Probleme der modernen Kosmogonie [Erschienen im Verlag Nauka, Moskau, Reprint 2022 ed.] 9783112611005, 9783112610992


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Probleme der modernen Kosmogonie [Erschienen im Verlag Nauka, Moskau, Reprint 2022 ed.]
 9783112611005, 9783112610992

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y . A.

AMBARZUMJAN

Probleme der modernen Kosmogonie

PROBLEME DER MODERNEN KOSMOGONIE Herausgegeben von Akademiemitglied V. A. A m b a h z u m j a n Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums B j u r a k a n

Mit Beiträgen von AKM V. A. Ambabzumjan, Prof. Dr. W. W. Kasjutinski, Prof. Dr. L. W. Mersojan, Prof. Dr. G. S. Saakjan, Prof. Dr. S. K. Wseohswjatski In deutscher Sprache herausgegeben von Dr. sc. nat. H. Oleak Zentralinstitut für Astrophysik, Potsdam

Mit 87 Abbildungen, davon 40 Kunstdrucktafeln und 32 Tabellen

A K A D E M I E - V E R L A G B E R L I N 19 7 6

B . A. AMÖapuyMHH IIpoßiieMM

COBPEMEHHOIT

KOCMOTOHHH

2., bearbeitete und erweiterte Auflage Erschienen im Verlag Nauka, Moskau Übersetzung aus dem Russischen von Dr. Frank Baier Dr. Peter Notni Dr. Heinz Tiersch Dipl.-Astr. Wolfgang Thänert Potsdam Zentralinstitut für Astrophysik,

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © der deutschen Ausgabe Akademie-Verlag, Berlin, 1976 Lizenznummer: 202 • 100/438/76 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Bestellnummer: 7618561 (6119) • LSV 1495 Printed in GDR EVP 2 8 , -

Vorwort zur deutschen Ausgabe Der Titel des vorliegenden Buches enthält das Wort „Kosmogonie"; trotzdem soll der Leser nicht den Eindruck gewinnen, es existiere irgendeine besondere Wissenschaft mit dieser Bezeichnung. Zwar entwickelten sich bis zum. Ende des ersten Viertels unseres Jahrhunderts die Hypothesen und Rechnungen zum Problem der Entstehung kosmischer Körper und ihrer Systeme ohne engere Verbindung zur beobachtenden Astrophysik, später jedoch wurden die Beobachtungen und die Entdeckungen der Astrophysik einerseits und die Ideen, die die Grundlage der theoretischen Astrophysik bildeten, andererseits, zur Ausgangsbasis neuer fundierterer Vorstellungen über die Entwicklung der Himmelskörper. Dies führte schließlich dazu, daß die Astronomen in jeder astrophysikalischen Entdeckung neue Möglichkeiten zur Aufklärung der Mechanismen von Entstehung und Entwicklung astronomischer Objekte sahen. Jetzt ist die Astrophysik bereits völlig vom Entwicklungs- und Evolutionsgedanken durchdrungen, sie ist voll von kosmogonischen Fragen und Daten. Für kosmogonische Hypothesen des alten Typs ist dagegen kein Platz mehr. Alle in der gegenwärtigen Phase lösbaren Fragen zur Entstehung und Entwicklung der Himmelskörper wurden im Rahmen astrophysikalischer Untersuchungen, durch Beobachtung und Theorie ihrer Lösung nähergebracht. Die Kosmogonie verschmolz mit der modernen Astrophysik und verschwand als Einzeldisziplin. Um so notwendiger ist es, die Wege zur Lösung kosmogonischer Probleme in der modernen Astrophysik zu analysieren und die Ergebnisse der entsprechenden Untersuchungen kennenzulernen. Bildlich gesprochen hat die moderne Astrophysik eine stark ausgeprägte kosmogonische Färbung; und obwohl die Farbe eines Objektes nicht losgelöst von dessen innerer Natur untersucht werden kann, ruft sie doch gegebenenfalls ein erhöhtes Interesse hervor. Der Inhalt des Buches ist zu einem bedeutenden Teil die Gegenüberstellung der traditionellen Ansicht über die Entstehung der Himmelskörper aus diffuser Materie (durch Verdichtung) mit der neuen Auffassung, wonach der Entwicklungsprozeß in der entgegengesetzten Richtung verläuft, von dichter zu verdünnter Materie. I n den sieben Jahren, die seit dem Erscheinen der ersten russischen Auflage dieses Buches vergangen sind, wurden viele große neue astronomische Entdeckungen gemacht. Sehr häufig bedeuteten sie die Aufdeckung neuer Eruptionsprozesse, die Bildung und Expansion von Hüllen, den Zerfall kosmischer Körper und

VI

Vorwort

Systeme. Es scheint, daß der neue Standpunkt immer neue Positionen gewinnt. Ungeachtet dessen sind die Anhänger der traditionellen Auffassung der Ansicht, daß viele Beobachtungen für sie sprachen. Man kann den Meinungsstreit deshalb noch nicht als beendet ansehen. Zweifellos ist jedoch der neue Standpunkt fruchtbarer. Man könnte uns entgegenhalten, daß zwar Eruptionen sowie Zerfalls- und Expansionsprozesse tatsächlich eine große Rolle im Weltall spielen und der neue Standpunkt nur deshalb fruchtbar war, weil er ihnen besondere Aufmerksamkeit schenkte, daß aber diese Prozesse nicht das Wesentliche der Evolution beinhalten. Ein solcher Einwand erscheint uns gekünstelt. Möge das vorliegende Buch dem Leser helfen, selbst den gegenwärtigen Stand des Problems sowie den Wahrheitsgehalt sowohl der alten als auch der neuen Ansichten einzuschätzen. Bjurakän, Juli 1975

V . A . AMBAKZUMJAN

Vorwort zur 2. russischen Auflage Seit der Vorbereitung der ersten Ausgabe unseres Buches vergingen mehr als vier Jahre. I n dieser Zeit wurde die Astronomie um eine Vielzahl von neuen Fakten bereichert, welche im direkten Zusammenhang mit den Problemen der Kosmogonie stehen. Vor allem erweiterte sich unser Wissen über die aktiven Kerne der Galaxien, über MARKAFTJAN-Galaxien und über die ZwiOKYSchen Kompaktgalaxien. Wir besitzen neue erstaunliche Fakten über „eruptive" Sterne. Es wurden die Pulsare entdeckt. Diese Fakten haben eine große Bedeutung für die Lösung der Frage nach dem Schicksal der beiden Richtungen in der gegenwärtigen Kosmogonie — der klassischen und der in Bjurakan verfolgten Richtung. Die Hypothese, daß die kosmischen Objekte durch Kondensationen aus verdünnter Materie entstehen, mußte eine Reihe aufeinanderfolgender, man kann sagen, vernichtender Einbrüche bei den Versuchen hinnehmen, die Entstehung der Sternsysteme zu verstehen. (Es genügt, deren Unfähigkeit zur Erklärung der verschiedenen Formen von Aktivitäten der Galaxienkerne zu erwähnen.) Die Anhänger dieser Hypothese versuchen gegenwärtig, sie wenigstens im Bereich der Stellarkosmogonie zu erhalten. Allerdings gewinnt auch hier der entgegengesetzte Standpunkt langsam, aber sicher, neue Positionen. Einer nochmaligen Überarbeitung bedarf auch die Deutung jener Erscheinungen, die auf der Grundlage der klassischen Vorstellungen gut erklärt schienen. Nehmen wir z. B. die Pulsare. Obwohl die bisher erarbeiteten Vorstellungen über ihre Natur richtig bleiben, fördern viele der neuerdings gefundenen Tatsachen eine Überarbeitung der Ansichten über die Rolle der Pulsare im Entwicklungsprozeß. Davon ausgehend, scheint es zweckmäßig, die gegenwärtigen Vorstellungen über verschiedene Probleme der Kosmogonie unter Berücksichtigung allerneuester Daten darzulegen. Gleichzeitig werden damit neue Aspekte des Kampfes der beiden untereinander konkurrierenden Richtungen betrachtet. I n die 2. Auf--, läge dieses Buches wurden zahlreiche Änderungen und Ergänzungen eingefügt. Bjurakan, April 1972

V . A . AMBARZUMJAN

Inhaltsverzeichnis Vorworte

1.

V

Nichtstationäre Objekte im Weltall und ihre Bedeutung für die Erforschung der Entstehung und Entwicklung von Himmelskörpern ( V . A. A M B A R Z U M J A N )

1.1. Die ersten Entdeckungen nichtstationärer Objekte im Weltraum 1.2. Nichtstationäre Objekte in der Galaxis 1.3. Nichtstationäre Prozesse in anderen Galaxien. Kosmogonische Aktivitäten der Kerne von Galaxien 1.4. Nichtstationarität — eine gesetzmäßige Phase der kosmogonischen Prozesse 2.

Kosmogonie der Sterne und Galaxien (L. W. MmsojAN)

2.0. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.

Einleitung Sterne und Galaxien Entstehung und Entwicklung der Sterne Probleme der Galaxienentwicklung Schlußbemerkung

3.

Die Theorie der uberdichten Himmelskörper

1

1 2

. . .

6 10

13 13 17 41 89 127

(G. S. SAAKJAN)

133

3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

Über die möglichen Phasenzustände der Materie bei sehr großen Dichten Die Theorie der überdichten Sterne Pulsare Die verallgemeinerte Gravitationstheorie und die überdichten Sterne

133 160 182 193

4.

Die Kosmogonie des Sonnensystems (S. K . WSECHSWJATSKI)

4.1. Das Sonnensystem 4.2. Das Problem der Entstehung des Planetensystems 4.3. Die Kosmogonie der Kleinkörper des Sonnensystems

204

205 219 229

X

Inhaltsverzeichnis

4.4. Probleme der Vergangenheit des Sonnensystems und der Erde vom Standpunkt der Auswurftheorie 246 4.5. Anzeichen der eruptiven Entwicklung planetarer Körper 253 5.

Der gegenwärtige Stand der Kosmogonie (W. W. KASJUTINSKI)

270

Literaturverzeichnis

311

Sachverzeichnis

331

Die in diesem Buch benutzten Maßeinheiten rechnen sich wie folgt in SI-Einheiten um: SI-Einheit lA 1 AE 1 pc 1 atm 1 erg 1 eV 1 cal 1 Gauß

0.1 n m = 1 • 10- 1 0 m 1.50 • 1 0 u m 3.09 • 10" m 1.01 • 105 Pa 1 • 10-' J 1.60 • 10 -10 J 4.19 J 7.96 • 101 A/m

1.

Nichtstationäre Objekte im Weltall und ihre Bedeutung für die Erforschung der Entstehung und Entwicklung von Himmelskörpern

Die Entwicklung der modernen Astronomie weist eine charakteristische Besonderheit auf, die große Aufmerksamkeit verdient: Während bis Ende des 19. Jahrhunderts die Astronomie hauptsächlich Objekte zum Gegenstand hatte, welche sich zeitlich so langsam ändern, daß sich dies in den damaligen Beobachtungen nicht zeigte, entdeckte die moderne Astronomie viele Typen kosmischer Körper, in denen verhältnismäßig schnelle Änderungen stattfinden, die manchmal einen katastrophenartigen Charakter tragen. 1.1.

Die ersten Entdeckungen nichtstationärer Objekte im Weltraum

Was für kosmische Objekte erforschten die Astronomen am Ende des 19. Jahrhunderts? Vor allem waren dies die Planeten des Sonnensystems. Beobachtungen wiesen auf Veränderungen in ihrer Atmosphäre hin. Aber diese vorübergehenden Veränderungen an einzelnen Stellen sind nicht irreversibel, denn es zeigte sich, 'daß sich der Zustand der Atmosphäre im ganzen nicht verändert (wie bei der Erdatmosphäre). Wir sind heute davon überzeugt, daß entwicklungsmäßige Veränderungen der Planetenatmosphären viele Millionen Jahre erfordern. Weiterhin war die Welt der „unbewegten" Sterne, der Fixsterne, Gegenstand der Forschung. Die Bezeichnung „unbewegt" rührt ja daher, daß Ortsveränderungen am Himmel während der Beobachtungszeiträume nicht groß sind. Am Ende des 19. Jahrhunderts wendeten viele Astronomen ihre Aufmerksamkeit den physikalischen Veränderungen in den Zustandsgrößen der Sterne zu. Es wurden zahlreiche Beobachtungen an Sternen durchgeführt. Dabei begann man, auch solche veränderlichen Steme zu erforschen, deren Spektrum zeitlich variiert. Das Hauptaugenmerk widmete man jedoch den periodischen Veränderlichen wie den Cepheiden und den Veränderlichen vom Typ Mira Ceti. Bei ihnen schließt anscheinend jede Periode mit der Rückkehr zum Ausgangspunkt ab. Der periodische Charakter der Veränderungen, der bei diesen Objekten beobachtet wurde, sagt an und für sich nichts über die Richtung des gesamten Entwicklungsprozesses aus. Sogar bei den damals bekannten unregelmäßigen Veränderlichen rechnete man damit, daß der Stern im Laufe der Zeit beliebig nahe zu einem einmal beobachteten

2

1. Nichtstationäre

Objekte im

Weltall

(beliebigen) Ausgangszustand zurückkehrt. Die Bedeutung dieser Veränderungen f ü r die gesamte Entwicklung des Sterns war bis zur Gegenwart unklar. Die einzigen damals bekannten Objekte, die nichtstationär im gegenwärtigen Sinn des Wortes sind (das sind Objekte, bei denen der Zustand so grundlegend verändert wird, daß die Möglichkeit einer Rückkehr zum vorhergehenden Zustand ausgeschlossen ist), waren kurzperiodische Kometen im Sonnensystem und Novae in der Galaxis, schließlich auch das Aufleuchten einer Supernova in der Nähe des Kerns des Andromedanebels. Dieses Ereignis, 1885 von dem Dorpater Astronomen H A R T W I G entdeckt, wies auf noch tiefgreifendere Veränderungen größten Ausmaßes hin. Diese Entdeckung h a t t e fundamentale Bedeutung. Natürlich dachte in dieser Zeit noch niemand daran, daß Supernovae besondere Kategorien möglicher explosiver Erscheinungen in Sternsystemen sind. (Seither wurde in der Lokalen Gruppe, d. h. in unserer Nachbarschaft, keine andere Supernova entdeckt, so daß die Beobachtungen H A B T W I G S weiterhin eine große Bedeutung haben.) Das Bild von einer sich nur langsam ändernden Welt, in welcher die Zustände aller Objekte fast stationär sind, harmonisierte vollständig mit den mechanischen Vorstellungen über das Weltall. Dieses „ruhige" Bild wurde aus der Himmelsmechanik entwickelt. Damals entstand die Astrophysik. Sie befaßte sich zunächst hauptsächlich mit der thermodynamischen Gleichgewichtsstrahlung der Sterne.

1.2.

Mchtstationäre Objekte in der Galaxis

I m 20. Jahrhundert häuften sich immer rascher Beobachtungsdaten über die Sterne und ihren Aufbau. Bereits das erste Viertel unseres Jahrhunderts übertraf in dieser Beziehung die Erfolge der Astronomie des 19. Jahrhunderts. I n den darauffolgenden Jahrzehnten wuchs der Informationsfluß weiter an. Dies ging konform mit der Entwicklung der theoretischen Astrophysik und diente als Anstoß f ü r eine systematische und tiefgehende Erforschung der Erscheinungen von nichtstationären Zuständen und Prozessen, insbesondere auch von solchen, die auf den ersten Blick gegenwärtig noch stationär erscheinen. Den Anfang des 20. Jahrhunderts markierte die Entdeckung eines Novaausbruchs. Alle Beobachtungen von diesem Ausbruch trugen in bedeutendem Maße zu einem richtigen Verständnis der Novaerscheinung bei. Man erkannte, daß beim Novaausbruch ein kleiner expandierender Gasnebel entsteht, dessen Materie vom Stern abgestoßen worden war. Die Entwicklung der theoretischen Astrophysik gestattete es, nicht nur den Charakter solcher Sternausbrüche qualitativ einzuschätzen, sondern auch viele andere Erscheinungen, die man f ü r stationär hielt, die aber doch zu tiefgreifenden, nichtumkehrbaren Veränderungen im Zustand der Materie führen. Als Beispiel betrachten wir die WoLF-RAYET-Sterne. Aus spektralanalytischen Beobachtungen ergab sich, daß ständig Materie aus der Atmosphäre dieser Sterne ausströmt.

1.2. Nichtstationäre

Objekte in der Galaxis

3

Aus der Intensität der Linien im Spektrum konnte man die Materiemenge berechnen, die ein WoLF-RAYET-Stern während eines Jahres verliert: 10~5— 1 0 _ 6 M e . Das bedeutet, daß sich schon in einigen zehntausend Jahren — also in einem, kosmisch gesehenen, kurzen Zeitintervall — die Masse des WoLF-RAYET-Sterns merklich verringert. Dabei muß sich der physikalische Zustand des Sterns grundlegend ändern. Andererseits zeigten die Beobachtungen, daß sich das Spektrum dieser Steme über einige Jahrzehnte hinweg nur sehr wenig ändert. Trotz der relativen Beständigkeit des Spektrums dieser Sterne ist also der Schluß unausweichlich, daß während einer (im kosmischen Maßstab) kurzen Zeit eine einschneidende Änderung im Zustand des Sterns vorsichgehen muß. Es ist also bemerkenswert, daß sich hinter empirisch festgestellter Unveränderlichkeit der beobachteten Eigenschaften des Objekts tiefgreifende und überdies recht schnelle Änderungen seines Zustandes verbergen! Es bleibt noch zu sagen, daß im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts alle Fragen der Entstehung und Entwicklung der Himmelskörper hauptsächlich spekulativ behandelt wurden, wobei man den größten Teil der damals vorhandenen Beobachtungsdaten kaum nutzte, ja sogar ignorierte. Entsprechend den Traditionen, die auf die kosmogonischen Hypothesen des 18. und des 19. Jahrhunderts zurückgehen, glaubte man, daß alle Himmelskörper aus ausgedehnten Materienebeln hervorgegangen waren. Die Tatsache, daß wir in unserer Galaxis gegenwärtig keine sehr großen Massen diffuser Materie beobachten, daß also der überwiegende Teil der Materie in Sternen konzentriert ist, bedeutet von diesem Gesichtspunkt aus, daß der Prozeß der Sternbildung in der Galaxis bereits in einer zurückliegenden Epoche abgeschlossen wurde und daß die Galaxis gegenwärtig keinerlei schnelle, sehr auffällige und erkennbare Entwicklung durchmacht. Es ist jedoch klar, daß wir bei Schlußfolgerungen über ein untersuchtes Objekt und seine Evolution nicht von einer a priori gegebenen Hypothese ausgehen dürfen. Das Urteil muß aus der Analyse aller Eigenschaften des gegebenen Objektes abgeleitet werden, die wiederum aus Verallgemeinerungen der Beobachtungsdaten bestimmt wurden. Diese Einstellung stützt sich auf das dialektisch-materialistische Prinzip, wonach jeder Stufe der materiellen Welt eigene strukturelle und entwicklungsgemäße Gesetzmäßigkeiten zukommen. Die Forschungen, die auf der systematischen Anwendung dieser Einstellung basieren, begannen Anfang der dreißiger J a h r e an der Leningrader Universität. Sie führten zur Formulierung neuer Vorstellungen über den Zeitablauf u n d die Entwicklungswege vieler Sterntypen und Stemsysteme [1, 2, 3]. Mit den Methoden der theoretischen Astrophysik wurde gezeigt [4], daß planetarische Nebel keine stationären Objekte sein können. Fast gleichzeitig wurde ihre Expansion entdeckt. Wie beim Novaphänomen hat sich auch hier die von einem Stern abgestoßene Gasmasse in einen Nebel verwandelt. Die Analyse der Beobachtungsdaten hinsichtlich der relativen Stationarität oder Nichtstationarität von Sternen u n d Sterngruppen in der Galaxis zeigte, daß unsere Galaxis ein System darstellt, in welchem im Gegensatz zu früher allgemein angenommenen Vorstellungen stürmische und manchmal überraus schnelle Veränderungen vor sich gehen.

4

1. Nichtstationäre

Objekte im

Weltall

Die Anwendung von Prinzipien aus der Sterndynamik auf die entdeckten Sternhaufen [1] führte zu dem Schluß, daß selbst Haufen, die sich in einem „stationären" Zustand befinden, wegen der Eigenbewegung der Sterne schließlich „verdampfen" müssen. Einzelne Sterne verlassen nämlich, ähnlich wie Moleküle die Oberfläche von Flüssigkeiten, im Laufe der Zeit den Haufen. Schließlich müssen durch diesen Prozeß viele Haufen in einigen hundert Millionen Jahren verschwinden, ja einige von ihnen sogar schon in einigen zehn Millionen Jahren. Ähnlich wurden alle visuellen Doppelsterne der Galaxis analysiert [3]. Es ergab sich, daß die Zerfallsrate von Sternpaaren bei Begegnungen mit Feldsternen größer als die Entstehungsrate von neuen Sternpaaren bei zufälliger Annäherung von Sternen ist. Der Anteil der Einzelsterne im gesamten Sternfeld der Galaxis wächst deshalb beständig aus dem Zerfall von Sternhaufen und visuellen Doppelsternen. Auf diese Weise charakterisieren Zerfall und Zerstreuung in voller Übereinstimmung mit dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik die allgemeine Richtung der Prozesse in unserer Galaxis und — wie sich schließlich zeigte — auch in anderen Galaxien. I n diesen Arbeiten wurde auch der Begriff der „kurzen Zeitskala" des Alters der Galaxis und ihrer Sterne formuliert [5]. Anfang der dreißiger Jahre glaubte man, daß das Entwicklungsalter der Sterne der Galaxis 1012 bis 1013 Jahre beträgt („lange Zeitskala"). Aber die Entdeckung des unvermeidlichen Zerfalls von Sterngruppen und Sternhaufen in verhältnismäßig kurzer Zeit bestätigte, daß die Galaxis in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht älter als (größenordnungsmäßig) 1010 bis 1011 Jahre sein kann. In den dreißiger bis vierziger Jahren wurden neue Fakten über die Richtung der Prozesse in Stemsystemen und über das Alter der Sterne in der Galaxis bekannt. Zum Beispiel zeigte sich, daß Supernovae eine eigene Klasse von Sternen darstellen, deren Ausbrüche in ihrer Mächtigkeit bedeutend über gewöhnliche Novae hinausgehen [6]. Die Energie, die bei einer Supernovaexplosion freigesetzt wird, beträgt 1060 erg, was größenordnungsmäßig der Wärmeenergie entspricht, die in einem gasförmigen Stern enthalten ist. Es ist offensichtlich, daß die Explosion einer Supernova einen Übergangsprozeß eines Sternes aus einem Zustand in einen qualitativ anderen darstellt. Zugleich weist die Seltenheit der Supernovae darauf hin, daß nicht alle Sterne wie eine Supernova ausbrechen können, sondern nur einige Typen. Wie wir heute wissen, entstehen als Folge von Supernovaexplosionen gigantische Nebel, die oftmals sowohl optisch als auch im Radiowellenbereich zu beobachten sind. Solche Fakten zeigen, daß die Entstehung von Nebeln aus Sternen eine weit verbreitete Erscheinung ist. Umgekehrt kennen wir einstweilen keinen Fall, wo aus diffuser Materie ein dichtes Objekt entstanden wäre, obwohl dieser Übergang, übernommen aus alten kosmogonischen Hypothesen, die Grundlage vieler heute bestehender Kosmogonien ist. Auf Grund von Arbeiten Bjurakaner Astronomen wurden Ende der vierziger Jahre die Sternassoziationen, ein neuer Typ von Sternsystemen, entdeckt. Diese erst jüngst entstandenen Gruppen zerstreuen sich unmittelbar nach ihrer Ent-

1.2. Nichtstationäre Objekte in der Galaxis

5

stehung [7]. Sie sind in der Mehrheit nichtstationär im vollen Sinn des Wortes, weil sich die Sterne der Gruppe schnell voneinander entfernen. Auch die Galaxis zeigt sich nichtstationär, da ja junge Sterne auch noch gegenwärtig in Stemassoziationen entstehen. Die Entdeckung der Sternassoziationen warf auch ein neues Licht auf bekannte Daten über Mehrfachsysteme wie z. B. das Trapez im Orion. Äußerlich scheint nichts auf eine Instabilität des Trapezsystems hinzuweisen. Inzwischen zeigte sich aber, daß dieses System in kosmisch sehr kurzer Zeit, nämlich 106 Jahren oder weniger, zerfallen muß. Diese Entdeckung ist ein gewichtiges Argument zugunsten der Vorstellung, daß eine Zerstreuung aus anfangs kleinem Volumen einen wichtigen Teil des Entwicklungsprozesses im Kosmos darstellt. Demgegenüber geben vorhergehende Beobachtungen nicht den geringsten Hinweis auf die Möglichkeit eines Übergangs von einem diffusen Zustand in einen dichteren. Wie die heißen Riesen erwiesen sich die veränderlichen Zwergsterne des Typs T Tauri als junge Objekte. Besonders viele wurden in der Orionassoziation entdeckt. Aber die jüngsten von allen gegenwärtig erforschten stellaren Objekten sind die sogenannten HERBIG-HAHO-Objekte. Nach den Beobachtungen enthält so ein Objekt einen Stern, der imstande ist, in kurzer Zeit aufzuleuchten und danach lange (viele Jahre) im Zustand maximaler Helligkeit zu verbleiben. Ein ähnliches Anwachsen der Leuchtkraft (der Anstieg beträgt lOOmal und mehr) kann, wie unlängst gezeigt wurde, auch in einem bestimmten Stadium der Entwicklung der T Tauri-Sterne vorsichgehen. Sterne, die solche Veränderungen durchmachen, nennen wir Fuoren. Die Helligkeit der Fuoren im Maximum ihrer Leuchtkraft übersteigt um ein Vielfaches die maximale Helligkeit der Sterne, die im Zentrum der HERBIG-HARO-Objekte aufleuchten. Diese Tatsachen zeigen, daß das Verhalten der Sterne um so „unerwarteter" und ungewöhnlicher ist, je näher die von uns betrachteten Etappen am Anfang der Herausbildung junger Sterne liegen. Diese ,,Unvorhersehbarkeit" beruht auf Mängeln aller gegenwärtig existierenden Theorien der Sternentwicklung. Nach dem T Tauri-Stadium beginnt ein neuer, längerer Lebensabschnitt der jungen Sterne, in dem der für die T Tauri-Sterne charakteristische unregelmäßige Lichtwechsel praktisch aufhört und der Stern seine Helligkeit nicht mehr ändert. Dabei erleidet der Stem jedoch von Zeit zu Zeit Ausbrüche, in denen seine Helligkeit auf das Mehrfache, manchmal auf weit über das Zehnfache seines Normallichts ansteigen kann. Die Dauer eines solchen Ausbruchs beträgt gewöhnlich Minuten bis einige zehn Minuten. Man kann dieses Entwicklungsstadium junger Zwergsterne deshalb als Eruptionsstadium bezeichnen. Seine Dauer erreicht 108 Jahre, bei roten Zwergen des Spektraltyps M sogar 5 • 108 Jahre. Nicht nur in Sternassoziationen, sondern auch in vielen jungen Sternhaufen stellen die Flaresterne einen wesentlichen Bruchteil der Sternpopulation. Aus statistischen Überlegungen folgt, daß die Mehrzahl der Sterne in den Plejaden Elaresteme sind. Es besteht jetzt kein Zweifel, daß jeder Stern mit einer Masse unterhalb der Sonnenmasse das Elarestadium durchläuft. Man kann sagen, daß in der Früh-

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1. Nichtstationäre

Objekte im

Weltall

phase der Entwicklung bei Sternen kleiner Masse eruptive Prozesse ein ebenso fundamentales Attribut sind wie ihre elektromagnetische Strahlung. Leider konnten jedoch die Theorien des inneren Aufbaus und der Entwicklung der Sterne weder diese eruptiven Erscheinungen vorhersagen, noch waren sie imstande, für die Beobachtungen eine Erklärung zu geben. Es sei bemerkt, daß zwischen der Eruptionstätigkeit in den Sternen niedriger Leuchtkraft und der Vulkantätigkeit der Planeten eine tiefe Analogie besteht. Die neuen Beobachtungen zeigten, daß Planeten wie Mars und Merkur lange Epochen mächtiger Vulkanaktivität durchlaufen haben, wodurch ihre Oberflächen der Mondoberfläche ähnlich wurden. Im übrigen gibt es viele Gründe, anzunehmen, daß auf den genannten Planeten die Vulkantätigkeit heftiger war als auf dem Mond. In den allerletzten Jahren wurden wir auch Zeugen anderer Phänomene in den Sternen: Eruptionstätigkeit und andere nichtstationäre Prozesse verschwinden plötzlich als Folge einer schnellen Vergrößerung der optischen Leuchtkraft des Sterns. Das ist die Erscheinung der Fuoren (Sterne vom Typ FU Orionis). Hier haben wir es mit der Bildung einer undurchsichtigen Hülle um den Stern zu tun, welche die Auswirkungen der in den tieferen Schichten weiterhin ablaufenden stürmischen Prozesse dämpft. So fügt sich, gegründet auf die Untersuchung des Faktenmaterials, Schritt für Schritt ein neues Bild von der Entstehung und Entwicklung der Sterne. 1.3.

