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German Pages 201 [204] Year 1992
Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft
Herausgegeben von Klaus Baumgärtner
Gerhard Heibig
Probleme der Valenz- und Kasustheorie
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1992
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort GmbH
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Heibig, Gerhard: Probleme der Valenz- und Kasustheorie / Gerhard Heibig. - Tübingen : Niemeyer, 1992 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft ; 51) NE: GT ISBN 3-484-22051-1 5
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3
ISSN 0344-6735
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© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1992 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Einband: Hugo Nadele, Nehren
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1
1. Valenz und Sprachebenen
3
1.1. Erweiterung des Valenzbegriffes 1.2. Sprachsystem und kommunikative Tätigkeit 1.3. Valenz als Erscheinung der Ausdrucks- und/oder der Inhaltsebene 1.4 Logische, semantische und syntaktische Valenz 1.5. Valenz und Bedeutung 1.6. Argumente, semantische Kasus und Aktanten 1.7. »Semantisierung« der Valenz 1.8. Zum Terminus »semantische Valenz«
2. Probleme der semantischen Kasus 2.1. Ansatz und Zielstellung der Kasustheorie 2.2. Leistungen und Grenzen der Kasustheorie 2.2.1. Vorzüge 2.2.2. Nachteile 2.3. Weiterentwicklung der Kasustheorie 2.4. Uneinheitlichkeiten der Kasustheorien 2.4.1. Unterschiedliche Anzahl der semantischen Kasus 2.4.2. Heterogene Kriterien für die Abgrenzung der Kasus . . . 2.4.3. Zum Status der semantischen Kasus 2.5. Zum Erklärungswert der semantischen Kasus 2.6. Semantisch-signifikatives Kasuskonzept 2.7. Semantische Kasus als Relationen und Funktionen 2.8. Kasuskonzepte Α, Β und C 2.9. Verhältnis zu und zwischen verschiedenen Grammatiktheorien
3. Valenz und Kommunikation 3.1. »Pragmatische Valenz« 3.2. Aspekte der Beziehungen zwischen Valenz und Kommunikation
3 4 5 7 10 13 16 17
19 19 22 22 24 25 26 26 28 31 34 37 40 41 43
47 47 49
V
3.3. 3.4. 3.5.
3.6. 3.7. 3.8. 3.9.
3.2.1. Variierung entsprechend der Kommunikationssituation und -intention 3.2.2. Differenzierung nach Textsorten 3.2.3. Einbindung über die Kasus in »Szenen« Kognitive Aspekte der Valenz Pragmatische »Umkehr« der Betrachtungsweise Offene Probleme bei der »Umkehr« der Betrachtungsweise . . . 3.5.1. Was heißt »funktionaler Zugang«? 3.5.2. Psychologische Realität der Grammatik? 3.5.3. Perspektive und Perspektivierung Verhältnis von semantischen Kasus (A) und pragmatischen Kasus (C) Globaler vs. modularer Zugang Zum Wert der Prototypen(-Semantik) Konsequenzen aus der Öffnung des Valenzbegriffes
4. Unterscheidung zwischen Aktanten/Ergänzungen (E) und (freien) Angaben (A) 4.1. Uneinheitliche Kriterien bei der Unterscheidung zwischen E und A 4.2. Wert und Grenze syntaktisch-operationeller Tests 4.3. Einzelne syntaktische Tests zur Unterscheidung von E und A . 4.4. Jüngere Prozeduren zur Unterscheidung von E und A 4.5. Syntaktische, semantische und/oder pragmatische Motivierung der Unterscheidung von E und A 4.6. Dichotomische Unterscheidung oder graduelle Abstufung zwischen E und A? 4.7. »Mittelelemente« zwischen E und A? 4.8. »Grundvalenz« 4.9. »Statische« vs. »dynamische« Valenz?
5. Unterscheidung zwischen obligatorischen Aktanten/Ergänzungen und fakultativen Aktanten/Ergänzungen (E) 5.1. Primäre Unterscheidung von E und A und sekundäre Unterscheidung von obligatorischen und fakultativen E 5.2. Valenznotwendige, valenzunmögliche, nicht-valenznotwendige, valenzmögliche und valenzunabhängige Glieder 5.3. Eliminierungstest als Unterscheidungskriterium 5.4. Grade der Weglaßbarkeit 5.5. Definit-fakultative und indefinit-fakultative E VI
49 49 51 51 54 55 55 57 58 63 65 67 70
72
72 74 78 85 88 92 94 96 97
99
99 101 103 104 106
6. Valenz und Wortklassen 6.1. Valenz der Adjektive 6.1.1. Gemeinsamkeiten von Verb und Adjektiv 6.1.2. Valenzträger beim Adjektiv 6.2. Valenz der Substantive 6.2.1. Nominalisierungen als Valenzträger 6.2.2. Drei Phasen in der Forschung zur Valenz der Substantive 6.2.3. Obligatorische Aktanten bei Substantiven? 6.2.4. Unterscheidungskriterien zwischen E und A bei Substantiven 6.2.5. Verbale und substantivische Valenz (oder: Substantivische Valenz - ein System sui generis?) 6.2.6. Welche Substantive verfügen über Valenz? 6.2.7. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Valenz der Verben und Substantive 7. Valenz und Satzmodelle 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5. 7.6. 7.7.
Sinn der Satzmodellierung Status und Ebenen der Satzmodelle Älterer Klassifizierungsversuch der Satzmodelle Kritik und Weiterführung dieses Klassifizierungsversuches . . . Direkte oder vermittelte Zuordnung von Form und Bedeutung Syntaktische und semantische Satzmodelle Satzmodelle und Geschehenstypen
8. Valenz und Lexikoneintragungen (für Verben) 8.1. 8.2. 8.3. 8.4. 8.5. 8.6. 8.7. 8.8. 8.9.
Valenz, Lexikon und Grammatik Lexikon vs. Wörterbuch Wörterbucheintragungen zur Valenz 6-Stufen-Modell für Wörterbucheintragungen Zusammenhang und Anordnung der 6 Stufen Erläuterungen zu den 6 Stufen Illustration an Beispielen Vergleich mit anderen Valenzwörterbüchern Speziellere Darstellungsfragen für künftige Valenzwörterbücher
108 108 108 110 112 112 114 115 116 118 120 123 126 126 127 128 132 139 143 146 149 149 151 152 153 156 158 167 169 173
Abkürzungsverzeichnis
179
Literaturverzeichnis
181 VII
Einleitung
Die Beschäftigung des Verfassers mit Fragen der Valenz (vgl. HELBIG 1966) und der Kasus (vgl. HELBIG 1967 a; 1973) reicht bis in die 60er Jahre zurück. Sie führte damals zu dem ersten Valenzwörterbuch (vgl. H E L B I G / S C H E N K E L 1969) als Gemeinschaftsprojekt des von ihm geleiteten Wissenschaftsbereichs Linguistik der Forschungsabteilung des Herder-Instituts der Universität Leipzig. Seitdem haben sich diese Ansätze international rasch weiterentwickelt, sind mehrere Valenzwörterbücher (zu verschiedenen Wortarten und zu verschiedenen Sprachen) entstanden, haben sich Valenz- und Kasustheorie (genauer: Valenz- und Kasustheorie«) entwickelt (die selbst vom Spezialisten kaum noch überschaut werden können), sind auch Valenz- und Kasustheorie eine bestimmte Verbindung eingegangen. Diese stürmische Entwicklung hat den Verfasser in der Zwischenzeit auch immer wieder veranlaßt, in die Diskussion zu speziellen Fragen einzugreifen und sich mit Einzelstudien daran zu beteiligen (vgl. Literaturverzeichnis). Das vorliegende Buch verfolgt einen dreifachen Zweck: 1) Es versucht in synoptischer Gestalt eine zusammenfassende kritische Darstellung der gegenwärtigen Hauptprobleme der Valenz- und Kasustheorie (nicht zuletzt auf der Basis ihrer bisherigen Geschichte), wobei eine eigene Positionierung erfolgt und die genannten Studien als Vorarbeiten dazu angesehen werden können. 2) Es versucht zugleich, die eigene Position abzuheben von anderen Darstellungen, die sich in jüngster Zeit einer ähnlichen Thematik zugewandt haben (Ζ. B. W E L K E 1 9 8 8 a ; vgl. dazu bereits HELBIG 1 9 8 9 a). Von W E L K E ( 1 9 8 8 a) unterscheidet sich unser Anliegen auch dadurch, daß es nicht auf »Einführung«, sondern auf eine Problematisierung abzielt. 3) Es soll den theoretischen Erklärungsrahmen und -hintergrund abstecken für lexikographische Beschreibungen einzelner Verbfelder, denen im oben genannten Wissenschaftsbereich Linguistik in den vergangenen Jahren mehrere Vorarbeiten in Form von Graduierungsarbeiten vorausgegangen sind (Ζ. Β. B. WOTJAK 1 9 8 1 ; ZIEBART 1 9 7 9 ; TOIMBEKOWA 1 9 8 0 ; LAPINSKAS 1 9 8 4 ; RAJCHARTOVA 1 9 8 7 ; BITTER 1 9 9 0 ) . Diese für die nächsten Jahre geplanten lexikographischen Darstellungen in der im Enzyklopädie-Verlag Leipzig begonnenen kleinen Lexikon-Reihe 1
beschreiben einzelne Verbgruppen hinsichtlich ihrer Bedeutung, ihrer semantischen Kasus und hinsichtlich ihrer Valenz (also: auf modularintegrative Weise) und beruhen - da sie selbst der theoretischen Reflexion sich enthalten müssen - auf dem in diesem Buch (vor allem in Kapitel 8.) erörterten Voraussetzungen. Sie stellen - wenn auch vorerst nur in Richtung auf einzelne Verbfelder - bereicherte und dem heutigen Erkenntnisstand entsprechende Valenzwörterbücher dar (nehmen somit den in den 60er Jahren geknüpften Faden auf neuer Stufe wieder auf). Dem Buch sind zahlreiche Anregungen zugute gekommen, die der Verfasser dadurch erhalten hat, daß er wesentliche Ideen mehrfach auf Veranstaltungen zur Diskussion stellen konnte, ζ. B. auf dem zentralen Linguistik-Seminar für japanische Germanisten in Yamanashi-ken/ Kawaguchiko-machi (1980), auf einem Kolloquium in Diepenbeek (Belgien) (1986), in Seminaren während einer Gastprofessur in Kopenhagen (1988) sowie in Kompaktseminaren am Deutschen Seminar der Universität Zürich (1985 und 1989).
2
1.
Valenz und Sprachebenen
1.1.
Erweiterung des Valenzbegriffes
In den letzten Jahrzehnten hat sich der mit »Valenz« bezeichnete Bereich sprachlicher Erscheinungen stark erweitert: Nachdem mit ihm ursprünglich syntaktische Sachverhalte gemeint waren (»syntaktische Valenz«), ist eine deutliche Öffnung eingetreten, zunächst nach der semantischen Seite (»semantische Valenz«), dann auch nach der kommunikativen und kognitiven Seite (»pragmatische Valenz«) (vgl. bereits HELBIG 1982 b; 1988 a ; 1990 a). Diese Erweiterung und Öffnung ist keinesfalls zufällig, sondern wissenschaftsgeschichtlich bedingt, vor allem durch das, was oft als »kommunikativ-pragmatische Wende« und als »kognitive Wende« in der Linguistik verstanden wird (vgl. ausführlicher HELBIG 1986 b; 1991). Auf diese Weise ist die Valenz einerseits stärker in die linguistische Modellbildung integriert und in umfangreichere Erklärungszusammenhänge hineingestellt worden, sind zweifellos auch tiefere Fundierungsverhältnisse für syntaktische Valenzerscheinungen in das Blickfeld getreten und teilweise erkannt worden. Andererseits sind damit neue Probleme aufgedeckt und neue Kontroversen ausgelöst worden, nicht zuletzt auf Grund des Umstandes, daß es gegenwärtig nicht nur recht unterschiedliche Auffassungen zum Verhältnis der syntaktischen, semantischen und pragmatischen Aspekte der Valenz gibt, sondern auch unterschiedliche Vorstellungen über diese Aspekte selbst. Schon unter Stichwörtern wie »semantische Valenz« und »pragmatische Valenz« werden - bereits unabhängig von ihrer Einordnung und Bewertung - unterschiedliche Sachverhalte verstanden. Diese Unterschiedlichkeiten hängen mit unterschiedlichen Ausprägungsformen der semantischen Orientierung und erst recht der »kommunikativ-pragmatischen Wende« zusammen, mit unterschiedlichen Zugängen zu diesen erweiterten Gegenstandsbereichen (ζ. B. einem globalen oder einem modularen Zugang), schließlich auch mit der neuerdings wieder öfter artikulierten »Tendenz, sich von der pragmatischen Wende wieder abzuwenden« (vgl. HELBIG 1987 b, 405). Deshalb werden einige dieser neu entstandenen und kontrovers diskutierten Probleme im folgenden im Mittelpunkt stehen. Dabei soll es auf die Problematisierung ankommen, ohne daß dabei - angesichts der gegen3
wärtigen Forschungslage - der Anspruch auf Vollständigkeit oder gar auf endgültige Lösungen erhoben werden soll (und kann).
1.2.
Sprachsystem und kommunikative Tätigkeit
Semantische und kommunikativ-pragmatische Fragestellungen sind in den letzten Jahrzehnten mit Recht stärker in das Gesichtsfeld der linguistischen Forschung getreten, weil auf der einen Seite viele syntaktische Erscheinungen ohne semantische Basis nur unzureichend und oberflächlich beschrieben werden können und weil auf der anderen Seite syntaktische und semantische Eigenschaften des Sprachsystems in vielen Fällen nicht losgelöst von übergreifenden kommunikativ-pragmatischen Faktoren erklärt werden können. Diese Entwicklung wurde vor allem aber auch durch sprachtheoretische Einsichten gefordert und gefördert, vor allem durch die stärkere Akzentuierung der Einsicht, daß die Sprache nicht nur eine spezifische Fähigkeit des Menschen (»langage«) und ein objektiviertes einzelsprachliches System (»langue«) ist, sondern vielmehr auch und vor allem die Anwendung der Fähigkeit und des Systems in der Kommunikation. Diese Anwendung ist nicht nur eine (sekundäre) Anwendung des Systems (als »parole«), sondern in dem Sinne übergreifend und primär, daß das Zeichensystem nicht um seiner selbst willen existiert, sondern dem Menschen zu bestimmten außersprachlichen und gesellschaftlichen Zwecken als Kommunikationsmittel und Handlungsinstrument dient, ihm dazu dient, daß er erkennen, kommunizieren und handeln kann (vgl. ausführlicher SUCHSLAND 1 9 7 1 , 1 9 3 f f . ;
BIERWISCH/HEIDOLPH/MOTSCH/NEUMANN/
1 9 7 6 ; MÖTSCH 1 9 7 5 ) . Damit aber das Sprachsystem diese Funktionen erfüllen kann, muß es bestimmte Eigenschaften besitzen, muß es in ihm vor allem reguläre Zuordnungsbeziehungen zwischen den Bewußtseinsinhalten und den materiellen Signalen (d. h. der syntaktisch, morphologisch und phonologisch orientierten Lautsprache) geben. Diese Zuordnung von Lauten (bzw. Buchstaben) und Bedeutungen, von Ausdruck und Inhalt, von Form und Funktion (oder wie immer diese Erscheinungen in unterschiedlichen Theorien benannt werden) muß im Grunde von jeder Grammatiktheorie beschrieben und erklärt werden (gleichgültig, ob ihr das bewußt ist und/oder als explizites Ziel angegeben wird) (vgl. auch JÄGER 1 9 7 6 , Iff.). Diese Zuordnung ist freilich oft nicht direkt und unvermittelt, sondern erfolgt über mehrere Zwischenstufen, die als Ebenen (oder Komponenten) des Sprachsystems beschrieben werden (z. B. semantische, syntaktische, phonologische Ebene). Gewiß sind in den letzten Jahrzehnten recht unterschiedliche Modelle mit unterSUCHSLAND
4
1973; NEUMANN
schiedlichen Repräsentationsebenen in verschiedenen Richtungen der Linguistik für die Erklärung dieses Zusammenhangs entwickelt worden. Die meisten Linguisten sind sich jedoch weitgehend einig, daß es sich - ausgehend von der Asymmetrie des sprachlichen Zeichens - um eine komplizierte mehrstufige und vermittelte Zuordnung handelt, um die Einheit von verschiedenen Ebenen, die in sich relative Teilsysteme darstellen und zueinander nicht in 1:1 -Entsprechung (Isomorphic) stehen, mit deren Hilfe jedoch insgesamt eine Abbildung von Bedeutungskomplexen auf Lautkomplexe durch verschiedene Regelsysteme über mehrere Ebenen hinweg erfolgt. In jüngerer Zeit wird eine solche Mehr-Ebenen-Struktur vielfach mit dem aus der Computer-Wissenschaft stammenden Begriff der »Modularität« umschrieben (vgl. BIERWISCH 1987): Damit ist nicht nur gemeint, daß Struktur und Funktion von Kenntnissystemen durch relativ autonome, aber interagierende Teilsysteme (Module) bestimmt sind, die ihrerseits wieder Subsysteme (Submodule) enthalten können, sondern damit sind auch Folgerungen von der Art verbunden, daß es Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der modularen Struktur gibt, u. a. in der Weise, daß ein Kenntnissystem auf einem anderen aufbauen kann und daß konkrete Verhaltensabläufe (z. B. die Sprache) nicht nur von einem einzigen Kenntnissystem (etwa: Kenntnisse des Sprachsystems), sondern von mehreren Kenntnissystemen (also auch z. B. von Kenntnissen anderer mentaler Kenntnissysteme) (mit-)bestimmt sein können (bzw. sind).
1.3.
Valenz als Erscheinung der Ausdrucks- und/oder der Inhaltsebene
Der in 1.2. angedeutete sprachtheoretische Hintergrund provoziert fast mit Notwendigkeit die Frage nach den Ebenen der Valenz, d. h. vor allem die Frage danach, ob die Valenz eine morphosyntaktische, eine semantische und/oder eine kommunikative Eigenschaft ist. Diese Frage wurde und wird durchaus noch nicht einheitlich beantwortet. Dies hat eine wesentliche Ursache darin, daß bei den Vätern der modernen Valenztheorie (z. B. in der Abhängigkeitsgrammatik TESNIÈRES) nicht deutlich war (vgl. dazu genauer unter 4.1.), auf welcher Ebene der Valenzbegriff angesiedelt ist, ob es sich bei der Valenz um eine formale oder eine begriffliche Kategorie, um eine Kategorie der Ausdrucksebene oder der Inhaltsebene handelt (vgl. HELBIG 1971 b, 32f.). Vorerst (in einer ersten Phase) stellte sich diese Frage nahezu als prinzipielle Alternative dar: Entweder ist die Valenz eine Eigenschaft formaler Gegebenheiten und kann als solche nur innerhalb der gegebenen Einzelsprachen an distributionellen Daten der Oberflächenstruktur beobach5
tet werden, oder sie ist eine Eigenschaft begrifflicher Natur und als solche eine weitgehend universale, eher durch die Relationslogik zu beschreibende Eigenschaft (vgl. H E G E R 1966, 139ff.; vgl. auch BUSSE 1974, 127). Dieses Problem wurde in der unmittelbaren Nachfolge TESNIÈRES nicht oder nicht deutlich genug gesehen; deshalb kam es oft zur stillschweigenden Annahme einer vereinfachten bzw. fehlerhaften Isomorphic zwischen morphosyntaktischen und semantischen Eigenschaften. In Wahrheit werden jedoch nicht alle begrifflichen Relationen in jeder Sprache und erst recht nicht in jeder Sprache in der gleichen Weise realisiert. Als man - etwa in der Mitte der 60er Jahre - die genannte Alternative zu erkennen begann, entwickelten sich deutlich zwei unterschiedliche Versionen in der Interpretation des Valenzbegriffes: Auf der einen Seite wurde er als formale Erscheinung der Ausdrucksebene aufgefaßt (Ζ. B. bei H E R I N G E R 1967; 1968; HELBIG 1966), auf der anderen Seite als solche der begrifflich-universalen Ebene (ζ. B. bei H E G E R 1966; BONDZIO 1969). Während es in dieser ersten Phase so schien, als ob es sich tatsächlich um einander ausschließende Konzepte handelte, wurde in einer zweiten Phase (in den 70er Jahren) zunehmend deutlicher, daß diese Konzepte gar nicht alternativ sind, daß man vielmehr mit mehreren Ebenen der Valenz zu rechen hat, die aufeinander bezogen und integriert werden müssen (im Sinne der unter 1.2. genannten mehrstufigen Zuordnung), die in komplexer Weise im Auge behalten werden müssen, auch dann, wenn man sich in der Beschreibung aus praktischen Gründen auf eine Ebene beschränkt (und damit oft notgedrungen eine bestimmte Partialisierung vornimmt) (vgl. dazu bereits HELBIG 1976 a, 100; 1982 b). Andererseits dürfen diese Ebenen weder in globaler Weise identifiziert noch einfach vermischt werden: Das geschieht oft dann, wenn die semantische Valenz gleichsam als Appendix an die Beschreibung der syntaktischen Valenz »angehängt« wird oder wenn die syntaktische Valenz in direkter und unvermittelter Weise aus der semantischen Valenz »abgeleitet« wird. Im ersten Falle besteht die Gefahr einer ungerechtfertigten Syntaktifizierung semantischer Tatbestände, im zweiten Falle die Gefahr einer ebenso ungerechtfertigten Isomorphic beider Valenzebenen. Eine adäquate Beschreibung von Valenzeigenschaften sollte sich vor beiden Gefahren hüten, sollte vielmehr - im Sinne eines modularen Ansatzes - die beiden Ebenen methodologisch trennen und zugleich in regulärer Weise einander zuordnen.
6
1.4.
Logische, semantische und syntaktische Valenz
Obwohl die meisten Linguisten in der Annahme mehrerer Valenzebenen übereinstimmen - unabhängig davon, ob sie Termini wie »syntaktische Valenz« und »semantische Valenz« dafür benutzen -, bleiben auch gegenwärtig noch viele Fragen offen zu den Problemen, was unter der Valenz auf den verschiedenen Ebenen genau zu verstehen ist, in welcher Weise die Valenz auf den verschiedenen Ebenen zu lokalisieren und wie der Zusammenhang (die Zuordnung) zwischen der Valenz auf den verschiedenen Ebenen zu beschreiben sei. Ein erster Ansatzpunkt (um 1970 entwickelt) war die Unterscheidung zwischen logischer Valenz, semantischer Valenz und syntaktischer Valenz (vgl. dazu FLÄMIG 1971, 108ff.; HELBIG 1971 a, 8f. ; STEPANOVA/HELBIG 1978, 130ff.). Weil die objektiven Sachverhalte der außersprachlichen Realität im Bewußtsein (Denken) widergespiegelt und von sprachlichen Strukturen bezeichnet werden, stellen die (logischen) Aussagen das Vermittlungsglied zwischen den Sachverhalten der Wirklichkeit und der (semantisch-syntaktischen) Struktur der Sprache dar. Die im Bewußtsein widergespiegelten Sachverhalte der Wirklichkeit sind formulierbar als Aussagestrukturen, d. h. als logische Prädikate (P und R) mit einem Argument (x) oder mit mehreren Argumenten (x, y . . . ) als Leerstellen: (1) Peter schwimmt. (2) Peter besucht Inge.
Ρ (χ) R (x, y)
Es hängt jeweils vom Begriffsinhalt des (logischen) Prädikats ab, ob es ein Argument (wie ζ. B. bei schwimmen) oder mehrere Argumente (wie ζ. B. bei besuchen) erfordert. Da es sich um gedankliche Beziehungen zwischen logischen Prädikaten (Funktoren) und Argumenten (Leerstellen dieser Prädikate) in Aussagestrukturen handelt, hat man von logischer Valenz gesprochen. Natürlich können nicht beliebige Argumente zu beliebigen Prädikaten treten; vielmehr werden die Argumente ausgefüllt durch entsprechende Variable, die zu ganz bestimmten semantischen Klassen gehören (einerseits zu semantischen Klassen wie [Hum], [± Anim], [Abstr] - auf Grund von Merkmalen, die den Substantiven selbst zukommen -, andererseits zu Klassen wie AGENS, PATIENS, ADRESSAT, INSTRUMENTAL):
(3) Der Mann bewundert ihre Aufrichtigkeit. (4) *Ihre Aufrichtigkeit bewundert den Mann.
Ein Prädikat wie bewundern hat zwei Leerstellen, die durch Argumente zu besetzen sind. Aber das als Subjekt fungierende Argument muß das Merkmal [Hum], kann nicht das Merkmal [- Anim] oder [Abstr] haben; 7
deshalb ist nur der Satz (3), nicht aber der Satz (4) grammatisch. Umgekehrt kann das als Objekt fungierende Argument mehreren semantischen Klassen angehören, ist nahezu frei von Restriktionen in dieser Hinsicht: (5) Peter bewundert diesen Mann. (6) Peter bewundert dieses Haus. (7) Peter bewundert ihre Aufrichtigkeit.
Dieser Tatbestand (der in den generativen Grammatiken unter dem Terminus der »Selektionsbeschränkungen« erscheint) wird vielfach als semantische Valenz bezeichnet. Sie reflektiert den Umstand, daß Wörter (als Valenzträger) bestimmte Kontextpartner mit bestimmten Bedeutungsmerkmalen (als Valenzpartner) fordern, andere Kontextpartner mit anderen Bedeutungsmerkmalen aber ausschließen. Die semantische Valenz regelt somit die Besetzung von Leerstellen mit Klassen von Partnern, die semantisch durch bestimmte Bedeutungsmerkmale festgelegt sind. Die Wahl geeigneter Kontextpartner und die Ausschließung unzulässiger Kontextpartner erfolgt auf Grund der Kompatibilität oder Inkompatibilität der Bedeutungsmerkmale der beiden Kontextpartner, die freilich nicht unabhängig sind von der konzeptuellen Struktur, in der das Wissen von der Umwelt abgebildet wird. So ist es natürlich nicht zufällig, daß die meisten Verben des Gebens und Sagens drei Argumente haben, weil sie jeweils ein Agens, ein Patiens (bzw. einen Mitteilungsinhalt) und einen Adressaten der Verbalhandlung voraussetzen: (8) Ilse gibt ihrer Freundin das Buch. (9) Sie teilt ihm die Ankunft des Zuges mit.
Allerdings reichen die Beziehungen der Kompatibilität/Inkompatibilität über die Valenz hinaus (insofern ist der Begriff der semantischen Kompatibilität weiter als der der semantischen Valenz, kann letztere eher als Spezialfall der Kompatibilität verstanden werden), da sie auch auf Einheiten zutreffen, die nicht durch Valenz an das Prädikat gebunden sind: (10) *Peter stirbt manchmal. (11) *Er kennt sie auf dem Flugplatz.
(10) und (11) sind im Deutschen in der eigentlichen (nicht-metaphorischen) Bedeutung der Verben nicht möglich, weil die Adverbialien Bedeutungsmerkmale enthalten (in (10) [+ frequentativi, in (11) [+ lokale Eingrenzung]), die mit bestimmten Bedeutungsmerkmalen der Verballexeme (in (10) etwa [+ punktuell, einmalig], in (11) [+ Zustand, Dauer]) nicht verträglich sind. In (10) ergibt sich die Unverträglichkeit übrigens nicht ausschließlich aus den Bedeutungsmerkmalen von Verb 8
und Adverbiale, sondern letztlich aus den Bedeutungsmerkmalen von Verb, Adverbiale und Subjekt: (12)
Er stirbt manchmal.
Ein Satz wie (12) ist dann zulässig, wenn das Subjekt Prowort für eine Gattungsbezeichnung ist (etwa in einem medizinischen Werk, wenn von einer Operation die Rede ist und es heißt: (12 a)
Diese Operation ist für den Patienten lebensgefährlich. Er stirbt manchmal.).
Ein Satz wie (12) ist aber nicht möglich, wenn das Subjekt Prowort für ein Individuum ist (im Sinne von (10)). Im Unterschied zur logischen und zur semantischen Valenz meint die syntaktische Valenz die obligatorische oder fakultative Besetzung von Leerstellen in einer bestimmten, vom Valenzträger her geforderten Zahl und Art, differenziert nach den Einzelsprachen. Sie regelt somit die Besetzung der logisch-semantisch eröffneten Leerstellen durch obligatorische oder fakultative Aktanten (Ergänzungen) und deren morphosyntaktische Repräsentation durch Wortklassen in bestimmten Kasus (ζ. B. Sn, Sa, Sd, pS - Substantiv im Nominativ, Akkusativ, Dativ, Präpositionalkasus) und durch Oberflächensatzglieder (ζ. B. Subjekt, Objekt, Adverbiale). Daß diese verschiedenen Valenzebenen nicht identisch und auch nicht einfach isomorph aufeinander abbildbar sind, zeigen schon solche deutschen Verben wie helfen und unterstützen, die beide eine ähnlich logische Valenz haben (weil sie die begriffslogische Relation R (x, y) voraussetzen) und auch ähnliche Kontextpartner als Variable erfordern (AGENS, ADRESSAT), d. h. eine ähnliche (oder gleiche) semantische Valenz haben, die sich jedoch in der morphosyntaktischen Realisierung von y unterscheiden (bei helfen Sd, bei unterstützen Sa). Auch Verben wie warten, erwarten und abwarten sind auf der Ebene der logischen und semantischen Valenz ähnlich darstellbar, unterscheiden sich jedoch nicht nur in der Art (pS, Sa und/oder NS), sondern auch in der Obligatorität oder Fakultativität des 2. Aktanten (y): (13 a) (13b) (14 a) (14 b) (15 a) (15 b) (15 c) (15 d)
Er wartet auf den Freund. Erwartet. Er erwartet seinen Freund. *Er erwartet. Er wartet ab, ob sein Freund kommt, Er wartet seinen Freund ab. *Er wartet auf seinen Freund ab. Er wartet ab.
