeigen können. Im Anschluss können die Handlungsalternativen von der ProtagonistIn eingeübt werden. Das psychodramatische Repertoire an Arrangements und Techniken bietet vielfältige Möglichkeiten, um soziale Kompetenzen zu erlernen oder neu erworbene Fertigkeiten zu trainieren. So haben sich einige dieser Methoden, wie das Rollenspiel, auch in der Verhaltenstherapie etabliert, selten wird allerdings auf deren Ursprünge hingewiesen. Divergenzen zwischen der Verhaltenstherapie und dem Psychodrama lassen sich insbesondere im Einsatz von Intuition ausmachen. Die Verhaltenstherapie stützt sich bei der Wahl ihrer Techniken auf evidenzbasierte Studien; intuitives Vorgehen wird als unwissenschaftlich angesehen. Im Psychodrama werden in den seltensten Fällen standardisierte Ablaufschemata verwendet und die LeiterInnen orientieren sich bis zu einem gewissen Ausmaß am Prozess der ProtagonistInnen und werden darin durch ihre Intuition, Spontaneität und Kreativität unterstützt.
8.3 DasȱPsychodramaȱundȱandereȱhumanistischeȱVerfahrenȱ Unter dem Oberbegriff „humanistische psychotherapeutische Verfahren“ werden verschiedene Schulen zusammengefasst, deren Gemeinsamkeiten weniger in einem einheitlichen Therapiegebäude zu finden sind, als in der gleichen Art und Weise, das Wesen des Menschen zu betrachten und die Beziehung zu den KlientInnen zu gestalten. So sehen sie den Menschen als ein Wesen, das nach Sinn und Entwicklung sucht und sprechen der zwischenmenschlichen Begegnung eine zentrale Rolle zu (Kriz 2007). Zu den bedeutendsten Vertreterinnen gehören die Gestalttherapie nach Perls, die Gesprächspsychotherapie oder personenzentrierte Psychotherapie nach Rogersȱund das Psychodrama nach Moreno. In Folge werden Vergleiche zwischen diesen gezogen.
8.3 Das Psychodrama und andere humanistische Verfahren
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DieȱGestalttherapieȱ Die Gestalttherapie ist eine hermeneutisch-phänomenologisch orientierte Methode, was bedeutet, dass Menschen so, wie sie sich zeigen, mit all ihren sichtbaren Phänomenen, wie Sprache, Mimik oder Körperhaltung erfasst und angenommen werden. Sie gilt als erlebnisaktivierende und ganzheitliche Methode. Die Grundlagen dieses Verfahrens beruhen auf den Ideen und Theorien von FrederickȱSaloȬ monȱPerlsȱund LauraȱPerls,ȱbeide ausgebildete PsychoanalytikerInnen, PaulȱGoodȬ mansȱund den Erkenntnissen der Gestaltpsychologie. Ein bedeutender Eckpfeiler des gestalttherapeutischen Verständnisses ist die Annahme, dass Organismen dazu tendieren im Austausch mit ihrer Umwelt ein inneres Gleichgewicht zu erreichen, was als organismischeȱ Selbstregulation bezeichnet wird (Boeckh 2006). Charakteristische Interventionsmethoden sind „der leere Stuhl“, der Einsatz kreativer Medien, wie Ton, Malen oder die Arbeit mit Symbolen. Durch die Technik des Gewahrseins (awareness) werden die KlientInnen darin geschult, mit der Umwelt und den Befindlichkeiten im ständigen Kontakt zu bleiben (Perls,ȱ Hefferline,ȱGoodmann 2007). Das Ziel der Gestalttherapie ist es „offene Gestalten“, wie ungeklärte Konflikte, zu schließen und ein inneres Gleichgewicht herzustellen. Die Weiterentwicklung soll gefördert werden, indem Blockaden gelöst und lebendige Potentiale der Persönlichkeit freigelegt werden (Boeckhȱ2006). Kastenȱ10: Gestalttherapieȱ DieȱGesprächspsychotherapieȱoderȱPersonenzentrierteȱPsychotherapieȱ In Deutschland ist sie unter dem Namen Gesprächspsychotherapie bekannt, in Österreich und in der Schweiz ist die Bezeichnung Personenzentrierte Psychotherapie geläufiger. Carlȱ Rogers wird als ihr geistiger Vater betrachtet. Wie andere humanistische Verfahren wird sie stark vom philosophischen Gedankengut KierȬ kegaards (es geht um das Selbstsein) und Bubers (alles wirkliche Leben ist Beziehung) beeinflusst. Die wichtigsten therapeutischen Grundprinzipien sind:
Kongruenz (Echtheit des Verhaltens) Empathie (einfühlendes, nicht wertendes Verstehen) Wertschätzung und bedingungsloses Akzeptieren
Die Gesprächspsychotherapie geht von einer Aktualisierungstendenz aus, die besagt, dass der Organismus im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Autonomie nach Gesundheit, Bedürfnisbefriedigung und Wachstum strebt. In diesem Sinne werden Störungen weniger als Krankheit, sondern als Defizit an Bewusstheit und Wachstum gesehen. Selbstöffnung und Selbstauseinandersetzung sowie
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8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren
die Erfahrungen des Verstandenwerdens und echte Anteilnahme in der Beziehung zur helfenden Person, bewirken eine Weiterentwicklung und eine Reduktion seelischen Leidens (Tauschȱ&ȱTausch 1990). Um 1960 wurde die gesprächspsychotherapeutische Theorie um die Konzepte Experiencing und Focusing erweitert. Kastenȱ11: Gesprächspsychotherapie oder Personenzentrierte Psychotherapie Vorerst werden wir die Gemeinsamkeiten der Gestalttherapie, der Gesprächspsychotherapie und des Psychodramas hervorheben, die sich aus den gemeinsamen ideologischen Wurzeln ableiten lassen, und in späterer Folge auf die Parallelen und Unterschiede zwischen den einzelnen Methoden eingehen. DasȱgemeinsameȱWeltbildȱundȱdieȱdarausȱresultierendenȱGrundhaltungenȱ In der Beziehungsgestaltung zwischen TherapeutIn und KlientIn spielt in allen drei Therapierichtungen die von Buberȱ in Anlehnung anȱ Morenoȱ (Geisler 1989) postulierte IchȬDuȬBegegnung eine bedeutende Rolle. In einer Ich-Du-Begegnung bringen sich die Beteiligten mit ihrem innersten und gesamten Wesen ein. Sie steht im Gegensatz zu einer IchȬEsȬBegegnung, die in Alltagssituationen häufig vorkommt und die von Oberflächlichkeit geprägt ist. In diesem Sinne legen diese drei humanistischen Verfahren einen starken Fokus auf die Beschaffenheit der therapeutischen Beziehung, die gleichberechtigt und authentisch verlaufen soll. Das uneingeschränkte Echtsein, also das Bestreben den KlientInnen ohne Fassade gegenüberzutreten, galt für Rogers als der bedeutendste Wirkfaktor der Gesprächspsychotherapie. Damit nahm er eine wichtige Erkenntnis der aktuellen Wirksamkeitsforschung vorweg. Diese besagt, dass ein starker Zusammenhang zwischen der Qualität einer therapeutischen Beziehung und dem Erfolg einer psychotherapeutischen Behandlung besteht. Alle drei Richtungen sehen den Menschen als eine Einheit von Körper, Seele und Geist, der im ständigen Austausch mit seiner Umwelt steht und nach Selbstentfaltung strebt.ȱ Im Gegensatz zum Psychodrama geht die Gestalttherapie davon aus, dass sich Menschen zwar im andauernden Kontakt mit ihrer Umgebung befinden, aber mit ihr keine Einheit bilden. Persönliches Wachstum entsteht durch die Abgrenzung von Einflüssen, die den Menschen in seiner Selbstbestimmung einschränken. Im Psychodrama wird eine derartige Grenzziehung als nicht möglich erachtet, da Menschen Teil eines soziodynamischen Prozesses sind und sich davon nicht lösen können (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005: 257). Das Arbeiten im HierȬundȬJetzt ist ein Prinzip, das ausgehend vom Psychodrama zur Grundlage aller humanistischer Therapieformen wurde (Kriz 2007). Im
8.3 Das Psychodrama und andere humanistische Verfahren
219
Gegensatz zu einer analytischen Herangehensweise, bei der die Aufarbeitung weit zurückliegender Beziehungsmuster einen Schwerpunkt bildet, ist bei diesen Therapierichtungen die gegenwärtige Situation einer KlientIn die Ausgangslage. Es gibt aber auch Unterschiede in der Auslegung der Bedeutung des Hier-undJetzt zwischen der Gestalttherapie und dem Psychodrama. Während GestalttherapeutInnen bei der Bearbeitung von Thematiken dem Prinzip des Hier-und-Jetzt wortgetreu Folge leisten, geht das Psychodrama von einer etwas weiter gefächerten Definition dieses Begriffs aus. Da all das, was im Hier-und-Jetzt geschieht, auch im Zusammenhang mit Vergangenem und Zukünftigen steht, dürfen auch zurückliegende oder zukünftige Ereignisse auf der psychodramatischen Bühne thematisiert werden (Yablonsky 1998). 1947 und 1949 kam es jeweils zu einem Zusammentreffen von Perls und MoȬ reno;ȱ Rogersȱ und Moreno dürften sich nie begegnet sein. Perls lernte bei diesen Treffen die Methode des Psychodramas kennen und baute im Anschluss einige Elemente, wie das Rollenspiel, die Techniken des Rollenwechsels und des leeren Stuhlsȱin sein Verfahren einȱ(Krizȱ2007: 160).
VerbindendesȱundȱTrennendesȱinȱTheorieȱundȱMethodeȱ Methodisch werden in allen drei Verfahren Einzelpsychotherapie, Gruppentherapie, Beratung, Supervision und Coaching angeboten. Parallelen und Unterschiede in der Gestaltung und im Ablauf von Gruppensitzungen werden im Folgenden aufgezeigt. Das Psychodrama ist von seinen Ursprüngen her ein Gruppenverfahren. Im Gegensatz dazu hat sich die Gestalttherapie sowie die Gesprächspsychotherapie als ein Einzelverfahren entwickelt, was sich darin widerspiegelt, wie in Gruppen gearbeitet und wie die Gruppe genutzt wird. Das Spezifische einer psychodramatischen Gruppentherapie ist der Grundgedanke, dass sie Therapie in der Gruppe, durch die Gruppe, für die Gruppe ist. Damit wird hervorgehoben, dass nicht nur die TherapeutIn, sondern auch die Gruppe an sich und jede einzelne TeilnehmerIn gleichberechtigt zur heilenden Wirkung einer Gruppentherapie beitragen. Die klassische Form einer gestalttherapeutischen Gruppentherapie ist EinȬ zelarbeitȱinȱderȱGruppe (Boeckh 2006). Somit wird bei der Bearbeitung der Problematik einer GruppenteilnehmerIn nicht auf die Hilfestellung der anderen Gruppenmitglieder zurückgegriffen, sondern die dafür notwendigen Personen werden durch leere Stühle ersetzt. Um dem Faktor gerecht zu werden, dass diese subjektiv so dargestellt werden, wie die KlientIn sie verinnerlicht hat, also Repräsentanzen der KlientIn sind, werden sie nur von dieser gespielt. Die GruppenteilnehmerInnen werden auf die Funktion der ZuschauerInnen beschränkt, sie stellen den Reso-
220
8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren
nanzboden dar (Boeckh 2006). In einer gestalttherapeutischen Gruppe ist die Funktion der LeiterIn eine eher exponierte, da die Bearbeitung der Thematik, wie bereits erwähnt, vor allem in der Zweierbeziehung TherapeutIn- KlientIn abläuft und damit der LeiterIn eine höhere Bedeutung zukommt, als im Psychodrama, bei dem auch den TeilnehmerInnen als Hilfs-Ichen eine wichtige Rolle bei der Lösung der Problematik zugesprochen wird. In der Gesprächspsychotherapie nimmt sich die LeiterIn noch mehr zurück. Sie versteht sich als ein engagiertes Gruppenmitglied, das eine für den Prozess förderliche Funktion innehat, in dem sie die Gruppenkohäsion fördert und die Gruppe funktions- und arbeitsfähig erhält. Sie vertraut dabei auf das Potential des Einzelnen und der Gruppe (Stumm,ȱ Wiltschko,ȱ Keil 2003: 86f). Die augenscheinlichste Divergenz zwischen der Gesprächspsychotherapie und dem Psychodrama ist, dass die erstgenannte Methode vorwiegend durch Verbalisierung ihrer Empfindungen und Gedanken Einblick in ihre Innenwelt und Beziehungsgeflechte gewährt, während das Psychodrama auf vielfältigere Methoden zurück greift, um die innere Bühne eines Menschen nach außen zu bringen.
