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German Pages [376] Year 1997
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 121
V&R
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Peter Ulimann, Hans-Ulrich Wehler
Band 121
Marita Baumgarten Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler
von
Marita Baumgarten
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Die Deutsche
Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme
Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert: zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler; mit 6 Tabellen / von Marita Baumgarten. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1997 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 121) ISBN 3 - 5 2 5 - 3 5 7 8 4 - 2 4
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © 1997, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Text & Form, Pohle. Druck und Bindung: Guide-Druck GmbH, Tübingen.
Inhalt
Vorwort
9
Einleitung
11
1.
Die Lehrstuhlentwicklung
30
1.1 1.1.1 1.1.1.1 1.1.1.2 1.1.1.3 1.1.1.4 1.1.1.5 1.1.1.6 1.1.2 1.1.2.1 1.1.2.2 1.1.2.3
Die Geisteswissenschaften Die Lehrstuhlentwicklung an den einzelnen Universitäten Gießen Kiel Heidelberg Göttingen München Berlin Die Lehrstuhlentwicklung im Vergleich Der Ausbau Die >Grundausstattung< Die Ausbauphasen der geisteswissenschaftlichen Fächergruppen Frühe oder späte Lehrstuhlgründungen Die Naturwissenschaften Die Lehrstuhlentwicklung an den einzelnen Universitäten Gießen Kiel Heidelberg Göttingen München Berlin Die Lehrstuhlentwicklung im Vergleich Der Ausbau Die Übernahme der naturwissenschaftlichen Fächer von der Medizinischen Fakultät in die Philosophische Fakultät Die >Grundausstattung< Die Ausbauphasen der naturwissenschaftlichen Fächergruppen
30 31 31 32 35 38 41 44 49 49 55
1.1.2.4 1.2 1.2.1 1.2.1.1 1.2.1.2 1.2.1.3 1.2.1.4 1.2.1.5 1.2.1.6 1.2.2 1.2.2.1 1.2.2.2 1.2.2.3 1.2.2.4
57 58 62 62 62 65 66 68 72 75 80 80 84 85 86 5
1.2.2.5 1.3
Frühe oder späte Lehrstuhlgründungen Der Ausbau der geistes- und naturwissenschaftlichen Fächergruppen im Vergleich
90
2.
Der Berufungswandel
93
2.1 2.1.1 2.1.1.1
Die Geisteswissenschaften Die soziale Herkunft Universitätsfamilien, Wissenschaftlerdynastien, Professorenväter, Professorenbrüder, Professorentöchter, Professorensöhne: Zur verwandtschaftlichen Verflechtung der Geisteswissenschaftler Die Väterberufe Die Bedeutung der Konfession Die Landeskinder Schülerkreise und eigener Nachwuchs Die Naturwissenschaften Die soziale Herkunft Zur verwandtschaftlichen Verflechtung der Naturwissenschaftler Die Väterberufe Die Bedeutung der Konfession Die Landeskinder Schülerkreise und eigener Nachwuchs Der Berufungswandel in den geistes- und naturwissenschaftlichen Fächergruppen im Vergleich
93 93
2.1.1.2 2.1.1.3 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.1.3 2.2.2 2.2.3 2.3
87
93 110 116 119 121 130 130 130 139 143 145 147 157
3.
Das Universitätssystem
160
3.1 3.1.1
Die Geisteswissenschaften Die Universitäten in Gießen, Kiel, Marburg, Heidelberg, Göttingen, Bonn, München und Berlin Die Ordinarienberufungen Die Abberufungen an andere Universitäten Zum Austausch mit ausländischen Universitäten Die >Ära Althoff< ( 1 8 8 2 - 1 9 0 7 ) Die nicht untersuchten deutschen Universitäten Die preußischen Universitäten Greifswald, Königsberg, Breslau und Halle Die bayerischen Universitäten Erlangen und Würzburg Die außerpreußisch-außerbayerischen Universitäten Rostock, Jena, Freiburg, Tübingen und Leipzig Die Reichsuniversität Straßburg
160
3.1.1.1 3.1.1.2 3.1.1.3 3.1.1.4 3.1.2 3.1.2.1 3.1.2.2 3.1.2.3 3.1.2.4
6
160 160 172 180 187 193 193 202 205 218
3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.1.1 3.2.1.2 3.2.1.3 3.2.1.4 3.2.1.5 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.2.2.4 3.2.3
Zum Universitätssystem in den Geisteswissenschaften Die Naturwissenschaften Die Universitäten in Gießen, Kiel, Marburg, Heidelberg, Göttingen, Bonn, München und Berlin Die Ordinarienberufungen Die Abberufungen an andere Universitäten Zum Austausch mit ausländischen Universitäten Das Verhältnis zu den Technischen Hochschulen Die >Ära Althoff< ( 1 8 8 2 - 1 9 0 7 ) Die nicht untersuchten deutschen Universitäten Die preußischen Universitäten Greifswald, Königsberg, Breslau und Halle Die bayerischen Universitäten Erlangen und Würzburg Die außerpreußisch-außerbayerischen Universitäten Rostock, Jena, Freiburg, Tübingen und Leipzig Die Reichsuniversität Straßburg Zum Universitätssystem in den Naturwissenschaften
221 225 225 225 235 240 243 247 251 251 255 257 263 264
Zusammenfassung
267
Anhang: Tabellen und Graphiken
276
Abkürzungen
296
Anmerkungen
298
Quellen- und Literatur
341
Personenregister
371
7
Verzeichnis der Tabellen im Anhang Ordinarienzahlen in einzelnen Zeitabschnitten Tabelle 1: Geisteswissenschaften Tabelle 2: Naturwissenschaften
276 276 276
Gründungsjahre der Lehrstühle Tabelle 3: Geisteswissenschaften Tabelle 4: Naturwissenschaften
277 277 282
Soziale Herkunft Tabelle 5: Die soziale Herkunft der Geisteswissenschaftler an den Universitäten Gießen, Kiel, Heidelberg, Göttingen, München, Berlin Tabelle 6: Die soziale Herkunft der Naturwissenschaftler an den Universitäten Gießen, Kiel, Heidelberg, Göttingen, München, Berlin
287
287
289
Verzeichnis der Graphiken im Anhang Alter bei Antritt des ersten Ordinariats Graphik 1: Geisteswissenschaften Graphik 2: Naturwissenschaften
291 291 291
Alter bei Antritt des Ordinariats an den untersuchten Universitäten . 2 9 2 Graphik 3: Geisteswissenschaften 292 Graphik 4: Naturwissenschaften 292 Quote der Ordinarienberufungen Graphik 5: Geisteswissenschaften Graphik 6: Naturwissenschaften
293 293 293
Amtszeiten Graphik 7: Geisteswissenschaften Graphik 8: Naturwissenschaften
294 294 294
Abwanderungsquote Graphik 9: Geisteswissenschaften Graphik 10: Naturwissenschaften
295 295 295
8
Vorwort
»Die Menschen kommen und gehen, die Wissenschaft bleibt. Wer an akademischer Thätigkeit sich betheiligt hat, der darf der Hoffnung sich getrösten, dass, wenn er die Arbeit niederlegt, ein anderer fur ihn eintritt, vielleicht ein geringerer, vielleicht ein besserer; immer hat er das Privilegium, mehr als andere mit seiner Arbeit über seine Spanne Zeit hinaus zu wirken.« Theodor Mommsen, Einleitung, S. 6 3 3 .
Dieses Zitat hat die Dissertation begleitet; nicht nur, weil es sich hierbei auch um »akademische Thätigkeit« handelte, der in der Hoffnung nachgegangen wurde, daß sie wenigstens für ein paar Jahre wirken möge. Vielmehr umschreibt das Zitat schlicht und treffend das Thema und die sozialgeschichtliche Methode, auf der die Arbeit basiert und die den einzelnen und die Gruppe gleichermaßen berücksichtigt. Die Arbeit wurde im Mai 1993 vom Fachbereich Geschichtswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Peter Moraw, der die Konzeption der Arbeit und ihren Fortgang mit großem Engagement begleitete, stets für alle Fragen bereitstand und mir die Möglichkeit eröffnete, vor Fachkreisen zu referieren. Herrn Professor Dr. Heinhard Steiger bin ich für das große Interesse während meiner langjährigen Mitarbeit am Lehrstuhl sehr verbunden. Den Herausgebern der »Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft« danke ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe; allen voran Herrn Professor Dr. Helmut Berding und Herrn Professor Dr. Hans-Peter Ullmann, die durch die kritische Durchsicht des Manuskripts wichtige Anregungen für die Drucklegung gaben. Der Universität Gießen, an der ich studiert und promoviert habe, fühle ich mich nicht nur durch die Dissertationsauszeichnung verbunden. Das Land Hessen schuf durch ein Promotionsstipendium der Graduiertenförderung die materielle Basis für den Fortgang der Arbeit. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermöglichte durch einen großzügigen Zuschuß ihre Drucklegung. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle danken.
9
Herzlich danken möchte ich schließlich Dagmar Doege, Heidi Söhnel und Peter Welsch, die in der Endphase durch Gegenlesen des Manuskripts für manche Klarstellung sorgten. London, August 1997
10
Marita Baumgarten
Einleitung
»Die Frage, welche Universität die erste Deutschlands sei, ist nicht besser berechtigt als die nach dem größten deutschen Gelehrten; wir wissen davon nichts und fragen nicht danach. Das aber wissen wir und das ist keine Frage, daß in der Großartigkeit der Begründung, in dem herrlichen Anfangssegen keine Hochschule Deutschlands der unsrigen sich vergleichen kann.«1 Die Universität, von der der Althistoriker Theodor Mommsen spricht, ist keine andere als die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Zu der Frage, »welche Universität die erste sei« bzw. von welchen Universitäten die maßgeblichen Entwicklungen des deutschen Hochschulwesens im 19. Jahrhundert ausgingen, wissen wir auch heute noch nicht viel. Folgt man der Literatur zur Universitätsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, scheint von 1810, dem Gründungsjahr der Berliner Universität, bis 1933 oder gar 1945 ausnahmslos Berlin die >erste Universität Deutschlands< gewesen zu sein. An dieser einhelligen Meinung, die bis heute nie ernsthaft in Zweifel gezogen wurde, entfaltete sich die Themenstellung dieser Arbeit. Fragt man nach Indizien, welche die Bezeichnung Berlins als >prima inter pares< oder gar als >erste Universität der Welt< rechtfertigen, 2 ist man auch heute noch im wesendichen auf die umfangreiche Literatur zur ideen- und geistesgeschichtlichen Entwicklung der deutschen Universität im 19. Jahrhundert angewiesen. Durch alle diese Arbeiten zieht sich derselbe Grundgedanke: In Berlin sei die >Idee der Universitär geboren worden, und diese habe ihre Wirkkraft auf alle deutschen Hochschulen entfaltet. 3 Erst in jüngerer Zeit haben vornehmlich angelsächsische Forscher die übrigen deutschen Universitäten unter dem Blickwinkel neuhumanistischer oder sonstiger Reformen beleuchtet. Aber auch dies geschah stillschweigend oder ausdrücklich vor dem Hintergrund der Berliner Ereignisse und kann noch nicht grundsätzlich befriedigen.4 Um genauer bestimmen zu können, welche Universität maßgebliche Prozesse in Gang setzte bzw. wie das Hochschulwesen funktionierte, sollen diesen eher subjektiven Einschätzungen objektive Kriterien gegenübergestellt werden. Statt weiterhin die mit nicht meßbaren Größen arbeitende Geistesgeschichte zu befragen, wird im folgenden in einem fur die Hochschullehrerschaft bislang wenig genutzten Ansatz die historische Sozialforschung fruchtbar gemacht. 5 Mittels der Methode der kollektiven Biographie werden die Lehrstuhlinhaber mehrerer Universitäten, deren Auswahl noch zu erläutern ist und 11
unter denen Berlin nicht fehlen durfte, miteinander verglichen. Aus dem umfangreichen biographischen Datenmaterial ergeben sich drei größere Untersuchungskomplexe: Erstens wird auf die Entwicklung, insbesondere auf den Gründungsprozeß der Lehrstühle eingegangen. Zweitens geht es um die Frage, wann sich der Wandel vom »enzyklopädisch gebildeten >Philosophenerste Universitär des 19. Jahrhunderts zu ermitteln. Statt dessen werden die Strukturen, d.h. Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Sonderentwicklungen sichtbar gemacht. Insgesamt läuft die Studie auf Gruppenbildungen von Universitäten mit ähnlichen Merkmalen und Strukturen hinaus. Um das Thema einzugrenzen, wird nur eine Fakultät an einer größeren Zahl von Universitäten, anstelle aller Fakultäten an einigen wenigen Universitäten untersucht. Dies geschah auch vor dem Hintergrund, daß die einzelnen Fakultäten ein relatives Eigenleben führten. 7 Die Wahl fiel auf die Geistes- und Naturwissenschaften, die unter dem gemeinsamen Dach der Philosophischen Fakultät zusammengefaßt waren. Aus wissenschaftsgeschichdicher Sicht setzten sie die richtungweisenden Entwicklungsprozesse der Universität des 19. Jahrhunderts im wesentlichen in Gang. Der Universitätsprofessor als Forscher und Lehrender, der die heutige Universität kennzeichnet, war das Kernstück und wohl wichtigste Ergebnis dieser Vorgänge. Eine Untersuchung der Philosophischen Fakultät führt nahe an den Kern dessen heran, was das deutsche Hochschulwesen im 19. Jahrhundert formte und vorantrieb. Die Philosophische Fakultät emanzipierte sich von ihrer überkommenen Rolle als >Magd der höheren FakultätenBildung< sollte nach 12
dem Konzept, insbesondere der Berliner Universitätsreformer, das zunächst zum Leitkonzept der Universitätsentwicklung wurde, die Entfaltung der gesamten Persönlichkeit des Individuums einschließen. Sie zielte auf die Selbstvollendung der geistigen und ästhetischen Fähigkeiten und Schloß die Heranbildung zur politischen Mündigkeit mit ein.8 Vorbilder für dieses neue Bild vom Menschen meinte man im Altertum, vornehmlich in der griechischen Antike vorzufinden. Die Universität sollte in den Dienst dieses Bildungsideals gestellt werden. Daneben oder gleichsam dem Bildungsbegriff immanent schrieb man die Einbeziehung der Forschungstätigkeit in die Universität als >Einheit von Forschung und Lehre< fest. Aufgegriffen und fortgeführt wurde ferner der ältere Begriff der Lehrfreiheit, nunmehr postuliert als die >Freiheit von Forschung und LehreEinsamkeit und Freiheit^ d.h. fernab der >Elendigkeiten des bürgerlichen LebensFreiheit von Forschung und LehreEinheit von Forschung und Lehre< und des >Primats der Bildung< vor der beruflichen Ausbildung ruhende Universitätskonzept wird bis heute als die >Idee der Universitär bezeichnet. 9 Zur Verwirklichung dieses Bildungsideals erschienen die drei >höheren< Fakultäten der Jurisprudenz, der Theologie und der Medizin kaum geeignet. Sie waren vorrangig darauf ausgerichtet, für die Praxis auszubilden. Dagegen hatte die Philosophische Fakultät in ihrer propädeutischen Funktion als Vorschule der höheren Fakultäten seit jeher allgemeinbildende Kenntnisse zu vermitteln gehabt. Mit der Umsetzung des Universitätsbegriffs wurde die Philosophische Fakultät zur eigentlichen wissenschaftlichen Fakultät. So beruhte auch das steigende Selbstbewußtsein der Philosophen im 19. Jahrhundert auf der angeblichen Entwicklung und Bereitstellung der Methoden zur >wahrhaften< Erkenntnisfindung. Durch die Ausstrahlungskraft der Berliner Universität sind die an den Universitäten außerhalb Preußens durchgeführten Reformen um die Wende zum 19. Jahrhundert lange Zeit kaum beachtet worden. In erster Linie wurden jene Hohen Schulen reorganisiert, die nach der Auflösung ihrer Territorien an andere Landesherren übergegangen waren (z.B. Heidelberg, Marburg, Würzburg). In der Mehrzahl ähnelten die Umgestaltungen in geistesgeschichtlicher, politischer und sozialer Hinsicht den in Preußen im Bildungsbereich durchgeführten Reformen. 10 So erführ die Heidelberger Universität nach dem Übergang an Baden im Jahr 1803 unter dem Ministerium Reitzenstein eine durchgreifende Umgestaltung ihrer Finanz-, Verfassungs- und Lehrkörperstruktur. 11 An den beiden bayerischen Universitäten in Würzburg und Landshut kam es in den Jahren 1803/04 unter aufklärerischem Einfluß zu grundlegenden Änderungen der traditionellen Universitätsorganisation. Das Vier-Fakultätensystem wurde zugunsten ei13
ner Aufteilung in zwei Klassen fur >Allgemeine< und >Besondere< Wissenschaften, die sich ihrerseits in Sektionen zergliederten, aufgegeben. Ferner erfolgte eine Straffung der Studienpläne, eine Einschränkung der korporativen Selbstverwaltungsrechte und die weitgehende Aufhebung der universitären Gerichtsbarkeit. Die Umgestaltungen an den anderen Universitäten waren weniger spektakulär, spiegeln aber deutlich ein Reformbestreben hin zu höherer Effizienz sowie den neuhumanistischen Geist der Zeit wider.12 Von 1815 an wurden etliche dieser Neuerungen wieder rückgängig gemacht. 13 Die unterschiedlichen Organisationsformen glichen sich zwischen 1815 und 1 8 5 0 dem preußischen Universitätsmodell mehr und mehr an. Wichtiger noch als die neuhumanistische Fundierung war fxir die Emanzipation der Philosophischen Fakultät und für ihre Gleichstellung mit den anderen Fakultäten langfristig der Aufstieg der Philosophischen Fakultät zur Berufsfakultät. Gerade dieser Tatbestand wird bis heute nicht genügend beachtet. Mit der Professionalisierung der Gymnasiallehrerbildung wuchs den Philosophen ein eigener Berufsstand zu, den sie allein ausbildeten. 14 Ein erster wesentlicher Schritt auf diesem Weg war die Einführung der Lehramtsprüfung, das >Examen pro facultate docendi< (z.B. in Preußen und Schleswig-Holstein 1810, Bayern 1 8 3 6 , Sachsen 1843). Dieser Berechtigungsnachweis für den Eintritt in den höheren Schuldienst führte langfristig zur Verdrängung der Theologen, die traditionell für das Schulwesen zuständig gewesen waren, und zur Herausbildung eines Philologenstandes. 15 Der zweite wesentliche Schritt folgte mit der Normierung der Bildungsgänge durch die Festlegung des Abiturs als Zulassungsvoraussetzung zum Studium (z.B. Preußen 1 7 8 8 / 1 8 1 2 , Schleswig-Holstein 1814, Kurhessen 1 8 2 0 , Baden 1823, Sachsen 1 8 2 9 , Hannover 1830). 1 6 Der Weg zu einer Monopolstellung der Philologen im höheren Schuldienst und der damit einhergehenden Emanzipation der Philosophischen Fakultät war jedoch länger, als es die Daten der Verordnungen glauben machen. 17 Noch Anfang der vierziger Jahre schrieb J. G. Hoffmann über die Verhältnisse in Preußen: »Ein großer Theil Derjenigen, welche jetzt in den Gymnasien klassische Litteratur, oder an den höheren Bürgerschulen Naturwissenschaften lehren, war in den Universitäten den Studirenden der Theologie und der Medizin beigezählt ... Wenn auch noch fortwährend Kandidaten der Theologie in Schulämter ... eintreten, so wächst doch fortwährend die Zahl Derjenigen, welche sich gleich beim Eintritte zur Universität dem Lehrerstande in den höheren Bildungsanstalten ... widmen.« 18 Die Gymnasiallehrerausbildung und mit ihr die Philosophischen Fakultäten entwickelten sich wegen der territorialen Vielfalt unterschiedlich. Abweichungen bestanden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts im wesendichen zwischen den Philosophischen Fakultäten der überwiegend katholischen
14
Hohen Schulen im Süden und denen der zumeist protestantischen Universitäten im Norden. Im >katholischen Modells das auch eine Reihe protestantischer Universitäten außerhalb Preußens beibehielt, standen die Philosophischen Fakultäten noch weitgehend in der alten Tradition der Artistenfakultäten. Wie ehedem hatten sie in einem ein- oder zweijährigen Pflichtstudium allgemeinbildende Kenntnisse auf schulischem Niveau zu vermitteln und auf das Fachstudium in den Berufsfakultäten vorzubereiten. Das Propädeutikum konnte in Bayern und Österreich auch an den Lyzeen absolviert werden, die als >Halb-Universitäten< Studienkurse in Philosophie und Theologie anboten und ihren Standort zwischen Gymnasien und Universitäten hatten. Die Übernahme des preußischen Modells, d.h. die strikte Trennung zwischen Gymnasium und Universität, leitete den Aufstieg der Philosophischen Fakultäten ein und beschränkte die Lyzeen im wesentlichen auf die Priesterausbildung. In Bayern hielten sich die älteren Verhältnisse nach einer kurzen Reformphase von 1827 bis 1838 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Nachweis von Pflichtkursen in der Philosophischen Fakultät mußte von den bayerischen Staatsexamenskandidaten noch bis 1913 erbracht werden. 19 An den norddeutschen, vorwiegend protestantischen Hochschulen hatte dagegen der Emanzipationsprozeß der Philosophischen Fakultät bereits im 18. Jahrhundert durch die von Halle und Göttingen eingeleiteten Reformen eingesetzt. Die Studenten mußten nicht erst die Philosophische Fakultät durchlaufen, sondern konnten sich gleich in den höheren Fakultäten immatrikulieren. Dies führte zunächst zu einem starken Rückgang in den Studentenzahlen der Philosophischen Fakultäten. Erst mit der allmählichen Etablierung der Gymnasiallehrerausbildung stieg die Frequenz wieder an. Die Entwicklung der Disziplinen und mit ihr der Lehrstühle wurde im 19. Jahrhundert entscheidend von dem gewandelten Verständnis von Wissenschaft: und Wissenschaftlichkeit geprägt. Nach dem traditionellen Wissenschaftsverständnis hatte die Aufgabe der Universität darin bestanden, einen festen, vorgegebenen Lehrbestand an Wissen von Generation zu Generation zu überliefern. Dieser statische Wissenschaftsbegriff wurde von einem dynamischen abgelöst. Wissenschaft wurde zu einem auf die Suche nach >Wahrheit< und >Erkenntnis< gerichteten offenen System von immer neuen Fragen und Antworten. 20 Humboldt definierte diesen neuen Wissenschaftsbegriff »als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes«. Daher ist es »ferner eine Eigenthümlichkeit der höheren wissenschaftlichen Anstalten, dass sie die Wissenschaft immer als ein noch nicht ganz gelöstes Problem behandeln und daher immer im Forschen bleiben«. 21 In der Folge führte der Wandel im Wissenschaftsverständnis von der >Einheit< der Wissenschaft fort und hin zu einer Spezialisierung sowie Aufsplitterung der Fächer in immer weitere Einzelwissenschaften.
15
An dieser Stelle setzt die Untersuchung zur Entwicklung der Lehrstühle an. Die stete Vermehrung des Wissens und die Ausdifferenzierung der Wissenschaften22 zog institutionell eine Auf- und Abspaltung in immer weitere Teilbereiche nach sich. Während zuvor das gesamte Stoffgebiet eines Fachs, zum Teil auch mehrerer Fächer noch von einer Person bewältigt und gelehrt werden konnte, machte die fortschreitende Ausweitung des Wissens zusätzliche Dozenten notwendig, die ihrerseits durch weitere Forschungen das Wissen potenzierten. Als Folge kam es vornehmlich in der Philosophischen Fakultät, die weitgehend der Initiator dieses wissenschaftlichen Prozesses war, im 19. Jahrhundert zu einer Expansion des Lehrkörpers und der Lehrstühle. Die gleiche Entwicklung vollzog sich in der Medizinischen Fakultät, die besonders vom Aufschwung der Naturwissenschaften profitierte. Juristen und Theologen waren von dem institutionellen Ausbau weitaus weniger betroffen. In diesen beiden Fakultäten wurde die Anhäufung des Wissens durch eine Ausdifferenzierung der Einzelfächer verarbeitet.23 Bei der Gründung neuer Lehrstühle, die den vorläufigen Endpunkt in der Etablierung neuer Fächer darstellen, gab es an den einzelnen Universitäten des 19. Jahrhunderts erhebliche zeitliche Unterschiede. So entschieden die Zahl der Studenten, die finanziellen Verhältnisse des Trägerstaates und die Bedeutung, die man seiner jeweiligen Hochschule beimaß, über den großzügigen oder bescheidenen, den frühen oder späten Ausbau der Fakultäten. Insgesamt konnte man immer weniger hinter einer Mindestausstattung an Lehrstühlen zurückbleiben, so daß die Vertretung bestimmter Fächer zum Ende des Jahrhunderts auch fur die geringer dotierten, meist kleinen Universitäten quasi obligatorisch wurde. In den Anträgen, welche die Fakultäten an die Regierung zwecks Errichtung eines Lehrstuhls fur ein neues Fach richteten, werden im wesentlichen drei Gründe genannt: Zum einen überfordere die zunehmende Spezialisierung den Vertreter des Mutterfachs, weiterhin das Gesamtgebiet zu übernehmen. Zum zweiten sei das neue Fach den anderen Disziplinen, die bereits im Ordinarienrang vertreten sind, an Wissenschaftlichkeit ebenbürtig. Drittens verwies man auf bereits bestehende Lehrstühle in diesem Fach an anderen Universitäten mit der Forderung, nicht länger hinter diesen zurückbleiben zu wollen.24 Ferner spielte für die Entwicklung der Lehrstühle und ihre Ausstattung der Wandel im Berufungsverhalten und die dadurch entstandene Konkurrenzsituation zwischen den Universitäten eine überaus wichtige Rolle. Mit der Erteilung von Rufen an Dozenten auswärtiger Universitäten wurden auch Berufungsverhandlungen notwendig. Nicht selten ergab sich hieraus die Beförderung eines Extraordinarius zum Ordinarius, die Gründung oder Verbesserung von Seminaren und Instituten oder die Einrichtung neuer Planstellen.25 Wollte man zudem aus dem Ordinarienrang berufen, mußte man ebenfalls ein Ordinariat bereitstellen. Auf diese 16
Weise unterstützte die Hinwendung zur leistungsbezogenen Auslese den Ausbau der Fakultäten.26 Die institutionelle Etablierung eines einzelnen neuen Fachs an den jeweiligen Universitäten ist recht gut dokumentiert. Der neuen Disziplin widmeten sich zunächst die Ordinarien der Mutterfächer in sporadischen oder turnusmäßigen Vorlesungen. Nicht selten wurde sie Privatdozenten übertragen. Schließlich erfolgte die Anhebung zum außerplanmäßigen, dann zum planmäßigen Extraordinariat. Der Aufstieg zum etatmäßigen Lehrstuhl führte zum Ende des 19. Jahrhunderts häufig über das persönliche Ordinariat, deren Inhaber bereits mitentscheidungsbefugt an den Fakultätssitzungen teilnehmen konnte. Parallel kam es - in der Regel schon auf der Ebene des Extraordinariats - zur Einrichtung eines selbständigen Seminars oder Instituts.27 So wird auch als Gründungsdatum eines Fachs in der Literatur meist und zurecht die Einrichtung eines etatmäßigen, d.h. im Haushalt vorgesehenen Extraordinariats angegeben. 28 Im folgenden wird allerdings ausschließlich die Errichtung persönlicher und planmäßiger Ordinariate berücksichtigt, denn »erst durch die Errichtung von Lehrstühlen auf Universitäten pflegt ein Studium dauernd gegründet zu werden, und die gehörige Ausbreitung zu erfahren«.29 Mit dem gewandelten Wissenschaftsverständnis im 19. Jahrhundert ging ein Wandel in der Sozialgestalt der Universität einher, dem sich der zweite Teil dieser Studie widmet. An die Stelle des enzyklopädisch gebildeten Gelehrten trat der spezialisierte Wissenschaftler und Forscher,30 wie er die heutige Universität kennzeichnet. Sozialgeschichtlich zeichnet sich dieser Wandel in der Ablösung der alten Familienuniversität durch die Forscheruniversität ab. Während man in der frühen Neuzeit und zum Teil bis in das 19. Jahrhundert hinein in der Regel ein Ordinariat an einer (Landes-) Universität aufgrund der geographischen Herkunft: als Landeskind oder als Abkömmling einer Universitätsfamilie erlangte, wurde nunmehr die individuell erbrachte und von der Wissenschaftlergemeinschaft anerkannte Leistung zum Maßstab fiir die Berufung. Der Wandel von der Familien- zur Leistungsuniversität setzte im 18. Jahrhundert ein und kam im Verlauf des 19. Jahrhunderts weitgehend zum Abschluß.31 Eine Untersuchung zum Berufungswandel am Beispiel der Gießener Hochschullehrer im 19. Jahrhundert, in die alle Fakultäten einbezogen wurden, 32 zeigte, daß die einzelnen Fakultäten und Fächergruppen ihr Berufungsverhalten zeitlich nacheinander änderten. Die sich daraus ergebende Abfolge der Fakultäten stimmte mit ihrer Rangfolge überein, wie sie sich in der frühen Neuzeit herausgebildet hatte. Als erste öffnete sich die Theologische Fakultät der leistungsbezogenen Auslese. Ihr folgten zunächst die Juristen und anschließend die Mediziner. Die Philosophen wandelten ihr Berufungsverhalten als letzte unter den traditionellen Fakultäten. Insofern 17
wurde die überkommene Hierarchie der Fakultäten auch im Hinblick auf den Berufungswandel im 19. Jahrhundert gewahrt. Der Berufungswandel führte zu einer den gesamten deutschen Sprachraum umfassenden leistungsbezogenen Auslese der Professoren. Die Universitäten wurden Teil eines Universitätssystems, das auf einem Geben und Nehmen zwischen den Universitäten basierte und den einzelnen Hochschulen eine bestimmte Funktion und einen bestimmten Platz zuwies. Es entstand ein System von Einstiegs-, Aufstiegs- und Endstationsuniversitäten. Jede Universität läßt sich aufgrund ihrer Berufungschancen einer dieser drei Typen zuordnen. Die heutigen Bewertungskriterien zur Messung wissenschaftlicher Leistung, die von amerikanischen Ranking-Experten entwickelt wurden, beziehen sich im wesentlichen auf die Publikationstätigkeit, die Zitierhäufigkeit und die Höhe der Drittmittelprojekte und -summen der einzelnen Forscher, ferner auf die Schärfe der Eingangsvoraussetzungen zum Studium an den Universitäten.33 Diese Merkmale, die sich ausschließlich auf eine Leistungsanalyse beziehen, lassen sich aus quellentechnischen Gründen nur begrenzt auf den Lehrkörper des 19. Jahrhunderts anwenden. Zwar wäre eine Auswertung der Publikationslisten und der Zitierhäufigkeit auch für sämtliche Hochschullehrer des 19. Jahrhunderts durchführbar. 34 Sie erscheint aber weniger lohnend, weil sie vorrangig auf ein Professorenranking und erst in zweiter Linie auf ein Universitätsranking abstellt und die Beziehungen zwischen den Universitäten kaum deutlich werden läßt. Daher ist es aussichtsreicher, statt dieser >horizontalen< Kriterien zur Messung von Forschungsleistungen >vertikale< heranzuziehen. Da wir es bei der Hochschullehrerschaft des 19. Jahrhunderts mit abgeschlossenen Karrieren zu tun haben, können die gesamten Werdegänge verfolgt und allgemeine, >vertikale< Verhaltensweisen herausfiltriert werden. Vergleichbare Untersuchungen, die sich mit der Lehrstuhlentwicklung, dem Berufungswandel und dem Universitätssystem der Universität des 19. Jahrhunderts auf sozialgeschichtlicher Grundlage beschäftigen, liegen bisher weder für die Philosophische Fakultät noch für eine andere Fakultät vor. Den Einzelthemen wurde hingegen in einer Reihe von Arbeiten nachgegangen. 35 Über die Entwicklung der Lehrstühle in der Philosophischen Fakultät sind in erster Linie Darstellungen zu einzelnen Fächern an den jeweiligen Universitäten erschienen. Sie sind häufig in Jubiläums- und Festschriften der Universitäten und ihrer Seminare und Institute zusammengefaßt. Ferner gibt es eine Reihe von Monographien, die sich mit der Entwicklung einzelner Hochschulfächer an den deutschen bzw. deutschsprachigen Universitäten beschäftigen.36 Ein Gesamtüberblick über die Lehrstuhlentwicklung der Philosophischen Fakultäten an den deutschsprachigen Hochschu18
len - wie er bereits fur die Medizinischen Fakultäten im 19. Jahrhundert mit der Habilitationsschrift von Eulner vorliegt37 - wurde noch nicht erarbeitet. Die sozialgeschichtliche Dimension der Universitätsentwicklung im 19. Jahrhundert hat auf der Ebene des Lehrkörpers in der bisherigen Forschung wenig Beachtung gefunden. Der Frage nach dem Berufungswandel wurde bisher nur am Beipiel der Gießener Universität nachgegangen. 38 Anknüpfungspunkte enthalten die älteren Arbeiten von Eulenburg, Ferber und Lossen. Eulenburg untersuchte in seiner bereits 1908 erschienenen Arbeit alle Privatdozenten und Extraordinarien, die im Jahr 1907 an den deutschen und österreichischen Universitäten lehrten, und ging dabei vereinzelt auch auf die Ordinarien ein. Ein zeitlicher Vergleich wurde jedoch nicht vorgenommen. 39 In der 1956 von Ferber vorgelegten Untersuchung zum Lehrkörper der deutschen Universitäten von 1864 bis 1954 wurde ein sehr umfangreiches Datenmaterial erfaßt und ausgewertet. Allerdings unterschied Ferber in der Studie kaum zwischen den einzelnen Hochschulen. 40 Darüber hinaus ist besonders auf die Arbeit von Wilhelm Lossen hinzuweisen, die in der bisherigen sozialgeschichtlichen Forschung zur Hochschullehrerschaft wenig Beachtung gefunden hat. 41 Lossen beschäftigte sich außer mit der Konfession der Dozenten auch mit ihrer geographischen Herkunft und ihren Karriereverläufen und stellte in zahlreichen Tabellen wichtiges Material zusammen. Darüber hinaus liegen für einige Universitäten Einzelstudien in recht unterschiedlicher Ausführlichkeit und Zielsetzung zur Herkunft: und/oder zum Karriereverlauf der Hochschullehrer vor. Erschienen sind bislang Untersuchungen über die Dozenten der Universitäten in Freiburg,42 Heidelberg, 43 Marburg, 44 München, 45 Tübingen 46 sowie zum Lehrkörper der Technischen Hochschule in Berlin.47 Wesendich weitreichendere Analysen als zum Lehrkörper wurden in der bisherigen Forschung zur Studentenschaft des 19. Jahrhunderts durchgeführt. Neben den älteren statistischen Erhebungen von Conrad, 48 Rienhardt 49 und Petersilie50 sowie den jüngeren Untersuchungen von Jarausch sind vor allem die Arbeiten von Titze zu nennen, die auf der Auswertung von rund drei Millionen Daten basieren.51 In diesem Zusammenhang ist auf das von Jarausch anhand seiner Untersuchungen über Studenten entwickelte Schichtungsschema für die väterlichen Berufe hinzuweisen,52 das sich allmählich durchzusetzen scheint und damit den Vergleich zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen im 18. und 19. Jahrhundert erheblich erleichtert. 53 Wie wenig über die Rangfolge der Hochschulen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert bis heute bekannt ist, verdeutlich eine Prestigeskala in einer Arbeit der achtziger Jahre. Danach habe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Berlin den ersten Rang eingenommen, gefolgt von Göttin19
gen, Jena, Heidelberg und München. 54 Umfassende Untersuchungen zum Universitätssystem und zur Rangfolgeordnung der Universitäten des 19. Jahrhunderts sind bisher nicht erschienen. Zwar wird gelegendich darauf hingewiesen, daß die Berufung auf einen Lehrstuhl an einer kleinen Universität in der Regel am Anfang der Hochschullehrerkarriere stand und von dort der Weg zu den größeren Universitäten des Reiches führte. 55 Im allgemeinen sind aber die Mechanismen, nach denen das Universitätssystem funktionierte, das sich nach dem Berufungswandel herausbildete, in der Forschung unbeachtet geblieben. Erste Versuche zur Einordnung einer einzelnen Universität liegen für Heidelberg vor.56 Darüber hinaus haben sich die Universitätsstatistiker des späten 19. und beginnenden 2 0 . Jahrhunderts, Laspeyres57 und Eulenburg, 58 mit der Altersstruktur und dem Wechsel der Professoren an den einzelnen Universitäten beschäftigt. Dabei hat sich Laspeyres offenbar als einer der ersten mit den Zusammenhängen zwischen Studentenfrequenz, Wechsel und Alter der Dozenten an den Universitäten und ihren Fakultäten auseinandergesetzt. Beide kamen zu dem Ergebnis, daß es eine Unterscheidung zwischen >sehr jungenziemlich jungenziemlich alten< und >sehr alten< Universitäten gibt, 59 wobei die Professoren der kleineren und >jüngeren< Hochschulen häufiger, die der großen und >älteren< seltener an andere Universitäten wechselten. In diesen Arbeiten wurde zwar auf eine bestehende Rangfolgeordnung der Universitäten hingewiesen, auf Beziehungssysteme zwischen den Universitäten jedoch nicht eingegangen. Die Wandlungsprozesse der Universitäten bzw. ihrer Philosophischen Fakultäten werden im folgenden mittels der Methode der kollektiven Biographie analysiert. Dabei geht es um die empirische, insbesondere quantitative Erforschung einer Personengruppe - in diesem Fall um die Geistes- und Naturwissenschaftler an den Universitäten des 19. und beginnenden 2 0 . Jahrhunderts - , deren individuelle Lebensläufe vergleichend untersucht werden. Im Mittelpunkt steht der Versuch, über quantitative Analysen im zeidichen Vergleich Einsichten in grundlegende Strukturen zu gewinnen. In der herkömmlichen Wissenschaftsgeschichte steht vielfach noch immer die einzelne Person und ihr Werk im Vordergrund, wobei den Protagonisten besondere Beachtung geschenkt wird, ohne das >Normale< der Zeit bestimmen zu können. Demgegenüber ermöglicht der Vergleich der Lebensläufe über längere Zeiträume hinweg, das Typische bzw. Allgemeine ebenso wie das Individuelle bzw. Besondere herauszustellen. 60 Als Indikatoren der untersuchten Prozesse werden sämdiche Sozialdaten zur Herkunft und zum Lebenslauf der Hochschullehrer herangezogen. Die Lehrstuhlentwicklung der Philosophischen Fakultät ist noch weitgehend unerforscht. Deshalb richtet sich eine zentrale Frage darauf, welche Universität bzw. welche Universitäten den Spezialisierungs- und Differen-
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zierungsprozeß anführte bzw. anführten, und - soweit dies hier möglich ist - welche Universitäten zuerst neue Lehrstühle für junge Fächer gründeten. Für die Lehrstuhlentwicklung werden die Amtszeiten, d.h. die Ein- und Austrittsdaten der Ordinarien in den Professuren der jeweiligen Hochschule in ein Lehrstuhlschema eingeordnet. Auf diese Weise lassen sich zum einen die Gründungsdaten der Lehrstühle ermitteln. Darüber hinaus geben sie Aufschluß über die weitere Entwicklung der Fächergruppen wie etwa über Vakanzen, die Aufgabe oder Wiedereinrichtung eines Lehrstuhls sowie über Fluktuations- und Stagnationsphasen in den einzelnen Fächern. Für den Berufungswandel werden die soziale und geographische Herkunft sowie die wissenschaftlichen Werdegänge der Ordinarien analysiert. Sie zeigen auf, wie und wann sich die sozialen und lokalen Verflechtungen mit der (Landes-) Universität auflösten und die Protektion eigener Nachwuchswissenschaftler endete. Typisch für die Familienuniversität waren die Weitergabe des Lehrstuhls vom Vater an den Sohn oder andere Verwandte des Geschlechts sowie die Bevorzugung der Landeskinder und des eigenen einheimischen wie auswärtigen akademischen Nachwuchses bei der Besetzung der Lehrstühle. Für den Begriff der Universitätsfamilie wird in Anlehnung an Eulers Definition von Gelehrtengeschlechtern festgelegt,61 daß das akademische Lehramt in mehr als zwei Generationen an derselben Universität ausgeübt werden mußte. Neben der direkten Lehrstuhlvererbung vom Vater an den Sohn gilt ebenso die Nachfolge von entfernteren Verwandten. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus jene Mitglieder eines Geschlechts, die zum Privatdozenten oder Extraordinarius aufstiegen, den Rang eines Ordinarius aber nicht erreichten und in außerakademische Berufe abwanderten. Von Bedeutung ist ferner die Verschwägerung mit weiteren Universitätsfamilien über die weibliche Linie des Geschlechts. Kennzeichnend für die Familienuniversität ist schließlich die Kumulation von Lehrstühlen, wie es dem Prototyp des umfassend gebildeten Gelehrten entsprach, ferner der Aufstieg von einer Professur der >niederen< Philosophischen Fakultät zu einem Lehrstuhl der drei >höheren< Fakultäten. Zur Analyse des Universitätssystems wird insbesondere die Abfolge der Universitäten untersucht, an denen die Professoren im Ordinarienrang nacheinander tätig waren.62 Im Unterschied zu einer Rangfolgeordnung nach der Leistungsfähigkeit der Hochschulen stellt diese Untersuchung auf die eher subjektive Einschätzung und das tatsächliche Verhalten der Professoren ab, nach denen eine Rufannahme oder -ablehnung erfolgte. Dabei konnten das Prestige einer Hochschule und ihre Leistungsfähigkeit durchaus zur Deckung gelangen. Hinweise auf den Rang sowie das Beziehungsgeflecht zwischen den Universitäten geben die Ordinarienberufungen, die der jeweiligen Universität von anderen Universitäten gelangen 21
(Direktberufungen), sowie die Abwanderungen von der jeweiligen Universität an andere Universitäten (Abberufungen). Damit wird zugleich deutlich, zwischen welchen Universitäten ein Austausch stattfand, und - bezogen auf die staadiche Zugehörigkeit - wie sich die preußischen und die nichtpreußischen Universitäten zueinander verhielten. Darüber hinaus wird das Alter bei Antritt des Ordinariats an der jeweiligen Hochschule einbezogen.63 Eine wichtige Rolle spielen zudem die Fächerschwerpunkte an verschiedenen Universitäten. Insbesondere in Preußen kam es zum Ende des 19. Jahrhunderts zu wissenschaftlichen Schwerpunktbildungen: Berlin Altertumswissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kunst; Bonn Niederländische Sprache und Literatur; Göttingen - Mathematik und Physik; Halle - Evangelische Theologie; Breslau - Slawistik; Kiel - Nordistik; Marburg - Historische Hilfswissenschaften, Deutsche Dialektgeographie, experimentelle Therapie und Hygiene;64 sowie an den außerpreußischen Heidelberg - Physik und Chemie seit den sechziger Jahren; Leipzig - Vergleichende Sprachwissenschaft. Einen Zugang zur Abfolge der Universitäten geben die Studentenzahlen, die für die hier behandelten Zusammenhänge von außerordentlicher Wichtigkeit sind. Für das 19. Jahrhundert galt gleichermaßen wie für die vorangehenden Jahrhunderte der Universitätsgeschichte, daß »Existenz und Funktionsfähigkeit, Ansehen und Bedeutung einer Universität zu jeder Zeit von der hinreichenden Zahl der Universitätsbesucher« abhingen. 65 Daß die Frequenz über die Annahme oder die Ablehnung eines Rufes entschied, belegen zahlreiche Äußerungen in den Selbstbiographien. Als Beispiel sei der Botaniker Johannes Reinke genannt, der 1884 seinen Lehrstuhl in Göttingen zugunsten von Kiel aufgab, »obgleich die Berufung eines Göttinger Ordinarius nach Kiel insofern ein ungewöhnlicher Schritt war, als Göttingen damals 1000, Kiel etwa 500 Studenten zählte«.66 Angesichts des umfangreichen Datenmaterials, das für den einzelnen Probanden ermittelt wurde, um für die jeweilige Themenstellung zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen, mußte eine Auswahl verschiedener, in gewissem Sinn exemplarischer Universitäten getroffen werden. Entscheidend für die Auswahl waren zum einen die Studentenfrequenz und zum zweiten die territoriale Zugehörigkeit der Hochschulen. Es wurden jeweils zwei große, mittelgroße und kleine Universitäten preußischer und nichtpreußischer Territorien gegenübergestellt. Bei den außerpreußischen Universitäten war es zudem zweckmäßig, Hochschulen verschiedener deutscher Länder auszuwählen. Dadurch konnten territoriale Eigenheiten gegenüber dem homogenen, zentral gelenkten Wissenschaftsressort in Preußen, das seit 1866 knapp die Hälfte der deutschen Universitäten verwaltete, berücksichtigt werden. An der Spitze der Universitätslandschaft standen nach der Frequenz 67 die 22
drei Großuniversitäten in Berlin (Preußen), München (Bayern) und Leipzig (Sachsen). Zu den mittelgroßen Universitäten zählten auf preußischer Seite Bonn, Halle, Breslau und seit 1866 Göttingen. Auf nichtpreußischer Seite waren es die badische Universität in Heidelberg, die bayerische Universität in Würzburg, die württembergische in Tübingen und die 1872 wiedereröffnete Universität in Straßburg. Alle weiteren neun Universitäten waren kleinere Anstalten, so die preußischen in Königsberg und Greifswald und die 1866/67 an Preußen gefallenen Hochschulen in Marburg und Kiel. Von den außerpreußischen gehörten zu den kleineren die badische Universität in Freiburg, die bayerische in Erlangen, die thüringische in Jena, die hessendarmstädtische in Gießen und die mecklenburg-schwerinsche in Rostock. Von ihrer territorialen Zugehörigkeit her gliederte sich die Universitätslandschaft seit 1872 in neun preußische, drei bayerische, zwei badische und fünf Universitäten verschiedener Bundesstaaten sowie die Reichsuniversität Straßburg. 68 In den Jahren 1902/14 kamen die beiden Universitäten in Münster und Frankfurt/Main hinzu, die ftir die hier behandelten Zusammenhänge jedoch kaum oder nicht mehr von Bedeutung sind. Aufgrund dieser Vorgaben fiel die Wahl auf die Universitäten in Berlin, München, Göttingen, Heidelberg, Kiel und Gießen. Damit stehen sich jeweils Universitäten mit etwa vergleichbarer Frequenzstärke und preußisch/ nichtpreußischer territorialer Zugehörigkeit gegenüber. Zweiergruppen bilden Berlin und München, Göttingen und Heidelberg sowie Kiel und Gießen. Die Berliner Universität war nicht nur die größte des späteren Kaiserreichs, sie gilt auch als Wegbereiterin fur den wissenschaftlichen Aufstieg der deutschen Hochschulen im 19. Jahrhundert, so daß man zum Ende des Jahrhunderts von der »Weltgeltung deutscher Wissenschaft« sprach.69 An Berlin sollen sich die anderen Hochschulen angeblich orientiert haben. Inwiefern ihre schon seit der Gründung im Jahr 1810 zum Mythos gewordene wissenschaftsgeschichtliche Führungsrolle an sozialgeschichtlichen Tatbeständen Rückhalt findet, wird die Untersuchung zeigen.70 Berlin belegte sowohl nach der Gesamtfrequenz als auch nach der Frequenz in den geistesund naturwissenschaftlichen Fächergruppen den ersten Platz unter den Universitäten des späteren Deutschen Reiches. Zeitweise wurde die Universität jedoch von anderen Hochschulen übertroffen, so zunächst von Göttingen bis zur Mitte der zwanziger Jahre.71 Bis Ende der fünfziger Jahre wechselte sie sich mit der 1826 eröffneten Universität in München in der Führung ab, wobei München Berlin meistens überflügelte. Nachdem Berlin dann kurzzeitig in den siebziger Jahren von der dritten Großuniversität in Leipzig überholt worden war, nahm sie seit dem Ende der siebziger Jahre in beiden Fächergruppen fast unangefochten den ersten Rang ein. Bis über die Jahrhundertwende hinaus war der Abstand Berlins zu ihren unmittelbaren 23
Nachfolgerinnen beträchtlich. Die Studentenzahlen lagen in den Naturund Geisteswissenschaften etwa doppelt so hoch wie in den Fächergruppen der jeweils nachfolgenden Universitäten. Bis 1 9 1 4 verringerte sich dieser Abstand in den Naturwissenschaften auf ein Drittel. In den Geisteswissenschaften wurde Berlin wieder wenige Male von München überholt. Zusammen mit Leipzig rückten die drei Großuniversitäten seit Beginn des 20. Jahrhunderts näher zusammen und bildeten ein starkes Spitzenfeld, das sich deutlich von den übrigen Universitäten absetzte. 72 Die drittgrößte Universität des 19. Jahrhunderts in München bildete nicht nur geographisch gesehen einen Gegenpol zu Berlin. Die Hochschule war zugleich der Kristallisationspunkt des bayerischen Hochschulwesens und die bedeutendste unter den wenigen katholischen Universitäten. Sie wurde 1472 in Ingolstadt gegründet, im Jahr 1 8 0 0 zunächst nach Landshut und 1 8 2 6 nach München verlegt. Mit beiden Verlegungen gingen Reformen in der Verfassungs- und Lehrkörperstruktur einher, so daß es sich beide Male im Grunde um Neueröffnungen handelte. 73 Die Entwicklung der Universität wurde bis weit in das 19. Jahrhundert hinein entscheidend von den Landesherren mitgeprägt. Erst seit den sechziger Jahren trat ihr Einfluß zurück. Zäsuren bestanden bis dahin jeweils mit Beginn und Ende der Regierungszeiten der bayerischen Monarchen. So wirkte sich die von Maximilian II. ( 1 8 4 8 - 1 8 6 4 ) betriebene Triaspolitik, nach der Bayern als dritte politische Kraft den Dualismus zwischen Preußen und Österreich zu neutralisieren versuchte, bis in den Hochschulbereich hinein aus. München wurde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zum dritten Wissenschaftszentrum zwischen Berlin und Wien ausgebaut. Obwohl man gerade, was die Philosophische Fakultät betraf, dem österreichischen, katholischen Universitätsmodell nahestand, lehnte man sich früher als die österreichischen Hohen Schulen an das preußische Vorbild an. München verfugte bis Ende der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts häufiger als Berlin über die größte Philosophische Fakultät. Anschließend fiel München sowohl in den Geistesais auch in den Naturwissenschaften auf den dritten, zeitweise auf den vierten Platz zurück. Während die Naturwissenschaften weiterhin bis 1914 die Plätze zwei bis vier belegten, behauptete die Universität in den Geisteswissenschaften seit den neunziger Jahren den zweiten Platz und übernahm einige Male die Führung. 74 Von den beiden Reformuniversitäten des endenden 17. und des 18. Jahrhunderts in Halle und Göttingen wurde Göttingen als die einflußreichere von beiden in die Untersuchung einbezogen. 75 Göttingen überstand den Übergang zum 19. Jahrhundert im Unterschied zu Halle zudem ohne größere Zäsuren. Es wird zu überprüfen sein, inwiefern sich die reformerischen Strukturen des 18. Jahrhunderts noch im 19. Jahrhundert abzeichneten und wie sich diese im Vergleich zu Berlin gestalteten. Von besonderer Be-
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deutung war fur Göttingen und ebenso für Kiel und Marburg der Übergang an Preußen in den Jahren 1 8 6 6 / 6 7 . Während Göttingen zuvor die einzige und besonders geförderte Hochschule des Königreichs Hannover gewesen war, wurde sie nach der Annektion eine Universität unter mehreren. Wie sich dieser Einschnitt für den Fortgang der Hochschule auswirkte, wird mehrfach Thema der Untersuchung sein.76 Göttingen war in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts die größte unter den später reichsdeutschen Universitäten und wurde in der Mitte der zwanziger Jahre von Berlin überholt. Seit den dreißiger Jahren sank die Georgia Augusta zu einer mittelgroßen Universität ab. Bis 1 8 6 6 pendelte sich die Philosophische Fakultät auf dem sechsten Platz ein. Zwischen 1 8 6 6 und 1914 bewegte sich die geisteswissenschaftliche Fächergruppe ihrer Frequenz nach zwischen dem fünften und dem zwölften Rang. Sie lag zunächst bis in die achtziger Jahre hinein auf dem fünften bzw. sechsten Rang, fiel dann bis zur Mitte der neunziger Jahre auf den zwölften Rang zurück und holte nach der Jahrhundertwende wieder auf (zeitweise Platz 5). Ähnlich entwickelte sich die Frequenz in den Naturwissenschaften. Hier lag Göttingen bis in die achtziger Jahre hinein auf dem dritten bzw. vierten Rang, fiel bis in die neunziger Jahre auf den achten zurück und rückte seit der Jahrhundertwende wieder vor. Um 1914 hatten die Göttinger Naturwissenschaften die zweithöchste Frequenz hinter Berlin. 77 Die 1 3 8 6 vom Pfalzgrafen bei Rhein gegründete Universität in Heidelberg war die älteste des deutschen Kaiserreichs von 1871. Im Zuge der territorialen Umgestaltungen fiel sie 1803 an Baden, das schon zwei Jahre später mit den vorderösterreichischen Besitzungen im Breisgau auch die Universität Freiburg übernahm. Damit trat das junge Großherzogtum, das zuvor über keine Hochschule verfügte hatte, das Erbe von gleich zwei Universitäten an. Für die Rüper to Carola machten vor allem ihre desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse durchgreifende Reformen notwendig, die sich darüber hinaus auf die Verfassungsstruktur und den Lehrkörper ausdehnten. 78 Im Lauf des Jahrhunderts wurde die finanziell großzügig geförderte Hochschule zur überregionalen Universität ausgebaut. 79 Daneben übernahm die Hochschule in Freiburg die Funktion der (katholischen) Landesuniversität. Wie sich Reform und Überregionalität für Heidelberg auswirkten und welche Rolle sie gegenüber den anderen nichtpreußischen Universitäten einnahm, wird zu erörtern sein. Die Heidelberger Universität war stets etwas kleiner als die Göttinger Hochschule. Bis 1 8 6 6 schwankte die Philosophische Fakultät in Heidelberg zwischen dem neunten und dem 14. Platz. Nach 1 8 6 6 lagen die Geistes- und Naturwissenschaften ihrer Frequenz nach durchschnittlich an achter Stelle. In den Geisteswissenschaften ging Heidelberg der Georgia Augusta unmittelbar voran. Die naturwissenschaftliche Fächergruppe in Göttingen war hingegen deutlich größer als 25
jene in Heidelberg. Die Distanz vergrößerte sich vor allem in den siebziger Jahren, als die Heidelberger Naturwissenschaften vom achten Rang auf den fünfzehnten zurückfielen. Erst zum Ende der achtziger Jahre erholte sich die Fächergruppe und rückte auf den vierten Platz vor, fiel zum Ende des Zeitraums aber erneut auf den 13. Rang zurück. In den Geisteswissenschaften entwickelten sich die Studentenzahlen seit den achtziger Jahren ebenfalls überproportional und sanken wie dort nach der Jahrhundertwende ab (Rang 10). 8 0 Die wechselvolle Geschichte der 1665 gegründeten Hochschule in Kiel war mit dem Schicksal ihres Trägerstaates, des Herzogtums Schleswig-Holstein· Gottorf, eng verknüpft. Im Jahr 1 7 7 3 fiel sie durch die Vereinigung der Herzogtümer Schleswig und Holstein an Dänemark. Die im Vormärz einsetzenden Unabhängigkeitsbestrebungen der Schleswig-Holsteiner gipfelten in der Erhebung der Jahre 1848 bis 1852, in der sich mehrere Professoren der Universität politisch betätigten. Das Scheitern der Bewegung führte an der Hochschule zu einer Welle von Entlassungen, welche die Philosophische Fakultät besonders hart traf. 81 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, wann die Amtsenthebungen, von denen auch andere Universitäten betroffen waren, ausgeglichen wurden. Mit Göttingen teilte Kiel ferner die Eingliederung in die preußische Hochschullandschaft im Jahr 1 8 6 6 , so daß auch fur Kiel zwischen einer älteren, in diesem Fall schleswig-holsteinischen bzw. dänischen, und einer jüngeren preußischen Epoche zu unterscheiden sein wird. Die Kieler Universität belegte während des gesamten 19. Jahrhunderts ihrer Frequenz nach einen der hinteren Plätze. Vor 1 8 6 6 lag die Philosophische Fakultät fast durchgehend auf dem 17. oder 18. Platz. Auch unter preußischer Führung änderte sich dies bis zur Jahrhundertwende kaum. Die Geisteswissenschaften erlebten nur einmal in den achtziger Jahren einen leichten Aufschwung (Rang 14). Die Naturwissenschaften konnten dagegen ihre Plätze 17 bis 19 bis zur Jahrhundertwende kaum verlassen, holten anschließend aber auf und rückten bis 1914 immerhin auf den neunten Rang vor. 82 Die Ludoviciana in Gießen war wie die Kieler Hochschule als Gründung des konfessionellen Zeitalters ( 1 6 0 7 ) eine typische kleine Landesuniversität. Das große Universitätssterben am Ende des 18. Jahrhunderts überlebte sie wie die Kieler Anstalt ohne größere Zäsuren, und auch an ihr bestanden wie an jener die überkommenen Strukturen bis weit in das 19. Jahrhundert hinein fort. 83 Von großer Bedeutung war für die Entwicklung der Geistesund Naturwissenschaften in Gießen die Amtszeit des Chemikers Justus Liebig, der den Verwissenschaftlichungsprozeß der Naturwissenschaften beschleunigte und dadurch die Entfaltung der Geisteswissenschaften hinauszögerte. Ob der Vorsprung der Naturwissenschaften auf Kosten der Geisteswissenschaften ein Gießener Sonderfall war, wird die Studie klären.
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Ihrer Frequenz nach war die Gießener Hochschule der Kieler überlegen. In der ersten Jahrhunderthälfte führte die Amtszeit Liebigs zu einem Anstieg der Studentenzahlen. Bis Mitte der vierziger Jahre rückte die Philosophische Fakultät auf den fünften Platz vor, während sich die Hochschule nach ihrer Gesamtfrequenz zwischen dem zehnten und dem 13. Rang bewegte. Nach dem Weggang Liebigs im Jahr 1852 >normalisierte< sich die Frequenz binnen weniger Jahre. Die Fakultät fiel auf den elften Platz zurück, wobei die Kameralwissenschaften in Gießen stets einen beträchdichen Studentenanteil hatten. Nach 1 8 6 6 belegten die Gießener Natur- und Geisteswissenschaften durchschnittlich den 15. bzw. 16. Rang. Während die Naturwissenschaften bis 1914 keinen größeren Schwankungen unterworfen waren, erreichten die Geisteswissenschaften in den achtziger Jahren einen Tiefpunkt in der Frequenz (Platz 18). 8 4 Die Geschichte der untersuchten Universitäten macht bereits deuüich, wie vielfältig sich die Universitätslandschaft besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gestaltete. In der Folgezeit verwischten sich die Eigenheiten der Universitäten, die zumeist auf territorialen Besonderheiten basierten, immer mehr. Zwar blieben die meisten Universitäten auch weiterhin Landesuniversitäten, dennoch glichen sich ihre Strukturen einander an. Das lag nicht nur daran, daß man sich im Bildimgsbereich allgemein am preußischen Vorbild orientierte. Darüber hinaus wirkten auch externe Faktoren auf die Hochschullandschaft ein. Um nur auf einen häufig unterschätzten Faktor hinzuweisen, sei der Auf- und Ausbau des Eisenbahnnetzes genannt, der verkehrstechnisch eine bis dahin nicht gekannte Mobilität ermöglichte. 85 Der untersuchte Probandenkreis der sechs Universitäten umfaßt ausschließlich die planmäßigen und persönlichen Ordinarien, da sie allein bis in das 20. Jahrhundert hinein die akademischen Selbstverwaltungsrechte der Universitäten wahrnahmen. Nicht einbezogen wurde der >inoffizielle Lehrkörpen der Privatdozenten und Extraordinarien, ferner die der Philosophischen Fakultät angegliederten Ordinarien der Kameralwissenschaften, da die hierdurch berührten Themen weit über die Zielstellungen dieser Arbeit hinausweisen.86 Im Zeitraum von 1 8 0 3 / 1 8 1 0 / 1 8 1 5 / 1 8 2 6 bis 1914 waren in den Philosophischen Fakultäten der sechs Universitäten in Gießen, Kiel, Heidelberg, Göttingen, München und Berlin insgesamt 6 6 9 Geistes- und Naturwissenschaftler tätig. 4 1 2 Ordinarien lehrten in den geisteswissenschaftlichen, 2 5 7 in den naturwissenschaftlichen Fächergruppen. 87 Davon wirkten 56 Geisteswissenschaftler und 2 3 Naturwissenschaftler an zwei oder drei der sechs Universitäten. Das Verhältnis zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern lag bei 1 : 1,59. 8 8 Da die sechs Universitäten in etwa repräsentativ für die gesamte deutsche Universitätslandschaft sind, spiegelt dieses Verhältnis an-
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nähernd das Gesamtverhältnis zwischen den Geistes- und Naturwissenschaftlern an den deutschen Universitäten wider. Bezogen auf alle Universitäten des Deutschen Reiches müßte sich die Zahl der geistes- und naturwissenschaftlichen Lehrstuhlinhaber im Zeitraum von 1815 bis 1914 auf rund 2200 Personen belaufen haben. Die Differenz zwischen den größten und den kleinsten Fächergruppen war zum Teil beträchtlich. Beispielsweise lehrten in Gießen im gesamten Zeitraum 57 Geisteswissenschaftler, in Berlin 95; in Heidelberg wirkten 32 Naturwissenschaftler, in Berlin 71. Um den Probandenkreis zu erfassen, wurden die Dozentenverzeichnisse herangezogen, die für fünf der eingehend untersuchten Universitäten vorliegen. Für München, für das bis 1914 kein durchgehender Professorenkatalog vorhanden ist, wurden die von 1872 an berufenen Lehrstuhlinhaber mit Hilfe der Chronik und der Literatur zur Fächerentwicklung eruiert. 89 Darüber hinaus wurden Bonn und Marburg aufgrund ihrer ausführlichen Professorenkataloge in Teile der Untersuchung einbezogen. 90 Ebenso wurden die Professorenkataloge von Jena, die jedoch bereits mit dem Jahr 1908 enden und die Karriereverläufe in lückenhaften Auszügen skizzieren,91 und das Tübinger Dozentenverzeichnis ausgewertet, das nur die für die Amtszeit in Tübingen relevanten Daten enthält.92 Weitere Zusammenstellungen von Dozenten, die hingegen nicht oder nur ergänzend einbezogen wurden, da sie sich auf eine Auswahl von Professoren beschränken oder den Lehrkörper bestimmter Zeiträume umfassen, liegen für die Universität in Leipzig93 sowie die bayerischen Universitäten in Würzburg 94 und Erlangen 95 vor.96 Darüber hinaus existieren Dozentenverzeichnisse über die Fachvertreter der Anglistik97 und der Geschichtswissenschaft,98 die im Zusammenhang mit wissenschafts- und sozialgeschichtlichen Arbeiten zu beiden Disziplinen erschienen sind. Über München hinaus waren auch für die anderen fünf untersuchten Universitäten zum Teil umfassende Recherchen notwendig. Während die Kieler,99 Gießener100 und Heidelberger Dozentenverzeichnisse ausführliche Kurzbiographien enthalten, wurden für Göttingen 101 und Berlin102 sämtliche Sozialdaten erhoben. Ferner wurde die soziale Herkunft der Ordinarien mit Ausnahme der Heidelberger 103 ermittelt. Da der Probandenkreis der Ordinarien sehr gut dokumentiert ist, beschränkte sich die Untersuchung auf die gedruckten biographischen Werke. Angesichts des großen Probandenkreises wurde darauf verzichtet, in die Personalakten der Universitätsarchive einzusehen. Statt dessen wurden die Selbstbiographien, autobiographischen Skizzen und Lebensbilder enger Verwandter sowie der nichtwissenschaftliche Briefwechsel der Geistes- und Naturwissenschaftler einbezogen. 104 Diese interessante Quelle über zum Teil persönliche Stellungnahmen, Einschätzungen und Erlebnisberichte gibt Aufschluß über das Persönlichkeitsprofil und die Selbsteinschätzung, das Wissenschaftsver28
ständnis und die politischen Anschauungen der Professorenschaft jener Zeit. Besonders instruktiv sind die Selbstbiographien für das Universitätssystem, da sehr häufig Einschätzungen der Hochschulen und Hochschulorte sowie Einzelheiten über den Berufungsvorgang mitgeteilt werden. Die Untersuchung beginnt für die älteren, nicht reorganisierten Universitäten in Göttingen und Kiel, Gießen und Marburg mit der Gründung des Deutschen Bundes im Jahr 1815. Für die Universität Heidelberg setzt sie mit ihrer Reorganisation im Jahr 1803 ein, für Berlin und Bonn mit ihrer Gründung 1810 und 1818, für München mit ihrer Wiedereröffnung nach der Übernahme von Landshut 1826. Für alle Universitäten endet die Untersuchung mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Der hundertjährige Zeitraum wurde für das Kapitel zum Berufüngswandel und zur Sozialgeschichte der Ordinarien aus Gründen der Vergleichbarkeit in Zeitabschnitte eingeteilt. Dabei ergab sich der Einschnitt um 1 8 4 7 / 48 zum einen aus der Aufhebung sämdicher vormärzlicher Reglementierungen, die insbesondere das Studium und die Studentenschaft betrafen. Ferner war 1848 von den Nichtordinarien eine Reformdiskussion über die Universitätsverfassung angeregt worden, in der die Problematik der sich wandelnden Universität zum Teil deutlich wurde. 105 Der Einschnitt um 1 8 4 7 / 4 8 war ferner für München bedeutsam, da es in diesen Jahren in Bayern zu einem Herrscherwechsel mit weitreichenden Veränderungen im Bildungsbereich kam. Die Zäsur um 1 8 7 9 / 8 0 war nur für die Gießener Hochschule von Bedeutung. 106 Ansonsten diente sie dazu, den gesamten Zeitraum in drei, zeidich etwa gleich lange Perioden zu unterteilen. Die Ordinarien wurden nach ihrem Antrittsdatum der Professur an der jeweiligen Universität zugeordnet, nicht aber nach dem Zeitpunkt der Annahme des Rufes oder der Berufung in die erste ordentliche Professur.107 Für die Vergleichbarkeit ist diese Vorgehensweise von Bedeutung, da insbesondere die späteren Ordinariengenerationen in der Regel an mehreren Universitäten tätig waren. Viele Professoren der größeren und großen Universitäten waren bei Antritt ihrer Professur bereits seit mehreren Jahren Ordinarien. Nicht selten trennte zwei Ordinarien, die Professuren in Kiel und Berlin antraten, ein Altersunterschied von mehr als 20 Jahren. Dies wird bei den Untersuchungen zur Herkunft der Ordinarien und ihrer wissenschaftlichen Werdegänge zu berücksichtigen sein.
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1. Die Lehrstuhlentwicklung
1 . 1 D i e Geisteswissenschaften An den deutschsprachigen Universitäten bildete sich in den geistes- und naturwissenschaftlichen Fächergruppen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auf der Lehrstuhlebene ein Fächerspektrum heraus, über das um 1 9 1 4 fast alle Hochschulen verfügten. 1 Zu dieser sogenannten Grundausstattung gehörten in den Geisteswissenschaften zunächst die älteren Disziplinen der Philosophie, Klassischen Philologie, 2 Orientalistik 3 und Geschichte. 4 Aus diesen Fächern gingen alle jüngeren geisteswissenschaftlichen Fächer des 19. Jahrhunderts hervor. Von der Altphilologie trennten sich die neueren Philologien Germanistik, 5 Anglistik6 und Romanistik, 7 von der Orientalistik das Sanskrit und die Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft.8 Die Geschichtswissenschaft gliederte sich in Mittlere und Neuere Geschichte, und aus Altphilologie und Geschichtswissenschaft entwickelten sich die Fächer der Alten Geschichte, der Klassischen Archäologie und der Neueren Kunstgeschichte. Bis 1 9 1 4 gründeten fast alle Universitäten Lehrstühle in diesen Wissenschaftszweigen, nur wenige blieben dahinter zurück, und besonders die größeren gingen weit darüber hinaus.
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1.1.1 Die Lehrstuhlentwicklung
an den einzelnen
Universitäten
1.1.1.1 Gießen 9 »Noch weniger Rühmens könnte ich von Gießen machen. Auf dieser noch mehr als Marburg typischen Anfängerstation herrschte zwar menschlich ein frischer, nur etwas burschikoser Umgangston, im übrigen aber war die Kollegenschaft, jung und alt,... zwar von durchschnittlicher Tüchtigkeit, aber nicht mehr. Von Rechts wegen hätte es umgekehrt sein müssen; wenn irgendwo, so hätte man in Gießen und Marburg den künftigen Größen der Wissenschaft begegnen müssen.« Johannes Haller 10
Die geisteswissenschaftliche Fächergruppe der Gießener Ludoviciana entwickelte sich im 19. Jahrhundert im Vergleich zu den anderen Hochschulen dieser Größenordnung eher zögernd, obwohl sie um 1 8 1 5 über eine >normal< zu nennende Ausstattung verfugte. Im wesendichen behinderte der frühe Ausbau der Gießener Naturwissenschaften unter dem Einfluß Justus Liebigs die Entwicklung in den Geisteswissenschaften. Im Jahr 1 8 1 5 zählte die Fächergruppe ein persönliches und vier planmäßige Ordinariate. Bis 1 9 1 4 wuchs sie auf 13 ordentiiche Professuren an; daneben bestand seit 1 9 1 2 ein planmäßiges Extraordinariat für Kunstgeschichte, das 1 9 2 0 in ein Ordinariat umgewandelt wurde. Die Klassische Philologie war 1 8 1 5 mit je einem etat- und außeretatmäßigen Lehrstuhl am stärksten vertreten. Das persönliche Ordinariat hatte man dem später bedeutenden Altphilologen und hessischen Landeskind Friedrich Gottlieb Welcker übertragen. Welcker verließ Gießen schon 1 8 1 6 und nahm einen Ruf nach Göttingen an. 11 Der Lehrstuhl wurde erst 1 8 5 9 außerplanmäßig und 1 8 7 4 planmäßig wiederbesetzt. 12 Ein weiterer altphilologischer Lehrstuhl für griechische und orientalische Sprachen, der seit 1 6 7 0 bestand und bis in das 19. Jahrhundert der alttestamentlichen Forschung in der Theologischen Fakultät gedient hatte, wurde 1 8 9 3 in ein Ordinariat für Vergleichende Indogermanische Sprachwissenschaft umgewandelt. 13 Bereits 1 8 2 4 gründete man einen Lehrstuhl fiir Neuere Sprachen, die in Gießen im Vergleich zu den anderen deutschen Universitäten sehr früh vertreten waren. Danach stagnierte der Ausbau der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe bis in die sechziger Jahre hinein. Erst 1 8 6 7 kam als weiteres planmäßiges Universitätsfach die Germanistik hinzu. In den siebziger Jahren folgten Zweitprofessuren in den traditionellen Fächern Klassische Philologie ( 1 8 7 4 ) , Philosophie ( 1 8 7 6 ) , die mit der Pädagogik verknüpft war,14 und Geschichte ( 1 8 7 8 ) . Die fachliche Trennung in mittelalterliche und neuzeidiche Geschichte ließ noch bis nach der Jahrhundertwende auf sich warten. Erst nach der Angliederung eines planmäßigen Extraordinariats für Alte Geschichte ( 1 9 0 4 ) und dem Freiwerden der ersten 31
Professur (1905) bahnte sich die Gießener Geschichtswissenschaft den Weg in die moderne spezialisierte Wissenschaftlichkeit.15 Zu Beginn der neunziger Jahre kam es - nun relativ spät - zur Untergliederung des Lehrstuhls fur Neuere Sprachen. Zuerst etablierte sich die Romanistik (1891). Die Anglistik hatte größere Anfangsschwierigkeiten zu überwinden und erhielt eineinhalb Dezennien später ein planmäßiges Ordinariat (1908). 16 Weitere Lehrstuhlgründungen, die ebenfalls in die neunziger Jahre und das erste Dezennium des 20. Jahrhunderts fielen, erfolgten 1898 für Archäologie und Kunstgeschichte, die sich 1912 personell als planmäßiges Extraordinariat von der Archäologie trennte, 17 für Alte Geschichte, die 1907 persönliches und 1912 planmäßiges Ordinariat wurde, 18 und schließlich für Semitische Philologie (1908), die aus der Vergleichenden Indogermanischen Sprachwissenschaft hevorging.19 Insgesamt entwickelten sich die Gießener Geisteswissenschaften in zwei Phasen: Bis zum Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts erhielten im wesendichen die traditionellen Fächer Philosophie, Klassische Philologie und Geschichte zusätzliche Lehrstühle. In einer zweiten Gründungswelle von Ordinariaten vor und nach der Wende zum 20. Jahrhundert wurde der Spezialisierung durch Ausgliederung neuer Fachgebiete Rechnung getragen.
1.1.1.2 Kiel20 »Es kam hinzu, daß die meisten der Kieler Professoren und gerade die tüchtigsten in noch jugendlichem Alter standen; denn das kleine abgelegene Kiel war eine Durchgangsuniversität, auf der die Talente in ruhiger Stille ausreiften, um dann, an größere Universitäten berufen, in umfassenderer Weise zu wirken. Begreiflich das die Jugend der Kollegen keine Pedanterie und steife Förmlichkeit aufkommen ließ. So war denn auch die Geselligkeit in den akademischen Kreisen, wie überhaupt in Kiel, von jener Leichtigkeit der Umgangsformen und jener Schlichtheit der Bewirtung ...«. Gustav Droysen21
Die gesamte Kieler Philosophische Fakultät war im Ausgangsjahr 1815 wesentlich bescheidener mit planmäßigen Ordinariaten ausgestattet als die anderen untersuchten Universitäten. Hier lehrten insgesamt nur vier Ordinarien, je zwei in den naturwissenschaftlichen Fächern Mathematik und Astronomie und den später als Geisteswissenschaften bezeichneten Fächern Philosophie und Klassische Philologie. Während die Ausstattung der Kieler Naturwissenschaften für eine kleine Universität in jener Zeit als >normal< gelten konnte, verfügte man in den philologisch-historischen Fächergruppen in Gießen und Marburg zusätzlich über Ordinariate in Orientalistik und Geschichte. Beide Lehrstühle waren in Kiel seit 1772/1812 vakant und wurden erst in den dreißiger Jahren planmäßig wiederbesetzt. 32
Schon 1816 kam in Kiel ein weiterer Philosoph hinzu. Es handelte sich um Johann Erich von Berger, der zusätzlich zu seinem Ordinariat für Astronomie den planmäßigen Lehrstuhl für Philosophie erhielt. Berger wirkte neben Karl Leonhard Reinhold, einem der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit und Wegbereiter der Philosophie Kants. Reinhold wurde von der Universität Jena 1794 abgeworben; man übertrug ihm ein persönliches Ordinariat, das er bis zu seinem Tod im Jahr 1823 bekleidete. 22 Seit den dreißiger Jahren nahm die Fächergruppe eine beschleunigte Entwicklung, so daß Kiel früher als Gießen und etwa zeitgleich mit Marburg um die Wende zum 20. Jahrhundert über die gesamte >Grundausstattung< an Ordinariaten verfugte. Zunächst wurde der seit 1772 verwaiste Lehrstuhl für Orientalistik 1830 wiederbesetzt. 23 Im Jahr 1837 erhielt die 1812 zum Extraordinariat herabgestufte Geschichtswissenschaft erneut einen Vertreter im Ordinarienrang. 24 Damit hatten sich die traditionellen Fächer in Kiel wieder etabliert, aus denen sich die jüngeren Wissenschaftsdisziplinen im Lauf des 19. Jahrhunderts herauslösten und verselbständigten. Bereits 1843 erhielt die Altphilologie eine Zweitprofessur, die mit einem Gelehrten alten Stils, dem >Vater< der Kieler Klassischen Archäologie Peter Wilhelm Forchhammer besetzt wurde. 25 Als Folge der Danisierung Holsteins in den Jahren 1 8 0 6 / 1 0 richtete die dänische Regierung an der Universität eine Dozentur fur Dänische Sprache und Literatur ein, die 1811 als Extraordinariat, zeitweise als Lektorat und von 1 8 4 6 / 5 8 an planmäßig bestand. Die Professur stieß in Schleswig-Holstein zunächst auf Vorbehalte; die Hörerzahl blieb verschwindend gering, auch nachdem die Kieler Universität unter preußischer Führung zum Zentrum für nordische Sprachen ausgebaut worden war.26 Während dieser Lehrstuhl der Danisierung des Landes dienen sollte, gehörten die Ordinarien der Geschichtswissenschaft weitgehend zu den Verfechtern und zum Teil Wortführern der schleswig-holsteinischen Unabhängigkeitsbewegung. Z u m planmäßigen Lehrstuhlinhaber für Geschichte kam 1840 ein weiterer Ordinarius hinzu. Da sich beide Fachvertreter Georg Waitz und Johann Gustav Droysen - in der nationalen Bewegung der Jahre 1848 bis 1851 politisch betätigten, kamen sie 1 8 4 8 / 5 1 ihrer drohenden Amtsenthebung durch die Annahme auswärtiger Rufe zuvor. 27 In der Folge wurde der erste planmäßige Lehrstuhl für zehn Jahre erneut zum Extraordinariat herabgestuft und erst 1858 wieder zum Ordinariat angehoben. 28 Besonders die Phase von 1848 bis zum Übergang SchleswigHolsteins an Preußen im Jahr 1867 war in Kiel durch Generationen politischer Historiker gekennzeichnet. Mit den Namen Dahlmann und Waitz, Droysen und Treitschke verbindet sich aber nicht nur das Bild von nationalen Politikern; sie zählen noch heute zu den bedeutenden Vertretern ihres Fachs. 29 Alle blieben zwar nur kurz in Kiel und kamen anderswo zu größe33
rem Ruhm; dennoch bewies die Kieler Philosophische Fakultät gerade in der Geschichtswissenschaft bei ihren Berufungen außerordendiches Augenmaß, zumal - wenn auch vergeblich - versucht wurde, die ebenfalls namhaften Historiker Wattenbach, Sybel und Giesebrecht zu gewinnen. 30 Die Geschichtswissenschaft wurde 1 8 6 6 mit der Angliederung eines Lehrstuhls für Alte Geschichte 31 weiter ausgebaut. Im Jahr 1 8 9 0 kam ein persönliches Ordinariat für Historische Hilfswissenschaften hinzu, das 1899 etatmäßig wurde und fortan fachlich nicht mehr auf die Hilfswissenschaften beschränkt blieb, sondern wie der erste Lehrstuhl die gesamte mittlere und neuere Geschichte umfaßte. Eine Trennung beider Lehrstühle nach Epochen fand bis 1914 im Unterschied zu Gießen nicht statt. 32 Versuche der Fakultät, planmäßige Extraordinariate für Landesgeschichte ( 1 8 8 1 ) und für Kolonial- und außereuropäische Geschichte ( 1 9 1 1 ) durchzusetzen, scheiterten. 33 Im Jahr 1 8 5 4 erhielt die Fächergruppe gleich zwei neue Professuren. Zum einen kam ein weiterer philosophischer Lehrstuhl hinzu, der in den folgenden 30 Jahren mit einem Pädagogen besetzt wurde. Danach sank die Pädagogik wieder zur Hilfsdisziplin herab und erlangte erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Kiel den Rang eines Ordinariats (1948). 3 4 Zum zweiten war seit 1854 die Germanistik planmäßig vertreten. Der verwandten Literaturgeschichte widmete sich schon seit 1833 bis zu seinem Tod 1 8 8 0 Henning Ratjen, der von Hause aus Jurist war. Als Neuere Deutsche Literaturgeschichte wurde sie dann 1901 als Extraordinariat neubegründet. 35 Da der Anfang der siebziger Jahre berufene Orientalist die Mitbetreuung des Sanskrit ablehnte, sah sich die Universität genötigt, für das Fachgebiet des Sanskrit und der Vergleichenden Sprachwissenschaft eine eigene Professur zu errichten ( 1 8 7 7 ) . Die Vergleichende Sprachwissenschaft verselbständigte sich 1911 als planmäßiges Extraordinariat. 36 Die Neueren Sprachen etablierten sich 1879 unter den Ordinariaten; es handelte sich hierbei um die letzte Gründung einer neuphilologischen Doppelprofessur. Ihr Vertreter widmete sich vorrangig der Romanistik, so daß die Englische Philologie 1 8 8 4 einen eigenen Dozenten erhielt. In den Jahren 1 8 9 9 / 1 9 0 0 wurde das Fach außeretatmäßiges und 1902 etatmäßiges Ordinariat. 37 Als letzte Fächer erhielten bis 1914 die Klassische Archäologie (1895) 3 8 und die Neuere Kunstgeschichte ( 1 9 0 2 ) 3 9 eigene Lehrstühle. Trotz der bescheidenen Ausstattung zu Beginn des 19. Jahrhunderts lehrten um 1 9 1 4 in Kiel 15 Ordinarien in zwölf Fächern, daneben bestanden drei planmäßige Extraordinariate für Altphilologie, Neuere Deutsche Literaturgeschichte und Indogermanistik. Die Lehrstuhlentwicklung verlief im wesentlichen in drei Phasen: Nachdem die verwaisten Lehrstühle für Orientalistik und Geschichte wiederbesetzt worden waren, erhielten zunächst vornehmlich die älteren Fächer
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Zweitprofessuren. Seit den sechziger Jahren und damit früher als in Gießen wurden für die jungen Wissenschaftszweige der >Grundausstattung< planmäßige Ordinariate eingerichtet.
1.1.1.3 Heidelberg 40 »Dieser schöne Fleck Erde wurde für mein weiteres Leben der Schicksalsort. Wiederholt hätte ich später Gelegenheit gehabt, die Universität zu wechseln. Noch 1921 lockte ein Ruf nach Berlin. Ich habe mich nicht losreißen können. Natur und Geist sagten mir hier in gleicher Weise zu. Sicherlich nicht jenes Gemisch von Trinkfreudigkeit, Sentimentalität und Schloßbeleuchtungszauber, das man in der breiten Masse als Altheidelberg preist. Wohl aber der ganz einzige Zusammenklang der feingestimmten Landschaft mit einem gewissen Künstlertum des Geistes, das, hinausgreifend über das rein fachwissenschaftliche Können, zum mindesten seit den Tagen der Romantik auf diesem Boden heimisch gewesen ist, - mit manchen Schwankungen zwar, aber immer erneut durchdringend, jüngst wieder in verstärktem Grade. Dazu bei mäßiger Entwicklung des korporativen Gemeinschaftssinnes reiche Möglichkeiten ebensowohl fur den Zusammenschluß Gleichgesinnter, wie fur die Absonderung Einzelner.« Karl Hampe 4 1
Die Reorganisation der Heidelberger Universität nach dem Übergang an Baden im Jahr 1803 führte nicht nur zur Schaffung einer hinreichenden wirtschaftlichen Grundlage für die Hochschule und zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung, sondern ebenso zu einem weitgehenden Austausch des Lehrkörpers. Auch Heidelberg präsentierte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts als typische Landesuniversität, regiert von Universitätsfamilien. Ihre Mitglieder standen häufig ihrer Herkunft nach dem Lehramt nahe, ließen aber nicht selten die gelehrt-wissenschaftliche Qualifikation vermissen.42 Der leitende Minister der Reform, Sigismund von Reitzenstein, bemühte sich, ältere Professoren in außerakademische Positionen überzuleiten und bedeutende Gelehrte für die Universität zu gewinnen.43 In der gesamten Philosophischen Fakultät beließ man 1803 vier Ordinarien im Amt. In die philologisch-historische Sektion wurden der Metaphysiker Johannes Koch und der Historiker Friedrich Peter Wundt aus alter Heidelberger Universitätsfamilie übernommen. 44 Als Koch bereits 1806 aus dem Lehramt ausschied und eine Pfarrstelle übernahm und Wundt 1808 starb, war der Weg zur generellen Neubesetzung der Professuren frei. Die Berufungen wurden 1804/05 mit den beiden Philosophen Ferdinand Christoph Weisse und dem Nachkantianer Jakob Fries sowie dem bedeutenden Altphilologen und Archäologen Friedrich Creuzer eingeleitet. Alle drei erhielten sogleich Ordinariate, während den anderen Gelehrten der Anfangsgeneration zunächst Extraordinariate übertragen wurden, die man zwei Jahre später in Ordinariate umwandelte. So wurde mit dem Historiker und Orientalisten Friedrich Wilken45 und den beiden Altphilolo35
gen Johann Heinrich Voss und August Boeckh verfahren, 46 dem Begründer der griechischen Altertumswissenschaft und der wissenschaftlichen Epigraphik. Boeckh und Wilken verließen Heidelberg schon 1811 bzw. 1817 zugunsten Berlins. Die philologisch-historische Fächergruppe in Heidelberg erlebte mit dieser Besetzung in dem kurzen Zeitraum von 1803 bis 1809 einen beachtlichen Aufschwung. Man verfugte nunmehr über jeweils zwei philosophische und altphilologische Lehrstühle sowie über Ordinariate in Geschichte, Orientalistik und Archäologie. Als die Berliner Universität 1810 den Lehrbetrieb eröffnete, war ihre Philosophische Fakultät nicht besser ausgestattet. Das großzügige Fächerangebot wurde jedoch in Heidelberg nicht durchgehalten. Zunächst verwaiste nach dem Weggang Boeckhs 1811 der zweite altphilologische Lehrstuhl und wurde von 1842 bis 1847 zeitweise und erst 1863 planmäßig wiederbesetzt. Daneben bestand von 1862 bis 1891 ein dritter Lehrstuhl für Klassische Philologie. Die Orientalistik erhielt zwischen 1817 und 1850 nur kurzzeitig in den zwanziger Jahren wieder einen Vertreter im Ordinarienrang. Und auch der erste Lehrstuhl für Philosophie mußte nach anfänglich zum Teil hervorragenden Vertretern wie Jakob Fries und Georg Wilhelm Friedrich Hegel von Ende der zwanziger bis Anfang der sechziger Jahre längere Vakanzen hinnehmen. Mit Eduard Zeller, Kuno Fischer und Wilhelm Windelband setzte sich dann die Reihe bedeutender Philosophen des 19. Jahrhunderts in Heidelberg fort. 47 Trotz der wissenschaftlichen Blüte fiel der zweite philosophische Lehrstuhl nach dem Tode Reichlin-Meldeggs im Jahre 1877 weg.48 Die Haushaltsmittel des badischen Staates setzen der Wissenschaftsförderung immer wieder Schranken, wobei die Hochschulausgaben pro Kopf der Bevölkerung in Baden weitaus höher lagen als in den anderen deutschen Staaten.49 Kostspielig wurde seit der Jahrhundertmitte neben den Personalausgaben vornehmlich die Ausstattung der medizinischen und naturwissenschaftlichen Institute, wobei stets darauf geachtet wurde, daß beide Fächergruppen der Philosophischen Fakultät etwa gleichmäßig neue Planstellen erhielten. Von anfänglich sechs Ordinariaten des Jahres 1810 blieben bis in die dreißiger Jahre zunächst nur drei in den Fächern Philosophie, Archäologie und Geschichte bestehen. Dafür übernahmen die Naturwissenschaften in dieser Zeit zwei Lehrstühle aus der Medizinischen Fakultät (Zoologie: 1838, Botanik: 1839). In den vierziger Jahren besserte sich die Lage in den Geisteswissenschaften. Die Klassische Philologie erhielt zeitweise einen (1842-1847), die Geschichtswissenschaft gleich zwei weitere etatmäßige Vertreter (1840/49). Für ein knappes Dezennium verfügte man damit sogar über drei historische Lehrstühle. Seit der Berufung Wilhelm Wattenbachs 1861 setzte sich die Aufteilung des Fachgebiets in Mittelalterliche 36
Geschichte einschließlich der Historischen Hilfswissenschaften und in Neuere Geschichte durch. Wie in Kiel so betätigten sich auch die Heidelberger Historiker im Vormärz als Wortführer liberalen und nationalen Gedankenguts. Von Friedrich Christoph Schlosser reichte die Reihe namhafter politischer Geschichtsschreiber über Georg Gervinus, der in Heidelberg kurzzeitig ein Extraordinariat bekleidete und 1837 als einer der >Göttinger Sieben< aus seinem dortigen Ordinariat entlassen wurde, und Ludwig Häusser bis zu Heinrich Treitschke.50 Als nächstes Fach stieg die Germanistik, die als Altdeutsche Sprache und Literatur in Verbindung mit der Universalgeschichte von Franz Joseph Mone schon in den zwanziger Jahren im Ordinarienrang gelehrt worden war, 1852 zum planmäßigen Ordinariat auf.51 Sie wurde zum Ausgangspunkt der späteren Lehrstühle für die Neueren Sprachen. Der Differenzierungsprozeß stagnierte in diesen Fächern über zwei Jahrzehnte hinweg und vollzog sich wegen der angespannten Haushaltslage seit den siebziger Jahren zunächst unterhalb der Lehrstuhlebene. Dem Nachfolger des ersten Vertreters für Deutsche Philologie, dem 1871 berufenen Karl Bartsch, war zwar neben dem Germanistiklehrstuhl zugleich das Ordinariat für Romanistik übertragen worden. Bartsch bemühte sich von Anbeginn seiner Lehrtätigkeit um die Ausgliederung der Neueren Sprachen. Nach wiederholten Anträgen willigte das Ministerium in Karlsruhe 1886 endlich in die Errichtung eines Extraordinariats für Romanistik ein; im Jahr 1890 wurde die Stelle zum Ordinariat angehoben. Schon 1902 spaltete sich die Neuere Romanistik als planmäßiges Extraordinariat ab.52 Langsamer entwickelten sich wie überall die Verhältnisse in der Anglistik. Im Jahr 1874 war erstmals ein Lehrauftrag erteilt worden; seit 1894 bestand ein planmäßiges Extraordinariat, und 1902 setzte die Fakultät die Anhebung zum Ordinariat durch. 53 Daneben erhielt das Fachgebiet des Sanskrit und der Vergleichenden Sprachwissenschaft - mit Ernst Windisch und dem nachfolgenden Ernst Kuhn in glänzender Besetzung - 1872 seine ersten Vertreter im Ordinarienrang. In den neunziger Jahren rückten schließlich die von der Archäologie kommenden Fächer Alte Geschichte (1891) und Kunstgeschichte (1896) zu Ordinariaten auf. Als letztes Fach etablierte sich vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Geographie unter den etatmäßigen Lehrstühlen (1906). In Heidelberg gehörte das Institut im Unterschied zu den meisten anderen Universitäten nicht zur naturwissenschaftlichen, sondern zur philologischhistorischen Sektion.54 Heidelberg hatte um 1914 mit nur 14 Ordinarien in zwölf Fächern einen extrem kleinen planmäßigen Lehrkörper für eine Universität mit einer vergleichbaren Studentenfrequenz. Doppelprofessuren besaßen nur die Klassi37
sehe Philologie und die Geschichtswissenschaft. Naturwissenschaften waren mit einem Minimum stattet. Unter den untersuchten Hochschulen lag dem Heidelberger Lehrkörper zurück (13); selbst Ordinariate als Heidelberg (15).
Auch die Heidelberger an Ordinariaten ausgenur der Gießener hinter Kiel verfugte über mehr
1.1.1.4 Göttingen 55 »Ich brauchte ein Gegengewicht gegen das Gefühl der Selbstgenügsamkeit, das in Göttingen unleugbar vorhanden war und leicht anstecken konnte. Die Universität war dazu in ihren großen Zeiten unter Heyne, Michaelis, Lichtenberg, Schlözer berechtigt gewesen, und nachdem die Krisis von 1 8 3 7 überwunden war, zählte sie eine nicht geringe Anzahl berühmter oder doch namhafter Männer unter ihren Lehrern, wenn auch ihre wirkungsvollen Jahre nun hinter ihr lagen.« Ulrich von Wilamowitz-MoellendorfP 6
In der philologisch-historischen Fächergruppe in Göttingen zeichnete sich die großzügige Ausstattung, die die Universität im 18. Jahrhundert erhalten hatte, noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein ab. 1815 lehrten bereits elf Ordinarien in sieben Fächern; schon 1 8 1 6 kamen zwei weitere klassische Philologen hinzu. Göttingen verfugte hiernach zu Beginn des 19. Jahrhunderts offenbar über den größten philologisch-historischen Lehrkörper unter den deutschen Universitäten. Die Berliner Fächergruppe war um 1815 keineswegs so gut ausgestattet wie die Göttinger. Bis 1 9 1 4 stieg die Zahl der Lehrstuhlinhaber jedoch zögernd auf 2 1 Ordinarien in 15 Fächern an. Damit hatte sich der planmäßige Lehrkörper nur knapp verdoppelt, während er sich in München ausgehend vom Jahr 1 8 2 6 mehr als verdreifachte und in Berlin von 1 8 1 0 an gar verfünffachte. Um 1 8 1 5 / 1 6 lagen in Göttingen die Schwerpunkte eindeutig auf der Philosophie, der Altertums- und der Geschichtswissenschaft. Diese Fächer waren mit jeweils drei Ordinarien großzügig ausgestattet. Alle übrigen Fächer - Orientalistik, Exegese und Bibelwissenschaften sowie die sehr früh, seit 1813 vertretenen Fachgebiete Kunstgeschichte und Deutsche Philologie - waren einfach besetzt. Diese umfassende Ausstattung wurde wie andernorts nicht durchgehalten. Vor allem die jüngeren Fächer der Kunstgeschichte, Deutschen Philologie und der seit 1 8 1 9 im Ordinarienrang vertretenen Romanischen Philologie, aber auch die Orientalistik hatten längere Vakanzen hinzunehmen. So verwaisten die jungen Fächer gleich nach dem Ausscheiden ihrer ersten Vertreter über längere Zeiträume hinweg. Die Etablierung der Kunstgeschichte zog sich am längsten hin. Nach dem Tod des ersten Lehrers Johann Dominicus Fiorillo im Jahr 1821 blieb das Fach zunächst für zwanzig Jahre unbesetzt. Auch nach der Vertretung im Ordinarienrang durch Carl Wilhelm Friedrich Oesterley von 1842 bis 1863 38
wurde der Lehrstuhl fur weitere 30 Jahre zum Extraordinariat zurückgestuft. Im Jahr 1893 etablierte sich die Kunstgeschichte endgültig unter den planmäßigen Ordinariaten. Von einer modernen wissenschaftlichen Behandlung der Kunstgeschichte läßt sich allerdings erst seit den achtziger Jahren sprechen, während sie zuvor noch weitgehend von Künstlern zur Vertiefung der allgemeinen ästhetischen Bildung vermittelt worden war.57 Eher enzyklopädisch-gelehrt und weniger philologisch stellte sich auch die Germanistik unter ihrem ersten Vertreter Georg Friedrich Benecke dar. Bereits in den dreißiger Jahren änderte sich die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung des Fachs grundlegend mit der Berufung der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm ( 1 8 2 9 / 3 1 ) . Durch ihre bahnbrechenden Arbeiten zur deutschen Sprache und Literatur begründeten sie die germanische Altertums- und Sprachwissenschaft und spätere deutsche Philologie. Ihr fruchtbares Wirken endete jedoch schon im Dezember 1837, als sie mit weiteren fünf Professoren als >Göttinger Sieben< aus dem hannoverschen Staatsdienst endassen wurden. Vom Lehramt suspendierte man in der Philosophischen Fakultät ferner Heinrich von Ewald, der als der bedeutendste Orientalist des 19. Jahrhunderts gilt, den Historiker Georg Gervinus und den in der naturwissenschaftlichen Sektion tätigen Physiker Wilhelm Weber. 58 Die Philosophische Fakultät war im Vergleich zu den anderen Fakultäten von der politischen Maßnahme am stärksten betroffen. Nach den Amtsenthebungen blieben alle betroffenen Lehrstühle wie in Kiel über längere Zeiträume vakant. Während Ewald und Weber 1 8 4 8 / 4 9 zurückberufen wurden, folgte auf Gervinus 1848 der bedeutende Mediävist Georg Waitz. Auch Waitz war im Vormärz politisch hervorgetreten; als Befürworter der schleswig-holsteinischen Bewegung tauschte er seine Kieler Professur noch rechtzeitig vor seiner Amtsenthebung gegen eine Göttinger ein. 59 In der Germanistik erhielten die Brüder Grimm, deren Professuren nominell waren, keine eigendichen Nachfolger. Damit war die Germanistik nach einem vielversprechenden Ausbau nun wieder allein auf den älteren Benecke angewiesen. Nach seinem Tod beließ man das Fach für zwölf Jahre als Extraordinariat und berief von 1 8 5 6 an erneut planmäßige Vertreter. Neben dem ersten Ordinariat lehrten zeitweise von 1854 bis 1872 und von 1883 bis 1906 weitere Germanisten im Ordinarienrang. Eine fachliche Trennung erfolgte auf der Lehrstuhlebene jedoch nicht; statt dessen übertrug man das Teilgebiet der Literaturgeschichte Extraordinarien. 60 Auch das dritte junge Fach der Französischen Sprache, deren erster hauptamtlicher Vertreter 1837 verstarb, blieb in der Folgezeit unbesetzt. Es ging 1867 in dem Lehrstuhl für Neuere Sprachen auf.61 Seit 1882 löste sich die Anglistik schrittweise aus der Verbindung mit der Romanistik, zunächst als Extraordinariat und 1888 als Ordinariat. 62 Unter den traditionellen Fächern bildete die Altertumswissenschaft und
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spätere Klassische Philologie sowohl von der Zahl ihrer Lehrstühle als auch vom Renommee der berufenen Lehrer her einen deudichen Schwerpunkt in der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe. Zwar kam es auf dem dritten und dem seit 1831 bestehenden vierten Lehrstuhl mehrfach zu Vakanzen bzw. Rückstufungen zum Extraordinariat, dennoch verfugte Göttingen als einzige der untersuchten Hochschulen um 1914 über vier altphilologische Ordinariate. An der Georgia Augusta wirkten mehrere der bedeutendsten Altphilologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts wie Eduard Schwartz, Richard Reitzenstein und vor allem Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, der sich zugleich erfolgreich als Wissenschaftsorganisator betätigte und später von Friedrich Althoff nach Berlin geholt wurde. 63 Die aus der Altertumswissenschaft hervorgegangenen Disziplinen der Archäologie64 und der Alten Geschichte verselbständigten sich in der Mitte der fünfziger Jahre (1854/56). Wie eng die Fächer dennoch miteinander verbunden blieben, zeigte sich in der Person Karl Diltheys, der noch 1892 von einer Professur für Klassische Philologie auf den Archäologielehrstuhl wechseln konnte. 65 Die Philosophie erhielt neben ihren beiden Lehrstuhlinhabern von 1842 bis 1880 einen weiteren Vertreter, der sich zugleich der Literaturgeschichte widmete. Im Jahr 1906 übertrug man dann dem Extraordinarius für Philosophie Edmund Husserl ein persönliches Ordinariat. 66 Die Ernennung zum Ordinarius wurde Husserl, der später als Begründer der Phänomenologie einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts wurde, »wegen Mangels an wissenschaftlicher Bedeutung« vorenthalten. 67 Husserl ging 1916 nach Freiburg; dort blieb er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1928. Auch ein Ruf nach Berlin vermochte ihn nicht aus Freiburg fortzuholen. Sein Nachfolger wurde sein bekannter Schüler, der fuhrende Vertreter der deutschen Existenzphilosophie, Martin Heidegger. Die Geschichtswissenschaft wurde in Göttingen von dem 1848 berufenen Ranke-Schüler Georg Waitz organisatorisch und wissenschaftlich in moderne Bahnen gelenkt. Seine Verfassungsgeschichte und seine Arbeiten im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica, deren Leitung er 1876 in Berlin übernahm, gelten auch heute noch als grundlegend. 68 Waitz zog einen großen Schülerkreis heran. Alle seine Nachfolger bis 1915 - Julius Weizsäcker, Ludwig Weiland, Paul Kehr und Ernst Steindorff - waren direkte oder indirekte Schüler. Neben die schwerpunktmäßige Mittelalterforschung trat in Göttingen seit 1870 mit Reinhold Pauli auch die Neuere Geschichte. Als drittes historisches Teilgebiet erhielten die Historischen Hilfswissenschaften 1902 ein außeretat-, seit 1910 etatmäßiges Ordinariat.69 Zur sogenannten Grundausstattung zählten ferner die Fächer Sanskrit und Vergleichende Sprachwissenschaft. Sie erlangten 1862 bzw. 1895 den Rang planmäßiger Ordinariate. 70 Über das allgemeine Fächerangebot hin40
aus richtete man in Göttingen bereits 1867 eine Professur fur Ägyptologie ein. Sie war zeitlich nach Berlin die zweite an einer deutschen Universität. Ihr Vertreter, Heinrich Brugsch-Pascha, lebte sich jedoch nur schwer in das Lehramt ein,71 so daß der Lehrstuhl schon 1877 verwaiste und erst 1907 als persönliches und 1912 als planmäßiges Ordinariat wiederbegründet wurde.72 Schließlich verfugte die Georgia Augusta als erste deutsche Universität seit 1886 über einen Lehrstuhl für Bibliothekswissenschaft, der jedoch 1920 nach Berlin verlegt wurde. 73 Der Ausbau der Göttinger geisteswissenschaftlichen Fächergruppe läßt sich mit der Entwicklung in Heidelberg vergleichen, auch wenn Göttingen im Gründungsprozeß der Lehrstühle der Schwester am Neckar zeitlich voranging und stets über einen wesendich größeren Lehrkörper verfügte. Mit Ausnahme der siebziger Jahre, in denen die Geisteswissenschaften keine weiteren Lehrstühle erhielten, verteilten sich die Gründungen seit den vierziger Jahren wie in Heidelberg relaüv gleichmäßig auf die folgenden Dezennien.