(fakultativ) (obligatorisch) (fakultativ)
Erst recht werden dieselben Begriffsinhalte (mit denselben logischen Relationen und ähnlichen semantischen Verhältnissen) syntaktisch 9
manchmal in verschiedenen Sprachen recht unterschiedlich realisiert (mit Vertauschung ζ. B. von syntaktischer Subjekts- und Objektsfunktion): (16 a) (16 b) (16 c) (16 d)
Es gelingt ihm, daß... He succeeds in... Il réussit à... Udaetsja...
Diese - noch ziemlich groben - Vorstellungen von einer Unterscheidung zwischen logischer, semantischer und syntaktischer Valenz haben im Laufe der 70er Jahre bestimmte Modifikationen und Präzisionen erfahren, vor allem hinsichtlich der »logischen« und »semantischen« Valenz. Entscheidende Faktoren für diese Modifikationen und Präzisionen waren (a) Einsichten in die Untrennbarkeit der »logischen« und »semantischen« Valenz, die Zahl und Art der Kontextpartner festlegen (deshalb wurde in der Folge oft von »logisch-semantischer Valenz« gesprochen) ; (b) Einsichten der Kasustheorien (vgl. genauer unter 2.), in deren Folge das Arsenal der dort entwickelten semantischen Kasus (wie ζ. B. AGENS, PATI ENS, ADRESSAT, INSTRUMENTAL) in zunehmendem Maße zum Beschreibungsinventar für die semantische Valenz wurde; (c) Einsichten über die Beziehungen zwischen der semantischen Valenz (in Termen der semantischen Kasus) und der semantischen Bedeutungsstruktur.
1.5.
Valenz u n d B e d e u t u n g
Was die Beziehungen der semantischen Valenz zur Bedeutungsstruktur anlangt, so haben Arbeiten aus den 70er Jahren (vor allem VIEHWEGER 1977, 232ff., 349ff. ; HEIDOLPH 1977; PASCH 1977) gezeigt, daß die semantischen Kasus und die mit ihrer Hilfe beschriebene semantische Valenz die Bedeutung nicht direkt ausdrücken, also keineswegs eine Eigenschaft der Bedeutung selbst sind, wie dies manchmal (vgl. BONDZIO 1971, 89) angenommen wurde. Die Bedeutung selbst ergibt sich vielmehr durch die semantische Komponentenstruktur, d. h. durch das Vorhandensein von semantischen Komponenten (Merkmalen, Semen) und ihren (zumeist hierarchisch geordneten) Beziehungen zueinander, durch Eigenschaften, die manchmal als »Semsyntax« oder »semantische Syntax« (vgl. VIEHWEGER 1977, 136ff.) bezeichnet werden. Die zentralen Kategorien dieser Syntax sind (semantisches) Prädikat ( = 10
Funktor) und Argument(e). Semantische Struktureinheiten bestehen somit aus mindestens einem Prädikat ( - Funktor) und den von ihm geforderten Argumenten. Mit dieser Bedeutungsstruktur ist die semantische Valenz (in Termini der semantischen Kasus) keineswegs identisch; sie ist vielmehr eine Funktion dieser Bedeutungsstruktur, ist von ihr abgeleitet und bereits syntaktisch gebrochen sowie lexikalisiert (vgl. dazu bereits HELBIG 1979 a, 68ff.). In vereinfachter Form stellt sich die Bedeutungsstruktur des Lexems geben etwa folgendermaßen dar (vgl. ausführlicher VIEHWEGER 1977, 2 3 2 ; vgl. auch KORHONEN 1977, 116ff.): geben
poss
b
c
Vereinfacht ist diese Darstellung schon deshalb, weil sie auf alle Verben des Feldes (der Sachgruppe) des Gebens zutrifft (also ζ. B. auch auf leihen, spenden, spendieren, borgen, übergeben, verkaufen) und zur Differenzierung weiterer - spezifizierender - semantischer Merkmale bedarf. Was aber bereits aus dieser groben Darstellung deutlich wird und nur darauf kommt es hier an -, ist der Umstand, daß die Bedeutungsstruktur eine dreifache Schichtung von (semantischen) Prädikaten (hier mit den Bezeichnungen CAUS, INCHO und POSS versehen) erkennen läßt. Vereinfacht läßt dies folgende Paraphrase für die Bedeutung von geben zu: Ein a veranlaßt (CAUS) eine Veränderung, den Beginn eines Zustandes (INCHO), der darin besteht, daß ein b ein c hat (POSS) - wobei a, b und c Individuenvariable darstellen. Das Lexem geben erweist sich auf diese Weise sprachlich als komplexes Prädikat; denn seine Bedeutung läßt sich - wie die Bedeutung der meisten verbalen Lexeme - aus mehreren Primitivprädikaten (Semen) ableiten und setzt sich aus ihnen zusammen. Diese (Hierarchie-)Beziehung zwischen den (elementaren) Prädikaten wird jedoch auf der Ebene der semantischen Valenz (der semantischen Kasus) eingeebnet und ist dort nicht mehr erkennbar: Auf der Ebene der semantischen Valenz wäre nur die »Stelligkeit« festzustellen und wären nur die Kasus zu markieren, mit denen diese Stellen besetzt werden:
11
(17 a)
g e b e n 3 - AGENS, PATIENS, ADRESSAT
bzw. (17 b)
geben AGENS PATIENS ADRESSAT
Erst recht werden die semantischen Hierarchiebeziehungen nicht mehr sichtbar in der syntaktischen Valenz: (18 a) bzw. (18 b)
geben3 - Sn, Sa, Sd geben Sn
Sa
Sd
Daraus darf man schließen, daß die semantische Valenz (in Termini semantischer Kasus) die Bedeutung nur indirekt und vermittelt, schon syntaktisch gebrochen und enthierarchisiert ausdrückt: Die Argumente a, b und c aus der semantischen Struktur erscheinen zwar als semantische Kasus und werden schließlich auch als Satzglieder realisiert (insofern sind sie auf der Ebene der syntaktischen Valenz auch Aktanten von geben). Das komplexe Argument [POSS (b, c)] - komplex deshalb, weil es wieder ein Prädikat mit mehreren Argumenten in sich enthält - aus der Semstruktur erscheint jedoch nicht als semantischer Kasus, wird auch nicht als Satzglied realisiert und ist deshalb auch kein Aktant des Verbs. Allerdings trägt es über den auftretenden Funktor indirekt zur Festlegung der Rolle der Aktanten bei. Ähnliche Beziehungen lassen sich bei vielen Lexemen beobachten. Die Bedeutungsstruktur von töten etwa zeigt folgendes vereinfachte Bild (vgl. VIEHWEGER 1977, 2 2 3 f . ; PASCH 1977, 5ff.): töten
NEG
Präd. 4
Arg.
viv
b
Verbal paraphrasiert etwa: Ein a veranlaßt (CAUS) eine Veränderung, den Beginn eines Zustandes (INCHO), der darin besteht, daß der vorhergehende Zustand, daß b lebt (VIV), negiert wird (NEG). Diese Bedeutungsstruktur enthält sogar 4 Prädikate, deren Hierarchie auf der 12
Ebene der semantischen Valenz nicht mehr erkennbar ist: Dort treten nur 2 Kasus auf (a = AGENS; b = PATIENS), die bereits linearisiert erscheinen. Insofern gibt es keine direkte Entsprechung zwischen der (vollständigen) semantischen Komponentenstruktur und der semantischen Valenz: Die Zahl der tatsächlich realisierbaren Argumente (semantische Kasus und Aktanten) einer Bedeutung (bei töten nur 2) ist nicht gleichzusetzen mit der Summe der Komponenten in der Bedeutungsstruktur. Vielmehr vollzieht sich bei der Überführung der semantischen Struktur in die semantischen Kasus (die semantische Valenz) nicht nur eine Linearisierung (Enthierarchisierung), sondern in der Regel zugleich auch eine Reduktion von semantischen Komponenten, weil nicht alle semantischen Komponenten lexikalisiert werden und deshalb auch nicht als (syntaktische) Aktanten in Erscheinung treten.
1.6.
Argumente, semantische Kasus und Aktanten
Daraus ergibt sich die allgemeine Schlußfolgerung, daß die Valenzbeziehungen insgesamt das Ergebnis einer Syntaktifizierung von semantischen Beziehungen zwischen elementaren semantischen Einheiten (Prädikaten und Argumenten) sind, daß die Valenz selbst verstanden werden muß als komplexe (mehrere Ebenen umfassende) Erscheinung im Bezugssystem der wechselseitigen (indirekten) Zuordnung zwischen Laut- und Bedeutungsstrukturen, zwischen der Inhalts- und der Ausdrucksebene der Sprache (vgl. auch PASCH 1977, 1). Deshalb hat man genauer (als das oft der Fall ist) zu unterscheiden zwischen (a) der zugrunde liegenden Bedeutungsstruktur, (b) ihrer linearisierten und reduzierten Abbildung in semantischen Kasus ( = semantische Valenz), (c) ihrer konkreten Realisierung in den Oberflächenstrukturen durch (obligatorische und fakultative) Aktanten ( = syntaktische Valenz), oder - anders gesprochen und auf die Besetzung von Leerstellen des Valenzträgers durch Valenzpartner bezogen - zwischen (a) Argumenten, (b) semantischen Kasus, (c) Aktanten (bzw. Ergänzungen). Im einzelnen - und unter Einbeziehung der Valenzträger - bedeutet das: Argumente sind nicht-lexikalisierte Leerstellen der untereinander in Hierarchiebeziehungen stehenden elementaren semantischen (noch nicht lexikalisierten) Prädikate. Die semantischen Kasus ergeben sich 13
durch Linearisierung und Reduktion aus den Argumenten, stellen Abstraktionen (und Funktionen) dar aus der Spezifik der semantischen Beziehungen zwischen Typen von semantischen Komponentenstrukturen, sind damit (in der Regel) lexikalisierbare Leerstellen von sprachlichen (d. h. zumeist nicht elementaren, sondern komplexen und bereits lexikalisierten) Prädikaten (vgl. ausführlicher VIEHWEGER 1977, 349ff. ; PASCH 1977, 14ff.). Die Aktanten entstehen im weiteren Prozeß der Lexikalisierung, Syntaktifizierung und Morphologisierung: Sie sind Satzglieder, d. h. als Konstituenten des Verbs (oder anderer Wortklassen, die semantische Prädikate ausdrücken können) realisierte Argumente einer Prädikatsemstruktur, die in der Bedeutung des Prädikatssemems angelegt sind und als semantische Kasus von den lexikalisierten Prädikaten eröffnet werden. Eine solche Unterscheidung ist notwendig, weil die hier als »Argumente« bezeichneten Einheiten in der Literatur manchmal auch »Aktanten« genannt werden (so ζ. B. im »Aktantenmodell« von H E G E R 1971), weil andererseits Argumente und semantische Kasus früher oft stillschweigend weitgehend gleichgesetzt worden sind (vgl. HELBIG 1977). Gegen diese Gleichsetzung spricht, daß nicht alle Argumente als semantische Kasus in Erscheinung treten, daß ein Lexikalisierungsund Reduktionsprozeß vor sich geht, bei dem jedoch - als zusätzliche Informationen - semantische Abstraktionen entstehen (in Termini der semantischen Kasus). Die Unterschiede resultieren auch daraus, daß wir es mit unterschiedlichen Arten von Valenzträgern als Pendants der oben (unter (a), (b) und (c)) genannten Valenzpartner zu tun haben: Die Argumente beziehen sich auf die elementaren, noch nicht lexikalisierten (semantischen) Prädikate, die semantischen Kasus auf die zumeist komplexen, aber in jedem Falle lexikalisierten (versprachlichten) Prädikate, die Aktanten auf die Verben (bzw. andere Wortklassen, in denen semantische Prädikate versprachlicht sind). Daß sich auch semantische Kasus und Aktanten (d. h. semantische und syntaktische Valenz) nicht direkt entsprechen, zeigt sich in der Tatsache, daß nicht alle Argumente der Funktoren eines Prädikatssemems realisiert werden müssen, manche sogar nicht einmal realisiert werden können (obwohl sie im Hinblick auf den semantischen Kasus deutlich spezifizierbar sind) (vgl. bereits HELBIG 1 9 7 6 a, 103f.; G . W O T JAK 1972, 54ff.). Solche Blockierungen (Sperrungen) für die Aktantifizierung sind verschiedener Art: (19 a) (19 b) (19 c) (20 a) (20 b)
14
Er bezahlt es dem Kaufmann. *Er bezahlt es dem Kaufmann mit Geld. Er bezahlt es dem Kaufmann mit barem Geld (Bargeld)/mit Scheck. Der Tischler hobelt. »Der Tischler hobelt mit dem Hobel.
(20 c) Der Tischler hobelt mit dem neuen Hobel. (21 a) Er stiehlt ihr das Geld. (21 b) *Er bestiehlt sie des Geldes.
Bei (19) und bei (20) ist ein als INSTRUMENTAL spezifizierbares Argument vorhanden, wird »mitverstanden« und kann dennoch nicht aktantifiziert werden, es sei denn, es wird darüber hinaus spezifiziert (wie in (19 c) und (20 c)). Daß es bei der Spezifizierung auftreten kann, ist ein Indikator für das Vorhandensein des Arguments. In solchen Fällen wird das Argument in das »verdichtete« Verb inkorporiert, was eine Explizierung (Aktantifizierung) des Arguments (wenn es nicht weiter spezifiziert ist) ausschließt (vgl. (19 b) und (20 b)). Solche Inkorporierungen (vgl. dazu ausführlicher B. WOTJAK 1989, 21ff.) - gleichgültig, ob sie sich aus enzyklopädischem Wissen ergeben (wie in (19): in unseren Gesellschaftsordnungen wird normalerweise mit Geld und nicht ζ. B. mit Naturalien bezahlt) oder darüber hinaus auch im Lexem selbst angezeigt sind (bei (20) ergibt sich der Hobel - und nicht irgendein anderes Instrument - aus dem Prädikat) - sind »verborgene« Argumente und lassen sich wohl als Erscheinungen einer »latenten« oder »verdeckten« Grammatik im Sinne von KAZNELSON (1974, 98ff.) interpretieren. Auch bei (21) ist natürlich ein Argument vorhanden, das als semantischer Kasus spezifizierbar ist und das Objekt bezeichnet, das den Besitz wechselt. Dieses Argument kann jedoch nur bei einer Lexikalisierung durch stehlen (vgl. (21a)), nicht bei einer Lexikalisierung durch bestehlen (vgl. (21 b)) als Aktant realisiert werden, obwohl bei beiden Sätzen derselbe Sachverhalt in der außersprachlichen Realität (als Denotat) bezeichnet wird. Für die (partielle) Nicht-Übereinstimmung von semantischer und syntaktischer Valenz sprechen auch Fälle, bei denen die semantischen Kasus an der Oberfläche (trotz gleicher Bedeutung) alternativ realisiert werden können (vgl. dazu auch NIKULA 1982, 295ff.; ITÄLÄ 1986, 39ff.): (22 a) Er findet das Buch gut. (22 b) Er findet, daß das Buch gut ist.
An der Oberfläche ist eine unterschiedliche Umgebung (eine Art »Teilung«) zu beobachten (einerseits finden - Sn, Sa, Adj ; andererseits finden - Sn, NS). Diese unterschiedlichen Ausprägungen der syntaktischen Valenz (bedingt durch idiosynkratische Eigenschaften des Verbs) entsprechen einer gemeinsamen semantischen Struktur und semantischen Valenz (mit 2 Argumenten bzw. semantischen Kasus). Die Gemeinsamkeit von (22 a) und (22 b) wird syntaktisch oft durch »Subjekthebung« (d. h. Hebung des Subjekts im Konstituentensatz von (22 b) zum Objekt im Matrixsatz in (22 a)) beschrieben. 15
1.7.
»Semantisierung« der Valenz
Mit dem erläuterten Hintergrund haben wir den - vorläufigen - Erklärungsrahmen abgesteckt für die heute viel und kontrovers diskutierte Frage, ob die Valenz eine syntaktische oder eine semantische Erscheinung oder beides ist. Unverkennbar ist, daß im Zuge der allgemeinen Hinwendung zur Semantik die Valenz vor allem in den 70er Jahren immer weniger als eine rein syntaktische und immer mehr als eine (komplexe) semantisch-syntaktische Erscheinung, manchmal sogar als eine rein semantische Erscheinung verstanden worden ist. Auf dem Wege einer solchen »Semantisierung« der Valenz lassen sich verschiedene Konzepte erkennen, die zugleich verschiedene Stufen der »Semantisierung« sind: (a) Die Valenz wird aufgefaßt als (indirekter) syntaktischer Ausdruck von semantischen Beziehungen im Satz (so Ζ. B. FLÄMIG 1 9 7 1 , 1 9 7 2 ; HELBIG 1 9 7 6 A; H E I D O L P H / F L Ä M I G / M O T S C H
(b)
1981).
Die Valenz wird verstanden als (direkt) durch die Semantik des autosemantischen Prädikats determiniert (so ζ. B. M Ü H L N E R 1 9 7 5 , 3 4 ; D i e RUSSISCHE SPRACHE D E R GEGENWART 1 9 7 6 , 1 0 8 ) .
(c)
Die Valenz wird aufgefaßt als Eigenschaft der Bedeutung selbst, als semantische Erscheinung (so ζ. B. BONDZIO 1971, 89; SOMMERFELDT/SCHREIBER 1 9 7 7 , 11).
Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Konzepten und Stufen besteht darin, daß bei (a) die Valenz als primär syntaktisches Phänomen, als indirekter Reflex semantischer Beziehungen angesehen wird, dabei jedoch keine durchgängige direkte Beziehung zwischen Morphosyntax und Semantik angenommen wird, daß bei (b) umgekehrt gerade eine solche direkte Beziehung vorausgesetzt wird und im Resultat die verschiedenen Ebenen zumeist nicht genügend differenziert werden und daß bei (c) die Valenz ausschließlich auf semantischer Ebene angesiedelt wird (und in der Folge manchmal sogar die syntaktischen Valenzerscheinungen expressis verbis aus dem Bereich der Valenz ausgeklammert werden). Generell erweisen sich diese Versuche zur »Semantisierung« der Valenz als berechtigt, sogar als notwendig, da isolierte, rein syntaktische Beschreibungsversuche nicht genügen und an ihre Grenzen gestoßen sind. Als inadäquat erscheinen jedoch - geht man von dem entwickelten Erklärungshintergrund aus - die Schlußfolgerungen, die in den Konzepten (b) und (c) aus diesem Fakt gezogen werden - inadäquat auf Grund der Einsicht, daß die Valenz weder eine Eigenschaft der Bedeutung selbst noch in direkter Weise von der Bedeutung determiniert ist, daß sie vielmehr in erster Linie ein syntaktisches Phänomen ist, das nur in indirekter Weise die semantischen Beziehungen im Satz reflek16
tiert. Es ist zunehmend deutlicher geworden, daß die Beziehungen noch indirekter sind, als man ursprünglich angenommen hatte. Wenn unter diesem Aspekt der Erkenntniswert der »semantischen Valenz« mancherorts eher eingeschränkt als erhöht worden ist, so steht diese Tendenz jedoch keineswegs im Widerspruch zu der allgemeinen Verlagerung des Forschungsinteresses auf die Semantik und der damit verbundenen Ausweitung des Valenzbegriffes von der syntaktischen auf die semantische Ebene, die Tendenz zu dieser Einschränkung ist im Gegenteil eher eine Folge dieser Ausweitung (vgl. bereits HELBIG 1979 a, 75f.): Es hat sich immer deutlicher gezeigt, daß die semantischen Valenzbeziehungen noch nicht semantisch genug sind, daß sie vielmehr die eigentlich semantischen Beziehungen (von denen sie abzuleiten sind) schon syntaktisch gebrochen reflektieren, daß »hinter« ihnen die eigentlich semantischen Komponentenstrukturen liegen, von denen die semantische Valenz schon eine Vereinfachung, Syntaktifizierung und Abstraktion darstellt, von der heute noch nicht völlig geklärt ist, wie hoch ihr Erklärungswert - als Übergang oder »Zwischenebene« zwischen der semantischen Bedeutungsstruktur und der syntaktischen Valenzstruktur - dann noch ist (vgl. ausführlicher unter 2.). Dies entspricht einer wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung in der Beschreibung der Bedeutung morphosyntaktischer Formen überhaupt, die sich aus unserer fortschreitenden Erkenntnis ergibt, die von der ursprünglichen Annahme »verallgemeinerter Bedeutungen« (die den morphosyntaktischen Formen direkt zugesprochen wurden) über die »semantischen Kasus« zu den semantischen Komponenten (den Beziehungen zwischen semantischen Prädikaten und Argumenten) führt (vgl. ausführlicher HELBIG 1978 b, 3Iff.), die sich auf diese Weise immer weiter von der Oberfläche entfernt, immer tiefer von den »Erscheinungen« her zum »Wesen« - im Sinne der Dialektik des Erkenntnisprozesses - vorstößt.
1.8.
Z u m T e r m i n u s »semantische Valenz«
Wenn wir bisher von »semantischer Valenz« gesprochen haben, haben wir diesen Terminus verstanden im Sinne der Beschreibung der semantischen Basis der Valenzerscheinungen mit Hilfe des Instrumentariums der Kasustheorie(n). Das ist jedoch nicht die einzige mögliche Interpretation des Terminus. In der Tat wird bei unterschiedlichen Autoren unter »semantischer Valenz« etwas Unterschiedliches verstanden (vgl. bereits B. WOTJAK 1981, 52ff.; HELBIG 1982 b, 71), mindestens dreierlei: 17
(a)
die semantisch-referentielle Charakteristik der syntaktischen Aktanten in Termini wie [ ± Hum], [ ± Anim], [Abstr.] usw., also das, was auf Stufe III der älteren Valenzwörterbücher eingefangen ist (vgl.
ζ. B .
HELBIG/SCHENKEL
1969;
SOMMERFELDT/SCHREIBER
1974; 1977);
(b)
die semantisch-funktionale Charakteristik der Argumente in Beziehung zum lexikalisierten Prädikat in Termini semantischer Kasus; (c) Die Charakteristik der Argumente in Beziehung zum nichtlexikalisierten Prädikat in der semantischen Komponentenstruktur selbst. Diese Interpretationsvarianten entsprechen der unter 1.5. und 1.6. vorgenommenen Unterscheidung zwischen syntaktischer Valenz, semantischer Valenz und semantischer Komponentenanalyse. Die Interpretation (a) ist am anspruchslosesten, bezieht sie doch den Terminus »semantische Valenz« lediglich auf die semantische Füllung der auf der Basis der syntaktischen Valenz gewonnenen Aktanten, indem sie diese mit Hilfe semantisch-referentieller Merkmale der Substantive charakterisiert. Ausgehend von dieser Interpretation (a), werden mitunter (vgl. HEIDOLPH/FLÄMIG/MOTSCH, 1981,163) unter »semantischer Valenz« zwei (sich nicht völlig deckende) Erscheinungen erfaßt: (aa) die Beziehungen der Wortbedeutungen zu den Argumentstellen und die Argumentstellen selbst; (ab) die Beziehungen der semantischen Vereinbarkeit zwischen den Wörtern im Satz. Dabei sind die unter (ab) genannten Beziehungen der Kompatibilität weiter und gehen über die Valenz (im engeren Sinne) hinaus (vgl. dazu bereits unter 1.4.). Die Interpretation (c) (vgl. ζ. B. BONDZIO 1971, 89) verweist auf die Argumente in der propositional-semantischen Struktur selbst, nicht auf ihre funktionale Charakteristik in Beziehung auf lexikalisierte Prädikate, wobei sich die Frage erhebt, ob es sinnvoll ist, diese Eigenschaften zusätzlich mit dem Terminus »Valenz« zu belegen. Es bleibt die Interpretation (b), von der wir, weil sie am weitesten verbreitet und elaboriert ist, bisher ausgegangen sind und die wir im folgenden beibehalten. In der Tat ist die Valenztheorie - da die semantische Valenz im Sinne von (b) zunehmend mit Hilfe der Inventaríen der Kasustheorien beschrieben worden ist - eine Verbindung mit der Kasustheorie eingegangen, die es notwendig macht, Entstehung, Zielstellung und Ergebnisse der (bisherigen) Kasustheorien in diesem Rahmen vorzustellen und zu problematisieren. Wir werden über die semantische Valenz auf die Probleme der semantischen Kasus verwiesen, wie sie in den Kasustheorien etabliert worden sind.
18
2.
Probleme der semantischen Kasus
2.1.
Ansatz und Zielstellung der Kasustheorie
Man mag sich darüber streiten, ob die Kasustheorie tatsächlich »als mehr oder weniger gewolltes Kind der generativen Transformationsgrammatik geboren« wurde (so P L E I N E S 1 9 7 8 , 3 3 5 ) . Nicht zu bestreiten ist indes, daß die Valenztheorie und die Kasustheorie - obwohl sie über die semantische Valenz eine Verbindung eingegangen sind - ursprünglich unterschiedliche Ausgangspunkte hatten: Die Valenztheorie hatte einen syntaktischen Ausgangspunkt (in der Dependenzgrammatik) und führte in ihrer Entwicklung zur Annahme von mehreren Ebenen der Valenz (die nicht einfach isomorph aufeinander abbildbar sind) (vgl. dazu unter 1. und 3 . ) , die sich seit F I L L M O R E ( 1 9 6 8 ; 1 9 7 1 a) entwickelnden Kasustheorien dagegen sind im Schöße der generativen Grammatiken entstanden und verstanden sich zunächst als Alternative zu den Subjekt-Objekt-Grammatiken und damit vor allem auch zur Standardversion (d. h. zum »Aspects«-Modell) der generativen Grammatik C H O M S K Y S ( 1 9 6 5 ) . Insofern sind die semantischen Kasus (semantischen Rollen, Tiefenkasus) auch nicht einfach Reinterpretationen der Satzglieder oder die Satzglieder Vorläufer der semantischen Rollen (so ζ. B. A B R A M O W 1 9 8 8 ) . Vielmehr hat F I L L M O R E ( 1 9 7 1 a, 4 , 22ff.) aus der richtigen - Einsicht, daß die von C H O M S K Y in seiner Standardtheorie angenommene syntaktische Tiefenstruktur (mit den Satzgliedern als syntaktischen Relationen) für die semantische Interpretation nicht ausreicht, die - durchaus nicht zwingende - Schlußfolgerung abgeleitet, daß die Satzglieder überhaupt irrelevant oder bloße Oberflächenerscheinungen seien. Diese Schlußfolgerung ergab sich für F I L L M O R E aus der Annahme einer einheitlichen Ebene der Tiefenstruktur: Diese Annahme hat die Kasustheorie (trotz des alternativen Vorschlags von semantischen Kasus statt der Satzglieder) von der generativen Grammatik übernommen. Auf einer solchen hypothetisch angenommenen Tiefenstruktur - so stellte sich damals die scheinbare Alternative dar konnten entweder nur die Satzglieder (falls die Tiefenstruktur - wie bei C H O M S K Y - syntaktisch verstanden wird) oder die semantischen Kasus (falls die Tiefenstruktur - wie bei F I L L M O R E - semantisch aufgefaßt wird) lokalisiert sein. Inzwischen hat sich eine solche Alternative als 19
unecht herausgestellt, weil der (von Anfang an etwas schillernde) Begriff der »Tiefenstruktur« weiter differenziert bzw. stratifiziert werden muß (vgl. dazu bereits HELBIG 1970 c, 21 f.). Die tatsächliche Uneinheitlichkeit der »Tiefenstruktur« ist somit der Grund dafür, weshalb Satzglieder und semantische Kasus keine sich notwendig ausschließenden Alternativen sind, weshalb zwischen ihnen nicht notwendig ein Entweder - Oder besteht, weshalb die Etablierung von semantischen Kasus nicht notwendig die Satzglieder ausschließt oder überflüssig macht. In der Zwischenzeit hat auch CHOMSKY selbst (vgl. 1981, 149ff.) eine weitere Differenzierung bzw. Stratifizierung der Tiefenstruktur vorgenommen, hat auf der anderen Seite auch FILLMORE (1977 a; 1981, 25ff.) seine Skepsis gegen eine Tiefenstruktur-Ebene mit syntaktischen Relationen zurückgenommen. Obwohl die Satzglieder nicht einfach Vorläufer für die semantischen Rollen und die semantischen Rollen nicht einfach Fortsetzungen der Satzglieder sind, obwohl sich beide auch nicht notwendig ausschließen, besteht ein alternatives Verhältnis zwischen ihnen (und damit zwischen Subjekt-Objekt-Grammatiken und Kasusgrammatiken überhaupt) jedoch in einem anderen Sinne (vgl. dazu bereits HELBIG 1979 a, 66; 1982 a, 50ff.), und zwar unter dem Aspekt der Einheitlichkeit der Beschreibung: Das Inventar der herkömmlichen Satzglieder hat schon in der Vergangenheit auf Grund seiner Uneinheitlichkeit (im Hinblick auf das Verhältnis der Satzglieder zur Semantik) mehrfach Anstoß für kritische Auseinandersetzungen gegeben (vgl. dazu HELBIG 1968 b, 70ff.; HELBIG 1973, 69ff.; vgl. auch DANES 1978, 7ff.). In der Tat fällt jedem genaueren Beobachter auf, daß sich - was die Beziehungen zur Semantik anlangt - die Subklassen der Adverbialbestimmungen (Lokal·, Kausalbestimmungen usw.) anders verhalten als die anderen Satzglieder, da sie eine durchaus spezifizierte Bedeutung haben (etwa Zeit, Ort, Art und Weise bezeichnen), die jeweils noch weiter spezifiziert werden kann (ζ. B. Zeitpunkt, Zeitdauer, Beginn, Ende). Deshalb kann man - mit HEIDOLPH (1977, 59ff.) - zwei Arten von Satzgliedern unterscheiden: 1) solche, die semantisch nicht spezifiziert sind (wie ζ. B. Subjekt, Objekt); 2) solche, die semantisch spezifiziert sind (wie die Adverbialbestimmung). Allerdings handelt es sich bei diesen Subklassen der Adverbialbestimmung nicht mehr um eigentliche Satzglieder, sondern um die Subklassifizierung eines Satzgliedes (eben der Adverbialbestimmung) in Gruppen, die sich nicht mehr aus dem Satzgliedcharakter selbst, sondern aus dem Bezug zur außersprachlichen Realität ergeben. Insofern kann und muß man wohl schon innerhalb des im Rahmen der herkömmlichen 20
Grammatik vorkommenden Begriffsinventariums für die Satzglieder drei unterschiedliche Ebenen unterscheiden: (a) Subjekt, Objekt, Adverbialbestimmung, Prädikat(iv): eigentliche Satzglieder (als syntaktische Relationen); (b) Temporal-, Lokalbestimmung u. a. semantische Subklassen eines Satzgliedes, die durch die Bedeutung differenziert sind, also gleichsam unterhalb der Satzgliedebene anzusiedeln sind; (c) Attribut: rein oberflächensyntaktische Erscheinung, die nicht nur Teil eines Satzgliedes ist (quantitativ) und zumeist auch nur mit ihm zusammen im Satz permutiert werden kann, sondern in der Regel auch (qualitativ) von Satzgliedern im Sinne der Ebene (a) ableitbar ist, deshalb oberhalb der eigentlichen Satzgliedebene liegt (vgl. ausführlicher HELBIG 1972). Diese Differenzierung erklärt den - auf den ersten Blick verwirrenden - Umstand, daß Attribute in der Regel zusätzlich noch nach dem zugrunde liegenden Satzglied differenziert werden können (vgl. (1) und (2)), daß sowohl Satzglieder als auch Attribute (vgl. (3), (4), (5)) nicht nur als Satzglieder und Attribute, sondern zugleich auch zusätzlich nach Bedeutungskriterien differenziert werden können (wie sie in der herkömmlichen Satzgliedlehre aber nur den Subklassen der Adverbialbestimmung - als eines semantisch spezifizierten Satzgliedes zugeschrieben werden): (1) die Besichtigung der Stadt (Attribut als Objekt) (2) die Besichtigung des Ministers (Attribut als Subjekt) (3) Die Schachtel enthält noch viele Streichhölzer. (Subjekt als Bezeichnung des Ortes) (4) Er bewohnt ein Einfamilienhaus. (Objekt als Bezeichnung des Ortes) (5) die Besichtigung in Berlin (Attribut - zurückführbar auf Adverbialbestimmung - als Bezeichnung des Ortes).