8.4 DasȱPsychodramaȱundȱdieȱsystemischeȱTherapieȱundȱBeratungȱȱ DieȱsystemischeȱTherapieȱ Die Familientherapie, die Vorläuferin der systemischen Therapie, hat sich in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt. Ihre Theorie baut auf dem Grundgedanken auf, dass ein Individuum immer Teil eines übergeordneten Systems ist und deswegen nicht losgelöst von diesem betrachtet und behandelt werden darf. Durch das Einbeziehen jeweils aktueller wissenschaftlicher Strömungen und Weltanschauungen unterzog sich die Familientherapie zahlreichen Veränderungen und Neuorientierungen. Für die derzeit relevante systemische Therapie sind zwei neuere Ansätze von großer Bedeutung: Der lösungsorientierteȱAnsatz, der auf den Erkenntnissen der Arbeitsgruppe um Steveȱ deȱ Shazer in Milwaukee beruht und die narrativeȱFamilientherapie rund um HarryȱGoolishian und HarleneȱAnderson. Systemische Methoden sind z.B. das zirkuläre Fragen, Reframing, der selbstreflexive Dialog, der Einsatz eines reflektierenden Teams, die Arbeit mit dem Familienbrett, Aufstellungsarbeit oder das Neuschreiben der eigenen Geschichte. Systemische Therapien haben normalerweise einen Zeitumfang zwischen fünf und 25 Stunden, die Sitzungen finden meist in niederer Frequenz statt. Kastenȱ12: Systemische Therapieȱ
8.4 Das Psychodrama und die systemische Therapie und Beratung
221
VerbindendesȱinȱTheorieȱundȱMethodikȱ Wie das Psychodrama kann sich auch der systemische Ansatz auf eine lange Tradition berufen, den Menschen als ein Wesen zu betrachten, das nicht abgetrennt von seinem Lebenskontext gesehen werden kann. Morenoȱ selbst arbeitete bereits in den 30er-Jahren des vorhergehenden Jahrhunderts mit Paaren und Familien und formulierte daraus systemtheoretische Überlegungen (Farmerȱ1995). Moreno könnte also mit Fug und Recht als einer der Begründer der systemischen Therapie genannt werden. Auf jeden Fall kann aber davon ausgegangen werden, dass das Psychodrama die systemische Therapie und Beratung beeinflusste, wie ganz besonders in der systemischen Arbeit mit Familienskulpturen sichtbar wird; auf der anderen Seite zog auch das spätere Psychodrama von Synergieeffekten zwischen den beiden Verfahren Nutzen, was sich zum Beispiel bei der Arbeit mit Zeitlinien zeigt. Der offensichtlichste Schnittpunkt zwischen dem systemischen Ansatz und dem Psychodrama liegt in der Methodik der Externalisierung innerer Prozesse oder der Visualisierung von Wechselwirkungen in sozialen Systemen in Form von Aufstellungsarbeit. So ist das Stellen von Familienskulpturen ein Verfahren, das sowohl im systemischen Ansatz wie im Psychodrama zum Standardrepertoire gehört. Hierbei werden Beziehungsmuster mittels symbolisierter Körperhaltungen ausgedrückt und bestimmte Dynamiken durch diese Form der Konkretisierung sichtbar und veränderbar gemacht. In der Familientherapie wird das Stellen von Familienskulpturen mit Virginiaȱ Satir in Verbindung gebracht, einer der GründerInnen des MentalȱResearchȱInstituteȱin PaloȱAlto, die unter anderem für eine wertschätzende und kongruente Haltung der TherapeutInnen gegenüber ihren KlientInnen eintrat (BrandlȬNebehay 1998). 1978 führte Ludewig das „Familienbrett“ in den systemischen Ansatz ein, er bezeichnete es als eine Miniaturversion einer Familienskulptur, eine Aufstellung auf dem Brett, das eine symbolische, gewissermaßen virtuelle Kommunikationsebene erzeugt (Ludewig 2002: 214). Mittels abstrakt geformten Holzfiguren, die auf ein Brett platziert werden, sollen familiäre Beziehungsgeflechte dargestellt werden, eine Methode, die mit dem im Psychodrama eingesetzten sozialen Atom vergleichbar ist. Da das Familienbrett in vielerlei Hinsicht erweitert werden kann und andere Hilfsmittel, wie Bausteine oder Spielfiguren als Platzhalter verwendet werden können (vgl. Oestereich 2005), drängt sich die Parallele zum Konzept der psychodramatischen Tischbühne auf. In den letzten Jahren gewann die systemische Aufstellungsarbeit, vor allem in Form von Familienaufstellungen, an Popularität. Auch das Arrangement der psychodramatischen Aufstellungsarbeit, das lange Zeit ungerechtfertigterweise im Schatten des protagonistInnenzentrierten szenischen Spiels gestanden hat,
222
8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren
erfährt insbesondere in der Personal- und Organisationsberatung einen Aufschwung. Die psychodramatische Aufstellungsarbeit beruft sich dabei auf die soziometrische Aktionsforschung, was sich darin widerspiegelt, dass nicht mit Rollen gearbeitet wird, sondern mit Positionen in einer soziometrischen Matrix (Buer 2005: 296). Als Nächstes wird auf Techniken eingegangen, die in den jeweiligen Verfahren zur Anwendung kommen und trotz unterschiedlicher Herangehensweise ein ähnliches Ziel verfolgen. Zirkularitätȱist ein wichtiger Begriff in der systemischen Theorie. Diese geht davon aus, dass „Dinge“ nicht nur mit anderen „Dingen“ in Beziehung stehen, sondern zwischen diesen auch eine ständige Wechselwirkung besteht. Dieser Effekt wird als „Rückkopplungsmechanismus“ bezeichnet (vgl. Kriz 2007). Zirkuläres Fragen bezieht dieses Konstrukt mit ein: „WasȱglaubenȱSie,ȱ HerrȱC,ȱgehtȱimȱKollegenȱAȱvor,ȱwennȱerȱsieht,ȱdassȱKolleginȱBȱenttäuschtȱist,ȱwennȱihrȱ Vorschlagȱ vonȱ derȱ Geschäftsführungȱ nichtȱ angenommenȱ wird?“ Ähnliches wird im Psychodrama mit der szenischen Darstellung der Problemlage erzielt. Die beteiligten Personen werden durch Hilfs-Iche besetzt und stellen auf der Bühne das Geschehen nach. Durch das Rolleninterview in der Szene und ganz besonders durch das Rollenfeedback wird sichtbar, wie eine bestimmte Szene mit den darin vorkommenden Handlungen von anderen Beteiligten aufgefasst wird. In der von deȱ Shazer entwickelten lösungsorientierten Kurzzeittherapie gehört die Wunderfrage zum Standardrepertoire an Interventionstechniken: „Stellenȱ Sieȱsichȱvor,ȱesȱgeschiehtȱeinȱWunderȱundȱSieȱsindȱgeheilt.ȱWoranȱwürdenȱSieȱdiesȱbemerȬ ken?“ Im Psychodrama wird eine ähnliche Wirkung durch den Einsatz der Surplus-reality erzielt. Diese ermöglicht, dass im psychodramatischen Spiel mehr dargestellt wird, als in der Realität existiert. Ein psychodramatisches Äquivalent zur Wunderfrage auf der psychodramatischen Bühne wäre: „SpielenȱwirȱeineȱSzeneȱ ausȱIhremȱzukünftigenȱLeben,ȱinȱderȱdasȱSieȱbelastendeȱProblemȱkeineȱRolleȱmehrȱspielt.ȱWieȱ könnteȱesȱsichȱanfühlen,ȱwennȱsichȱIhreȱProblematikȱplötzlichȱverändertȱhätte,ȱwelcheȱKörȬ perhaltungȱwürdenȱSieȱdannȱeinnehmen,ȱwieȱwürdeȱIhreȱUmgebungȱdaraufȱreagierenȱ…?“ In der narrativen Familientherapie spielt der Konstruktivismus eine bedeutende Rolle. Die Sichtweise auf die eigene Geschichte ist stark durch die Bedeutungsgebung, Werthaltungen und Interpretationen geprägt. In diesem Ansatz der systemischen Therapie geht es darum, dass dem Blick auf die eigene Geschichte neue Perspektiven eröffnet werden und dadurch die eigene Geschichte eine Veränderung erfährt, die weniger schmerzhaft oder problematisch ist. Im Psychodrama kommen dafür Techniken, wie der Rollentausch, der Rollenwechsel, das Spiegeln oder auch wieder die Surplus-reality, zum Einsatz.
8.4 Das Psychodrama und die systemische Therapie und Beratung
223
Bestimmte Richtungen der systemischen Therapie und Beratung sind stark ressourcenorientiert; es wird davon ausgegangen, dass die ratsuchende Person die Antwort in Form von Ressourcen aus früheren Situationen bereits in sich trägt. Dies ist eine Sichtweise, die sich mit der humanistischen Position deckt und auch von PsychodramatikerInnen geteilt wird (Vonȱ Ameln,ȱ Gerstmann,ȱ Kramerȱ 2005). Desgleichen gibt es Parallelen zwischen dem Störungsverständnis der beiden Richtungen. Der systemische Ansatz distanziert sich vom gängigen Krankheitsbegriff: Psychische Erkrankungen werden nicht alleine aus der Sicht der Betroffenen betrachtet, sondern werden vor dem Hintergrund des ganzen Systems erörtert. Ein Symptom dient dazu, in einer Krisensituation die Homöostase eines Systems aufrecht zu erhalten (Kriz 2007). Auch in der psychodramatischen Krankheitslehre und Diagnostik wird das soziale Umfeld der betroffenen Person immer miteinbezogen. Für Moreno soll nicht die einzelne Person selbst das Ziel der therapeutischen Behandlung sein, sondern sein soziales Atom, das er als kleinste soziale Einheit ansieht (VonȱAmeln,ȱGerstmann,ȱKramer 2005).
TrennendesȱinȱTheorieȱundȱMethodeȱ Unterschiede zwischen dem systemischen Ansatz und dem Psychodrama sind in der Haltung der TherapeutInnen oder BeraterInnen zu beobachten. Im Psychodrama wird auf eine aufrichtige LeiterIn-KlientIn-Beziehung, die auf authentischen Gefühlen beruht, Wert gelegt. Im systemischen Ansatz gab es diesbezüglich einen Paradigmenwechsel. Anfänglich wurden die TherapeutInnen als ExpertInnen betrachtet, später wurde diese Rolle den KlientInnen zugeschrieben. Heute bezeichnen sie sich als BegleiterInnen, Wissende oder Verantwortliche (Scholze 1998: 146). Aufgrund ihrer Form der Fragestellung und dadurch, dass sie mitunter die KlientInnen durch paradoxe Interventionen gewollt verstören, nehmen sie eine etwas distanzierte Haltung ein. Divergenzen lassen sich auch in der bevorzugten Vorgangsweise zur Erfassung der Grundproblematik erkennen. Während im Psychodrama dazu meist die Darstellung von Szenen genutzt wird, sind in der systemischen Therapie oder Beratung die Sprache und bestimmte Fragetechniken die Mittel der Wahl um einen besseren Einblick in die Problemstellung zu bekommen. Der Konstruktivismus, der ein wichtiger Grundgedanke des systemischen Ansatzes ist und der von der Realität als etwas Subjektivem und Konstruiertem ausgeht, wird im Psychodrama nicht in dieser radikalen Ausprägung verfolgt. Die psychodramatische Handlungstheorie geht davon aus, dass die Wirklichkeit nicht alleine im Kopf konstruiert wird, sondern auch durch Handlungs-
224
8 Das Psychodrama und andere psychotherapeutische Verfahren
prozesse, die nicht nur individuell, sondern immer auch sozial geprägt sind und vor allem auch unerwartete Nebenwirkungen auf andere Akteure haben können (Buerȱ2005: 292). Psychodrama hat, wie in diesem Kapitel zu sehen war, große Schnittmengen mit anderen Therapieverfahren; aber es sind auch deutliche Unterschiede festzustellen, die sich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis niederschlagen.