Mchtstationäre Prozesse in anderen Galaxien. Kosmogonische Aktivitäten der Kerne von Galaxien

In den dreißiger Jahren gab es noch wenig Beobachtungsdaten über Galaxien. Die damals übliche Klassifikation der Galaxien nach Httbble beschrieb nur die Eigenschaft einiger regelmäßiger Galaxientypen, die für einen stationären Zustand charakteristisch sind. Die Einführung des ScHMiDT-Systems beim Bau großer Teleskope jedoch gestattete es, unser Wissen über Sternsysteme bedeutend zu erweitern. Dabei wurde die Vorstellung Hubbles über eine gleichmäßige Verteilung der Galaxien im Raum widerlegt. Es zeigte sich, daß die Mehrzahl der Galaxien in Gruppen oder Haufen zusammengefaßt ist [8], während das Vorhandensein eines allgemeinen Galaxienfeldes, das den Raum zwischen den Haufen und Gruppen erfüllt, zweifelhaft wurde. In den fünfziger Jahren stellte man fest, daß sich unter den Galaxien in Gruppen und Haufen ein hoher Anteil nichtstationärer Systeme befindet. In sehr vielen Galaxiengruppen und -häufen fand man eine sehr große Geschwindigkeitsdispersion, was auf eine Labilität der entsprechenden Systeme hinweist. Zur Erklärung dieser Erscheinung wurde folgende Vorstellung entwickelt: Die Galaxien eines jeden Haufens erhalten im Moment ihrer Entstehung eine so große Geschwindigkeit, daß die gegenseitige Anziehungskraft nicht ausreicht, um den Haufen als gebundenes System zusammenzuhalten. Außerdem zeigte sich, daß unter den Vielfachgalaxien der Anteil der nichtstabilen Systeme vom Trapeztyp um vieles

1.3. Nichtstationäre Prozesse in Galaxien

7

höher ist als unter den Vielfachsternen. Mit anderen Worten, zusammen mit einigen Erscheinungen direkter Nichtstationarität, beobachten wir überall Zerfallsprozesse von Haufen und Gruppen von Galaxien. Worin bestehen nun die Unterschiede zwischen Sterngruppen und Gruppen und Haufen von Galaxien? Sternassoziationen zerfallen in einer Zeit von größenordnungsmäßig 107 Jahren, die Sterne leben aber noch einige Milliarden Jahre länger. Das bedeutet: auch bei einer hohen Sternentstehungsrate bilden die Sterne, die aus Gruppen ausgeschieden sind und jetzt dem.allgemeinen Sternfeld angehören, den überwiegenden Anteil. Bei Galaxien ist die Situation anders. Die Zerfallszeit der Haufen und der Vielfachsysteme beträgt hier Hunderte von Millionen, ja sogar Milliarden Jahre und wird damit etwa mit dem Alter der Galaxien vergleichbar. Daher haben die meisten der Galaxien die an und für sich instabilen Haufen und Gruppen noch nicht verlassen. Die Radioastronomie eröffnete neue Möglichkeiten zur Erforschung nichtstationärer Erscheinungen in Galaxien. Die Mehrheit der mittels radioastronomischer Methoden entdeckten Objekte sind ihrem Wesen nach nichtstationär und können nur über kurze Zeiträume Radiostrahlung aussenden. Betrachten wir beispielsweise die beiden intensiven Radioquellen Cassiopeia A und den Krebsnebel. Beide Objekte sind jünger als 1000 Jahre. Sie entstanden aus einem Supernovaausbruch. I n den Radiogalaxien beträgt das Radioemissionsstadium Millionen Jahre. Dieser Zeitraum ist klein im Vergleich zum Alter der Galaxie. Mit anderen Worten, Radiogalaxien müssen kurze und vorübergehende, aber sich möglicherweise wiederholende Phasen der Galaxienentwicklung sein. Die Erforschung der Radiostrahlung führte zur Vorstellung, daß in Kernen von Galaxien gigantische Ausbrüche vorsichgehen. Dabei ist das Auftreten von Radiogalaxien eng mit der Entstehung großer, Radiostrahlen emittierender Massen diffuser Materie in bis dahin normalen Galaxien verbunden. Woher kommen diese Massen? Für die inneren Teile der Galaxis existiert, wie eine Analyse der Probleme zeigte, kein entsprechender Mechanismus. Andererseits ist die Natur der inneren Teile der Galaxien, speziell ihr Kern, unbekannt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Massen den Kern verlassen und sich später in radiostrahlende Wolken umwandeln. Diese Wolken müssen sich ausreichend schnell aus dem Kerngebiet entfernen, d. h., der ganze Prozeß trägt Ausbruchscharakter. Man bezeichnet die Galaxie in der Phase der intensiven Radiostrahlung gemeinhin als „radioaktive" Galaxie. Es bestehen kaum Zweifel, daß die Radioausbrüche einer Galaxie das Resultat eines gigantischen Ausbruchs in ihrem Kern sind. Die Vorstellung über Ausbrüche in Galaxien traf anfangs auf gewaltigen Widerstand von Seiten der Astronomen, die weiterhin daran festhielten, daß die kosmische Entwicklung vor allem durch die Kondensation diffuser Materie bestimmt wird. Als Gegenvorschlag zur Ausbruchstheorie stellten sie eine völlig unbegründete Hypothese zur Diskussion, die sogar noch eine weite Verbreitung fand. Danach sollten Galaxienzusammenstöße die Ursache der Radioausbrüche sein. Es waren fast zehn Jahre 2

Ambarzumjan

8

1. Nichtstationäre

Objekte im

Weltall

erforderlich, ehe diese unbegründete und unproduktive Hypothese ihren wissenschaftlichen Kredit verlor. Aber selbst für die Anhänger der Ausbruchstheorie kam die direkte Bestätigung Anfang der sechziger Jahre unerwartet. Damals entdeckte man nämlich einen Ausbruch im Kern der Galaxis M 82 [9], welcher vor 1.5 Millionen Jahren stattgefunden haben muß. Zugleich entdeckte man auch Bewegungen in den kernnahen Gebieten der SEYFERT-Galaxien. Das erhärtete den schon früher eingeführten Begriff der kosmogonischen Aktivität der Kerne von Galaxien. Die Gegenüberstellung dieser Fakten mit einer Vielzahl von Daten, die auf äußerlich scheinbar „ruhige" Galaxien hinweisen, erlaubte es uns, bereits in der Mitte der fünfziger Jahre eine Theorie über die fundamentale Rolle des Kerns bei der Bildung aller Galaxien und ihre weitere Entwicklung zu formulieren. Diese Theorie wurde durch die Entdeckung der quasistellaren Radioquellen und anderer kompakter Objekte, in welchen der Kern das dominierende Objekt ist, bestätigt. Die Entdeckung einer großen Zahl MABKAKJAN-Galaxien (Galaxien mit einer anomal intensiven ultravioletten Strahlung) hatte eine große Bedeutung für den weiteren Ausbau dieser Theorie von der Rolle des Kerns bei der Entwicklung von Galaxien. Die Mabkaej an-Galaxien ähneln den SsYFEBT-Galaxien; auch dort gibt es Materieausbrüche aus dem Kerngebiet. Bis vor kurzem konnte man auf solche bereits geschehenen Ausbrüche großer Materiemassen aus dem Galaxienkern nur aus dem gegenwärtigen Erscheinungsbild der Galaxie spekulativ schließen. Aber kürzlich gelang es, in der MABKABJAN-Galaxie 6 einen Ausbruch zu beobachten. Dieser fand direkt vor unseren Augen statt. Alte Spektrogramme dieser Galaxie enthielten nichts auffälliges; aber im Jahre 1970 wies das Spektrum um eine Größenordnung stärkere Spektrallinien auf. Sie ergaben eine Geschwindigkeit der emittierenden Wolken von 3000 km/s, verglichen mit den Linien des ruhend angenommenen Kerns. Damit erhielt die Ausbruchstheorie ihre überzeugende Bestätigung. Bei der Erforschung von Galaxien, insbesondere aber bei der Untersuchung mächtiger nichtstationärer Prozesse, kristallisierten sich zwei stark unterschiedliche Standpunkte heraus. Der eine Standpunkt ist durch das Bestreben gekennzeichnet, ein Modell zu konstruieren, welches von schon bekannten Gesetzen der Physik und Mechanik ausgeht. Dabei glauben die Vertreter dieser Richtung aus einem • bestimmten Grund, daß die Erscheinungen in der Welt der Galaxien nicht qualitativ anders sind im Vergleich zu den Erscheinungen in Systemen kleineren Maßstabs; sie übersehen völlig, daß die Natur bei weitem reicher ist als unsere augenblicklichen Vorstellungen. Die Anhänger der entgegengesetzten Einstellung akzeptieren die Notwendigkeit, neue Vorstellungen über das Wesen der astrophysikalischen Erscheinungen auf der Grundlage realer Fakten zu entwickeln. Dabei verschließen sie keinesfalls die Augen vor den Schwierigkeiten, welche bei dem Versuch entstehen, eine bestimmte Erscheinung auf der Grundlage alter Vorstellungen zu erklären. Diese Schwierigkeiten sind für sie der Ansatzpunkt ihrer Arbeit. Im Bewußtsein dieser Schwierigkeiten rechnen sie mit der Möglichkeit, daß sie mit

1:3. Nichtstationäre

Prozesse in Galaxien

9

qualitativ neuen Erscheinungen und Problemen konfrontiert werden, wobei vertraute Vorstellungen eventuell aufgegeben werden müssen. Vor zwanzig Jahren dachten alle Astronomen, daß die Kerne von Galaxien aus gewöhnlichen Sternen bestehen. Eine nicht ganz exakte Untersuchung der optischen Strahlung der Kerngebiete kann tatsächlich leicht zu solchen Schlußfolgerungen führen. Jedoch auf Grund detaillierterer Beobachtungen sowohl im optischen als auch im radioastronomischen Bereich wurden allmählich neue Daten offenkundig. Diese führten zu der Hypothese, daß auch Körper nichtstellarer Natur, die manchmal zu Ausbrüchen führen, in den Kernen vorhanden sind. Diese Hypothese wurde sofort eindrucksvoll bestätigt, so daß sie völlig gesichert erscheint. Dabei wurde die Fruchtbarkeit der zweiten Einstellung überzeugend demonstriert. Natürlich war es für die Anhänger der ersten Richtung schwierig zu verstehen, weshalb sich ausgerechnet die zweite Variante, die sich auf eine konsequente Verallgemeinerung der Beobachtungsdaten gründet, als erfolgreich erwies. Sie akzeptierten jetzt die Existenz von Ausbrüchen in Galaxienkernen, erklärten aber, daß diese Ausbrüche nicht die Folge einer Freisetzung von im Kern vorhandenen Energien ist. Sie bestritten die Möglichkeit neuer, bis heute unbekannter Eigenschaften der Materie und versuchten, die Ausbrüche als Folge eines Gravitationskollapses diffuser Materie zu erklären. Damit wurden zur Erklärung der Ausbrüche und der Zerstreuung von Materie die traditionellen Vorstellungen eingeführt. Im Laufe der Zeit erwies sich die Kollapshypothese als völlig fruchtlos, ganz zu schweigen von vielen logischen Schwierigkeiten und Widersprüchen, die bei dem Versuch auftauchten, ein Modell dieser Erscheinungen zu konstruieren. Stattdessen wiesen uns die Beobachtungen direkt auf die Eigenschaft der Materie im Kern hin, große Energiemengen bis zum nächsten Ausbruch speichern zu können. Dies gilt vor allem für Kerne im dichten oder supernovaartigen Zustand. Eine andere Frage ist, ob man die Eigenschaften des Kerns erklären kann, wenn man von den bekannten Gesetzen der theoretischen Physik ausgeht. Obwohl wir nicht wissen, wie man das machen kann, wollen wir doch die Möglichkeit nicht völlig ausschließen, ein Kernmodell der Galaxien auf der Grundlage bekannter Gesetze der theoretischen Physik zu entwickeln, das mit den beobachteten Eigenschaften im Einklang steht. Wenn es sich aber erweisen sollte, daß dies nicht geht, ist die Schlußfolgerung unvermeidlich, daß die Gesetze der theoretischen Physik in ihrer bekannten Form nicht anwendbar sind. Wir halten diese Möglichkeit nicht nur für sehr wahrscheinlich, sie überrascht uns auch nicht, weil die gegenwärtig angewendeten Formen der physikalischen Grundgesetze auf den bekannten Materieeigenschaften in einem zwar breiten, aber doch begrenzten Bereich der physikalischen Bedingungen begründet sind. Unter den Bedingungen, wie sie zum Beispiel in Kernen von Galaxien oder in quasistellaren Objekten vorherrschen, könnten unsere Gesetze versagen. Deshalb müssen sie dann präzisiert und verallgemeinert werden, damit ihre Aussagekraft steigt und sich ihr Gültigkeitsbereich erweitert. Verweilen wir bei dieser Frage ausführlicher. 2*

10

1. Nichtstationäre

Objekte im

Weltall

Die Gesetze der Physik stellen sich in ihrem Wesen als Verallgemeinerung einer bestimmten Gesamtheit von beobachteten Daten dar, ausgedrückt in einer möglichst einfachen und kurzen Form. Man darf jedoch nicht denken, daß das System unserer Gesetze der theoretischen Physik, das in bestimmten Entwicklungsetappen der Wissenschaft formuliert wurde, absolut genau und abgeschlossen ist und keinen weiteren Verallgemeinerungen unterliegt. Diese Gesetze widerspiegeln nicht vollständig, sondern nur annähernd die objektive Realität, und sie können nicht nur, sondern sie müssen sogar präzisiert und verallgemeinert werden. (Die Präzisierung und Verallgemeinerung der Gesetze der Natur ist gewöhnlich ein einheitlicher Prozeß; so ist zum Beispiel der Übergang von der klassischen Mechanik zur speziellen Relativitätstheorie sowohl eine Präzisierung der klassischen Mechanik als auch ihre Verallgemeinerung für den Fall großer Geschwindigkeiten.) Diese Ansicht basiert auf der Analyse der Entwicklung unserer gegenwärtigen Naturwissenschaft, die im Laufe der Zeit eine immer größere Mannigfaltigkeit neuer, früher unbekannter Erscheinungen entdeckt. Sie sind qualitativ von jenen Erscheinungen verschieden, die man von früher her kannte. Die Wissenschaftler befanden sich wiederholt in der Zwangslage, die physikalischen Gesetze und Theorien zu verallgemeinern, um Beobachtungsdaten, die bestimmte Erscheinungen charakterisieren, erklären zu können. Gerade solch eine Notwendigkeit entstand durch die Erforschung nichtstationärer Prozesse in Kernen von Galaxien und quasistellaren Objekten. Niemals in der Vergangenheit befaßte sich die Physik und Astronomie in solchem Maße mit Konzentrationen so großer Massen in verhältnismäßig kleinem Volumen. Es handelt sich um Massen in der Größenordnung von 1010 Sonnenmassen und manchmal noch größer, konzentriert in einem Volumen, das viel kleiner ist als das Volumen irgendeines Sternhaufens. Es geht um die Umwandlung von Materie, wobei sich die Dichte millionenfach ändert und die Stärke des Gravitationsfeldes beispiellose Größenordnungen erreichen kann. Wir haben keine Garantie und können auch gar keine haben, daß die uns bekannten Gesetze der Physik auch unter diesen Bedingungen streng gelten. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn sich herausstellen sollte, daß die gegenwärtig vorhandenen großen Schwierigkeiten bei der theoretischen Deutung einer Reihe nichtstationärer Prozesse im Laufe der Zeit in direkte Widersprüche zu den uns bekannten Gesetzen der theoretischen Physik hinüberwachsen.

1.4.

Nichtstationarität — eine gesetzmäßige Phase der kosmogonischen Prozesse

Die Dauer der kosmogonischen Prozesse ist in der Mehrheit der Fälle vergleichsweise groß gegenüber dem Zeitraum astronomischer Beobachtungen, so daß keine unmittelbaren Veränderungen, welche ein Ergebnis dieser Prozesse wären, bemerkt werden können. Trotzdem gibt es im Leben kosmischer Körper und ihrer Systeme auch Etappen, in denen in den Körpern im Laufe eines bestimmten Ent-

1.4. Nichtstationarität

— gesetzmäßige

Phase

11

wicklungsprozesses neue Kräfte entstehen, die in der Lage sind, den Zustand der Körper und Systeme gründlich zu ändern. Genau in einem solchen Fall sagen wir, daß sich das Objekt in einem nichtstationären Zustand befindet. Die Geschwindigkeit, mit der solche Ereignisse ablaufen, erlaubt es uns, diese Veränderungen unmittelbar zu beobachten (Ausbrüche von Novae, Supernovae u. a.) und eventuell Schlüsse aus sehr vielen indirekten Daten zu ziehen (Zerfall von Sternhaufen und Sternassoziationen, Ausbrüche von Galaxienkernen). In der Geschichte der Wissenschaften gibt es ein interessantes Kuriosum: Die Astronomen, welche die Rolle nichtstationärer Objekte in der kosmischen Evolution nicht verstanden, schlössen gewöhnlich auch gern die Augen vor Schwierigkeiten, die mit deren Deutung verbunden waren. Sie betrachteten diese Objekte als „Mißgeburten" gegenüber einer allgemein gesetzmäßigen Entwicklung. Es ist zum Beispiel bekannt, daß Ende des vergangenen Jahrhunderts die Hypothese verbreitet war, derzufolge Novae ausschließlich das Ergebnis der seltenen Erscheinung eines Zusammenstoßes zweier Sterne sind. Es wurde völlig außer acht gelassen, daß sie — wie wir heute wissen — auch das Ergebnis von Gesetzmäßigkeiten der Sternentwicklung sind. Der gleiche Fall wiederholte sich bei den Radiogalaxien, nur in vielleicht noch kläglicherer Form. Wieder hielt man die Radiogalaxien eine Zeitlang für das Ergebnis des Zusammenstoßes von zwei Galaxien, obwohl von Anfang an klar war, daß die statistischen Daten solchen Vorstellungen widersprechen. Richtig ist jedoch der entgegengesetzte Standpunkt, daß nichtstationäre Prozesse eine gesetzmäßige Phase der kosmischen Entwicklung darstellen. Jedoch ist zu jedem Zeitpunkt der Anteil der kosmischen Objekte, die eine Wende ihrer Entwicklung durchmachen, gewöhnlich klein. Sie ist in jedem Fall bei weitem kleiner als der Anteil der Objekte, die sich in stationärem Zustand befinden (z. B. ist die Zahl der Sterne in Assoziationen klein im Verhältnis zur Zahl der Sterne im allgemeinen Sternfeld der Galaxis). Die Erforschung der Röntgenquellen und der Pulsare in der Galaxis ließ keinen Zweifel daran, 1., daß diese Objekte überdichte Körper sind und 2., daß sie nichtstationär sind. Es ist interessant, zu bemerken, daß in der Regel Nichtstationarität gerade dann auftritt bzw. nicht auszuschließen ist, wenn in einem kleinen Volumen eine verhältnismäßig große Masse vorhanden ist. Nichtstationäre Zustände stellen gewöhnlich eine jähe Wende in der Entwicklung eines Objekts dar. Sie sind mit der Geburt neuer Körper (z. B. Sternassoziationen) oder mit dem Übergang des Objekts aus einer Klasse in die andere verbunden (Ausbrüche von Supernovae, die zur Umwandlung des Sterns in einen Nebel führen). Folglich eröffnet eine detaillierte Erforschung nichtstationärer Prozesse oder Übergangserscheinungen den Weg zu einem tieferen Verständnis der Entwicklung kosmischer Objekte. Bis zur Mitte der dreißiger Jahre, als man die ersten wichtigen Hinweise auf nichtstationäre Objekte fand, spielte die Entwicklungsidee in der Astrophysik keine überragende Rolle, obwohl die Mehrheit der Astro-

12

1. Nichtstationäre Objekte im Weltall

physiker sehr gut verstand, daß sich ihre Objekte verändern, d. h. entwickeln. Inzwischen ist heute in der ganzen Astrophysik die Vorstellung der Entwicklung der Sterne, Sternhaufen und Galaxien selbstverständlich. Das war unzweifelhaft eines der Ergebnisse der Erforschung nichtstationärer Objekte im Weltall, die mit größter Aufmerksamkeit vorgenommen wurde.

2.

Kosmogonie der Sterne und Galaxien

2.0.

Einleitung

In dem unseren Beobachtungen zugänglichen Teil des Weltalls ist der überwiegende Teil der Materie in Sternen konzentriert, gigantischen glühenden Gaskugeln. Das Licht von Milliarden weit entfernter Steme fließt in dem hellen Band der Milchstraße zusammen. Alle diese Sterne bilden gemeinsam mit denen, die einzeln am Himmel zu sehen sind, ein einziges riesiges Sternsystem, die Galaxis. Ein ganz gewöhnliches Mitglied dieses Systems ist auch der uns nächste Stern — die Sonne mit ihrem Planetensystem. Zur Galaxis gehören mehr als hundert Milliarden Sterne. Um viele von ihnen kreisen, ähnlich wie um die Sonne, kalte Körper — Planeten. Die planetare Materie nimmt in der Galaxis einen sehr bescheidenen Platz ein. Es sei nur daran erinnert, daß 99,86 Prozent der Masse des gesamten Sonnensystems in der Sonne selbst vereinigt sind. So gesehen ist die Sonne ein Einzelstern. Neben Einzelsternen begegnen uns in der Galaxis Sterngruppierungen, die durch ihre gegenseitige Anziehung miteinander verbunden sind, und zwar Doppelsterne, dreifache und höhere Systeme, Sternhaufen und Assoziationen. Außer den Sternen gibt es in der Galaxis viele Gebilde, die aus verdünnter oder „diffuser" Materie bestehen, aus Gas und Staub. Die diffuse Materie tritt in Form verschiedenartiger Nebel auf, und zwar als relativ dichte Gaswolken mit einer gewissen Staubbeimengung und als interstellares Gas- und Staubmedium von „flockiger" Struktur. Die Entwicklung der astronomischen Beobachtungstechnik im 3. Jahrzehnt unseres Jahrhunderts führte zur Entdeckung anderer Galaxien im kosmischen Raum, die man bis dahin für Nebel gehalten hatte. I n dem Teil des Weltalls, der gegenwärtig mit den größten Teleskopen überschaubar ist, befinden sich über hundert Millionen Galaxien. In den meisten Fällen sind die Galaxien Mitglieder physischer Gruppierungen, wie mehrfacher Systeme und Galaxienhaufen. Ähnlich wie in unserer unmittelbaren Umgebung ein großer Teil der beobachtbaren Materie in Sternen konzentriert ist, ist die Mehrzahl der Sterne in Galaxien zu finden. I n dem unserer Beobachtung zugänglichen Teil des Weltalls kommt die uns bekannte Materie also in drei wesentlichen Formen vor, als stellare, diffuse und planetare Materie. Alle Ergebnisse der modernen beobachtenden Astronomie zeigen, daß von allen

14

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

oben angeführten Existenzformen der Materie die stellare eine besondere Rolle in der Entwicklung der Materie in der Galaxis spielt. Sie stellt nicht nur den größten Teil der Materie in der Galaxis dar, sondern hat auch eine wesentliche Bedeutung bei der Entwicklung der anderen Materieformen. 1 ) Die erfolgreiche Lösung von Fragen der Stellarkosmogonie hat deshalb prinzipielle Bedeutung für die Kosmogonie der anderen Materieformen in der Galaxis, ganz besonders für die Kosmogonie der Planeten. Das Problem der Entstehung und Entwicklung von Sternen in der Galaxis ist andererseits auf das engste mit der Frage nach der Entstehung der Galaxis selbst verbunden. Die Entwicklung der Stellarkosmogonie hängt deshalb in vielem vom Entwicklungsstand unserer Vorstellungen über die Entstehung und Entwicklung von Galaxien ab. In der modernen Kosmogonie gibt es zwei scharf voneinander getrennte Richtungen, die das Problem der Entstehung von Sternen und Sternsystemen grundsätzlich verschieden angehen. Die alte, klassische Richtung geht von spekulativen hypothetischen Vorstellungen über die Entstehung und Entwicklung von Sternen und Sternsystemen aus. Die neue Richtung, die besonders erfolgreich in der Sowjetunion entwickelt wird [1—4], gründet umgekehrt ihre Gedanken über den Prozeß der Sternbildung und die möglichen Wege der Sternentwicklung auf Verallgemeinerungen von Beobachtungstatsachen über die Erscheinungen, die in den Sternen und ihren physikalischen Gruppierungen vor sich gehen, angefangen bei den Mehrfachstemen und' Sternhaufen bis zu den Galaxien. Die moderne Astrophysik zeichnet sich durch das Aufkommen und die schnelle Entwicklung eben dieser neuen Richtung aus. Sie bewies ihre Fruchtbarkeit durch die neuen Erkenntnisse, die in letzter Zeit auf Grund der Verallgemeinerung einer riesigen Menge von Beobachtungsmaterial über die Entwicklungswege von Sternen und Sternsystemen gewonnen wurden. Es gelang nicht nur die Erklärung vieler bekannter Erscheinungen, sondern auch die Vorhersage neuer Phänomene, die mit den Sternbildungsprozessen in der Galaxis zusammenhängen. I n den Arbeiten der modernen Richtung wird Instabilitätserscheinungen sowohl in Einzelstemen als auch in Sternsystemen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Akademiemitglied A M B A B Z U M J A N [3] wies auf die große Bedeutung solcher Untersuchungen für die Kosmogonie hin: „Bekanntlich sind Widersprüche ein wichtiges Stimulans eines jeden Entwicklungsprozesses in der Natur. Diese Widersprüche treten dann besonders hervor, wenn sich ein System oder ein Körper in einem instabilen Zustand befindet, wenn in ihm gegenläufige Kräfte streiten und wenn sich Körper oder Systeme an kritischen Punkten ihrer Entwicklung befinden. Aus

Wie im weiteren noch gezeigt wird, besteht außerdem begründeter Anlaß zu der Annahme, daß es noch andere, bisher nicht bekannte Materieformen gibt, die eine wichtige Rolle in dem komplizierten Entwicklungsprozeß der gesamten Materie spielen, insbesondere bei der Entstehung der stellaren Form der Materie in der Galaxis.