Daraus läßt sich erkennen, daß die (syntaktisch verstandenen) Satzglieder (im Sinne von (a)) auf die semantische Charakterisierung nur bei den spezifizierten Satzgliedern (der Adverbialbestimmung) Bezug nehmen - durch die semantischen Subklassen der Adverbialbestimmung -, nicht aber bei den nicht-spezifizierten Satzgliedern (wie Subjekt und Objekt), auch dann nicht, wenn diese nicht-spezifizierten Satzglieder ähnliche semantische Charakteristika aufweisen (ζ. B. Ort und Zeit bezeichnen), wie sie sonst bei den semantisch spezifizierten Satzgliedern vorkommen (vgl. HEIDOLPH 1977, 61ff.). Vereinfacht und zugespitzt ausgedrückt: Die Kasustheorie stellt einen Versuch dar, die Satzglieder semantisch, d. h. unabhängig von der Syntax zu charakterisieren, und zwar einheitlich insofern, als auch die semantisch nicht-spezifizierten Satzglieder mit einem ähnlichen Begriffsinventar erfaßt werden sollen, wie es in der herkömmlichen Satzgliedlehre nur 21
für die semantisch spezifizierten Subklassen der Adverbialbestimmung vorgesehen war. Unter dem Aspekt der Einheitlichkeit der Beschreibung haben wir grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder werden alle Satzglieder so charakterisiert, wie CHOMSKY das Subjekt (-von) und das Objekt (-von) charakterisiert - in diesem Falle erhalten wir die syntaktisch verstandenen Satzglieder (im Sinne von (a)) -, oder es werden alle Satzglieder so charakterisiert, wie herkömmlicherweise nur die Subklassen der Adverbialien charakterisiert worden sind - in diesem Falle erhalten wir folgerichtig die semantischen Kasus. Aber beide Charakterisierungen (als Satzglieder und als semantische Kasus) schließen sich prinzipiell nicht notwendig aus.
2.2.
Leistungen und Grenzen der Kasustheorie
Die Leistungen und Grenzen der Kasustheorie(n) sind mehrfach erörtert worden (vgl. ζ. B. ZIMMERMANN 1 9 7 0 a; 1 9 7 0 b; ARUTJUNOVA 1 9 7 3 ; HEIDOLPH 1 9 7 7 , 65ff.; HELBIG 1 9 7 7 , 48ff.; 1 9 7 9 a, 66ff.; 1 9 8 2 a, 54ff.). Auch wenn ihr Wert unterschiedlich beurteilt wird, sie recht umstritten sind, sind einige Vorzüge und einige Nachteile unübersehbar.
2.2.1.
Vorzüge
Zu den Vorzügen rechnen u. E. folgende: (a) Mit Hilfe der semantischen Kasus wird versucht, alle Satzglieder (nicht nur die Adverbialbestimmungen als semantisch spezifizierte Satzglieder) semantisch zu charakterisieren, upd zwar mit Hilfe eines als einheitlich gedachten Systems von Begriffen (der semantischen Kasus), das nicht sekundär (wie ein Appendix) an die Syntax angehängt wird (wie das bei den Subklassen der Adverbialbestimmungen oder auch bei der Festlegung »verallgemeinerter Bedeutungen« von morphosyntaktischen Foren - ζ. B. der Kasus oder der Tempora - der Fall war; vgl. HELBIG 1978 b, 3Iff.), sondern das gerade unabhängig von der Syntax und von den Satzgliedern (gerade als Alternative dazu) konzipiert worden ist (vgl. ausführlicher unter 2.1.). (b) Als Ausgangspunkt für die Kasustheorie dient die Einsicht, daß Kasusformen und Kasusbedeutungen deutlich unterschieden werden müssen, daß die herkömmlichen Kasus (im Deutschen: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) nur Kasusformen sind, d. h. Oberflächenerscheinungen, denen nicht in direkter Weise eine Bedeutung zukommt, die vielmehr die semantischen Kasusrelationen verdunkeln oder neutralisieren können: 22
(6) die Ausstellung des Grafikers (AGENS im Genitiv) (7) die Ausstellung der Grafiken (PATIENS im Genitiv).
Eine solche Nicht-Übereinstimmung von Kasusform und Kasusbedeutung (semantischem Kasus) gilt durchaus nicht nur für den Genitiv (für den es oft gezeigt worden ist, schon angesichts der vielen Bedeutungen, die er ausdrücken kann - vgl. H E L B I G / B U S C H A 1989, 59Iff.), sondern auch für andere Kasus. Das bedeutet auch, daß es unmöglich ist, den Kasus(formen) in direkter Weise eine »Gesamtbedeutung« zuzuschreiben, wie dies oft versucht wurde und noch versucht wird. Die Suche nach solchen »Gesamtbedeutungen« muß nicht nur als gescheitert angesehen werden (vgl. auch K A Z N E L S O N 1974, 53ff.), sondern muß auch schon vom Ausgangskonzept der Kasustheorien her als Irrweg angesehen werden, muß - unter dem Aspekt der Kasustheorien - als überholt gelten. (c) Auf Grund eines Inventars von solchen semantischen Kasus kann eine (indirekte) Zuordnung sowohl zu den Oberflächensatzgliedern als auch zu den Oberflächenkasus (Kasusformen) vorgenommen werden. Bei einer solchen Zuordnung zeigt sich, daß einem semantischen Kasus unterschiedliche Satzglieder und unterschiedliche Oberflächenkasus entsprechen können (vgl. die Beispiele (8) und (9) unten), daß umgekehrt ein Oberflächenkasus (und ein Satzglied) unterschiedliche semantische Kasus repräsentieren kann (vgl. die Beispiele (6) und (7) oben). Solche indirekten Zuordnungen sind inzwischen sowohl in Teilbereichen (vgl. ABRAHAM 1972) als auch generell (vgl. H E I D O L P H / F L Ä M I G / M O T S C H 1981, 173ff., 315ff.) beschrieben worden. (d) Mit Hilfe der semantischen Kasus ist es möglich, semantisch äquivalente oder nahezu äquivalente Sätze so zu beschreiben, daß diese Äquivalenz auch in der Beschreibung reflektiert wird: (8) Der Lehrer trat in das Klassenzimmer. (9) Der Lehrer betrat das Klassenzimmer.
Das hervorgehobene Glied ist in (8) eine Präpositionalgruppe als Adverbialbestimmung, in (9) ein Akkusativ als Objekt. In beiden Fällen handelt es sich um den semantischen Kasus LOKATIV. Die Bedeutungsähnlichkeit beider Sätze (die sich in anderen Sprachen ζ. T. durch dasselbe Verb als Äquivalent bestätigt; vgl. ζ. B. enter im Englischen) wird nicht mit Hilfe der Oberflächenkasus und auch nicht mit Hilfe der Satzglieder deutlich (mit Hilfe dieser Beschreibungskategorien erhalten wir nur die oben genannte unterschiedliche Interpretation), sondern erst mit Hilfe der semantischen Kasus. Insofern erfüllen die semantischen Kasus ein Kriterium, das mit vollem Recht an linguistische Beschreibungen gestellt worden ist: daß sie in der Lage sein müssen, Sätze, die gleich oder ähnlich sind, in der Beschreibung gleich oder ähnlich 23
darzustellen, und umgekehrt Sätze, die verschieden sind, auch in der Beschreibung als verschieden auszuweisen. 2.2.2.
Nachteile
Den genannten Vorzügen der Kasustheorien stehen jedoch auch einige Nachteile gegenüber, die im Laufe der Zeit deutlicher erkannt worden sind, von denen vor allem auf folgende hingewiesen sei: (a) In den Kasusgrammatiken wird etwas verselbständigt und in die nominale Umgebung des Prädikats verlegt, was in der semantischen Struktur des Prädikats (bzw. in den semantischen Merkmalen des Verbs usw.) bereits angelegt und von dort entscheidend determiniert ist. Es wurde (so ζ. B. SGALL 1978, 225f.) noch nicht überzeugend bewiesen, daß die Unterschiede der semantischen Kasus nicht einfach durch die lexikalische Bedeutung des Verbs vorgegeben sind. Wenn der 1. Aktant eines Tätigkeitsverbs als AGENS, eines Wahrnehmungsverbs als EXPERIENCER charakterisiert wird, liegt in der Tat die Frage nahe, ob durch die semantischen Kasus etwas wesentlich Neues für die Sprachbeschreibung gewonnen ist, ob nicht vielmehr die entsprechenden Informationen bereits enthalten sind, teils in den Aktanten als Satzgliedern (also in der syntaktischen Valenz), teils in der Bedeutungsstruktur des Verbs. (b) Noch keineswegs einhellig beantwortet wird die Frage, wie weit die semantischen Kasus reichen, ob ζ. B. auch Zeit, Grund, Ort als semantische Kasus anzusehen sind oder - eine solche Annahme erscheint überzeugender - ob nicht außerhalb dieser Kasusrollen zusätzliche Einheiten (Modifikatoren oder Definitoren) angesetzt werden müssen, deren Status ein anderer ist als der der semantischen Kasus, weil deren Beziehungen zum Prädikat nicht von der Bedeutung des Prädikats gestiftet werden. In diesem Sinne ist manchmal von einem Unterschied zwischen »propositionalen Kasus« (die von der semantischen Valenz des Verbs gefordert werden) und »modalen Kasus« (die nicht von der semantischen Valenz des Verbs gefordert werden) gesprochen worden (vgl. ζ. B. COOK 1978, 299), dazu aber von anderen Autoren kritisch angemerkt worden (vgl. ζ. B. OMAMOR 1978, 265ff.), daß die »modalen Kasus« in Frage zu stellen und eher als »Satz-Modifikatoren« (oder »Satz-Spezifikatoren«) zu verstehen seien. Damit hängt letztlich auch die zentrale Frage zusammen, ob die semantischen Kasus kategorialen oder relationalen Charakter haben, als Kategorien oder als Relationen aufzufassen sind (vgl. dazu unter 2.5. und 2.7.). (c) Unübersehbar sind die großen Unsicherheiten in der Zahl und in der Abgrenzung der einzelnen Kauss. Es ist nicht zufällig, daß die Liste der vorgeschlagenen Kasusrollen fortlaufend modifiziert worden ist 24
und wird, daß auch Fragen der Zahl und Abgrenzung der Kasus in der linguistischen Literatur häufig diskutiert werden, ohne daß sie bisher endgültig geklärt worden wären. Schon von Anfang an ging es dabei um Fragen der Abgrenzung in speziellen Fällen, ζ. B. um solche Fragen, wodurch sich AGENS und INSTRUMENTAL unterscheiden, ob Naturkräfte (wie Wind, Sturm) noch als AGENS aufzufassen (oder als gesonderter Kasus FORCE auszugliedern) sind, ob AGENS auf belebte Wesen (so FILIMORE 1971 a, 34ff.) und INSTRUMENTAL auf intentional von einem AGENS verwendete Mittel beschränkt werden kann (so LAKOFF 1968, 4ff.). Solche - und ähnliche - Fragen (vgl. ausführlicher HELBIG 1977, 73ff.), sind offensichtlich so lange nicht lösbar, bis nicht genauere Kriterien für die Annahme von semantischen Kasus herausgearbeitet worden sind, was wieder eine genauere Einsicht in den Status dieser Kasus voraussetzt (vgl. dazu ausführlicher unter 2.4.3.). (d) Die in den Kasusgrammatiken thematisierte Beziehung zwischen dem Verb und den semantischen Kasus ist nicht einfach eine Beziehung zwischen semantischen Einheiten (Argumenten) und anderen semantischen Einheiten (semantischen Prädikaten), sondern ist - darauf hat vor allem HEIDOLPH (1977, 75, 55) hingewiesen - eine Beziehung zwischen semantischen Einheiten (Argumenten oder Funktionen von ihnen) einerseits und bereits lexikalisierten sowie syntaktisch geformten Einheiten (Verben) andererseits. Die Glieder der angenommenen Korrelation sind auf diese Weise nicht gleichwertig, weil die Verben als sprachliche (d. h. lexikalisierte und syntaktifizierte) Prädikate - mit denen die Kasusgrammatik arbeitet - keine einfachen (semantischen) Prädikate, sondern in der Regel (hierarchisierte) Komplexe aus mehreren solchen semantischen Prädikaten sind, Komplexe, die schon in Verben (bzw. Adjektiven oder Substantiven) lexikalisiert sind. Die semantischen Kasus haben als Pendant (Korrelat) somit einen lexikalisierten und damit auch syntaktisch festgelegten Komplex von semantischen Prädikaten, der keinen rein semantischen Charakter mehr hat, vielmehr schon zu dem Mechanismus gehört, der semantische und syntaktische Struktur miteinander verbindet und einander zuordnet (vgl. bereits unter 1.5. und 1.6.).
2.3.
Weiterentwicklung der Kasustheorie
Die genannten Nachteile und Grenzen haben begreiflicherweise die Weiterentwicklung der Kasustheorie im Anschluß an FILLMORE ( 1 9 6 8 ; 1971 a) entscheidend stimuliert. Auf der anderen Seite haben sie zu zunehmender Skepsis geführt. Kritik und Skepsis wurde schon frühzeitig artikuliert, so ζ. B. bei FINKE ( 1 9 7 4 , 35ff.), der der frühen Version 25
der Kasustheorie FILLMORES (auf Grund der situativen Bindung der Kasus) eine Ontologisierung vorgeworfen hatte, weil sich hinter ihr eine Art »common-sense-Ontologie« verberge. Diese Skepsis wurde auch mit der Weiterentwicklung der Kasustheorie nicht ausgeräumt, sondern eher verstärkt, wohl auch begünstigt durch den Umstand, daß FILLMORE später selbst (1981, 13,17) den Terminus »Kasusgrammatik« für »irreführend« gehalten hat (es sei nicht seine Absicht gewesen, ein zusammenhängendes Modell der Grammatik zu entwickeln) und daß er »eine befriedigende Lösung« des Problems, »was eigentlich ein Kasus ist...«, »nicht vorlegen kann«. Sie gipfelte schließlich in zugespitzten Formulierungen wie ζ. B. der von SEYFERT (1981,157): »Wenn nach lOjähriger intensiver Nachforschung immer noch nicht gesagt werden kann, was Kasus sind, dann ist doch der Verdacht, sie existierten am Ende überhaupt nicht, vielleicht keine nur böswillige Verleumdung«. Gewiß ist eine solche pauschalisierende Schlußfolgerung unzutreffend oder mindestens voreilig. Natürlich ist nicht zu übersehen, daß mit ziemlicher Leichtfertigkeit die Kasus festgelegt und gestrichen wurden, daß Kasuslisten fortwährend neu erstellt, verändert und wieder verworfen wurden, so daß es nahezu an »Zauberei« grenzt (so PLEINES 1978, 358). In vielen Fällen tritt dabei die grundlegende Frage, wie Kasus definiert und nach welchen Kriterien sie abgegrenzt werden, kaum in das Blickfeld des Interesses. Unbestritten ist auch, daß die Kasustheorie bei dieser Weiterentwicklung schon dem oberflächlichen Beobachter ein verwirrend uneinheitliches, nahezu desolates Bild bietet (vgl. dazu bereits HELBIG 1982 a, 57ff.; 1986 a; 1987 a). Auf Grund der im Hinblick auf Ausgangspunkt, Zielstellung und Methodologie recht unterschiedlichen Ansätze kann man heute nicht mehr von der Kasustheorie, sondern muß man von den Kasustheorie« sprechen. Auf diese Uneinheitlichkeit soll im folgenden näher eingegangen werden - mit dem Ziel, unterschiedliche Kasuskonzepte deutlicher voneinander abzuheben und auf dieser Basis (ohne voreilige Pauschalisierung) nach deren Erklärungswert zu fragen.
2.4.
Uneinheitlichkeiten der Kasustheorien
2.4.1.
Unterschiedliche Anzahl der semantischen Kasus
Die Uneinheitlichkeit in der Annahme semantischer Kasus tritt bereits sehr vordergründig zutage in der Zahl der Kasus, die nahezu von Autor zu Autor, manchmal auch von Publikation zu Publikation (auch desselben Autors) differiert. Nachdem FILLMORE zunächst (1968) 6 und später (1971 b) 8 bzw. 9 Kasus angenommen und CHAFE (1976,147ff.) 7 26
Kasus benannt hatte, zeigt sich in der Folge einerseits eine Tendenz zur Erhöhung, andererseits eine Tendenz zur Verringerung der Zahl der Kasus. Eine Erhöhung der Zahl der Kasus (eine Erweiterung der Kasusliste) ergab sich (fast mit Notwendigkeit) bei empirischen Beschreibungen, die immer mehr Fälle zutage förderten, die mit den von F I L L MORE ursprünglich angenommenen Tiefenkasus nicht beschreibbar waren: So hat ζ. B. O M A M O R (1978, 263ff., 271ff.) als zusätzliche Kasus den KAUSATIV und den ATTRIBUANDEN vorgeschlagen. Der KAUSATIV soll sich einerseits von einem bei ihm auf das Merkmal [+ intentional] beschränkten AGENS unterscheiden, andererseits aber den Kasus FORCE ersetzen, der zumeist auf Naturkräfte festgelegt ist, soll damit den nicht-intentionalen Verursacher eines Geschehens bezeichnen (d. h. denjenigen, der etwas verursacht, ohne es auszuführen): (10) Das Erdbeben zerstörte die Stadt. (KAUSATIV) (11) Das Kind verursachte (durch sein Verhalten) die Krankheit der Mutter. (KAUSATIV)
(12) Er tötete seine Frau.
(AGENS)
Der Kasus ATTRIBUAND soll Nominalphrasen erfassen, denen kein Prozeß, sondern ein Zustand oder eine Eigenschaft zugeschrieben wird (also: eine Art ZUSTANDSTRÄGER; vgl. H E L B I G / B U S C H A 1989, 560): (13) Die Speise ist bitter.
Ausgehend davon, daß FILLMORES OBJEKTIV ein »Papierkorb« war, in dem vieles Eingang gefunden hatte, was sonst nicht unterzubringen war (vgl. ABRAHAM 1971, 201), gleichsam eine »heterogene Gruppe von Hyperrollen«, hat BLANSITT (1978, 31 Iff.) aus ihm den Kasus STIMULUS ausgesondert, der - als W A H R N E H M U N G S G E G E N S T A N D zum W A H R N E H MUNGSTRÄGER (vgl. H E L B I G / B U S C H A 1989, 561) - das natürliche Pendant zum EXPERIENCER darstellt und gegebenenfalls nach der Art der Wahrnehmung noch weiter untergliedert werden kann. R A D D E N (1978, 327ff.) wiederum hat einen Kasus AREA vorgeschlagen, der den Inhalt bei Verben des Sagens (den Mitteilungsinhalt) erfassen soll. Es handelt sich sämtlich um Erweiterungen, die sich aus der empirischen Beobachtung des Sprachmaterials ergeben, ohne daß damit freilich die Kasusliste absolut vollständig würde (weil noch weitere Präzisierungen und zusätzliche Kasus in dieser Richtung möglich und auch nötig wären) (vgl. etwa H E L B I G / B U S C H A 1989, 560ff.). Die umgekehrte Tendenz zur Verringerung der Zahl der Kasus findet sich ζ. B. in COOKS »Case Grammar Matrix Model« (1978), das - als integratives Modell - die Vorzüge der Modelle von FILLMORE, C H A F E und A N D E R S O N vereinigen will, mit 5 propositionalen Kasus auskommt (AGENS, EXPERIENCER, BENEFAKTIV, OBJEKT, LOKATIV) U n d d i e
KaSUS
27
selbst in Parallele zu und in Abhängigkeit von den entsprechenden Verbbedeutungen entwickelt. Eine Verringerung der Zahl der Kasus ist oft verbunden mit einer bestimmten Hierarchisierung der Kasus: So sieht ζ. B. ROSENGREN (1978 a, 193f.; 1978 b, 377ff.) AGENS und PATIENS als übergeordnete Kasus, OBJEKT, SOURCE und GOAL als untergeordnete Kasus an. Danach müßte bei Propositionen mit nur einem Argument dieses Argument entweder AGENS oder PATIENS sein. Bei Propositionen mit mehr als einem Argument muß eines von ihnen AGENS oder PATIENS sein. Da die übrigen Kasusrelationen bei ROSENGREN nur zusammen mit AGENS oder PATIENS vorkommen können, sind sie hierarchisch untergeordnet und haben einen anderen Status als AGENS und PATIENS (was freilich die Einheitlichkeit der Kasus in Frage stellen würde). Von einer gewissen Hierarchiebildung - verbunden mit einer Verringerung der Zahl der Kasus - kann auch bei solchen Modellen gesprochen werden, die die semantischen Kasus auf Grund von »case-features« (Kasus-Merkmalen) bestimmen wollen, wie ζ. B. bei NILSEN (1972, 33ff.), der 2 x 3 solche Kasusmerkmale ansetzt ([Controller] vs. [Controlled], [Cause] vs. [Effect], [Source] vs. [Goal]) und auf der Basis dieser Kasusmerkmale 6 Kasus unterscheidet (AGENS, INSTRUMENTAL, KAUSATIV, PATIENS, SOURCE, GOAL) (vgl. ausführlicher 2.4.2. unter (c)). Spätestens an dieser Stelle - aber auch schon früher - wird deutlich, daß namentlich bei den Versuchen zur Verringerung der Zahl der Kasus (vor allem bei einer bestimmten Hierarchisierung) die Kriterien für ihre Aussonderung die entscheidende Rolle spielen, daß man folglich vom ersten und vordergründigsten Aspekt der Unterschiedlichkeit in der Zahl der Kasus verwiesen wird auf den zweiten - schon weit wesentlicheren - Aspekt der Kriterien für die Ermittlung der Kasus, da von diesen Kriterien natürlich die Zahl der Kasus abhängig ist.
2.4.2.
Heterogene Kriterien für die Abgrenzung der Kasus
In der Tat sind bei der Erstellung der Kasuslisten unterschiedliche und heterogene Kriterien im Spiele gewesen, die sich auf mindestens folgende Gruppen zurückführen lassen: (a) FILLMORE selbst (1971 a, 34ff.) hat ursprünglich semantische Merkmale der Argumente, d. h. lexikalisch-inhärente Merkmale der Substantive, für die Abgrenzung und Definition seiner semantischen Kasus benutzt: So wurden bei ihm AGENS und DATIV durch das Merkmal [ + Anim], INSTRUMENTAL und OBJEKTIV andererseits durch das Merkmal [ - Anim] bestimmt. Das führte nicht nur in der praktischen Abgrenzung der Kasus zu zahlreichen Schwierigkeiten (vgl. ζ. B. (c) unter 2.2.2.), sondern war im Grunde auch nur so lange möglich, wie die Kasus als Kategorien aufgefaßt worden sind (vgl. dazu auch ROSEN28
1978 a, 180f.). Inzwischen besteht jedoch unter den meisten Linguisten Einhelligkeit darüber, daß die Kasus keine Kategorien, sondern Relationen bzw. Funktionen sind (vgl. ausführlicher unter 2.5. und 2.7.). Eben deshalb können die semantischen Kasus nicht unmittelbar mit Hilfe von semantischen Merkmalen der Argumente festgelegt und abgegrenzt werden. (b) Auf der anderen Seite werden die Kasus bestimmt mit Hilfe der semantischen Merkmale der Prädikate, d. h. der lexikalisch-inhärenten Merkmale der Verben. So hat ζ. B. CHAFE (1976, 96ff., 103ff., 121ff., 147ff.) seine semantische Klassifizierung der Prädikate (in Zustands-, Prozeß- und Aktionsprädikate) für die Differenzierung der semantischen Umgebungen der Prädikate (also: die semantischen Kasus) verantwortlich gemacht. In ähnlicher Weise hat COOK (1978, 299ff.) seine Kasus in Abhängigkeit von den semantischen Merkmalen der sie determinierenden Verben etabliert. Auch ROSENGREN (1978 a, 180ff.; 1978 b, 378f.) hat dafür argumentiert, daß die semantische Struktur der Prädikate (nicht die der Argumente) über die Abgrenzung der Kasus entscheidet. Tatsächlich ist die Beziehung zwischen der semantischen Struktur der Prädikate und den semantischen Kasus sehr eng, sogar so eng, daß die berechtigte Frage gestellt wird, ob mit den semantischen Kasus neue Information gewonnen wird, die mehr enthält als die Information aus der semantischen Struktur der Prädikate selbst (vgl. bereits (a) unter 2.2.2.). GREN
(c) Es gibt Versuche, die Kasus abzugrenzen weder mit Hilfe lexikalisch-inhärenter Merkmale der Substantive noch mit Hilfe lexikalisch-inhärenter Merkmale der Verben, sondern mit Hilfe relationaler Merkmale, die als »Kasusmerkmale« (case features) bezeichnet werden (vor allem NILSEN 1972, 33ff.; aber auch Me COY 1969; OMAMOR 1978, 26Iff.). Für NILSEN ist die Wirkung der inhärenten Merkmale einzelner Wortklassen auf die Beziehungen zwischen den Verben und Substantiven nur indirekt, so daß es ihm effektiver erscheint, die Beziehungen zwischen den Verben und seinen Kasusrollen nicht in Termen von inhärenten lexikalischen Merkmalen, sondern in Termen von relationalen Merkmalen zu erfassen. Aus einem rigorosen System von 3 x 2 hierarchisch geordneten Kasusmerkmalen (vgl. bereits unter 2.4.1.) resultieren die von ihm (1972, 25ff., 33f., 35ff.) angenommenen 6 Kasus (siehe Tabelle auf Seite 30). Auf diese Weise ergibt sich gewiß eine Verringerung der Zahl der Kasus, auch eine deutliche Hierarchie, die bei der Auswahl der Kasusmerkmale beginnt ([Source] vs. [Goal] erscheinen als übergeordnete Merkmale, [Cause] vs. [Effect] als Untermenge davon, [Controller] vs. [Controlled] wieder als Untermenge davon) und sich bei der Unter29
1
INSTRUMENTAL
ι
KAUSATIV
ι I I I 1 1
PATIENS SOURCE GOAL
+
+
1
+
1 1 1 1 1 1
+ +
[Goal]
vs.