1.1.1.5 München 74 »Wirken können Sie in Breslau und auch in München. ... Aber in München ist und bleibt doch eine tiefere und breitere Grundlage katholischen Lebens als in Breslau. U n d in München haben Sie für ganz Bayern Bedeutung, namentlich auch in Rücksicht auf das Sammeln katholischer Kräfte. ... Verpflichtungen gegen Preußen haben Sie nicht; man hat Sie lange genug mißhandelt.« Georg von Hertling 7 5
Mit der Verlegung der Universität von Landshut nach München tauschte man den Lehrkörper der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe weitgehend aus. Nur zwei Ordinarien wurden an die Münchener Universität übernommen. Es handelte sich um den Altphilologen Friedrich Ast und den Historiker Konrad Mannert. Im Jahr 1826 nahm die Münchener geisteswissenschaftliche Fächergruppe den Lehrbetrieb mit sieben Ordinarien auf. Der Lehrkörper bestand aus jeweils zwei Philosophen und Altphilologen und je einem Orientalisten, Historiker und Kunsthistoriker.76 Der kunsthistorische Lehrstuhl verwaiste allerdings schon 1833. Das Fachgebiet betreute dann von 1853 an über vierzig Jahre lang der Ästhetiker und Schwiegersohn Liebigs, Moriz Carriere. Erst 1906 wurde der Lehrstuhl fiir Neuere Kunstgeschichte definitiv neubegründet. 77 In den Jahren 1827/28 kamen zwei weitere Ordinariate fur Geschichte hinzu. Die Geschichtswissenschaft betrieb man in München von Anbeginn in großem Rahmen. Ihren maßgeblichen Aufschwung unter Hinwendung zur methodischen Wissenschaftlichkeit nahm sie unter der Fürsorge König Maximilians II. Er ließ in den 41
fünfziger Jahren, vom Berliner Historiker Leopold von Ranke beraten, eine Reorganisation durch Neuberufungen von Professoren durchführen. 78 Der in dieser Zeit wiederentfachte Disput über die >NordlichterfreieGrundausstattung< vollständig vorhanden. Vor allem die Lehrstuhlgründungen in der Alten Geschichte ( 1 9 0 1 ) und der Neueren Kunstgeschichte ( 1 9 0 6 ) ließen vergleichsweise lange auf sich
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warten. In Berlin war man schon 1861 (Alte Geschichte) und 1873 (Neuere Kunstgeschichte) so weit, an der zweiten Großuniversität Leipzig in den Jahren 1873 (Neuere Kunstgeschichte) und 1886 (Alte Geschichte). 97 Heidelberg ging München in beiden Fächern genau ein Dezennium voran.98 Als Ausgleich fur diese Verzögerungen wies München mehrere Lehrstühle in Fächern auf, die hier erstmals an einer deutschen Universität im Ordinarienrang vertreten waren. Schon um die Jahrhundertwende zählten in München Byzantinistik, Lateinische Philologie des Mittelalters sowie Altchristliche und Klassische Philologie zum planmäßigen Lehrstuhlangebot. Gerade die kleinen Fächer - darunter auch die Ägyptologie - , die nicht im Dienst der Lehrerausbildung standen, verhalfen der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe zu internationalem Ansehen.99
1.1.1.6 Berlin100 »Absolute Intaktheit war Eintrittsbedingung, bloßer Reichtum oder Künstlerruhm befähigte nur zu Gastrollen. Alle Männer waren ungemein fleißig und konnten fast nur abends zu Geselligkeit verfuhrt werden. Die Frauen begannen sich in Vereinen und Klubs zu organisieren. ... Diese Akademikerkreise fühlten sich stark und wohlhabend, lebten vielfach in eigenem Hause und verbrachten die heißen Monate auf dem Lande. Es ging ihnen besser als den Professoren der eben aufkommenden Staatsuniversitäten Englands und der Privatuniversitäten in den Vereinigten Staaten.« Alois Brandl101
Die Philosophische Fakultät in Berlin war im Jahr 1914 die mit Abstand größte unter den Universitäten des deutschsprachigen Raumes. Sie umfaßte in den Natur- und Geisteswissenschaften 50 planmäßige Lehrstuhlinhaber, ungeachtet der zahlreichen Extraordinarien und zahllosen Privatdozenten. Allein in den Geisteswissenschaften bestanden vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges 29 planmäßige Professuren für 19 verschiedene Fächer. Die Sektion war doppelt so groß wie jene an den Hochschulen in Gießen, Marburg, Kiel und auch Heidelberg. München und Göttingen folgten in gemessenem Abstand.102 Als die Universität 1810 gegründet wurde, war die beispiellose Entwicklung, die die Stadt und spätere Hauptstadt Berlin, ihre Hochschule und die dortige Philosophische Fakultät in jenem Jahrhundert nehmen sollte, noch keineswegs abzusehen. Man begann zwar gemäß der neuhumanistischen Bildungskonzeption mit deutlichem Schwerpunkt in den Altertumswissenschaften, aber gemessen an der zentralen Rolle, die die Fakultät fortan spielte, waren das Fächerangebot und die Größe des Lehrkörpers nicht spektakulär, vor allem nicht im Vergleich zur älteren Reformuniversität Göttingen. Im Gründungsjahr 1810 stellte man in der Philosophischen Fakultät zwölf Lehrstuhlinhaber ein, sechs in den philologisch-historischen 44
und fünf in den mathematisch -naturwissenschaftlichen Fächern sowie einen Nationalökonomen. 103 Zur Anfangsgeneration zählten in den philologisch-historischen Wissenschaften ein Philosoph, vier Altertumswissenschaftler und ein Historiker. Schon 1811 kam ein weiterer Philosoph hinzu. Von außerhalb wurden die drei Ordinarien Johann Gottlieb Fichte, Philosoph und vormals Professor in Königsberg, Friedrich August Wolf, Altphilologe und bis zur Schließung der Universität 1806 in Halle tätig, und August Boeckh, ebenfalls Altphilologe aus Heidelberg, berufen. Auswärtige waren auch die beiden Extraordinarien Christian Friedrich Rühs, Historiker aus Greifswald, und der 1811 an die Universität gelangte Philosoph Karl Wilhelm Ferdinand Solger von der im selben Jahr geschlossenen Universität in Frankfurt an der Oder. Von Berliner wissenschaftlichen Einrichtungen kamen der Vertreter für Kunst und Archäologie, Alois Hirt, von den Akademien der Wissenschaften und Künste, und der dritte Altphilologe Ludwig Friedrich Heindorf, vormals Subrektor des Berliner Köllnschen Gymnasiums. In dieser glänzenden Besetzung öffnete Berlin 1810 seine Pforten. 104 Doch noch im ersten Dezennium des Bestehens der Universität kam es zu Verschiebungen in Lehre und Lehrkörper. Wolf zog sich schon nach gut einjähriger Amtszeit enttäuscht über die Mißachtung seiner Vorrangstellung als Mitbegründer der Universität vom Lehramt zurück,105 und Solger starb 1819. Beide Lehrstühle blieben bis zum Ende der zwanziger bzw. Anfang der dreißiger Jahre unbesetzt. In diesem Zeitraum vertrat Georg Wilhelm Friedrich Hegel die Philosophie allein. Während seiner Amtszeit in Berlin gelangte Hegel unterstützt durch die preußische Regierung als offizieller preußischer Staatsphilosoph< zu höchstem Ruhm. 106 Nach seinem Tod 1831 traten binnen weniger Jahre fünf Philosophen an seine Stelle, unter ihnen der 1841 aus München berufene Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, der nunmehr - der Zeitgeist hatte sich gewandelt - der »Drachensaat des Hegeischen Pantheismus« entgegenwirken sollte.107 Die Zahl der Philosophen reduzierte sich bis 1853 wie anfangs wieder auf zwei planmäßige Ordinarien. Seit 1893 war mit dem zweiten philosophischen Lehrstuhl die Pädagogik verknüpft. Ein Jahr später wurde auf Antrag der beiden ordentlichen Professoren für Philosophie, Wilhelm Dilthey und Eduard Zeller, ein zusätzliches Ordinariat für Psychologie eingerichtet und dem ebenfalls aus München berufenen Karl Stumpf übertragen. 108 Angesichts der unterschiedlichsten philosophischen Systeme, die in Berlin durch führende Philosophen wie Fichte, Schleiermacher, Hegel, Schelling und andere vertreten wurden, bildete sich keine Berliner philosophische Schule heraus.109 Die Altphilologie erhielt nach der Vakanz des Wölfschen Lehrstuhls 1811 in den Jahren 1827/36 zwei weitere Ordinarien. Die vierte Professur wurde jedoch schon 1851 vakant und erst 1886 wiederbegründet. Die Klas45
sische Philologie und die Alte Geschichte waren aufs engste miteinander verbunden und zu einem großen Institut für Altertumskunde zusammengeschlossen, zu dem 1 9 1 2 die Archäologie hinzutrat. Vor diesem Hintergrund sind die personellen Verschiebungen nach der Wende zum 20. Jahrhundert zu sehen, als man zwei altsprachliche Ordinariate nicht wiederbesetzte, während der Altphilologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff Nachfolger des Althistorikers und Archäologen Ernst Curtius wurde. Die Klassische Archäologie vertrat Kekule von Stradonitz fortan allein. 110 Fächerübergreifend wirkten neben dem planmäßigen Lehrstuhlinhaber für Geschichtswissenschaft von 1 8 1 9 bis 1 8 8 4 auch drei Ordinarien in den beiden Fächern Staatswissenschaft und Geschichte, unter ihnen der Hohenstaufenforscher Friedrich von Raumer und der Politiker und Begründer der preußisch-kleindeutschen Historikerschule Johann Gustav von Droysen. Direkt im Anschluß an die Reichsgründung begann der großzügige Ausbau der Geschichtswissenschaft. Zunächst kamen 1 8 7 2 / 7 3 Ordinariate für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften hinzu. Im Jahr 1 8 9 0 wurde ein zweiter neuhistorischer Lehrstuhl eingerichtet. 111 Nach der Jahrhundertwende folgten die erstmals an einer deutschen Universität vertretenen Lehrstühle für Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte und Politik und für Osteuropäische Geschichte. In der Geschichtswissenschaft wie in sämdichen anderen Wissenschaftsgebieten fand sich an der Berliner Universität ein Großteil der bedeutendsten deutschen Wissenschaftler zusammen. Neben Raumer und Droysen wirkten Leopold von Ranke, der der historischen Methode zum Durchbruch verhalf und 1841 zum Historiographen des preußischen Staates ernannt wurde, 112 sowie der nationalistische Historiker Heinrich von Treitschke, der nach Rankes Tod 1 8 8 6 die Stellung des preußischen Staatshistoriographen übernahm und in den Jahren 1 8 7 8 / 8 0 im Antisemitismusstreit in dem liberalen Althistoriker Theodor Mommsen seinen schärfsten Gegner fand. 113 Ferner lehrten Max Lenz, der sich mit seiner monumentalen Geschichte zur Universität Berlin bleibenden Ruhm erwarb, 114 sowie der Sozialhistoriker Otto Hintze. 115 Auf der Seite der Mediävistik standen neben anderen der akribische Quellenforscher und Verfassungshistoriker Wilhelm Wattenbach und der Hanseforscher Dietrich Schäfer. 116 In die Reihe namhafter Berliner Historiker gehört ebenso der seit 1914 in Berlin lehrende Friedrich Meinecke, ein entschiedener Gegner des nationalsozialistischen Regimes und der erste Rektor der Freien Universität Berlin im Jahr 1948. Das dortige Historische Seminar trägt heute seinen Namen. 117 Bekannte Wissenschaftler wie diese lassen sich für fast jede Disziplin Berliner Universität nennen. Berlin wurde zum Kristallisationspunkt deutschen Wissenschaftselite des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der anderen Universitäten - auch Leipzig und München - nachstanden.
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der der alle Die
Besten zu berufen, war das Prinzip der Berliner Berufungspolitik in den Geisteswissenschaften - und dies seit der Gründung der Universität. Für die Professoren verbanden sich mit ihrer Stellung in Berlin reiche Reputation und hohe Gehälter, aber auch eine außerordentliche Arbeitsbelastung verbunden mit dem häufig als recht anstrengend empfundenen Großstadtleben, die so manchen Wissenschaftler einer ruhigen Provinzuniversität vor der Annahme eines Rufes zurückschrecken ließen. Daß Berlin nicht nur Großstadt war, sondern mit der Gründung des Deutschen Reiches von 1871 auch dessen Hauptstadt wurde, schlug sich in der Lehrstuhlentwicklung der Philosophischen Fakultät deutlich nieder. In den Dezennien von der Universitätsgründung bis 1871 wurde die philologisch-historische Fächergruppe in Berlin wie die der anderer Universitäten eher mäßig ausgebaut. In den zwanziger Jahren schuf man zunächst eine zweite Professur für Klassische Archäologie (1823). Ihr folgten 1 8 2 4 / 2 5 Lehrstühle für Germanistik118 und für Vergleichende Sprachwissenschaft; letztere besetzte man auf Vermittlung Wilhelm von Humboldts mit dem Begründer des Fachs Franz Bopp. 119 In den dreißiger Jahren wurden dann die traditionellen Fächer Philosophie und Altphilologie ausgebaut, ehe es seit den fünfziger Jahren erneut zu einer Reduzierung des Lehrkörpers kam. Vorläufiger Schlußpunkt der Lehrstuhlgründungen war die Einrichtung eines Ordinariats für Ägyptologie im Jahr 1846. Es war das erste für dieses Fach an einer deutschen Hochschule, das auf die Initiative Alexander von Humboldts zurückging und mit dem führenden Ägyptologen Richard Karl Lepsius besetzt wurde. 120 Erst zwanzig Jahre später folgten weitere Institute an anderen Universitäten. Im Anschluß kam es in den Berliner Geisteswissenschaften bis 1861 zu einem fünfzehnjährigen Ausbaustopp. Von der Gründung der Universität bis 1 9 1 4 hat es in der Fächergruppe keine derart lange Stagnation gegeben. Die Situation verschärfte sich durch die zeitweilige Reduzierung der Dozenten in den traditionellen Fächern Philosophie, Altphilologie und Orientalistik von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Teil in die neunziger Jahre hinein. Im Jahr 1861 endete die Phase des Stillstands mit der Einrichtung eines Ordinariats für Alte Geschichte, das mit dem Politiker und späteren Nobelpreisträger für Literatur Theodor Mommsen den wohl brillantesten Alt- und Rechtshistoriker des 19. Jahrhunderts erhielt.121 Bereits ein Jahr nach dem Krieg von 1 8 6 6 kamen ein Lehrstuhl für Sanskrit122 und 1 8 7 0 ein weiterer für Romanistik 123 hinzu. Diese drei Lehrstuhlgründungen waren der Auftakt für eine in der deutschen Universitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts unvergleichliche Lehrkörperexpansion. Unmittelbar im Anschluß an den Aufstieg Berlins zur Hauptstadt des Deutschen Reiches erhielt die geisteswissenschaftliche Fächergruppe in dem nur sechsjährigen Zeitraum von 1872 bis 1877 sieben neue Lehrstühle. Mit einer zeitlichen 47
Verzögerung von knapp einem Dezennium folgte die naturwissenschaftliche Fächergruppe nach. Die Wissenschaften, für die man in diesem Zeitraum planmäßige Ordinariate errichtete, zählten weitgehend zur >GrundausstattungOrchideenfächer< die Slawistik unter den Ordinariaten, die bis dahin nur in Breslau seit 1842 planmäßig vertreten war.126 In den beiden anschließenden Dezennien ebbte die Gründungswelle deutlich ab. Zu einer leichten Häufung von Einrichtungen kam es kurz nach der Jahrhundertwende. Während es sich bei den Ordinariaten der siebziger Jahre im wesentlichen um Fächer der >Grundausstattung< und bei den Lehrstühlen der achtziger und frühen neunziger Jahre ausschließlich um Zweitprofessuren bereits etablierter Wissenschaften handelte, 127 gründete man um und nach der Wende zum 2 0 . Jahrhundert ausschließlich Ordinariate in jenen Fächern, die bislang noch nicht oder nur an wenigen Hochschulen den Lehrstuhlrang erreicht hatten. Während die Assyriologie (1899) 1 2 8 und die Musikwissenschaft (1904) 1 2 9 bereits an anderen Universitäten ihre Vorläufer hatten, erhielten die beiden historischen Wissenschaften der Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte und Politik ( 1 9 0 2 ) und die Osteuropäische Geschichte (1906), 1 3 0 ferner die Keltologie (1901) 1 3 1 und die Sinologie (1912) 1 3 2 erstmals planmäßige Lehrstühle an einer deutschen Universität. Demgemäß erfolgte die Lehrstuhlentwicklung der Berliner Geisteswissenschaften in drei Phasen: Zunächst wurde die Fächergruppe bis Mitte der vierziger Jahre mäßig aber kontinuierlich ausgebaut. Danach folgte ein Ausbaustopp bei den planmäßigen Lehrstühlen bis in die sechziger Jahre hinein, mit dem Reduzierungen der Dozentenschaft einhergingen. Unmittelbar nach der Reichsgründung kam es in der Entwicklung der Lehrstühle zu einem Umschwung: Die Fächergruppe wurde in den siebziger Jahren in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß ausgebaut. Anschließend nahm die Gründungstätigkeit wieder ab; der Lehrkörper wurde aber bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ständig erweitert. Diese Phasenentwicklung deckt sich im wesentlichen mit jener, die Max Lenz für die gesamte Berliner Universität ermittelte. 133 Bisher blieben politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte weitgehend außer acht. Die Berliner Universitätsentwicklung wird jedoch ohne die Einbeziehung politischer Aspekte, insbesondere nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs und dem Aufstieg der Stadt zur Hauptstadt, nicht verständlich. Mit dem Ziel, die Universität unmittelbar nach 48
1871 zum deutschen Wissenschaftszentrum auszubauen, paßte sich Berlin an seine Rolle als Mittelpunkt der deutschen Politik und Wirtschaft an. 134 Die Lehrstuhleinrichtungen in Slawistik und Osteuropäischer Geschichte sowie die Gründung des Orientalischen Seminars basierten direkt oder indirekt auf politischen Interessen des jungen Kaiserreichs. Die Gründung slawistischer Professuren in Breslau und Berlin, ferner die Einrichtung eines Osteuropainstituts im Jahr 1 9 0 1 / 0 2 standen im Dienst der Auseinandersetzung und der Pflege diplomatischer Beziehungen mit den östlichen Nachbarn. So war die Gründung des Lehrstuhls für Osteuropäische Geschichte im wesentlichen auf Initiative des Auswärtigen Amtes erfolgt; das Fach sollte als »akademische Hilfswissenschaft der Außenpolitik«135 dienen. Die Besetzung des Ordinariats mit Theodor Schiemann, der seit 1902 das Extraordinariat innehatte, stieß auf Vorbehalte in der Philosophischen Fakultät. Der Deutschbalte Schiemann, der sich unter Treitschke habilitiert hatte, war in den achtziger Jahren wegen seiner oppositionellen Haltung zur Russifizierungspolitik ins Reich emigriert. Seine Ernennung zum Ordinarius wurde schließlich zu Kaisers Geburtstag im Jahr 1906 von höchster Stelle ausgesprochen.136 Stärker noch verdankt das Seminar für Orientalische Sprachen »seine Gründung praktischen, aus der Politik direkt abgeleiteten Zwecken«. 137 Es hatte in seiner Eigenschaft als >Orientalische und Kolonial-Akademie< die um 1880 einsetzende deutsche Kolonialbewegung des Reiches zu unterstützen. Im Vordergrund stand die Sprachausbildung von Beamten des auswärtigen Dienstes, um die Interessen des Kaiserreichs in den afrikanischen und asiatischen Ländern besser vertreten zu können. 138
1.1.2 Die Lehrstuhlentwicklung
im Vergleich139
1.1.2.1 Der Ausbau Zur >Grundausstattung< einer geisteswissenschaftlichen Fächergruppe gehörten um 1 8 1 0 / 2 0 Lehrstühle in den Fächern Philosophie und Klassische Philologie, Orientalistik und Geschichte. Von den acht untersuchten Universitäten (einschließlich Bonn und Marburg) war um 1815 die kleine, damals dänische Universität Kiel am bescheidensten ausgestattet. Dort bestanden nur Lehrstühle für Philosophie und Altphilologie; die vakanten Professuren ftir Orientalistik und Geschichte wurden erst in den dreißiger Jahren wiederbesetzt. Gießen verfugte zu Beginn des 19. Jahrhunderts über je einen Lehrstuhl in allen vier Fächern und kurzzeitig über eine Zweitprofessur fur Altphilologie. Die Marburger Hochschule war mit je-
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weils zwei philosophischen und altphilologischen Ordinariaten sowie einem Lehrstuhl fur Abendländische Sprachen trotz mäßiger Studentenfrequenz vergleichsweise großzügig ausgestattet. 140 Über die offenbar größte philologisch-historische Fächergruppe unter den deutschen Hochschulen jener Zeit verfugte die Reformuniversität des 18. Jahrhunderts in Göttingen. An der Georgia Augusta vertraten Ordinarien bereits im zweiten Dezennium des 19. Jahrhunderts die jungen Fächer der Deutschen und Romanischen Philologie und der Kunstwissenschaft. Die 1803 reformierte Universität in Heidelberg und auch die preußischen Neugründungen in Berlin und Bonn blieben, was die Zahl der Dozenten betraf, hinter Göttingen zurück. Als München 1 8 2 6 den Lehrbetrieb eröffnete, beschränkte man sich noch weitgehend auf die älteren Fächer, obwohl die Universitäten in Göttingen und Berlin, die für die bayerische Neubegründung Pate standen, bis zu dieser Zeit ihr Fächerangebot schon deutlich erweitert hatten. Nach dieser frühen Phase einer bemerkenswert großzügigen Förderung der philologisch-historischen Universitätsfächer um die Wende zum 19. Jahrhundert wurde in der Folgezeit der Lehrkörper an fast allen Universitäten verkleinert. Die Kernphase lag in den vierziger und fünfziger Jahren. Die Reduzierungen äußerten sich in längeren Vakanzen der Lehrstühle, sobald ein Ordinarius ausgeschieden war. Die einzige der untersuchten Hochschulen, die keine Verluste erlitt, war die hessische Landesuniversität in Gießen. Zwar verlor man den bedeutenden Altertumswissenschaftler und persönlichen Ordinarius Friedrich Gottlieb Welcker schon 1 8 1 6 nach kurzer Amtszeit an die Universität Göttingen, weitere Einschränkungen mußte der planmäßige Lehrkörper jedoch nicht hinnehmen. Auch die Politisierung der Universität im Vormärz hatte für die Fächergruppe keine tiefergreifenden Konsequenzen. Nur der Philosoph Joseph Hillebrand, der schon Heidelberg 1822 aus politischen Gründen verlassen mußte, wurde 1 8 5 0 wegen seiner liberalen politischen Gesinnung zwangspensioniert. 141 Die freigewordene Stelle wurde jedoch gleich wiederbesetzt. Anders verhielt es sich an den Universitäten in Göttingen und Kiel. Die wegen politischer Aktivitäten ausgesprochenen Amtsenthebungen der sogenannten >Göttinger Sieben< im Jahr 1837 und die Professorenentlassungen in Kiel am Ende der schleswig-holsteinischen Bewegung 1852 hinterließen empfindliche Lücken im Lehrkörper der Philosophischen Fakultäten. An beiden Hochschulen blieben die vakanten Professuren für mehrere Jahre unbesetzt. Betroffen waren in Kiel und Göttingen gleichermaßen die Lehrstühle für Orientalistik und Geschichtswissenschaft. Die Göttinger besetzten beide Professuren gleich nach dem politischen Umschwung 1848 wieder neu. 142 Degegen blieb der spektakuläre Ausbau der
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Deutschen Philologie in Göttingen durch die Berufung der Brüder Grimm, die ebenfalls als >Göttinger Sieben< 1837 entlassen wurden, Episode. Hier fiel man in die älteren, von heute aus gesehen vorwissenschaftlichen Verhältnisse zurück. Nicht politisch begründet waren die Vakanzen der Lehrstühle fur die jungen Fächer der Romanischen Sprachen und der Kunstgeschichte sowie des ersten Lehrstuhls für Deutsche Philologie. Alle drei Professuren, die erst im zweiten Jahrzehnt hinzugekommen waren, verwaisten schon nach dem Ausscheiden ihrer ersten Vertreter. Die Ruperto Carola in Heidelberg mußte von Ende der zwanziger bis Anfang der fünfziger Jahre ebenfalls einschneidende Einbußen im Lehrkörper hinnehmen. Betroffen waren die traditionellen Fächer Philosophie und Altphilologie, in denen jeweils einer der beiden Lehrstühle zeitweise aufgegeben wurde, ferner die Orientalistik, die von 1829 bis 1850 im Ordinariat verwaiste. Im Fall der Professur für Deutsche Sprache und Literatur, die nur von 1822 bis 1827 bestand und 1852 planmäßig neubegründet wurde, handelte es sich eher um ein kurzes Zwischenspiel. Die Vakanzen waren nicht politisch begründet, obwohl die beiden Philosophen Joseph Hillebrand und Christian Kapp die Universität aus politischen Gründen verließen. Hillebrand erhielt noch im selben Jahr 1822, in dem er nach Gießen wechselte, einen Nachfolger. An den Weggang Kapps im Jahr 1844 Schloß sich aber eine sechsjährige Vakanz des Lehrstuhls an. Kapp, der als Vertreter der Linksliberalen später Politiker wurde, war auf eigenen Antrag aus dem Lehrkörper der Universität ausgetreten, 143 so daß die Vakanz nicht als >Strafmaßnahme< der badischen Regierung zu deuten ist. Im übrigen blieb die Geschichtswissenschaft, deren Professoren in Heidelberg wie an vielen anderen Universitäten unter den Hochschullehrern politisch am aktivsten waren, von Vakanzen verschont. 144 In München traten in den vierziger und fünfziger Jahren kleinere Störungen im Lehrkörper auf. Diese betrafen die Orientalistik, die von 1840 bis 1847 zum Extraordinariat zurückgestuft wurde, und ebenfalls die philosophischen Lehrstühle, die nach dem Ausscheiden Schellings und des zum Rücktritt gezwungenen Gegners des Ultramontanismus, Heinrich Simon Lindemann, in den Jahren von 1842 bis 1849 und von 1853 bis 1864 verwaisten. Demgegenüber blieb die Vertretung des Ordinariats für Kunstwissenschaft, das von 1826 bis 1833 bestand und erst 1906 planmäßig neubegründet wurde, Episode wie so mancher andere junge Lehrstuhl an den Hochschulen dieser Zeit. Die im Zuge der Lola Montez-Affäre von Ludwig I. entlassenen Professoren Ernst von Lassaulx (Klassische Philologie) 145 und Karl Adolph Konstantin von Höfler (Geschichte) 146 erhielten dagegen beide umgehend Nachfolger; ebenso Jakob Philipp Fallmerayer, der seine 1848 erlangte Professur wegen seiner politischen Aktivitäten im Vormärz verloren hatte, noch ehe er seine Lehrtätigkeit aufnahm. 147 51
Die geisteswissenschaftliche Fächergruppe in Berlin erlebte als einzige zwei Phasen vakanter Lehrstühle. Nach Einschränkungen im ersten Drittel des Jahrhunderts kam es um die Jahrhundertmitte zu einer zweiten Phase von Reduzierungen im Lehrkörper. Die Anlässe für das Ausscheiden aus der Professur waren auch in Berlin zumeist nicht politisch. In den Geisteswissenschaften mußten nur zwei Philologen ihre Ordinariate infolge politischer Aktivitäten im Vormärz aufgeben: der Orientalist und Dichter Friedrich Rückert und der Germanist Victor Aime Huber. 148 In beiden Phasen waren die Fächer Philosophie und Altphilologie und seit 1849 auch die Orientalistik von längeren Vakanzen betroffen. Die Wiederbesetzung der um die Jahrhundertmitte freigewordenen Stellen zog sich vier Dezennien hin. Was waren die Gründe fur die Reduzierungen des Lehrkörpers, die auf die großzügige Förderung in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts folgten und die philologisch-historische wie auch die naturwissenschaftliche Fächergruppen gleichermaßen betrafen? Zunächst wird man feststellen müssen, daß die politisch bedingten Amtsenthebungen in der Mehrzahl der Fälle keine Vakanzen nach sich zogen. 149 Zwar lagen die Gründe auch im politischen Bereich, sie waren aber darüber hinaus in geistesgeschichtlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen angesiedelt. In geistesgeschichtlicher Hinsicht dokumentierten die Vakanzen den Niedergang von Idealismus und Romantik seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. Dabei erhielten gerade die jungen Disziplinen der Romanischen und Deutschen Philologie und der Kunstwissenschaft ihre wichtigsten Impulse aus Idealismus und Romantik um die Wende zum 19. Jahrhundert. Die ersten Professuren gründeten auf den Literatursammlungen und Sprachforschungen der Romantiker, die in der Sprache ein wesentliches Element der nationalen Identität erkannten. Den Durchbruch zur wissenschaftlichen Disziplin und damit zum dauerhaften Universitätsfach erlangte die Deutsche Philologie und spätere Germanistik jedoch erst seit den vierziger Jahren mit den grundlegenden Arbeiten des Altphilologen Karl Lachmann sowie der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, die die in der Klassischen Philologie entwickelte textkritische Methode übernahmen und auf die deutsche Schriftsprache übertrugen. Daneben hatte die Kunstwissenschaft im Sinn einer Ästhetisierung durch Kunsterziehung in erster Linie die humanistische Bildung zu vervollkommnen. Während es sich bei den frühen Professuren noch weitgehend um vorwissenschaftliche, mit Neuhumanismus und Romantik in Zusammenhang stehende und damit zeitgebundene Professuren handelte, räumte die Verwissenschaftlichung diesen Disziplinen einen dauerhaften Platz im planmäßigen Lehrkörper ein. Hinzu kam, daß man den Philosophen einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung und Verbreitung des revolutionären 52
Gedankenguts im Vormärz zur Last legte. An den Universitäten begegnete man ihnen mit Mißtrauen und ließ ihre Lehrstellen nach ihrem Ausscheiden häufig unbesetzt, so daß die Philosophie die weitaus größten Einbußen hinzunehmen hatte. Neben diesen geistesgeschichtlichen Wandlungen kam es vom Ende der dreißiger bis in die sechziger Jahre hinein zu einem allgemeinen Rückgang der Studentenzahlen. Dies war erstens eine Reaktion auf die Überfullung der akademischen Berufe infolge des Studentenandrangs nach den Freiheitskriegen 1815. Zweitens wirkte sich das 1 8 3 0 zur Reduzierung der Studentenströme eingeführte Abitur als Zulassungsvoraussetzung zum Studium auf die Frequenz aus. Drittens zog die Gründung des Zollvereins im Jahr 1834 einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung nach sich, der einen beträchtlichen Teil an Studierfähigen vom Studium abzog. Diese Entwicklungen wirkten sich besonders auf die beiden Berufsfakultäten der Theologen und Juristen aus, aber auch Mediziner und Philosophen waren betroffen. 150 Die Philosophische Fakultät verzeichnete im Vormärz ihre erste, wenn auch bescheidene Überfüllungsphase, die in den vierziger Jahren in eine Mangelphase umschlug. Die Revolutionsjahre 1 8 4 8 / 4 9 führten zusätzlich zu einem spürbaren Rückgang in der Frequenz. Diese Phase deckte sich mit der Kernphase der Stellenstreichungen in den vierziger und fünfziger Jahren. In diesen Entwicklungen zeichnet sich deudich ab, daß die neuhumanistischen Reformkonzepte des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts realpolitischen Erwägungen weichen mußten. An der Berliner Universität kam es schon im ersten Dezennium ihres Bestehens zu einer partiellen Rückorientierung. Der Nachfolger Humboldts, Friedrich von Schuckmann, der bereits im November 1810 die Leitung der Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts übernahm, war gehalten, dem Ausbildungsauftrag für die Berufspraxis gegenüber dem von den Reformern propagierten reinen Bildungsauftrag wieder den Vorrang einzuräumen. Damit rückten die auf den Staat bezogenen Aufgaben, wie die Erziehung zur Regierungs- und Verfassungstreue, erneut ins Blickfeld. 151 In der Folge kam es sogleich zu Beschneidungen im Lehrkörper in den Fächern der Philosophie und Klassischen Philologie ( 1 8 1 1 / 1 9 ) . Darüber hinaus spielten auch Sparmaßnahmen eine Rolle, indem der finanzielle Aufwand für ein Professorengehalt wieder stärker am nachweisbaren Nutzen des Fachs gemessen wurde. Der preußische Minister für Kultus, Unterricht und Medizinalwesen Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein schrieb Ende der dreißiger Jahre über Berlin, »daß es das größte Unglück sei, was dem preußischen Staat widerfahren könne, die preußische Hauptuniversität vom Standpunkt einer ganz Europa imponierenden Weltuniversität immer mehr herabsinken zu lassen, und daß dieses der Fall sein müsse, wenn der Finanzminister allein
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eine Stimme habe bei dem was not tut ... Sowie eine Stelle vakant wird, dringt der Finanzminister auf die Einziehung des Gehaltes zur Deckung dessen, was früher aus andern Kassen in der Not bewilligt wurde. So sind schon bedeutende Männer ... fur uns verloren gegangen.« 152 Zu den Vakanzen um die Jahrhundertmitte in der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe in Berlin konstatierte Max Lenz in seiner Geschichte der Universität: »An ihre Nachfolge [der ausgeschiedenen Professoren] dachte kein Mensch, und für ihre Lehrtätigkeit boten ihre Fächer unter den damaligen Verhältnissen in der Tat kaum Raum.« 153 Die Haltung, die sich in diesen Zitaten zur Situation an der Berliner Universität ausdrückt, war repräsentativ und kennzeichnend für alle Universitäten in jener Zeit. Um den Lehrbetrieb nicht zu stören, fielen in erster Linie die Zweit- und Drittprofessuren in den traditionellen Fächern dem Rotstift zum Opfer. Das Fächerangebot blieb damit weitgehend erhalten. Für die jungen, einfach besetzten Sprachprofessuren der Romanischen und Deutschen Philologien und der Kunstwissenschaft bedeutete die Streichung der Ordinariate jedoch das >Aus< bzw. den Abstieg zum Extraordinariat. Die beiden großen preußischen Hochschulen Berlin und Bonn sparten fast ausschließlich bei den älteren, mehrfach besetzten Fächern ein und schonten ihre einfach besetzten Professuren. Die Universität in Göttingen, die durch ihre restriktiven Stellenstreichungen im Vormärz die größten Einbußen zu beklagen hatte, glich ihre Verluste bis in die fünfziger Jahre und nicht, wie bislang angenommen wurde, erst unter der preußischen Ägide wieder aus. 154 Der Ausbau der geistes- wie auch der naturwissenschaftlichen Fächergruppen nahm im 19. Jahrhundert im wesentlichen zwei Verläufe. Zum einen erfolgte die Ausweitung der Ordinariate relativ ausgewogen über die Jahrzehnte hinweg. Auf diese Weise vergrößerten Göttingen und Heidelberg ihren planmäßigen Lehrkörper. Nach den Phasen des Rückschritts und der teilweisen Stagnation wurden an beiden Universitäten seit den vierziger bzw. fünfziger Jahren in fast jedem Dezennium ein bis drei Ordinariate angegliedert. Ungefähr parallel verlief die Entwicklung in Bonn. Die dortige geisteswissenschaftliche Fächergruppe wurde gleich in den ersten eineinhalb Jahrzehnten ihres Bestehens überaus großzügig zu einem Zentrum der Altertumswissenschaft ausgebaut. Anschließend erhielt sie in fast jedem Dezennium maximal zwei, meist einen neuen Lehrstuhl. Unter den kleinen untersuchten Hochschulen erweiterte Kiel seine Geisteswissenschaften seit den dreißiger Jahren relativ ausgewogen. In den anderen Fächergruppen folgte auf einen langsamen kontinuierlichen Ausbau meist eine Phase der Stagnation, die durch eine Gründungswelle von Lehrstühlen abgelöst wurde. Hiernach entwickelten sich die Fächergruppen an den Großuniversitäten in Berlin und München und mit Einschränkungen auch an den kleinen in Gießen und Marburg. Die Berliner 54
Geisteswissenschaften erweiterte man zunächst von den zwanziger bis Mitte der vierziger Jahre eher mäßig mit sechs Lehrstühlen. Im Anschluß folgte ein fünfzehnjähriger Ausbaustopp. Von 1861 an setzte die Errichtung neuer Lehrstühle allmählich wieder ein und gipfelte in einer Welle von Einrichtungen nach der Reichsgründung. In den sechs Jahren von 1872 bis 1877 kamen immerhin sieben neue Ordinariate hinzu. Danach ebbte der >Boom< wieder ab und belebte sich noch einmal kurz nach der Jahrhundertwende. Ähnlich, wenn auch zeitverschoben verlief die Lehrstuhlentwicklung in München. Nach der großzügigen Ausstattung in der Gründungsphase folgte bis Anfang der siebziger Jahre ein verhaltener Ausbau, der sich auf ein oder zwei Lehrstühle in jedem Dezennium beschränkte. Anschließend stagnierte die Entwicklung für ein Vierteljahrhundert von 1 8 7 2 bis 1896. Es war die mit Abstand längste Zeitspanne zwischen 1 8 2 6 und 1914, in der die Münchener Geisteswissenschaften keine weiteren Lehrstühle erhielten. Seit der Mitte der neunziger Jahre kamen neben Lehrstuhlumwandlungen allmählich auch wieder neue Ordinariate hinzu. Nach der Jahrhundertwende erlebte München dann - dreißig Jahre später als Berlin - eine Gründungswelle von Lehrstühlen, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges anhielt. Bis 1914 wurden allein zehn neue Ordinariate geschaffen. An den kleineren Universitäten in Gießen und Marburg ging der Ausbau nicht so spektakulär vonstatten wie an den Großuniversitäten. Dennoch löste auch hier eine rege Gründungstätigkeit die meist langen Phasen der Stagnation ab. In Gießen folgte auf eine über vierzigjährige Phase des Stillstands zunächst die Angliederung vier weiterer Lehrstühle von Ende der sechziger bis Ende der siebziger Jahre, darunter drei Zweitprofessuren fur ältere Fächer. In der zweiten Ausbauphase von Anfang der neunziger Jahre bis nach der Jahrhundertwende wurde schließlich mit der Einrichtung von fünf Ordinariaten die >Grundausstattung< vervollständigt. In Marburg verlief die Entwicklung ähnlich. Von Beginn des Jahrhunderts bis zur Angliederung an Preußen im Jahr 1 8 6 6 kam nur ein Lehrstuhl hinzu. Direkt im Anschluß wurden zunächst zwei Ordinariate gegründet ( 1 8 6 7 / 6 8 ) ; seit den achtziger Jahren erfolgte dann ein umfassender Ausbau.
1.1.2.2 Die >Grundausstattung< Bis 1 9 1 4 gründeten fast alle Universitäten in den Geisteswissenschaften Lehrstühle für bestimmte Fächer. Diese sogenannte Grundausstattung an planmäßigen und persönlichen Ordinariaten umfaßte die Fächer Philosophie, Klassische Philologie, Germanistik, Romanistik und Anglistik, ferner
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Orientalistik, Sanskrit und Vergleichende Sprachwissenschaft und die historischen Fächer Alte, Mittlere und Neuere Geschichte, Klassische Archäologie und Kunstgeschichte. Für die Etablierung der >Grundausstattung< benötigten die Universitäten unterschiedlich lange. Frequenzstärke und territoriale Zugehörigkeit der Universität hatten - wie im folgenden noch erläutert wird - maßgeblichen Einfluß darauf, ob die >Grundausstattung< zu einem vergleichsweise frühen oder späten Zeitpunkt vollständig war. Zuerst verfugte Berlin seit 1 8 7 6 über die gesamten Fächer. Während der Gründungswelle zu Beginn der siebziger Jahre erhielt die Universität noch drei Lehrstühle in Fächern der >GrundausstattungGrundausstattung< vollständig etabliert. Gießen und Jena sowie die nicht untersuchte Hochschule in Rostock blieben als einzige hinter dem Fächerangebot zurück. 155 Hieran zeigt sich bereits deudich, daß die preußischen den nichtpreußischen Universitäten im Prozeß der Lehrstuhlgründungen zeitlich vorangingen. An allen Universitäten kamen als letzte Lehrstühle der >Grundausstattung< jene fur Anglistik und häufiger noch fur Neuere Kunstgeschichte hinzu. Auch in Gießen war es die Neuere Kunstgeschichte, die zwar schon seit 1912 als Extraordinariat bestand, aber erst 1 9 2 0 in ein Ordinariat umgewandelt wurde und das obligatorische, planmäßige Fächerangebot komplettierte. Nur die Großuniversitäten in Berlin, München und offenbar auch Leipzig und einige wenige mittelgroße wie Göttingen gingen merklich über das Fächerangebot der >Grundausstattung< hinaus. Selbst Heidelberg blieb innerhalb des Spektrums, und die bedeutende geisteswissenschaftliche Fächergruppe in Bonn verfugte zusätzlich nur über einen Lehrstuhl in den Historischen Hilfswissenschaften. Marburg und Kiel hatten jeweils zusätzliche Lehrstühle in ihren Fächerschwerpunkten - Historische Hilfswissenschaften und Nordische Sprachen - aufzuweisen. Göttingen, das mit seinem Fächerangebot bereits nahe an die Großuniversitäten heranrückte, konnte als zusätzliche Fächer Exegese und Biblische Wissenschaften, Ägyptologie, Historische Hilfswissenschaften und Bibliothekswissenschaft anbieten. Fernerwaren die traditionellen Fächer Philosophie und Klassische Philologie mit jeweils drei bzw. vier Lehrstühlen sehr stark vertreten. München besaß über die >Grundausstattung< hinaus einen von der Altphilologie unabhängig gegründeten Pädagogik-Lehrstuhl, ferner Professuren fiir Altchristliche und Klassische Philologie, Byzantinistik, Ägyptologie, Slawistik und Musikwissenschaft sowie zeitweise einen Lehrstuhl für Lateinische Philologie des Mittelalters. Berlin verfugte mit seinem größten Lehrkörper auch über das größte Fächerangebot. Über München hinausgehend waren in Berlin - mit Ausnahme nicht vorhandener Lehrstühle fiir Altchristliche
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Philologie und Lateinische Philologie des Mittelalters - Professuren für Assyriologie, Sinologie und Keltologie, ferner ein Lehrstuhl für Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte und Politik sowie ein Osteuropainstitut gegründet worden. Diese über das obligatorische Fächerangebot hinausgehenden, überwiegend zu den sogenannten Orchideenfächern zählenden Disziplinen trugen, obwohl sie meist nur eine sehr geringe Zahl von Hörern anzogen, nicht unerheblich zur Reputation der jeweiligen Hochschulen bei.
1.1.2.3 Die Ausbauphasen der geisteswissenschaftlichen Fächergruppen Die Entwicklung der Lehrstühle vollzog sich an den untersuchten Universitäten mit einigen wenigen Abweichungen, jedoch großen zeitlichen Differenzen in zwei Phasen. An fast allen Universitäten bestanden um 1815 bzw. im Jahr ihrer Gründung Lehrstühle in den traditionellen Fächern Philosophie, Klassische Philologie, Orientalistik und Geschichte, die je nach der Größe der Hochschule einfach oder mehrfach besetzt waren. In der ersten Ausbauphase kam es an fast allen Universitäten zunächst zu weiteren Lehrstuhlgründungen in den älteren Fächern, vor allem in der Philosophie und der Altphilologie. Parallel wurden mancherorts erste Germanistiklehrstühle eingerichtet. In der zweiten, umfassenderen Phase gründete man hauptsächlich für neue Fächer Ordinariate. Daneben erhielt vornehmlich die Geschichtswissenschaft weitere Lehrstühle. In der ersten Ausbauphase wurden nur wenige Lehrstühle errichtet; sie zog sich aber zum Teil bis weit in das 19. Jahrhundert hin. In Berlin dauerte sie mit Einschränkungen bis in die dreißiger Jahre, in Heidelberg bis in die vierziger, in München und Kiel bis in die fünfziger, in Marburg bis in die sechziger und in Gießen schließlich bis in die siebziger Jahre hinein. Insgesamt trifft diese Phaseneinteilung mehr für die größeren nichtpreußischen und die kleineren Universitäten zu. Die Bonner und Göttinger Geisteswissenschaften entwickelten sich hingegen nicht in zwei Phasen. In Bonn fiel die erste Phase mit der Gründungsphase zusammen, während beide ansonsten zeitlich deutlich getrennt waren. Dort stattete man bis 1 8 2 6 / 2 7 die älteren Fächer mit Ausnahme eines Philosophielehrstuhls bereits vollständig aus, zudem etablierten sich mehrere jüngere Fächer. In der Göttinger Fächergruppe, die um 1815 weiter entwickelt war als die der anderen Universitäten, vermischten sich die Einrichtungen von Zweitprofessuren fur ältere Fächer mit Lehrstuhlgründungen in neuen Fächern. Die zweite Phase aber zeichnet sich deudich ab; sie begann in den fünfziger Jahren. Ferner legte Berlin im zweiten Jahrzehnt seines Bestehens eine
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Zwischenphase ein, in der bereits jüngere Fächer in das planmäßige Lehrangebot aufgenommen wurden, ehe es deutlich hiervon getrennt im dritten Jahrzehnt zur Erweiterung der älteren Disziplinen kam.
1.1.2.4 Frühe oder späte Lehrstuhlgründungen Im Hinblick auf die Innovationsbereitschaft der jeweiligen Philosophischen Fakultät stellt sich die Frage, an welcher Universität für ein neues Fach zuerst ein Lehrstuhl eingerichtet wurde und in welcher Abfolge die anderen Universitäten nachfolgten. 156 Da übergreifende Darstellungen mit Angaben zu den Lehrstuhlgründungen weitgehend fehlen, konnten nicht für jedes Fach die Gründungsdaten an allen Universitäten ermittelt werden. Deshalb geht es im folgenden primär darum, Tendenzen des Gesamtprozesses aufzuzeigen. Über die sechs bzw. acht untersuchten Universitäten hinaus wurde zum Teil auch über die Fächerentwicklungen der anderen Anstalten recherchiert; dennoch wird eine Vollständigkeit der Daten bei weitem nicht erreicht. Unberücksichtigt bleiben ferner die deutschsprachigen Universitäten außerhalb des Deutschen Reiches von 1871. Unter ihnen leistete Wien einen wichtigen Beitrag; die Universität erhielt beispielsweise den ersten musikwissenschaftlichen Lehrstuhl und das erste Ordinariat für Osteuropäische Geschichte.157 Gemäß der chronologischen Abfolge der Hochschulen nach den Gründungsdaten der Ordinariate in den einzelnen Fächern gab es keine einzelne Universität, die den Prozeß der Lehrstuhlgründungen anführte. Die Vorreiterrolle teilten sich statt dessen die großen und mittelgroßen, meist preußischen Hochschulen in Berlin, Bonn, Halle,158 Breslau,159 ferner Göttingen, Tübingen 160 und die seit 1872 zum Reich gehörende Universität Straßburg. 161 Berlin führte den Prozeß der Lehrstuhlgründungen keineswegs durchgehend oder überwiegend an. Vielmehr wartete man die Entwicklungen neuer Fächer zunächst ab, ehe man selbst Ordinariate einrichtete. Auch die beiden anderen Großuniversitäten in Leipzig und München verhielten sich eher zurückhaltend. Im Gesamtprozeß der Lehrstuhlgründungen gab es zwei Entwicklungsstränge, die miteinander verflochten waren: Zum einen gründeten die preußischen früher als die nichtpreußischen Universitäten Lehrstühle für neue Fächer. Zum anderen gingen in diesem Prozeß die großen Universitäten den kleinen voraus. Beide Stränge - territoriale Zugehörigkeit und Studentenfrequenz - waren in der Weise verwoben, daß große, mittelgroße und kleine preußische Hochschulen in der Regel ihren der Größe nach entsprechenden nichtpreußischen Schwestern vorangingen. Hierbei gab es selbstverständlich immer wieder Ausnahmen. Dennoch trifft dieses Modell 58
für beide Fächergruppen der Philosophischen Fakultäten im wesendichen zu. Als einschlägige Beispiele werden für die geisteswissenschaftlichen Disziplinen die Entwicklungen in der Germanistik, 162 der Romanistik 163 und Anglistik164 herangezogen. Diese drei Fächer eignen sich für einen Vergleich besonders gut, da ihre Etablierung als planmäßige Universitätsfächer nach dem Jahr 1815 begann und vor 1 9 1 4 weitgehend abgeschlossen war. Für sie ergibt sich folgendes: In allen drei Fächern gründete zuerst eine der größeren Hochschulen einen Lehrstuhl. Es folgten die größeren preußischen und anschließend die größeren nichtpreußischen Universitäten. Danach richteten wiederum die kleineren preußischen Universitäten und versetzt die kleineren außerpreußischen neue Lehrstühle ein. Weitere Fächer, die sich weitgehend im 19. und beginnenden 2 0 . Jahrhundert an den Universitäten etablierten, bei denen aber nicht alle Gründungsdaten der Lehrstühle ermittelt wurden, sind die Alte Geschichte, 165 die Klassische Archäologie 166 und die Neuere Kunstgeschichte. 167 Auch hier vollzog sich die Abfolge der Lehrstuhleinrichtungen etwa in derselben Weise. Ebenso verhielten sich die Universitäten bei der Gründung von Zweit- und Drittprofessuren in den traditionellen Fächern Philosophie, Klassische Philologie und Geschichte. Die drei Großuniversitäten Berlin, Leipzig und München rückten weniger bei den Fächern der >Grundausstattung< als vielmehr bei den jüngeren Disziplinen wie der Slawistik,168 Ägyptologie, 169 Assyriologie 170 und der Musikwissenschaft in den Vordergrund, 171 die vereinzelt oder erst spät im 19. Jahrhundert an nur wenigen Hochschulen den Lehrstuhlrang erreichten. Während die meisten anderen Hochschulen über die >Grundausstattung< kaum hinauskamen, siedelten sich solche Orchideenfächer, die wenig kosteten, aber Reputation einbrachten, besonders an den großen Universitäten an. Selbst in diesen Fächern verhielten sich die Großen nicht selten abwartend und traten mit ihren Gründungen in die zweite Reihe zurück. Ferner führten Sonderbedingungen wie die geographische Lage der Hochschule, historische Umstände oder Traditionen an einzelnen Universitäten zu Lehrstuhlgründungen in Spezialfächern. So wurde das erste Ordinariat für Slawistik in Breslau, für Nordische Sprache und Literatur in Kiel, für Niederländische Sprache als Zweig der Germanistik in Bonn, 172 für Bibliothekswissenschaft in Göttingen und für Byzantinistik in München gegründet. 173 Mit Ausnahme der Slawistik blieben die genannten Professuren bis 1 9 1 4 singulare Einrichtungen. Im folgenden geht es darum, wie sich die jeweilige Universität im Gründungsprozeß der Lehrstühle verhielt und welche Unterschiede und Zäsuren in diesem Zusammenhang eine Rolle spielten. Die Universität in Berlin war in den Fächern der >Grundausstattung< keineswegs die Antriebskraft, befand sich aber durchgehend unter den ersten fünf Hochschulen. Mit der
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Gründungswelle von Lehrstühlen im Anschluß an die Reichsgründung rückte Berlin weiter vor und setzte sich schließlich seit der Wende zum 20. Jahrhundert an die Spitze des Einrichtungsprozesses. Es handelte sich bei den Gründungen um 1900 nicht mehr um Erstprofessuren junger Fächer, die sich später auch an den anderen Universitäten etablierten, sondern um Ordinariate in speziellen Disziplinen, für die bis heute nur vereinzelt Institute existieren, wie Sinologie, Keltologie und Osteuropäische Geschichte. Der Grund für das Zurücktreten Berlins in die zweite Reihe lag offensichtlich darin, daß es bei der Besetzung seiner Lehrstühle in erster Linie Ordinarien anderer Universitäten berief und berufen wollte. So rekrutierte auch keine zweite untersuchte Universität und wahrscheinlich auch keine weitere deutsche Hochschule fur ihre neugegründeten Professuren so häufig aus dem Ordinarienrang wie Berlin.174 Man versuchte nicht, Wissenschaftler aus den Mutterfächern zu gewinnen, sondern konzentrierte sich gleich auf die Vertreter des jeweiligen neuen Fachs. Berlin wartete zunächst die Etablierung eines Fachs ab und wählte dann unter den Ordinarien aus. Die Universität war in wissenschaftlich-qualitativer, nicht aber in institutioneller Hinsicht der Protagonist des deutschen Universitätssystems im 19. Jahrhundert. Man versuchte die Besten zu gewinnen, was zugleich bedeutete, daß man sich stärker auf die Bewährten und damit zugleich auf das Bewährte einlassen mußte. Auch nach 1900 ging man von diesem Prinzip nicht grundsätzlich ab, war aber weniger abwartend. 175 Von den anderen beiden Großuniversitäten verhielt sich Leipzig im Gründungsprozeß der Lehrstühle wesentlich progressiver als München. Leipzig lag zeitlich meist knapp hinter Berlin auf einem der vordersten Plätze, führte aber den Prozeß nur selten an.176 Die Maximiiiana in München schwankte hingegen im gesamten 19. Jahrhundert zwischen vergleichsweise frühen und relativ späten Gründungen hin und her, ebenfalls ohne die Antriebskraft zu sein. Insgesamt lag München eindeutig hinter Berlin, Leipzig und den größeren preußischen Hochschulen zurück. Erst mit der Gründungswelle von Ordinariaten um und nach der Wende zum 20. Jahrhundert rückte München merklich vor. Es handelte sich nunmehr weitgehend um Lehrstühle der zweiten Generation und um sogenannte Orchideenfächer. Im Vergleich zu den anderen beiden bayerischen Universitäten in Würzburg und Erlangen wurde München in den Geisteswissenschaften meistens als erste ausgestattet, wobei die drei Hochschulen in der Regel ohne größere zeitliche Abstände neue Lehrstühle erhielten. Eine der Vorreiterinnen im Gründungsprozeß der Lehrstühle war die nicht untersuchte Universität in Straßburg. Mit ihrem jungen, erlesenen Lehrkörper sowie mehreren Erstgründungen von Lehrstühlen in neuen Fächern brachte sie gewissermaßen >frischen Wind< in die Universitätslandschaft. Straßburg war nicht eigentlich eine Reformuniversität, obwohl sie 60
immer wieder als solche charakterisiert wird, sondern übernahm die vorhandenen, nunmehr ausgereiften Strukturen. Das Reich ließ sich dieses Projekt einiges kosten: Der Hochschuletat für Straßburg lag 1876 an dritter Stelle hinter Berlin und Leipzig.177 Die Rolle der Universitäten Bonn und Göttingen im Prozeß der Lehrstuhlgründungen änderte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts. Bonn war wegen seiner überaus großzügigen Ausstattung bei seiner Gründung und in den darauffolgenden Jahren eine der Antriebskräfte in der Gesamtentwicklung und erhielt häufig noch vor Berlin Lehrstühle für neue Fächer. Dies änderte sich in der zweiten Jahrhunderthälfte, als Bonn weniger forciert ausgebaut wurde und im Prozeß der Lehrstuhlgründungen etwas zurückfiel. Stärker noch schlug sich der Umschwung in der Entwicklung der Göttinger Geisteswissenschaften seit der Reichsgründung nieder. Während Göttingen zunächst den Prozeß mit angeführt und auch in den traditionellen Fächern der Philosophie, Klassischen Philologie und Geschichtswissenschaft bereits vor 1810/15 eine Vorrangstellung eingenommen hatte, bahnte sich für die Fächergruppe mit dem Übergang an Preußen ein Abstieg an. In den anschließenden eineinhalb Dezennien nach der Gründung des Deutschen Reiches stagnierte der Ausbau der Göttinger Geisteswissenschaften vollständig.178 Diese Benachteiligung hing offensichdich mit der Rivalität mit der jüngeren Reformuniversität in Berlin zusammen. An beiden lag der Schwerpunkt auf den geisteswissenschaftlichen Fächern. Nach 1866 eröffnete sich für Preußen die Möglichkeit, das Verhältnis beider Universitäten gewissermaßen zu klären. Während man Berlin zum geisteswissenschaftlichen Zentrum ausbaute, wurden die Göttinger Geisteswissenschaften den anderen größeren preußischen Universitäten in Bonn und Halle angeglichen.179 Zwischen der Ruperto Carola in Heidelberg und den Hochschulen in Bonn und Göttingen bestanden trotz annähernd vergleichbarer Größe deuüiche Unterschiede. Heidelberg stand insgesamt den kleineren Universitäten näher als den in etwa gleichgroßen, durchgehend preußischen Hochschulen. Die Universität bewegte sich im Prozeß der Lehrstuhlgründungen meistens im Mittelfeld, ohne in der Gesamtentwicklung besonders hervorzutreten. Gegenüber den beiden anderen mittelgroßen süddeutschen Universitäten in Tübingen und Würzburg hatte Heidelberg wiederum einen leichten Vorsprung. Unter den untersuchten kleineren Universitäten glichen sich die Entwicklungen in Kiel und Marburg etwa seit der Jahrhundertmitte mehr und mehr an, nachdem Kiel seine Anfangsschwierigkeiten seit den dreißiger Jahren allmählich überwunden hatte. Die Philippina behielt jedoch einen geringfügigen Vorsprung in den Geschichtswissenschaften. Wichtig war für die Entwicklung beider Universitäten der Übergang an Preußen, der für sie 61
- im Unterschied zu Göttingen - zu einem Aufschwung führte. In Marburg profitierten besonders die Geisteswissenschaften,180 in Kiel die Naturwissenschaften von der preußischen Wissenschaftsförderung. 181 Gießen lag in seiner Entwicklung mit Ausnahme des sehr früh etablierten Lehrstuhls fur Neuere Sprachen hinter diesen beiden Universitäten zurück. Die Hochschule gehörte trotz einigem Abstand zu Jena und Rostock zu den Schlußlichtern der Gesamtentwicklung.
1.2 Die Naturwissenschaften In den Naturwissenschaften bildete sich wie in den Geisteswissenschaften im Lauf des 19. Jahrhunderts eine >Grundausstattung< an planmäßigen Lehrstühlen heraus, über die um 1 9 1 4 fast alle deutschen Universitäten verfugten. Zu den älteren Disziplinen zählten Mathematik, 182 Physik183 und Chemie. 184 Darüber hinaus bestanden Professuren für Mineralogie, mit der Geologie und Paläontologie verbunden waren, 185 sowie für Botanik und Zoologie, die sich beide aus der älteren Naturgeschichte entwickelt hatten, und schließlich fur Geographie. 186 Im Unterschied zu den Geisteswissenschaften gingen die jüngeren naturwissenschaftlichen Disziplinen nicht aus den drei älteren Fächern hervor, sondern waren von Anbeginn eigenständige Wissenschaften.
1.2.1 Die Lehrstuhlentwicklung an den einzelnen Universitäten 1.2.1.1 Gießen 187 »Ich denke stets mit Freude an die achtundzwanzig Jahre zurück, die ich dort [in Gießen] verlebte; es war wie eine höhere Fügung, die mich an die kleine Universität führte. An einer großen Universität oder an einem größern Orte wären meine Kräfte zerrissen und zersplittert und die Erreichung des Zieles, nach dem ich strebte, sehr viel schwieriger, vielleicht unmöglich geworden; aber in Gießen konzentrierte sich alles in der Arbeit, und diese war ein leidenschaftliches Genießen.« Justus von Liebig 188
Die Entwicklung der Gießener Naturwissenschaften wurde im 19. Jahrhundert maßgeblich von dem bedeutendsten Chemiker seiner Zeit, Justus von Liebig, beeinflußt, der die kleine Ludoviciana weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt machte. Durch ihn beschleunigte sich in Gießen der Verselbständigungs- und Verwissenschaftlichungsprozeß der naturwissenschaftlichen Fächer.
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U m 1815 waren die Naturwissenschaften an der Ludoviciana im Vergleich zu allen anderen untersuchten Universitäten eher dürftig ausgestattet. Nur ein Ordinarius lehrte das Fach der Mathematik und war von 1817 an auch für Physik zuständig, die zuvor ein Mediziner betreut hatte. 189 Ein weiterer planmäßiger Ordinarius kam 1819 für die Fächer Chemie und Mineralogie hinzu. Eine Sonderentwicklung ergab sich für die Gießener Naturwissenschaften dadurch, daß die Lehrstühle für Chemie und Mineralogie 190 nicht wie an den meisten anderen deutschen Universitäten in der Medizinischen, sondern in der von 1777 bis 1785 bestehenden Ökonomischen Fakultät gegründet wurden. Nach der Auflösung der Fakultät verwaisten die Lehrstühle für mehr als drei Jahrzehnte und kamen dann an die Philosophische Fakultät. 191 Als Liebig im Jahr 1824 das Extraordinariat und ein Jahr später das Ordinariat für Chemie antrat, war er wie schon sein Vorgänger Mitglied der Philosophischen Fakultät. Unter den untersuchten vor 1800 gegründeten Universitäten war Gießen die einzige, deren chemischer Lehrstuhl bereits zu diesem frühen Zeitpunkt zur Philosophischen Fakultät gehörte. Die Berufüng Liebigs, die auf die Initiative des Naturforschers Alexander von Humboldt zurückging, entwickelte sich für das Fach der Chemie und auch für die kleine Lahnuniversität äußerst glücklich. Als Liebig das Gießener Lehramt antrat, war es »damals in der Chemie eine recht elende Zeit in Deutschland ... Von dem Katheder herab empfing der Zuhörer eine Fülle geistreicher Anschauungen, aber körperlos, wie sie waren, konnte man damit nichts machen ... Chemische Laboratorien, in welchen Unterricht in der Analyse erteilt wurde, bestanden damals nirgendwo«. 192 Das für die Universität weitgehend Neue, das sich mit Liebig ankündigte, war die Abkehr von der beschreibenden Naturbetrachtung und der daraus resultierenden rein theoretischen Ausbildung der Studenten und die Hinwendung zum Experiment als der Grundlage naturwissenschaftlicher Forschung. »... ich gab die Aufgaben und überwachte die Ausführung ... Eine eigentliche Anleitung gab es nicht; ich empfing von jedem einzelnen jeden Morgen einen Bericht über das, was er am vorhergehenden Tage getan hatte, sowie seine Ansichten über das, was er vorhatte; ich stimmte bei oder machte meine Einwendungen. Jeder war genötigt, seinen eigenen Weg selbst zu suchen. In dem Zusammenleben und steten Verkehr miteinander, und indem jeder teilnahm an den Arbeiten aller, lernte jeder von den anderen.« 193 Mit dieser neuen Lehr- und Lernmethode sprengte Liebig den Rahmen der bisherigen Universitätsausbildung. Auf ganz unphilosophische und unphilologische Weise übertrug er das Postulat der Berliner Universitätsgründer von der >Einheit von Forschung und Lehre< auf die Naturwissenschaften. Darüber hinaus brachte er eine explosionsartige Wissenschaftsentwicklung in den Naturwissenschaften mit in Gang, an der er selbst mit seinen Arbei63
ten auf dem Gebiet der organischen Chemie und insbesondere der Agrikulturchemie entscheidenden Anteil hatte. Gießen wurde in der ersten Jahrhunderthälfte weltweit zu einem Zentrum der Chemie und zog Studenten vieler Nationen an die kleine Hochschule. 194 Liebig beschränkte sich nicht nur auf die Wissenschaft, sondern betätigte sich darüber hinaus auch als Wissenschaftsorganisator. In seinem eigenen Fachgebiet der Chemie konnte er in Gießen einen, wenn auch nur zeitweiligen Entwicklungsschub bewirken. Bereits 1848 wurde auf seine Veranlassung ein Ordinariat für Technologische Chemie eingerichtet, dessen Vertreter und Liebig-Schüler Friedrich Ludwig Knapp seinem Lehrer 1853 nach München folgte und an der dortigen Staatswirtschaftlichen Fakultät lehrte.195 Darüber hinaus regte Liebig die Einrichtung einer Privatdozentur fur Physikalische Chemie an, die seit 1841 bestand und 1853 in eine persönliche Professur umgewandelt wurde. Sie war die erste für dieses Fach an einer deutschen Universität. Das Ordinariat verwaiste nach elf Jahren und wurde 1894 planmäßig neubegründet. 196 Ferner war es im wesendichen das Verdienst Liebigs, daß Zoologie und Botanik schon 1850 in die Philosophische Fakultät übersiedelten. In Marburg geschah dies ein Dezennium später, in Kiel erst 1868/73. Beide Fächer waren zuvor zur Naturgeschichte zusammengefaßt von dem Mediziner Johann Bernhard Wilbrand in der Medizinischen Fakultät gelehrt worden. Wilbrand befand sich als Anhänger der älteren Naturphilosophie wissenschaftlich in krassem Gegensatz zur empirischen Methode Liebigs.197 Nach dem Freiwerden des Wilbrandschen Lehrstuhls setzte sich Liebig mit Nachdruck für die Übernahme der Fächer in die Philosophische Fakultät ein und nahm maßgeblichen Einfluß auf die Berufungen. Seinen Vorschlägen folgend wurden auswärtige Fachvertreter berufen. 198 Nach dieser kurzen Ausbauphase von Ende der vierziger bis Mitte der fünfziger Jahre kamen bis 1914 nur noch zwei Lehrstühle hinzu. Im Jahr 1875 schuf man ein zunächst persönliches, zweites mathematisches Ordinariat, das 1887 planmäßig wurde.199 Im Jahr 1891 erhielt die Geographie einen persönlichen Lehrstuhlinhaber, der 1903 etatmäßig wurde. 200 Die Gießener Naturwissenschaften verfügten um 1914 über neun planmäßige Professuren, zudem bestanden eine Honorarprofessur für Theoretische Physik und ein planmäßiges Extraordinariat für Angewandte Mathematik. In Gießen vollzog sich die Lehrstuhlentwicklung in den Naturwissenschaften schrittweise in drei Phasen: Zunächst endete in den dreißiger Jahren die Fächerkumulation, dann wurden um die Jahrhundertmitte Botanik und Zoologie von der Medizinischen in die Philosophische Fakultät übernommen und schließlich erhielten die älteren Fächer Mathematik, Physik und Chemie Zweitprofessuren. Die Geographie etablierte sich wie fast überall als letztes Fach unter den planmäßigen Lehrstühlen. 64
1.2.1.2 Kiel201 »Die Stadt machte damals einen furchtbar armseligen Eindruck, ebenso die Universität und die Institute ... Namendich wollte man jetzt [ 1 8 7 2 ] , nachdem die Regierung beschlossen hatte, Kiel als Universität zu behalten (was schon aus politischen Gründen notwendig schien), diese auch in die Höhe bringen, namentlich die Universitätsinstitute sollten nach und nach neu gebaut und deren Direktoren zum Teil durch neue und bessere Kräfte ersetzt werden.« Albert Ladenburg 202
Die Kieler Naturwissenschaften wurden nicht wie die Gießener durch eine große Forscherpersönlichkeit oder einen Wissenschaftsorganisator beeinflußt. Entsprechend entwickelten sich die Geisteswissenschaften schneller als die Naturwissenschaften. Im Jahr 1815 lehrten in der Kieler mathematisch-naturwissenschaftlichen Sektion zwei Ordinarien in den Fächern Mathematik 203 und Astronomie, wobei der bereits erwähnte Astronom Johann Erich von Berger parallel den Lehrstuhl für Philosophie innehatte. Von 1833 an waren Mathematik und Astronomie für vier Dezennien in Personalunion miteinander verbunden. Beide Lehrstühle wurden 1852 nach der Suspendierung ihres Vertreters Ferdinand Scherk, der in der schleswig-holsteinischen Erhebung eine prodeutsche Haltung einnahm, fur sieben Jahre zum Extraordinariat herabgestuft. Weitere Ordinariate kamen zunächst nicht hinzu. Erst seit Mitte der vierziger Jahre wurden die Fächer Chemie ( 1 8 4 6 ) , Physik ( 1 8 4 7 / 5 1 ) , Zoologie ( 1 8 6 8 ) und Botanik ( 1 8 2 6 / 7 3 ) von der Medizinischen in die Philosophische Fakultät übernommen, ferner Lehrstühle fur Mineralogie ( 1 8 5 1 ) , Geographie ( 1 8 7 9 ) sowie eine Zweitprofessur für Mathematik ( 1 8 7 7 ) gegründet. Bis 1914 erhielt nur die Physik 1894 eine weitere Professur fiir ihre theoretische Abteilung. Den Anfang dieser Entwicklungen im 19. Jahrhundert machte 1 8 4 6 die Chemie. Sie wurde zuvor zusammen mit der Physik von einem Mediziner in der Medizinischen Fakultät gelehrt. Als dieser 1846 vom Lehramt zurücktrat, war der Weg zur Verselbständigung beider Disziplinen frei. 204 Zunächst seit 1847 als Extraordinariat in der Philosophischen Fakultät errichtet, wurde die Chemie 1851 planmäßiges Lehrfach. 205 In der Physik zog sich der Verselbständigungsprozeß länger hin. Sie blieb noch über eineinhalb Jahrzehnte in Personalunion mit dem ebenfalls 1851 gegründeten Lehrstuhl für Mineralogie verbunden. Der Übergang der Hochschule an Preußen brachte für die vergleichsweise rückständigen Naturwissenschaften einen bemerkenswerten Aufschwung mit sich. 206 Unmittelbar nach 1866 verselbständigten sich sämtliche in Personalunion verbundene Fächer; zudem etablierten sich weitere Disziplinen auf der planmäßigen Lehrstuhlebene. Zunächst erhielt die Mineralogie von 1868 an ihre eigenen Vertreter, während sich der bisherige
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Ordinarius fortan auf die Physik beschränkte. 207 Die Zoologie war zuletzt dem Anatomen der Medizinischen Fakultät als Nebenfach zugeteilt worden, ehe sie sich ebenfalls 1868 verselbständigte.208 Nachdem sich die Botanik 1 8 2 6 endgültig aus der Medizinischen Fakultät herausgelöst hatte, wurde sie in der Philosophischen Fakultät zunächst fur knapp 5 0 Jahre von einem Extraordinarius vertreten. Erst 1873 erlangte sie als letztes der aus der Medizinischen Fakultät ausgegliederten Fächer die Ebene des Ordinariats.209 Im selben Jahr 1873 endete auch mit der Verlegung der Sternwarte von Altona nach Kiel die Personalunion zwischen Mathematik und Astronomie, indem für die Astronomie ein eigener Vertreter berufen wurde. 210 Mit dem Jahr 1873 hatten sich somit alle Kieler naturwissenschaftlichen Disziplinen verselbständigt. Anschließend kamen nur noch Zweitprofessuren für Mathematik ( 1 8 7 7 ) und Physik ( 1 8 9 4 ) und ein Lehrstuhl für Geographie (1879) 2 1 1 hinzu. Von anfänglich zwei Naturwissenschaftlern im Jahr 1815 wuchs ihre Zahl bis 1 9 1 4 auf zehn Ordinarien an, die in acht Fächern lehrten. Die Verwissenschaftlichung fiel nicht in allen Fächern mit der Verselbständigung zusammen. Gerade in der Mathematik und der Physik hielten sich mit dem Verbleib der alten Ordinarien nach der Auflösung der Personalunionen auch die älteren enzyklopädisch-gelehrten Zustände. Veränderungen traten hier erst zum Ende des Jahrhunderts ein, als in der Mathematik seit den siebziger Jahren vor allem Mitglieder der Berliner mathematischen Schule nach Kiel berufen wurden212 und die Physik seit den neunziger Jahren durch Ausbau und Neuberufungen - unter ihnen der spätere Nobelpreisträger Philipp Lenard - Anschluß an den wissenschaftlichen Standard jener Zeit erhielt.
1.2.1.3 Heidelberg 213 »... eilte ich nach Heidelberg, das ich bisher nur einmal auf meiner ersten Reise in die Schweiz in Gesellschaft von Usener gesehen - damals wollte ich Hesse besuchen, den ich jedoch nicht antraf, und auf der Neckarbrücke stehend, sagte ich mir, welch' ein glücklicher Mensch muß doch Hesse sein, dem es beschieden ist, in Heidelberg zu dozieren! nicht ahnend, daß ich einst sein Nachfolger sein werde.« Leo Koenigsberger 214
In Heidelberg nahmen 1 8 0 3 zwei Ordinarien den Lehrbetrieb in den naturwissenschaftlichen Fächern auf. Außer dem Mathematiker Jakob Schmitt lehrte der zur Staatswirtschaftlichen Sektion gehörende Georg Adolf Suckow die Fächer Physik, Chemie, Mineralogie und Bergbaukunde. Suckow kam 1 7 8 4 durch die Verlegung der Hohen Kameralschule von Kaiserslautern nach Heidelberg an die Universität und wurde 1 8 0 3 in die
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Staatswirtschaftliche Sektion übernommen. 215 Die von Suckow vertretenen Fächer verselbständigten sich bereits im zweiten Dezennium des 19. Jahrhunderts. Den Anfang machte 1817 die Physik,216 ein Jahr später folgte die Mineralogie. 217 Die Chemie wurde 1 8 1 4 / 1 7 mit Leopold Gmelin unabhängig, gehörte dann aber bis 1851 zur Medizinischen Fakultät. Erst mit der Berufung Robert Bunsens kam sie 1852 an die Philosophische Fakultät. 218 Ende der dreißiger Jahre lösten sich Zoologie ( 1 8 3 3 / 3 8 ) und Botanik ( 1 8 3 9 ) von der Medizinischen Fakultät, 219 wobei die Zoologen fortan noch bis 1878 kameralistische Fächer mitvertraten. 220 Von der Jahrhundertmitte an stagnierte der Ausbau der planmäßigen Lehrstühle für mehr als 4 0 Jahre. Dennoch gilt gerade die Zeitspanne von 1 8 5 0 bis 1 8 7 0 als die fruchtbarste der Heidelberger Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert. Der wissenschaftliche Aufschwung resultierte aus einer hervorragenden Berufungspolitik, die sich mit staadichen Förderungsmaßnahmen paarte. Forscherpersönlichkeiten wie die Physiker Philipp Jolly und Gustav Kirchhoff, der Physiologe Hermann von Helmholtz, der sich in Heidelberg zunehmend der Physik zuwandte, der Chemiker Robert Bunsen und der Mathematiker Leo Koenigsberger prägten eine Epoche ungewöhnlicher wissenschaftlicher Prosperität. Jolly richtete 1 8 4 6 das erste physikalische Laboratorium ein. Sein Nachfolger Kirchhoff und der Mathematiker Koenigsberger, die miteinander befreundet waren und in regem wissenschaftlichen Austausch standen, gründeten 1869 das MathematischPhysikalische Seminar.221 Der Motor für den Aufschwung der Naturwissenschaften seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Chemie. Die praktische Verwertbarkeit der in der Chemie gewonnenen Erkenntnisse im Landbau und in der Tierernährung ließ die staatliche Förderung emporschnellen. In Heidelberg flössen von 1850 bis 1 8 6 0 allein 97 % der staadichen Mittel für Neuinvestitionen an der Universität in das chemische Institut. 222 Der gestiegenen Bedeutung der Chemie trug die Universität 1863 durch die zeitweilige Angliederung eines Ordinariats für Physikalische Chemie Rechnung. Berufen wurde der Liebig-Schüler Hermann Kopp. Das Ordinariat fiel 1 8 9 0 mit der Emeritierung Kopps weg; elf Jahre später wurde für das Fach ein planmäßiges Extraordinariat geschaffen. Als Nachfolger von Gmelin versuchte man 1851 Justus Liebig zu gewinnen. Er war jedoch des aufreibenden Laboratoriumsbetriebs müde; wie in Gießen wäre er auch »in Heidelberg ... zu einem gehetzten Schulmeister geworden, denn darauf rechneten sie«.223 Liebig schlug den Ruf auch in der Hoffnung aus, daß die Gießener Universität ihm in einigen Forderungen bezüglich der Hochschule entgegenkommen würde. Seine Erwartungen wurden enttäuscht. Ein Jahr später ging Liebig nach München mit der Zusicherung, von der Arbeit im Laboratorium freigestellt zu sein.224
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Nach der Stagnationsphase kamen in dem Zeitraum von 1896 bis 1913 in Heidelberg vier weitere Lehrstühle hinzu. Der Bau einer Landessternwarte auf dem Königstuhl bei Heidelberg führte zur Errichtung zweier Professuren für Astronomie, zunächst 1896 fur allgemeine Astronomie, die mit dem Direktor der Sternwarte Wilhelm Valentiner besetzt wurde, und schließlich 1902 fur Astro- und Geophysik. Nach der Vakanz des ersten Lehrstuhls im Jahr 1909 übernahm der Astrophysiker Max Wolf bis 1932 die Leitung beider Institute. 225 Als letztes Fach etablierte sich vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Geologie unter den etatmäßigen Ordinariaten (1913). 226 Heidelberg verfügte in den Naturwissenschaften wie in den Geisteswissenschaften über einen zahlenmäßig sehr kleinen, aber wissenschaftlich hervorragenden Lehrkörper. Viele Ordinarien lehnten während ihrer Heidelberger Zeit auswärtige Rufe ab und beendeten ihre Hochschulkarriere am Neckar. Im Jahr 1914 verfügte die Universität über nur neun naturwissenschaftliche Ordinariate. Um den wissenschaftlichen Erfordernissen der Zeit dennoch gerecht zu werden, ließ man vergleichsweise viele Fächer als Extraordinariate bestehen (5) und enthielt ihnen den Aufstieg zum Ordinariat vor.227 So besaß von den älteren Fächern um 1914 ausschließlich die Mathematik eine zweite planmäßige Professur (1913). 228 Physik und Chemie erhielten nur etatmäßige Extraordinariate; im Jahr 1896 kam ein Extraordinariat ftir Theoretische Physik, 1898 für organische Chemie und 1901 für Physikalische Chemie hinzu. 229 In Heidelberg entwickelten sich die Lehrstühle der naturwissenschaftlichen Sektion in zwei Phasen: Zunächst wurden bis Anfang der fünfziger Jahre die naturwissenschaftlichen Fächer aus der Staatswirtschaftlichen und der Medizinischen Fakultät übernommen. Während der zweiten Phase verliefen der Ausbau der alten Fächer und die Lehrstuhlgründungen in neuen Wissenschaftszweigen parallel.