2.0. Einleitung

15

diesem Grund ist die Untersuchung von Sternen und Sternsystemen in instabilen Zuständen von besonderem Interesse für die Stellarkosmogonie. Die Geschichte der Astronomie zeigt, daß das Erkennen von Erscheinungen, die wir im Weltall beobachten, in zwei aufeinanderfolgenden Schritten vor sich geht: im ersten wird ein Bild des Ablaufes der Erscheinungen entworfen, im zweiten wird dieses theoretisch gedeutet. Leider kommt es jedoch häufig vor, daß die theoretischen Astrophysiker eine Theorie der zu untersuchenden Erscheinungen entwickeln und dabei das erste, äußerst wichtige Stadium überspringen. Dieses Verfahren ist für viele moderne kosmogonische Theorien der klassischen Richtung charakteristisch. Wir denken hier insbesondere an eine Theorie, die von H O Y L E [ 5 ] von der Cambridger Schule vertreten wird, ferner an die kosmogonische Theorie des deutschen Wissenschaftlers VON WEIZSÄCKER [6]. Diese Autoren entwickeln ihre Theorie recht häufig völlig losgelöst von Beobachtungsdaten und beschäftigen sich zeitweise nur mit der mathematischen Seite der Fragen. I n den meisten Fällen führt dies zu Widersprüchen mit der Beobachtung. Recht gut wird die Art des Herangehens an kosmogonische Probleme durch ein unfreiwilliges Eingeständnis H O Y L E S charakterisiert, daß „die Schwierigkeit nicht darin besteht, eine Erklärung für einen Prozeß zu erdenken, sondern darin, unter den verschiedenen sich anbietenden Möglichkeiten auszuwählen" [7]. In modernen Untersuchungen der klassischen Richtung wird bei der Konstruktion spekulativer Schemata über die Sternentstehung und Sternentwieklung in einigen Fällen versucht, die tatsächlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Hierher gehört zum Beispiel die von OORT und SPITZER [8, 9] ausgearbeitete Theorie zur Entstehung von Sternassoziationen. I n der Mehrzahl der Fälle stehen die Untersuchungen der klassischen Richtung jedoch im Widerspruch zu den Beobachtungsdaten und führten bisher nicht zu den gewünschten Resultaten, da versucht wird, gleich auf alle wesentlichen Fragen der Stellarkosmogonie eine Antwort zu finden. Als Beispiel sei die Theorie VON WEIZSÄCKERS angeführt [6]. I n einer einzigen Arbeit versucht dieser Autor, den gesamten Komplex der Kosmogonie zu erklären, vom Ursprung und von der Entwicklung der Sterne und Planeten bis zur Entstehung und Entwicklung der Galaxien. V O N W E I Z S Ä C K E R nimmt hierbei für die Entstehung von Systemen ganz verschiedener Größenordnung und Struktur (Sonnensystem, Sternhaufen, Galaxien) ein und denselben Mechanismus an: eine Differenzierung von Turbulenzzellen verschiedener Größen im primären diffusen Medium mit nachfolgender Kondensation der so entstandenen Materieklumpen. AMBARZUMJAN bemerkte hierzu [ 1 0 ] : „Dem unkritischen Leser könnte es scheinen, daß nach zwei, drei weiteren Artikeln VON W E I Z S Ä C K E R S alle Probleme der Astrophysik leicht und schnell gelöst sein werden, worauf es in dieser Wissenschaft nichts mehr zu tun geben wird." Eine tiefergehende Betrachtung dieser Theorie zeigt jedoch die Fehlerhaftigkeit der Anwendung einer immer gleichen Methode auf Systeme, die sowohl strukturell, morphologisch als auch von der physikalischen Natur ihrer Mitglieder her durchaus verschieden sind. Damit erweist sich

16

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

auch die VON WEizsÄOKERsche Theorie unfähig, eine Reihe von Beobachtungstatsachen, die sich auf Sterne und Sternsysteme beziehen, zu erklären. Eine ernsthafte Schwierigkeit kosmogonischer Untersuchungen liegt darin, daß die Zeiträume, in denen wesentliche Veränderungen im Zustand der kosmischen Körper vor sich gehen (außer bei Supernovaausbrüchen und beim Zerfall von Kometen), nicht nur die Lebensdauer eines Beobachters um ein Vielfaches übersteigen, sondern auch die gesamte Geschichte astronomischer Beobachtungen. Daraus folgt, daß Fragen der Bildung und Entwicklung von Sternen und Galaxien nicht gelöst werden können, wenn wir nicht Daten über Sterne und Galaxien haben, die sich in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung befinden. Zum Beispiel können nur aus der Gegenüberstellung von Beobachtungen, die sich auf verschiedene Entwicklungsstadien der Galaxien beziehen, Folgerungen über die Entwicklung dieser Systeme erhalten werden. Eine wichtige Etappe jeder ernsthaften kosmogonischen Untersuchung ist deshalb die Suche nach tatsächlichen Hinweisen auf die Existenz verschiedener Entwicklungsstadien des gegebenen kosmischen Gebildes. Unter den beobachteten Zuständen der Sterne müssen z. B. Entwicklungsunterschiede gefunden werden, also Fälle, in denen die Verschiedenheit der Zustände nur aus einem Altersunterschied resultiert. Wenn die Beobachtungen solche Unterschiede nicht liefern, ist eine vollständige Lösung des Problems der Entstehung und Entwicklung von Sternen in der Galaxis praktisch ausgeschlossen, und wir müssen uns mit nur spekulativen Konstruktionen denkbarer Entwicklungswege der Sterne zufriedengeben. Wenn aber überzeugende Hinweise auf die Existenz realer Entwicklungsunterschiede in den Zuständen der kosmischen Gebilde vorhanden sind, dann reduziert sich die zweite Untersuchungsetappe auf das Aussuchen von Entwicklungsfolgen aus der beobachteten Menge von Zuständen, die die Sterne während ihres Lebens durchlaufen. Genau diesen Weg verfolgte die Entwicklung der neuen Richtung in der modernen Stellarkosmogonie. I n diesem Kapitel werden wir, in drei Abschnitten, die modernen Vorstellungen über Entstehung und Entwicklung von Sternen und Sternsystemen darlegen. Im ersten Abschnitt werden wir kurz die Beobachtungsdaten über Sterne und Sternsysteme zusammenstellen, während in den folgenden beiden Abschnitten die Fragen ihrer Entstehung und Entwicklung betrachtet werden. Die Darstellung wird im wesentlichen den neuen Vorstellungen folgen, die hauptsächlich im Astrophysikalischen Observatorium Bjurakan der Akademie der Wissenschaften der Armenischen SSR von A M B A R Z U M J A N und seinen Schülern erarbeitet wurden. Diese Vorstellungen sind in ihrer ursprünglichen Form in Vorträgen von AMB A B Z U M J A N auf dem Symposium über Sternentwicklung in Rom (während der VIII. Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union 1952) [3] und auf der Solvay-Konferenz 1958 über Probleme der Metagalaxis in Brüssel [4]

2.1. Sterne und Galaxien

17

enthalten. Wir verwenden im folgenden ausgiebig diese Vorträge, ohne immer direkt darauf hinzuweisen. I n der Kosmogonie konnte in letzter Zeit die Richtigkeit und Fruchtbarkeit dieser neuen Vorstellungen vielfach bestätigt werden. Über einige prinzipielle Fragen der Stellarkosmogonie und der Kosmogonie der Galaxien besteht vorläufig noch keine einheitliche Meinung. Einige Male sind strittige Fragen besonders angemerkt. 2.1.

Sterne und Galaxien

Sterne. Die chemische Zusammensetzung aller Sterne gleicht im Mittel der chemischen Zusammensetzung der Sonne: Etwa 70 Masseprozent sind Wasserstoff 28 Prozent Helium und 2 Prozent alle übrigen Elemente. Nur bei sehr wenigen Sternen werden wesentliche Abweichungen von dieser mittleren chemischen Zusammensetzung beobachtet. Wegen der fast gleichartigen chemischen Zusammensetzung der Sterne ist ihr Zustand durch nur drei Größen vollständig bestimmt: Leuchtkraft 1 ) (Strahlungsleistung), die im allgemeinen in Einheiten der Sonnenleuchtkraft gemessen wird, Radius und Masse. Obwohl sich die Sterne in sehr verschiedenartigen Zuständen befinden, sind diese Parameter voneinander abhängig. Wir kennen Sterne, deren Leuchtkraft um das Hunderttausendfache die der Sonne übertrifft, und auch solche, die ebensovielmal schwächer sind als die Sonne. Beispielsweise liegt die Leuchtkraft des Sternes S Doradus fast eine Million mal über der Sonnenleuchtkraft, während der Begleiter von Wolf 1055 um das 700000fache schwächer ist als die Sonne. Die Leuchtkräfte variieren also im Verhältnis 1:10 11 und mehr. Die Radien der Sterne unterscheiden sich wesentlich weniger. Der Radius des größten uns bekannten Sternes, der infraroten Komponente des Doppelsternes e Aurigae, übertrifft den der Sonne um das 3000fache, während der Radius der kleinsten Sterne, der Weißen Zwerge, manchmal nicht größer ist als der des Mondes, d. h. den 400. Teil von dem der Sonne beträgt. Folglich unterscheiden sich die Radien der Sterne vielleicht um das 10 6 fache. Die Massen der Sterne unterscheiden sich noch weniger: Von einigen zehn, sehr selten einigen hundert bis zu zehntel und hundertstel Sonnenmassen. Das maximale Massenverhältnis ist also von der Größenordnung 104. Ein wichtiger Parameter und eine Quelle sehr verschiedenartiger Information über einen Stern ist sein Spektrum. Die Spektren der Mehrzahl der Sterne bilden l

) Anstelle der Leuchtkraft verwendet man im allgemeinen die absolute Helligkeit. Die Helligkeit eines Sterns wird in einer logarithmischen Skala gemessen: Einem Unterschied von 5 Größenklassen entspricht ein Helligkeitsverhältnis von 100. Die absolute Helligkeit ist diejenige Helligkeit, die auf eine Entfernung des Sternes von 10 Parsec bezogen ist (ein Parsec = 3.26 Lichtjahre = 3.08 • 1013 km). Es gibt, in Abhängigkeit von der spektralen Empfindlichkeit des Empfängers, verschiedene Helligkeiten: visuelle, photographische u. a. Die Differenz zweier Helligkeiten aus verschiedenen Spektralgebieten charakterisiert die Farbe des Sternes und heißt Farbindex.

18

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

eine stetige lineare Folge. Auf dieser Eigenschaft der Sternspektren beruht ihre Klassifikation (Abb. 2-1, s. Tafel 1). Diese Klassifikation enthält sieben Hauptklassen und zwei Verzweigungen, die den seltener vorkommenden Spektren entsprechen 1 ): 0 B -> A -> F—> G ->• K -> M; G - > R - > N ; K - > S . Zur detaillierteren Klassifikation zwischen den Hauptklassen, die mit dem Index 0 bezeichnet werden, z. B. BO und AO, gibt es Zehntel Unterklassen (z. B. B l , B2, B3, . . . , B9). Die Spektralklasse eines Sternes ist im wesentlichen ein Maß seiner Temperatur. Die Temperatur der Sterne fällt entlang der Spektralfolge von 40000—30000 K (O-Sterne) bis 2 0 0 0 K (M-Sterne). Die Sterne der Spektralklassen O und B heißen deshalb auch heiße (blaue) Sterne, die der Spektralklassen K bis M kalte (rote) Sterne. Der hellste Stern am Himmel, der Sirius, ist ein weißer Stern (Spektralklasse A, 10000 K), unsere Sonne ein gelber (Klasse G, 6000 K). Außer der Temperatur hat auch der atmosphärische Druck oder die Schwerebeschleunigung in der Sternatmosphäre einen wesentlichen Einfluß auf das Aussehen des Spektrums. Mit anderen Worten, die Spektren sehr kleiner und sehr großer Sterne der gleichen Temperatur unterscheiden sich deutlich voneinander. Auf diesen Unterschieden beruht die Klassifikation der Leuchtkräfte der Sterne nach ihren Spektren. Daraus entstand die zweidimensionale Spektralklassifikation, die von den amerikanischen Astronomen MORGAN, K E E N A N und K E L L M A N ausgearbeitet wurde (MKK-Klassifikation) [11]; sie hat gegenwärtig eine sehr weite Verbreitung gefunden. Der Däne HERTZSPRUNG und unabhängig von ihm der Amerikaner R U S S E L L entdeckten 1911—1913 einen Zusammenhang zwischen Spektrum und Leuchtkraft. Sie fanden, daß nicht alle Kombinationen von Leuchtkraft und Spektrum in der Natur vorkommen. Es zeigte sich, daß in dem Diagramm, in dem das Spektrum über der Leuchtkraft aufgetragen ist, oder auch in den verwandten Farben-Helligkeitsdiagrammen (Abb. 2-2)2) sehr wenige blaue Sterne geringer Leuchtkraft (Weiße Zwerge) vorkommen 3 ), während die roten nach ihren Leuchtkräften in zwei Gruppen zerfallen: die Mehrzahl liegt innerhalb eines gut definierten Bandes, der Hauptreihe, und eine nur geringe Zahl roter Sterne hoher Leucht') An die Spektralklasse O sehließen die WOLF-RAYET-Sterne (WR) an; sie unterscheiden sich von den O-Sternen durch sehr intensive und breite Emissionslinien, hervorgerufen durch stetige Materieausströmung von den Oberflächenschichten dieser Sterne. 2 ) Meistens ist es wesentlich einfacher, den Zusammenhang zwischen der absoluten Helligkeit (für Haufen und physische Sterngruppen einfach die scheinbare Helligkeit) und der Farbe (Farbindex) zu erhalten, da die Messung des Farbindexes — der durch das Spektrum bestimmt ist — eine einfachere Aufgabe ist. Gegenwärtig besitzt das Farbsystem von JOHNSON und MORGAN [12] die weiteste Verbreitung: U (ultraviolett), B (blau), V (visuell); wegen seiner engen Korrelation mitderMKKSpektralklassifizierung besitzt es wesentliche Vorteile gegenüber anderen Farbsystemen. s ) Es zeigte sich später, daß diese Seltenheit scheinbar ist und dadurch hervorgerufen wird, daß die Weißen Zwerge wegen ihrer geringen Leuchtkraft nur in geringen Entfernungen von der Sonne beobachtet werden können [14].

2.1. Sterne und Galaxien

19

100



a

',0

•Yt'. • y.*v ••

0,01

0,k

0,8

Farbindex

1,2

1,6

B-V

Abb. 2-2. Farben-Helligkeitsdiagramm der Sterne näher als 20 po [13]. Im Digaramm sind die Hauptreihe, einige rote Riesen und Weiße Zwerge vertreten. Einheit der Leuchtkraft ist die Sonnenleuchtkraft

Spektralklasse

Abb. 2-3. Schematisches HERTZSPEUNG-RUSSELL-Diagramm, das die zweidimensionale MKK-Spektralklassifikation charakterisiert. Erklärungen im Text

20

2. Kosmogonie

der Sterne und

Galaxien

kraft bildet eine getrennte Gruppe, den Riesenast. Besonders helle, äußerst seltene rote Sterne bilden den Überriesenast. Parallel zur Verbesserung der Meßgenauigkeit bei der Bestimmung von Spektralklassen und Leuchtkräften wurde später eine noch detailliertere Unterteilung der Stemgruppen nach Leuchtkraftklassen in diesem H E R T Z S P R U N G - R U S S E L L Diagramm (HRD) vorgenommen (Abb. 2-3). Beispielsweise zeigten die Arbeiten des Amerikaners K U I P E R [ 1 6 ] und des sowjetischen Astronomen PAKENAGO [ 1 7 ] , daß eine Gruppe von Sternen in einem Streifen parallel unter der Hauptreihe (V) liegt. Diese Gruppe ist die Unterzwergenreihe (VI). Der Riesenast wurde in drei Leuchtkraftklassen eingeteilt: die hellen Riesen (II), die schwachen Riesen (III) und die Unterriesen (IV). Die Überriesen zerfallen ihrerseits in die Gruppe der hellen Überriesen (Ia) und der schwachen Überriesen (Ib). Schließlich wurden auch unter den Weißen Zwergen helle (Vlla) und schwache gefunden (VIIb). Der sowjetische Wissenschaftler WORONZOW-WELJAMINOW [ 1 8 ] führte außerdem noch eine sogenannte weiß-blaue Sequenz ein, die sich von den heißen Überriesen zu den Weißen Zwergen erstreckt (0—0). Zur Bezeichnung einer Klassifikation nach dem MKK-System wird nach der Spektralklasse die Leuchtkraftklasse angegeben. Für die Sonne haben wir z. B. G2V, für Sirius A1V, für Rigel B 8 I a , für Aldebaran K 5 I I I . Die Tatsache, daß die verschiedenen Leuchtkraftklassen im H E E T Z S P R U N G RITSSELL-Diagramm auf voneinander getrennten Linien angeordnet sind, ist Ausdruck einer wichtigen Gesetzmäßigkeit: Sterne einer gegebenen Spektralklasse können nur Leuchtkräfte in einem eng begrenzten Bereich annehmen. Der amerikanische Wissenschaftler 0 . S T B U V E [19] gibt folgende Abschätzung für die Anzahl der Sterne, die zu den einzelnen Ästen des HRD gehört. Die Mehrzahl der Sterne in der Galaxis, etwa 1011, gehört der Hauptreihe an. Am verbreitetsten unter ihnen sind die Zwergsterne der Spektralklassen M und K. Die Gesamtzahl der Weißen Zwerge beträgt etwa 109—1010, die Zahl der gewöhnlichen Riesen über 107, die der Überriesen etwa 104. Die Gesamtzahl der Unterzwerge entspricht vermutlich der Zahl der Weißen Zwerge. Die Verteilung der relativen Anzahlen der Sterne verschiedener Leuchtkräfte wird durch die sogenannte Leuchtkraftfunktion wiedergegeben. Sie zeigt, daß die Anzahl der Sterne beim Übergang zu geringen Leuchtkräften stark anwächst (Abb. 2-4). Die Leuchtkraftfunktion enthält wichtige Informationen über die Geschichte der Sternbildung, da die Sternentwicklung mit einer Änderung der Leuchtkräfte verbunden ist. Es wird angenommen, daß die beobachtete Leuchtkraftfunktion in gewisser Weise die primäre Leuchtkraftfunktion und die Entwicklungswege der Sterne widerspiegelt. Eine weitere wichtige Beziehung zwischen den Zustandsgrößen der Sterne ist die Masse—Leuchtkraft-Beziehung. Die Mehrzahl der Steme genügt dieser Beziehung. Sie zeigt, daß die Leuchtkraft eines Sternes mit seiner Masse wächst:

2.1. Sterne und Galaxien

21

je massereicher ein Stern, desto größer seine Leuchtkraft. Nur die Weißen Zwerge und offensichtlich eine kleine Anzahl von Sternen anderer Typen weichen von dieser Beziehung ab. Die Masse—Leuchtkraft-Beziehung wird häufig zur Abschätzung von Sternmassen verwendet. 1 ) Die meisten Sterne haben ähnlich wie die Sonne eine praktisch konstante Helligkeit. Es gibt jedoch Sterne, deren Helligkeit sich mit der Zeit bedeutend ändert. Unter diesen sogenannten Veränderlichen Sternen sind für die Probleme

Abb. 2-4. Leuchtkraftfunktion der Sterne. Die Abszisse enthält die photographische absolute Helligkeit [20]

der Sternentwicklung diejenigen am interessantesten, deren Helligkeitsänderung durch physikalische Prozesse in den Sternen selbst bewirkt wird. Nach dem Charakter der Helligkeitsänderung können diese in zwei Gruppen eingeteilt werden [22]: in Pulsationsveränderliche und eruptive Veränderliche. Die Helligkeitsänderung der Pulsationsveränderlichen wird gewöhnlich durch eine Pulsation des Sternes erklärt, also durch seine mehr oder weniger periodische Kontraktion und Expansion. Alle diese Sterne sind Riesen der Spektralklassen A und später. Unter den pulsierenden Sternen sind wegen ihrer strengen Periodizität der Helligkeitsänderung die Cepheiden (nach dem Namen des Prototyps dieser Klasse, ö Cephei) von besonderem Interesse. Sie werden in zwei Gruppen unterteilt : die langperiodischen oder klassischen (mit Perioden von 1 — 70 Tagen) und die kurzperiodischen oder R R Lyrae-Sterne. (mit Perioden unter einem Tag). Obwohl diese Aufteilung formal nur nach der Periodenlänge durchgeführt wurde, hat sie doch einen tieferen Sinn: Die Sterne der beiden Gruppen sind völlig verschieden in bezug auf ihre kinematischen Eigenschaften (Geschwindigkeitsverteilung usw.) und ihre räumliche Verteilung. 2 ) Die Masse—Leuchtkraft-Beziehung wurde ausführlich von den sowjetischen Astronomen PABENAGO u n d MASSEWITSCH u n t e r s u c h t [21]. 2

) Die RR Lyrae-Sterne zerfallen ihrerseits wieder in zwei Untergruppen (mit Perioden kleiner als 0.4 Tagen und zwischen 0.4 und einem Tag), die gleichfalls verschiedene räumliche Verteilungen und kinetische Eigenschaften besitzen.

22

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

Sowohl die klassischen Cepheiden als auch die R R Lyrae-Sterne dienen wegen des engen Zusammenhanges zwischen ihrer Leuchtkraft und ihrer Periode, sowie wegen ihrer hohen Leuchtkraft, als eine Art Normal-Blinkfeuer im Raum. Eine der sichersten Methoden der Entfernungsbestimmung zu extragalaktischen Systemen, die Cepheiden enthalten, beruht auf dem Vergleich der aus diesem Zusammenhang ermittelten Leuchtkräfte der Cepheiden mit ihrer scheinbaren Helligkeit. I n den letzten Jahren wurde den Veränderlichen mit irregulären Helligkeitsänderungen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Viele von ihnen gehören zu den eruptiven Veränderlichen. Das Interesse an diesen Sternen ist darin begründet, daß sie eine wichtige Stellung in der allgemeinen Kette der Entwicklung der Sterne in der Galaxis einnehmen. I n dieser Hinsicht nehmen in der Familie der irregulären Veränderlichen oder, wie man sie auch nennt, der instationären Sterne, der T Tauri-Sterne einen besonders wichtigen Platz ein. Es sind dies Zwergsterne mit Emissionslinien in den Spektren. Für diese Sterne sind unregelmäßige, meist schnelle Helligkeitsänderungen und eine Verbindung mit Staubnebeln typisch. Außer der gewöhnlichen Temperaturstrahlung tritt in den Spektren dieser Sterne zeitweise eine kontinuierliche Emission von offensichtlich nichtthermischer Strahlung auf. Sehr ähnlich den T Tauri-Sternen sind die eruptiven Veränderlichen vom Typ UV Ceti und die HARO-MORGAN-Sterne. Diese befinden sich meistens im Minimum ihrer Helligkeit, nur manchmal leuchten sie plötzlich für einige Minuten auf. Dabei steigt ihre Helligkeit auf das Mehrfache, manchmal bis zum Zehn- und Hundertfachen, an. Dieser Anstieg wird im wesentlichen durch eine starke kontinuierliche Zusatzemission verursacht, die nach dem Ausbruch wieder verschwindet. Zu den eruptiven Veränderlichen gehören auch die Novae und die Supernovae. Die Helligkeit dieser Sterne wächst infolge gigantischer Ausbrüche auf das Zehntausend- bis Hunderttausendfache (Novae) und das Milliardenfache (Supernovae) in relativ kurzer Zeit (bis zu einigen Wochen), um danach langsam zum Ausgangswert zurückzukehren. Die Beobachtungen zeigen, daß bei Novae- und Supernovaeausbrüchen der Stern eine Gashülle beträchtlicher Masse abstößt, wodurch um ihn ein Nebel entsteht (Abb. 2-5; s. Tafel 2). Beispielsweise ist der bekannte Krebsnebel der Überrest einer Supernova, die im Jahre 1054 beobachtet wurde. 1 ) Es gibt Novae, bei denen mehrere Ausbrüche beobachtet wurden. Nach Ktjkarkin und Parenago [23] existiert ein statistischer Zusammenhang zwischen der Amplitude und der mittleren Länge eines Ausbruchszyklus. Die Extrapolation dieses Zusammenhanges gibt für die Intervalle zwischen den Ausbrüchen typischer Novae Werte von mehreren hundert Jahren. Zu Beginn des Jahres 1968 wurden die Pulsare entdeckt, kosmische Radioquellen, die in unserer Galaxis liegen und sich durch sehr hohe Materiedichte ausNach einer Abschätzung von H o y l e [5] wurde bei diesem Ausbruch eine Energie frei, die etwa der von 1024 Wasserstoffbomben entspricht.