Literaturȱ Anzieu, D. (1984): Analytisches Psychodrama mit Kindern und Jugendlichen. In Petzold, H. (Hrsg.) (1984): AnalytischesȱPsychodrama Bd. II. Paderborn: Junfermann Buer, F. und Schmitz, U. (1989): Psychodrama und Psychoanalyse. In: Buer, F. (Hrsg.) (1989): MorenosȱTherapeutischeȱPhilosophie.ȱDieȱGrundideeȱvonȱPsychodramaȱundȱSoziometȬ rie. Opladen: Leske + Budrich, S. 111-158 Buer, F. (2005): Aufstellungsarbeit nach Moreno in Formaten der Personalarbeit in Organisationen. ZeitschriftȱfürȱPsychodramaȱundȱSoziometrie 4 (2), S. 285-310 Boeckh, A. (2006):ȱDieȱGestalttherapie.ȱEineȱpraktischeȱOrientierungshilfe! Stuttgart: Kreuz Brandl-Nebehay, A. (1998): Geschichte der systemischen Familientherapie. In: BrandlNebehay, A., Rauscher-Gföhler, B., Kleibel-Arbeithuber J. (Hrsg.) (1998): Systemischeȱ Familientherapie.ȱGrundlage,ȱMethodenȱundȱaktuelleȱTrends.ȱWien: Facultas, S. 17-59 Farmer, C. (1995): PsychodramaȱundȱsystemischeȱTherapie. Stuttgart: Klett-Cotta Freud, S. (1920): Jenseits des Lustprinzips. In: Freud, A., Grubrich-Simitis (Hrsg.) (2006): Sigmundȱ Freud.ȱ Werkausgabeȱ inȱ zweiȱ Bänden.ȱ Bandȱ 1ȱ Elementeȱ derȱ Psychoanalyse. Frankfurt am Main: Fischer Geisler, F. (1989): Judentum und Psychodrama. In: Buer, F. (Hrsg.) (1989): MorenosȱTherapeuȬ tischeȱ Philosophie.ȱ Dieȱ Grundideeȱ vonȱ Psychodramaȱ undȱ Soziometrie. Opladen: Leske + Budrich, S. 45-68 Hutter, C. und Schwehm, H. (2009) (Hrsg.): J.L.ȱMorenosȱWerkȱinȱSchlüsselbegriffen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Hutter, C. (2010): Moreno und Freund – Späte Einladung zu einer Begegnung. Zeitschriftȱfürȱ PsychodramaȱundȱSoziometrie 9 (1), S. 5-22; DOI: 10.1007/S 11620-010-0077-2 Ludewig, K. (2002): LeitmotiveȱsystemischerȱTherapie. Stuttgart: Klett-Cotta Kriz, J. (2007): GrundkonzepteȱderȱPsychotherapie. München: Beltz Morschitzky, H. (2007): PsychotherapieȱRatgeber.ȱEinȱWegweiserȱzuȱseelischenȱGesundheit. Wien, New York: Springer Oestereich, C. (2005): Das Familienbrett als Bühne – Systemisch-konstruktivistische Aufstellung auf dem Familienbrett. ZeitschriftȱfürȱPsychodramaȱundȱSoziometrie 4 (2), S. 311-324 Perls, F. S., Hefferline R. F., Goodman, P. (2007): Gestalttherapie.ȱ Zurȱ Praxisȱ derȱ WiederbeleȬ bungȱdesȱSelbst. Stuttgart: Klett-Cotta
8.4 Das Psychodrama und die systemische Therapie und Beratung
225
Ruhs, A. (1994): Psychodramatische Gruppenanalyse. In: Stumm, G. und Wirth, B. (Hrsg.): Psychotherapie.ȱSchulenȱundȱMethoden. Wien: Falter Scholze, M. (1998): Therapeutische Systeme – Therapeutische Beziehung/Haltung. In: Brandl-Nebehay, A., Rauscher-Gfühler, B., Kleibel-Arbeithuber, J. (Hrsg.) (1998): SysȬ temischeȱ Familientherapie.ȱ Grundlage,ȱ Methodenȱ undȱ aktuelleȱ Trends. Wien: Facultas, S. 144-151 Stumm, G., Wiltschko, J., Keil, W. (2003): GrundbegriffeȱderȱPersonenzentriertenȱundȱFocusingȬ orientiertenȱPsychotherapieȱundȱBeratung. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta Tausch, R. und Tausch, A.-M. (1990): Gesprächspsychotherapie.ȱHilfreicheȱGruppenȬȱundȱEinzelȬ gesprächeȱinȱPsychotherapieȱundȱalltäglichemȱLeben. Göttingen: Hogrefe Tomaschek-Habrina, L. (2004): DieȱBegegnungȱmitȱdemȱAugenblick.ȱJakobȱLeviȱMorenosȱTheaterȬȱ undȱTherapiekonzeptȱimȱLichteȱderȱjüdischenȱTradition.ȱMarburg: Tectum Von Ameln, F., Gerstmann, R., Kramer, J. (2005): Psychodrama. Heidelberg: Springer Yablonsky, L. (1998): Psychodrama.ȱ Dieȱ Lösungȱ emotionalerȱ Problemeȱ durchȱ dasȱ Rollenspiel. Stuttgart: Klett-Cotta.
9.1 Aus- und Weiterbildungsangebote in Österreich
9 9
227
DerȱWegȱzurȱPsychdramatikerInȱȱ
Wir beziehen uns in diesem Kapitel ausschließlich auf deutschsprachige Angebote, also auf Psychodrama-Aus- und Weiterbildungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, und in diesen Ländern wiederum nur auf AnbieterInnen, die einem Qualitätskriterium eines Fachverbandes unterliegen. Beginnen werden wir mit Österreich, da dies das einzige Land ist, in dem das Psychodrama an Hochschulen als Ausbildung angeboten wird.
9.1 AusȬȱundȱWeiterbildungsangeboteȱinȱÖsterreichȱȱ In Österreich wird die Ausbildung zur Psychodrama-TherapeutIn auch psychotheȬ rapeutisches Fachspezifikum genannt und von der Fachsektion PsychodramaȱimȱÖsterȬ reichischenȱ Arbeitskreisȱ fürȱ Gruppendynamikȱ undȱ Gruppentherapieȱ (ÖAGG) angeboten. Die Ausbildung zur Psychodrama-TherapeutIn wird in Kooperation mit der DonauȬUniversitätȱ Kremsȱ (DUK) durchgeführt. Ein psychotherapeutisches Fachspezifikum im Therapieverfahren Psychodrama kann auch an der Universitätȱ Innsbruck absolviert werden. Die Fachsektion PsychodramaȱimȱÖAGG bietet außerdem eine Ausbildung zur RollenspielleiterIn, Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich psychodramatischer Aufstellungsarbeit, psychodramatische Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen und eine Fortbildung in Supervision und Coaching an. Ab Herbst 2010 werden zusätzlich ein Ausbildungscurriculum für Lebens- und Sozialberatung/Methode: Psychodrama und ein Lehrgang Psychodrama Pädagogik angeboten. Sowohl das erfolgreiche Absolvieren des Fachspezifikums als auch die Ausbildung zur Lebens- und SozialberaterIn führen zu einer gesetzlich anerkannten Berufsberechtigung.
228
9 Der Weg zur PsychdramatikerIn
Abbildungȱ52:
9.1.1
Aus- und Weiterbildungsangebote der FachsektionȱPsychodramaȱimȱ ÖAGGȱ
DieȱAusbildungȱzurȱPsychodramaȬPsychotherapeutInȱȱ
GrundsätzlichesȱzurȱPsychotherapieausbildungȱinȱÖsterreichȱ Die Psychotherapieausbildung ist in Österreich durch das Psychotherapiegesetz geregelt (BGBL.Nr. 361/1990). Sie umfasst zwei Teile, einen allgemeinen, der von allen KandidatInnen absolviert werden muss, unabhängig davon, mit welcher Therapiemethode sie in Zukunft arbeiten wollen, dieser Teil wird psychotherapeutiȬ schesȱPropädeutikum genannt. Die darauf aufbauende Stufe, das psychotherapeutischeȱ Fachspezifikum, ist speziell auf die gewünschte Psychotherapiemethode ausgerichtet und wird in den jeweiligen Instituten dieser Therapieverfahren angeboten. DasȱpsychotherapeutischeȱPropädeutikumȱ Das Propädeutikum setzt sich aus einem theoretischen und einem praktischen Teil zusammen und dauert, wenn keine Inhalte aus zuvor absolvierten Ausbildungen angerechnet werden können, im Durchschnitt zwei Jahre. Es gibt in Ös-
9.1 Aus- und Weiterbildungsangebote in Österreich
229
terreich zahlreiche Einrichtungen, die eine Propädeutikum-Ausbildung anbieten. Eine aktuelle Liste der möglichen Ausbildungseinrichtungen für das psychotherapeutische Propädeutikum kann über die Datenbank des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit bezogen werden. DasȱpsychotherapeutischeȱFachspezifikumȱȱ Das psychotherapeutische Fachspezifikum in der Methode Psychodrama wird in Österreich als Universitätslehrgang geführt, der sieben bzw. acht Semester umfasst. Mit dem Abschluss erwerben die AbsolventInnen den akademischen Grad Masterȱ ofȱ Scienceȱ (MSc) bzw. Akademischeȱ PsychotherapeutIn, wenn keine Studienberechtigung vorhanden ist. Voraussetzungenȱȱ Um ein Fachspezifikum absolvieren zu können gelten allgemein folgende Voraussetzungen:
Erfolgreicher Abschluss des psychotherapeutischen Propädeutikums Vollendung des 24. Lebensjahres Eine Studienberechtigung, die aber auch während der Ausbildung nachgeholt werden kann Wenn keine Ausbildung in einem Grundberuf, wie Psychologie, Pädagogik, Medizin, Krankenpflege, Theologie u.v.m. besteht, bedarf es einer Eignungserklärung seitens des Bundesministeriums Eigenberechtigungȱ
Tabelleȱ26:
Voraussetzung für die Absolvierung des Fachspezifikums
Für die Aufnahme zum psychodramatischen Fachspezifikum müssen im Vorfeld noch zusätzlich ein Auswahlseminar und zwei Einzelgespräche mit LehrtherapeutInnen besucht werden. Ausbildungsablaufȱ Die Ausbildung beinhaltet einen theoretischen und einen praktischen Teil. Im theoretischen Teil wird Wissen in den Bereichen theoretische Grundlagen, psychotherapeutische Diagnostik, psychodramatische Störungstheorien, Methodik und Technik in Form von Seminaren vermittelt. Der praktische Teil beinhaltet Selbsterfahrung im Rahmen von Einzel- und Gruppentherapie, den Erwerb praktischer psychotherapeutischer Kenntnisse und Erfahrungen durch Praktika in psychosozialen und/oder facheinschlägigen Einrichtungen des Gesundheitswe-
230
9 Der Weg zur PsychdramatikerIn
sens unter Supervision. Der praktische Teil der Ausbildung schließt ab dem Erreichen des Status PsychodramaȬPsychotherapeutInȱ inȱ Ausbildungȱ unterȱ Supervision, der meist im 5. Semester erworben wird, die eigenständige Durchführung von psychodramatischen Einzel- und Gruppentherapien mit ein. Im Rahmen der Ausbildung sind zwei wissenschaftliche Arbeiten zu verfassen: Eine Hausarbeit und eine Masterthese, die psychodramatische Theorie verschränkt mit Erfahrung aus der psychodramatherapeutischen Praxis beinhalten sollte. Abschlussȱ Mit der erfolgreichen Absolvierung der vorgeschriebenen Ausbildungselemente, des Abschlusskolloquiums und der positiven Benotung der Masterthese kann die
Graduierung zum/r Psychodrama-PsychotherapeutIn erfolgen, um die Eintragung in die Liste der PsychotherapeutInnen des Gesundheitsministeriums angesucht werden, und der akademische Grad MasterȱofȱScience bzw. die Bezeichnung AkademischeȱPsychotheȬ rapeutIn verliehen werden.
Tabelleȱ27:
Abschluss der Ausbildung
Kostenȱ Die Kosten des Ausbildungslehrgangs des ÖAGG in Kooperation mit der DonauȬ Universitätȱbetragen derzeit insgesamt € 27.900,-25. In diesem Betrag sind, abgesehen von Aufenthaltskosten, alle Seminare, Selbsterfahrungsteile und die Betreuungs- und Prüfungsgebühren beinhaltet. Die UniversitätȱInnsbruck stellt eine Gebühr von € 1.700,- pro Semester (Studiendauer acht Semester) in Rechnung, wobei hier bestimmte Kosten, wie zum Beispiel die Einzelselbsterfahrung, die einen Umfang von 90 Stunden umfasst und das Aufnahmeverfahren, nicht beinhaltet sind.
25
Alle für Österreich angegebenen Kosten beziehen sich auf den Stand Dezember 2009 und können Veränderungen unterliegen.
9.1 Aus- und Weiterbildungsangebote in Österreich
9.1.2
231
WeitereȱAusbildungsȬAngeboteȱ
AusbildungȱzurȱRollenspielleiterInȱ Diese Ausbildung der Fachsektion Psychodramaȱ imȱ ÖAGG befähigt zum Leiten von psychodramatischen Gruppen, die in Abgrenzung zu psychodrama-psychotherapeutischen Gruppen nicht die Bearbeitung von tiefliegenden psychischen oder psychiatrischen Störungen zur Aufgabe haben.
Zielgruppen:ȱ Personen, die in und mit Gruppen arbeiten und/oder im Bildungs- oder Beratungsbereich tätig sind. DieȱKosten für diesen Lehrgang betragen ca. € 3.000,-
Ab Herbst 2010 wird in der Fachsektionȱ Psychodramaȱ imȱ ÖAGGȱ eine Ausbildung zur LebensȬȱundȱSozialberaterIn/Methode:ȱPsychodramaȱangeboten.
9.1.3
PsychodramatischesȱWeiterbildungsangebotȱderȱFachsektionȱPsychodramaȱimȱ ÖAGGȱ
Psychodramaȱ–ȱPsychotherapieȱmitȱKindernȱundȱJugendlichenȱ In dieser Weiterbildung werden die Grundlagen und spezifischen Techniken für die psychodramatisch – psychotherapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowohl im Einzel- wie auch im Gruppensetting vermittelt.