1.2.1.4 Göttingen 230 »Die Annahme des Rufes an die Stätte der alten mathematischen Tradition war selbstverständlich. Aber es fiel meiner Frau und mir keineswegs leicht, uns sofort in der damals etwas kühlen Göttinger Atmosphäre heimisch zu fühlen. Nicht selten wurden wir mit Kopfschütteln betrachtet, wenn wir uns voller Verständnislosigkeit über die strengen Rangunterschiede hinwegsetzten und zwanglos mit Privatdozenten und gar Studenten verkehrten.« David Hilbert 231
Die mathematisch-naturwissenschaftliche Fächergruppe in Göttingen war um 1914 die zweitgrößte hinter Berlin; selbst München ließ sie hinter sich zurück.232 Die große Zahl an Ordinariaten kam in Göttingen nicht wie in Berlin durch die frühe Etablierung von Teildisziplinen sämtlicher natur68
wissenschaftlicher Fächer zustande. Sie erfolgte vielmehr durch die gezielte Förderung und den Ausbau der älteren Fächer Mathematik, Physik und Chemie nach der Wende zum 20. Jahrhundert. Damit war und blieb die einstige Reformuniversität des 18. Jahrhunderts auch im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert neben einigen anderen Universitäten in der Entwicklung der Philosophischen Fakultät richtungweisend. Die naturwissenschaftliche Fächergruppe war in Göttingen bereits um 1815 umfassend ausgebaut. Sechs Ordinarien lehrten in den Fächern Physik, Mineralogie, Astronomie und der doppelt besetzten Mathematik. Darüber hinaus bestand von 1798 bis 1817 nominell eine Professur für Geologie. Sie war die erste für dieses Fach an einer Universität. Ihr Vertreter Jean Andre de Luc, der als Vorleser und Reisebegleiter in Diensten der englischen Königin Charlotte stand, nahm sein Lehramt jedoch niemals wahr. So lag die Geologie auch weiterhin wie die anderen beiden naturhistorischen Fächer der Botanik und Zoologie im Aufgabenbereich des Mediziners und Ordinarius für Naturgeschichte Johann Friedrich Blumenbach, der von 1778 bis 1840 in Göttingen wirkte und als Naturforscher grundlegende Arbeiten in der Vergleichenden Anatomie vorlegte.233 Die Geologie wurde in Verbindung mit der Paläontologie erst 1870 planmäßiges Ordinariat.234 Die verwandte ältere Mineralogie erhielt seit 1811 Vertreter im Ordinarienrang.235 Der bedeutendste Göttinger Ordinarius der naturwissenschaftlichen Sektion war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Mathematiker und Astronom Karl Friedrich Gauß, der an der Georgia Augusta von 1807 bis 1855 wirkte. Gauß, den bereits Zeitgenossen als »Princeps mathematicorum« bezeichneten, gilt als einer der größten Mathematiker. Grundlegend wurden unter anderem seine Arbeiten zur modernen Zahlentheorie und zur Differentialgeometrie. Daneben beschäftigte er sich mit Problemen der theoretischen Astronomie und widmete sich in Zusammenarbeit mit dem Göttinger Physiker Wilhelm Weber der Erforschung des Erdmagnetismus.236 Gauß Haupdeistungen lagen in der Forschung, nicht in der Lehre. Er brachte in Göttingen keine Schule im eigentlichen Sinn hervor, auch wenn eine Reihe von Mathematikern als seine Schüler bezeichnet werden. 237 In der Astronomie lehrte neben Gauß, der die theoretische Professur innehatte und Direktor der Sternwarte war, von 1812 bis 1834 Karl Ludwig Harding als Ordinarius der Praktischen Astronomie. Nach dem Tod von Harding und Gauß blieben die Lehrstühle über längere Zeiträume vakant; die Fächer wurden von Privatdozenten und Extraordinarien betreut. Zunächst erhielt 1868 die Theoretische Astronomie, mit der fachlich Geodäsie und Erdmagnetismus verbunden waren, wieder einen ordentlichen Vertreter. Im Jahr 1897 stufte man die Professur erneut zum Extraordinariat her69
ab. Die praktische Abteilung wurde erst von 1 8 8 6 an planmäßig und durchgehend wiederbesetzt. 238 Auch der Lehrstuhl für Physik mußte längere Vakanzen hinnehmen. Nachdem Wilhelm Weber 1 8 3 7 als einer der >Göttinger Sieben< entlassen worden war, übernahm sein Schüler Johann Benedikt Listing die Physik und lehrte zunächst als Extraordinarius und von 1 8 4 9 an als Ordinarius. Als sich die politische Lage entspannte, versuchte man Weber zurückzugewinnen. Obwohl er in der Zwischenzeit die Leipziger Professur fur Physik angetreten hatte, entschied er sich zur Rückkehr. 239 Die Georgia Augusta verfugte damit seit 1 8 4 9 über zwei physikalische Ordinariate auf den Gebieten der Experimentalphysik (Weber) und der Mathematischen bzw. späteren Theoretischen Physik (Listing). 240 Seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts erhielt die naturwissenschaftliche Fächergruppe in Göttingen in jedem Dezennium einen planmäßigen Lehrstuhl und entwickelte sich weit ausgewogener als die Fächergruppen anderer untersuchter Hochschulen; vor allem Berlin unterschied sich durch seine Stagnations- und Ausbauphasen. Als erstes planmäßiges Fach kam in Göttingen nach 1815 die Botanik hinzu. Wie an fast allen vor 1 8 0 0 gegründeten Universitäten waren auch in Göttingen Chemie, Botanik und Zoologie in der Medizinischen Fakultät angesiedelt. Der Ablösungsprozeß zog sich hier unverhältnismäßig lange, bis in die achtziger Jahre hinein, hin. Die Botanik machte 1 8 3 6 / 3 7 den Anfang. Ihr erster philosophischer Vertreter, Friedrich Gottlieb Bartling, wurde aber noch bis zu seinem Tod 1875 im Vorlesungsverzeichnis unter den Medizinern aufgeführt. Während man in der Fakultätsfrage zögerte, trug man der Ausweitung des Stoffgebiets recht früh Rechnung und richtete 1879 einen zweiten Lehrstuhl für das Teilgebiet der Pflanzenphysiologie ein. 241 Das zweite vormals naturgeschichtliche Fach der Zoologie löste sich 1864 von der Medizin und erhielt 1868 eine planmäßige Professur in der Philosophischen Fakultät. 242 Der Lehrstuhl für Chemie wurde erst 1 8 8 2 / 8 3 endgültig übernommen. 243 Ihr letzter Vertreter in der Medizinischen Fakultät, Friedrich Wöhler, der in Deutschland zu den bahnbrechenden Chemikern der ersten Jahrhunderthälfte gehörte, blieb auf eigenen Wunsch wie seine Vorgänger Mitglied der Medizinischen Fakultät. Die Dissertationen und Habilitationen führte dagegen seit Wöhlers Amtsantritt 1 8 3 6 die Philosophische Fakultät durch. Seit 1874 wirkte hier bereits sein Schüler Hans Hübner im Ordinarienrang, der nach Wöhlers Tod 1883 die Leitung des chemischen Laboratoriums übernahm. 244 Infolge der zunehmenden Spezialisierung in der Chemie erweiterte man das planmäßige Fächerangebot 1 8 9 4 zunächst um einen Lehrstuhl für Physikalische Chemie und besetzte ihn mit dem späteren Nobelpreisträger Walter Nernst, der ein Schüler des Göttinger
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Experimentalphysikers Eduard Riecke war. Das 1903 gegründete Ordinariat für Anorganische Chemie war das erste an einer deutschen Universität. Es ging auf die Initiative industrieller Kreise zurück, die sich für eine stärkere Berücksichtigung der vernachlässigten analytischen und anorganischen Chemie bei der Ausbildung der künftigen Chemiker einsetzten. Der preußische Kultusbeamte Friedrich Althoff entschied sich daraufhin fur die versuchsweise Einrichtung eines Lehrstuhls für dieses Fach. Aufgrund des Engagements des Mathematikers Felix Klein, des Physikers Eduard Riecke und der Chemiker Otto Wallach und Walter Nernst konnte die Professur für Göttingen gewonnen werden. Erster Anorganiker wurde der aus Dorpat berufene Gustav Tammann, 245 der schon 1907 auf den Lehrstuhl fur Physikalische Chemie überwechselte und dem späteren Nobelpreisträger Richard Zsigmondi Platz machte. Der Lehrstuhl wurde mit dem Amtsantritt Zsigmondis zum Extraordinariat zurückgestuft und erst 1919 zum persönlichen Ordinariat angehoben. 246 Unterhalb der Ordinariatsebene waren bereits 1854 ein Extraordinariat fur Pharmazeutische Chemie und 1898 ein weiteres für Chemische Technologie hinzugekommen. 247 Die Gründung des Lehrstuhls für Anorganische Chemie fiel in die Ausbauphase der Göttinger Mathematik und Physik nach der Wende zum 20. Jahrhundert. Der Mathematiker Felix Klein machte sich um beide Fächer besonders verdient. Während einer Reise zur Weltausstellung in Chicago 1893 lernte Klein vorort das amerikanische Universitätssystem kennen. Seitdem wurde die in Amerika praktizierte Zusammenführung von universitären Naturwissenschaften und industrieller Technik eines seiner wichtigsten Aufgabengebiete. Vor allem für Göttingen versuchte er, diese Verbindung fruchtbar zu machen. Klein stieß aber bei den Universitäten und Technischen Hochschulen auf große Vorbehalte. »Zunächst wurde von Seiten der Universitäten die Befürchtung laut, es könne ihr köstlichstes Gut, die trotz aller Enge bewahrte Lauterkeit der rein wissenschaftlichen Forschung, die von keinen Nebenzwecken beeinflußt wird, durch die Berührung mit den Kreisen des Erwerbs Schaden leiden. Man warf mir Amerikanismus vor, sprach von Verrat an der Wissenschaft, ja man fürchtete sogar, durch die Annahme finanzieller Hilfe in gefährliche Abhängigkeit zu geraten.«248 Die Technischen Hochschulen wandten ein, so Klein, »es handele sich bei meinen Plänen um eine Zurückdrängung und Schädigung der technischen Hochschulen, sei es durch direkte Beeinflussung und Beschneidung des ihnen zustehenden Arbeitsfeldes oder sei es durch Herabsetzung ihrer wissenschaftlichen Geltung und damit Hintanstellung der gerade damals besonders starken Bestrebungen nach sozialer Gleichberechtigung mit den älteren Universitäten«.249 Nachdem Klein einen Ruf nach Newhaven abgelehnt hatte, weckten seine Bemühungen schließlich das Interesse Althoffs. Die Verhandlungen zwischen Universität und Industrie führten im Jahr 71
1898 zur Konstituierung der >Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Physik und Mathematik^, der Großindustrielle und Göttinger Professoren angehörten. Während der folgenden zehn Jahre stellte die Industrie 200.000 Mark für Institutsneugründungen zur Verfugung. Aus dieser Initiative gingen die Lehrstühle für Angewandte Mathematik (1904), Angewandte Mechanik bzw. Technische Physik (1907) und Angewandte Elektrizitätslehre (1907), ferner das Geophysikalische Institut (1904) hervor, in dem das bis dahin zur Sternwarte gehörende Erdmagnetische Observatorium aufging. 250 Die Ordinariate für Angewandte Mathematik und Geophysik waren die ersten in Deutschland. 251 Aber nicht nur hohe Investitionen, sondern auch und vor allem überragende Forscherpersönlichkeiten kennzeichnen diese Epoche der Göttinger Naturwissenschaften. Allein in Physik und Chemie wirkten vor dem Ersten Weltkrieg vier Nobelpreisträger. Die Mathematik nahm mit David Hilbert, Hermann Minkowski und Felix Klein zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit einen der ersten Plätze ein;252 ihr folgte in den zwanziger Jahren die Physik mit Robert Pohl und den beiden späteren Nobelpreisträgern Max Born und James Franck.253 Im Jahr 1914 lehrten in den Göttinger Naturwissenschaften 19 Ordinarien in neun Fächern. Die Universität verfugte über die zweitgrößte Fächergruppe mit der zweithöchsten Studentenfrequenz unter den Hochschulen des Deutschen Reiches. Die >Grundausstattung< an planmäßigen Lehrstühlen war dagegen vergleichsweise spät, erst 1883 mit der Übernahme des chemischen Laboratoriums von der Medizinischen Fakultät vollständig vorhanden. An den anderen Universitäten erhielt die Geographie als letztes neues Fach einen Lehrstuhl, während sie in Göttingen wiederum außerordentlich früh im Jahr 1854 planmäßiges Ordinariat wurde. 254
1.2.1.5 München 255 »Im wissenschaftlichen Leben ist hier [in München] trotz Akademie und Universität noch kaum ein Aufkeimen zu bemerken. Es sind eine Reihe von Lehrern, Dichtern und wissenschaftliche Nobilitäten zusammen gebracht, aber alles ist noch von so jungem Datum, daß Jeder damit beschäftigt erscheint, sich selbst zu etabliern und von einem Typus des Ganzen noch nicht die Rede sein kann ... Alles hängt von der Stimmung des Königs ab. Hat seine Regierung eine Dauer von 20 Jahren, so wird ein Universitätsleben nach deutschem Zuschnitt konsolidiert sein, aber der Altbaier wird aus seiner Hauptstadt verdrängt sein oder er wird seine bairische Indolenz glücklich abgelegt haben.« Philipp von Jolly256
In den Naturwissenschaften übernahm man wie in den Geisteswissenschaften zwei Ordinarien von Landshut nach München. 257 Das wissenschaftliche Ansehen der ersten Naturwissenschaftlergeneration fiel deutlich hinter das Renommee der Geisteswissenschaftler zurück. Man bemühte sich nicht, 72
namhafte auswärtige Gelehrte zu gewinnen, sondern berief wie in Berlin überwiegend Mitglieder der Akademie. 258 Der Grund hierfür lag in den stärker künstlerischen und musischen Neigungen des bayerischen Königs Ludwig I., aufgrund derer sich das Interesse bei den Berufungen besonders auf die philologisch-historische Fächergruppe konzentrierte. München sollte auf dem Gebiet der neuhumanistischen Bildung in Konkurrenz zu den Hochschulen in Berlin und Göttingen treten, an denen Ludwig I. selbst studiert hatte. 259 Die Universität zeigte sich aber durchaus fortschrittlich gegenüber der anderswo noch gängigen Fächerkumulation und der Einrichtung verschiedener naturwissenschaftlicher Fächer in der Medizinischen Fakultät. Beides spielte in München kaum eine Rolle und betraf lediglich Naturgeschichte und Pharmazie. Wie in den Geisteswissenschaften eröffnete man 1 8 2 6 den Lehrbetrieb in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächergruppe mit sieben Ordinarien. Der Lehrkörper setzte sich aus drei Mathematikern, von denen zwei entsprechend ihrer Zeit die Mathematik in Verbindung mit der Physik vortrugen, 260 und je einem Chemiker, Mineralogen, Botaniker ferner einem Vertreter für Naturgeschichte zusammen, aus der später die beiden Lehrstühle für Zoologie (1854) 2 6 1 und Anthropologie ( 1 8 8 6 ) hervorgingen. Bis Ende der fünfziger Jahre wurden fünf Ordinariate angegliedert. Der Bau der Sternwarte in Bogenhausen nahe bei München, mit dem 1 8 1 6 begonnen wurde, legte zugleich den Grundstein für das spätere Universitätsfach der Astronomie. Die Astronomie, seit 1826 als Extraordinariat im philosophischen Fächerkanon vertreten, stieg 1830 zum planmäßigen Ordinariat auf. 262 Als im Jahr 1843 der Zoologe Andreas Wagner zum Konservator der Paläontologischen Sammlung des Staates bestellt wurde, übertrug man ihm auch das Ordinariat fiir dieses Fach an die Universität; München war damit eine der ersten Universitäten, an der die Paläontologie vom Mutterfach der Mineralogie getrennt einen eigenen Lehrstuhl erhielt. 263 Das Teilgebiet der Geologie vertrat von 1853 bis 1 8 9 0 ein Gelehrter alten Stils; sie trennte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg endgültig von der Paläontologie (1920). 2 6 4 Als vorerst letztes Fach erhielt die Botanik 1857 eine Zweitprofessur, die jedoch nach der Emeritierung des langjährigen Vertreters Ludwig Radlkofer im Jahr 1913 nicht wiederbesetzt, sondern in ein Extraordinariat umgewandelt wurde. 265 Hiernach konnten sich beide in den fünfziger Jahren gegründeten Lehrstühle im planmäßigen Fächerkanon nicht dauerhaft etablieren und wurden nach dem Ausscheiden ihrer Vertreter wieder aufgehoben. Der Ausbau der planmäßigen Lehrstühle stagnierte von 1 8 5 7 bis 1890. Dieser Zeitraum überschnitt sich um knapp zwei Dezennien mit dem Ausbaustopp in den benachbarten Geisteswissenschaften. Als einzige Veränderung wurde der anfänglich von dem Naturphilosophen Gotthilf Heinrich
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von Schubert vertretene Lehrstuhl für Naturgeschichte 1886 in ein Ordinariat fur Anthropologie umgewandelt und mit seinem Enkel Johannes Ranke besetzt. Es handelte sich um das erste und für lange Zeit einzige Ordinariat für dieses Fach an einer deutschen Universität.266 Die Phase der vordergründigen Stagnation war wie in Heidelberg auch für die Münchener Naturwissenschaften eine Blütezeit. Wissenschaftler wie der Physiker Philipp von Jolly, die Chemiker Justus von Liebig und Adolf von Baeyer, der Botaniker Karl Wilhelm von Nägeli, der Paläontologie Karl Alfred von Zittel und der Mathematiker Philipp Ludwig von Seidel wandten sich von tradierten Lehrinhalten ab und standen diesseits der Schwelle zur modernen Forscher- und Leistungsuniversität.267 Das Adelsprädikat war den meisten von ihnen von Bayern für ihre außerordentliche wissenschaftliche Bedeutung verliehen worden. Die Mehrzahl von ihnen wurde während der Reformphase der Universität unter König Maximilian II. berufen, in der auch die später verwaisten Lehrstühle für Geologie und Botanik gegründet wurden. Sie gerieten wie ihre geisteswissenschaftlichen Kollegen ins Kreuzfeuer der Auseinandersetzungen um die >NordlichterNa Fischer, Sie werden sich wundern über den Pack Arbeit, den man hier einem Professor aufladet.< Als ich darauf etwas erschrocken an ihn die Frage richtete, warum er mir das nicht vor 14 Tagen gesagt hätte, als ich ihn im Vertrauen auf die alte Freundschaft um Aufklärung über die Berliner Zustände gebeten hatte, erwiderte er lachend: >Ja, dann wären Sie nicht gekommen.«< Emil Fischer 276
Auch in den Naturwissenschaften verfugte Berlin im Jahr 1914 mit 21 planmäßigen Lehrstühlen über die größte Fächergruppe unter den Universitäten des Deutschen Reiches. Ihr folgte Göttingen mit 20 Ordinariaten. Im Unterschied zu Göttingen baute Berlin jedoch nicht schwerpunktmäßig einige wenige Fächer aus, sondern gründete schon recht früh für sämdiche Disziplinen Zweitprofessuren und richtete für mehrere junge Fächer Lehrstühle ein. Die anderen deutschen Hochschulen, darunter auch München und Leipzig, folgten Berlin von der Größe her mit gemessenem Abstand. Größer als der Berliner Lehrkörper war unter den Universitäten des deutschsprachigen Raums offenbar nur jener der naturwissenschaftlichen Fächergruppe in Wien.277 Die Universität nahm 1810/11 großzügig ausgestattet den Lehrbetrieb mit sieben Naturwissenschaftlern auf. Die Ordinarien kamen überwiegend von älteren wissenschaftlichen Berliner Einrichtungen. Die Preußische Akademie der Wissenschaften spielte hierbei eine besonders wichtige Rolle. Von dort berief man die ersten Vertreter der Mathematik und Chemie. Ferner wurden gemäß den Plänen Wilhelm von Humboldts und nach dem Vorbild der Georgia Augusta der Berliner Universität mehrere Institute der Akademie zur Verfugung gestellt. Es handelte sich um den Botanischen Garten, die Sternwarte und um medizinische und chemische Laboratorien. Zudem durften die Akademiemitglieder, ohne eine Dozentenstelle an der Univer75
sität innezuhaben, dort Vorlesungen halten, wodurch das Lehrangebot erheblich erweitert und das wissenschaftliche Klima gefördert wurde. 278 Neben den beiden Mitgliedern der Akademie berief man den ersten Physiker von der Berliner Kriegsschule, den ersten Botaniker vom Collegium medico-chirurgicum und den zweiten Chemiker von der Bergakademie. Der Mineraloge Christian Samuel Weiß, der in Leipzig den physikalischen Lehrstuhl innehatte, wurde als einziger der Anfangsgeneration von außerhalb aus dem Ordinarienrang berufen. Der 1811 in das Ordinariat aufgestiegene Zoologe Hinrich Lichtenstein war vor seiner Berufung Privatgelehrter und gehörte keiner wissenschaftlichen Institution an.279 Obwohl man mit den Berufenen eine gute Wahl unter den deutschen Gelehrten jener Zeit traf, war Berlin weit davon entfernt, sich mit dem Zentrum der Naturwissenschaften in Paris messen zu können. Zu sehr war man in Deutschland noch der deskriptiven Methode des 18. Jahrhunderts verhaftet oder hing der romantischen deutschen Naturphilosophie an. Während bei der Konzeption der Berliner Universitätsgründung und den Berufungen der Anfangsgeneration Wilhelm von Humboldt als Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht federführend mitwirkte, nahm sein Bruder Alexander von Humboldt seit seiner Rückkehr nach Berlin im Jahr 1827 auf die Entwicklung der Berliner Naturwissenschaften entscheidenden Einfluß. Alexander von Humboldt engagierte sich schon in früheren Jahren weit über Berlin hinaus gewissermaßen als gesamtdeutscher Wissenschaftsorganisator. Kein zweiter beeinflußte wie er das Berufungsgeschehen in jener Zeit. Auch die Berufung Liebigs an die hessen-darmstädtische Landesuniversität beruhte auf seinen Empfehlungen an den Großherzog. Das Zentrum naturwissenschaftlicher Forschung und Kontakte war damals Paris, wo Humboldt nach seiner Südamerikareise von 1807 bis 1827 lebte. In Paris kamen sämtliche deutsche, meist junge Naturwissenschaftler zusammen, die die an heimischen Universitäten gelehrte spekulative Methode der Naturphilosophie nicht zufriedenstellte. Über Berlin äußerte Humboldt 1829: »Berlin soll mit der Zeit die erste Sternwarte, die erste chemische Anstalt, den ersten botanischen Garten, die erste Schule für transzendente Mathematik besitzen. Das ist das Ziel meiner Bemühungen und das einigende Band meiner Anstrengungen.« 280 Um diesem Ziel näherzukommen, schaltete sich Humboldt in den folgenden dreißig Jahren, bis er fast neunzigjährig 1859 in Berlin starb, mit enormem diplomatischen Geschick in Berufungsangelegenheiten, in Bauprojekte und Gehaltsfragen von Professoren der Universität ein. Auf die Entwicklung der Mathematik nahm er mit seinem Engagemant für die Berufüng von Peter Lejeune-Dirichlet nachhaltigen Einfluß. Humboldt bereitete damit den Boden für die nachfolgende Mathematikergeneration Kummer - Weierstraß - Kronecker, durch die die Berliner Mathematik europaweiten Ruhm 76
erlangte und Göttingen bis in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts überflügelte. Jene Mathematiker begründeten die Berliner mathematische Schule, aus der zahlreiche spätere Ordinarien hervorgingen. 281 Neben der Förderung und Vermittlung zahlreicher Gelehrter und Wissenschaftler an Universitäten und wissenschaftliche Institutionen wirkte Humboldt in Berlin entscheidend bei den Berufungen des Mathematikers und Astronomen Jabbo Oltmanns, 282 der Physiker Gustav Magnus und Heinrich Wilhelm Dove, der Brüder Heinrich Rose (Chemiker) und Gustav Rose (Mineraloge), des Botanikers Karl Sigismund Kunth und des Physiologen Claude Du Bois-Reymond mit oder setzte ihre Anstellung durch. Die Kontakte zu diesen Naturwissenschaftlern stammten allesamt aus seiner Pariser Zeit. 283 Mit der Art und Weise, mit der sich Humboldt für seine Proteges einsetzte, bewegte er sich noch weitgehend in den traditionellen Bahnen der alten Gelehrtenuniversität. Zwar waren Leistung und Kompetenz fur Humboldt die Voraussetzungen für seine Einflußnahme. Der Weg der Stellenvermittlung verlief aber häufig noch ganz herkömmlich nach dem regionalen Kriterium, d.h. durch Empfehlungen an den jeweiligen Landesherrn wie im Fall Liebig oder den aus Berlin stammenden Brüdern Heinrich und Gustav Rose und Gustav Magnus. Bei der Gründung der Universität war für die Fächer der Chemie, Zoologie und Botanik vorgesehen, daß sie aus dem »beschränkten Gesichtspunkte der Medizin gelöst und dem weiteren der Naturwissenschaft zugeordnet« werden sollten. 284 Dennoch verfugte die Universität in den Fächern der Botanik und der Zoologie über Parallellehrstühle in der Medizinischen Fakultät. In der Botanik führte die Doppelbesetzung dazu, daß das philosophische Ordinariat nach dem frühzeitigen Tod des ersten Vertreters von 1812 an für siebzehn Jahre nicht wiederbesetzt wurde. Im Jahr 1 8 5 0 / 5 1 endete die Doppelbesetzung des Fachs; die Hochschule verfugte nur noch über ein botanisches Ordinariat in der Philosophischen Fakultät. 285 In der Zoologie bestand der Parallellehrstuhl in der Medizinischen Fakultät für Vergleichende Anatomie bis in das 20. Jahrhundert hinein. 286 Nur die Chemie war seit der Gründung der Universität ausschließlich in der Philosophischen Fakultät vertreten. Im zweiten und dritten Dezennium des Bestehens der Universität wurden in den Naturwissenschaften vier weitere Lehrstühle eingerichtet. Zunächst gründete man in den zwanziger Jahren Ordinariate fur Astronomie ( 1 8 2 1 ) , Geographie ( 1 8 2 5 ) und eine Zweitprofessur für Mathematik ( 1 8 2 4 ) . Der erste Astronom Christoph Ludwig Ideler vertrat sein Fach noch im Stil des vorklassischen Gelehrten in Verbindung mit physischer Geographie und Chronologie. Erst nach seinem Abschied im Jahr 1844 rückte der Direktor der zur Akademie gehörenden Sternwarte Johann Franz Encke als erster Hauptfachastronom in die Professur ein. Im Jahr 77
1889 erfolgte die Trennung der Sternwarte von der Akademie und ihre Angliederung an die Universität, da der Nachfolger Enckes, Wilhelm Foerster, nicht Mitglied der Akademie war.287 Die Etablierung der Geographie beruhte auf der Initiative des preußischen Kriegsministeriums. Der erste Vertreter Karl Ritter versah neben seinem Lehramt an der Hochschule eine Dozentenstelle an der Berliner Allgemeinen Kriegsschule. Seine Professur war die erste für dieses Fach an einer deutschen Universität. Nach dem Tod Ritters sank die Geographie für fünfzehn Jahre zum Extraordinariat herab. Erst 1874 wurde die Stelle unter Heinrich Kiepert wieder zum Ordinariat angehoben. Kiepert betrieb historische und nicht wie Ritter physische Geographie. Wegen der sich entwickelnden überseeischen Politik des Deutschen Reiches hielt die Regierung die Vernachlässigung der physischen Geographie nicht mehr länger für vertretbar und berief 1886 ohne Befragen der Fakultät Ferdinand von Richthofen als eigentlichen Nachfolger Ritters nach Berlin. Somit verfugte Berlin seit den achtziger Jahren über Ordinariate in beiden geographischen Wissenschaftsrichtungen.288 Als vorerst letztes Fach erhielt 1839 die Mineralogie einen zweiten Lehrstuhl, der mit dem Reisebegleiter Alexander von Humboldts und Bruder des bereits in Berlin lehrenden Chemikers Gustav Rose besetzt wurde.289 Dies war das für lange Zeit letzte Ordinariat, das die naturwissenschaftliche Sektion in Berlin erhielt. Im Anschluß kam es wie in den Geisteswissenschaften zu einem Ausbaustopp, der von 1839 bis 1874 andauerte. Die Situation verschärfte sich noch zusätzlich, als in dieser Zeit vier Ordinariate nach dem Tod ihrer Vertreter für neun bis fünfzehn Jahre auf der Lehrstuhlebene nicht wiederbesetzt wurden. Die Fächer Chemie und Mineralogie blieben in diesem Zeitraum einfach besetzt, während die Astronomie und die Geographie zu Extraordinariaten zurücksanken. Nach der Reichsgründung und dem Aufstieg Berlins zur Hauptstadt des Deutschen Reiches erfolgte hier wie in den Geisteswissenschaften ein spektakulärer Ausbau. Unter dem Ministerium Falk (1872-1879) wurden zunächst die Lehrstühle für Geographie und Astronomie (1875) wiederbesetzt. Ferner wurden drei weitere Lehrstühle gegründet. Es handelte sich um Zweitprofessuren fur die Fächer Chemie (1874), Physik (1875) und Botanik (1878). 290 Die Gründungswelle fand schließlich in den achtziger Jahren ihren Höhepunkt, als sechs weitere Ordinariate hinzukamen. Neben einer dritten Professur für Mathematik (1883) und Zweitprofessuren fur Mathematische Astronomie (1887) und Zoologie (1888) etablierten sich die jungen Fächer der Meteorologie (1885), die in Berlin ihr erstes Ordinariat an einer Hochschule erhielt,291 sowie der Geodäsie (1887) 292 und der Petrographie (1887). Die Petrographie blieb jedoch nur wenige Jahre eigenständig und wurde schon 1892 nach dem Tod ihres Vertreters wieder vom Hauptfachmineralogen mitbetreut. 293 78
In dem nur fünfzehnjährigen Zeitraum von 1874 bis 1888 wurden zehn neue Lehrstühle mit eigenen Instituten eingerichtet, so daß sich der planmäßige Lehrkörper verdoppelte. Wie in den Geisteswissenschaften erfolgte der Ausbau unmittelbar im Anschluß an den Aufstieg Berlins zur Reichshauptstadt. Die Universität, die noch in den vorangehenden Dezennien Vakanzen hinnehmen mußte, wurde nunmehr zielstrebig zum deutschen Wissenschaftszentrum ausgebaut. Die Gründungswelle ebbte jedoch rasch wieder ab. In dem anschließenden Vierteljahrhundert bis 1914 wurden nur noch zwei weitere Lehrstühle gegründet - eine Zweitprofessur für Experimentalphysik (1906) und ein Ordinariat für Anthropologie (1909). 294 Ebenso spektakulär wie der Ausbau der Berliner Naturwissenschaften nach 1871 war auch die Wahl der berufenen Professoren. Wieder mußte Heidelberg, das schon 1810 in den Geisteswissenschaften mit Hegel, Boeckh und Wilken die besten Kräfte an Berlin verloren hatte, seine renommiertesten Wissenschaftler abgeben. In Heidelberg verschlechterten Querelen in jenen Jahren das Klima an der Universität und veranlaßten mehrere Ordinarien, auswärtige Rufe anzunehmen. 295 Zunächst trat 1871 der vormalige Physiologe Hermann von Helmholtz die Nachfolge von Magnus auf dem Lehrstuhl für Physik an. Wenige Jahre später zog er seinen Heidelberger Kollegen und Freund, den Theoretischen Physiker Gustav Kirchhoff, nach.296 Helmholtz gilt als der »letzte universelle deutsche Naturforscher nach Alexander von Humboldt«, 297 der, wie auch sein Wechsel zwischen den Fakultäten deutlich macht, noch weite Teile der Naturwissenschaften seiner Zeit überblickte. Helmholtz und Kirchhoff leiteten in Berlin eine glänzende Epoche der dortigen Physik ein.298 Wenige Jahre zuvor fand die Chemie mit August Wilhelm von Hofmann, dem bedeutendsten Schüler Liebigs, Anschluß an das nationale und internationale Spitzenfeld.299 Beide Fächer nahmen in den folgenden Jahrzehnten einen ungewöhnlichen Aufschwung. Um 1914 lehrten in Berlin in Chemie und Physik drei Nobelpreisträger. Es handelte sich um den Physiker Max Planck (Nobelpreis 1918)300 und die beiden Chemiker Emil Fischer (Nobelpreis 1902)301 und Walter Nernst (Nobelpreis 1920),302 die alle nach Amtszeiten von 27 und mehr Jahren ihre wissenschaftliche Karriere in Berlin beendeten. Die Berliner Naturwissenschaften entwickelten sich in etwa parallel zu den Geisteswissenschaften in drei Phasen: Nach der Gründungsphase wurde die Fächergruppe zunächst bis Ende der dreißiger Jahre mäßig ausgebaut. Anschließend folgte eine funfunddreißigjährige Stagnationsphase, in der einige vakant gewordene Lehrstühle über mehrere Jahre nicht wiederbesetzt wurden. Mit der Reichsgründung setzte eine Gründungswelle von naturwissenschaftlichen Lehrstühlen ein, die in den achtziger Jahren ihren Höhepunkt fand, anschließend aber merklich abebbte. 303
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1.2.2 Die Lehrstuhlentwicklung
im Vergleich304
1.2.2.1 Der Ausbau In den Naturwissenschaften gab es um 1815 keine Minimalausstattung an planmäßigen Lehrstühlen wie in den Geisteswissenschaften. Die Zahl der Lehrstühle und die vertretenen Fächer waren in den jeweiligen Fächergruppen sehr unterschiedlich. Sie reichten von einem einzigen Fach wie in Gießen bis zum annähernd vollständigen Fächerangebot der >Grundausstattung< wie in Berlin. Grundsätzlich entschied sich der Umfang der naturwissenschaftlichen Fächer in den Philosophischen Fakultäten um 1815 nach dem Gründungszeitpunkt der Universitäten. An den älteren, vor 1 8 0 0 gegründeten Hochschulen gehörten die Fächer der Physik, Chemie, Mineralogie, Botanik und Zoologie zum Teil zur Medizinischen Fakultät und gelangten erst im Lauf des 19. Jahrhunderts in die Philosophische Fakultät. Die im 19. Jahrhundert neugegründeten und neueröffneten Universitäten richteten fur diese Disziplinen dagegen sogleich Lehrstühle in der Philosophischen Fakultät ein. Berlin führte 1810 erstmals diese Neuerung durch und wurde Vorbild für alle späteren Gründungen des 19. Jahrhunderts. Da die meisten Fächer der >Grundausstattung< an den Universitäten bereits in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts vorhanden waren, ergeben sich für den Vergleich der naturwissenschaftlichen Fächergruppen weitgehend andere Fragestellungen als in den Geisteswissenschaften. Die Fächergruppen waren um 1815/26 entsprechend des Gründungszeitpunkts der Universität vor oder nach 1800 unterschiedlich ausgestattet. Heidelberg, Kiel und Gießen verfugten im Jahr 1815 noch über ein sehr bescheidenes Angebot. Neben einem Mathematiker betreute in Heidelberg ein Kameralwissenschaftler die Fächer Physik und Chemie. In Kiel wirkten ein Mathematiker und ein Astronom, und Gießen besaß nur einen Lehrstuhl für Mathematik. Dagegen wies die kleine Lahnuniversität in Marburg bereits ein relativ umfassendes Lehrstuhlangebot auf. Marburg war entgegen seiner geringen Studentenfrequenz mit zwei Mathematikern, die entsprechend der Zeit zugleich Physik vortrugen, einem Mineralogen und einem Zoologen, der im Zweitfach Kameralistik lehrte, großzügig ausgestattet. Auch in den Geisteswissenschaften hob es sich von den in etwa gleichgroßen Hochschulen ab. An der reich dotierten Universität in Göttingen zählten um 1815 Mathematik, Physik, Mineralogie, Astronomie sowie ein persönliches Ordinariat ftir Geologie zum planmäßigen Fächerangebot. Von den neugegründeten Universitäten verfugte Berlin außer der Geographie, fiir die die Universität 1825 als erste einen Lehrstuhl errichtete, über alle übrigen Fächer der >GrundausstattungGrundausstattung< vertreten. Ein Jahrhundert später führte Berlin mit 21 Lehrstühlen die naturwissenschaftlichen Fächergruppen an den deutschen Universitäten an, gefolgt von Göttingen mit 19 Ordinariaten. Beide Universitäten bildeten zusammen das Spitzenfeld, dem die Fächergruppen der anderen Universitäten ihrer Größe nach mit Abstand folgten. Die Distanz zu den meisten von ihnen war beträchtlich. Über die Hälfte der deutschen Universitäten verfugte im Vergleich zu den beiden größten über halb so viele oder weniger naturwissenschaftliche Lehrstühle.305 Auch die Bonner Naturwissenschaften, die 1818 umfassend ausgestattet wurden, aber nach einem mäßigen Ausbau seit Anfang der achtziger Jahre keinen naturwissenschaftlichen Lehrstuhl mehr erhielten, und die Heidelberger zählten um 1914 zu den kleineren Fächergruppen. In den Naturwissenschaften waren wie in den Geisteswissenschaften verschiedene Lehrstühle über längere Zeiträume vakant. Die größeren Fächergruppen waren stärker betroffen als die kleineren. Die meisten Einschränkungen hatte die naturwissenschaftliche Fächergruppe in Berlin zu verzeichnen, die wie in ihren Geisteswissenschaften zwei Phasen vakanter Lehrstühle durchlief. In den Naturwissenschaften wurde in Berlin weniger als in den Geisteswissenschaften Rücksicht darauf genommen, nur bei den mehrfach besetzten Fächern Dozentenstellen einzusparen. Etwa zeitgleich mit der benachbarten Fächergruppe verwaisten im ersten und zweiten Dezennium des Bestehens der Universität in den Naturwissenschaften zunächst die beiden Professuren für Chemie und Botanik fur acht und 17 Jahre.306 In der zweiten Phase wurden in den Dezennien von Mitte der fünfziger bis Mitte der siebziger Jahre, in denen überdies der Ausbau stagnierte, vier Professuren in den Fächern Chemie, Mineralogie, Astronomie, Geographie für neun bis 15 Jahre nicht wiederbesetzt. In den benachbarten Geisteswissenschaften setzte diese zweite Phase wenige Jahre früher ein. Während Chemie und Mineralogie von den Vakanzen weniger hart betroffen waren, da sie bereits über Zweitprofessuren verfugten, sanken Astronomie und Geographie zu Extraordinariaten herab. Alle Professuren verwaisten nach dem Tod ihrer Vertreter, d.h. in keinem Fall zwangen politische Gründe die Ordinarien zum Ausscheiden. Drei dieser Lehrstühle wurden gleich zu Beginn der Ausbauphase nach der Reichsgründung wiederbesetzt. In München erstreckte sich die Phase vakanter Professuren von Anfang der vierziger bis Mitte der fünfziger Jahre und deckte sich etwa mit dem Zeitraum in den Geisteswissenschaften. Betroffen waren nur die beiden Fächer Mathematik und Zoologie. Die Vakanzen erfolgten nach dem Ausscheiden der Vertreter; politische Motive spielten auch hier keine Rolle. 81
Zum Ende des Jahrhunderts ließ man schließlich den Lehrstuhl für Theoretische Physik von 1894 bis 1906 unbesetzt. In diesem Fall verzögerten Nachfolgeschwierigkeiten und die Verschleppung der Berufung die Wiederbesetzung. 307 Politisch begründete Amtsenthebungen führten nur in Göttingen und Kiel in je einem Fall zu längeren Vakanzen. Die Entlassenen gehörten in Göttingen zum Kreis der >Göttinger Sieben< und in Kiel zu den Verfechtern der schleswig-holsteinischen Bewegung. Während die Georgia Augusta nach zwölfjähriger Vakanz 1849 den zuvor entlassenen Wilhelm Weber zurückberief, ließ Kiel 1859 nach siebenjähriger Vakanz einen Schüler des suspendierten Ferdinand Scherk zum Ordinarius aufsteigen. In Kiel handelte es sich hierbei um die einzige längere Vakanz eines naturwissenschaftlichen Lehrstuhls in dem gesamten Zeitraum. In Göttingen bereitete darüber hinaus die Etablierung der Astronomie unter den planmäßigen Ordinariaten offensichtliche Schwierigkeiten. Obwohl das Fach anfänglich mit zwei Professuren hervorragend ausgestattet war, wurde der erste Lehrstuhl für mehr als fünfzig Jahre zum Extraordinariat zurückgestuft und der zweite bis 1914 nur zeitweise besetzt. Unter den übrigen Hochschulen mit kleinerem Lehrkörper hatte nur Heidelberg Einbußen hinzunehmen. An der Ruperto Carola verwaisten im Anschluß an die Vakanzen in den dortigen Geisteswissenschaften von Mitte der fünfziger bis Anfang der sechziger Jahre die Lehrstühle für Zoologie und Botanik für vier und neun Jahre. Anschließend wurden jeweils die eigenen Nachwuchswissenschaftler berufen, die zuvor die Extraordinariate bekleidet hatten. Die Vakanzen verliefen an den meisten untersuchten Universitäten in beiden Fächergruppen parallel. Nur Heidelberg nahm zunächst in den Geisteswissenschaften und anschließend in den Naturwissenschaften Stellenkürzungen vor. An den großen Universitäten waren beide Fächergruppen gleichermaßen von Vakanzen betroffen, während die kleineren bei ihren Geisteswissenschaften ausschließlich oder stärker einsparten als bei den Naturwissenschaften. Die Kernzeit der Vakanzen zog sich in beiden Fächergruppen von den dreißiger Jahren bis in die sechziger Jahre hin. Sie überschnitt sich noch mit jenem Zeitraum, in dem die Naturwissenschaften in wissenschaftlicher Hinsicht einen bemerkenswerten Aufschwung erlebten. Zu Vakanzen kam es in der Regel nach dem Ausscheiden der Lehrstuhlvertreter. Von einer nachhaltigen Schwächung durch die Revolutionsjahre kann hiernach keine Rede sein. Ebenso spielten Nachfolgeschwierigkeiten eine untergeordnete Rolle. Die Gründe lagen vielmehr wie in den Geisteswissenschaften in allgemeinen geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen, ferner politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Auch die Naturwissenschaften bekamen zu spüren, daß der Ausbildungsauftrag der Universi82
täten wieder stärker in den Vordergrund rückte. 308 Hinzu kam die Einrichtung Polytechnischer Schulen, die seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts einsetzte und den Bildungsetat zusätzlich belastete. 309 Die naturwissenschaftlichen Fächergruppen wurden ausgewogener ausgebaut als die Geisteswissenschaften. Besonders die kleineren Hochschulen erweiterten, schon wegen der deutlich geringeren Zahl an Ordinariaten, ihre Naturwissenschaften eher in Phasen als in Gründungswellen. Mit Ausnahme von Kiel nahmen die Entwicklungen der geistes- und naturwissenschaftlichen Fächergruppen an den jeweiligen untersuchten Hochschulen einen ähnlichen Verlauf. Die mittelgroßen Universitäten in Göttingen, Heidelberg und Bonn bauten im 19. Jahrhundert hier wie dort ihre Fächergruppen weitgehend ausgewogen aus. In den meisten Dezennien kamen ein oder zwei neue Lehrstühle hinzu. Während Bonn seit Mitte der achtziger Jahre keine weiteren Lehrstühle mehr erhielt, kam es in Göttingen durch die Initiative Felix Kleins in dem ersten Dezennium des 20. Jahrhunderts zu einer Gründungswelle von Lehrstühlen. In nur fünf Jahren erhielt die Fächergruppe sechs der insgesamt 14 von 1815 bis 1914 gegründeten Ordinariate. Ohne Klein und die Finanzierung universitärer Institute durch die Wirtschaft hätte Göttingen eine ähnliche Entwicklung genommen wie Bonn. Nur die Berliner Universität baute ihre naturwissenschaftliche Fächergruppe in Phasen aus. Auf einen mäßigen Zuwachs an Lehrstühlen in den zwanziger und dreißiger Jahren folgte zunächst eine lange Phase der Stagnation, die schließlich seit Mitte der siebziger Jahre von einer Gründungswelle abgelöst wurde. Ähnlich entwickelten sich die Geisteswissenschaften. In den Münchener Naturwissenschaften erfolgte der Ausbau des Lehrkörpers im Vergleich zu den Geisteswissenschaften ausgewogener. Zwar kam es in beiden Fächergruppen zunächst zu einer langsamen Erweiterung, auf die eine Stagnationsphase folgte. Während aber um bzw. nach 1 9 0 0 die Geisteswissenschaften eine Gründungswelle von Lehrstühlen erlebten, wurden die Naturwissenschaften eher mäßig ausgebaut. Weder ausgewogen noch in Gründungswellen erweiterten die kleinen Universitäten ihre Fächergruppen. Hier konzentrierten sich die Lehrstuhlgründungen auf Ausbauphasen, die sich über mehrere Jahrzehnte ersteckten. In Kiel und Marburg wurden neue Ordinariate von den vierziger bis in die siebziger Jahre hinein eingerichtet, wobei Marburg stärker vor und Kiel vornehmlich nach der Angliederung an Preußen ausgebaut wurde. In Gießen häuften sich demgegenüber die Lehrstuhlgründungen im zweiten Dezennium des Jahrhunderts und um die Jahrhundertmitte, so daß sich die Fächergruppe dank des Einflusses von Liebig insgesamt früher entwickelte als jene in Kiel und Marburg.
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1.2.2.2 Die Übernahme der naturwissenschaftlichen Fächer von der Medizinischen Fakultät in die Philosophische Fakultät Berlin richtete als erste Universität die naturwissenschaftlichen, an den älteren Universitäten noch in der Medizin beheimateten Fächer sogleich in der Philosophischen Fakultät ein. Die Universität verfugte aber quasi als Ausgleich in Botanik und Zoologie über Parallelprofessuren in der Medizinischen Fakultät. Doppelprofessuren in beiden Fakultäten sowie der mehrfache Wechsel eines Fachs zwischen den Fakultäten der Mediziner und Philosophen gab es auch an anderen, älteren Universitäten. 310 An den Neugründungen des 19. Jahrhunderts in Breslau, Bonn und München setzte sich in Fortfuhrung des Berliner Vorbilds sogleich die Zusammenführung aller naturwissenschaftlichen Fächer in der Philosophischen Fakultät durch. An allen älteren Universitäten zog sich dieser Prozeß zum Teil bis weit in das 19., bisweilen gar bis in das 2 0 . Jahrhundert hinein hin. Die Fächer Chemie, 311 Botanik und Zoologie waren fast durchgehend betroffen, nur in Ausnahmen auch Physik und Mineralogie. 312 Grundsätzlich gab es keine bestimmte Abfolge, nach der die Fächer an die Philosophische Fakultät abgegeben wurden. Der Zeitpunkt richtete sich vielmehr danach, wann ein Vertreter ausschied. Die Amtszeit an einer Universität betrug besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der ein Ordinarius in der Regel lebenslang an einer Universität blieb, nicht selten mehrere Jahrzehnte. Als Beispiel sei der Göttinger Chemiker Friedrich Wöhler genannt, der bei Antritt seines Lehramts 1 8 3 6 darum bat, Professur und Institut mögen wie unter seinen Vorgängern in der Medizinischen Fakultät verbleiben. Wöhlers Anliegen war Mitte der dreißiger Jahre noch als durchaus >normal< zu kennzeichnen. Da er aber knapp fünfzig Jahre das Ordinariat innehatte, wurde das Laboratorium erst 1883 von der Philosophischen Fakultät übernommen, was nun vergleichsweise spät geschah. 313 Die Kernzeit des Übernahmeprozesses reichte von den dreißiger Jahren bis in die siebziger Jahre hinein. Sehr früh wurde dieser Vorgang in Heidelberg 314 ( 1 8 5 2 ) und Gießen 315 ( 1 8 5 5 ) abgeschlossen. Wesentlich später endete er in den naturwissenschaftlichen Fächergruppen der drei 1 8 6 6 an Preußen gefallenen Universitäten in Marburg 316 ( 1 8 6 2 ) , Kiel317 ( 1 8 7 3 ) und Göttingen 318 ( 1 8 8 3 ) . An den Universitäten in Kiel und Göttingen, an denen über 1 8 6 6 hinaus noch jeweils zwei naturwissenschaftliche Lehrstühle in der Medizinischen Fakultät verblieben waren, wurden die Fächer unmittelbar nach dem Ausscheiden der Vertreter an die Philosophische Fakultät abgegeben. Ob preußische oder nichtpreußische Universitäten den Übernahmeprozeß früher abschlossen, läßt sich derzeit noch nicht eindeutig beantworten. Beispielsweise lagen Tübingen und Würzburg, die bis 1 8 6 0 / 61 und 1869 alle Fächer überfuhrt hatten, zeitlich im Mittelfeld. 319 Dage-
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gen trat die Medizinische Fakultät in Freiburg, die in diesem Punkt weit hinter der Heidelberger zurückstand, den botanischen Lehrstuhl erst 1907 endgültig an die Philosophische Fakultät ab.320
1.2.2.3 Die >Grundausstattung< Um 1914 verfugten annähernd alle Hochschulen des Deutschen Reiches über Lehrstühle in den Fächern der Mathematik, Physik, Chemie, der Mineralogie, Botanik und Zoologie sowie der Geographie. Die Lehrstühle fiir Geographie etablierten sich in der Regel als letzte unter den Fächern der >GrundausstattungGrundausstattung< zurück. Mit Ausnahme der Geographie verfugte Berlin bereits 1811 über das gesamte Fächerspektrum; 1821 folgte Bonn, anschließend in kurzen Abständen Heidelberg (1852), München (1854) und Gießen (1855) sowie Marburg (1863) und Kiel (1873). Schlußlicht war Göttingen (1883) wegen seiner späten Überfuhrung der Chemie in die Philosophische Fakultät. Göttingen war zugleich die einzige Hochschule, an der sich nicht die Geographie, die dort schon 1854 ein Ordinariat erhielt, als letztes Fach der >Grundausstattung< etablierte. Hiernach ergab sich eine andere zeitliche Abfolge als nach der Einbeziehung der Geographielehrstühle. Während sich die nichtpreußischen Hochschulen unter Ausschluß der Geographie zeidich im Mittelfeld bewegten, lagen sie unter Einbeziehung der Geographie hinter den preußischen Hochschulen zurück. Die vorletzten Lehrstuhlgründungen der >Grundausstattung< erfolgten in den Disziplinen der Zoologie (Berlin, München, Gießen, Marburg), der Chemie (Heidelberg), der Mineralogie (Bonn) und der Botanik (Kiel). Die hohe Zahl an Ordinariaten ergab sich an den größeren Universitäten weniger aus der Etablierung neuer Disziplinen wie in den Geisteswissenschaften, sondern beruhte im wesentlichen auf dem Ausbau der Fächer der >GrundausstattungGrundausstattung< hinaus wurden Lehrstühle für Geologie und Paläontologie als Zweig der Mineralogie, für Geodäsie als Zweig der Geographie, für Meteorologie und für Anthropologie eingerichtet. Göttingen beschränkte sich mit Ausnahme seines Lehrstuhl für Geologie und Paläontologie und einer Zweitprofessur für Botanik im Zweigfach der Pflanzenphysiologie noch stärker auf die Fächer der >GrundausstattungGrundausstattung< hinaus. Heidelberg, das nur über jeweils einen Lehrstuhl in Physik und Chemie verfügte, richtete zudem eine Professur für Geologie und Paläontologie und bereits ein Institut für Astro- und Geophysik ein. Von den kleineren Universitäten verfügte Gießen über die Fächer der >Grundausstattung< hinaus seit 1894 über einen Lehrstuhl für Physikalische Chemie. Marburg richtete zusätzliche Professuren für Geologie und Pharmazie ein. Professuren für Astronomie, die den kostspieligen Bau von Sternwarten erforderten, bestanden mit Ausnahme von Gießen und Marburg an allen übrigen untersuchten Hochschulen. Die Astronomie gehörte zu den ältesten naturwissenschaftlichen Fächern, zählte aber nicht zur >GrundausstattungGrundausstattung< und schuf im Anschluß weitere Lehrstühle für die älteren Fächer. 86
Unter den größeren Universitäten baute Göttingen seine Naturwissenschaften ohne deutliche Zäsuren aus. Die Universität, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die größte Fächergruppe unter den untersuchten älteren Hochschulen besaß, verhielt sich in der weiteren Entwicklung eher gegensätzlich. Einerseits wurden neue Fächer sehr früh etabliert, andererseits gliederte man die naturwissenschaftlichen Disziplinen aus der Medizin relativ spät aus. Auch an den Gründungen des 19. Jahrhunderts in Berlin, Bonn und München, an denen die Übernahme naturwissenschaftlicher Fächer von der Medizin keine und die Lehrstuhlkumulation nur eine untergeordnete Rolle spielten, entwickelten sich die Fächergruppen nicht in Phasen. Die Vervollständigung der >Grundausstattung< lief mit der Einrichtung von Zweitprofessuren und der Etablierung junger Fächer parallel. Während an den größeren also im Gründungsprozeß der Lehrstühle sämdiche Teilprozesse parallel verliefen, entwickelten sich die kleineren Hochschulen in Phasen.
1.2.2.5 Frühe oder späte Lehrstuhlgründungen Die Fragen, an welcher Universität zuerst ein Lehrstuhl für ein neues Fach eingerichtet wurde und in welcher Abfolge die anderen Universitäten nachfolgten, lassen sich für die Naturwissenschaften nicht so präzise beantworten wie fiir die Geisteswissenschaften. In den Naturwissenschaften etablierten sich die meisten Fächer vor Beginn des 19. Jahrhunderts, so daß die Vergleichsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Ferner lassen sich die Daten, die sich auf den Abschluß der Übernahme der naturwissenschaftlichen Fächer von der Medizinischen in die Philosophische Fakultät beziehen, nur eingeschränkt zu Vergleichszwecken heranziehen, da der Fakultätswechsel stets vom Ausscheiden der Vertreter abhing. Insgesamt aber traf für die Naturwissenschaften gleichermaßen zu, was für die Geisteswissenschaften ermittelt wurde. Es gab keine einzelne Universität, die den Prozeß der Lehrstuhlgründungen anführte. Hier wie dort gründeten zuerst die größeren Universitäten wie Berlin, Leipzig und Göttingen Lehrstühle in neuen Fächern. Berlin nahm jedoch eine progressivere Rolle ein als in den Geisteswissenschaften, da es sehr früh in sämdichen Fächern Zweitprofessuren errichtete. Auch in den Naturwissenschaften bestimmte sich die Abfolge der Universitäten, die sich aus den Gründungsdaten der Lehrstühle ergibt, nach der territorialen Zugehörigkeit der Hochschulen und der Studentenfrequenz. Die preußischen großen, mittelgroßen und kleineren Hochschulen gingen in der Regel ihren nichtpreußischen Schwestern gleicher Größe voraus. Auch hierbei gab es immer wieder Ausnahmen. Als Beispiele sind für die
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Naturwissenschaften die Gründungsdaten der Lehrstühle in den Fächern der Mathematik und der Geographie zu nennen. Da in der Mathematik um 1815 jede Universität bereits über mindestens einen Lehrstuhl verfugte, wurden die Gründungsdaten der Zweitprofessuren herangezogen. 321 Ferner etablierte sich die Geographie an den Universitäten als einzige naturwissenschaftliche Disziplin erst im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Sie war zudem das einzige Fach, das je nach Ausrichtung auf die historische oder physische Geographie zur geistes- 322 oder naturwissenschaftlichen Sektion gehörte. Für beide Fächer ergibt sich eine ähnliche Abfolge der Universitäten wie in den Geisteswissenschaften: In der Mathematik kam es außer in Göttingen, Bonn und München, die vor 1815 bzw. gleich bei ihrer Eröffnung einen zweiten mathematischen Lehrstuhl erhielten, im Lauf des Jahrhunderts zunächst an den größeren preußischen, dann an den größeren nichtpreußischen Hochschulen zur Gründung von Zweitprofessuren. Anschließend richteten die kleineren preußischen und die kleineren nichtpreußischen Universitäten zweite Ordinariate ein. 323 Auch hier gab es einige wenige Abweichungen. Schlußlicht der Entwicklung war wie in sämtlichen anderen Fächern die mecklenburgische Landesuniversität in Rostock. 324 In der Geographie zeichnet sich die Unterscheidung zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten deutlicher ab als in anderen Fächern. Die Richtlinien des preußischen Kultusministers Adalbert Falk zur Gründung geographischer Lehrstühle im Jahr 1874 führten dazu, daß sämtliche preußische Universitäten, die bis dahin noch nicht über einen Geographielehrstuhl verfugten, in rascher Folge bis Ende der siebziger Jahre Ordinariate erhielten. Nachzügler war die kleinste preußische Hochschule in Greifswald 1891. Dagegen richtete das Gros der nichtpreußischen Universitäten erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert planmäßige Lehrstühle in der Geographie ein. Selbst an der Großuniversität in München schuf man erst 1906 ein Ordinariat. Schlußlichter waren abermals Rostock und Jena. 325 Die Verflechtung von territorialer Zugehörigkeit und Studentenfrequenz zeigte sich auch bei sämtlichen jüngeren Fächern, die sich bis 1914 noch nicht vollständig an den Universitäten etabliert hatten. Wegen der Materialfülle konnten wiederum nicht alle Daten ermittelt werden. Dennoch zeichnen sich auch in diesen Fächern (Geologie und Paläontologie, 326 Theoretische Physik,327 Physikalische Chemie, 328 Anthropologie 329 und die Drittprofessuren der Mathematik 330 ) ähnliche Verläufe ab. Mit der Ausnahme von Göttingen und Bonn verhielten sich die untersuchten Universitäten im Gründungsprozeß der Lehrstühle in den Naturwissenschaften ähnlich wie in ihren geisteswissenschaften Fächergruppen. Berlin gehörte eindeutig zu den führenden. Es richtete nicht nur als erste 88
Universität alle naturwissenschaftlichen Fächer sogleich in der Philosophischen Fakultät ein, sondern gründete auch mehrheitlich als erste Hochschule Zweitprofessuren für sämtliche Fächer. Während man in den Geisteswissenschaften in die zweite Reihe zurücktrat, indem man die Etablierung neuer Fächer an anderen Universitäten erst abwartete und dann von diesen Hochschulen Ordinarien berief, verhielt man sich in den Naturwissenschaften weniger zögerlich. Ordinarienberufungen spielten hier nur während der Gründungswelle in den siebziger und achtziger Jahren eine Rolle. Ansonsten ließ man wie an den anderen Universitäten vorwiegend eigene Nachwuchskräfte in die neueingerichteten planmäßigen Lehrstellen einrücken. Die zweite Großuniversität München lag im Gründungsprozeß der Lehrstühle wiederum deutlich hinter Berlin und auch Göttingen zurück. Sie holte aber wie in den Geisteswissenschaften in den Jahrzehnten vor und nach der Jahrhundertwende merklich auf. Göttingen war in den Naturwissenschaften im gesamten 19. Jahrhundert eine der führenden Universitäten des Gesamtprozesses, obwohl sich die Ablösung der naturwissenschaftlichen Fächer von der Medizin sehr lange hinzog. Durch den umfassenden Ausbau von Mathematik, Physik und Chemie nach der Wende zum 20. Jahrhundert übernahm die Universität in diesen drei Fächern die Führung im Spezialisierungsprozeß. Während also die Göttinger Geisteswissenschaften in dem Zeitraum von 1815 bis 1914 zurückfielen, holten die Naturwissenschaften im Gegenzug auf. 331 Bonn dagegen, das in den Geisteswissenschaften in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts eine der Antriebskräfte im Gründungsprozeß der Lehrstühle war und sich in der zweiten Jahrhunderthälfte etwas zurückzog, kompensierte diese Entwicklung nicht durch eine stärkere Förderung der Naturwissenschaften. Trotz der hervorragenden Ausgangsbedingungen der dortigen Philosophischen Fakultät bei der Universitätsgründung im Jahr 1818 kamen die Naturwissenschaften über ihre anfängliche Lehrstuhlausstattung kaum hinaus. Schwerpunkt blieben in Bonn die Geisteswissenschaften. Heidelberg stand im Gründungsprozeß der Lehrstühle wie in seinen Geisteswissenschaften den kleineren Universitäten deutlich näher als den Hochschulen mit vergleichbarer Frequenzstärke. Es bewegte sich im Mittelfeld, ohne in der Gesamtentwicklung besonders hervorzutreten. Während die kleine Universität in Gießen in den Geisteswissenschaften das Schlußlicht unter den untersuchten Universitäten war, ging sie in den Naturwissenschaften den anderen beiden kleineren Hochschulen in Kiel und Marburg voran. Gießen verdankte diesen Vorsprung dem mehrfach erwähnten Einfluß Liebigs, der die frühzeitige Eingliederung von Zoologie und Botanik in die Philosophische Fakultät durchsetzte und den Ausbau der Chemie beschleunigte. Von den beiden 1866 an Preußen gefallenen 89
Universitäten in Marburg und Kiel lag die Philippina knapp vorn. Kiel gehörte, wenn auch noch vor Jena, Rostock und Greifswald, zu den Schlußlichtern der Gesamtentwicklung.
1.3 Der Ausbau der geistes- und naturwissenschaftlichen Fächergruppen im Vergleich Der fur die Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts entscheidende Wandel vom statischen zum dynamischen Wissenschaftsverständnis wurde seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von vereinzelten Vertretern der philologisch-historischen Fächer eingeleitet. Das entwickelte Methodeninstrumentarium wurde zunächst von den Naturwissenschaften übernommen. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten die Naturwissenschaften unter Abkehr von der philosophischen Naturbetrachtung dann allmählich eigene, auf Experiment und Empirie gründende Methoden. Der wissenschaftsgeschichtliche Vorsprung der Geisteswissenschaften vor den Naturwissenschaften um 1 8 0 0 und das Aufholen der Naturwissenschaften kurz vor der Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnete sich institutionell nur an den älteren, vor 1800 gegründeten Universitäten ab. An der Universität Göttingen, die maßgeblichen Anteil am wissenschaftsgeschichtiichen Wandel hatte, war die philologisch-historische Fächergruppe zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch Mehrfachbesetzungen der älteren Fächer und die frühe Etablierung junger Disziplinen großzügiger ausgestattet als die dortige naturwissenschaftliche Sektion. Göttingen war die einzige der acht untersuchten Universitäten, an der es im Lauf des Jahrhunderts zu einer Schwerpunktverschiebung von den Geistes- hin zu den Naturwissenschaften kam. Die Geisteswissenschaften wurden noch bis in die sechziger Jahre hinein bevorzugt gefordert, während die Naturwissenschaften seit den dreißiger Jahren allmählich auf- und die Geisteswissenschaften spätestens nach der Wende zum 20. Jahrhundert überholten. Auch Heidelberg legte im Zuge seiner Reorganisation im Jahr 1803 größeres Gewicht auf die philologisch-historischen Fächer und vernachlässigte zunächst seine Naturwissenschaften. Das Ungleichgewicht zwischen Geistes· und Naturwissenschaften wurde in den dreißiger Jahren durch eine stärkere Förderung der Naturwissenschaften ausgeglichen. In den folgenden Jahrzehnten erhielten die Fächergruppen jeweils im Wechsel neue Lehrstühle. Der Ausbau verlief schließlich seit den neunziger Jahren parallel. An der hessen-kasselschen Universität in Marburg lag das Hauptgewicht
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zu Beginn des 19. Jahrhunderts ebenfalls auf den philologisch-historischen Fächern. Die Naturwissenschaften holten seit den vierziger Jahren deutlich auf und schlossen ihre Entwicklung in den siebziger Jahren ab, während die Geisteswissenschaften insbesondere seit den neunziger Jahren nochmals umfassend gefördert wurden. Ähnlich entwickelten sich die Geistes- und Naturwissenschaften in Kiel, wobei die Ausstattung beider Fächergruppen zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch relativ bescheiden war. Dem neuen Wissenschaftsverständnis trug man um 1 8 0 0 in den philologisch-historischen Fächern weniger durch eine Ausweitung des Lehrkörpers als vielmehr durch die Berufung des Kantianers Karl Leonhard Reinhold Rechnung. In den vierziger Jahren begann der Ausbau der naturwissenschaftlichen Fächergruppe, der wie in Marburg Ende der siebziger Jahre fast vollständig abgeschlossen war. Parallel erhielten die Geisteswissenschaften, besonders in den sechziger Jahren, weitere Lehrstühle; auch hier erfolgte ein weiterer umfassender Ausbau seit den neunziger Jahren. In Gießen hatten die Geisteswissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften zu Beginn des 19. Jahrhunderts ebenfalls einen Vorsprung, der von jenen jedoch schon im zweiten Dezennium weitgehend aufgeholt wurde. Anschließend förderte die Ludoviciana als einzige der acht untersuchten Universitäten zeitlich voneinander getrennt zuerst um die Jahrhundertmitte ihre Naturwissenschaften und im Anschluß in den siebziger und seit den neunziger Jahren ihre Geisteswissenschaften. Für Marburg, Kiel und Gießen sowie mit Einschränkungen auch für Göttingen und Heidelberg ergeben sich im wesentlichen folgende Entwicklungsphasen: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand ein Ungleichgewicht zwischen beiden Fächergruppen zugunsten der Geisteswissenschaften. Die Naturwissenschaften holten zunächst an den größeren Universitäten (Göttingen, Heidelberg) seit dem Ende der dreißiger Jahre und an den kleineren Universitäten (Marburg, Kiel, Gießen) seit den vierziger Jahren deutlich auf. Nach einer umfassenden Förderung in den folgenden Dezennien war ihre Entwicklung in den siebziger Jahren weitgehend abgeschlossen. In diesem Zeitraum erhielten auch die Geisteswissenschaften weitere Lehrstühle. Sie wurden aber seit den neunziger Jahren nochmals besonders gefördert und vervollständigten erst in diesen Jahrzehnten ihre >GrundausstattungGrundausstattungRanderscheinungenPlattform-Beruf< für den Aufstieg in die wissenschaftliche Laufbahn eine wesentliche Rolle. 6 Sowohl der Urgroßonkel als auch der Großvater des Kunsthistorikers Karl Justi waren Marburger Theologieordinarien. Beide heirateten in namhafte Marburger Juristenfamilien ein und festigten dadurch ihre Position an der Universität. In der Vatergeneration kam es zum Bruch mit der Universitätstradition, da die männlichen Nachkommen mit Ausnahme des Vaters von Karl Justi, der später Pfarrer wurde, früh verstarben. Das akademische Lehramt wurde allerdings in der nachfolgenden Generation wieder aufgenommen. Fortan lehrten Abkömmlinge 97
der Familie Justi an der Universität Marburg bis in das 20. Jahrhundert hinein. »Die Jugend Karls stand noch unter dem Einfluß des Großvaters«, 7 so daß auch er wiederum die akademische Laufbahn einschlug. Karl Justi stieg bis zum Ordinarius in Marburg auf und trat am selben Tag ( 9 . 1 . 1 8 6 9 ) wie sein Bruder, der Vergleichende Sprachwissenschaftler Ferdinand Justi, in Marburg das Ordinariat an. Während Karl Justi später nach Kiel und Bonn ging, blieb sein Bruder bis zu seiner Pensionierung in Marburg. Ebenso verhielt sich dessen Sohn und Neffe von Karl Justi, der in Marburg Medizinprofessor fur Pathologie wurde.8 Während sich die Justis wie die Wundts auf die Theologische, Medizinische und Philosophische Fakultät beschränkten, gingen aus der Universitätsfamilie Robert Professoren aller Fakultäten hervor. Der Einstieg erfolgte auch hier über die Theologische Fakultät in Verbindung mit der Mitgliedschaft in der Rechtsfakultät. Der Großvater rückte gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum Ordinarius der Rechtsfakultät auf. Sein Sohn, der Vater von Karl Robert, vermochte die vom Großvater erreichte Position an der Universität nicht mehr zu halten. Er erlangte um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch ein Extraordinariat in der Medizinischen Fakultät und praktizierte später als Arzt. Die Schwester des Vaters vermählte sich mit dem Marburger Medizinprofessor Heusinger. Der Sohn aus dieser Ehe wurde ebenfalls Mediziner und Marburger Extraordinarius. Er verheiratete sich seinerseits mit einer Professorentochter des in Marburg und später in Göttingen lehrenden Altertumsforschers Karl Friedrich Hermann. Der Archäologe Karl Robert mied im Unterschied zu seinem Cousin seine Heimatuniversität während seiner gesamten Universitätslaufbahn. Er absolvierte die Stationen bis zur Professur aber nicht an verschiedenen Universitäten, sondern stieg von Studienbeginn bis zum Ordinariat, das er, erst dreißigjährig, im Jahr 1 8 8 0 erreichte, in Berlin auf.9 Der Begründer der Professorenfamilie Bruns war ebenfalls Theologieordinarius sowie Orientalist und lehrte nach mehreren Vorpositionen seit 1 7 6 4 in Halle. Sein Sohn wandte sich von der wissenschaftlichen Karriere ab, stieg in die Juristenlaufbahn ein und war in leitenden Positionen im Rechtswesen tätig. In der nachfolgenden Generation teilte sich das Geschlecht in einen Hallenser und einen Tübinger Zweig. Der ältere der Enkel wandte sich der Medizinerkarriere zu und wurde nach Tübingen berufen. Seinen Lehrstuhl für Chirurgie konnte er noch 1882 direkt an seinen Sohn weitervererben. Auch sein Enkel schlug die akademische Laufbahn ein. Er verließ jedoch Tübingen, wurde Staatsrechtslehrer und wirkte seit 1 9 2 0 als Ordinarius in Berlin. Der Hallenser Zweig wurde von dem jüngeren Enkel fortgeführt. Als Zivilrechder erlangte er zunächst noch um die Jahrhundertmitte in Halle das Ordinariat und ging dann nach Berlin. Er heiratete eine Tochter aus der württembergischen Professoren- und Juristenfamilie
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Gmelin. Der Sohn aus dieser Ehe, der Altphilologe Ivo Bruns, mied seine Vaterstadt Halle und gelangte später nach Kiel. 10 Die Jenaer Professorenfamilie Stark wurzelte als einzige in der Medizinischen Fakultät. Der Begründer des Geschlechts Johann Christian Stark war seit 1 7 8 4 Ordinarius der Medizin und Leibarzt. Zwei Söhne konnten sich ebenfalls an der Universität etablieren. Während der früh verstorbene jüngere Sohn bis zum Extraordinarius der Theologie und Philosophie aufrückte, folgte der ältere der Tradition des Vaters. Er wurde 1815 Medizinprofessor und übernahm von ihm die Leibarztstelle. Er vermählte sich mit der Tochter des Jenaer Rechtslehrers Martin. Seine Schwiegermutter entstammte einer Heidelberger Professorenfamilie (Wagemann) und war ihrerseits mit weiteren Professoren verschwägert (Boeckh, Planck). Zwei Söhne des Schwiegervaters und Schwäger Starks wurden ebenfalls Jenaer Professoren, der ältere in der Juristischen und der jüngere in der Medizinischen Fakultät. Auch sein Sohn Karl Bernhard stieg in Jena noch bis zum Extraordinarius auf und lehrte seit 1855 als Archäologe in Heidelberg. 11 Eine Ausnahme unter den Universitätsfamilien, aus denen im 19. Jahrhundert geisteswissenschaftliche Ordinarien hervorgingen, waren die Hertlings. Sie geben ein typisches Beispiel für den Aufstieg eines frühneuzeidichen adligen Beamtengeschlechts. Zunächst konnte sich die Familie im 18. Jahrhundert in der Juristischen Fakultät in Heidelberg etablieren. In der nachfolgenden Generation wurde das akademische Lehramt von zwei Söhnen fortgeführt. Angesehener als diese Rechtslehrer waren zwei weitere Söhne, die hohe Positionen im Staatsdienst erlangten und die Haupdinien des Geschlechts fortführten. Die Familie teilte sich fortan in eine bayerische und eine kurmainzische, später, nach der Auflösung der geistlichen Fürstentümer, hessische Linie. Die Abkömmlinge beider Zweige erreichten Spitzenstellungen in Militär und Verwaltung. Der soziale Aufstieg des Geschlechts wurde 1745 durch die Verleihung des Reichsadels und 1 7 9 0 mit der Erhebung in den Reichsfreiherrenstand gefestigt und abgerundet. Darüber hinaus verband man sich durchgehend mit weiteren beamtenadligen, z.T. adligen Familien. 12 Im 19. Jahrhunderts ging aus der hessischen Linie der Philosoph und spätere deutsche Reichskanzler Georg Freiherr von Herding hervor. Als strenggläubiger Katholik war Herding Mitglied und zeitweiliger Vorsitzender der Zentrumspartei. Während des Kulturkampfes gründete er 1876 mit anderen die >Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland*. Er setzte sich mit Nachdruck für die stärkere Beteiligung katholischer Kreise im von Protestanten dominierten Bildungswesen und Verwaltungsdienst ein. Herding lehrte zunächst als Extraordinarius in Bonn und erhielt 1882 in München die konfessionsgebundene katholische Philosophieprofessur. Seine Berufung wurde im
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übrigen nicht auf Vorschlag der Philosophischen Fakultät, sondern auf Veranlassung des bayerischen Kultusministeriums durchgesetzt. 13 Aus Universitätsfamilien, die sich ausschließlich in der Philosophischen Fakultät ausbildeten, stammten unter den gesamten Ordinarien der untersuchten sechs Universitäten nur zwei Geisteswissenschaftler. Es handelte sich um den Berliner Ägyptologen Adolf Erman und den Münchener Ordinarius Siegmund von Riezler, der 1 8 9 8 den neugegründeten Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte antrat. Beide erlangten ihre akademischen Grade an ihren Heimatuniversitäten und rückten in die Professuren auf. Für beide Universitätsfamilien war gleichermaßen signifikant, daß sie sich zum einen erst im 19. Jahrhundert an den jeweiligen Universitäten ausbildeten. Zur selben Zeit hatten sich die Universitätsgeschlechter in den >höheren< Fakultäten weitgehend aufgelöst. 14 Zweitens etablierten sie sich nicht an den älteren Universitäten, an denen zu Beginn des Jahrhunderts die sozialen Strukturen noch teilweise verfestigt waren, sondern an zwei Neugründungen des 19. Jahrhunderts - wobei die Verlegung der Universität von Landshut nach München einer Neugründung gleichkam. Drittens handelte es sich nicht um kleinere oder mittelgroße Universitäten, die sich in vielerlei Hinsicht langsamer entwickelten als die größeren, sondern um die beiden Großuniversitäten in München und Berlin. Wie sich der Aufstieg zur Universitätsfamilie vollzog, wird für beide Familien kurz geschildert. Adolf Erman war der Sohn des Berliner Extraordinarius der Physik Adolphe Erman. Sein Großvater, Paul Erman, gehörte zur Anfangsgeneration der Berliner naturwissenschaftlichen Fächergruppe. Von 1 8 1 0 bis 1 8 4 6 hatte er den Lehrstuhl für Physik inne und war Mitarbeiter Wilhelm von Humboldts in der Deputation für den Öffentlichen Unterricht. 15 Sein Bruder Wilhelm war Direktor der Berliner Universitätsbibliothek und in gleicher Stellung anschließend in Breslau und Bonn tätig. Sein zweiter Bruder Heinrich lehrte als Professor des Römischen und Bürgerlichen Rechts in Lausanne und Münster. Ein Neffe von ihm, der Sohn seines Bruders Heinrich, Walter Erman, wirkte als Rechtslehrer in Köln. 16 Trotz der engen Bindungen zur Berliner Universität berief man Adolf Erman noch 1892 auf den Lehrstuhl seines Lehrers Karl Richard Lepsius. Bei der Nachfolge von Lepsius waren auch auswärtige Kandidaten im Gespräch gewesen. 17 Man entschied sich aber für Erman, da seine wissenschaftliche Qualifikation außer Zweifel stand. »Ich selbst bewarb mich nicht und doch wurde sie mir, dem Jüngsten von ihnen, zuteil, in der Universität sowohl als im Museum. Die Fakultät, die durch Schräder, Sachau und Johannes Schmidt beraten wurde, hatte Vertrauen zu mir, und ebenso hatte es Schöne.« 18 Erman gehörte zu den führenden Ägyptologen des 19. Jahrhunderts und war das Haupt der Berliner Schule, aus der zahlreiche deutsche und ausländische Ägyptologen hervorgingen. 19
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Auf eine noch weiter verzweigte gelehrte Verwandtschaft konnte Siegmund von Riezler zurückblicken. Er ererbte die gelehrte Tradition über die Mutterseite. Die Reihe beginnt mit seinem Urgroßvater Peter Philipp Wolf, der als Professor der Geschichte von Zürich über Leipzig an die Akademie der Wissenschaften in München gelangte. Sie wurde fortgeführt von seinem Großvater Ignaz Sendter, der als Extraordinarius fur Ästhetik und Geschichte der Schönen Literatur von 1826 bis 1833 in München lehrte. Riezlers Onkel, Otto Sendter, auf den später zurückzukommen ist, war von 1857 bis zu seinem frühen Tod 1859 Ordinarius für Botanik an der Maximiiiana.20 Sein Sohn Erwin wandte sich dem Lehramt in der Juristischen Fakultät zu. Er stieg in München bis zum Privatdozenten auf, ging als Extraordinarius nach Freiburg und erlangte Ordinariate in Erlangen und anschließend wieder in München (1926). Die Tochter Riezlers war mit dem Würzburger Ordinarius Eduard von Weber verheiratet. Im Jahr 1900 wurde Riezler wegen seiner Arbeiten zur bayerischen Landesgeschichte vom bayerischen König der persönliche Adelstitel verliehen.21 Riezler war wie Erman der letzte Abkömmling des Geschlechts, der an seiner Heimatuniversität ohne Umwege über auswärtige Universitäten im Ordinariat Fuß fassen konnte. Nach ihnen brach die Reihe ab. Auch unterhalb des Ordinarienranges scheint aus beiden Familien kein Mitglied mehr an den jeweiligen Universitäten gewirkt zu haben.22 Über verwandtschaftliche Beziehungen zu seiner Heimatuniversität bis in die Großvatergeneration hinein verfugte ferner der Göttinger Kunsthistoriker Carl Oesterley. Die Familie Oesterley war eine alteingesessene Göttinger Kaufmanns- und Handwerkerfamilie. Der Großvater, der Vater und auch der ältere Bruder wandten sich der juristischen Laufbahn zu. Alle drei lehrten in Göttingen über viele Jahre als Privatdozenten in der Rechtsfakultät und betätigten sich neben ihren Dozentenstellen bzw. im Anschluß an ihre Lehrtätigkeit in außerakademischen Berufen. Der Großvater war Advokat, der Vater blieb in Universitätsdiensten zunächst als Inspektor, später als Universitätsrat, und der Bruder wurde Bürgermeister von Göttingen. 23 Ob einer der drei eine Professur angestrebt hatte, ist ungewiß, es erscheint jedoch naheliegend. Der Durchbruch zum Ordinariat gelang der Familie jedoch nicht in der vornehmen Juristenfakultät, sondern in der >niederen< Philosophischen Fakultät. Carl Oesterley absolvierte seine gesamte akademische Laufbahn in Göttingen. Im Jahr 1842 erreichte er das Ordinariat. Zwei Jahre später wurde er zum >Wirklichen Königlichen Hofmaler< ernannt und lebte fortan die meiste Zeit in Hannover. 24 Trotz der über drei Generationen hinweg ausgeübten Lehrtätigkeit entwickelte sich die Familie Oesterley nicht zur Universitätsfamilie. Der Sprung in die höheren Ränge der Rechtslehrerkreise bzw. in die Juristengeschlechter gelang ihr nicht. Einem Ordinariat in der weniger renommierten Philosophischen Fakultät 101
stand hingegen nichts im Wege. Hier zeigte sich die soziale Distanz zwischen den Fakultäten. Außer den klassischen Universitätsfamilien erlangten mehrere Geisteswissenschaftler an derselben Universität ein Ordinariat, an der ihre Väter bzw. nahe Verwandte lehrten. Auch diese Gruppe war relativ klein. Zu ihr gehörten die Heidelberger Familie Kayser,25 die Göttinger Familie Schwartz, die Münchener Familien Streber,26 Riehl27 und Wölfflin und die Berliner Familie Delbrück.28 Die meisten Söhne bzw. Neffen absolvierten ihre akademische Karriere ganz oder weitgehend an ihren Heimatuniversitäten. Der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin wurde nach Stationen in Basel und Berlin an die Universität seines Vaters in München berufen, an der er seine akademischen Grade erlangt hatte. In seiner Selbstbiographie bemerkte er dazu kurz: »Nach dem Tode von Berthold Riehl wurde ihm die Münchener Stelle anvertraut, die er im Frühjahr 1912 übernahm und die er als seine letzte akademische Station betrachtet.« 29 Der gebürtige Schweizer Wölfflin beendete seine Hochschullaufbahn nicht in München, sondern folgte als Sechzigjähriger einem Ruf an die Heimatuniversität Zürich. 30 Im Unterschied zu diesen Professorensöhnen mied der, was die Anzahl der Ordinarienstationen betraf, sehr wechselfreudige Altphilologe Eduard Schwartz auf dem Weg zur Professur die Universitäten Marburg und Göttingen, an denen sein Vater als Medizinordinarius wirkte. Erst als Ordinarius wechselte er 1902 gegen seinen Willen von Straßburg, wo er sich wohlfuhlte, nach Göttingen. An die Stelle der Universitätsfamilien rückten im Lauf des 19. Jahrhunderts die Wissenschaftlerdynastien, in denen die wissenschaftliche Begabung bzw. Tradition, nicht aber die Anwartschaft auf eine Professur an der Landesuniversität vererbt wurde. Daß hierbei, wie auch bei den Universitätsfamilien, soziologische Kriterien wie das Hineingeboren werden und Aufwachsen in akademischem Milieu eine überaus wichtige Rolle spielten, kann nicht genügend betont werden. Die Übergänge zwischen Universitätsfamilien und Wissenschaftlerdynastien waren um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch fließend. Bisweilen wurde an der Universität, an der der Vater lehrte, zwar noch studiert oder promoviert, die weitere Laufbahn aber anderswo absolviert. Die Öffnung zur leistungsbezogenen Auslese zwang die Söhne von Professoren, die Universitäten ihrer Väter zu verlassen, wenn sie im akademischen Lehramt vorankommen wollten. Die Wissenschaftlerdynastien brachten im Idealfall in mehreren Generationen Hochschullehrer hervor, die sich nicht mehr auf eine Universität und auf eine Fakultät beschränkten, sondern in sämtlichen Fakultäten an in- und ausländischen Hochschulen wirkten. Für die Wissenschaftlerdynastien gilt daher in Anlehnung an die Definition der Universitätsfamilien, daß das aka102
demische Lehramt in mehr als zwei Generationen ausgeübt wurde. Hierbei läßt man auch jene Familienmitglieder gelten, die den Ordinarienrang nicht erreichten. Die akademischen Grade wurden weitgehend an auswärtigen Universitäten erworben, und die Heimatuniversität diente nicht zum Einstieg in die erste ordentliche Professur. Die Wissenschaftlerdynastien entwickelten sich erst als Folge des Berufungswandels im 19. Jahrhundert. Verbindungen zu den alten Universitätsfamilien bestanden in der Regel nicht. Auch wandelten sich die klassischen Professorenfamilien nur in Ausnahmen in Wissenschaftlerdynastien um. Es läßt sich zudem sehr genau beobachten, daß die frühesten Begründer etwa seit den späten dreißiger und in den vierziger Jahren ihre Ordinariate erlangten. Damit lösten die Wissenschaftlerdynastien die klassischen Universitätsfamilien zeitlich ab. Im Vergleich zu den sozial geschlossenen Universitätsfamilien läßt sich die Zahl der Wissenschaftlerdynastien wegen ihres weitläufigen Netzes an Verwandtschaftsbeziehungen nicht bestimmen. Ihre Zahl scheint jedoch beträchtlich gewesen zu sein, wie auch die im weiteren behandelten Verflechtungen zwischen Professoren zeigen. Begründer von Wissenschaftlerdynastien waren vor und um die Jahrhundertmitte der Historiker Johann Gustav Droysen, Ordinarius seit 1840, der Hallenser Archäologe Gustav Adolf Schöll31 sowie die Brüder Adolf und Karl Holtzmann, der erste seit 1852 Germanistikprofessor in Heidelberg, der zweite Physiker am Polytechnikum in Stuttgart. 32 In der zweiten Jahrhunderthälfte etablierten sich Wissenschaftlergeschlechter um den Philosophen Wilhelm Dilthey, Ordinarius seit 1867, 33 und den Germanisten Friedrich Kauffmann, Ordinarius seit 1893. 34 Um den Grad der sozialen Verflechtungen zu verdeutlichen, wird als Beispiel die Wissenschaftlerdynastie um die Familien Droysen-MichaelisHübner dargestellt. Den Aufstieg in das Bildungsbürgertum bereitete der Vater von Droysen vor, der Sohn eines Schusters war; er stieg vom Prediger zum Superintendenten auf. Johann Gustav Droysen heiratete in zweiter Ehe eine Kieler Professorentochter und verschwägerte sich mit einem Straßburger Archäologen (A. Michaelis) und einem Göttinger Gynäkologen (H. Schwartz), dessen Sohn wiederum ein bedeutender Altphilologe wurde (Eduard Schwartz). Zwei Söhne von Droysen schlugen die wissenschaftliche Laufbahn ein; der eine wurde Neuhistoriker in Halle, der andere lehrte zunächst als Privatdozent in Berlin und wurde dann Gymnasiallehrer.35 Seine beiden Töchter vermählten sich ebenfalls mit Professoren; die eine heiratete einen Königsberger Philologen (H. Jordan), die andere den Berliner Klassischen Philologen Emil Hübner. Hübners Bruder war der Göttinger Chemiker Hans Hübner. Hübners Sohn schlug die Rechtslehrerkarriere ein und erhielt Professuren in Rostock, Gießen und Halle.36 103
An dieser Stelle brechen die biographischen Hinweise ab. Würde man die einzelnen Linien weiterverfolgen, ließen sich vermutlich Verbindungen bis in die Gegenwart aufzeigen. Doch schon an diesem Ausschnitt wird deutlich, daß die Mitglieder von Wissenschaftlerdynastien Fächer aller Fakultäten vertraten und an sämdichen deutschen Universitäten lehrten. Etwa jeder sechzehnte Geisteswissenschaftler hatte einen Bruder, der ebenfalls Hochschuldozent war. Mitberücksichtigt wurden hierbei auch jene Brüder, die den Ordinarienrang nicht erreichten und als Extraordinarien tätig waren. An den untersuchten Universitäten in Berlin, München, Göttingen, Heidelberg, Kiel und Gießen wirkten in den geisteswissenschaftlichen Fächergruppen insgesamt fünf Brüderpaare im Ordinarienrang.37 In einem weiteren Fall lehrte einer der Brüder als Geisteswissenschaftler, der andere als Naturwissenschaftler. 38 Eine besonders enge Verbindung bestand zwischen den Brüdern Ernst und Georg Curtius. Obwohl sie während ihrer akademischen Laufbahn getrennte Wege gingen, standen sie stets miteinander in regem wissenschaftlichen Austausch. Ihre Zusammengehörigkeit wurde auch dadurch unterstützt, daß sie Schwestern heirateten. Ernst Curtius vermählte sich nach dem Tod seiner ersten Frau sogar mit einer dritten Tochter des Regierungs- und Schulrats Reichhelm. 39 Um offensichtlich eine Konkurrenzsituation in der Familie zu vermeiden, wählten die Brüderpaare jeweils verschiedene Fächer. In einem knappen Drittel der Fälle waren beide Brüder Geisteswissenschaftler, etwa ebenso häufig Naturwissenschaftler. Theologische Ordinariate traten nur die bis um die Jahrhundertmitte in die Professur gelangten Brüder an. Auch hierin spiegelt sich die Loslösung der Geisteswissenschaften von der Theologie wider. Juristen und Mediziner spielten kaum eine Rolle. Die geisteswissenschaftliche Laufbahn schlug meist der ältere Bruder ein. Im Unterschied zu den Naturwissenschaftlern scheinen die älteren Brüder jedoch keine höheren Positionen - bemessen am Prestige des Fachs und der Universitäten, an denen sie lehrten - als die jüngeren erreicht zu haben. Ihrer Herkunft nach waren die Brüderpaare vornehmer als die gesamten Geisteswissenschaftler. Dies ergab sich schon dadurch, daß die unteren Schichten die Ausbildungskosten für zwei Söhne kaum tragen konnten. Mit Blick auf den Berufiingswandel stellt sich angesichts der relativen Dichte der Beziehungen die Frage, ob und bis wann einer der Brüder den anderen an eine Universität nachzog oder ihm gar beim Aufstieg in der wissenschaftlichen Karriere behilflich war. In der Regel, so kann man eindeutig feststellen, gingen die Brüder getrennte Wege und lehrten auch später als Ordinarien nur in Ausnahmefällen an derselben Universität. Zusammenhänge ließen sich für die drei Brüderpaare Wieseler, Raumer und Meyer nachweisen. Bei den beiden Brüdern Friedrich und Karl Wieseler, die aus 104
einer Pfarrersippe stammten, ging der zwei Jahre ältere Friedrich Wieseler seinem Bruder in der akademischen Karriere an der Landesuniversität in Göttingen voraus. Friedrich Wieseler habilitierte sich, als sein Bruder den theologischen Licentiatentitel erwarb. Während Friedrich bis zum Jahr 1854 etappenweise zum Ordinarius für Archäologie aufrückte, 40 verließ der jüngere Bruder 1851 Göttingen und trat eine theologische Professur in Kiel an.41 Dieses Beispiel zeigt wiederum deutlich, daß es einem an seiner Landesuniversität aufgestiegenen Theologen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr möglich war, das Ordinariat zu erreichen. Der Staatswissenschaftler und Historiker Friedrich von Raumer verzichtete auf eine glänzende Karriere als Minister im preußischen Staatsdienst und wandte sich wie sein jüngerer Bruder der akademischen Laufbahn zu. Als Raumer 1811 bei seinem Vorgesetzten, dem Staatskanzler Hardenberg, sein Abschiedsgesuch einreichte, verband er damit die Bitte, »mir die Professur der Staatswissenschaft in Breslau anzuvertrauen, wobei ich mich auch zum Lesen historischer Collegia verpflichte. Die Anstellung meines Bruders in Breslau und einige Euer Excellenz vorzutragende rein persönliche Gründe, machen mir diese Laufbahn und eine schnelle Entscheidung doppelt wünschenswert.« 42 Sein Bruder Karl Georg versah zum damaligen Zeitpunkt eine Professur für Mineralogie in Breslau, das er später gegen Halle und Erlangen eintauschte. Raumer beschreibt sehr ausführlich, welch' großen Schritt die Aufgabe seiner Stellung, die bei den meisten Bekannten auf Unverständnis stieß, zugunsten einer zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch wenig angesehenen Professorenkarriere bedeutete: »Der Einfluß, die äußern Ehren und der Geldbetrag, den ich durch Annahme der Professur verloren habe, ist allerdings sehr groß, und wol größer, als irgendein deutscher Gelehrter freiwillig der Wissenschaft opferte.« 43 Bei den beiden Brüdern Eduard und Kuno Meyer, Söhne eines promovierten Gymnasiallehrers aus Hamburg, zog der vier Jahre ältere Eduard Meyer seinen Bruder offenbar an die Universität Leipzig nach, an der er vom Studienbeginn bis zum Extraordinarius aufstieg. Als der jüngere, Kuno Meyer, 1883 in Leipzig promovierte, war der ältere bereits Privatdozent. Ferner scheute man sich in Berlin, wo Eduard Meyer seit 1902 ein althistorisches Ordinariat innehatte, neun Jahre später nicht den Bruder Kuno auf den Lehrstuhl für Keltologie zu berufen. 44 Wie sich auch später noch zeigen wird, waren in den Geisteswissenschaften die Berührungsängste geringer als in den Naturwissenschaften, wenn es um die Einstellung von Familienmitgliedern ging. Jeder zehnte Geisteswissenschaftler war mit einer Professorentochter verheiratet.45 Angesichts einer Dunkelziffer von mehr als 25 % Ordinarien, deren Eheverbindungen nicht ermittelt werden konnten, könnte der Anteil noch um einige Prozentpunkte höher liegen. Die Heiratsbeziehungen zu 105
Professorentöchtern nahmen nach der Wende zum 20. Jahrhundert geringfugig zu. Orte des Kennenlernens waren universitäre Fesdichkeiten, private Gesellschaften und Zusammenkünfte zwischen den Professoren und ihren Schülern. Der Philosoph Eduard Zeller, der die Tochter seines Lehrers heiratete, des Tübinger Theologen Ferdinand Christian Baur, schrieb hierzu: »Bei meinem häufigen Verkehr mit Baur hatte ich ... auch die ältere von seinen zwei Töchtern, Emilie, die zehn Jahre jünger als ich war, näher kennen gelernt und eine tiefe Zuneigung zu ihr gefaßt, die ich doch in mein Inneres zurückdrängen mußte, solange ich ihr nichts anderes anzubieten vermochte, als die unsichere Stellung eines Privatdozenten«. 46 Wie bei Zeller läßt sich bei allen Professoren, gleichgültig welcher Fakultät, beobachten, daß die Eheschließung abgewartet wurde, bis man eine dotierte Stellung erreicht hatte. Ungeachtet der zarten Bande der Zuneigung, die zwischen den angehenden Ordinarien und den Professorentöchtern geknüpft wurden, stellt sich grundsätzlich die Frage, ob die Heirat etwas leisten sollte, d.h. ob sie das berufliche Fortkommen der Geisteswissenschaftler in der akademischen Laufbahn beschleunigte. Einblicke gewähren hierbei erstens die soziale Herkunft der Geisteswissenschaftler, die sich mit einer Professorentochter verbanden, zweitens die Fakultätszugehörigkeit der Schwiegerväter und drittens die Zahl der Lehrer-Schüler Verhältnisse zwischen Schwiegersöhnen und -vätern. Ihrer sozialen Herkunft nach waren jene Geisteswissenschaftler, die eine Professorentochter heirateten, vornehmer als die gesamte Gruppe. Allein 65,9 % kamen aus dem Beamteten Bildungsbürgertum. Ein Sechstel von ihnen hatte selbst einen Professor zum Vater, darunter die bereits erwähnten Historiker Karl Ludwig Nitzsch und Robert Karl Holtzmann, die aus einer Universitätsfamilie bzw. Wissenschaftlerdynastie stammten. Der Anteil aus den unteren Schichten war relativ gering; er belief sich auf 15 % gegenüber annähernd 26 % bei der Gesamtgruppe. Vornehmlich bei den Geisteswissenschaftlern, die in der ersten Jahrhunderthälfte aus der Unteren Mittelschicht kamen, läßt sich beobachten, daß ihre Heirat mit Professorentöchtern ihrer Integration durchaus diente. So heiratete der Heidelberger Philologe und Archäologe Friedrich Creuzer, der Sohn eines mitderen Beamten war, gleich zweimal in universitäre Kreise ein. Während seiner Marburger Dozentenzeit vermählte er sich in erster Ehe mit der wesendich älteren Buchhändlertochter und Witwe des Professors der Kameralwissenschaften Leske und erhielt im folgenden Jahr ein etatmäßiges Extraordinariat. Unmittelbar nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er 1831 - nunmehr langjähriger Professor in Heidelberg - die über dreißig Jahre jüngere Tochter des dortigen Pathologen Sebastian und Witwe des Privatdozenten der Rechtswissenschaft K. J. Weber.47 Ein weiteres 106
Beispiel geben der Mathematiker und Astronom Gauß und sein Schwiegersohn, der Orientalist Ewald, beide Ordinarien in Göttingen. Sie waren nicht nur wissenschaftsgeschichtliche Protagonisten in ihren Fächern, sondern kamen beide auch aus einfachen Handwerkerfamilien. Signifikant für ihre soziale Außenseiterposition war ihr Heiratsverhalten. Gauß heiratete noch vor seinem Ordinariat in erster Ehe eine Frau aus derselben sozialen Schicht, aus der er kam. Es war eine Liebesheirat, an die sich eine sehr glückliche Ehe anschloß. Als seine Frau im Jahr 1810 verstarb, war Gauß bereits erfolgreicher Ordinarius. Er warb um die Hand der Tochter eines vermögenden Göttinger Rechtslehrers (Waldeck). Da sich im übrigen seine zweite Frau nicht von ihren Eltern in Göttingen trennen wollte, lehnte Gauß einen Ruf nach Berlin ab. Privates und Berufliches wirkten wie so häufig zusammen.48 Im Jahr 1830 wurde der Extraordinarius Heinrich Ewald sein Schwiegersohn, ein Jahr bevor dieser zum Ordinarius befördert wurde. 49 Während Gauß anfangs noch um Integration bemüht war, führten Gauß und Ewald offenkundig ihre wissenschaftliche Außenseiterrolle und ihre gleiche soziale Herkunft zusammen. Diese Verbindung wirkte nunmehr ausgrenzend gegenüber dem gelehrten Mittelmaß vieler anderer Kollegen. Ein ähnliches Verhalten läßt sich in weit ausgeprägterem Maß bei dem Heiratskreis um den Gießener Chemiker Justus Liebig beobachten. 50 Über die Hälfte der Schwiegerväter bekleidete ebenfalls eine geisteswissenschaftliche Professur. Mit weitem Abstand folgten Naturwissenschaftler (16,7%) und Mediziner (13,9 %). Juristen und Theologen spielten unter den Schwiegervätern fast keine Rolle. Lehrer-Schüler Beziehungen ließen sich bei einem Sechstel der Geisteswissenschaftler, die sich mit einer Professorentochter vermählten, und ihren Schwiegervätern nachweisen. Keiner dieser Schüler war übrigens Professorensohn. Offensichtiiche Zusammenhänge zwischen der Heirat und dem Fortkommen an der Universität des Schwiegervaters bestanden bei dem Klassischen Philologen Moritz Haupt, der 1842 die Tochter seines Leipziger Lehrers Gottfried Hermann heiratete und ein Jahr später in Leipzig vom Extraordinarius zum Ordinarius aufrückte.51 Ferner war der Historiker Ernst Steindorff Schwiegersohn seines Göttinger Lehrers Georg Waitz; er stieg seit 1866 vom Privatdozenten an in Göttingen auf, erhielt 1883 aber nur ein persönliches Ordinariat neben dem planmäßigen Lehrstuhl in der Nachfolge Waitz.52 Zumindest zeitliche Zusammenhänge lassen sich bei dem Philosophen Heinrich Maier nachweisen. Maier, der einfacher Handwerkssohn war, kam als einziger der LehrerSchüler Gruppe aus der Unteren Mittelschicht. Als Maier im April 1902 die Tochter seines Lehrers aus Tübinger Studenten- und Dozentenjahren Christoph Sigwart heiratete, war er bereits Ordinarius in Zürich. Doch schon zum Wintersemester desselben Jahres wurde er nach Tübingen berufen. Ob bei dieser Berufung das wissenschaftliche Werk Maiers, seine Herkunft aus 107
Württemberg oder seine Verbindung zu Sigwart den Ausschlag gaben, bleibt ungewiß. Möglicherweise spielten alle drei Faktoren eine Rolle. Maier verließ Tübingen nach neun Jahren und erhielt weitere Ordinariate in Göttingen, Heidelberg und Berlin, was zweifellos für seine wissenschaftliche Qualifikation spricht.53 Bei den übrigen Geisteswissenschaftlern dieser kleinen Gruppe ergaben sich keine derart direkten Verbindungen zwischen der Heirat einer Professorentochter und dem Fortkommen in der Hochschullehrerlaufbahn. 54 Daß es nicht immer ein Vorteil war, wenn an der Universität, an die man berufen werden sollte, bereits der eigene Schwiegervater lehrte, zeigte sich am Beispiel von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff und seinem Schwiegervater Theodor Mommsen. Wilamowitz heiratete 1878 die älteste Tochter von Mommsen, Marie, als er bereits Ordinarius in Greifswald war. Als der preußische Kultusbeamte Friedrich Althoff Wilamowitz 1896 wegen der bevorstehenden preußischen Gymnasialreform nach Berlin holen wollte, mußten bei den näheren Fachkollegen erst größere Hemmnisse aus dem Weg geräumt werden. Mommsen mußte sich aus der Berufungsangelegenheit zurückziehen und konnte nur begrenzt im Hintergrund agieren. »Mommsens Unterstützung stand immer in Gefahr, Opposition auf sich zu ziehen, statt wirksame Hilfe zu leisten. Seine Hilfe war von Nachteil, wenn sie einem nahen Verwandten galt. Er konnte nur hinter den Kulissen helfen.«55 Denn »tatsächlich verschaffte ihm [Wilamowitz] seine Verwandtschaft zu Mommsen zusätzliche Gegner, die zu seinen eigenen hinzukamen«. 56 Außer den Lehrer-Schüler Beziehungen, die durch die Ehe mit einer Tochter des Lehrers gefestigt wurden, förderten Heiratsverbindungen auch anderweitig das Fortkommen der Schwiegersöhne, wie das folgende Beispiel zeigt. Der Göttinger Ordinarius für Gelehrtengeschichte Jeremias David Reuss heiratete wie auch sein jüngerer Kollege, der Historiker Heeren, eine Tochter des Philologen Heyne. Reuss war kein Schüler von Heyne, sondern hatte bei seinem Vater in Tübingen studiert. Als Heyne starb, erbte Reuss dessen Stelle als erster Universitätsbibliothekar.57 Neben der sozialgeschichtlichen Komponente zeigt dieses Beispiel auch, daß sich an der jungen Reformuniversität in Göttingen die familiären Strukturen ebenso schnell verdichteten, wie sie an den älteren Universitäten über Generationen gewachsen waren. Jeder siebente Geisteswissenschaftler hatte einen Sohn, zum Teil zwei oder drei Söhne, die wie der Vater die akademische Laufbahn einschlugen.58 Bei den Söhnen ist aus den eingangs genannten Gründen mit einer vergleichsweise höheren Dunkelziffer zu rechnen. Um genauere Aussagen treffen zu können, werden im folgenden jene Söhne näher untersucht, die an derselben Universität, an der ihre Väter lehrten, Dozentenstellen inne108
hatten. Diese Gruppe konnte über die Dozentenverzeichnisse fast vollständig eruiert werden und umfaßt bei den Geisteswissenschaftlern 45 Söhne von 41 Professoren.59 Die Hälfte dieser Söhne gelangte an der Universität ihrer Väter bis zum Privatdozenten. Annähernd ein Drittel erhielt dort - in der Regel nach auswärtigen Stationen - ein Ordinariat. Von diesen Söhnen promovierte und habilitierte nur ein kleiner Teil an der Universität des Vaters. Die meisten kehrten als Ordinarien an ihre Heimatuniversitäten zurück, fur viele war es die zweite, dritte oder vierte Ordinarienstation. Die weit überwiegende Zahl dieser Ordinarien gelangte erst nach 1920 in die Professuren. Von der gesamten Gruppe erreichten nicht weniger als 64 % später den Rang eines Ordinarius. Etwa ein Drittel schlug wie der Vater eine Hochschulkarriere in den Geisteswissenschaften ein. Ein Fünftel wählte eine naturwissenschaftliche Laufbahn, und jeweils ein Sechstel wandte sich den angesehenen Karrieren in der Medizin und der Rechtswissenschaft zu. Keiner der Söhne dieser Gruppe entschied sich jedoch für das theologische Lehramt. Je größer die Universität war, desto mehr Professorensöhne stiegen auf und umso höher war die Quote jener, die den Ordinarienrang später auch erreichten.60 Damit traf durchaus zu, was der Jurist Ernst Immanuel Bekker, Sohn eines Altphilologen, über seine Herkunft als Berliner Professorensohn vermerkte: »die Kinder des Berliner Professors meinen doch leicht, etwas höherer Extraction zu sein, von einer Gardeuniversität zu stammen«.61 Die soziale Herkunft der Ordinarien, deren Söhne das akademische Lehramt ausübten, deckte sich im wesentlichen mit der Herkunft aller Geisteswissenschaftler. Damit fand die These, daß gerade die Ordinarien aus den unteren Schichten versuchten, ihre Söhne an der Universität unterzubringen, an der sie lehrten, keinen grundsätzlichen Rückhalt.62 Eine Ausnahme bildete der Berliner Altphilologe Hermann Diels aus der Unteren Mittelschicht. Diels war noch 1886 in Berlin in das Ordinariat aufgerückt. Seine drei Söhne schlugen ebenfalls die Hochschullehrerlaufbahn ein und begannen ihren Karriereweg in Berlin, zwei als Naturwissenschaftler, der dritte als Geisteswissenschaftler. Der älteste setzte nach einer kurzen auswärtigen Zwischenstation seine Karriere in Berlin fort, zunächst als Extraordinarius, später als Ordinarius der Botanik. Der zweite Sohn stieg in Berlin bis zum Extraordinarius, der dritte bis zum Privatdozenten auf. Beide erreichten an anderen Universitäten den Ordinarienrang. Der mittlere, Otto Diels, erhielt 1950 zusammen mit Karl Aider den Nobelpreis für Chemie. 63 Protektion und wissenschaftliche Begabung schlossen sich, wie dieses Beispiel zeigt, nicht aus.
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2.1.1.2 Die Väterberufe 64 Die Hochschullehrerlaufbahn war die Domäne des gehobenen Bürgertums. Allein 72,5 % der Geisteswissenschaftler stammten aus der höheren Beamtenschaft, aus freien Berufen und dem Besitzbürgertum, die zusammen in der deutschen Gesamtbevölkerung weniger als 5 % ausmachten.65 Diese zur Oberen Mittelschicht zusammengefaßten Berufsgruppen stellten an den untersuchten Universitäten durchgehend mehr als 60 % der Geisteswissenschaftler. Den höchsten Anteil von 81,6 % erreichten die Heidelberger. Sie waren unter den Geisteswissenschaftlern am vornehmsten. Es folgten knapp dahinter Göttingen und Kiel mit jeweils 79,7 %, dann Berlin mit 72,2 %, Gießen mit 65,5 % und schließlich die katholische Universität in München mit 61,3 %. Da die Adlige Oberschicht und die Unterschicht keine Rolle spielten, ergab sich für die Untere Mittelschicht die umgekehrte Abfolge. Den höchsten Anteil verzeichneten die Geisteswissenschaftler in München mit 33,8 %, knapp gefolgt von Gießen mit 32,7 %. Mit einer Differenz von zehn und mehr Prozentpunkten schlossen sich Berlin mit 22,1 %, Göttingen mit 19,1 %, Kiel mit 18,8 % und Heidelberg mit 16,6 % an. Nach diesen Ergebnissen waren die Geisteswissenschaftler in Berlin keineswegs die vornehmsten. Soziale Exklusivität drückte sich ausschließlich in dem höchsten Anteil an der Adligen Oberschicht aus (4,7 %). Der Anteil der Oberen Mittelschicht stieg unter den Geisteswissenschaftlern kontinuierlich an. Entsprechend zog sich die Untere Mittelschicht mehr und mehr vom geisteswissenschaftlichen Lehramt zurück. Die Geisteswissenschaftler wurden damit im Lauf des Jahrhunderts vornehmer. Kennzeichnend für die Quote der Oberen Mittelschicht wie auch für sämtliche Berufsgruppen war es, daß sie sich an den einzelnen Universitäten nicht einheitlich entwickelte. So nahm in Gießen und München die Obere Mittelschicht in den drei aufeinanderfolgenden Probandengruppen zu. In Heidelberg blieb ihr Anteil in den ersten beiden Gruppen konstant und stieg nach 1880 an. In Göttingen und Kiel nahm ihre Quote kontinuierlich ab. Und in Berlin stieg ihr Anteil in der mittleren Gruppe an und sank in der dritten wieder ab. Das wichtigste Rekrutierungsfeld der Geisteswissenschaftler war das Beamtete Bildungsbürgertum, das in der gesamten Bevölkerung nur zu 2 % vertreten war.66 Es stellte insgesamt 47,6 % der 381 Geisteswissenschaftler, deren Vaterberufe ermittelt werden konnten. Während die Obere Mittelschicht zunahm, war hier ein stetiger Rückgang zu verzeichnen (53,6 %, 49,5 %, 42,6 %). Auch diese Entwicklung stellte sich an den einzelnen Universitäten nicht als ein einheitlicher Prozeß dar. Rückläufig war der Anteil des Beamteten Bildungsbürgertums nur in Kiel und Göttingen. In Heidel110
berg stieg er geringfügig und in München nach 1880 mit der Berufung zahlreicher protestantischer Ordinarien sprunghaft an. In Berlin verlief die Entwicklung wie in der Oberen Mittelschicht. In Gießen kam es nach 1848 zu einem Bruch mit den traditionellen Herkunftsgruppen, in dessen Folge sich das Beamtete Bildungsbürgertum weitgehend zugunsten der Freiberufler zurückzog. Nach 1880 glich sich der Anteil der höheren Beamtensöhne in Gießen denen der meisten protestantischen Universitäten wieder an. Gemeinsam war den Geisteswissenschaftlern aller protestantischen Universitäten der hohe Anteil von Söhnen aus dem Pfarrhaus, der sich in Göttingen auf 22,6 % und in Kiel sogar auf 24,4 % belief. An der katholischen Münchener Universität lag der Anteil wegen der Zölibatbeschränkung für katholische Geistliche nur bei 5 %. Die Beteiligung der Pfarrerssöhne am geisteswissenschaftlichen Lehramt vollzog sich in Schüben, in denen sich die Frequenzentwicklung der Theologiestudenten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eindrucksvoll widerspiegelt. Nach Rienhardt strebten zwei Drittel der Pfarrerssöhne die theologische Karriere an.67 Der Anteil derer, die dem väterlichen Beruf später auch folgten und eine Pfarrstelle erhielten, lag zwischen 33 % und 50 %.68 Die Theologen wandten sich verstärkt während der Überfüllungsphasen und schlechten Einstellungschancen im Pfarramt der geisteswissenschaftlichen Karriere zu. Dies wird deutlich, wenn man von dem Alter bei Antritt des ersten Ordinariats etwa 15 bis 20 Jahre zurückrechnet, die seit Studienbeginn bis zur Erlangung der Professur verstrichen waren. Die erste Welle von Pfarrerssöhnen erreichte bis etwa 1810 die historisch-philologische Professur und war Folge der Überfüllungsphase im Pfarramt in den achtziger und neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Anschließend ging der Anteil der Pfarrerssöhne unter den Geisteswissenschaftlern wieder deudich zurück. Ein zweiter Schub erfolgte seit dem Ende der dreißiger Jahre und stand mit der Aufschwungphase nach den Freiheitskriegen in Zusammenhang. An den norddeutschen Universitäten erreichte er schon in den zwanziger Jahren seinen Höhepunkt und klang allgemein erst um die Jahrhundertmitte ab. Diese vormärzliche Wachstumswelle zeichnete sich ein zweites Mal in der Herkunft der Geisteswissenschaftler in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre ab, als der Theologenanteil in der Vatergeneration erneut überdurchschnitdich anstieg. Die dritte und größte Aufschwungphase der Theologenfrequenz in den achtziger Jahren hatte auf die Herkunft der Geisteswissenschaftler keinen vergleichbaren Einfluß mehr.69 Zwischen 1904 und 1914 trat an den sechs Universitäten sogar kein einziger Theologensohn ein geisteswissenschaftliches Ordinariat an. Damit zeichntete sich auch in der sozialen Herkunft die Loslösung der Geisteswissenschaften von der Theologie ab. Der allmähliche Rückzug der Theologensöhne, deren Anteil unter den 111
Geisteswissenschaftlern von 17,8 % vor 1880 auf 10 % nach 1880 absank, wurde durch eine stärkere Beteiligung der Söhne akademisch gebildeter Lehrer ausgeglichen. In der ersten Gruppe waren die Lehrer noch ohne Bedeutung. Seit den sechziger Jahren gelangten dann zunehmend Söhne von zumeist Gymnasiallehrern in die geisteswissenschaftlichen Professuren.70 Ihr Anteil lag nunmehr bei 9,9 % und fiel nach 1880 leicht auf 8,3 % zurück. Sie bildeten fortan hinter den Großhändlern die zweitstärkste Gruppe unter den Vaterberufen der Geisteswissenschaftler. Neben Theologen und akademisch gebildeten Lehrern hoben sich die Justizbeamten deuüich von den übrigen Berufsgruppen ab. Sie stellten im gesamten Zeitraum 6,8 % der Geisteswissenschaftler. Aus der gesamten Gruppe der höheren Justiz- und Verwaltungsbeamten rekrutierten sich allein 14,2 % gegenüber 13,7 % der Naturwissenschaftler. Wie noch zu zeigen sein wird, wandten sich die Söhne aus den politischen Führungsgruppen vornehmlich der Philosophie und der Germanistik zu. Das Freiberufliche Bildungsbürgertum nahm zwar im Lauf des Jahrhunderts unter den Väterberufen zu, spielte aber insgesamt eine weniger bedeutende Rolle. Wichtigste Berufsgruppen waren hier die Ärzte und die KünsÜer (vornehmlich Musiker), deren Söhne sich mit jeweils 3,2 % und 2,9 % am Lehramt beteiligten. In Göttingen gelangte ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Arztsöhnen in die geisteswissenschaftlichen Professuren (6 %). Bedeutsamer als die Freien Berufe wurde fur die Rekrutierungsschichten der Geisteswissenschaftler das Besitzbürgertum. Während die Freien Berufe und der Besitz unter den Ordinarien vor 1848 noch gleich stark vertreten waren, kam nach 1880 jeder fünfte Geisteswissenschaftler aus der besitzenden Schicht; in den Naturwissenschaften war es bereits nach 1848 jeder vierte Ordinarius. Insbesondere die Söhne der Großhändler bildeten nach der Jahrhundertmitte eine der stärksten Gruppen unter den Hochschullehrern und lagen unter den Geisteswissenschaftlern nur hinter den Theologen· und den Handwerkersöhnen zurück. Ihr Anteil stieg bei den Geisteswissenschaftlern weiter an, die seit dem Ende des Jahrhunderts ihre Ordinariate erreichten, und stand in Zusammenhang mit der Wachstumsphase in der Studentenfrequenz in den achtziger und neunziger Jahren. Wegen der überaus guten Berufsaussichten für Akademiker nach der Reichsgründung beteiligten sich neben der traditionellen Herkunftsgruppe der Beamten vornehmlich die vermögenden, besitzenden Schichten am Universitätsstudium. 71 Der Alte Mittelstand zog sich im Lauf des Jahrhunderts mehr und mehr von der geisteswissenschaftlichen Professur zurück. Nur in Kiel und ansatzweise auch in Göttingen stieg sein Anteil an. An der Universität in München rekrutierte sich bis zur Jahrhundertmitte fast die Hälfte aller Geisteswissen112
schaftler aus Handwerk, Kleinhandel und Bauernstand (47,8 %).72 Die meisten waren bayerischer Herkunft, katholischer Konfession und kamen aus ländlich-kleinstädtischen Gebieten. 73 Auch nach der Jahrhundertmitte trafen bei jedem dritten Münchener Geisteswissenschaftler alle vier Merkmale zusammen. Mit der Öffnung zur leistungsbezogenen Auslese und der Rekrutierung auswärtiger, meist protestantischer Ordinarien hob sich das Sozialprofil der Münchener Geisteswissenschaftler. Nach 1 8 8 0 verzeichnete der Münchener Lehrkörper sogar den höchsten Anteil an höheren Beamtensöhnen unter den sechs Universitäten. Auch ungeachtet der Münchener Entwicklung nahm das Handwerk in der Vatergeneration der im letzten Drittel des Jahrhunderts an die protestantischen Universitäten berufenen Geisteswissenschaftler von 9 % vor 1 8 8 0 auf 6,8 % nach 1 8 8 0 ab. Der Neue Mittelstand der kleinen und mittleren Beamten und Angestellten spielte in den Herkunftsgruppen der Geisteswissenschaftler kaum eine Rolle. An den Universitäten in Göttingen, Berlin und München kam von den zwischen 1848 und 1880 berufenen Geisteswissenschaftlern kein einziger aus dem Neuen Mittelstand. Allein die nichtakademischen Lehrer, die nach Ansehen und Gehalt ein tiefer Graben von den Gymnasiallehrern trennte, nahmen im Lauf des Jahrhunderts zu und stellten insgesamt 2,9 % der Geisteswissenschaftler.74 Aus der Unterschicht stammten im gesamten Zeitraum vier Geisteswissenschaftler (1,1 %). Drei von ihnen waren Münchener Ordinarien und katholischer Konfession; zwei kamen über das Theologiestudium zur Geschichte bzw. zur Philosophie. Von den Geisteswissenschaftlern der fünf preußischen Universitäten kam nur einer aus der Unterschicht (0,3 %).75 Es handelte sich um den Historiker Dietrich Schäfer, der Sohn eines Hafenarbeiters in Bremen war. Seine Kindheit und Jugend schilderte Schäfer sehr ausfuhrlich und eindrucksvoll in seiner Selbstbiographie. 76 Der Anteil der Adligen Oberschicht war unter den Geisteswissenschaftlern ebenfalls nur gering (1,8 %). Die Söhne aus dem Alt- und Hochadel bevorzugten keine bestimmten Fächer, sondern wandten sich gleichermaßen traditionellen und jüngeren Wissenschaften und auch >Orchideenfächern< zu. Die Söhne aus beamtenadligen Familien, deren Väter unter ihren ausgeübten Berufen zugerordnet wurden, machten unter den Geisteswissenschaftlern 2,4 % aus. Darüber hinaus wurde ein nicht unbeträchtlichen Anteil von Geisteswissenschaftlern zu Lebzeiten in den Adelsstand erhoben. Den weitaus meisten von ihnen wurde der Adelstitel vom bayerischen König verliehen. Dabei stand gerade Bayern in dem Ruf, mit Titelverleihungen eher zurückhaltend zu sein, weshalb die bayerischen Standeserhöhungen besonderes Ansehen genossen. 77 Man legte größten Wert darauf zu betonen, daß die Titel und Orden auf wissenschaftlichen Verdiensten und nicht auf vorneh113
mer Abkunft beruhten. 78 Die meisten dieser Nobilitierungen wurden zur Zeit Ludwigs II. vorgenommen. Von den 2 2 nobilitierten Münchener Geisteswissenschaftlern erhielten neun ihr Adelsdiplom nachweislich von Bayern. Für weitere neun kann dies angenommen werden, da sie während ihrer Amtszeit in München geadelt wurden, und für drei sind Zeitpunkt und Verleiher nicht bekannt. Außerhalb Bayerns war man mit der Nobilitierung von Geisteswissenschaftlern entschieden zurückhaltender. Von den anderen Staaten (Preußen, Baden, Hessen-Darmstadt sowie Hannover und Dänemark) nobilitierte nur Preußen 1865 den Historiker Leopold von Ranke 1 8 6 5 , wohl wegen seiner Verdienste als Historiograph des preußischen Staates. Der Akademikeranteil war in der ersten Gruppe am höchsten trotz der hohen Beteiligung von Geisteswissenschaftlern aus den nichtakademischen Schichten unter den Münchener Ordinarien; er belief sich auf 51,8 %.79 In der mittleren Ordinariengruppe sank er auf 46,5 % ab und näherte sich nach 1 8 8 0 mit 4 9 , 1 % wieder der ersten Gruppe an. Die Selbstrekrutierungsrate, die auch die akademisch gebildeten Lehrer mit einschließt, stieg von 6,4 % vor der Jahrhundertmitte auf zunächst 17,8 % und schließlich auf 19,5 % an; sie lag damit aber immer noch hinter den anderen Fakultäten zurück. 80 Die Berufsvererbung, d.h. der Anteil der Professorenväter, nahm ebenfalls stetig zu (3,6 %, 7,9 %, 10,7 %). Die meisten von ihnen lehrten als Theologen und Philosophen, während die angeseheneren Rechtslehrer und Medizinprofessoren kaum vertreten waren. Das geisteswissenschaftliche Lehramt wurde von acht Vätern ausgeübt. Die ersten Professorensöhne von Philologen gelangten 1858 und 1 8 6 2 in die Ordinariate. Es waren die beiden bereits oben genannten Karl Wilhelm Nitzsch und Karl Ludwig Kayser.81 Vom Sozialprofil her bestanden zwischen den einzelnen geisteswissenschaftlichen Fächern erhebliche Unterschiede. Mit einer Quote von 73,3 % von Ordinarien aus der Oberen Mittelschicht und einem Probanden aus der Adligen Oberschicht waren die Historiker am vornehmsten. Der Anteil der höheren Beamtensöhne war unter den Geschichtswissenschaftlern jedoch niedriger als in der Gesamtgruppe (41,3 %) und wurde durch eine stärkere Beteiligung der Freiberufler ausgeglichen. Obwohl die Geschichtswissenschaft in ihren Themenstellungen weitgehend von der Rechtswissenschaft beeinflußt wurde, lag der Anteil der Söhne der Justiz- und Verwaltungsbeamten hinter dem der gesamten Geisteswissenschaftler zurück (9,3 % gegenüber 14,2 %). Dagegen waren die Theologen bis 1880 etwas überrepräsentiert (25 % gegenüber 2 0 , 9 %), hielten sich anschließend aber ganz von der Geschichtsprofessur fern. Wichtigstes Rekrutierungsfeld waren die Söhne der Großhändler, die 12,8 % (gegenüber 9,2 %) der Historiker stellten. 8 2 114
Die Berufsgruppen, aus denen die Altphilologen stammten, deckten sich weitgehend mit der Gesamtgruppe der Geisteswissenschaftler. Unterschiede ergaben sich ausschließlich in überdurchschnittlichen Anteilen von Pfarrhaus (18,4 %) und Handwerkerschaft (13,2 %). Mit einem Anteil der Oberen Mittelschicht von 72,7 % rückten sie nahe an die Historiker heran. Die Philosophen waren keineswegs das Schlußlicht auf der sozialen Prestigeskala der Geisteswissenschaftler.83 Mit immerhin 63,2 % zählten sie die mit Abstand meisten Beamtensöhne in ihren Reihen. Ein deutlicher Schwerpunkt lag in der Justiz- und Verwaltungsbeamtenschaft, aus der 21,1 % der Philosophen stammten. Sie hatten damit unter den Vertretern der traditionellen Fächer die engsten Verbindungen zu den politischen Führungsgruppen. Ferner waren die Theologen, denen sie auch fachlich nahestanden, in der Vatergeneration stark überrepräsentiert (24,6 %). Überdurchschnittlich war darüber hinaus der Alte Mittelstand vertreten (22,8 %). Freie Berufe, Besitz und Neuer Mittelstand spielten in der Herkunft der Philosophen kaum eine Rolle. Aus ähnlichen Berufsgruppen wie die Philosophen kamen die Germanisten, die sich ihrer Herkunft nach deutlich von den Vertretern der Neuphilologien absetzten. Auch sie rekrutierten sich vornehmlich aus der höheren Beamtenschaft (56,7 %) und dem Alten Mittelstand (26,7 %). Der Anteil der Justiz- und Verwaltungsbeamten war in der Vatergeneration noch höher als unter den Philosophen (26,7 %).84 Unter den Ordinarien der Neueren Sprachen waren dagegen die Söhne der höheren Beamten weit unterrepräsentiert (30,8 %). Pfarrer und Kirchenbeamte fehlten in der Vatergeneration ganz. Die Neuphilologen hatten ihren Schwerpunkt statt dessen im Besitzbürgertum und hier vornehmlich im Gutsbesitz und im Großhandel. Am unteren Ende der sozialen Prestigeskala standen die Orientalisten mit immerhin noch einem Anteil von 67,3 % an der Oberen Mittelschicht. Die Theologensöhne waren unterdurchschnittlich repräsentiert (12,2%), obwohl die Orientalistik der Theologie fachlich am nächsten stand. Die geringere Beteiligung der höheren Schichten wurde durch den Alten Mittelstand ausgeglichen. Während die Handwerkersöhne sich von der geisteswissenschaftlichen Professur im Lauf des 19. Jahrhunderts immer stärker zurückzogen, nahmen sie unter den Orientalisten nach 1880 zu und stellten etwa jeden fünften Hochschullehrer. Die Orientalistik bot danach unter allen geisteswissenschaftlichen Fächern die besten Chancen für soziale Aufsteiger.