\
[Source]
+
[Effect]
vs.
+
[Controlled]
\
[Cause]
AGENS
vs.
KASUS
[Controller]
Kasusmerkmale
1
+
1
+
+
1 1 I ¡
+
'
+
+ +
Scheidung der Kasus selbst reflektiert: Ein AGENS liegt ζ. B. dann vor, wenn das Glied sowohl [Source] und [Cause] als auch [Controller] der Handlung ist, ein INSTRUMENTAL dann, wenn das Glied zwar [Source] und [Cause] der Handlung ist, aber von einem anderen AGENS kontrolliert wird (vgl. N I L S E N 1 9 7 2 , 44f.). Auch die Betonung des relationalen Charakters der Kasusmerkmale weist auf eine wesentliche Eigenschaft der Kasus hin. Die bei einer solchen Verringerung der Kasusliste eliminierten, aber in anderen Kasuslisten auftauchenden Kasus (ζ. B. FAKTITIV, LOKATIV, EXPERIENCER) werden bei diesem Ansatz nicht als Kasus erfaßt, sondern erscheinen als Subklassen, die sich allenfalls aus lexikalischen Merkmalen der Substantive (wie z. B. [ ± Anim]) ergeben, aus Merkmalen also, wie sie für das unter (a) genannte Kriterium charakteristisch sind. Abgesehen von dieser Uneinheitlichkeit und der grundsätzlichen Frage, ob eine solche »Zwischenschicht« von Kasusmerkmalen zwischen den semantischen Merkmalen der Prädikate und den Kasus selbst legitim oder gar notwendig ist (sie lassen sich kaum ohne ein bestimmtes Maß von subjektiver Intuition festlegen), fällt auf - und dies ist ein weiterer Einwand gegen die Bestimmung der Kasus mit Hilfe relationaler Kasusmerkmale -, daß manche Termini (bei N I L S E N selbst: SOURCE und GOAL) gleichzeitig als Kasusmerkmale und als Kasus selbst verwendet werden. (d) Schließlich werden vereinzelt auch morphosyntaktische Merkmale bzw. Lexikoneinheiten als Kriterien für die Abgrenzung semantischer Kasus benutzt. So hat ζ. B . FILLMORE ( 1 9 7 1 a, 44ff.) ursprünglich manche Präpositionen als Kasus-Indikatoren bzw. -Marker angesehen: Ein AGENS ζ. B. sei charakterisiert durch by, ein INSTRUMENTAL durch with (oder by), ein OBJEKTIV und FAKTITIV durch 0 , ein BENEFAKTIV durch for, ein DATIV durch to - wobei in der Subjektposition die betreffenden Präpositionen getilgt werden. Gegen eine solche Indizierung von semantischen Kasus spricht der Umstand, daß die genannten Präpositionen mit unterschiedlichen semantischen Kasus vorkommen können (weil sie polysem sind). Eine Kasusindizierung durch Präpositionen 30
inzwischen auch von FILLMORE (1981, 20ff.) aufgegeben - wird der tatsächlichen Polysemie der Präpositionen nicht gerecht und ist unbegründet, weil es keine 1:1-Entsprechung von Präpositionen und semantischen Kasus gibt. Sie steht im Widerspruch zum Ansatz der Kasustheorie selbst, die ja ein System von Begriffen entwickeln wollte, das unabhängig von der Oberfläche (von Morphosyntax und Lexikalisierung) war, gerade als Alternative zu anderen Konzepten (ζ. B. der generativen Grammatik), die der Oberfläche zu stark verhaftet waren (vgl. dazu ausführlicher 2.1. und (a) unter 2.2.1.). Insgesamt ergibt diese Klassifizierung und Erörterung der verschiedenen Kriterien für die Identifizierung der semantischen Kasus eine vorläufige Präferenz für das Kriterium (b), d. h. für die semantische Struktur der Prädikate als Basis für die Annahme und Abgrenzung der semantischen Kasus. Freilich ist damit das Problem noch nicht gelöst, da das Wie des Verhältnisses zwischen der semantischen Struktur der Prädikate und den semantischen Kasus noch offen bleibt, weil es sich in der semantischen Struktur der Prädikate (als Partner der Argumente) um elementare semantische Prädikate, in der (davon abgeleiteten) Kasusstruktur jedoch (als Partner der semantischen Kasus) zumeist um komplexe, jedenfalls um versprachlichte (in Verben und Adjektiven lexikalisierte) Prädikate handelt (vgl. bereits 1.5. und 1.6.; vgl. auch ROSENGREN 1978 a, 175ff., 200ff.). Damit werden wir erneut auf die Frage nach dem Status der semantischen Kasus verwiesen. 2.4.3.
Zum Status der semantischen Kasus
Mit der Frage nach dem Status der semantischen Kasus tritt - nach dem Problem der Zahl der Kasus und dem Problem der Kriterien für ihre Unterscheidung - ein dritter und noch grundlegenderer Aspekt in das Blickfeld. Er ist noch grundlegender deshalb, weil auf der einen Seite die Kriterien für die Kasus und ihre Zahl davon abhängig sind, weil damit auf der anderen Seite weitreichende theoretische und methodologische Voraussetzungen verbunden sind. Es handelt sich dabei nicht nur um die Frage, ob die semantischen Rollen auf der Basis der grammatischen Form oder der Bedeutung definiert werden, ob und inwieweit die Bedeutung (und damit das Inventar der semantischen Kasus) unabhängig von der grammatischen Form beschrieben werden kann oder sogar muß (so BLANSITT 1978, 215). Es geht darüber hinaus um generelle Fragen nach den Beziehungen der semantischen Kasus einerseits zu oberflächennäheren Eigenschaften (zu den Satzgliedern und zur syntaktischen Valenz), andererseits zu oberflächenferneren Eigenschaften, zur semantischen Komponentenstruktur, zu semantischen Eigenschaften der valenztragenden Lexeme und darüber hinaus zu 31
kommunikativen, kognitiven, situativen und perzeptuellen Gegebenheiten (vgl. bereits HELBIG 1982 a, 62ff.)· Gerade in diesen Fragen zeichnen sich weitreichende Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten ab. Mit diesen Fragen werden zwar die Kasus aus ihrer ursprünglich recht empirisch-intuitiven »Setzung« und ihrer Isolierung herausgeführt - dies ist zunächst ein unbestreitbarer Fortschritt - und in umfassendere linguistische Modellbildungen integriert. Bei der Beantwortung dieser Fragen (und dem Versuch ihrer Integration in umfassendere Modellbildungen) treten jedoch noch weitreichendere Meinungsunterschiede zutage, die gegenwärtig noch kaum alternativ entschieden werden können, weil die gegenseitige Argumentation die entsprechenden Zentralprobleme noch nicht genügend expliziert hat. Diese Unterschiedlichkeit im Hinblick auf den Status der semantischen Kasus zeichnete sich bereits in den 70er Jahren ab. Auf der einen Seite versteht ζ. B. POTTS (1978, 399ff., 450ff.) die semantischen Kasus als Teile der Bedeutungen des Verbs und die Kasusgrammatiken als Beitrag zur Komponentenanalyse des Verbs, weil es für ihn keinen Zugang zu den semantischen Kasus außer über die Bedeutung des Verbs gebe und die Bedeutungsanalyse ein Mittel zur Klassifizierung der Kasus sei, das weder willkürlich noch an die Oberfläche gebunden sei. Unter diesem Aspekt übt POTTS Kritik an FILLMORE, dessen Kasus zwar als semantisch ausgegeben, in Wahrheit aber noch zu oberflächennahe angesiedelt seien. In ähnlicher Weise - und im Unterschied zu einem sprachimmanenten Kasuskonzept (sowie einer damit verbundenen »Autonomie« der Kasus) - möchte PLEINES (1978, 359ff.) die semantischen Kasus damals schon in der pragmatischen Kommunikationsdimension verankern, sie in situative, kognitive und perzeptive Gegebenheiten einbinden. Nachdem FILLMORE eine solche Verankerung der Kasus in der menschlichen Kognition von Anfang an wenigstens im Auge hatte, sei in der Nachfolge dieser Bezug wieder verlorengegangen, seien die Kasus autonom und rein linguistisch definiert worden, sei ein systemimmanenter und reduktionalistischer Kasusbegriff entstanden. Ein solcher systemimmanenter Kasusbegriff wird - in ganz entgegengesetzter Weise - ζ. B. von STAROSTA (1978, 459ff., 465ff., 472ff.; 1981) entwickelt: Im Gegensatz zu »externen« Definitionen der Kasus bei FILLMORE und erst recht bei POTTS strebt er im Rahmen seines »Lexicase«-Modells »syntaktisch-semantische« Definitionen für die Kasus an (wobei die syntaktischen Kriterien gegenüber den semantischen dominant sind) - an Stelle der ursprünglich situativ angelegten Kasusrelationen bei FILLMORE. Er übt an FILLMORE Kritik, nicht weil dessen Kasus zu wenig semantisch, sondern umgekehrt, weil sie zu 32
semantisch oder gar außersprachlich seien. STAROSTA selbst verzichtet auf eine Bindung der Kasus an außersprachliche Situationen und versucht streng sprachinterne Definitionen der Kasus. Es entsteht dabei eine recht konsistente Beschreibung, bei der jedoch die Kasus (wieder) so oberflächennahe konzipiert und so weit »syntaktiviert« sind (so wird ζ. B. das Subjekt bei allen intransitiven Verben als PATIENS interpretiert, weil es bei intransitiven Verben steht), daß die Frage nach ihrer Legitimität (neben den Satzgliedern und der syntaktischen Valenz) gestellt werden kann. STAROSTA (1978, 522ff.) ist sich selbst dieser Konsequenz bewußt geworden, wenn er die Frage stellt, ob es außerhalb der Tiefenkasus-Repräsentation noch eine semantische Repräsentation gäbe, und darauf antwortet, daß beide Ebenen gar nicht distinkt seien, daß die Tiefenkasus vielmehr die semantische Interpretation der syntaktischen Tiefenstruktur seien. Auf diese Weise rücken jedoch ζ. B. Tiefenobjekt und PATIENS, Tiefensubjekt und AGENS wieder so nahe (bis zur Identifizierung) zusammen, daß man nicht nur - mit STAROSTA - fragen kann, ob es außerhalb der Kasusebene noch eine semantische Ebene und eine Ebene der syntaktischen Tiefenstruktur gibt, sondern auch - im Gegensatz zu STAROSTA - fragen kann, ob es außer der syntaktischen Tiefenstruktur und der semantischen Ebene noch einer besonderen Ebene der semantischen Kasus bedarf (vgl. ausführlicher 2.5.). Die Pole einer Semantisierung bzw. Pragmatisierung der Kasus einerseits und ihrer Syntaktivierung andererseits stecken gleichsam den Rahmen ab, innerhalb dessen die semantischen Kasus in außerordentlich divergenter Weise angesiedelt werden. Mit seiner »Wiedereröffnung des Plädoyers für Kasus« hat FILLMORE (1977 a; 1981) seinen ursprünglichen (ontologisch-situativen) Ansatz insofern modifiziert, als er über den Begriff »Szene« eine Öffnung zur kommunikativen und kognitiven Dimension versucht: Die Kasus sind für ihn nun semantische Relationen (nicht mehr Kategorien), distinkt als Ebene sowohl von der semantischen Repräsentation als auch von der syntaktischen Oberflächen- und Tiefenstruktur. Da den Bedeutungen »Szenen« zugeordnet werden, der Sprecher aber aus der Menge der SachverhaltsMitspieler der Szene, auf Grund seiner »Perspektive« (d. h. des Blickpunktes, unter dem er den Sachverhalt bzw. die Szene betrachtet) auswählt, werden zwei Erscheinungen deutlicher getrennt: die Rolle von Mitspielern in einem Sachverhalt selbst und die Bedingungen, nach denen der Sprecher die Wahl hat, bestimmte Sachverhalts-Mitspieler »in Perspektive zu bringen« (FILLMORE 1981, 30ff., 40f.). Damit bindet FILLMORE die semantischen Kasus nach wie vor an die Sachverhalte der außersprachlichen Situation und löst sie von der syntaktischen Realisierung (etwa durch unterschiedliche Satzglieder), deutet aber - mit der 33
»Perspektive-Hervorhebung« - die Richtung an, wie man Unterschiede erfassen kann, ζ. B. in (gerade zwischen FILLMORE und STAROSTA) oft kontrovers diskutierten Sätzen der Art (14) (15)
Er hat den Wagen mit Heu beladen. Er hat Heu auf den Wagen geladen.
Neben dem offenkundigen syntaktischen Unterschied beider Sätze wird ein Unterschied in der »Perspektive« auf objektiv identische externe Situationen angenommen - und zwar in der Weise, daß bei (14) von einer »holistischen« Interpretation (der Wagen wird vollständig, als Ganzes vom Verbalgeschehen betroffen, d. h. vollgeladen), bei (15) dagegen von einer »partitiven« Interpretation gesprochen wird (der Wagen wird nur partiell, d. h. nicht als Ganzes vom Verbalgeschehen betroffen, d. h. nicht notwendig vollgeladen). Während bei FILLMORE jedoch diese unterschiedliche Perspektive zunächst nicht zu unterschiedlichen semantischen Kasus führt ((14) und (15) hätten also dieselbe Kasusstruktur), müßten unter dem Aspekt einer »syntaktivistischen« Interpretation für (14) und (15) unterschiedliche Kasusstrukturen angenommen werden (etwa: bei (14) Wagen PATIENS, Heu INSTRUMENTAL, bei (15) Heu PATIENS, Wagen LOKATIV), weil eine ausschließlich an der Situation festgemachte Kasusstruktur die semantischen Kasus von der sprachlichen Struktur isoliere, die Kasusrollen für alle auf dieselbe Situation referierenden Paraphrasen gleichbleiben müßten (vergleichbar mit dem Stummfilm von einer Handlung nach dem Prinzip »einmal eine Kasusrelation, immer eine Kasusrelation«). Statt dessen wird für unterschiedliche Kasus plädiert, weil 2 unterschiedliche Verben (mit unterschiedlichen Kasusrahmen) vorhanden sind, die Wahl des jeweiligen (manchmal: transitiven bzw. intransitiven) Verbs zu der unterschiedlichen (holistischen bzw. partitiven) Interpretation, d. h. zu unterschiedlichen Perspektiven auf gleiche externe Situationen führe (vgl. STAROSTA 1981, 46ff., 89ff., 93ff.).
2.5.
Zum Erklärungswert der semantischen Kasus
Angesichts dieser verwirrenden Situation (in der dieselben Sätze - auf Grund eines unterschiedlichen Status der semantischen Kasus - im Hinblick auf diese Kasus unterschiedlich interpretiert werden) verwundert es nicht, daß sich die Kritik und Skepsis an der Kasustheorie verstärkte (vgl. bereits 2.3.), daß aber auch die Frage nach dem Erklärungswert der Kasus schärfer gestellt wurde. Der frühen Kritik von FINKE (1974, 35f.), die ursprüngliche Kasustheorie sei mit einer ontologischen Faktorisierung der Wirklichkeit (als Grundlage für die »Kasustorte«) 34
verbunden und setze eine Art »naive Ontologie« voraus (vgl. dazu bereits 2,3.). konnte FILLMORE (1981, 2 2 ) damit begegnen, daß er seine Kasus nicht mehr (wie am Anfang) als Kategorien, sondern als Relationen interpretiert. Nach der »Entzweiung« der Kasustheorien in eine semantisch-pragmatische und eine »syntaktivistische« Richtung entstand jedoch mancherorts der Eindruck, als ob es eine Alternative zwischen syntaktischen (satzgliedgebundenen) und ontologisch (situativ) orientierten Kasusauffassungen und nur zwischen ihnen gibt (vgl. z. B. FLEISCHMANN 1985, 41ff.). Mit den genannten Ansätzen (z. B. POTTS einerseits, STAROSTA andererseits) sind Pole markiert, zwischen denen versuchte Statusbestimmungen für die Kasus hin- und heroszillieren. Sobald man sich den Extremwerten der Skala nähert, d. h. die Kasus entweder völlig in die semantische Komponentenstruktur (des Verbs) integriert (wie POTTS) oder sie nahezu völlig in der Syntax aufgehen läßt (wie STAROSTA), läuft man Gefahr, die Existenzberechtigung der Kasus als Zwischenebene wieder in Frage zu stellen. Die Frage nach dem Erklärungswert der semantischen Kasus, d. h. letztlich auch nach ihrem Pro oder Contra, ist deshalb mehrfach und mit vollem Recht auch explizit gestellt worden. So hat z. B. ROSENGREN (1978 a, 169ff.) ausdrücklich solche Fragen thematisiert und problematisiert: Welchen Status haben die Tiefenkasus in einer semantischen Theorie, und wie verhalten sie sich zu den Aktanten und Satzgliedern? Welche Rolle spielt die semantische Struktur der Argumente und die semantische Struktur der Prädikate für die semantischen Kasus? Kann oder muß man die Kasus mit Hilfe der semantischen Struktur des Prädikats »wegdefinieren«? Haben die semantischen Kasus einen eigenen Status, bilden sie eine legitime »Zwischenebene« zwischen der semantischen Komponentenstruktur und der syntaktischen Valenz, zwischen Semantik und Syntax? Solche Fragen ergeben sich mit Notwendigkeit, wenn man von der Einsicht ausgeht, daß die Kasus keine primären semantischen Kategorien, sondern (sekundäre) Funktionen und Relationen darstellen, daß sie folglich von primären Eigenschaften der Bedeutung (in der Komponentenstruktur) ableitbar sind, zu dem Überführungsmechanismus zwischen Semantik und Syntax gehören und eine Art Nahtstelle zwischen Semantik und Syntax darstellen (vgl. bereits 1.5. und 1.6.). Daß sie Relationen sind, dürfte indes kaum noch zu bestreiten sein, schon deshalb nicht, weil man nicht die Aufgabe stellen kann, Elemente der semantischen Kasus unabhängig vom Kontext (der Prädikate) aufzählen zu lassen (etwa: Nennen Sie 3 AGENTIA oder 3 INSTRUMENTALIA!). Das ist deshalb nicht möglich, weil die betreffenden Substantive mit bestimmten inhärenten Merkmalen nicht die Kasusrolle von vornherein (inhärent) haben, sondern erst zu den betreffenden Kasus wer35
den in Abhängigkeit vom Prädikat. In ähnlicher Weise kann man zwar Substantive aufzählen lassen, die bestimmte inhärente Merkmale (ζ. B. [ + Anim] oder [ + Hum]) haben (das sind Kategorien), man kann aber nicht 3 Subjekte oder 3 Objekte aufzählen lassen, weil sie erst Subjekte oder Objekte werden in Relation zu den betreffenden Verben. Insofern sind die Satzglieder Relationen (und Funktionen von Kategorien) auf syntaktischer Ebene, wie die semantischen Kasus Relationen (und Funktionen) von Kategorien auf semantischer Ebene sind. Als Relationen sind beide einander zugeordnet (insofern bilden die Kasus eine Nahtstelle zwischen Syntax und Semantik). Weil sie aber Relationen (und Funktionen) sind, stellt sich die Frage nach ihrer Legitimität und ihrer Notwendigkeit in verstärktem Maße (sowohl für die Satzglieder die ja auch in ihrem Pro und Contra kontrovers erörtert werden (vgl. auch HELBIG 1982 a, 52ff.) - als auch oder erst recht für die semantischen Kasus). Die Antworten auf die genannten Fragen haben einen doppelten Aspekt: Unter theoretischem Aspekt ist eine eindeutige Entscheidung über das Problem Pro oder Contra semantische Kasus wohl gegenwärtig noch kaum zu fällen. Sie hängt einerseits davon ab, inwieweit die semantischen Kasus relevante Informationen bereitstellen, die nicht bereits auf anderen Ebenen enthalten sind und ohne die die Zuordnung zwischen semantischer (Komponenten-)Struktur und syntaktischer (Valenz- und Satzglieder-)Struktur nicht oder nur unter Informationsverlust erklärbar ist. Sie sind dann nötig, wenn sie für die Zuordnung von Syntax und Semantik erforderlich sind, sind aber redundant, wenn die Zuordnung auch ohne sie erklärt werden kann. Diese Entscheidung hängt von empirischen Untersuchungen, letztlich von einem Vergleich zweier Darstellungen - mit und ohne Kasusebene - ab (die aber noch nicht vorliegen), die denselben Informationswert haben müßten. Ähnlich verhält es sich mit der Entscheidung pro oder contra Satzglieder: Auch eine solche Entscheidung kann endgültig nur getroffen werden auf Grund eines Vergleichs zweier Darstellungen derselben Sprache (mit und ohne Satzglieder), die den gleichen Informationswert haben müßten hinsichtlich der Zuordnung (in diesem Falle: der Oberflächenkasus und der semantischen Kasus), die aber ebenfalls (noch) nicht vorliegen. Andererseits hängt eine theoretische Entscheidung pro und contra semantische Kasus wesentlich auch von dem gewählten Kasuskonzept (dem Konzept über den Status der Kasus) generell ab. Die bisherigen Argumentationen beziehen sich indes zumeist auf ein bestimmtes oder auf ein undifferenziertes Konzept der semantischen Kasus (was eine spezifizierte Antwort erschwert). Welchen Erklärungswert unter theoretischem Aspekt die Kasus haben, ob sie notwendig oder redundant sind, ob die Liaison von Valenz und semantischen Ka36
sus eine »Mésalliance« ist (so HERINGER 1 9 8 4 a, 200ff.), dürfte jedoch erst auf der Basis unterschiedlicher Kasuskonzepte (vgl. bereits 2.4.) differenzierter beantwortbar sein. Dies führt uns zu einer genaueren Unterscheidung dieser Kasuskonzepte (vgl. 2.8.). Unabhängig von diesen Entscheidungen unter theoretischem Aspekt dürfte jedoch - unter praktischem Aspekt - ein Plädoyer für die semantischen Kasus sein: Der Wert von semantischen Kasus für bestimmte Zwecke (etwa: Lexikoneintragungen, Satzmodellierung - vgl. ausführlicher unter 7. und 8.) und für bestimmte Praxisbereiche (vor allem: Fremdsprachenunterricht, Übersetzung) hat sich in vielfältiger Weise erwiesen und bewährt. Die Berechtigung, ja Notwendigkeit der Abstraktion von semantischen Kasus aus der Vielfalt der semantischen Komponenten ergibt sich in diesen Bereichen schon daraus, daß es für solche Zwecke praktisch nicht möglich und auch nicht nötig ist, in jedem Falle komplette semantische Komponentenstrukturen auszuarbeiten und aufzuführen (vgl. auch PASCH 1977, 16f.).
2.6.
Semantisch-signifikatives Kasuskonzept
Ehe wir auf die Frage nach dem theoretischen Erklärungswert der Kasus (unter Differenzierung unterschiedlicher Kasuskonzepte) zurückkommen, sei auf einen jüngeren Interpretationsversuch der semantischen Kasus eingegangen, der aus der Skepsis gegenüber den bisherigen Kasustheorien erwachsen ist und ein Kasuskonzept anstrebt, das in besonderer Weise für translationslinguistische Zwecke gedacht ist. Angeregt u. a. von Susov ( 1 9 7 3 ) - der in Fällen wie treten in und betreten (vgl. unsere entsprechenden Beispiele (14) und (15)) von Darstellungen der Wirklichkeit spricht, die unterschiedlich gebrochen sind und zu unterschiedlichen Kasus führen -, von PLEINES ( 1 9 7 6 ; 1 9 7 8 ) - der ebenfalls nicht die Sachverhalte selbst, sondern ihre unterschiedliche Reflexion durch kognitive und perzeptuelle Strategien der Sprecher für entscheidend hält - und von JÄGER ( 1 9 8 1 ) - der bei Gleichheit der denotativen Bedeutung in solchen Fällen eine unterschiedliche signifikative Bedeutung annimmt -, hat FLEISCHMANN ( 1 9 8 5 ) ein Kasuskonzept entwickelt, das eine ontologische Erklärung der Kasus radikal ablehnt, die Kasus von der denotativen Bedeutung abkoppelt, sie statt dessen auf signifikativ-semantischer Ebene ansiedelt und in strikter Weise an die Satzglieder bindet. Auf diese Weise hätten Sätze wie (14) und (15) eine unterschiedliche Kasusstruktur (im Gegensatz zu FILLMORE, in Übereinstimmung aber mit STAROSTA). In bestimmter Weise knüpft dieses Konzept sowohl an FILLMORE (an dessen Perspektive-Begriff) als auch an STAROSTA (durch die oberflächennahe, an die Syntax gebundene 37
Auffassung der Kasus) an, ohne mit ihnen identisch zu sein: Während bei FILLMORE trotz des Perspektive-Begriffs die Kasus zunächst an die Szenen (des Sachverhalts) gebunden bleiben und bei STAROSTA eine Determination durch die Syntax vorliegt, werden die semantischen Kasus bei FLEISCHMANN vom Sachverhalt (von der denotativen Bedeutung) abgelöst und statt dessen auf die semantisch-signifikative und auf die syntaktische Ebene bezogen. Damit sind jedoch mehrere Probleme (und mögliche Einwände) verbunden: (a) Abgesehen von der Frage, ob es legitim und sinnvoll ist, außerhalb einer allgemeinen Kasustheorie gleichsam eine spezielle translationslinguistische Kasustheorie zu etablieren, dürfte eine semantischsignifikative Festlegung nicht ohne weiteres identisch sein mit einer syntaktischen (an die Satzglieder gebundenen) Festlegung. Wenn ζ. B. bei wickeln um und umwickeln (vgl. unsere parallelen Beispiele (14) und (15)) die gleiche denotative Bedeutung vorliegt, die zu einer unterschiedlichen signifikativen Bedeutung »gebrochen« wird und zu einer unterschiedlichen Syntaktifizierung führt, ergibt sich die Frage, ob diese Bedeutung immer morphosyntaktisch markiert ist, ob tatsächlich semantisch-signifikative und syntaktische Brechung generell auf dasselbe hinauslaufen (wie es bei FLEISCHMANN den Anschein hat). Wenn sie aber auf dasselbe hinauslaufen, würde das eine 1:1 -Entsprechung beider Ebenen voraussetzen und die Kasusrollen letzlich zu tautologisch-redundanten Etiketten für syntaktisch bereits fixierte Sachverhalte degradieren. (b) FLEISCHMANN begründet die Notwendigkeit einer solchen oberflächennahen Auffassung der semantischen Kasus mit den Anforderungen der Translationslinguistik, damit, daß Unterschiede zwischen Übersetzungsäquivalenten auch als Unterschiede in der Kasusstruktur ihren Niederschlag finden müßten, daß den Übersetzungsäquivalenten unterschiedliche Kasus zugeschrieben werden müßten. Diese Begründung überzeugt deshalb nicht, weil dieser (scheinbare) Vorteil durch mehrere Nachteile erkauft wird: Was mit solchen oberflächennahen Kasus erfaßt wird, sind nur noch die Unterschiede (die aber bereits auf syntaktischer Ebene zu beschreiben sind), nicht mehr die Gemeinsamkeiten (etwa von Sätzen wie (14) und (15) oder auch von Übersetzungsäquivalenten). Natürlich müssen linguistisch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede erfaßt werden (das ist nicht der Streitpunkt). Die Frage ist aber die, ob die semantischen Kasus einen größeren Erklärungswert haben, wenn sie die Gemeinsamkeiten, oder dann, wenn sie die Unterschiede reflektieren (je nach dem unterschiedlichen Status der Kasus). Während die Unterschiede bereits auf syntaktischer Ebene erfaßbar und auch auf semantisch-signifikativer Ebene 38
(wenn auch in der germanistischen Literatur oft in inhaltbezogener Verpackung - vgl. etwa GREBE 1959, 465; BRINKMANN 1971, 519ff.) ausführlich erörtert worden sind, sind die Gemeinsamkeiten mit Hilfe der traditionellen Inventaríen bisher kaum beschrieben worden. Dieser Vorzug der Kasustheorien - auch im Hinblick auf ein mögliches Tertium comparationis bei Sprachvergleich und Übersetzung - sollte nicht einfach preisgegeben werden. Durch die »Umbiegung« der semantischen Kasus, d. h. ihre Abkoppelung von der propositional-semantischen Struktur und ihre Anbindung an die signifikative Semantik sowie an die Syntax verlieren sie an Erklärungskraft, büßen einige ihrer Vorzüge (vgl. 2.2.1.) ein, sind sie vor allem nicht mehr in der Lage, ähnliche oder äquivalente Sätze so zu beschreiben, daß diese Ähnlichkeit oder Äquivalenz auch in der Beschreibung reflektiert wird. (c) Die oberflächennahe Auffassung der Kasus und ihre Bindung an die Syntax führen bei FLEISCHMANN (1985, 83ff.) auch dazu, daß semantische Rollen aus Prädikatstypen abgeleitet werden (es wird von komplexen, nicht von einfachen Prädikaten ausgegangen), daß jedem Prädikatstyp genau eine Subjektsrolle entspricht (was die Frage provoziert, ob die so ermittelten Kasus nicht nur tautologische und letztlich redundante Projektionen von bereits im Prädikat enthaltenen Informationen auf den Charakter des Subjekts darstellen), daß es für alle Satzglieder spezifische Rollen gibt: So könnte z. B. die gleiche Rolle niemals als Subjekt und Objekt, sondern immer nur als Subjekt oder Objekt auftreten. Auf diese Weise büßen die semantischen Rollen ihre (zumeist unterstellte und oft genutzte) Eigenschaft ein (vgl. HEIDOLPH/FLÄMIG/MOTSCH 1981, 173ff., 315ff.), ein Erklärungsinventarium für die indirekte Zuordnung von Argumenten und Satzgliedern zu sein, weil die meisten Rollen (wenn sie nicht im Sinne eines semantisch-signifikativen Kasuskonzepts aufgefaßt werden) durch unterschiedliche Satzglieder repräsentiert werden können. Auch dieser Vorzug (vgl. (c) unter 2.2.1.) wird im Rahmen eines semantisch-signifikativen Kasuskonzepts wieder aufgegeben. (d) Schließtlich führt der translationslinguistische Ausgangspunkt (und die Oberflächennähe der semantischen Kasus) FLEISCHMANN (1985, 69ff.) auch dazu, in die Kasus solche Glieder einzubeziehen, die syntaktisch als »freie Angaben« in Erscheinung treten (weil sie in Texten eine große Rolle spielen und unter Umständen in verschiedenen Sprachen unterschiedlich - als Ergänzung oder Angabe - aufgefaßt werden). Solche Annahmen finden sich auch anderswo, z. B. bei TARVAINEN (1983, 68f.), der ganz ausdrücklich zu den Tiefenkasus auch solche rechnet, die an der Oberfläche als freie Angaben realisiert werden (z. B. : TEMPORATIV, KAUSATIV, MODATIV, KOMITATIV) und folglich auch die Annahme von kategorialen Kasus rechtfertigt, die notwendi39
gerweise damit gekoppelt ist. Auf diese Weise ergibt sich nicht nur die grundlegende Frage, wie semantische Kasus auf der Oberfläche in freie Angaben überführt werden sollen und ob tatsächlich alle Glieder im Satz als semantische Kasus qualifiziert werden können (was die zumeist außerhalb der Kasus angenommenen Modifikatoren bzw. Definitoren leugnen würde, die jedoch einen anderen Status als die semantischen Kasus haben; vgl. dazu bereits (b) unter 2.2.2.). Dabei wird auch die Grenze zwischen dem relationalen Charakter der Kasus (der weitgehend gesichert ist) und ihrem kategorialen Charakter (erneut) verwischt. Die Annahme von solchen kategorialen Kasus führt jedoch letztlich zur Unmöglichkeit sowohl der Subkategorisierung von Lexikoneinheiten (vgl. 8.) als auch zur Unmöglichkeit der Etablierung von Kasusrahmen und Satzmodellen (vgl. 7.). 2.7.