2.1. Sterne und Galaxien

23

zeichnen. Pulsare zeigen eine außerordentlich schnelle (Größenordnung Sekunden und weniger) und streng periodische impulsartige Strahlungsänderung. Das Beispiel des Pulsars NP 0532 1 ) im Krebsnebel zeigt, daß analoge periodische Änderungen auch in der optischen und in der Röntgenstrahlung der Pulsare auftreten können. Diese bemerkenswerte Eigenschaft der Strahlung der Pulsare zeigt, daß sie sich in ihren physikalischen Eigenschaften wesentlich von den uns bekannten Sternen unterscheiden. Insbesondere muß die Materiedichte in den Pulsaren ungewöhnlich hoch sein. Systeme von Sternen — kollektive Mitglieder der Galaxis. Wir hatten schon erwähnt, daß die Sterne in der Galaxis häufig physische Systeme bilden — Doppelsterne, dreifache und mehrfache Systeme. Duplizität und Multiplizität sind eine unter den Sternen sehr verbreitete Erscheinung. Nach den Untersuchungen der französischen Astronomen COUDERC und DANJON [ 2 4 ] ist mindestens die Hälfte der uns nächsten Sterne doppelt oder mehrfach. AMBAEZUMJAN [3] nimmt an, daß 2 / 3 aller Sterne in der Sonnenumgebung Mitglieder weiter Paare sind. Schließlich sind nach K U I P E R [ 2 5 ] mindestens 8 0 Prozent aller Sterne der Galaxis Mitglieder von Doppelstemen oder Mehrfachsystemen. Physikalische Systeme von Sternen, die eine große Anzahl von Mitgliedern enthalten, heißen Sternhaufen. Es gibt zwei Typen von Sternhaufen: offene Haufen und Kugelhaufen. Offene Haufen haben einige Dutzend bis einige Hundert Mitglieder. Ihre Form ist häufig nicht regelmäßig (Abb. 2-6, s. Tafel 3). Die Durchmesser dieser Haufen erreichen selten 20—30Parsec. Offene Sternhaufen liegen in der Nähe der Symmetrieebene der Galaxis. Kugelhaufen sind Systeme von hunderttausend und mehr Sternen; sie besitzen eine regelmäßige, fast sphärische Form, die Sterndichte wächst zum Zentrum um ein Vielfaches an (Abb. 2-7, s. Tafel 4). Die Durchmesser der Kugelhaufen liegen zwischen einigen zehn und hundert Parsec. Sehr eigentümlich ist auch die Verteilung der Kugelhaufen im Raum. Sie meiden die Symmetrieebene der Galaxis, befinden sieh in großen Abständen von uns und sind um das Zentrum der Galaxis stark konzentriert. Offene Haufen und Kugelhaufen unterscheiden sich auch durch die Art der Stempopulation. Die ersten enthalten gewöhnlich heiße Riesensterne, während die Kugelhaufen, in denen derartige Sterne nicht vorkommen, immer rote Riesen enthalten. Sternhaufen, sowohl offene als auch kugelförmige, besitzen eine sehr hohe Sterndichte 2 ), die um einen Faktor Zehn und mehr über der Dichte des galaktischen Sternfeldes (Dichte der Einzelsterne) liegt. Auf photographischen Auf-

N P 0532 ist ein im Radioobservatorium Jodreil Bank (Nuffield) entdeckter Pulsar. Die Ziffern geben die Rektaszension an. 2 ) Mit Sterndichte bezeichnet man die Anzahl der Sterne in der Volumeneinheit. 3

Ambarzumjan

24

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

nahmen des Sternhimmels heben sie sieh deshalb im allgemeinen deutlich von dem Hintergrund des allgemeinen Sternfeldes der Galaxis ab. Es gibt jedoch physikalische Systeme von Sternen, in denen die Sterndichte wesentlich unter der Dichte des galaktischen Sternfeldes liegt, so daß diese Systeme in den Sternen des Hintergrundes untergehen. Sie blieben deshalb lange Zeit unbekannt. I m J a h r e 1947 entdeckte AMBABZUMJAN [26, 27] Systeme, die eben diese Eigenschaft der geringen Sterndichte besaßen und von ihm Sternassoziationen genannt wurden. Dies war der Anfang einer neuen, äußerst fruchtbaren Entwicklungsperiode der Sternkos mogonie. Der Ausgangspunkt für die Entdeckung der Sternassoziationen war eine bei den heißen Sternen der Spektralklasse 0 und B und den Veränderlichen Sternen vom Typ T Tauri deutlich ausgeprägte Tendenz zur Gruppenbildung. Durch diese Besonderheit in der Verteilung heben sich die Sterne der Sternassoziationen deutlich von dem partiellen galaktischen Hintergrundsfeld nur dieser Klassen ab. Die Sternassoziationen werden nach ihrer Zusammensetzung in zwei Typen eingeteilt: O-Assoziationen (heiße Riesen und Überriesen) (Abb. 2-8, s. Tafel 5) und T-Assoziationen (T Tauri-Veränderliche). Neben den Sternen der Spektralklassen 0 und B gehören zu einer O-Assoziation auch Sterne späterer Klassen. I n einigen O-Assoziationen kommen auch WOLFRAYET-Sterne vor [3]. Ferner gibt es Hinweise auf den genetischen Zusammenhang von frühen M-Überriesen [29, 30] und vermutlich auch von Sternen des Spektraltyps S [31, 32] mit den O-Assoziationen. O-Assoziationen enthalten im allgemeinen als Kern ein oder mehrere Systeme heißer Sterne hoher Vielfachheit, wie Mehrfachsysteme besonderer Konfiguration (Trapeztyp), Stemketten und Sternhaufen. Außerdem enthalten sie im allgemeinen diffuse Nebel. Diese Eigenschaft ist auch f ü r die T-Assoziationen charakteristisch. Nach den Arbeiten des sowjetischen Astronomen CHOLOPOW [33, 34] kommen in T-Assoziationen häufig Mehrfachsysteme vom Trapeztyp und Sternketten aus T TaüriSternen vor. Die Entdeckung einer großen Anzahl von T Tauri-Sternen in O-Assoziationen zeigte, daß viele O-Assoziationen T-Assoziationen enthalten. Nicht alle T-Assoziationen sind jedoch mit O-Assoziationen verknüpft.

Tab. 2-1. Masse und Dichte einiger O-Assoziationen Assoziation

Masse ( M 0 = 1)

Angenommenes Volumen (pc3)

CepheusII Perseus I I Lacerta

2000

4• 10 3 • 104 7 • 105

600 700

5

Dichte (M 0 • per 3 ) 0,5 • 10"2

2,0 • 10"2 0,1 • 10"2

2.1. Sterne und Galaxien

25

Der Durchmesser der O-Assoziationen liegt (in ihrem dichteren Teil) zwischen 30 und 200 Parsec, während die Durchmesser der T-Assoziationen nur einige zehn Parsec betragen. Die Materiedichte in den Sternassoziationen ist geringer als im allgemeinen galaktischen Feld; sie können infolgedessen keine stabilen stationären Gebilde sein und müssen mit der Zeit zerfallen. Dies zeigt Tabelle 2-1, wo als Beispiel 5

20

0

0,4

0,8 Farbindex

1,2

1,6

2,0

B-V

Abb. 2-9. Farben-Helligkeits-Diagramm des sehr jungen O-Haufens NGC 2264. Kreuze bezeichnen veränderliche Sterne und Sterne mit H„-Emission. Die ausgezogene Kurve ist die Hauptreihe [37]. (NGC ist die Bezeichnung f ü r den „New General Cataloge" des amerikanischen Astronomen DEAPER, die Zahl kennzeichnet die Nummer des Objekts in diesem Katalog)

die Massen (M0 = Sonnenmasse) und Dichten für drei O-Assoziationen nach [35] angegeben sind. Selbst wenn wir die angeführten Dichtewerte, die praktisch obere Grenzwerte sind, verdoppeln, sind diese Dichten in der Assoziation Perseus II noch geringer als die Materiedichte in der Umgebung der Sonne. D i e HERTZSPBÜNG-RUSSELL-Diagramme der O - A s s o z i a t i o n e n u n d der Stern-

haufen, die ihre Kerne bilden (O-Haufen nach der Klassifikation von M A K K A R J A N [36])1) zeigen, daß die Sterne merklich von der Standardhauptreihe abweichen ') Nach der Entdeckung der Sternassoziationen erarbeitete MARKAEJAN [36] im Astrophysikalischen Observatorium Bjurakan eine neue Klassifikation offener Sternhaufen. Grundlage war der von ihm gefundene Zusammenhang zwischen deren morphologischen und strukturellen Besonderheiten und den physikalischen Eigenschaften der Mitgliedsterne. Insbesondere zeigte er, daß in der Regel nur solche Haufen Kerne von Sternassoziationen sind, in denen instabile Sternkonfigurationen vorkommen wie Mehrfachsysteme vom Trapeztyp oder Sternketten. Letztere enthalten in allen untersuchten Fällen mindestens einen Stern der Spektralklasse O oder BO. Die neue Sternhaufenklassifikation wurde bei der Lösung einer Reihe von Problemen der Evolution dieser Systeme verwendet. 3*

26

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

(Abb. 2-9): Die heißesten Sterne dieser Systeme liegen über der Mittellinie der normalen Hauptreihe [10]. Ähnliche Abweichungen beobachtet man auch in denHEBTZSPEUNG-RtTSSELL-Diagrammen der T-Assoziationen. Die Leuchtkraftfunktion von O-Assoziationen zeigt, daß der Prozentsatz der Sterne niedriger Leuchtkraft wesentlich geringer ist als der Anteil der gleichen Sterne im allgemeinen galaktischen Feld. Sowohl Einzelsterne als auch Mehrfachsysteme, Sternhaufen und Assoziationen (die kollektiven Mitglieder der Galaxis) kreisen um den Schwerpunkt der Galaxis. Jeder Stern, der Mitglied eines physikalischen Systems ist (mehrfache Steme, Sternhaufen oder Assoziationen), vollführt also zwei Bewegungen: im System um dessen Schwerpunkt und zusammen mit dem ganzen System um den Schwerpunkt der Galaxis. Die Mehrfachsysteme, die drei und mehr Mitglieder enthalten, können nach dem Charakter der Bewegung der Sterne'tnnerhalb des Systems in zwei Gruppen eingeteilt werden: gewöhnliche Systeme, und solche vom Typ des Trapezes im Orion, kurz Trapeztyp genannt. Diese von Ambakzumjajst und Markaujan [41, 42] eingeführte Einteilung hat eine wichtige Bedeutung für die Kosmogonie und die Stellardynamik. Am ein-

.c •S -A '8

•ß

•À

.c 'S

Abb. 2-10. Ein gewönhliches Mehrfachsystem (links) und ein System vom Trapeztyp

fachsten läßt sich diese Einteilung am Beispiel der Dreifach-Systeme illustrieren. Wenn die drei gegenseitigen Abstände AB, AC, BC der Mitglieder eines Systems nicht alle drei von der gleichen Größenordnung sind, haben wir ein gewöhnliches System vor uns. Im anderen Fall gehört das System zum Trapeztyp. In der Abbildung 2-10 sind Beispiele beider Typen gezeigt. Wenn die Zahl der Mitglieder eines Mehrfachsystems drei übersteigt, und wenn mindestens drei dieser Mitglieder gegenseitige Abstände von ein und derselben Größenordnung haben, muß es zum Trapeztyp gezählt werden.1) Wenn es keine drei solcher Mitglieder gibt, haben wir ein gewöhnliches System vor uns. Die Analyse der Bewegungen der Sterne in den Mehrfachsystemen dieser beiden Typen zeigt, daß der Charakter der inneren Bewegungen grundverschieden ist. In den Mehrfachsystemen vom gewöhnlichen Typ — die meisten mehrfachen Sterne in der Galaxis haben diese gewöhnliche Konfiguration — reduzieren sich die Bewegungen der Sterne näherungsweise auf einfache KEPLEE-Bewegungen. BekanntDie Sternbetten gehören in diesem Sinne zum Trapeztyp der Mehrfachsysteme.

2.1. Sterne und Galaxien

27

lieh sind KEPLER-Bewegungen periodisch; daraus folgt unmittelbar, daß die gewöhnlichen Mehrfachsysteme stabile Konfigurationen sind. In den Mehrfachsystemen vom Trapeztyp kann man demgegenüber die Bewegungen der Sterne nicht auf KEPLER-Bewegungen zurückführen; sie sind sogar instabil, und ein Teil dieser Systeme ist im Zerfall begriffen. Aus der Stellardynamik ist bekannt, daß die Gesamtenergie von Systemen, die sich in einem stationären Zustand befinden, negativ sein muß: T +

ü < 0,

(2.1)

wo T die kinetische und U die potentielle Energie des Systems ist. Anders ausgedrückt : in stationären Systemen ist die kinetische Energie kleiner als der Absolutwert der potentiellen Energie. Umgekehrt ist bei positiver Gesamtenergie das System vom stationären Zustand weit entfernt, und mindestens ein Teil seiner Mitglieder muß das System und sein Schwerefeld verlassen. Im Fall der Mehrfachsysteme vom Trapeztyp, den O-Haufen und O-Assoziationen finden wir oft diese zweite Möglichkeit verwirklicht. Diese Systeme besitzen eine positive Gesamtenergie und zerfallen deshalb [43]. Diffuse Materie. Neben den Sternen und ihren Gruppen gibt es in der Galaxis Nebel, ausgedehnte und sehr verdünnte Gas—Staub-Gebilde, die in einzelnen Fällen dynamisch und genetisch mit Sternen verbunden sind. Planetarisehe Nebel haben eine ziemlich regelmäßige, meist ring- oder scheibenartige Form (Abb. 2-11, s. Tafel 6). I m Zentrum der Nebel liegt als Kern ein sehr heißer Stern. Die Temperatur mancher Kerne erreicht 100000 K . Das Leuchten der planetarischen Nebel wird durch Umsetzung der unsichtbaren kurzwelligen Strahlung ihres Kerns in sichtbare langwellige Strahlung hervorgerufen. Die Materiedichte im Nebel ist gering, nur 10~ 20 —10~ 22 g/cm 3 ; die Radien dieser Nebel liegen unter einem Parsec. Planetarisehe Nebel sind instabile Gebilde; die Beobachtungen zeigen, daß sie expandieren [44]. Die kometenförmigen Nebel haben räumlich gewöhnlich eine konische Form mit einem Stern im Scheitelpunkt (Abb. 2-12, s. Tafel 7). Meist sind diese Sterne Veränderliche vom Typ T Tauri. Obwohl das Leuchten der Kometennebel gleichfalls von der Strahlung der mit ihnen verbundenen Sterne herrührt, ist der Leuchtmechanismus noch unklar. E s gibt gewichtige Hinweise darauf, daß das Leuchten der Kometennebel nichtthermischer Natur ist [45]. Die Massen der planetarischen Nebel und der Kometennebel betragen nur verschwindende Bruchteile der Massen der mit ihnen verbundenen Sterne. Außer diesen zwei Klassen von Nebeln gibt es in der Galaxis noch wesentlich größere Gebilde, die großen diffusen Nebel. Auch hier werden oft Hinweise auf einen genetischen Zusammenhang der Nebel mit physischen Systemen von Sternen, wie Sternhaufen und Assoziationen, gefunden. Beispielsweise besteht ein genetischer Zusammenhang zwischen dem bekannten Orionnebel (Abb. 2-13,

28

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

s. Tafel 8), dessen, heller Teil einen Durchmesser von etwa 20 Parsec hat, und den Sternen der 0 - und T-Assoziation im Orion. Die Masse der diffusen Nebel ist gewöhnlich sehr groß. Beispielsweise beträgt die Masse des Orionnebels mehr als tausend Sonnenmassen. Wegen der großen Ausmaße der diffusen Nebel beträgt die Dichte der Materie in ihnen trotzdem nur 10-22- 10" 24 g/cm 3 . Neben den hellen Nebeln (Abb. 2-14, s. Tafel 9) vom Typ des Orionnebels, deren Leuchten durch Umwandlung der Strahlung heißer Sterne durch die Gasatome sowie durch Streuung an Staubteilchen hervorgerufen wird, gibt es in der Galaxis in wesentlich größerer Zahl dunkle Nebel (Abb. 2-15, s. Tafel 10), die im optischen Teil des Spektrums nicht strahlen, da sich in ihrer Nachbarschaft keine heißen Sterne befinden. Die Anzahl der Dunkelnebel in der Galaxis muß nach den U n t e r s u c h u n g e n v o n AMBARZUMJAN u n d GORDELADSE [46] die der l e u c h t e n d e n

Nebel um fast das 2000fache übersteigen. Der in diesen Nebeln enthaltene kosmische Staub ist die Ursache der interstellaren Schwächung des Sternlichtes, der interstellaren Extinktion. Die Entdeckung und die Untersuchung der interstellaren Extinktion in der Galaxis spielte eine wichtige Rolle bei der Untersuchung ihres Aufbaues. Ein großer Fortschritt in dieser Richtung war die Entdeckung der Radiostrahlung des interstellaren Wasserstoffs. Es zeigte sich, daß der atomare Wasserstoff eine Radiolinie mit einer Wellenlänge von 21 cm auszustrahlen vermag. Da der wesentliche Teil der Masse der diffusen Nebel aus Wasserstoff im Grundzustand besteht und die Verteilung des Wasserstoffs durch die Struktur der Galaxis bedingt ist, haben die Radiobeobachtungen, die während der letzten Jahrzehnte im wesentlichen von holländischen und australischen Wissenschaftlern durchgeführt wurden, unser Wissen über den Bau der Galaxis sehr bereichert (Abb. 2-16).*) In den Jahren 1946 bis 1947 entdeckten die amerikanischen Astronomen BOK und REILLY eine Vielzahl kleiner, kreisförmiger dichter Nebel, die Globulen [48, 49], von denen sie annahmen, daß sie das Anfangsstadium der Sternbildung durch Kondensation von Staub darstellen. Nach Ansicht von OORT [8] bestehen die Globulen jedoch im wesentlichen aus Gas mit einer nur geringen Beimengung von Staub. Später fand BOK [50] sehr dichte Staubkonzentrationen in Staubwolken in Ophiuchus und Taurus. Es erwies sich, daß die mittlere Dichte des Staubes in diesen Wolken die mittlere Staubdichte im interstellaren Medium um zwei Größenordnungen übersteigt. Radiobeobachtungen des neutralen Wasserstoffs zeigten [51], daß neben den Staubkondensationen in diesen Gebieten auch große Gasverdichtungen auftreten, deren Gesamtmasse die des Staubes um eine Größenordnung übersteigt. Man kann deshalb annehmen, daß der gesamte interstellare Raum in der Galaxis x

) Eine Diskussion der Daten über den Bau der Galaxis, die u. a. auf diesen Beobachtungen beruht, ist in der Arbeit [ 4 7 ] von OORT, K E R B und W E S T E R H O U T enthalten.

2.1. Sterne und Galaxien

29

mit äußerst verdünnter Materie erfüllt ist, kosmischem Staub und Atomen der verschiedenen chemischen Elemente (Wasserstoff, Kalzium, Natrium usw.). Nach O O R T [ 5 2 ] beträgt die Gesamtmasse des Gases in unserer Galaxis einschließlich des unsichtbaren molekularen Wasserstoffs etwa 6—8 Prozent ihrer Gesamtmasse. Die Masse der staubförmigen Materie liegt um mindestens eine Größenordnung niedriger. Die Beobachtungen zeigten, daß die diffuse Materie in der Galaxis im wesentlichen in der Nähe ihrer Symmetrieebene konzentriert ist.

¡0000 Lichtjahre

Abb. 2-16. Schematische Darstellung der Spiralstruktur der Galaxis nach dem australischen Radioastronomen KERB. Die gestrichelten Streifen geben die Radiobeobachtungen des interstellaren atomaren Wasserstoffs wieder, die schwarzen Streifen und Punkte optische Beobachtungen [20]

Aus Rechnungen von O O R T folgt [52], daß von der aus dynamischen Überlegungen ermittelten totalen Materiedichte in der Milchstraßenebene in der Sonnenumgebung etwa 25 Prozent durch bekanntes interstellares Gas geliefert werden und 35 Prozent durch Sterne bekannter Typen einschließlich der allerschwächsten Zwerge. Zur Erklärung der fehlenden 40 Prozent an der Gesamtdichte schlägt O O R T folgende Möglichkeiten vor: a) die Dichte des atomaren Wasserstoffs wird gegenwärtig unterschätzt, b) die fehlende Dichte ist durch molekularen Wasserstoff bedingt, c) es gibt wesentlich mehr schwache Sterne, als man gegenwärtig annimmt. Aus den folgenden Darlegungen wird klar werden, daß es noch eine vierte Möglichkeit zur Erklärung der erwähnten Tatsache gibt, und zwar das Vorkommen von unsichtbaren praestellaren Körpern.

30

2. Kosmogonie

der Sterne und

Galaxien

Untersysteme. Der amerikanische Astronom B A A D E [53] bemerkte als erster schwerwiegende Unterschiede in den Eigenschaften von Sternen aus verschiedenen Teilen der Galaxis. Es zeigte sich, daß das HERTZSPRUNG-RcrssELL-Diagramm der Sonnenumgebung (Abb. 2 - 2 ) nur für Sterne der Population I (nach B A A D E ) charakteristisch ist, zu der die Riesen der Spektralklassen 0—A, die Cepheiden und die offenen Sternhaufen gehören. Das H R D für Sterne der Population I I (nach B A A D E ) , ZU der die Kugelhaufen, die RR Lyrae-Sterne und die Unterzwerge gehören, unterscheidet sich davon beträchtlich. In der Abbildung 2-17 sind die den Populationen der Galaxis entsprechenden Diagramme gegenübergestellt.

A b b . 2-17. Vergleichendes HERTZSPRUNG-RUSSELL-Diagramm. D i e w e i ß e n B ä n der stellen die BAADEsche P o p u l a t i o n I dar, die gestrichelten die P o p u l a t i o n I I [19]

Sterne, die zu verschiedenen Populationen gehören, unterscheiden sich nicht nur durch ihr HRD, sondern auch durch räumliche Verteilung, Geschwindigkeitsverteilung usw. Die Sterne der Population I bilden ein flaches System um die Äquatorebene der Galaxis, während die Sterne der Population I I im Gebiet des zentralen Kerns der Galaxis und in großen Entfernungen von der Milchstraßenebene vorkommen (Abb. 2-18, s. Tafel 11). Bei tieferem Eindringen in diese Frage zeigt sich, daß die BAADEsche Klassifikation der Sternpopulationen zu einfach ist [54, 55]. Aus den Arbeiten des sowjetischen Astronomen K U K A R K I N [54] folgt, daß es in der Galaxis eine Vielzahl sich gegenseitig durchdringender Untersysteme von Objekten verschiedener physikalischer Eigenschaften gibt, die unterschiedliche räumliche Verteilung und kinematische Eigenschaften besitzen (z. B. das Untersystem der klassischen Cepheiden, das der Dunkelnebel, das der offenen Sternhaufen usw.). Die Untersysteme gruppieren sich zu drei Komponenten in der Galaxis: eine flache, eine intermediäre und eine sphärische. Sie durchdringen sich gegenseitig. Die Benennung der Komponenten ist nach ihrer räumlichen Verteilung in der Galaxis gewählt. Objekte der flachen Komponente sind stark zur Milchstraßenebene, jedoch schwach zum galaktischen Zentrum konzentriert. Objekte der

2.1. Sterne und Galaxien

31

sphärischen Komponente zeigen umgekehrt eine starke Konzentration zum galaktischen Zentrum und eine nur schwache zur Milchstraßenebene. Die intermediäre Komponente hat eine dazwischenliegende Verteilung. Darüber hinaus haben die einzelnen flachen Untersysteme eine unterschiedliche Verteilung in dem abgeplatteten Volumen um die Symmetrieebene. Die Sterne einiger Untersysteme kommen, bevorzugt in den Spiralarmen vor, die Sterne anderer sind fast gleichmäßig in der gesamten Ebene verteilt. Sie bilden gemeinsam die Population der galaktischen Scheibe (Scheibenpopulation). Die Geschwindigkeitsverteilung der Sterne und ihre räumliche Verteilung in der Galaxis sind voneinander abhängig. Die Sterne der flachen Untersysteme besitzen keine Pekuliargeschwindigkeiten senkrecht zur Symmetrieebene der Galaxis (in der z-Richtung) und bewegen sich um das galaktische Zentrum auf fast kreisförmigen Bahnen. Für die Steme der intermediären Untersysteme sind wesentlich größere Geschwindigkeitskomponenten in der z-Richtung charakteristisch, und ihre galaktischen Bahnen sind merklich zur Milchstraßenebene geneigt. Die Sterne der sphärischen Untersysteme schließlich besitzen die größten z-Komponenten und große Geschwindigkeiten in der Milchstraßenebene. Auf der Grundlage eines breiten Beobachtungsmaterials und unter Berücksichtigung theoretischer Vorstellungen über mögliche Entwicklungswege wurde im Jahre 1957 auf einer internationalen Konferenz zum Problem der Sternpopulationen die in Tabelle 2-2 aufgeführte Einteilung der Sterne in Populationen Tabelle 2-2. Sternpopulationen Population

Extreme Population I (flache Komponente)

Zusammensetzung

z (Parsec)

Gas, junge Sterne der Spiralarme, 120 Überriesen, Cepheiden, T TauriSterne, O-Haufen Alte Population I A-Sterne, Sterne mit starken 160 (alte flache Komponente) Linien Scheibenpopulation Sterne des galaktischen Kernes, 300—450 planetarische Nebel, Novae, RR Lyrae-Sterne mit Perioden unter 0.4 Tagen, Sterne mit schwachen Linien Intermediäre Population II Schnelläufer, langperiodische Ver700 (Intermediäre Komponente) änderliche mit Perioden unter 250 Tagen und Spektren früher als M 5 Halopopulation II Kugelhaufen mit hohen z-Geschwin- 2000 (Sphärische Komponente) digkeiten, Unterzwerge und RR Lyrae-Sterne mit Perioden über 0.4 Tage

Gesamtmasse (IO9 Sonnenmassen) 2

5

47

16

32

2. Kosmogonie

der Sterne und

Galaxien

angenommen [56], Charakteristisch für den Konzentrationsgrad der Sterne der betreffenden Population zur Symmetrieebene der Galaxis ist deren mittlere Entfernung z von dieser Ebene. Die Konzentration zum Zentrum der Galaxis ist für Sterne der beiden ersten Populationen (flache Komponente) schwach, für die letzten drei Populationen stark. Die Untersysteme unterscheiden sich jedoch, wie schon bemerkt, nicht nur in ihrer räumlichen Verteilung. Untersystemen verschiedener Art entsprechen auch verschiedene Geschwindigkeitsverteilungen. Die Dispersion der Geschwindigkeiten der Sterne wächst beträchtlich beim Übergang von flachen zu intermediären und sphärischen Untersystemen. Unsere Galaxis ist also eine Überlagerung einer Reihe von Untersystemen verschiedener Form und verschiedener Geschwindigkeitsverteilungen der Steme. Galaxien. Nach der Klassifikation von H U B B L E [ 5 7 ] teilt man die Galaxien in drei Grundtypen ein: elliptische (E), spiralförmige (S) und unregelmäßige oder irreguläre (I). Einige Vertreter dieser Typen zeigen die Abbildungen 2-19 bis 2-23, s. Tafeln 12 bis 16. Die Spiralsysteme und die elliptischen Galaxien unterteilte H U B B L E in Unterklassen. Bei den Spiralgalaxien entsprechen die Unterklassen im wesentlichen dem verschiedenen Ausbildungsgrad der Spiralarme. Galaxien mit schwach ausgebildeten Armen werden der Klasse Sa zugeordnet, solche mit sehr stark entwickelten und offenen Arm.en der Klasse Sc, während die Klasse Sb eine Zwischenstellung einnimmt. Beim Übergang Sa—Sb—Sc nimmt auch die Ausdehnung der zentralen Verdichtung (bulge) der Galaxien immer mehr ab. Es gibt eine besondere Art von Spiralgalaxien, bei denen die Spiralarme nicht im Zentrum beginnen, wie bei den normalen Spiralen, sondern an den Enden eines aus Sternen bestehenden zentralen „Balkens" (Abb. 2-22). Das sind die sogenannten Balkenspiralen (SB), deren Unterklassen in Analogie zu den gewöhnlichen Spiralen mit SBa, SBb und SBc bezeichnet werden. Die Anzahl dieser Galaxien ist relativ gering. Die Klasseneinteilung der elliptischen Galaxien geschieht nach ihrer Abplattung. Die am wenigsten abgeplatteten, kreisförmigen elliptischen Galaxien entsprechen der Klasse EO, die am stärksten abgeplatteten der Klasse E 7. Später wurde noch eine Klasse SO eingeführt für Galaxien, die noch stärker abgeplattet sind als E 7 und eine deutliche zentrale Verdichtung besitzen, aber keine Spiralarme (Abb. 2-23). Die Abbildung 2-24 zeigt schematisch die Folge der Galaxientypen nach HUBBLE.