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2.1.1.3 Die Bedeutung der Konfession Die Universitätsprofessur war nicht nur bürgerlich, sie war auch protestantisch. Von 86,6 % der Geisteswissenschaftler, deren Konfession ermittelt werden konnte, gehörten insgesamt 72 % dem protestantischen, 5,1 % dem reformierten und 3,1 % dem jüdischen Glauben an; nur 18,8 % waren katholischer Konfession. Die preußische Bevölkerung setzte sich zum Vergleich im Jahr 1885 aus 64,2 % Protestanten, 34,2 % Katholiken und 1,3 % Angehörigen jüdischen Glaubens zusammen. 85 Im Reich lag 1907 der Anteil der Katholiken bei 36,5 %;86 die jüdische Bevölkerung nahm von 1871 bis 1905 von 1,25 % auf 1 % ab.87 An den protestantischen Universitäten in Gießen, Kiel, Heidelberg, Göttingen und Berlin belief sich der Anteil der Protestanten auf nicht weniger als 80,8 % sowie 5,9 % Reformierte. Nur 10,8 % der Ordinarien waren katholischer Konfession.88 Der Anteil jüdischer Geisteswissenschaftler erreichte 2,4 %. Der Lehrkörper in Kiel war fast durchgängig protestantisch. Von 82,1 % der Geisteswissenschaftler, deren Religionszugehörigkeit bekannt ist, gehörten 93,8 % dem protestantischen und nur 3,1 % dem katholischen Glauben an. In Berlin und Göttingen waren im gesamten Zeitraum von 84,2 % und 87,9 % ihrer geisteswissenschaftlichen Lehrstuhlinhaber 81 % bzw. 81,3 % Protestanten und jeweils 10 % Katholiken. An beiden Universitäten verdoppelte sich jedoch der Anteil der Katholiken seit den siebziger Jahren bis zur Jahrhundertwende (20,7 %, 23,1 %).89 Eine ähnliche Entwicklung ließ sich an den anderen Universitäten nicht beobachten. 90 Von den Münchener Geisteswissenschaftlern, deren Konfession zu 91,6 % ermittelt werden konnte, waren dagegen im gesamten Zeitraum nur 46,1 % protestantischer Konfession, wobei ihr Anteil mit der Öffnung zur leistungsbezogenen Auslese kontinuierlich anstieg und nach 1880 64,7 % erreichte. Die Katholiken stellten hier nicht weniger als die Hälfte der Geisteswissenschaftler (50 %), fielen aber nach 1880 auf 32,4 % zurück. 91 Wie sehr das Universitätslehramt vom protestantischen Milieu geprägt wurde, zeigte sich am Konfessionswechsel katholischer und jüdischer Geisteswissenschaftler. An den fünf protestantischen Universitäten traten von 31 Geisteswissenschaftlern katholischer Konfession acht aus ihrer Glaubensgemeinschaft aus (25,8 %); vier Geisteswissenschaftler wechselten zum protestantischen (6 %), einer zum reformierten Bekenntnis, und drei wurden konfessionslos.92 Zum Vergleich wandte sich von den 260 Protestanten der insgesamt 356 Geisteswissenschaftler, deren Konfession bekannt ist, nur der Göttinger Orientalist Paul de Lagarde vom protestantischen Glauben ab und wurde konfessionslos (0,4 %).93 Von den 38 bekannten katholischen Geisteswissenschaftlern in München wechselte keiner freiwillig seine Konfession. Unfreiwillig wurde der Theolo116
ge und spätere Historiker Jacob Frohschammer 1863 wegen seiner philosophischen Schriften, durch die er in Gegensatz zur katholischen Kirche geraten war, exkommuniziert. Auf Veranlassung des bayerischen Königs Maximilian II. wurde Frohschammer in die Philosophische Fakultät versetzt.94 Wissenschaftliche Gründe veranlaßten den Neukantianer und Freiburger Ordinarius Alois Riehl zum Konfessionswechsel. Riehl wandte sich von der katholischen Kirche im Zuge der »Los-von-Rom-Bewegung« ab.95 Den zur Zeit des Kulturkampfes herangewachsenen späteren Gießener Philosophen August Messer brachte die starre Haltung der katholischen Kirche gegenüber modernen und liberalen Tendenzen zur Philosophie. Als er nach schwerwiegenden Glaubenskonflikten, die er in seiner Selbstbiographie ausführlich schildert, auch nach der Jahrhundertwende keine Spielräume für seine »freiere Auffassung der katholischen Lehre« sah, trat er zum Protestantismus über. »Allein durch die schroffe Verurteilung des Modernismus, die Papst Pius X. in seiner Enzyklika >Pacendi< vom 8. September 1907 und in dem Motuproprio vom 1. September 1910 aussprach, sah ich diese meine Hoffnung endgültig zerstört. Ich zog daraus die praktische Folgerung, indem ich aus der katholischen Kirche austrat, unbeschadet der hohen Schätzung, die ich ihr auch damals entgegenbrachte und heute noch entgegenbringe.« 96 Soweit die Biographien hierüber Auskunft geben, lösten sich auch die anderen Geisteswissenschaftler von der katholischen Kirche angeblich wegen derer antiliberaler und auch antinationaler Haltung. 97 Ebenso ausschlaggebend war die Zurücksetzung katholischer Ordinarien in ihrem protestantisch geprägten Umfeld. 98 Ein Beispiel hierfür ist der Berliner Historiker Michael Tangl, der wegen seiner katholischen Konfession und seiner eher großdeutschen Haltung im Lehrkörper auf Vorbehalte stieß und sehr lange auf seine Beförderung zum Ordinarius warten mußte." Zur Berücksichtigung der katholischen Bevölkerungsteile im gemischt konfessionellen Schlesien und im Rheinland errichtete man 1811 in Breslau und 1818 in Bonn in den Fächern Philosophie und Geschichtswissenschaft konfessionsgebundene Doppelprofessuren. Diese Regelung wurde 1853 durch eine königliche Kabinettsordre bestätigt und auf Dauer festgelegt.100 Als die Straßburger Hochschule 1872 eröffnet wurde, verfuhr man nach diesem Vorbild. Weithin bekannt wurde im Zusammenhang mit der Besetzung der katholischen Geschichtsprofessur in Straßburg der Fall Martin Spahn, Sohn des führenden Zentrumspolitikers Peter Spahn, der 1901 von Althoff gegen den Willen der Fakultät oktroyiert wurde. Von protestantischen Kreisen wurde dieser Vorgang scharf kritisiert und als Widerspruch zur Wissenschaftsfreiheit empfunden. 101 Die Münchener Universität richtete im Zuge der Öffnung Mitte der fünfziger Jahre in der Geschichtswissenschaft und in den achtziger Jahren in der Philosophie konfessionsgebundene Lehrstühle ein. 117
Die Repressionen waren auf die jüdischen Geisteswissenschaftler noch wesentlich stärker als auf die Katholiken. In Preußen stand den Angehörigen jüdischen Glaubens kurzzeitig von 1812 bis 1822 der Zugang zur Professur offen. Nach den Fakultätssatzungen aus dem Jahr 1838, die fortan für das 19. Jahrhundert Gültigkeit hatten, konnten die Wissenschaftler jüdischer Konfession in der Medizinischen und Philosophischen Fakultät zwar als Privatdozenten und Extraordinarien lehren, blieben aber von den ordendichen Professuren ausgeschlossen.102 Zudem wurde für die Ordinarien geisteswissenschaftlicher Fächer das christliche Bekenntnis zur Voraussetzung, da sie für den Schuldienst ausbildeten und dadurch mit dem Religionsunterricht in Zusammenhang standen. 103 Der Assimilations- und Integrationsprozeß der jüdischen Bevölkerungsteile, der bis zur Jahrhundertwende betrieben und vom jüdischen Reformflügel unterstützt wurde, führte unter den Hochschuldozenten zu einer Flut von Glaubensübertritten. 104 Von den elf Geisteswissenschaftlern, von denen bekannt ist, daß sie jüdischen Glaubens waren, und die bis 1906 an den sechs Universitäten Ordinariate erhielten, waren bis Ende der achtziger Jahre sieben zur protestantischen Konfession übergetreten. Für einen weiteren konnte der Zeitpunkt seines Übertritts zum Protestantismus nicht ermittelt werden. In allen bekannten Fällen konvertierten die Geisteswissenschaftler bereits als Jugendliche oder in den Anfängen ihrer wissenschaftlichen Laufbahn. Nur der jüdische Heidelberger Orientalist Gustav Weil erlangte, ohne zuvor konvertiert zu sein, im Jahr 1861 in Heidelberg einen Lehrstuhl.105 Als nach der Jahrhundertwende emanzipatorische Bestrebungen der jüdischen Bevölkerungsgruppe an Bedeutung gewannen, endeten auch die Übertritte. So wechselten weder der 1902 in München ins Ordinariat gelangte Altphilologe Ludwig Traube noch der Kunsthistoriker Adolf Goldschmidt, der zunächst seit 1902 in Halle wirkte und 1912 nach Berlin berufen wurde, ihre Konfession. Die jüdische Abstammung Traubes verzögerte jedoch seine Ernennung zum Professor um mehrere Jahre. Man legte ihm sogar nahe, durch einen Übertritt seine Situation zu erleichtern. Erst als Traube mit Rücktritt drohte und ihn ein Ruf nach Gießen erreichte, zeigte man sich im bayerischen Staatsministerium entgegenkommend. Traube erhielt 1902 eine Professur; ein Gehalt wurde ihm erst von 1904 an gezahlt. 106 Am Beispiel des Altphilologen Eduard Norden zeigte sich, daß es auch für Konvertierte kaum möglich war, das Glaubensbekenntnis abzustreifen, in das sie hineingeboren worden waren. Norden trat im Alter von siebzehn Jahren vom jüdischen zum protestantischen Bekenntnis über. Als 1893 die Besetzung des Greifswalder Extraordinariats für Klassische Philologie bevorstand, schrieb Wilamowitz an Friedrich Althoff: »... von Norden weiß ich aber nichts zuverlässiges und mag Gerede nicht wiedergeben«. Das >Ge118
rede< bezog sich auf die jüdische Herkunft: Nordens. Kennzeichnend für die Situation war zudem, daß Norden die Angabe seiner Konfession >vergaßNordlichter-Berufüngen< wurden gegen den massiven Widerstand katholischer patriotischer Kreise mit dem Zugeständnis einer konfessionsgebundenen katholischen Geschichtsprofessur durchgesetzt, die Karl Adolph von Cornelius erhielt.111 Seit Mitte der sechziger Jahre traten die Bayern unter den Berufenen ganz zurück. Diese Auflockerung der Berufüngspraxis stand in Zusammenhang mit dem liberalen Kurs der unter Ludwig II. ernannten Kultusminister Franz von Gresser und Johann von Lutz.112 Nach dem Wahlsieg der Patriotenpartei im Jahr 1881 und mit der Festschreibung konfessionsgebundener Lehrstühle kehrten nicht nur die Katholiken, sondern auch die Bayern an die Universität zurück.113 In der Folgezeit verhielt man sich besonders protektionistisch bei der Besetzung der Lehrstühle für Philo119
sophie und Geschichtswissenschaft. Über die Hälfte der 26 zwischen 1882 und 1909 berufenen Geisteswissenschaftler war bayerischer Abkunft. Zehn von ihnen rückten in München in die Ordinariate auf. Nur die beiden Psychologen Karl Stumpf und Theodor Lipps graduierten sich außerhalb Bayerns bzw. lehrten vor ihrer Münchener Professur an nichtpreußischen Universitäten. Andere wie der Pädagoge Iwan Müller, der Althistoriker Robert Pöhlmann und der Archäologe Paul Wolters absolvierten ihre Karrieren ausschließlich an bayerischen Hochschulen. Die leistungsbezogen Berufenen dieser Jahrzehnte waren in der Regel nichtbayerischer Abkunft. Erst seit 1910 traten die Nichtbayern wieder in den Vordergrund. Von den 24 Ordinarien der Münchener geisteswissenschaftlichen Fächergruppe, die um 1914 im Amt waren, stammten noch sieben aus Bayern und zwei aus dem eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs. Die fünf protestantischen Universitäten folgten nach dem Anteil ihrer Landeskinder mit weiten Abstand auf das katholische München. 114 Unter den Geisteswissenschaftlern in Gießen, Kiel, Heidelberg, Göttingen und Berlin machten die Landeskinder ohne größere Differenzen durchschnittlich 12,4 % aus. Das Feld wurde angeführt von Gießen mit 15,8 % Hessen. Es folgten Göttingen und Heidelberg mit je 14,3 % Ordinarien aus Hannover bzw. Baden115 und Kiel mit 11,5 % Schleswig-Holsteinern. Die wenigsten Landeskinder lehrten in Berlin (6,3 %), wo sich die Protektion auf die Bewohner der Stadt und nicht auf die umgebende Provinz Brandenburg beschränkte. Zwischen den protestantischen Universitäten gab es bei der Besetzung der Ordinariate mit Landeskindern grundlegende Gemeinsamkeiten. Die Landeskinder hielten sich erstens am längsten auf den neu eingerichteten Lehrstühlen. In der Regel stiegen sie mit ihrem jungen Fach stufenweise an der Universität auf und rückten dann in die neugegründeten planmäßigen Professuren ein. Nur Berlin bildete in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Dort wurden die neuen Lehrstühle zwar mit eigenem Nachwuchs, nicht aber mit gebürtigen Berlinern besetzt. Zum zweiten ließ man die Landeskinder häufiger in die Zweit- und Drittprofessuren aufrücken, während man auf den ersten Lehrstuhl Auswärtige berief. Typisch war dieses Verhalten für die Berliner und Göttinger Altphilologie und in Ansätzen für die Heidelberger und Gießener Philosophie. Nach dem Berufungswandel wurden nur noch sehr vereinzelt Landeskinder berufen. In der Regel hatten auch sie sich nun an auswärtigen Universitäten graduiert und kehrten als Ordinarien an ihre Heimatuniversitäten zurück. Es handelte sich hierbei um die Göttinger Geisteswissenschaftler Franz Kielhorn116 und Julius Wellhausen117 und um den Münchener Althistoriker Robert Pöhlmann. 118
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2.1.3 Schülerkreise und eigener Nachwuchs Die Universität Berlin führte eindeutig unter allen deutschen Universitäten den Wandel im Berufungsverhalten in den Geisteswissenschaften an. Sie berief zunächst in den ersten beiden Dezennien nach ihrer Gründung und schließlich seit den fünfziger Jahren weitgehend leistungsbezogen. Die anschließenden sechziger und siebziger Jahre waren die Kernphase des Berufungswandels in den Geisteswissenschaften. Allein vier der untersuchten Universitäten änderten ihre Berufiingspraxis in den sechziger Jahren. Heidelberg und Kiel rekrutierten seit Anfang der sechziger, München etwa seit Mitte und Göttingen seit Ende der sechziger Jahre nach neuen Regeln. Auch in den Marburger und Bonner geisteswissenschaftlichen Fächergruppen wurde seit den sechziger Jahren weitgehend ohne Bindungen zur Universität berufen. Darüber hinaus lassen sich über den Austausch der untersuchten Universitäten mit den anderen Hochschulen, der in den Geisteswissenschaften sehr rege war, relativ eindeutige Aussagen über die nicht untersuchten Universitäten machen. Danach öffneten sich Greifswald, Jena, Tübingen und Leipzig ebenfalls etwa seit den sechziger Jahren der leistungsbezogenen Auslese. Königsberg, Breslau und Freiburg folgten in den siebziger Jahren. In Straßburg wurden die Stellenbesetzungen gleich seit der Eröffnung der Universität im Jahr 1872 nach neuen Regeln vorgenommen. Die kleine Hochschule in Gießen, deren Schwerpunkt in der Philosophischen Fakultät auf den Naturwissenschaften lag, folgte in den siebziger/achtziger Jahren. Erlangen öffnete sich erst in den neunziger Jahren. Eine Vorreiterrolle nahmen unter den geisteswissenschaftlichen Fächern durchgehend die Philosophie und an mehreren Universitäten auch die Geschichtswissenschaft ein. Die Klassische Philologie führte dagegen nur an den beiden Reformuniversitäten in Göttingen und Berlin den Wandlungsprozeß mit an. Dort wurden die altphilologischen Lehrstühle relativ früh in Göttingen seit dem 18. Jahrhundert und in Berlin seit der Gründung der Universität - nach neuen Regeln besetzt. An den übrigen Universitäten trat die Klassische Philologie im Gesamtprozeß mit der Ausnahme von Gießen kaum hervor. Zudem war es insbesondere die Altphilologie, in der man zum Ende des Jahrhunderts an verschiedenen Universitäten zur älteren Berufungspraxis zurückkehrte oder auf den zweiten und/oder dritten Lehrstühlen den eigenen Nachwuchs bevorzugte. So verfuhr man in Berlin und Göttingen und auch in Kiel und München. In Berlin wurde die Berufungspraxis in den einzelnen Fächern unterschiedlich gehandhabt; im folgenden werden die Einzelentwicklungen genauer beschrieben. Bei den Berufungen der ersten Ordinariengeneration in den Jahren 1 8 0 9 / 1 0 orientierte man sich bereits weitgehend an der wissen121
schaftlichen Reputation der Ordinarien; ihre Karrieren verliefen weitgehend akademisch. In der Folgezeit kehrte man jedoch in der Philosophie und der Klassischen Philologie zu einer protektionistischen Berufungspraxis zurück. Ausschlaggebend waren hierfür Schulenbildungen um die führenden Philosophen und Altphilologen, die man in der Anfangszeit und darüber hinaus für Berlin gewonnen hatte. 119 Während auf dem ersten altphilologischen Lehrstuhl von 1810 bis 1914 ausnahmslos leistungsbezogen rekrutiert wurde, behielt man die zweiten und dritten Professuren Berliner Schülern vor. In der Anfangszeit der Universität gelangten allein drei Schüler des 1810 aus Halle berufenen Friedrich August Wolf - Boeckh,120 Heindorf 121 und Bekker122 - in die Professuren. Auch die nachfolgenden Ordinariengenerationen auf den zweiten und dritten Lehrstühlen - Zumpt, 123 Franz124 und Kirchhoff125 - gingen aus der Berliner philologischen Schule hervor, die sich um August Boeckh und Karl Lachmann gebildet hatte. In der Philosophie wurde die protektionistische Berufungspraxis wesentlich früher als in der Klassischen Philologie aufgegeben. Von der anfänglichen Blüte der Berliner Philosophie unter Fichte, Hegel, Steffens und Schelling blieben nach der Jahrhundertmitte nur zwei am Ort aufgestiegene Philosophen übrig. Als die beiden philosophischen Lehrstühle 1866 und 1872 frei wurden, kehrte man wieder zur leistungsbezogenen Auslese zurück. Bis 1914 gelangte aus dem eigenen Nachwuchs nur Friedrich Paulsen in ein philosophisches Ordinariat. Er war ein Vertrauensmann Althoffs, der seine Berufung entgegen den Wünschen der Fakultät durchgesetzt hatte.126 Das dritte traditionelle Fach, die Geschichtswissenschaft einschließlich der Alten Geschichte, blieb von protektionistischen Tendenzen in der Berufungspraxis bis tief in das 19. Jahrhundert hinein relativ unberührt. Auch die Schulenbildung um Ranke zog keine Bevorzugungen nach sich. Rankes Werdegang verlief im übrigen im Vergleich zu den Karrieren der anderen Berliner Historiker am wenigsten >akademischGeschichte der romanischen und germanischen VölkerGöttinger historischen Schule< nach einem mehrjährigen Interregnum durch die jüngere Geschichtswissenschaft, repräsentiert durch Georg Waitz, abgelöst. Von den Schülern der Göttinger historischen Schule, die von Gatterer, Schlözer und Spittler begründet wurde, lehrten im 19. Jahrhundert noch Georg Sartorius bis 1828 und Arnold Heeren bis 1842. Nachdem Gervinus und Dahlmann, der in Göttingen ein Extraordinariat bekleidet hatte, 1837 als >Göttinger Sieben< aus dem Lehramt entlassen wurden, fiel das Gesamtfach auf den fast achtzigjährigen Heeren zurück. Auch Gervinus und Dahlmann trugen noch in alter Göttinger Tradition Geschichte im umfassenden Sinn unter Berücksichtigung der Staatswissenschaften und der Literaturgeschichte vor.155 Mit der Berufung des Ranke-Schülers Georg Waitz im Jahr 1848 begann für die Göttinger Geschichtswissenschaft eine neue Ära. Während die Schülerkreise zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch von Göttingen ausgegangen waren, brachte nun die Ranke-Schule in Berlin die künftigen Historikergenerationen hervor. Waitz bildete seinerseits während seiner Göttinger Amtszeit von 1848 bis 1876 eine große Zahl von Schülern heran. Ihm folgten bis 1914 drei direkte bzw. indirekte Schüler nach (Weizsäcker, Weiland, Kehr).156 Im Unterschied zur herkömmlichen Berufungspraxis aus Schülerkreisen qualifizierten sich diese Historiker weitgehend außerhalb Göttingens und hatten bereits an anderen Universitäten Extraordinariate oder Ordinariate inne, ehe sie nach Göttingen (zurück-) berufen wur128
den. Auf diese Weise verbanden sich Schulenbildung und neue Berufungspraxis. Hausberufungen waren auf den planmäßigen Lehrstühlen obsolet geworden, wie das Beispiel Ernst Steindorffs deutlich macht. Steindorff, Schüler und Schwiegersohn von Waitz, stieg in Göttingen auf und erhielt 1883 nur noch ein persönliches Ordinariat neben dem planmäßigen Lehrstuhl.157 Im vierten traditionellen Fach der Philosophie waren Schulenbildungen für die Berufungspraxis kaum von Bedeutung. Auf beiden Lehrstühlen wurde seit Beginn des 19. Jahrhunderts weitgehend von außerhalb berufen. Als einziger konnte Julius Baumann, ein Schüler von Rudolf Hermann Lotze, noch 1869 das zweite Ordinariat erlangen, das er fur 47 Jahre bekleidete.158 Obwohl seit dem Ende der sechziger Jahre nur noch wenige Ordinarien aus dem eigenen Nachwuchs in die Professuren aufstiegen, zeichnete sich die leistungsbezogene Auslese wegen der langen Amtszeiten der Ordinarien in verschiedenen Fächern, wie den jüngeren Philologien und der Archäologie, erst seit den achtziger oder gar neunziger Jahren ab. Die geisteswissenschaftliche Fächergruppe in Gießen wandelte ihr Berufungsverhalten nach einigen Vorläufern erst in den siebziger und achtziger Jahren.159 Den Wandel verzögerten hier weniger eigene Schulenbildungen, sondern die Dominanz der Schülerkreise um Liebig in den Naturwissenschaften. Parallel zur Lehrstuhlentwicklung änderte sich die Berufungspraxis in zwei Phasen. Während der ersten Phase wandten sich die traditionellen Fächer den neuen Regeln zu. Vorreiter war neben der Philosophie, in der auf Veranlassung des Landesherrn bereits seit dem 18. Jahrhundert ohne Bindungen zur Universität rekrutiert wurde, eindeutig die Klassische Philologie. Der Lehrstuhl wurde bereits seit Ende der fünfziger Jahre mit auswärtigen Vertretern besetzt. Auf den zweiten, 1874 eingerichteten altphilologischen Lehrstuhl ließ man dagegen einen Hessen aufrükken, der an der Ludoviciana aufstieg und Sohn eines hohen Gießener Universitätsbeamten war (Ludwig Clemm). 160 In der Nachfolge wandte man sich auch hier den neuen Regeln zu. In der Geschichtswissenschaft berief man auf den älteren Lehrstuhl erstmals 1870 einen Auswärtigen, der jedoch noch als Universalist alten Stils das Gesamtfach vertrat. Erst nach dem Freiwerden der Professur im Jahr 1905 ergab sich die Möglichkeit zu einer spezialisierten leistungsbezogenen Berufungspraxis. Konsequenter ging man im Teilgebiet der mittelalterlichen Geschichte vor, die man bereits im Extraordinarienrang 1878 nach Maßgabe der wissenschaftlichen Qualifikation besetzte. Im Unterschied zum fortschrittlichen Berufungsverhalten auf dem ersten philosophischen Lehrstuhl ließ man in der zweiten, 1876 eingerichteten Professur für Philosophie und Pädagogik bis zum Ende des Zeitraums überwiegend eigenen 129
Nachwuchs aufrücken. Noch 1910 gelangte ein Gießener Gymnasiallehrer in die Professur (August Messer). 161 Die zweite Phase des Berufüngswandels der Gießener Geisteswissenschaften setzte in den achtziger Jahren ein und umfaßte den Wandlungsprozeß in den jüngeren philologischen und historischen Fächern. Die ersten Lehrstuhlinhaber für Germanistik (1867), Indogermanische Sprachwissenschaft (1893) und Klassische Archäologie ( 1 8 9 7 / 9 8 ) kamen allesamt aus dem eigenen Nachwuchs. Auch die ersten Vertreter für Alte Geschichte (1907) und Semitistik (1906) stiegen mit ihren Fächern vom Extraordinarius zum Ordinarius auf. Alle Nachfolger in diesen Fächern waren Auswärtige. U m 1914 wirkten nur noch in der Philosophie und der Anglistik Landeskinder aus dem eigenen Nachwuchs. Die weiteren Lehrstühle waren dagegen nach neuen Regeln besetzt.
2.2 Die Naturwissenschaften 2.2.2 Die soziale Herkunft 2.2.1.1 Zur verwandtschaftlichen Verflechtung der Naturwissenschaftler Bei den Naturwissenschaftlern war das Netz sozialer Verflechtungen mit weiteren Professoren noch dichter als bei den Geisteswissenschaftlern. In Kurzform stellt es sich folgendermaßen dar: Jeder zweite war mit weiteren Professoren verwandt oder verschwägert. Jeder dreizehnte hatte einen Professor zum Vater. Jeder zwölfte hatte einen Bruder, der ebenfalls Hochschullehrer war. Jeder sechste war mit einer Professorentochter verheiratet. U n d jeder siebente hatte einen Sohn, der ebenfalls das akademische Lehramt ausübte. Trotz dieser > akademischen Dichte < spielten Universitätsfamilien für die Naturwissenschaftler eine wesentiich geringere Rolle als für die Geisteswissenschaftler. Während dort immerhin zehn Ordinarien aus Universitätsfamilien kamen, waren es bei den Naturwissenschaftlern nur drei. Es handelte sich um die Göttinger Universitätsfamilie Planck, das Würzburger Professorengeschlecht Siebold und die Berliner Familie Dieterici. Im Unterschied zu den Geisteswissenschaftlern trat kein aus einer Universitätsfamilie stammender Naturwissenschaftler mehr eine Professur an der Universität seiner Vorfahren an. Weder Planck noch Siebold erlangten an der Universität, an der Familienmitglieder gelehrt hatten, ihre akademischen Grade. Nur Dieterici stieg an seiner Heimatuniversität noch bis zum Privatdozenten auf. Auch bei diesen Geschlechtern zeigte sich, daß in 130
der ersten Jahrhunderthälfte der Aufstieg von Abkömmlingen aus Universitätsfamilien in der Theologischen und Juristischen Fakultät nicht mehr möglich war, während man in der Medizinischen Fakultät noch bis tief in das 19. Jahrhundert hinein aufsteigen konnte. Am weitverzweigtesten war die Familie des Physikers Max Planck. Sie konnte sich in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts mit dem Urgroßvater von Planck an der Universität Göttingen etablieren und beschränkte sich ausschließlich auf die Theologische und die Juristische Fakultät. Der Einstieg erfolgte wie auch bei den meisten Universitätsfamilien der Geisteswissenschaftler über die theologische Professur. In der zweiten Generation folgten zwei Söhne im Lehramt nach. Während der eine Privatdozent der Rechte und später Oberappellationsrat in Celle wurde, erlangte der andere Sohn, Heinrich Ludwig Planck, im Jahr 1823 noch eine Professur in der Göttinger Theologischen Fakultät. Vater und Sohn wirkten hier zehn Jahre nebeneinander als Ordinarien. Eine Schwester heiratete den Heidelberger Historiker Georg Wagemann und verschwägerte sich mit dem Altphilologen August Boeckh und dem Juristen Christoph Martin, die im Zusammenhang mit der Jenaer Professorenfamilie Stark genannt wurden. Die Nachfahren von Heinrich Ludwig Planck setzten die Tradition im Lehramt fort. Zwei Söhne schlugen die Juristenkarriere ein, konnten aber in Göttingen keine Ordinariate mehr erlangen. Der jüngere wurde Richter und Politiker und kehrte erst im Alter von fünfündsechzig Jahren als Honorarprofessor an seine Heimatuniversität zurück. Der ältere stieg noch in den dreißiger Jahren bis zum Privatdozenten in der Göttinger Rechtsfakultät auf und folgte anschließend Rufen an auswärtige Universitäten. Er war der Vater von Max Planck, der selbst in Göttingen weder studierte noch lehrte, sondern seine Karriere in München - der letzten Ordinarienstation seines Vaters - begann.162 Max Planck vertrat das junge Fach der Theoretischen Physik, das damals bei den älteren Physikern nur wenig Ansehen genoß. 163 Als Planck 1885 ein Extraordinariat in Kiel erhielt, vermutete er »... nicht mit Unrecht, daß ich diesen Glücksfall nicht eigendich meinen wissenschaftlichen Leistungen zu verdanken hatte, sondern vielmehr dem Umstand, daß der Kieler Professor der Physik Gustav Karsten ein naher Freund meines Vaters war«.164 Angesichts des geringen Interesses, das namhafte Physiker wie Baeyer Plancks Arbeiten entgegenbrachten, war es nicht allein Bescheidenheit, die ihn zu dieser Vermutung veranlaßte. Seine Herkunft verhalf ihm nicht nur zur Professur, sondern bereitete ebenso dem jungen Fach den Weg an die Universität. Darin wird deudich, wie sehr Wissenschaftsentwicklungen auch von sozialgeschichtlichen Tatbeständen und Zufällen geleitet werden. Selbst wenn Planck noch am Anfang seiner Amtszeit in Berlin das Gefühl hatte, daß man ihn »eigentlich für ziemlich überflüssig hielt«,165 wurde die 131
Bedeutung seiner Arbeiten und der Theoretischen Physik als naturwissenschaftlichem Grundlagenfach bald deutlich. Planck war einer der bedeutendsten Physiker des 19. und 20. Jahrhunderts. Er nahm durch seine Geradlinigkeit und persönliche Integrität eine herausragende Stellung unter den deutschen Physikern jener Zeit ein. Von 1930 bis 1937 und in den Nachkriegsjahren 1945/46 war Planck Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, die 1948 nach ihm in MaxPlanck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. umbenannt wurde. 166 Die Vorfahren Plancks waren allesamt Buchwissenschaftler, wie auch sein Fach der Theoretischen bzw. Mathematischen Physik den Geisteswissenschaften näherstand als den experimentellen Naturwissenschaften. Ähnliche Zusammenhänge bestanden in der Universitätsfamilie Siebold. Hier war es die Medizin, die über drei Generationen hinweg im Ordinarienrang vererbt wurde. Die Berufstradition setzte mit dem Urgroßvater ein, der einfacher Wundarzt war. Der Großvater stieg zum Medizinprofessor in Würzburg auf und wurde bald darauf Leibarzt. Im Jahr 1801 wurde ihm der Reichsadel verliehen. Der Vater von Karl Theodor Siebold und der Bruder wirkten als Medizinprofessoren in Würzburg. Auch Karl Theodor wurde vom Vater fiir das traditionelle Medizinstudium bestimmt und war mehrere Jahre als Arzt in Ostpreußen tätig.167 Sein Interesse galt aber weniger der Humanmedizin als der fachverwandten Zoologie und Vergleichenden Anatomie. Der Einstieg in die wissenschaftliche Laufbahn wurde ihm jedoch erschwert, da er sich als Katholik an der Universität Königsberg nicht habilitieren durfte. Aus dieser wenig hoffnungsvollen Situation befreite ihn Alexander von Humboldt, der auf Siebolds zoologische Arbeiten aufmerksam geworden war. Nähere Kontakte ergaben sich durch einen Aufenthalt Humboldts bei Siebold in Danzig. Nachdem sich Siebolds Pläne auf eine Professur in Rostock 1839 zerschlagen hatten, legte Humboldt beim bayerischen König Ludwig I. Fürsprache fur den gebürtigen Würzburger ein. Im Fall Siebolds handelte es sich wie so oft im Zusammenhang mit den Humboldt-Brüdern um das stets gleiche Prinzip, d.h. die Einschaltung des >zuständigen< Landesvaters. Siebold erhielt noch im selben Jahr 1840 die erledigte Erlanger Professur für Zoologie. Diese vom bayerischen König vorgenommene Besetzung ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen wurde der Katholik Siebold nicht an seine katholische Heimatuniversität Würzburg, sondern an die orthodox protestantische Erlanger Universität versetzt, zum zweiten wurde er, ohne zuvor Privatdozentur und Extraordinariat durchlaufen zu haben, ins Ordinariat berufen. Siebold wechselte später nach Freiburg und Breslau und gelangte im Jahr 1854 nach München. 168 Unter den gesamten Naturwissenschaftlern stammte nur der Physiker 132
Conrad Dieterici aus einer Universitätsfamilie der Philosophischen Fakultät. Wie in den Geisteswissenschaften etablierte sie sich erst im 19. Jahrhundert und auch hier faßte die Familie nicht an den älteren Universitäten, sondern an der Neugründung in Berlin Fuß. Im Unterschied zu den Geisteswissenschaften konnte das Ordinariat schon in der zweiten Generation nicht mehr weitervererbt werden. Der Urgroßvater von Conrad Dieterici war Buchdrucker und Verleger in Berlin. Sein Großvater schlug die akademische Laufbahn ein und erhielt 1834 eine staatswissenschaftliche Professur in Berlin. Der Vater wandte sich der Orientalistik zu und lehrte viele Jahre als Extraordinarius an der Universität. Im Alter von achtzig Jahren ernannte man ihn zum Honorarprofessor. Conrad Dieterici erwarb seine akademischen Grade noch in Berlin und war dort drei Jahre als Privatdozent tätig, ehe er abberufen wurde und Ordinariate an der Technischen Hochschule in Hannover sowie an den Universitäten in Rostock und Kiel bekleidete. 169 Während die Nachfahren aus Universitätsfamilien unter den Naturwissenschaftlern keine oder nur in den Anfängen ihrer Laufbahn Verbindungen zu ihren Heimatuniversitäten aufwiesen, beriefen von den sechs untersuchten Universitäten die Hochschulen in Göttingen und München fünf Söhne ehemaliger Professoren. Drei von ihnen traten Ordinariate in Göttingen an. Der letzte Professorensohn erhielt noch 1880 ein Göttinger Ordinariat. Es handelte sich um den Geographen Hermann Wagner, Sohn des Ordinarius für Vergleichende Anatomie und Zoologie in der Göttinger Medizinischen Fakultät Rudolph Wagner. Auch seine Mutter stammte aus einem Professorenhaus. Sein Bruder war Ordinarius der Nationalökonomie und seine Schwester hatte einen Professor der Archäologie geheiratet. Wagner selbst war nach Studium und Promotion in Göttingen zunächst zwölf Jahre als Oberlehrer tätig, ehe er nach Königsberg auf den neugegründeten Lehrstuhl für Geographie berufen wurde. Im Jahr 1880 erhielt er nacheinander Rufe nach Göttingen und Leipzig. Für Wagner stand außer Zweifel, dem Ruf nach Göttingen zu folgen, auch wenn die Georgia Augusta dem Renommee der Leipziger Universität unterlegen war. »Meine Königsberger Freunde betrachteten es als selbstverständlich, daß ich Leipzig vor Göttingen bevorzugen würde. Sie konnten das Gewicht der Imponderabilien nicht ermessen, die mich nach Göttingen zogen. Der Gedanke dereinst an der nämlichen Hochschule wirken zu können, an der mein seliger Vater mehrere Jahrzehnte eine hervorragende Stellung eingenommen, hatte für mich etwas Berückendes.« 170 In Göttingen erhielt ferner der Sohn des weit über die Georgia Augusta hinaus bekannten Mathematikers, Physikers und Astromomen Johann Tobias Mayer im Jahr 1799 den Lehrstuhl fur Physik. Der Sohn gleichen Namens stieg in Göttingen auf, verließ anschließend aber seine Heimatuniver133
sität und trat Professuren in Altdorf und Erlangen an, ehe er nach Göttingen zurückberufen wurde. 171 Der dritte Göttinger Professorensohn der naturwissenschaftlichen Fächergruppe war der Mineraloge Wolfgang Sartorius von Waltershausen, Sohn des Historikers Georg Sartorius. Als einziger der drei absolvierte er seine gesamte akademische Laufbahn in Göttingen und gelangte 1848 in die Professur.172 In Göttingen gab es, wie auch das Beispiel Planck zeigt, eine weitreichende Versippung unter den Professoren. Verbindungen zu Professorenhäusern am Ort wurden länger als an anderen Universitäten nicht als Hindernis angesehen berufen zu werden. Der Grund fur diese Praxis war die wissenschaftliche Führungsrolle, die Göttingen bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts einnahm und es offensichtlich rechtfertigte, eigenen Wissenschaftlern den Vorzug zu geben. In München hatte demgegenüber die Protektion von Landeskindern und Katholiken weitreichenden Einfluß auf das Berufungsverhalten. Im Jahr 1857 rückte der Professorensohn Otto Sendter in München zum Ordinarius auf, auf den bereits im Zusammenhang mit der Universitätsfamilie Sendter-Riezler eingegangen wurde. 173 Darüber hinaus berief man noch 1886 den Anthropologen Johannes Ranke zum indirekten Nachfolger seines Großvaters Gotthilf Heinrich von Schubert, der in München seit 1826 Naturgeschichte und Anthropologie las. Der Vater Rankes und Schwiegersohn Schuberts hatte den alttestamentlichen Lehrstuhl an der Universität Erlangen inne und beendete seine Karriere als Oberkonsistorialrat in München. Der Historiker und Berliner Ordinarius Leopold von Ranke war der Onkel von Johannes Ranke. Daß die wissenschaftliche Tradition der Familie entscheidenden Einfluß auf Johannes Rankes beruflichen Werdegang hatte, beschreibt er in seiner autobiographischen Skizze: »Der persönliche Umgang mit dem begeisterten Kenner und Freund der Natur ... dem geistvollen Naturphilosophen G. H. von Schubert war für meine geistige Richtung in hohem Maße bedeutsam. Daneben wirkte, die geistigen und speziell wissenschaftlichen Interessen erweiternd und vertiefend, die im Vaterhaus herrschende Atmosphäre. ... war es doch von Anbeginn meines Universitätsstudiums mein Streben und meine Absicht, die einst so erfolgreiche Lehrtätigkeit meines Großvaters, ausgerüstet mit den Ergebnissen der modernen Forschung, wieder zu beleben.«174 Außer diesen traditionellen Universitätsfamilien bildete sich in den Naturwissenschaften wie in den Geisteswissenschaften eine Reihe von Wissenschaftlerdynastien heraus. Auch hier läßt sich ihre Zahl kaum bestimmen. Sie scheint jedoch ebenfalls beträchtiich gewesen zu sein. Für die Wissenschaftlerdynastien der Naturwissenschaftler galten dieselben Merkmale wie für die der Geisteswissenschaftler. Ihre Mitglieder hatten Ordinariate an sämtlichen Fakultäten und Universitäten inne. Die frühesten Begründer 134
von Wissenschaftlerdynastien gelangten auch hier etwa seit dem Ende der dreißiger und in den vierziger Jahren in die Professuren wie beispielsweise der Physiker Heinrich Wilhelm Dove, der 1844 sein Berliner Ordinariat antrat. Sein ältester Sohn wurde Kirchenrechtler in Göttingen, der zweite Sohn Historiker in Breslau, Bonn und Freiburg, und sein Enkel lehrte später als Geograph in Jena. 175 Aus Wissenschaftlerdynastien stammten darüber hinaus der Mathematiker Felix Klein 176 und der mit ihm verschwägerte Physiker Eugen von Lommel, 177 der Chemiker und Nobelpreisträger Emil Fischer178 und der Botaniker Gottfried Haberlandt. 179 Die Reihe ließe sich weiter fortfuhren. Ein interessantes Beispiel fur die Übergangszeit von der Universitätsfamilie zur Wissenschaftlerdynastie ist das Geschlecht, das aus dem Schülerkreis um Liebig hervorging. Ihre Anfänge weisen noch deudich die Eigenschaften einer jungen, sich herausbildenden Universitätsfamilie auf. Liebig trat in Gießen 1825 das chemische Ordinariat an, eine Generation früher als die ersten Begründer von Wissenschaftlerdynastien. Es paßt in dieses Bild, daß Liebig fur seine Familie und seine Schüler, die zum Teil in seinen Familienkreis hineinheirateten, bei den Stellenbesetzungen zäh an protektionistischen Regeln festhielt. 180 Als Liebig nach München ging, verschaffte er seinem Schwager Friedrich Knapp und seinem Schwiegersohn Moriz Carriere Dozentenstellen an der Universität, 181 wozu sein Neffe Georg Friedrich Knapp vermerkte: »Mein Onkel Liebig hat gern die Seinigen gefördert, doch möchte ich meinen, daß er dabei weniger psychologischen Blick verriet als im Laboratorium.« 182 Ferner sorgte Liebig in Gießen dafür, daß Auswärtige auf naturwissenschaftliche und medizinische Lehrstühle der Universität berufen wurden. Liebig war gleichsam Protektor und Verfechter des Leistungsprinzips und als solcher eine typische Gestalt des Übergangs von der Gelehrten- zur Forscheruniversität. In den nachfolgenden Generationen entwickelte sich der Liebig-Kreis zu einer bedeutenden Wissenschaftlerdynastie. Zu ihr gehörten u.a. die Theologen Bernhard Stade und Adolf Harnack, der Berliner Historiker Hans Delbrück und der Chirurg Karl Thiersch, Sohn des Münchener Altphilologen Friedrich Wilhelm Thiersch. 183 Von den Naturwissenschaftlern hatte jeder zwölfte einen oder, wie der Göttinger Physiker Wilhelm Weber, zwei Brüder, die ebenfalls das akademische Lehramt ausübten. Berücksichtigt wurden auch jene Brüder, die als Extraordinarien lehrten; sie machten etwa ein Viertel der Gruppe aus. In den naturwissenschaftlichen Fächergruppen der sechs untersuchten Universitäten wirkten nur zwei Brüderpaare. 184 In sechs der bekannten 21 Fälle widmeten sich beide Brüder den Naturwissenschaften, wählten aber verschiedene Fächer. Auf diese Weise konnte eine unmittelbare Konkurrenzsituation umgangen werden. 185 Ebenso häu-
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fig wandten sich die Brüder der medizinischen Karriere zu. Weitere vier waren Geisteswissenschaftler und drei hatten die Rechtslehrerlaufbahn eingeschlagen. Dagegen widmete sich kein Bruder der Theologie. Daß die Theologie dennoch den Naturwissenschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur wissenschaftsgeschichtlich in abgewandelter Form durch die Naturphilosophie, sondern auch sozialgeschichtlich deutlich näherstand, als es nach der Fächerwahl der Brüder scheinen mag, zeigt sich in der Vatergeneration. So hatten mehrere Brüderpaare einen Theologen zum Vater wie die Brüder Mitscherlich, Blum und Weber. Der Vater von Wilhelm Weber war Ordinarius der Theologie in Wittenberg/Halle; seine drei Söhne wandten sich allesamt den naturwissenschaftlichen bzw. medizinischen Studien zu und waren als Ordinarien in der Physik bzw. der Medizin tätig.186 Berücksichtigt man ferner das Prestige der Fakultäten und die Endposition der Brüder, so scheint der jeweils ältere Bruder häufiger eine höhere Position erlangt zu haben als der jüngere. Von besonderer Wichtigkeit ist im Zusammenhang mit dem Berufungswandel die Frage, ob und bis wann ein Bruder den anderen an eine Universität nachziehen und ihm gewissermaßen den Weg in die akademische Laufbahn ebnen konnte. Solche Verbindungen lassen sich nur schwer nachweisen. Sie können aber zumindest für die Brüderpaare Mitscherlich und Schering angenommen werden. Die Pfarrerssöhne Eilhard und Karl Gustav Mitscherlich aus dem nordfriesischen Jever stiegen beide in Berlin auf. Zunächst gelangte 1818 der fast zwölf Jahre ältere Eilhard Mitscherlich nach Berlin und erhielt 1825 eine Professur für Chemie. Einige Jahre später folgte sein Bruder nach, wurde 1834 Privatdozent und 1844 Ordinarius fur Arzneimittellehre. Die Brüder Ernst und Karl Schering kamen beide aus der Unteren Mittelschicht und stiegen an ihrer Landesuniversität in Göttingen auf. Der ältere Ernst Schering erhielt 1868 die seit längerem vakante Professur für Theoretische Astronomie. Als der 22 Jahre jüngere Bruder nach Göttingen kam und dort Privatdozent wurde, war der ältere seit mehreren Jahren Professor.187 Die Brüderpaare lehrten etwa bis in die fünfziger/sechziger Jahre an derselben Universität. Als weitere Beispiele sind auch hier die Brüder Mitscherlich zu nennen. Ähnlich verhielt es sich bei den Heidelberger Brüderpaaren Jolly188 und Pagenstecher.189 Die älteren wandten sich jeweils der naturwissenschaftlichen Universitätskarriere zu, und die jüngeren wurden Juristen, erlangten aber nur Extraordinariate und wechselten nach mehreren Dozentenjahren in außerakademische Positionen. Mit Blick auf den Berufungswandel in der Juristischen Fakultät ist auch dies ein deutliches Zeichen dafür, daß sich diese früher als die anderen Fakultäten den neuen Ausleseprinzipien öffnete. Ansonsten gingen sich die Brüder sowohl bei der Fächerwahl als auch bei der Wahl der Universitäten, an denen sie im Ordi136
narienrang lehrten, weitgehend aus dem Weg bzw. die Universitäten vermieden es, Brüder zu berufen. Nach dem gegenwärtigen Stand war jeder siebente Naturwissenschaftler mit einer Professorentochter verheiratet. Angesichts einer hohen Dunkelziffer bei den Ehebeziehungen, dürfte der Anteil der Professorentöchter unter den Ehefrauen noch höher gelegen haben. Die Naturwissenschaftler, die nach 1880 in die Ordinariate gelangten, heirateten besonders häufig in Professorenfamilien ein. Von ihnen war annähernd jeder vierte mit einer Professorentochter verheiratet; damit vermählten sie sich etwa dreimal so häufig mit einer Professorentochter wie die vorangehenden Generationen. Die Geisteswissenschaftler verzeichneten zum Vergleich nach 1880 nur einen leichten Anstieg. Das dichte Netz verwandtschaftlicher Verflechtungen zeigte sich beispielsweise bei der Familie des oben genannten Göttinger Geographen Hermann Wagner, seinerseits Schwiegervater mehrerer Professoren. In den neunziger Jahren verließen seine Töchter »rasch nacheinander das Elternhaus, um an der Seite ihrer gleichfalls dem akademischen Beruf angehörigen Männer in den nächstbenachbarten Universitäten neue Professorenhäuser zu gründen. Durch ihre Wahl wurde ich selbst vor zu großer Enge meines fachwissenschaftlichen Horizonts bewahrt. Mit dem Kirchenhistoriker Carl Mirbt (Marburg), dem Rechtsgelehrten Alexander Leist (Gießen) und dem Germanisten Victor Michels (Jena) und mir vertraten wir im engeren Familienkreise doch immerhin vier Fakultäten.«190 Wegen der Dichte der Beziehungen stellt sich für die Naturwissenschaftler in besonderer Weise die Frage, ob die Heirat einer Professorentochter die Erlangung der Universitätsprofessur bzw. das berufliche Fortkommen begünstigte. Aufschlüsse gewähren auch hier zunächst die soziale Herkunft dieser Naturwissenschaftlergruppe, ferner die Fakultätszugehörigkeit der Schwiegerväter und schließlich die Lehrer-Schüler Beziehungen zwischen den Schwiegersöhnen und -vätern. Ihrer sozialen Herkunft nach war diese Gruppe vornehmer als die gesamten Naturwissenschaftler. Ebenso verhielt es sich bei den Geisteswissenschaftlern. Knapp 88 % kamen aus der Oberen Mittelschicht gegenüber 75,2 % der Gesamtgruppe. Außer dem Beamteten Bildungsbürgertum lag ein deutlicher Schwerpunkt bei den freiberuflichen Vätern, die doppelt so häufig vertreten waren wie unter allen Naturwissenschaftlern. Nur ein Naturwissenschaftler, der sich mit einer Professorentochter vermählte, war selbst Sohn eines Hochschullehrers. Die Untere Mittelschicht spielte in den Herkunftsschichten dieser Gruppe kaum eine Rolle. Neben den bereits erwähnten Gauß und Ewald läßt sich bei dem Astronomen Fritz Cohn aus dem Alten Mittelstand deudich beobachten, daß die Heirat die Integration und den sozialen Aufstieg in die Akademikerkreise förderte. Cohn war gebürtiger Königsberger und stammte aus einer 137
Kleinhändlerfamilie. Er stieg an seiner Heimatuniversität auf und war an der dortigen Sternwarte tätig, als er 1897 die Tochter des Direktors heiratete. Cohn erhielt in Königsberg drei Jahre später die Stelle eines Observators.191 Von den Schwiegervätern hatte knapp die Hälfte eine naturwissenschaftliche Professur inne. Etwa jeder fünfte war Mediziner oder Geisteswissenschaftler. Juristen und Theologen waren auch hier wie unter den Geisteswissenschaftlern kaum vertreten. Trotz der hohen Zahl von Naturwissenschaftlern unter den Schwiegervätern bestanden nachweislich in nur fünf Fällen (einschließlich Cohn) Lehrer-Schüler Beziehungen.192 Einschlägig sind in diesem Zusammenhang die Werdegänge des Astronomen Adalbert Krueger und des Physikers Leonhard Weber. Krueger heiratete die Tochter seines Lehrers Friedrich Wilhelm Argelander aus Bonner Studienjahren und übernahm 1862 die Direktion der Sternwarte in Helsingfors, die sein Schwiegervater begründet hatte. Er ging später an die Sternwarte nach Gotha und wurde anschließend Ordinarius in Kiel.193 In Kiel lehrte auch der Physiker Weber, der Schüler des dortigen Physikers und Mineralogen Gustav Karsten war und dessen Tochter heiratete. Als Karsten 1894 abtrat, ließ man Weber nicht direkt im Ordinariat nachfolgen, sondern schuf eine weitere Professur fur das weniger angesehene Teilgebiet der Theoretischen Physik, das man ihm überließ.194 Für den Mathematiker Ludwig Schlesinger blieb hingegen die Heirat der Tochter seines Berliner Lehrers Immanuel Fuchs ohne Einfluß auf das Fortkommen in der wissenschaftlichen Karriere. Bedeutsamer war bei dieser Verbindung wohl die gemeinsame Konfession. Beide, Schlesinger und Fuchs, waren jüdischen Glaubens und traten später zum Protestantismus über.195 Jeder siebente Naturwissenschaftler hatte - soweit bekannt - einen Sohn, der die Hochschullehrerlaufbahn einschlug. Auch an dieser Stelle wird die Gruppe jener Professorensöhne näher untersucht, die an der Universität ihrer Väter Dozentenstellen erhielten. Von 17 Naturwissenschaftlern lehrten 19 Söhne an den sechs untersuchten Universitäten. Im Vergleich zu den Geisteswissenschaftlern ergaben sich grundsätzliche Unterschiede. Nicht weniger als drei Fünftel der Söhne kamen über eine Privatdozentur nicht hinaus. Außer den bereits erwähnten Söhnen von Vogel und Erman erlangte kein weiterer an der Universität des Vaters ein Ordinariat. In den Naturwissenschaften folgten die Söhne ihren Vätern vornehmlich in der ersten Jahrhunderthälfte nach, während die Söhne der Geisteswissenschaftler bis in das 20. Jahrhundert an den Universitäten ihrer Väter Dozentenstellen erhielten. Etwa die Hälfte dieser Söhne erreichte später den Ordinarienrang. Für die Naturwissenschaftler galt nur eingeschränkt, daß die Söhne von Professoren größerer Universitäten auch häufiger den Ordinarienrang erreichten. 138
Ein Drittel der Söhne wandte sich der fachverwandten angesehenen medizinischen Karriere zu. Nur ein Fünftel wurde wie der Vater Naturwissenschaftler, ein weiteres Fünftel Geisteswissenschaftler. Die Rechtswissenschaft spielte eine geringe, die Theologie gar keine Rolle bei der Fächerwahl. Die Väter waren ihrer Herkunft nach ebenso vornehm wie die Väter der Gesamtgruppe, so daß auch hier die These über Zusammenhänge zwischen der Herkunft aus unteren Schichten und der Protektion der Söhne keinen Rückhalt findet.196
2.2.1.2 Die Väterberufe 197 In der sozialen Herkunft der Naturwissenschaftler bestanden kaum Unterschiede zwischen den protestantischen Universitäten und dem katholischen München. Nach der Schichtenzugehörigkeit waren an den untersuchten Universitäten die Naturwissenschaftler in Gießen am vornehmsten (81,5 %). Es folgte Heidelberg mit einem Anteil von 78,2 % an der Oberen Mittelschicht. An dritter Stelle lag nunmehr München mit 74,5 %, das unter seinen Geisteswissenschaftlern den größten Anteil aus unteren Schichten hatte. Es schloß sich Kiel mit 73,7 % an, gefolgt von Berlin mit 72,8 % und Göttingen mit nur 66,6 %. Der Anteil der Oberen Mittelschicht sank bei den zwischen 1848 und 1880 berufenen Naturwissenschaftlern zunächst ab (von 74,6 % auf 70,8 %) und stieg in der letzten Gruppe wieder an (78,3 %). Wie bei den Geisteswissenschaftlern ließ sich an den sechs Universitäten keine einheitliche Entwicklung in der sozialen Herkunft feststellen. In Gießen und Berlin fiel der Anteil der Oberen Mittelschicht unter den Naturwissenschaftlern im Lauf des Jahrhunderts mehr und mehr zurück. In Heidelberg und München nahm die Beteiligung der höheren Schichten zu, in Kiel entsprach sie der allgemeinen Entwicklung und in Göttingen blieb sie annähernd konstant. Wichtigstes Rekrutierungsfeld war wie in sämtlichen anderen Fakultäten das Beamtete Bildungsbürgertum (41,1 %). Im Lauf des Jahrhunderts ging der Anteil der höheren Beamtensöhne jedoch kontinuierlich und stärker noch als bei den Geisteswissenschaftlern zurück. Von 52,5 % in der ersten Gruppe verringerte er sich zunächst deutlich auf 40,3 % und sank schließlich in der letzten Gruppe noch weiter auf 36,8 % ab. Im Gegenzug beteiligten sich die Söhne aus dem Besitzbürgertum zunehmend am naturwissenschaftlichen Lehramt und stellten mit insgesamt 21,8 % die zweitstärkste Gruppe. Die meisten höheren Beamtensöhne stammten aus dem Pfarrhaus (9,7 %). Allein zwei Drittel der Pfarrerssöhne gelangte bis Mitte der zwan139
ziger Jahre des 19. Jahrhunderts in die naturwissenschaftlichen Ordinariate. Rechnet man auch hier den etwa 15 bis 20jährigen Zeitraum zwischen Studienbeginn und Antritt der Professur zurück, so zeichnen sich in der Häufung der Pfarrerssöhne die Ausläufer der Überfiillungskrise in der theologischen Karriere zum Ende des 18. Jahrhundert sehr eindrucksvoll ab. Die Pfarrerssöhne, die traditionell in hohem Maße ebenfalls die theologische Laufbahn einschlugen, waren wie in den Geisteswissenschaften wegen der schlechten Einstellungschancen in andere Karrieren ausgewichen. Zu einer zweiten, wesendich schwächeren Häufung von Theologensöhnen kam es von Mitte der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre, in der sich wiederum die vormärzliche Überfüillungsphase in der theologischen Laufbahn widerspiegelt.198 Anschließend spielte das Pfarrhaus als Rekrutierungsfeld der Naturwissenschaftler nur eine sekundäre Rolle. Der Rückzug des Pfarrhauses kennzeichnet die Trennung der Naturwissenschaften von den Buchwissenschaften und die Hinwendung zu den experimentellen Wissenschaften. Nach der sozialen Herkunft ist die Abkehr etwa auf die dreißiger bis vierziger Jahre zu datieren und deckt sich exakt mit dem Ausbau der naturwissenschaftlichen Fächergruppen an den älteren, vor 1800 gegründeten Universitäten.199 Wie in den Geisteswissenschaften ging mit dem Rückzug der Pfarrerssöhne eine höhere Beteiligung der Söhne akademisch gebildeter Lehrer einher, die aber für die Naturwissenschaftler keine vergleichbare Bedeutung erlangten wie für die Geisteswissenschaftler. Das Freiberufliche Bildungsbürgertum stellte wegen eines relativ hohen Anteils an Apothekersöhnen bereits bis 1847 nicht weniger als 13,6 % der Naturwissenschaftler. Drei dieser Apothekersöhne wurden in die Berliner Professuren berufen. Zu ihnen gehörten die Brüder Heinrich und Gustav Rose, Söhne von Valentin Rose, dem Inhaber der Berliner Apotheke >Zum weißen Schwanälteren< Universitäten. Am ältesten waren die Geisteswissenschaftler bei Antritt ihrer Ordinariate an den Universitäten in München (43,2 Jahre) und Berlin (44,6 Jahre), die auch unter allen deutschen Universitäten die >ältesten< waren. 3 Mit der Altersstruktur deckte sich weitgehend die Quote der Berufungen aus dem Ordinarienrang. Deutliche Abweichungen ergaben sich nur flir die Universitäten in München und Heidelberg. Während München als >sehr alte< Universität im Lauf des 19. Jahrhunderts zwar zunehmend erfolgreicher, insgesamt aber nur durchschnittlich 36,1 % seiner Professoren aus dem Ordinarienrang berief, vermochte die vergleichsweise >jüngere< Ruper160
to Carola häufiger noch als Göttingen und nach 1880 an dritter Stelle hinter Berlin und Bonn immerhin 61,9 % ihrer Geisteswissenschaftler aus dem Ordinarienrang zu gewinnen (Durchschnitt: 42,9 %). Die wenigsten Ordinarien konnten Marburg (20,6 %), Gießen (22,8 %) und Kiel (25,6 %) berufen. Es folgten München und Göttingen (41,8 %), dann Heidelberg und mit einigem Abstand Bonn (47,4 %). Weitaus am erfolgreichsten war die >älteste< Universität Berlin, die zwischen 1848 und 1879 bereits 68 % und nach 1880 69,8 % ihrer Geisteswissenschaftler aus dem Ordinarienrang rekrutierte (Durchschnitt: 61,1 %). Im folgenden geht es um die Frage, von welchen Universitäten die jeweilige untersuchte Hochschule Ordinarien abberufen konnte. Wie zu zeigen sein wird, gab es sogenannte Zubringeruniversitäten, die bestimmte Universitäten überdurchschnittlich häufig mit Ordinarien >versorgtenkatholische< Karrierewege waren Ausnahmen, soweit sie sich nicht auf Würzburg und München beschränkten. Für München lassen sich nur vier Fälle benennen: der Historiker Karl Adolph von Cornelius (Bonn München), 1 2 der Germanist Mathias von Lexer (Freiburg - Würzburg München), 1 3 der Philosoph Clemens Baeumker (Breslau - Bonn - Straßburg - München) 14 und der Psychologe Oswald Külpe (Würzburg - Bonn - München). 15 »Ein Professor, der nach Göttingen kommt, richtet sich auf Bleiben ein.« 16 Mit diesem Satz begann Wilamowitz in seiner Selbstbiographie das Kapitel über seine Amtszeit in Göttingen. Nach 13 Jahren tauschte er Göttingen dann doch gegen Berlin ein. Mit einem durchschnittlichen Anteil von 4 1 , 8 % aus dem Ordinarienrang berufener Geisteswissenschaftler, der im Lauf des 19. Jahrhunderts beständig anstieg und sich zwischen 1880 und 1914 auf immerhin 56,4 % belief, und einer Abwanderungsquote von nur 18,7 % zählte Göttingen in der Tat eher zu den Endstations- als zu den Aufstiegsuniversitäten. Unter den deutschen Hochschulen hatte Göttingen den Ruf der Arbeitsuniversität: »Die Gesamtheit der Kollegen war von einem wissenschaftlichen Wetteifer beseelt, wie er mir sonst nirgends vorgekommen war; Göttingen war wohl die ehrgeizigste Universität der Welt. ... Wer in der Gesellschaft Position haben wollte, der mußte gute Bücher schreiben«. 17 Auf Außenstehende hatte Göttingen wegen seiner alten wissenschaftlichen Tradition eine beachtliche Anziehungskraft. Als der Historiker Reinhold Pauli, der an der Georgia Augusta weder studiert noch gelehrt hatte, Göttingen 1859 besuchte, schrieb er: »Ich wüßte kaum einen Ort, wo ich liebere und erspriesslichere Tage hätte zubringen können als gerade hier. ... Die Vorstellung, nach welcher ich Göttingen längst für das Ideal unter den deutschen Universitäten gehalten, findet dieses Mal in allen Stücken ihre Bestätigung. Nicht nur, dass die musterhafte Bibliothek als ein wahrer Fels für die Pflege der Wissenschaften erscheint, sondern dass bei Anfragen und Zweifeln, wie sie mir während der Arbeit aufstossen, stets Jemand zu finden ist, der Auskunft geben kann.« 18 Auch noch 1869 unmittelbar nach seiner Berufung nach Göttingen äußerte Pauli schwärmerisch: »... nach dem Orte, der, seit ich 1855 aus England zurückkehrte und fast bedauerte, mich nicht dort, sondern in Bonn habilitiert zu haben, stets mit seinem wissenschaftlichen Ernste, den reichen Bücherschätzen, stark besucht, ohne katholische Fakultät, Bremen [der Geburtsort Paulis] und Berlin gleich nah, und nunmehr eine preussische Hochschule - wie sollte ich es nicht Bonn und Hei165
delberg, in einigen Stücken wohl gar Berlin vorziehen! ... Vor den politischen Gegensätzen furchte ich mich nicht: die werden in Kurzem hinschwinden und haben niemals die Wuth erreicht, die wir in Tübingen erlebten.« 19 Als Pauli dann Ordinarius in Göttingen war, mußte er ernüchtert feststellen, »Luft, Verkehr, der ganze Genius loci und selbst die Art, wie studirt wird, heimeln mich in Göttingen nach der ersten Erfahrung durchaus nicht so sehr an, als es mir früher aus idealer Ferne erschienen war. ... Nur langsam lebt es sich in Göttingen ein, - vielleicht auch, weil man selber älter wird und sich nicht so anzuschliessen vermag.«20 Was Göttingen entbehrte, waren die landschaftlichen Reize vieler süddeutscher Universitäten und der großstädtische Charakter von Berlin oder München, die mit der wachsenden Mobilität große Studentenscharen anzogen. Auch in dieser Hinsicht mußte die große Reformuniversität des 18. Jahrhunderts im 19. Jahrhundert hinter so mancher anderen Universität zurücktreten. »Die damals völlig reizlose Umgebung Göttingens außerhalb des die Stadt umschließenden Limeswalls war nicht dazu angetan, von der Arbeit abzuziehen«, schrieb der Chemiker Otto Wallach.21 Der Nobelpreis, den Wallach 1910 erhielt, mochte ihn fur die entbehrten Schönheiten der Natur ausreichend entschädigt haben. Von 1866 an wurde Göttingen in das preußische Universitätssystem eingebunden, wie das Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten bei den Direktberufungen der Universität deutlich macht. Vor 1866 berief Göttingen fast ausschließlich von nichtpreußischen Universitäten (1 : 7). Im Anschluß wandte es sich jedoch im Verhältnis von 13 : 9 stärker den preußischen Hochschulen zu. Eindeutige Zubringeruniversitäten waren für die Göttinger geisteswissenschaftliche Fächergruppe die ebenfalls 1866 an Preußen gefallenen Universitäten in Kiel und Marburg. Von beiden Hochschulen, zu denen auch schon vor 1866 Kontakte bestanden, berief Göttingen jeweils sechs Geisteswissenschaftler unmittelbar in seine Ordinariate. Weitere zwei Kieler und ein Marburger Geisteswissenschaftler gelangten über andere Universitäten nach Göttingen. Keiner der Kieler und Marburger Ordinarien erreichte jedoch über Göttingen die Universität in Berlin, für die die Georgia Augusta ihrerseits Zubringer war und die bis 1914 immerhin zwölf Kieler und drei Marburger Geisteswissenschaftler meist indirekt berief. Zu den anderen preußischen Universitäten bestanden hingegen kaum Kontakte. Von der Einstiegsuniversität in Greifswald rekrutierte Göttingen unmittelbar nur einen Geisteswissenschaftler, und von den preußischen Aufstiegsuniversitäten in Königsberg und Breslau erreichten jeweils zwei die Göttinger Ordinariate. Mit der dritten gleichfalls renommierteren preußischen Aufstiegsuniversität in Halle kam es im gesamten Zeitraum zu keinem Austausch, so daß davon auszugehen ist, daß beide Universitäten die 166
gleiche Funktion im preußischen Universitätssystem einnahmen. Der rheinischen Hochschule in Bonn war Göttingen, wie noch zu zeigen sein wird, unterlegen. Unter den nichtpreußischen Universitäten bestanden sehr rege Kontakte zur elsässischen Hochschule in Straßburg. Seit 1876 kam es zwischen beiden Fächergruppen achtmal zum Austausch von Ordinarien. Mit insgesamt fünf Direktberufungen von Straßburg nach Göttingen hatte die Georgia Augusta die eindeutig besseren Berufungschancen. Von der Großuniversität in Leipzig konnte Göttingen bei einem dreimaligen Austausch immerhin zwei Geisteswissenschaftler direkt abberufen. Beide Male handelte es sich aber um erklärbare Ausnahmen. Der erste 1829 nach Göttingen gelangte Geisteswissenschaftler war gebürtiger Leipziger und an der dortigen Universität bis zum Ordinarius aufgestiegen.22 Im Fall des 1893 von Leipzig nach Göttingen berufenen Historikers Max Lehmann gaben persönliche Gründe den Ausschlag, Leipzig zu verlassen: »... ich nahm den Ruf nach Leipzig an. Nur für ein Semester (Sommer 1893): Die Häßlichkeit der umgebenden Landschaft und vor allem die tyrannischen Neigungen des Spezialkollegen im Verein mit dem sinkenden Respekt vor dessen wissenschaftlichen Qualitäten - sie bewirkten, daß ich die erste sich bietende (durch Wellhausens Güte vermittelte) Gelegenheit fortzukommen ergriff und den Ruf nach Göttingen annahm, noch im Jahre 1893.« 23 Weitere Geisteswissenschaftler rekrutierte Göttingen von den Einstiegsuniversitäten in Gießen (2) und Rostock (1) sowie von den weniger angeseheneren Aufstiegsuniversitäten in Jena, Freiburg und Tübingen (je 1). Zu den bayerischen Universitäten Erlangen, Würzburg und München bestanden im gesamten Zeitraum keine unmittelbaren Kontakte. Nur ein Geisteswissenschaftler gelangte von der protestantischen Hochschule in Erlangen mittelbar über Stationen in Tübingen und Straßburg nach Göttingen. Die ausländischen Universitäten waren für Göttingen von geringerer Bedeutung (5). Darüber hinaus rekrutierte die Georgia Augusta zwei ihrer Ordinarien von Technischen Hochschulen (München, Aachen), die für die Geisteswissenschaftler ansonsten keine Rolle spielten. Die Universität in Heidelberg hatte außerordentlich gute Berufungschancen.24 Im Universitätssystem zählte sie zu den renommierten Aufstiegsbzw. Endstationsuniversitäten und lag an fünfter Stelle hinter den drei Großuniversitäten und Bonn. Die Anziehungskraft Heidelbergs beruhte, wie es in zahlreichen Selbstzeugnissen immer wieder anklingt, auf den städtebaulichen und landschaftlichen Reizen und der besonderen klimatischen Begünstigung der Neckarstadt, die ein Quell von Lebensfreude waren und auch das Klima an der Universität nachhaltig prägten. Um 1890 stand »die Alma Mater, die Ruperto-Carola, wie sie amtlich hieß, ... als Lehranstalt recht hoch. Daß unter ihren Lehrern auch der Lebensgenuß seine Vertreter 167
hatte, war nicht weniger Tradition und paßte zum genius loci. Essen und Trinken spielten eine Rolle, und für beides gab es gewiegte Kenner. Eine Leuchte der Wissenschaft hörte man einst dem Lohndiener, der dem Dinergast den Mantel abnahm, die Frage zuflüstern: >Welche Kochfrau?< Aber den Leistungen tat das keinen Abbruch.«25 Die angenehme Lebensweise wirkte auf Studenten und Professoren gleichermaßen anziehend und förderte den überregionalen Charakter der Universität. So trug die Studentenschaft in Heidelberg »kein landschaftliches Gepräge wie in Tübingen oder Breslau, nicht einmal in dem Maße wie in Jena. Die Heidelberger philosophische Fakultät setzte sich ganz überwiegend aus nichtbadischen Studenten zusammen.«26 Auch unter den Professoren waren »den Norddeutschen für Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten nicht die engen Schranken gezogen wie in Tübingen. Man konnte im badischen Lande leichter als im württembergischen die Empfindung gewinnen, Vollbürger zu sein.«27 Entgegen den außerordentlich guten Berufungschancen lag Heidelberg seiner Frequenz nach zwischen 1866 und 1914 durchschnittlich nur an achter Stelle. In dieser Hinsicht glich sie der württembergischen Universität in Tübingen, die bei mäßiger Frequenz ebenfalls relativ gute Berufungschancen hatte. Der Schwerpunkt der Abberufungen lag in Heidelberg eindeutig auf den nichtpreußischen Universitäten (6 : 16). Neben den Einstiegsuniversitäten in Kiel und Gießen, die mit jeweils drei Abberufungen von größerer Bedeutung waren, rekrutierte Heidelberg vornehmlich von Aufstiegsuniversitäten. Von Straßburg, Tübingen und der badischen katholischen Schwesteranstalt in Freiburg, die im übrigen kein Zubringer für Heidelberg war,28 gelangten jeweils zwei Geisteswissenschaftler und von Würzburg und Jena je einer nach Heidelberg. Von den größeren preußischen Universitäten in Breslau, Halle29 und auch von Göttingen, die Heidelberg ihrer Frequenz nach unmittelbar vorangingen, berief man jeweils einmal, während keine dieser Hochschulen ihrerseits einen Heidelberger Geisteswissenschaftler gewinnen konnte. Darüber hinaus vermochte Heidelberg zwei seiner Geisteswissenschaftler von der Großuniversität in Leipzig abzuberufen. Zunächst kam es zwischen beiden Universitäten im Jahr 1886 zum Austausch der Klassischen Philologen Kurt Wachsmuth und Erwin Rhode. Ferner gelang Heidelberg die Berufung eines Vertreters der Geschichtswissenschaften von Leipzig, die sich an der dortigen Universität erst sehr spät zu spezialisieren begannen und zum Ende des Jahrhunderts eine höhere Fluktuation hinnehmen mußten.30 Mit einer Quote von 47,4 % erfolgreicher Ordinarienberufungen von anderen Universitäten rückte Bonn nahe an die Großuniversitäten heran. Entsprechend rekrutierte Bonn seine Geisteswissenschaftler weitgehend von Aufstiegsuniversitäten wie Königsberg, Breslau, Straßburg, Würzburg. 168
Ferner wurde Bonn nach 1866 weniger eng in das preußische Universitätssystem eingebunden als andere preußische Hochschulen. Die Universität berief im gesamten Zeitraum, d.h. auch schon vor 1866, ausgewogen von preußischen und nichtpreußischen Universitäten (16 : 15). Beziehungen bestanden zu sämtlichen Universitäten des späteren Deutschen Reiches. Am häufigsten rekrutierte Bonn in der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe von den preußischen bzw. seit 1866 preußischen Einstiegsuniversitäten in Greifswald und Kiel (davon eine Berufung vor 1866) sowie den Aufstiegsuniversitäten in Königsberg und Breslau (je 4). Während sich die Beziehungen zu Kiel und Königsberg im wesentlichen auf diese Berufungen beschränkten, fungierten Greifswald und Breslau mit jeweils sieben mittel- oder unmittelbar in die Bonner Ordinariate gelangten Geisteswissenschaftlern zeitweise als Zubringer für Bonn. Der erste Greifswalder Geisteswissenschaftler erreichte über Leipzig im Jahr 1854 das Bonner Ordinariat. Allein fünf der sieben Greifswalder Professoren kamen in den sechziger und siebziger Jahren nach Bonn. Die Beziehungen Breslaus zu Bonn setzten ebenso wie zu Berlin relativ früh ein (1839). Alle weiteren nach Bonn Berufenen wirkten in den achtziger und neunziger Jahren in Breslau. Zu den anderen beiden größeren preußischen Universitäten in Halle und Göttingen bestanden nur geringe Kontakte. Von beiden berief Bonn jeweils einen Geisteswissenschaftler direkt, weitere drei gelangten indirekt in die Bonner Ordinariate. Unter den nichtpreußischen Universitäten rekrutierte Bonn jeweils drei Ordinarien von den Universitäten in Straßburg und Leipzig, mit denen Bonn im Austausch stand. Gegenüber Straßburg, das in zwei begründbaren Ausnahmen seinerseits von Bonn abberufen konnte, hatte Bonn die eindeutig besseren Berufungschancen. Die Endstationsuniversität in Leipzig war Bonn jedoch überlegen. Von Leipzig konnte Bonn zwei Geisteswissenschaftler nach der Jahrhundertwende wegberufen, darunter einen Ordinarius für das Fach der Alten Geschichte, das in Leipzig relativ spät einen planmäßigen Lehrstuhl erhalten hatte (1880). 31 Die Bonner Universität unterhielt wegen ihrer paritätisch konfessionellen Besetzung als einzige der untersuchten Universitäten (einschließlich Jena und Tübingen) engere Beziehungen zu den bayerischen und katholischen Universitäten in Würzburg und München. Bis 1914 tauschten die drei Universitäten sechs Geisteswissenschaftler miteinander aus, wobei der Psychologe Oswald Külpe (Würzburg - Bonn - München) und der Althistoriker Ulrich Wilcken (Breslau - Würzburg - Halle - Leipzig - Bonn - München - Berlin) an allen drei Universitäten tätig waren. Die Berufungen von drei ehemaligen Würzburgern, von denen zwei direkt und einer indirekt in die Bonner Ordinariate gelangten, schlossen sich unmittelbar an die Amtszeit Althoffs an (1908-1911). Der einzige Münchener, den Bonn berufen 169
konnte, war der Historiker Heinrich von Sybel, der München wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem bayerischen König Maximilian II. 1861 verließ.32 Über diese Berufungen hinaus rekrutierte Bonn jeweils einmal von Tübingen und Jena sowie fünf seiner Geisteswissenschaftler von ausländischen Universitäten [Prag (2), Dorpat, Groningen und Edinburgh (je 1)]. »Und hier muß ich doch noch einmal eine meiner ungeschriebenen Geschichten zitieren, die von dem würdigen Ordinarius, der gegen Ende seines Lebens dessen höchstes Ziel erreicht und nach Berlin berufen wird. Auf seiner bisherigen Universität sieht man den berühmten Kollegen ungern scheiden; man feiert ihn zum Abschied, und er selbst betont dabei, daß er ungern gehe, aber er halte es für seine Pflicht, einem Rufe zu folgen, der ihn zu einem großen Wirkungskreis führe. Und nun sitzt er drei Treppen hoch in der Kurfürstenstraße, niemand hat Zeit, mit ihm zu verkehren, die Bibliothek und die Institute kann er bei den großen Entfernungen kaum benutzen, und die Studenten, wie sollen die ihm nahetreten in der ungeheuren Stadt? Und so sehnt er sich fort aus dem >großen Wirkungskreise< und führt ein melancholisches Dasein bis an sein Ende.« 33 Auch wenn sich die Amtszeit in Berlin in der Regel nicht so trostlos gestaltete, wie es der Ägyptologe Adolf Erman beschreibt, wird doch eines deutlich: Ein Ruf nach Berlin war kein gewöhnlicher Ruf; eine Ablehnung bedurfte reiflicher Überlegungen. Für viele war die Annahme sogar Verpflichtung, wie für den Straßburger Anglisten Alois Brandl, Ordinarius in Berlin von 1895 bis 1923: »An einem strahlenden Julisonntag auf einem Seminarausflug bei Zabern ereilte mich die Nachricht: Zupitza in Berlin ist tot! Ich wußte, Althoff würde an mich denken, und wehrte mich verzweifelt gegen die Umarmung des Riesen Berlin. Aber die Kollegen sagten: >Ruf nach Berlin ist Schicksalsruf, Nichtannahme ist da ein selbstgestelltes Armutszeugnis.< Der Kurator sagte: >Wir dürfen Sie gar nicht halten, es wäre gegen unsere Vorschriften.< Berliner Freunde schrieben: >Wenn Althoff ruft, so komm und rede.< Drei Wochen nach der Todesnachricht war schon Althoffs Brief da, ich fuhr zu ihm und fand ihn so entgegenkommend in amtlichen Dingen, daß ich aus persönlichen Gründen nicht Nein sagen konnte.«34 Berlin war fraglos der Gipfel der akademischen Karriere. Mit 61,1% berufener Ordinarien und einer minimalen Abwanderungsquote von 6,3 % ließ Berlin in den Geisteswissenschaften alle anderen Universitäten weit hinter sich. Die Rate der Ordinarienberufungen stieg nach der Jahrhundertwende noch weiter auf 78,3 % an, als Berlin im Gründungsprozeß der Lehrstühle die Führung übernahm. Ein sinnfälliges Charakterbild der ehrgeizigen jungen Hauptstadt Berlin zeichnete wiederum Alois Brandl: »Dreierlei habe ich in gesellschaftlicher Hinsicht nacheinander kennengelernt. Das altpreußische existierte noch unter Wilhelm I., ausgestattet mit einer fast religiösen Auffassung der poli170
tischen Dinge, etwas rückständig in der Lebenshaltung und sehr voranstrebend in geistigen Dingen. Es verschwand, als Bismarck wegging und ein >forscher< oder >schneidiger< Stil des Handelns aufkam. Man sprach jetzt vom Kaiser, aber ungenierter als früher vom König und in vertraulichen Kreisen meist nur von S. M. Alle Droschken wurden schneller, die Mahlzeiten üppiger, die Weinkarten länger. Dialekt vorzulesen und Klassiker zu zitieren galt jetzt für altmodisch; man ging dafür ins Theater zur >modernen Bühne< und in die Kunstausteilung zur >SezessionaktuellsozialWelt< oder >zentral< vorkommen. ... Berlin Nummer zwei dehnte sich großartig, fast unheimlich. Dann nahm ihm der Weltkrieg den Wind aus den Segeln, und jetzt hat sich ein Berlin Nummer drei emporgerafft, über das sich ein späterer Chronist aussprechen mag.«35 Wichtigstes Rekrutierungsfeld waren für die Berliner Geisteswissenschaften die preußischen Universitäten. Während das Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Hochschulen unter den Berufungen nach Berlin vor 1866 7 : 9 betrug, rekrutierte Berlin zwischen 1866 und 1914 22 seiner Geisteswissenschaftler von preußischen und zehn von nichtpreußischen Hochschulen; weitere acht wurden unmittelbar von ausländischen Universitäten berufen. Zubringer für Berlin waren vornehmlich die preußischen mittelgroßen Aufstiegsuniversitäten in Breslau, Halle und Göttingen sowie die nichtpreußische Ruperto Carola in Heidelberg, die zusammen nicht weniger als 28 Geisteswissenschaftler direkt nach Berlin entließen. Die meisten seiner Ordinarien berief Berlin unmittelbar von Breslau (9), von dem bis 1914 weitere drei indirekt die Berliner Ordinariate erreichten. Breslau war im gesamten Zeitraum die wichtigste Zubringeruniversität für Berlin. Zweitwichtigste Universität war die badische in Heidelberg (7), die allein während der Gründungsphase der Berliner Universität und der Ausbauphase nach 1871 sechs Geisteswissenschaftler an Berlin verlor.36 Je sechs Lehrstuhlinhaber rekrutierte Berlin unmittelbar von den beiden preußischen Universitäten Göttingen und Halle, von denen bis 1914 drei weitere indirekt nach Berlin gelangten. Wie von Heidelberg berief Berlin auch von den preußischen Zubringeruniversitäten in bestimmten Zeiträumen. Von Breslau gingen zunächst von 1819 bis 1832 drei und von 1882 bis 1909 acht Geisteswissenschaftler nach Berlin. Die Abberufungen von Göttingen und Halle erfolgten nacheinander. Zunächst gelangten die Göttinger - mit Ausnahme der ersten Berufung im Jahr 1868 - zwischen 1880 und 1902 nach Berlin (6) und wurden noch im selben Jahr 1902 von den Hallensern abgelöst (5). Die zweite preußische Endstationsuniversität in Bonn (3) sowie die klei171
neren preußischen Hochschulen in Greifswald (1) und Königsberg (2) waren für Berlin von geringerer Bedeutung. Ebenso berief Berlin nur einen Geisteswissenschaftler unmittelbar von Marburg in kurhessischer Zeit. Von der kleinen Hochschule in Kiel, von der bis 1914 immerhin zwölf Ordinarien später nach Berlin gingen, gelangten ebenfalls nur drei Geisteswissenschaftler auf direktem Weg dorthin, einer von ihnen bereits vor 1866. Weitere drei erreichten Berlin über Straßburg. Jeweils zwei Lehrstuhlinhaber wechselten von den preußischen Hochschulen in Bonn und Königsberg und je einer von den außerpreußischen in München und Jena nach Berlin. Damit verliefen die Berufungsschienen keineswegs vorwiegend von Kiel über eine preußische Aufstiegsuniversität nach Berlin. Gegenüber den anderen Großuniversitäten hatte Berlin die eindeutig besseren Berufungschancen. Allein fünf Ordinarien rekrutierte Berlin direkt von der österreichischen Großuniversität in Wien, und zwei von München, das seinerseits bis 1914 einen Berliner Geisteswissenschaftler abberufen konnte. Mit Leipzig beschränkten sich die Beziehungen auf die Berufung des dortigen Philologen Moritz Haupt, der 1851 in Leipzig aus politischen Gründen entlassen worden war und zwei Jahre später in Berlin eine neue Wirkungsstätte fand.37 Darüber hinaus berief Berlin unmittelbar von den nichtpreußischen Universitäten in Erlangen, Freiburg (je 1), Jena (2) und Straßburg (3), ferner aus dem Ausland von Graz, Basel, Zürich und Leiden (je 1). Insgesamt rekrutierte Berlin direkt von 15 der 19 deutschen Universitäten. Keine Berufungen erfolgten von den außerpreußischen Einstiegsuniversitäten in Gießen und Rostock und den Aufstiegsuniversitäten in Würzburg und Tübingen. Indirekt gelangten jedoch auch von diesen Hochschulen Geisteswissenschaftler nach Berlin.