Semantische Kasus als Relationen und Funktionen
Die in 2.6. genannten Nachteile des semantisch-signifikativen Kasuskonzepts (fortan bezeichnet als Kasus B) führen uns zur Favorisierung eines anderen Konzepts (fortan: Kasus A), das über die unechte Alternative zwischen einer ontologisch-situativen und einer syntaktivistischen Kasusauffassung (vgl. 2.5.) hinausführt und zugleich eine vorschnelle Pragmatisierung vermeidet. Grundlegend für dieses Kasuskonzept A ist die Auffassung der semantischen Kasus als Relationen (vgl. bereits 2.5.) und als Funktionen der semantischen Struktur (vgl. bereits 1.5. und 1.6.) und damit auch als Nahtstelle zwischen Semantik und Syntax. Charakteristisch ist der Umstand, daß die einzelnen syntaktisch und lexikalisch realisierten Argumente außer der semantischen Komponentenstruktur eine zusätzliche semantische Charakteristik (in Termen der semantischen Kasus) erhalten hinsichtlich der Rolle, die die bezeichneten Gegenstände im bezeichneten Sachverhalt spielen (vgl. ZIMMERMANN 1984, lOff.). Je nach der Art, wie die Beziehung dieser Rollen zur Prädikat-Argument-Struktur aufgefaßt wird, sind zwei Varianten dieses Ansatzes vorgeschlagen worden (vgl. STEINITZ 1984, 69ff.): (a) BRESNAN (1981) hat im Rahmen seiner »realistischen« lexikonorientierten Grammatik in den Lexikoneintragungen den Argumenten einerseits grammatische Funktionen (wie ζ. B. Subjekt, Objekt), andererseits semantische Rollen (wie ζ. B. QUELLE, ZIEL) zugeordnet. Damit werden die Lexikoneintragungen für Verben zwar zur entscheidenden Vermittlungsinstanz zwischen Syntax und Semantik. Es bleibt jedoch der kategoriale Status der Rollen weitgehend erhalten, weil sie als eigenständiges Begriffsinventar neben der Prädikat-Argument-Struktur erscheinen. 40
(b) Im Unterschied dazu hat JACKENDOFF (1983,50ff., 68ff., 163ff.) die semantischen Rollen auf der Basis der semantischen Struktur (d. h. mit Hilfe primitiver Prädikate) zu definieren versucht und sie auf diese Weise relational und funktional interpretiert. Auf diese Weise erscheinen zwar die semantischen Kasus nicht mehr als von der semantischen Struktur unabhängig, wohl aber verstärkt sich der Einwand, daß in den Kasusrollen der Nominalphrasen etwas wiederholt wird, was bereits in der semantischen Struktur des Prädikats enthalten ist (vgl. bereits (a) unter 2.2.2.). Auch wenn eine endgültige Entscheidung zwischen den beiden Varianten noch nicht gefallen ist (vgl. ZIMMERMANN 1984, 10; STEINITZ 1984, 26ff., 69), spricht vieles für die Variante (b), zumal dem Einwand der »Tautologie« damit begegnet werden kann, daß er sich objektiv aus der Sprache selbst ergibt, aus dem Umstand, daß das Verb - im Unterschied zu anderen Wortarten - die Spezifik besitzt, auf den gesamten Satz strukturbildend zu wirken, so daß in seine Bedeutung die ihm zugehörigen Kasus als Variable eingeschlossen werden können (vgl. auch STEINITZ 1984, 39). In diese Richtung weisen auch die Versuche von HEIDOLPH (1985, 22f.; vgl. auch H E I D O L P H / F L Ä M I G / M O T S C H 1981), die semantischen Rollen in konsequenter Weise als Funktion von Argumenten der semantischen Struktur aufzufassen, d. h. sie in Beziehung zu setzen zu (elementaren) Prädikaten, zu denen sie gehören, so daß einer semantischen Rolle jeweils eine typische (Teil-)Konfiguration innerhalb der semantischen Struktur entspricht (ζ. Β. X ist URSACHE von Y und Y ist W I R K U N G von X, wenn es eine Struktur (X, Y) gibt; ähnlich für AGENS, PATIENS usw.). Auf diese Weise entstehen funktionale Definitionen für die semantischen Rollen, die darüber hinaus auch eine diagnostische Funktion (indem sie der Identifikation von Teilen der semantischen Struktur dienen) und eine applikative Funktion haben (ζ. B. für lexikographische Zwecke oder für Zwecke des Fremdsprachenunterrichts). Auf der Grundlage einer solchen Statusbestimmung der Kasus (im Sinne der Kasus A) wäre es möglich, bestehende Zweifel an den Möglichkeiten einer Subkategorisierung (vgl. ζ. B. SEYFERT 1976, 368f.) auszuräumen, Lexikoneintragungen für valenztragende Lexeme auszuarbeiten bzw. zu komplettieren (vgl. 7.) und - über das Lexikon - semantische Rollen und syntaktische Funktionen in indirekter Weise miteinander in Beziehung zu setzen.
2.8. Kasuskonzepte Α, Β u n d C Es ist deutlich geworden, daß es heute nicht die Kasustheorie, sondern daß es Kasustheorie« gibt, daß es auch nicht nur eine Alternative zwi41
sehen ontologisch-situativer und »syntaktivistischer« Kasusauffassung gibt (wie es eine Zeitlang schien), sondern daß eine Vielfalt von Kasuskonzepten vorhanden ist, die sich gegenwärtig - abgesehen von der ursprünglichen ontologisch-situativen Ausgangsbasis - auf 3 unterschiedliche Kasuskonzepte zurückführen lassen (unter Vernachlässigung einiger - ζ. T. schon angedeuteter - Spezifika): 1) Kasus A: Die semantischen Kasus werden als Relationen und als Funktionen von Argumenten der semantischen Struktur aufgefaßt, als typische (Teil-)Konfigurationen innerhalb der semantischen Struktur, die zu ermitteln sind aus Beziehungen zu den (elementaren) Prädikaten, zu denen sie gehören, und zu verstehen sind als entscheidende Nahtstelle zwischen der semantischen (Prädikat-Argument-)Struktur und der syntaktischen (Satzglied- und Valenz-) Struktur (vgl. genauer 2.7.). 2) Kasus B: Die semantischen Kasus werden abgekoppelt von der denotativen Semantik und oberflächennäher aufgefaßt, werden direkt an die Syntax (an die »Perspektivierung«) gebunden. Es entsteht entweder ein »syntaktivistisches« Kasuskonzept (vgl. 2.4.3.) oder ein semantisch-signifikatives Kasuskonzept (vgl. 2.6.), die beide zwar nicht identisch sind, aber miteinander verbunden werden können und worden sind auf Grund ihrer relativen Oberflächennähe und des daraus folgenden Umstandes, daß Sätze wie (14) und (15) eine unterschiedliche Interpretation mit Hilfe der semantischen Kasus erhalten müßten. 3) Kasus C: Die Kasus ergeben sich durch die Einbindung in situative und kognitive Szenen und werden - mehr oder minder direkt - als von diesen Szenen (bzw. der Perspektive auf sie) determiniert angesehen. Deshalb handelt es sich eher um pragmatische Kasus, die zwar partiell mit den semantisch-signifikativen Kasus (B) in Verbindung gebracht werden können, die sich aber von den semantischen Kasus A dadurch unterscheiden, daß sie nicht - wie diese - abstrakte Beziehungen in der Struktur sprachlicher Bedeutungen, also invariante Eigenschaften der Valenzträger darstellen, sondern prototypische (also: nicht abstrakte, nicht invariante) Handlungen, Ereignisse, Zustände o. ä. erfassen, also die Realisierung der Valenz in Texten und in der Kommunikation betreffen. NIKULA (1986, 266ff.) hat in diesem Sinne auch eine terminologische Differenzierung vorgeschlagen (»Kasusfunktionen« für Kasus A, »Kasusrollen« für Kasus C). Mit dieser Unterscheidung verbunden ist die Schlußfolgerung, daß man nicht nur zu unterscheiden hat zwischen mehreren Interpretationen des Terminus »semantische Valenz« (vgl. genauer 1.8.), sondern daß man selbst für den Fall einer Interpretation der »semantischen 42
Valenz« mit Hilfe der semantischen Kasus zwischen unterschiedlichen Kasuskonzepten (A, B, C) differenzieren muß. Damit drängt sich auch die Frage auf, welche Beziehungen zwischen diesen unterschiedlichen Kasuskonzepten bestehen, ob sie ζ. T. identisch sind, ob sie sich ausschließen oder direkt bzw. indirekt aufeinander zurückführbar oder durcheinander ersetzbar sind. Davon abhängig ist schließlich die Frage nach ihrem Erklärungswert, d. h. auch danach, wie sie sich in die linguistische Modellbildung einfügen, wie sie sich verhalten zu Syntax, Semantik und Pragmatik und welche (erklärende) Rolle sie bei deren Interaktion spielen. Wenn wir das Kasuskonzept C - da es pragmatischer und kognitiver Natur ist - zunächst außer acht lassen (vgl. dazu ausführlicher 3.2.3., 3.3. und 3.6.), so ist in 2.6. und 2.7. wohl hinreichend deutlich geworden, daß die Kasuskonzepte A und Β nicht nur nicht verwechselt werden dürfen, sondern daß sie auch in bestimmter Weise alternativ sind (und sich ausschließen), weil sie sich auf unterschiedliche Tatbestände beziehen. Das zeigte sich nicht zuletzt auch (praktisch) in der unterschiedlichen Interpretation solcher Sätze wie (14) und (15).
2.9.
Verhältnis zu und zwischen verschiedenen Grammatiktheorien
Manche Irritationen und Mißverständnisse hinsichtlich der Valenz und der semantischen Kasus sind entstanden auf Grund unterschiedlicher Auffassungen einzelner Autoren in unterschiedlichen Entwicklungsphasen, auf Grund der Einbindung dieser Autoren in unterschiedliche Grammatiktheorien und auf Grund des Verhältnisses dieser (in Entwicklung begriffenen) Grammatiktheorien zueinander. So muß man Ζ. B. in der Entwicklung von FILLMORE selbst unterschiedliche Phasen differenzieren, die er selbst geschildert hat (1987, 28ff. ; vgl. auch SoMERS 1987, 30ff.) : Nachdem er vom distributionalistischen Strukturalismus (Ζ. B. FRIES 1963) und später von der generativen Grammatik geprägt war, konzentrierte er sich (in seiner zweiten Phase) auf die lexikalische Semantik, strebte nach einem Lexikon der Verben (einer Art gemischter syntaktisch-semantischer Valenzbeschreibung), entfernte sich zunehmend von der klassischen Konstituentenstrukturanalyse und näherte sich der Valenztheorie an (wobei die zentralere Rolle des Verbs erkannt, der Terminus der Valenz übernommen und der semantischen Valenz eine zentrale Rolle zugewiesen wurde, seine Kasusrahmen als eine Art Tiefenstruktur-Valenz verstanden wurden). In einer dritten Phase erfolgte nicht nur eine völlige Abkehr von der generativen Grammatik, sondern zugleich auch eine pragmatische Er43
Weiterung des Valenz- und Kasuskonzepts (in Richtung auf Konzept C) im Anschluß an Fragestellungen auch der Textanalyse und der Künstlichen Intelligenz: Die semantischen Rollen scheinen ihm nicht mehr ausreichend, da Bedeutungen im Hinblick auf »Szenen« als größeren kognitiven Strukturen relativiert und in diese eingebunden werden. Vereinfacht gesagt: Während in seiner zweiten Phase die eigentliche »Liaison« zwischen Valenz- und Kasustheorie im Vordergrund stand, wird diese Verbindung in seiner dritten Phase komplizierter und indirekter (durch den Einschluß der kognitiven und pragmatischen Dimension), muß sie folglich auch auf neuer Ebene problematisiert werden (vgl. dazu 3.6.). Noch deutlicher als bei FILLMORE entspricht bei CHAFE ( 1 9 7 0 ; 1 9 7 6 ) das semantische Modell der Valenztheorie. Während bei FILLMORE die semantischen Kasus und Kasusrahmen die strukturelle Satzbasis bilden, steht bei CHAFE ( 1 9 7 0 , 9 7 ) - ganz im Sinne der ursprünglichen Valenz im Sinne von TESNIÈRE - expressis verbis das Verb im Zentrum des Satzes; denn »it is the verb which dictates the presence and character of the noun«. Das Verb wird (ähnlich wie bei H E L B I G / S C H E N K E L 1969) verantwortlich gemacht für das Vorhandensein bestimmter Nomen, für das Beschaffensein der semantischen Relationen dieser Nomen zum Verb (in Termen der semantischen Kasus) und für die semantische Spezifizierung dieser Nomen (in Termen von inhärenten semantischen Merkmalen dieser Nomen). Auf diese Weise wird eine mehrstufige Klassifizierung der Verben erreicht, die weitgehend dem Valenzmodell von H E L B I G / S C H E N K E L entspricht, jedoch die Qualität der Aktanten (nicht ihre Quantität) in den Vordergrund rückt (vgl. auch H E U E R 1 9 7 7 , 34ff.). Erst recht ist das Verhältnis zwischen Valenztheorie und generativer Grammatik manchen Mißverständnissen ausgesetzt und vor allem auch der Entwicklung unterworfen. Von völlig anderen Voraussetzungen und Zielsetzungen ausgehend, gibt es - was die hier thematisierten Tatbestände anlangt - u. E. mehr Überlappungen und vor allem zunehmende Annäherungen, als es zumeist (von der Literatur her) den Anschein hat. Zugespitzt läßt sich vielleicht sagen, daß in dem gleichen Maße, in dem FILLMORE sich von der generativen Grammatik abwendet, die generative Grammatik Tatbestände, die vorher in Valenz- und Kasustheorie thematisiert worden sind, in ihre veränderte Modellbildung integriert hat (wenn auch zum großen Teil unter anderen Termini und ohne expliziten Bezug auf Valenz- und Kasustheorie). Freilich gab es bereits in den 60er Jahren Korrespondenzen: Die Subkategorisierungs- und Selektionsregeln der Standardtheorie der generativen Grammatik entsprachen weitgehend dem, was in früheren Valenzwörterbüchern (vgl. z. B. H E L B I G / S C H E N K E L 1969) auf den Stufen I I und 44
III beschrieben worden ist. Erst recht findet in jüngeren Modellen der generativen Grammatik, vor allem im »Government and Binding«Modell (GB) der Revidierten Erweiterten Standardtheorie (vgl. CHOMSKY 1984) unter den nunmehr fundamentalen Prinzipien der Rektionstheorie (»government«) und der Theta-Rollen manches Eingang, was seitens der Valenz- und Kasustheorie thematisiert worden ist. Der Kopf (»head«) einer Konstruktion »regiert« seine Komplemente: So regiert ζ. Β. V die NP und den Nebensatz (als Komplemente), die Präposition die NP, INFL das Subjekt (wobei die zentralere Rolle des Verbs innerhalb der Verbalphrase angezeigt ist, das Subjekt jedoch nicht als vom Verb an sich, sondern als vom Knoten INFL regiert angesehen wird). Rektion in diesem Sinne ist eng mit der Subkategorisierung verbunden, jedoch nicht mit dieser identisch, umfaßt in weiterem Sinne die Theorien der Subkategorisierung, der Theta-Rollen-Markierung und der Kasuszuweisung (vgl. CHOMSKY 1984, 50ff., 162ff.). Die Theta-Rollen sind vergleichbar mit den Tiefenkasus der Kasusgrammatik und der semantischen Valenz: Jede Nominalphrase als Argument trägt eine (und nur eine) Theta-Rolle bzw. thematische Rolle (wie z. B. AGENS, PATIENS), und jede thematische Rolle kann nur einem Argument zugewiesen werden. Die Zuweisung der Theta-Rollen erfogt in der D-Struktur der »logischen Form« (entsprechend am ehesten dem genannten Kasuskonzept A), gilt aber - entsprechend dem Projektionsprinzip für alle syntaktischen Repräsentationsebenen. Die Theta-Markierung ist eng verbunden mit der Subkategorisierung, aber nicht identisch mit ihr (Subjekte erhalten eine Theta-Rolle zugewiesen, gehören aber nicht in den Subkategorisierungsrahmen der Verben) (vgl. CHOMSKY 1984, 35ff.). Alles, was subkategorisiert wird, wird auch theta-markiert (aber nicht umgekehrt). Es handelt sich um unterschiedliche, aber miteinander verbundene Raster, von denen die Theta-Markierung die Stelligkeit festlegt, die Subkategorisierung unter diesem neuen Aspekt aber weitgehend redundant wird (da z. B. Proposition in der Regel als Satz, AGENS und PATIENS in der Regel als NP erscheinen) (vgl. CHOMSKY 1986, 86ff. ; vgl. auch STECHOW-STERNEFELD 1988, 85f.). Die thematische Rolle steht in engem Zusammenhang mit der grammatischen Funktion (Subjekt, Objekt usw.) sowie mit der Zuweisung des (Oberflächen-)Kasus (z. B. Nominativ, Dativ), aber sie stehen durchaus nicht in eindeutiger Korrespondenz zueinander (vgl. STECHOW-STERNEFELD 1988, 164f.). Angesichts dieses Umstandes erscheint es unbegründet, wenn sich (1988 a, 97ff., 104ff.) gegen Ebenen-Modelle in der Grammatik überhaupt (und damit auch gegen die Unterscheidung zwischen syntaktischer und semantischer Valenz) wendet und in ihnen eine ungerechtfertigte Übertragung von theoretischen Annahmen der generativen WELKE
45
Grammatik und der generativen Semantik auf die Valenztheorie sieht, die der Valenztheorie eher geschadet als genützt hätte (vgl. kritisch dazu bereits HELBIG 1989 a). Generell ist es nicht nur legitim, sondern sogar notwendig, daß Teileinsichten aus einer Theorie (ζ. T. unter anderen grammatiktheoretischen Voraussetzungen gewonnen) in eine andere Theorie übernommen werden: So haben in den 60er Jahren aus dem Standardmodell der generativen Grammatik Subkategorisierungs- und Selektionsregeln in die Valenztheorie, in den 70er Jahren semantische Prädikatstrukturen aus der generativen Semantik über die Kasustheorie in die Valenztheorie Eingang gefunden, so hat umgekehrt die Zentralität des Verbs in der im Schöße der generativen Grammatik entwickelten Kasustheorie (schon seit FILLMORE 1968), so haben auch andere (vorher in der Valenz· und Kasustheorie genauer beschriebene) Relationen zunehmend ihren Platz in neueren Versionen der generativen Grammatik (vor allem CHOMSKY 1984) gefunden (etwa unter den genannten Stich Wörtern wie Rektion und Theta-Rollen). Das sind wissenschaftsgeschichtlich eher positiv zu bewertende Vorgänge, da sie in gewissem Sinne »paradigmenübergreifend« sind und auch der besseren Abbildung (und Erklärung) der sprachlichen Sachverhalte dienen (und zudem auch partielle »Konvergenzen« verschiedener Modelle erkennen lassen). Daß die Valenztheorie einen eigenständigen Ausgangspunkt hat, soll damit keineswegs in Frage gestellt werden, im Gegenteil: Sie ist von Anfang an von der zentralen Rolle des Verbs ausgegangen (als satzgründendem Element in dem Sinne, daß mit ihm die Struktur des Satzes weitgehend festgelegt ist) und hat auch von Anfang an die zentrale Rolle des Lexikons im Auge gehabt (zu einer Zeit, als ζ. B. in der generativen Grammatik das Lexikon noch als peripher angesehen wurde). Wie es keinen berechtigten Grund für die Skepsis gegenüber Einsichten gibt, nur weil sie aus einer anderen Theorie stammen, so gibt es u. E. auch keinen Grund für die Zurückweisung von Ebenen-Modellen, die den Zusammenhang von Grammatik und Lexikon besser zu erklären gestatten als pauschale Verweise auf Lexikon und Grammatik als »Grundkomponenten sprachlicher Tätigkeit« (so WELKE 1988 a, 106ff.), die die Gefahr einer Identifizierung von Sprachsystem und sprachlicher Tätigkeit (ebenso: von linguistischem Lexikon und »subjektivem Lexikon« des Sprechers) in sich bergen. Noch zugespitzter gesagt: Die Annahme verschiedener, aber in regulärer Beziehung zueinander stehenden Ebenen ist die Voraussetzung für eine adäquate Einordnung der Valenz in die Grammatik, kein Hemmschuh auf diesem Wege.
46
3.
Valenz und Kommunikation
3.1.
»Pragmatische Valenz«
Wie das Verhältnis der Valenz zur Semantik, so ist auch und erst recht das Verhältnis der Valenz zur Kommunikation umstritten und mehrfach Gegenstand kontroverser Erörterungen gewesen (vgl. dazu bereits HELBIG 1985 a ; 1990 a; 1990 c). Nachdem schon seit längerer Zeit die syntaktische Valenz durch die semantische Valenz ergänzt worden ist (und die semantischen Kasus in zunehmendem Maße zum Beschreibungsinventar für diese semantische Valenz verwendet werden), zeichnet sich in jüngerer Zeit die Tendenz ab, die Valenz und die semantischen Kasus ihrerseits auf kommunikative und kognitive Sachverhalte zu beziehen und durch sie zu begründen. Dem ersten Schritt von der Syntax zur Semantik folgte somit ein zweiter Schritt von der Semantik zur Pragmatik. Damit sind freilich neue Probleme verbunden, die sich aus den Beziehungen dieser Ebenen (im Bereich der Valenz) ergeben und bisher keineswegs einhellig oder endgültig gelöst sind. Bereits in den 70er Jahren zeichneten sich in dieser Frage unterschiedliche Ansätze ab: Auf der einen Seite (Ζ. B. BLUHM 1978, 9ff.) wird der Valenztheorie vorgeworfen, sie isoliere die Sprache als System von ihrer kommunikativen Verwendung. Eine solche Argumentation stützt sich auf den Begriff einer »kommunikativen Notwendigkeit« und fordert die Einbeziehung der Kommunikationssituation in die Beschreibung der Regularitäten der Satzbildung, weil Sätze - nach dieser Argumentation - ohne Beziehung zum Gebrauch in der jeweiligen Situation nicht adäquat studiert werden können. Ein solcher Ansatz beruht offenbar auf einem Mißverständnis im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Sprachsystem und Kommunikation, die - unter dem Primat der Kommunikation - zwar eng zusammengehören (weil das Sprachsystem in dialektischer Weise zugleich Ergebnis und Voraussetzung kommunikativer Tätigkeit ist), aber doch nicht einfach miteinander identifiziert werden dürfen (vgl. bereits 1.2.). Auf der anderen Seite hat RÛÎICKA (1978, 20ff.) versucht, die Valenz in die Ebenen der linguistischen Beschreibung einzuordnen, und hat soweit wir sehen: zum ersten Male - von einer »pragmatischen Valenz« 47
(im Unterschied zur syntaktischen Valenz und zur semantischen Valenz) gesprochen. Diese pragmatische Valenz umschreibt den Umstand, daß unter pragmatischen Aspekten der konkreten Kommunikation der Sprecher die freie Wahl hat, etwas an der Oberfläche zu realisieren oder nicht zu realisieren. Damit verbunden, aber nicht damit völlig identisch ist die Frage nach der Obligatorität bzw. Fakultativität von Aktanten (vgl. ausführlicher unter 5.). Es ist zunächst syntaktisch feststellbar (und ζ. T. semantisch motivierbar), ob ein Aktant obligatorisch oder fakultativ ist. Ist er jedoch fakultativ, so ist es von der Kommunikationssituation abhängig (also eine Frage der pragmatischen Valenz), ob er realisiert wird oder nicht. Mit vollem Recht verweist R Û E I Î K A deshalb zugleich auch darauf, daß der pragmatische Aspekt der Valenz nicht unabhängig ist von den anderen Aspekten, daß es eine Wechselwirkung gibt zwischen der syntaktischen und der pragmatischen Valenz, da einerseits die pragmatische Valenz einen gewissen Spielraum eröffnet, um Äußerungen in Abhängigkeit von der Kommunikationsabsicht und von der Kommunikationssituation zu variieren, und andererseits die syntaktischen Regularitäten der Valenz durch die pragmatischen Aspekte in der Regel nicht einfach verletzt, sondern nur variiert werden können, und zwar dann, wenn sie variierbar sind (d. h. in erster Linie bei den fakultativen Aktanten). Dieser Ansatz von R M I C K A war (und ist) ein heuristisch sinnvoller Ansatz, um die verschiedenen Eigenschaften des komplexen Phänomens der Valenz in das Blickfeld zu rücken und zugleich in die linguistischen Ebenen einzuordnen, um auf diese Weise nicht nur vereinseitigende Isolierungen entweder der syntaktischen oder der semantischen Valenz zu vermeiden, sondern um damit auch den Blick zu öffnen von den systeminternen Eigenschaften der Valenz auf kommunikativ-pragmatische Zusammenhänge. Allerdings führte er in der Folge zu konträren Bewertungen: Einige Autoren haben Begriff und Terminus der »pragmatischen Valenz« in Frage gestellt oder abgelehnt (vgl. ζ. B. NiKULA 1985, 159), andere (vgl. z.B. W E L K E 1988 a, 85ff.; 1989a, 5ff.; 1988/1989) haben ihn umgekehrt aufgenommen und in bestimmter Weise sogar verabsolutiert. Vor allem aber ist der Terminus der »pragmatischen Valenz« (ähnlich wie der der »semantischen Valenz«) mehrdeutig und deckt in dem genannten Sinne noch nicht alle Beziehungen zwischen Valenz und Kommunikation ab.
48
3.2.
Aspekte der Beziehungen zwischen Valenz und Kommunikation
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand lassen sich mindestens folgende Aspekte der Beziehungen zwischen Valenz und Kommunikation unterscheiden (die als Aspekte einer »pragmatischen Valenz« in einem weiteren Sinne verstanden werden können) (vgl. dazu bereits HELBIG 1985 a, 55ff.): 3.2.1.
Variierung entsprechend der Kommunikationssituation und -intention
Ein erster Aspekt dieser Beziehungen ergibt sich dadurch, daß der Sprecher in der konkreten Kommunikationssituation und entsprechend seiner jeweiligen Kommunikationsintention die Wahl hat, etwas an der Oberfläche sprachlich zu realisieren oder nicht zu realisieren, was semantisch-syntaktisch im System der Sprache (in seinen Valenzeigenschaften) angelegt ist. Das korrespondiert mit der Interpretation, die RÛZICKA dem Begriff der »pragmatischen Valenz« gegeben hat. 3.2.2.