Zielgruppe: PsychotherapeutInnen und PsychotherapeutInnen in Ausbildung unter Supervision. Voraussetzung: Berufserfahrung mit Kindern und Jugendlichen. Kostenȱfür die gesamte Weiterbildung: € 3.925,-
PsychodramatischeȱAufstellungsarbeitȱ Ziel dieser Weiterbildung ist es, auf Basis kompakter innovativer PsychodramaKonzepte die Grundtechniken der psychodramatischen Organisations- und Teamaufstellung zu erlernen. Es wird sowohl die Anwendung für das Einzel- wie auch für das Gruppensetting vermittelt.
232
9 Der Weg zur PsychdramatikerIn
Zielgruppen:ȱ UnternehmensberaterInnen, TrainerInnen, SupervisorInnen, Coaches, MediatorInnen, Führungskräfte, Personal- und OrganisationsentwicklerInnen, Lebens- und SozialberaterInnen, PsychotherapeutInnen. Kosten:ȱfür 212 AE: € 3.710,- (excl. dem Auswahlgespräch und Supervision).
SupervisionȱundȱCoachingȱ Der Lehrgang bietet den TeilnehmerInnen die Möglichkeit, psychodramatische Techniken in der Supervision und in der arbeitsplatz- und organisationsbezogenen Beratung kennenzulernen und Kompetenzen in diesen Bereichen zu erwerben.
Zielgruppen: PsychotherapeutInnen, BeraterInnen, OrganisationsberaterInnen, PersonalentwicklerInnen, KommunikationstrainerInnen, MediatorInnen etc. Kostenȱpro Block € 295,-
Der LehrgangȱPsychodramaȱPädagogik kann ab Herbst 2010 in Anspruch genommen werden.
Kontaktadressen Fachsektion Psychodrama im ÖAGG Lenaugasse 3/8 A-1080 Wien Tel.: +43 (0)1 255 99 88 E-Mail: [email protected] Internet: www.psychodrama-austria.at Donau-Universität Krems Department für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30 A-3500 Krems Tel.: +43 (0) 27 32 893-4630 E-Mail: [email protected] Internet: www.donau-uni.ac.at/psymed/oeaggpd Universität Innsbruck Institut für Kommunikation im Berufsleben und Psychotherapie Schöpfstraße 3
9.2 Weiterbildungsangebote in Deutschland
233
A-6020 Innsbruck Tel.: +34 (0) 512 507-8682, -8688 E-Mail: [email protected] Internet: ww.uibk.ac.at/zwiko/lehre/universitaetslehrgaenge Die Liste der Einrichtungen, die eine Propädeutikums-Ausbildung anbieten, kann über die Datenbank des österreichischen Ministeriums für Gesundheit bezogen werden.
9.2 WeiterbildungsangeboteȱinȱDeutschlandȱ In Deutschland ist eine Psychodrama-Ausbildung an einer Hochschule bislang nicht möglich. Wir sind guter Hoffnung, dass dies ähnlich dem österreichischen Modell eine Möglichkeit für die Zukunft ist, wo Psychodrama als Ausbildung im Rahmen eines Masterstudienganges an Fachhochschulen und Universitäten in Kooperation mit Weiterbildungsinstituten angeboten werden kann. Bislang sind der Deutscheȱ Fachverbandȱ fürȱ Psychodramaȱ (DFP) und die Sektionȱ Psychodramaȱ derȱ DeutschenȱArbeitsgemeinschaftȱfürȱGruppentherapieȱundȱGruppendynamikȱ(DAGG) die Institutionen, welche die Einhaltung von Qualitätsstandards in der psychodramatischen Weiterbildung kontrollieren. Gegenwärtig sind sieben Weiterbildungsinstitute vom DFP anerkannt, die eine curricular aufgebaute PsychodramaWeiterbildung anbieten, zwei weitere sind im Anerkennungsverfahren. Die vom DFP anerkannte Psychodrama-Weiterbildung wird in verschiedenen Weiterbildungsgängen für unterschiedliche berufliche Arbeitsfelder angeboten. Sie unterscheiden sich durch Ziele, Umfang und Abschlüsse. Die Weiterbildung beinhaltet eine Grund- und eine Oberstufe. Die Grundstufe der Weiterbildung, die mit dem Abschluss PsychodramaȬPraktikerInȱ fürȱ Gruppenleitungȱ undȱ Beratung endet, dient in erster Linie der Entwicklung persönlicher und methodischer Basiskompetenzen; sie führt in die Grundlagen des Verfahrens ein und vermittelt darüber hinaus anwendungsrelevante Techniken, die im Rahmen von Selbsterfahrung, Theorie- und Praxiseinheiten sowie in Trainings erlernt werden. Die Oberstufe der Weiterbildung mit den Abschlüssen PsychodramaTherapeutIn26, Psychodrama-Kinder-und-Jugendlichen-TherapeutIn und Psychodrama-LeiterIn befähigt zur Anwendung des Verfahrens in komplexeren Lagen beruflicher Anwendung im Bereich von Beratung und Bildung bzw. in psychotherapeutischen Prozessen. 26
Dieser Abschluss ist nur möglich aufbauend auf den Grundberufen Medizin oder Psychologie
234
9 Der Weg zur PsychdramatikerIn
Für den Beginn aller drei Weiterbildungsgänge ist ein Mindestalter von 22 Jahren Voraussetzung. Vor der Zulassung zur Weiterbildung erfolgt gemäß den Standards des DFP ein Zulassungsinterview oder ein entsprechendes Seminar. Zulassungsvoraussetzungen sind entweder ein Hochschulabschluss oder für die Weiterbildung zur PsychodramaȬPraktikerInȱ fürȱ Gruppenleitungȱ undȱ Beratung eine abgeschlossene Ausbildung in einem Beruf der psycho-sozialen Versorgung auf Fachschulebene. Der Umfang der Weiterbildung zur PsychodramaȬPraktikerInȱ fürȱGruppenleitungȱundȱBeratung umfasst mindestens 516 Unterrichtsstunden à 45 Minuten in einem zeitlichen Gesamtverlauf von etwa zwei Jahren. Die Gesamtdauer der Weiterbildung zur PsychodramaȬLeiterIn bzw. PsychodramaȬTherapeutInȱ und derȱ PsychodramaȬKinderȬundȬJugendlichenȬTherapeutIn umfasst mindestens 1253 bzw. 1333 Unterrichtsstunden einschließlich der nachzuweisenden Fallpraxis innerhalb von etwa vier Jahren. Alternativ zur allgemein qualifizierenden Oberstufe gibt es vom Moreno Institut Goslar Überlingen in Kooperation mit dem Fachverband Drogen Rauschmittel (FDR) sowie vom Moreno Institut Stuttgart in Kooperation mit dem Institut Szenen eine Weiterbildung zur SuchttherapeutInȱ Psychodrama, die von der Deutschen Rentenversicherung Bund anerkannt ist. Inhaltȱȱ Selbsterfahrung Theorie Methodik incl. Anwendungstraining Anwendungstraining unter Supervision Theorie / Methodik Selbststudium Fallpraxis PD-Therapie & PD-KJ-Th PDȬLeitungȱ Kontrolle Supervision Dokumentationȱ&ȱAuswertungȱ Summenȱȱ PD-Therapie & KJ-Therapie PD-Leitungȱ
Tabelleȱ28: 27
28
Grundstufeȱȱ 200 70 90 80 70
Oberstufeȱȱ 80 70 160 120
6
200 120 107 80
516 516
817 737
Summeȱȱ 280 140 250 80 190 200 120 113 80 1333 125327
Unterrichtsstunden28 (Quelle: www.psychodrama-deutschland.de)
Die Kosten hierfür belaufen sich nach dem gegenwärtigen Stand etwa auf €16'000,-. Das entspricht dem Preis einer Unterrichtsstunde von € 12,50 (Stand März 2010). Aktuelle Daten entnehmen Sie bitte den Internetauftritten der Weiterbildungsinstitute. Unterrichtsstunden à 45 Minuten
9.2 Weiterbildungsangebote in Deutschland
235
Alle weiteren Informationen finden sich auf der Homepage des DFP bzw. bei den anbietendenden Weiterbildungsinstituten: DFP Deutscher Fachverband für Psychodrama e. V. Sektion Psychodrama im DAGG Geschäftsstelle Alte Heerstraße 15b D-38644 Goslar Telefon (0 53 21) 31 93 25 Telefax (0 53 21) 31 93 93 E-Mail: [email protected] Internet http://www.psychodrama-deutschland.de Im Folgenden werden die gegenwärtig anerkannten Psychodrama-Weiterbildungsinstitute bzw. Institute im Anerkennungsverfahren aufgelistet: moreno institut Goslar-Überlingen gGmbH Institutsleitung: Hans-Werner-Laufhütte, Jürgen Rabold, Helmut Schwehm Alte Heerstraße 15b D-38644 Goslar Telefon (0 53 21) 31 93 17 Telefax (0 53 21) 31 93 93 E-Mail: [email protected] Internet: http://moreno-goslar-ueberlingen.de Moreno Institut Stuttgart gGmbH Geschäftsführung und Leitung: Winfried Jancovius Gebelsbergstraße 9 D-70199 Stuttgart Telefon: (07 11) 60 67 07 Telefax: (07 11) 60 67 08 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.morenoinstitut.de Psychodrama-Institut für Europa Landesverband Deutschland e.V. Ordulfstraße 15 D-22459 Hamburg Telefon: (040) 74 32 16 42
236
9 Der Weg zur PsychdramatikerIn
E-Mail: [email protected] Internet: http://www.psychodrama-soziometrie.de SZENEN – Institut für Psychodrama Geschäftsführung und Leitung: Agnes Dudler Meckenheimer Allee 131 D-53115 Bonn Telefon und Telefax (02 28) 69 84 02 oder (02 28) 69 19 09 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.szenen-institut.de ISI – Institut für Soziale Interaktion Geschäftsführung und Leitung: Paul Gerhard Grapentin Bei der Christuskirche 4 D-20259 Hamburg Telefon (040) 43 18 04 77 Telefax (040) 87 88 17 22 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.isi-hamburg.org PSYCHODRAMA INSTITUT RHEINLAND Geschäftsführung und Leitung: Ernst Diebels Märkische Str. 8 D-42281 Wuppertal Telefon (02 02) 25 26 40 Telefax (02 02) 25 26 430 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.psychodrama-institut-rheinland.de Institut für Psychodrama Dr. Ella Mae Shearon GbR Geschäftsführung und Leitung: Bernadette Buthe & Thomas Masselink In der Rehr 12 31832 Springe Telefon (0 50 45) 91 18 87 Telefax (0 12 120) 28 66 76 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.psychodrama-ems.de
9.3 Weiterbildungsangebote in der Schweiz
237
Soziogenetik Institut29 Leitung: Uwe Seeger Kurfürstenstraße 10-12 34117 Kassel Telefon (05 61) 52 01 764 Telefax (0 56 26) 92 27 37 E-Mail: [email protected] Internet: www.soziogenetik.de psychodramaforum berlin30 Geschäftsführung und Leitung: Gabriele Stiegler Giesebrechtstraße 11 D-10629 Berlin Telefon (030) 88 91 79 56 Telefax (030) 88 91 79 57 E-Mail [email protected] Internet: http://www.psychodramaforum.de Die Weiterbildungsinstitute bieten an unterschiedlichen Orten in Deutschland, und zum Teil auch an anderen europäischen und außereuropäischen Orten, ihre Weiterbildungen an. Darüber hinaus halten sie ein zum Teil umfangreiches Angebot an Fortbildungen, also einzeln buchbaren Seminaren für PsychodramaInteressierte, bereit, die auf den jeweiligen Internetseiten eingesehen und gebucht werden können.
9.3 WeiterbildungsangeboteȱinȱderȱSchweizȱ Die Schweiz ist das jüngste der Psychodrama-Anbieter-Länder, das sich um eine einheitliche Weiterbildung bemüht hat. Das Psychodrama wurde 2009 in die Charta für Psychotherapie aufgenommen.
29 30
Dieses Institut befindet sich gegenwärtig im Überprüfungs- und Anerkennungsverfahren des DFP Dieses Institut befindet sich gegenwärtig im Anerkennungsverfahren des DFP
238
9 Der Weg zur PsychdramatikerIn
WeiterbildungȱzurȱPsychodramaȬPsychotherapeutInȱ Fortbildung Integrale Weiterbildung GrundausbildungȱVarianteȱaȱ
Abbildungȱ53:
GrundausbildungȱVarianteȱbȱ
Ausbildung zur Psychotherapeutin in der Schweiz
Grundausbildungȱ Voraussetzung, um in der Schweiz PsychotherapeutIn zu werden, ist ein abgeschlossenes Studium der Psychologie oder der Medizin (Variante a). Eine weitere Grundlage für eine Psychotherapieausbildung bietet das erfolgreiche Absolvieren eines anderen sozial- oder humanwissenschaftlichen Universitäts- oder Fachhochschulstudiums mit einem ergänzenden Universitätslehrgang für Psychotherapeutische Psychologie (Variante b).