3.1.1.2 Die Abberufungen an andere Universitäten Ein weiteres Indiz für den Standort der jeweiligen Universität im Universitätssystem ist ihre Abwanderungsquote. 38 Dabei ist davon auszugehen, daß hohe Abwanderungsquoten insbesondere für die kleineren Universitäten als Qualitätsmerkmal zu kennzeichnen sind. Je mehr Hochschullehrer die Universität verließen, desto besser hatte sie berufen. Umgekehrt verhielt es sich bei den großen Universitäten. Für sie galt, je weniger Professoren an andere Universitäten wechselten, umso höher war ihre Reputation. Die höchste Abwanderungsquote in den Geisteswissenschaften verzeichnete unter den untersuchten Universitäten die Hochschule in Kiel (60,3 %). Von dort wechselten bereits von den bis 1880 berufenen Ordinarien 70 % an andere Universitäten. Von den Geisteswissenschaftlern, die nach 1880 172
die Kieler Ordinariate antraten, verließ nur noch jeder zweite die Universität. Berücksichtigt man aber, daß acht Ordinarien dieser Gruppe sehr früh verstarben, so blieb die Abwanderungsquote etwa konstant bei 70 %. Auf Kiel folgte als nächste der untersuchten Universitäten Gießen mit 52,6 %. Die kleine Ludoviciana wurde erst seit den achtziger Jahren in den Professorenaustausch einbezogen und sogleich jene unter den acht untersuchten Universitäten, die die meisten Ordinarien wieder verließen (72,2 %). Marburg lag mit 41,1 % deutlich hinter Kiel und Gießen zurück. Das Mittelfeld führte Heidelberg an (30,2 %), dem Bonn mit 19,7 % und Göttingen mit 18,7 % mit Abstand nachfolgten. In Heidelberg waren im Unterschied zu jenen beiden Hochschulen die Abwanderungen in den Ordinariengenerationen vor 1880 relativ hoch (33,3 %). Professoren, die nach München und Berlin gingen, wechselten nur selten an andere Universitäten. Ihre Abwanderungsquoten von 9,6 % und 6,3 % dürften die niedrigsten unter allen Universitäten gewesen sein. Wie noch zu zeigen sein wird, verließen die dritte Großuniversität in Leipzig offensichtlich mehr Ordinarien. Die nach 1866 an die Universität in Kiel gelangten Geisteswissenschaftler wechselten vorwiegend an preußische Universitäten. Als Beispiele von Ordinarien, die von einer nichtpreußischen Hochschule nach Kiel kamen und von dort an preußische Universitäten gingen, sind der Philosoph Wilhelm Dilthey (Basel - Kiel - Breslau - Berlin), die Altphilologen August Wilmanns (Innsbruck - Kiel - Königsberg - Göttingen), Eduard Lübbert (Gießen - Kiel - Bonn), Richard Förster (Rostock - Kiel - Breslau), Alois Riehl (Graz - Freiburg - Kiel - Halle - Berlin), der Historiker Richard Fester (Erlangen - Kiel - Halle) und der Romanist Karl Voretzsch (Tübingen - Kiel - Halle) zu nennen. Die Reihe ließe sich fortfuhren. Entsprechend hoch war nach 1866 der Anteil preußischer Universitäten bei den Abberufungen von der Kieler Universität. Nicht weniger als 25 Geisteswissenschaftler tauschten Kiel gegen preußische und nur sieben gegen nichtpreußische Universitäten ein. Vor 1866 lag das Verhältnis noch deutlich zugunsten der nichtpreußischen (4 : 8). Kiel wurde nach 1866 Zubringer fur die preußischen mittelgroßen Universitäten in Breslau, Halle und Göttingen. Nach Göttingen wurden im gesamten Zeitraum nicht weniger als zehn ehemalige Kieler Geisteswissenschaftler berufen, acht von ihnen direkt, zwei weitere über Stationen in Königsberg und Breslau. Die Beziehungen zwischen beiden Hochschulen reichten indirekt vor 1866 zurück, in der Göttingen bereits zweimal von Kiel rekrutierte. Nach Breslau gelangten seit Anfang der siebziger Jahre immerhin sieben Kieler Geisteswissenschaftler. Sie alle wechselten direkt in die dortigen Ordinariate. Halle berief seit den achtziger Jahren fünf Kieler Ordinarien in seine Professuren. Ein weiterer gelangte über Breslau nach Halle. Nicht ganz so intensiv waren die Kontakte zu Bonn, das gleich bei 173
seiner Gründung 1818 den ersten Kieler berief. Erst seit den siebziger Jahren sind vier weitere Kieler nach Bonn gelangt, einer von ihnen indirekt über Breslau und Halle. Relativ früh setzten darüber hinaus die Beziehungen zur preußischen Durchgangsuniversität in Königsberg ein, die bereits in den fünfziger und sechziger Jahren zwei Kieler Geisteswissenschaftler rekrutierte. Bis 1914 gelangten weitere zwei Kieler nach Königsberg, von dem Kiel seinerseits Anfang der neunziger Jahre einmal direkt wegberufen konnte. Zur zweiten preußischen Durchgangsuniversität in Marburg bestanden über die Abberufung des Philosophen Karl Justi hinaus keine weiteren Verbindungen. Ebenso mieden sich weitgehend Kiel und die zweite preußische Einstiegsuniversität in Greifswald. Kiel berief nur einmal kurz nach der Angliederung an Preußen im Jahr 1868 von Greifswald. Über die mittelgroßen Hochschulen war Kiel indirekt Zubringer für Berlin, dessen Universität bis 1 9 1 4 drei Kieler Geisteswissenschaftler direkt und neun indirekt erreichten. 39 Berlin war für alle diese Ordinarien die Endstation ihrer wissenschaftlichen Karriere. Nach Berlin gelangten vornehmlich Vertreter der traditionellen Fächer Philosophie (4), Orientalistik bzw. der Vergleichenden Sprachwissenschaft (3) und der Geschichtswissenschaften (2), während weder Kieler Altphilologen noch Neusprachler abberufen wurden. Die meisten später nach Berlin gelangten Professoren lehrten in Kiel von Ende der fünfziger bis Anfang der achtziger Jahre (9). Nimmt man Berlin als den Gipfel der deutschen Hochschullehrerkarriere, so scheint in dieser Zeitspanne in Kiel außerordentlich gut berufen worden zu sein. Die nichtpreußischen Universitäten waren fiir Kiel von geringer Bedeutung. Jeweils drei Geisteswissenschaftler gelangten nach Leipzig und Heidelberg, je zwei nach Tübingen und Jena und jeweils einer nach Straßburg und Gießen. Besonderheiten ergaben sich in den Beziehungen zu Leipzig, das zwischen 1825 und 1877 vier aufeinanderfolgende Altphilologen von Kiel rekrutierte. Von Gießen wurde bis 1871 wegen des späten Berufungswandels nur der Altphilologe Friedrich Gottlieb Welcker abberufen. Auch Rufablehnungen von Gießener Geisteswissenschaftlern sind bis dahin nicht bekannt. Anschließend entließ Gießen relativ ausgewogen seine Geisteswissenschaftler an preußische und nichtpreußische Universitäten (13 : 16). Von der Einstiegsuniversität Gießen beriefen vornehmlich Aufstiegsuniversitäten. Von den anderen Einstiegsuniversitäten konnte nur Kiel Gießener Geisteswissenschaftler gewinnen. Bei allen vier direkt nach Kiel gelangten Gießener Ordinarien handelte es sich jedoch um begründbare Ausnahmen. Unter den Aufstiegsuniversitäten bestanden seit den neunziger Jahren relativ enge Beziehungen zu Königsberg und Tübingen, fur die Gießen ansatzweise eine Zubringerfunktion einnahm. Beide Universitäten beriefen bis 1 9 1 4 / 1 6 jeweils vier Ordinarien unmittelbar von der kleinen Ludovicia174
na. An die Aufstiegsuniversität in Freiburg gelangte direkt nur ein Gießener, obwohl dort zwischen 1909 und 1914 nicht weniger als fünf ehemalige Gießener Geisteswissenschaftler, darunter allein vier Altphilologen, Lehrstühle antraten. Die übrigen erreichten die Freiburger Hochschule nach Stationen in Straßburg, Göttingen, Königsberg und Kiel. Die renommiertere Schwesteranstalt in Heidelberg rekrutierte dagegen direkt drei Gießener, die an der Ludoviciana ihr erstes Ordinariat erhalten hatten. Zu den Großuniversitäten unterhielt Gießen nur zu Leipzig direkte Beziehungen, das bis 1914 ebenso wie Heidelberg drei Gießener Geisteswissenschaftler berief. Nach München gelangte bis 1914 kein Gießener, und Berlin erreichte nur der Gießener Theologe Eberhard Schräder, der nach Ordinariaten in Zürich, Gießen und Jena in Berlin eine Professur für semitische Philologie antrat.40 Die geisteswissenschaftliche Fächergruppe in Marburg wurde nach der Übernahme von Preußen weniger stark in das preußische Universitätssystem einbezogen als die Geisteswissenschaftler sämtlicher anderer preußischer Universitäten. Preußische und nichtpreußische Universitäten riefen nach 1866 im Verhältnis von 12 : 9 von Marburg ab (zuvor 2 : 5). Zubringer war Marburg ausschließlich für die Universität in Göttingen, die bis 1914 sechs Geisteswissenschaftler direkt und einen weiteren indirekt in ihre Ordinariate berief. Für alle anderen preußischen Universitäten mittlerer Größe war Marburg von geringerer Bedeutung. Die Universität in Breslau, mit der Marburg im Austausch stand, konnte drei Ordinarien gewinnen. Die Beziehungen zu Halle beschränkten sich auf zwei direkte Abberufungen der dortigen Universität. Zu Bonn bestanden im gesamten Zeitraum keine unmittelbaren Kontakte. Vier Marburger gelangten hingegen indirekt über Stationen in Kiel, Tübingen, Straßburg und München nach Bonn. Die Einstiegsuniversitäten in Kiel (Karl Justi) und Greifswald (Austausch der Romanistikprofessoren) konnten jeweils einmal und nur in Ausnahmen von Marburg wegberufen. Ferner spielte Berlin für die Marburger Geisteswissenschaftler keine herausragende Rolle. Bis 1914 erreichten nur zwei Marburger Lehrstuhlinhaber direkt und ein weiterer indirekt die dortige Universität. Der erste Marburger gelangte im übrigen schon vor der Angliederung der Hochschule an Preußen, im Jahr 1843, nach Berlin. Unter den nichtpreußischen Universitäten wanderten die meisten Marburger Geisteswissenschaftler nach Gießen ab. Jeweils zwei gelangten unmittelbar an die größeren Universitäten in Leipzig, Straßburg und Tübingen, von der Marburg seinerseits nur in Ausnahmefällen abberufen konnte. Weitere Marburger Ordinarien wechselten an die zum Zeitpunkt der Berufungen etwa gleichgroße Hochschule in Freiburg, die noch vor der Angliederung Marburgs an Preußen in den Jahren 1842 und 1852 zwei Geistes175
Wissenschaftler gewinnen konnte. Je ein Marburger erreichte unmittelbar geisteswissenschaftliche Ordinariate in München und Heidelberg. Das hohe Prestige der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe in Heidelberg dokumentierte sich insbesondere daran, daß vornehmlich die Großuniversitäten in Berlin, München und Leipzig von Heidelberg rekrutierten (13). Die meisten seiner Geisteswissenschaftler entließ Heidelberg im gesamten Zeitraum nach Berlin (7). Die Berufungen erfolgten im Anschluß an die Gründung der Universität und während der Ausbauphase der Fächergruppe in den siebziger Jahren, in denen Heidelberg infolge universitätsinterner Streitigkeiten mehrere bedeutende Wissenschaftler an andere Universitäten verlor. Außerdem lehnten - soweit bekannt - vier Heidelberger Geisteswissenschaftler Rufe nach Berlin ab. An die renommierte Münchener Maximiiiana wurden bis 1914 drei Heidelberger Geisteswissenschaftler direkt sowie einer indirekt berufen. Zwei weitere Ordinarien wechselten an die Universität in Leipzig, mit der Heidelberg im Austausch stand. Für die übrigen sechs an kleinere bzw. an weniger angesehenere Anstalten abgewanderten Geisteswissenschaftler lassen sich jeweils Gründe benennen, die zum Verlassen der Heidelberger Universität bewogen. So wurde der Philosoph Jakob Fries in Heidelberg im Jahr 1817 wegen seiner Teilnahme am Wartburgfest aus dem Lehramt entlassen und fand im liberalen Jena eine neue Wirkungsstätte.41 Aus politischen Gründen mußte auch der mehrfach erwähnte Philosoph Joseph Hillebrand Heidelberg verlassen und nahm einen Ruf nach Gießen an. Den Sanskritforscher Ernst Windisch zog die große Ausstrahlungskraft der 1872 eröffneten Reformuniversität in Straßburg von der Ruperto Carola fort; 42 und der von Leipzig gewonnene Neuhistoriker Erich Mareks folgte 1 9 0 7 / 0 8 einem Ruf an das neugegründete Hamburger Kolonialinstitut.43 Schließlich wechselten zwei weitere in Heidelberg aufgestiegene Geisteswissenschaftler an die ausländischen Universitäten in Löwen und Princeton. Den Professoren in Göttingen wurde die Annahme eines Rufes an eine andere Universität nicht leicht gemacht. Als der Anglist Alois Brandl 1892 einen Ruf nach Straßburg erhielt und auch annahm, schrieb er: »Einen gewöhnlichen Ruf hätte ich nach Göttinger Begriffen ablehnen müssen; selbst ein Wegzug nach Berlin wurde mir von einigen Kollegen nur als verzeihlich hingestellt, wenn ich mit der Zeit, wie es der Nationalökonom Hansen gemacht haben sollte, zu Göttingens Ehre wieder zurückkehrte.«44 Ähnliches wußte Wilamowitz, der 1883 nach Göttingen kam, über das Verhältnis Göttingens zu Berlin zu berichten: »Der immer noch tätige Nationalökonom Hanssen war von Berlin enttäuscht nach Göttingen zurückgekehrt, was oft mit Stolz erzählt ward, daß Lotze und Waitz dort bald gestorben waren auch.«45 Der erste Göttinger wechselte kurz nach dem Übergang der Universität 176
an Preußen im Jahr 1868 nach Berlin. Von Beginn der achtziger Jahre bis nach der Jahrhundertwende wurde Göttingen Zubringeruniversität für die Berliner geisteswissenschaftliche Fächergruppe, die die meisten Göttinger gewinnen konnte. Insgesamt gelangten von den bis 1914 nach Göttingen berufenen Geisteswissenschaftlern sieben direkt und zwei weitere indirekt nach Berlin. Fünf von ihnen hatten nur Ordinariate in Göttingen und Berlin inne. Darüber hinaus wechselten jeweils zwei Geisteswissenschaftler von Göttingen an die größere Universität in Bonn, die etwas kleineren in Straßburg und Heidelberg und an die wesentlich kleinere Universität in Freiburg. Freiburg konnte zunächst 1909 den Altphilologen Eduard Schwartz gewinnen, der zuvor in Straßburg gelehrt hatte und, äußeren Zwängen nachgebend, nur ungern dem Ruf nach Göttingen folgte: »... daß ich wieder in unmittelbare Nähe von Straßburg kam, war ein Hauptmotiv meiner Übersiedlung nach Freiburg gewesen«. 46 Über Freiburg konnte Schwartz schließlich 1914 nach Straßburg zurückkehren. Nach der Schließung der Universität Straßburg ging Schwartz 1 9 1 9 nach München. Der zweite Geisteswissenschaftler, der Göttingen zugunsten von Freiburg verließ, war der Philosoph Edmund Husserl. Schließlich kehrten zwei weitere Geisteswissenschaftler von der Geogia Augusta an ihre Heimatuniversitäten in Kiel und Basel zurück. Der wissenschaftlich wenig hervorgetretene Althistoriker Christian Volquardsen wurde 1879 von Kiel nach Göttingen berufen und wechselte 1897 im Austausch gegen den Kieler Althistoriker Georg Busolt wieder nach Kiel. Wie von Heidelberg konnten auch von der Universität in Bonn vornehmlich die Großuniversitäten abberufen. Mit 4 7 , 4 % berufener Ordinarien und einer Abwanderungsquote von nur 19,7 % war Bonn der Schwester am Neckar vom Prestige her jedoch überlegen. Bonn fungierte in den Geisteswissenschaften unter den preußischen Universitäten neben Berlin als zweite Endstationsuniversität. Zwar reichte sie nicht an das Renommee Berlins heran, wie die drei Abberufungen deutlich machen, jedoch berief von Bonn außer Berlin keine weitere preußische Universität. Den ihr in der Rangskala nachfolgenden Universitäten in Göttingen und Halle (je 1) war Bonn überlegen. Heidelberg und Bonn mieden sich im gesamten Zeitraum. Auch indirekt bestanden keine Beziehungen zueinander. Rufe nach Bonn hatten offenbar nur der Heidelberger Philosoph Friedrich Creuzer und der Altphilologe Karl Zangemeister ( 1 9 0 1 ) erhalten und abgelehnt. Da die Rufablehnungen der Bonner Ordinarien nicht bekannt sind, können von dieser Seite aus keine Aussagen gemacht werden. Bonn nahm als einzige der größeren preußischen Universitäten keine Zubringerfunktion für Berlin wahr. Bis 1914 gelangten nur drei Bonner Geisteswissenschaftler in die Berliner Ordinariate. Zwei weitere erreichten
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während des Ersten Weltkrieges in den Jahren 1916/17 Berlin. Die Verbindungen zu Berlin setzten auf der Ordinarienebene erst Anfang der neunziger Jahre mit den Berufungen von zwei klassischen Archäologen ein, die sich sowohl in Bonn als auch später in Berlin im Ordinariat ablösten (Reinhard Kekule von Stradonitz, Georg Loeschcke). An die sächsische Universität in Leipzig, mit der Bonn im Austausch stand, gelangten bis 1914 ebenfalls drei Bonner Geisteswissenschaftler. Die Maximiiiana in München und die österreichische Großuniversität in Wien beriefen jeweils zwei Ordinarien unmittelbar von Bonn. Alle weiteren Abberufungen nach Tübingen und Straßburg sind als Ausnahmen zu kennzeichnen. Tübingen konnte im Jahr 1842 den Philosophen Immanuel Hermann Fichte, Sohn des Philosophen Johann Gottlieb Fichte, gewinnen, der in Bonn vor seiner Professur ein Extraordinariat bekleidete. Für den Hegelianer Fichte mochte Tübingen darüber hinaus wegen der dortigen Blüte der Hegeischen Philosophie in den dreißiger und vierziger Jahren ein Anziehungspunkt gewesen sein.47 Straßburg gewann zunächst 1872 bei seiner Eröffnung den in Bonn aufgestiegenen Kunsthistoriker Anton Springer, ferner den Philosophen Clemens Baeumker, der in Bonn wie vordem auch in Breslau und später in Straßburg und München jeweils den konfessionsgebundenen katholischen Lehrstuhl innehatte und die Annahme der Straßburger Berufung als seine »vaterländische Pflicht« ansah.48 Bis zum Ende des behandelten Zeitraums verließen vier Geisteswissenschaftler die Universität in München. Zur Zeit der Weimarer Republik wechselten weitere vier der bis 1914 nach München berufenen Ordinarien an andere Universitäten. Diese Hochschullehrer tauschten München entweder gegen Berlin ein (4), das München im Universitätssystem eindeutig auf den zweiten Platz verwies, oder gingen in begründbaren Ausnahmen an andere Universitäten. Der erste Geisteswissenschaftler, den München an Berlin verlor, war der Philosoph Schelling (1841). Bei dem zweiten handelte es sich um den Deutschen Philologen und gebürtigen Berliner Johann Ferdinand Massmann, der nach nur sechsjährigem Ordinariat in München 1841 beurlaubt wurde, um an der Einrichtung preußischer Gymnasien mitzuwirken. Im Jahr 1846 nahm Massmann dann einen Ruf nach Berlin für die allgemeine Organisation des preußischen Turnunterrichts an und erhielt an der Universität ein Extraordinariat.49 Als dritter und bis 1914 letzter Münchener Geisteswissenschaftler folgte der Psychologe Karl Stumpf 1894 einem Ruf nach Berlin. Obwohl Stumpf bereits den Ruf nach Berlin abgelehnt hatte, wurde ihm durch das ungeschickte Verhalten des bayerischen Kultusministers und aufgrund konfessioneller Vorbehalte eine Fortfuhrung seiner Lehrtätigkeit in München unmöglich gemacht, »so ehrenvoll die Berufung war: ich hatte für Berlin bisher keine Liebe gewinnen können, fürchtete vor allem dort 178
meine wissenschaftliche Lebensarbeit nicht planmäßig vollenden zu können, und lehnte ab. Aber nach einigen Wochen begann ich einzusehen, daß München doch auf die Dauer nicht der richtige Boden für meine Bestrebungen war. Ein Institut war nicht durchzusetzen. Den Minister, der mir sonst entgegengekommen war, hatte ich gebeten, 500 Mark jährlich für experimentelle Psychologie zu bewilligen. Er antwortete, das sei zwar wohl eine aufzubringende Summe, aber er müsse doch an den Landtag gehen, und da könnte man ihn der Begünstigung des Materialismus zeihen. Darauf erklärte ich gehen zu müssen. Bald nachher bekam allerdings Lipps ein dotiertes Seminar und später Külpe ein großes Institut. Der wahre Grund für das Verhalten des Ministers lag denn auch aller Wahrscheinlichkeit nach anderswo, nämlich in meinem entschiedenen Widerspruch gegen gewisse, auch vom Hofe geteilte klerikale Wünsche bezüglich der Akademie.«50 Bis 1914 verließ darüber hinaus nur noch der 1856 auf Initiative von Leopold von Ranke nach München berufene Historiker Heinrich von Sybel die Maximiiiana wegen Konflikten mit dem Herrscherhaus und wechselte nach Bonn. 51 Von den vier Ordinarien, die München nach 1914 verließen, beendete nur der Neuhistoriker Erich Mareks seine wissenschaftliche Laufbahn in Berlin. Den umgekehrten Weg von Berlin nach München ging als einziger der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin, der nach zwölfjähriger Amtszeit in München im Jahr 1924 an die Universität seines schweizerischen Geburtslandes in Zürich zurückkehrte.52 Ferner endieß München 1920 den Indogermanisten Wilhelm Streitberg an die damalige Hochburg der Vergleichenden Sprachwissenschaft in Leipzig. Streitberg absolvierte Studium, Promotion und Habilitation in Leipzig, war Schüler der dortigen führenden Indogermanisten Ernst Windisch, Karl Brugmann und August Leskien und trat in Leipzig die Nachfolge seines Lehrers Brugmann an.53 Schließlich verließ der in München seit der Habilitation aufgestiegene Ägyptologe Friedrich Wilhelm von Bissing 1922 die Maximiiiana, um an der niederländischen Universität in Utrecht eine Professur für altorientalische Kunstgeschichte anzutreten.54 Von den insgesamt 95 Geisteswissenschaftlern, die von 1810 bis 1914 nach Berlin berufen wurden, wechselten nur sechs an andere Universitäten. Der erwähnte Altphilologe Heindorf wurde schon 1811 von Schuckmann zum Aufbau der Breslauer Universität dorthin versetzt.55 Der Slavist und gebürtige Kroate Vratoslaw von Jagic verließ Berlin im Jahr 1880 zugunsten der Universität Petersburg, an der sich für ihn »ein bedeutenderes Arbeitsfeld und eine breitere pädagogische Auswirkung eröffneten«.56 Von dort kehrte er an die österreichische Universität Wien zurück. Der Archäologe Karl Robert, der seit seinem Studium alle Stationen bis zum Ordinariat in Berlin absolviert hatte, verließ Berlin 1890 zugunsten der Universität 179
Halle.57 Der Historiker Max Lenz wechselte 1914 von Berlin an das Hamburger Kolonialinstitut, an dessen Ausbau zur Universität er in leitender Position mitwirkte.58 Der eben genannte Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin folgte 1912 einem Rückruf nach München, wo bis 1908 sein Vater gelehrt und er selbst die Anfangsstationen seiner Laufbahn bis zum Privatdozenten absolviert hatte. Der Germanist und gebürtige Schweizer Andreas Heusler stieg in Berlin auf und erhielt dort ein Ordinariat, nachdem andere Ordinarien abgelehnt hatten. Im Jahr 1919 ging Heusler an die Universität seiner Geburtsstadt Basel zurück. Aus diesen Karrierebeschreibungen lassen sich im wesentlichen zwei Gründe für eine Abberufung von Berlin benennen: Zunächst waren es zur Hälfte Ausländer, die an eine ihrer Heimatuniversitäten zurückkehrten. 59 Heusler schrieb zu seiner Rückkehr nach Basel: »Mich einzugewöhnen in den so neuen Lebensrahmen hatt ich eigendich nicht nötig. Mir war vom ersten Tage ab, als sei ich nun endlich zu Haus ... Hier könnt ich, wie noch nie, mit der Natur leben: nicht nur mit der grünen so freundlichen Landschaft, die wie eine vertraute Stimme aus der Knabenzeit zu mir spricht ... Das alles erlebt sich hier so anders als in der Großstadt! Thüle beschert mir - nicht grad täglich, aber oft - die goldene Einsamkeit.«60 Zweitens waren es Berliner Hausberufene im engeren und weiteren Sinn, die ihre Position in Berlin gegen eine Professur an einer kleineren Hochschule eintauschten. Welche Probleme fur einen »Nichtbewährten« die Berufung in eine so exponierte Stellung aufwarf, wie sie eine Professur in Berlin darstellte, verdeudicht wiederum das Beispiel Heuslers. Obwohl er zu den namhaften Germanisten seiner Zeit gehörte, quälten ihn besonders während seiner Berliner Jahre arge Selbstzweifel an seiner Begabung zur wissenschaftlichen Profession: »Das Gefühl: in die Luft dieser gewichtigen Fachmeister gehörst du leichter Tourist nicht hinein! hat mich in den zwölf Jahren meiner >Unsterblichkeit< nie verlassen. So wenig mir einfiel, mich an einem Schmoller, Harnack, Eduard Meyer zu messen: - was Schiller >meines Nichts durchbohrendes Gefühl· nennt, wurde mir in diesen Jahren zum Erlebnis.«61
3.1.1.3 Zum Austausch mit ausländischen Universitäten Mit dem Wandel im Berufungsverhalten setzte für die Universitäten über die engen Grenzen ihres Territoriums oder ihrer Provinz hinweg eine den gesamten deutschen Sprachraum umfassende Rekrutierung der Professoren ein. Wie weit die Kontakte der deutschen Universitäten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert reichten, mit welchen Universitäten man am häufigsten austauschte und wie eng die Verbindungen der einzelnen Universi180
täten zum Ausland waren, wird im folgenden untersucht. Wie wenig man über die Dichte der Auslandsbeziehungen weiß, verdeutlicht ein kürzlich erschienener Aufsatz, in dem davon ausgegangen wird, unter Althoff hätten die preußischen Universitäten den Kontakt zum Ausland intensiviert62 genau das Gegenteil war der Fall. Jeder siebte bis achte Geisteswissenschaftler der acht untersuchten Hochschulen wirkte bis 1914 auch an ausländischen Universitäten (58-14,1 %); darüber hinaus gingen drei Geisteswissenschaftler nach 1914 ins Ausland (Basel, Utrecht, Oxford). Damit waren die Geisteswissenschaftler doppelt so häufig an ausländischen Universitäten tätig wie die Naturwissenschaftler (7 %). Jeder vierte dieser Gruppe war selbst Ausländer (23,2 % gegenüber 5,1 % im gesamten Lehrkörper). 63 Die Geisteswissenschaftler lehrten bis 1914 an 18 verschiedenen ausländischen Universitäten. Die häufigsten Kontakte unterhielten die untersuchten Universitäten nicht mit den österreichischen, sondern mit den schweizerischen Hochschulen in Basel, Bern (gegründet 1834), Zürich (gegründet 1833) und Freiburg (gegründet 1889). Bis 1914 hatten nicht weniger als 28 Geisteswissenschaftler an den dortigen Universitäten einen Lehrstuhl inne. Erst an zweiter Stelle lagen die seit 1871 vom Reich getrennten österreichischen Universitäten deutscher Sprache in Wien, Prag, Graz (wiedereröffnet 1827), Innsbruck (wiedereröffnet 1826) und Chernowitz (gegründet 1875). Mit ihnen tauschte man bis 1914 21 Ordinarien aus. Zu den nicht deutschsprachigen österreichischen Universitäten unterhielten die neun untersuchten deutschen Universitäten (einschließlich Jena) keine Beziehungen auf der Ordinarienebene; indirekt gelangte aber ein Germanist von Krakau über Graz nach Kiel. Eher gering waren die Verbindungen zu der von 1802 bis zur Russifizierung im Jahr 1893 deutschsprachigen Universität im estnischen Dorpat (3). 64 Die Auslandsbeziehungen der geisteswissenschaftlichen Fächergruppen beschränkten sich nicht nur auf die deutschsprachigen Universitäten, sondern schlossen die niederländischen Universitäten in Groningen und Leiden, die englische bzw. schottische in Liverpool (gegründet 1903) und Edinburgh, die belgische Universität in Löwen, die schwedische in Göteborg, die russische in Petersburg und die amerikanische in Princeton mit ein. An diesen Universitäten hatte jeweils ein Geisteswissenschaftler einen Lehrstuhl inne. Die meisten Geisteswissenschaftler wirkten bis 1914 im Ausland an den schweizerischen Universitäten in Basel und Zürich (je 12). Die Verbindungen zwischen beiden Ländern begannen sich im Vormärz zu intensivieren, als man in der Schweiz in den aufeinanderfolgenden Jahren 1833/34 die beiden Hochschulen in Bern und Zürich eröffnete. Der entstandene Mangel an Dozenten wurde vornehmlich durch Berufungen aus dem angren181
zenden Deutschland, darunter eine Reihe geflohener Liberaler, ausgeglichen. Zeitweise stammten an den schweizerischen Hochschulen sämtliche Professoren aus Deutschland. 65 Basel und Zürich und ebenso Bern und Freiburg/Schweiz dienten fast ausschließlich als Einstiegsuniversitäten in die erste ordentliche Professur. Mit Recht bezeichnete E. Laspeyres sie als die »Schwungbretter« in die Ordinariate der reichsdeutschen Universitäten.66 Für Basel vermerkte der Altphilologe Eduard Wölfflin: »Aber die damaligen Staatsmänner [um 1850] gaben auch offen zu, die Baseler Universität habe einen propädeutischen Charakterwienreif< war kennzeichnend für die Stellung, in der man die Universität in Wien sehen wollte.74 Daß >wienreif< spätestens seit den siebziger Jahren durch >berlinreif< ersetzt werden mußte, zeigte sich an der Welle von Abberufüngen Wiener Geisteswissenschaftler an die Berliner Universität. In dem kurzen Zeitraum von 1875 bis 1886 wurden nicht weniger als fünf Wiener Geisteswissenschaftler direkt nach Berlin berufen; ein weiterer gelangte über Straßburg nach Berlin. Darüber hinaus rekrutierte Berlin in dem zwölfjährigen Zeitraum nur einmal direkt von der österreichischen Universität Graz. Vor 1875 hatte hingegen in Berlin weder ein Geistes- noch ein Naturwissenschaftler von einer österreichischen Hochschule einen Lehrstuhl angetreten. Von 1886 an gelangten nur noch zwei Geisteswissenschaftler, die in Prag und Graz gelehrt hatten, mittelbar über andere deutsche Universitäten nach 183
Berlin. In die umgekehrte Richtung von Berlin nach Wien ging als einziger der Slawist von Jagic und zwar indirekt über Petersburg. Die Wienberufungen fanden exakt in jener Phase statt, in der die Berliner Fächergruppe expandierte. In die naturwissenschaftliche Fächergruppe wurde dagegen während der ein Dezennium später einsetzenden Ausbauphase kein Wiener Naturwissenschaftler nach Berlin berufen. Die Rivalität bezog sich damit eindeutig auf die Geisteswissenschaften, die in Berlin seit ihrer Gründung einen Schwerpunkt hatten und in denen die Universität ihren Führungsanspruch noch weiter ausbaute. In der Berufungswelle von Wiener Geisteswissenschaftlern nach Berlin zeichnet sich ein Rivalitätsverhalten um die Spitzenposition ab, das nach der Klärung der Rangverhältnisse zugunsten von Berlin gegenstandslos wurde. Der politische Dualismus zwischen Preußen und Österreich, der 1871 faktisch beendet wurde, fand damit auf der Universitätsebene nochmals ein Nachspiel. Die Unterschiede zwischen dem traditionsreichen Wien und dem jungen, ehrgeizigen Berlin vermochte der Anglist Alois Brandl in einem Stimmungsbild beider Städte fur die Zeit um 1878/79 treffend einzufangen: »Wien ist um eine mittelalterliche Kathedrale herumgebaut, Neu-Berlin um einen Naturpark, und zahlreich erstrecken sich die grünen Büsche des Tiergartens noch in die Straßen hinein; ja nicht selten zwang ein statdicher Baum eine Häuserreihe zum Ab- oder Umbiegen. Geschichtsgemäß waltet in Wien eine feudale Herrschertradition, gemäßigt durch südliches Temperament, durch Lebensfreude und Beweglichkeit; in Berlin aber drängte alles mit elementarem Wachstum der Zukunft entgegen, das >gute Alte< datierte höchstens von vorgestern, die Natürlichkeit artete leicht aus in einen rücksichtslosen Kampf ums Dasein.«75 Daß dem Verhältnis Wien-Berlin in den Geisteswissenschaften besondere Dimensionen zugrundelagen, zeigte sich an den geringen Beziehungen zwischen Wien und den anderen reichsdeutschen Hochschulen. Mit Kiel, Gießen, Göttingen, Heidelberg und offenbar auch mit Tübingen wurden im gesamten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert keine Geisteswissenschaftler ausgetauscht. Vom katholischen Bonn berief Wien zweimal direkt; ein weiterer Ordinarius gelangte von Wien über Leipzig 1906 nach Bonn. Mit Marburg, Jena und München kam es je einmal zu einem direkten Austausch, wobei neben München auch Jena von Wien wegberufen konnte. 76 Drei dieser Geisteswissenschaftler erreichten die Professuren der deutschen Universitäten nach der Wende zum 20. Jahrhundert, als Berlin und Wien ihre Beziehungen in den Geisteswissenschaften auf der Ordinarienebene längst eingestellt hatten. Von den anderen deutschsprachigen Universitäten Österreichs gelangten insgesamt elf Geisteswissenschaftler an die deutschen Hochschulen, darunter, seit den achtziger Jahren, allein fünf Ordinarien der Universität in Prag. 184
Vier dieser fünf Geisteswissenschaftler traten in Prag ihr erstes Ordinariat an, obwohl Prag innerhalb des österreichischen Universitätssystems als Aufstiegsuniversität galt. Kennzeichnend für die Entwicklung der Prager Hochschule war die im Revolutions]ahr 1848 eingeleitete und 1882 vollzogene Trennung der Universität in eine tschechische und eine deutsche Universität. 77 Wie Alois Brandl, der von 1884 bis 1888 ein Extraordinariat für Anglistik in Prag innehatte, das Nebeneinander beider Anstalten empfand, schilderte er in seiner Selbstbiographie: »Ich fragte nach dem deutschen Universitätsgebäude und erfuhr, daß es nach dem Willen des Kaisers nur eine einheitliche Karlsuniversität gebe. Zum Zeichen dafür waren die beiden Hörsaalkomplexe, die zur Verfugung standen, das Karolinum und das Klementinum, jeder gespalten worden; nur innere, nicht äußere Mauern durften die tschechische und die deutsche Wissenschaft trennen; nur ein ruhiges Nebeneinander war den beiden Nationen erlaubt. ... Ich habe während meines vierjährigen Aufenthalts in der Moldaustadt niemals einen nichtdeutschen Kollegen gesprochen, außer einmal flüchtig auf der Universitätsbibliothek, die noch gemeinsam war ... Es gab - was viel bedeutete keine gemeinsame Feier von Kaisers Geburtstag. Zwei Fronten standen sich gegenüber, aber unter gemeinsamen Dächern, zurückhaltend und doch jeden Augenblick kampfbereit. Die Kollegen fand ich streng organisiert. Man mußte bei deutschen Kaufleuten kaufen und zu deutschen Gastwirten gehen, sonst hätte es bald keine mehr gegeben«. 78 Als Aufstiegsuniversität präsentierte sich auch die junge österreichische Hochschule in Graz. Von dort aus gelangten vier Geisteswissenschaftler an die Hochschule in Kiel sowie an die größeren Universitäten in Freiburg, Straßburg und Berlin. Graz berief zwei dieser Geisteswissenschaftler seinerseits von Krakau und Innsbruck. Die erst 1863 mit der Angliederung einer Medizinischen Fakultät wieder zur Volluniversität ausgebaute Hochschule erlebte in den folgenden Jahrzehnten eine beachtliche Blütezeit. 79 »Die Universität Graz, die südöstlichste des deutschen Sprachgebietes, war zur Zeit als ich an ihr zu wirken begann [1884], in erfreulichem Aufschwünge begriffen. Ihre Baulichkeiten ließen zwar noch zu wünschen übrig, allein die Hörerzahlen nahmen von Jahr zu Jahr zu und ihr Lehrkörper erneuerte sich durch eine Anzahl jüngerer Kräfte, die frische Bewegung in den Lehrund Forschungsbetrieb der Hochschule brachten.« 80 Die übrigen zwei Geisteswissenschaftler kamen von den kleinen österreichischen Einstiegsuniversitäten in Innsbruck und Chernowitz. Darüber hinaus berief Innsbruck den an der dortigen Universität aufgestiegenen Sanskritforscher und gebürtigen Innsbrucker Alois Walde von der Universität in Gießen, an die er 1909 gekommen war, nach nur dreieinhalbjähriger Amtszeit zurück. 81 In den Fällen von Walde und des zwischen Göttingen und Chernowitz hin und her pendelnden Georg Elias Müller 82 zeigt sich 185
deutlich, daß die Wegberufung an eine andere Universität nur dazu diente, eine Hausberufung zu umgehen. Von den zehn untersuchten Universitäten (einschließlich Jena und Tübingen) tauschte Heidelberg am frühesten Ordinarien mit dem Ausland aus. Im Jahr 1827 wechselte der Historiker und Sprachforscher Franz Joseph Mone an die belgische Universität Löwen;83 im Jahr 1840 berief Heidelberg von Bern den Historiker Friedrich Kortüm, der 1810 als Spion in Rostock verhaftet worden war und danach in die Schweiz fliehen konnte. 84 An den anderen Universitäten setzten die Auslandsberufungen zum großen Teil sehr viel später, vornehmlich in den sechziger und siebziger Jahren, ein.85 Die meisten Geisteswissenschaftler, die im Ausland als Ordinarien lehrten, kamen direkt oder indirekt nach Berlin ( 2 0 - 2 1 , 1 %). Es folgte ein Mittelfeld mit den geisteswissenschaftlichen Fächergruppen in Heidelberg ( 8 - 1 2 , 7 %), Bonn ( 9 - 1 1 , 6 %) und Gießen ( 6 - 1 0 , 5 %), ferner in Kiel ( 7 - 9 %), Göttingen ( 8 - 8 , 8 %) und München ( 7 - 8 , 4 %). Am geringsten war der Anteil in Marburg ( 3 - 4 , 1 %). Eine andere Abfolge ergibt sich nach den für die Charakterisierung des Berufungsverhaltens noch wichtigeren Direktberufungen. An der Spitze lag wiederum Berlin mit zehn unmittelbaren Abberufungen aus dem Ausland (10,5 %). Nunmehr schlossen sich aber die Einstiegsuniversitäten in Gießen ( 5 - 8 , 8 %) und Kiel ( 6 - 7 , 7 %) an, die vornehmlich von den kleinen schweizerischen und österreichischen Universitäten rekrutierten. Erst danach folgten die größeren in Bonn ( 5 - 6 , 6 %), Göttingen ( 6 - 6 , 6 %) und Heidelberg ( 3 - 4 , 8 %). Die Durchgangsuniversität in Marburg ( 2 - 2 , 7 %) und die Endstationsuniversität München ( 2 - 2 , 4 %) beriefen jeweils nur zweimal direkt von ausländischen Universitäten. Nimmt man jene Universitäten hinzu, über die die Geisteswissenschaftler an die untersuchten Hochschulen gelangten, so beriefen preußische und nichtpreußische Universitäten gleichermaßen häufig von Auslandsuniversitäten. Besonderheiten ergaben sich über Berlin hinaus für Kiel, Gießen und Heidelberg. Kiel entließ während seiner dänischen Periode nur einen seiner Geisteswissenschaftler an die dänische Landesuniversität in Kopenhagen. Ansonsten bestanden keine Beziehungen zwischen beiden Universitäten. Gießen unterhielt - wie es bereits erwähnt wurde - besonders enge Beziehungen zur schweizerischen Hochschule in Basel, die seit den achtziger Jahren Zubringer für Gießen wurde. Es waren zusammen mit der Abberufung eines Geisteswissenschaftlers nach Innsbruck die einzigen Auslandskontakte der Ludoviciana bis 1914. Auch Heidelberg hatte neben zwei Abberufungen nach Löwen und Princeton nur Kontakte zu den schweizerischen Universitäten, von denen die Ruperto Carola dreimal direkt berief. Heidelberg unterhielt allerdings als einzige der untersuchten Hochschulen 186
auf der Ordinarienebene keine Beziehungen zu den österreichischen Universitäten.
3.1.1.4 Die >Ära Althoff< (1882-1907) Neben Wilhelm von Humboldt fand im 19. Jahrhundert kein anderer Kultusbeamter so viel Beachtung wie Friedrich Althoff. Kaum eine Person der Universitätsverwaltung wurde auch so kontrovers diskutiert wie er. Schon zu Lebzeiten bezeichnete man ihn als »Preußens heimlichen Kultusminister« oder den »Bismarck des Hochschulwesens«, für seine Amtszeit und seinen Regierungsstil schuf man die Begriffe der >Ära -< bzw. des Systems AlthoffManövriermasse< seiner Tätigkeit, ablehnend gegenübergestanden. Doch dies behaupteten eher seine Gegner. Eines der wohl treffendsten Urteile über ihn fällte der Berliner Anglist Alois Brandl: »Beweglich im Denken wie ein Wiesel, war er abwechselnd Machtmensch, Diplomat, Realist, Korpsbursche, Humorist und daher der Gegenstand der verschiedendsten Anekdoten bis über das Grab hinaus. Gehaßt von vielen, die er enttäuschen mußte, weil er >doch unmöglich alle Versprechungen erfüllen konnteÄra Althoff< auch unter den nichtpreußischen Universitäten keineswegs ohne Resonanz. Wie die Universitäten zur Zeit Althoffs agierten, erfahren wir wiederum über die Direkt- und Abberufungen. Dabei sind für die kleineren Universitäten, die nur eine geringe Quote an Ordinarienberufüngen aufwiesen, die Abberufungen an andere Universitäten von größerer Bedeutung, auch wenn sie selbst hieran nur passiv beteiligt waren. Das Berufungsverhalten der einzelnen Universitäten vor und nach sowie während der Amtszeit Althoffs gestaltete sich im Überblick wie folgt: Die geisteswissenschaftlichen Fächergruppen der preußischen Universitäten in Berlin, Kiel, Marburg, Bonn und mit Einschränkungen in Göttingen waren zur Amtszeit Althoffs stärker als zuvor und danach in die preußische Universitätslandschaft eingebunden. Die nichtpreußischen Universitäten in München, Gießen und Heidelberg wandten sich dagegen zur Amtszeit Alt188
hoffs mehr den nichtpreußischen Universitäten zu. Diese Praxis war keineswegs kennzeichnend für das Berufungsverhalten der jeweiligen Universität in allen Fakultäten und Fächergruppen, wie sich in der benachbarten naturwissenschaftlichen Fächergruppe zeigt. Dort wichen die Universitäten zum Teil von dieser Praxis erheblich ab. Besonders deudich zeichnete sich die >Ära Althoff< in Berlin ab. Als deutsche Bildungsmetropole mit Sitz des preußischen Kultusministeriums konnte das >System Althoff< seine Wirkkraft und Effizienz unmittelbar vor Ort entwickeln und erproben. An der Universität hatte Althoff mehrere, zum Teil sehr einflußreiche Vertrauensleute wie die Geisteswissenschaftler Eduard Zeller, Theodor Mommsen und dessen Schwiegersohn Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, ferner Friedrich Paulsen und den Theologen Adolf Harnack. 94 Als Beispiele für den autokratischen Führungsstil Althoffs bei Berufungsangelegenheiten der Berliner geisteswissenschaftlichen Fächergruppe sei auf den Philosophen Friedrich Paulsen und den Anglisten Alois Brandl verwiesen. Paulsen wurde nach einer 15jährigen Lehrtätigkeit als Extraordinarius in Berlin, ohne sich außerhalb bewährt zu haben, von Althoff gegen den Willen der Fakultät zum Ordinarius befördert; insbesondere sein nächster Fachkollege Wilhelm Dilthey stimmte gegen ihn und mokierte sich über seine angebliche »Kafehausethik«. 95 Der in Straßburg lehrende Brandl wurde »mit Übergehung älterer mitvorgeschlagener Herren, die es mich dann büßen ließen«, 96 von Althoff eigenmächtig zum Nachfolger des ihm wenig genehmen Zupitza nach Berlin berufen. Es ließen sich weitere Fälle anführen, in denen Althoff seine Kandidaten letztlich durchsetzte. Welche unübersehbaren Veränderungen das >System Althoff< in der Berliner Berufüngspraxis mit sich brachte, verdeutlichen die Direktberufungen der Universität in jenen Jahren. Während die Fächergruppe vor und nach der Amtszeit Althoffs mit einem Verhältnis von 16 : 15 zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten ausgewogen berief, wandte sie sich während der Amtszeit Althoffs dreimal so häufig den preußischen Universitäten zu (12 : 4). Die insgesamt 19 Direktberufungen erfolgten von vier preußischen, drei nichtpreußischen und zwei ausländischen Universitäten. Am häufigsten wurde von Breslau berufen (fünf von neun im gesamten Zeitraum). Es folgten mit jeweils drei Lehrstuhlinhabern Göttingen und Halle (sieben bzw. sechs im gesamten Zeitraum). Je zwei kamen von Straßburg und Wien, die seit den siebziger Jahren drei (Straßburg) und fünf (Wien) Geisteswissenschaftler direkt nach Berlin entließen. Von Bonn, Heidelberg, München sowie Basel ging jeweils ein Geisteswissenschaftler nach Berlin. Fast ebenso eindeutig wie bei den Direktberufungen zeichnete sich die >Ära Althoff< bei den gesamten Ordinarienstationen der Berliner Geistes189
Wissenschaftler ab. Das Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten betrug im gesamten Zeitraum 51 : 37. Zwischen 1882 und 1907 lag es bei immerhin 23 : 9, d.h. die Berliner Geisteswissenschaftler wirkten vor 1882 und nach 1907 gleichermaßen häufig an preußischen und nichtpreußischen Universitäten (28 : 28). Gegenüber den bayerischen Universitäten verhielt man sich zu Zeiten Althoffs weiterhin zurückhaltend. Es erfolgte lediglich eine Berufung von München sowie eine weitere von Berlin nach München. Kiel wurde nicht erst seit der Amtszeit Althoffs, sondern unmittelbar nach der Angliederung an Preußen Eintrittstor in die preußische Universitätslandschaft. Nur einmal berief Kiel zwischen 1882 und 1907 von einer preußischen, aber viermal von nichtpreußischen Universitäten. Für die Zeit vor und nach Althoff ergab sich ein Verhältnis von 2 : 6 (nach 1866). Ferner gelangten die Kieler Geisteswissenschaftler während der Dienstzeit Althoffs ausschließlich an preußische Hochschulen. Alle wechselten an die vier größeren preußischen Universitäten in Breslau (3), Bonn, Göttingen und Halle (je 1). Von einem Ordinarius jener Geisteswissenschaftlergruppe, die zwischen 1882 und 1907 in Kiel tätig war, ist bekannt, daß er mehrere Rufe nach außerhalb ablehnte, darunter einen Ruf nach Gießen.97 Marburg konzentrierte sich wie Berlin während der Amtszeit Althoffs bei seinen Berufungen in der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe stärker auf die preußischen Universitäten. Die unter dem letzten kurhessischen Landesherrn weitgehend vernachlässigte Hochschule erhielt unmittelbar nach dem Übergang an Preußen eine großzügige Förderung, die unter Althoff weiter verstärkt wurde. 98 Mit dem Ausbau ging die Einbindung in das preußische Universitätssystem einher. Die Philippina berief vor und nach der Amtszeit Althoffs im Verhältnis von 2 : 2 ausgewogen von preußischen und nichtpreußischen Universitäten (nach 1866). Von 1882 bis 1907 rekrutierte sie dagegen ausschließlich von preußischen Hochschulen (6). Drei der vier Greifswalder traten in diesem Zeitraum ihr Ordinariat in Marburg an. Daneben wurden zwei Breslauer und ein Königsberger Geisteswissenschaftler berufen. Die preußischen Universitäten überwogen ebenso bei den Wegberufungen von Marburg (8 : 5), während vor und nach der >Ära Althoff< die Marburger Geisteswissenschaftler gleichermaßen an preußische und nichtpreußische Universitäten gelangten ( 5 : 4 ) . Die Universität in Bonn änderte zur Zeit Althoffs ihr Rekrutierungsverhalten weniger grundlegend als Berlin und Marburg. Zwar berief sie vor 1882 und nach 1907 häufiger von nichtpreußischen Universitäten (10 : 13), drei dieser Berufungen erfolgten jedoch vor 1866 von den später preußischen Universitäten in Kiel, Marburg und Göttingen. Zur Zeit Althoffs tendierte Bonn dann stärker zu den preußischen Hochschulen (6 : 3). Bei den Wegberufungen ergaben sich keine nennenswerten Veränderun190
gen. Insgesamt verließen Bonn zwischen 1882 und 1907 nur drei Geisteswissenschaftler (1 : 2). Unter den untersuchten preußischen Universitäten wurde die Beruflingspraxis der Geisteswissenschaften in Göttingen am wenigsten von der Amtszeit Althoffs beeinflußt. Mit kleineren Einschränkungen traf damit durchaus zu, was der Historiker Johannes Haller über das Verhalten Althoffs gegenüber Göttingen in Berufungsfragen bemerkte: »Göttingen zum Beispiel hat er [Althoff] - außerhalb der Theologischen Fakultät, wo die Kirchenpolitik es verlangte - niemand aufgezwungen, und wenn andere Orte weniger Rücksichtnahme erfuhren, so hatten sie es wohl sich selbst zuzuschreiben.« 99 Ganz so frei in ihrer Wahl waren die Göttinger Geisteswissenschaftler dennoch nicht. Bekanntermaßen hatte Althoff auch in Göttingen in Felix Klein und Wilamowitz seine Vertrauensleute. In den Geisteswissenschaften wurden, von Wilamowitz angeregt und von Althoff unterstützt, die Berufungen der Klassischen Philologen Wilhelm Meyer und Friedrich Leo und des Indogermanisten Wilhelm Schulze nach Göttingen betrieben. 100 Über Eingriffe Althoffs in Berufungsangelegenheiten von Göttinger Geisteswissenschaftlern erfährt man ferner im Zusammenhang mit der Berufung des Anglisten Lorenz Morsbach. Althoff gab seinen Ruf nach Bonn nicht statt, da er angeblich »Schwierigkeiten für die Neubesetzung in Göttingen« befürchtete. 101 Unter preußischer Führung veränderten die Göttinger ihr Rekrutierungsverhalten in den Geisteswissenschaften vor und nach sowie während der Amtszeit Althoffs nicht ( 7 : 4 und 6 : 5 ) . Zudem waren die zwischen 1882 und 1907 berufenen Ordinarien ebenso ausgewogen an preußischen und nichtpreußischen Hochschulen tätig (14 : 14) wie jene in den Zeiträumen zuvor und danach (16 : 16). Nur bei den Wegberufungen von Göttingen zeichnete sich eine stärkere Einbindung in die preußische Hochschullandschaft ab. Während vor und nach der Dienstzeit Althoffs sechs preußische und fünf nichtpreußische Universitäten von Göttingen unmittelbar abberiefen, überwogen zur Amtszeit Althoffs die preußischen (4 : 1), darunter insbesondere Berlin, das in dieser Zeit drei seiner sechs Göttinger Geisteswissenschaftler rekrutierte. Während sich die preußischen Universitäten zur Amtszeit Althoffs deutlicher abgrenzten, wandten sich die nichtpreußischen Universitäten ihrerseits stärker einander zu, ohne jedoch ein eigenes Universitätssystem zu entwickeln. In München zeigte sich diese Tendenz besonders deutlich an den gesamten Ordinarienstationen, bei denen das Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten im gesamten Zeitraum bei 16 : 26 lag. Die zur Amtszeit Althoffs berufenen Münchener Geisteswissenschaftler wandten sich stärker den außerpreußischen Universitäten zu (3 : 10), während die vor und nach Althoff berufenen Ordinarien annä191
hernd ausgewogen über ihr Münchener Ordinariat hinaus an preußischen und nichtpreußischen Universitäten lehrten (13 : 16). Weniger deutlich trat die Abkehr von den preußischen Universitäten bei den Direktberufungen hervor. Insgesamt rekrutierte die Fächergruppe acht Geisteswissenschaftler von preußischen und 19 von außerpreußischen Hochschulen. Zur Zeit Althoffs lag das Verhältnis bei 2 : 6, so daß man zuvor und danach im Verhältnis 6 : 1 3 berief. Die Ordinarien der bayerischen Universitäten wurden zwischen 1882 und 1907 nicht bevorzugt. In Gießen zeichnete sich die Amtszeit Althoffs wie in Kiel bei den Abberufungen und den gesamten Ordinarienstationen der Geisteswissenschaftler ab. Vor 1882 und nach 1907 rekrutierten mehr preußische als nichtpreußische Universitäten von Gießen (10 : 8). Zur Amtszeit Althoffs jedoch spielten die Gießener Geisteswissenschaftler für die preußischen Universitäten eine unbedeutende Rolle ( 3 : 8 ) . Ebenso verhielt es sich bei den gesamten Ordinarienstationen. Vor 1882 und nach 1907 bevorzugten die Gießener Geisteswissenschaftler über Gießen hinaus die preußischen Universitäten (16 : 7), während der Amtszeit Althoffs aber die nichtpreußischen (11 : 20). Trotz der Abkehr waren gerade in diesen Jahren die Kontakte zur preußischen Hochschule in Königsberg mit drei Abberufungen relativ eng. Unter den untersuchten nichtpreußischen Universitäten schlug sich die Amtszeit Althoffs am nachhaltigsten im Berufungsverhalten der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe in Heidelberg nieder. Die Universität rekrutierte vor und nach Althoff etwa ausgewogen von preußischen und nichtpreußischen Universitäten (5 : 7). Zwischen 1882 und 1907 konzentrierte sie sich bei ihren Ordinarienberufungen dagegen fast ausschließlich auf nichtpreußische Universitäten (1 : 9). Selbst der einzige von einer preußischen Universität Berufene wies frühere Verbindungen zu Heidelberg auf. Es handelte sich um den Orientalisten Heinrich Thorbecke, der in Heidelberg promovierte und habilitierte und dort nicht weniger als zwölf Jahre als Extraordinarius tätig war, ehe er 1885 einem Ruf auf ein Extraordinariat nach Halle folgte. Thorbecke wurde in Halle schon zwei Jahre später zum Ordinarius befördert und nach weiteren eineinhalb Jahren nach Heidelberg zurückberufen. 102 Auch jene Universitäten, die von Heidelberg abberiefen, waren vornehmlich nichtpreußisch (1 : 3). Nur einmal noch berief Berlin im Jahr 1902 einen Heidelberger Ordinarius, der wenige Monate zuvor einen Ruf an die dortige Universität abgelehnt hatte. 103 Die geisteswissenschaftlichen Fächergruppen der preußischen Universitäten grenzten sich während der Amtszeit Althoffs nicht nur von den nichtpreußischen, sondern ebenso von den ausländischen Universitäten ab.104 Die fünf untersuchten preußischen Hochschulen rekrutierten zur Amtszeit 192
Althoffs nicht einmal halb so häufig aus dem Ausland wie in den Zeiträumen zuvor und danach. Sie beriefen bis 1882 und nach 1907 in durchschnitdich 21,6 Jahren, d.h. ausgehend von der ersten Berufung der jeweiligen Universität aus dem Ausland, insgesamt neunzehnmal direkt von ausländischen Hochschulen. In der funfundzwanzigjährigen Dienstzeit Althoffs gelangten dagegen nur acht Geisteswissenschaftler aus dem Ausland unmittelbar an die preußischen Universitäten. Bei den nichtpreußischen Universitäten (einschließlich Jena bis 1908) ergaben sich dagegen keine Veränderungen. Sie beriefen vor und nach (Durchschnitt: 19 Jahre) sowie während der >Ära Althoff< (da München erstmals 1905 aus dem Ausland berief ebenfalls durchschnitdich 19 Jahre) jeweils sechsmal direkt von ausländischen Hochschulen. Die Abkehr der preußischen Universitäten vom Ausland zeichnete sich am deudichsten an der Universität in Berlin ab. Der erste von insgesamt zehn unmittelbar von ausländischen Hochschulen berufene Ordinarius war der 1874 von Wien kommende Altphilologe Johannes Vahlen. In dem anschließenden vierzigjährigen Zeitraum bis 1914 verteilten sich die Auslandsberufungen auf die 15 Jahre vor und nach der Amtszeit Althoffs und auf seine fiinfundzwanzigjährige Dienstzeit im Verhältnis von 7 : 3 . Die Unterschiede zeigen sich ebenso deudich an der Gesamtzahl der ausländischen Ordinarienstationen, die die Berliner Geisteswissenschaftler antraten. Von den zwischen 1882 und 1907 nach Berlin gelangten Geisteswissenschaftlern waren sieben Ordinarien an neun ausländischen Universitäten tätig. Vor 1882 und nach 1907 wurden in 18 Jahren 14 Geisteswissenschaftler berufen, die im Ausland an 17 verschiedenen Universitäten lehrten. Eingeschränkt wurden die Direktberufungen auch an den preußischen Universitäten in Bonn, 105 Göttingen 106 und Kiel. 107 An die Marburger Hochschule, die jeweils einmal in den Jahren 1849 und 1872 von schweizerischen Universitäten rekrutierte, war anschließend bis 1914 kein weiterer Geisteswissenschaftler von einer ausländischen Hochschule gelangt.
3.1.2 Die nicht untersuchten deutschen
Universitäten
3.1.2.1 Die preußischen Universitäten Greifswald, Königsberg, Breslau und Halle Die pommersche Landesuniversität in Greifswald fiel 1815 an Preußen und bekam recht bald die starke Konkurrenz der nahen Berliner Universität zu spüren. Im Unterschied zu den anderen preußischen Universitäten in Bonn, Breslau, Halle und Königsberg wurde Greifswald bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nach dem preußischen Universitätskonzept umge193
staltet. Grundlegende Veränderungen der im Alten verharrenden Hochschule ergaben sich erst in der zweiten Jahrhunderthälfte. Bedeutung erlangten die Theologische und mehr noch die Medizinische Fakultät, die sich dank des umfassenden Neubaus der Kliniken und Institute und einer Verdreifachung des Lehrkörpers zwischen 1850 und 1890 zu einer der angesehensten des Reiches entwickelte. Ausdruck fand dieser unvergleichliche Aufschwung in sprunghaft steigenden Studentenzahlen, die Greifswald zeitweise unter den deutschen Universitäten an die zweite Stelle vorrücken ließen.108 Weder die Natur- noch die Geisteswissenschaften hatten an der Blüte in Medizin und Theologie teil.109 Die Philosophische Fakultät in Greifswald blieb während des gesamten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts eine der kleinsten. U m 1830 lag sie an 18. Stelle hinter Kiel und vor Rostock. Bis Anfang der vierziger Jahre konnte sie kurzzeitig auf den zwölften Platz vorrücken, fiel anschließend aber wieder auf einen der hinteren Plätze zurück. Die geisteswissenschaftliche Fächergruppe lag zwischen 1866 und 1914 durchschnitdich an 17. Stelle. Einen Tiefpunkt in der Frequenz erlebte die Fächergruppe zu Beginn der neunziger Jahre, als sie auf den letzten Platz zurücksank. Anschließend stiegen die Studentenzahlen erneut überproportional an, so daß Greifswald bis 1914 auf den 15. Platz vorrückte. 110 Die Situation an der Universität kurz nach der Jahrhundertmitte skizzierte recht anschaulich der Jurist Ernst Immanuel Bekker, Sohn des Berliner Klassischen Philologen August Immanuel Bekker. Kurz bevor Bekker 1857 sein erstes Ordinariat in Greifswald antrat, deutete ihm der Minister an, »>Sie kommen in eine kuriose Gesellschaft, es ist, als ob das letzte Vierteljahrhundert für diese Leute nicht gewesen wäre.< ... Indessen wurde es in Greifswald selber bald anders und besser, einzelne Jahre brachten der Universität fünf neue Ordinarien. ... besonders anregend aber wurde der Verkehr mit den Philologen, von denen Viele der allertüchtigsten durch Greifswald wenigstens hindurchgegangen sind, Usener, Michaelis, Bücheler, Studemund, Rudolf Schöll, dann war ich auch noch mit Kießling zusammen und mit Wellhausen, der wenigstens den Sprachforschern im weiteren Sinne zuzuzählen ist, leider nicht mehr mit Wilamowitz.« 111 Greifswald war, wie es im Zitat anklingt, Einstiegsuniversität in das erste Ordinariat. 15 von 19 Greifswalder Geisteswissenschaftler, deren Karriereverläufe über die untersuchten Universitäten (einschließlich Jena bis 1908) bekannt sind, traten in Greifswald ihr erstes Ordinariat an. Ordinarienberufungen gelangen der Fächergruppe von den nichtpreußischen und zum jeweiligen Zeitpunkt der Berufungen kleineren Hochschulen in Rostock, Freiburg und Jena. Ferner kam es 1 8 9 5 / 9 6 zwischen Greifswald und der wesentlich größeren Universität in Marburg zum Austausch der Romanisten Eduard Koschwitz und Edmund Stengel. 112 194
Greifswald war wie Kiel Zubringer fur die preußischen Universitäten. Diese Funktion hatte die Hochschule sowohl während als auch vor und nach der Amtszeit Althoffs (7 : 1, 7 : 2) inne. Daß Kiel und Greifswald die gleiche Rolle im System einnahmen, zeigte sich auch daran, daß sich beide gegenseitig weitgehend mieden. Nur einmal berief Kiel einen Greifswalder Historiker; abgelehnte Rufe sind nicht bekannt. Die Funktion beider Universitäten innerhalb des preußischen Universitätssystems war dadurch bestimmt, daß jede für sich in einer Art Arbeitsteilung weitgehend unterschiedliche preußische Universitäten mit Ordinarien >bedienteins ReichExperimentieranstalt< für Berlin. Von keiner anderen Universität berief Berlin so häufig Geisteswissenschaftler wie von Breslau, so daß der Historiker Hermann Aubin Breslau zurecht als »Sprungbrett für Berlin« bezeichnete. 133 Bis 1914 traten zwölf Breslauer Geisteswissenschaftler später in Berlin ein Ordinariat an. Für sie alle war Berlin die Endstation ihrer wissenschaftlichen Laufbahn. Neun von ihnen wurden direkt nach Berlin berufen. Nur für den gegen seinen Willen von Berlin nach Breslau versetzten Heindorf verlief der Weg in die umgekehrte Richtung. Als sich die Hochschule seit den siebziger Jahren der leistungsbezogenen Auslese öffnete, wurde sie sogleich in das preußische Universitätssystem eingebunden. Mit den untersuchten fünf preußischen Universitäten tauschte Breslau nicht weniger als 28 Geisteswissenschaftler aus. Es waren deutlich mehr, als jede andere nicht untersuchte Hochschule mit den untersuchten Universitäten austauschte. Im Universitätssystem nahm Breslau die Funktion einer Aufstiegs- bzw. Durchgangsstation wahr.134 Jeder dritte über die untersuchten Universitäten bekannte Breslauer Geisteswissenschaftler trat in Breslau sein erstes Ordinariat an und jeder zehnte beendete seine wissenschaftliche Laufbahn in Breslau. Die Berufungsbeziehungen der Universität ähnelten der zweiten preußischen Aufstiegsuniversität in Marburg, wobei Breslau noch intensivere Kontakte zu den preußischen Universitäten unterhielt als die Philippina. Die Breslauer Universität berief ihre Geisteswissenschaftler wie jene vorzugsweise von preußischen Universitäten und leitete sie hauptsächlich an preußische Universitäten weiter. Entsprechend lag das Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten bei den Direktberufungen bei 12 : 5 und bei den Abberufungen bei 21 : 4. Während der Amtszeit Althoffs intensivierten sich die Beziehungen Breslaus noch weiter zu den preußischen Universitäten ( 1 5 : 1 gegenüber 6 : 3 vor und nach der Amtszeit Althoffs). Zubringer für Breslau waren Kiel und offenbar auch Greifswald. Von Kiel rekrutierte Breslau seit Beginn der siebziger Jahre direkt nicht weniger als sieben Geisteswissenschaftler. Ferner war Breslau neben Berlin auch Zubringer für die zweite preußische paritätisch-konfessionelle Universität in Bonn. Von den sieben Breslauer Geisteswissenschaftlern, die später nach Bonn gingen, wurden vier unmittelbar in die Bonner Ordinariate berufen. Für Göttingen, das schwerpunktmäßig von Marburg mit Ordinarien versorgt wurde, spielten die Breslauer Geisteswissenschaftler keine Rolle (2 Direktberufungen). 199
Wie Kiel und Greifswald versorgten offenbar auch Marburg und Breslau in einer Art Arbeitsteilung unterschiedliche preußische Universitäten mit Geisteswissenschaftlern. Während Marburg besonders auf Göttingen ausgerichtet war, entließ Breslau seine Geisteswissenschaftler hauptsächlich nach Berlin und Bonn. Ob Breslau auch Zubringer für Halle war, läßt sich nicht eindeutig feststellen. In den hier bekannten Fällen rekrutierte Halle dreimal direkt von Breslau. Es liegt nahe, daß weitere Berufungen erfolgten. Marburg und Breslau rivalisierten miteinander im Unterschied zu den beiden preußischen Einstiegsuniversitäten in Kiel und Greifswald, die sich weitgehend mieden. Im Verhältnis beider Universitäten wurde darüber hinaus der Abstieg Breslaus zum Ende des 19. Jahrhunderts hin unübersehbar. Bis Ende der achtziger Jahre konnte Breslau von Marburg wegberufen. Danach hatte Marburg dank seines beachtlichen Aufschwungs unter der preußischen Führung die eindeutig besseren Beruflingschancen. Der Austausch beschränkte sich ausschließlich auf Historiker. Daß Breslau fest in das preußische Universitätssystem eingebunden war, zeigte sich ebenso an den vergleichsweise geringen Kontakten zu den nichtpreußischen Universitäten. Von der Einstiegsuniversität in Gießen gelangten drei, von Jena bis 1908 nur zwei Geisteswissenschaftler, jeweils direkt, nach Breslau. An die renommierteren Universitäten in Heidelberg und München wechselten zwei bzw. drei Breslauer Geisteswissenschaftler. »Am Ende des 19. Jahrhunderts hat Halle-Wittenberg die führende Rolle unter den Universitäten in Preußen oder sogar im Deutschen Reich endgültig verloren. Die sogenannte >mittlere< Universität in der >Provinz< findet zwar eine gewisse Beachtung und gilt für Dozierende wie für Studierende als ein beliebtes >Sprungbrett< nach Berlin, aber eine Eigenständigkeit als geschlossene Körperschaft hat sie nicht mehr gewinnen können«,135 schrieb Albrecht Timm in seiner 1960 erschienenen Geschichte der Universität Halle-Wittenberg. Halle büßte seine Rolle als eine der führenden deutschen Universitäten nicht erst zum Ende des 19. Jahrhunderts ein, vielmehr traten die Unterschiede zwischen den Universitäten nach dem Berufungswandel erstmals deudich hervor. Im Jahr 1694 wurde mit der im Geist der Frühaufklärung und des Pietismus gegründeten Universität in Halle die Reformierung der Universitäten des Alten Reiches eingeleitet. Mit den von der Universität Leipzig verwiesenen Juristen Christian Thomasius und dem pietistischen Theologen und Pädagogen August Hermann Francke bekannt durch die 1695 eingerichteten Erziehungsanstalten der Franckeschen Stiftungen - wurde Halle Anziehungspunkt damaliger führender Gelehrter und erlebte sogleich eine wissenschaftliche Hochblüte. Halle verstand sich als Gegengründung zu dem überkommenen scholastischen Lehrbetrieb der umliegenden Universitäten. Die Reformen erstreckten sich auf 200
eine stärker an der Praxis orientierten Lehre durch kürzere, klar durchstrukturierte Studiengänge, die Bevorzugung der deutschen Sprache und erstmals auch auf die Freiheit von der Zensur. Die Theologische Fakultät, die den anderen zunächst gleichgestellt war, trat in den folgenden Jahrzehnten zunehmend in den Vordergrund und hemmte die wissenschaftliche Entfaltung. Schon die zweite Dozentengeneration kam über ein Mittelmaß nicht mehr hinaus. Mit der Gründung der Universität in Göttingen 1 7 3 4 / 3 7 erwuchs Halle in der unmittelbaren Nachbarschaft eine mächtige Rivalin, an die sie ihren Führungsanspruch um die Mitte des 18. Jahrhunderts abtreten mußte. 136 Im Jahr 1806 wurde die Universität zunächst geschlossen und nach einer kurzen französischen Phase 1813 unter preußischer Führung wiedereröffnet. Die Theologische Fakultät wurde - noch verstärkt durch das theologische Erbe der 1817 mit Halle vereinigten Universität in Wittenberg - für die Universität bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sowohl in wissenschaftlicher Hinsicht als auch von ihrer Frequenzstärke her bestimmend. Die theologische Tradition vermochte in der Philosophischen Fakultät vor allem die Orientalistik zu befruchten. Ein zweiter Schwerpunkt lag in Halle in der Klassischen Philologie. Bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert erweiterte der Hallenser Philologe Friedrich August Wolf die Klassische Philologie im Sinn des Neuhumanismus zur Altertumswissenschaft und wirkte weithin schulenbildend. Ein Jahrhundert später erlebte das Fach mit Wilhelm Dittenberger, Georg Wissowa, Eduard Meyer und Karl Robert in glänzender Besetzung noch einmal eine bemerkenswerte Blüte. 137 Von den hohen Studentenzahlen der Theologischen Fakultät, nach der Halle in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und später noch einmal in den neunziger Jahren die größte unter den deutschen Universitäten war, konnte die Philosophische Fakultät zunächst nicht profitieren. Bis in die fünfziger Jahre hinein belegte sie nur den 12. bis 15. Platz. Im anschließenden Dezennium vermochte die Fakultät bis auf die fünfte Stelle vorzurükken. Im Unterschied zu den Naturwissenschaften, die in den achtziger und neunziger Jahren rapide abfielen, konnte die geisteswissenschaftliche Fächergruppe weitgehend einen der vorderen Plätze behaupten. Erst zum Ende des Jahrhunderts sank sie leicht zurück (Rang 9). Durchschnitdich belegten die Geisteswissenschaften in Halle zwischen 1866 und 1914 hinter Breslau und vor Göttingen und Heidelberg den sechsten Platz. 138 Halle war in den Geisteswissenschaften eine der angeseheneren Aufstiegsuniversitäten im deutschen Universitätssystem. 139 Von den 16 Geisteswissenschaftlern, die Halle mit den untersuchten Universitäten bis 1914 austauschte, traten nur vier ihr erstes Ordinariat in Halle an. Sechs Geisteswissenschaftler beendeten ihre akademische Karriere in Halle. Die Universität war zwischen den weniger renommierten Aufstiegsuniversitäten in 201
Würzburg, Marburg und Breslau, von denen sie abberufen konnte, und den Universitäten des Spitzenfeldes und des anschließenden vorderen Mittelfeldes (Heidelberg, Bonn) angesiedelt. Der leistungsbezogenen Auslese öffnete sich Halle offenbar sehr spät. Die ersten von anderen Universitäten berufenen Geisteswissenschaftler erreichten erst seit der Mitte der achtziger Jahre die Hallenser Professuren. Damit fielen zugleich die meisten Berufungen in die Amtszeit Althoffs, in der Halle in das preußische Universitätssystem eingebunden wurde. Die Universität tauschte allein 15 der 16 bekannten Geisteswissenschaftler mit den preußischen Universitäten aus. Von den untersuchten außerpreußischen Universitäten gelangte bis 1914 nur jeweils ein Hallenser Geisteswissenschaftler nach Heidelberg und München. 140 Zu Jena und Gießen bestanden bis 1908/14 keine Beziehungen.141 Neben den Aufstiegsuniversitäten berief Halle vorzugsweise von der kleinen Einstiegsuniversität in Kiel, die außer Halle auch Breslau und Göttingen mit Ordinarien >versorgte Emigrationskrise< erlebt. Gründe fur den Zerfall waren Streitigkeiten im Lehrkörper, die schlechte finanzielle Ausstattung und die Reformbewegungen an anderen deutschen Universitäten. Reinhold folgte, durch ein großzügiges Gehalt angeworben, schon 1793 einem Ruf nach Kiel. Fichte ging nach Erlangen, Schelling und Hufeland wechselten an die reformierte Universität Würz207
burg und Hegel später an die ebenfalls reorganisierte Ruperto-Carola in Heidelberg und von dort nach Berlin.161 Das Berufungsverhalten jener Epoche glich bereits der Praxis des späteren 19. Jahrhunderts. Leistung und Reputation waren die Gründe für die Berufungen nach Jena und von dort an andere Universitäten. In Jena wurden somit für die Dauer zweier Jahrzehnte spätere Entwicklungen vorweggenommen. Am Beispiel Jenas wie auch Heidelbergs und weiterer Universitäten zeigt sich, daß eine Krise der Universität, wie sie in Jena seit den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts unübersehbar wurde, nicht selten zur Neuorientierung, zum Experimentieren und damit zum Bruch mit der überkommenen Praxis führte. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts konnte Jena nicht annähernd mehr an diese glanzvolle Periode anknüpfen. Außer den finanziellen Problemen zeigte auch die Regierung nur wenig Interesse an den Belangen ihrer Universität, so daß Jena zu relativer Bedeutungslosigkeit herabsank. Trotz niedriger Gehälter und einer schlechten Ausstattung konnte Jena im 19. Jahrhundert wegen seiner liberalen Haltung einige namhafte Ordinarien an sich binden.162 Vor allem nach 1815 und im Zuge der Revolutionsjahre 1848/49 kamen mehrere Dozenten, denen an anderen Universitäten die Lehrbefugnis entzogen worden war oder die Amtsenthebung drohte, nach Jena. Zu den bedeutendsten zählten die Philosophen Jakob Fries163 und Kuno Fischer164 aus Heidelberg und der Historiker Johann Gustav Droysen aus Kiel. Droysen setzte sich in Jena erfolgreich dafür ein, daß 15 entlassene Schleswig-Holsteiner Kollegen und Beamte in Jena untergebracht werden konnten. 165 Neben diesen, durch äußere Zwänge nach Jena gelangten Dozenten, gab es einige bekannte Wissenschaftler, die Jena längerfristig, zum Teil lebenslang halten konnte. Zu ihnen gehörte der Zoologe Ernst Haeckel, der zahlreiche Rufe auswärtiger Universitäten erhielt, aber der ruhigen Arbeitsatmosphäre in Jena den Vorzug gab, ferner der Philosoph und Nobelpreisträger Rudolf Eucken, der in seinen Lebenserinnerungen über Jena schrieb, »das Grundelement der jenaischen Luft und Art ist volle geistige Freiheit. Mag dieser Vorzug zunächst negativ erscheinen, ich mußte darin einen positiven Wert anerkennen, daß jeder seine besondere Art auszubilden vermag, daß man sich gegenseitig keine Hemmnisse bereitet, und daß man jeder ausgeprägten und tätigen Individualität Schätzung entgegenbringt. Dazu kam die große Tradition, die jedem einzelnen hohe Maße vorhält, endlich - und das besonders - die wundervolle Natur, die sich eng an den Menschen anschmiegt.«166 Insgesamt verfugte Jena über einen vergleichsweise sehr kleinen Lehrkörper. Von 1815 bis 1908 wirkten an der Universität nur 40 Geisteswissenschaftler. Um 1908 bestanden elf Lehrstühle. Seit Ende der sechziger Jahre 208
zeichnete sich in den Jenaer Ordinariaten eine höhere Fluktuation ab. Manche Geisteswissenschaftler blieben nur ein oder zwei Jahre wie die Altphilologen Rudolf Schöll ( 1 8 7 4 - 1 8 7 6 ) und Erwin Rohde ( 1 8 7 6 - 1 8 7 8 ) und die Historiker Alfred von Gutschmid ( 1 8 7 6 - 1 8 7 7 ) und Dietrich Schäfer ( 1 8 8 3 - 1 8 8 5 ) . Seit dem Berufungswandel trat die Rückständigkeit Jenas offen zutage. Jena war für 16 der insgesamt 2 4 zwischen 1 8 6 0 bis 1908 berufenen Geisteswissenschaftler die erste Station im Ordinariat (66,7 %). Erfolgreiche Ordinarienberufungen gelangen der Universität in diesem Zeitraum von den preußischen Universitäten in Kiel und Greifswald, den außerpreußischen in Erlangen und Straßburg und den ausländischen in Zürich (2) und Basel sowie Wien (Ausnahme Ottokar Lorenz). Jena zählte mit diesen Berufungschancen im deutschen Universitätssystem zu den weniger renommierten Aufstiegsuniversitäten und war unmittelbar oberhalb der Einstiegsuniversitäten angesiedelt. Die Hochschulen, die von Jena abberiefen, waren überwiegend größer und nichtpreußisch (5 : 8). Engere Beziehungen ergaben sich zu Tübingen, das in dem kurzen Zeitraum von 1 8 7 6 bis 1 8 8 3 drei Philologen (Schöll, Rohde, Sievers) berief. Von den kleineren Hochschulen gelang es nur den preußischen in Greifswald167 und Kiel, jeweils einen Jenaer Geisteswissenschaftler zu gewinnen. Zu Marburg und Gießen bestanden hingegen keine Kontakte. Ferner zeichneten sich keine Veränderungen im Berufungsverhalten der Fächergruppe während der Amtszeit Althoffs ab. Die im Jahr 1457 gegründete Universität in Freiburg fiel 1805 mit den vorderösterreichischen Besitzungen im Breisgau an Baden. Das Großherzogtum, das zuvor über keine Universität verfügte, trat mit Freiburg und der 1803 erworbenen pfälzischen Universität in Heidelberg das Erbe von gleich zwei Universitäten an. Bis zur Jahrhundertmitte war Freiburg von Aufhebungsplänen bedroht. Ihr Überleben sicherten ihr ihre größeren außerbadischem Besitzungen, die Bitten der Stadt und letzdich das Eintreten der Großherzöge für den Erhalt der kleinen Hochschule. Während sich Heidelberg in alter Tradition im Lauf des 19. Jahrhunderts wieder mehr und mehr zur überregionalen Universität entwickelte, wurde Freiburg badische Landesuniversität.168 Im Jahr 1807 wurde der katholische Teil der Heidelberger Theologischen Fakultät nach Freiburg verlegt, so daß die Universität fortan für die Ausbildung des katholischen Klerus im gemischtkonfessionellen Baden zuständig war.169 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts überwogen im Freiburger Lehrkörper noch die Professoren katholischen Glaubens. In der zweiten Hälfte änderte sich das Verhältnis immer stärker zugunsten der Protestanten. Nach einer Statistik des Jahres 1 8 9 6 lehrten in Freiburg mit Ausnahme der Dozenten der Katholisch-Theologischen Fakultät elf Katholiken und 77 Protestanten. 170 Nach der Reichsgründung nahm die kleine Universität einen bemerkens-
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werten Aufschwung. Die freiere Wahl des Studienortes zog vor allem die Studenten aus dem Norden in die Universitätsstädte des Südens, wovon Freiburg in besonderem Maß profitierte. Landschaftliche Reize und klimatische Begünstigung machten Freiburg zur Mode- und zur Sommeruniversität.171 So lagen die Studentenzahlen in den Sommersemestern stets weit über der Frequenz der Wintermonate. Beispielsweise studierten im Sommersemester 1907 in der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe 519 Studenten, während die Universität im anschließenden Wintersemester nur 381 Immatrikulationen verzeichnen konnte. Auch Heidelberg war Sommeruniversität, wobei sich die Diskrepanz dort nicht so deuüich bemerkbar machte.172 Bis in die achtziger Jahre hinein belegte die gesamte Philosophische Fakultät und ebenso die geisteswissenschaftliche Fächergruppe in Freiburg fast durchgehend einen der hinteren Plätze (Rang 14 bis 19). Anschließend konnte sie deudich aufrücken und lag um die Jahrhundertwende an sechster Stelle, fiel dann aber bis 1914 wieder auf den 13. Platz zurück.173 Durchschnittlich nahm die Fächergruppe zwischen 1866 und 1914 den 15., seit den achtziger Jahren bis 1914 den elften Rang ein.174 Freiburg wirkte auf Studenten und Dozenten gleichermaßen anziehend. Die Hochschule begann sich seit den siebziger Jahren der leistungsbezogenen Auslese zu öffnen und konnte vor allem jüngere Hochschullehrer gewinnen.175 Ihrer Funktion nach zählte sie zu den begehrteren Aufstiegsuniversitäten. Marburg war sie überlegen. Mit den benachbarten Universitäten in Tübingen und Straßburg stand sie im Austausch, wobei Tübingen offenbar nur geringfügig bessere, Straßburg aber die eindeutig besseren Berufungschancen hatte. Für die angesehenere badische Schwesteranstalt in Heidelberg nahm Freiburg keine Zubringerfunktion wahr. Freiburg unterhielt mit allen untersuchten Universitäten gleichermaßen Beziehungen und tauschte mit ihnen insgesamt 23 Geisteswissenschaftler aus, darunter allein jeweils sieben Vertreter der traditionellen Fächer Geschichte und Klassische Philologie sowie fünf Philosophen. In 60 % dieser Fälle war Freiburg die zweite, dritte oder vierte Ordinarienstation. Berufungen gelangen der Universität neben den ausländischen Universitäten in Graz und Zürich von Gießen, Königsberg, Marburg, Straßburg und Tübingen. Ihre beiden Berufungen von der renommierteren Universität in Göttingen waren hingegen Ausnahmen (Schwartz, Husserl). Während der Amtszeit Althoffs scheint Freiburg sich von den preußischen Universitäten abgewandt und häufiger von nichtpreußischen rekrutiert zu haben. Unmittelbar von Freiburg beriefen wiederum Tübingen, Straßburg und Göttingen, ferner Breslau und Heidelberg sowie die drei Großuniversitäten in München, Leipzig und Berlin. Nur in begründbaren Ausnahmen gelangten Freiburger an kleinere Hochschulen wie Greifswald (Bücheler, Aufstieg vom Extraordinarius zum Ordinarius in Freiburg) und Kiel (Riehl, konfes210
sionelle Gründe). Besondere Beziehungen bestanden zur Ludoviciana in Gießen. Von dort gelangten von 1909 an vier Altphilologen - nur einer von ihnen direkt - in die Freiburger Ordinariate, so daß beide Lehrstühle in Freiburg von 1913 bis 1917 mit ehemaligen Gießenern besetzt waren. Die Universität in Tübingen hatte in vielerlei Hinsicht ein besonderes Gepräge. Über keine andere Universität fanden sich in den Selbstzeugnissen der Professoren derartige Kuriosa wie über Tübingen, die an dieser Stelle nicht verschwiegen werden sollen. Insgesamt prägten Provinzialität, Protektionismus und die Abneigung gegen die >NorddeutschenReig'schmecktejüngeren< Universitäten.186 Nach ihrer Funktion im Universitätssystem war Tübingen eine Aufstiegsuniversität, die zu den Ordinariaten der renommierteren Universitäten führte. Von den Einstiegsuniversitäten in Kiel, Gießen, Rostock und 213
Erlangen und von den ausländischen Universitäten in Zürich und Dorpat konnte die Universität fast immer abberufen. Ausnahmen wie die Berufung des Romanisten Karl Voretzsch von Tübingen nach Kiel, ließen sich stets erklären; so hatte Voretzsch in Tübingen vor seiner Professur ein Extraordinariat inne. Relativ eng waren nach der Jahrhundertwende die Beziehungen zur Ludoviciana in Gießen, von der bis 1 9 1 6 vier Geisteswissenschaftler direkt berufen wurden. Für alle war Tübingen Endstation. Darüber hinaus konnte Tübingen auch von Aufstiegsuniversitäten wie Königsberg und Jena wegberufen. Mit Freiburg und mit der größeren Universität in Marburg stand sie im Austausch, wobei Tübingen im Vergleich zu Marburg die besseren Berufungschancen hatte. Marburg konnte den Historiker R. Pauli nur gewinnen, weil ihm in Tübingen aus politischen Gründen die Amtsenthebung drohte. Mit Marburg tauschte Tübingen wie einige andere Hochschulen ausschließlich Historiker aus. Selbst von den wesentlich stärker frequentierten preußischen Universitäten in Bonn 1 8 7 und Breslau vermochte Tübingen jeweils einmal wegzuberufen. Den von Breslau kommenden Historiker Dietrich Schäfer bewogen persönliche Gründe zur Annahme des Rufes: »Bei allen Vorzügen hatte das Breslauer Leben eine empfindliche Schattenseite; es war Großstadtleben, tägliche Fühlung mit der Natur nicht zu gewinnen. ... Im Frühling 1888 erhielt ich einen Ruf nach Tübingen, gleichzeitig war ich in Halle als Nachfolger Dümmlers, der die Leitung der Monumente übernahm, vorgeschlagen. Althoff kam nach Breslau, mich für Halle festzumachen. Ich wurde unterrichtet, wich ihm aus und nahm für Tübingen an. Ich wollte meinen Kindern (es waren in Jena im Juli 1 8 8 4 und in Breslau im Januar 1 8 8 6 noch zwei weitere Töchter hinzugekommen) ein Aufwachsen in Feld und Wald, in Gottes freier Natur sichern. Ich habe das nicht zu bereuen gehabt.« 188 Schäfer ging 1 8 9 6 nach Heidelberg und 1903 in die Großstadt Berlin, nachdem er noch 1901 einen Ruf dorthin abgelehnt hatte. Alle übrigen großen Universitäten konnten dagegen offenbar ohne Ausnahme von Tübingen abberufen, unter ihnen die preußischen in Halle, Göttingen und Berlin, ferner die nichtpreußischen in Straßburg, Heidelberg, und Leipzig. Insgesamt scheinen die außerpreußisch-außerbayerischen Universitäten häufiger direkt von Tübingen berufen zu haben. Während der Amtszeit Althoffs wechselten die Tübinger Geisteswissenschaftler hingegen gleichermaßen an preußische und nichtpreußische Hochschulen. Die Universität in Leipzig war die einzige nicht primär landesherrliche Gründung des Alten Reiches. Im Jahr 1 4 0 9 führten Konflikte zwischen König Wenzel und der deutschen Nation der Prager Universität zum Auszug der deutschen Lehrer und Scholaren in die benachbarte Markgrafschaft Meißen nach Leipzig. Was zunächst wohl als Provisorium gedacht war, ent214
wickelte sich durch das Eintreten der Stadt und des Landesherrn noch im selben Jahr zu einer Universitätsgründung. Durch die weitgehende Autonomie der Hochschule, die auf ihrer Gründungsgeschichte beruhte, hatten die überkommenen Verfassungsstrukturen bis in das 19. Jahrhundert hinein Bestand. An der Reformbewegung im Bildungsbereich um die Wende zum 19. Jahrhundert hatte Leipzig keinen Anteil. Als der Klassische Philologe und Historiker Wilhelm Wachsmuth 1825 von Kiel nach Leipzig wechselte, bestanden noch »die alten Formen der Universitätsverfassung nach vier Nationen, doch ward in Dresden schon an Reformen gearbeitet. Daß Nichtsachsen zu einer Professur in Leipzig gelangten, war eine Seltenheit. Die Universität, hieß es wohl, genüge, sich aus sich selbst zu recrutieren.«189 Erst im Zuge politischer Veränderungen im Vormärz wandelte auch die Universität ihre bisherige Struktur. Mit der Umgestaltung des Königreiches Sachsen vom Stände- zum neuzeitlichen Verfassungsstaat wurde die Universität Staatsanstalt. In Leipzig kam es erst jetzt zur Aufhebung der Nationeneinteilung und zur Gleichstellung der Professuren alter und neuer Stiftung (1830). Die akademische Gerichtsbarkeit wurde eingeschränkt (1829/35), die Senatsverfassung eingeführt (1851) und eine grundlegende Reform der Wirtschaftsverwaltung vorgenommen. 190 Durch die späte Reorganisation der Universität nahm die Philosophische Fakultät bis über die Jahrhundertmitte hinaus keinen rechten Aufschwung. Nach den Studentenzahlen belegte die Fakultät meist nur den neunten oder zehnten Rang. Die Leipziger Juristen, Theologen und Mediziner zählten dagegen schon in dieser Zeit zu den größten Fakultäten unter den deutschen Universitäten, so daß die Universität nach ihrer Gesamtfrequenz auch in der ersten Jahrhunderthälfte die dritt- bzw. viertgrößte Universität des Deutschen Bundes war. Seit den sechziger Jahren stieg bei den Philosophen die Frequenz beachtlich an. Leipzig rückte bis Anfang der siebziger Jahre auf den zweiten Platz vor und setzte sich zwischen den Wintersemestern 1872/73 und 1877/78 vor Berlin an die Spitze der deutschen Universitätslandschaft. Es war wohl weniger die Gründung des Reichsgerichtes in Leipzig im Jahr 1879, die - wie Eulenburg meinte - zu diesem Aufschwung führte. 191 Vielmehr scheint die Verteuerung der Lebenshaltungskosten, insbesondere der Mieten, unmittelbar nach der Reichsgründung, die in Berlin besonders zu Buche schlug, eine gemeinhin als kostengünstig geltende Universitätsstadt wie Leipzig attraktiv gemacht zu haben.192 Hierfür spricht auch, daß die Universität in Breslau, die als Hochschule armer Studenten galt,193 in diesen Jahren einen höheren Zulauf verzeichnen konnte.194 Leipzig scheint dabei seinen Zuwachs an Studenten nicht unmittelbar von Berlin erhalten zu haben. Statt dessen ist von einer Umverteilung der Studentenschaft auf die Universitäten auszugehen, in deren Folge Leipzig 215
und Breslau noch häufiger von weniger begüterten Studenten aufgesucht wurden als zuvor.195 Der Vorsprung Leipzigs in der Studentenfrequenz währte nur kurz. Schon Ende der siebziger Jahre wurde die Universität von Berlin überholt und mußte schließlich ihren zweiten Platz Anfang der neunziger Jahre an München abtreten. 196 Die wachsende Wirtschaftskraft des Königreiches Sachsen führte auch zum Aufschwung der Universität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seit den sechziger Jahren setzte eine umfassende Bautätigkeit ein, die in den siebziger Jahren in einem außerhalb der Stadt errichteten Universitätskomplex medizinischer Kliniken und naturwissenschaftlicher Institute gipfelte. Eine zweite Bauperiode begann in der Mitte der achtziger Jahre mit Erweiterungs-, Um- und Neubauten. 197 Nach dem relativen Anteil der Wissenschaftsausgaben am Gesamtetat lag Sachsen an zweiter Stelle hinter Baden.198 Dank der großzügigen Förderung belegte die geisteswissenschaftliche Fächergruppe in Leipzig nach der Jahrhundertmitte im Gründungsprozeß der Lehrstühle einen der vorderen Plätze. Wie Berlin führte sie den Prozeß jedoch nur selten an.199 Eine Vorreiterrolle nahm sie bei der Einrichtung psychologischer Institute ein. Im Jahr 1875 wurde auf Anregung von Wilhelm Wundt in Leipzig das erste Institut für wissenschaftliche Psychologie eingerichtet. Bereits 1883 folgte ein weiteres Institut für experimentelle Psychologie.200 In wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht lag der Schwerpunkt in Leipzig auf den philologischen Fächern. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Altphilologie unter Gottfried Hermann schulenbildend wurde, entwickelte sich Leipzig seit 1870 unter August Leskien, Ernst Windisch, Georg Ebers und Karl Brugmann zu einem Zentrum der Indogermanischen Sprachwissenschaft.201 Die Geschichtswissenschaft trat hinter diesen Schwerpunktbildungen zunächst zurück. Das universalistische Stadium verließ sie erst zum Ende der sechziger Jahre. Seit 1891 lehrte in Leipzig der umstrittene Kulturhistoriker Karl Lamprecht, der 1909 das erste Institut für Kultur- und Universalgeschichte begründete.202 Über das Klima unter den Kollegen und die Lebensweise im großstädtischen Leipzig in den siebziger Jahren schrieb der Altphilologe Otto Ribbeck kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 1877: »Auch die kollegialen Beziehungen bleiben völlig ungetrübt: es giebt weder Streit noch Verstimmung, freilich auch keinen freundschaftlichen Zusammenhang; wo man sich sieht, amdich oder gesellig, ist man freundlich oder höflich zueinander, aber ohne Vertraulichkeit und persönliches Interesse. Selbst zu wissenschaftlichem Austausch kommt es wenig. Näher stehn mir einige jüngere Philologen, die auch von selbst kommen. Schöne Musik kann man in jeder Woche mehrmals hören, auch Vorlesungen aller Art, und das Theater bietet 216
doch auch für uns, die wir so lange Jahre ganz davon entwöhnt waren, mancherlei.«203 War man in Professorenkreisen nach der Meinung Ribbecks eher höflich distanziert, so pflegten die Nichtordinarien offenkundig einen regen freundschaftlichen Verkehr untereinander, wie der Althistoriker Eduard Meyer hervorhebt, der sich 1879 in Leipzig habilitierte und dort in den Jahren 1884/85 Extraordinarius war: »... unter den Leipziger Privatdozenten bestand damals ein so enger Zusammenhalt und andauernder freier geistiger Austausch, wie ich ihn seitdem bei den Privatdozenten nirgends wieder gefunden habe«.204 Der Lehrkörper der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe in Leipzig war seit den sechziger Jahren der zweitgrößte hinter Berlin.205 Vom Alter seiner Ordinarien her gehörte Leipzig zu den >älteren< Universitäten, die man nur selten wieder verließ.206 Sie war zusammen mit Berlin und München eine der Endstationsuniversitäten im deutschen Universitätssystem des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Entsprechend mieden sich die drei Universitäten weitgehend untereinander. Im gesamten Zeitraum gelangte nur ein ehemaliger Leipziger Geisteswissenschaftler nach Berlin (Ausnahme Moritz Haupt). Darüber hinaus lehnten der wie Haupt in Leipzig suspendierte spätere Berliner Althistoriker Theodor Mommsen und der Münchener Altphilologe Carl von Prantl in den Jahren 1874/75 Rufe nach Leipzig ab. Leipzig war nur für zwei der hier bekannten Geisteswissenschaftler Einstiegsuniversität in die erste ordentliche Professur. Alle weiteren gelangten vornehmlich von mittelgroßen Universitäten nach Leipzig. Von den 23 Geisteswissenschaftlern, die Leipzig von den untersuchten Universitäten bis 1914 abberief (einschließlich Jena bis 1908 und zum Teil Tübingen), rekrutierte die Universität insgesamt 13 Geisteswissenschaftler von nichtpreußisch-nichtbayerischen und neun von preußischen Universitäten sowie einen von einer ausländischen Hochschule (Wien, 1899). Während der Amtszeit Althoffs änderte Leipzig sein Berufungsverhalten nicht. Zwischen 1882 und 1907 lag das Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten unter den Berufungen bei 4 : 7, davor und danach bei 5 : 6. Für 15 Geisteswissenschaftler war Leipzig die Endstation ihrer Hochschullehrerlaufbahn, weitere neun folgten Rufen an andere Universitäten. Mit der sich hieraus ergebenden relativ hohen Abwanderungsquote (37,5 %) traten die Leipziger Geisteswissenschaften von ihrem Prestige her hinter die Fächergruppen der anderen beiden Großuniversitäten in Berlin und München zurück. Abberufen konnten von Leipzig vereinzelt die größeren Universitäten in Bonn, Heidelberg und Göttingen, die sich auf der Prestigeskala unmittelbar an die Großuniversitäten anschlossen. In der Mehrzahl der Fälle konnte sich Leipzig jedoch gegenüber diesen Universi217
täten behaupten. Es waren von einer begründbaren Ausnahme abgesehen (Johann Amadeus Wendt) ausschließlich Historiker (3) und Altphilologen (2), die Leipzig wieder verließen. Im Ansehen beider Fächer stand Leipzig hinter anderen Universitäten zurück. Während die Leipziger Altphilologie ihre große Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts hinter sich hatte und seit den sechziger Jahren von der renommierten Vergleichenden Sprachwissenschaft überschattet wurde, kam in den Geschichtswissenschaften der Spezialisierungsprozeß erst zum Ende des Jahrhunderts hin voran. Die Fächer der Altphilologie und der Geschichtswissenschaften waren die einzigen, in denen es zu einer höheren Fluktuation kam. Entsprechend tauschte Leipzig mit den untersuchten Hochschulen schwerpunktmäßig Altphilologen (12) und Historiker (7) aus. Ein Wandel im Berufungsverhalten zeichnete sich seit Mitte der sechziger Jahre ab. Eindeutiger Vorreiter war die Klassische Philologie, deren Vertreter man schon seit Beginn des Jahrhunderts von auswärts rekrutierte. Besonderheiten ergaben sich in diesem Zusammenhang im Verhältnis zur Kieler Hochschule. Von dort berief Leipzig seit 1825 vier Altphilologen, die in Kiel im Zeitraum von 1820 bis 1872 nacheinander das Ordinariat innehatten. Sie gelangten als einzige Kieler Geisteswissenschaftler nach Leipzig. Im Anschluß berief Leipzig drei Klassische Philologen von Gießen, das darüber hinaus noch einen Neusprachler nach Leipzig entließ. Diese sieben Altphilologen beendeten dann auch ihre wissenschaftliche Karriere in Leipzig.
3.1.2.4 Die Reichsuniversität Straßburg Die 1872 wiedereröffnete elsässische Universität gehörte bis 1918 zu den größeren Universitäten des Deutschen Reiches und lag in den Geisteswissenschaften ihrer Frequenz nach im Durchschnitt an neunter Stelle. Seit den neunziger Jahren rückte sie langsam auf den siebten Platz vor.207 Da sich die Beruflingspraxis in den geisteswissenschaftlichen Fächergruppen, noch bevor Straßburg dem Reich eingegliedert wurde, allgemein zu wandeln begann, waren die Kontakte der untersuchten Universitäten zu Straßburg ebenso rege wie zu den anderen Hochschulen. Insgesamt tauschte Straßburg mit den acht Universitäten 23 Geisteswissenschaftler aus. Engere Verbindungen unterhielt Straßburg zu den größeren preußischen Universitäten. Allein acht Geisteswissenschaftler wechselten zwischen Straßburg und Göttingen. Zweimal konnte Straßburg von der renommierten Georgia Augusta wegberufen, unter ihnen den Anglisten Alois Brandl, dem man den Abgang in Göttingen nicht leicht machte. Dem Ruf nach Straßburg gefolgt zu sein, bereute er dennoch nicht: »Erst als ich in Straß218
burg unter das hohe Hallengewölbe des Erwin von Steinbach und hiermit auf dem Pfad des jungen Goethe trat, wurde ich mir bewußt, wieviel ich im idyllischen, aber kunst- und geschichtsarmen Göttingen vom höheren Menschendasein vermißt hatte.«208 Eine besondere Vorliebe für Straßburg hegte der Altphilologe Eduard Schartz, der gegen seinen Willen nach Göttingen abberufen wurde. »Kaibel starb im Oktober 1901. Was ich lange gefurchtet hatte, trat ein; ich sollte sein Nachfolger in Göttingen werden. Ich wehrte mich mit allen Kräften; Straßburg und das Elsaß waren mir eine Wahlheimat geworden, der Posten an der Grenze sagte mir zu, und ich mochte ihn nicht räumen, um so weniger, als ich - mit Recht - fürchtete, daß meine Stelle eingehen würde. Es half alles nichts; wollte ich nicht ernste Verlegenheiten, die andere treffen mußten, schaffen, mußte ich gehen. Verwunden habe ich den erzwungenen Weggang von Straßburg und dem Elsaß nie.«209 Sieben Jahre später verließ Schwartz Göttingen zugunsten von Freiburg, um in unmittelbare Nähe von Straßburg zu gelangen. Freiburg wurde dann auch im Jahr 1914 das Sprungbrett für seine Rückkehr nach Straßburg. »Die Straßburger Fakultät bat mich dringend, nach Straßburg zurückzukehren und das meinige zu tun, um den immer mehr drohenden Niedergang der dortigen Universität aufzuhalten. Das war ein Appell, dem ich glaubte folgen zu müssen. Ich habe es nicht bereut; das große Schicksal an der Grenze in Verbindung mit dem eigenen zu erleben, war etwas Großes, das ich um keinen Preis missen möchte, so teuer ich es auch habe erkaufen müssen.«210 Straßburg konnte von der großen Rheinuniversität in Bonn bei einem fünfmaligen Austausch zweimal abberufen. Neben dem in Bonn aufgestiegenen Kunsthistoriker Anton Springer gewann Straßburg für seinen konfessionsgebundenen katholischen Lehrstuhl der Philosophie Clemens Baeumker, der die Annahme des Rufes »als vaterländische Pflicht betrachtete. Unvergeßlich sind mir die zehn Jahre, die ich im deutschen Elsaß verlebte, dem ich meine ganze Seele entgegenbrachte und dem noch jetzt schmerzlichst mein ganzes Gefühl zugewandt ist, nachdem ich Ostern 1912 Straßburg mit München vertauschte«.211 Ahnliche Motive, wie sie Brandl, Schwartz und Baeumker leiteten, dürften auch den Sanskritforscher Ernst Windisch dazu bewogen haben, von Heidelberg im Jahr 1872 an die neueröffnete Reichsuniversität zu wechseln. In zwei weiteren Fällen führte der Weg jedoch von Straßburg nach Heidelberg. Die Großuniversitäten in Berlin und München waren Straßburg in allen Fällen überlegen. Sowohl die fünf Straßburger Geisteswissenschaftler, die nach Berlin gelangten, als auch die zwei Ordinarien, die München direkt abberief, beendeten ihre wissenschaftliche Karriere an den dortigen Universitäten. Von der Philippina in Marburg wechselten drei Lehrstuhlinhaber nach Straßburg, von denen ein Althistoriker im Jahr 1909 aus nicht bekannten 219
Gründen wieder nach Marburg zurückkehrte. Auch Gießen konnte einmal im Jahr 1912 von Straßburg abberufen. Es handelte sich um den gebürtigen Straßburger Richard Laqueur, der an der dortigen Universität vom Extraordinarius zum Ordinarius aufgestiegen war. In Gießen wurde Laqueur, der in Straßburg als Altphilologe tätig war, der erste Lehrstuhlinhaber im Fach der Alten Geschichte.212 Weitere drei Geisteswissenschaftler gelangten dagegen der Rangfolge gemäß von Gießen nach Straßburg. Vom nördlichen Kiel berief Straßburg nur einmal wie in den Naturwissenschaften. Insgesamt hatte Straßburg außerordentlich gute Berufungschancen. In einer Rangfolgeordnung fur das 19. Jahrhundert nimmt die Universität den achten Platz ein hinter den Großuniversitäten sowie Bonn, Heidelberg, Göttingen und Halle. Von den 23 Geisteswissenschaftlern traten nur vier in Straßburg ihr erstes Ordinariat an. Für alle anderen war Straßburg die zweite, häufig auch dritte Station. Geradezu hervorragend waren die Berufungschancen der Universität in den ersten beiden Dezennien nach der Wiedereröffnung im Jahr 1872, in denen Straßburg auch die Mehrzahl seiner Berufungen von den angesehenen Universitäten in Göttingen, Heidelberg und Bonn gelang. Der Reformgeist der Universität wirkte besonders auf jüngere Ordinarien anziehend. Zwar unterschied sich Straßburg seiner Verfassung nach kaum von den älteren Schwestern, in wissenschaftlicher Hinsicht versuchte man jedoch, neue Maßstäbe zu setzen.213 Im Gründungsprozeß der Lehrstühle wurde Straßburg sogleich eine der fuhrenden Universitäten. Als der Arzt und Philosoph Albert Schweitzer in den neunziger Jahren in Straßburg sein Studium begann, schrieb er: »Die Straßburger Universität war damals in voller Blüte. Durch keine Tradition gehemmt, suchten Lehrer und Studierende miteinander das Ideal einer neuzeitlichen Hochschule zu verwirklichen. Bejahrte Professoren gab es fast keine in dem Lehrkörper. Ein frischer, jugendlicher Zug ging durch das Ganze.«214 Daß die Straßburger Geisteswissenschaftler nicht nur in ihrem wissenschaftlichen Anspruch reformfreudig und besonders motiviert, sondern auch hinsichüich ihrer Mobilität beweglicher waren als die Ordinarien anderer Universitäten, zeigt sich an der vergleichsweise hohen Zahl ihrer Ordinariate. Die 23 Geisteswissenschaftler traten durchschnittlich 3,5 Ordinariate an, nur drei von ihnen beschränkten sich auf zwei Stationen. Die Geisteswissenschaftler der meisten anderen Universitäten waren, wenn man nur jene Ordinarien berücksichtigt, die an mehr als einer Universität lehrten, wesentlich seßhafter.
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3.1.3 Zum Universitätssystem in den
Geisteswissenschaften
Die Berufungschancen bzw. das Prestige der jeweiligen Universität richtete sich grundsätzlich nach ihrer Frequenz. Keine Rolle spielte die Größe des Lehrkörpers, wie das Beispiel Heidelbergs deutlich macht. Ferner war der frühe oder späte Gründungszeitpunkt eines Lehrstuhls nur bedingt von Bedeutung, da auch er sich in der Regel nach der Größe der Universität und ihrer territorialen Zugehörigkeit richtete. Auf Zusammenhänge weisen die Lehrstühle fur Geschichtswissenschaften in Leipzig hin, die sich im Vergleich zur hohen Frequenz der Universität relativ spät spezialisierten und zum Ende des Jahrhunderts eine höhere Fluktuation hinnehmen mußten. Ferner zeigte sich, daß die kleineren Universitäten untereinander engere Beziehungen unterhielten als die mittelgroßen und Großuniversitäten. Die kleinen Hochschulen scheuten die Rivalität nicht, da auch sie Ordinarien berufen und nicht nur unter dem akademischen Nachwuchs auswählen wollten. Dagegen mieden sich die größeren und Großuniversitäten mit vergleichbaren Berufungschancen weitgehend. Etwas offener wurde unter den Großen die Rangfolgefrage von Berliner Seite aus mit München und der österreichischen Großuniversität in Wien ausgetragen. Das drittplazierte Leipzig spielte fiir Berlin hingegen eine untergeordnete Rolle. Wenn eine kleinere Universität von einer größeren abberufen konnte, so lagen fast immer besondere Gründe vor wie ein hohes Gehaltsangebot, der Rückruf an die (kleinere) Universität, an der man sich habilitiert hatte, oder politische, konfessionelle und wissenschaftliche Motive. Der wichtigste Grund nach dem Berufungswandel aber war der Aufstieg an einer Universität (Hausberufung), wobei es bereits genügte, wenn man vor dem Ordinariat ein Extraordinariat innehatte. Die preußischen Universitäten bildeten in den Geisteswissenschaften im Lauf des 19. Jahrhunderts ein eigenes Universitätssystem aus, das sich nach 1866 und der Angliederung der Universitäten in Kiel, Marburg und Göttingen an Preußen abzuzeichnen begann und sich seit den achtziger Jahren ausformte. Welchen Anteil der preußische Kultusbeamte Friedrich Althoff an der Herausbildung dieses Universitätssystems hatte, läßt sich nur schwer bestimmen, zumal die Naturwissenschaften, wie noch zu zeigen sein wird, kein ähnliches System ausbildeten. Beispielsweise bestanden von Berliner Seite aus lange vor der Dienstzeit Althoffs Beziehungen zu den Universitäten in Breslau, Marburg und Kiel. Allerdings ist anzumerken, daß sich das preußische Hochschulsystem in den Geisteswissenschaften nach dem Abgang Althoffs wieder lockerte, wie die unmittelbar nach 1907 einsetzende bayerische Phase der Universität in Bonn und eine in Berlin um 1910 einsetzende Phase vermehrter Auslandsberufungen deudich machen. Ob diese Umorientierungen in den Berufungsbeziehungen tatsächlich mit Althoff in 221
Zusammenhang stehen, wird erst eine Untersuchung der Berufungsvorgänge anhand der Personalakten zeigen können. 215 Hinzu kommt, daß die preußischen Universitäten gemäß des Humboldtschen Universitätskonzeptes bereits in der ersten Jahrhunderthälfte und damit früher als viele nichtpreußische Universitäten in der Philosophischen Fakultät einen Schwerpunkt in den Geisteswissenschaften ausbildeten, was den Austausch untereinander zusätzlich förderte. Das preußische Universitätssystem wie auch das gesamte deutsche Hochschulsystem bestand im wesentiichen aus vier Ebenen. Auf der untersten Ebene waren die beiden Einstiegsuniversitäten in Kiel und Greifswald angesiedelt. Während es Greifswald kaum gelang, aus dem Ordinarienrang zu berufen, fungierte Kiel als Eintrittstor in die preußische Universitätslandschaft und rekrutierte seine Ordinarien überwiegend von nichtpreußischen Einstiegs- und Aufstiegsuniversitäten. Beide, Greifswald und Kiel, waren Zubringer für die preußischen Aufstiegsuniversitäten und teilten sich diese Funktion in einer Art Arbeitsteilung untereinander auf. Kiel endieß seine Ordinarien hauptsächlich an Breslau, Halle und Göttingen und zeitweise auch an Königsberg. Die Greifswalder Geisteswissenschaften >versorgten< vornehmlich Bonn und Marburg und offensichtlich wie Kiel auch die Universität in Breslau, die einzige Überschneidung zwischen beiden Hochschulen. Weniger angesehene Aufstiegsuniversitäten waren Königsberg, Marburg und Breslau. Königsberg nahm ansatzweise eine Zubringerfunktion für Bonn wahr, während Marburg, das erst unter preußischer Führung von einer Einstiegs- zu einer Aufstiegsuniversität aufrückte, ausschließlich auf Göttingen ausgerichtet war. Die Universität in Breslau, deren Berufungschancen sich zum Ende des Jahrhunderts mit sinkender Frequenz verschlechterten, war wiederum Zubringer für Bonn und Berlin und offenbar auch für Halle. Die dritte Ebene bildeten die renommierteren Aufstiegsuniversitäten mit zum Teil deudicher Tendenz zu den Endstationsuniversitäten in Halle, Göttingen und Bonn. Halle und Göttingen waren ausschließlich Zubringer für Berlin. Die Abberufungen von beiden Universitäten nach Berlin erfolgten nacheinander. Zunächst wurden zwischen 1 8 8 0 und 1 9 0 2 die Göttinger Geisteswissenschaftler berufen; sie wurden unmittelbar im Anschluß von den Hallensern abgelöst. In der Abberufüngswelle der Göttinger nach Berlin fand noch einmal die Rivalität zwischen den beiden Reformuniversitäten ihren Ausdruck, in der Götüngen nun eindeutig unterlag. 216 Die Abberufungen waren für Göttingen um so schmerzlicher, als man der Annektion durch Preußen lange ablehnend gegenüberstand. Bonn war neben Berlin die zweite preußische Endstationsuniversität, stand dem Renommee Berlins aber eindeutig nach. So nahm Bonn zwar keine Zubringerfunktion für Berlin wahr, doch konnte Berlin als einzige preußische Universität von Bonn abberufen. Die Sonderrolle Bonns im
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preußischen Universitätssystem hing auch mit dem paritätisch-konfessionellen Charakter der Universität zusammen. Als teilweise katholische Universität unterhielt Bonn offenbar als einzige der preußischen Universitäten engere Beziehungen zu den bayerischen Universitäten. Die vierte Ebene war allein der Universität in Berlin vorbehalten. Sie war, bis auf wenige erklärbare Ausnahmen, Endstationsuniversität. An keiner anderen deutschen Universität waren in den Geisteswissenschaften die Zahl der Ordinarienberufungen so hoch und die Abwanderungsquote so niedrig wie in Berlin. Ein Ruf nach Berlin war, wie es auch von Zeitgenossen wahrgenommen wurde, der Gipfel der akademischen Karriere sowohl unter den preußischen als auch unter den nichtpreußischen Universitäten. Zum Ende des Jahrhunderts hin sah man Berlin gar als »Weltuniversität« an.217 Eine Prestigeskala der preußischen Universitäten stellt sich folgendermaßen dar: Den ersten Rang nahm Berlin ein, an zweiter Stelle folgte Bonn, anschließend 3. Göttingen und 4. Halle. Es schlossen sich 5. Breslau, 6. Marburg und 7. Königsberg an. Die hinteren Ränge belegten 8. Kiel und 9. Greifswald. Diese Rangfolge stimmt mit einigen Abweichungen mit der Abfolge nach der Studentenfrequenz überein. Auf Berlin folgte auch der Frequenz nach zunächst Bonn, dann jedoch Breslau, Halle und schließlich Göttingen. Im Mittelfeld lagen Marburg und Königsberg und Schlußlichter waren Greifswald und Kiel. Abweichungen zwischen Frequenz und Prestige ergaben sich zunächst für Göttingen und Kiel, die ihren jeweils vorangehenden Universitäten überlegen waren. Eine relativ hohe Frequenz, aber ein geringeres Ansehen hatte die Universität in Breslau, die ihren provinziellen Charakter im Lauf des 19. Jahrhunderts nicht abzustreifen vermochte. Als Breslau nach der Jahrhundertwende hinter die allgemeine Frequenzentwicklung drastisch zurücksank, wurde die frühere Diskrepanz offenbar.218 Unter den drei bayerischen Universitäten waren die Rangverhältnisse eindeutig verteilt. Erlangen diente dem Einstieg, Würzburg dem Aufstieg und München war renommierte Endstation. Das Verhältnis untereinander bestimmte die Konfession. Die einzige protestantische Universität in Erlangen pflegte, offenbar in Anknüpfung an ihre frühere preußische Periode, besonders enge Verbindungen zu den preußischen Universitäten. Dagegen bestanden kaum Kontakte zu den beiden anderen bayerischen Universitäten. Die katholische Universität in Würzburg richtete ihr Berufungsverhalten mehr als jede andere deutsche Universität an der Konfession aus. Die Beziehungen zu den protestantischen Universitäten waren nach den gegenwärtigen Ergebnissen relativ gering. Würzburg war darüber hinaus die einzige Zubringeruniversität fur München. Unter den außerpreußisch-außerbayerischen Universitäten bildeten sich besondere Beziehungsverhältnisse nur ansatzweise aus. Eine Zubringer223
funktion nahm ausschließlich die Gießener Hochschule seit der Jahrhundertwende für Tübingen wahr. Die beiden badischen Universitäten in Freiburg und Heidelberg unterhielten dagegen offenbar wegen ihrer unterschiedlichen Ausrichtung keine engeren Beziehungen. Während das protestantische Heidelberg durch eine bevorzugte Förderung zur überregionalen Universität ausgebaut wurde, übernahm das katholische Freiburg die Funktion der badischen Landesuniversität. Auch zwischen den außerpreußisch-außerbayerischen Universitäten bestand eine Rangfolgeordnung. Einstiegsuniversitäten waren Rostock und Gießen, wobei Gießen die eindeutig besseren Berufungschancen besaß. Im Mittelfeld folgten die Aufstiegsuniversitäten in Jena, Freiburg und Tübingen. Die kleinere und rückständige Hochschule in Jena stand den Einstiegsuniversitäten am nächsten und orientierte sich bei ihren Berufungen stärker außerpreußisch. Die Berufungschancen Freiburgs verbesserten sich mit seinen überdurchschnittlich ansteigenden Studentenzahlen zum Ende des 19. Jahrhunderts, so daß die Universität von einer Einstiegs- zu einer Aufstiegsuniversität aufrückte. Tübingen hatte hingegen trotz mäßiger Frequenz bemerkenswert gute Berufungschancen. Mit einigem Abstand folgte die Hochschule in Heidelberg, von der fast nur die drei Großuniversitäten Berlin, München und Leipzig abberiefen. Heidelberg genoß ein ähnlich hohes Ansehen wie Bonn. Indiz hierfür ist vor allem, daß beide Universitäten die Konkurrenz untereinander mieden und es im gesamten Zeitraum nicht zum Austausch von Ordinarien kam. Ferner konnte von der Ruperto Carola wie von Bonn als einzige preußische Universität Berlin abberufen, fur die Heidelberg phasenweise Zubringer war. Den ersten Rang unter den nichtpreußisch-nichtbayerischen Universitäten nahm die sächsische Universität in Leipzig ein. Sie gehörte als dritte Großuniversität zum Spitzenfeld, war aber Berlin und München eindeutig unterlegen. Diese Rangfolge entsprach mit wenigen Abweichungen der Abfolge, die sich nach der Frequenz ergab: An der Spitze lag mit weitem Abstand zu den folgenden Hochschulen die Universität in Leipzig. Im Mittelfeld folgte zunächst Heidelberg. Ihr schlossen sich die Universitäten in Jena, Tübingen, Freiburg und Gießen an, die unter allen deutschen Universitäten nacheinander die Plätze 13 bis 16 belegten. Schlußlicht unter den außerpreußisch-außerbayerischen wie auch unter allen deutschen Universitäten war Rostock. Nach der Quote der erfolgreichen Ordinarienberufungen, der Abwanderungsquote, dem Alter bei Antritt des Ordinariats, der Amtsdauer an der jeweiligen Universität und vor allem nach den realen Berufungschancen der einzelnen Hochschulen ergibt sich für die deutschen Universitäten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert folgende Rangordnung: 1. Berlin, 2. München, 3. Leipzig, 4. Bonn, 5. Heidelberg, 6. Göttingen, 7. Halle, 8.