Differenzierung nach Textsorten
Ein zweiter Aspekt ergibt sich dadurch, daß die Valenzeigenschaften in bestimmten Textsorten (ζ. B. Vortrag, Diskussion, Alltagsdialog, Telegramm, Schlagzeile) differieren, die ihrerseits auf der Basis von kommunikativen Faktoren unterschieden werden können und müssen (vgl. HELBIG 1982 a, 22ff.). Es handelt sich dabei um pragmatisch begründbare Modifikationen von für das System anzunehmenden invarianten Eigenschaften (der Valenz), in bestimmten Textsorten in erster Linie um Verkürzungen und Eliminierungen (auch von obligatorischen Aktanten). Die Eliminierung solcher Glieder führt im System der Standardsprache zu ungrammatischen Sätzen, führt aber in bestimmten Textsorten (ζ. B. im Alltagsdialog) zu durchaus akzeptablen und in vielen Fällen sogar »normalen« Äußerungen (denen gegenüber die Sätze mit allen obligatorischen Aktanten manchmal geradzu unüblich und redundant erscheinen) (vgl. ausführlicher BUSCHA 1974; 1977; HELBIG 1975, 72ff.): (1) A: Hast du die Brötchen gekauft? B: Ich habe die Brötchen gekauft. — Das habe ich gemacht. — Habe ich gemacht. — Das habe ich. — Habe ich. 49
— *Habe gekauft. — "Habe gemacht. Es zeigt sich, daß die Eliminierbarkeit von obligatorischen Aktanten nicht beliebig ist, sondern spezifischen Regularitäten folgt, die sich von den Regeln des standardsprachlichen Systems unterscheiden (sich aber erst auf den Hintergrund dieses Systems als Bezugspunkt beschreiben lassen) und in jeder Textsorte in spezifischer Weise untersucht werden müssen (vgl. SCHWITALLA 1985; 1988). Im weiteren Sinne handelt es sich um kontextuale Gegebenheiten, die in hohem Maße die Eliminierung systemhafter Aktanten (auch: obligatorischer Aktanten) möglich machen, die zu vermittelnde Gesamtinformation bewahren und (im Falle der obligatorischen Aktanten) das Moment der Ungrammatikalität neutralisieren können. Diese kontextualen Gegebenheiten manifestieren sich in der Tat »als pragmatische Valenz, die, . . . auf den systemhaften semantischen und syntaktischen Valenzverhältnissen aufbauend, einen Regelmechanismus bereitstellt, in dem die kontextualen Bedingungen und Voraussetzungen für die oberflächenstrukturelle Setzung oder Nicht-Setzung von Gliedern des verbrelevant bestimmten Umfeldes zum Ausdruck kommen« (ITÄLÄ 1986, 27f.; vgl. auch 34ff.). Auf diese Weise entsteht »kontextual bedingte Variabilität«, Variabilität in der oberflächenstrukturellen Realisierung, die man begründet hat durch den Umstand, »daß unter bestimmten Kontextbedingungen grundsätzlich alle Teile des Satzes weggelassen werden können« (NIKULA 1978, 18f.; vgl. auch GÖTZE 1974, 6 7 ; ITÄLÄ 1986, 35).
Es ist gewiß unbestreitbar, daß viele Glieder des Satzes weggelassen werden können, auch und gerade der Subjektaktant, der auf den ersten Blick am »obligatorischsten« erscheint und doch - da kommunikativ entbehrlich - »die im Kontext am häufigsten weggelassene E . . . « ist (NIKULA 1978, 19). Nach dem oben Gesagten ist die Eliminierung von Gliedern jedoch nicht irregulär und auch nicht überall müglich, sondern an Textsorten gebunden. Was allgemein mit »kontextuell bedingter Variabilität« umschrieben wird, sollte genauer differenziert werden, da es in eine doppelte Richtung weist: einerseits in Richtung auf »Skripts« (Situationsmuster, in denen sich unser Alltagswissen von Ereignissen, Handlungen u. a. in Stereotypen niederschlägt) und »Szenen« (in denen sich das gemeinsame Hintergrundwissen von Sprecher und Hörer manifestiert) (vgl. dazu besonders WEISSGERBER 1983, 106f.) diese Interpretation wird in 3.2.3. näher verfolgt -, andererseits in Richtung auf Textsorten (die unter 3.2.2. zunächst angesprochen sind).
50
3.2.3.
Einbindung über die Kasus in »Szenen«
Ein dritter Aspekt ergibt sich durch die Einbindung der Valenz über die semantischen Kasus in »Szenen«, indem das Begriffsinventar für die semantische Valenz, d. h. die semantischen Kasus selbst (im Sinne des Kasuskonzepts C) pragmatisch interpretiert werden. Das geschieht ζ. B., wenn - im Anschluß an FILLMORE - die Bedeutungen bestimmten »Szenen« zugeordnet werden und in der Folge dann angenommen wird, daß mit Hilfe bestimmter Kasus bestimmte Elemente eines Sachverhalts »in Perspektive gebracht« werden. Das geschieht erst recht, wenn expressis verbis und ausschließlich in diesem Sinne von »pragmatischer Valenz« gesprochen wird ( z . B . W E L K E 1988a, 85ff.; 1988/89). An dieser Stelle wird deutlich, daß in diesem Falle nur ein Aspekt des Verhältnisses zwischen Valenz und Kommunikation in das Blickfeld rückt, daß überdies eine Uminterpretation des Terminus »pragmatische Valenz« (im Verhältnis zu 3.2.1.) vorliegt. Auf Bedeutung und Grenzen eines solchen Ansatzes wird unter 3.3. bis 3.7. näher eingegangen, da es sich vorrangig um eine kognitive Erweiterung des Valenzbegriffes handelt. Was 2.3.1. und 2.3.2. anlangt, ergibt sich schon hier die Schlußfolgerung, daß zwar die Beziehungen zwischen Valenz und Kommunikation interessant und wichtig, aber mehrschichtig sind (daß auch die Öffnung nach der Kommunikation berechtigt und notwendig ist), daß aber die Skepsis gegen die »pragmatische Valenz« (als eigenständige oder primäre Erscheinung) berechtigt ist, daß es sich eher um pragmatische Aspekte der Valenz handelt, weil pragmatische Faktoren und Regeln auf die syntaktisch-semantische Struktur angewandt werden (vgl. auch N I K U L A 1985, 159ff.; SCHWITALLA 1988).
3.3.
Kognitive Aspekte der Valenz
Die kognitiven Aspekte der Valenz, d. h. ihre Einbindung über die semantischen Kasus in kognitive Szenen und pragmatische Bezugsrahmen, traten in das Blickfeld, als das Unbehagen mit den bisherigen Kasustheorien zu einer Suche nach einem adäquateren (weiteren) Erklärungsrahmen führte. Es handelt sich um Versuche, diesem Unbehagen zu begegenen, entscheidend angeregt von FILLMORE (1977 b, 55ff.), aber auch von anderen Seiten (vgl. vor allem H E R I N G E R 1984 b). Dabei wird einerseits an die ursprüngliche Vorstellung TESNIÈRES von einem »petit drame« (als Metapher für die Valenz) angeknüpft, andererseits aber an Ausgangspunkte der kognitiven Psychologie und an Forschungen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (als einer 51
Teildisziplin der Informatik mit dem Ziel, menschliche kognitive Leistungen durch Computer-Simulation rekonstruktiv zu erklären), an die scenes-and-frames-Semantik sowie die Prototypentheorie, deren theoretischer Hintergrund die Annahme ist, daß die Analyse von Bedeutungen nicht ohne Bezug auf Prototypen auskomme, daß Prototypen (im Gegensatz zur verbreiteten Merkmalsemantik, für die die Analysierbarkeit und Zerlegbarkeit der Bedeutung als Voraussetzung gilt) nicht weiter analysiert werden müssen, statt dessen präsentiert oder demonstriert werden (insofern handelt es sich eher um experimentelles als um formales Wissen) (vgl. ausführlicher FILLMORE 1977 b, 55ff.)· Unter diesem Blickpunkt erscheinen auch für FILLMORE die bisherigen Kasusrahmen in ihrem Aussagewert beschränkt, da jede Prädikation, die bestimmte Aspekte eines Sachverhalts beschreibt, schon durch die Perspektive auf diesen Sachverhalt beschränkt ist. Schon früher hatte FILLMORE (1981, 30ff., 40ff.) differenziert zwischen der Rolle von »Mitspielern« in einem Sachverhalt selbst und den Bedingungen, nach denen der Sprecher die Wahl hat, bestimmte Sachverhalts-Mitspieler »in Perspektive zu bringen«. Um die genannte Beschränkung auf diese Perspektive aufzuheben, hält er nun den Ausgang von umfassenderen »Szenen« - d. h. von prototypischen Handlungen, Ereignissen oder Zuständen - für nötig. Mit diesen Szenen werden »Rahmen« verbunden, d. h. Leerstellen als Erwartungen in bezug auf Rollenverteilungen. Kasusrollen sind dann die Ergänzungen derjenigen Verben, die diese Szenen sprachlich realisieren können. Als häufiges Illustrationsbeispiel dafür wird die Kaufszene benutzt (vgl. FILLMORE 1977 b, 58ff.), in der 4 Rollen nötig sind (Verkäufer, Käufer, Ware, Preis). Diese Szene wird jedoch - wie jede andere Szene niemals direkt sprachlich wiedergegeben, sondern ist immer und notwendig durch eine unterschiedliche Perspektive gebrochen, also mit Hilfe unterschiedlicher Verben perspektiviert, die ihrerseits unterschiedliche Kasusrahmen haben: (2) (3) (4) (5)
Peter kaufte das Brötchen (von Paul) (für 10 Pfennige). Paul verkaufte das Brötchen (an Peter) (für 10 Pfennige). Peter bezahlte (Paul) (für das Brötchen) 10 Pfennige. Das Brötchen kostete (Peter) 10 Pfennige.
Mit der Wahl des Verbs ändert sich die Perspektive auf dieselbe »Szene« der außersprachlichen Realität (bei (2) ist die Aktivität des Käufers, bei (3) die des Verkäufers in die Perspektive gerückt, bei (4) sind Käufer und Preis, bei (5) Ware und Preis perspektiviert, der Verkäufer kann in diesem Falle im Deutschen gar nicht in den Rahmen eingeschlossen werden). Die Kasusrahmen setzen einerseits die vollständige Kenntnis der gesamten Aktivität in der Szene voraus, determinieren aber an52
dererseits eine bestimmte Perspektive unter den »Mitspielern« der Szene (die mit den Kasusrahmen verbunden ist). Da sich mit der Wahl des Verbs die Perspektive (auf dieselbe Szene der außersprachlichen Realität) ändert und eine prototypische Kaufszene sprachlich nicht direkt wiedergegeben werden kann, müssen die beiden Ebenen (auf der einen Seite die allgemeine Repräsentation aller Aspekte der Szene, auf der anderen Seite die spezifische Perspektive auf die Szene, wie sie vom Kasus rahmen vorgegeben ist) deutlich unterschieden werden. Sprachenlernen bedeutet unter diesem Aspekt letztlich die Assoziierung bestimmter linguistischer Rahmen mit bestimmten kognitiven Szenen (wobei Szenen und Rahmen sehr weit gefaßt werden, d. h. unter »Szenen« nicht nur visuelle Szenen, sondern alle kohärenten Segmente von Handlungen, Erfahrungen, Vorstellungen u. a. verstanden werden, unter »Rahmen« jedes System der Wahl sprachlicher Mittel subsumiert ist). Die Einbindung der Kasus (Kasusrahmen) in umfassendere Szenen (die breiteres Erfahrungswissen enthalten) war für FILLMORE deshalb notwendig, weil nicht alle Informationen im sprachlichen Ausdruck kodiert sind, die Szenen nur teilweise in Termen der sprachlichen Rahmen beschrieben werden können (mit denen sie assoziiert sind). Dabei stellte sich natürlich die Frage, wie Szenen ermittelt werden können (wenn nicht über Rahmen). FILLMORE (1977 b, 64ff.) weist auf die Möglichkeit hin, Szenen durch Fragen zu ermitteln: So provoziere das Verb schreiben ζ. B. Fragen nach dem Produkt ( Was schreibst du?), nach der Oberfläche ( Worauf schreibst du?), nach dem Instrument ( Womit schreibst du?) und nach dem Agens ( Wer schreibt?), nicht aber nach dem Ort, der Zeit oder den Begleitumständen (ζ. B. Wo schreibst du? Wie spät ist es? Hast du Zahnschmerzen?). Noch weiter geht HERINGER (1984 b, 45ff.), wenn er die Szenen benutzt, um - über Fragen die Unterscheidung zwischen Ergänzungen und Angaben zu begründen, die bisher syntaktisch (durch operationelle Prozeduren) und/oder semantisch (durch die Prädikat-Argument-Struktur) begründet wurde, nun aber funktional durch Szenen (d. h. auch durch »kommunikative Notwendigkeit«) (vgl. H E R I N G E R 1984 b, 36ff., 62) motiviert werden soll: Solche Fragen werden vor allem nach Ergänzungen (nicht nach Angaben) gestellt, weil diese in der Bedeutung der Verben präsupponiert sind. FILLMORE (1977 b, 79) äußert sich vorsichtiger darüber, wie eine scenes-and-frames-Semantik mit der Grammatik verbunden werden kann.
53
3.4.
Pragmatische »Umkehr« der Betrachtungsweise
Trotz aller Unterschiede im Detail handelt es sich bei der Einbindung der Valenz über die Kasus in »Szenen« um eine pragmatische »Umkehr« der bisherigen Betrachtungsweise, »die nicht darauf zielt, was eigentlich stehen müßte, sondern darauf, was mitverstanden wird« (HERINGER 1984 b, 37; vgl. auch POLENZ 1985, 157). Diese U m k e h r
wird deshalb als notwendig empfunden, weil im Text durchaus nicht alles expliziert ist, sondern zum Verstehen des Textes über dasjenige hinaus, was in ihm expliziert ist, sehr viel mehr Wissen und Annahmen notwendig sind. HERINGER (1984 b, 47) möchte deshalb »der bekannten These von der Zentralität des Verbs einen Dreh« geben: »Wir sind von der syntaktischen zu einer semantischen Zentralität gekommen, die davon ausgeht, daß Verben semantische Zusammenhänge entwerfen und daß der Sprecher dies in Form von semantischen Netzen in seinem Sprachwissen hat.« Auf diese Weise bleibt zwar - mit vollem Recht - die Zentralität des Verbs erhalten; denn »ein Verb, das ist so, wie wenn man im dunklen Raum das Licht anknipst. Mit einem Schlag ist eine Szene da... Mit dem Verb oder mit der Szene sind auch schon die Rollen festgelegt« (HERINGER 1984 b, 49). Die Zentralität resultiert jedoch nicht mehr - wie bei der syntaktisch orientierten Valenztheorie aus der Äzfzbildungs-, sondern aus der Szene« bildungspotenz des Verbs. Genauer müßte man wohl sagen (wenn man diesem Ansatz folgt): Da mit dem Verb die Perspektive (nicht: die Szene) da ist, beruht die Zentralität des Verbs nach dieser Umkehr auf seiner Perspektivebildungspotenz. Während in der syntaktisch formulierten Valenztheorie das Verb Leerstellen eröffnete, vom Verb Zahl und Art der Ergänzungen (E) im Satz abhängig war, haben wir es - nach POLENZ (1985, 157) mit der pragmatischen Umkehrung »nicht mehr mit der grammatischen Fragestellung zu tun, wieviele und welche E im Satz stehen müssen/können/dürfen, wenn ein bestimmter Prädikatsausdruck gewählt wird, sondern gehen umgekehrt von den vorsprachlichen Wissensvoraussetzungen aus und fragen nach den verschiedenen Reduktionsstufen bis hin zum sprachlich geäußerten Satz; und wir wundern uns nicht, wenn oft der Satzausdruck dürftiger erscheint als die erschließbare Satzinhaltsstruktur. « In der Tradition einer solchen Umkehr stehen auch die Versuche von WELKE (1988 a, 85ff. ; 1988/1989), die Valenz pragmatisch und »funktional« zu begründen - in bewußtem Gegensatz gegen die generative Grammatik und unter ausdrücklicher Berufung auf funktionale Grammatiken. Es wird zwar zugestanden, daß die Valenz ein primär syntaktisches Phänomen ist (weil die sprachliche Form der per54
spektivierte Gegenstand ist), das jedoch pragmatisch und funktional begründet werden soll durch die Perspektive. Im Unterschied nicht nur zum syntaktischen, sondern auch zum semantischen Valenzbegriff geht W E L K E davon aus, daß Semantisches immer pragmatisch (durch die Perspektive) gebrochen ist, daß deshalb eine Beschränkung auf nur zwei Ebenen (Denotativ-Semantisches und Formal-Syntaktisches) nicht genügt, daß entscheidend für die Valenz die »Zwischenebene« der Perspektive sei (stehlen und bestehlen ζ. B. würden dann nicht nur unterschiedliche formal-syntaktische Realisierungen der gleichen denotativsemantischen Grundstruktur, Abbildungen des gleichen zugrunde liegenden Sachverhalts, sondern auch unterschiedliche Bedeutungen repräsentieren, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven ergeben stehlen bringt den gestohlenen Gegenstand, bestehlen die bestohlene Person in Perspektive), so daß Valenz und Kasus nicht angebunden werden an die denotative Semantik (wie bei Kasuskonzept A), sondern an die signifikative Semantik (vgl. Kasuskonzept B), die sich - da es keine neutralen Sachverhaltsabbildungen ohne Perspektivierungen gibt - aus der Perspektive (aus der Perspektiviertheit der Sachverhaltsmitspieler) ergibt (im Sinne des Kasuskonzepts C).
3.5.
Offene Probleme bei der »Umkehr« der Betrachtungsweise
Mit der genannten »Umkehr« sind einige Probleme und offene Fragen verbunden, von denen auf einige im folgenden eingegangen wird. 3.5.1.
Was heißt »funktionaler Zugang«?
Was den ζ. B. von W E L K E in Anspruch genommenen »funktionalen Zugang« betrifft, so meint dieser in verschiedenen Richtungen durchaus nicht dasselbe: (a) Bei einigen Autoren wird damit im globalen Sinne - ausgehend von der Natur der Sprache - eine Betrachtungsweise gemeint, bei der Formen und Bedeutungen der sprachlichen Mittel des Sprachsystems unter dem Gesichtspunkt ihrer intendierten kommunikativen Leistung ( = Funktion) erfaßt werden (vgl. etwa SCHMIDT 1981, 11 f.; vgl. ähnlich W E L K E 1988 a, 101, 206ff.). (b) Andere Autoren meinen damit in erster Linie eine Beschreibung, die nicht nur grammatisch adäquat ist, sondern der psychologischen Realität (und damit auch dem Spracherwerb) weitgehend entspricht (vgl. H E R I N G E R 1984 b, 47), von BRESNAN (1981) auch als »realistische Grammatik« bezeichnet, (c) Wieder andere Autoren meinen mit »funktional« in erster Linie oder ausschließlich das Primat der funktionalen Begriffe über die kategoria55
len Begriffe, dabei aber durchaus differenziert nach den verschiedenen Ebenen - also nicht global -, vor allem als syntaktische Funktionen (Subjekt, Objekt usw.), als semantische Funktionen (AGENS, GOAL USW.) und als pragmatische Funktionen (Thema-Rhema, Topik-Fokus u. a.). DIK (1987, 37ff.) verweist ζ. B. ausdrücklich auf die verschiedenen Inhalte von »funktional« und möchte seine funktionale Grammatik als Verwirklichung aller drei Inhalte verstehen. Auch wenn er eine Autonomie der Syntax (gegenüber der Semantik) und des Sprachsystems (gegenüber der Pragmatik) ablehnt, versteht er seine funktionale Grammatik nicht als pragmatische Theorie, sondern als Theorie der grammatischen Organisation, die fähig sein sollte, in eine weitere Theorie der verbalen Interaktion eingebettet und zu psychologischen Modellen des sprachlichen Verhaltens in Beziehung gesetzt zu werden, erkennt er den Unterschied zwischen Kompetenz und Performanz an (wobei freilich die Kompetenz nicht isoliert werden dürfe, weil sie letztlich eine »competence-to-perform-in-communicative-situations«, d. h. kommunikative Kompetenz sei) und lassen seine Lexikoneintragungen im Rahmen der Valenz die unterschiedlichen Ebenen (Argumentpositionen, semantische Funktionen, Selektionsbeschränkungen) deutlich erkennen - im Unterschied zu einem funktionalen Ansatz, der ausschließlich von (a) ausgeht, als global angesehen werden muß (vgl. 3.7.) und funktional weitgehend mit pragmatisch identifiziert. Im übrigen ist es ein Unterschied, ob Systemeigenschaften in kognitive und kommunikative Eigenschaften eingeordnet werden (können) oder ob sie direkt aus ihnen abgeleitet und erklärt werden (sollen). WELKE Z. B. möchte seinen Valenzbegriff nicht nur pragmatisch, sondern auch »funktional« fundieren, orientiert sich dabei teilweise an der Interpretation (b), akzentuiert aber in ausgesprochener Weise die Interpretation (a), indem er sich auf W. SCHMIDT, ADMONI U. a. beruft. Er möchte - in Zurückweisung von Ebenen-Modellen und generativen Ansätzen - zurück zu einem funktionalen Ansatz, möchte die Valenztheorie im Sinne dieser »funktionalen Grammatik« ausbauen und den »funktionalen Ansatz« neu aufnehmen. Die speziellen Probleme in diesem Falle werden deutlich, wenn WELKE (1988 a, 209) diesen (seinen) »funktionalen Ansatz« in mehrfacher Hinsicht dem »generativsemantischen Ansatz« gegenüberstellt: Der funktionale Ansatz gehe von der Form, der generativ-semantische Ansatz von der Bedeutung aus; der generativ-semantische Ansatz betone die vermittelte Zuordnung von Form und Bedeutung, der funktionale Ansatz dagegen die Tendenz »einer sich dem Ideal einer Isomorphie nähernden Zuordnung«. Bei beiden Gegenüberstellungen sind jedoch ernsthafte Einschränkungen zu machen oder mindestens unzulässige Vereinfachungen enthalten (vgl. bereits HELBIG 1989 a): Die Einsicht in die indirekte
56
Zuordnung von Form und Bedeutung ist keineswegs auf die generative Semantik beschränkt (ist - im Gegenteil - in deren klassischer Form kaum ausgeprägt). W . SCHMIDT (auf den sich WELKE ausdrücklich beruft) sah die Besonderheit seiner »funktionalen Grammatik« (im Unterschied zu einer älteren »formalen« Grammatik) gerade darin, daß sie entweder von den Funktionen (als Bezugspunkt) ausgeht oder mindestens beide Seiten gleichermaßen (d. h. Formen und Funktionen) im Auge habe (vgl. HELBIG 1970 a, 171ff., 177ff.); WELKE ( 1 9 8 8 a, 206ff.) seinerseits betont jedoch gerade den Ausgangspunkt von der Form und verwirft den umgekehrten Ausgangspunkt (möchte also eher »formbezogen« vorgehen). Diese (oder eine andere) Formbezogenheit ist aber oft (und mit Recht) kritisiert worden, weil sich in vielen Bereichen Form und Bedeutung nicht absolut decken (vgl. ζ. B. Tempusformen und Zeitbedeutungen, Reflexivpronomen und Reflexivität, Modusformen und Modalität), der Ausgangspunkt ausschließlich von der Form her den Blick auf die Bedeutung verstellen kann.
3.5.2.
Psychologische Realität der Grammatik?
Mit der Interpretation (b) (unter 2.5.1.) ist die Frage nach der »psychologischen Realität« einer Grammatik verbunden, d. h. die Frage danach, ob die linguistischen Modelle eine weitgehende Entsprechung in psychischen Prozessen haben, wie es von der Psycholinguistik oft angenommen wurde (vgl. dazu HELBIG 1986 b, 282ff.). Von der einen Seite (Ζ. B. BRESNAN, HERINGER, WELKE) wird die Forderung nach einer solchen psychologischen Realität der Grammatik erhoben (werden bisweilen psychologische Prozeßannahmen auf die sprachliche Strukturbildung übertragen), auf der entgegengesetzten Seite wird die unmittelbare Verquickung von »linguistischer Grammatik« und »psychologischer Grammatik« als »psycholinguistischer Trugschluß« bezeichnet (CHESTERMAN 1980, 17ff.). Dieser Trugschluß besteht darin, daß Grammatiken einfach interpretiert werden (sollen) als psychologische Prozesse (als Teil von dem, was der Sprecher tatsächlich tut), daß sie durch Verhaltensprozesse ersetzt oder auf die Verhaltensebene hinaufgehoben bzw. Verhaltensprozesse in sie hineingeschmuggelt werden. Die Zurückweisung einer solchen direkten Korrespondenz bedeutet nun keineswegs - wie das oft bei den Verfechtern der Interpretation (b) unterstellt wird -, daß linguistische Struktureinsichten unter psychologischem Aspekt bloße Fiktionen seien. Ganz im Gegenteil: Sie müssen - nicht direkt, aber unter komplizierten Vermittlungen - in Prozeßmodelle des Sprachverhaltens inkorporiert werden (vgl. ausführlicher BIERWISCH 1979 a, 13, 16ff.; 1979 b, 114; 1983, 15). 57
3.5.3.
Perspektive und Perspektivierung
Zu einem zentralen Begriff bei der kognitiven Einbindung der semantischen Kasus in »Szenen« ist der Begriff »Perspektive« (oder »Perspektivierung«) geworden. Allerdings bezieht sich auch dieser Begriff auf recht unterschiedliche Sachverhalte, die nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden können (vgl. ausführlicher HELBIG 1990 d). Zunächst läßt sich wissenschaftsgeschichtlich leicht zeigen, daß Begriff und Terminus der »Perspektive« älter ist als die Annahme von semantischen Kasus, daß er seinen Ursprung nicht in der Kasustheorie, sondern in anderen (älteren) Richtungen hat. Vor allem aber muß von vornherein unterschieden werden zwischen kommunikativer und semantischer Perspektive (Perspektivierung). Unter kommunikativer Perspektive sind jene Erscheinungen zu verstehen, die - im Anschluß an die Differenzierung PAULS (1898, 11 Iff.) zwischen einem psychologischen Subjekt und Prädikat einerseits und einem grammatischen Subjekt und Prädikat andererseits - vor allem in der Prager Linguistenschule untersucht worden sind und unter Bezeichnungen wie »Funktionale Satzperspektive« (FSP) und »Thema-Rhema-Gliederung« (TRG) des Satzes bekannt geworden sind (und manchmal auch mit anderen Dichotomien vor allem: Topik - Comment, Topik - Fokus, Assertion - Präsupposition - in Verbindung gebracht werden). Es ist nicht zu übersehen, daß sich hinter diesen Dichotomien nicht immer dasselbe verbirgt (vgl. ausführlicher PASCH 1983), auch nicht, daß selbst die FSP (TRG) innerhalb der Prager Schule kein völlig einheitliches Konzept darstellt (vgl. DANES 1974). Dennoch lassen sich die unterschiedlichen Konzepte der FSP auf einige Grundannahmen zurückführen, die den Kern der »kommunikativen Perspektivierung« darstellen, die zugleich aber unterschiedliche (syntaktische, semantische und textuelle) Schwerpunktsetzungen erlauben (vgl. EROMS 1976, VIII, 10 u. a.). Zu diesen Grundannahmen gehört, daß es sich bei der FSP (TRG) um eine kommunikative Gliederung des Satzes handelt, daß folglich als Thema aufgefaßt wird der Ausgangspunkt der Mitteilung, das der Mitteilung Zugrundeliegende, das Besprochene, losgelöst von allen oberflächenstrukturellen Aspekten (vgl. EROMS 1976, 16f.). Deshalb ist die FSP nicht zu identifizieren mit der grammatischen Struktur des Satzes; sie bildet vielmehr eine eigene Ebene (der Organisation der Äußerung) (vgl. DANES 1964, 225ff.). Aus diesem Grunde kann das »Thema« auch nicht ausschließlich topologisch definiert werden (wie etwa bei BOOST 1955, 86), weil Reihenfolgeregeln nicht ausschließlich vom Mitteilungsgehalt determiniert sind und die Anordnung von Satzgliedern auch anderen Bedingungen als der TRG unterworfen ist. Ebensowenig kann das Thema einfach mit dem Bekannten (und das 58
Rhema mit dem Unbekannten) gleichgesetzt werden: Bekanntheit/Nicht-Bekanntheit in bezug auf den Gegenstand selbst (als kognitive Kategorien) sind zu trennen von Neuheit/Nicht-Neuheit in bezug auf die Vorgenanntheit des Gegenstandes (als kommunikative Kategorien). Bei der FSP (TRG) handelt es sich im Kern um eine kommunikative Perspektivierung, die nicht primär festgemacht werden kann an topologischen, syntaktischen, semantischen oder kognitiven Merkmalen (die bestenfalls mit ihr verbunden sein können). Der Unterschied zwischen semantischer und kommunikativer Perspektive wird besonders augenfällig bei den Genera des Verbs. Oft werden Aktiv und Passiv als unterschiedliche Blickrichtungen, Sehweisen oder Perspektiv(ierung)en auf das gleiche Geschehen angesehen. Die dafür verwendeten Termini wie »AGENS-zugewandt« vs. »AGENS-abgewandt« o. ä. (vgl. ζ. B. HELBIG/BUSCHA 1972, 140f.; 1989 b, 163f.) beziehen sich jedoch ausschließlich auf die (sa.tz-) semantische Ebene (weil im Aktivsatz die CAUSARE- vor der GESCHEHENS-Relation primär und stärker perspektiviert ist, während es im Passivsatz umgekehrt ist vgl. WALTHER 1985), nicht auf die kommunikative Ebene. Gewiß wird das Vorgangspassiv (statt des Aktivs) oft dann verwendet, wenn das AGENS nicht bekannt ist oder nicht benannt werden soll. Falls aber im Passiv das AGENS ausgedrückt wird, ist es keineswegs immer »beiläufig«, sondern kann sogar besonders wichtig sein, weil es oft in die Thematisierte Position (des vom Informationsgehalt wesentlicheren Satzgliedes) rückt und auf diese Weise besonderes Gewicht erhält (im Unterschied zum unmarkierten AGENS im aktivischen Satz). In solchen Fällen kann das Vorgangspassiv kommunikativ sogar eher als »AGENSzugewandt« gelten als das entsprechende Aktiv (vgl. besonders SCHOENTHAL 1 9 8 7 ; HELBIG 1989 b).