IntegraleȱWeiterbildungȱ Darunter wird die eigentliche Ausbildung zur PsychotherapeutIn verstanden. Sie kann in der Fachrichtung Psychodrama in den unten angeführten Instituten durchgeführt werden. Die integrale Weiterbildung verläuft berufsbegleitend zur klinischen Praxis, die ein Jahr lang in einer psychiatrischen, medizinischen, psychotherapeutischen oder psychosozialen Einrichtung absolviert werden muss. Hierbei soll Einsicht in ein breites Spektrum an psychischen Erkrankungen geboten werden. Die Ausbildung selbst umfasst Selbsterfahrung, Theorie und Supervision. Sie wird mit dem Erreichen des FachtitelsȱPsychotherapie abgeschlossen.
Fortbildungȱ Nach dem Abschluss der psychodramatischen Integralen-Weiterbildung verpflichtet sich die Psychodrama-TherapeutIn ihre praktische Tätigkeit durch Fortund Weiterbildungen, Supervisionen und Intervisionen zu optimieren und Sorge zu tragen auf dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse der Psychotherapieforschung zu bleiben.
9.3 Weiterbildungsangebote in der Schweiz
239
DieȱSchweizerȱChartaȱfürȱPsychotherapieȱ Die Schweizer Institute, die psychodramatische Fort- und Weiterbildungen anbieten, unterliegen der Schweizerȱ Chartaȱ fürȱ Psychotherapie. Diese versteht sich als Dachverband, der dafür sorgt, dass in der Schweiz die methodische Vielfalt von psychotherapeutischen Verfahren erhalten bleibt und die Richtlinien zur Qualitätssicherung der Ausbildung eingehalten werden.
Instituteȱ Im Aufbau begriffen ist das Institutȱ fürȱ Psychodrama,ȱ Soziometrieȱ undȱ Rollenspielȱ (IPSR). Es wurde vom Berufsverband der Schweizer PsychodramatikerInnen – PsychodramaȱHelvetiaȱ(PDH) – beauftragt, ein von der SchweizerȱChartaȱfürȱPsychoȬ therapie anerkanntes Curriculum für die integrale Weiterbildung in Richtung Psychodrama zu erstellen. In der französischen Schweiz ist das Psychodrama-Institut, Ouvertures, Développement, Formation (OdeF) ansässig, das von der Charta für Psychotherapie anerkannt ist. OdeF beinhaltet die Schweizer Schule für Aktionsmethoden und humanistisches Psychodrama (Ecole Suisse de Méthodes d’Action et de Psychodrame humanistes). Diese bietet Selbsterfahrungsseminare und spezifische Trainings für Teams und Organisationen in französischer und englischer Sprache an. Es folgen die Kontaktadressen von Schweizer Weiterbildungsinstituten: Berufsverband der Schweizer PsychodramatikerInnen Psychodrama Helvetia (PDH) Sekretariat Eva Gal Freiestrasse 11 CH-3604 Thun Internet: www.pdh.ch Institut für Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel (IPSR.ch) Sekretariat: Susanne Kunz-Mehlstaub Glockengasse 4 CH-9000 St. Gallen Internet: www.ipsr.ch (zum Zeitpunkt der Herausgabe des Buches noch nicht online)
240
Ouvertures, Developpement, Formation (ODeF) 65, rue de Lausanne CH-1202 Geneve Telefon +41 (0) 22 74 11 600 E-Mail: [email protected] Internet : www.odef.ch
9 Der Weg zur PsychdramatikerIn
10.1 Psychodrama
10 10
241
EmpfohleneȱLiteraturȱ
Neben den in den jeweiligen Kapiteln genannten Büchern stellen wir hier eine kurze Literaturliste vor, die wir für interessant halten. Fett gedruckt sind jeweils die einführenden oder Grundlagenbücher. Die übrigen sind zur Vertiefung sehr gut geeignet. Soweit englischsprachige Literatur aufgelistet ist, handelt es sich dabei um gut lesbare Bücher.
10.1 Psychodramaȱ Aichinger, A. und Holl, W. (2010): Gruppentherapie mit Kindern. Kinderpsychodrama Band 1. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (2. akt. u. überarb. Aufl.) Aichinger, A. und Holl, W. (2002): Kinder-Psychodrama in der Familien- und Einzeltherapie, im Kindergarten und in der Schule. Mainz: Matthias-Grünewald Ameln,ȱ F.ȱ v.,ȱ Gerstmann,ȱ R.,ȱ Kramer,ȱ J.,ȱ (2009):ȱ Psychodrama.ȱ Heidelberg:ȱ Springerȱ (2.ȱ überarb.ȱAuflage)ȱ Blatner,ȱ A.ȱ undȱ Blatner,ȱ A.ȱ (1988):ȱ Foundationsȱ ofȱ Psychodrama.ȱ History,ȱ Theoryȱ andȱ Practice.ȱNewȱYork:ȱSpringerȱ Bosselmann,ȱ R.,ȱ LüffeȬLeonhart,ȱ E.,ȱ Gellert,ȱ M.,ȱ (Hrsg.)ȱ (1992):ȱ Variationenȱ desȱ PsychoȬ dramas.ȱMeezen:ȱLimmerȱ Buer,ȱ F.ȱ (Hrsg.)ȱ (1999):ȱ Morenosȱ therapeutischeȱ Philosophie.ȱ Dieȱ Grundideenȱ vonȱ PsyȬ chodramaȱundȱSoziometrie.ȱOpladen:ȱLeskeȱ+ȱBudrich Buer, F. (1999): Lehrbuch der Supervision. Münster: Votum Buer, F. (Hrsg.) (2004): Praxis der Psychodramatischen Supervision. Ein Handbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (2. Aufl.) Clark, B., Burmeister, J., Maciel, M. (Eds.) (2007): Psychodrama. Advances in Theory and Practice. London, New York: Routledge Dayton, T. (2005): The Living Stage. A Step-by-Step Guide to Psychodrama, Sociometry and Experiential Group Therapy. Deerfield Beach: Health Communication Djuric,ȱ Z.,ȱ Velikovic,ȱ J.,ȱ Tomic,ȱ M.ȱ (2006):ȱ Psychodrama.ȱ Aȱ beginner’sȱ guide.ȱ London:ȱ JessicaȱKingsleyȱPublishersȱ
242
10 Empfohlene Literatur
Erlacher-Farkas, B. und Jorda, C. (Hrsg.) (1996): Monodrama. Heilende Begegnung. Vom Psychodrama zur Einzeltherapie. Wien, New York: Springer Fox, J. (Hrsg.) (1989): J.L. Moreno – Psychodrama und Soziometrie, Köln: Inszenario Fürst,ȱJ.,ȱOttomeyer,ȱK.,ȱPruckner,ȱH.ȱ(Hrsg.)ȱ(2004):ȱPsychodramatherapie.ȱEinȱHandbuch.ȱ Wien:ȱFacultasȱ Hutter, C. (2002): Psychodrama als experimentelle Theologie. Rekonstruktion der therapeutischen Philosophie Morenos aus praktisch-theologischer Perspektive. Münster: LIT Hutter,ȱC.ȱ undȱ Schwehm,ȱH.ȱ(2009):ȱJ.ȱL.ȱ MorenoȱWerkȱinȱSchlüsselbegriffen.ȱWiesbaden:ȱ VSȱVerlagȱfürȱSozialwissenschaftenȱ Kellermann P. F. (1992): Focus on Psychodrama. The Therapeutic Aspects of Psychodrama. London: Jessica Kingsley Publishers Kellermann, P. F. und Hudgins, M. K. (Hrsg.) (2000): Psychodrama with Trauma Survivors. London: Jessica Kingsley Publishers Kellermann P. F. (2007): Sociodrama and Collective Trauma. London: Jessica Kingsley Publishers. Krall, H. (2007): Trauma bei Kindern und Jugendlichen. Szenische Arbeit in Psychotherapie und Pädagogik. Münster: LIT Krüger, R. T. (1997): Kreative Interaktion. Tiefenpsychologische Theorie und Methoden des klassischen Psychodramas. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Leutz,ȱG.ȱA.ȱ(1974).ȱDasȱklassischeȱPsychodramaȱnachȱJ.ȱL.ȱMoreno.ȱHeidelberg:ȱSpringer.ȱ Leveton, E. (2000): Mut zum Psychodrama. Ein praktischer Leitfaden. Salzhausen, IskoPress Marineau, R. F. (1989): Jakob Levy Moreno. New York Moreno, J. D. (Hrsg.) (1995): Jakob L. Moreno. Auszüge aus der Autobiographie. Köln: InScenario Moreno, J. L. (1974). Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft. Opladen: Leske + Budrich Moreno, J. L. (1981). Soziometrie als experimentelle Methode. H. Petzold (Hrsg.), J.L. Moreno. Ausgewählte Werke (Band 1). Paderborn: Junfermann Moreno,ȱJ.ȱL.ȱ(2008).ȱGruppenpsychotherapieȱundȱPsychodrama.ȱEinleitungȱinȱdieȱTheoȬ rieȱundȱPraxis.ȱStuttgart:ȱThiemeȱ Pruckner, H. (2001): Das Spiel ist der Königsweg der Kinder – Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel mit Kindern. München: inScenario Schacht, M. (2003): Spontaneität und Begegnung. Zur Persönlichkeitsentwicklung aus der Sicht des Psychodramas. München: InScenario Schacht, M. (2009): Das Ziel ist im Weg. Störungsverständnis und Therapieprozess im Psychodrama. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Schaller,ȱR.ȱ(2001):ȱDasȱgroßeȱRollenspielbuch.ȱWeinheim:ȱBeltzȱȱ Tomaschek-Habrina, L. (2004): Die Begegnung mit dem Augenblick. Jakob Levy Morenos Theater- und Therapiekonzept im Lichte der jüdischen Tradition. Marburg: Tectum Wiener, R. (2001): Soziodrama praktisch. Soziale Kompetenz szenisch vermitteln. München: InScenario
10.2 Empfohlene methodenübergreifende Literatur
243
Wittinger, T. (Hrsg.) (2005): Handbuch Soziodrama: Die ganze Welt auf der Bühne. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Yablonsky, L. (1992). Psychodrama. Die Lösung emotionaler Probleme durch Rollenspiel. Frankfurt a.M.: Fischer ZeintlingerȬHochreiter,ȱ K.ȱ (1996):ȱ Kompendiumȱ derȱ PsychodramaȬTherapie.ȱ Analyse,ȱ PräzisierungȱundȱReformulierungȱderȱAussagenȱzurȱpsychodramatischenȱTherapieȱ nachȱJ.ȱL.ȱMoreno.ȱMünchen:ȱInScenarioȱ
10.2 EmpfohleneȱmethodenübergreifendeȱLiteraturȱȱ Bleckwedel, J. (2008): Systemische Therapie in Aktion. Kreative Methoden in der Arbeit mit Familien und Paaren. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Buer, F. und Schmidt-Lellek, C. (Hrsg.) (2008): Life-Coaching. Über Sinn, Glück und Verantwortung in der Arbeit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Dollase, R. (1976). Soziometrische Techniken. Weinheim: Beltz. Eberwein, W. (2009): Humanistische Psychotherapie. Quellen, Theorien und Techniken. Stuttgart, New York: Thieme Edding,ȱ C.ȱ undȱ Schattenhofer,ȱ K.ȱ (2009):ȱ Handbuchȱ Allesȱ überȱ Gruppen.ȱ Theorie,ȱ AnȬ wendung,ȱPraxis.ȱWeinheim:ȱBeltzȱ Förstl,ȱ H.ȱ (Hrsg.)ȱ (2007):ȱ Theoryȱ ofȱ Mind.ȱ Neurobiologieȱ undȱ Psychologieȱ sozialenȱ VerȬ haltens.ȱHeidelberg:ȱSpringerȱ Gellert,ȱM.ȱundȱNowak,ȱC.ȱ(2002):ȱTeamarbeitȱ–ȱTeamentwicklungȱ–ȱTeamberatung.ȱEinȱ PraxisbuchȱfürȱdieȱArbeitȱinȱundȱmitȱTeams.ȱMeezen:ȱLimmerȱ Goleman D. (1997): Kreativität entdecken, München: Carl Hanser König, O. (1996): Macht in Gruppen. Gruppendynamische Prozesse und Interventionen. München: Pfeiffer Kriz, J. (2007): Grundkonzepte der Psychotherapie. Weinheim: Beltz (6) Lauterbach, M. (2008): Wie Salz in der Suppe. Aktionsmethoden für den beraterischen Alltag. Heidelberg: Carl Auer Mattke, D., Reddemann, L., Strauß, B. (2009): Keine Angst vor Gruppen. Gruppenpsychotherapie in Praxis und Forschung. Stuttgart: Klett-Cotta Schaller, R. (2005): Wege, an sie ranzukommen: Selbstmanagement- und PsychodramaTraining mit gewaltbereiten Kindern und Jugendlichen. Weinheim: Juventa Schaller,ȱR.ȱ(2009):ȱStellenȱSieȱsichȱvor,ȱSieȱsind…ȱDasȱEinȬPersonenȬRollenspielȱinȱBeraȬ tung,ȱCoachingȱundȱTherapie.ȱBern:ȱHuberȱ SchulzȱvonȱThun,ȱF.ȱ(2004):ȱMiteinanderȱreden.ȱDasȱ„InnereȱTeam“ȱundȱsituationsgerechȬ teȱKommunikation.ȱReinbek:ȱRowohltȱ Storch,ȱM.,ȱCantieni,ȱB.,ȱHüther,ȱG.,ȱTschacher,ȱW.ȱ(2006):ȱEmbodiment.ȱDieȱWechselwirȬ kungȱvonȱKörperȱundȱPsycheȱverstehenȱundȱnutzen.ȱBern:ȱHuberȱ Storch M. und Krause F. (2002): Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Bern: Huber
244
10 Empfohlene Literatur
Tretter,ȱF.ȱ(2008):ȱÖkologieȱderȱPerson.ȱAufȱdemȱWegȱzuȱeinemȱsystemischenȱMenschenȬ bild.ȱ PerspektivenȱeinerȱSystemphilosophieȱ undȱökologischȬsystemischenȱ AnthroȬ pologie.ȱLengerich:ȱPabstȱ Weidenmann, B. (2008): Handbuch Active Training. Die besten Methoden für lebendige Seminare. Weinheim: Beltz Yalom, I. D. (2007): Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie. Ein Lehrbuch. Stuttgart: Klett-Cotta Zaboura, N. (2009): Das empathische Gehirn. Spiegelneurone als Grundlage menschlicher Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
10.3 Zeitschriftenȱ Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik. Beiträge zur Sozialpsychologie und therapeutischen Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht OSC. Organisationsberatung, Supervision, Coaching. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften ZPS.ȱZeitschriftȱfürȱPsychodramaȱundȱSoziometrie.ȱWiesbaden:ȱVSȱVerlagȱfürȱSozialwisȬ senschaftenȱ
Anhang
245
Anhangȱ
Prinzipien der psychodramatischen Techniken nach Blatner (1988: 151ff) 1. 2. 3.