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Straßburg, 9. Tübingen, 10. Würzburg, 11. Breslau, 12. Freiburg, 13. Marburg, 14. Königsberg, 15. Jena, 16. Kiel, 17. Gießen, 18. Erlangen, 19. Greifswald, 20. Rostock. Die Auslandbeziehungen der meisten deutschen Universitäten setzten erst in den sechziger und siebziger Jahren ein. Die häufigsten Kontakte bestanden zu den schweizerischen Universitäten, die generell als Einstiegsuniversitäten fungierten. Die österreichischen Universitäten lagen erst an zweiter Stelle. Sie waren bis zur Gründung des Reiches wegen der Rückständigkeit ihrer Philosophischen Fakultäten für die deutschen Universitäten kaum von Bedeutung. Nach der Reichsgründung kam es bis in die achtziger Jahre zu einer Abberufungswelle von Wiener Geisteswissenschaftlern nach Berlin. Sie diente offensichtlich zur Klärung der Rangverhältnisse zwischen beiden Universitäten um die Spitzenposition und wurde gegenstandslos, als Berlin sich als die eindeutig renommiertere erwies. Ermittelt man die durchschnittliche Platzverteilung zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten in der Rangfolgeordnung, so ergibt sich ein Verhältnis von 10,1 : 10,8. Danach belegten die preußischen Universitäten nicht mehrheiüich die vorderen Plätze. Das Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten war vielmehr, was ihr Prestige unter den Hochschullehrern jener Zeit betraf, in bemerkenswerter Weise ausgewogen.219 Dieses Gleichgewicht bedeutet, daß zwischen den deutschen Hochschulen eine tatsächliche Konkurrenzsituation bestand. Zugleich liefert es eine Erklärung für die hohe Effizienz des deutschen Universitätssystems in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 220
3 . 2 Die Naturwissenschaften
3.2.1 Die Universitäten in Gießen, Kiel, Marburg, Heidelberg, Göttingen, Bonn, München und Berlin 3.2.1.1 Die Ordinarienberufungen Zunächst wird auch an dieser Stelle kurz auf das Alter bei Antritt des Ordinariats an der jeweiligen Universität und die Quote an erfolgreichen Ordinarienberufungen an den untersuchten Universitäten eingegangen. 221 Nach dem Alter bei Antritt des Ordinariats an den sechs eingehend untersuchten Hochschulen waren die Naturwissenschaftler an der Ludoviciana in Gießen mit 35,1 Jahren am jüngsten. Die kleine Kieler Hochschule folgte mit einem Altersabstand von immerhin drei Jahren (38 Jahre). Auch in Göttingen erreichte man mit 38,7 Jahren die Ordinariate relativ früh. Während die
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Geisteswissenschaftler bei Antritt ihrer Professur in Heidelberg jünger waren als in Göttingen, gelangten die Naturwissenschaftler erst mit durchschnittlich 40,3 Jahren in die Professuren, wobei Heidelberg nach 1880 mit 44,3 Jahren nahe an die Großuniversitäten in München (45,1 Jahre) und Berlin (45,4 Jahre) heranrückte. Nach Berlin gelangten die Naturwissenschaftler seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erst mit 48,4 Jahren und waren damit älter als die Geisteswissenschaftler in jenem Zeitraum. Daß die Praxis Berlins, nur die bewährten und damit älteren Ordinarien zu berufen, nicht zwangsläufig das Ansehen der Universität mehrte, stellte der Chemiker Emil Fischer fest: »So erklärt sich auch die, nach meiner Auffassung falsche Gewohnheit, nach Berlin Männer zu berufen hauptsächlich nach dem wissenschaftlichen Ansehen, aber in einem Alter, wo man von ihnen keine großen Dienste weder für die Wissenschaft noch für den Unterricht zu erwarten hat. Das gilt besonders für die Naturforscher, die früher verbraucht sind, als die Vertreter der Geisteswissenschaften, und ich habe mich immer wieder verpflichtet gefühlt, Bedenken gegen die Berufung alter Personen zu erheben.« 222 Bei der Quote der Ordinarienberufungen werden im folgenden nur die Berufungen von Universitäten und nicht von Technischen Hochschulen berücksichtigt, die für die Naturwissenschaftler gerade beim Einstieg in die Hochschullehrerlaufbahn eine wichtige Rolle spielten. Deutliche Abweichungen zwischen Alter und Ordinarienquote bestanden in Berlin. Trotz des hohen Alters ihrer Ordinarien berief die Universität nur 39,4 % ihrer Naturwissenschaftler aus dem Ordinarienrang und lag damit unter den untersuchten Universitäten hinter Heidelberg und Bonn zurück. In dieser für Berlin relativ niedrigen Quote schlug sich die protektionistische Berufungspraxis bis zur Jahrhundertmitte deutlich nieder (4,8 %). In der zweiten Jahrhunderthälfte übernahm Berlin jedoch wieder die Führung und rekrutierte zwischen 1850 und 1880 50 % und zwischen 1880 und 1914 55,5 % seiner Naturwissenschaftler aus dem Ordinarienrang. Auch in München wich die Quote berufener Lehrstuhlinhaber wegen der relativ späten Öffnung zur leistungsbezogenen Auslese deutlich vom Alter der Ordinarien ab (34,1 %). Die wenigsten Ordinarienberufungen gelangen der >jüngsten< naturwissenschaftlichen Fächergruppe in Gießen (10,5 %). Geringfügig höher lag die Quote in Marburg (16,2 %), das erstmals 1883 aus dem Ordinarienrang berief. Kiel rekrutierte dagegen schon seit Beginn der dreißiger Jahre 19,5 % seiner Naturwissenschaftler aus dem Ordinarienrang. Von den größeren untersuchten Universitäten konnte Göttingen die wenigsten Naturwissenschaftler von anderen Universitäten gewinnen (30,4 %), rekrutierte dafür aber einen beachtlichen Teil aus dem planmäßigen Lehrkörper der Technischen Hochschulen. Es folgten die beiden Großuniversitäten Mün226
chen (34,1 %) und Berlin (39,4 %), schließlich Heidelberg (40,6 %) und Bonn, das mit 45,7 % die höchste Ordinarienquote unter den acht Universitäten verzeichnen konnte. Im Schatten der überwiegend größeren Universitäten mochte Gießen erst auf den zweiten Blick attraktiv erscheinen. So erging es dem Mathematiker Lothar Heffter, als er 1887 von Berlin nach Gießen kam, um sich bei Moritz Pasch zu habilitieren. »Nun ging es nach Gießen. Wenn ich es als Student mit der Bahn passierte, hatte es mir immer nur einen langweiligen Eindruck gemacht. Wie ganz anders sollte ich es im Verlauf der nächsten zehn Jahre kennen lernen! Ein nettes, altertümliches Städtchen mit reizender Umgebung und viel Wald, sobald man in einer halben Stunde den Gürtel von Wiesen und Feldern hinter sich gebracht hatte. Herrliche Ausflüge boten sich lahnab- und aufwärts, sowie nach Osten gegen den Vogelsberg.« 223 Auf manche Dozenten wirkte das liberale Klima der kleinen Hochschule durchaus anziehend, die als politisierende Universität im Vormärz eine bedeutende Rolle spielte und vor allem von jungen Professoren aufgesucht wurde. »Bezeichnend für den Ton im ... ganzen Kollegenkreis war es, daß alle Titel streng verpönt waren und man sich nur mit dem Namen anreden durfte. ... In der Tat unterschied sich darin Gießen vorteilhaft von andern Universitäten wie Marburg oder gar Göttingen und Heidelberg, die viel mehr >Geheimratsuniversitäten< waren als wir.«224 Dasselbe traf auch für andere kleinere Universitäten wie beispielsweise für Jena und Greifswald zu, dessen »Professorenwelt ziemlich allgemein liberal gesinnt« war.225 Die Ludoviciana hatte unter den acht Hochschulen die geringste Quote an erfolgreichen Ordinarienberufungen zu verzeichnen. Aus dem Professorenrang berief sie im Jahr 1850 erstmals im 19. Jahrhundert den Botaniker Alexander Braun auf Anraten Liebigs von der seinerzeit ebenfalls zu den Einstiegsuniversitäten zählenden Hochschule in Freiburg. Weitere Berufungen gelangen Gießen bis zum Ende des Jahrhunderts ausschließlich von Technischen Hochschulen (5). Rufe an Dozenten anderer Universitäten wie an die beiden Göttinger Ernst Schering, seinerzeit Extraordinarius, und August Grisebach, den die Universität gleich zweimal zu gewinnen versuchte, 226 blieben in diesem Zeitraum erfolglos. Erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert verbesserten sich die Berufüngschancen. Neben einer Abberufung von der österreichisch-ungarischen Hochschule in Budapest (1911) konnte Gießen zwei Naturwissenschaftler von Greifswald rekrutieren (1905, 1913), von denen einer in Greifswald vom Extraordinarius zum Ordinarius aufgestiegen war. Zur Marburger Hochschule, von der Gießen drei seiner Geisteswissenschaftler direkt berief, bestanden in den Naturwissenschaften keine Verbindungen; beide Universitäten tauschten auch keine Extraordinarien aus. Ebenso wechselte kein Naturwissenschaftler von Basel, 227
das seit den achtziger Jahren fiir die Gießener Geisteswissenschaften als Zubringer fungierte, direkt nach Gießen. Der naturwissenschaftlichen Fächergruppe in Marburg gelang ihre erste Ordinarienberufung nach 1815 erst in preußischer Zeit im Jahr 1883. Fortan konnte Marburg bis 1914 weitere fünf Naturwissenschaftler anderer Universitäten gewinnen. Die Philippina rekrutierte von den preußischen Aufstiegsuniversitäten in Greifswald, Kiel und Königsberg. Alle von diesen Universitäten nach Marburg gelangten Naturwissenschaftler beendeten ihre akademische Laufbahn an der Philippina. Während Greifswald in den Geisteswissenschaften ansatzweise Zubringer für Marburg war, gelangte von der dortigen Universität nur ein Naturwissenschaftler unmittelbar in eine Marburger Professur. Von Kiel hingegen, das für die Marburger Geisteswissenschaftler kaum eine Rolle spielte, rekrutierte die Philippina immerhin drei Naturwissenschaftler. Es handelte sich bei ihnen ausschließlich um Geographen, die in Kiel und in Marburg nacheinander die Lehrstühle innehatten. Darüber hinaus erfolgte jeweils eine Abberufung von der Einstiegsuniversität in Rostock und den Technischen Hochschulen in Berlin und Zürich. Diese drei Naturwissenschaftler tauschten Marburg später gegen andere Universitäten ein und erreichten Ordinariate in Göttingen, München und Berlin. Obwohl Marburg der Universität in Kiel nach Frequenz und Fächerangebot überlegen war, vermochte Kiel häufiger aus dem Ordinarienrang zu berufen als die Philippina. Die preußische Einstiegsuniversität Kiel fungierte fur die Naturwissenschaftler nicht als Eintrittstor in die preußische Hochschullandschaft, sondern rekrutierte bis 1914 gleichermaßen häufig von preußischen und nichtpreußischen Universitäten ( 4 : 4 ) . Die erste Ordinarienberufung gelang der Universität bereits 1833 von der wesentlich größeren preußischen Hochschule in Halle, an der der Naturwissenschaftler aufgestiegen war. Nach 1866 konnte Kiel immerhin sieben Ordinarien von anderen Universitäten sowie einen von einer Technischen Hochschule (Aachen, 1897) abberufen. Kiel rekrutierte von den Einstiegsuniversitäten in Rostock, Gießen (je 1) und Königsberg (2) sowie von den ausländischen Hochschulen in Lemberg und Helsinki (je 1). Darüber hinaus gelang Kiel 1884 die Berufung des Botanikers Johannes Reinke von der renommierten Göttinger Fächergruppe. Reinke war in Göttingen vom Extraordinarius zum Ordinarius aufgestiegen und beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit Meeresbotanik, dennoch war sein Wechsel nach Kiel ein ungewöhnlicher Vorgang, dem langwierige Verhandlungen und Überlegungen vorangingen. Als er die Anfrage von Kiel erhielt, war sein erster Gedanke, »ich wolle nur gleich abschreiben; man gehe doch nicht von Göttingen nach Kiel«.227 Reinke beschloß dann doch, die Kieler Verhältnisse in Augenschein zu nehmen. Das Kieler Botanische Institut war 228
unbrauchbar, wie Reinke sogleich feststellen mußte, »trotzdem gefiel mir Kiel mit seiner Lage unmittelbar an einer salzreichen Meeresbucht und mit seiner schönen landschaftlichen Umgebung sehr, und ich beschloß, auf der Fahrt nach Berlin alles Für und Wider gründlich zu erwägen. War die Gesamtzahl der Studierenden in Göttingen doppelt so groß als in Kiel, so fiel doch ins Gewicht, daß die Zahl der Mediziner in Göttingen geringer war als in Kiel; außerdem las ich das sommerliche Hauptkolleg, welches die erheblichste Honorareinnahme brachte, in Göttingen abwechselnd mit dem Grafen Solms nur alle zwei Jahre, in Kiel jährlich, so daß der Unterschied in der Einnahme sich ausgleichen mußte. Dann bestand in Kiel eine vom Landwirtschaftsministerium ressortierende > Kommission zur wissenschaftlichen Untersuchung der deutschen Meere im Interesse der Fischereirichtigen< Reihenfolge nach Berlin ging, »frug mich, was ich in dem Heringsnest wolle, ob ich die Freundschaft und die wissenschaftliche Bedeutung der hiesigen Kollegen so gering einschätze, um das alles mit einer ungewissen Zukunft zu vertauschen«. 229 Wie erklärungsbedürftig der Schritt fur Reinke selbst war, verdeutlicht die Ausführlichkeit, mit der er seine Berufung nach Kiel in seiner Selbstbiogaphie schilderte. Nachdem die finanzielle Seite mit Althoff abgeklärt war, folgte Reinke dem Ruf. Kiel war die letzte Station seines akademischen Karriereweges, den er nach 37jähriger Amtszeit im Jahr 1921 beendete. Abschließend sei noch angefügt, daß Althoff Reinke kurz nach der Jahrhundertwende für Berlin zu gewinnen versuchte und die Gründung eines Lehrstuhls für Theoretische Botanik in Aussicht stellte. »Er ließ den Plan erst fallen, als ich ihm bei einer Vorbesprechung mit aller Entschiedenheit erklärt hatte, daß ich nicht nach Berlin gehen würde. Ich wollte Botaniker bleiben; als solcher hatte ich in Kiel eine sichere Zuhörerschaft von etwa 300 Studenten, während meine Berliner Aussichten ungewiß waren.«230 Obwohl die naturwissenschaftliche Fächergruppe in Göttingen traditionell eine der angesehensten des Deutschen Bundes und späteren Deutschen Reiches war, lag sie nach der Quote ihrer erfolgreichen Ordinarienberufungen (30,4 %) nur im Mittelfeld. Von ihren Berufungschancen her unterlag 229
Göttingen wie in den Geisteswissenschaften den anderen beiden untersuchten Universitäten in Heidelberg und Bonn. Göttingen rekrutierte vornehmlich von den preußischen Universitäten (9 : 6); darüber hinaus spielten auch die Technischen Hochschulen eine bedeutendere Rolle (6). Die preußische Hochburg der Mathematik in Königsberg nahm für Göttingen seit den neunziger Jahren eine Zubringerfunktion ein. Bis 1914 gelangten vier Königsberger direkt und weitere zwei indirekt in die Göttinger Ordinariate, darunter drei Mathematiker. Von der Aufstiegsuniversität in Marburg, die fur die Göttinger Geisteswissenschaften Zubringer war, rekrutierte Göttingen drei seiner Naturwissenschaftler. Von der zweiten Zubringeruniversität in den Geisteswissenschaften in Kiel ging hingegen im gesamten Zeitraum kein Ordinarius nach Göttingen. Die Georgia Augusta gewann jeweils einen Naturwissenschaftler von der preußischen Einstiegsuniversität in Greifswald sowie von Berlin, dessen Mathematiker Peter Lejeune-Dirichlet 1855 in Göttingen die Nachfolge auf dem Gauß-Lehrstuhl antrat. Von entscheidendem Einfluß für diese Berufung war die Freundschaft Dirichlets zu dem Göttinger Physiker Wilhelm Weber, die aus der Studienzeit Webers in Berlin datierte.231 Zu den preußischen angeseheneren Aufstiegsuniversitäten in Breslau und Halle und auch zur zweiten preußischen Endstationsuniversität in Bonn bestanden im gesamten Zeitraum auf der Ordinarienebene weder direkte noch indirekte Verbindungen. Von der Großuniversität in Leipzig konnte Göttingen immerhin drei Naturwissenschaftler abberufen. In allen diesen Fällen handelte es sich jedoch um Ausnahmen. So berief Göttingen zunächst 1849 den Physiker Wilhelm Weber, der als einer der >Göttinger Sieben< 1837 entlassen worden war, von Leipzig zurück. Ferner nahm der Mathematiker und Wissenschaftsorganisator Felix Klein den Ruf nach Göttingen an, da »eine Tätigkeit in Preußen von weit durchgreifender Wirkung für die mathematischen Unterrichtsverhältnisse sein mußte, als das Arbeiten an einer noch so bedeutenden außerpreußischen Universität«. 232 Seine weitreichenden Einwirkungsmöglichkeiten auf die mathematischen Ausbildungsverhältnisse in Preußen gaben ihm hierin Recht. Die Motive, die den Geologen Hans Stille nach nur einjähriger Amtszeit in Leipzig im Jahr 1913 zum Wechsel nach Göttingen bewogen, lagen offenbar im persönlichen Bereich. Möglicherweise spielten seine Herkunft aus Hannover und die Absolvierung von Studium und Promotion in Göttingen für die Rückkehr an seine Landesuniversität eine Rolle.233 Als ferner der Königsberger Geograph Hermann Wagner im Jahr 1880 nacheinander Rufe nach Göttingen und Leipzig erhielt, bestand für den Professorensohn aus Göttingen kein Zweifel über die Annahme des Göttinger Rufes: »Ich kannte von früher die Verhältnisse und zahlreiche Persönlichkeiten, wußte, in welcher Ruhe man sich in der kleinen Stadt mit ihrer reichen, äußerst bequem benutzbaren Bibliothek der wissen230
schaftlichen Arbeit, die damals bergehoch vor mir lag, hingeben könne, gegenüber dem aufreibenden Getriebe der Großstadt.« 234 Außer von Leipzig rekrutierte Göttingen unter den nichtpreußischen Universitäten zwei seiner Naturwissenschaftler von Erlangen und einen von Gießen. München berief nur jeden dritten Naturwissenschaftler aus dem Ordinarienrang. Grund hierfür war die für München charakteristische hohe Protektion eigener Nachwuchswissenschaftler. Unter den Universitäten, von denen München abberief, waren auch in den Naturwissenschaften die bayerischen am wichtigsten. Fünf von 14 erfolgreichen Ordinarienberufungen erfolgten von Erlangen und Würzburg. Würzburg nahm allerdings im Unterschied zu den Geisteswissenschaftlern für die weniger konfessionsgebundenen Naturwissenschaftler mit zwei Abberufungen nicht die Rolle eines Zubringers für München ein. Die Maximiiiana berief sogar häufiger vom protestantischen Erlangen (3). Darüber hinaus rekrutierte München seine Naturwissenschaftler vornehmlich von den renommierteren Aufstiegsuniversitäten in Heidelberg, Bonn, Breslau, Marburg (je 1) und Straßburg (2). Die Einstiegsuniversitäten waren von geringerer Bedeutung (Königsberg, Gießen, Graz je 1). München orientierte sich mit einem Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten von 4 : 9 bei seinen Ordinarienberufüngen in den Naturwissenschaften weniger an außerpreußischen Hochschulen, als es die Münchener Naturwissenschaftler im Lauf ihrer gesamten Hochschullehrerlaufbahn taten (5 : 19). Mit der Großuniversität in Berlin kam es bis 1 9 1 4 nicht zum Austausch. Erst nach 1 9 1 4 ergab sich eine indirekte Verbindung zwischen beiden Universitäten über den Mathematiker Konstantin Caratheodory, der an nicht weniger als sieben verschiedenen Universitäten im Ordinarienrang wirkte ( T H Hannover, T H Breslau, Göttingen 1913, Berlin 1918, Smyrna, Athen, München 1924). Eine Reihe von Naturwissenschaftlern lehnte Rufe an die Maximiiiana ab, unter ihnen bis 1914 vornehmlich Göttinger Ordinarien wie der Botaniker August Grisebach, der seine gesamte Laufbahn in Göttingen absolvierte und zahlreiche Rufe auswärtiger Universitäten, darunter zwei nach München ausschlug ( 1 8 5 4 , 1855), ferner der Mathematiker Felix Klein, der Physiker Emil Wiechert und der Chemiker und spätere Nobelpreisträger Walter Nernst, der nach der Ablehnung des Rufes nach München ein Ordinariat mit eigenem Institut in Göttingen erhielt. 235 Darüber hinaus lehnten auch einige Münchener Naturwissenschaftler Rufe nach Göttingen ab wie die Paläontologen Albert Oppel ( I 8 6 0 ) 2 3 6 und Karl Zittel ( 1 8 8 0 ) . Zum Austausch von Ordinarien kam es im übrigen zwischen München und Göttingen im gesamten Zeitraum nicht. In den Naturwissenschaften nahm Berlin unter den zehn untersuchten Universitäten mit einer Quote von nur 39,4 % an erfolgreichen Ordinarien231
berufüngen nicht den ersten Rang ein wie in den Geisteswissenschaften. Es wurde von Bonn und Heidelberg übertroffen. Von den restlichen zehn nicht untersuchten Hochschulen dürfte Berlin jedoch nicht überboten worden sein - auch von Leipzig nicht. Der Grund für die für Berliner Verhältnisse niedrige Quote war die hohe Zahl von Ordinarien, die bis 1850 von den wissenschaftlichen Anstalten in Berlin und aus dem eigenen Nachwuchs rekrutiert wurde. Die preußischen Universitäten bildeten in den Naturwissenschaften kein eigenes Universitätssystem aus. Die Beziehungen zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten entwickelten sich freier als in den Geisteswissenschaften. Berlin rekrutierte mit einem Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten von 10 : 13 sogar häufiger von nichtpreußischen Hochschulen. Die einzige Universität mit Zubringerfunktion für Berlin war, wie auch in den Geisteswissenschaften, die Georgia Augusta in Göttingen, von der Berlin seit den achtziger Jahren vier Naturwissenschaftler direkt und einen weiteren indirekt berief. Dagegen gelangten von Halle und Breslau, die für die Berliner Geisteswissenschaften ebenfalls Zubringer waren, nur zwei Breslauer in die Berliner Ordinariate. Von den weniger renommierten Aufstiegsuniversitäten in Marburg und Königsberg berief Berlin jeweils einen Naturwissenschaftler, wobei von Königsberg weitere drei Ordinarien indirekt nach Berlin gelangten. Unter den nichtpreußischen Universitäten bestanden Beziehungen zu der Großuniversität in Leipzig, die drei Ordinarien nach Berlin entließ.237 Zwischen München und Berlin kam es hingegen im gesamten Zeitraum nicht zum Austausch. Darüber hinaus berief Berlin je zwei Naturwissenschaftler von Heidelberg, Tübingen und Gießen - darunter der 1850 auf Empfehlung von Liebig nach Gießen berufene Botaniker Heinrich Braun und je einen Ordinarius von den nichtpreußischen Aufstiegsuniversitäten in Freiburg, Würzburg und Staßburg. Die ausländischen Universitäten (4) und die Technischen Hochschulen (5) waren für Berlin von geringerer Bedeutung. Nicht alle Naturwissenschaftler betrachteten Berlin als den Gipfel ihrer akademischen Karriere. Eine Reihe von ihnen schlug Rufe nach Berlin aus, unter ihnen Justus Liebig, der seinerzeit, 1863, in München lehrte, die theoretischen Physiker Ludwig Boltzmann (1888, Graz) und Arnold Sommerfeld (1926, München), ferner von den Heidelberger Ordinarien die Chemiker Robert Bunsen (1863) und Hermann Kopp und der Botaniker Ernst Pfitzner, der im selben Jahr 1888 auch einen Ruf nach Göttingen ablehnte, und schließlich der Göttinger Botaniker August Grisebach. Auch der Physiker und Nobelpreisträger Willi Wien, der zum Zeitpunkt der ersten Berufung in Würzburg wirkte, entschied sich gegen Berlin mit folgen232
der Begründung: »1906 erhielt ich eine Berufung nach Berlin als Nachfolger Drudes, der infolge nervösen Zusammenbruches freiwillig aus dem Leben geschieden war. Berlin hatte den Vorzug, daß ein ungemein anregendes wissenschaftliches Leben dort herrschte, es stellte aber auch an Nervenkraft und Arbeitskraft besondere Anforderungen. Da ich meiner Nerven sicher war, und mir auch die Arbeitskraft zutraute, hatte ich Neigung nach der Stätte, in welcher meine wissenschaftliche Laufbahn begonnen hatte, zurückzukehren. Aber von meiner genauen Kenntnis der Berliner Verhältnisse her, hielt ich das physikalische Institut für ungenügend und nicht verbesserungswürdig. ... Für das Kind vom Lande kam noch eins hinzu, die Dienstwohnung im Institut mitten im Getöse der Großstadt war unmöglich. In Gießen, sowohl wie in Würzburg hatte ich mitten im Grünen, in großen Gärten gewohnt, ich konnte nicht in das Getöse der Großstadt ziehen.«238 Im Jahr 1902 hatte Wien bereits einen Ruf nach Leipzig abgelehnt; 1920 ging er dann doch als Nachfolger von Röntgen an eine Großstadt-Universität (München). Gegenüber der Großstadt bot Heidelberg überschaubarere Verhältnisse, wobei der gesellschaftliche Verkehr, der in Heidelberg traditionell sehr rege gepflegt wurde, nicht jeden Wissenschaftler ansprach, wie etwa den Geographen Alfred Hettner: »Das gesellige Leben Heidelbergs ging bis zum ersten Weltkrieg zu sehr in großen Diners und ähnlichen großen Gesellschaften auf. Die Teilnahme am öffentlichen Leben, etwa an der von mir geforderten Kolonialgesellschaft, war gering. ... Aber die Rufe nach Breslau, Halle, Marburg, Straßburg, die teils offiziell, teils in vorläufiger Form an mich herantraten, habe ich mich doch nicht entschließen können, bejahend zu beantworten, zumal da das badische Ministerium mir freundlich entgegenkam. Ich bin Heidelberg treu geblieben.«239 Heidelberg hatte auch in den Naturwissenschaften überaus gute Berufungschancen.240 Dabei zogen nicht allein die schöne Lage und die angenehme Lebensweise die Wissenschaftler an den Neckar.241 Neben der relativ guten Dotierung und der großzügigen Ausstattung der Institute hatte Heidelberg den nicht unbedeutenden Vorzug, daß die Fächer in der Regel einfach besetzt waren. Ging man nach Heidelberg, so war man fast immer alleiniger und uneingeschränkter Institutschef, während man sich an vielen anderen größeren Universitäten Einfluß und Macht teilen mußte. Im Unterschied zu den Geisteswissenschaftlern, die Heidelberg vornehmlich von nichtpreußischen Universitäten berief, lag unter den Naturwissenschaftlern der Schwerpunkt eindeutig auf den preußischen Universitäten (9 : 3). Ebenso lehrten die Heidelberger Naturwissenschaftler über ihr Ordinariat an der Ruperto Carola hinaus weit überwiegend an preußischen Universitäten (16 : 5). Seit der Blüte der Naturwissenschaften nach der Mitte des 19. Jahrhunderts konnte Heidelberg wie auch in den Geistes233
Wissenschaften von allen größeren preußischen Universitäten abberufen. Es gelangten von Breslau ein Naturwissenschaftler (Bunsen), von Halle zwei direkt in die Heidelberger Ordinariate. Der renommierten Göttinger Universität, die zwei Naturwissenschaftler nach Heidelberg endieß, war sie wie in den Geisteswissenschaften überlegen. Der Göttinger Mathematiker David Hilbert lehnte hingegen einen Ruf nach Heidelberg wie im übrigen auch nach Berlin ab. Selbst von der zweiten preußischen Endstationsuniversität in Bonn gelang es Heidelberg, den Chemiker Theodor Curtius 1898 zu gewinnen. In Heidelberg wurde Curtius indirekter Nachfolger seines Lehrers aus Studienzeiten Robert Bunsen, was ihn bewogen haben mochte, Bonn nach nur einjähriger Amtszeit zu verlassen.242 Die überaus günstigen Berufungschancen gegenüber Bonn ergaben sich auch daraus, daß Bonn stärker geisteswissenschaftlich orientiert war, während Heidelberg ebenso einen Schwerpunkt in den Fächern der Physik und Chemie hatte. Darüber hinaus rekrutierte Heidelberg unter den preußischen Universitäten einmal von Greifswald und zweimal von Kiel, von dem weitere zwei mittelbar nach Heidelberg gelangten. Von den nichtpreußischen Universitäten berief Heidelberg nur jeweils einen Naturwissenschaftler von der seinerzeit noch kurhessischen Philippina in Marburg, ferner von Würzburg und Gießen, von wo 1864 der Chemiker und Liebig-Schüler Hermann Kopp berufen wurde, während Liebig einen Ruf nach Heidelberg abgelehnt hatte (1851). Der naturwissenschaftlichen Fächergruppe in Bonn gelangen mit einer Quote von 45,7 % offenbar die meisten Ordinarienberufungen unter allen deutschen Universitäten. Bonn war damit selbst Berlin überlegen. Ein wesentlicher Grund hierfür war, daß die 1818 gegründete Universität nicht auf Wissenschaftler am Ort zurückgreifen konnte und schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts 42,9 % seiner Naturwissenschaftler von auswärts rekrutierte. Entsprechend öffnete sich die Fächergruppe relativ früh der leistungsbezogenen Berufungspraxis. Bonn berief seine Naturwissenschaftler häufiger von preußischen Universitäten (11 : 7). Eine Zubringerfunktion nahm ansatzweise die Einstiegsuniversität in Kiel wahr, von der Bonn seit den achtziger Jahren vier seiner Naturwissenschaftler rekrutierte, darunter allein drei Mineralogen. Dagegen waren die Zubringeruniversitäten der Bonner Geisteswissenschaften in Breslau und Greifswald für die Bonner naturwissenschaftliche Fächergruppe kaum von Bedeutung (je 1). Weitere drei Naturwissenschaftler rekrutierte Bonn von Halle, von denen zwei bereits vor der Jahrhundertmitte an die Universität gelangten. Zu der angesehenen Georgia Augusta in Göttingen bestanden im gesamten Zeitraum keine Kontakte. Unter den außerpreußischen Universitäten rekrutierte Bonn ausgewogen von sämtlichen Einstiegs- und Aufstiegsuniversitäten [Jena (2), Gießen, 234
Erlangen, Würzburg, Freiburg, Tübingen (je 1)]. Die ausländischen Universitäten und die Technischen Hochschulen waren fur die Endstationsuniversität Bonn von geringer Bedeutung (je 2). Im Unterschied zur geisteswissenschaftlichen Fächergruppe unterhielten die Bonner Naturwissenschaften keine besonders engen Verbindungen zu den bayerischen Universitäten. Zwischen Bonn und München kam es im gesamten Zeitraum weder direkt noch indirekt zu Abberufungen auf der Ordinarienebene. Ebenso tauschte Bonn mit Straßburg entgegen den engeren Beziehungen ihrer geisteswissenschaftlichen Fächergruppen keine Naturwissenschaftler aus.
3.2.1.2 Die Abberufungen an andere Universitäten Die Naturwissenschaftler lehrten in der Regel länger an einer Universität als ihre geisteswissenschaftlichen Kollegen und waren demgemäß an weniger Universitäten tätig als jene. Sie stiegen meist nicht von den Einstiegs- über die Aufstiegsuniversitäten zu den größeren und großen Universitäten auf, sondern wurden häufig unmittelbar von den kleinen an die großen berufen. Von den untersuchten Universitäten verließen die meisten Naturwissenschaftler wie auch die meisten Geisteswissenschaftler die kleine Hochschule in Kiel (53,7 %).243 Die Abberufungen erfolgten erst nach der Angliederung an Preußen und schnellten anschließend sogleich bis 1880 auf 54,5 % hoch. Nach 1 8 8 0 stiegen sie weiter auf 61,5 % an. Damit wechselten von Kiel zwei- bis dreimal so viele Naturwissenschaftler an andere Universitäten wie von den anderen untersuchten Hochschulen. Auf Kiel folgte auch in den Naturwissenschaften die Ludoviciana in Gießen (42,1 %). Die meisten Abwanderungen verzeichnete die Universität in der mittleren Ordinariengruppe (61,5 %). An Gießen Schloß sich die renommierte Ruperto Carola in Heidelberg mit 31,3 % abgewanderter Ordinarien an. Wie in den Geisteswissenschaften war auch hier die Quote der Abberufungen in den ersten beiden Probandengruppen vergleichsweise hoch (33,3 % und 38,5 %). Die Marburger Hochschule bewegte sich mit einer Abwanderungsquote von 2 8 , 6 % im Mittelfeld. Obwohl sich die Fächergruppe erst seit den achtziger Jahren der leistungsbezogenen Auslese öffnete, wurden schon um die Jahrhundertmitte mehrere Naturwissenschaftler an andere Universitäten abberufen. Die Göttinger Naturwissenschaftler wechselten im 19. Jahrhundert erst seit den siebziger Jahren nach außerhalb. Von da an ging jeder dritte an eine andere Universität. Es folgte mit einer durchgehend niedrigen Abwanderungsquote die Universität in Bonn ( 1 7 , 4 %). Die wenigsten Abberufungen verzeichneten auch in den naturwissenschaftlichen Fächergruppen die
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Universitäten in Berlin (2,8 %) und München (2,3 %), wobei Berlin zwei und München nur ein Naturwissenschaftler wieder verließen. Von der Universität in Kiel wechselte jeder zweite Naturwissenschaftler an eine andere Universität, was für eine Hochschule dieser Größenordnung als Qualitätsmerkmal zu werten ist. Die meisten Kieler Naturwissenschaftler wanderten wie in den Geisteswissenschaften an preußische Universitäten ab. Eine Zubringerfunktion nahm Kiel gewissermaßen fur die Bonner Universität ein, an die seit den achtziger Jahren immerhin vier Kieler Naturwissenschaftler gelangten. Für die dortige geisteswissenschaftliche Fächergruppe spielten die Kieler dagegen kaum eine Rolle. Von den preußischen Aufstiegsuniversitäten in Breslau, Halle und Göttingen, für die die Kieler Geisteswissenschaften allesamt Zubringer waren, gelangten nur zwei Naturwissenschaftler nach Breslau. Von Göttingen konnte die kleine Kieler Hochschule sogar einmal abberufen (Ausnahme Reinke). Auch Berlin trat mit zwei direkten und einer indirekten Berufung von Kiel im Unterschied zu den Geisteswissenschaften nicht hervor. Alle drei nach Berlin berufenen Naturwissenschaftler lehrten in Kiel in den siebziger und achtziger Jahren - im selben Zeitraum wie die von Kiel nach Berlin gelangten Geisteswissenschaftler. In diesen Berufungen zeichnet sich der Integrationsprozeß Kiels in die preußische Universitätslandschaft ab. Bei zwei der Berufenen handelte es sich um die ersten beiden Vertreter der Botanik in Kiel in der Philosophischen Fakultät, die die Universität sogleich leistungsbezogen berufen hatte. Fachbezogen rekrutierte darüber hinaus die Marburger Hochschule, die alle drei von der Gründung des Lehrstuhls im Jahr 1879 bis 1914 in Kiel tätigen Geographen abberief. Unter den nichtpreußischen Universitäten wechselten jeweils zwei Kieler an die angesehenen Hochschulen in Leipzig und in Heidelberg, das weitere zwei Kieler Naturwissenschaftler indirekt erreichten. Schließlich gelangte bis 1914 je ein Kieler Ordinarius an die Universitäten in Freiburg und Straßburg und die Technischen Hochschulen in München und Karlsruhe. Nach 1914 erhielten drei weitere Naturwissenschaftler Professuren in Dorpat sowie an den 1 9 0 2 / 1 4 gegründeten Universitäten in Münster und Frankfurt/Main. Entgegen den geringen Berufungschancen der naturwissenschaftlichen Fächergruppe in Gießen verließ eine durchaus beachtliche Zahl die Ludoviciana. Der erste im 19. Jahrhundert nach auswärts berufene Gießener Naturwissenschaftler war Justus Liebig, doch hatte schon sein älterer Kollege Georg Gottlieb Schmidt, der die Fächer Mathematik und Physik vertrat, Rufe nach Greifswald (1800) und Heidelberg (1812) erhalten und abgelehnt.244 Wie die Geisteswissenschaftler wanderten auch die Gießener Naturwissenschaftler häufiger an nichtpreußische Universitäten ab. Engere Beziehungen bestanden zu den bayerischen Universitäten, die mit der Be-
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rufung Liebigs nach München einsetzten. Weitere Berufene waren der Schwager Liebigs, Friedrich Ludwig Knapp, für den Liebig eingetreten war, ein Mineraloge nach der Jahrhundertwende sowie die Physiker und späteren Nobelpreisträger Konrad Röntgen und Willi Wien, die zunächst nach Würzburg und anschließend nach München gelangten.245 Wien trat an allen drei Universitäten die direkte Nachfolge von Röntgen an. Auch von Gießen beriefen wie von Kiel überwiegend größere Universitäten. So kamen jeweils zwei Gießener Naturwissenschaftler unmittelbar in die Ordinariate der Großuniversitäten in Leipzig und Berlin. Je einer wechselte nach Breslau, Bonn und Göttingen sowie nach Heidelberg. Von den Universitäten mittlerer Größe rekrutierte nur die Freiburger Hochschule einen Naturwissenschaftler von Gießen. Und schließlich unterlag die Ludoviciana wie auch in den Geisteswissenschaften der preußischen Einstiegsuniversität in Kiel. Der 1904 abberufene Mineraloge tauschte das Kieler Ordinariat jedoch schon nach zweieinhalbjähriger Amtszeit gegen Bonn ein.246 Heidelberg verließen nicht weniger als 31,3 % der Naturwissenschaftler, obwohl die Universität die zweithöchste Quote an erfolgreichen Ordinarienberufungen unter den acht Universitäten aufwies. Mit dieser hohen Abwanderungsquote rückte Heidelberg in die Nähe der kleineren Aufstiegsuniversitäten. Der Anteil relativiert sich jedoch, da von den neun Ordinarien, die in Heidelberg bis zur Jahrhundertmitte lehrten, jeder dritte an eine andere Hochschule wechselte. Berlin hatte zum Vergleich bei einem wesentlich größeren Lehrkörper nur einen, Göttingen und München keinen Abgang in dieser Ordinariengruppe zu verzeichnen. Ferner tauschten im Zusammenhang mit der internen Krise der Universität Anfang der siebziger Jahre drei Naturwissenschaftler Heidelberg gegen andere Universitäten ein. Von den achtziger Jahren an bis 1914 gehörte Heidelberg dann zu den Endstationsuniversitäten. Nur Berlin gelang es einmal, von Heidelberg abzuberufen. Die Heidelberger Naturwissenschaftler waren für Berlin im Unterschied zu den Geisteswissenschaftlern von geringer Bedeutung. Insgesamt wechselten zwei von ihnen später nach Berlin. Zunächst wurde der Physiker Gustav Kirchhoff 1875 von dem ehemaligen Heidelberger Mediziner Hermann von Helmholtz nachgezogen.247 Im Jahr 1884 wurde der Mathematiker Immanuel Fuchs als Nachfolger seines Lehrers Weierstraß nach Berlin zurückberufen, wo er seit seinem Studium bis zum Extraordinariat aufgestiegen war.248 Von drei Heidelberger Naturwissenschaftlern ist darüber hinaus bekannt, daß sie einen Ruf nach Berlin ablehnten (Robert Βunsen, Hermann Kopp, Ernst Pfitzner). An die bayerische Großuniversität in München ging bis 1914 nur der in Heidelberg aufgestiegene Physiker Philipp Jolly (1854). Zwei weitere Berufungsversuche scheiterten (Otto Bütschli, Wilhelm Salomon).
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Die Abgänge von Heidelberg an weniger angesehene Universitäten sowie an Technische Hochschulen sind durchgehend als Ausnahmen zu kennzeichnen. So wechselte der Mathematiker und Philosoph Jakob Schmitt, der Katholik war, 1807 im Zusammenhang mit der Verlegung der Heidelberger Katholisch-Theologischen Fakultät nach Freiburg.249 Halle berief 1812 den in Heidelberg aufgestiegenen Chemiker Karl Wilhelm Gottlob Kastner. Die Universität in Tübingen und das neugegründete Polytechnikum in Dresden konnten im Zuge der Krise der Heidelberger Universität den Botaniker Wilhelm Hofmeister250 und den Mathematiker Leo Koenigsberger 1 8 7 2 / 7 5 gewinnen. Und der Mathematiker Otto Hesse, »der schweren Herzens und wohl nur aus finanziellen Gründen mit Rücksicht auf seine Familie Heidelberg verlassen hatte«,251 ging 1868 an das neugegründete Polytechnikum in München. Die Universität in Marburg enüieß ihre Naturwissenschaftler hauptsächlich an preußische Universitäten (8 : 3). Die Abberufungen datierten jedoch nicht erst aus der Zeit nach 1866. Halle und Breslau beriefen bereits in den Jahren 1 8 5 1 / 5 3 drei Marburger Naturwissenschaftler, unter ihnen der bekannte Chemiker Robert Bunsen, der nach kurzer Amtszeit in Breslau weiter nach Heidelberg ging. Darüber hinaus berief Leipzig 1865 den Chemiker Hermann Kolbe, der in seiner Zeit als der »erfolgreichste Universitätslehrer für Chemie in Deutschland« galt.252 Diese Ordinarien, die später führende Vertreter ihrer Wissenschaften wurden, erreichten ihre Ordinariate in Marburg noch weitgehend nach traditionellem Muster durch schrittweisen Aufstieg in die Professur. Der leistungsbezogenen Auslese öffnete sich die Philippina bekanntermaßen sehr spät seit Anfang der achtziger Jahre. Nach 1866 erreichten sechs weitere Marburger Naturwissenschaftler unmittelbar Professuren an den preußischen Universitäten in Göttingen (3), Bonn und Berlin sowie an der bayerischen Hochschule in München (1). Göttingen war damit wie auch in den Geisteswissenschaften für die Marburger Naturwissenschaften wichtiger als alle anderen Universitäten. Wiederum gelangte kein Marburger über Göttingen, das Zubringer für Berlin war, an die dortige Universität. Die Universität in Göttingen nahm auch in den Naturwissenschaften eine Zubringerfunktion für Berlin wahr. Von Mitte der achtziger Jahre bis 1914 gelangten fünf Göttinger Naturwissenschaftler nach Berlin, die dort alle ihre Hochschullehrerlaufbahn beendeten. Vier von ihnen berief Berlin direkt in seine Ordinariate. Weitere drei bis 1914 in Göttingen lehrende Naturwissenschaftler traten nach 1914 in Berlin eine Professur an. Nicht jeder Göttinger Naturwissenschaftler, der nach Berlin berufen wurde, folgte auch dem Ruf. So lehnten der Botaniker August Grisebach, der darüber hinaus je zwei Rufe nach Gießen, Leipzig und München sowie einen nach 238
Petersburg ausschlug, und der Mathematiker David Hilbert Rufe nach Berlin ab. Weitere Abberufungen von Göttingen gelangen Straßburg, Heidelberg (je 2 ) , Wien und der angesehenen Technischen Hochschule in Zürich (je 1). Zwei Ordinarien gingen an die kleineren Universitäten in Kiel und Tübingen; in beiden Fällen handelte es sich um Ausnahmen. Nach Kiel wechselte der genannte Meeresbotaniker Johannes Reinke, und Tübingen konnte 1913 den Mineralogen Josef Pompecky von Göttingen abberufen, der an der Georgia Augusta vom Extraordinarius zum Ordinarius aufgerückt war. Mit einer Abwanderungsquote von nur 17,4 % zählte Bonn in den Naturwissenschaften wie in den Geisteswissenschaften zu den Endstationsuniversitäten. Bis 1914 konnten jeweils einmal die Großuniversitäten in Leipzig und München sowie die renommierte Universität in Heidelberg abberufen, die 1898 den Chemiker Theodor Curtius nach nur einjähriger Amtszeit von Bonn gewann. Berlin war für die Bonner Naturwissenschaftler ohne Bedeutung. Erst nach 1914 wechselte ein Bonner an die dortige Universität. Darüber hinaus gelangte in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts jeweils ein Naturwissenschaftler nach Erlangen und Breslau. Die Hochschule in Erlangen berief in Nachwirkung ihrer Blüte unter zunächst brandenburg-ansbachischer und später preußischer Führung den seinerzeit bedeutenden Chemiker Karl Wilhelm Gotdob Kastner von Bonn (1821). Mit Breslau kam es 1829 zum Austausch der Botaniker. Schließlich wechselten zwei in Bonn aufgestiegene Naturwissenschaftler an die neueröffnete Technische Hochschule in Aachen ( 1 8 7 0 ) und die Akademie in Münster ( 1 8 8 9 ) . Die Universität Berlin verließen seit ihrer Gründung bis 1 9 1 4 nur zwei Naturwissenschaftler (2,8 %). Es handelte sich um den Mathematiker Dirichlet, der in Göttingen den ruhmreichen Gauß-Lehrstuhl übernahm, und den Astronomen Julius Bauschinger, der Berlin im Jahr 1909 aus nicht bekannten Gründen gegen Straßburg eintauschte. Bauschinger wirkte in Berlin als Ordinarius für Theoretische Astronomie und Direktor des Astronomischen Recheninstituts neben dem ersten Lehrstuhlinhaber für Praktische Astronomie, der zugleich die Sternwarte leitete. Offenbar bedeutete es fur ihn einen Aufstieg, in Straßburg und später in Leipzig neben der Professur auch die Direktion der Universitäts-Sternwarte innezuhaben. 253 Geringer noch als in Berlin war die Abwanderungsquote in München. Von den insgesamt 4 4 zwischen 1 8 2 6 und 1914 berufenen Naturwissenschaftlern verließ nur der Physiker Ludwig Boltzmann die Maximiiiana. Boltzmann durchlief während seiner Hochschullehrerkarriere nicht weniger als sieben Ordinarienstationen und war einer der wechselfreudigsten Naturwissenschaftler des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Zweimal wirkte Boltzmann in Graz, dreimal in seiner Geburtsstadt Wien und jeweils einmal in München und Leipzig. Rufe nach Freiburg ( 1 8 6 7 / 6 8 ) und an das
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Polytechnikum Zürich ( 1 8 6 7 / 6 9 ) lehnte er ab. Seine Ernennung zum Nachfolger Kirchhoffs an der Berliner Universität im Jahr 1 8 8 8 , der er bereits zugestimmt hatte, wurde auf seinen Wunsch hin wieder rückgängig gemacht. 254 Boltzmann blieb bis 1 8 9 0 in Graz und ging anschließend nach München. Es war seine vierte Station, von der er nach vierjähriger Amtszeit an seine Heimatuniversität Wien zurückkehrte. Boltzmann war einer der herausragenden Köpfe unter den theoretischen Physikern seiner Zeit. Er wurde vor allem durch seine Arbeiten auf dem Gebiet der Thermodynamik bekannt (Stefan-Boltzmannsches Gesetz, Boltzmann-Konstante). In einem Zustand nervöser Überarbeitung setzte Boltzmann erst zweiundfünfzigjährig seinem Leben selbst ein Ende. 255
3.2.1.3 Zum Austausch mit ausländischen Universitäten Auch für die Naturwissenschaftler geht es im folgenden darum, wie weit ihre Kontakte im 19. und beginnenden 2 0 . Jahrhundert ins Ausland hineinreichten, mit welchen Universitäten man am häufigsten austauschte und wie eng die Verbindungen der einzelnen Universitäten zum Ausland waren. Von den Naturwissenschaftlern war bis 1914 jeder 14. an einer ausländischen Universität als Ordinarius tätig (18 = 7 %); jeder vierte dieser Gruppe stammte aus dem Ausland (27,8 % gegenüber 6,2 % im gesamten Lehrkörper). 256 Drei weitere wechselten nach 1914 an die im Ausland gelegenen Universitäten in Dorpat, Smyrna (Izmir), Athen und Ithaca. 257 Obwohl der Anteil nur halb so hoch war wie in den Geisteswissenschaften lehrten die Naturwissenschaftler bis 1 9 1 4 an nicht weniger als 14 verschiedenen ausländischen Universitäten (Geisteswissenschaftler 18). Zu den österreichischen Universitäten bestanden die engsten Kontakte (7), die allerdings erst nach der Reichsgründung einsetzten. Außer an den deutschsprachigen Universitäten Wien (4) und Graz (3) waren zwei Naturwissenschaftler vor ihrer Berufung ins Reich an den österreichischen Universitäten nichtdeutscher Sprache in Lemberg, Budapest und Klausenburg (gegründet 1 8 7 2 ) tätig. Die von den Geisteswissenschaftlern am stärksten frequentierten schweizerischen Universitäten traten nicht hervor. Von Basel, Bern und Zürich wechselten nur vier Naturwissenschaftler an die untersuchten Universitäten. An der finnisch-russischen Universität in Helsingfors (Helsinki) traten zwei Astronomen, die dort auch die Direktion der Sternwarte innehatten, ihre ersten Professuren an. Es handelte sich um den Begründer der Helsingforser Sternwarte Friedrich Wilhelm Argelander (später Bonn) und seinen Schwiegersohn Adalbert Krueger (später Kiel). 258 Darüber hinaus lehrten weitere drei Naturwissenschaftler an den russischen Universitäten in Dorpat und Wilna ( 1 5 7 9 gegründet, 1831 aufgehoben)
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und der belgischen Universität in Gent. Insgesamt wirkten die Naturwissenschaftler häufiger als die Geisteswissenschaftler an nicht deutschsprachigen Universitäten des Auslandes; sie waren damit trotz des geringeren Austausches mit dem Ausland internationaler als jene. Hierfür war entscheidend, daß die empirisch arbeitenden Naturwissenschaftler die Sprachbarrieren leichter überwinden konnten als die Geisteswissenschaftler, deren wichtigstes Handwerkszeug die Sprache ist. Die schweizerischen Universitäten wie auch die meisten anderen ausländischen Universitäten dienten den Naturwissenschaftlern allgemein zum Einstieg in die erste ordenüiche Universitätsprofessur. Nur Graz und Wien konnten bis 1914 in den hier bekannten Fällen wegberufen. Im selben Jahr 1873 rekrutierten beide Universitäten Zoologen von den Universitäten in Rostock (Graz) und Göttingen (Wien). Darüber hinaus kehrte der überaus wechselfreudige Physiker Ludwig Boltzmann sowohl von München als auch später von Leipzig an seine Heimatuniversität Wien zurück, an der er dreimal als Ordinarius tätig war. In den Naturwissenschaften berief wiederum die Ruperto Carola in Heidelberg als erste der untersuchten Universitäten im 19. Jahrhundert aus dem Ausland. Es handelte sich um den Juristen, Mathematiker und Baumeister Christian von Langsdorff, der als Gelehrter alten Stils einen, was die Zahl seiner Stationen betraf, durchaus >modernen< Karriereweg durchlief. Langsdorff erhielt zunächst 1794 eine Professur in Erlangen, ging von dort an die russische Universität in Wilna und kam 1806, noch während der Reformphase der Universität, nach Heidelberg. 259 Die anderen Universitäten rekrutierten zumeist sehr viel später von ausländischen Universitäten, wobei in Marburg und Jena (bis 1908) keine Naturwissenschaftler ausländischer Hochschulen Ordinariate antraten.260 Während Berlin nicht weniger als zehn seiner Geisteswissenschaftler direkt aus dem Ausland berief, trat es in den Naturwissenschaften mit nur drei Direktberufungen nicht hervor ( 3 - 4 , 2 %). Häufiger als Berlin rekrutierte offenbar Tübingen unmittelbar aus dem Ausland. Es folgten mit je zwei Direktberufungen die badische Universität in Heidelberg (6,3 %) und die preußischen in Kiel (4,9 %), Bonn (4,3 %) und Göttingen (3,6 %). Gießen, das in den Geisteswissenschaften einen sehr regen Kontakt mit dem Ausland pflegte, und auch München beriefen jeweils nur einen ihrer Naturwissenschaftler von einer ausländischen Universität (2,3 %, 2,6 %). Berücksichtigt man auch jene Universitäten, über die die Naturwissenschaftler an die untersuchten Hochschulen gelangten, so beriefen, nach dem gegenwärtigen Stand, die preußischen Universitäten häufiger aus dem Ausland als die nichtpreußischen. An die Universitäten in Berlin und Bonn gelangten im gesamten Zeitraum direkt und indirekt jeweils vier Naturwissenschaftler von ausländi241
sehen Universitäten. Berlin berief direkt nur von österreichischen Hochschulen. Die Universität in Wien spielte für die Berliner Naturwissenschaftler keine derart wichtige Rolle wie für die Geisteswissenschaftler. Die Fächergruppe berief nur einmal, lange Zeit nach ihrer Ausbauphase in den achtziger Jahren, einen Geographen von Wien ( 1 9 0 6 ) . Außerdem traten 1884 und 1 9 1 0 zwei Grazer Naturwissenschaftler Professuren in Berlin an. Die Berufungsverhandlungen mit dem in Graz aufgestiegenen Botaniker und späteren Begründer des Berliner pflanzenphysiologischen Instituts, Gottfried Haberlandt, im Jahr 1909 gestalteten sich offenbar etwas schwierig: »So fuhr ich im Dezember ... nach Berlin, um mit den Herren im Kultusministerium zu unterhandeln. Es war mir von vorneherein klar, daß ich den Ruf nur annehmen könnte, wenn von der Regierung der Bau eines neuen, modern eingerichteten Botanischen Instituts in Dahlem bewilligt und alsbald in Angriff genommen würde. Denn die Räume, in denen das Institut unter Schwendeners Leitung in der Dorotheenstraße gegenüber dem >Kastanienwäldchen< untergebracht war, waren für Lehrzwecke unzulänglich und namentlich für physiologische Arbeiten gänzlich unbrauchbar. Ich war fest entschlossen, mein schönes Grazer Institut nicht gegen ein so mangelhaftes zu vertauschen.« 261 Ob Haberlandt eine Ablehnung des Berliner Rufes ernsthaft erwog, oder ob er die Bedeutung des Rufes, den er in seiner Selbstbiographie im Detail schilderte, hervorheben wollte, läßt sich nicht beurteilen. In Graz hatte er jedenfalls gleich zu Beginn seiner Lehrtätigkeit als Ordinarius 1888 einen neuen botanischen Garten anlegen lassen und 1 8 9 9 ein neues Institut erhalten. 262 In Berlin erfüllte man seine Forderungen ebenfalls, und Haberlandt konnte kurz nach seiner Übersiedlung das neue Institut in Dahlem beziehen. 263 Bonn berief schon 1 8 3 7 erstmals aus dem Ausland. Bis 1 9 1 4 gelangten zwei Naturwissenschaftler auf direktem Weg von Helsingfors und Gent und weitere zwei indirekt von Zürich und Bern über Würzburg und Halle an die Bonner Universität. Die Göttinger Fächergruppe rekrutierte erst nach der Jahrhundertwende jeweils einen Naturwissenschaftler direkt von Dorpat (Tamann) und Utrecht (Debye). Einige Dezennien früher, im Jahr 1 8 7 3 , konnte die Wiener Universität den Zoologen Carl Claus von Göttingen gewinnen. In seiner Autobiographie nennt er den Grund, weshalb er Göttingen verließ: »Dagegen glaubte ich in Wien des dauernden und grösseren Einflusses auf die Vorbildung der Medicin-Studierenden sicher zu sein, zumal dort das Studium der Medicin so überaus in den Vordergrund trat, und man anderseits einen so großen Werth darauf legte, mich für Wien zu gewinnen und die durch mich vertretene anatomisch physiologische Richtung der Zoologie zur Geltung zu bringen. Leider hatte ich es unterlassen, den eigenthümlichen Verhältnissen des österreichischen Kaiserstaates Rechnung zutragen
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und vor allem mich über die von den deutschen so abweichende Organisation der Universität näher zu informieren, eine Unterlassung, die ich in späteren Jahren schwer zu beklagen hatte und fur die ich schliesslich durch meinen vorzeitigen Rücktritt vom Lehramte büssen mußte.« Ferner »konnte ich nicht die hier bevorstehenden Nationalitätenkämpfe voraussehen, welche unter allmählich fortschreitender Schmälerung und Zurückdrängung des deutschen Elementes einen so häufigen Wechsel der Ministerien mit sich brachten ... - Verhältnisse, unter welchen bei den an der Universität bestehenden Einrichtungen (die Extraordinarien mit Sitz- und Stimmberechtigung in den Facultäten) Intriguen und verwandtschaftliche Connexionen Erfolge aufweisen konnten«. 264 Die innenpolitischen Nationalitätenkonflikte Österreichs waren auch für den Mathematiker Leo Koenigsberger ein wichtiger Grund, 1884 von der Wiener Universität zurück nach Heidelberg zu wechseln, das er 1875 nach dem Weggang seiner Kollegen und Freunde Helmholtz und Kirchhoff verlassen hatte. 265 Weitere Auslandskontakte ergaben sich fiir Heidelberg unmittelbar nur zur Universität in Wilna (Langsdorff). Ein weiterer Naturwissenschaftler gelangte indirekt von Basel über Halle nach Heidelberg. Kiel berief zwei Naturwissenschaftler direkt von ausländischen Universitäten und zwar von der österreichischen Universität in Lemberg und der finnisch-russischen in Helsinki. Für die naturwissenschaftlichen Fächergruppen in München und Gießen spielten die ausländischen Universitäten kaum eine Rolle. Im gesamten Zeitraum gelangte nur jeweils ein Naturwissenschaftler aus dem Ausland direkt an die Universitäten. München berief von Graz den mehrfach genannten Physiker Boltzmann. Nach Gießen wechselte der Mathematiker Ludwig Schlesinger von Klausenburg über Budapest. Außerdem ist bekannt, daß mehrere Münchener und Gießener Naturwissenschaftler Rufe an ausländische Universitäten ablehnten, so der Münchener Astronom Hugo von Seeliger nach Prag und Wien266 und der dortige Physiker Arnold Sommerfeld 267 nach Wien. Ferner schlug Liebig während seiner Gießener Amtszeit einen Ruf nach Petersburg (1837) aus. 268
3.2.1.4 Das Verhältnis zu den Technischen Hochschulen Die Technischen Hochschulen hatten ihre Vorläufer in den Gewerbeschulen und in den Spezialschulen der Technischen Staatsdienste fiir angehende Baubeamte, den späteren Polytechnischen Schulen. Sie wurden seit dem späten 18. Jahrhundert zunächst in Preußen und seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in sämtlichen anderen deutschen Staaten nach dem französischen Vorbild der Pariser Ecole politechnique eingerichtet. 269 Seit 243
der Umwandlung dieser Fachschulen in Technische Hochschulen, die in den sechziger Jahren einsetzte und mit der die Einfuhrung eines technischen Staatsexamens einherging, begannen sie für die Universitäten an Bedeutung zu gewinnen. 270 In der Folgezeit war das Verhältnis beider Anstalten durch das Ringen der Technischen Hochschulen um die rechtliche Gleichstellung mit den Universitäten gekennzeichnet. Die Verleihung des Promotionsrechts an die Technischen Hochschulen um die Jahrhundertwende brachte diesen Prozeß zu einem vorläufigen Abschluß. Die Ludoviciana in Gießen war die einzige deutsche Universität, die die Ausbildung der Architekten und Ingenieure zeitweilig - von 1 8 3 7 bis 1874 - an die Universität zog. Im Jahr 1 8 3 7 wurde ein Extraordinariat für Baukunst (Ordinariat seit 1 8 4 3 ) eingerichtet; 1864 kam ein weiteres Extraordinariat für Ingenieurwissenschaften hinzu (Ordinariat seit 1869). Auf beiden Lehrstühlen waren nur drei Ordinarien tätig, unter ihnen der Gießener Professorensohn Hugo von Ritgen, der als Restaurator der Wartburg überregionale Bedeutung erlangte. 271 In den beiden Fächern der Bau- und Ingenieurwissenschaften immatrikulierten sich in Gießen durchschnittlich 12 Studenten pro Semester. Den angehenden Architekten und Ingenieuren wurde in Gießen erstmals in Deutschland die Möglichkeit gegeben, in den technischen Fächern den (philosophischen) Doktorgrad zu erwerben; die Resonanz war aber offenbar sehr gering. 272 Beide Lehrstühle wurden 1874 an die höhere Gewerbeschule, seit 1 8 7 7 Technische Hochschule, in Darmstadt abgegeben, die sich im Schatten der Technikerausbildung an der Landesuniversität lange Zeit kaum entwickeln konnte. 273 Außer den Naturwissenschaftlern tauschten auch die nicht untersuchten Staatswissenschaftler Professoren mit den Technischen Hochschulen aus. Zu den anderen Fakultäten und Fächergruppen bestanden kaum Kontakte. 274 Die Beziehungen setzten Anfang der fünfziger Jahre ein. Von 1 8 5 0 bis 1 9 1 4 lehrten insgesamt 4 0 Naturwissenschaftler der acht Universitäten auch als Ordinarien an Technischen Hochschulen (15,6 %). Etwa ein Drittel dieser Gruppe waren Mathematiker, ein Viertel Physiker. Beide waren in dieser Gruppe doppelt so häufig vertreten wie unter den gesamten Naturwissenschaftlern. 275 Gleich stark repräsentiert waren Mineralogen (16 %) und Chemiker (11 %). 276 Die Naturwissenschaftler, die auch an Technischen Hochschulen tätig waren, wurden bis auf wenige Ausnahmen bereits nach Leistungskriterien rekrutiert. In ihren Karriereverläufen unterschieden sie sich in wesentlichen Punkten von der Gesamtgruppe. Aus diesen Abweichungen läßt sich zugleich die Funktion der Technischen Hochschulen im Universitätssystem herleiten. Grundsätzlich sind drei Phasen zu unterscheiden: Die erste Phase dauerte bis Ende der sechziger Jahre und ist dadurch gekennzeichnet, daß die in diesen Jahren neugegründeten Polytechnischen Schulen Ordinarien
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der Universitäten gewinnen konnten (Zürich, Braunschweig, München und Aachen). Das Verhältnis zwischen berufenen Universitätsprofessoren und Nichtordinarien betrug auf Seiten der Technischen Hochschulen in diesem Zeitraum immerhin 6 : 3 . Für die Universitätsprofessoren dieser frühen Austauschphase war es offensichtlich besonders reizvoll, als >Männer der ersten Stunde< am Aufbau der Polytechnischen Schulen mitzuwirken, wie es auch in der Autobiographie des Mathematikers Leo Koenigsberger anklingt. Als er 1874 gebeten wurde, am Polytechnikum in Dresden eine »Art mathematische Fakultät, welche eine Pflanzschule für diese Wissenschaft im höchsten Sinne werden soll« mitaufzubauen, verließ er die Heidelberger Universität und »war nicht ohne Einfluß auf die Besetzung der Lehrstühle in der allgemeinen wissenschaftlichen Abteilung«.277 Während der zweiten Phase, die bis zum Ende des Jahrhunderts dauerte, sank das Ansehen der Technischen Hochschulen merklich ab. Ihnen gelang nur einmal eine Ordinarienberufung von einer Universität (1 : 17).278 Das Laufbahnverhalten dieser Naturwissenschaftler unterschied sich in zwei Punkten von den vorangehenden und nachfolgenden Ordinarien. Während erstens an den Universitäten der Weg ins Ordinariat gewöhnlich über das Extraordinariat führte, gelangte ein größerer Teil dieser Gruppe direkt von der Privatdozentur der Universität in das Ordinariat der Technischen Hochschule. Zweitens traten diese Naturwissenschaftler ihre Ordinariate an den Technischen Hochschulen in noch jüngeren Jahren an als die Universitätsdozenten ihre Extraordinariate; bei Eintritt in das Ordinariat waren diese 30,7 Jahre, jene 32 Jahre alt. Die Ordinariate der Technischen Hochschulen wurden demnach offenbar gleichbehandelt mit den Extraordinariaten der Universitäten. Allerdings gelangte der größere Teil von den Technischen Hochschulen nicht erst an kleinere, sondern unmittelbar an größere Universitäten.279 Damit sind die Ordinariate der Technischen Hochschulen in dieser Phase zwischen den universitären Extraordinariaten und den Ordinariaten der Einstiegsuniversitäten anzusiedeln. Als Beispiel ist der Mathematiker Lothar Heffter zu nennen, der einen Ruf auf ein persönliches Ordinariat nach Marburg ablehnte, »da ich ja in Aachen planmäßiger Ordinarius war und gut behandelt wurde. Es wäre also ein Rückschritt und eine Undankbarkeit gegen Aachen gewesen. Außerdem war es ganz unsicher, ob und wann das Ordinariat in Marburg planmäßig geworden wäre.« Als er ein halbes Jahr später einen Ruf nach Kiel auf einen planmäßigen Lehrstuhl erhielt, »war ich dennoch entschlossen, ihn anzunehmen. Denn ich war nun doch einmal mehr fur Universitätsunterricht vorgeschult und hätte, um meine Tätigkeit in Aachen richtig auszuüben, mit Rücksicht auf die Anwendungen der reinen Mathematik viel Technisches hinzulernen müssen. Außerdem mußte ich erwägen, daß es sich wahrscheinlich um eine Entscheidung zwischen Universität und Hochschule für Lebenszeit handelte.«280 245
Die rechtliche Angleichung der Technischen Hochschulen an die Universitäten um 1 9 0 0 brachte eine Aufwertung des Prestiges der Technischen Hochschulen mit sich. Sie rückten näher an die Einstiegsuniversitäten heran und gelegentlich gelangen ihnen auch wieder Ordinarienberufungen von Universitäten. Das Verhältnis zwischen Universitätsprofessoren und akademischem Nachwuchs lag unter den Direktberufenen nunmehr bei 4 : 9 . Die Amtszeiten der Ordinarien an den Technischen Hochschulen dieser Phase verkürzten sich hingegen noch weiter. Während die Ordinarien der frühen und mittleren Phase jeweils 8,1 Jahre blieben, verließen die Professoren die Technischen Hochschulen fortan bereits nach durchschnittlich 5,8 Jahren; insgesamt blieb man nur halb so lange wie an den kleineren Universitäten. 281 Es ist ferner bemerkenswert, daß die Gruppe über ihre Professuren an den Technischen Hochschulen hinaus durchschnittlich genauso viele Ordinariate an den Universitäten antrat, wie alle Naturwissenschaftler (Durchschnitt: 1,8 Ordinariate). Von einer Gleichstellung der Technischen Hochschulen mit den Einstiegsuniversitäten konnte auch jetzt nicht die Rede sein. Der häufigste Austausch fand im gesamten Zeitraum mit den Technischen Hochschulen in Zürich (9), Hannover (8) und Karlsruhe (7) statt, keineswegs also mit den beiden größten Technischen Hochschulen in Berlin (1) und München (5). Während Zürich und Karlsruhe bis in die neunziger Jahre relativ enge Beziehungen zu den Universitäten unterhielten, wurde nach der Jahrhundertwende die Technische Hochschule Hannover zum wichtigsten Austauschpartner der Universitäten. Die meisten Ordinarien tauschten die Universitäten in Kiel (9 = 2 2 %), Göttingen (11 = 19,6 %) und Jena (4 = 19 %) mit den Technischen Hochschulen aus. Es folgte ein breites Mittelfeld mit den Universitäten in Gießen (6 = 15,8 %), Heidelberg (4 = 12,5 %), München (5 = 11,4 %), Bonn (5 = 10,9 %) und Berlin (7= 9 , 9 %) und schließlich als Schlußlicht unter den untersuchten Universitäten Marburg (2 = 5,7 %). Die kleinen Universitäten lagen gemeinsam mit Göttingen auch bei den Direktberufungen vorn. Für sie waren die Technischen Hochschulen ein besonders wichtiges Rekrutierungsfeld. Nicht weniger als zwölf Naturwissenschaftlern gelang über sie der Sprung von den Technischen Hochschulen, an der sie allesamt ihr erstes Ordinariat innehatten, in die Universitätslaufbahn. Die anteilig meisten Ordinarien rekrutierte Jena unmittelbar von Technischen Hochschulen (3 = 14,3 %). An den sich anschließenden Universitäten in Göttingen und Gießen kam etwa jeder zehnte Naturwissenschaftler von einer Technischen Hochschule (6 = 10,7 %, 4 = 10,5 %). Es folgten München und nunmehr Marburg, das die beiden einzigen an der dortigen Universität lehrenden Ordinarien von Technischen Hochschulen direkt berief, ferner Berlin (4 = 5,6 %) und Bonn (2 = 4 , 3 %). Schlußlicht war in diesem Zusammenhang
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Heidelberg, das nur einmal am Ende des Zeitraums von der badischen Technischen Hochschule in Karlsruhe rekrutierte (1 = 3,1 %). Besonderheiten im Verhältnis zu den Technischen Hochschulen ergaben sich für Göttingen. An die Universität wurden seit 1868 sieben Mathematiker mittel- oder unmittelbar von Technischen Hochschulen berufen, unter ihnen herausragende Wissenschaftler wie Alfred Clebsch, Hermann Schwarz, Felix Klein und Hermann Minkowski. Göttingen rekrutierte vorzugsweise von den Technischen Hochschulen in Zürich und Hannover. Von der renommierten Hochschule in Zürich gelangten zwischen 1875 und 1896 fünf Naturwissenschaftler, drei von ihnen direkt, in die Göttinger Ordinariate. Nach der Jahrhundertwende wurde Zürich von Hannover abgelöst. Zwischen 1904 und 1913 traten vier ehemalige Ordinarien der dortigen Technischen Hochschule Professuren in Göttingen an. Die beiden 1904 direkt berufenen Naturwissenschaftler Ludwig Prandtl und Karl Runge erhielten die auf Initiative von Felix Klein eingerichteten technischen Lehrstühle für Angewandte Mathematik und Technische Physik.
3.2.1.5 Die >Ära AlthofF« (1882-1907) Die Amtszeit Althoffs führte in den Naturwissenschaften nicht zu einer Polarisierung zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten wie in den Geisteswissenschaften. Zwar beriefen mehrere Universitäten bevorzugt von preußischen bzw. nichtpreußischen Universitäten, es gab aber keine Trennlinie, die nach der territorialen Zugehörigkeit der Universitäten verlief. In den Naturwissenschaften konnte sich das Spiel der Kräfte freier, d.h. weniger eingeengt durch Konfessionszugehörigkeit und weltanschaulich-politische Einstellungen entwickeln. Außer in den Berufungsangelegenheiten bestand Althoffs Verdienst in den Naturwissenschaften insbesondere in der Beschaffung finanzieller Mittel für den Auf- und Ausbau neuer Institute und hierbei vornehmlich in der Anknüpfung von Beziehungen zur Wirtschaft zur Mitfinanzierung universitärer Projekte. Die wissenschaftliche Schwerpunktbildung an einzelnen Universitäten, wie sie unter Althoff betrieben wurde, beschränkte sich weitgehend auf geisteswissenschaftliche Fächer. In den Naturwissenschaften entstand ausschließlich in Göttingen, initiiert von Felix Klein und gefördert von Althoff, eine naturwissenschaftliche Schwerpunktbildung in den Bereichen der Mathematik und den physikalisch-technischen Wissenschaften. Aufschluß über mögliche Veränderungen in der Berufungspraxis der Universitäten in den Zeiträumen vor und nach sowie während der Amtszeit Althoffs geben wiederum die Direkt- und die Abberufungen. Danach 247
wandten sich die Universitäten in Heidelberg, Kiel, Bonn und auch in München während der Amtszeit Althoffs stärker den preußischen Universitäten zu. Über Marburg, dessen Ordinarienberufungen in der naturwissenschaftlichen Fächergruppe erst in der Amtszeit Althoffs einsetzten, lassen sich nur bedingt Aussagen machen. Unverändert berief man in Göttingen, Gießen und ebenso in Berlin. Keine andere untersuchte Universität verhielt sich bei ihren Berufungen in beiden Fächergruppen so konträr wie Heidelberg. Während man zwischen 1882 und 1 9 0 7 die Geisteswissenschaftler fast nur von nichtpreußischen Universitäten rekrutierte (1 : 9 ) , gelangten in den Naturwissenschaften ausschließlich Ordinarien preußischer Universitäten nach Heidelberg (4). In den Zeiträumen vor und nach Althoff berief man dagegen in beiden Fächergruppen relativ ausgewogen ( 5 : 7 und 5 : 3 ) . Heidelberg gewann seine Naturwissenschaftler von Kiel und den größeren Universitäten in Göttingen, Halle und Bonn. Daß die Fächergruppe bei ihren Berufungen während der Amtszeit Althoffs nicht ausschließlich auf preußische Universitäten fixiert war, zeigt sich an dem abgelehnten Ruf des damals im Jahr 1888 in Würzburg lehrenden Chemikers Emil Fischer, den man als Nachfolger von Bunsen vorschlug. 282 Nur Berlin konnte nach 1882 einmal von Heidelberg abberufen. Für alle anderen Naturwissenschaftler war Heidelberg die Endstation ihrer Universitätslaufbahn. Während in Kiel die geringe Zahl der Direktberufungen zur Amtszeit Althoffs kaum Aussagen zuläßt (1 : 2 ) , zeichnete sich bei den Wegberufungen wiederum die Funktion Kiels als Zubringer für die preußischen Universitäten ab (7 : 2). In den Zeiträumen zuvor und danach rekrutierten dagegen preußische und nichtpreußische Hochschulen ausgewogen von Kiel (5:5). In Bonn verlief die Berufungspraxis in beiden Fächergruppen etwa parallel. Die Universität tendierte bei ihren Direktberufungen zur Amtszeit Althoffs stärker zu den preußischen Universitäten (5 : 2); allein drei der vier Berufungen von Kiel erfolgten in diesem Zeitraum. Vor 1882 und nach 1 9 0 7 rekrutierte man hingegen relativ ausgewogen (6 : 5). Abberufen wurde von Bonn zur Zeit Althoffs nur jeweils einmal von den nichtpreußischen Universitäten in München, Leipzig und Heidelberg, während im übrigen Zeitraum Bonner Naturwissenschaftler an zwei preußische und eine nichtpreußische Universität gelangten. Bonn war wie in den Geisteswissenschaften preußische Endstationsuniversität, der nur Berlin überlegen war. Die naturwissenschaftliche Fächergruppe in Marburg rekrutierte erstmals im gesamten Zeitraum während der Amtszeit Althoffs aus dem Ordinarienrang. Die Universität, die ihre Blüte zum Ende des 19. Jahrhunderts vor allem Althoff zu verdanken hatte, 283 war auch in den Naturwissenschaften relativ eng in die preußische Universitätslandschaft eingebunden. Marburg
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berief in diesem Zeitraum dreimal von preußischen (Greifswald, Kiel, Königsberg) und nur einmal von einer nichtpreußischen Universität (Rostock); nach 1907 erfolgten zwei weitere Berufungen von Kiel. Die engen Beziehungen zu den preußischen Universitäten zeichneten sich darüber hinaus in den Wegberufungen von Marburg ab. Die Universität war sowohl während der Amtszeit Althoffs ( 3 : 1 ) als auch davor und danach ( 5 : 2 ) Zubringer für die größeren preußischen Universitäten. Entgegen der Berufungspraxis in den Geisteswissenschaften war in den Münchener Naturwissenschaften während der Amtszeit Althoffs eine leichte Öffnung zu den preußischen Universitäten ( 3 : 5 , gegenüber 1 : 4 zuvor und danach) zu verzeichnen. Berufen wurden drei herausragende Vertreter in den Fächern der Zoologie (Hertwig), Botanik (Goebel) und Mathematik (Lindemann) von Bonn, Marburg und Königsberg. Einen Ausgleich zu dieser tendenziellen Hinwendung zu den preußischen Hochschulen schufen die vier der insgesamt fünf Berufungen von den beiden bayerischen Universitäten in Würzburg und Erlangen (je 2). Die einzige Abberufung eines Münchener Naturwissenschaftlers nach Wien im Jahr 1894 stand mit dem >System Althoff< nicht in Zusammenhang. In den naturwissenschaftlichen Fächergruppen in Göttingen, Gießen und Berlin veränderte sich das Berufungsverhalten während der Amtszeit Althoffs nicht oder kaum. Zu den Naturwissenschaften in Göttingen waren die Beziehungen Althoffs durch seinen dortigen Vertrauten Felix Klein relativ eng. Auf die Zusammenarbeit von Klein und Althoff beim Ausbau Göttingens zum Zentrum der Mathematik und der technischen Wissenschaften wurde bereits hingewiesen.284 Darüber hinaus betrieb Klein zusammen mit Althoff die Berufungen der Mathematiker David Hilbert (1895) 285 und Karl Runge (1904). 286 Ferner mußte man sich als Göttinger Naturwissenschaftler zur Zeit Althoffs den Berufungswünschen der Berliner Universität nicht beugen, wie das Beispiel Hilbert zeigt, der zwei Rufe nach Berlin ausschlug und in den Bleibeverhandlungen Vorteile für die Göttinger Universität erzielen konnte. Beim ersten Ruf (1902) erreichte Hilbert, der um die Jahrhundertwende »neben Poincare als einer der beiden besten Mathematiker der Welt« galt,287 bei Althoff für Göttingen die Einrichtung einer dritten mathematischen Professur.288 Sie wurde mit Hermann Minkowski besetzt, für dessen vorangegangene Berufung nach Königsberg sich Hilbert bereits 1895, als er selbst von Königsberg nach Göttingen ging, bei Althoff eingesetzt hatte.289 Die Göttinger richteten ihre Berufungen in der naturwissenschaftlichen Fächergruppe seit 1866 stärker an den preußischen Universitäten aus. Man rekrutierte zwischen 1882 und 1907 dreimal direkt von preußischen (Königsberg 2, Marburg 1) und einmal von einer nichtpreußischen Universität (Leipzig). In den Jahren vor und nach der Amtszeit Althoffs lag das Verhält249
nis bei 5 : 3. Auch bei den Abberufungen von Göttingen ergaben sich keine Veränderungen (zur Zeit Althoffs 4 : 3, zuvor und danach 3 : 2). Entscheidend aber war, daß Göttingen während der >Ära Althoff< wie in den Geisteswissenschaften ein wichtiger Zubringer fur Berlin wurde, das in diesen Jahren drei von insgesamt vier Göttinger Naturwissenschaftlern direkt berief. Die naturwissenschaftliche Fächergruppe in Gießen veränderte ihr Berufungsverhalten zur Amtszeit Althoffs nicht. Zwar gelang der Fächergruppe zwischen 1882 und 1907 ihre einzige Ordinarienberufung von der preußischen Universität in Greifswald, ebenso berief Berlin in diesem Zeitraum einen von zwei Gießener Naturwissenschaftlern, eine Hinwendung zu den preußischen Universitäten kündigte sich damit aber nicht an. Das Verhältnis zwischen preußischen und nichtpreußischen Universitäten lag bei den Abberufungen von Gießen zur Amtszeit Althoffs sowie zuvor und danach unverändert bei 3 : 4 bzw. 3 : 5 . Unter den Naturwissenschaftlern in Berlin gewann Althoff in den Chemikern Emil Fischer und Walter Nernst wichtige Vertrauensleute, die das Kultusministerium bei der Besetzung der chemischen Professuren berieten.290 Die Berufung Fischers von Würzburg nach Berlin als Nachfolger des berühmten Liebig-Schülers August Wilhelm von Hofmann leitete Althoff persönlich in die Wege.291 Unter Fischer kam es in enger Zusammenarbeit mit Althoff in Berlin zu einer grundlegenden Neugestaltung der relativ vernachlässigten Ausbildungsverhältnisse in den chemischen Fächern. 292 Ein Charakteristikum Althoffscher Wissenschaftsorganisation war ferner die Einholung von Gutachten von auswärtigen, nicht in die Interessen der Universität involvierten Professoren. Als beispielsweise in der Berliner Mathematik 1892 nach dem gleichzeitigen Ausscheiden von Weierstraß und Kronecker eine zweifache Neubesetzung notwendig wurde, beauftragte Althoff nicht den dritten amtierenden Mathematiker Fuchs, sondern den Göttinger Felix Klein mit einer Stellungnahme über die Situation der Berliner Mathematik. Klein wurde zugleich aufgefordert, Personalvorschläge für die anstehenden Berufungen zu machen. 293 Mit einer solchen Vorgehensweise gelang es Althoff, Nepotismus und Konkurrenzneid einzuschränken. In der Person Kleins stand Althoff nicht nur ein zweifellos kompetenter, sondern vor allem objektiver Kritiker der Wissenschaftsverhältnisse zur Seite. Die besondere Fürsorge Althoffs zog in der naturwissenschaftlichen Fächergruppe in Berlin keine Veränderungen im Berufiingsverhalten nach sich. Die Fächergruppe rekrutierte im Verhältnis von 7 : 8 gleich häufig von preußischen und nichtpreußischen Universitäten. Im Zeitraum vor und nach Althoff lagen die Anteile bei 3 : 5. Wichtigster Zubringer war zur Zeit Althoffs die preußische Universität in Göttingen. Ansonsten berief man neben Straßburg, das zwei Naturwissenschaftler nach Berlin entließ, jeweils 250
einmal von sämtlichen deutschen Universitäten sowie von den österreichischen Universitäten in Graz und Wien. Die Berliner Naturwissenschaften behielten damit während der Amtszeit Althoffs ihre weitgehend integrative Funktion im gesamten Universitätssystem bei. Zum Ausland schränkten die naturwissenschaftlichen Fächergruppen der preußischen Universitäten ihre Beziehungen während der Amtszeit Althoffs im Unterschied zu den geisteswissenschaftlichen nicht ein. Nur Bonn rekrutierte zwischen 1882 und 1 9 0 7 keinen Ordinarius von einer ausländischen Hochschule. Für die nichtpreußischen Universitäten scheint die Amtszeit Althoffs, soweit die wenigen Auslandsberufungen hierüber Auskunft geben, wie in den Geisteswissenschaften ohne Einfluß gewesen zu sein.
3.2.2 Die nicht untersuchten
deutschen
Universitäten
3.2.2.1 Die preußischen Universitäten Greifswald, Königsberg, Breslau und Halle Von dem bemerkenswerten Aufschwung der Medizinischen Fakultät in Greifswald in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts profitierte die dortige naturwissenschaftliche Fächergruppe nicht. 294 Im Gründungsprozeß der Lehrstühle war sie zwischen 1815 und 1914 meist das Schlußlicht unter den preußischen Universitäten. Beispielsweise erhielt Greifswald als letzte Universität Preußens einen Lehrstuhl für Geographie ( 1 8 9 1 ) und besaß bis 1914 noch keine zweite Professur für Mathematik. 295 Zeitgemäße Institute für Physik und Chemie entstanden erst in den neunziger Jahren bzw. nach der Jahrhundertwende. 296 Entsprechend dieser institutionellen Rückständigkeit war die Geifswalder naturwissenschaftliche Fächergruppe auch von ihrer Studentenfrequenz her bis 1 9 1 4 meist das Schlußlicht unter allen deutschen Universitäten. 297 Als kleinste deutsche Universität war Greifswald Einstiegsuniversität in die erste ordentliche Professur. Alle sieben Greifswalder Naturwissenschaftler, die an die untersuchten Universitäten gelangten, traten in Greifswald ihr erstes Ordinariat an. Obwohl die preußischen Universitäten in den Naturwissenschaften kein eigenes Universitätssystem ausbildeten, stand die Universität offenbar häufiger mit preußischen Universitäten in Verbindung. Während die Universität in den Geisteswissenschaften Zubringer für Marburg und Bonn war, gelangte jeweils nur ein Naturwissenschaftler von Greifswald an beide Universitäten. Göttingen berief zwei Greifswalder, die später nach Berlin gingen. Mit der zweiten preußischen Einstiegsuniversität in Kiel fand kein Austausch statt. Darüber hinaus konnte die außerpreußi-
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sehe Einstiegsuniversität in Gießen zweimal von Greifswald direkt berufen. Von den übrigen drei untersuchten nichtpreußischen Universitäten (einschließlich Jena) traten nur in Heidelberg zwei Greifswalder ein Ordinariat an. Die Berufungen von Greifswald setzten in den siebziger Jahren ein und beschränkten sich weitgehend auf Mathematiker (4). Die Universität in Königsberg galt seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben Göttingen als ein Zentrum der deutschen Mathematik. Von dem Astronomen und Mathematiker Friedrich Wilhelm Bessel, dem Mathematiker Gustav Jacobi und dem Physiker und Begründer der Theoretischen Physik Franz E. Neumann298 wurde in den dreißiger Jahren die bedeutende Königsberger Mathematikerschule begründet. 299 Aus ihr ging eine große Zahl von Schülern hervor, von denen etiiehe später Ordinariate an deutschen Hochschulen erhielten. Im Jahr 1834 wurde in Königsberg das erste mathematische Seminar an einer deutschen Universität gegründet. Die mathematische Professur konnte auch in der Nachfolge von Jacobi hervorragend besetzt werden, doch blieben die Ordinarien nur für kurze Zeit in Königsberg.300 Zum Ende des Jahrhunderts erlebte die Königsberger Mathematik mit Adolf Hurwitz, David Hilbert und Hermann Minkowski einen letzten Höhepunkt. Hilbert und Minkowski gingen später nach Göttingen. Zusammen mit dem von Leipzig berufenen Felix Klein konnten sie an die große mathematische Vergangenheit Göttingens (Gauß, Dirichlet, Riemann, Clebsch) anknüpfen. Trotz der Blüte der Mathematik war Königsberg in den Naturwissenschaften Einstiegsuniversität in die erste ordenüiche Professur. In den Geisteswissenschaften zählte sie immerhin zu den Aufstiegsuniversitäten. Auch in der Abfolge, die sich aus der Frequenz ergibt, lag die naturwissenschaftliche Fächergruppe hinter den Geisteswissenschaften zurück (Durchschnitt: Rang 13). Noch in den sechziger Jahren war sie eine der führenden und belegte den fünften Platz. Nach Einbußen in den siebziger Jahren konnte sie noch ein letztes Mal Anfang der achtziger Jahre kurzzeitig auf den sechsten Rang vorrücken. In der Folgezeit fiel die Fächergruppe aber immer weiter zurück. Sie lag um die Jahrhundertwende an 19. Stelle vor Greifswald und konnte auch bis 1914 nicht mehr aufholen.301 Königsberg hatte zusammen mit Leipzig zu den untersuchten Universitäten die häufigsten Kontakte (14). Dabei wurden keineswegs nur Mathematiker ausgetauscht, auch Astronomen und besonders Mineralogen wurden von Königsberg abberufen. Die Naturwissenschaften unterhielten noch wesentiieh engere Beziehungen zu den anderen preußischen Universitäten als die Geisteswissenschaften (13). Für die Georgia Augusta in Göttingen, an der drei Königsberger Mathematiker, zwei Mineralogen und ein Geograph wirkten, war Königsberg Zubringeruniversität. Berlin erreichten vier und Bonn ein Königsberger. Der Einstiegscharakter der Fächergruppe 252
zeigte sich vor allem daran, daß sowohl Kiel als auch Marburg je zweimal von Königsberg wegberufen konnten. Königsberg rekrutierte seinerseits unter den preußischen Hochschulen offenbar nur von Greifswald. Darüber hinaus gelangen ihr Berufungen von der Ε Τ Η Zürich und von Freiburg, wobei der Mathematiker Lindemann in Freiburg vor Antritt der Professur Extraordinarius gewesen war. Von den untersuchten nichtpreußischen Universitäten kamen zwei Königsberger nach München, während zu Gießen, Jena und Heidelberg im gesamten Zeitraum keine Verbindungen bestanden. Die geringen finanziellen Mittel, die die große Universität in Breslau im 19. Jahrhundert erhielt, führten in den immer kostspieliger werdenden Naturwissenschaften zu einem Entwicklungsrückstand der Fächergruppe gegenüber den anderen größeren preußischen Universitäten. Beispielhaft für die naturwissenschaftlichen Fächer in Breslau ist die Entwicklung des chemischen Instituts. Das erste Institut, das 1 8 2 0 eingerichtet wurde, genügte schon nach wenigen Jahren kaum mehr den Anforderungen einer immer stärker experimentell arbeitenden Chemie. 302 Ein den Ansprüchen der Zeit gemäßes Laboratorium entstand erst Anfang der fünfziger Jahre unter Robert Bunsen. 303 Als der Chemiker Albert Ladenburg fast vierzig Jahre später ( 1 8 8 9 ) nach Breslau berufen wurde, waren die Arbeitsbedingungen wiederum hoffnungslos veraltet, »Breslau war, wie ich wußte, eine große Universität mit viel mehr Studenten als Kiel! Aber wie waren die Verhältnisse? Ich reiste sofort nach Breslau, um es kennen zu lernen. Der Augenschein war sehr ungünstig. Die Stadt war groß, aber ohne jeden Reiz. Das Laboratorium war unbrauchbar, obgleich nach Plänen von Bunsen im Jahr 1851 begonnen, später unter Ludwig vollendet und dann umgebaut.« 304 Außer den Naturwissenschaften litt auch die auf hohe finanzielle Zuwendungen angewiesene Medizin unter der bescheidenen Dotierung der Universität. Über höhere Mittel verfügte Breslau erst seit den achtziger Jahren, so daß 1 8 8 6 mit dem Neubau von Kliniken und medizinischen Instituten begonnen werden konnte. 305 Gemäß der vergleichsweise rückständigen Ausstattung fiel Breslau seiner Frequenz nach in den Naturwissenschaften im Lauf des 19. Jahrhunderts von einer großen zu einer mittelgroßen Universität zurück. Der Abschwung setzte bereits ein Dezennium früher ein als in den Geisteswissenschaften. Bis Mitte der achtziger Jahre belegte Breslau immerhin durchschnittlich den fünften Platz. Bis in die neunziger Jahre hinein sank die Fächergruppe an die 13. Stelle zurück. Im Anschluß kam es wie in den Geisteswissenschaften zu einer kurzzeitigen überproportionalen Belebung der Frequenz um die Jahrhundertmitte (Rang 6/7), auf die ein erneuter Rückfall auf den 13. Rang folgte. 306 Im Unterschied zur geisteswissenschaftlichen Fächergruppe in Breslau,
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die wie kaum eine andere in das preußische Universitätssystem eingebunden war, hatten die preußischen Universitäten für die dortigen Naturwissenschaften keine größere Bedeutung. Von ihrer Funktion im Universitätssystem her gehörte Breslau auch in den Naturwissenschaften zu den Aufstiegsuniversitäten. Sechs der acht Naturwissenschaftler, die Breslau mit den untersuchten Universitäten austauschte, konnte es von anderen Universitäten abberufen. Es handelte sich um die zum Zeitpunkt der jeweiligen Berufung kleineren Einstiegsuniversitäten in Rostock, Gießen und Kiel, ferner um Freiburg und Marburg, von denen Breslau im Jahr 1850 rekrutierte. Darüber hinaus kam es 1829 mit Bonn zum Austausch der Ordinarien für Botanik. Nur drei dieser acht Naturwissenschaftler beendeten ihre akademische Laufbahn in Breslau. Zwei gelangten an die Großuniversität in Berlin und jeweils einer nach München sowie an die renommierten Hochschulen in Heidelberg und Bonn. Keine Kontakte bestanden zur Universität in Göttingen, die auch für die Breslauer Geisteswissenschaften kaum eine Rolle spielte. Im Schatten der mächtigen theologischen Tradition der Universität in Halle konnten sich die Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert nur mäßig entfalten.307 Vor allem im letzten Drittel des Jahrhunderts, als sich mit der naturwissenschaftlichen Forschung immer höhere Kosten verbanden, büßte Halle im Vergleich zu anderen Universitäten zeitweise an Studenten ein. Die Fächergruppe lag noch Ende der sechziger Jahre an siebter Stelle. Bis Anfang der neunziger Jahre fiel sie auf den 16. Platz zurück. Im Anschluß stiegen die Studentenzahlen jedoch überproportional an, so daß Halle bis 1914 auf die zehnte Stelle vorrücken konnte. Zwischen 1866 und 1914 belegte die naturwissenschaftliche Fächergruppe durchschnittlich den zehnten Platz und lag damit um vier Plätze hinter den Geisteswissenschaften zurück.308 Trotz mäßiger Frequenz scheint Halle seine Position als renommiertere Aufstiegsuniversität auch in den Naturwissenschaften behauptet zu haben. Nur drei von acht Naturwissenschaftlern, die Halle mit den untersuchten Universitäten (einschließlich Jena bis 1908) austauschte, bot die Universität vor und um die Jahrhundertmitte den Einstieg in das erste Ordinariat. Ansonsten berief sie von Einstiegs- und Aufstiegsuniversitäten wie den schweizerischen Hochschulen in Basel und Bern sowie von Jena und Marburg. Im Jahr 1812 konnte sie einen in Heidelberg aufgestiegenen Chemiker gewinnen. Drei der acht Naturwissenschaftler beendeten ihre Hochschullehrerlaufbahn in Halle. Die anderen wechselten an die angesehenen Hochschulen in Heidelberg (2) und Bonn (3). In einem weiteren Fall wanderte ein in Halle aufgestiegener Mathematiker und Astronom nach Kiel ab. Die Beziehungen Halles zu den untersuchten Hochschulen waren un254
ausgewogen. Zu Berlin, für dessen geisteswissenschaftliche Fächergruppe Halle eine Zubringerfiinktion einnahm, ferner zu München, Göttingen und Gießen bestanden im gesamten Zeitraum keine Verbindungen. Auch Rufe dieser Universitäten, die von Hallenser Naturwissenschaftlern abgelehnt wurden, sind nicht bekannt. Die Beziehungen zu den anderen Universitäten setzten in den Hallenser Naturwissenschaften wesentlich früher ein als in der benachbarten geisteswissenschaftlichen Fächergruppe. Während man dort erst seit den achtziger Jahren von auswärts zu berufen begann, rekrutierte man hier bereits mehrfach vor und um die Jahrhundertmitte von außerhalb. Wann es zu einem Wandel im Berufungsverhalten kam, läßt sich angesicht der geringen Zahl der Naturwissenschaftler, deren Werdegänge bekannt sind, nicht beantworten. Mehrere Ordinarien wirkten auch noch im späteren 19. und beginnenden 20. Jahrhundert lebenslang in Halle.309
3.2.2.2 Die bayerischen Universitäten Erlangen und Würzburg Während Erlangen in den Geisteswissenschaften seiner Frequenz nach durchgehend einen der hinteren Plätze belegte, waren die Naturwissenschaften größeren Schwankungen unterworfen. Im Jahr 1866 lag die Fächergruppe auf dem 15. Rang. Sie fiel bis zur Mitte der achtziger Jahre auf den 18. Platz zurück und konnte anschließend aufholen, so daß sie bis zur Mitte der neunziger Jahre auf den fünften bzw. sechsten Rang vorrückte. Bis 1914 kam es jedoch erneut zu einem rapiden Abschwung; am Ende des Zeitraums waren die Erlanger Naturwissenschaften das Schlußlicht unter allen deutschen Universitäten (Rang 21). Durchschnittlich belegte Erlangen zwischen 1866 und 1914 den 16. Rang hinter Gießen und vor Rostock.310 Der Aufschwung in den neunziger Jahren änderte nichts daran, daß Erlangen für die Naturwissenschaftler wie auch für die Geisteswissenschaftler Einstiegsuniversität blieb. Gute Berufüngschancen hatte die Universität hingegen in den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts nach dem Übergang an Brandenburg-Ansbach (1742) und später an Preußen ( 1 7 9 1 1806), die noch bis in die ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts fortwirkten. Dank höherer finanzieller Zuwendungen und einer großzügigen Berufungspolitik nahm die Universität in jener Zeit einen bemerkenswerten Aufschwung.311 In den Naturwissenschaften konnte sie 1786 den Physiker Johann Tobias Mayer, der später nach Göttingen ging, vom benachbarten Altdorf abberufen (1799). 3 1 2 Ferner konnte Erlangen 1821 den seinerzeit >berühmtesten< Chemiker Karl Wilhelm Gottlob Kastner von Bonn gewinnen.313 An diese Höhepunkte ließ sich im weiteren Verlauf des 255
19. Jahrhunderts jedoch nicht mehr anknüpfen.314 Als der Mathematiker Felix Klein 1872 in Erlangen sein erstes Ordinariat antrat, lag »der mathematische Betrieb ... völlig darnieder. Offenbar hatte man eine ganz junge Kraft gerufen, damit sie einem tief im Schlendrian stecken gebliebenen Karren Vorspanndienste leistete. Auf der Bibliothek herrschten vorsintflutliche Verhältnisse. Mittel zur Anschaffung von Büchern oder gar Modellen, auf deren Vorhandensein ich großen Wert legte, standen zunächst nicht zur Verfugung. In meiner ersten Vorlesung ... erschienen zwei Zuhörer, von denen ich den einen noch ein paar Mal, den anderen aber nie wieder gesehen habe, so daß eine Weiterfuhrung der begonnenen Vorlesung sehr zweifelhaft gewesen wäre.«315 In der Chemie waren die Verhältnisse zwar besser, allerdings hatte für den zehn Jahre später berufenen Emil Fischer »der Ort ... wenig anziehendes, aber es handelte sich doch um ein Ordinariat an einer Universität und das Institut war durch einen Neubau verhältnismäßig gut ausgestattet«.316 Im Unterschied zu den Erlanger Geisteswissenschaftlern wurden die Naturwissenschaftler nicht bevorzugt an preußische Universitäten berufen. Zu den Einstiegsuniversitäten in Kiel, Gießen und Jena sowie zu Marburg bestanden im gesamten Zeitraum keine Kontakte. Mit den anderen fünf untersuchten Universitäten tauschte Erlangen immerhin elf Naturwissenschaftler aus. Je zwei lehrten an den Universitäten in Göttingen, Bonn, Berlin, ferner in Heidelberg, zu der sich die Beziehungen auf das frühe 19. Jahrhundert beschränkten. Relativ eng, enger auch als von Würzburger Seite aus, waren die Kontakte zur Münchener Universität, an die vier Erlanger Ordinarien gelangten - drei von ihnen direkt. In Würzburg wurden die Naturwissenschaften durch den bemerkenswerten Aufschwung der dortigen Medizinischen Fakultät beeinflußt. Die Medizinische Fakultät in Würzburg gehörte zwischen 1850 und 1880 zu den führenden unter den deutschen Universitäten und genoß gemeinsam mit den Fakultäten in Wien und Prag internationalen Ruhm. Ihr Renommee verdankte sie Medizinern wie Johann Lukas Schönlein, Rudolf Virchow und Ernst von Bergmann, die insbesondere die Spezialisierung der medizinischen Teilgebiete vorantrieben.317 Eindruckvoll dokumentiert sich die Blütezeit in der Frequenz, nach der Würzburg in den fünfziger und siebziger Jahren mit Berlin, München und Leipzig um den ersten Platz konkurrierte. 318 Die naturwissenschaftliche Fächergruppe geriet wissenschaftsgeschichtlich in den Sog der Medizinischen Fakultät, belegte aber ihrer Frequenz nach zwischen 1866 und 1914 durchschnittlich nur den 14. Rang und stand sogar den benachbarten Geisteswissenschaften nach (Rang 12). Im Jahr 1866, als die Mediziner auf dem zweiten Platz hinter Berlin lagen, rangierten die Naturwissenschaftler an 16. Stelle. Bis zur Jahrhundertwende konnte die Fächergruppe mit Schwankungen vorrücken (zeitweise 256
Platz 8/9), fiel anschließend aber wie auch Erlangen deutlich zurück und war sogar im Sommersemester 1913 das Schlußlicht unter allen Fakultäten.319 Die relativ guten Berufungschancen wurden durch den Einbruch in der Frequenz nach der Jahrhundertwende nicht mehr beeinflußt. Wenn auch die acht mit den untersuchten Universitäten ausgetauschen Naturwissenschaftler nur bruchstückhaft Einblick in das Berufungsverhalten gewähren, so zeigt sich, daß Würzburg sowohl von den Einstiegs- als auch von Aufstiegsuniversitäten abberufen konnte (Gießen, Erlangen, Tübingen). Insgesamt rekrutierte man in den Naturwissenschaften freier, d.h. konfessionell ungebunden. Ähnlich beurteilte auch der in den achtziger Jahren an der Universität lehrende Emil Fischer die Würzburger Berufungspraxis: »Der größere Teil der Studentenschaft bestand aus Norddeutschen. Dasselbe galt von den Professoren, und von dem Partikularismus, der der bayerischen Regierung öfters bei Berufung der Professoren vorgeworfen wurde, war in Würzburg nichts zu merken. Hatte man doch an die Universität der alten Bischofsstadt, die nur eine Katholisch-theologische Fakultät besaß, als Lehrer des Kirchenrechts einen Protestanten berufen! Eine Einmischung in Berufsgeschäfte ist allerdings von der ultramontanen Kammermehrheit öfters versucht worden, aber vom damaligen Kultusminister Dr. Lutz meist erfolgreich zurückgewiesen worden.«320 Obwohl die Berufungen der Naturwissenschaftler weniger reglementiert wurden, bestanden zu den Hochschulen in Kiel, Marburg, Jena und Göttingen keine Kontakte. Von Gießen berief Würzburg zwei Naturwissenschaftler und spätere Nobelpreisträger (Röntgen, Wien). Nach Heidelberg gelangten ein und nach Berlin zwei Naturwissenschaftler, unter ihnen der spätere Nobelpreisträger Emil Fischer. Wesentliche Teile der Arbeiten, für die die Nobelpreisträger ausgezeichnet wurden, entstanden im übrigen in Würzburg. Für die Münchener naturwissenschaftliche Fächergruppe nahm Würzburg abweichend zu den Geisteswissenschaften keine Zubringerfunktion wahr. Im gesamten Zeitraum gelangten nur drei Ordinarien an die Maximiiiana. Einer von ihnen wurde 1806 nach Landshut berufen und 1826 von der Münchener Universität übernommen.