Die angeführte Klassifikation der Galaxienformen ist ziemlich grob; eine detailliertere Klassifikation erarbeitete in letzter Zeit D E V A U C O U L E U R S [59]. Aber auch die ausführlichste Klassifikation erschöpft nicht die Vielfalt der Galaxienformen, die im Weltall beobachtet werden. Eine neue Klassifikation der Galaxienformen, in der versucht wurde, eine möglichst enge Korrelation zu der Sternpopulation des inneren hellen Teiles der

2.1. Sterne und Galaxien

33

Galaxie zu erreichen, erarbeitete MOEGAN [60], indem er von integralen Galaxienspektren ausging, die er gemeinsam mit MAYALL [61] untersucht hatte. Als Hauptkriterium dient der Grad der Helligkeitskonzentration im Zentrum der Galaxien. Zu den Grundtypen der HuBBLEschen Klassifikation — Spiralen, Balkenspiralen, Ellipsen und Irreguläre — kommen in der MoBGANschen Klassifikation vier neue: elliptische Systeme mit deutlicher Extinktion (Ep), rotationssymmetrische Systeme .ohne deutlich ausgeprägte spiralförmige oder elliptische Struktur (D),

Abb. 2-24. Typenfolge der Galaxien nach HUBBLE. Das Diagramm zeigt schematisch die Klassifikationsfolge. Eine sehr kleine Anzahl von Galaxien gemischter Typen liegt zwischen den beiden Folgen der Spiralen [58]

Systeme mit geringer Oberflächenhelligkeit (L) und Systeme, die kleine helle Kerne auf einem wesentlich schwächeren Hintergrund zeigen (N). Zum Typ D gehören auch Galaxien ohne Spiralstruktur mit symmetrischer Verteilung der absorbierenden Staubwolken. Die Untertypen entsprechen den verschiedenen Konzentrationsgraden der Helligkeit. Für das weitere sind hiervon die N-Galaxien wichtig. Eine große Vielfalt beobachtet man auch in den Dimensionen, den Leuchtkräften und den Massen der Galaxien. Während in den Zwerggalaxien die Zahl der Sterne von der Größenordnung einer Million ist (in einer von ZWICKY [62] im Steinbock gefundenen Galaxie sogar unter 100000), befinden sich in unserer Galaxis mehr als 100 Milliarden, und in der uns nächsten Überriesengalaxie, dem Andromedanebel (Abb. 2-25, s. Tafel 17), mehr als 400 Milliarden Sterne. Die Zahl der Sterne in den größten Galaxien ist also millionenfach größer als in Zwerggalaxien. Überriesengalaxien haben eine um das Hunderttausend- und sogar Millionenfache höhere Leuchtkraft als Zwerg- und Unterzwerggalaxien. Von etwa der gleichen Größenordnung sind auch die mittleren Massen der Galaxien [64], Die Tabelle 2-3 [63] gibt eine Vorstellung über die mittleren Leuchtkräfte der Galaxien der verschiedenen Klassen. Stark unterschiedlich sind auch die Durchmesser der Galaxien; sie liegen zwischen einigen 100 Parsec und einigen 10000 Parsec. Die Zahl der Galaxien steigt beim Übergang zu niedrigen Leuchtkräften stark an (Abb. 2-26).

34

2. Kosmog onie der Sterne und Galaxien

Ungeachtet der großen Unterschiede in der mittleren Anzahl der Sterne pro Volumeneinheit in den verschiedenen Galaxien ist diese Zahl stets so gering, daß die mittlere freie Weglänge hunderttausend- und millionenfach größer als die Dimension der Galaxie ist. Unter der Wirkung des Gravitationsfeldes aller übrigen Sterne einer Galaxie bewegt sich jeder Stern um den Schwerpunkt des gesamten Systems. Der Einfluß Tab. 2-3. Leuchtkräfte der Galaxien Leuchtkraftklasse

Leuchtkraft (106 Sonnenleuchtkräfte)

Überriesen Riesen Galaxien mittlerer Leuchtkraft Zwerge Unterzwerge*)

> 10000 250—10000 10—250 1 — 10 < 1

*) Nach ZWICKY [64] gibt es „Pygmäen-Galaxien" (pygmy-galaxies), deren Leuchtkraft von der Größenordnung 1000 Sonnenleuchtkräfte ist, und sogar „Gnom-Galaxien" (gnome-galaxis) mit einer Leuchtkraft der Größenordnung 10 Sonnenleuchtkräfte.

Abb. 2-26. Die Leuchtkraftfunktion der Galaxien. Die vertikale Achse enthält die Zahl der Galaxien mit der auf der Abszisse angegebenen absoluten Helligkeit [65]

der Gravitation benachbarter Galaxien führt nur zu geringen Störungen dieser Bewegungen, da die gegenseitigen Abstände der Galaxien ihre linearen Abmessungen wesentlich übersteigen. Die Zahl der Sterne im intergalaktischen Räume ist verschwindend klein. Sehr verschiedenartig sind die Galaxien auch in ihrem Gehalt an diffuser Materie. Die Menge der diffusen (gasförmigen) Materie in unserer Galaxis beträgt vermutlich etwa 2 Prozent der Gesamtmasse. Noch geringer ist der relative Gehalt an diffuser Materie im Andromedanebel. Es gibt jedoch Galaxien mit einem wesentlich größeren relativen Gehalt an diffuser Materie. So umfaßt z. B. in den benachbarten Begleitern unserer Galaxis, den Magellanschen Wolken (Abb. 2-27,

2.1. Sterne und Galaxien

35

s. Tafel 18), die Gesamtmasse der diffusen Materie etwa 10 Prozent der Gesamtmasse dieser Systeme, vielleicht sogar mehr. Allein die Masse des riesigen Nebels 30 Doradus in der großen Magellanschen Wolke beträgt etwa 10 Millionen Sonnenmassen. Derartig große Nebel gibt es in unserer Galaxis nicht. Es gibt jedoch viele Galaxien-, in denen der relative Gehalt an diffuser Materie verschwindend gering ist. In elliptischen Galaxien fehlt z. B . diffuse Materie nach allen vorliegenden Daten fast völlig [26]. 1 ) In Tabelle 2-4 sind einige Angaben über den Gehalt von interstellarem neutralem (atomarem) Wasserstoff in Galaxien verschiedener Typen nach den in [67] angegebenen Daten zusammengestellt. Tab. 2-4. Wasserstoffgehalt von Galaxien Galaxie

Typ

Milchstraßensystem M 31 M 23 M 101 M 32 Gr. Mag. Wolke KI. Mag. Wolke

Sb Sb Sc Sc E2 I I

Abstand kpc



630 630 2600 630 50 50

Masse (10 9 Sonnenmassen) Wasserstoff gesamt

1,5 4,5 1,0 3,0 ^ 0,06 0,54 0,48

100 480 18 140 14 6,1 1,5

Prozentsatz des Wasserstoffs

1,5 0,9 5,6 2,1 g 0,4 9*) 32

*) Der Wasserstoffgehalt der Großen und der Kleinen Magellanschen Wolken ist aus der späteren Arbeit [68] entnommen.

Kosmogonisch sehr bedeutungsvoll ist der Befund, daß ungeachtet der bedeutenden Unterschiede im relativen Gehalt von diffuser Materie die Hauptmasse der Galaxien in den allermeisten Fällen in den Sternen enthalten ist. Galaxien verschiedener Typen unterscheiden sich beträchtlich in ihrem relativen Gehalt an S'ternpopulationen der verschiedenen Untersysteme. In Spiralgalaxien mit gut entwickelten Armen treten die O-Assoziationen durch ihre Helligkeit hervor [69, 70]. Das ist besonders gut auf Fotografien im blauen Licht zu sehen, da die heißen Riesensterne, aus denen die Assoziationen bestehen, in diesem Spektralbereich sehr intensiv strahlen (Abb. 2-28, s. Tafel 19). So bestätigt in unserer Galaxis die Lage der O-Assoziationen auf Spiralarmen [71] die schon früher gezogene Folgerung, daß sie der Klasse der Spiralgalaxien angehört [72, 73]. U

)

B A A D E und S P I T Z E K [66] nehmen an, daß für das Fehlen von diffuser Materie in S O Galaxien, die hauptsächlich in reichen Galaxienhaufen vorkommen, Zusammenstöße der Galaxien verantwortlich sind, wobei das in ihnen enthaltene Gas in den intergalaktischen Raum getrieben wird.

36

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

Jedoch gibt es O-Assoziationen nicht nur in Spiralgalaxien. Auch unter den Galaxien mit unregelmäßiger Form und niedriger Leuchtkraft begegnen uns häufig Systeme, die sehr reich an O-Assoziationen sind. I n diesen Fällen sind die Assoziationen regellos über das gesamte Volumen dieser Galaxien verteilt. Solche Systeme sind z. B. die uns nächsten irregulären Galaxien, die Große und die Kleine Magellansche Wolke, sowie NGO 6822 und IC 1613. Ebenso wie in unserer Galaxis zerfallen auch in anderen Spiralgalaxien die flachen Untersysteme in zwei Gruppen. Die Population der ersten Gruppe ist im wesentlichen in den Spiralarmen anzutreffen, die Population der zweiten Gruppe ist fast gleichmäßig über die gesamte Äquatorialebene der Galaxie verteilt; ihre Dichte wächst zum Zentrum des Systems an (Scheibenpopulation). Alle Galaxien bestehen ähnlich wie unsere eigene aus einer Überlagerung von Untersystemen verschiedener Form und Sternpopulationen. So sind die großen Spiralgalaxien vom Typ unserer Galaxis komplizierte Systeme, die aus Scheibe, Spiralärmen und sphärischen Untersystemen bestehen, während elliptische Galaxien im wesentlichen, wenn nicht ausschließlich, sphärische Untersysteme enthalten. Die Magellanschen Wolken sind andererseits äußerst reich an O-Assoziationen, Objekten flacher Untersysteme; sphärische Untersysteme sind in ihnen dagegen schwach vertreten. Mehrfachsysteme und Galaxienhaufen. Seit dem Ende der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts entstand insbesondere durch die Arbeiten des amerikanischen Astronomen ZWICKY [74] die Vorstellung, daß die Galaxien eine starke Tendenz zur Bildung von Gruppen und Haufen zeigen. Weitere Untersuchungen der Verteilung der Galaxien, im wesentlichen in den USA durch ZWICKY [75] sowie durch NEYMAN und Mitarbeiter [76] durchgeführt, zeigten, daß die Tendenz zur Gruppenbildung bei Galaxien wesentlich stärker aus-

2,0

Abb. 2-31. Schema der Lokalen Gruppe. Dargestellt sind die bekannten nächsten Galaxien. Die Radien der Kreise sind in Millionen Lichtjahren angegeben [77]

2.1. Sterne und Galaxien

37

geprägt ist als bei Sternen. Der größte Teil der Galaxien ist Mitglied von Mehrfachsystemen (Abb. 2-29, s. Tafel 20) oder Galaxienhaufen (Abb. 2-30, s. Tafel 21). So bilden unsere Galaxis und ihre Begleiter (die Magellanschen Wolken) zusammen mit M31 (dem Andromedanebel) und seinen Begleitern (elliptischen Galaxien), der Spiralgalaxis M33 und einer Reihe irregulärer und elliptischer Zwerggalaxien Tab. 2-5. Die Verteilung der Mehrfachgalaxien nach dem Grad der Multiplizität Multiplizität des Systems

Zahl der Systeme

Multiplizität des Systems

Zahl der Systeme

2

695

5

6

3

96

6

8

4

22

die sogenannte Lokale Gruppe von Galaxien (Abb. 2-31). Fast alle Galaxientypen der HüBBLEschen Klassifikation sind also in der Lokalen Gruppe enthalten. Die Zahl der Einzelgalaxien ist sehr gering. Zwischen den Galaxiensystemen gibt es fast kein allgemeines (intergalaktisches) Galaxienfeld.

17

15

212

«

216

318

168



• •

Abb. 2-32. Konfiguration der sechs hellsten Mehrfachgalaxien aus dem HOLMB E R G s c h e n Katalog. Alle sind Systeme vom Trapeztyp [81]. Die Zahlen sind die Nummern im H o L M B E R G s c h e n Katalog [ 7 9 ]

A M B A R Z U M J A N [78] weist auf den folgenden, für das Problem der Galaxienentwicklung wichtigen Befund hin. Im Unterschied zu den Mehrfachsternen haben die meisten Mehrfachgalaxien Konfigurationen vom Trapeztyp. Tabelle 2-5 [80] zeigt die Verteilung der im Katalog des schwedischen Astronomen H O L M B E R G [79] enthaltenen Mehrfachgalaxien nach dem Grad ihrer Multiplizität. Von 132 Systemen höherer Multiplizität (3 und mehr) haben nach [78] 87 eine Konfiguration vom Trapeztyp (Abb. 2-32). Nach Abzug der möglichen Zahl „falscher"

38

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

Trapeze, die durch Projektion von gewöhnlichen Mehrfachsystemen entstanden sind, zeigte es sich, daß immerhin mehr als die Hälfte dieser Systeme reelle Trapeze sind. Unter den Mehrfachgalaxien herrschen also Trapezsysteme vor, die oft eine positive Gesamtenergie besitzen. Systeme mit positiver Gesamtenergie begegnen uns auch unter den Galaxienhaufen. Die aus Radialgeschwindigkeiten bestimmte kinetische Energie der Komponenten dieser Systeme übersteigt die zulässige Größe, den Absolutwert der potentiellen Energie, um ein Vielfaches.1) Aus der Tatsache, daß die Gesamtenergie von Galaxiensystemen positiv ist, folgt unmittelbar, daß diese dynamisch instabil sind und sich im Raum zerstreuen müssen. Beobachtungsdaten über einzelne Galaxiensysteme bestätigen diesen wichtigen Schluß. I n den letzten Jahren wurden Hinweise auf die dynamische Instabilität der Galaxienhaufen in Yirgo, Hercules [82], Sculptor [83] und einiger anderer Systeme gefunden. I n dem uns relativ nahen Sculptorhaufen übersteigt die kinetische Energie nach den Untersuchungen von DE VAUCOHLEURS [83] den Absolutwert der potentiellen Energie um mehr als eine Größenordnung. In Arbeiten von E. und G. BURBIDGE [84, 85] wurde gezeigt, daß sehr wahrscheinlich auch die unter der Bezeichnung STEPHANsches Quintett bekannte Galaxiengruppe instabil ist. Nach Untersuchungen von MAUKARJAN [86—88] haben einige Galaxienketten in Virgo, Leo u. a. positive Gesamtenergie. Für einige weitere Galaxiensysteme fand KALLOGLJAN [89] vom Astrophysikalischen Observatorium Bjurakan eine positive Gesamtenergie. Es gibt noch weitere Beispiele dynamisch instabiler Galaxiensysteme (siehe z. B. [263]). Auch die Galaxiensysteme VV 172, YV 159 (aus dem Galaxienkatalog von WORONZOW-WELJAMINOW) [90] und das SEYFERTsche Sextet ([91] Seite 99) scheinen nach den neuesten Daten dynamisch instabil zu sein. Die Beobachtungsdaten zeigen, daß die Galaxienhaufen und -gruppen sich in ihrer Populationszusammensetzung unterscheiden. Beispielsweise enthält die Lokale Gruppe nicht eine einzige elliptische Riesengalaxis. Dagegen besteht der sehr reiche Virgo-Haufen aus Riesen- und sogar Überriesenellipsen, Spiralen und irregulären Galaxien. In den großen sphärischen Galaxienhaufen überwiegen elliptische Galaxien (Coma-Haufen), in den unregelmäßigen Haufen dagegen die spiralförmigen und irregulären Galaxien, während elliptische allgemein fehlen (Ursa Major-Haufen). Die Lokale Gruppe, der Virgo-Haufen, sowie einige andere Galaxiengruppen

l

) Dieser Wert wird unter zwei Annahmen ermittelt: a) das Verhältnis der Masse einer Galaxie zu ihrer Leuchtkraft ist für jede Galaxienklasse eine Konstante, die aus Untersuchungen der Rotation einzelner Galaxien bekannt ist, und b) die wesentliche Masse des Systems ist in den Galaxien enthalten.

2.1. Sterne und Galaxien

39

bilden ein gemeinsames System, den sogenannten lokalen Superhaufen, dessen Zentrum im Virgo-Haufen liegt [92, 93]. Obwohl ZWICKY annimmt [94], daß die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitation (sie ist gleich der Lichtgeschwindigkeit) die Dimensionen der Systeme soweit begrenzen muß, daß sie nur wenig größer als die uns bekannten größten Galaxienhaufen sein können, zeigen die Untersuchungen doch [95—97], daß an dem Vorhandensein von Systemen von Galaxienhaufen (Haufen zweiter Ordnung) offensichtlich nicht zü zweifeln ist. 1 ) Dabei ist Giund f ü r die Annahme vorhanden, daß nicht n u r viele Galaxiensysteme, sondern auch der gesamte lokale Superhaufen instabil ist [100, 101]. Die Erscheinung der „Rotverschiebung". I m Jahre 1914 fand SLIPHEB [102] beträchtliche Linienverschiebungen in den Spektren der Galaxien. HUBBLE [103] betrachtete später diese Verschiebungen als DOPPLEB-Verschiebungen und bestimmte die Radialgeschwindigkeiten der Galaxien nach der bekannten Formel v o n DOPPLEB u n d FIZEAU (2.2)

wo AX = X — X0, X die gemessene Wellenlänge einer Spektrallinie, X0 deren Laboratoriumswellenlänge und c die Lichtgeschwindigkeit bezeichnen. Es zeigte sich, daß die Radialgeschwindigkeiten VT aller Galaxien, außer bei einigen der allernächsten, positiv sind und proportional zu ihrem Abstand wachsen (Abb. 2-33, s. Tafel 22): Vr =

Hr.

(2.3)

I n dieser Beziehung ist der Proportionalitätskoeffizient H die sogenannte HUBBLEKonstante. HUBBLE [102] bestimmte sie zu H — 5 4 0 km/s pro Megaparsec (Mpc), d. h., pro Million Parsec Abstandsänderung wächst die mittlere Radialgeschwindigkeit um 540 km/s. Aus den Radialgeschwindigkeiten einer großen Anzahl von Galaxien zog HTJBBLE [104] im folgenden den Schluß, daß diese Gesetzmäßigkeit f ü r alle Galaxien gilt, bis hin zu den allerentferntesten. I n einer Untersuchung von HUMASON, MAYALL und SANDAGE [105], die ein wesentlich größeres Beobachtungsmaterial verwendeten, wird diese Folgerung von HUBBLE voll bestätigt (Abb. 2-34).

Die HUBBLE-Beziehung wird in weitem Maße zur Bestimmung der Abstände von Galaxien benutzt. Dazu muß allerdings der genaue Zahlenwert der HUBBLEKonstanten bekannt sein, weil sich sonst nur die relativen Abstände der Galaxien ergeben. 1

) ZWICKY und Mitarbeiter [99] verneinen auf Grund der in ihrem „Katalog von Galaxien und Galaxienhaufen" [98] enthaltenen Beobachtungsdaten die Existenz von Systemen von Galaxienhaufen.

4 Ambarzumjan

40

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

Deshalb ist die Bestimmung des Wertes der HuBBLE-Konstanten, die den absoluten Maßstab der intergalaktischen Abstände bestimmt, von sehr großer Bedeutung. Wie BAADE [107] sowie andere Autoren [105, 108—111] nachwiesen, war der Wert dieser HuBBLE-Konstanten um ein Mehrfaches überschätzt worden. Nach einer Neubestimmung von SANDAGE und TAMMANN [112] wird gegenwärtig mit dem Wert H = 55 ± 7 km/s Mpc gerrechnet.

Abb. 2-34. Die HTRBBLE-Beziehung. Die Messungen beziehen sich auf fast 1000 Galaxien, darunter Mitglieder von mehr als 20 Haufen [106]

Mit dem neuen Wert der HuBBLE-Konstanten vergrößerten sich alle intergalaktischen Abstände beträchtlich. Die relativen Leuchtkräfte und Dimensionen der extragalaktischen Objekte änderten sich dadurch nicht, jedoch ihre Absolutwerte, d. h. das Verhältnis zu Leuchtkraft und Größe unserer Galaxis. Quasare. Im Jahre 1963 wurden die quasistellaren Radioquellen (Quasare) entdeckt, die zweifellos extragalaktischer Natur sind. Quasare sind sternartige Objekte mit mächtiger optischer und Radiostrahlung, die um ein Vielfaches die Strahlung von Überriesengalaxien übertrifft. Eine charakteristische Eigenschaft dieser Strahlung ist die ungewöhnlich hohe Intensität im ultravioletten Spektralbereich. In den Spektren der Quasare treten breite Emissionslinien auf, manchmal enthalten sie auch Absorptionslinien. In beiden Fällen zeigen die Linien außerordentlich hohe Rotverschiebungen. Quasare besitzen verhältnismäßig geringe Ausmaße. Von Zeit zu Zeit erscheinen offensichtlich in ihnen stark konzentrierte Strahlungsquellen, die eine beträchtliche Änderung des Strahlungsstromes sowohl im Optischen als auch im Radiogebiet bewirken. Die Beobachtungsdaten der letzten Zeit weisen darauf hin, daß die Strahlung der Quasare im allgemeinen auch im Infraroten anomal intensiv ist.

2.2. Entstehung und Entwicklung

2.2.

der Sterne

41

Entstehung und Entwicklung der Sterne

Historische Übersicht und Stand des Problems. Die ersten ernsthaften Versuche, ein Schema der Sternentwicklung aufzustellen, sind mit den Namen R U S S E L L und J E A N S verbunden. Beide hielten sich an die klassische Konzeption der Stementstehung durch Kondensation von diffuser Materie. R U S S E L L [ 1 1 3 ] ging von der Annahme aus, daß die Entwicklung eines Sternes von bestimmten Veränderungen seines Spektrums und seiner Leuchtkraft begleitet ist, und betrachtete das HERTZSPRUNG-RUSSELL-Diagramm als Abbild dieser Entwicklung. E r setzte deshalb voraus, daß jeder Stern im Laufe seines Lebens einen bestimmten Weg in diesem Diagramm durchläuft. Dieser Weg soll zwar für alle Sterne gleich sein. Da die Sterne jedoch zu verschiedenen Zeiten entstanden sind, befinden sie sich an verschiedenen Punkten des H E R T Z S P R U N G RussELL-Diagramms. Weiter ging er von der Annahme aus, daß die Sterne während der Entwicklung laufend kontrahieren. Sie entstehen als äußerst ausgedehnte gigantische rote Sterne, erwärmen sich durch allmähliche Kontraktion und verwandeln sich in heiße Riesen der Spektralklassen 0 und B . Bei intensiver Ausstrahlung erkalten sie dann durch Erschöpfung der Energiequellen und beenden ihr Leben als kalte Zwerge. J E A N S [ 1 1 4 ] ging umgekehrt von der Annahme aus, daß alle Sterne gleichzeitig vor etwa 1 0 1 2 bis 1 0 1 3 Jahren entstanden und das H E R T Z S P R U N G - R U S S E L L Diagramm eine Folge der Unterschiede in den Anfangsbedingungen bei der Sternbildung ist. J E A N S [ 1 1 4 ] entwickelte die Theorie der Gravitationsinstabilität, die eine zentrale Rolle nicht nur in seiner Hypothese, sondern auch in den späteren Hypothesen der Sternbildung durch Kondensation diffuser Materie spielt. E r betrachtete ein unbegrenztes gasförmiges Medium gleichförmiger Dichte und konstanter Temperatur und ermittelte die Bedingungen für die Gravitationsinstabilität des Gases bezüglich Störungen, die im Medium infolge der mit der Zeit auftretenden kleinen Dichtefluktuationen entstehen. Diese isothermen Dichteänderungen haben Änderungen des Gravitationsfeldes zur Folge. Dadurch entsteht eine Gravitationsinstabilität, eine Fragmentation des Gases in einzelne Klumpen, die danach unter der Wirkung des eigenen Gravitationsfeldes kondensieren.

Die Hypothesen von R U S S E L L und J E A N S erwiesen sich später als unbefriedigend. So widersprechen z. B . die relativ jungen Sterne in der Galaxis der J E A N S schen Ausgangsannahme, daß die Sterne in der Galaxis gleichzeitig entstanden, während die Existenz von äußerst dichten heißen Sternen, der Weißen Zwerge, eine unüberwindliche Schwierigkeit für die Entwicklungstheorie von R U S S E L L i s t : in diesem Schema ist für sie kein Platz. Außerdem zeigte es sich, daß die Massen der Zwerge nur einen Bruchteil der Massen der Riesen betragen, in krassem Gegensatz zur RussELLschen Hypothese. Aus dem Problem der Energiequellen der Sterne ergaben sich bald weitere Hinweise für die Sternentwicklung. 4*

42

2. Kosmogonie

der Sterne und

Galaxien

In der Kontraktionshypothese von HELMHOLTZ und KELVIN wurde vorausgesetzt, daß die kontinuierliche Ausstrahlung der Sterne durch gravitative Kontraktion aufrechterhalten wird. Die Existenz von Sternen von der Art der Sonne, deren Alter von der Größenordnung 109 Jahre ist (geologische Daten bezüglich Uran und Blei oder Helium und Blei in radioaktiven Mineralien: 1.6 • 109 Jahre) spricht jedoch gegen diese Hypothese. Der englische Wissenschaftler EDDINGTON [115] zeigte, daß bei Gültigkeit dieser Hypothese die zulässige Obergrenze des Alters der Sonne 2 • 107 Jahre beträgt, was in krassem Widerspruch zu geologischen Daten steht (das Alter der ältesten Sedimente auf der Erde beträgt 1.3 • 109 Jahre). Für massereichere Sterne lieferte die Kontraktionshypothese eine noch kürzere Zeitskala der Größenordnung 105 Jahre. Etwa zu dieser Zeit gelangte RUSSELL [116] zu dem Schluß, daß als Quellen der Sternenergie nur Kernreaktionen in Frage kommen. EDDINGTON [117] betrachtete als erster die Elementenumwandlung als mögliche Quelle der Strahlung von Sternen, die 1010 Jahre alt sind. Da Wasserstoff im Sterninneren außerordentlich häufig ist, war die Wahrscheinlichkeit, daß Protonen an Umwandlungsprozessen teilnehmen, wesentlich größer als für Kerne mit hohen Ordnungszahlen. Man setzte deshalb voraus, daß ein großer Teil der stellaren Energie aus Umwandlungsprozessen entsteht, die zu einer Bildung von höheren Elementen aus Wasserstoff führt. 1 ) Wenn man annimmt, daß die Sonne zu Beginn aus reinem Wasserstoff bestand, so würde dieser zur Aufrechterhaltung des Verbrauchs an Sonnenenergie für 1.1 • 1011 Jahre ausreichen. Für Sterne höherer Leuchtkraft wird die Zeitskala selbstverständlich wesentlich kürzer. In der Annahme von Elementenumwandlungen als Quellen der Sternenergie ist schon die Idee einer Entwicklung der Sterne enthalten, die mit Veränderungen ihrer chemischen Zusammensetzung und der Strahlungsintensität verbunden ist. Davon ausgehend entwickelte RUSSELL [123] eine Theorie der Sternentwicklung auf der Grundlage der Hypothese der Elementenumwandlung. 1

) Das Problem der Kernreaktionen lösten endgültig im Jahre 1938 BETHE [118] und von WEIZSÄCKER [119]. Sie zeigten, daß sich im Sterninneren im sogenannten Kohlenstoff— Stickstoff-Zyklus (C—N-Zyklus), der bei Temperaturen von einigen Millionen Grad abläuft, Wasserstoff in Helium umwandeln kann. Später wurde nachgewiesen [120], daß bei verhältnismäßig niedrigen Temperaturen die Proton—Proton-Reaktion (p—p-Reaktion) gleichfalls Wasserstoff in Helium verwandelt. Man nimmt gegenwärtig an, daß eben diese thermonuklearen Reaktionen die Energiequelle der Sonne und der Sterne darstellen. Die Geschichte und der gegenwärtige Stand des Problems der thermonuklearen Reaktionen als Energiequelle der Sterne sowie damit zusammenhängende Fragen des Aufbaus und der Entwicklung der Sterne wurden im Nobelvortrag von BETHE [121] dargelegt. Im Jahre 1953 analysierte AMBABZUMJAN [122] als erster einige Erscheinungen, welche zeigen, daß in einer Reihe von Fällen die beobachteten Veränderungen der Sternstrahlung nicht durch die thermonuklearen Reaktionsmechanismen erklärt werden können (T TauriSterne, UV Ceti-Sterne u. a.).