4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
14. 15.
Handeln Sie lieber als dass Sie erzählen lassen: „Können Sie mir die Situation zeigen…“ Sprechen Sie die Menschen direkt an, sprechen Sie nicht über sie. Ermuntern Sie die MitspielerInnen zu so aktivem Verhalten wie es der Situation der ProtagonistIn angemessen ist; dies ruft spontanes und direktes Verhalten der MitspielerInnen hervor. Machen Sie abstrakte Situationen so konkret wie möglich; arbeiten Sie mit konkreten Szenen. Fördern Sie authentische Begegnungen so oft als möglich. Ermutigen Sie die TeilnehmerInnen, affirmative Statements über Sehnsüchte, Fürchte und Absichten als Ich-Botschaften abzugeben. Behandeln Sie Situationen der Vergangenheit und Zukunft, so als ob sie in der Gegenwart im Hier und Jetzt passieren würden. Schätzen Sie das Potential für Umentscheidungen, Neuverhandlungen und korrigierende Erfahrungen in der Gegenwart wert. Beachten Sie die non-verbalen Botschaften in der Kommunikation: Tonfall, Stimmlage, Gestik, Ausdruck. Lassen Sie die TeilnehmerInnen Empathie-Übungen durch Rollentausch machen. Arbeiten Sie in Richtung Selbstenthüllung und Wahrhaftigkeit, besonders in Bezug auf Gefühle. Respektieren Sie interpersonelle Vorlieben beim Arbeiten in den Kursen. Installieren Sie in Gruppen Möglichkeiten, ihre kollektiven Vorlieben im Umgang mit den Aufgaben von Kohäsion und Konfliktlösung auszuleben (z.B. durch Soziometrie). Gestalten Sie Situationen zu einem bestimmten Grad spielerisch. Variieren Sie die Identitäten der TeilnehmerInnen (z.B. durch die Vergabe symbolischer Rollen) oder variieren Sie die Situationen, um eine zu starke Verwicklung zu vermeiden, und um die Offenheit für alternative Möglichkeiten zu fördern.
246
Anhang
16. Benutzen Sie Symbole und Metaphern, personifizieren Sie sie und machen Sie sie lebendig. 17. Beziehen Sie andere künstlerische Prinzipien und Hilfsmittel ein, wie zum Beispiel Bewegung, theatralische Darstellung, Verkleidung, Poesie, Kunst, Musik, Klang oder Licht. 18. Übertreiben oder verstärken Sie das Verhalten, um eine größere Bandbreite an Antworten zu bekommen. 19. Beachten und verwenden Sie die Technik der Anwärmung als ein Vorgänger für kreatives Verhalten. 20. Benutzen Sie dramatische Techniken und den realitätserweiternden Kontext des Dramas als Hilfsmittel, um die Imagination für konkrete Situationen zu erweitern. 21. Sprechen Sie gezielt die Prozesse von Begeisterung, Enthusiasmus und Vitalität an und verstärken Sie sie. 22. Benutzen und kultivieren Sie aktiv die Sublimierung als Kanal für kreative Energien, um Alternativen für neurotisches Verhalten aufzuzeigen. 23. Nutzen Sie die therapeutischen Faktoren der Gruppentherapie.
Anhang
247
248
Anhang
Glossar
249
Glossarȱ
Aktionshunger
Ein innerer Impuls, der nach Handlung und Vervollständigung drängt
Aktionssoziometrie
Eine Übung zur Erhebung des sozialen Gefüges einer Gruppe: Gemeinsamkeiten, Einstellungen oder Strukturen innerhalb einer Gruppe werden erfasst, in dem sich die Gruppenmitglieder auf Anweisung der Leitung nach bestimmten Kriterien im Raum aufstellen
Amplifikation
Die Erweiterung einer Szene über ihren Ursprung hinaus, z.B. in Form eines Märchens, einer Sage, eines Filmes
AntagonistIn
Eine Person, die als Hilfs-Ich die Gegenrolle der ProtagonistIn in einer Szene einnimmt
Arrangement
Die Form, in der das zu Bearbeitende in Szene gesetzt wird, wie z.B. ein Rollenspiel, die Zukunftsprobe oder der Zauberladen
Aufstellung
Meist eine statische Darstellung einer Problemstellung mithilfe von Personen oder Symbolen, die die Positionen innerhalb eines Gefüges und verkörperte Haltungen deutlich macht. Z.B. Familien- oder Organisationsaufstellungen
Befindlichkeitsrunde
Ein Abschnitt einer psychodramatischen Gruppensitzung, in der die TeilnehmerInnen explizit nach deren aktuellem Befinden befragt werden
Beziehungsklärung
Die Klärung einer Konfliktlage zwischen zwei oder mehr Gruppenmitgliedern
Blitzlicht
Runde in der Gruppe, in der jede TeilnehmerIn in knapper Form – blitzlichtartig – etwas zur Fragestellung sagt
Bühne
Ein vorher festgelegter, abgegrenzter Bereich, der während der psychodramatischen Aktion zur szenischen Darstellung genutzt wird. Die Bühne bietet die Möglichkeit die innere Welt der Protagonistin für andere erfahrbar zu machen
Cluster
Eine Bündelung von zusammengehörigen Merkmalen, z.B. Rollen oder Reaktionen
250
Glossar
DoppelgängerIn oder Double
Eine Person, die der ProtagonistIn während des psychodramatischen Spiels zur Seite steht, in dem sie sich kontinuierlich in die ProtagonistIn einfühlt
Doppeln
Die Einfühlung einer Person in die ProtagonistIn, welche deren innere Vorgänge sprachlich zum Ausdruck bringt
Einfrieren
Das Anhalten einer szenischen Abfolge, um z.B. eine Befindlichkeit abzufragen (siehe Rolleninterview)
Erwärmung, Erwärmungsphase, Warmup
Erster Abschnitt einer psychodramatischen Sitzung oder Einheit, in dem die einzelnen Gruppenmitglieder und die Leitung auf die psychodramatische Aktions- oder Spielphase vorbereitet werden sollen. Durch die Erwärmung soll der Zugang zu den Themen erleichtert, Spontaneitäts- und Spielhemmungen gelöst, Neugierde und Experimentierfreudigkeit geweckt werden. Erwärmung ist auch eine Bezeichnung für eine Phase des kreativen Zirkels, die durch die Suche nach Lösungsmöglichkeiten für eine Problemlage charakterisiert ist
Familienstellen (nach Moreno)
Ein Spezialfall der Darstellung des sozialen Atoms, das mit Personen besetzt und auf der Bühne szenisch inszeniert wird
Feedbackrunde
Die einzelnen GruppenteilnehmerInnen werden aufgefordert Rückmeldung über ihre positiven und negativen Empfindungen z.B. bezüglich der Gestaltung und den Verlauf eines Selbsterfahrungs-Seminars zu geben
Format
Ein Anwendungsfeld eines Verfahrens wie z.B. Psychotherapie, Beratung, Supervision
Gruppe
Ein Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu einem bestimmten Zweck bzw. mit einem bestimmten gemeinsamen Ziel
Gruppenkohäsion
Damit werden der Zusammenhalt einer Gruppe und das Zugehörigkeitsgefühl zu dieser ausgedrückt. Sie kann als Gradmesser der Attraktivität der Gruppe für ihre TeilnehmerInnen gesehen werden. Davon ist z.B. abhängig wie viel Anerkennung, Wärme oder Trost Einzelne aus der Gruppe ziehen können
Gruppenzentriertes Spiel
Im Gegensatz zum protagonistInnenzentrierten Spiel ist während des gesamten Ablaufs dieses Spiels der Fokus der Aufmerksamkeit gleichbleibend auf die Gruppe gerichtet
Glossar
251
Hilfs-Iche
Die Personen, die im protagonistInnenzentrierten Spiel die Rollen übernehmen, die zur Darstellung einer Szene oder Aufstellung notwendig sind
Identifikationsfeedback
Rückmeldungen der ZuschauerInnen und MitspielerInnen, die darauf zielen, mit welcher Figur der Inszenierung – außer der ProtagonistIn – sie am meisten mitgeschwungen sind (emotional) und welche Reaktionen für sie am stärksten nachvollziehbar waren (kognitiv)
Identität
Eine Person nimmt sich selbst und wird von anderen aus ihrem sozialen Umfeld in ihrem Erleben und Handeln als ein und dieselbe wahrgenommen, unabhängig davon in welchem Kontext oder in welcher Situation sie agiert
Innerer Monolog
Das Selbstgespräch einer SpielerIn, welches in Form des ZurSeite-Sprechens für die Anderen öffentlich gemacht wird
Integrationsphase
Der letzte Teil einer psychodramatischen Sitzung oder Einheit, der sich aus Sharing, Rollen- und Identifikationsfeedback, zuweilen einer Prozessanalyse zusammensetzt
Intermediär-Objekt
Von der TherapeutIn vorgegebene Objekte, wie Ansichtskarten oder Handpuppen, die die KlientInnen unterstützen sollen, Zugang zu ihren inneren Prozessen zu erhalten. Mittels dieser Objekte kann das innerpsychische Geschehen auf die äußere Bühne transferiert werden
IntraintermediärObjekt
Hier wählen oder kreieren die KlientInnen die Objekte selbst, mit deren Hilfe sie innere Prozesse externalisieren, wie z. B. selbst verfasste Gedichte
Konation
Ein im angelsächsischen Raum verwendeter Begriff, der den Teleprozess erweitert, in dem er Formen des psychischen Antriebs, wie Impulse, Bedürfnisse und Wünsche als Ausdrucksweise von Anziehung und Abstoßung mit einbezieht
Kreativer Zirkel, kreative Spirale
Eine Abfolge, welche beschreibt, wie Menschen zu neuen Verhaltensmustern kommen. Bestandteile sind: Ausgangslage, Erwärmung, Spontaneitätslage, Kreativitätslage (kreative Phase), (Verhaltens-)Konserve, (neue) Lage
Kreative Phase
Ein Abschnitt des kreativen Zirkels, in dem das neue Verhaltensmuster konsolidiert oder wieder verworfen wird
Kreativität
Für Moreno ist sie die schöpferische Urkraft, die bewirkt, dass Leben entsteht und Neues erschaffen werden kann
252
Glossar
Kulturelle Konserve
Kulturgüter mit definierten Handlungsabläufen wie z.B. Brauchtum, Bücher, Theaterstücke. Sie entstehen im Rahmen kreativer Prozesse und werden durch häufige Nutzung zu Konserven
Kulturelles Atom
Netz von Rollen einer Person
Lage
Die Situation einer Person unter Einbeziehung innerer wie äußerer Determinanten
Locus Nascendi
Der Ausgangspunkt einer Handlung
Maximierung
Vergrößerung zum Zwecke der Verdeutlichung, z.B. kann eine Bewegung verstärkt werden, um deren emotionalen Gehalt besser zu verstehen
Monodrama
Im engeren Sinne: Psychodrama im Einzelsetting. Hilfsobjekte, wie Gegenstände, werden an Stelle von Hilfs-Ichen zur Darstellung an der Szene Beteiligter oder innerer Instanzen herangezogen. Im umfassenderen Sinn: Psychodrama ohne Gruppe
Perspektivenwechsel
Die Fähigkeit, sich und Andere, bzw. bestimmte Gegebenheiten aus einem anderen Blickwinkel, als dem eigenen zu betrachten; Voraussetzung für einen Rollenwechsel
Playback-Theater
Ein Ereignis aus dem Leben einer Person wird von den Playback-DarstellerInnen nach einer Erzählung der ProtagonistIn spontan inszeniert. Die Protagonistin beobachtet die Darstellung aus der Regieperspektive
Probehandeln