3.2.2.3 Die außerpreußisch-außerbayerischen Universitäten Rostock, Jena, Freiburg, Tübingen und Leipzig An der kleinen Universität in Rostock entwickelten sich seit den achtziger Jahren die Studentenzahlen in den Naturwissenschaften wesentlich günstiger als in der benachbarten geisteswissenschaftlichen Fächergruppe. Bis dahin war die Hochschule jedoch noch durchgehend das Schlußlicht unter 257
allen Universitäten. Bis zum Sommersemester 1 8 7 7 wurde die Zahl von fünf Immatrikulationen nicht übertroffen; mehrfach schrieben sich nur ein oder zwei Studenten in der Fächergruppe ein. Erst im Anschluß begann sich die Frequenz merklich zu beleben, so daß die Naturwissenschaften bis Mitte der neunziger Jahre auf den fünften Rang vorrückten. In der Folgezeit fielen sie aber wieder kontinuierlich zurück und lagen um 1914 an drittletzter Stelle. Der zeitweilige Aufschwung gründete nicht auf universitätsinternen Entwicklungen wie einem beschleunigten Ausbau der Fächergruppe, der im übrigen nicht stattfand, oder der Berufung namhafter Wissenschaftler.321 Die Rostocker Naturwissenschaften entwickelten sich vielmehr gegenläufig zur allgemeinen Frequenzentwicklung. Während an den meisten Universitäten die Studentenzahlen seit den achtziger Jahren infolge einer Überfüllungskrise im Lehramt rückläufig waren, stieg in Rostock die Frequenz weiterhin stetig an und mündete nahdos in die am Ende der neunziger Jahre einsetzende allgemeine Wachstumsphase. 322 Die Geisteswissenschaften hatten im selben Zeitraum keinen vergleichbaren Frequenzanstieg zu verzeichnen. Dennoch scheint die zeitweilige überproportionale Studentenentwicklung auf einen Nachholbedarf des rückständigen mecklenburgischen Landesstaates hinzudeuten. 323 Der Aufschwung in der Frequenz steigerte offensichtlich die Attraktivität der Hochschule. Von vier Naturwissenschaftlern, deren Werdegänge über die untersuchten Universitäten bekannt sind, wurde einer im Jahr 1 9 0 7 von der Technischen Hochschule Hannover berufen, an der er als Ordinarius tätig war. Ansonsten war Rostock wie in den Geisteswissenschaften Einstiegsuniversität. Von den neun untersuchten Universitäten (einschließlich Jena) beriefen die preußischen Hochschulen in Kiel, Marburg, Bonn und Berlin, ferner München einen Rostocker Naturwissenschaftler, wobei einer in Marburg und München lehrte. Nach Göttingen, wo immerhin fünf ehemalige Rostocker Geisteswissenschaftler wirkten, sowie nach Gießen, Heidelberg und Jena gelangte kein Rostocker. Sehr früh wechselte ein Rostocker Naturforscher über Breslau nach Bonn ( 1 8 2 9 ) . Die anderen drei Abberufungen erfolgten seit den siebziger Jahren, wobei der 1871 nach Graz berufene Zoologe Franz Schulze in Rostock aufstieg. Dies waren die einzigen Kontakte der naturwissenschaftlichen Fächergruppe in Rostock zu immerhin der Hälfte der deutschen Universitäten. Daß an die anderen, hier nicht untersuchten Universitäten weitaus mehr Rostocker Naturwissenschaftler berufen wurden, erscheint eher unwahrscheinlich. Aussagen zum Berufungswandel lassen sich angesichts der geringen Anzahl nicht machen. Rostock konnte seine Rückständigkeit im Lauf des 19. Jahrhunderts kaum überwinden, 324 so daß auch die Berufungen, wie es scheint, stärker als anderswo auf das Territorium ausgerichtet blieben. 325
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»Ich habe Jena dreimal am Boden und dreimal wieder obenauf gesehen, es besitzt eine ungeheure Vegetationskraft«, äußerte Johann Wolfgang von Goethe, der als leitender Minister die Geschicke der Universität seit 1776 mideitete.326 Das 19. Jahrhundert gehörte nicht zu den glanzvollen in der Geschichte der Universität, wenn auch mehrere Gelehrte als Glanzlichter weit über Jena hinausstrahlten. Mochte der liberale Geist Jenas auf Theologen und Philosophen befreiend wirken und eine große Anziehungskraft ausüben, für Naturwissenschaftler und Mediziner war die freisinnige Haltung von geringerer Bedeutung. Es waren weniger die niedrigen Professorengehälter als vielmehr die völlig unzureichende Ausstattung der Institute, die die Entwicklung der Jenaer Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert lähmte und die Distanz zu den anderen deutschen Universitäten vergrößerte. Die Rückständigkeit zeichnete sich deudich sichtbar in einem extrem kleinen Lehrkörper und einer geringen Zahl von Lehrstühlen ab. Von 1815 bis 1908 wirkten in Jena nur 21 Naturwissenschaftler, weitaus weniger als an den kleinen Universitäten in Kiel und Gießen. Im Jahr 1908 vertraten sieben Ordinarien sechs Fächer, nur die Mathematik war doppelt besetzt.327 Auch in den Naturwissenschaften gehörte Jena im 19. Jahrhundert im Gründungsprozeß der Lehrstühle zu den Schlußlichtern.328 Dabei entwickelte sich die Frequenz der Fächergruppe im Lauf des Jahrhunderts vergleichsweise günstig. Bis zu den siebziger Jahren vermochte Jena, vom zehnten auf den siebten Rang vorzurücken. Es fiel anschließend aber stetig zurück und lag zum Ende des Jahrhunderts nur noch an 14., zeitweise gar an 17. Stelle.329 Wesentlich ungünstiger als die Frequenz waren die Berufungschancen der Universität. Jena berief nur zweimal aus dem Ordinarienrang. Im Jahr 1856 konnte es zunächst Karl Lehmann aus der Leipziger Medizinischen Fakultät fur den chemischen Lehrstuhl gewinnen; 1879 kam der Mathematiker Johannes Thomae von der Universität Freiburg. Seit Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre zeichnete sich ein Wandel im Berufungsverhalten der Universität ab. Man rückte weitgehend von der Protektion des eigenen Nachwuchses ab und berief Extraordinarien anderer Universitäten oder - so in drei Fällen - von Technischen Hochschulen bzw. einer Landwirtschaftlichen Akademie. Nur sechs Naturwissenschaftler verließen Jena (Abwanderungsquote 28,6 %). Drei gingen an die größeren, preußischen Universitäten in Bonn (2) und Halle. Zwei weitere wechselten in den achtziger Jahren wiederum an Technische Hochschulen. Die Bedingungen an der Universität besserten sich zum Ende des Jahrhunderts, als sich die Jenaer Firmen Carl Zeiss und das JENAer Glaswerk Schott & Genossen an der Finanzierung der Universität beteiligten. Im Jahr 1846 begann Zeiss in Jena mit der Herstellung feinmechanisch-optischer Präzisionsinstrumente wie Mikroskope und ähnlichem. Nachdem 259
1867 der Physiker und Honorarprofessor der Universität Ernst Abbe in das Unternehmen eingetreten war, nahm es einen bemerkenswerten Aufschwung. Zusammen mit Otto Schott wurde 1882 ein Glaswerk zur Entwicklung und Herstellung von Spezialgläsern fur die optischen Feingeräte gegründet. Nach dem Tod von Carl Zeiss leitete Abbe 1889 die Umwandlung der Zeiss-Werke in die Carl-Zeiss-Stiftung ein, der Otto Schott 1919 seine Anteile an der Firma Schott & Genossen abtrat. Die Stiftungsmittel flössen zunächst in die naturwissenschaftlichen Institute. Später wurden sie allgemein fur die Aufstockung der Gehälter, die Einrichtung neuer Lehrstühle und Institute und sonstige Universitätszwecke verwendet.330 Die höhere Dotierung der Universität zeichnete sich jedoch bis 1908 noch nicht im Berufungsverhalten der naturwissenschaftlichen Fächergruppe in Gestalt verbesserter Berufungschancen ab. Jena war und blieb weitgehend eine Einstiegsuniversität in die erste ordentliche Professur. Die naturwissenschaftliche Fächergruppe in Freiburg gehörte während des 19. Jahrhunderts im Gründungsprozeß der Lehrstühle und im Hinblick auf die Übernahme von Chemie, Mineralogie, Zoologie und Botanik von der Medizinischen in die Philosophische Fakultät eher zu den Nachzüglern.331 Sie belegte ihrer Frequenz nach bis in die Mitte der siebziger Jahre einen der hinteren Plätze (19). Im Anschluß nahm die Fächergruppe jedoch stärker noch als die dortigen Geisteswissenschaften einen beachtlichen Aufschwung und war bereits Mitte der achtziger Jahre die fünftgrößte unter den deutschen Hochschulen. Mit kleineren Schwankungen konnte sie bis 1914 einen der vorderen Plätze behaupten. Durchschnitdich belegten die Naturwissenschaften zwischen 1866 und 1914 den elften und von Mitte der achtziger Jahre bis 1914 den achten Rang. Freiburg war auch für die Naturwissenschaftler Sommeruniversität.332 Beispielsweise studierten im Wintersemester 1 8 9 9 / 1 9 0 0 118 angehende Naturwissenschaftler in Freiburg, im folgenden Sommersemester schnellte die Zahl auf 189 Immatrikulationen hoch. 333 Entsprechend der günstigen Frequenzentwicklung wurde Freiburg für die Naturwissenschaftler Aufstiegsuniversität. Von den Einstiegsuniversitäten in Kiel, Gießen und Erlangen konnte Freiburg abberufen (Ausnahme Braun, Gießen). Der Einstiegsuniversität in Königsberg gelang die Berufung des Mathematikers Lindemann, der in Freiburg vom Extraordinarius zum Ordinarius aufgestiegen war. Von Freiburg aus wechselten Naturwissenschaftler direkt nach Jena, Breslau, Bonn, Berlin und nach Tübingen, das auch in den Naturwissenschaften Freiburg überlegen war. Zwischen Freiburg und Marburg wurden keine Ordinarien ausgetauscht. Dies läßt darauf schließen, daß beide Universitäten in den Naturwissenschaften vergleichbare Berufungschancen hatten. Auch Göttingen und die badische Schwester in Heidelberg beriefen keine Naturwissenschaftler von Freiburg, wobei
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Verbindungen auf den Ebenen der Privatdozenten und Extraordinarien durchaus bestanden.334 In den Naturwissenschaften der Universität in Tübingen fielen Frequenz und Berufungschancen noch weiter auseinander als in den Geisteswissenschaften. In keiner anderen naturwissenschaftlichen Fächergruppe unter den deutschen Universitäten, auch in Heidelberg nicht, war die Diskrepanz annähernd so groß wie in Tübingen. Ihrer Frequenz nach lagen die Naturwissenschaften hinter den Geisteswissenschaften zurück und belegten zwischen 1866 und 1914 durchschnittlich den 18. Platz. In den sechziger Jahren war die Fächergruppe an zwölfter Stelle und fiel anschließend bis zum Ende des Jahrhunderts kontinuierlich zurück (Rang 19/20). Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erlebte sie dann für kurze Zeit einen Aufschwung (Rang 13). Mit nur 37 Naturwissenschaftlern, die zwischen 1815 und 1914 in Tübingen lehrten, zählte die Fächergruppe auch von ihrer Lehrkörpergröße her zu den kleineren der deutschen Hochschulen. Das Berufungsverhalten begann sich hier wie in der geisteswissenschaftlichen Fächergruppe Anfang der sechziger Jahre zu wandeln. Trotz der geringen Frequenz gehörte Tübingen in den Naturwissenschaften eindeutig zu den Aufstiegsuniversitäten. Sie berief von den Einstiegsuniversitäten in Erlangen und Königsberg und von den ausländischen Hochschulen in Christiania (Oslo) und Basel. Ferner konnte Tübingen Ordinarien von Freiburg und sogar von den renommierteren Universitäten in Göttingen und Heidelberg gewinnen. Von größerer Bedeutung waren fur Tübingen zudem die Technischen Hochschulen, von denen mehrere Naturwissenschaftler unmittelbar rekrutiert wurden. Zwischen Tübingen und den kleineren Universitäten in Kiel, Gießen und Marburg, zu denen die geisteswissenschaftliche Fächergruppe relativ rege Beziehungen unterhielt, kam es nicht zum Austausch. Wie auch in den Geisteswissenschaften scheinen engere Verbindungen zu den Universitäten in Straßburg und Leipzig bestanden zu haben, die offenbar mehrfach von Tübingen abberiefen. Im Unterschied zu den Geisteswissenschaften waren die Kontakte der Tübinger Naturwissenschaften zu den untersuchten Universitäten relativ gering. Insgesamt wurden nur fünf Naturwissenschaftler ausgetauscht. Die naturwissenschaftliche Fächergruppe in Leipzig lag ihrer Frequenz nach zwischen 1866 und 1914 an zweiter Stelle hinter Berlin. Sie war 1873 zur frequenzstärksten des Reiches aufgerückt und mußte diese Vorrangstellung im Wintersemester 1877/78 wieder an Berlin abtreten. Seit den neunziger Jahren konkurrierte die Fächergruppe zunächst mit München und im letzten Jahrfünft vor Ausbruch des Weltkrieges mit Göttingen um den zweiten Rang, wobei Leipzig häufiger auf den dritten Platz verwiesen wurde.335 Eine Öffnung zur leistungsbezogenen Auslese zeichnete sich in den Leipziger Naturwissenschaften seit der Mitte der sechziger Jahre ab. Die Fächer261
gruppe unterhielt zusammen mit den Königsbergern die häufigsten Kontakte zu den untersuchten Universitäten. 13 Naturwissenschaftler wechselten bis 1914 zwischen Leipzig und den acht Universitäten. Enger waren die Beziehungen zu den preußischen Universitäten in Berlin und Göttingen, wobei beide jeweils dreimal von Leipzig abberufen konnten. Von Berlin nach Leipzig mit der Zwischenstation Straßburg gelangte nur der bereits im Zusammenhang mit den Berliner Abberufungen genannte Astronom Julius Bauschinger. Zu den nach Göttingen berufenen Naturwissenschaftlern gehörte zunächst der 1837 in Göttingen amtsenthobene Physiker Wilhelm Weber. Er folgte nach erfolglosen Bemühungen um seine Wiedereinstellung 1842 einem Ruf nach Leipzig und wurde 1849 nach Göttingen zurückberufen. Weber schlug Rufe an die technischen Anstalten in Dresden und Braunschweig und nach Halle aus und gab Leipzig den Vorzug, weil hier seine Brüder lehrten, die Mediziner Ernst Heinrich und Eduard Friedrich Weber.336 Zur Rückkehr nach Göttingen bewogen ihn die alte Freundschaft zu Gauß und die überschaubareren Verhältnisse der Stadt.337 Unter Weber nahm die Leipziger Physik einen bemerkenswerten Aufschwung und gewann Anschluß an die moderne Physik jener Zeit.338 Der zweite Naturwissenschaftler, der Leipzig zugunsten von Göttingen eintauschte, war Felix Klein. Außer den größeren Einwirkungsmöglichkeiten auf die mathematischen Unterrichtsverhältnisse, die sich seiner Meinung nach in Preußen boten, bewog auch Klein »vor allem der Wunsch, von der Großstadt loszukommen, die ich nie geliebt hatte, und die Hoffnung, in der kleinen Gartenstadt eine befriedigendere Existenz zu gewinnen«.339 Den dritten Naturwissenschaftler, den Geologen Hans Stille, veranlaßten offenbar persönliche Motive zur Rückkehr nach Göttingen. 340 Von den Universitäten in Bonn und Marburg gelangte jeweils ein, von Kiel und Gießen wechselten je zwei Naturwissenschaftler direkt in die Leipziger Ordinariate. Alle Naturwissenschaftler, die von kleineren Universitäten kamen, beendeten in Leipzig ihre Hochschullaufbahn. Erfolglos waren hingegen die Versuche Leipzigs seit den sechziger Jahren, von Heidelberg abzuberufen. 341 Im gesamten Zeitraum tauschten beide Universitäten keine Naturwissenschaftler aus. Im Unterschied zu Berlin mieden sich auch Leipzig und München weitgehend. Eine einzige, zudem indirekte Verbindung beider Hochschulen ergab sich über den Physiker Ludwig Boltzmann, der ein ungewöhnliches Laufbahnverhalten aufwies und nach vorangegangenen Stationen zunächst in München, dann in Wien und Leipzig und anschließend wieder in Wien tätig war. Darüber hinaus lehnte der Münchener Pharmazeut Theodor Paul im Jahr 1911 einen Ruf nach Leipzig ab.342 Insgesamt nahm die Universität in den Naturwissenschaften wie auch in der benachbarten Fächergruppe den dritten Rang hinter den Großuniversitäten in Berlin und München ein. 262
3.2.2.4 Die Reichsuniversität Straßburg Über den Beginn seiner Studienzeit in Straßburg im Jahr 1872 schrieb der Chemiker Emil Fischers in seinen Erinnerungen: »Der Anblick der zum Teil noch in Trümmern liegenden Stadt, das unfreundliche Wesen ihrer Bewohner gegen die Deutschen, die schlimmen Wohnungsverhältnisse und ähnliche Unbequemlichkeiten des Lebens wirkten allerdings auf unsere Phantasie [auf Fischer und seinen Vetter Otto Fischer] sehr niederdrückend und fast waren wir entschlossen, wieder abzureisen, als ein Besuch im chemischen Institut einen raschen und definitiven Stimmungswechsel hervorbrachte.«343 Als Fischer 1872 sein Studium in Straßburg aufnahm, zählte die Fächergruppe nur neun immatrikulierte Studenten. In den folgenden Jahren stieg ihre Zahl kontinuierlich an, so daß Straßburg bereits in den achtziger Jahren auf die sechste Stelle vorrückte und diese bis 1914 durchschnittlich unter den deutschen Universitäten belegte.344 Im Unterschied zu den überaus regen Beziehungen der Straßburger geisteswissenschaftlichen Fächergruppe zu den untersuchten Hochschulen, traten die Naturwissenschaftler nicht nennenswert hervor. Insgesamt tauschte Straßburg mit den neun Hochschulen (einschließlich Jena) nur acht Ordinarien aus, zwei von ihnen lehrten an zwei dieser Universitäten.345 Die Berufungschancen der jungen, reich dotierten Hochschule waren auch in den Naturwissenschaften sehr gut. 346 Zwischen Berlin und Straßburg wechselten zwei Ordinarien, wobei es Straßburg 1909 gelang, von Berlin wegzuberufen (Julius Bauschinger, Astronomie). Der Göttinger Botaniker Solms-Laubach machte gar einen Ruf nach Berlin rückgängig, nachdem er in Straßburg zum Nachfolger seines Lehrers und Freundes de Bary bestimmt worden war.347 In einem weiteren Fall ging der Mathematiker Heinrich Weber 1895 nach nur dreijährigem Ordinariat in Göttingen nach Straßburg. Die Gründe für seinen Wechsel sind nicht bekannt. So konnte Straßburg bei einem zweimaligen Austausch zwischen beiden Universitäten beide Male von der ansonsten eindeutig renommierteren Georgia Augusta abberufen. Das Verhältnis zu München entsprach der Rangfolge, d.h. München war für zwei direkt berufene Straßburger Endstation. Darüber hinaus gelangten je ein Kieler und ein Marburger Naturwissenschaftler nach Straßburg, während zu Bonn, Heidelberg und Gießen keine Kontakte bestanden. Bestimmte Fachvertreter wurden nicht bevorzugt.
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3.2.3 Zum Universitätssystem in den Naturwissenschaften Das Universitätssystem in den Naturwissenschaften entwickelte sich im wesentlichen nach denselben Regeln wie in den Geisteswissenschaften. Auch hier richteten sich die Berufungschancen der jeweiligen Universität grundsätzlich nach ihrer Frequenz. Die Lehrkörpergröße spielte keine Rolle. Wie in den Geisteswissenschaften wechselte man von einer größeren Universität nur dann an eine kleinere, wenn besondere Gründe vorlagen. Dabei war nach dem Berufungswandel der Aufstieg in die Professur an einer größeren Universität das wichtigste Motiv, diese auch zugunsten einer kleineren Hochschule zu verlassen. Da konfessionelle, weltanschauliche und politische Fragen für die Naturwissenschaftler von geringerer Bedeutung waren als fiir die Geisteswissenschaftler, hatten die Universitäten einen größeren Aktionsradius und konnten freier untereinander Ordinarien berufen. Ebenso waren fur die empirisch arbeitenden Naturwissenschaftler Sprachbarrieren leichter zu überwinden, so daß sie, obwohl der Austausch mit den ausländischen Universitäten geringer war und später einsetzte, >internationaler< waren als die Geisteswissenschaftler, die sich im Ausland weitgehend auf die deutschsprachigen Hochschulen beschränkten. Wegen der geringeren Mobilität der Naturwissenschaftler, die als Apparatewissenschaftler in der Regel mit ihrem Institut umziehen mußten, stiegen sie häufiger nicht erst über die Aufstiegsuniversitäten zu den Endstationsuniversitäten auf, sondern gelangten unmittelbar von den kleineren an die großen. Ferner rivalisierten die kleinen Universitäten weniger miteinander. Ein wichtiges Rekrutierungsfeld für die kleineren Universitäten waren die Technischen Hochschulen, die gewissermaßen als Einstiegshochschulen in das erste planmäßige Ordinariat fungierten. Die preußischen Universitäten bildeten in den Naturwissenschaften kein vergleichbares Universitätssystem aus wie in den Geisteswissenschaften. Zudem kam es während der Amtszeit Althoffs in den Naturwissenschaften nicht zu einer Polarisierung in eine preußische und nichtpreußische Universitätslandschaft. Engere Beziehungen ergaben sich ausschließlich zwischen Kiel und Bonn seit den achtziger und zwischen Königsberg und Göttingen seit den neunziger Jahren, wobei die beiden kleineren Hochschulen in Kiel und Königsberg Zubringerfunktionen für die größeren wahrnahmen. Göttingen war seinerseits wie in den Geisteswissenschaften seit den achtziger Jahren Zubringer fur Berlin. Ferner wechselten von Kiel zwar die meisten Ordinarien an preußische Universitäten, die kleine Hochschule war aber nicht wie in den Geisteswissenschaften Eintrittstor in die preußische Hochschullandschaft. Zu den Einstiegsuniversitäten in Preußen zählte in den Naturwissenschaften neben Greifswald und Kiel auch die Universität in Königsberg, 264
obwohl sie als Hochburg der Mathematik galt und in den Geisteswissenschaften eindeutig zu den Aufstiegsuniversitäten gehörte. Weniger angesehene Durchgangsuniversitäten waren Breslau und Marburg, das wie in den Geisteswissenschaften erst unter preußischer Führung seinen Charakter als Einstiegsuniversität abstreifen konnte. Halle, Göttingen und Bonn bildeten wie in den Geisteswissenschaften das vordere Mittelfeld. Göttingen belegte zwar seiner Frequenz nach zeitweise den dritten und zum Ende des Jahrhunderts gar den zweiten Platz, war aber von seinen Berufiingschancen her nicht nur den Großuniversitäten und Bonn, sondern, wie auch in den Geisteswissenschaften, der kleineren Ruperto Carola unterlegen. Die stärker geisteswissenschaftlich orientierte Bonner Universität hatte in den Naturwissenschaften vergleichbar gute Berufungschancen und war hinter Berlin zweite preußische Endstationsuniversität. Berlin galt auch für die Naturwissenschaftler als der Gipfel der akademischen Karriere, konnte hier aber weder die höchste Quote an Ordinarienberufungen noch die niedrigste Abwanderungsquote verzeichnen. Unter den drei bayerischen Universitäten waren die Funktionen im Universitätssystem wiederum eindeutig verteilt. Erlangen war Einstiegs-, Würzburg Aufstiegs- und München Endstationsuniversität. Im Unterschied zu den Geisteswissenschaften war das katholische Würzburg in den Naturwissenschaften kein Zubringer für München und trat gar nach der Zahl der Berufungen an die Maximiiiana hinter das protestantische Erlangen zurück. Die Funktion von Einstiegsuniversitäten nahmen unter den nichtpreußisch-nichtbayerischen Hochschulen wiederum Rostock und Gießen wahr. Es schlossen sich wie in den Geisteswissenschaften zunächst Jena, das den Einstiegsuniversitäten nur knapp überlegen war, ferner Freiburg, dann Tübingen an. Die Universität in Heidelberg war ihrem Prestige nach diesen Universitäten weit überlegen und rückte seit den achtziger Jahren nahe an die Endstationsuniversitäten heran. Unter den nichtpreußischen Universitäten war Leipzig wiederum eindeutige Endstationsuniversität. Da die Universitäten weniger Naturwissenschaftler als Geisteswissenschaftler austauschten, läßt sich der Platz einer jeden Universität in einer Rangfolgeordnung schwerer bestimmen als in der benachbarten Fächergruppe. Dennoch scheint die Rangfolge der in den Geisteswissenschaften weitgehend entsprochen zu haben. Abweichungen ergaben sich nur auf den Rängen 14 und 15. Während in den Geisteswissenschaften die Hochschule in Königsberg der Jenaer überlegen war, zählte sie in den Naturwissenschaften zu den Einstiegsuniversitäten. Angeführt wurde die Universitätslandschaft in der naturwissenschaftlichen Fächergruppe von den drei Großuniversitäten in 1. Berlin, 2. München und 3. Leipzig. Es folgten zunächst 4. Bonn und 5. Heidelberg, die den Endstationsuniversitäten sehr nahe 265
standen. Renommierte Aufstiegsuniversitäten waren 6. Göttingen, 7. Halle, 8. Straßburg, 9. Tübingen und 10. Würzburg. Geringeres Ansehen genossen 11. Breslau, 12. Freiburg, 13. Marburg und 14. Jena. Dem Einstieg dienten 15. Königsberg, 16. Kiel, 17. Gießen, 18. Erlangen, 19. Greifswald und als Schlußlicht 20. Rostock. Für die Naturwissenschaften galt in gleicher Weise wie fur die Geisteswissenschaften, daß die Platzverteilung, wie sie sich aus der Rangfolge ergibt, ausgewogen war (10,2 : 10,7). Damit war auch hier eine tatsächliche Konkurrenz gegeben, die die Effizienz des Systems sicherte.
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Zusammenfassung
Die universitätsgeschichtliche Forschung hat sich bisher mit der Frage, wie die vielfältigen Entwicklungen im Hochschulbereich im 19. Jahrhundert ineinandergriffen, welche Universität voranging und in welcher Abfolge die anderen nachfolgten, in erster Linie geistesgeschichtlich sowie wissenschaftsgeschichtlich als Geschichte von Einzelwissenschaften auseinandergesetzt. Deshalb auch konnten bisher nur Teilantworten gegeben werden. Statt weiterhin die vorwiegend mit nicht meßbaren Größen arbeitende Geistes- und Wissenschaftsgeschichte zu befragen, wurde der für die Hochschullehrer bislang wenig genutzte Ansatz der historischen Sozialforschung fruchtbar gemacht. Untersucht wurden die planmäßigen Professoren, die die Akteure bei der Umsetzung des neuen - neuhumanistischen - Universitätskonzeptes waren und bis 1914 die Belange ihrer Fakultäten weitgehend bestimmten. Mittels der Methode der kollektiven Biographie - d.h. der Erhebung sämüicher Sozialdaten einer Personengruppe, ihrer Auswertung und Interpretation - wurde der Lehrkörper der Universitäten des 19. Jahrhunderts erforscht. Aus dem umfangreichen biographischen Datenmaterial ergaben sich drei Themenstellungen: Zunächst wurde die Lehrstuhlentwicklung, d.h. die Gründungsdaten der Lehrstühle und Veränderungen im Lehrkörper, untersucht. Zweitens ging es um die Frage, wann sich der Wandel vom enzyklopädisch gebildeten Gelehrten zum spezialisierten Wissenschaftler und Forscher an den Universitäten vollzog. Indizien des Prozesses waren die soziale und geographische Herkunft und die wissenschaftlichen Werdegänge der Ordinarien. Sie gaben Aufschluß darüber, wie sich die sozialen bzw. lokalen Verflechtungen an den Universitäten auflösten und ab wann die Hochschulen leistungsbezogen beriefen. Abschließend wurde ein erster Versuch unternommen, eine Rangfolgeordnung nach dem Prestige der Universitäten zu erstellen. Dabei ging es darum, die Berufungschancen der einzelnen Universitäten und die Beziehungssysteme zwischen den Hochschulen zu analysieren. Um das Thema einzugrenzen, beschränkte sich die Untersuchung auf eine Fakultät an einer Auswahl von Universitäten. Die Wahl fiel auf die Geistes- und Naturwissenschaften der Philosophischen Fakultät, da auf sie, d.h. primär auf die Geisteswissenschaften, das Humboldtsche Universitäts267
konzept zugeschnitten war und sie als die eigentlich wissenschaftlichen Fächergruppen zum Kernstück der Reform wurden. Die Auswahl der Universitäten bestimmte sich nach der Studentenfrequenz und der territorialen Zugehörigkeit. Für die Untersuchung wurden jeweils zwei große, mittelgroße und kleinere Universitäten preußischer und nichtpreußischer Territorien gegenübergestellt. Zweiergruppen bildeten Berlin und München, Göttingen und Heidelberg sowie Kiel und Gießen. Zum Teil wurden auch die Universitäten in Marburg und Bonn sowie in Jena und Tübingen einbezogen. Die Untersuchung der Lehrstuhlentwicklung machte deutlich, daß sich die meisten geisteswissenschaftlichen Fächer erst im 19. Jahrhundert herausbildeten. Sie entwickelten sich aus den älteren Disziplinen der Philosophie, Klassischen Philologie, Geschichte und Orientalistik. Die naturwissenschaftlichen Fächer hatten sich hingegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts weitgehend etabliert. Unterschiede bestanden hier zwischen den vor und nach 1800 gegründeten Universitäten. An den älteren gehörten verschiedene Fächer, wie Chemie, Botanik und Zoologie, noch überwiegend zur Medizinischen Fakultät, so daß für diese die Übernahme in die Philosophische Fakultät von Bedeutung war. Im Lauf des 19. Jahrhunderts richteten fast alle Universitäten fiir bestimmte Fächer Lehrstühle ein. In den Geisteswissenschaften zählten zu dieser sogenannten Grundausstattung an Lehrstühlen die genannten älteren Disziplinen sowie die jüngeren Fächer Germanistik, Romanistik, Anglistik, Sanskrit und Vergleichende Sprachwissenschaft, ferner Alte Geschichte, Klassische Archäologie und Neuere Kunstgeschichte. In den Naturwissenschaften umfaßte die >Grundausstattung< die Fächer Mathematik, Physik, Chemie sowie Mineralogie (einschließlich Geologie und Paläontologie), ferner Botanik, Zoologie und Geographie. Nur an den vor 1800 gegründeten Universitäten deckte sich die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung der Geistes- und Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert mit dem Ausbau beider Fächergruppen. Die philologisch-historischen Fächer wurden um die Wende zum 19. Jahrhundert großzügig ausgestattet. Die Naturwissenschaften holten seit den dreißiger und vierziger Jahren auf; ihr Ausbau war in den siebziger Jahren weitgehend abgeschlossen. Die Geisteswissenschaften erfuhren seit den neunziger Jahren nochmals eine besondere Förderung und vervollständigten nun erst ihre >Grundausstattung ο ο ) υ C C Ο : J3 -55 Ο Ο J *-ι ί U» 8 1 rt ^ SSS-S-S
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ziemlich altsehr jung«. Dagegen ist die Auswertung von Eulenburg, Nachwuchs, S. 78ff., bes. S. 80 (Tabelle), der das Durchschnittsalter in den einzelnen Fakultäten und Universitäten jeweils nur für ein einzelnes Jahr (1890 und 1907) errechnete, weniger aussagekräftig. Danach war im Jahr 1907 die geisteswissenschaftliche Fächergruppe in Berlin die älteste, gefolgt von Göttingen, Greifswald, Halle, Bonn, Leipzig, Marburg, München usw. Unter den naturwissenschaftlichen Fächergruppen war die Heidelberger die älteste, gefolgt von jenen in Straßburg, Berlin, Halle, Tübingen, Jena, Marburg, Leipzig usw. Beide Abfolgen stimmen nur partiell mit den Ergebnissen dieser Untersuchung überein. 64 Brocke, Wissenschaftspolitik, S. 52f.; ders., Friedrich Althoff, in: Ribbe, Bd. 3, S. 207. 65 Schwinges, S . l l . 66 Reinke, Tagewerk, S. 166. Vgl. auch den Philosophen Eduard Zeller, der 1872 gleichzeitig einen Ruf nach Berlin und einen zweiten nach Leipzig erhielt: »... stand auch Berlin in seiner Frequenz damals hinter Leipzig zurück, so eröffnete sich mir doch im Vergleich mit Heidelberg ein ungleich größerer Wirkungskreis.« Zeller, S. 189. 67 Zu den Studentenzahlen: Preußische Statistik, H. 167, S. 9 2 - 9 5 ; ebd., H. 236, S. 9 2 99; Statistisches Jahrbuch fur das Deutsche Reich, Jg. 34, 1913, S. 294f.; ebd., Jg. 35, 1914, S. 316f.; ebd., Jg. 36, 1915, S. 312f.; zusammengefaßt in Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil. Vgl. zu den Statistiken ders., Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 81ff. Vgl. ferner Hoffmann, bes. S. 217ff. Allgemein zur Frequenz im 19. Jahrhundert Eulenburg, Frequenz, S. 181ff., 253ff.; ferner die Arbeiten von Jarausch sowie von Titze und Herrlitz im Literaturverzeichnis. 68 Turner, Universitäten, S. 224. 69 Lenz, Geschichte; Weischedel, Idee; Wissenschaft in Berlin; Buddensieg u.a.; Boschan, Zur Entwicklung; vgl. auch Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 520, der Berlin als die »deutsche Forschungsuniversität par excellence« bezeichnet. 70 Vgl. Moraw, Lebensweg, S. 10: »Die Rolle der Universitätsgründung in Berlin von 1810 ist noch nicht genügend klar bestimmt. Diese Rolle war unmittelbar wohl geringer, als man im allgemeinen denkt, indirekt und langfristig (zusammen mit der neuen Schwerpunktbildung in der Reichshauptstadt) dann doch fundamental.« 71 Eulenburg, Frequenz, S. 184, 310, 317. Darüber hinaus wurde Berlin unter den Universitäten des Deutschen Bundes lange Zeit von Wien übertroffen. A. Wagner, S. 13. 72 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 71ff., bes. S. 84ff. 73 Heigel, Ludwig I.; Doeberl. 74 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 447ff., bes. S. 458ff.; ferner W. Seile. 75 Räumer, S. 4 2 - 6 2 ; Kamp, S. 7 - 2 9 . 76 Pütter; C. von Seile; Gundelach; Wittram, Fakultäten; Meinhardt; Hammerstein, Universitätsgründungen; Baumgarten, Göttingen, S. 3 0 - 4 6 .
301
Anmerkungen zu S. 25-28 77 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 222ff., bes. S. 232ff.; Eulenburg, Frequenz, S. 184f.; Maercker, S. 1 4 1 - 1 5 8 . Vgl. auch Titze, Lehramtsüberfiillung, S. 19-30. 78 Keller, S. 30ff.; Cobb, S. 97ff. Cobb sieht die Heidelberger Universität nach ihrer Reform im Jahr 1803 von ihrer Reputation her in die Nähe von Göttingen rücken (S. 97). 79 Riese; Semper Apertus; Wolgast, Jahre; ders., Die Universität Heidelberg; ders., Beziehungen. 80 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 300ff., bes. S. 310ff. 81 Geschichte Kiel. 82 Volbehr, Frequenz der Universität, S. 42ff.; ders., Immatrikulationen, S. 3 5 - 3 7 ; ders., Frequenz der philosophischen Fakultät, S. 54f.; Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 347ff., bes. 356ff. 83 Universität Gießen; Ludwigs-Universität; Werner; Moraw, Geschichte; ders., 375 Jahre. 84 Biermer, Frequenzverhältnisse; Dresske, S. 13ff.; Apfelstedt, S. 2 1 - 3 0 ; Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 202ff., bes. S. 210ff. 85 Vgl. Laspeyres, S. 14: »Die Eisenbahnen scheinen ... den Nomadencharakter der deutschen Professoren auf eine sehr hohe Stufe der Entwicklung gebracht zu haben.« 86 Beispielsweise haben Untersuchungen gezeigt, daß die Nichtordinarien ein anderes Laufbahnverhalten aufwiesen als die Ordinarien. Seiler, S. 93; Bernhardt, Professoren, S. 174. Die Gruppe der Kameralisten setzte sich vornehmlich aus Staatswissenschaftlern sowie Landund Forstwissenschaftlern zusammen. Es handelte sich hierbei um jüngere Fachrichtungen, die sich zum Teil außerhalb der Universität in Spezialschulen entwickelt hatten und seit dem späten 18. Jahrhundert in die Universitäten integriert wurden. Dieses Sammelbecken unterschiedlicher Fachgebiete war von seiner Struktur her noch heterogener als die Geistes- und Naturwissenschaften. Stieda; Bleek. 87 Vgl. im Anhang Tab. 1 u. 2. Nicht mitgezählt wurden jene Ordinarien, die zwar Berufungen an eine der untersuchten Universitäten angenommen hatten, ihr Lehramt aber nicht antraten. Beispielsweise nahm August Wilhelm von Schlegel einen Ruf nach Berlin an, blieb aber in Bonn. ADB, Bd. 31, S. 265. Ebenso sagte der Botaniker Hermann Graf zu SolmsLaubach seiner Berufung nach Berlin zu, machte sie aber rückgängig, als an ihn ein Ruf aus Straßburg erging. Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften München 1916, S. 136. Ferner wurden jene Ordinarien nicht berücksichtigt, die einer der drei anderen Fakultäten angehörten und zeitweise in der Philosophischen Fakultät lehrten. Dies traf fur die beiden Münchener Ordinarien Joseph Franz Allioli und George Phillips zu: Allioli war Ordinarius der Theologischen Fakultät und las Orientalistik in der Philosophischen Fakultät. NDB, Bd. 1, S. 203. Phillips war Rechtslehrer und hielt Geschichtsvorlesungen über Reichs- und Rechtshistorie in der Philosophischen Fakultät, die er aber in der Rechtsfakultät ankündigte. ADB, Bd. 26, S. 8 0 - 8 8 . Die Berufungen von Phillips und des Staatswirtschaftlers Franz von Berks, der ebenfalls in der Philosophischen Fakultät Geschichte lehrte, im Unterschied zu Phillips aber Mitglied der Fakultät war (Li. Huber, S. 552), waren Versuche des Ministeriums, das Studium der philosophischen Fächer durch eine Annäherung an das Fachstudium ohne Zwangskollegien aufrechtzuerhalten. Dickerhof-Fröhlich, Studium, S. 60f. 88 An den einzelnen Universitäten war der Anteil der Geisteswissenschaftler zum Teil höher, da sie die Ordinariate durchschnittlich häufiger wechselten als die Naturwissenschaftler. An den untersuchten Universitäten betrug das Verhältnis in Berlin 1 : 1,34, in München 1 : 1,89, in Göttingen 1 : 1,63, in Heidelberg 1 : 1,97, in Kiel 1 : 1,9 und in Gießen 1 : 1,5. 89 Schaden; Prantl, S. 4 8 1 - 5 7 1 ; Chronik München 1 8 6 7 / 6 8 - 1 9 1 2 / 1 3 ; Jahrbuch München 1 9 1 3 / 1 4 - 1 9 5 7 / 5 8 ; Beckenbauer; Werk; Glossauer; U. Huber, S. 5 5 0 - 5 8 0 . 9 0 Wenig (Bonn); Gundlach; Auerbach; Schnack, Gelehrte (Marburg).
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Anmerkungen zu S. 28-32 91 Günther; Piltz. 92 E. Conrad. 93 Hartig. 9 4 Langhans. 95 Stupp-Kuga. 9 6 Vgl. ferner die Professorenkataloge der Technischen Hochschule Hannover, Trommsdorff, und der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim, E. Klein. 97 Haenicke, Lexikon. 98 Weber, Lexikon. 99 Volbehr/Weyl; Chronik Kiel. 100 Haupt, Dozentenverzeichnis; Rehmann, Ludwigs-Universität. 101 Ebel, Catalogus; Chronik Göttingen 1 8 8 6 / 8 7 - 1 9 2 7 / 3 0 . 102 Asen; Ascherson; Demburg; Chronik Berlin. 103 Zwar wird auf weitere Verwandte in Stellungen an der Universität hingewiesen, jedoch wurden keine Angaben zur Großvatergeneration aufgenommen, die fur Beruftfolgen und soziale Aufstiegsmuster von Bedeutung sind. Drüll, 1 6 5 2 - 1 8 0 2 ; dies., 1 8 0 3 - 1 9 3 2 ; vgl. Weisert, S. 440ff. 104 Misch; Rosenmayr, S. 4 7 - 6 7 ; Klausa, Gruppenbewußtsein, S. 3 2 9 - 3 4 4 . 105 Domrich/Käser; Naujoks, S. 15 Iff. 106 Für die Universität Gießen bedeutete das Jahr 1880 eine verfassungsgeschichtliche Zäsur. Mit dem Inkrafttreten des >Statuts über die Organisation der Landesuniversität Gießen« am 1.1.1880 wurden die alten, aus dem Jahr 1629 stammenden Statuten und eine Vielzahl von Einzelerlassen abgelöst. Satzungen der Universität Gießen 1,1, Statut über die Organisation der Landes-Universität Gießen, genehmigt am 2 6 . 1 1 . 1 8 7 9 . Moraw, Geschichte, S. 168ff.; ders., Aspekte, S. 24f. 107 Vgl. Weisert,S.
441.
1. Die Lehrstuhlentwicklung 1 Ferber, S. 54ff. 2 Bursian; Horstmann, S. 5 1 - 7 0 . 3 Benfey. 4 Engel, S. 2 2 3 - 3 7 8 ; Hammerstein, Jus; F. Wagner, S. 4 3 - 5 0 ; Dreitzel, S. 2 5 7 - 2 8 4 ; Iggers, S. 3 8 5 - 3 9 8 ; Weber, Priester; Jarausch, Institutionalization, S. 25^18. 5 Dünninger, Sp. 7 9 - 2 1 4 ; /. /. Müller. 6 Haenicke, Universitäten. 71. Jordan; Seidel-Vollmann, S. 14-35. 8 Windisch. 9 Grundlegend: Ludwigs-Universität; Baumgarten, Studien, S. 9 8 - 1 0 2 . 10 Haller, S. 239. Johannes Haller lehrte in Gießen von 1904 bis 1913 Mittelalterliche Geschichte. 11 Kekule, S. 121ff., 138f. 12 Immisch, S. 1-21; Gundel, Philologie, S. 192-221. 13 Babinger, Halbjahrhundert, S. 6 8 - 8 8 ; Jankuhn, S. 2 1 - 2 4 ; Spies, S. 3 0 0 - 3 0 4 . 14 Trapp; Leiß, S. 1 7 4 - 1 9 1 . 15 Gundel, Geschichtswissenschaft, S. 2 2 2 - 2 5 2 .
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Anmerkungen
zu S. 32-37
16 Behrens, S. 3 2 9 - 3 5 6 ; Haenicke, Universitäten, S. 164ff. 17 Kerber, S. 2 5 3 - 2 6 6 . 18 Gundel, Althistoriker, S. 9 5 - 1 0 5 . 19 E. Wagner, S. 2 6 - 2 9 . 2 0 Grundlegend: Geschichte Kiel. 2 1 Droysen, S. 195f., über den Antritt des geschichtswissenschaftlichen Ordinariats seines Vaters in Kiel im Jahr 1 8 4 0 . 2 2 Rote, S. 9 - 1 0 4 , bes. S. 34ff. 2 3 Hofmann, Philologie, S. 1 6 5 - 1 8 3 . 2 4 Wriedt, S. 81ff., 12Iff. 2 5 Ebd., S. 1 2 1 - 1 6 5 . 2 6 Kauffmann, Hugo Gering, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 5 0 , 1 9 2 6 , S. 345f.; Hofmann, Philologie, S. 185ff., 207ff. 2 7 G. Waitz, S. VII-XXVI; Droysen, S. 351ff.;Meeiz, bes. S. 117ff.; Wriedt, S. 152ff., 171ff. 2 8 Ebd., S. 189ff. 2 9 Hansen, Friedrich Christoph Dahlmann, in: Wehler, Historiker, S. 5 1 3 - 5 3 9 ; Rüsen, Johann Gustav Droysen, in: ebd., S. 1 1 5 - 1 3 1 ; Iggers, Heinrich von Treitschke, in: ebd., S. 174-188. 3 0 K. Jordan, S. 7 - 1 0 1 . 31 Ebd., S. 60ff. 32 Ebd., S. 72ff. 3 3 Ebd., S. 7 6 ; Hofmann, Christian-Albrechts-Universität, S. 4 5 . 3 4 Herrlitz, S. 1 2 1 - 1 3 8 . 35 Hofmann, Philologie, S. 1 8 3 - 2 3 5 . 3 6 Ebd., S. 2 3 5 - 2 5 0 . 3 7 Voretzsch, S. 5 1 - 8 5 ; Hofmann, Philologie, S. 2 5 0 - 2 7 3 . 38 Kraiker, S. 1 3 9 - 1 6 1 . 39 Tintelnot, S. 1 6 3 - 1 8 7 . 4 0 Grundlegend: Klauser, S. 2 3 5 - 3 3 6 ; Riese, S. 1 0 2 - 1 1 2 ; Die Nachfolger der Philosophischen Fakultät, S. 1 3 0 - 1 5 6 . 4 1 Diener, S. 2 6 . Hampe lehrte von 1903 bis 1 9 3 4 Mittelalterliche Geschichte in Heidelberg. 4 2 Wolgast, Die Universität Heidelberg, S. 77f. 4 3 Keller, S. 114ff.; Wolgast, Die Universität Heidelberg, S. 9 2 . 4 4 Keller, S. 1 0 9 f f ; Wolgast, Die Universität Heidelberg, S. 7 8 ; vgl. ferner unten, Kap. 2.1.1.1. 4 5 Seit 1 8 0 5 Extraordinarius und seit 1 8 0 7 Lehrstuhlinhaber, Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 2 9 8 . 4 6 Beide waren seit 1 8 0 7 Extraordinarien und erhielten 1 8 0 9 Ordinariate. Drüll, 1 8 0 3 1 9 3 2 , S. 2 4 , 2 7 8 . 4 7 Wiehl, S. 4 1 3 - 1 3 5 . 4 8 Brecht, S. 5 5 - 6 7 . 4 9 Die Hochschulausgaben betrugen 1892 im Reich pro Kopf der Bevölkerung 0 , 2 9 Mark. Baden investierte im selben Jahr in seine beiden Universitäten in Freiburg und Heidelberg und seine Technische Hochschule in Karlsruhe 0 , 6 5 Mark und lag damit an der Spitze im Reich. Zum Vergleich haben Bayern 0 , 3 2 Mark und Württemberg 0 , 3 7 Mark pro Kopf der Bevölkerung aufgewendet. Kupka, S. 193ff.; Pfetsch, Wissenschaftspolitik, S. 58f.; ferner ders., Wissenschafts-Ausgaben, S. 4ff.; Moraw, Grundlagen, S. 84. 5 0 Wolgast, Geschichtsschreibung, S. 1 5 8 - 1 9 6 .
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Anmerkungen zu S. 37-41 51 /. Lehmann, S. 2 0 5 - 2 3 9 ; Burkhardt, bes. S. 26ff. 52 Roth, S. 4 9 - 5 4 . 53 Riese, S. 105ff. 54 Plewe, Skizzen, S. 4 1 - 8 0 ; ders., Alfred Hettner, S. 5 1 6 - 5 3 4 . 55 Grundlegend: Institute der philosophischen Fakultät, S. 4 9 - 5 8 ; GA, Nr. 4 6 / 4 7 , 1987, S. 19-51. 56 Wilamowitz-Moellendorff, S. 202f. Wilamowitz lehrte seit 1883 als Altphilologe in Göttingen und wurde 1897 nach Berlin berufen. 57 Kempen, S. 1 - 2 3 ; Arndt/Staehelin, S. 4 9 - 5 1 . 58 Thadden, S. 4 6 - 6 7 . 59 G. Waitz, S. XXI; Wriedt, S. 171f. 6 0 Stackmann, S. 2 7 - 3 0 . 61 Stimming, S. 1 1 6 - 1 4 1 . 62 Das Fach der englischen Sprache spielte in Göttingen bereits im 18. Jahrhundert eine besondere Rolle und erhielt von 1762 bis 1789 einen Vertreter im Ordinarienrang. Da der Stifter der Göttinger Universität Kurfürst Georg August aus dem Hause Hannover auch König von Großbritannien war, sollte die Göttinger Professur - so wie das Kieler Ordinariat für Dänische Sprache und Literatur der dänischen - der Vermittlung der britischen Kultur dienen. Frank, S. 3 1 - 3 5 . 63 Während seiner Göttinger Zeit setzte sich Wilamowitz u.a. für die Berufungen von Wilhelm Meyer, Friedrich Leo und Wilhelm Schulze ein. Calder/Kosenina·, vgl. ebd., Nachwort, bes. S. 175ff. 6 4 Horn, S. 8 6 - 9 3 . 65 Classen, S. 2 3 - 2 6 . 6 6 Cramer/Patzig, S. 19-22. 67 NDB, Bd. 10, S. 8 7 - 8 9 . 68 ADB, Bd. 4 0 , S. 6 0 2 - 6 2 9 . 69 Boockmann, Blick, S. 4 3 - 4 6 ; ders., Geschichtsunterricht, S. 1 6 1 - 1 8 5 ; Fleckenstein, S. 2 3 9 - 2 6 0 ; Petke, S. 2 8 7 - 3 2 0 . 70 Westendorf, S. 3 7 - 4 2 . 71 Brugsch, S. 273: »Auf eine jüngere lebenslustige Kraft, welche die Welt und ihre größten Städte gesehen hat und auf den Reisen mit Menschen der verschiedensten Nationen in Berührung gekommen war, übt Göttingen mit der Zeit einen abspannenden Eindruck aus. Es liegt nicht an der Natur, an den Bergen und Wäldern in der Umgebung der Stadt, nicht an ihrer Kleinheit und dem beengenden Halsring in Gestalt des Walles, sondern wohl eher in dem Charakter ihrer Einwohner, der sich seit Heines Zeit wenig geändert zu haben scheint.« 72 Helck, S. 6ff.; Westendorf, S. 37f. 73 Dube/Unger, S. 8 1 - 8 4 . 74 Grundlegend: Κ. A. von Müller, Geist und Gestalt, Bd. 1; Boehm/Spörl, Ingolstadt; dies., Fakultäten; Weis, Beitrag, S. 1 0 7 4 - 1 0 8 6 . Zur Besetzung und Entwicklung der Lehrstühle vgl. für die Zeit von 1832 bis 1847 U. Huber, S. 602ff. 75 G. von Hertling, S. 381; soder Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst über die Berufung seines Freundes und Parteikollegen Georg von Hertling im Jahr 1882 nach München. Ehe der Ruf von Hertlings nach München kam, hegte man im preußischen Kultusministerium den Plan, Hertling gegen den Willen der Fakultät auf die katholische Philosophieprofessur in Breslau zu berufen. 76 München. Besetzung, S. 4 8 9 - 4 9 1 . 77 Κ. A. von Müller, S. 199-203.
305
Anmerkungen zu S. 42-45 78 Lutz, S. 14ff. 79 Zur Geschichtswissenschaft: Dickerhof-Fröhlich, Studium; dies., Geschichte, S. 2 5 7 - 2 8 0 ; Simon, Bd. 1, S. 147ff. Zur Philosophie: Wenzl, Jahre, S. 4 1 ^ 8 ; ders., Geschichte, S. 1 6 7 169; ders., Die Vertreter der Philosophie in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vom deutschen Idealismus bis zum kritischen Realismus, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, S. 5 0 - 6 2 . Die Aufteilung der Lehrstühle nach dem religiösen Bekenntnis hatte ihre Vorbilder in Breslau und Bonn. Dort bestimmte die Kabinettsordrevom26. September 1853, daß die Philosophie- und Geschichtsprofessuren mit je einem Katholiken und einem Protestanten zu besetzen seien. Engel, S. 334. 80 Müller, Aspekte, S. 1 8 5 - 2 5 5 . 81 Κ. A. von Müller, S. 1 7 3 - 1 7 5 . 82 Babinger, Jahrhundert, S. 2 4 1 - 2 6 9 . 83 Κ. A. von Müller, S. 191f.; Seidel-Vollmann. 84 Κ. A. von Müller, S. 189f.; Haenicke, Universitäten, S. 158ff. 85 Weis, Beitrag, S. 1074, stellte fest, daß vier Fünftel der selbständigen Lehrfacher der Philosophischen Fakultät um 1975 erst seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Boehm/Spörl, Ingolstadt, S. 345. 86 Κ. A. von Müller, S. 1 7 7 - 1 8 0 ; Dölger, Die Byzantinisten der Akademie. Jacob Philipp Fallmerayer, Karl Krumbacher, August Heisenberg, in: Geist und Gestalt, Bd. 1, S. 1 4 0 - 1 5 7 . 87 Spindler, S. 1 6 8 - 1 7 3 . Vgl. auch Heisenberg, in: Zils, S. 160f. 88 Κ. A. von Müller, S. 181f.; Lehmann, Ludwig Traube, in: Geist und Gestalt, Bd. 1, S. 158-163. 89 Κ. A. von Müller, S. 1 7 5 - 1 7 7 ; Berve, Robert von Pöhlmann und Walter Otto, in: Geist und Gestalt, Bd. 1, S. 1 8 6 - 1 9 5 ; Simon, Bd. 1, S. 177ff. 9 0 HJb, Jg. 5 2 , 1 9 3 2 , S. 1 3 3 - 1 3 6 . 91 Κ. A. von Müller, S. 183f. 92 Ebd., S. 182f. 9 3 Eisner, S. 2 8 1 - 3 0 1 . 9 4 Κ. A. von Müller, S. 193; Koschmieder, Erich Berneker, in: Geist und Gestalt, Bd. 1, S. 174-180. 95 Κ. A. von Müller, S. 1 6 6 - 1 6 8 ; Schumak. 9 6 Simon, Bd. 1, S. 175ff. 97 Heibig, S. 87. 98 Alte Geschichte - 1891; Neuere Kunstgeschichte - 1896. 9 9 Boehm, Bildungswesen, S. 1024. 100 Grundlegend: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 0 1 - 2 6 6 ; Balk, S. 1 0 1 - 1 2 5 ; Leussink; Smend, Friedrich-Wilhelms-Universität, S. 20ff.; Buddensieg, Disziplinen; Boschan, Zur Entwicklung. 101 Brandl, S. 251. Der Anglist Brandl lehrte von 1895 bis 1923 in Berlin. Das Zitat bezieht sich auf die Berliner Professorenkreise um 1900. 102 Eulenburg, Nachwuchs, S. 8. Die von Eulenburg für das Jahr 1907 angegebenen Zahlen liegen zwar stets höher als die hier errechneten, dennoch bleibt der ordentliche Lehrkörper der Berliner Philosophischen Fakultät im Vergleich zu denen der anderen Universitäten der größte, auch gegenüber Leipzig. Ebenso hatten die Berliner Juristische und Medizinische Fakultät die größten planmäßigen Lehrkörper unter den deutschen Universitäten. Beide wurden allerdings von der österreichischen Universität in Wien übertroffen. 103 Dernburg, S. 2. 104 mischedel, Einleitung, S. XX.
306
Anmerkungen
zu S. 45-48
105 ADB, Bd. 43, S. 7 3 7 - 7 4 8 . 106 Wissenschaft in Berlin, S. 139ff. 107 Weischedel, Einleitung, S. XXXIIf. 108 Stumpf, Das psychologische Institut, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 0 2 - 2 0 7 ; ders., S. 218ff.; Geuter, Psychologie, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 142-147. 109 Hubig, Philosophie, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 3 0 - 3 7 . 110 Zur Klassischen Philologie: Vahlen, Das philologische Seminar, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 0 8 - 2 1 6 ; Wilamowitz-Moellendorff, Das Institut für Altertumskunde, in: ebd., S. 2 1 6 - 2 1 9 ; Jaeger, S. 4 5 9 ^ 8 5 ; Irmscher, S. 3 5 5 - 3 6 0 ; Kytzler, Klassische Philologie, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 9 6 - 1 0 1 . Zur Klassischen Archäologie: Kekule von Stradonitz, Der archäologische Apparat, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 1 9 - 2 2 2 ; Matz, S. 5 8 1 - 6 1 3 ; Borbein, Klassische Archäologie, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 102-107. 111 Lenz/Tangl, Das historische Seminar, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 4 7 - 2 6 3 ; Schilfert, S. 15-33; Meyer, Geschichte, S. 6 2 5 - 6 4 7 ; Düwell, Geschichte, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 110-115; Simon, Bd. 1, S. 8 1 - 1 4 3 . 112 Escher, Leopold Ranke, in: Ribbe, Bd. 4, S. 1 0 9 - 1 2 5 . 113 Awerbuch, Heinrich von Treitschke, in: ebd., S. 2 0 9 - 2 3 0 . 114 N D B , Bd. 14, S. 2 3 1 - 2 3 3 . 115 Oestreich, O t t o Hintze, in: Ribbe, Bd. 4, S. 2 8 7 - 3 0 9 . 116 Bremische Biographie 1969, S. 4 3 3 - 4 3 5 . Vgl. ferner in seiner Autobiographie über seine Amtszeit in Berlin: Schäfer, S. 140ff. 117 Baumann, Friedrich Meinecke, in: Ribbe, Bd. 4, S. 3 1 1 - 3 2 3 . 118 Roethe, Das germanische Seminar, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 2 2 - 2 3 3 ; Richter, S. 4 9 0 - 5 0 6 ; Denneler/Miller, Germanistik, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 8 8 - 9 5 ; Höppner, S. 771-777. 119 Windisch, S. 67ff.; Lohmann, S. 4 4 9 - 4 5 8 ; Schlerath, Franz Bopp, in: Ribbe, Bd. 4, S. 55-72. 120 Essner, Karl Richard Lepsius, in: Ribbe, Bd. 4, S. 143-155; Helck, S. 6ff. 121 Galsterer, Theodor Mommsen, in: Ribbe, Bd. 4, S. 175-194. 122 Alsdorf, S. 5 6 7 - 5 8 0 . 123 T o b l e r / M o r f , Das Seminar fur romanische Philologie, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 3 0 - 2 3 3 . 124 Wölfflin, Der Apparat fur Vorlesungen über neuere Kunstgeschichte, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 265f.; Löhneysen, Kunstgeschichte, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 116— 121. 125 Brandl, Das Seminar für englische Philologie, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 3 3 - 2 3 8 ; Graband, S. 16-24; Haenicke, Universitäten; Scheler. 126 Die Kabinettsordre vom 15. Januar 1841 sah die Gründung slawistischer Lehrstühle an den Universitäten in Breslau und Berlin vor. Während Breslau gleich im darauffolgenden Jahr einen Lehrstuhl erhielt, verzögerte sich die Einrichtung eines Lehrstuhls in Berlin bis nach der Reichsgründung. Bielfeldt, Slavisches Institut, S. 3 5 - 4 3 ; ders., Slavistik, S. 2 6 7 - 2 8 0 ; Vasmer, S. 545-553. 127 Alte Geschichte (1886), Neuere Geschichte (1890), Philosophie und Pädagogik (1893). 128 Delitzsch, S. 2 4 1 - 2 4 6 . 129 Kretzschmar, Das musikhistorische Seminar, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 266f. 130 Schiemann, Das Seminar für osteuropäische Geschichte und Landeskunde, in: Lenz,
307
Anmerkungen
zu S.
48-52
Geschichte, Bd. 3, S. 2 6 3 - 2 6 5 ; Engel, S. 370ff.; Giertz, S. 1 8 3 - 2 1 7 ; Kuebart, Hildermeier, S. 1 0 2 - 1 2 1 .
S. 6 5 7 - 6 7 2 ;
131 Rockel, S. 1 9 7 - 2 0 1 . 1 3 2 Erst bei der Einrichtung von 1 9 1 2 handelte es sich ausschließlich um eine Professur für Sinologie, während der 1 8 8 9 nach Berlin berufene Georg von der Gabelentz die Ostasiatischen Sprachen noch zusammen mit der Allgemeinen Sprachwissenschaft zu vertreten hatte. Außerhalb der Universitäten war die Sinologie erstmals am Kolonialinstitut in Hamburg, aus dem im wesentlichen die spätere Universität hervorging, seit 1 9 0 9 als planmäßiges Ordinariat vertreten. Auf der Ebene des Extraordinariats war Leipzig Berlin zuvorgekommen; das 1 8 9 7 bewilligte Leipziger Extraordinariat wurde jedoch erst 1 9 2 2 zum Ordinariat angehoben. Hämisch, S. 5 5 4 - 5 6 6 ; tränke, S. 12ff. 1 3 3 Lenz, Perioden, S. 4 5 8 f . Seine Phaseneinteilung beruhte auf der Entwicklung des Lehrkörpers und der Studentenfrequenz. Danach dauerte der Aufstieg der gesamten Universität bis in die dreißiger Jahre hinein an. Es folgte in der zweiten Phase bis in die sechziger Jahre zunächst ein Rückgang im Lehrkörper und der Studentenschaft, der noch im selben Jahrzehnt von einem erneuten Wachstumsschub abgelöst wurde. U m und nach der Reichsgründung, mit der Berlin Hauptstadt wurde, erlebte die Universität einen jähen Abstieg. Leipzig überholte Berlin und setzte sich an die Spitze der Universitäten. In der dritten Phase, die bis 1 9 1 4 andauerte, gewann Berlin dank eines überaus großzügigen Ausbaus seine Vorrangstellung zurück. 1 3 4 Vgl. auch McClelland, 135 So Stökl,S.
Berlin, S. 1 8 1 - 1 9 7 .
16.
1 3 6 Simon, Bd. 1 , S . 116ff. 1 3 7 Lenz, Geschichte, Bd. 2 , 2 , S. 3 7 3 , Anm. 1. 138 Sachau, Das Seminar für orientalische Sprachen, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 3 9 2 4 7 ; ders. 1 3 9 Vgl. zum folgenden im Anhang Tab. 3. 1 4 0 Cobb, S. 57ff. 141 A D B , Bd. 12, S. 4 1 5 ^ 1 7 . 142 Der 1 8 3 7 entlassene und 1 8 4 8 zurückberufene Orientalist Heinrich Ewald wurde 1 8 6 7 wiederum aus politischen Gründen entlassen, da er als Anhänger des Hauses Hannover den Huldigungseid an den preußischen König verweigerte; ein Jahr später wurde ihm auch die venia legendi entzogen. N D B , Bd. 4 , S. 696f.; Perlitt, S. 166ff., 206ff. 1 4 3 Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 1 3 1 ; N D B , Bd. 11, S. 1 3 4 . 1 4 4 Wolgast, Geschichtsschreibung, S. 1 5 8 - 1 9 6 . 1 4 5 N D B , Bd. 13, S. 6 4 4 f . 1 4 6 Ebd., Bd. 9 , S. 313f. 1 4 7 Ebd., Bd. 5, S. 19f. 1 4 8 Lenz, Geschichte, Bd. 2 , 2 , S. 2 9 2 . 1 4 9 Als Beispiele für die anderen Universitäten ist zunächst der Bonner Historiker Ernst Moritz Arndt zu nennen, der wegen demagogischer Umtriebe 1 8 1 8 vom Dienst suspendiert wurde und trotz Rehabilitation bis 1 8 4 0 keine Vorlesungen halten durfte. Seine Stelle wurde in den anschließenden 2 0 Jahren nicht wiederbesetzt. Ascherson, S. 6. Ferner war der Jenaer Philosoph Jakob Fries in die Untersuchungen um die Ermordung Kotzebues verwickelt und wurde 1 8 1 9 vom Lehramt suspendiert, aber nach fünf Jahren wieder rehabilitiert. N D B , Bd. 5, S. 608f. In Leipzig waren Moritz Haupt, O t t o Jahn und Theodor Mommsen 1 8 5 1 wegen ihrer Aktivitäten im Deutschen Verein des Hochverrats angeklagt und amtsenthoben worden. N D B , Bd. 8, S. 1 0 1 ; Galsterer, Theodor Mommsen, in: Ribbe, Bd. 4 , S. 1 8 2 .
308
Anmerkungen zu S. 53-59 150 Petersilie, S. 67; Eulenburg, Frequenz, S. 256; Maercker, S. 148ff.; Titze, Überfullungskrisen, S. 203f.; ders., Akademikerzyklus, S. 39ff., 61ff., 74ff., 97 ff.; ders. u.a. S. 98f. 151 Köpke, S. 93ff.; Lenz, Geschichte, Bd. 1, S. 305ff.; Muhlack, S. 324ff. 152 Zit. nach mischedel, Einleitung, S. XXXII. 153 lenz, Geschichte, Bd. 2,2, S. 292. 154 Vgl. Eggers, Georg-August-Universität Göttingen, in: Boehm/Müller, S. 163; Baumgarten, Göttingen, S. 3Iff. 155 Zu Jena und Rostock vgl. Kap. 1.1.2.4, ferner Kap. 3.1.2.3. 156 Grundlegend Pfetsch, Institutionalisierung. 157 Kümmel, S. 263; Engel, S. 372. 158 Im Fach der Romanistik 1838, Seidel-Vollmann, S. 30. 159 In den Fächern Slawische Philologie (1842) und Assyriologie (1893), Kuebart, S. 658; Delitzsch, S. 243. »Breslau spielte in den folgenden Jahrzehnten mehrfach die Rolle einer akademischen Experimentieranstalt, und zwar in der Weise, daß Wissenschaftsdisziplinen, die noch keine akademische Tradition hatten, hier zunächst eine Bewährungschance erhielten, ehe sie dann auch an der Berliner Universität als der preußischen Musteranstalt eingeführt wurden.« ]. ]. Müller, S. 89. 160 Im Fach der Germanistik 1811, Burkhardt, S. 8ff. 161 In den Fächern Anglistik (1872) und Musikwissenschaft (1897), Haenicke, Universitäten, S. 135; Kümmel, S. 263. 162 Die Germanistiklehrstühle wurden in folgender zeitlicher Reihenfolge eingerichtet: Tübingen - 1811, Göttingen - 1813, Bonn - 1818, Breslau - 1818, Berlin - 1824, München - 1835, Leipzig - 1843, Heidelberg - 1852, Erlangen - 1852, Kiel - 1854, Rostock - 1858, Freiburg - 1863, Gießen - 1867, Marburg - 1868, Straßburg- 1872, Greifswald - 1874, Jena - 1876; die Gründungsdaten der Germanistiklehrstühle an den Universitäten in Würzburg, Halle und Königsberg sind nicht bekannt. Burkhardt; Germann; Brauer; Müller, Aspekte, S. 193; Schubel, S. 77. 163 Bei den neusprachlichen Fächern Romanistik und Anglistik werden im folgenden ausschließlich die Gründungsdaten der Einzelprofessuren berücksichtigt. Die Gründungsjahre der Doppelprofessuren für beide Fachgebiete, von denen die letzte 1879 in Kiel eingerichtet wurde, wurden außer acht gelassen. Halle - 1838, Wien - 1860, Leipzig - 1862, Berlin 1870, Straßburg - 1872, Bonn - 1876, Greifswald - 1881, Breslau - 1883, Freiburg - 1883, Heidelberg - 1890, Gießen - 1891, Göttingen - 1892, Kiel - 1892, Jena - 1893, Marburg 1896, München - 1896, Würzburg - 1900, Königsberg - 1901, Tübingen - 1903; nicht bekannt sind die Daten der Lehrstuhlgründungen in Erlangen und Rostock. Seidel-Vollmann, S. 25ff. 164 Straßburg - 1872, (Wien - 1874), Berlin - 1876, Halle - 1876, Leipzig - 1880, Bonn - 1886, Breslau - 1886, Göttingen - 1888, München - 1896, Würzburg - 1898, Erlangen 1898, Freiburg - 1900, Heidelberg - 1902, Königsberg - 1902, Kiel - 1902, Tübingen 1906, Gießen - 1908, Marburg - 1 9 0 9 , Greifswald - 1909, Rostock - 1922, Jena - 1926. Vgl. grundlegend, Haenicke, Universitäten; Finkenstaedt, S. 54ff. 165 Göttingen - 1856, Berlin - erster Lehrstuhl 1861, zweiter Lehrstuhl 1886, Marburg 1864, Bonn - 1865, Kiel - 1866, Straßburg - 1872, Jena - 1876, Erlangen - 1886, Leipzig 1886, Heidelberg- 1891, München - 1901, Tübingen - 1907, Gießen - 1912. Engel, S. 341, ging davon aus, daß die Einrichtung von Lehrstühlen in der Alten Geschichte bis Ende der achtziger Jahre weitgehend abgeschlossen war. Dies mochte fur die preußischen Universitäten zutreffen; an den nichtpreußischen Hochschulen setzten dagegen erst seit den neunziger Jahren die Lehrstuhlgründungen für Alte Geschichte ein.
309
Anmerkungen zu S. 59-63 166 Berlin - 1810, Bonn - 1819, München - 1840, Heidelberg - 1 8 0 4 / 4 7 , Göttingen 1854, Tübingen - 1865, Straßburg - 1872, Marburg - 1888, Kiel - 1895, Gießen - 1898. 167 Bonn - 1860, Tübingen - 1865, Straßburg - 1872, Berlin - 1873, Leipzig - 1873, Göttingen - 1893, Heidelberg - 1896, Kiel - 1902, München - 1906, Marburg - 1913, Rostock - 1919, Gießen - 1920. 168 Breslau - 1842, Wien - 1850, Berlin - 1874, Leipzig - 1876, München - 1911. Jagoditsch; Bielfeldt, Slavisches Institut; ders., Slavistik; Kuebart; Rösel; Schlimpert. 169 Berlin - 1 8 4 6 , Göttingen - 1 8 6 7 , Straßburg - 1 8 7 2 , Leipzig - 1 8 7 5 , München - 1 9 0 6 , Bonn - 1920, Heidelberg - 1922. Blumenthal, S. 5 8 5 - 5 9 1 ; Helck. 170 Breslau - 1893, Berlin - 1899, Leipzig - 1900. 171 Straßburg- 1897, Berlin- 1904,München 1909 usw., ferner Göttingen - persönliches Ordinariat 1920, Heidelberg - 1922. Kümmel; Zenck; Staehelin. 172 Minis, S. 9 1 - 9 9 . 173 Zur Literatur fur Kiel, Göttingen und München siehe oben in den Einzelkapiteln zu den Lehrstuhlentwicklungen. 174 Über die Hälfte der in Berlin gegründeten geisteswissenschaftlichen Lehrstühle wurde mit Lehrstuhlinhabern besetzt; in München war es zum Vergleich nur etwa ein Drittel, in Heidelberg ein Fünftel und in Göttingen wurde auf keine der neueingerichteten Professuren ein Ordinarius berufen. 175 Sowohl der erste Sinologe als auch der erste Keltologe wurden aus dem Ordinarienrang berufen, während die beiden Historiker aus dem eigenen Nachwuchs kamen. 176 Heibig, S. 79ff.; Rathmann, S. 146ff., 212ff. 177 Anrieh, Geschichte, S. 12Iff.; Nebelin, S. 6 1 - 6 8 ; vgl. auch Brocke, Wissenschaftsverwaltung, S. 9 ff. 178 G. von Seile, S. 317. 179 Baumgarten, Göttingen, S. 33ff. 180 Brocke, Marburg, S. 3 6 7 - 5 4 0 . Eine Gesamtdarstellung der jüngeren Marburger Universitätsgeschichte von 1866 an ist in Vorbereitung. Dort wird u.a. dem Aufschwung der Universität nach dem Übergang an Preußen nachgegangen, vgl. Als die »Alte Uni« endlich fertig war, gefiel sie längst nicht allen, in: Frankfurter Rundschau v. 24.10.1991, Nr. 2 4 7 , S. 32. 181 Baumgarten, Göttingen, S. 33f. 182 Lorey, Studium; Schubring, Entstehung; ders., Entwicklung, S. 2 6 4 - 2 7 8 ; Scharlau. 183 Krajft, S. 1 2 3 - 1 6 2 . 184 Weyer, S. 1 1 3 - 1 2 1 ; Meinel, Sozialgeschichte, S. 1 4 7 - 1 6 8 ; ders., Artibus Academicis Inserenda, S. 8 9 - 1 1 5 . 185 Guntau, Herausbildungsprozeß, S. 1 - 1 3 . 186 Engelmann; Ehlers/Meynen, S. 1 5 1 - 1 7 3 . 187 Grundlegend: Ludwigs-Universität; Baumgarten, Studien, S. 1 1 8 - 1 2 2 . 188 Esselborn,S. 20. Liebig wirkte von 1824 bis 1852 in Gießen als Ordinarius der Chemie und wechselte dann nach München, wo er bis zu seinem Tod 1873 lehrte. 189 Lorey, Physik im 17. und 18. Jahrhundert, S. 1 4 - 3 9 ; ders., Physik im 19. Jahrhundert, S. 8 0 - 1 3 2 . 190 Brauns; Rösch, Jahre, S. 2 2 - 5 3 . 191 Stieda, S. 1 5 2 - 1 8 7 ; Moraw, Geschichte, S. 91ff. 192 Esselborn, S. 14, 16. 193 Ebd., S. 24; vgl. auch Liebig, S. 9 8 - 9 9 .
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Anmerkungen zu S. 64-68 194 Volhard; ADB, Bd. 18, S. 5 8 9 - 6 0 5 ; NDB, Bd. 14, S. 4 9 7 - 5 0 1 ; Moraw, Geschichte, S. 1 3 5 - 1 4 4 ; Meinel, Artibus Academicis Inserenda, S. 106f. 195 Heuss-Knapp, S. 39f. 196 Weihrich; Hock, S. 2 8 8 - 3 0 7 . 197 »... aber in den Fächern der Naturwissenschaften wirkte die ausgeartete philosophische Forschung, wie sie Oken und schlimmer noch in Wilbrand sich verkörpert hatte, auf das schädlichste ein, denn sie hatte in dem Vortrag und Studium zu einer Nichtachtung der nüchternen Naturbeobachtung und des Experiments gefuhrt, die für viele begabte junge Männer verderblich wurde.« Esselborn, S. 14. 198 Ankel, S. 3 0 8 - 3 4 0 . 199 Lorey, Vergangenheit, S. 4 7 - 7 5 ; ders., Mathematik an der Universität Gießen, S. 5 4 9 7 , 4 6 - 5 0 ; Scharlau, S. 1 1 1 - 1 1 6 . 200 Panzer, S. 3 4 1 - 3 4 6 ; Uhlig, S. 1 4 - 1 6 . 201 Grundlegend: Geschichte Kiel. 202 Ladenburg, S. 52f. Ladenburg war von 1872 bis 1889 in Kiel als Ordinarius für Chemie tätig und wechselte dann nach Breslau. 203 J. Schönbeck, S. 9 - 5 8 ; Scharlau, S. 1 8 3 - 1 8 8 . 204 Dann, S. 9 4 - 1 2 6 . Vgl. ferner zu den Bemühungen der Universität in der Mitte der vierziger Jahre, das Niveau der naturwissenschaftlichen Studien zu heben: Uber die Besetzung, S. 86f. 205 Ch. Schönbeck, S. 5 9 - 9 3 . 2 0 6 Baumgarten, Göttingen, S. 35ff. 207 Gripp, S. 1 8 7 - 2 0 0 ; Wetzel, S. 1 8 0 - 1 8 6 . 208 Remane, S. 1 6 1 - 1 7 9 . 2 0 9 Overbeck, S. 1 2 7 - 1 6 0 . 2 1 0 Ch. Schönbeck, S. 84ff. 211 Schienger/Wenk, S. 2 0 1 - 2 2 9 ; Pfaffen/Stewig. 212 Zunächst Leo Pochhammer 1877 sowie alle Vertreter auf dem ersten Lehrstuhl von 1899 an bis 1914: Paul Stäckel, Lothar Heffter, Georg Landsberg, Heinrich Jung. Vgl. /. Schönbeck, S. 39f. 213 Lehrerund Institute, S. 4 2 7 - 4 4 8 ; Kiese, S. 1 3 4 - 1 5 3 ; Die Nachfolger der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät; R. Neumann, S. 1 1 0 - 1 2 9 ; Gerstner, S. 72ff. 214 Koenigsberger, Leben, S. 82. Koenigsberger übernahm 1868 den mathematischen Lehrstuhl. 215 Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 264; Wolgast, Die Universität Heidelberg, S. 74f., 81f. 2 1 6 Haxel, S. 7 3 - 7 8 . 2 1 7 Rosenbusch, S. 204f.; Schüller, S. 419. 218 Die Medizinische Fakultät erhielt an ihrer Stelle ein Ordinariat fur organische Chemie und Toxikologie, dem späteren pharmakologischen Lehrstuhl. Freudenberg, S. 8 7 - 9 2 ; BeckeGoehring, S. 3 3 2 - 3 6 0 ; Dorsch, S. 6 5 - 7 6 . 219 Stübler. 220 Querner, S. 3 1 7 - 3 2 8 . 221 Zum fruchtbaren wissenschaftlichen Klima jener Jahre in Heidelberg vgl. Koenigsberger, Leben, S. 83ff. 222 Wolgast, Die Universität Heidelberg, S. 103. 223 Liebig an Wöhler in einem Brief vom 11.04.1852, in: Brock, S. 379f. 2 2 4 W. Prandtl, S. 27. 225 Kollnig, S. 1 1 9 - 1 2 6 ; Riese, S. 148ff.
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Anmerkungen zu S. 68-72 226 Lehrer und Institute, S. 417f. 2 2 7 Riese, S. 153. 228 Riese, S. 145f.; Scharlau, S. 1 5 5 - 1 6 8 . 229 Freudenberg, S. 92. 2 3 0 Grundlegend: Institute der philosophischen Fakultät, S. 5 8 - 8 2 ; GA, Nr. 4 6 / 4 7 , 1 9 8 7 , S. 5 3 - 8 0 . 2 3 1 Reidemeister, S. 78. Hilbert war von 1895 bis 1930 Professor der Mathematik in Göttingen. 232 Vgl. Eulenburg, Nachwuchs, S. 8, Stand vom 1. Juli 1907. Eulenburg zählte unter den naturwissenschaftlichen Ordinarien offenbar die Kameralwissenschaftler mit, denn seine Angaben sind für fast alle naturwissenschaftlichen Fächergruppen höher als die in dieser Untersuchung errechneten Ordinarienzahlen. Dennoch wird deutlich, daß unter den nicht untersuchten Universitäten nur die naturwissenschaftlichen Fächergruppen in Leipzig und Breslau an das Spitzenfeld heranreichten, hinter Göttingen aber zurückblieben. 233 NDB, Bd. 2, S. 329f.; Ehlers, Zoologen, S. 398ff. 2 3 4 Institute der philosophischen Fakultät, S. 67f.; Martin, S. 3 - 2 1 ; Walliser/Alberti, S. 73-76. 235 Institute der philosophischen Fakultät, S. 6 5 - 6 7 ; Wedepohl, S. 6 9 - 7 2 . 2 3 6 H. Weber, S. 24ff. 237 »Wer demnach Lust in sich verspürte, die mathematischen Studien höher zu treiben, wandte sich damals vorzugsweise nach Berlin oder noch weiter nach Königsberg ... Es ist bemerkenswert, dass dieselben nicht nach Güttingen zu Gauß gingen; Gauß, in einsamer Höhe thronend, machte keine Schule«, Bauer, S. 7. Vgl. ferner Reich, S. 4 - 1 3 ; Deubring, S. 1 4 - 1 8 ; Heckmann, S. 19-23. Zur Biographie: NDB, Bd. 6, S. 1 0 1 - 1 0 7 , mit weiterführender Literatur; Biermann, Gauß. 238 Institute der philosophischen Fakultät, S. 7 4 - 7 7 . 2 3 9 H. Weber, S. 86ff. 2 4 0 Ebd., S. 78f.; Hund, Geschichte der Göttinger Physik, S. 37ff. 241 Institute der philosophischen Fakultät, S. 69. 242 Ebd., S. 63f.; Ehlers, Zoologen, S. 457ff. 243 Die Professur gehörte bereits für kurze Zeit, von 1775 bis 1778, zur Philosophischen Fakultät. Offenbar war diese Phase nur als >Bewährungsprobe< fur den angestellten Johann Friedrich Gmelin gedacht, der danach in die Medizinische Fakultät wechselte. Meinel, Sozialgeschichte, S. 158ff. 2 4 4 Institute der philosophischen Fakultät, S. 8 0 - 8 2 . 245 Tammann, S. 2 1 - 2 5 . 246 Nach Glemser, S. 66, wurde das Extraordinariat Zsigmondis bereits 1911 in ein persönliches Ordinariat umgewandelt. Nach Auskunft des Göttinger Universitätsarchivs geht jedoch aus der Personalakte hervor, daß Zsigmondi erst 1919 ein persönliches Ordinariat erhielt. Vgl. auch Jahrbuch der Philosophischen Fakultät 1921, 1. Hälfte, II. Mathematischnaturwissenschaftliche Abteilung, S. V. 2 4 7 Glemser, S. 6 1 - 6 8 ; Franck, S. 5 3 - 6 7 . 248 Klein, Professoren, S. 27f. 249 Ebd., S. 28. 2 5 0 L. Prandtl, S. 3 0 7 - 3 1 0 ; Manegold, S. 85ff.; Tobies, S. 8 7 - 1 0 8 . 2 5 1 Bartels, S. 2 4 - 3 2 ; Hund, Höhepunkte, S. 9 9 - 1 0 8 ; ders., Geschichte der Physik, S. 5 3 60; ders., Geschichte der Göttinger Physik. 252 Neuenschwander/Burmann, S. 1 7 - 2 8 ; Scharlau, S. 1 1 7 - 1 2 8 .
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Anmerkungen zu S. 71-77 253 Hund, Höhepunkte, S. 104ff.; ders., Geschichte der Physik, S. 60ff. 254 Wagner, Universitätsunterricht, S. 1 - 2 0 , 9 7 - 1 0 6 ; Denecke, S. 7 7 - 8 0 . 255 Grundlegend: Κ. A. von Müller; Geist und Gestalt, Bd. 2; Weis, Beitrag, S. 1 0 6 4 - 1 0 7 4 . Vgl. ferner für die Zeit von 1832 bis 1847 U. Huber, S. 602ff. 256Hoepke,S. 150, Brief vom 23.03.1855. Der Physiker Jolly wechselte zum WS 1 8 5 4 / 5 5 von Heidelberg nach München, wo er bis 1884 wirkte. 257 Es handelte sich um den Mathematiker und Experimentalphysiker Konrad Dietrich Martin Stahl und den Chemiker und Mineralogen Johann Nepomuk Fuchs. 258 Heigel, Akademie, S. 27ff. 259 Uebele, S. 24ff. 260 Ebd. 261 Κ. A. von Müller, S. 3 0 0 - 3 1 5 ; Frisch, Zoologie, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, S. 2 4 8 255; Autrum, S. 3 7 - 4 2 . 262 Κ. A. von Müller, S. 2 6 1 - 2 6 6 ; Faber/Wilkens, Astronomie, in: Geist und Gestalt, Bd. 2 , S. 4 6 - 5 2 . 263 Κ. A. von Müller, S. 2 9 7 - 3 0 0 ; Maucher, Geologie, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, S. 2 7 0 275; Martin. 2 6 4 Κ. A. von Müller, S. 2 9 5 - 2 9 7 . 265 Ebd., S. 2 8 7 - 2 9 0 ; Renner, Botanik, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, S. 2 5 6 - 2 6 9 ; B. Huber, S. (197)-(204); Schreiber/Poelt, S. 146-156. 2 6 6 Κ. A. von Müller, S. 223f.; Romeis, Anthropologie, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, S. 232f.; K. Henning. 267 Für die Mathematik: Gericke/Uebele, S. 3 9 0 - 3 9 9 . 268 Vgl. unten, Kap. 2.2.2.1. 269 Scharlau, S. 2 2 3 - 2 3 2 . 270 Κ. A. von Müller, S. 2 0 7 - 2 1 1 , 2 9 0 - 2 9 2 ; Gerlach, Physik, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, S. 7 0 - 1 1 6 ; Uebele; A. Hermann, S. 1 6 3 - 1 7 2 . 271 Κ. A. von Müller, S. 2 1 1 - 2 1 6 ; Kallinich. 272 Engelmann, S. 61f. 273 Κ. A. von Müller, S. 2 2 1 - 2 2 3 ; Louis, Geographie, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, S. 2 8 1 291; ders., S. 2 1 - 5 0 ; Wilhelm, S. 9 - 2 1 . 2 7 4 Wieland, S. 3f.; W. Prandtl; Pummerer, Chemie, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, S. 1 3 3 218. 275 Grundlegend: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 6 7 - 3 9 7 ; Balk, S. 1 2 9 - 1 5 8 ; Leussink, S. 7 5 7 - 9 0 2 ; Buddensieg, Disziplinen; Boschan, Zur Entwicklung. 2 7 6 Fischer, Leben, S. 141f., über seine Berufung auf den chemischen Lehrstuhl in Berlin im Jahr 1892. 2 7 7 Nach Eulenburg, Nachwuchs, S. 8, verfugte Wien bereits 1907 über 24 naturwissenschaftliche Ordinariate. 278 Zeil, S. 208ff. 279 Der unter den Ordinarien der Philosophischen Fakultät des WS 1 8 1 0 / 1 1 genannte Jabbo Oltmanns trat sein Ordinariat nicht an und lehnte seinen Ruf erst am 20.8.1812 ab. Dernburg, S. 2. Im Jahr 1824 wurde er nochmals für Angewandte Mathematik berufen und lehrte dann in Berlin bis zu seinem Lebensende 1833. Vgl. Ascherscm, S. 239; ferner Folkerts, Oltmanns, S. 109ff. 2 8 0 Zit. in: Biermann, Programm, S. 144. 281 U.a. in Kiel vgl. oben, Kap. 1.2.1.2; }. Schönbeck, S. 39f. Zur Berliner Mathematik: Frobenius u.a., Das mathematische Seminar, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 7 2 - 2 7 5 ;
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Anmerkungen zu S. 77-79 Biermann, Mathematik; ders., Einflußnahme, S. 9 3 - 1 1 2 ; Mehrtens, Mathematik, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 38—13; Scharlau, S. 2 5 - 4 7 . 282 Folkerts, Humboldt, S. 1 0 3 - 1 3 1 . 283 Biermann, Programm, S. 145; Jahn, Einwirkung, S. 1 3 1 - 1 4 4 ; Biermann, Wissenschaftsförderung. 2 8 4 Zit. nach Jahn, Vertretung, S. 261. 285 Engler, Das botanische Museum, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 3 9 7 - 4 0 8 ; Höxtermann, S. 3 6 0 - 3 8 4 ; Jahn/Sucker, S. 1 8 9 - 2 0 2 ; Νatho/Schmidt, S. 2 0 8 - 2 1 4 . 2 8 6 Hertwig, Das anatomisch-biologische Institut, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 1 4 1 154; Schulze, Das zoologische Institut, in: ebd., S. 3 6 3 - 3 7 2 ; Tembrock, Zoologie, S. 1 8 5 196; ders., Zoologisches Institut, S. 1 0 7 - 1 2 5 ; Jahn, Vertretung, S. 2 6 0 - 2 8 0 . 287 W. Foerster; ders., Die Sternwarte und das astronomische Recheninstitut, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 440—444; Balk, S. 1 3 3 - 1 3 6 ; Knobloch, Astronomie, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 44—19; ders./Weiß, Astronomen und Astrophysiker in Berlin, in: Ribbe, Bd. 1, S. 7 9 - 9 0 . Auch an dem Bau der neuen, 1835 fertiggestellten Sternwarte hatte A. von Humboldt entscheidend mitgewirkt. Jahn, Einwirkung, S. 135. 288 Die historische Geographie stand von ihren Inhalten her den Geisteswissenschaften näher, sie wurde aber wegen ihrer Verknüpfung mit der physischen Geographie der naturwissenschaftlichen Fächergruppe zugeordnet. Kiepert, S. 2 9 7 - 3 0 1 ; Penck, Das geographische Institut, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 3 4 3 - 3 5 0 ; Engelmann; Zögner, Geographie, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 8 4 - 8 7 ; Paulukat, S. 1 7 4 - 1 9 0 . 289 Liebisch, Das mineralogisch-petrographische Institut und Museum, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 3 1 0 - 3 1 9 ; Branca, Das geologisch-paläontologische Institut und Museum, in: ebd., S. 3 1 9 - 3 4 3 . 2 9 0 Schwendener, Das botanische Institut, in: ebd., S. 3 8 9 - 3 9 2 . 291 Das Institut war als wissenschaftliche Abteilung des Königlichen Statistischen Bureaus bereits 1847 unter Mithilfe A. von Humboldts gegründet und 1885 an die Universität gezogen worden. Hellmann, Das meteorologische Institut, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 4 4 4 - 4 4 6 ; Balk, S. 1 3 1 - 1 3 3 , Jahn, Einwirkung, S. 135. 292 Wissenschaft in Berlin, S. 186. 293 Liebisch, Mineralogisch-petrographisches Institut und Museum, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 314; Balk, S. 139f. 2 9 4 Schienther, S. 6 7 - 7 9 ; Stölting, Anthropologie, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 1 2 8 133. 295 Von den Geisteswissenschaftlern gingen 1872 Eduard Zeller und 1873 Wilhelm Wattenbach und Heinrich von Treitschke nach Berlin. Lenz, Geschichte, Bd. 2,2, S. 354ff.; Koenigsberger, Leben, S. 128ff.; Riese, S. 75ff. 2 9 6 Über die Berufung: Koenigsberger, Helmholtz, S. 170ff. 297 Herneck, Stellung, S. 3 4 9 - 3 5 5 . 298 Planck, Das Institut fur theoretische Physik, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 7 6 - 2 7 8 ; Rubens, Das physikalische Institut, in: ebd, S. 2 7 8 - 2 9 6 ; Deubner, S. 1 0 7 - 1 2 5 ; Westphal, S. 7 9 1 - 8 1 5 ; Enderlein/Kaschluhn, S. 5 9 7 - 6 0 2 ; Hermann, Von Paul Erman zu Hermann von Helmholtz, in: Ribbe, Bd. 1, S. 1 7 - 2 6 ; Lemmerich, Physik, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 50-55. 299 Fischer, Das chemische Institut, in: Lenz, Geschichte, Bd. 3, S. 2 9 6 - 3 0 6 ; Nernst/ Sand, Das physikalisch-chemische Institut, in: ebd., S. 3 0 7 - 3 1 0 ; Kränke, S. 8 2 7 - 8 4 4 ; Herneck, Geschichte, S. 6 - 1 3 ; Engel, Chemie, in: Buddensieg, Disziplinen, S. 5 6 - 6 1 ; Schütt, Von Johann Kunckel zu Eilhard Mitscherlich, in: Ribbe, Bd. 1, S. 1 - 1 5 .
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Anmerkungen
zu S. 79-88
300 Planck, Selbstbiographie; ders., Erinnerungen, S. 1 - 1 4 ; H e r m a n n , Max Planck, in: Ribbe, Bd. 1 , S . 1 1 5 - 1 3 1 . 301 Fischer, Leben, bes. S. 140ff.; Mulzer, Bedeutende Chemiker der Berliner Universität, in: Ribbe, Bd. 1, S. 34ff. 302 Cremer, Walther Nernst und Max Bodenstein, in: Ribbe, Bd. 1, S. 183ff. 303 Lenz, Perioden, S. 458f.; vgl. Kap. 1.1.1.6. 304 Vgl. zum folgenden im Anhang Tab. 4. 305 Eulenburg, Nachwuchs, S. 8. 306 Lenz, Geschichte, Bd. 1, S. 392, 570. 307 Bopp, S. 108f.; A. Hermann, S. 163ff. 308 Vgl. oben, Kap. 1.1.2.1. 309 Schlink, S. 4 2 5 - 1 5 2 . 310 So war auf die Bitte des Vertreters für Physik in Kiel, Christoph Heinrich Pfaff, bei seinem Amtsantritt 1802 der Lehrstuhl von der Philosophischen in die Medizinische Fakultät überfuhrt worden. Ch. Schönbeck, S. 69. Vgl. die Entwicklung der Lehrstühle für Botanik, Zoologie, Mineralogie und physikalische und chemische Technologie an der Universität Freiburg: Nauck, S. 62ff.; Zentgraf. Vgl. ferner zur Botanik in Würzburg: Simonis, S. 6 0 1 - 6 2 7 . 311 In Gießen und Marburg entwickelte sich die Chemie nicht von der Medizin, sondern von der Kameralistik her. Chemische Professuren dieser Art waren selten. Sie verselbständigten sich früher als die mit der Medizin verbundenen. Meinel, Sozialgeschichte, S. 153f.; ders., Artibus Academicis Inserenda, S. 98ff. Auch in Heidelberg war die Chemie von 1789 bis 1813 mit der Kameralistik verbunden, kam dann aber zunächst an die Medizinische Fakultät und wurde erst 1851 von der Philosophischen Fakultät übernommen. 312 Die Mineralogie gehörte beispielsweise in Tübingen bis 1837 und in Freiburg bis 1854 zur Medizinischen Fakultät. Engelhardt, S. 19ff.; Nauck, S. 55. 313 Institute der philosophischen Fakultät, S. 8 0 - 8 2 . 314 Zoologie - 1838, Botanik - 1839, Chemie - 1852. 315 Physik - 1817, Botanik - 1850, Zoologie - 1855. 316 Chemie - 1839, Pharmazie - 1852, Botanik - 1861, Zoologie - 1862. 317 Chemie - 1846, Physik - 1851, Zoologie - 1868, Botanik - 1873. 318 Botanik - 1837, Zoologie - 1868, Chemie - 1883. 319 E. Conrad; Koschel, S. 7 0 3 - 7 4 9 . 320 Mineralogie - 1 8 5 4 / 5 9 , Zoologie - 1867, Chemie - 1875, Botanik - 1907. Nauck, bes. S. 62f.; Zentgraf. 321 Scharlau. 322 So beispielsweise in Heidelberg, ferner in Freiburg von 1935 bis 1948. Creutzburg, S. 124. 323 Göttingen - vor 1815, Bonn - 1818, München - 1826; Halle - 1817, Berlin - 1 8 2 4 / 39, Greifswald - 1 8 6 6 - 1 8 6 9 , danach wieder Extraordinariat, Würzburg - 1869, Straßburg zwei Lehrstühle 1872, Breslau - 1873, Kiel - 1877, Leipzig - 1880, Tübingen - 1884, Erlangen - 1888, Marburg - 1892, Freiburg - 1894, Königsberg - 1899, Jena - 1900, Heidelberg - 1913, Rostock - 1920. Scharlau. 324 Die Situation wurde in Rostock zusätzlich dadurch verschärft, daß der Professor für Mathematik bis 1877 auch Physik, Astronomie und Geologie zu vertreten hatte. Scharlau, S. 238-241. 325 Berlin - 1825, Göttingen - 1854, Breslau - 1865, Leipzig - 1871, Halle - 1873, Straßburg, Bonn, Königsberg - 1875, Marburg - 1876, Kiel - 1879, Gießen - 1903, München, Heidelberg, Freiburg - 1906, Tübingen - 1907, Würzburg, Erlangen - 1909,
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Anmerkungen zu S. 88-101 Rostock - 1919, Jena - 1920. Röllig, S. 3f.; Creutzburg; Schmidt, Institut, S. 1 2 7 - 1 3 0 ; ders., Geographie, S. 8 6 1 - 8 6 6 ; Stein; Κ. H. Schröder; Jäger, S. 6 3 7 - 6 6 4 ; Engelmann; Ehlers/Meynen, S. 1 5 1 - 1 7 3 . 326 Berlin - Zweitprofessur für Mineralogie 1839, fachliche Trennung 1888, München 1843, Göttingen - 1870, Marburg - 1878, Bonn - 1882, Heidelberg - 1913. 327 Göttingen - 1849, Berlin - 1875, (Bonn - 1889, das Ordinariat bestand nur zehn Monate), München - 1890, Kiel - 1894. 328 Gießen - persönliches Ordinariat 1 8 5 3 - 1 8 6 4 , planmäßiges Ordinariat 1894, Heidelberg - 1 8 6 3 - 1 8 9 0 , Berlin - 1891, Göttingen 1894, Leipzig - 1897. 329 München - 1886, Berlin - 1909. 330 Berlin - 1883, Leipzig - 1890, München - 1901, Göttingen - 1902, Breslau - 1905. 331 Baumgarten, Göttingen, S. 35ff.