2.2. Entstehung und Entwicklung der Sterne

43

Auf Grund von Berechnungen des Maximalalters der Sterne unter der Voraussetzung, daß die Sterne sich bei praktisch konstanter Masse unter allmählicher Umwandlung von Wasserstoff in Helium entwickeln, neigte R U S S E L L [ 1 2 4 ] daraufhin zu der Annahme, daß die Riesen und Überriesen der Hauptreihe jung sind, also erst vor kurzem entstanden. Implizit ist in der RxTSSELLSchen Hypothese schon die fruchtbringende Idee enthalten, daß die Sterne auch in unserer Zeit entstehen. Durch die Entdeckung und Untersuchung der Sternassoziationen fanden AMBARZUMJAN und seine Mitarbeiter bald, daß dies eine fundamentale Gesetzmäßigkeit ist [3]. Im folgenden erschien eine bedeutende Zahl von kosmogonischen Hypothesen, die alle auf der klassischen Idee von der Kondensation diffuser Materie aufbauen. Viele von ihnen sind völlig von dem Tatsachenmaterial losgelöst, das die moderne Wissenschaft angesammelt hat, und vernachlässigen oft grundlegende Naturgesetze [125—128], In der schon erwähnten VON WEizsÄCKERschen Hypothese [6] wird die Entstehung von Sternen als Folge turbulenter Bewegungen interpretiert, die in einer primären chaotischen Wolke diffuser Materie auftreten. Die Sterne entstanden gleichzeitig, während im gegenwärtigen Lebensstadium der Galaxis keine Möglichkeit der Sternbildung besteht. Auch die Accretionhypothese von H O Y L E und Mitarbeitern [ 1 2 9 , 1 3 0 ] hält einer Kritik nicht stand.1) Sie geht von der Annahme aus, daß alle Sterne als Zwerge durch Kondensation interstellarer gasförmiger Materie entstehen. Die neugeborenen Zwergsterne können dann bei einer Begegnung mit Wolken interstellarer Materie unter bestimmten Bedingungen Materie aufsammeln, dadurch ihre Masse vergrößern und sich in Riesensterne verwandeln. Während die VON WEizsÄCKERsehe Hypothese außerordentlich subjektiv ist, von gekünstelten Voraussetzungen ausgeht und sich der mathematischen Seite des Problems hingibt, werden in der Accretionhypothese im wesentlichen nur mechanische Kräfte berücksichtigt, und ein so wichtiger Wechselwirkungsfaktor zwischen Stern und diffuser Materie wie der Strahlungsdruck [10] vernachlässigt. Dabei schließt die Mitwirkung des Strahlungsdruckes an den Wechselwirkungsprozessen die Möglichkeit der Accretion für heiße Sterne vollständig aus. Beispielsweise kam G U R S A D J A N [ 1 3 1 ] zu dem Schluß, daß Steme der Spektralklasse F 3 und früher wegen des Strahlungsdruckes dieser Sterne keine Materie aufsammeln können. Darüber hinaus zeigte der sowjetische Astronom I D L I S [ 1 3 2 ] , daß Zwergsterne, die zufällig mit diffusen Nebeln zusammentreffen, sich unter keinen Umständen durch Accretion in Riesen verwandeln können. Die Accretionhypothese wurde von F E S S E N K O W [133] einer ausführlichen Kritik unterworfen. Gewichtige Argumente gegen diese Hypothese sind auch in Arbeiten anderer Autoren enthalten.

!) Es muß erwähnt werden, daß die Accretionshypothese schon bei EDDINGTON [115] erwähnt ist.

44 2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien Die wesentlichen Einwände gegen diese Hypothese wurden von dem französischen Astronomen SCHATZMANN [134] zusammengefaßt: 1. die Erwärmung der diffusen Materie kann die Accretion beeinträchtigen; 2. die Verteilung der Drehimpulse der Sterne in Abhängigkeit von der Spektralklasse steht im Widerspruch zur Accretionhypothese (bei Accretion müssen die roten Riesen mehr Materie aufsammeln als die Zwerge, sie besitzen jedoch nur einen kleinen Drehimpuls); 3. Sterne mit großer Masse stoßen die diffuse Materie ab und lassen keine Accretion zu, und 4. die Emissionslinien in den Spektren der T T&uri-Sterne können kein Ergebnis der Accretion sein. Auch viele andere theoretische Untersuchungen über die Entstehung und Entwicklung von Sternen verwendeten die Idee der Kondensation diffuser Materie und der Accretion. Es seien zum Beispiel die Arbeiten der sowjetischen Wissenschaftler L E B E D I N S K I [135] und G U R E W I T S C H [136] erwähnt, in der die Hypothese der gravitativen Kondensation von diffuser Materie zu Sternen weiterentwickelt wurde. Die Autoren verwenden außer dem JEANSschen. Kriterium der Gravitationsinstabilität ein Massenbegrenzungskriterium, das eine obere Grenze f ü r die Masse der Verdichtungen festlegt. I n der Hypothese wird eine gegenseitige Wechselwirkung von Sternen und diffuser Materie betrachtet: die Sterne bilden sich aus der diffusen Materie, gleichzeitig kompensiert von den Sternen abströmende Materie teilweise die Verringerung der Masse der diffusen Nebel. Jedoch auch in dieser Hypothese wird Accretion als ein sehr wichtiger Faktor der Sternentwicklung betrachtet. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die aus dieser Hypothese gezogenen Schlüsse oft im Widerspruch zu Beobachtungsdaten stehen. Beispielsweise wird die Entstehung von Sternhaufen, die aus Riesen und Sternassoziationen bestehen, in dieser Hypothese als Ergebnis der Begegnung eines aus Zwergsternen bestehenden Haufens mit Wolken interstellarer Materie und nachfolgender Accretion von Materie der Wolke durch diese Sterne interpretiert [135, 136]. Die Künstlichkeit dieser Erklärung ist offensichtlich. Zunächst ist der Wissenschaft bisher kein einziger Haufen bekannt, der ausschließlich aus Zwergsternen besteht. Gleichzeitig sprechen alle Daten der modernen Astronomie gegen die Möglichkeit der Entstehung von heißen Riesensternen aus Zwergen durch Accretion. Das zeigt zum Beispiel das oben angeführte Resultat von I D L I S [132]. Die Zeitskala. Für das Problem der Sternentwicklung hat die Bestimmung des Alters oder der Zeitskala unserer Galaxis große Bedeutung. Bis in die dreißiger J a h r e unseres Jahrhunderts wurde allgemein angenommen, daß für die Galaxis die sogenannte lange Zeitskala — 10 12 —10 ls J a h r e — [114] gültig ist, was um etwa drei Größenordnungen über dem Alter des Sonnensystems liegt. Die „lange" Zeitskala basierte im wesentlichen auf den Arbeiten von J E A N S [114] über Bewegungssternhaufen und die Statistik von Doppelsternbahnen. Es wurde jedoch später gezeigt, daß das jEANSsche Resultat durch unrichtige Interpretation des Beobachtungsmaterials bedingt ist. Schon 1934 wies BOK

2.2. Entstehung und Entwicklung der Sterne

45

[137, 138] auf die wesentliche Rolle der Gezeitenkräfte sowie der galaktischen Rotation in der Entwicklung der Sternhaufen hin. Er zeigte, daß ein Haufen bezüglich dieser Einwirkungen nur bei hinreichend hoher Sterndichte stabil sein kann. Haufen mit einer Dichte nahe der kritischen oder unterhalb müssen zerfallen. Für die Hyaden, die eine Dichte von mehr als dem Zweifachen der kritischen besitzen, würde zum Beispiel der vollständige Zerfall in etwa 109 Jahren eintreten. Das Uberwiegen solcher Haufen in der Galaxis betrachtete BOK als Hinweis zugunsten der „kurzen" Zeitskala des Alters der Galaxis (109—1010 Jahre). Weiter zeigte BOK [137, 138], daß Sterne des allgemeinen galaktischen Feldes beim Durchgang durch Haufen oder bei einem nahen Vorübergang einen Teil ihrer Energie abgeben, wenn ihre Geschwindigkeit die Geschwindigkeiten der Haufenmitglieder übersteigt, wodurch Energie und Dimension des Haufens vergrößert werden. Auch dieser Prozeß kann den Haufen allmählich zerstören. Der genannte Zerstörungsmechanismus ist für Systeme mit kleinen Dichten besonders effektiv. Für offene Sternhaufen verhältnismäßig geringer Dichte beträgt die aus der Wirkung dieses Mechanismus resultierende Zerfallszeit einige Milliarden Jahre. Somit blieben nur noch Doppelsterne als Argument zugunsten der „langen" Entwicklungsskala. AMBAEZTJMJAN [139, 140] wies jedoch nach, daß eine theoretisch richtige Behandlung der Fragen der Doppelstemstatistik gleichfalls zur kurzen Entwicklungsskala von 109—1010 Jahren führt. Nahe Vorübergänge von Einzelsternen an einem Doppelstern bewirken Änderungen in dessen Bahnelementen. Der Zufallscharakter der Vorübergänge führt mit der Zeit zur Einstellung einer (statistischen) Gleichverteilung der Bahnelemente der Doppelsterne. Bei weiten Paaren ist die dafür erforderliche Zeit von der Größenordnung 1010 Jahre, und da die Beobachtungen zeigen, daß sich in der Galaxis noch keine Gleichverteilung der Bahnelemente der Doppelsterne eingestellt hat, spricht dies für die „kurze" Entwicklungsskala. Andererseits laufen bei Begegnungen von Doppelsternen untereinander Paarzerstörungsprozesse ab. Für weite Paare muß sich nach etwa 1010 Jahren ein sogenanntes dissoziatives Gleichgewicht einstellen, bei dem die Zahl der Paarzerstörungen gleich der Zahl der Paarneubildungen ist. Es zeigte sich, daß der beobachtete Prozentsatz von weiten Paaren unter den Einzelsternen der Galaxis den erwarteten Prozentsatz bei dissoziativem Gleichgewicht um mehr als das Zehnmillionenfache übersteigt [26]. Diese Differenz weist ebenfalls auf die Richtigkeit der „kurzen" Zeitskala hin. Schließlich wurde gezeigt [140], daß auch die beobachtete Verteilung der Bahnexzentrizitäten der visuellen Doppelsterne entgegen der Behauptung von JEANS [141] nicht als Argument zugunsten der „langen" Entwicklungsskala betrachtet werden kann. Eine zusätzliche Bestätigung der „kurzen" Zeitskala waren die neuen Daten über die dynamische Entwicklung der offenen galaktischen Sternhaufen. Der wesentliche Zerfallsmechanismus der meisten Sternhaufen beruht auf dem Austausch der kinetischen Energie der Sterne bei ihrer Bewegung innerhalb des

46

2. Kosmogonie der Sterne und Galaxien

Haufens, wodurch einzelne Sterne Geschwindigkeiten erhalten, die über der Entweichgeschwindigkeit liegen und den Sternhaufen verlassen. A M B A B Z U M J A N untersuchte als erster diesen Mechanismus [142] und zeigte, daß bei den vorliegenden Dichten der galaktischen Sternhaufen die Zeit, in der ein Haufen zur Hälfte zerfällt, 1010 Jahre nicht übersteigt. Die Vielzahl von Haufen in der Galaxis, die in ihrem Zerfall noch nicht weit fortgeschritten sind, spricht dafür, daß das Alter des gegenwärtigen Zustandes unserer Galaxis 1010 Jahre nicht übertrifft 1 ); das entspricht der „kurzen" Zeitskala. Im Zusammenhang mit der Zeitskala sei noch erwähnt, daß manche Wissenschaftler aus der nahen Übereinstimmung der Zeitskalen völlig unabhängiger kosmischer Erscheinungen (Bildung und Zerfall von Doppelsternen, Verteilung der Bahnelemente von Doppelsternen, Zerfall von Sternhaufen usw.) und unter der Annahme einer gleichen Zeitskala für alle kosmischen Erscheinungen, diese Skala auf das ganze unendliche Weltall ausdehnen. Auf diese Weise kommen sie zu einer Abschätzung des „Weltalters". Es ist offensichtlich, daß ein solches Vorgehen völlig unbegründet ist. Der Begriff des Alters eines Sternes, eines Sternsystems oder einer bestimmten kosmischen Erscheinung hat für uns einen klaren physikalischen Sinn. Der Begriff „Weltalter" kann jedoch seines physikalischen Sinnes entkleidet sein. Über das „Alter" eines räumlich unendlichen Weltalls zu sprechen, bedeutet von vornherein, mit vorgefaßten Vorstellungen über die Erschaffung der Welt einverstanden zu sein. Die Komponenten physikalischer Systeme haben gemeinsamen Ursprung. Für die Verteilung der Sterne in der Galaxis ist das Auftreten einer großen Anzahl physikalischer Systeme charakteristisch: Doppelsterne, Dreifach- und Mehrfachsterne, Sternhaufen, Assoziationen. Für die Stellarkosmogonie ist deshalb die Frage von wesentlicher Bedeutung, ob die Komponenten der einzelnen Gruppen gemeinsam oder unabhängig voneinander entstanden sind. Das einfachste Beispiel eines physikalischen Systems sind die Doppelsterne. Ein zweifaches System kann durch den Einfang eines Sternes durch einen anderen bei nahen Begegnungen von drei unabhängig existierenden Sternen entstehen. Auch die umgekehrten Prozesse der Zerstörung von Zweifachsystemen bei der Begegnung mit einem dritten Stern sind möglich. Es wurde schon erwähnt, daß sich in einer hinreichend langen Zeit im Sternsystem ein dissoziatives Gleichgewicht einstellen muß, ein statistisches Gleichgewicht zwischen den Bildungs- und Zerfallsprozessen der Paare. Difc Beobachtungen zeigen [26], daß die Zahl der weiten Paare in der Galaxis die bei dissoziativem Gleichgewicht zu erwartende Zahl um das Hundertmillionenfache übersteigt. Das bedeutet, daß in der Galaxis gegenwärtig hundertmillionenmal mehr Paare zerfallen als durch Einfang bei Dreierbegegnungen von Sternen gebildet werden kann. Der Ursprung der Gesamtheit In letzter Zeit wurde das Alter der Galaxis aus dem Uranzerfall abgeschätzt. Diese Absehätzung ergibt einen Wert von 6.7 • 109 Jahren [143].

2.2. Entstehung und Entwicklung der Sterne

47

der Doppelsterne in der Galaxis kann also nicht durch den Einfangmechanismus erklärt werden. Die Einfanghypothese für die Bildung von Doppelstemen steht auch zu anderen Beobachtungsdaten im Widerspruch. Eine statistische Untersuchung zeigt z. B., daß die Orientierung der Bahnebenen der Doppelsterne im Raum eine völlig zufällige Verteilung besitzt [144], während bei Einfangprozessen diese Ebenen eine Tendenz zur Ausrichtung zur Symmetrieebene der Galaxis besitzen müßten. Noch größere Schwierigkeiten treten auf, wenn man versucht, die Bildung von Mehrfachsternen und Sternhaufen durch Einfang zu erklären. Wir müssen deshalb annehmen, daß die Komponenten von Mehrfachsystemen sich gemeinsam bilden. Da sie sich nicht durch Teilung von Einzelstemen bilden konnten (es gibt unüberwindliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Anfangsmasse und des Drehimpulses [145]), verbleibt nur die Annahme, daß sie aus Körpern nichtstellarer Natur entstehen. Eine hervorragende Bestätigung der gemeinsamen Entstehung der Komponenten von Mehrfachsystemen ist die große Zahl von Mehrfachsternen in Assoziationen, also unter den jungen Sternen. Die Vorstellung über die gemeinsame Bildung der Komponenten eines Mehrfachsystems ist nicht nur für die Stellarkosmogonie, sondern auch für die Planetenkosmogonie von großer Bedeutung. Nach modernen Vorstellungen gibt es nämlich keinerlei Gründe, anzunehmen, daß der Prozeß der Planetenentstehung sich in irgendeiner wesentlichen Hinsicht vom Prozeß der Bildung von Mehrfachsternen unterscheidet. Die einzige Hypothese, die zu einer richtigen Lösung der Fragen der Planetenkosmogonie führen könnte und die früher nie betrachtet wurde, ist deshalb die Hypothese einer gemeinsamen Entstehung von Sonne und Planetensystem [146]. Sterne entstehen auch gegenwärtig. Die Lösung vieler wichtiger Fragen der Stellarkosmogonie ist untrennbar mit der Entdeckung von Sternsystemen eines neuen Typs, den Sternassoziationen, verbunden [26, 27]. Eine theoretische Analyse der auf Assoziationen wirkenden Kräfte zeigte [26, 27], daß die Sternassoziationen dynamisch instabile Systeme sind und in einer Zeit von der Größenordnung zehn Millionen Jahre zerfallen müssen. Wie oben gezeigt wurde, beträgt aber nach der „kurzen" Zeitskala das Alter der Galaxis 109 bis 1010 Jahre. Man muß folglich annehmen, daß Sternassoziationen sehr junge Gebilde sind. Gleichzeitig haben die Sterne, aus denen eine gegebene Assoziation besteht, als Mitglieder eines einheitlichen physikalischen Systems eine gemeinsame Entstehung, d. h., sie sind vom Moment ihrer Bildung an miteinander verbunden. Daraus folgt zwingend, daß Sterne, die einer Assoziation angehören, selbst jung sind. Dafür sprechen auch gewisse andere Beobachtungstatsachen. Viele Sterne in Assoziationen stoßen sehr intensiv und ununterbrochen Materie ab (WoLF-RAYET-Sterne, P Cygni-Sterne mit hellen Linien im Spektrum). Das ist im Einklang mit der Vorstellung, daß diese erst vor kurzem entstandenen

48

2. ¡Cosmogonie der Sterne und Galaxien

Sterne noch keinen Gleichgewichtszustand erreicht haben und gegenwärtig noch im Bildungsprozeß stehen. Obwohl der sehr schnelle Massenverlust durch intensive Korpuskularstrahlung (0- und B-Sterne) oder durch intensives Abströmen von Materie von der Oberfläche (WoLr-RAYET-Sterne, P Cygni- und Be-Sterne) zweifellos f ü r eine relative kurze Dauer des gerade beobachteten Entwicklungsstadiums dieser Sterne spricht, erbrachte erst die Entdeckung und Untersuchung der Stemassoziationen schlüssige Beweise f ü r die Jugend dieser Sterne. Die Jugend der Sterne in den Assoziationen wird auch dadurch bestätigt, daß in vielen Assoziationen äußerst instabile Mehrfachsterne vom Typ des Oriontrapezes und der Sternketten vorkommen, deren Alter unter einigen Millionen J a h r e n liegt. Aus der Tatsache, daß in der Galaxis Sterne existieren, die in kosmischen Maßstäben vor relativ kurzer Zeit entstanden sind, folgt unmittelbar die grundlegende Aussage, daß der Prozeß der Sternbildung, der vor einigen Milliarden J a h r e n in der Galaxis begonnen hat, auch in ihrem gegenwärtigen Entwicklungsstadium fortdauert. Dieses Ergebnis hat in der Stellarkosmogonie heute allgemein Anerkennung gefunden; es widerlegt vollständig die vorweggenommene Behauptung, daß alle Sterne der Galaxis gleichzeitig entstanden sind. Wir müssen also annehmen, daß die Sternassoziationen Sternbildungsherde in der Galaxis sind, in denen dieser Prozeß auch gegenwärtig andauert. E s gibt gewichtige Gründe für die Annahme [147], daß im allgemeinen in den Sternassoziationen Sterne verschiedener Generationen vorkommen, woraus folgt, daß auch innerhalb dieser Systeme selbst die Sterne zu verschiedenen Zeiten entstehen. Aus dem Vorkommen und der Verteilung von O-Assoziationen in nahen Galaxien k a n n man schließen, daß der Sternbildungsmechanismus in Galaxien des Typs S und in den Irregulären im wesentlichen der gleiche ist wie in unserer Galaxis. I n letzter Zeit wurde auf das Vorkommen von Superassoziationen hingewiesen, Systemen junger Sterne, die nach Helligkeit und Dimension die gewöhnlichen Sternassoziationen u m ein Vielfaches übersteigen [148, 149]. Ein Beispiel einer Superassoziation ist das System 30 Doradus in der Großen Magellanschen Wolke (Abb. 2-36, s. Tafel 24). Superassoziationen kommen hauptsächlich im Überriesengalaxien vor. Die Lebensdauer einer Superassoziation liegt offensichtlich größenordnungsmäßig über 108 J a h r e n ; daraus folgt, daß die Sterne in ihnen gleichfalls zu verschiedenen Zeiten entstehen. Während der Lebensdauer einer Superassoziation entstehen in diesen Systemen also hunderttausende Sterne, vielleicht sogar mehr, und gegenwärtig enthalten sie verschiedene Sterngenerationen. Sterne entstehen in Gruppen. Unter den jungen, erst vor kurzem entstandenen Sternen in Assoziationen finden wir einen sehr hohen Prozentsatz von Doppelsternen und Mehrfachsystemen. I n T-Assoziationen ist die Zahl der weiten Paare sehr groß, während in den O-Assoziationen neben visuellen Doppelsternen viele enge Paare und spektroskopische Doppelsterne vorkommen.

2.2. Entstehung und Entwicklung der Sterne

49

In diesem Zusammenhang sind die in O-Assoziationen sehr häufig vorkommenden WoLF-RAYET-Sterne von beträchtlichem Interesse. Aus einer statistischen Untersuchung [150] folgt, daß fast alle WoLF-RAYET-Sterne doppelt sein müssen. Doch wegen Auswahleffekten in den Beobachtungen ist der Doppelsterncharakter nur bei einigen direkt gefunden worden. In O-Assoziationen und in T-Assoziationen beobachtet man eine sehr große Zahl von Mehrfachsternen, insbesondere dynamisch instabile vom Trapez- und Sternkettentyp. Eine Statistik der Konfigurationen der Mehrfachsterne zeigt [151], daß die meisten dem gewöhnlichen Typ angehören, daß jedoch unter den Mehrfachsystemen, deren Hauptkomponenten dem Spektralklassenintervall O—B 2 angehören, ein relativ hoher Prozentsatz von Systemen des Trapeztyps beobachtet wird.1) Das illustriert die Tabelle 2-6, die aus [151] entnommen ist und auf dem AiTKENSchen Katalog [153] beruht . Tab. 2-6. Relative Anzahl der Mehrfachsterne vom Trapeztyp Spektrum des Hauptsternes

Gesamtzahl der Mehrfachsterne

Berechnete Zahl der Pseudotrapeze*)

Zahl der beobachteten Trapeze

0—B2 B3-B5 + B B8-B9 A F G K M Spektrum unbekannt

24 30 51 206 147 102 72 10

3 3 5 19 13 9 6 1

16 12 14 22 17 14 9 4

434

39

71

*) Zahl der Pseudotrapeze, die durch Projektion gewöhnlicher Mehrfachsterne entstehen, berechnet unter Berücksichtigung der zu 0.09 angenommenen Wahrscheinlichkeit für ein derartiges Ereignis.

Berücksichtigen wir, daß die meisten Sterne der Typen O bis B 2 Sternassoziationen angehören, also erst vor kurzem entstanden sind, so müssen wir annehmen, daß die reellen Trapeze fast ausschließlich aus jungen Sternen bestehen. Das zeigen auch die Ergebnisse der Arbeit des amerikanischen Astronomen S H A R P L E S S [154], der Mehrfachsysteme vom Trapeztyp in Emissionsnebeln untersuchte. Er fand die stark ausgeprägte Tendenz, daß die hellsten Komponenten dieser Systeme eine Spektralklasse früher als 09 haben. 1

) Eine Untersuchung der Konfigurationen von Dreifachsystemen durch den Leningrader Wissenschaftler A G E K J A N [152] bestätigt diesen Schluß.

50

2. Kosmogonie

der Sterne und

Galaxien

Der hohe Prozentsatz instabiler Mehrfachsysteme in Assoziationen und stabiler Systeme im allgemeinen galaktischen Sternfeld hat seine natürliche Erklärung. Die Sterne entstehen gruppenweise in Assoziationen, oft mit Geschwindigkeiten, die zur Überwindung des Anziehungsfeldes der Gruppe hinreichen, und entfernen sich voneinander, wodurch die Gruppe unmittelbar zerfällt. Es kommen jedoch Fälle vor, in denen diese Geschwindigkeiten unter der Entweichgeschwindigkeit liegen, zumindest für einen Teil der Sterne der Gruppe. In diesem letzteren Fall verbleibt am Ort der entstandenen Gruppe ein Mehrfachstern oder ein Sternhaufen, dessen Zerfall, verursacht durch die Wechselwirkung der Sterne innerhalb des Systems bei nahen Vorübergängen wesentlich langsamer vor sich geht. In dieser Weise wird das allgemeine Sternfeld in der Galaxis laufend mit stabilen Mehrfachsternen und Sternhaufen angereichert. Die dynamische Instabilität und die Expansion der Sternassoziationen. Von prinzipieller Bedeutung für die kosmogonische Konzeption von AMBARZUMJAN ist die Vorstellung von der dynamischen Instabilität der Sternassoziationen und dem dadurch bedingten Zerfall dieser Systeme. Dieser Gedanke bildete die Grundlage für die im Jahre 1949 von AMBABZUMJAN geäußerten Vorhersage der Expansion der Sternassoziationen mit Geschwindigkeiten von der Größenordnung 5—10 km/s [27]. Wegen der Wichtigkeit dieser Frage für kosmogonische Schlußfolgerungen betrachten wir sie unten etwas ausführlicher; wobei wir den theoretischen Darlegungen der Arbeit [27] folgen. Beobachtungen zeigen, daß die Partialdichte der 0- und B-Sterne in den O-Assoziationen und der T Tauri-Sterne in den T-Assoziationen wesentlich unter der Sterndichte im allgemeinen galaktischen Felde liegt.1) Dadurch sind die Wechselwirkungskräfte der Sterne in den Sternassoziationen klein gegen die Gezeiteneinwirkung des allgemeinen galaktischen Kraftfeldes. Die Wirkung dieses Kraftfeldes äußert sich als differentieller Effekt bei der galaktischen Rotation, der zu einer gegenseitigen Entfernung der Assoziationsmitglieder führt. Die Geschwindigkeit, mit der sich zwei Sterne durch die Wirkung dieses Effektes voneinander entfernen, ist dabei durch die OoBTschen Formeln gegeben. Ein Stern am Rande einer Sternassoziation vom Radius R entfernt sich vom Zentrum des Systems mit einer Geschwindigkeit VR = AR sin 21,

(2.4)

wo l die galaktische Länge des Sternes ist, gesehen vom Zentrum der Assoziation. 1

) Am Beispiel der Sternassoziationen Cepheus II, Perseus II und Lacerta wurde oben (S. 25) gezeigt, daß auch die Materiedichte in den Assoziationen geringer ist als in der Sonnenumgebung, so daß sie dynamisch instabil sind und zerfallen müssen.

2.2. Entstehung und Entwicklung der Sterne

51

Offensichtlich ist dies die Wachstumsgeschwindigkeit des Radius des Systems in der gegebenen galaktischen Länge l VR = -

(2.5)

und bestimmt die Ausdehnungsgeschwindigkeit der Assoziation. Für das Verhältnis der Radien R2 und El der Assoziation zu den Zeitpunkten i2 und f j erhalten wir durch Integration die Gleichung (2.5) R

In — = A(t2 — h) sin 21.

(2.6)

Ri

Dieses Verhältnis ist gleich Eins bei l = 0° und 90° und hat ein Maximum bei l = 45° und 135°. Nehmen wir A zu 15 km/s • kpc an [156], so finden wir, daß eine Verdopplung des Radius der Assoziation in den Richtungen l = 45° und 135° in größenordnungsmäßig 40 Millionen Jahren eintritt. Diese Abschätzung ist korrekt, wenn sich alle Sterne der Assoziation auf Kreisbahnen um das galaktische Zentrum bewegen. Man kann jedoch zeigen, daß die Zeit für die Verdopplung des Radius des Systems von der gleichen Größenordnung ist, falls keine großen Relativgeschwindigkeiten in den Assoziationen vorkommen, unabhängig von der Bahnform der Sterne. Jahre

1

1

0

30-106

- ir

1

......