Siehe: Zukunftsprobe
ProtagonistIn
Die Person, deren Thematik im protagonistInnenzentrierten Spiel szenisch bearbeitet wird
ProtagonistInnenzentriertes Psychodrama
Dabei wird die Aufmerksamkeit des Geschehens einer Gruppensitzung für einen begrenzten Zeitraum auf eine Person zentriert, die mithilfe der Gruppenmitglieder, aber auch stellvertretend für eine aktuelle Fragestellung der Gruppe ein Thema bearbeitet
Prozessanalyse
Das Reflektieren eines psychodramatischen Prozesses in der Integrationsphase bzw. am Ende einer Einheit
Prozessschritte
Methodische unterteilte Abschnitte einer psychodramatischen Aktion, die durchlaufen werden um das Auftragsziel der ProtagonistIn zu erreichen
Glossar
253
Prozessziele
Geplante Etappenziele, die auf den diagnostischen Hypothesen der TherapeutIn beruhen. Deren Erreichen bewirkt, dass die ProtagonistIn ein tieferes Verständnis für die Ursache oder die Dynamik der Problematik erhält und infolge eine Lösung für ihrer ursprüngliche Fragestellung gefunden werden kann
PsychodramaLeiterIn, Psychodrama-TherapeutIn
Eine psychodramatisch ausgebildete Person, die sich für die Gestaltung und den Ablauf einer psychodramatischen Gruppen- oder Einzelsitzung verantwortlich zeigt. Sie unterstützt die TeilnehmerInnen bei ihren gewünschten Veränderungsund Selbsterfahrungsprozessen
Regieposition
Eine besondere Art der Spiegelposition im Playback bzw. bei bestimmten therapeutischen Vorgehensweisen
Role giver
Eine Person, die durch ihre Rollenerwartung an Andere und ihre Form des Handelns bei einer anderen Person ein bestimmtes Rollenverhalten auslöst
Role receiver
Eine Person, die durch die Erwartungshaltung und das Handeln einer InteraktionspartnerIn ein bestimmtes Rollenverhalten zeigt
Rolle
Ein System, das verschiedene Handlungsmuster und Verhaltensweisen einer Person zu einer Einheit zusammenfügt. Jede Rolle hat unterschiedliche Grade an individuellen und an kollektiven Prägungen, die durch Rollenerwartungen beeinflusst werden
Rollenatrophie
Auch sekundärer Rollenmangel genannt, bedeutet eine Verringerung des Rollenrepertoires einer Person durch bestimmte Einflüsse, wie etwa psychiatrische Erkrankungen (pathologische Rollenatrophie) oder veränderte Lebensumstände, wie z.B. eine krisenhaft verlaufende Pensionierung (physiologische Rollenatrophie)
Rollencluster oder Rollenkonglomerat
Die Summe von Subrollen, aus denen sich eine Rolle zusammensetzt. Die Rolle der Mutter kann z.B. aus den Unterrollen, der Gebärenden, der Nährenden, der sich liebevoll Zuwendenden, der streng Grenzen Setzenden oder der Herumtollenden aufgebaut sein
Rollendistanz
Fähigkeit, aus einer Rolle auszusteigen und sie aus einer Außenperspektive zu betrachten und zu reflektieren
Rollenfeedback
Die Rückmeldungen der MitspielerInnen an die ProtagonistIn darüber, was sie in ihren Rollen empfunden und wie sie das Dargestellte erlebt haben. Teil der Integrationsphase
254
Glossar
Rollenfixierung
Aufgrund einer Blockade der Spontaneität und Kreativität kommen nur bestimmte Rollen aus dem Rollenrepertoire zum Einsatz
Rollengestaltung – role creating
Die Einnahme einer Rolle geht mit einer geringen Rollenerwartung und einem hohen Grad an individueller Gestaltungsmöglichkeit einher
Rolleninterview
Die Erhebung des Rollenfeedbacks während des Spieles durch Befragung einer RollenträgerIn durch die LeiterIn
Rolleninventar
All jene Rollen, die bereits einmal ausgeführt wurden, derzeit nicht gelebt werden, aber wieder abrufbar wären
Rollenkreativität
Die Fähigkeit, neuartige Rollen bzw. Rollenvariationen zu schaffen
Rollenkonflikte
Kommt es z.B. aufgrund von Kontroversen zwischen Rollen, die ein Mensch in sich vereint oder durch widersprüchlichen Rollenerwartungen an eine Person zu Belastungszuständen, die als Stressoren wirksam werden, wird von einem Rollenkonflikt gesprochen
Rollenkonserven
Etablierte und gefestigte Verhaltensmuster in einem bestimmten Kontext
Rollenmangel
Auch als Rollendefizite bezeichnet. Eine Person verfügt über eine zu geringe Rollenvielfalt um auf bestimmte Situationen oder Lagen angemessen reagieren zu können. Es wird zwischen primärem (verursacht durch angeborene oder frühkindliche Entwicklungsstörungen) oder sekundärem (durch äußere Einflüsse: Erkrankung, Veränderung der Lebenssituation) Rollenmangel unterschieden
Rollenrepertoire oder Rollenmatrix
Die Gesamtheit aller zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbaren Rollen eines Individuums. Die Rollenmatrix kann aber auch die Summe aller während eines definierten Zeitraumes, z.B. einer psychodramatischen Jahresgruppe oder Seminars verkörperten Rollen darstellen
Rollenspiel
Ein Spiel in einer Rolle, das in unterschiedlichen Settings stattfinden kann, z.B. in vorgegebenen Rollen, im Stegreif-Modus, als ProtagonistIn oder MitspielerIn
Rollentausch
Reziproker Rollenwechsel: A geht in die Rolle von B, während gleichzeitig B in die Rolle von A geht. Nicht mit Symbolen möglich
Rollentraining
Die Erprobung neuer Möglichkeiten des Rollenhandelns
Glossar
255
Rollenübernahme – role taking
Die Einnahme der Rolle ist mit einer hohen Rollenerwartung und wenig Möglichkeiten der individuellen Gestaltung verbunden
Rollenwechsel
Einseitige Rollenübernahme: A geht in eine Rolle B, entweder von einer anderen Person oder aus einem anderen Kontext
Selbst
Aus der Sicht des Psychodramas setzt sich das Selbst aus einer Bündelung von Rollen (Rollenclustern) zusammen
Semirealität
Form des psychodramatischen Handelns im „Als-ob-Modus“. SpielerInnen sind sich beim Ausführen von Handlungen in der Semirealität bewusst, dass es „nur“ Handlungen „als ob“ sind, diese aber dennoch einen Einfluss auf ihre Alltagsrealität haben.
Sharing
Im Sharing berichten die TeilnehmerInnen einer psychodramatischen Sitzung von eigenen, ähnlichen Erfahrungen und Gefühlszuständen, wie sie die ProtagonistIn erlebt und im psychodramatischen Spiel gezeigt hat. Damit erfährt die ProtagonistIn Unterstützung und Verständnis durch die anderen Gruppenmitglieder. Das Sharing ist Teil der Integrationsphase, die an die psychodramatische Aktionsphase anschließt
Soziales Atom
Einerseits wird so das soziale Beziehungsnetz eines Menschen bezeichnet, andererseits wird darunter auch die Technik zum Ermitteln des Beziehungsgeflechts einer Person zum Beispiel mittels einer Zeichnung, Symbolen oder Hilfs-Ichen verstanden
Soziales Netzwerk Inventar (SNI)
Fragebogenverfahren, mit dem das soziale Netzwerk einer Person erfasst werden kann
Soziodrama
Szenische Darstellung von Gruppenphänomenen: Ein kollektives Thema wird aus der Sichtweise einer oder mehrerer Gruppen durch eine Gruppe oder eine VertreterIn einer Gruppe dargestellt und bearbeitet
Soziogramm
Grafische Darstellung von den aus den soziometrischen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen. Damit können Beziehungsmuster und Gruppenstrukturen sichtbar gemacht werden
Soziokulturelles Atom
Die sozialen Bezüge einer Person unter Einbeziehung der entsprechenden eigenen Rollen
Soziometrie
Die Messung und Darstellung sozialer Bezüge
Soziometrischer Test
Damit werden die positiven (Vorlieben) und negativen Wahlen (Ablehnungen) von Gruppenmitgliedern bezogen auf bestimmte Kriterien erfasst. Diese können mithilfe eines Soziogramms dargestellt werden
256
Glossar
Spiegeln
Darstellung des Verhaltens der ProtagonistIn durch eine MitspielerIn, während die ProtagonistIn sich außerhalb der Szene befindet. Auch: Dritte Position
Spielphase, Aktionsphase
In diesem Abschnitt wird das zu bearbeitende Thema festgelegt und szenisch bearbeitet
Spontaneität
Ein Zustand, der beschreibt, dass Menschen situationsadäquat auf neue Situationen reagieren, bzw. neue Reaktionen auf bekannte, sich wiederholende Situationen erproben
Spontaneitätslage
Ein Abschnitt des kreativen Zirkels, in dem eine Person bereit ist, Neues zu erfassen, zuzulassen und/oder zu erproben
Spontaneitätstest
Ein von Moreno entwickeltes Verfahren um zu erkennen, wie leicht oder schwer es Personen fällt z.B. ohne Vorbereitung komplexe soziale Situationen mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen nachzuspielen oder verschiedene Gefühlslagen darzustellen
Skulptur
Eine unbewegte, abstrahierende Darstellung einer Lage oder Befindlichkeit der ProtagonistIn
Status nascendi
Das Finden einer neuen Problemlösung im Moment des Entstehens
Stegreifspiel
Spontanes Spiel einer Person oder Gruppe ohne vorher definierten Ablauf
StellvertreterIn / Stand-In
Hilfs-Ich, das in bestimmten Spielsequenzen die Rolle der ProtagonistIn übernimmt, während die ProtagonistIn die Szene verlässt
Surplus-Reality
Da auf der psychodramatischen Bühne die Erlebniswelt der ProtagonistIn abgebildet wird, ist jede Inszenierung naturgemäß subjektiv gefärbt. Das Psychodrama trägt dem Rechnung und spricht deshalb von der Surplus-Reality
Szene
Eine in sich geschlossene Spielsequenz
Szenenaufbau
Grundlage für das szenische Spiel. Die darzustellende Szene wird festgelegt, die Bühne eingerichtet und die Rollen mit HilfsIchen besetzt. Durch den Szenenaufbau wird die innere Welt der ProtagonistInnen nach außen gekehrt und sichtbar gemacht
Szenenwechsel
Eine psychodramatische Aktion kann aus mehreren Szenen bestehen; im tiefenpsychologisch-explorierenden Setting wird die nächste, lebensgeschichtlich weiter zurückliegende Szene z.B. mit der Frage der LeiterIn eingeleitet: „Woher kennen Sie das noch?“
Glossar
257
Tele
Ein komplexer, wechselseitiger bewusster sowie unbewusster Prozess zwischen Individuen, der Anziehung und Abstoßung zum Ausdruck bringt
Verfahren
Ein Verfahren wie zum Beispiel das Psychodrama oder die Psychoanalyse umfasst eine Philosophie oder Meta-Theorie, Interpretationsfolien, die ein Verständnis der Geschehnisse erlauben, und ein Methodenset mit speziellen Arrangements und Techniken, die in der Praxeologie zusammengefasst sind
Vignette