2. Der Berufungswandel 1 Weil in den Biographien in der Regel auf die gelehrte Verwandtschaft der Familien hingewiesen wird, dürfte ihre Zahl nicht viel höher gewesen sein. Außerdem ist ein Großteil der Probanden in der NDB erfaßt, in der die soziale Herkunft bis in die Großvatergeneration, zum Teil darüber hinaus, aufgenommen wurde. 2 Rösch, Professorengalerie, Bll. 2, 3; Euler, Gelehrtengeschlechter, S. 227ff. 3 Siehe die Biographie des Bruders von Oskar Erdmann, Hugo Erdmann, der zuletzt Leiter des anorganisch-chemischen Laboratoriums an der Technischen Hochschule in Berlin war. NDB, Bd. 4, S. 572. 4 Mathern, S. 6 1 - 6 5 ; Drüll, 1 6 5 2 - 1 8 0 2 , S. 172ff.; dies., 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 305ff. 5 Ebd., S. 61ff., 79. 6 Mitgau, S. 250. 7 fusti, Sp. 192. 8 Gundlach; fusti, Sp. 1 4 6 - 1 4 9 , 192-195; NDB, Bd. 10, S. 7 0 3 - 7 0 7 . 9 Gundlach; DBJb, Bd. 4, 1922, S. 2 2 3 - 2 2 8 . 10 Chronik Kiel 1901, S. 5 9 - 7 2 ; BJbAk, Bd. 26, S. 1 - 1 5 ; NDB, Bd. 2, S. 685ff. 11 Günther; Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 172f., 259f., 281f. 12 K. von Hertling, bes. S. 18ff.; Kneschke, Bd. 4, S. 336. 13 G. von Hertling, Bd. 1, S. 380ff.; NDB, Bd. 8, S. 7 0 2 - 7 0 4 . 14 Baumgarten, Studien, S. 26ff., 55ff., 75ff. 15 Zeil, S. 222. 16 Zur Familie Erman, S. lOff. 17 Es handelte sich um den ehemaligen Göttinger Ägyptologen Heinrich Brugsch, ferner um Ludwig Stern, Johannes Dümmichen in Straßburg und Eduard Naville in Genf. Ebd., S. 162ff. 18 Ebd., S. 171. 19 Archiv fur Orientforschung, Bd. 1 2 , 1 9 3 7 - 3 9 , S. 9 5 - 9 7 ; NDB, Bd. 4, S. 598f. 2 0 Prantl, S. 472; ADB, Bd. 34, S. 7f.; Bosl, S. 721. 21 Riezler, in: Zils, S. 300f.; Jahrbuch der Universität München 1 9 2 6 / 2 7 , S. 1 2 - 1 5 ; Bosl, S. 635. 22 Vgl. Bosl. Dort wird kein weiterer Abkömmling der Familien Riezler oder Sendter
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Anmerkungen zu S. 101-104 genannt, der in München lehrte. Ebenso wird bei Asen, S. 4 5 , kein weiteres Familienmitglied der Ermans aufgeführt. 23 Ebel, Catalogus, J 7, Nr. 50, 81, 122, S. 64ff. 24 Senf, Einführung. 25 Der Vater Karl Philipp Kayser war zunächst Gymnasiallehrer und erhielt 1819 ein Extraordinariat für Klassische Philologie in Heidelberg. Der Sohn Karl Ludwig Kayser war seit 1830 an der Ruperto-Carola aufgestiegen und hatte von 1862 bis zu seinem Tod 1872 ebenfalls eine Professur im Fach der Altphilologie inne. Vgl. ADB, Bd. 15, S. 5 1 3 - 5 1 8 ; Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 131ff. 26 Bei Franz Streber ebnete der Onkel Ignaz von Streber den Weg zum akademischen Lehramt. Ignaz von Streber war Weihbischof und der erste Konservator des Münchener Münzkabinetts. Die Stelle als Konservator vererbte er an seinen Neffen Franz Streber weiter, der seit 1840 als erster Ordinarius das Fach der Archäologie an der Universität vertrat. Κ. A. von Müller, S. 251; Glossauer, S. 184. 27 Berthold Riehl war der Sohn von Wilhelm Heinrich Riehl, dem ordentlichen Professor für Kulturgeschichte in der Staatswissenschaftlichen Fakultät in München. Berthold Riehl wurde 1906 der erste planmäßige Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte. Chronik München 1 9 1 0 / 1 1 , S. 14—15; Degener, 1911, S. 1180; Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in München 1912, S. 106ff. 28 Unter den Vorfahren des Historikers Hans Delbrück hatte der Großvater mütterlicherseits Leopold von Henning von 1835 bis 1866 in Berlin eine Philosophieprofessur inne. NDB, Bd. 3, S. 577ff.; ebd., Bd. 8, S. 546f. 29 Wölfflin, in: Zils, S. 390. 30 Bosl, S. 857. 31 Gustav Adolf Schöll, in: ADB, Bd. 32, S. 2 1 8 - 2 2 4 . Zum Sohn Rudolf von Schöll, Pädagoge in Greifewald, Jena, Straßburg und München, vgl. ADB, Bd. 54, S. 140. Zum zweiten Sohn Fritz Schöll, Altphilologe in Heidelberg, vgl. Degener, 1914, S. 1509; die Biographien enthalten Hinweise auf Beziehungen der Familie zu weiteren Professoren. 32 Vgl. zur Familie NDB, Bd. 9, S. 559ff. 33 Ebd., Bd. 3, S. 723ff. 34 Ebd., Bd. 11, S. 342f. 35 Ebd., Bd. 4, S. 135ff. 36 Ebd., Bd. 9, S. 716f. 37 Es handelte sich um die Brüder Ernst und Georg Curtius, der ältere Archäologe in Göttingen und Berlin, der jüngere Altphilologe in Prag, Kiel und Leipzig; Wilhelm und Karl Dilthey, der ältere Philosoph in Basel, Kiel, Breslau und Berlin, der jüngere Archäologe in Göttingen; Eduard und Kuno Meyer, der ältere Althistoriker in Breslau, Halle und Berlin, der jüngere Keltologe in Liverpool und ebenfalls in Berlin; Gustav und Alfred Körte, auch hier wie bei den Brüdern Curtius der ältere Archäologe (in Göttingen) und der jüngere Altphilologe (in Basel, Gießen, Freiburg und Leipzig) sowie Rudolf und Fritz Schöll. 38 Es handelte sich um die Brüder Emil und Hans Hübner. 39 NDB, Bd. 3, S. 446f. Vgl. auch das Lebensbild von Ernst Curtius über seinen Bruder Georg Curtius, G. Curtius, bes. S. XXVII: »Mir ist natürlich von allen Zeitgenossen am meisten die Freude eines ununterbrochenen Gedankenaustausches zu Theil geworden, was ich immer dankbar als ein besonderes Lebensglück anerkannt habe. Denn es bleibt doch eine seltene Fügung, dass zwei Brüder bei aller Verschiedenheit ihrer Begabung und wissenschaftlichen Richtung in ungetrübter Gemeinschaft so bei einander gestanden, sich unausgesetzt einander angeregt und gefordert haben.«
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Anmerkungen zu S. 105-108 40 BJbAk, Bd. 23, S. 9 ^ 1 . 41 ADB, Bd. 42, S. 433. 42 F. von Raumer, S. 165; ADB, Bd. 27, S. 403. 43 »... andererseits aber muß ich mir viel Wichtigeres in Einnahme stellen: ich hätte nämlich, ohne Ausscheiden aus dem Staatsdienste, kein geschichtliches Werk zu Stande gebracht, ich hätte weder Deutschland, noch die Schweiz, Belgien und Holland, noch Italien, Frankreich und England, noch Nordamerika, Skandinavien, Athen und Konstantinopel gesehen, sondern höchstens (als ein am grünen Tische verkümmerter Mann) Karlsbad und Teplitz aufgesucht, und wäre (trotz des Mitmachens dieser Bademode) wol schon längst begraben!!« F. von Raumer, S. 168f. 44 Meyer, Eduard Meyer. Meyer vermerkte in seinem autobiographischen Abriss über seinen Bruder Kuno nichts weiter als dessen Todesjahr. Vgl. für Kuno Meyer: DBJb, Bd. 2, S. 253-255. 45 Das Familienleben der Professoren und die dort vermittelten Werte wurden bisher kaum erforscht. Erste interessante Einblicke in die Aufgaben, Pflichten und das Selbstverständnis der Professorengattinnen und der Töchter gewährt der Aufsatz von Panke-Kochinke, S. 61-82. Danach wurde das Leben der Professorenfrauen in erster Linie von bürgerlichen Tugenden wie Häuslichkeit, Arbeitsamkeit und Genügsamkeit bestimmt. »Ein zuviel an Bildung wurde dagegen selten als ein Anklagepunkt hervorgehoben, jedoch im Zusammenhang mit der Vernachlässigung weiblicher Aufgaben insofern thematisiert, als Pflichterfüllung vor Lesesucht, Diskussions- und Vergnügungssucht gesetzt wurde.« Ebd., S. 74. 46 Zeller, S. 146. Vgl. ebd., S. 148, aus dem Brief Baurs an seinen Schwager Mohl: »Da ich Zeller längst genau kenne, so wurde es mir nicht schwer, meine Einwilligung zu geben; ... Sie selbst hat diese Verbindung ganz nach ihrer freien Wahl und Neigung eingegangen und ist nun, nachdem sie ihre Entscheidung gegeben hat, darüber ebenso erfreut. ... Wie ich auch die Sache betrachten mag, ich kann sie ihrem ganzen Eindruck nach zu den glücklichsten Ereignissen meines Lebens rechnen.« 47 Beiden Ehefrauen widmete Creuzer in seiner Selbstbiographie nur wenige Zeilen. Creuzer, S. 27, 181; ferner NDB, Bd. 3, S. 414f.; Drüll, 1803-1932, S. 40f. 48 NDB, Bd. 6, S. 101-107; Biermann, Gauß; vgl. die Heiratsanträge, ebd., S. 68f., 89f. 49 NDB, Bd. 4, S. 696f. 50 Baumgarten, Studien, S. 130f. 51 NDB, Bd. 8, S. lOlf. 52 ADB, Bd. 54, S. 4 6 4 ^ 6 6 ; Weber, Lexikon, S. 573. 53 Drüll, 1803-1932, S. 170; NDB, Bd. 15, S. 694f.; vgl. ebd., S. 695: »Mit dem 1913 erschienenen Werk >Sokrates< gelang ihm der Durchbruch zu allgemeiner wissenschaftlicher Anerkennung.« 54 Es handelte sich bei den übrigen zunächst um den Göttinger Historiker Arnold Hermann Ludwig Heeren, der zwei Jahre nach dem Antritt seiner Professur die Tochter seines Lehrers Christian Gottlob Heyne heiratete. Vgl. Heeren, S. LVf.: »Eine Tochter des Mannes, dem ich schon so viel verdanke, die älteste Tochter von Heyne, von seiner zweiten Gattin, ward die Gefährtin meines Lebens.« Der bereits erwähnte Philosoph Eduard Zeller hatte sich im Anschluß an seine Ernennung zum Berner Extraordinarius im Jahr 1847 mit der Tochter seines Tübinger Lehrers Ferdinand Christian Baur vermählt. Gadamer, Eduard Zeller, in: Semper apertus, Bd. 2, S. 407; Zeller, S. 146ff. Keine unmittelbaren Zusammenhänge zwischen der Heirat und dem Fortkommen in der akademischen Karriere bestanden ferner bei dem Altphilologen Albrecht Dieterich. Er heiratete 1899 die Tochter seines Bonner Lehrers Hermann Usener. Zu dieser Zeit war Dieterich
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Anmerkungen zu S. 108-111 bereits Ordinarius in Gießen. Auch später kehrte er nicht nach Bonn zurück. Schnack, Lebensbilder, Bd. 5, S. 32ff.; NDB, Bd. 3, S. 669; Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 48. Schließlich heiratete der Indogermanist Wilhelm Streitberg 1904, als er Extraordinarius in Münster war, die Tochter seines Leipziger Lehrers August Leskien. Streitberg kehrte erst 1920 nach dem Tod seines Schwiegervaters als Ordinarius nach Leipzig zurück. Einflußnahme ließ sich nicht nachweisen. Porzig, Wilhelm Streitberg, in: Indogermanisches Jahrbuch, Bd. 10, 1 9 2 4 / 2 5 , S. 4 0 8 - 4 1 3 ; Jahrbuch der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1925, S. 14-18; Bosl, S. 761. 55 Calder, S. 261; vgl. zum Berufungsvorgang Boschan, Zur Entwicklung, S. 79ff. 56 Calder/Kosenina, S. 113, Anm. 475. 57 ADB, Bd. 28, S. 309. 58 Von allen verheirateten Heidelberger Professoren, einschließlich der Extraordinarien, hatte nur jeder zehnte einen Sohn, der ebenfalls Professor wurde. Meusburger, Rekrutierung, S. 224. 59 Die Söhne konnten über die Dozentenverzeichnisse für die Ordinarien in Gießen, Kiel, Göttingen und Berlin vollständig ermittelt werden. Drüll hat im Gelehrtenlexikon zwar nur die Extraordinarien und Ordinarien aufgenommen, aber in den Kurzbiographien auf Söhne hingewiesen, die in Heidelberg als Dozenten tätig waren. Für München können die Angaben über nachfolgende Söhne bis zum Jahr 1872 dank des Dozentenverzeichnisses von Prantl als gesichert angesehen werden. Für den darüber hinausgehenden Zeitraum wurden die Söhne über die Biographien der Väter eruiert, so daß ihre Zahl möglicherweise höher lag. Darüber hinaus wurden die Biographien der Söhne, soweit dies möglich war, um fehlende Daten ergänzt. 60 In Gießen erreichte nur einer von sechs Professorensöhnen den Ordinarienrang; in Kiel waren es zwei von fünf, in München immerhin acht von neun und in Berlin acht von elf. 61 Bekker, Prorektor, S. 166. 62 Baumgarten, Studien, S. 76. 63 NDB, Bd. 3, S. 645ff. 64 Die folgende Untersuchung basiert auf den Väterberufen von 381 der insgesamt 412 Geisteswissenschaftler (92,5 %); vgl. im Anhang Tab 5. Die Anteile jener Väter, deren Berufe nicht ermittelt werden konnten, lagen für die Geisteswissenschaftler in Kiel bei 11,5 %, in Berlin bei 9,5 %, in Göttingen bei 7,7 %, in Heidelberg bei 4,8 %, in München bei 3,6 % und in Gießen bei 3,5 %. Die Väterberufe wurden in das Schichtungsschema von Jarausch eingeordnet. Vgl. Jarausch, Auswirkungen, S. 15ff.; ders., Frequenz, S. 132ff.; ders., neuhumanistische Universität, S. 32. Im Unterschied zu Jarausch wurden nicht alle adligen Probanden, sondern nur Probanden aus uradligen Geschlechtern der Adligen Oberschicht zugeordnet. Die aus beamtenadligen Geschlechtern stammenden Ordinarien sind dagegen unter den >bürgerlichen< Berufen ihrer Väter aufgeführt. Durch diese Abwandlung wird der Unterschied zwischen Adligen und Bürgerlichen deudicher herausgestellt. Vgl. auch die ältere Arbeit von fanowitz, S. 9ff., der sein Schichtungsmodell für industrielle Gesellschaften entwickelte und hierbei auch zu einer Schichteneinteilung in Obere und Untere Mittelschicht gelangte. 65 O'Boyle, S. 592ff.; Η. H. Hofmann, S. 1 4 3 - 1 7 1 ; Vierhaus, Umrisse, S. 3 9 5 - 4 1 0 ; Ringer, Bildung, S. 5 - 3 5 ; vgl. in Auseinandersetzung mit Ringer: Lundgreen, Bildung, S. 2 6 2 - 2 7 5 ; ders., Konstituierung, S. 7 9 - 1 0 8 ; Turner, Bildungsbürgertum, S. 105-125. 66 Jarausch, Studenten, S. 30. 67 Rienhardt, S. 196. 68 Conze, S. 185; Homrichhausen, S. 252.
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Anmerkungen zu S. 111-116 69 Conrad, Universitätsstudium, S. 62ff.; Titze, Überfiillungskrisen, S. 188f.; ders., Überproduktion, S. 94f.; ders., Akademikerzyklus, S. 33ff. 70 Führ, S. 417ff. 71 Herrlitz/Titze, S. 359f.; Kaelble, Aufstieg, S. 58ff.; Jarausch, Frequenz, S. 127, 145. 72 Bauern und Handwerker stellten zusammen 39,1 %. Vgl. Müller, Herkunft, S. 318. Unter den Münchener Theologen belief sich der Bauern- und Handwerkeranteil zwischen 1826 und 1848 auf 50 %, unter den Medizinern auf 2 4 % und unter den Juristen auf 19 %. 73 Nipperdey, Religion, S. 38ff.; Rosener, S. 120. 74 Skopp, S. 388fF. 75 Vgl. Eulenburg, Nachwuchs, S. 32. Im Jahr 1907 kam von den 2 0 1 9 Privatdozenten und Extraordinarien an den deutschen Universitäten nur einer aus der Arbeiterschicht. Nach jarausch, Auswirkungen, S. 19, stammten zwischen 1800 und 1870 weniger als 1 % der Studenten aus der Unterschicht. Auch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein blieben die Aufstiegschancen für Kinder aus den unteren Schichten gering. Kaelble, Chancengleichheit, S. 124ff. 76 Schäfer, S. 13ff. 77 Brunner, S. 309ff. 78 Das gleiche galt für den »Maximilians-Orden fur Wissenschaft und Kunst«. Vgl. ebd., S. 323ff. 79 Meusburger, Heidelberger Professoren im Jahre 1984, S. 97. Noch im Jahr 1984 hatten 53 % der Väter der in Heidelberg lehrenden C - 3 und C - 4 Professoren einen akademischen Abschluß. 80 Rienhardt, S. 196, 200. Die Selbstrekrutierungsrate betrug bei den Theologen 3 0 50 %, bei den Juristen 30 % und bei den Medizinern 37 %. Baumgarten, Studien, S. 29, 62, 79. 81 Vgl. Kap. 2.1.1.1. 82 Zu ähnlichen Ergebnissen kam Weber, Priester, S. 72ff.; ders., Ordinarien, S. 122. 83 In Gießen gehörten die Philosophen dagegen zu den weniger vornehmen geisteswissenschaftlichen Fachvertretern. Baumgarten, Studien, S. 110. 8 4 Vgl. J. J. Müller, S. 25f., der zu den gleichen Ergebnissen kommt. 85 Bis 1910 sank der Anteil der Protestanten geringfügig: 61,8 % Protestanten, 36,3 % Katholiken und 1 % Juden. Vgl. Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 1. Teil, S. 227. 86 Nipperdey, Religion, S. 40. 87 Segall, S. 3ff.; vgl. ebd., S. 57, die Tabelle über die konfessionelle Zusammensetzung der Fakultäten zwischen 1874/75 und 1909/10. Danach war der Anteil jüdischer Dozenten unter den Ordinarien am niedrigsten und unter den Privatdozenten am höchsten. 88 Nach Lossen, S. 1, waren zwischen 1884/85 und 1896/97 in Preußen 13 % der Dozenten Katholiken. Ihr Anteil war unter den Ordinarien mit 18,3 % am höchsten. Unter den Extraordinarien betrug er 13,8 % und unter den Privatdozenten nur 9 %. Vgl. auch Jarausch, neuhumanistische Univerität, S. 27f.; Nipperdey, Deutsche Geschichte 1 8 6 6 - 1 9 1 8 , S. 576f. 89 Vgl. für Berlin Lossen, S. 163, Tabelle 71. Danach lehrten 1870 im gesamten Lehrkörper 48 Protestanten und nur ein Katholik, 1896/97 lag das Verhältnis bei 64 : 12. 9 0 Vgl. Boschan, In dubiis libertas, S. 283. Boschan sieht in dem Anstieg der Katholiken unter den Dozenten der Berliner Universität keinen »gezielten Einfluß des Ministeriums oder der Fakultät«, sondern »eine Folge des zunehmenden Andrangs zur Universitätslaufbahn sowie der statuarischen Gegebenheiten«. Wäre dies der Fall, so hätte auch an den anderen
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Anmerkungen zu S. 116-119 Universitäten die Zahl der Katholiken unter den Geisteswissenschaftlern seit dem letzten Drittel des Jahrhunderts ansteigen müssen. 91 Vgl. Boehm, Katholizismus, S. 21. 92 Zu Katholiken in der Wissenschaft und Berufungswesen vgl. Raab, S. 74ff. 93 Bei den Protestanten waren die Aus- bzw. Übertritte allgemein relativ gering. Vgl. Nipperdey, Religion, S. 118ff. 94 Frohschammer, S. 6Iff. 95 Siegel, S. 11. 9 6 Messer, S. 159. 97 Beispielsweise geschah der Konfessionswechsel des Historikers Ludwig Weiland im Jahr 1870 »unter dem Eindruck der nationalen Errungenschaften und gegenüber der Wendung, die die katholische Hierarchie auf dem vatikanischen Konzil einnahm«. ADB, Bd. 41, S. 491. 98 Vgl. Rösener, S. 119ff. 99 Tangl, S. 9 - 1 2 ; Simon, Bd. 1, S. 99ff. 100 Engel, S. 334. Vgl. ferner unten, Kap. 3.1.2.1. 101 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1 8 6 6 - 1 9 1 8 , S. 574. Vgl. auch Schäfer, S. 136, der 1901 einen Ruf nach Straßburg auf den protestantischen historischen Lehrstuhl ablehnte: »Damals ist der Straßburger Universität eine katholisch-theologische Fakultät eingefugt und damit sogar das Zugeständnis verbunden worden, daß die Regierung eine Stelle, deren Inhaber etwa vom Bischof gesperrt würde, neu zu besetzen habe. Dabei drängte die Geistlichkeit des Reichslandes keineswegs auf eine solche Fakultät. ... Was katholisch-theologische Fakultäten in einer Universität mit evangelischem Grundcharakter bedeuten, war mir in Breslau und Tübingen völlig klar geworden. Es wurden damals auch katholische Lehrstühle für Philosophie und Geschichte in der Straßburger philosophischen Fakultät errichtet. Friedrich Meinecke, bis dahin im preußischen Archivdienst, nahm nach meiner Ablehnung die Berufung nach Straßburg an; Martin Spahn wurde ihm als katholischer Geschichtsprofessor an die Seite gesetzt.« 102 Füßl, S. 144f. 103 Meusburger, Rekrutierung, S. 230. 104 Vgl. für Heidelberg, ebd., S. 230ff.; Volkov, S. 329ff. 105 Riese, S. 102. 106 Lehmann, Ludwig Traube, in: Geist und Gestalt, Bd. 1, S. XXVIIIf. Vgl. auch Lowenthal, S. 6. Beim Vater Traubes, dem Berliner Medizinprofessor Ludwig Traube, zog sich die Ernennung zum Ordinarius ebenfalls wegen konfessioneller Bedenken lange hin. ADB, Bd. 38, S. 506. 107 Zit. nach Kytzler, Eduard Norden, in: Ribbe, Bd. 4, S. 3. 108 Vgl. auch Weis, Herkunft, S. 340. Unter den Geisteswissenschaftlern der von Weis ausgewerteten »besonders bedeutenden« Gelehrten Bayerns war der Anteil der Bayern nach 1864 noch vergleichsweise hoch (45,5 %). 109 Turner, Universitäten, S. 227, 231. 110 U. Huber. 111 Simon, Bd. 1, S. 150ff. Vgl. aus der umfangreichen Streitschriftenliteratur zu den »Nordlichter-Berufungen«: Die deutschen Universitäten, S. 157-160; Über die Berufung; Münchener Professoren-Berufungen, S. 3 - 2 8 . Entschiedene Vorbehalte gegen die Berufung Auswärtiger hatte man auch an anderen Universitäten wie noch in den achtziger Jahren in Tübingen. Vgl. z.B. Schäfer, S. 109: »Kurz vor meiner Berufung [1888] hatte es wieder einmal eine Preßkampagne über das Eindringen norddeutscher Professoren in die Landesuniversität gegeben.«
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Anmerkungen zu S. 119-125 112 Rail, S. 262ff.; Albrecht, S. 322ff. 113 Ebd., S. 333ff. 114 Nach einer Auflistung der Geburtsorte der Ordinarien nach Provinzen bzw. deutschen Landesstaaten vom Jahr 1907 war nach Eulenburg, Nachwuchs, S. 36f., der Anteil der Landeskinder in München mit 51,9 % am höchsten. Es folgten die beiden anderen bayerischen Universitäten in Würzburg mit 43,2 % und Erlangen mit 37,2 %. An vierter Stelle lag Bonn mit 32,3 %, an fünfter Tübingen mit 22,2 % und an sechster Breslau mit 20 %. Unter den untersuchten Universitäten lehrten die meisten Landeskinder im Jahr 1907 nächst München in Göttingen (16,9 %). An den kleinen Universitäten in Kiel und Gießen waren sie dagegen nur noch mit 6,7 % und 6,4 % vertreten. Noch geringer war ihr Anteil an den ebenfalls kleineren Hochschulen in Jena (2,6 %) und Greifswald (2,2 %). Vgl. ferner fur den Zeitraum von 1 8 8 4 / 8 5 bis 1 8 9 6 / 9 7 die Statistik der Herkunftsorte der an preußischen Universitäten lehrenden Ordinarien von Lossen, S. 88ff. Danach lag der Anteil der Landeskinder in diesem Zeitraum noch wesentlich höher als um 1907, z.B. Göttingen 26,4 %, Berlin 30,5 % gegenüber nur 8 % im Jahr 1907. 115 Vgl. für Heidelberg Meusburger, Rekrutierung, S. 196ff. Zum Vergleich stammten in Heidelberg im Jahr 1984 von den C - 3 und C-A Professoren in den geisteswissenschaftlichen Fächern 15,5 % aus Baden-Württemberg. Ders., Regionale Herkunft, S. 76. 116 NDB, Bd. 11, S. 578f. 117 DBJb, Bd. 2 , S. 3 4 1 - 3 4 4 . 118 Pöhlmann, in: Zils, S. 2 8 3 - 2 8 6 . 119 Im Fall Trendelenburg waren es jedoch eher private Gründe, die zu seiner Berufung führten. Trendelenburg hatte vor Antritt seines Extraordinariats in Berlin eine Erzieherstelle im Hause des Generalpostmeisters und Bundestagsabgesandten von Nagler in Frankfurt/ Main inne. Nagler war der Schwager des leitenden Ministers im preußischen Kultusministerium von Altenstein, der Trendelenburg zum Extraordinariat in Berlin verhalf. Als Trendelenburg fiir ein Ordinariat in Kiel in Aussicht genommen wurde, wandelte man 1837 sein Extraordinariat in ein Ordinariat um. Daß Altenstein, der bis 1838 im Amt war, auch hieran beteiligt war, liegt nahe. ADB, Bd. 38, S. 570f. 120 NDB, Bd. 2, S. 366f. 121 ADB, Bd. 11, S. 335. 122 Bekker, Erinnerung, S. 557. 123 ADB, Bd. 4 5 , S. 481. 124 Ebd., Bd. 7, S. 317. 125 NDB, Bd. 11, S. 647f. 126 Brocke, Wissenschaftspolitik, S. 88. 127 Escher, Leopold Ranke, in: Ribbe, Bd. 4 , S. 11. 128 Zit. nach Simon, Bd. 1, S. 113. 129 NDB, Bd. 3, S. 577f.; Simon, Bd. 1, S. 144ff. 130 NDB, Bd. 6, S. 2 7 6 (Biographie E. Gerhard); vgl. ferner ebd., Bd 3, S. 446f. (Biographie E. Curtius). 131 Richter, S. 49ff. 132 NDB, Bd. 2, S. 366. 133 Vgl. oben, Kap. 2.1.1.1. 134 Reichlin-Meldegg, S. 112ff. 135 ADB, Bd. 15, S. 513ff. 136 Riese, S. 102ff. 137 ADB, Bd. 4 5 , S. 15.
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Anmerkungen zu S. 125-135 138 Ebd., Bd. 40, S. 6 0 2 - 6 2 9 . 139 Zu Beginn der neunziger Jahre wirkte neben dem ordentlichen Lehrstuhlinhaber für Geschichtswissenschaft kurzzeitig der von Althoff von Halle nach Kiel versetzte Wilhelm Schum als persönlicher Ordinarius. K. Jordan, S. 72. 140 Dickerhof-Fröhlich, Studium, S. 92f.; Simon, Bd. 1, S. 149. 141 NDB, Bd. 3, S. 363. 142 ADB, Bd. 54, S. 6 4 5 - 6 6 7 . 143 NDB, Bd. 6, S. 3 7 9 - 3 8 2 . 144 Heigel, in: Zils, S. 1 5 1 - 1 5 6 . 145 Grauert, in: ebd., S. 117-124. 146 Simon, Bd. 1,S. 147ff. 147 NDB, Bd. 7, S. 570f. 148 BJbAw, Bd. 38, S. 2 6 - 9 8 . 149 Simonsfeld, in: Zi/s, S. 240f.; Simon, Bd. 1, S. 175ff. 150 Karl Brandl war durch sein umfangreiches Werk zur Reformationszeit ohne Zweifel wissenschaftlich hochqualifiziert; dies dokumentieren auch die abgelehnten Rufe nach Straßburg (1913), Leipzig (1915) und Berlin (1929). Sozialgeschichtlich bewegte er sich aber noch weitgehend in den alten Bahnen. Als in der Nähe von Hannover geborenes Landeskind, wirkte er nach seiner Habilitation in Göttingen einige Jahre als Extraordinarius in Marburg und kehrte anschließend nach Göttingen zurück, um dort zunächst ebenfalls ein Extraordinariat anzutreten. NDB, Bd. 2, S. 523; Petke, S. 2 8 7 - 3 2 0 . 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 131. 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176
NDB, Bd. 13, S. 371ff. Classen, S. 23ff. ADB, Bd. 4 6 , S. 441. Ebd., Bd. 55, S. 139. Iggers. Boockmann, Blick, S. 44. ADB, Bd. 54, S. 4 6 4 - ^ 6 6 . Cramer/Patzig, S. 21. Moraw, Humboldt, S. 63f.; Baumgarten, Studien, bes. S. 103f. NDB, Bd. 3, S. 286. Kanitscheider, August Messer, in: Gundel, Gelehrte, Teil 1, S. 6 4 4 - 6 5 7 . Volbehr/Weyl, S. 34, 181; Ebel, Catalogus. A. Hermann, S. 163ff. Planck, Selbstbiographie, S. 13. Ebd., S. 16. Ebd.; ders., Erinnerungen, S. 1 - 1 4 ; Hermann, Max Planck, in: Ribbe, Bd. 1, S. 115— Körner, S. 2 9 1 - 3 5 5 . ADB, Bd. 34, S. 186; Körner, S. 298ff.; Bosl, S. 727. NDB, Bd. 3, S. 672f. Wagner, Professoren, S. 18. Pütter, Bd. 3, S. 348; ADB, Bd. 21, S. 116. Ebd., Bd. 30, S. 300ff. Prantl, Bd. 2, S. 549; ADB, Bd. 34, S. 7f.; Bosl, S. 721. Vgl. oben, Kap. 2.1.1.1. Ranke, in: Zils, S. 291ff. NDB, Bd. 4, S. 91ff. Ebd., Bd. 9, S. 736f.
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Anmerkungen zu S. 135-138 177 Ebd., Bd. 15, S. 144f. 178 Ebd., Bd. 5, S. 181f. 179 Ebd., Bd. 7, S. 393ff. 180 Moraw, Humboldt, S. 62f.; ders., Liebig, S. 2 1 6 - 2 3 2 ; Baumgarten, Studien, S. 130f. 181 NDB, Bd. 3, S. 158f. 182 Heuss-Knapp, S. 39f. »Offenbar war auch Liebig daran schuld, daß meinem Vater die technische Leitung der Nymphenburger Prozellanfabrik übertragen wurde, nebst einem Ordinariat für technische Chemie in der staatswirtschaftlichen Fakultät zu München. Er konnte sich nur schwer zur Annahme entschließen, denn die beiden Ämter waren eigendich unvereinbar. In Gießen hatte er ein Laboratorium gehabt und das Werk fur chemische Technologie geschrieben, wovon ein Band bereits fertig war. Nun müssen aber die Mittel klein und seine Aussichten auf Besserung gering gewesen sein. Kurz, er nahm endlich die Nymphenburger Fabrik an«. Ebd. 183 Praetorius, Vorfahren, S. 3 8 ^ i l ; ders., Familie, S. 4 6 - 4 9 ; Rösch, Professorengalerie, Bl. 4; Euler, Entstehung, S. 230f. 184 Es handelte sich um Heinrich und Gustav Rose, die in Berlin Chemie bzw. Mineralogie vertraten, ferner um Georg und Martin Ohm, der ältere Physiker am Polytechnikum in Nürnberg und später in München, der jüngere Mathematiker in Berlin. 185 Vgl. hierzu Wagner, Professoren, S. 35, dessen Bruder zwar nicht Naturwissenschaftler, sondern Nationalökonom war, der aber als einer der wenigen die Konkurrenzsituation in der Familie andeutet: »Ein Ehrgeiz, ich gestehe es offen, hat mich vom Anbeginn meiner wissenschaftlichen Laufbahn beseelt, das Streben hinter Vater [Medizinprofessor in Göttingen] und Bruder, die beide mir in ihren Leistungen, wie in der Uberzeugungstreue erkannter Wahrheiten und im Bekennermut durchs Leben schwer erreichbare Vorbilder sind, nicht allzusehr zurückzustehen und dem überkommenen Namen Ehre zu machen.« 186 ADB, Bd. 4 1 , S. 287, 2 9 0 , 3 5 8 - 3 6 1 . 187 Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Bd. 6 , 1 8 9 9 , S. 2 5 - 7 7 ; Ebel, Matrikel, S. 169. 188 NDB, Bd. 10, S. 589ff. 189 Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 200. 190 Viagner, Professoren, S. 25. 191 NDB, Bd. 3, S. 315. 192 U.a. bei dem Geologen Wilhelm Karl von Branca, der einem uradligen lombardischen Patriziergeschlecht entstammte und entsprechend seiner vornehmen Herkunft zunächst die Offizierslaufbahn einschlug und anschließend mehrere Jahre die Güter der Familie verwaltete. Branca wandte sich erst als über Dreißigjähriger der akademischen Laufbahn zu und heiratete noch vor seiner Promotion die ihm offenbar aus Heidelberger Studienzeiten bekannte Tochter des Physikers Helmholtz. Nach dem frühen Tod seiner Frau vermählte er sich im Jahr seiner Habilitation in Berlin mit der Tochter des Physikers Kirchhoff, der ein sehr enger Freund von Helmholtz war. Im Fall von Branca, der erst 1899 nach anderen Ordinarienstationen nach Berlin zurückberufen wurde, stellt sich durchaus die Frage, ob nicht eher die Töchter von Helmholtz und Kirchhoff nach >oben< heirateten. Zumindest ergab sich durch diese Ehebeziehungen eine Verbindung zwischen Adel und Bildungsbürgertum, die ansonsten sehr selten war, wie die Väterberufe der Ordinarien noch zeigen werden. NDB, Bd. 2, S. 514f. 193 Vierteljahresschrift der astronomischen Gesellschaft, Jg. 3 1 , 1 8 9 6 , S. 1 6 7 - 1 7 4 , bes. S. 170; NDB, Bd. 13, S. 96f. 194 Johnsen, S. 217f. 195 Boerner, Ludwig Schlesinger, in: Gundel, Gelehrte, Teil 2, S. 8 3 6 - 8 4 6 .
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Anmerkungen zu S. 139-146 196 Baumgarten, Studien, S. 76, 129ff. 197 Für 246 der insgesamt 257 Naturwissenschaftler konnte die soziale Herkunft ermittelt werden (95,7 %); vgl. im Anhang Tab. 6. Der Anteil nicht bekannter Väterberufe war wie in den Geisteswissenschaften in Kiel am höchsten (7,3 %); es folgten Berlin mit 7 %, Göttingen mit 3,6 % und München mit 2,3 %. Für alle Gießener und Heidelberger Naturwissenschaftler konnten die väterlichen Berufe ermittelt werden. 198 Conrad, Universitätsstudium, S. 62ff.; Titze, Überfiillungskrisen, S. 188f.; ders., Überproduktion, S. 94f.; ders., Akademikerzyklus, S. 33ff. 199 Vgl. oben, Kap. 1.3. 200 Schürt, Von Johann Kunckel zu Eilhard Mitscherlich, in: Ribbe, Bd. 1, S. 7ff. 201 Vgl. zur sozialen Herkunft der Medizinstudenten Conrad, Universitätsstudium, S. 57; Rienhardt, S. 159,196ff.; Huerkamp, S. 386. 202 Titze, Akademikerzyklus, S. 76ff. 203 Burchardt, S. 339ff. 204 Zur Entwicklung des Handwerks im 19. Jahrhundert vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1 8 0 0 - 1 8 6 6 , S. 210ff.; ders., Deutsche Geschichte 1 8 6 6 - 1 9 1 8 , Bd. 1, S. 253ff. 205 ADB, Bd. 35, S. 67. 206 Degener, 1914, S. 1548. 207 Ganz so ahnungslos, wie es der Mathematiker und zudem Protestant Lothar Heffter, S. 146, beschreibt, war man in den Berufungskommissionen jedoch nicht: »Ich hatte dabei Gelegenheit, gegen die Vorwürfe von Zentrum und Sozialdemokratie, daß ihre Angehörigen bei Hochschulberufungen vernachlässigt würden, aufzutreten. Ich setzte auseinander, daß bei Berufungen stets nur drei Fragen erörtert würden: Hat der Betreffende als Forscher etwas geleistet? Kann er es als Lehrer von sich geben? Ist er im übrigen ein anständiger Kerl? Nach Religion und Parteistandpunkt werde gar nicht gefragt. Oft hätte ich z.B. erst bei der Trauerfeier für einen verstorbenen Kollegen erfahren, ob er katholisch oder evangelisch gewesen war.« 208 Meusburger, Rekrutierung, S. 227ff. 2 0 9 ADB, Bd. 54, S. 502, 795. Stern war im übrigen der erste, der bei Gauß seit Beginn von dessen Amtszeit im Jahr 1807 promovierte. 2 1 0 Ebd., Bd. 51, S. 393; NDB, Bd. 13, S. 82. Der zweite war Moritz Pasch, der 1875 in Gießen ein persönliches Ordinariat antrat, das 1887 planmäßig wurde. Vgl. Pasch, S. 1 - 1 9 . 211 Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 230f. 2 1 2 Weis, Herkunft, S. 340. In der Gruppe der »besonders bedeutenden« Naturwissenschaftler Bayerns, zu der vermutlich auch die Ordinarien der bayerischen Universitäten zählten, lag der Anteil der Landeskinder vor 1864 bei 53,3 % und sank nach 1864 auf 42,6 % ab. Vgl. hierzu und zum folgenden auch Eulenburg, Nachwuchs, S. 36f. 2 1 3 Vgl. zu den >Nordlichter-Berufüngen< Kap. 2.1.2. 2 1 4 Während die Berufung Jollys nach München nach neuen Regeln erfolgte, war er als gebürtiger Badener noch traditionell in das Heidelberger Ordinariat aufgestiegen. NDB, Bd. 10, S. 592; Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 128. 215 NDB, Bd. 15, S. 144f. 2 1 6 Ebd., Bd. 9, S. 141f. 217 Nach Meusburger, Rekrutierung, S. 197, betrug der Anteil der Landeskinder von 1850 bis 1932 im gesamten naturwissenschaftlichen Lehrkörper 23,2 %. Die Naturwissenschaftler waren die einzigen unter den Heidelberger Ordinarien, bei denen die Landeskinder im Jahr 1984 stärker vertreten waren als im 19. Jahrhundert (nunmehr 28,3 %). Ders., Regionale Herkunft, S. 76.
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Anmerkungen zu S. 147-154 218 Al-Yawir, Alexander Naumann, in: Gundel, Gelehrte, Teil 2, S. 681-687. 219 Zentralblatt für Mineralogie, Jg. 1, 1900, S. 209, 221, 342. 220 ADB, Bd. 51, S. 133-145. In der Selbstbiographie von Kiepert wird über den Berufungsvorgang nichts mitgeteilt. 221 Kunth war der Neffe des Erziehers der Humboldt-Brüder. Die Bekannschaft mit Alexander von Humboldt, dessen Mitarbeiter Kundt in Paris war, verhalf ihm 1829 in das Berliner Ordinariat. ADB, Bd. 17, S. 394-397. 222 NDB, Bd. 15, S. 673f. 223 Ebd., Bd. 11, S. 649f. 224 Westphal, Heinrich Rubens, in: Nw, Jg. 10, 1922, S. 1017-1020. 225 Scharlau, S. 33. 226 Schütt, Von Johann Kunckel zu Eilhard Mitscherlich, in: Ribbe, Bd. 1, S. 9ff. 227 Es handelte sich um Karl Friedrich Rammeisberg. Zentralblatt für Mineralogie, Jg. 1, 1900, S. 2 0 9 , 2 2 1 , 3 4 2 . 228 Der 1891 berufene Wilhelm Barnim Dames war ein Schüler des Breslauer Geologen Ferdinand Roemers, bei dem er auch promovierte. Nach der Habilitation stieg Dames in Berlin auf. NDB, Bd. 3, S. 499. 229 Ebd., Bd. 4, S. 489. 230 Ebd., Bd. 5, S. 275. 231 Chronik Berlin 1895/96, S. 6. 232 Balk, S. 131; Weis, Beitrag, S. 1068; NDB, Bd. 2, S. 211f. 233 Ebd., Bd. 13, S. 482f. 234 ADB, Bd. 55, S. 833ff. 235 Uebele, S. 30. 236 Broili, August Rothpietz zum Gedächtnis, in: Neues Jb. fur Mineralogie 1919, S. XXXIX-LIII, bes. S. XLIIf. 237 Vgl. grundlegend Moraw, Humboldt, S. 62f.; Baumgarten, Studien, S. 122ff. 238 Mertins, Wilhelm Sievers, in: Gundel, Gelehrte, Teil 2, S. 877f. 239 Vgl. den Chemiker Albert Ladenburg, der bei seiner Berufung nach Kiel 1872 den Neubau des chemischen Laboratoriums durchsetzte. Ladenburg, S. 52ff. 240 Im Jahr 1846 war ein großangelegter Ausbau der Naturwissenschaften geplant, der jedoch nicht in vollem Umfang zum Zuge kam. Wie fortschrittlich man dachte, verdeutlicht ein Artikel in der Kieler Wochenzeitung. Über die Besetzung, S. 86f.: »... nach mitgeteilten Nachrichten soll ein Lehrstuhl für Chemie, Geologie, physische Geographie, fur Physik, Naturgeschichte, bes. Zoologie errichtet werden ... 7.800 Rth. ... ist für sechs Professoren offenbar zu wenig, es muß denn doch auch in Anschlag gebracht werden, daß die vielfachen Untersuchungen, die Chemiker, Physiker und Mineralogen zur Fortentwicklung der Wissenschaft unternehmen müssen, oft sehr bedeutende pecuniaire Opfer erfordern, und in diesen Fächern das Collegiengeld in Kiel nicht so viel einbringen wird, daß darauf sehr viel Rücksicht genommen werden kann. Beabsichtigt der Staat, für diese Fächer etwas zu thun, so müssen Männer fur dieselben berufen werden, denen Leistungen zur Seite stehen, die beweisen, daß sie fähig sind die Wissenschaften ihres Fachs auszubilden, anzuregen zum Studium derselben, und sie fruchtbar zu machen wissen fur's Leben. ... Welche Personen berufen werden sollen, darüber verlautet freilich noch nichts, es ist aber wohl leider zu befurchten, daß, weil gespart werden soll, Mißgriffe gemacht werden.« Daß man über die Verhältnisse an den anderen Universitäten und Lehranstalten gut informiert war und eine grundsätzliche Erneuerung anstrebte, zeigt die Liste der Kandidaten, »die wohl zu gewinnen wären«. In der Chemie machte man »aufmerksam« auf Marchand in Halle, Bunsen in Marburg, Rammeisberg in
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Anmerkungen zu S. 154r-166 Berlin, Schulz in Eldena, Hoffmann und Will in Gießen und Fresenius in Wiesbaden. Für den zu besetzenden physikalischen Lehrstuhl schlug man Dove, Rieß und Erman jun. in Berlin, Kopp in Gießen und de la Rive in Genf vor. 241 Pochhammer, Georg Weyer, in: Chronik Kiel, 1896, S. 5 5 - 6 0 . 2 4 2 / . Schönbeck, S. 39f. 243 Weber, Gustav Karsten, in: Chronik Kiel, 1899, S. 5 2 - 7 3 ; NDB, Bd. 11, S. 304f. 2 4 4 Johnsen, S. 217f.; vgl. auch Ch. Schönbeck, S. 69ff. 245 H. Weber, S. l l f f . ; Hund, Geschichte der Göttinger Physik, S. 37ff. Vgl. zum freundschaftlichen Verhältnis auch Biermann, Gauß, S. 141ff. 246 NDB, Bd. 14, S. 700f.; Hund, Geschichte der Göttinger Physik, S. 39. 2 4 7 Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu München 1916, S. 1 1 5 - 1 1 8 ; Hund, Geschichte der Göttinger Physik, S. 44f. 248 Ebd., S. 51ff. 249 ADB, Bd. 54, S. 502, 795. 2 5 0 Hund, Geschichte der Göttinger Physik, S. 43f. 251 Cremer, Walther Nemst und Max Bodenstein, in: Ribbe, Bd. 1, S. 186. 252 Höflechner, in: Brocke, S. 166. 253 McClelland, State, S. 183.
3. Das Universitätssystem 1 Siehe hierzu im Anhang Graphik 1, 3 und 5. 2 Meusburger, Rekrutierung, S. 215ff. 3 Die nach der Altersstruktur vorgenommene Abfolge deckt sich exakt mit den Ergebnissen von Laspeyres, S. 7. Vgl. auch »Einfuhrung«. 4 Zeller, S. 170, 174. 5 Brocke, Marburg, bes. S. 379ff. 6 Pauli, S. 251ff. 7 Vgl. oben, Kap. 1.1.2.1. 8 In seiner Selbstbiographie nennt Rachfahl, S. 206f., keine Gründe. 9 Es handelte sich um den Orientalisten August Dillmann, der in Kiel vor seiner Professur ein Extraordinariat innegehabt hatte und überdies in Gießen eine zu jener Zeit (1864) noch angesehenere theologische Professur erhielt. ADB, Bd. 47, S. 6 9 9 - 7 0 2 . 10 Rachfahl, S. 15, spricht in diesem Zusammenhang von seiner »Rückberufung« nach Kiel. 11 Siegel, S. 11. 12 Wenig, S. 48; NDB, Bd. 3, S. 363; Bosl, S. 118. 13 Lexer lehnte ferner Rufe nach Graz und offenbar auch nach Wien und Straßburg ab. ADB, Bd. 51, S. 681f.; NDB, Bd. 14, S. 419f.; Bosl, S. 478. 14 Baeumker lehnte um die Jahrhundertwende einen Ruf nach Wien ab. Baeumker, S. 3 Iff.; Baeumker, in: Zils, S. 22f. 15 Jahrbuch München 1 9 1 4 - 1 9 1 9 , S. 2 5 - 2 9 ; NDB, Bd. 13, S. 209. 16 Wilamowitz-Moellendorff, S. 197. 17 Brandl, S. 224f. 18 Pauli, S. 21 lf. 19 Ebd., S. 269f.
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Anmerkungen zu S. 166-176 2 0 Ebd., S. 286f. 2 1 Wallach, S. 41. 22 Johann Amadeus Wendt, in: ADB, Bd. 4 2 , S. 747. 23 M. Lehmann, S. 222. 2 4 Meusburger, Rekrutierung, S. 215ff.; ders., Karrieremuster, S. 54ff. 25 Haller, S. 109. Vgl. auch Leonhard, Bd. 1, S. 597: »Leicht fesselt der Ort den Fremdling; aber bei längerem Aufenthalt, je genauer man bekannt wird, um desto mehr lernt man Stadt und Umgebung schätzen. ... genoß ich, voll neuer Lust, den mannigfaltigen und lachenden Anblick des Neckars und seiner schönen Brücke, des romantischen Thaies, der Berge und Felsen, vor Allem aber jenen der prachtvollen, immer wiederholter Betrachtung und Durchforschung würdigen Schloß-Ruine.« 2 6 Schäfer, S. 128. 27 Ebd., S. 135. 28 Vgl. im Unterschied dazu Meusburger, Rekrutierung, S. 222, der in den Geisteswissenschaften »starke Berufungsbeziehungen« zwischen Freiburg und Heidelberg feststellte. Möglicherweise handelte es sich hierbei um den Austausch von Extraordinarien. Für die Werdegänge der Heidelberger geisteswissenschaftlichen Ordinarien traf dies nicht zu. 29 Bei der Abberufung des Orientalisten Heinrich Thorbecke von Halle im Jahr 1889 handelte es sich um eine Ausnahme. 30 Heibig, S. 84ff. 31 Ebd., S. 87. Darüber hinaus wurde der bei den Direktberufungen nicht mitberücksichtigte Altertumswissenschaftler Otto Jahn in Leipzig 1849 aus politischen Gründen amtsenthoben und erhielt einige Jahre später (1854) in Bonn eine neue Wirkungsstätte. Wenig, S. 133. 32 ADB, Bd. 54, S. 6 4 5 - 6 6 7 . 33 »Diese Schilderung ist nicht zu übertrieben, wie es scheinen mag; die Universität in einer Millionenstadt ist eben ein Unding, sie ist ein Unglück für die Studierenden und erst recht fur die Dozenten. Denn wer in Berlin sich überhaupt noch Zeit und Kraft zu wissenschaftlicher Arbeit erhalten will, dem bleibt nichts übrig, als möglichst dem Verkehr mit andern Professoren zu entsagen, so anregend und fördernd er ihm auch sein würde. Wer das nicht tut oder wer gar noch seine Abende den wissenschaftlichen Gesellschaften und Vereinen opfert, die sich an ihn drängen, der ist fiir die Arbeit verloren. Wie es manche Herren dann überdies noch fertig bekommen, auf Festen und Feiern als »prominente Vertreter der Wissenschaft« aufzutreten, das verstehe ich nicht.« Erman, S. 284. 34 Brandl, S. 114ff. 35 Ebd., S. 250f. 36 Vgl. Lenz, Geschichte, Bd. 2,2, S. 356: »Es war, wie in den Anfangen der Universität: wieder mußte die Ruperto-Carola ihre besten Männer hergeben, um die Friedrich-WilhelmsUniversität groß zu machen.« 37 NDB, Bd. 8, S. lOlf. 38 Vgl. im Anhang Graphik 9. In die Abwanderungsquoten gingen auch die Ordinarien ein, die die jeweilige Universität nach dem Jahr 1914 verließen. Im Text werden jedoch vornehmlich die abberufenden Universitäten bis 1914 behandelt, da sich möglicherweise nach dem Ersten Weltkrieg Veränderungen im Universitätssystem ergaben, die mittels des vorliegenden Datenmaterials nicht deudich werden. 39 40 41 42
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Vgl. auch Achelis, S. 4 9 - 5 7 . Bettelheim, Bd. 13, S. 1 5 6 - 1 6 3 . NDB, Bd. 5, S. 608f. DBJb, Bd. 2, S. 709.
Anmerkungen zu S. 176-182 43 RC, Jg. 30, 1961, S. 156-158. 44 Brandl, S. 231. 45 Wilamowitz-Moellendorjf, S. 203. 46 Schwartz, S. 13. 47 Rapp, Württembergische Eberhard-Karls-Universität Tübingen, in: Döberl/Scheel, S. 396. 48 Baeumker, S. 115. 49 ADB, Bd. 20, S. 569. 50 Stumpf, S. 218f. Zu Stumpfs religiöser Einstellung vgl. ebd., S. 215: »Aber da ich aus meiner freien Stellung zur Kirche kein Hehl machte, blieben die Theologen allmählich fast ganz weg. Ein religiöser Protestant, wie es Külpe war, ist den katholisch-theologischen Fakultäten erwünschter als ein abgefallener Katholik.« Bei der Berufung des Würzburger Chemikers Emil Fischer nach Berlin verhielt man sich im Bayerischen Staatsministerium wenig diplomatisch, so daß Fischer, obwohl er gern in Würzburg geblieben wäre, dem Ruf folgte. Fischer, Leben, S. 141: »Im Ministerium zu Berlin war man in jeder Beziehung entgegenkommend. ... Dazu [zur Annahme des Rufes nach Berlin] noch keineswegs entschlossen, fuhr ich nach München, wohin mich der dortige Minister eingeladen hatte. Ich war erstaunt über die wenig geschickte Art, in der er mich zur Ablehnung des Berliner Rufes bereden wollte. Zunächst mußte ich IV2 Tage warten, bevor er mich überhaupt empfing und dann behauptete er, ich wäre durch die Bewilligung des Neubaues in Würzburg verpflichtet, dort zu bleiben. Ich antwortete ihm, daß der Bau doch nicht mir persönlich bewilligt sei, wenn das aber zuträfe, so könne man ihn ja aufgeben, da er noch gar nicht begonnen sei.« 51 Aus politischen Gründen verließ auch der Historiker Konstantin von Höfler 1847 die Universität München. Höfler wurde im Zusammenhang mit der Lola-Montez Affäre zwangspensioniert und folgte fünf Jahre später einem Ruf nach Prag. NDB, Bd. 9, S. 313f. Da es sich hierbei nicht um eine unmittelbare Abberufung handelte, wurde Höfler bei den Abwanderungen nicht berücksichtigt. 52 Wölfflin, in: Zi/s, S. 390; Bosl, S. 857. 53 Indogermanisches Jahrbuch, Bd. 10, 1924/25, S. 4 0 8 ^ 1 3 ; Jahrbuch München 1925, S. 14-18. Vgl. auch Heibig, S. 83f. 54 Bissing, in: Zi/s, S. 401-404. 55 Lenz, Geschichte, Bd. 1, S. 390f. 56 Jagoditsch, S. 28. 57 DBJb, Bd. 4, S. 223-228. 58 NDB, Bd. 14, S. 231-233. 59 Vgl. auch Simon, Bd. 1, S. 82. 60 Heusler, S. 15f. 61 Ebd., S. 11. 62 Wendel, S. 123-154. 63 Vier Österreicher und zwei Ungarn, ferner vier Schweizer und je ein Niederländer, Russe und (Deutsch-)Amerikaner. 64 Für Dorpat liegt ein ausfuhrlicher Professorenkatalog für den Zeitraum von 1802 bis 1902 in russischer Sprache vor, der noch nicht ausgewertet wurde. Lewitzki, MathematischNaturwissenschaftliche Fakultät, Bd. 1, S. 129ff., Historisch-Philologische Fakultät, Bd. 2, S. 327ff. Vgl. ferner Wittram, Dorpat, S. 59-86; Kämmerer, Universität Dorpat, in: Boehm/ Müller, S. 103f. 65 Schibier, Universität Zürich, in: ebd., S. 378. 66 Laspeyres, S. 10.
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Anmerkungen zu S. 182-187 67 Aus unveröffentlichten Aufzeichnungen E. Wölfflins, zit. in: BJbAk, Bd. 34, S. 108. 68 Haller, S. 204f. 69 Schibier, Fribourg/Freiburg i. Ue., in: Boehm/Müller, S. 148ff. 7 0 Karl Adolph von Höfler, in: NDB, Bd. 9, S. 313f. 71 Redlich, Universität Wien, in: Döberl/Scheel, S. 409ff.; Turner, Universitäten, S. 244ff. 72 Höflechner, in: Brocke, S. 157f. 73 Ebd., S. 169ff.; ders., in: Bericht, S. 2 7 8 - 2 8 1 . 74 Ders., in: Brocke, S. 157. 75 Brandl, S. 105. 76 Es handelte sich um den Historiker und gebürtigen Österreicher Ottokar Lorenz, der in Wien, ohne sich habilitiert zu haben, Privatdozent wurde. Während des Dekanats seines ehemaligen Lehrers und zukünftigen Schwiegervaters stieg er zum Extraordinarius und wenig später, nach der Ablehnung eines Rufs nach Freiburg/Br., zum Ordinarius auf. Als er im Nationalitätenkonflikt eine protschechische Haltung einnahm und dadurch seine Stellung an der Universität unhaltbar wurde, ging er 1885 nach Jena. NDB, Bd. 15, S. 1 7 0 - 1 7 2 . 77 Stamm, Prag (Praha), in: Boehm/Müller, S. 310. 78 Brandl, S. 202f. 79 Müller, Karl-Franzens-Universität Graz, in: Boehm/Müller, S. 168. 80 Haberlandt, S. 115f. 81 Degener, 1922, S. 1635. 82 Der Psychologe Müller war zunächst Privatdozent in Göttingen, wechselte von dort in eine Professur nach Chernowitz und wurde bereits nach einem Jahr wieder nach Göttingen zurückberufen. Degener, 1911, S. 990. 83 ADB, Bd. 22, S. 165f.; Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 183f. 84 ADB, Bd. 16, S. 7 3 0 - 7 3 2 . 85 Marburg - 1849, Berlin - 1861, Kiel - 1862, Jena - 1869, Tübingen - 1872, Bonn 1875, Göttingen - 1877, Gießen - 1883, München - 1889. 86 Brocke, Althoff, S. 20. 87 Als 1889 der chemische Lehrstuhl in Kiel vakant wurde, bat Althoff den Botaniker Johannes Reinke, einen in Aussicht genommenen Kandidaten in Erlangen vor Ort und anonym zu inspizieren. Reinke, Tagewerk, S. 177: »Mir fuhr sogleich durch den Kopf, daß ein Physiologe aus Marburg wiederholt von Althoff sich hatte benutzen lassen, um Dozenten an verschiedenen Hochschulen inkognito auszuhorchen, und daß er dadurch in einen ziemlich üblen Ruf an den Universitäten geraten war.« 88 Brocke, Wissenschaftsverwaltung, S. 2ff., 17f. Genannt seien hier nur einige umfassendere Charakteristiken und Beispiele für Althoff und seine Berufungspraxis: Ladenburg, S. 126ff.; Rosenthal-Deussen, S. 265; Brandl, S. 243ff.; Strümpell, Aus dem Leben eines deutschen Klinikers, 1925, zit. in: Andreae, S. 333f.; Heffter, S. 92ff.; Haller, S. 229ff. Kennzeichnend für zahlreiche Charakteristiken Althoffs ist die folgende von Fischer, Leben, S. 147: »Er war ein sehr kluger, ideenreicher Mann, der für jeden noch so sehr verfahrenen Karren ein Mittel der Fortbewegung zu finden wußte. Dazu kam eine außerordentliche Arbeitskraft und Ausdauer in der Verfolgung seiner Pläne. Zudem ließ er sich bei allen wichtigen Entscheidungen nur von sachlichen Rücksichten bestimmen. Mit den äußeren Formen nahm er es nicht genau, und er hat manche Angehörige der preußischen Hochschulen durch sein suburbanes Wesen stark vor den Kopf gestoßen. Trotzdem bin ich der Ansicht, daß seine Tätigkeit für die Blüte der preußischen Hochschulen, insbesondere auch fur die Ausstattung mit Instituten, Bibliotheken, Seminaren von größter Bedeutung gewesen ist.« Vgl. auch ebd., S. 140f.
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Anmerkungen zu S. 187-196 89 Brandl, S. 249f. 9 0 Die Bedeutung Althofft fur die Wissenschaftsentwicklung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ist in jüngerer Zeit besonders von Brocke umfassend beleuchtet worden. Anläßlich des 150. Geburtstages von Althoff am 19. Februar 1989 fanden mehrere Tagungen statt, u.a. ein im Mai 1990 abgehaltenes Symposium unter der Leitung von B. vom Brocke und P. Krüger zum Forschungsstand, zu Person und Werk, Einzelfragen der Wissen schaftsentwicklung sowie gegenwartsbezogenen Aspekten des >Systems Althoff«. Vgl. Brocke, Forschungsstand, S. 1 5 - 4 4 ; Nagel, S. 1 8 2 - 1 8 5 ; Raulff, S. 12; ferner Sachse; Lischke. 91 Colder, S. 25Iff. 92 Morsbach, S. 38. 93 Vierhaus, Entwicklung, S. 198. 9 4 Brocke, Wissenschaftsverwaltung, S. 17f. 95 Ders., Wissenschaftspolitik, S. 88. 9 6 Brandl, S. 244. 97 Es handelt sich um den früh verstorbenen Klassischen Philologen Ivo Bruns. BJbAk, Bd. 2, S. 6f. 9 8 Brocke, Marburg, S. 391ff. 99 Haller, S. 236. 100 Classen, S. 25; Calder/Kosenina. 101 Morsbach, S. 38. 102 ADB, Bd. 38, S. 1 1 5 - 1 1 7 ; Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 269. 103 Es handelte sich um den Mediävisten Dietrich Schäfer. Vgl. ders., S. 139f.: »Gegen Ende des Sommersemesters 1902 erhielt ich die Aufforderung, als Nachfolger von SchefferBoichorst die Professur für mittelalterliche Geschichte an der Berliner Universität zu übernehmen. Die mit Althoff geführten Verhandlungen ergaben keine Einigung; ich scheute auch zurück vor dem Häusermeer, in das ich fürchtete untertauchen zu müssen. Ich wohnte in Heidelberg in schönster Lage gegenüber dem Schlosse ... Als gegen Ende November die Aufforderung zum zweiten Male an mich herantrat, bin ich ihr gefolgt. Ich habe mich zunächst vergewissert, daß ein Haus in bevorzugter Lage in Strelitz noch zu haben war, und habe dann angenommen. Entscheidend war der immer kräftiger sich regende Wunsch, aus den politischen Pflichten herauszukommen. Wissenschaft und praktische Politik lassen sich nicht nebeneinander betreiben.« 104 Vgl. im Unterschied zu diesen Ergebnissen den nicht auf statistischen Auswertungen beruhenden Aufsatz von Wendel, bes. S. 135ff. 105 Vor und nach der Amtszeit Althoffs in zwölf Jahren drei Auslandsberufungen, zur Zeit Althoffs zwei. 106 Vor und nach der Amtszeit Althofft in 14 Jahren ebenfalls drei Auslandsberufungen und zur Zeit Althoffs zwei. 107 Vor und nach der Amtszeit Althoffs in 27 Jahren vier Auslandsberufüngen und zur Zeit Althofft nur eine. 108 Krüger, Universität Greifswald, in: Döberl/Scheel, S. 175ff.; Andreas, Rostock und Greifswald, in: Die Universitäten in Mittel- und Ostdeutschland, S. 54. 109 Schubel, S. 67ff. 110 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 244ff., bes. S. 252ff. 111 Bekker, Prorektor, S. 166f. 112 Schubel, S. 85. 113 Wilamowitz-Moellendorff, S. 186. 114 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 384ff., bes. S. 392ff.
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Anmerkungen zu S. 196-198 115 M. Lehmann, S. 212. 116 /. Voigt, S. XXIIIf. 117 Lossen, S. 9; Andreae, Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau, in: Döberl/ Scheel, S. 97ff.; Aubin, Breslau, in: Die Universitäten in Mittel- und Ostdeutschland, S. 159ff.; Petry, S. 697ff. Vgl. über die Zusammensetzung des Lehrkörpers der Breslauer Universität im Jahr 1811 R. von Raumer, zit. in: Andreae, S. 22: »Das Personal der radikal erneuerten Universität war seltsam zusammengesetzt aus drei sehr voneinander verschiedenen Gruppen. Die erste bestand aus den katholischen Professoren der alten Universität. Die gehörten z.T. dem aufgehobenen Jesuitenorden an. Die zweite Gruppe bildeten die nach Breslau übergesiedelten protestantischen Professoren der aufgehobenen Frankfurter Universtät. ... Die dritte bunteste Gruppe bestand meist aus jungen Professoren, die von den verschiedensten Gegenden Deutschlands in Breslau zusammentrafen. Zu ihnen gehörten Bartels (der Mediziner), Hagen (der Altdeutsche), Steffens, Link, endlich die zwei Brüder Raumer. Diese dritte Gruppe bildete im besten Sinne die Fortschrittspartei; der vollkommenste Gegensatz war die höchst reaktionäre katholische Gruppe.« 118 Aubin, Breslau, in: Die Universitäten in Mittel- und Ostdeutschland, S. 162; Engel, S. 334. 119 Andreae, Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau, in: Döberl/Scheel, S. 106. 120 Schäfer, S. 104. Der Historiker Schäfer lehrte von 1885 bis 1888 in Breslau. Vgl. auch Hoffmann von Fallersleben, Mein Leben, 1868, zit. in: Andreae, S. 177: »Im Oktober 1833 kam ein neuer Professor zu uns, Adolf Friedrich Stenzler, Professor des Sanskrit. Alle Welt schrie: Sanskrit in Breslau. In Breslau, wo man nur Brotwissenschaft studiert, wo die Studenten so arm sind, daß sie nicht einmal ein Publikum belegen, weil sie 2 ι Δ Silbergroschen dann an die Krankenkasse entrichten müssen, wo zwei Studenten, wie man sich erzählt, nur ein paar Stiefel haben.« Vgl. auch Titze, Überfullungskrisen, S. 192, danach lag der Akademikeranteil unter den Vätern der Studenten in Breslau im Vergleich zu den anderen Universitäten mit am niedrigsten. 121 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 122ff., bes. S. 132ff. 122 Eulenburg, Nachwuchs, S. 36f. 123 I. von Miaskowski, Bilder aus dem Wanderleben einer deutschen Professorenfrau, 1909, zit. in: Andreae, S. 31 lf. 124 Bonn lag im Jahr 1907 zusammen mit Breslau und Göttingen an fünfter Stelle unter den deutschen Universitäten. Eulenburg, Nachwuchs, S. 8. 125 Ordentliche Einnahmen und Ausgaben der preußischen Universitäten in den Etatsjahren 1868 bis 1 9 1 1 / 1 2 , in: Preußische Statistik, H. 2 3 6 , S. 9ff. Danach lag der Breslauer Etat bis in die neunziger Jahre hinein deudich hinter denen von Bonn, Göttingen und Halle zurück. 126 Ladenburg, S. 131. 127 Andreae, Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau, in: Döberl/Scheel, S. 103f. 128 Vgl. die anekdotenhafte Erzählung des Breslauer Klinikers A. Strümpell über die Verhandlungen von Breslauer Professoren mit Friedrich Althoff über den Bau einer neuen Sterwarte, »dem Althoff aber aus finanziellen Gründen nicht geneigt war«. A. Strümpell, Aus dem Leben eines deutschen Klinikers, 1925, in: Andreae, S. 333f. 129 Aubin, Breslau, in: Die Universitäten in Mittel- und Ostdeutschland, S. 177f.; Kuebart, S. 658. 130 Brocke, Wissenschaftspolitik, S. 52f.
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Anmerkungen zu S. 198-206 131 Delitzsch, S. 243. 132 /. J. Müller, S. 89. Vgl. auch oben, Kap. 1.1.2.4. 133 Aubin, Breslau, in: Die Universitäten in Mittel- und Ostdeutschland, S. 171. Vgl. auch I. von Miaskowski, zit. in: Andreae, S. 312: »Wir fanden einen Kreis meist noch junger Professoren in Breslau, in welchem wir uns bald sehr wohl fühlten. Einige der späteren Größen der Universität Berlin gehörten zu uns: der Jurist Otto Gierke, der Philosoph Wilhelm Dilthey, der Germanist Karl Weinhold und, etwas später hinzukommend, der Historiker Eduard Meyer, sowie die Historiker Schäfer und Lenz, der Botaniker Engler und der Nationalökonom Elster.« 134 Aubin, Breslau, in: Die Universitäten in Mittel- und Ostdeutschland, S. 171. 135 Timm, S. 71. 136 Hammerstein, Jus, S. 148ff.; ders., Universitätsgründungen, S. 263ff.; ders., Geschichte, S. 316ff.; ders., Universitäten, Sp. 498f. 137 Timm, S. 68f., 74ff. Zur Schulenbildung um Wolf vgl. oben, Kap. 2.1.3. 138 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 263ff., bes. S. 272ff. 139 Auch ftir die Rechtslehrer war Halle offenbar Aufstiegsuniversität. Timm, S. 67, stellte bereits für die Zeit vor der Reichsgründung fest, daß die Mehrzahl der Juristen »jeweils lediglich wenige Jahre in Halle wirkt«. 140 Bei dem Münchener handelte es sich um den Psychologen Stumpf, der später nach Berlin wechselte. 141 Von den bis 1914 in Gießen lehrenden Geisteswissenschaftlern gelangten zwei nach 1914 über die Aufstiegsuniversitäten in Breslau und Tübingen nach Halle. 142 Fischer, Leben, S. 117. 143 Eiert, Bayerische Friedrich-Alexanders-Universität Erlangen, in: Döberl/Scheel, S. 118. Vgl. auch Paulsen, Leben, S. 138, der in Erlangen 1866 sein Theologiestudium begann: »Was mich nach Erlangen führte? Ich weiß es selbst nicht; vielleicht unbestimmte Vorstellungen vom deutschen Süden und süddeutschen Studentenleben, vage Gerüchte von der Erlanger Theologie, die damals in großem Ruf stand, sicher wirkte mit der Ruf von der Wohlfeilheit des dortigen Lebens«. Vgl. auch Dickerhof, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, in: Boehm/Müller, S. 125f. 144 Zur Entwicklung der geisteswissenschaftlichen Fächer vgl. Kolde, S. 219ff., 313ff., 428ff. 145 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 148ff., bes. S. 156ff. 146 Eiert, Bayerische Friedrich-Alexanders-Universität Erlangen, in: Döberl/Scheel, S. 119. 147 Fischer, Leben, S. 120, über den Zeitraum von 1885 bis 1892. 148 Chroust, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, in: Döberl/Scheel, S. 421. 149 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 544ff., bes. S. 554ff. 150 Fischer, Leben, S. 124. 151 Drüll, 1 8 0 3 - 1 9 3 2 , S. 278f. 152 Chroust, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, in: Döberl/Scheel, S. 417f. 153 Vgl. Kap. 2.2.2. 154 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 491ff., bes. S. 499ff. 155 Andreas, Rostock und Greifswald, in: Die Universitäten in Mittel- und Ostdeutschland, S. 43ff.; Kretschmann, S. 67ff.; Geschichte Rostock, S. 135, 138ff. 156 Kretschmann, S. 81. 157 Pauli, S. 194. 158 Andreas, Rostock und Greifswald, in: Die Universitäten in Mittel- und Ostdeutschland, S. 44.
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Anmerkungen zu S. 207-211 159 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 323ff., bes. S. 335ff. 160 Salvisberg, S. 1 9 4 - 1 9 7 . 161 Maschke, S. 80f.; ders., Jena, in: Die Universitäten in Mittel- und Ostdeutschland, S. 116ff. 162 Um den Standort der Hochschule im Universitätssystem zu bestimmen, wurden die Dozentenverzeichnisse von Günther und Piltz herangezogen. Piltz, der den Zeitraum von 1858 bis 1908 bearbeitete, führte die Positionen der Ordinarien unmittelbar vor ihrer Berufung nach Jena, ihren Werdegang in Jena und gegebenenfalls die anschließende Position auf; d.h. nicht alle Universitäten, an denen die Dozenten im Ordinarienrang wirkten, werden genannt. Für die gegen Ende des Zeitraums berufenen Ordinarien wurden die weiteren Stationen ermittelt. 163 Fries wurde in Heidelberg im Jahr 1817 wegen seiner Teilnahme am Wartburgfest vom Dienst suspendiert. In Jena fand Fries eine neue Wirkungsstätte. Als man 1824 nach der Ermordung A. von Kotzebues einige Privatbriefe von Fries fand, die ihn mit der Tat in Zusammenhang brachten, wurde ihm auch in Jena die Lehrbefugnis entzogen. Seine Dozententätigkeit beschränkte sich fortan zunächst auf naturwissenschaftliche Fächer, bis ihm 1837 wieder die volle Lehrfreiheit zuerkannt wurde. Günther, S. 227; NDB, Bd. 5, S. 608f. 164 Fischer entzog man wegen seiner pantheistischen Gesinnung in Heidelberg die venia legendi. Nach einer fünfzehnjährigen Lehrtätigkeit in Jena kehrte er als Ordinarius nach Heidelberg zurück. Maschke, Universität Jena, S. 98f.; NDB, Bd. 5, S. 199. 165 Meetz, S. 177ff. 166 Eucken, S. 122. 167 Von 1817 bis 1824 lehrte in Jena der Orientalist Hans Gottfried Ludwig Kosegarten, der anschließend an seine Heimatuniversität Greifswald zurückkehrte, die stets kleiner war als Jena. Günther, S. 237f. 168 Das Verhältnis zwischen badischen und nichtbadischen Studenten betrug in Freiburg im Jahr 1811 10 : 2 und zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer noch 7 : 2, in Heidelberg dagegen um 1900 nur 5 : 7. Vgl. Fuchs, Die Großherzoglich Badische Albert-LudwigsUniversität in Freiburg i. Br., in: Lexis, S. 554; Wolgast, Jahre, S. 12. Vgl. dagegen Hejfter, S. 119, fur die Zeit nach 1910, danach hätten »sowohl der Lehrkörper wie die Studentenschaft in Freiburg ... alle deutschen Gaue« vertreten. »Die Badener machten in der letzteren nur einen bescheidenen Teil aus, und sogar bei ihnen bestand ein großer Unterschied zwischen den etwas schwerfälligen, stillen Alemannen aus dem Oberland und den fröhlichen Pfälzern aus dem Unterland.« 169 Finke, Badische Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., in: Döberl/Scheel, S. 132f.; Müller, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, in: Boehm/Müller, S. 146f. 170 Berufungs- und Konfessionsstatistik, S. 126. 171 Finke, Badische Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., in: Döberl/Scheel, S. 133f. 172 Petersilie, S. 57. 173 Mit den rapide steigenden Studentenzahlen kamen auf Baden enorme Mehraufwendungen für den Unterhalt der Hochschule zu. Die Hochschulen im Grossherzogtum Baden, S. 57. 174 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 181ff., bes. S. 189ff. 175 Nach Laspeyres, S. 7, gehörte Freiburg zu den »ziemlich jungen« Universitäten. Nach Eulenburg, Nachwuchs, S. 80, war die Philosophische Fakultät in Freiburg 1890 die jüngste unter allen deutschen Universitäten. Im Jahr 1907 waren die Geistes- und Naturwissenschaftler dagegen relativ »alt«, sie lagen an zehnter bzw. elfter Stelle. 176 Pauli, S. 208f.
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Anmerkungen zu S. 211-220 177 Haller, S. 248. 178 Jolly, Die Königlich Württembergische Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen, in: Lexis, S. 540; Bleek, S. 203ff. 179 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 519ff., bes. S. 528ff. 180 Paulsen, Geschichte, Bd. 2, S. 156ff.; Jeismann, Knabenschulwesen, S. 158f. 181 Rienhardt, S. 172. 182 Schäfer, S. 111. 183 Engelhardt/Decker-Hauff; vgl. auch Hofmann, Frage, S. 1-56; Schubring, Entwicklung, S. 267f. 184 Naujoks, S. 139ff.; vgl. auch Jens, S. 224ff. 185 Haller, S. 248. 186 Laspeyres. Vgl. zum Alter Eulenburg, Nachwuchs, S. 80. Danach zählte die geisteswissenschaftliche Fächergruppe in Tübingen auch noch um 1907 zu den jüngeren. 187 Immanuel Hermann Fichte, vgl. oben, Kap. 3.1.1.2. 188 Schäfer, S. 106. 189 Wachsmuth, S. XXIII. 190 Heibig, S. 58ff.; Rathmann, S. 142ff. 191 Eulenburg, Frequenz, S. 110. 192 Maercker, S. 146. 193 Titze, Überfullungskrisen, S. 192. 194 A. Wagner, S. 44f., Anm. 12. 195 Vermudich hob sich das Sozialprestige der Berliner Studenten in diesem Zeitraum. Eine sozialgeschichdiche Analyse der Berliner Studentenschaft liegt für das 19. Jahrhundert nicht vor. 196 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 403ff., bes. S. 415ff. 197 Kötzschke, Universität Leipzig, in: Döberl/Scheel, S. 302. 198 Pfetsch, Wissenschaftspolitik, S. 57f. 199 Vgl. hierzu die Charakterisierung von Heibig, S. 93f.: »Eine Universität des wissenschaftlichen Sturmes und Dranges war Leipzig nie, aber - von vorübergehenden Perioden des Süllstands abgesehen - eine Universität des konservativen Fortschritts. Bei solchem Charakter lag ihre Stärke nicht in der Kraft kühner, kritischer Neuerung oder weit ausschauendem spekulativen Denken, sondern in der logischen und formalen Schulung wie in der wissenschaftlichen Bearbeitung des empirischen Erkenntnisstoffes, in der positiv gerichteten Forschung zugunsten einer allgemein verbindlichen Wissenschaft.« 200 Ebd., S. 8Of. 201 Kötzschke, Universität Leipzig, in: Döberl/Scheel, S. 304; Heibig, S. 83f.; Rathmann, S. 147ff. 202 Helbis, S. 84ff. 203 Ribbeck, S. 281. 204 Meyer, Eduard Meyer, S. 10. 205 Eulenburg, Nachwuchs, S. 8. 206 Laspeyres, S. 7ff.; Eulenburg, Nachwuchs, S. 80. 207 Titze, Datenhandbuch, Bd. 1, 2. Teil, S. 510ff., bes. S. 515ff. 208 Brandl, S. 232. 209 Schwartz, S. 8. 210 Ebd., S. 16. 211 Baeumker,S. 15. 212 Gundel, Richard Laqueur, in: ders., Gelehrte, Bd. 2, S. 590-601.
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Anmerkungen zu S. 220-231 213 Anrieh, Ehemalige Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg, in: Döberl/Scheel, S. 378ff.; Anrieh, Geschichte, S. 116ff., bes. S. 124ff. 214 Schweitzer, S. 208. 215 Nach einer Untersuchung der Ordinarienberufungen in Preußen von McClelland, State, S. 184ff., nahmen die Oktroyierungen durch die Ministerien seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts ab. Unter Altenstein wurden von 50 Ordinarien 34 gemäß den Wünschen der Fakultäten berufen, unter dem Ministerium Eichhorn waren es nur acht von 15; zwischen 1862 und 1895 und damit auch zum Teil zur Amtszeit Althoffs folgte man bei 112 von 142 Berufungen den Vorschlägen der Fakultäten. 216 Vgl. Smend, Friedrich-Wilhelms-Universität, S. 19, über das Verhältnis beider Universitäten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: »Erst nach und nach fühlte man sich Göttingen gewachsen, ohne daß man in Berlin jemals eigentliche Vergleiche gezogen oder Konkurrenz- und Rangfragen gestellt hätte. ... Berlin konnte im ersten Dezennium keine Göttinger Ordinarien gewinnen ... als der Jurist Eichhorn 1816 von Berlin nach Göttingen ging, wirkte das wie eine Gesamtkrise der Universität.« 217 Lenz, Geschichte, Bd. 2,2, S. 371. 218 Die Rangfolge entsprach darüber hinaus auch weitgehend der Abfolge der preußischen Universitäten nach Gehältern. Vgl. Preußische Statistik, H. 236, S. 5f. Danach zahlte man in den Jahren 1909/10, 1910/11, 1911/12 in der Philosophischen Fakultät in Berlin die höchsten Gehälter (3200-15000 Mark), deren Obergrenze nicht nur die der anderen preußischen Philosophischen Fakultäten, sondern auch die der Berliner Theologen (9800 Mark), Juristen (9600 Mark) und Mediziner (9400 Mark) übertraf. Es folgten Göttingen mit 4200-10500 Mark, Bonn mit 5200-10340 Mark, Halle mit 4200-9000 Mark, Breslau mit 4200-7800 Mark, Königsberg mit 4200-7200 Mark, Marburg mit 4200-6600/7800 Mark und die beiden kleinen Universitäten in Kiel mit 4200-7200 Mark und Greifewald mit 2600-6600 Mark. 219 Vgl. auch Brocke, Wissenschaftspolitik, S. 112: »Preußen war als zentralistischer Staat eher Frankreich als den Bundesländern vergleichbar, groß genug, um federführend fur Deutschland Bildungspolitik zu planen und durchzuführen. Es war aber verfassungsmäßig wiederum nicht stark genug, um die fiir die wissenschaftliche Blüte Deutschlands seit jeher so fruchtbare Konkurrenz der anderen Bundesländer auszuschalten.« 220 Ben-David. 221 Vgl. im Anhang Graphik 2, 4 und 6. 222 Fischer, Leben, S. 15 Of. 223 Heffter, S. 55. 224 Ebd., S. 65. 225 Koenigsberger, Leben, S. 61. 226 Grisebach, S. 621. 227 Reinke, Tagewerk, S. 166. 228 Ebd., S. 166f. 229 Ebd., S. 169. 230 Reinke, in: Schmidt, S. 81f. 231 H. Weber, S. 14. 232 Klein, Professoren, S. 22. 233 Latze, Hans Stilles wissenschaftliches Werk, in: Nw, Jg. 29, 1941, S. 596ff. 234 Wagner, Professoren, S. 18. 235 Cremer, Walther Nernst und Max Bodenstein, in: Ribbe, Bd. 1, S. 186. 236 Martin, S. 3-21.
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Anmerkungen
zu S. 232-243
2 3 7 Bei den Heidelbergern handelte es sich um den Physiker Gustav Kirchhoff, den Mathematiker Immanuel Fuchs und den aus der Medizinischen Fakultät berufenen Physiologen Hermann von Helmholtz, der in Berlin ein physikalisches Ordinariat übernahm. N D B , Bd. 8, S. 498ff. 238 Wien, S. 24f. 239 Plewe, Skizzen, S. 59. 240 Meusburger, Rekrutierung, S. 218ff.; ders., Karrieremuster, S. 54ff. 241 Wilckens, S. 44f. 242 N D B , Bd. 3, S. 445f. 2 4 3 Vgl. im Anhang Graphik 10. 244 Haupt, Biographien, Bd. 3, S. 3 3 5 - 3 4 2 . 245 Schütze, S. 89f. 246 N D B , Bd. 2, S. 562. 2 4 7 Koenigsberger, Helmholtz, Bd. 2, S. 170ff. 248 N D B , Bd. 5, S. 675. 249 Keller, S. 110. 2 5 0 Wolgast, Universität Heidelberg, S. 107. 2 5 1 Koenigsberger, Leben, S. 82. Hesse bereute später seinen Wechsel nach München und ordnete für den Fall seines Todes an, in Heidelberg begraben zu werden; »ich stand am Grabe Hesses zwischen Kirchhoff und Bunsen, und ersterer flüsterte mir zu: >Sehen Sie, selbst im Grabe sehnt man sich nach Heidelberg zurückEinsamkeit und Freiheit neu besichtigt. Universitätsreformen und Disziplinenbildung in Preußen als Modell für Wissenschaftspolitik im Europa des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1991, S. 255-267. Müller-Merbach, H. u.a., Akademiker im Wettbewerb, oder: Welches sind die besten Universitäten? in: Technologie & Management 4, 1987, S. 30^40. München. Besetzung der Lehrstellen an der neuen Universität, in: Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, 1826, S. 4 8 9 ^ 9 1 . Die Münchener Professoren-Berufungen und die Ultramontanen, von einem bayerischen Protestanten, in: Fliegende Blätter aus Bayern, Nr. 1, Nördlingen 1857. Muhlack, U., Die Universitäten im Zeichen von Neuhumanismus und Idealismus: Berlin, in: P. Baumgart u. N. Hammerstein (Hg.), Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen, Nendeln/Liechtenstein 1978, S. 299-340. Die Nachfolger der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät, in: 600 Jahre RuprechtKarls-Universität Heidelberg 1386-1986, hg. v. d. Rektor der Universität Heidelberg, München 1986, S. 165-195. Die Nachfolger der Philosophischen Fakultät, in: 600 Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386-1986, hg. v. d. Rektor der Universität Heidelberg, München 1986, S. 130-156. Nagel, Α., Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter: Das »System Althoff« in historischer Perspektive, in: BerWissGesch, Bd. 13, 1990, S. 182-185. Natho, G. u. H. Schmidt, Zur Entwicklung der Speziellen Botanik als Wissenschaftsdisziplin an der Berliner bzw. Humboldt-Universität, in: WZHUB, Math. nat. R., Jg. 34, 1985, S. 208-214. Nauck, E. Th., Zur Vorgeschichte der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Die Vertretung der Naturwissenschaften durch Freiburger Medizinprofessoren, Freiburg/Br. 1954. Naujoks, E., Reform und Lehrkörperstruktur der Universität Tübingen (1815-1914), in: H. Decker-Hauff (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477-1977, Tübingen 1977, S. 135-192. Nebelin, M., Die Reichsuniversität Straßburg als Modell und Ausgangspunkt der deutschen Hochschulreform, in: B. vom Brocke (Hg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das »System Althoff« in historischer Perspektive, Hildesheim 1991, S. 61-68. Neuenschwander, E. u. H.-W. Burmann, Die Entwicklung der Mathematik an der Universität Göttingen, in: GA, Nr. 47, 1987, S. 17-28. Neumann, R., Von Bunsen zu Jensen: Die Heidelberger Naturwissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert, in: Die Geschichte der Universität Heidelberg: Vorträge im Wintersemester 1985/86, hg. v. d. Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg 1986, S. 110-129. Niebuhr, H., Zur Sozialgeschichte der Marburger Professoren 1653-1806, Darmstadt 1983. Nipperdey, Th., Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983. - , Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918, München 1988. - , Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 1, Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, Bd. 2, Machtstaat vor der Demokratie, München 1992. O'Boyle, L., Klassische Bildung und soziale Struktur in Deutschland zwischen 1800 und 1848, in: HZ, Bd. 207, 1968, S. 584-608. Obser, K., Die Universität Heidelberg unter der Regierung Karl Friedrichs (1802-1811), in:
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Personenregister
Abbe, Ernst 260 Adler, Karl 109 Althoff, Friedrich 40, 71, 108, 117f., 122f., 169f., 181, 187-193, 195f., 198, 202, 209f., 214, 217, 221, 2 2 9 , 2 4 7 - 2 5 1 , 2 6 4 , 271 Andreas, Willy 206 Argelander, Friedrich Wilhelm 138, 240 Ast, Friedrich 41 Aubin, Hermann 199 Baehr, Christian 125 Baeumker, Clemens 165, 178, 219 Baeyer, Adolf von 74f., 131 Barding, Friedrich Gotdieb 70 Bartsch, Karl 37 Baumann, Julius 129 Baur, Emilie 106 Baur, Ferdinand Christian 106, 212 Bauschinger, Julius 239, 262f. Bekker, August Immanuel 122, 194 Bekker, Ernst Immanuel 109, 194 Benecke, Georg Friedrich 39, 127 Berger, Johann Erich von 33, 65 Bergmann, Ernst von 256 Bertheau, Ernst 128 Bessel, Friedrich Wilhelm 252 Bezold, Wilhelm 151 Bismarck, Otto von 171 Bissing, Friedrich Wilhelm von 179 Blumenbach, Johann Friedrich 69 Boeckh, August 36, 45, 79, 99, 122, 124, 128, 131 Bois-Reymond, Claude du 77 Boltzmann, Ludwig 74, 149, 232, 239-241, 243, 262 Bopp, Franz 47 Born, Max 72 Brandl, Alois 44, 170, 176, 184f., 187, 189, 218f.
Braun, Alexander 148, 153, 227 Braun, Heinrich 232 Brugmann, Karl 179, 216 Brugsch-Pascha, Heinrich 41 Bruns, Ivo 99 Bütschli, Otto 237 Bunsen, Robert 67, 151, 232, 234, 237f., 248, 253 Busolt, Georg 177 Caratheodory, Konstantin 231 Carriere, Moriz 41, 135 Christ, Wilhelm von 126 Claus, Carl 242 Clebsch, Alfred 153, 247, 252 Clemm, Ludwig 129 Cohn, Fritz 137f. Cornelius, Karl Adolph von 119, 126, 165 Creuzer, Friedrich 35, 106, 124f., 177 Curtius, Ernst 46, 104, 123 Curtius, Georg 104 Curtius, Theodor 234, 239 Dahlmann, Friedrich Christoph 33, 128 Debye, Peter 142, 156, 242 Delbrück, Hans 122f., 135 Diels, Hermann 109 Diels, Otto 109, 142 Dieterici, Conrad 130, 133 Dilthey, Karl 40 Dilthey, Wilhelm 45, 103, 173, 189 Dirksen, Enno Heeren 149 Dissen, Ludolf 128 Dittenberger, Wilhelm 201 Dove, Heinrich Wilhelm 77, 135, 154 Droysen, Johann Gustav 32f., 46, 103, 125,208 Drude, Paul 149, 233 Drygalski, Erich von 74
371
Ebers, Georg 2 1 6 Encke, Johann Franz 77f., 150 Erb, Carl August 9 7 , 124 Erb, Ludwig 9 7 Erb, Wilhelm 9 7 Erdmann, Oskar 9 6 Erman, Adolf 100, 123, 158, 170 Erman, Adolphe 100 Erman, Heinrich 100 Erman, Paul 100 Erman, Walter 100 Erman, Wilhelm 100 Eucken, Rudolf 2 0 8 Ewald, Heinrich von 39, 107, 128, 137 Falk, Adalbert 7 8 , 88 Fallmerayer, Jakob Philipp 51 Fester, Richard 173 Feuerbach, Paul Johann Anselm 2 0 7 Fichte, Immanuel Hermann 178 Fichte, Johann Gotdieb 4 5 , 122, 178, 207 Fiorillo, Johann Dominicus 38 Fischer, Emil 7 5 , 7 9 , 135, 2 0 3 - 2 0 5 , 2 2 6 , 2 4 8 , 2 5 0 , 256f., 2 6 3 Fischer, Kuno 36, 2 0 8 Fischer, Otto 2 6 3 Förster, Richard 173 Foerster, Wilhelm 7 8 , 150 Forchhammer, Peter Wilhelm 33 Franck, James 72 Francke, August Hermann 2 0 0 Friedrich III. (Deutscher Kaiser, König von Preußen) 122 Fries, Jakob 35f., 124, 176, 2 0 8 Frobenius, Georg Ferdinand 149 Frohschammer, Jacob 117 Fuchs, Immanuel 138, 149, 2 3 7 , 2 5 0 Gaß, Wilhelm 9 7 Gauß, Karl Friedrich 6 9 , 107, 137, 149, 1 5 5 - 1 5 7 , 2 3 0 , 2 3 9 , 2 5 2 Gerhard, Eduard 123 Gervinus, Georg 37, 39, 128 Gesner, Johann Matthias 127 Giesebrecht, Wilhelm von 34, 119, 126, 196 Gmelin, Leopold 6 7 , 9 9 Goethe, Johann Wolfgang von 2 0 7 , 219,259 Goldschmidt, Adolf 118
372
Grauert, Hermann von 126 Gresser, Franz von 119 Grisebach, August 2 2 7 , 231f., 2 3 8 Gutschmid, Alfred von 2 0 9 Haberlandt, Gottfried 135, 2 4 2 Haeckel, Ernst 2 0 8 Häusser, Ludwig 37 Haller, Johannes 31, 191, 2 1 1 , 2 1 3 Halm, Karl von 126 Hampe, Karl 35 Harding, Karl Ludwig 69 Harnack, Adolf 135, 180 Haupt, Moritz 107, 172, 2 1 7 Heeren, Arnold 108, 128 Heffter, Lothar 154, 2 2 7 , 2 4 5 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 36, 4 5 , 7 9 , 122, 124 , 207f., 2 1 2 Heidegger, Martin 4 0 Heigel, Karl Theodor von 126 Heindorf, Ludwig Friedrich 4 5 , 122, 179,199 Heinrich, Ernst 2 6 2 Hellmann, Gustav 151 Helmholtz, Hermann von 6 7 , 7 9 , 142, 148, 2 3 7 , 2 4 3 Hermann, Gottfried 107, 2 1 6 Hermann, Karl Friedrich 9 8 Hermbstädt, Sigismund Friedrich 150 Herding, Georg Freiherr von 4 1 , 9 9 Hertz, Heinrich 149 Hesse, Otto 141, 2 3 8 Hettner, Alfred 2 3 2 Heusler, Andreas 124, 180 Heyne, Christian Gotdob 108, 127f. Hilbert, David 6 8 , 7 2 , 2 3 9 , 2 4 9 , 2 5 2 Hilger, Albert 146 Hillebrand, Joseph 50f., 162, 176 Himly, Karl 154 Hintze, Otto 4 6 Hirt, Alois 45 Höfler, Karl Adolph Konstantin von 51 Hölderlin, Johann Christian Friedrich
212
Hofmann, August Wilhelm von 7 9 , 142, 150, 2 5 0 Holtzmann, Adolf 103 Holtzmann, Karl 103 Holtzmann, Robert Karl 106 Huber, Viktor Aime 52 Hübner, Emil 103 Hübner, Hans 7 0 , 103
Humboldt, Alexander von 4 7 , 6 3 , 7 6 - 7 9 , 132, 149, 155 Humboldt, Wilhelm von 15, 4 7 , 53, 75f., 100, 187 Hurwitz, Adolf 2 5 2 Husserl, Edmund 4 0 , 177, 2 1 0 Ideler, Christoph Ludwig 77 Jacobi, Gustav 2 5 2 Jagic, Vratoslaw von 179, 184 Jolly, Philipp von 6 7 , 72, 7 4 , 145f., 237 Jordan, Heinrich 103 Jung, Heinrich 154 Justi, Ferdinand 9 8 Justi, Karl 97f., 164, 174 Kant, Immanuel 33 Kapp, Christian 51 Karsten, Gustav 131, 138, 154 Kastner, Karl Wilhelm Gotdob 238f., 255 Kauffmann, Friedrich 103 Kayser, Karl Ludwig 114, 125 Kehr, Paul 4 0 , 128 Kekule von Stradonitz, Reinhard 4 6 , 178 Kielhorn, Franz 120 Kiepert, Heinrich 7 8 , 147 Kirchhoff, Gustav 6 7 , 79, 148, 2 3 7 , 240, 243 Klaproth, Martin Heinrich 150 Klein, Felix 71f., 8 3 , 122, 135, 156, 191, 230f., 2 4 7 , 2 4 9 , 2 5 0 , 2 5 2 , 256, 262 Klein, Karl 2 2 9 Knapp, Friedrich Ludwig 6 4 , 135, 2 3 7 Knapp, Georg Friedrich 135 Koch, Johannes 35 Koenigsberger, Leo 66f., 2 3 8 , 2 4 3 Kolbe, Hermann 2 3 8 Kopp, Hermann 6 7 , 2 3 2 , 2 3 4 , 2 3 7 Kortüm, Friedrich 186 Koschwitz, Eduard 194 Kotzebue, August von 2 0 7 Kronecker, Leopold 7 6 , 145, 149, 2 5 0 Krueger, Adalbert 138, 2 4 0 Kuhn, Ernst 37 Külpe, Oswald 165, 169, 179 Kummer, Ernst Eduard 76, 149 Kunth, Karl Sigismund 7 7 , 148f.
Lachmann, Karl 5 2 , 122, 127 Ladenburg, Albert 6 5 , 198, 2 5 3 Lagarde, Paul de 116 Lamprecht, Karl 2 1 6 Landsberg, Georg 154 Langsdorff, Christian von 2 4 1 , 2 4 3 Laqueur, Richard 163, 2 2 0 Lassaulx, Ernst von 51 Lejeune-Dirichlet, Peter 149, 154, 156, 2 3 0 , 2 3 9 , 2 5 2 Lehmann, Karl 2 5 9 Lehmann, Max 167, 196 Leist, Alexander 137 Lenard, Philipp 6 6 , 144 Lenz, Max 4 6 , 4 8 , 54, 180 Leo, Friedrich 191 Lepsius, Karl Richard 4 7 , 100, 123 Leskien, August 179, 2 1 6 Leuckart, Karl 141 Leutsch, Ernst Ludwig von 128 Lexer, Mathias von 165 Lichtenstein, Hinrich 7 6 Liebig, Justus von 26f., 31, 4 1 , 6 2 - 6 4 , 6 7 , 7 4 - 7 7 , 79, 8 3 , 8 9 , 107, 129, 135, 142, 145, 147, 149f., 152f., 2 2 7 , 2 3 2 , 2 3 4 , 236f., 2 4 3 , 2 5 0 Lindemann, Heinrich Simon 51 Lipps, Theodor 120, 179 Listing, Johann Benedikt 7 0 , 155 Loeschcke, Georg 178 Lommel, Eugen von 135, 146 Lotze, Rudolf Hermann 129, 176 Lübbert, Eduard 173 Luc, Jean Andre de 69 Ludwig I. (König von Bayern) 4 3 , 51, 73, 132 Ludwig II. (König von Bayern) 114, 119, 142 Lutz, Johann von 119, 2 5 7 Magnus, Heinrich Gustav 77, 79, 148 Maier, Heinrich 107f. Mannert, Konrad 41 Mareks, Erich 176, 179 Martin, Christoph 9 9 , 131 Massmann, Johann Ferdinand 178 Mau, Heinrich 9 7 Maximilian II. (König von Bayern) 2 4 , 4 1 , 7 4 , 117, 126, 142, 151, 170 Mayer, Johann Tobias 133, 142, 2 5 5 Meinecke, Friedrich 4 6 Messer, August 117, 130
373
Meyer, Eduard 105, 180, 2 0 1 , 2 1 7 Meyer, Kuno 105 Meyer, Viktor 151 Meyer, Wilhelm 191 Michaelis, Adolf 103, 194 Michels, Victor 137 Minkowski, Hermann 72, 2 4 7 , 2 4 9 , 252 Mirbt, Carl 137 Mitscherlich, Christoph Wilhelm 128 Mitscherlich, Eilhard 136, 150 Mitscherlich, Karl Gustav 136 Mommsen, Marie 108 Mommsen, Theodor 11, 46f., 108, 189,217 Mone, Franz Joseph 37, 186 Morsbach, Lorenz 191 Müller, Georg Elias 185 Müller, Iwan 120 Müller, Ottfried 128 Nägeli, Karl Wilhelm von 7 4 , 145 Naumann, Alexander 146f., 152 Nernst, Walter 70f., 7 9 , 157, 2 3 1 , 250 Neumann, Franz Ernst 149, 2 5 2 Nitzsch, Friedrich 95 Nitzsch, Friedrich August 9 6 Nitzsch, Gregor 95 Nitzsch, Karl Ludwig 95f., 106 Nitzsch, Karl Wilhelm 9 6 , 114, 125 Nitzsch, Ludwig Wilhelm 9 5 Norden, Eduard 118f. Oesterley, Carl Wilhelm Friedrich 38, 101 Oltmanns, Jabbo 77 Oppel, Albert 2 3 1 Pasch, Moritz 2 2 7 Paul, Theodor 2 6 2 Pauli, Reinhold 4 0 , 162, 165f., 2 0 6 , 211, 214 Paulsen, Friedrich 9 6 , 122, 189 Pfitzner, Ernst 2 3 2 , 2 3 7 Pius X. 117 Planck, Heinrich Ludwig 131 Planck, Max 7 9 , 1 3 0 - 1 3 2 , 149 Pochhammer, Leo 154 Pöhlmann, Robert von 4 3 , 120 Pohl, Robert 72 Pompecky, Josef 2 3 9
374
Prandtl, Ludwig 2 4 7 Prantl, Carl von 2 1 7 Rachfahl, Felix 163 Radlkofer, Ludwig 73 Rammeisberg, Karl Friedrich 147 Ranke, Johannes 7 4 , 134, 146, 152 Ranke, Leopold von 4 2 , 4 6 , 114, 119, 122, 126, 134, 179 Ratjen, Henning 34 Raumer, Friedrich von 4 6 , 105 Raumer, Karl Georg von 105 Reichlin-Meldegg, Karl Alexander von 36, 124 Reinhold, Karl Leonhard 3 3 , 9 1 , 163, 207 Reinke, Johannes 2 2 , 157, 228f., 2 3 6 , 239 Reitzenstein, Richard 4 0 Reitzenstein, Sigismund von 13, 35 Reuss, Jeremias David 108 Rhode, Erwin 168 Ribbeck, Otto 216f. Richthofen, Ferdinand von 78 Riecke, Eduard 71, 1 5 5 - 1 5 7 Riehl, Alois 117, 164, 173, 2 1 0 Riehl, Berthold 102 Riemann, Bernhard 156, 2 5 2 Riezler, Siegmund von 100f., 158 Ritgen, Hugo von 2 4 4 Ritter, Karl 7 8 , 150 Robert, Karl 9 8 , 179, 201f. Röntgen, Conrad Wilhelm 74, 2 3 3 , 237, 257 Rohde, Erwin 2 0 9 Rose, Gustav 77f., 140, 150 Rose, Heinrich 7 7 , 140, 150 Rose, Valentin 140 Rothpietz, August 146, 152 Rubens, Heinrich 149 Rückert, Friedrich 52 Rühs, Christian Friedrich 45 Runge, Karl 2 4 7 , 2 4 9 Salomon, Wilhelm 145, 2 3 7 Sand, Karl Ludwig 2 0 7 Sartorius, Georg 128, 134 Sartorius von Waltershausen, Wolfgang 134 Schäfer, Dietrich 4 6 , 113, 2 0 9 , 2 1 4 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 4 5 , 51, 122, 178, 2 0 5 , 2 0 7 , 2 1 2
Schering, Ernst 136, 227 Schering, Karl 136 Scherk, Ferdinand 65, 82, 154 Schiemann, Theodor 49, 123 Schiller, Friedrich 180 Schlesinger, Ludwig 138, 243 Schlosser, Friedrich Christoph 37 Schmidt, Erich 124 Schmidt, Georg Gotdieb 236 Schmidt, Johannes 100 Schmitt, Jakob 66, 238 Schneidewin, Friedrich Wilhelm 128 Schöll, Gustav Adolf 103 Schöll, Rudolf von 194, 209 Schönlein, Johann Lukas 256 Schott, Otto 260 Schottky, Friedrich Hermann 149 Schräder, Eberhard 100, 175 Schubert, Gotthilf Heinrich von 73, 134 Schuckmann, Friedrich von 53, 179 Schulze, Franz 142, 258 Schulze, Wilhelm 191 Schur, Wilhelm 157, Schwartz, Eduard 40, 103, 177, 210, 219 Schwartz, Hermann 103 Schwarz, Hermann Amandus 149, 247 Schweitzer, Albert 220 Seeliger, H u g o von 243 Seidel, Philipp Ludwig von 74, 152 Sendter, Erwin 101 Sendter, Ignaz 101 Sendter, Otto 101, 134 Siebold, Karl Theodor 130, 132 Sievers, Wilhelm 152, 209 Sigwart, Christoph 107f. Simon, Hermann Theodor 156 Simonsfeld, Henry 43 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 45 Sommerfeld, Arnold 74, 232, 243 Späth, Johann Leonhard 142 Spahn, Martin 117 Spahn, Peter 117 Springer, Anton 178, 219 Stade, Bernhard 135 Stäckel, Paul 154 Stark, Johann Christian 99 Stark, Karl Bernhard 99 Steinbach, Erwin von 219 Steindorff, Ernst 40, 107, 129 Stengel, Edmund 194
Stern, Moritz 145, 156 Stille, Hans 230, 262 Streitberg, Wilhelm 179 Stumpf, Karl 45, 120, 178, 205 Suckow, Georg Adolf 66f. Sybel, Heinrich von 34, 119, 126, 170, 179 Tamann, Gustav 71, 242 Tangl, Michael 117 Thibaut, Anton Friedrich Justus 207 Thiersch, Friedrich Wilhelm 43, 126, 135 Thiersch, Karl 135 Thomae, Johannes 259 Thomasius, Christian 200 Thorbecke, Heinrich 192 Tietjen, Friedrich 150 Traube, Ludwig 118 Treitschke, Heinrich von 33, 37, 46, 49, 122f. Vahlen, Johannes 193 Valentiner, Wilhelm 68 Virchow, Rudolf 256 Vischer, Friedrich 212 Voigt, Christian Gottlob 207 Voigt, Johannes 196 Volquardsen, Christian 177 vom Stein zum Altenstein, Karl Freiherr zum 53 Voretzsch, Karl 163, 173, 214 Voss, Johann Heinrich 36, 205 Wachsmuth, Kurt 168 Wachsmuth, Wilhelm 215 Wagemann, Georg 131 Wagner, Andreas 73 Wagner, Hermann 133, 137, 230 Wagner, Rudolph 133 Waitz, Georg 33, 39, 40, 107, 125f., 128f., 176 Walde, Alois 185 Wallach, Otto 71, 166 Wattenbach, Wilhelm 34, 36, 46 Weber, Eduard Friedrich 262 Weber, Eduard von 101 Weber, Heinrich 263 Weber, Karl Josef 106 Weber, Leonhard 138, 154 Weber, Wilhelm 39, 69f., 135f., 155-157, 230, 262
375
Weierstraß, Karl 76, 149, 237, 250 Weil, Gustav 118 Weiland, Ludwig 40, 128 Weiß, Christian Samuel 76, 148, 150 Weisse, Ferdinand Christoph 35 Weizsäcker, Julius 40, 128 Welcker, Friedrich Gotüieb 31, 174 Wellhausen, Julius 120, 167, 194 Wendt, Johann Amadeus 218 Wernsdorf, Gottlieb 95 Weyer, Georg 154 Wiechert, Emil 231 Wien, Willi 232, 237 Wieseler, Friedrich 104f. Wieseler, Karl 104 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 38, 40, 46, 108, 118, 128, 165, 176, 188f., 191, 194f. Wilbrand, Johann Bernhard 64 Wilcken, Ulrich 169 Wilhelm I. (Deutscher Kaiser, König von Preußen) 170 Wilken, Friedrich 35, 79 Will, Heinrich 153
376
Wilmanns, August 173 Windelband, Wilhelm 36 Windisch, Ernst 3 7 , 1 7 6 , 1 7 9 , 216, 219 Wissowa, Georg 201 Wöhler, Friedrich 70, 84,148,154-156 Wölfflin, Eduard 182, 203 Wölfflin, Heinrich 102, 179f. Wolf, Friedrich August 45, 122, 124, 127, 201 Wolf, Max 68 Wolf, Peter Philip 101 Wolters, Paul 120 Wüstenfeld, Heinrich Ferdinand 128 Wundt, Friedrich Peter 35, 96 Wundt, Johann Jakob 96 Wundt, Wilhelm 96f., 216 Zangemeister, Karl 177 Zeiss, Carl 259f. Zell, Carl 125 Zeller, Eduard 36, 45, 106, 161, 189, 212 Zittel, Karl Alfred von 74, 152, 231 Zsigmondi, Richard 71