50-106 L

* >

H-.

;

V

P

i •

I



rT'TT""

-

r - ,

70106

i

*• • j • •••

- V • * -100-10 _ 6



: f

i

-300

i

i

i

0

i

r [

300

i i

-300

i

i i

0

• •





' • i i i

300

Abb. 2-37. Der Einfluß der Gezeitenkräfte der galaktischen Rotation auf die Form eines sphärischen Systems. Dargestellt ist ein isotrop expandierendes System (Geschwindigkeit 1 km/s) 30, 50, 70 und 100 Millionen Jahre nach Beginn der Expansion aus einem Punkt, links ohne Wirkung der Gezeitenkräfte der galaktischen Rotation, rechts bei Einwirkung dieser Kräfte [155], Die Abszisse enthält die Abstände vom Zentrum des Systems in Parsec

52 2. Kosmogonie der Sterne und, Galaxien Kräfte, die senkrecht zur galaktischen Ebene wirken, beeinflussen die Expansion relativ wenig. Für einen Stern im Anstand z von der galaktischen Ebene ist die Beschleunigungskomponente wz in z-Richtung durch den Ausdruck z

•wz =

—2NÖ

j

Q(Z) dz

(2.7)

—z

bestimmt, der bei geringer relativer Dichtevariation Q(Z) für kleine z zu wz = -ijtGe{0)

dz

(2.8)

wird. Hier sind Q(Z) und p(0) die Dichten im Abstand z und in der galaktischen Ebene und G die Gravitationskonstante. Da alle beobachteten Sternassoziationen in unmittelbarer Nähe der galaktischen Ebene stehen, werden alle Sterne dieser Systeme etwa gleiche Schwingungsperioden in z-Richtung haben. Der Einfluß von Unterschieden in den Perioden der Schwingungsbewegungen in z-Richtung auf die Expansion der Assoziationen muß folglich gering sein im Verhältnis zum Einfluß der differentiellen galaktischen Rotation. Die wesentliche Gezeiteneinwirkung auf die Expansion der Assoziationen übt also die differentielle galaktische Rotation aus, wodurch die Ausdehnung der Assoziationen in der galaktischen Ebene anwächst und die Assoziation schließlich eine stark abgeplattete Form annehmen muß. Die Mehrzahl der bekannten Sternassoziationen hat jedoch eine fast symmetrische Form. Das bedeutet, daß eine effektivere innere Ursache für die Expansion der Sternassoziationen existiert. Die Diskussion dieser Frage führte [27] zu der prinzipiell wichtigen Erkenntnis, daß die Sterne jeder Assoziation aus ihrem Entstehungsgebiet in verschiedene Richtungen mit Geschwindigkeiten herausfliegen, die sie bereits bei ihrer Bildung erhalten haben. In der Anfangsperiode der Expansion, wenn die Gezeitenkräfte noch keinen wesentlichen Einfluß auf die Geschwindigkeiten der Sterne haben, wird die Sternassoziation eine fast sphärische Form besitzen. Mit der Zeit erreichen und übersteigen schließlich die Impulse, die den Sternen von den Gezeitenkräften übertragen werden, die ursprüngliche Bewegungsgröße, und die Assoziation zieht sich allmählich in der galaktischen Ebene auseinander. Wir schätzen nun nach [35] die Größenordnung der Zeit ab, nach der eine Sternassoziation die anfängliche sphärische Form verliert. Wenn die dem primären Impuls entsprechende Expansionsgeschwindigkeit gleich V0 ist, dann ist zum Zeitpunkt t der Radius der Assoziation gleich V0t, und die Größenordnung der Gezeitenbeschleunigung ist durch den Ausdruck [157]

2.2. Entstehung und Entwicklung der Sterne

53

bestimmt, wo das Potential und R der Abstand vom Zentrum der Galaxis sind. Der Zuwachs der Expansionsgeschwindigkeit unter dem Einfluß der K r a f t (2.9) ist gleich 1 /e20 3 8, Ek oo erhalten wir aus den früher angegebenen Gleichungen lim NJ0)

= lim Ne{0)

= 0, (3.11)

lim AY+>(0) = lim Nk(0) = oo. Somit folgt, daß im Grenzfall im Zentrum des Sterns Leptonen verschwinden und die Baryonenkonzentration gleich groß ist. Man muß unterstreichen, daß sich das Ergebnis nur auf die gewählte Zusammensetzung der geladenen Baryonen bezieht; wir postulieren die Existenz zweier positiver (p und S+) und zweier negativer ( E - und 3 _ ) Baryonen. Für die Erhaltung der Leptonen im Fall p(0) = oo ist es notwendig, daß die Zahl der Arten von positiven Baryonen größer ist als die der negativen Baryonen. Jedoch ist es unmöglich zu erreichen, daß bei N —> oo die Zahl der Leptonen auch unendlich stark anwächst. Das liegt daran, daß in der Natur TC "-Mesonen vorkommen. Tatsächlich können dann die Grenzenergien (und

3.1. Phasenzustände

der Materie

145

folglich die Konzentrationen) der Elektronen u n d ¡¿r-Mesonen n u r bis E

V i

= E t = mnc2

(3.12)

anwachsen, wo m^c2 die Ruheenergie der TZ Mesonen ist. Die weitere optimale Phase f ü r die Materie ist nicht die Leptonenphase, sondern die 7t~-MesonenPhase. Dieses Bild wurde in der Arbeit [15] entwickelt, wo auch die ersten beiden Resonanzen der Nukleonen berücksichtigt wurden. I n diesem Fall existiert eine obere Grenzdichte f ü r Elektronen u n d ¡jr-Mesonen von 1.20 • 1037 cm" 3 bzw. 3.35 • 1036 ein - 3 (diese Werte werden bei Neutronenkonzentrationen von Nn = 8.5 • 1039 cm- 3 erreicht). Die Teilchenkonzentrationen im Hyperonengebiet des Sterns. J e t z t wollen wir die Zustandsänderungen der Materie beim Fortschreiten vom Z e n t r u m des Grenzmodells (Q(0) —> oo) bis zu dessen äußeren Teilen betrachten. Die Grenzphase, in der keine Elektronen existieren, ist vom mathematischen Gesichtspunkt n u r im punktförmigen Zentrum des Sterns realisiert. Vom physikalischen S t a n d p u n k t aus ist die Zahl der Elektronen in einer Kugel mit unendlich kleinem R a d i u s im Mittelpunkt des Sterns verschwindend klein. Mit zunehmender E n t f e r n u n g vom Zentrum nimmt die Baryonendichte ab, während die Elektronendichte wächst. Den Dichteverlauf in Abhängigkeit von r — dem Abstand vom Sternzentrum — findet m a n erst nach Lösung der EiNSTEiNschen Gleichungen. I m Abstand r = r3„, wo die Baryonendichte den W e r t N = 9.93 • 1039 cm- 3 erreicht, verschwinden die 3°-Hyperonen. Das bedeutet, d a ß im Abstand rH« die Grenzenergie dieser Teilchen gleich ihrer Ruheenergie ist. Bei weiterer E n t f e r nung vom Sternzentrum bis zu rH_, r s », rA u n d r 2 _, wo sich die Baryonendichte bis auf die Werte N(r) == 8.12 ~1039, 3.83 • 1039, 3.32 • 1039, 1.24 • 1039 u n d 2.10 • 1038 cm- 3 verringert, verschwinden nacheinander die Teilchen 21+, H - , A u n d 2 r . I n gewisser Hinsicht k a n n m a n auch sagen, d a ß bei N = 2.1 • 1038 c m - 3 auch die Protonen verschwinden, weil unterhalb dieser Dichte die Protonenkonzentration stark abfällt u n d u m zwei Größenordnungen kleiner als die Neutronenkonzentration wird. An der Schwelle, wo das nächstfolgende H y p e r o n verschwindet, beträgt die Grenzenergie der Elektronen 121 MeV (siehe unten). I h r e n Maximalwert von ungefähr 125 MeV erreicht die Grenzenergie der Elektronen ein wenig früher. Danach fällt Ee monoton bei weiterem Anwachsen des Abstandes vom Zentrum (d. h. bei Verringerung von g). Daraus folgt, d a ß bei der von uns gewählten Baryonenzusammensetzung im Medium niemals die Bedingungen f ü r das Auftreten von 7t--Mesonen erfüllt sind. Nach (3.6) ist es nämlich f ü r die Stabilität dieser Teilchen unerläßlich, d a ß die Grenzenergie der Elektronen den Wert m„c 2 sa 140 MeV erreicht. U m das Bild der Phasenübergänge zu vervollständigen, m u ß m a n sich auch a n die ¡¿--Mesonen erinnern. I m Abstand vom Zentrum r = ru wo sich die Baryonendichte auf den Wert N = 6.0 • 1039 e n r 3 verringert h a t , wird die anwachsende Grenzenergie der Elektronen gleich der Ruheenergie der ¡¿--Mesonen, d. h. Eb = mjc? = 106 MeV. Von dieser Stelle im Stern an erscheinen auch ¡¿--Mesonen.

146

3. Theorie überdichter

Himmelskörper

deren Konzentration nach Formel (3.9 b) durch die Konzentration der Elektronen bestimmt wird. Wir wir bereits wissen, wächst die Grenzenergie der Elektronen mit dem Abstand vom Sternzentrum weiter an, bis sie den Wert 125 MeV erreicht. Danach verringert sich diese Energie. Ihr Abstand r — r2, wo Ee wieder 106 MeV ist, werden die (¿--Mesonen erneut instabil und verschwinden aus dem Medium. Somit existieren die ¡¿--Mesonen nur in einer bestimmten Schicht rx < r < r., des Sterns. In der Hyperonensphäre gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Konzentrationen der verschiedenen Baryonen. Sie sind größenordnungsmäßig gleich. Das Elektronengas ist hier überwiegend relativistisch. Jetzt wollen wir versuchen, eine analytische Beziehung zwischen den Konzentrationen der verschiedenen Teilchen aufzustellen. Das ist möglich, wenn man von der Gleichung (3.9 a) ausgeht. Aber wir sind gezwungen, in der Beziehung (3.9a) eine gewisse Vereinfachung vorzunehmen. Es handelt sich um die Wechselwirkungspotentiale der Baryonen mit dem Medium V k ^(N k ). Beim gegenwärtigen Stand der Theorie der Elementarteilchen besitzen wir noch keine genaue Kenntnis über die potentiellen Energien in einem Gebiet, wo die Dichte größer als die Kerndichte ist. Da aber alle Baryonen stark wechselwirkende Teilchen sind, kann man annehmen, daß die Funktionen sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Wenn man annimmt, daß alle Baryonen in gleicher Weise mit dem Medium wechselwirken (oder genauer, wenn die Differenz der potentiellen Energien klein ist im Vergleich zur Grenzenergie der Baryonen), kann man Gleichung (3.9a) in folgender Weise schreiben: (3.13) Daraus folgt, daß die FERMI-Energie für Baryonen mit gleicher elektrischer Ladung gleich groß ist. Aus (3.10) und (3.13) erhält man leicht eine analytische Beziehung zwischen den Konzentrationen der Baryonen mit gleicher elektrischer Ladung. (3.14) Dabei ist

Bei neutralen Baryonen ist es bequem, als Grundteilchen ein Neutron anzunehmen, d. h. k — n und i = A , S°, H®. Für positiv geladene Baryonen setzt man k = p (d. h. man nimmt als Grundteilchen ein Proton) und i = S+. Bei negativen Baryonen setzt man k = und i — S - und schließlich für Leptonen k — e, i = [x. Die Zahlenwerte für die Konstanten lauten: fíÍX = 5.240 • 1036 cm- 3 , BA = 9.507 • 1038 cm-3, B^o = 1.722 • 1039 cm-3,

(3.15)

3.1. Phasenzustände der Materie

147

BZo = 3.346 • 1039 cm- 3 , Bs- = 7.437 • 1038 cm- 3 , Bz+ = 1.710 • 1038 cm- 3 . Aus der Beziehung (3.14) sieht man, daß bei Nk < Bs die Konzentrationen N{ imaginär werden. Das bedeutet, daß die Konzentration des entsprechenden k-ten Grundteilchens größer sein muß als der Wert der Konstanten wenn das i-te Teilchen in ein stabiles Teilchen umgewandelt werden soll. Somit spielen die Konstanten Bi die Rolle von Schwellendichten.

Abb. 3-2. Die Abhängigkeit der Neutronendichte n, der Protonendichte p, der Dichte der E - -Hyperonen sowie der Elektronendichte e von der Gesamtdichte aller Baryonen. Die Kurven sind unter der Voraussetzung berechnet worden, daß die potentielle Energie aller Baryonen gleich groß ist. In der rechten oberen Ecke sind dieselben Kurven für den Dichtebereich N < 1039 c m - 3 bei Berücksichtigung des realen Kernpotentials dargestellt

Eine spezielle Auswahl einer Baryonenzusammensetzung hat keine Bedeutung für die Formel (3.14). Sie bleibt bei jeder Auswahl von Baryonenarten richtig. Dabei ist es vernünftig, in allen Fällen als Grundteilchen Proton, Neutron und E~-Hyperon zu nehmen, die in ihrer Ladungsfamilie die jeweils leichtesten Teilchen sind. Folglich kann man die Konzentrationen aller neutralen Baryonen durch die Neutronenkonzentration Nn ausdrücken und die Konzentrationen der positiven und negativen Baryonen entsprechend durch die Konzentration der Protonen Np und der ^--Hyperonen Zwischen den Konzentrationen der Baryonen mit verschiedenen elektrischen Ladungen gibt es jedoch keinen einfachen analytischen Zusammenhang. Folglich haben wir vier unbekannte Funktionen Nn, Nv, iV2-

148

3. Theorie überdichter Himmelskörper

und Ne, die von den Baryonendichten abhängen. Die vier Gleichungen, mit denen man diese Unbekannten bestimmen kann, sind (3.9c), (3.9d) und zwei Gleichungen von der Art der Gleichung (3.13). Diese Gleichungen kann man nur numerisch lösen. Wenn man das erwähnte Gleichungssystem (3.9) für unterschiedliche Werte von N löst, kann man für die Teilchen n, p, E - und e die Kurven Nk = Nk(N) konstruieren. Diese Kurven sind in Abbildung 3-2 gezeichnet worden. Sie erlauben zusammen mit der Formel (3.14) auch die Konzentrationen aller übrigen Teilchen zu bestimmen, wenn die Gesamtzahl der Baryonen N bekannt ist. Man kann auch die Erzeugungsschwellen für die Teilchen durch die Baryonendichte N ausdrücken. Die Schwellenwerte für die Dichten sind in der Tabelle 3-2 enthalten. Über das Auftreten von freien Neutronen und Protonen in der Materie und über die Berechnung der Massendichte Q werden wir später sprechen. Tab. 3-2. Erzeugungesehwellen der Elementarteilchen Teilchen

n

p

(jr;S~

A

Baryonendichte N • 10~39 cm- 3 Massendichte o • 10 -15 g cm - 3

1.83 • 10"4

0.0125

0.20

1.24

3.07 • Í0"4

0.021

0.331

2.63

£° 3.32 10.1

E~ 3.83 12.7

2+ 8.12 47.0

S° 9.93 68.5

Der Bereich der Kerndichte. Unter diesem Gebiet verstehen wir das Intervall der Baryonendichten 1037 sS N ^ 1039 cm - 3 . Am Anfang der entsprechenden Schicht des Sterns besteht die Materie aus Neutronen, Protonen, Elektronen, ^--Hyperonen und (jr-Mcsonen; am Rande der Schicht treten Atomkerne auf. In diesem Gebiet überwiegen zahlenmäßig die Neutronen. Es wurde bereits erwähnt, daß mit zunehmender Entfernung vom Zentrum der Grenzkonfiguration die S~-Tcilchen später als alle Hyperonen verschwinden. I n der Näherung des idealen Gases wird dieses Teilchen bei Baryonendichten stabil, die größer als N = 6.07 • 1038 cm - 3 sind. Doch in diesem Bereich gibt es Möglichkeiten einer genaueren Berechnung der Teilchenkonzentrationen [18]. Wir wollen uns vor allem bemühen, die Erzeugungsschwelle für die E~-Teilchen in der Materie gtenauer zu bestimmen. Aus der Theorie der Kernmaterie, die in einer Reihe von Untersuchungen [31—38] ausgearbeitet wurde, ist bekannt, daß die potentielle Energie der Baryonen im Kernsystem keine Konstante ist, sondern nach dem folgenden Gesetz von ihrem Impuls abhängt: Vk(p)=Vk(0)

+ Tk(p).

(3.16)

Dabei ist Vk(Q) eine Konstante, die nur von der Baryonendichte abhängt, und Tk die kinetische Energie des Ä;-ten Teilchens mit dem Impuls p. Die Stabilitätsschwelle für die E~-Hyperonen erhält man aus dem Gleichungssystem (3.9), wenn man dort alle diejenigen Glieder fortläßt, die sich auf Teilchen beziehen, welche bei den erörterten Dichten nicht existieren, und wenn man außerdem 2VE- = 0

3.1. Phasenzustände der Materie

149

setzt. Dann erhalten wir bei Berücksichtigung der Gleichung (3.16): mnc2 + 2 Tn + F„(0) = mpc2 + 2 T p + F p (0) +

E„

mnc2 + 2T n + F n (0) = ms_c2 + F 2 -(0) - Ee, N

t

Nn

+ N +NP

V i

=

Nt,

=

N:

(3.17)

Hierbei ist Tk = Ek — mkc2 die F B E M i s c h e kinetische Grenzenergie. Die Bedeutung der übrigen Bezeichnungen ist bereits bekannt. Für das Kerndichtegebiet (bei Nv = Nn) wurde für die Nukleonen F(0) ss 100 MeV gefunden [33, 34]. Man muß erwarten, daß sich auch im Fall der S~-Teilchen F 2 -(0) nicht stark von F(0) unterscheidet. Aus der ersten Gleichung ist ersichtlich, daß die Größe F n (0) — Fp(0)| der Größe 2Tn, beziehungsweise 2 T e + Ee, gleich sein muß. In der zweiten Gleichung muß | F n (0) —' F s -(0)| gleich 2T n + Ee oder gleich (m £ -— m n ) c2 = 258 MeV sein. Bei N ¡2: 2.1038 cmr3 haben wir 2T n 2TV + Ee ig 150 MeV; dabei ist es vernünftig, anzunehmen, daß für k = p, l^n(0) — F t (0)| ^ lOOMeV gilt. Dann macht man keinen großen Fehler, wenn man die Differenz der potentiellen Energien im Vergleich mit den anderen Gliedern der Gleichung vernachlässigt. Nach Durchführung von einfachen algebraischen Operationen erhält man aus den ersten drei Gleichungen des Systems (3.17) die folgende Beziehung: ?>e2 1

Ii

m^wy

3/2' 2/3

= m p [(m s — mv) c2 — 2cp e ].

(3.18)

Dabei ist pe der Grenzimpuls der Elektronen. Wenn man diese Gleichung löst, erhält man cpe = 120.9 MeV, Tp = 8.1 MeV und Tn = 67.9 MeV. In Übereinstimmung mit diesen Zahlen erhält man für die Teilchenkonzentrationen an der Erzeugungsschwelle der E~-Hyperonen: Nn = 1.994 • 1038 cm-3,

Nv = 8.206 • 1036 cm-3,

Ne = 7.727 • 1036 cm-3,

N = 2.076 • 1038 cm"3.

(3.19)

Somit ist die Erzeugungsschwelle der £~-Teilchen tatsächlich dreimal kleiner als aus der Näherung des idealen Gases folgt. Bei Dichten, die ein wenig kleiner als dieser Wert sind, verschwinden auch die ¡.¿--Mesonen aus dem Medium. Wenn man umgekehrt von der Seite der geringeren Dichtewerte kommt, so erscheinen von den instabilen Teilchen zuerst die ¡¿--Mesonen und die ^--Hyperonen in der Zusammensetzung der Materie, wobei ihre Erzeugungsschwellen mit der Kerndichte zusammenfallen. In größerer Entfernung vom Zentrum kommt unmittelbar hinter dem Gebiet, wo die letzten Hyperonen und das ¡¿--Meson verschwinden, eine sehr dünne

150

3. Theorie uberdichter

Himmelskörper

Schale, in der die Materie aus Protonen, Neutronen und Elektronen besteht. Hier ist es bequem, den Teil der potentiellen Energie (siehe (3.16)), der vom Impuls abhängt, mit der kinetischen Energie zu vereinigen und mit Hilfe der folgenden Beziehung den Begriff der effektiven Masse einzuführen [34, 35]: '

2mk

Vk(p)

=

m ^k

m* = 1 +

mk

Pk

1

Vk(0)

dVk

p2

2 m k *'

.

(3.20)

d

Pk

Dabei ist m k * die sogenannte effektive Masse. Dann kann man die Beziehung zwischen den chemischen Potentialen der Teilchen in der folgenden Form schreiben: m

p° 2 + / ^ T +

F

P(°) +

E

* =

+

+ V n (0),

(3.21)

wobei TOp* und m n * die effektiven Massen des Protons und des Elektrons sind. Bei cpe «a Ee sind die Elektronen ultrarelativistisch. Aus der Bedingung der elektrischen Neutralität der Teile des Sternvolumens folgt, daß iVe = Np gilt und folglich auch Pp = 2>e.

(3-22)

I n der Näherung, in der die Erzeugungsschwelle der E~-Hyperonen bestimmt wurde, d . h . unter der Annahme, daß |F n (0) — F p (0)| si j) n 2 /(2m n *) gilt (diese Bedingung ist mit großer Genauigkeit erfüllt), erhalten wir aus (3.21) und (3.22): N = N„P ks (——) 2 Na*. \ 2m n *c /

(3.23)

I n Übereinstimmung mit den Arbeiten [31, 34, 35] gilt im Kerndichtegebiet n*(l>n) ^ 0.6m n (die effektive Masse hängt vom Impuls ab, für die unteren Niveaus gilt m n *(0) «« 0.5m„). Folglich kann man schreiben:

m

i\ 2— ) m *c / n

2

3

^ 1.595 • 10-40 cm- 3 .

Um die Eigenschaften zu illustrieren, wollen wir einige Zahlen anführen. So gilt bei Nn = 2 • 1038, 1038, 8 • 1037, 6 • 1037 cm" 3 für das Konzentrationsverhältnis von Protonen zu Neutronen entsprechend Nv[Nn zu 0.032, 0.016, 0.013 und 0.010. Somit ist die Vorstellung von sogenannten Neutronensternen, d. h. von Konfigurationen, die zum überwiegenden Teil aus Neutronen bestehen, nicht ganz exakt. (Man nahm bisher an, daß die Konzentration der Neutronen die Konzentrationen der Protonen und Elektronen einige tausendmal übertrifft.)

3.1. Phasenzustände der Materie

151

Der Bereich unterhalb der Kerndichte. Wir wollen jetzt unsere Untersuchungen hinsichtlich der Veränderung des Materiezustandes bei weiterer Verringerung der Dichte (d. h. bei zunehmender Entfernung vom Zentrum der überdichten Gleichgewichtskonfiguration) weiterführen. In den Atomkernen beträgt die Baryonendichte ungefähr 2 • 1038 cm -3 , der entsprechende mittlere Abstand zwischen den Teilchen 2 • 10~13 cm - 3 . Das Feld der Kernkräfte reicht etwas weiter. Als Beweis dafür kann das Deuteron dienen, dessen mittlere Größe ungefähr gleich 4.3 • ICH3 beträgt, was einer Dichte entspricht, die um eine Größenordnung kleiner als der angegebene Wert ist. Früher sahen wir, daß es bei N iS 2 • 1038 cm - 3 im entarteten Kernplasma keine Hyperonen und ¡jr-Mesonen gibt. In einem bestimmten engen Bereich 1037 ^ N ^ 2 • 1038 cm - 3 besteht die Materie aus Neutronen und einer Verhältnismäßig kleinen Zahl von Protonen und Elektronen: Ne = Nn. Das ist die sogenannte Nukleonen-Elektronen- oder symbolisch nep-Phase der Materie. In dem Gebiet N 2 • 1038 cm - 3 ist das Plasma reich an Hyperonen. Darum kann man den entsprechenden Zustand Hyperonen-Phase nennen. Mit abnehmender Dichte verringert sich die Grenzenergie der Protonen (es verringert sich natürlich auch E'n und Ee) und erreicht bei N & 1.25 • 1037 cm - 3 den Grenzwert mpc2. Folglich wird Np gleich Null, d. h., die Protonen verschwinden aus dem Medium. Anscheinend besteht das entartete Plasma unterhalb dieser • Schwelle bis zu einer bestimmten Grenze nur aus einem freien Neutronen- und Elektronengas. Eine detaillierte Betrachtung zeigt aber, daß hier auch eine verhältnismäßig kleine Zahl von Atomkernen existiert. Sie sind zur Kompensation der Elektronenladungen notwendig. Diesen Zustand des Plasmas kann man -Phase nennen (das Symbol A kennzeichnet den Kern). In dieser Phase ist das Proton ein instabiles Teilchen: Ein zufällig entstandenes Proton wandelt sich in ein Neutron um, p - > n + e+ + ve. Die Instabilität des Protons ist durch den großen Wert der Grenzenergie für die Elektronen Ee + mpc2 > En bedingt. Im Zustand des thermodynamischen Gleichgewichts kann man die Abhängigkeit der Teilchendichten und der Kernparameter A und Z (A: Massenzahl, Z : Kernladung) von der Baryonendichte (oder Massendichte q) aus der Bedingung des Energieminimums finden: q.=

N — N A

H

10mnca

[(A -

Nn

Z) m n c 2 + Zmpc2

— B(A, 4/3

'

4

(N -

Nn)

J-

Z)]+

mnc2Na

(3.24)

Hier ist a = ( 3 j i 2 ) 1 ' 3 • ch, (N — Nn)/A die Zahl der Atomkerne pro Volumeneinheit (aus der Bedingung der elektrischen Neutralität folgt Ne = Z(N — ATn)/^l). Der erste Summand stellt die Kernenergie dar (der Einfachheit halber wird angenommen, daß nur ein Kerntyp existiert); der zweite und dritte Summand ist die Gesamtenergie des entarteten nichtrelativistischen Neutronengases. Die Energie 11

Ambarzumjan

152

3. Theorie überdichter

Himmelskörper

des entarteten relativistischen Elektronengases wird durch den letzten Summanden ausgedrückt (in dem betrachteten Gebiet ist die Elektronendichte relativistisch: Ee mec2). B(A, Z) ist schließlich die Kernbindungsenergie, die für mittlere und schwere Kerne in guter Näherung durch die folgende halbempirische Formel ausgedrückt werden kann: Z2 l 2 Z\2 2 3 B(A,

Z) =

CoA

C0 = 1 5 . 7 ;

-

C.A '

- C

G, = 17.8;



2

- C

C2 = 0.71;

A l l - — \ ,

3

C3 = 23.7.

Dabei hat B die Dimension MeV und a den Wert 6.11 • 10 -11 MeV cm. Wenn wir den Ausdruck für B in (3.24) einsetzen, so erhalten wir: e

(N,N

n

,A,Z) =

( N - N

a

)

2

(m nc — v n Namnrß

(mnc2 + C32

m„c p

+

C0)

+ 4 C3) — + 1 A

A113

+

2

10m„c

+



4

c,z2 +

Z2

4C3 —

Ail3

4/3

'n-N^

(3.24a)

A

Wir müssen ein Minimum dieses Ausdrucks für Q bei gegebener Baryonenzahl finden (

M

=

\M)NN.A

(JL)

=

B

Ü

\SA)NNnZ

=

o.