Ein kurzes, meist aus nur einer Szene bestehendes Spiel
Zeitlupe
Eine Technik, bei der Abläufe einer Szene langsamer dargestellt werden, als sie der Realität entsprechen würden, um bestimmte, sich darin abspielende Prozesse sichtbarer und reflektierbarer zu machen, aber auch um eine Distanzierungsmöglichkeit durch Verfremdung im Fall einer Traumatherapie zu erzielen
Zukunftsprojektion, Zukunfsprobe
Ein Spiel eines in der Zukunft liegenden Ereignisses. Damit können z.B. die Auswirkungen von neu erworbenen Rollenqualitäten erprobt oder erkundet werden, welche Konsequenzen mit einer getroffenen Entscheidung einher gehen könnten
ZuschauerIn
Personen, die sich während eines Psychodrama-Spieles nicht in Rollen auf der Bühne befinden, die aber die Geschehnisse beobachten und dabei mitschwingen. Damit sind sie Teil der psychodramatischen Aktion
Glossar
259
Stichwortverzeichnisȱ
Aktionshunger 139, 249 Aktionsphase 54-57, 61, 66-69, 206f., 255f. Aktionssoziometrie 58, 173, 175, 249 Ambivalenz 118 Amplifikation 111, 130, 249 AntagonistIn 44, 66, 77, 121, 129, 144, 163, 249 Arrangements 29, 31, 39, 51, 55- 58, 61, 63, 71-74, 80-82, 102, 111, 121, 124, 158, 182, 206f., 216, 257 Atom 38, 92f., 130, 150, 152, 176-181, 183, 189, 198, 221 Aufstellung 30, 33, 44, 157, 175f., 187, 221, 224, 249, 251 Begegnung 10, 23, 24, 27, 33f., 41, 107, 109, 165, 195, 205, 208-210, 216, 218, 224f., 242 Begegnungsbühne 38, 163, 205, 206 Beratung 9, 15, 33, 118, 132, 182, 191, 199, 200, 202, 209f., 219-221, 223, 225, 232-234, 243, 250 Beziehungsklärung 129, 249 Bildung 9, 16, 191, 203, 234 Bühne 21f., 35-38, 42-44, 49f., 61, 64, 67, 69, 73-75, 81-83, 96, 99, 102-105, 107, 112f., 115, 121, 125f., 128, 135, 161, 176, 178, 182, 193f., 200f., 206f., 219f., 222, 224, 243, 249-251, 256f. Chronologie 122f. Clap-Theater 102f. Cluster 153, 249 Co-LeiterIn 46, 52, 76 DoppelgängerIn 116, 119f., 250 Doppeln 51, 76, 80, 111, 115-119, 121, 128, 192, 194, 199, 203, 250 Doppeltechnik 119
Double 116, 119, 163, 250 Einfühlung 116, 250 Embodiment 50, 91, 139, 166, 243 Empathie 217, 245 Erwärmung 42, 51, 53-57, 61f., 64f., 85, 99, 106, 109, 115, 148, 206, 213, 250f. Erwärmungsphase 40, 53-55, 64, 206f., 250 Exploration 36, 58, 69, 115 Feedback 40, 85, 125 Format 15, 24, 71, 191, 199, 203f., 250 Fremdwahrnehmung 125, 186 Gesellschaft 11, 24f., 33, 49, 138, 142, 165, 167, 188, 199, 242 Gestalttherapie 216-219, 224 Gesundheit 156, 168, 200, 217, 224, 229, 233 Gruppe 9, 15f., 27f., 35, 40, 42f., 46-52, 54-60, 62-65, 76, 85-87, 93, 95f., 98-102, 104-106, 113, 117, 126, 130, 132, 157f., 163, 167-175, 183f., 186, 191, 193, 200, 204, 206, 213f., 219f., 249f., 252, 255f. Gruppendynamik 30, 40, 63, 86, 167f., 227, 233, 244 Gruppenkohäsion 57f., 62, 64, 86, 101, 170, 175, 185, 205, 220, 250 Gruppenprozess 56, 65 Gruppenspiel 40, 60, 62-64, 95f., 98-102, 216 Gruppentherapie 15, 27, 41, 47, 60, 207f., 214, 219, 227, 229, 233, 241, 246 Handeln 9, 14, 26, 48f., 95, 115, 121, 124, 136-138, 142, 144, 146, 150, 152, 192, 196f., 211, 245, 251, 253 Handlung 14f., 27, 63, 95-98, 121, 126, 137, 145, 148, 168, 215, 249, 252
260 Hier und Jetzt 37, 74, 78, 81, 191, 214, 245 Hilfs-Iche 27, 35, 44-46, 51, 74-78, 81-83, 96, 106, 146, 158, 162f., 204, 206f., 213, 220, 222, 251f., 255f. Hypothesenbildung 71 Ich-Gott 23f. Identifikation 85 Identifikationsfeedback 83, 85, 251 Identität 28, 108f., 165, 251 Indikation 101, 107 Inszenierung 40, 43, 49, 54f., 64f., 69f., 73, 75, 79f., 82, 85f., 107, 207, 251, 256 Integration 164 Integrationsphase 41, 45, 51f., 83-86, 125, 206, 208, 251-253, 255 Interaktion 9, 38, 63, 78, 108, 116f., 122, 128, 132, 136, 138, 140, 143, 147, 156, 165, 209, 236, 242 Interpretationsfolien 71, 192, 257 Intraintermediär-Objekt 251 Kohäsion 48, 245 Konflikt 16, 43, 45, 65, 82, 94, 112, 129, 153-155, 159, 201, 207 Konserve 11, 56, 95, 109, 122, 124, 146, 251 Kreativität 11, 18f., 21, 24f., 27, 35, 95, 108, 132, 139, 147f., 150, 158, 192, 196, 209, 212, 216, 243, 251, 254 Kulturelle Konserve 252 Kulturelles Atom 252 Lage 10, 14, 23, 25, 45, 54, 56, 64, 70, 93, 117, 119, 139, 144f., 183, 251f., 256 Maximierung 112, 192, 252 Mediation 129, 133, 199f., 209, 210 Menschenbild 9, 34, 197, 244 MitspielerIn 27, 44, 100, 112, 117, 120, 125, 132, 143, 254, 256 Monodrama 38, 46, 191, 205f., 208, 209, 242, 252 Netzwerk 157, 182, 189, 255 Pädagogik 165f., 188, 209, 229, 242 Persönlichkeit 20, 58, 86, 172, 217 Persönlichkeitsstruktur 63, 100f., 115, 138
Stichwortverzeichnis Philosophie 16, 18, 27, 30, 32f., 107, 168, 192, 224, 241f., 257 Playback-Theater 95, 102-105, 107, 109, 252 Processing 86 ProtagonistIn 27, 35-40, 42-46, 51, 55, 6467, 69-78, 80-87, 95, 103-105, 112, 115f., 118-123, 125f., 129f., 132, 174, 179, 182, 197, 206f., 216, 249-256 Prozess 16, 26, 55, 57, 64, 73, 90, 104, 107, 121, 132, 138, 140f., 143, 145, 147, 149, 192, 198, 202f., 209, 216, 220, 257 Prozessanalyse 40, 86, 87, 213, 251f. Prozessschritte 71-73, 252 Prozessziele 40, 71-73, 80, 253 Psychodrama-Leiterin 37, 129 Psychodrama-Sitzung 55, 120 Psychodrama-TherapeutIn 30, 198, 227, 233f., 239, 253 Psychodrama-Therapie 50, 108f., 165f., 189, 192f., 209, 243 Raum 21, 25, 30, 35, 37, 40, 55, 74f., 86, 96, 99, 101-103, 108, 112f., 122, 127, 142, 146, 173, 183, 192, 199, 206, 212, 249, 251 RegisseurIn 103 Rehabilitation 28, 90, 191, 209 Role creating 143, 254 Role giver 253 Role receiver 253 Role taking 143, 255 Rolle 16, 18, 21, 27, 40, 42-44, 46, 52, 59, 61-64, 66, 72, 75-80, 84f., 87-101, 109, 111, 113, 119-121, 123-125, 127-129, 135-139, 141-146, 148-150, 153-156, 158f., 161f., 165, 171, 180, 192, 195-197, 201f., 204f., 207f., 213, 216, 218, 220, 222f., 253-256 Rollenatrophie 150, 152f. Rollencluster 213, 253 Rollenerwartung 143, 253-255 Rollenfeedback 51, 83f., 111, 123f., 201, 203, 205, 208, 222, 253 Rollenflexibilität 163 Rollengestaltung 137f., 142f., 254 Rollenhandeln 136, 138, 142f.
Stichwortverzeichnis Rolleninventar 95, 254 Rollenkonflikt 153-156, 254 Rollenkonserve 146, 149 Rollenmangel 150f., 253f. Rollenmatrix 163, 254 Rollenpathologie 165 Rollenrepertoire 72, 80, 90, 123, 149, 254 Rollenspiel 9, 15, 18, 19, 21, 34, 50, 87-95, 107, 109, 121-124, 132f., 165, 188f., 191, 203, 209f., 213, 215f., 219, 225, 239f., 242f., 249, 254 Rollenspiel in der eigenen Rolle 121-124 RollenspielerIn 125, 127, 129 Rollenstatus 157, 192 Rollentausch 23, 34, 51, 93, 111, 119, 127129, 132, 192, 209, 222, 245, 254 Rollentheorie 72, 86, 109, 135, 138, 140, 164f., 192, 197 Rollentraining 19, 91, 159, 161, 198, 254 Rollenübernahme 45, 62, 77, 95, 139, 142f., 205, 255 Rollenwechsel 34, 51, 77, 90, 93, 95, 111, 123, 125, 127f., 132, 164, 202, 207, 222, 252, 254f. Schöpfer 24 Selbsterfahrung 52, 191, 204, 229, 233, 234, 239 Selbstwahrnehmung 118, 186 Sharing 40, 43, 51, 83, 86, 111, 131f., 201, 208, 251, 255 Situation 14, 22, 25, 39, 42, 68, 71, 73, 7880, 93f., 103, 115, 117, 120f., 123, 125f., 129f., 132, 136-139, 143-145, 148, 153, 158, 162, 185f., 193-195, 198, 200f., 205, 206, 219, 245, 251f. Skulptur 82, 256 Soziales Atom 176, 178, 182f., 187, 194, 223, 255 Soziales Netzwerk Inventar (SNI) 255 Soziodrama 42, 49, 95, 102, 105, 107, 109, 210, 242f., 255 Soziogramm 183, 187, 255 Soziokulturelles Atom 95, 122, 176, 179, 255 Soziometrie 9, 12, 15, 28, 29, 33, 34, 43, 50, 58, 82, 86, 107-109, 132f., 150, 157,
261 164-168, 170f., 173, 176, 185, 187-189, 191, 198f., 208-210, 213, 224, 239-242, 244f., 255 Soziometrischer Test 255 Spiegeln 51, 111, 120, 125f., 128, 192, 222, 256 Spiel 18, 21, 27, 35f., 38, 40, 42, 50, 56, 6167, 69-71, 73, 80, 81, 83, 85, 86, 89, 93, 95-97, 100f., 103, 105f., 108, 111, 119, 122f., 127, 131, 146, 162, 207, 210, 222, 242, 250-252, 254-257 Spielbühne 38 Spielphase 43, 51-53, 86, 99, 100, 206, 250, 256 Spontaneität 11, 15, 25-27, 35, 55, 72, 80, 109, 146-148, 150, 163, 165, 196, 210, 212, 216, 242, 254, 256 Spontaneitätslage 27, 53, 64, 121, 148, 158, 251, 256 Spontaneitätstest 95, 162, 256 Stand-In (StellvertreterIn) 44, 116, 120f., 125f., 256 Status nascendi 256 Stegreif 62, 94f., 102f., 122, 254 Stegreiflage 122 Stegreifspiel 35, 95, 97, 101, 124, 256 Stegreiftheater 21, 34, 87, 108 Supervision 16, 33, 50, 52, 118, 127, 199f., 202, 209, 219, 227, 230-232, 234, 239, 241, 244, 250 Surplus-Realität 22, 202 Surplus-Reality 256 Symptomszene 73, 130, 198 Systemische Therapie 197, 220, 243 Szene 15, 35, 37, 40, 42, 44-46, 63, 69, 7477, 78, 80f., 85, 104, 107, 112-115, 117, 119, 120-122, 125f., 129f., 132, 136, 194f., 198, 205, 208, 222, 249, 251, 252, 256f. Szene einrichten 195 Szenenaufbau 33, 50f., 74f., 105, 111f., 114-116, 118, 121, 128, 132, 203, 205f., 256 Szenenwechsel 51, 79, 103, 111, 130f., 163, 198, 256 Tele 102, 117, 145, 257
262 Telebeziehung 75, 84 Teleprozess 251 Theater 13, 16, 18f., 21f., 27, 33f., 50, 87, 102-104, 107, 225, 242 TherapeutIn 30, 38, 41, 46, 69, 163, 197, 202, 207, 211f., 218f., 227, 233f., 251, 253 Therapie 27, 38, 42, 47, 119, 124, 132, 165f., 182, 189, 193, 196f., 210, 219224, 234, 243 Tischbühne 37f., 201, 206f., 221 Übertragung 83, 213 Veränderung 14, 19, 25, 28, 63, 139, 162, 211, 222, 254 Verantwortung 23, 243 Verfahren 9, 10, 11, 13-16, 23, 27, 31, 43, 156-160, 167f., 171, 185, 191, 197, 199, 204f., 211, 215-219, 221f., 239, 255-257
Stichwortverzeichnis Verhalten 15, 25, 27, 62, 72, 80, 90, 135f., 143f., 152, 155d., 158, 171, 196f., 202, 204, 215, 245f. Verhaltenstherapie 9, 107, 197, 214-216 Vignette 57, 63, 73, 95, 159, 257 Wahl 43, 64-67, 73, 75, 105f., 115, 119, 158, 163, 168f., 184-188, 205, 216, 223 Warm-up 250 Zauberladen 73, 249 Zeit 12, 15, 17, 22, 24, 42, 46, 52, 58f., 71, 74, 77, 80, 82f., 86, 96f., 102, 107f., 112, 122, 126, 135, 138, 146f., 154f., 161f., 167, 177, 185, 195, 197, 199f., 203, 221 Zeitachse 122, 199 Zeitlupe 111, 257 Zukunftsprojektion 257 Zur-Seite-Sprechen 121, 251 ZuschauerIn 27, 103, 257