Im folgenden geht es ausschließlich um die semantische Perspektive (nur von dieser gibt es Beziehungen zu den semantischen Kasus). Aber selbst unter einem Stichwort wie semantische Perspektive verbergen sich unterschiedliche Erscheinungen, die zumeist nicht deutlich voneinander abgehoben werden: (a) Eine erste Gruppe von Erscheinungen sind solche, bei denen das gleiche Verb (die gleiche Verbform) vorliegt, das (die) jedoch eine unterschiedliche Perspektive erhält: (6) (7) (8) (9)
Er wurde in das Krankenhaus eingeliefert. Er wurde in dem Krankenhaus eingeliefert. Warum hast du so lange geschwommen ? Er ist über den Fluß geschwommen.
Solche Fälle sind nicht zufällig im Rahmen inhaltbezogener Sprachwissenschaft (vgl. WEISGERBER 1953, 213f.; BRINKMANN 1971, 220, 407) 59
in das Blickfeld gerückt worden, als unterschiedliche »Vorgangsdeutungen« (d. h. unterschiedliche Aspekte, unter denen der Vorgang gesehen wird) verstanden und - freilich in ζ. T. recht impressionistischer Weise - interpretiert worden. In der Tat bestehen solche perspektivischen Unterschiede, die jedoch von ihren impressionistischen und erst recht ihren »inhaltbezogenen« Interpretationen (im Sinne einer angenommenen »muttersprachlichen Zwischenwelt«) befreit werden müssen: Dasselbe Geschehen wird bei (6) unter der Perspektive der Richtung, bei (7) unter der Perspektive des Ziels gesehen - dieser Unterschied ist mit einem Unterschied der Kasus nach der Präposition (Akkusativ vs. Dativ) verbunden -, wird bei (8) unter dem Gesichtspunkt seiner Dauer (durativ), bei (9) unter dem Gesichtspunkt seiner Vollendung, seines Ziels und der ausgedrückten Ortsveränderung (perfektiv) gesehen dieser Unterschied ist mit unterschiedlicher Perfektbildung verbunden {haben vs. sein) (vgl. dazu HELBIG/BUSCHA 1 9 8 9 , 140f., 410). Der zwischen (6) und (7) bestehende Unterschied trifft für eine ganze Reihe von Verben zu (ζ. B. aufnehmen in, versinken in, verschwinden hinter, klopfen an, einschließen in ...), die von der Bedeutung her (denotativ) zielgerichtet sind, aber (von der Perspektive - auf das Geschehen - her) entweder »zielbetont« (mit Dativ) oder »richtungsbetont« (mit Akkusativ) auftreten können. Eben darin liegt ihre mögliche Beziehung zu einer Interpretation mit Hilfe der semantischen Kasus. Diese Verben sollten nicht verwechselt werden mit solchen (ζ. B. Das Kind läuft auf die/der Straße), die zwar auch einen Wechsel zwischen Akkusativ und Dativ zeigen, denen jedoch nicht nur ein perspektivischer Unterschied zwischen »ziel-« und »richtungsbetont«, sondern ein denotativ-semantischer Unterschied zwischen »zielgerichtet« und »nicht-zielgerichtet« zugrunde liegt (es wird also nicht das gleiche Geschehen nur unterschiedlich perspektiviert, sondern ein unterschiedliches Geschehen bezeichnet). Daß es solche Perspektive-Unterschiede gibt, die an bestimmte Verben gebunden sind, haben auch Untersuchungen an Fortbewegungsverben gezeigt (vor allem: GERLING-ORTHEN 1979, 109ff.). Obwohl in der externen Realität jede Fortbewegung einen Ausgangspunkt, einen Weg und einen Zielpunkt hat (in Termen semantischer Kasus: SOURCE, PATH und GOAL), gibt es Verben, die souRCE-orientiert sind (ζ. B. sprudeln, scheiden), solche, die ΡΑΤΗ-orientiert sind (ζ. B. streifen, vagabundieren), und solche, die GOAL-Orientiert sind (ζ. B. landen, fallen). Entsprechend werden auch bestimmte Kasus (oder Kombinationen von bestimmten Kasus) - auf Grund dieser semantischen Perspektive - blockiert:
60
(10) (11)
*Er bummelt aus dem Haus. (SOURCE nicht möglich) *Er reist von Berlin über Leipzig. (SOURCE + PATH ohne GOAL nicht möglich)
(b) Eine zweite Gruppe von Fällen bilden solche Entsprechungen, die regulär (über Wortbildung) zusammenhängen, die jedoch nicht mehr (im Unterschied zu (a)) ein Verb darstellen. Genau diese Gruppe (vgl. bereits die Beispiele (14) und (15) unter 2.4.3.) hat in der Auseinandersetzung zwischen dem ontologisch-situativen und dem syntaktivistischen bzw. semantisch-signifikativen Kasuskonzept (und später: zwischen dem semantischen und dem pragmatischen Kasuskonzept) im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden: (12) (13) (14) (15) (16) (17
Er hat Farbe auf die Wand Er hat die Wand mit Farbe Peter steigt auf den Berg. Peter besteigt den Berg. Peter tritt in das Zimmer. Peter betritt das Zimmer.
geschmiert. beschmiert.
Während FILLMORE (1981 a, 39ff.) die Rolle von Mitspielern im externen Sachverhalt (im Sinne seiner Tiefenkasus) einerseits und eine unterschiedliche Perspektive auf den jeweils gleichen Sachverhalt (bei den entsprechenden Satzpaaren) andererseits unterscheidet, geht STAROSTA (1981, 93ff.) umgekehrt von zwei Verben aus, die einen unterschiedlichen Kasusrahmen haben und die entsprechend auch eine unterschiedliche Perspektive auf die jeweils gleiche externe Situation projizieren - dies auch im Englischen, wo der entsprechende Unterschied im Gegensatz zum Deutschen - nicht durch verschiedene Verben explizit markiert ist (etwa: enter für treten und eintreten in (16) und (17), load für laden und beladen in (14) und (15) unter 2.4.3.). Die Perspektive-Unterschiede werden oft so beschrieben, daß bei (12), (14) und (16) von einer »partitiven«, bei (13), (15) und (17) von einer »holistischen« Interpretation gesprochen wird (vgl. bereits unter 2.4.3.; vgl. auch ANDERSON 1971, 389; FILLMORE 1981, 39ff., PUSCH 1972). DIRVEN (1988, 41ff.) hat mit Recht gezeigt, daß eine solche Interpretation zu global ist, weil zahlreiche Zusatzbedingungen wirksam sind, die überdies von Verb zu Verb differieren. Unstrittig ist indes, daß es Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den aufgeführten Satzpaaren gibt (von denen die Gemeinsamkeiten im ontologisch-situativen, die Unterschiede umgekehrt in syntaktivistischen, in semantisch-signifikativen und in pragmatischen Kasuskonzepten besonders akzentuiert werden), daß beide so genau und so vollständig wie möglich linguistisch beschrieben werden müssen. Die Frage ist nur die, ob die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede mit Hilfe der se61
mantischen Kasus beschrieben werden sollten (diese Frage hängt mit den unterschiedlichen Kasuskonzepten zusammen). Eben deshalb läßt sie sich nur beantworten auf Grund der Differenzierung entsprechender Kasuskonzepte (und des damit verbundenen »Perspektive«-Verständnisses - im Unterschied etwa zu D I R V E N (vgl. 1988, 50f.), dessen Ausgangspunkt auf ein relativ undifferenziertes Kasuskonzept hinausläuft, das nicht nur syntaktische und semantische, sondern auch pragmatische und konzeptuelle Informationen involviert und letztlich zur Annahme von direkten Beziehungen zwischen morphosyntaktischer Oberfläche und Semantik sowie zwischen sprachlicher und kognitiver Kategorisierung führt. (c) Eine dritte Gruppe von Erscheinungen, auf die der Begriff der Perspektive angewandt wird, ist noch weitreichender: Perspektive wird nicht bezogen auf ein Verb, das unabhängig von der (unterschiedlichen) Perspektive dieselbe Bedeutung hat und sich auf dieselbe externe Situation bezieht (aber in unterschiedlicher morphosyntaktischer Umgebung vorkommt) - wie bei (a) -, auch nicht bezogen auf verschiedene Verben, die in regulärer Weise (über Wortbildung) zusammenhängen und sich ebenfalls unabhängig von der (unterschiedlichen) Perspektive auf dieselbe Situation beziehen (in diesen Fällen ist umstritten, ob dieselbe Bedeutung vorliegt oder nicht) - wie bei (b) -, sondern wird bezogen auf verschiedene Verben, die eindeutig auch verschieden sind in der Bedeutung (nicht nur in der morphosyntaktischen Umgebung), die sich auch formal unterscheiden und nicht regulär über Wortbildung zusammenhängen, die wohl auch auf eine unterschiedliche Situation referieren, mindestens aber unterschiedliche Aspekte (oder Teile) einer komplexen Situation (»Szene«) in das Blickfeld rücken. Es handelt sich um solche Fälle wie die »Kaufszene« (vgl. (2), (3), (4) und (5) unter 3.3.), die ausschließlich im pragmatischen Kasuskonzept (C) eine Rolle spielen. Das, was perspektiviert wird (der Perspektivierung zugrunde liegt), was als Gemeinsames eine unterschiedliche Perspektivierung erst möglich macht, ist nicht ein Verb mit einer Bedeutung (wie bei (a)), sind auch nicht mehrere regulär über Wortbildung verbundene Verben mit mindestens einer annähernd gleichen Bedeutung und mit Bezug auf dieselbe externe Sitaution (wie bei (b)), sondern ist die kognitive Szene, sind die Rollen von Partizipanten in einem Sachverhalt (die wie bei der Kaufszene - notwendig vorhanden sind, aber auch sprachlich notwendig perspektiviert, d. h. durch eine Perspektive gebrochen werden müssen). Für das, was in diesem Falle perspektiviert wird, ist bei diesem Verständnis von »Perspektive« - gegenüber dem Verständnis bei (a) und (b) - eine erhebliche Erweiterung eingetreten: von der Form über die sprachinterne Bedeutung zur kognitiven Szene. Diese Erweiterung entspricht der Erweiterung, die das Kasuskonzept selbst 62
erfahren hat, indem die semantischen Kasus in kognitive Szenen eingebettet und aus ihnen abgeleitet worden sind und indem auf diese Weise ein pragmatisches Kasuskonzept (C) etabliert worden ist. Die damit verbundenen Probleme bestehen darin (eben deshalb wurde der Begriff »Perspektive« in Verbindung mit den semantischen Kasus hier problematisiert), 1) daß es unterschiedliche Perspektive-Begriffe gibt, die zu unterscheiden sind und in unterschiedlicher Weise mit verschiedenen Kasuskonzepten in Verbindung stehen; 2) daß im Falle (c) die berechtigte Frage aufgeworfen werden muß, inwieweit diese Erweiterung (da sie nicht mehr an Form und Bedeutung gebunden ist) schon genügend abgesichert ist (um in generalisierter Form als linguistisches Analyseverfahren dienen zu können), ob und in welcher Weise ζ. B. solche »Szenen« ermittelt und voneinander abgegrenzt werden können (vgl. dazu auch DANES 1988; G. WOTJAK 1988); 3) daß im Falle (c) die Frage entsteht, inwieweit dieses erweiterte Kasuskonzept mit diesem erweiterten Perspektivebegriff die anderen Kasuskonzepte ersetzen kann bzw. - noch allgemeiner - welche Beziehungen zwischen diesen Kasuskonzepten überhaupt bestehen.
3.6.
Verhältnis von semantischen Kasus (A) und pragmatischen Kasus (C)
Auf dem Hintergrund dieser Probleme kehren wir zurück zu der speziellen, aber zentralen Frage, wie sich kognitive Szenen (und damit Kasus C) und semantische Kasus (im Sinne des Kasuskonzepts A) zueinander verhalten. Selbst wenn man vorerst einmal unterstellt - und damit den Protagonisten eines solchen Konzepts C folgt -, daß die »Szenen« in kommunikativer und psychischer Hinsicht das Verhalten der Sprecher adäquater abbilden sollten (als die semantischen Kasus A und die Valenz im engeren Sinne), daß sie also auf diese Weise »psychologisch realistischer« seien, bleibt die Frage, ob diese Beziehung zwischen Kasus A und Kasus C direkt ist (im Sinne einer direkten Ableitung oder Begründung der Kasus - und damit ζ. T. auch der Valenz - aus den Szenen) oder nicht vielmehr indirekt und vermittelt. Vieles spricht für die Indirektheit dieser Beziehungen, da es sich bei den Kasus A und den Kasus C nicht um Abbildungen derselben Sachverhalte handelt, aber auch nicht um Konzepte, die einfach durcheinander ersetzbar oder direkt voneinander ableitbar wären. Beide sind schon deshalb nicht identisch, weil die Kasus (A) abstrakte Beziehungen in der Struktur sprachlicher Bedeutungen darstellen, die Szenen aber deren Reali63
sierung in der Kommunikation betreffen (vgl. bereits unter 2.8.) - darum sind auch die für die Kasus C verwendeten Termini (Ware, Käufer usw.) viel konkreter und »pragmatischer« als die für die Kasus A verwendeten Termini (AGENS, PATIENS USW.) (vgl. auch NIKULA 1985, 166f.) -, aber auch deshalb, weil die Kasus (A) wie die Bedeutungen allgemein weitgehend einzelsprachlich, die Szenen (wie kognitive Wissensrepräsentationen überhaupt) weitgehend universal sein müßten (und damit wohl auch eine sprachunabhängige Differenzierung der Welt voraussetzen). Daraus resultiert die berechtigte Skepsis nicht nur gegen eine Gleichsetzung von Kasus (A) und Szenen, sondern auch gegen eine Ableitung der Kasus (A) von Szenen, der Bedeutungen von kognitiven Wissensrepräsentationen (vgl. DANES 1 9 8 8 ; G. WOTJAK 1 9 8 8 ) . Die Zurückweisung einer solchen kurzschlüssigen Verbindung zwischen Verbvalenz/Kasus A und Szenen/Kasus C bedeutet nicht, daß es zwischen beiden keinerlei Beziehungen und keinerlei Gemeinsamkeiten gäbe, aber auch nicht, daß beide durcheinander ersetzbar wären. Es soll auch keineswegs bestritten werden, daß es Unterschiede in der Perspektive und in der Brechung (der objektiv gleichen oder ähnlichen Szene) in der signifikativen Bedeutung gibt, die natürlich linguistisch beschrieben werden müssen (ζ. B. bei (14) und (15) unter 2.4.3.), aber auch bei stehlen und bestehlen. Die Frage ist jedoch, ob diese Unterschiede (in der Perspektivierung) zweckmäßigerweise in Termen semantischer Kasus erklärt werden sollten, die semantischen Kasus damit (im Sinne des Konzepts C) an dieser Perspektive (pragmatisch) festgemacht werden sollen oder ob sie bereits (im Sinne des Konzepts A) an die denotative Bedeutung gebunden werden sollten, weil die Brechung schon das zu Brechende bzw. das Gebrochene, die (signifikative) Perspektive die (denotative) Bedeutung (als das zu Perspektivierende), das Wie immer das Was voraussetzt. Damit hängt die generelle Frage zusammen, wie sich semantische und konzeptuelle Strukturen zueinander verhalten: Nachdem JACKENDOFF (1983, 3ff., 95ff.) ursprünglich beide für identisch gehalten hatte, ist diese Identität später in Frage gestellt worden und einer Differenzierung gewichen (vgl. BIERWISCH 1983, 55ff.). Diese - u. E. notwendige - Differenzierung hat auch zur Annahme von »konzeptuellen Kasus« geführt, die nicht ohne weiteres mit den »linguistischen Kasus« gleichgesetzt werden können (obwohl die Kasus insgesamt als Versuch angesehen werden können, eine Brücke zwischen den linguistischen und den kognitiven Aspekten, zwischen Linguistik und Psychologie herzustellen) (vgl. SOMERS 1987, 214, 248ff.). Die Notwendigkeit, nach den (indirekten) Beziehungen zwischen Kasus A und C zu fragen, verbietet u. E. auch eine kurzschlüssige und 64
vorschnelle direkte Lösung syntaktisch-semantischer Fragen (ζ. B. der Unterscheidung zwischen Ergänzungen und Angaben) durch die pragmatischen Kasus C (ζ. B. über Fragen). Was früher für die syntaktische und die semantische Valenz galt, gilt heute offensichtlich entsprechend für die semantischen Kasus (A) und die pragmatischen Kasus (C): Wie damals die syntaktische Valenz zur semantischen Valenz erweitert wurde, dabei zwar in ein komplexeres Modell einging, aber ihre relative Autonomie behielt (weil sich beide Ebenen nicht isomorph aufeinander abbilden lassen), so erweitert sich heute die semantische Valenz (über das Kasuskonzept C) zur pragmatischen Szene, ohne dabei jedoch ihre relative Autonomie zu verlieren, ohne daß sie aus dieser restlos erklärt oder durch diese einfach ersetzt werden könnte (vgl. bereits HELBIG 1987 a). Es kann also nicht um eine schlichte Negation der syntaktischen und semantischen Valenz durch pragmatische Szenen gehen, sondern vielmehr um ihre dialektische Aufhebung in einem komplexeren Modell mit verschiedenen Ebenen, die in modularer Weise interagieren, d. h. weder dependent noch independent, sondern interdependent sind und deshalb als relativ autonome Module bei der Bildung und Interpretation sprachlicher Äußerungen zusammenwirken.
3.7.
Globaler vs. modularer Zugang
Mit diesem Stichwort ist die Frage nach der »pragmatischen« oder »funktionalen Valenz« auch in eine weit allgemeinere Kontroverse hineingestellt: in die Auseinandersetzung zwischen einem globalen (holistischen) oder modularen Zugang zur Beschreibung sprachlicher Äußerungen (und Texte). Der globale Zugang basiert auf der Überzeugung, daß die mit der kommunikativen Orientierung der Sprachwissenschaft erhobenen Forderungen nur realisierbar sind über eine globale Gesamttheorie von der sprachlichen Tätigkeit, die nur in komplexer Weise entwickelt werden kann. Der modulare Zugang geht umgekehrt davon aus, daß der mit sprachlicher Kommunikation erfaßte Bereich eben weil er außerordentlich komplex ist - nicht in einem einzigen Zuge und im Rahmen einer einzigen Theorie analysiert werden kann, sondern nur stufenweise und über verschiedene Teiltheorien, die jeweils spezifischen Aspekte des Gesamtphänomens erfassen, die aber als solche systematisch aufeinander beziehbar sein müssen (vgl. MÖTSCH 1983, 95ff.). Die Modularitätsthese basiert auf der Annahme, daß Struktur und Funktion von Kenntnissystemen durch relativ autonome, aber interagierende Teilsysteme (Module) bestimmt sind, die ihrerseits wieder Subsysteme (Submodule) enthalten können, daß konkrete Verhaltensabläufe in der Regel von mehreren Kenntnissystemen determi65
niert sind, daß die Sprachkenntnis in die Gesamtheit mentaler Kenntnissysteme eingebettet ist, somit nicht nur durch die Kenntnis des Sprachsystems selbst bestimmt, sondern auch durch die Kenntnisse anderer mentaler Systeme mitbestimmt ist (vgl. ausführlich BIERWISCH 1987,653ff.). Für die Art dieser Interaktion ist ein weit verbreitetes und attraktives Modell vorgeschlagen worden (vgl. BIERWISCH 1979 c, 69ff.; vgl. auch MÖTSCH 1986), das in einem ersten Schritt die »wörtliche Bedeutung« auf Grund des sprachlich-grammatischen Kenntnissystems (mit Regeln phonetischer, morphosyntaktischer und semantischer Art) festlegt, die dann - in einem zweiten Schritt - auf das konzeptuelle System des begrifflichen Wissens (das enzyklopädisch-begriffliche Kenntnissystem) bezogen wird und durch den konzeptuellen Kontext eine oder mehrere »Äußerungsbedeutungen« erhält, die ihrerseits - in einem dritten Schritt - auf die Interaktionssituation bezogen werden und einen »kommunikativen Sinn« (oder Interaktionssinn) erhalten. Das Konzept einer »pragmatischen Valenz« ist (vgl. WELKE 1988 a; 1988/1989) - wie sich unschwer erkennen läßt - dem globalen Ansatz verpflichtet und unterliegt deshalb auch der Kritik, die an dem globalen Ansatz geübt worden ist und wird: daß ζ. B. eine ausreichende Rückbindung an die Sprache fehlt, daß keine verschiedenen Module unterschieden werden, daß die Gefahr besteht, allgemeine (psychologische, kognitive, kommunikative) Kategorien vorschnell auf ihre Realisierung im Sprachsystem zu übertragen (vgl. ROSENGREN 1987). Es verwundert auch nicht, daß mit der pragmatischen Begründung der syntaktischen Valenz im Grunde ein Determinationsverhältnis postuliert wird, das dem oben skizzierten Modell von der Art der Interaktion der Module nahezu entgegengesetzt ist. Völlig unberechtigt ist der mancherorts geäußerte Vorwurf, mit dem modularen Konzept werde der kommunikative Aspekt verstellt oder - auf die Valenz bezogen - mit der vermittelten Beziehung zwischen den Ebenen der Valenz werde der Zugang zu den funktionalen Zusammenhängen versperrt (so WELKE 1989 a). Vielmehr macht der modulare Zugang diese funktionalen Zusammenhänge genauer durchschaubar, indem er den kommunikativen und Handlungsaspekt als Resultat des Zusammenwirkens verschiedener - autonomer, aber interagierender - Teilsysteme begreift, von denen eines das von der Linguistik erfaßte Sprachsystem ist (vgl. BIERWISCH 1987,655f.). Von diesen Modulen ist zwar das Modul der sprachlichen Kenntnisse zentral (weil die Frage nach der Verwendung und dem Erwerb von Sprachkenntnis die Antwort auf die Frage voraussetzt, was Sprachkenntnis ist) (vgl. BIERWISCH 1987, 646f.), aber es darf weder verabsolutiert noch zuungunsten anderer Module ausgedehnt werden (wie in einigen Versionen der generativen Grammatik). Damit verbunden ist die Frage, ob modularer und globaler Ansatz sich notwendig 66
ausschließen oder nicht vielmehr das modulare Konzept die Voraussetzung für die differenzierte Erschließung der Funktionen (auf den verschiedenen Ebenen und insgesamt in der Kommunikation) ist.
3.8.
Zum Wert der Prototypen(-Semantik)
Mit der genannten Einschränkung soll der scenes-and-frames-Semantik und der Prototypentheorie - vor allem für bestimmte praktische Zwekke - keineswegs die Bedeutung abgesprochen werden. Im Gegenteil: Für den Fremdsprachenunterricht z. B. kann sie durchaus nützlich sein, da Fremdsprachen möglicherweise tatsächlich effektiver über Prototypen (als über semantische Merkmale), über Szenen (als über semantische Kasus A) gelernt werden, weil diese »pragmatischer« und »textnäher« sind (Vgl. N I K U L A 1986, 267). Darauf hat bereits FILLMORE (1977 b, 63, 78f.) hingewiesen, darauf zielt auch die Bemerkung H E R I N GERS (1984 b, 59f.), daß man die Sprache über die Sprachverwendung, d. h. die Regeln nicht über die Formulierung der Regeln, sondern über prototypische Beispiele lernt, die ihrerseits Instanzen einer allgemeinen Regel entsprechen. Allerdings sollte dies nicht dazu führen, die These BRESNANS von einer »psychologisch realistischen Grammatik« einfach zu übernehmen (weil auf diese Weise eine einseitige Determination der Linguistik durch die Psychologie gegeben wäre, linguistische Eigenschaften mit psychologischen Prozessen zu direkt korreliert würden vgl. dazu bereits unter 3.5.2.), auch nicht dazu, die Regeln im Fremdsprachenunterricht einfach durch die Beispiele zu ersetzen (weil aus den Beispielen durchaus nicht immer eindeutig die Regeln erschließbar sind und überdies die Gefahr besteht, Methoden des natürlichen Spracherwerbs auf den institutionalisierten Spracherwerb zu übertragen, wo sie - abhängig von den jeweiligen Bedingungsgefügen (der Faktorenkomplexion für den konkreten Unterricht) - weniger effektiv sein können und zu einer einseitigen Dominanz des imitativen über das bewußte Lernen (ver-)führen können. Auch zwischen (unanalysierten) Prototypen und semantischen Merkmalen kann für den Lernprozeß offensichtlich keine undialektische Alternative angenommen werden: Auch wenn Prototypen wahrscheinlich für den »Normalfall« ausreichen, werden semantische Merkmale dann notwendigerweise aktualisiert, wenn Unterscheidungs- und Entscheidungsoperationen (z. B. bei Synonymen) erforderlich werden (vgl. auch M I L L E R 1981, 60ff., 92ff.). Damit soll jedoch der praktische Lew wert der Prototypen nicht in Frage gestellt werden. Was ihren Wert in theoretischer Hinsicht anlangt, so ist die Annahme von Prototypen ebenfalls schwerlich als einfacher Ersatz für die 67
semantische Komponentenanalyse (und der mit ihr verbundenen Annahme von der Zerlegbarkeit der Bedeutung in Merkmale) zu verstehen, da diese nicht nur durch die Begriffsbildung begründet werden kann, sondern auch über den Sprachvergleich empirisch nachweisbar ist (abgesehen von zusätzlichen Problemen der Prototypensemantik, ζ. B. der Frage nach objektivierbaren Kriterien, der Behandlung von Klassenbezeichnungen u. a.). Insofern setzt die Prototypentheorie das Vorhandensein von Merkmalen voraus und setzt die Merkmalanalyse nicht schlechthin außer Kraft. Was sie indes außer Kraft setzt, sind bestimmte Postulate der klassischen Merkmalanalyse, die sich in der Folgezeit weder von linguistischen Untersuchungen noch von Untersuchungen der kognitiven Psychologie bestätigt haben, vor allem (a) das Postulat nach einer restfreien Zerlegung der Wortbedeutungen in semantische Merkmale, (b) die Annahme von einer absolut hierarchischen Organisation dieser Merkmale und (c) die Auffassung dieser Merkmale als generell universal (vgl. dazu auch VIEHWEGER 1986/87, 215ff.). Diese Einschränkungen haben die Entwicklung der Prototypentheorie stimuliert, die jedoch nicht als globale Alternative zur Merkmalsanalyse verstanden, sondern eher mit ihr verbunden werden sollte (vgl. auch VIEHWEGER 1987, 37ff., 41ff.). Was eine prototypische Auffassung der semantischen Kasus bedeutet (und daß auch sie das Vorhandensein von Merkmalen voraussetzt), zeigt WELKE (1988 a, 194ff., 205 ; vgl. auch bereits 1987, 160ff.), wenn er den prototypischen Charakter der Kasus betont, sich folglich gegen ihre scharfe Abgrenzung voneinander (wie gegen invariante Merkmale und gegen Idealisierungen überhaupt) wendet und sie für »nur vage und in bezug auf einen Prototyp definiert« hält. In der Prototypensemantik sieht er »einen der produktivsten Neuansätze in der linguistischen Semantik der letzten Zeit«, der nach seiner Meinung auch geeignet sei, die festgefahrene Alternative zwischen der Annahme einer einheitlichen Grundbedeutung der Kasus einerseits und einer Vielzahl von denotativen Bedeutungsvarianten andererseits zu überwinden. Für die semantischen Kasus bedeutet dieser prototypische Ansatz, daß es ζ. B. ein »prototypisches AGENS« gibt, das vier Merkmale hätte: [willentlich], [intentional], [verantwortlich für eine Handlung], [eine Änderung im Objekt hervorbringend]. Von diesen vier Merkmalen können jedoch einige fehlen (dann entstünde ein weniger typisches AGENS), ohne daß die Ähnlichkeit zum Prototyp verlorengeht. Am Ende ergibt sich eine Skala von verschiedenen Arten des AGENS, die einer Gliederung gleichkommt, in deren Zentrum aber das prototypische AGENS mit dem Vorhandensein aller 4 Merkmale steht. Um die Abweichungen vom prototypischen AGENS auf Grund des Fehlens bestimmter Merkmale an einigen Beispielen zu illustrieren (vgl. WELKE 1987, 160ff.): 68
(18) (19) (20) (21) (22)
(23)
(24) (25)
Emil tötet den Löwen. (alle Merkmale vorhanden) Emil hat Paul angestoßen. (nicht intentional, aber belebt und Eigenaktivität) Der Wind öffnete die Tür. (nicht intentional, nicht belebt, aber Eigenaktivität) Emil hat die Figur (nur) berührt. (belebt, keine Einwirkung auf Gegenstand, aber materieller Kontakt) Emil hat das Flugzeug beobachtet. (belebt, keine Einwirkung auf Gegenstand, kein materieller, aber ideeller Kontakt) Sein Auto fährt schnell. (keine Eigenaktivität, nicht belebt, nicht intentional, aber besonderer Anteil) Emil schwimmt gern. (belebt, kein äußerer materieller Effekt, aber Eigenaktivität) Die Stufe knarrt. (nicht belebt, kein äußerer materieller Effekt, aber Eigenaktivität).
Freilich sind solche Versuche einer »Graduierung« des AGENS - auf Grund des Fehlens oder Vorhandenseins bestimmter Merkmale - nicht neu. Sie sind von uns (vgl. HELBIG 1977, 73ff.) bereits für mehrere Kasus vorgelegt worden, damals allerdings noch unabhängig vom Konzept der Prototypen und auch noch weitgehend unabhängig von der Auffassung von Zentrum und Peripherie in der Sprache. Im Grunde liegt den genannten Versuchen (der Prototypen und der aus fehlenden Merkmalen resultierenden Graduierung) diese (vor allem in der Prager Schule der Linguistik entwickelte) Auffassung von Zentrum und Peripherie in der Sprache zugrunde. In Anlehnung an eine solche Auffassung (aber ohne Bezug auf Prototypen) hatte man bereits früher - ζ. B. bei den Wortarten - Adjektive mit der vollen Zahl der Merkmale (etwa: attributiv und prädikativ verwendbar, flektier- und graduierbar, Bezeichnung eines Merkmals) unterschieden von anderen, denen ein Merkmal oder zwei fehlen - je nach dem Abstand vom Zentrum (vgl. etwa STEPANOVA/HELBIG 1978, lOOf.). Fraglich wird dieser Ansatz jedoch dann, wenn er - über die Vagheit - zur Verschwommenheit von Grenzen oder gar zur Auflösung der entsprechenden Kategorien bzw. Einheiten (Ζ. B. Adjektiv, Subjekt, AGENS) führt und die Etablierung von Abgrenzungskriterien verhindert.
69
3.9.
Konsequenzen aus der Öffnung des Valenzbegriffes
Wie unter 3. gezeigt wurde, ist der Valenzbegriff in den letzten Jahrzehnten nach verschiedenen Seiten hin deutlich erweitert worden. Als vorläufiges Fazit hat sich dabei ergeben: Wie die Valenz keine ausschließlich semantische Erscheinung ist, so ist sie auch und erst recht keine ausschließlich kommunikative Erscheinung. Die berechtigte und notwendige Verlagerung des Interesses der Sprachwissenschaft von der Syntax auf die Semantik und die »kommunikativ-pragmatische Wende« in der Sprachwissenschaft dürfen nicht dazu (ver-)führen, in pauschaler Weise Erscheinungen als semantisch oder kommunikativ anzusehen, die es nicht oder nur teilweise sind. Es kommt vielmehr darauf an, die verschiedenen (syntaktischen, semantischen, kommunikativen und kognitiven) Aspekte einerseits nach den entsprechenden Ebenen zu trennen, andererseits aber nach ihrem Zusammenhang und ihren wechselseitigen Beziehungen zu fragen. Im Rahmen dieses Prozesses der Erweiterung des Valenzbegriffes sind verschiedene Etiketten entstanden, die einer genaueren Differenzierung bedürfen (z. B. : semantische Valenz, semantische Kasus, pragmatische Valenz). Die Öffnung der Valenz nach der semantischen und pragmatischen Dimension war und ist gewiß notwendig, führte auch zu beachtlichen Bereicherungen (u. a. zu einer stärkeren Begegnung mit der Psychologie). Es spricht ohne Zweifel für den Erklärungswert, die Reichweite und die Attraktivität des Valenzmodells, daß eine solche Öffnung überhaupt möglich war. Sie bedeutet aber weder automatisch eine globale Erklärung aus einem Aspekt noch eine Ausuferung in Felder, für die die Linguistik nicht oder nicht allein zuständig ist. Sie sollte auch nicht zu einer vorschnellen Etikettierung und zur Postulierung pauschaler »Ableitungs-»Verhältnisse führen, die den Blick für die Komplexität der Sachverhalte eher verstellen würde. Diese Öffnung bedeutet auch nicht, daß diese neu in das Gesichtsfeld getretenen (pragmatischen, kommunikativen und kognitiven) Sachverhalte notwendigerweise noch unter dem Stichwort »Valenz« erfaßt werden müßten. Deshalb mehren sich die Stimmen, den Begriff »Valenz« (wieder) auf die syntaktische, mindestens aber auf die Systemebene zu beschränken (vgl. ζ. B. N I K U L A 1985, 159ff.; G. WOTJAK 1988). In der Tat scheint nach dem Gesagten es besser, von pragmatischen Aspekten der Valenz als von einer gesonderten »pragmatischen Valenz« zu sprechen. Damit soll kein Rückzug angetreten werden, soll auch die anfangs angedeutete Tendenz, »sich von der pragmatischen Wende wieder abzuwenden«, nicht einfach bestätigt werden. Vielmehr sollte einerseits der Ertrag, den diese Wende eingebracht hat, genutzt werden, andererseits mit dieser Wende nicht die relative Selbständigkeit sprachlicher Systeme, 70
Subsysteme und Ebenen in Abrede gestellt oder die generell notwendige Gegenstandserweiterung der Linguistik als globale Gegenstandsveränderung (miß-)verstanden werden (vgl. H E L B I G 1 9 8 7 b, 405ff.)· Das gilt in gleicher Weise auch für die Valenz und fordert vor allem dazu heraus, die entsprechenden Sachverhalte genauer auszudifferenzieren und ihre Beziehungen zueinander in das Blickfeld zu rükken. Die Zuordnung bestimmter Valenzeigenschaften (wie sie bisher unter 1. bis 3. - versucht worden ist) hat ihre Aus- und Rückwirkung auf Probleme der syntaktischen Valenz, vor allem auf die Differenzierung zwischen Aktanten (Ergänzungen) und (freien) Angaben (vgl. 4.), auf die Unterscheidung zwischen obligatorischen und fakultativen Aktanten (vgl. 5.) und auf die Valenz verschiedener Wortklassen (vgl. 6.).
71
4.
Unterscheidung zwischen Aktanten/Ergänzungen (£) und (freien) Angaben (A)
4.1.
Uneinheitliche Kriterien bei der Unterscheidung zwischen E und A
Ein zentrales Problem, auf das sich vertiefende Einblicke aus der Einordnung der Valenz in die verschiedenen Ebenen ergeben, ist die Unterscheidung zwischen valenzgebundenen (valenzdeterminierten) Gliedern einerseits und nicht-valenzgebundenen (freien) Gliedern andererseits, zwischen Aktanten und freien Angaben (vgl. bereits HELBIG/SCHENKEL 1973, 33ff.). Diese Unterscheidung ist offenbar für jede syntaktische Theorie der Valenz unverzichtbar. Dabei ist es von sekundärer Bedeutung, wie diese beiden Arten von Gliedern bezeichnet werden, ob z. B. als Ergänzungen und Angaben (so z. B. H E R I N G E R 1970 a, 33ff.; 1970 b, 114ff.; E N G E L 1977, 98ff.; E N G E L / S C H U M A C H E R 1976, 18ff.; SCHUMACHER 1986 a, 2Iff.), als konstitutive und nichtkonstitutive, als spezifische und nicht-spezifische Glieder (so z. B. ENGELEN 1975, 64ff.), als »innere« und »äußere« Verbergänzungen (so z. B. SGALL 1978, 213, 218ff.) oder noch anders. Die Notwendigkeit ihrer Unterscheidung ergibt sich schon daraus, daß die Aktanten/Ergänzungen (fortan: E) nicht beliebig beim Valenzträger auftauchen können, sondern bestimmte »Leerstellen« dieses übergeordneten Wortes besetzen, also »subklassenspezifisch« sind (vgl. auch E N G E L 1977, lOOf.; ENGELEN 1975, 64ff.). Die (freien) Angaben (fortan: A) indes sind nicht subklassenspezifisch, besetzen keine solchen Leerstellen, treten vielmehr ziemlich beliebig bei übergeordneten Wörtern auf und können syntaktisch bei allen Elementen einer Wortklasse stehen (vorausgesetzt, die semantische Kompatibilität ist gegeben) (vgl. ausführlicher H E L B I G / S C H E N K E L 1973, 33ff.). Mit anderen Worten: Valenzgebundene Glieder (E) subkategorisieren die Valenzträger (Verben u. a.), freie Angaben (A) tun dies nicht. Einschränkend muß hinzugefügt werden, daß eine bestimmte Subklassifizierung auch auf Grund semantischer Kompatibilitätsbeziehungen erfolgt (vgl. bereits die Beispiele (10) und (11) unter 1.4.). Dabei handelt es sich jedoch um eine Subklassifizierung unter anderem und weiterem Aspekt, um eine solche, die auch nicht nur die Valenzträger und Valenzpartner betrifft. In diesem Sinne ist (wohl nicht sehr glück72
lieh) bei der syntaktischen Subklassifizierung von »Minimalvalenz«, bei der semantischen Subklassifizierung von »Maximalvalenz« gesprochen worden (vgl. YOSHIDA 1980, 18ff.) (nicht sehr glücklich deshalb, weil damit der Begriff der Valenz unnötig ausgedehnt wird). Inzwischen ist die Unterscheidung von E und A auch auf die Unterscheidung von Nebensätzen übertragen worden. Wie es valenzgebundene Satzglieder und nicht-valenzgebundene Satzglieder gibt, gibt es auch - da die meisten Satzglieder Entsprechungen in Nebensätzen haben - valenzgebundene und nicht-valenzgebundene Nebensätze. In diesem Sinne hat STARKE (1984), 334ff.) mit vollem Recht - im Anschluß an andere Ansätze (vgl. vor allem Z I N T - D Y H R 1981; BOETTCHER/SITTA 1972; vgl. aber auch SITTA 1971) - zwischen »Aktantensätzen« und »Angabesätzen« (als zwingende Konsequenz aus der Differenzierung zwischen E und A) unterschieden. In paralleler Weise haben B U S C H A / Z O C H (1988, 22ff.) zur Einteilung der Infinitive und Infinitivkonstruktionen bei Verben an zentraler Stelle deren Status als valenzgebundene bzw. nicht-valenzgebundene Glieder benutzt. Trotz der Notwendigkeit dieser Unterscheidung von E und A sowie der intuitiv weitgehenden Einhelligkeit in der Zuordnung von Gliedern zu E oder A sind die Kriterien für diese Einteilung noch umstritten und werden viel diskutiert (vgl. ζ. Β. ENGELEN 1975, 6Iff.; BIERE 1976, 129ff.). Diese Unsicherheit hat ihre Wurzeln in erheblichem Maße in der Unklarheit über die Ebenen der Valenz (vgl. bereits unter 1.), wie sie für die ältere Valenztheorie charakteristisch war. Als TESNIÈRE(1959, 102ff., 125ff.) die entsprechende Unterscheidung (bei ihm: zwischen »actants« und »circonstants«) vornahm, waren bei ihm drei verschiedene Kriterien im Spiele, die durchaus nicht immer verträglich sind und auch für sich genommen der Modifikation bedürften (vgl. dazu bereits HELBIG 1971 b, 32f.; VATER 1978, 21ff.): (a)
(b)
(c)
ein semantisches Kriterium: Es sollten - wie schon die Termini andeuten - die am Prozeß beteiligten »Handelnden« (also: Personen oder Dinge) unterschieden werden von den »Umständen« der Handlung (wie z. B. Ort, Zeit, Art und Weise) ; es entstand die Dichotomie »Handelnde« vs. »Umstände«; ein morphosyntaktisches Kriterium: Es wurden in die Valenzbeziehungen als »actants« nur einbezogen die reinen Kasus des Substantivs, nicht aber die Präpositionalkasus (nur die Nominalphrasen, nicht die Präpositionalphrasen); es entstand die Dichotomie »reine Kasus« vs. »präpositionale Kasus« ; ein funktionales Kriterium: Nur solche Nominalphrasen wurden in die Valenz einbezogen, die notwendig sind (um die Bedeutung des Verbs und des Satzes zu vervollständigen); diese notwendigen Glieder sind - im Gegensatz zu den »circonstants« - beschränkt; 73
es entstand somit die Dichotomie »notwendig« vs. »nicht-notwendig«. So viele Ansatzpunkte für die spätere folgenreiche Differenzierung zwischen E und A damit auch gegeben waren, so viele Schwierigkeiten traten dabei auf, bedingt einerseits durch die Heterogenität der Kriterien, andererseits durch bestimmte Inkonsequenzen, die mit den einzelnen Kriterien verbunden waren. Es zeigte sich sehr bald, 1) daß es auch »Umstände« (in Adverbialbestimmungen ausgedrückt) gibt, die für das Verb und für den Satz notwendig sind: (1) Berlin liegt an der Spree. (2) Sie legt das Buch auf den Tisch. (3) Der Arzt wohnt in Dresden.
2) daß die Präpositionalgruppen eine ähnliche Bedeutung und Funktion haben können wie die reinen Kasus der Substantive: (4) (5) (6) (7)
Er Er Er Er
erwartet seinen Freund. wartet auf seinen Freund. schreibt seinem Vater. schreibt an seinen Vater.
3) daß der Begriff der »Notwendigkeit« mehrdeutig ist und mindestens eine kommunikative, semantische und syntaktische Notwendigkeit zu differenzieren ist (vgl. bereits HELBIG 1971 b, 34ff.; HELBIG/SCHENKEL 1973, 3Iff.).
4.2.
Wert und Grenze syntaktisch-operationeller Tests
Aus dieser Situation ergab sich - bereits in den 60er Jahren - für die spezifischen Belange der damals im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden syntaktischen Valenz das Desiderat, einer Reihe von syntaktisch-operationellen Tests zu entwickeln, die auf der Oberflächenebene bestimmte Signale sind (gleichsam Ermittlungs- bzw. Erkennungsprozeduren), die eine Unterscheidung reflektieren, die selbst nicht an der Oberfläche liegt und deshalb an der unmittelbaren Oberfläche auch nicht direkt ablesbar ist (vgl. z. B. HELBIG/SCHENKEL 1973, 33ff.; STEPANOVA/HELBIG 1978, 151ff.). Auf der anderen Seite ist - namentlich seit den 70er Jahren - gegen jene syntaktisch-operationellen Tests eingewendet worden, daß sie in ungerechtfertigter Weise Kriterien von einer Ebene auf die andere übertragen; statt dessen müsse nach einer Unterscheidungsinstanz gesucht werden, die auf semantischer Ebene selbst liege (vgl. z . B . BALLWEG/HACKER/SCHUMACHER 1972, lOOff.; KORHONEN 1977, 134ff.). 74
In der Tat lassen die Einsichten in die Ebenen und in den Status der Valenz den Schluß zu - eben weil die Erscheinungen der Valenz im Überführungsmechanismus zwischen Bedeutungs- und Lautstrukturen lokalisiert sind -, nach einer wesentlichen Motivation (und Determination) für die Unterscheidung zwischen E und A auf semantischer Ebene zu suchen. Das kann jedoch nicht einfach geschehen »durch den Vergleich der Satzkonfiguration (d. h. des Potentials der valenzgebundenen Glieder; G. H.) mit dem Sachverhalt, der ihr zugrunde liegt« (so D I E RUSSISCHE SPRACHE DER GEGENWART, Bd. 3, 1976, 114). Überhaupt ist die einfache Ableitung der »logischen« Struktur als Spiegelbild von Sachverhalten der objektiven Realität zu einfach, da diese Widerspiegelung ein aktiver Prozeß ist, der bereits an Sprache (Sprachen irgendwelcher Art, und seien es Kalküle der Logik) gebunden ist (vgl. auch ITÄLÄ 1986, 57ff.). Vielmehr geht es um die Abbildung der außersprachlichen Realität in der semantischen Komponentenstruktur, die ihrerseits die Unterscheidung zwischen E und A letztlich motiviert oder mindestens prädeterminiert: Während die E zurückgehen auf Argumente der semantischen Komponentenstruktur des betreffenden Verbs, sind die A nicht als Spezifizierungen von Argumenten der semantischen Komponentenstruktur des betreffenden Verbs aufzufassen, weil sie nicht als lexikalisch-syntaktisch realisierte Argumente (d. h. als Aktanten) des Verbs an der Sachverhaltsbeschreibung beteiligt sind (vgl. auch PASCH 1977, 26f.). Anders ausgedrückt: Es handelt sich in der Regel um einen Aktanten (E), wenn das ihm zugrunde liegende Argument von dem Funktoren-Komplex determiniert ist, der sich einzelsprachlich als Semem eines Verballexems interpretieren und an der Oberfläche als Verb realisieren läßt; es handelt sich aber um eine freie Angabe (A), wenn das zugrunde liegende Glied nicht von dem Funktorenkomplex dominiert ist, der sich einzelsprachlich als Verballexem realisieren kann (wenn es also außerhalb dieses Funktorenkomplexes steht) (vgl. BALLWEG/HACKER/SCHUMACHER 1972, 117). Oder (ARBEITSGRUPPE VERBVALENZ 1973,11): »Valenzgebundene Elemente sind diejenigen Syntagmen, die in der semantischen Repräsentation Argumente zu Prädikaten sind, die im Verlauf der Derivation zu Teilen desjenigen komplexen Prädikats werden, das gemäß einer Lexikalisierungsregel durch das entsprechende Verb ersetzt wird.« Damit ist jedoch - das muß zu der in wesentlichen Punkten von dieser Seite her geübten Kritik an den syntaktisch-operationellen Tests schon an dieser Stelle angemerkt werden - das Problem noch keinesfalls gelöst; denn (a) die beiden zuletzt genannten Definitionen (oder Bestimmungsversuche) nehmen selbst Rekurs auf Oberflächeneigenschaften (der 75
einzelsprachlichen Lexikalisierung), die sie zur gleichen Zeit als Definitionsgrundlage verwerfen; (b) die semantischen Argumente treten nicht direkt und unvermittelt, sondern syntaktisch gebrochen, lexikalisiert, vereinfacht und linearisiert als Aktanten in Erscheinung, so daß von der einen Ebene nicht ohne weiteres auf die andere geschlossen werden kann; (c) die Motivierung aus der semantischen Komponentenstruktur schließt eine bestimmte Operationalisierung, d. h. die Entwicklung von syntaktisch-operationellen Tests an der Oberfläche nicht alternativ aus, sondern zweckmäßiger-, wenn nicht notwendigerweise ein; (d) es handelt sich um Tests, die keinesfalls künstlich konstruiert sind, sondern ein ganz natürlicher Reflex der semantischen Beziehungen des Verbs zu seinen Partnerkonstituenten sind (vgl. dazu auch PASCH 1977, 26f.; vgl. früher bereits STEINITZ 1969, 30ff.); (e) man würde sich - bei gänzlichem Verzicht auf Operationalisierung und auf Tests - auf die Annahme von semantischen Komponentenstrukturen beschränken, die - da der unmittelbaren Beobachtung nicht zugängig - mindestens beim gegenwärtigen Erkenntnisstand intuitive Setzungen und mehrere Interpretationsbzw. Zuordnungsmöglichkeiten zulassen (das muß auch KORHONEN (1977, 147f., 165f.) bei aller Kritik von seiner Seite an den operationellen Tests konzidieren) (vgl. kritisch zum Erklärungswert der semantischen Valenz auch ITALÄ 1986, 65f.). Die an den Tests geübte Kritik rief zunächst tatsächlich den Eindruck einer Alternative hervor (vgl. KORHONEN 1977, 162ff.): Entweder man verzichtet auf Oberflächenkriterien und begründet den Unterschied (zwischen E und A) auf einer tieferen Beschreibungsstufe, muß allerdings dort mehr Intuition und eine schwächere Operationalisierbarkeit in Kauf nehmen; oder man strebt nach stärkerer Operationalisierung, muß aber eingestehen, daß das Instrumentarium dieser Tests gegenwärtig noch nicht alle Fälle eindeutig zu unterscheiden vermag. Nach den unter (a) bis (e) genannten Argumenten erweist sich diese Alternative jedoch als Schein-Alternative, weil die mögliche Begründung aus einer tieferen (semantischen) Strukturschicht die (oberflächensyntaktische) Operationalisierung (mit Hilfe von Tests) nicht aus-, sondern einschließt. Das führt uns auch zu der Schlußfolgerung, diese operationeilen Tests weiter zu präzisieren, nicht zu der (globalen) Forderung, sie zu verwerfen, abzubauen oder durch hypothetische Tiefenstrukturen (der verschiedensten Art und Tiefe) zu ersetzen. Diese Schlußfolgerung steht freilich im Gegensatz zu den Postulaten mancher anderer Autoren: So hat z. B. EMONS (1974, 62ff.) alle Versuche einer Operationalisierung der Unterscheidung von E und A einer 76
sehr harten (u. E. nicht immer berechtigten) Kritik unterzogen und es für grundsätzlich unmöglich gehalten, eindeutige operationale Kriterien zu entwickeln, und statt dessen für eine Entscheidung allein nach Bedeutungskriterien argumentiert. Dabei muß er freilich eingestehen, daß - bei Verzicht auf Operationalisierung - eine Valenzbeschreibung nicht wird auskommen können »ohne Berufung auf eine aufgeklärte Intuition« (EMONS 1974, 105). Damit aber diese Intuition nicht zur Intuitionslinguistik führt, ist wohl nicht ein agnostizistischer Verzicht auf linguistische Operationalisierungsverfahren geboten, vielmehr deren weitere Entwicklung, Verfeinerung und Präzision. Im Grunde geht EMONS ( 1 9 7 8 ) selbst praktisch auch einen ähnlichen Weg, wenn er ζ. B. Ε-Klassen für das Englische nach den Kommutationsmöglichkeiten ermittelt (damit auf Operationen zurückgreift, die er theoretisch verworfen hat). Erst recht unterscheidet sich unsere Schlußfolgerung von dem Ansatz von SEYFERT ( 1 9 7 6 ) , der zwar einerseits eine Beschreibung der Komplemente des Prädikats von der Semantik her fordert, andererseits aber das Prinzip der lexikalischen Dekomposition und sogar die Unterscheidung zwischen Tätigkeit, Vorgang und Zustand ablehnt. Ein solches Vorgehen reduziert die Valenz auf einen Reflex situativer und gedanklicher Verhältnisse, schränkt den Erkenntniswert der Valenz und der semantischen Kasus erheblich ein und führt (da im Grunde nur situativ determinierte Einzelfälle angenommen werden) letztlich zur Leugnung von syntaktischen und/oder semantischen Subklassen von Verben (deren Subkategorisierung) überhaupt. Wir kommen auf die Leistung der syntaktisch-operationellen Tests (und anderer Kriterien) zur Unterscheidung zwischen E und A noch einmal zurück (vgl. unter 4.5.). Vorher jedoch sollen - nachdem es uns bisher um die Legitimität dieser Tests an sich ging - die einzelnen Tests vorgestellt werden, die zur Unterscheidung von E und A entwickelt worden sind. Gewiß sind diese Tests in der Literatur mehrfach beschrieben worden (vgl. auch HELBIG 1982 a, 27ff.; 1982 b, 75ff.). Sie sind aber auch manchmal in ihrem Erklärungswert angezweifelt worden (vgl. z. B. VATER 1978, 23ff.; SGALL 1978, 218ff.; KORHONEN 1977, 129), so daß sie im folgenden nicht nur aufgezählt werden sollen, sondern - mindestens andeutungsweise - auch auf einige damit verbundene Probleme hingewiesen werden soll.
77
4.3.
Einzelne syntaktische Tests zur Unterscheidung von E und A
Zu den syntaktischen Tests, die von allgemeinerer Bedeutung und weit verbreitet sind, gehören folgende: 1) Die A erweisen sich als reduzierte Sätze und können deshalb - im Unterschied zu den E - auf selbständige Sätze zurückgeführt werden (deshalb auch der Terminus »Reduktionstest« ; vgl. H E U E R 1977, lOff.): (8) Er aß sein Brot in der Schule. (A) «-Er aß sein Brot, als er in der Schule war. (9) Er besuchte uns am Vormittag. (A) «-Er besuchte uns, als es Vormittag war.
Wird die gleiche Transformation bei Sätzen mit E durchgeführt, erhält man entweder ungrammatische Sätze (bei obligatorischen E) oder Sätze mit anderer Bedeutung (bei fakultativen E): (10) Mein Freund wohnte in Dresden. (E) «-'Mein Freund wohnte, als er in Dresden war. (11) Er stieg in die Straßenbahn ein. (E) ««-Er stieg ein, als die Straßenbahn (da) war.
In manchen Fällen verhalten sich die gleichen Satzglieder (Konstituenten) in Beziehung auf unterschiedliche Verben unterschiedlich (dieser Umstand kann nicht als Einwand gegen diesen Test gewertet werden, da die entsprechenden Satzglieder ihren Status als E oder A erst vom Valenzträger her erhalten, erst in Relation zu ihm E oder A sind): (12) Er wohnte in Dresden. «-*Er wohnte, als er in Dresden war. (13) Er starb in Dresden. «-Er starb, als er in Dresden war.
(E) (A)
Einwände sind vor allem in der Richtung vorgebracht worden, daß sich nicht alle A auf Nebensätze, auf eingebettete Sätze bzw. auf Adverbialsätze (mit als) zurückführen lassen (vgl. z . B . VATER 1978, 28f.; SGALL 1978, 219f.): (14)
Er schrie laut. (A) «»-Er schrie, als er laut war. Aber: «-Er schrie. Das Schreien (der Schrei) war laut. (15) Ich kenne in Prag zwei Beamte. (A) •«-Ich kenne zwei Beamte, als ich in Prag war. Aber: «-Ich kenne zwei Beamte. Sie sind (leben) in Prag. «-Ich kenne zwei Beamte, die in Prag sind (leben).
Diese (und andere) Beispiele zeigen, daß alle A zwar nicht auf Nebensätze oder Adverbialsätze zurückgeführt werden können, wohl aber in der Regel auf Sätze überhaupt, daß sie sich dadurch als »eine Art 78
Prädikationen über den Restsatz« erweisen (HERINGER 1970 b, 116). Den genannten Einwänden liegt zumeist eine verengte und mißverstandene Interpretation dieses Kriteriums zugrunde. In der Tat ist es von sekundärer Bedeutung, auf welche Art von Sätzen die A zurückgeführt werden können (vgl. bereits dazu HELBIG 1971 d, 273; STEPANOVA/HELBIG 1978, 152). So gehen subjektbezogene Adverbialien in der Regel auf Temporalsätze mit einem kopulativen Verb, objektbezogene Adverbialien dagegen auf selbständige nebengeordnete Hauptsätze zurück (vgl. dazu bereits STEINITZ 1969, 30ff.): (16) (17)
In der Schule lernte sie Französisch. •«-Als sie in der Schule war, lernte sie Französisch. Er fand eine Mark in der Hosentasche. «-Er fand eine Mark. Sie war in der Hosentasche. «-Er fand eine Mark, als er in der Hosentasche war.
Freie Dative (d. h. solche, die nicht Objekt und nicht E sind) lassen sich in wieder anderer Form - und zwar differenziert für die verschiedenen Arten der freien Dative (vgl. ausführlicher HELBIG 1981 a) - paraphrasieren: (18)
(19)
Er wäscht seinem Vater das Auto. •«-Er wäscht das Auto. Das Waschen ist (geschieht) für seinen Vater. (dativus commodi) Die Mutter wäscht dem Kind das Gesicht. Adressat< der Handlung, als >ZuwendungsgrößeGesamtbedeutungengrammatischen Bedeutungen< als dem funktionalen Inhalt der grammatischen Formen sprechen«. Unter diesem Aspekt lehnt er auch »künstlich konstruierte >GesamtbedeutungenLokalbestimmungFinalbestimmungObjektruhenArea< be taken out of the Waste-Basket? In: Valence, Semantic Case and Grammatical Relations. Hrsg. W. Abraham. Amsterdam. Rajchartova, M. (1987): Analyse der präfigierten und zusammengesetzten Verben der aktiven menschlichen Fortbewegung am Beispiel ausgewählter deutscher Verben und ihrer tschechischen Entsprechungen. Diss. Α. Leipzig (hekt.). Rail, D./M. Rall/O. Zorilla (1980): Diccionario de valencias verbales: aleman español. Tübingen. Revzin, 1.1. (1962): Modeli jazyka. Moskva. Rickmeyer, J. (1977): Kleines japanisches Valenzlexikon. Hamburg. Roberts, P. (1956): Patterns of English. New York/Chicago. Rosengren, I. (1978 a): Status und Funktion der tiefenstrukturellen Kasus. In: Beiträge zu Problemen der Satzglieder. Hrsg. G. Heibig. Leipzig. 190
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