\dNn)

Nach Ausführung der Differentiation findet man: Ee - (mnc2 - mpc2 + 4C2) -f 2«/(4C3 + C2.

N213

wobei

y

A

SM ~8Z

[M(A,

"3^1/s

= C3 - C0 +

= — ist und «[(jV — Nn)

Z) -

4C

C

(ranc2 — mpc2 + 4C3) y

y]lls

M{A,

-

C.A-1'3

=

Et.

Z -

?/

A2l3y2

2

(4C3 +

= 0, —

8C3j/2 =

yEf.

C2A2'3),

(3.25)

Wenn man die Beziehung

1)]

berücksichtigt, wo M die Kernmasse ist, so kann man sich leicht von der Richtigkeit der folgenden Beziehung überzeugen: [M(A,

Z -

1) -

M(A,

Z)] c2 =

Ee.

(3.26)

3.1. Phasenzustände der Materie

153

Mit der letzten Beziehung ist eine wichtige physikalische Erscheinung verbunden, die man als Neutronisation der Materie bezeichnet. Wegen der Existenz eines entarteten Elektronengases mit genügend großem Wert der Grenzenergie Ee sind nämlich gewöhnliche Atomkerne in bezug auf den inversen /3-Zerfall instabil: Bx Ä + e =

Bi_1+vt.

Dabei ist B das Kernsymbol. Dieser Prozeß verläuft, solange die Massendifferenz zwischen den Isobaren von der Grenzenergie der Elektronen abweicht. Im Zustand des thermodynamischen Gleichgewichts gilt dann für die Massen benachbarter Isobaren und der Grenzenergie der Elektronen die Beziehung (3.26). In der Sprache der- Thermodynamik gibt die Beziehung (3.26) den Zusammenhang zwischen den chemischen Potentialen der Materiekomponenten im Gleichgewichtszustand, der wegen des oben angeführten /S-Prozesses besteht. Der inverse /^-Zerfall findet statt, wenn in einem entarteten Elektronengas die Materiedichte erhöht wird. Bei Abnahme der Dichte läuft der normale /9-Zerfall ab: Bz*^BAz+1 + e + ve. Die Gleichung (3.26) stellt die Bedingung des statistischen Gleichgewichts zwischen den angeführten Reaktionen des normalen und inversen ^-Zerfalls dar. Wenn wir die erste Gleichung (3.25) mit y multiplizieren und zur zweiten addieren, erhalten wir: ^ A

=

\2 d f

I/A

=

(3.27)

1lA

Die erste Gleichung des Systems (3.25) liefert die Abhängigkeit des Verhältnisses ZjA von der Baryonenkonzentration. Wir schreiben sie in der folgenden Form: Nn + 4 " [Kiß 2 - mpc2 + 46' 3 ) - 2y(UJ, + C2 A^)f a3y

= N.

(3.28)

Man kann zeigen, daß die Beziehungen (3.27) und (3.28) gerade die Bedingung für das Energieminimum darstellen. Somit hängen im stabilsten Materiezustand die Parameter des Atomkerns A und Z von der Dichte ab. Weiter unten werden wir sehen, daß dieser Effekt der Abhängigkeit der Kernparameter von der Dichte auch bei Dichten auftritt, die niedriger als die Existenzschwelle der Aen-Phase sind. Bei Werten der Grenzenergie der Elektronen ZEe < [ ¿ m n - M{A, Z)] c2 sind die freien Neutronen in bezug auf die Bildung von Atomkernen instabile Teilchen. Das Gleichheitszeichen entspricht der Erzeugungsschwelle der freien 11*

154

3. Theorie überdichter

Himmelskörper

Neutronen im Medium; am Anfang ist die Grenzenergie der Neutronen gleich ihrö^ Ruheenergie: En = mnc2. Der Aen-Phase geht die 4e-Phase voraus, die ein entartetes Plasma, bestehend aus Atomkernen und entartetem Elektronengas, ist (wir nehmen wieder an, daß die Temperatur des Mediums hinreichend klein ist: T dr.

(3.65)

o Dabei bedeuten g(r) die Ruhemassenenergiedichte, II den Koordinatenradius des Sterns und grr(r) == cl die radiale Komponente des metrischen Tensors. Eigentlich stellt öM die Massendifferenz zwischen einer Konfiguration ohne Berücksichtigung der gravitativen Wechselwirkung (Eigenmasse) und einer Konfiguration mit Berücksichtigung dieser Wechselwirkung dar. Darum gilt immer 6M > 0

176

3. Theorie überdichter

Himmelskörper

(überall ist g„ > 1). Für Baryonensterne ist der Packungskoeffizient öM¡M sehr groß [15, 16]. M ist die beobachtete Sternmasse. Für Modelle, die aus idealem Baryonengas bestehen, liegt dieses Verhältnis zwischen einigen Prozent und 20Prozent für die dichtesten Konfigurationen. Bei einigen Modellen, in denen die Zustandsgleichung des realen Gases zugrunde gelegt wurde, erreicht es sogar 55%. Nicht der Massendefekt (3.65), sondern die folgende Größe ist bedeutsam: AM = n • m — M.

(3.66)

Hier ist n die Zahl aller Baryonen (freie und gebundene) im Stern, m die Summe der Ruhemassen von Protonen und Elektronen im Baryon und M die beobachtete Masse des Himmelskörpers. Man nennt AM den absoluten gravitativen Massendefekt. Wir nehmen an, daß bei ein und derselben Baryonenzahl n zwei Materiezustände möglich sind: ein sehr verdünntes und kaltes neutrales Gas, das aus Protonen und Elektronen besteht (oder aus Wasserstoffatomen) und ein hochverdichtetes Gas in einem überdichten Stern. Dann ist der absolute Massendefekt die Differenz der Massen von Wolke und Stern. Für normale Sterne ist natürlich immer AM > 0. Es ist jedoch nicht ungewöhnlich, daß für einige der dichtesten Baryonensterne AM < 0 gilt. Die Rechnungen [15, 16, 20, 13] zeigten, daß der Massendefekt das Vorzeichen wechselt und negativ wird, wenn die Dichte Q(0) im Zentrum einen bestimmten Wert o1 überschreitet. Der Wert der charakteristischen Dichte o l hängt von der benutzten Zustandsgieichung für das Baryonengas ab. In Modellen mit realem Baryonengas hat o1 einen kleineren Wert als in Modellen mit idealem Gas. Das liegt daran, daß bei realem Gas die Kernabstoßungskräfte zwischen den Teilchen Einfluß gewinnen, wenn die Dichte des Gases die Kerndichte übersteigt. Die Abstoßungskräfte verstärken den betrachteten Effekt. Danach sind die Werte der gravitativen Massendefekte 6M und AM für Modelle mit realem Gas nicht vollkommen korrekt, weil sie dann nicht nur durch die Gravitation, sondern auch durch die Kernkräfte (Anziehung und Abstoßung) bestimmt werden. Um den Einfluß der Kernkräfte auf den absoluten Massendefekt auszuschließen, werden wir weiterhin nur Modelle von überdichten Sternen betrachten, die aus einem idealen Baryonengas bestehen. Dann stellt (3.66) wirklich den durch die Gravitation bedingten absoluten Massendefekt dar. Die Berechnung der Größe AM unter Berücksichtigung aller Baryonenarten ist keine leichte Aufgabe. Sternparameter und Teilchenkonzentrationen werden numerisch berechnet. Daher ist es schwierig, immer die Genauigkeit zu gewährleisten, die notwendig ist, um den gesuchten Effekt zu ermitteln. Um diese hohe Genauigkeit zu gewährleisten, wurden spezielle hypothetische Modelle untersucht, die nur aus Neutronen bestehen [20]. Um die Ergebnisse gegenüberstellen und vergleichen zu können, wurden Modelle von Neutronensternen nicht nur nach der E i N S T E i N s c h e n Gravitationstheorie, sondern auch nach der N E W T O N s c h e n Theorie berechnet. I n Tabelle 3-5 sind die wichtigsten Parameter der Modelle angegeben. Bei Zahlenwerten für Größen, die

3.2. Theorie überdichter Sterne

177

Tab. 3-5. Die wichtigsten Parameter der Konfiguration, die aus einem entarteten idealen Neutronengas bestehen Nach der EiusTEiNschen Gravitationstheorie

m

i 2 3 4 5 6 7 8 10 11 12 oo i(0)

1 2 3 4 5 6 7 8 10 11 12 oo

AM

R

M

n • IO"56

1.5133 0.9583 0,6696 0.5074 0.4060 0.3640 0.3670 0.4130 0.4810

0.0324595 0.0658900 0.0766367 0.0710653 0.0598619 0.0492384 0.0419996 0.0396985 0.0458412

3.60178 7.44366 8.74018 8.02574 6.56506 5.18517 4.26480 3.97905 4.72655

0.008249 0.025880 0.035075 0.025570 -0.003436 -0.045005 -0.083740 -0.097925 —0.067306

0.4530 0.4506

0.0473537 0.0458743

4.91175 4.72432

-0.06095 -0.06858

~M~o

Nach der NEWTOKschen Gravitationstheorie R

TJ(R)

M

n • 10- 56

1.55668 1.05537 0.805802 0.640732 0.521618 0.434748 0.374142 0.336988 0.333320 0.365932 0.404375 0.362325

0.0354367 0.0901267 0.1391840 0.1694480 0.1778630 0.1689490 0.1503140 0.1290290 0.0970354 0.0918297 0.0948718 0.1092030"

0.0347413 0.0833362 0.1171330 0.1259460 0.1142420 0.0928140 0.0709330 0.0535240 0.0362572 0.0371440 0.0424497 0.0435033

3.86171 9.53554 14.0320 16.0083 15.5392 13.5404 11.0402 8.75917 6.09621 5.92353 6.46310 7.43305

Bemerkung:

t(0) = 4 arsh

(Sn^hN^)1!3

AM M0 0.009977 0.038240 0.081375 0.134190 0.190940 0.245670 0.292940 0.327540 0.345490 0.309930 0.277200 0.355920

, wobei N(0) die zentrale Neutronen-

dichte, R den Sternradius, M die beobachtete Masse, U(R) die Sternmasse ohne Berücksichtigung der NEWTONschen Anziehung (ebene Welt), n die NeutronenAM zahl im Stern und den gra vitati ven Packungsanteil bedeuten (AM = M0 Mq — M, M0 = n • m0). Die Dimensionsgrößen sind in den Einheiten c = k = 1, Kn = l/4jr gegeben. Wenn man die Masse in Einheiten der Sonnenmasse und den Radius in Kilometern erhalten will, so muß man die Tabellendaten mit 9.29 bzw. mit 13.7 multiplizieren.

178

3. Theorie überdichter

Himmelskörper

eine Dimension besitzen, ist zu beachten, daß c = k = 1 gesetzt wurde; außerdem gilt Kn — mn4c5/(32jr2A3) = 1 /4?t. I n der f ü n f t e n u n d zehnten Spalte stehen die Zahlen werte f ü r den absoluten Packungskoeffizienten: AM

M0

Mo M0

M

M0 =

(3.67)

nmn.

Wie die Tabelle zeigt, h a t dieser Koeffizient in der NEWTONschen Theorie immer einen positiven Wert. Nach der EiNSTEmschen Theorie wird er f ü r £(0) 2: 5 (die entsprechende Dichte im Zentrum beträgt ungefähr 1016 gern -3 ) negativ. U'10-lr

\M sr/2

-10L

u

Abb. 3-7. Der Packungskoeffizient einer Neutronenkonfiguration als Funktion des Parameters i(0) nach der ElNSTBlNschen Gravitationstheorie. Die Definition für den Packungskoeffizienten ist in der Beziehung (67) gegeben

I n den Abbildungen 3-7 und 3-8 sind die Packungskoeffizienten AM/M0 graphisch dargestellt. Wir wollen nur einige sehr wichtige Eigenschaften der in diesen Abbildungen dargestellten Abhängigkeit betrachten. I m NEWTONschen Fall wächst der immer positive absolute gravitative Massendefekt im allgemeinen mit der Dichte im Zentrum (siehe letzte Spalte der Tabelle 3-5). N u r bei sehr hohen Dichten (bei i(0) 12) t r i t t ein deutliches Minimum auf. Wir hielten es nicht f ü r notwendig, die graphische Darstellung f ü r diesen Fall anzugeben. F ü r relativistische Modelle ist ein anomales Verhalten des Packungskoeffizienten charakteristisch (siehe Abbildung 3-7). E r wächst zunächst mit der Dichte bis zu einem Maximum bei x = arctg t{0) = 1.27

(i(0) = 3.34,

N{0) = 3 • 1039 cm" 3 )

u n d n i m m t danach ab. Bei x > 1.36 (i(0) > 4.67, Ar(0) > 1.12 • 1040 eni" 3 ) wird AM IM 0 negativ, erreicht bei x = 1.45 ( oo strebt der Koeffizient gegen den Grenzwert —0.069. Bemerkenswert ist auch die Abhängigkeit des Packungskoeffizienten von der Zahl der Neutronen im Stern (siehe Abb. 3-8). Die Zahlen an der Kurve kennzeichnen die zugehörigen Werte des Parameters f(0), der wiederum das Modell charakterisiert. Wir sehen, daß sich die Kurve im Intervall 0 < t(0) < 3 „normal", aber für /(0) > 3 anomal verhält.

Abb. 3-8. Der Packungskoeffizient der Neutronenkonfigurationen als Funktion der Gesamtzahl der Neutronen. Die Ziffern an der Kurve geben den Wert des Parameters /( T* 00 00 o o © ö ö tH

o IN O

co (M CO

»

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cS H

be tí 3 tí tí H

S*« ' .2 ce g flSÔ

Ph S

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3 FM 3" 3 tí -tí FQ

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186

3. Theorie überdichter

Himmelskörper

(siehe Spalte 8). So gilt bei N P 0531 :P ^ 0.0331 s und dP/dt tv 36.5 ns/Tag (Nanosekunde = ns = 10"9 s), während für CP 1919 P ss 1.29 und dP/dt «s 0.002ns pro Tag gilt. Aus der Breite des Radioimpulses kann man genügend genaue Vorstellungen über die Dimension der strahlenden Gebiete ableiten. Die Impulsbreite wird offensichtlich durch das Zeitintervall bestimmt, das vom Empfang der im Zentrum emittierten Strahlung bis zum Empfang der am Rande emittierten Strahlung vergeht, d. h. W & R/c. Dabei ist R der Radius der Scheibe des strahlenden Gebietes. Wenn W & 0.03 s gilt, so folgt daraus, daß die linearen Dimensionen des strahlenden Gebietes von der Größenordnung 900 km sind (für N P 0531 gilt W sa 0.003 s und R 90 km). Schon aus diesen einfachen Abschätzungen ist ersichtlich, daß die pulsierende Radiostrahlung offensichtlich von sehr kompakten Himmelskörpern stammt. Sehr wichtig ist auch die Kenntnis der Entfernung der Pulsare. Im Mittel haben die Pulsare eine Entfernung von einigen hundert bis zu einigen tausend Parsec von der Sonne. Wir erinnern daran, daß der Durchmesser unserer Galaxis d ä; 30 kpc beträgt, daß ihre Dicke im zentralen Gebiet etwa 5 kpc und an der Peripherie ungefähr 1 kpc ist. Die Sonne befindet sich in einer Entfernung von etwa 10 kpc vom galaktischen Zentrum und 14 pc über der galaktischen Ebene in nördlicher Richtung. Somit sind die beobachteten Pulsare Mitglieder unserer Galaxis. Daraus folgt natürlich nicht, daß sie in anderen Galaxien nicht auftreten. Zweifellos gibt es auch in anderen Galaxien Pulsare, aber ihre Beobachtung auf dem allgemeinen Radiohintergrund der jeweiligen Galaxie ist mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Kenntnis der Entfernung und des Strahlungsflusses der Impulse erlaubt es uns, die absoluten Radiostrahlungsströme, d. h. die mittlere Radiohelligkeit der Quellen zu berechnen. Die Radiohelligkeit der Pulsare ist von der Größenordnung 1028 bis 1031 erg/s. Wenn wir auch den kurzwelligen Teil der Strahlung berücksichtigen, (der nur beim Pulsar P 0531 zu beobachten ist), erreicht die Gesamtstrahlung offensichtlich 1032 erg/s. Zum Vergleich erinnern wir daran, daß die Leuchtkraft der Sonne L Q = 3.86 • 1033 erg/s beträgt. Wir sehen also, daß die Pulsare sehr starke Radioquellen sind. Weil bereits viele Pulsare entdeckt worden sind, kann man versuchen, das Problem ihrer räumlichen Verteilung zu untersuchen. Die Statistik von 55 Objekten deutet auf eine klare Tendenz zur .Konzentration in der galaktischen Ebene hin. Zwei Pulsare — N P 0531 und N P 0527 — wurden im Krebsnebel entdeckt [53]. Die Periode des ersten ist die kürzeste, die des zweiten aber die längste von allen Quellen, die in der Tabelle 6 enthalten sind. Wir müssen noch etwas beim Pulsar N P 0531 verweilen, weil er sich wegen einer Reihe von bemerkenswerten Besonderheiten im Zentrum der Aufmerksamkeit der Spezialisten befindet. Er wird durch eine Periode von etwa 0.0331 s und eine Impulsbreite W = 3 ms charakterisiert. Von großem Interesse ist die Identifizierung der Pulsare mit Himmelskörpern, die der optischen Beobachtung zugänglich sind. Auch in dieser Beziehung zeichnet sich die Quelle N P 0531 vor den anderen aus. Es zeigte sich, daß sie mit

3.3. Pulsare

187

einem bereits früher bekannten schwachen Stern im Zentrum des Krebsbnebels zusammenfällt. Das ist gerade der Stern, den man für einen Überrest der Supernova von 1054 hält (sie wird in chinesischen Chroniken erwähnt). Die Materiewolke, die bei der Explosion des massereichen Zentralkörpers ausgeworfen wurde, ist noch heute zu sehen (der Radius der Wolke ist von der Größenordnung 3 pc, ihre Masse beträgt M 0.3 M 0 ). Sie expandiert mit einer Geschwindigkeit von 1000 km/s. Der Krebsnebel zog mehrmals das Interesse der Astrophysiker auf sich. Erstmals war bei ihm die Existenz von Synchrotronstrahlung im optischen Frequenzbereich entdeckt worden. Die Beobachtung von Synchrotronstrahlung spricht dafür, daß im Krebsnebel auch heute noch ständig Ströme von relativistischen Elektronen erzeugt werden, die bei ihrer Bewegung im Magnetfeld eine Magnetobremsstrahlung (d. h. Synchrotronstrahlung) aussenden. Diese Schlußfolgerung ist deshalb unvermeidlich, weil die Lebensdauer der relativistischen Elektronen, die bei der Supernovaexplosion entstanden, bedeutend kleiner ist als die inzwischen verflossene Zeit (918 Jahre). Infolge der Magnetobremsstrahlung haben diese Teilchen nämlich längst ihre Energie verloren. Im Jahre 1963 wurde eine Röntgenstrahlung entdeckt, die vom Zentralgebiet dieses Nebels ausgeht. Wieder erweckte dieses Objekt die Aufmerksamkeit der Astronomen. Man fand, daß der Zentralstern des Nebels neben der pulsierenden Radiostrahlung eine starke pulsierende Strahlung im optischen Bereich und sogar im Röntgengebiet aussendet. Messungen ergaben, daß die Perioden der Pulsationen im optischen Bereich und im Röntgengebiet gleich sind, und daß die Impulse in beiden Bereichen synchron emittiert werden. Diese wichtige Tatsache läßt keinen Zweifel daran, daß die Radiostrahlung, die optische Strahlung und auch die pulsierende Röntgenstrahlung gleichzeitig von ein und derselben Quelle ausgesandt werden. Der auf der Erde empfangene pulsierende Strahlungsstrom von NP 0531 im Radiofrequenzbereich, im optischen Bereich und im Röntgengebiet beträgt 6 • lO 14 , 6 • 10~14 und 1 • 10-7 erg/cm2s. Weil die Entfernung bis zum Krebsnebel bekannt ist — sie beträgt ungefähr 2.02 kpc = 6.25 • 1021 cm — kann man aus diesen Werten den absoluten Strahlungsstrom (Helligkeit) des Pulsars berechnen: 3 • 1031 erg/s im Radiobereich 7 = 3- 1031 erg/s im optischen Bereich 5 • 1037 erg/s im Röntgenbereich. Der Anteil der pulsierenden optischen Strahlung an der gesamten optischen Strahlung des Sterns beträgt ungefähr 10 Prozent. Die pulsierende Röntgenstrahlung umfaßt etwa 15 Prozent der Röntgenstrahlung, die von dem ganzen Nebel ausgesendet wird. Ein anderer Pulsar von besonderem Interesse ist PSR 0833—45. Er besitzt nämlich nach NP 0531 die kürzeste Periode: P = 0.0892 s. Wie NP 0531 ist dieser Pulsar offensichtlich auch mit einer Supernova verbunden. Tatsächlich befindet er sich am Ort der Radioquelle Yela X (im Sternbild Yela), die als Über-

188 3. Theorie überdichter Himmelskörper rest einer Supernova angesehen wird. Am gleichen Ort ist auch noch eine sehr schwache Gashülle zu beobachten. Die Tatsache, daß dieses Objekt sehr schwach ist, spricht dafür, daß die Explosion hier schon bedeutend weiter zurückliegt als beim Krebsnebel. Die Suche nach einem optischen Objekt und nach einer punktförmigen Strahlungsquelle im Röntgenbereieh war ergebnislos. Diese Beispiele -führen uns zu der Annahme, daß Pulsare offensichtlich die Überreste von Supernovae sind. (Diese Erscheinung k a n n man wiederum von zwei Gesichtspunkten erklären: Man k a n n annehmen, daß sich dort der Kollaps eines gewöhnlichen Sterns vollzog oder daß es die Explosion eines überdichten Himmelskörpers war.) Das Fehlen von Gashüllen oder anderen sichtbaren Spuren bei den anderen Pulsaren läßt sich verstehen, wenn in diesen Fällen das Aufleuchten so weit zurückliegt, daß sich die bei der Explosion ausgeworfene Materie inzwischen im interstellaren R a u m verteilen konnte. Wenn dem so ist, dann muß eine direkte Korrelation zwischen der Periode und dem Alter der Pulsare bestehen (die Pulsationsperiode muß bei jungen Quellen kurz sein, bei alten Quellen dagegen lang). E s sollten auch Pulsare existieren, deren Perioden kürzer als bei N P 0531 sind. Wenn man also annimmt, daß die beobachteten Objekte Vertreter verschiedener Entwicklungsstadien von etwa gleichartigen Ausgangserscheinungen sind, d a n n gelangt man zwangsläufig zu Brems- oder Abklingprozessen, die mit der Zeit die Periode der Pulsare vergrößern. Diese Schlußfolgerung wirct durch unmittelbare Messungen unterstützt, die zeigen, daß die Perioden der Pulsare tatsächlich mit der Zeit wachsen, wobei die Wachstumsgeschwindigkeit beim di Übergang von kurzperiodischen zu langperiodischen Pulsaren kleiner wird (d. h. dP die Geschwindigkeit — verringert sich mit der Zeit). Es gibt auch eine Korredi lation zwischen Periode und Intensität: Die Intensität der pulsierenden Strahlung von N P 0531 ist bedeutend größer als die anderer Pulsare, d. h., junge Objekte besitzen offenbar einen höheren Strahlungsstrom als ältere. J e t z t können wir zur Behandlung der Frage nach der Natur der Pulsare übergehen. Die verhältnismäßig kleine Periode und Impulsbreite weisen eindeutig darauf hin, daß die pulsierende Strahlung direkt von überdichten Sternen kommt, deren Durchmesser die Bedingung coc erfüllt. G O L D [54] kam nach einer sehr sorgfältigen und logischen Analyse der Fakten zu dem Ergebnis, daß die beobachteten Erscheinungen in irgendeiner Weise durch die Rotation eines Baryonensterns erzeugt werden. Heute ist diese Vorstellung allgemein anerkannt. Aber es gab auch andere Meinungen. So wurden in der Literatur mehrere Varianten über rotierende Weiße Zwerge, über Pulsationen von Weißen Zwergen sowie über die gleichzeitige Rotation und Pulsation von Weißen Zwergen oder Baryonensternen erörtert. Heute ist es aber klar, daß alle mit Weißen Zwergen verbundenen Vorstellungen ungeeignet sind. Solche kurzen Perioden, wie sie bei N P 0531 und PSR 0833—45 auftreten, sind bei Weißen Zwergen unmöglich. Bei Weißen Zwergen gibt es radiale Pulsationen mit Perioden P p > 0.25 s und Rotations-

3.3. Pulsare

189

Perioden Pr ig 0.3 s. Die Perioden für die Grundmoden der radialen Pulsationen bei typischen Weißen Zwergen sind von der Größenordnung 10 s, während sie bei Baryonenkonfigurationen im Bereich von 0.1 bis 0.001s liegen. Somit entsprechen die beobachteten Werte für die Perioden bei den Pulsaren eher den Rotations- und radialen Pulsationsperioden der Baryonensterne. Die Impulsbreite und auch der steile Anstieg und Abfall sprechen aber dafür, daß wir es mit einem scharf gerichteten Strahlenbündel zu tun haben. Wenn wir von einer Rotation ausgehen, lassen sich die Beobachtungen zwangloser erklären, als wenn wir eine radiale Pulsation des Baryonensterns zugrunde legen. Wir brauchen nur anzunehmen, daß sich auf der Oberfläche des Sterns ein strahlender Fleck befindet, der infolge der Rotation von der Erde aus nur kurzzeitig sichtbar ist. Solche Flecken könnten zum Beispiel magnetische Pole sein. Es gibt auch noch andere starke Argumente, die zugunsten der Rotation und gegen eine radiale Pulsation sprechen. I n der Arbeit [53] wurde aus der Analyse von zahlreichen aufeinanderfolgenden Pulsen der Pulsare AP 2015 + 28 und CP 1919 festgestellt, daß anscheinend noch eine zweite kürzere Periode P2 in der variablen Strahlung existiert. Dabei bestätigte sich, daß P2 P1 gilt, wobei P x die Grundperiode ist. Für die zweite Periode gilt P2 s» 10 Millisekunden. Im Unterschied zu Px wurde für die Periode P2 eine merkliche Veränderung festgestellt. Entsprechend diesen Ergebnissen wurde in den Arbeiten [52, 55] ein Modell vorgeschlagen, das auf gleichzeitiger Rotation und Pulsation des Baryonensterns beruht. Dabei wird die Periode Px der Rotation zugeschrieben und P 2 den radialen Pulsationen. I n der Folgezeit verwarf man jedoch die Existenz der zweiten Periode. Man schlug eine Reihe von Theorien vor, um den Mechanismus der pulsierenden Radioemission und optischen Strahlung erklären zu können. Aber keine Theorie konnte alle Aspekte der Beobachtungen zusammenfassen. Einige erwiesen sich sogar als vollkommen falsch. Man muß feststellen, daß gegenwärtig beim Abfassen dieser Zeilen noch keine Theorie der Pulsare existiert. Aber es gibt die vernünftige qualitative Erklärung von GOLD [54], auf die wir weiter unten noch eingehen. Die Vorstellung von rotierenden Baryonensternen erlaubt folgende Schlußfolgerungen: 1. Es muß eine direkte Korrelation zwischen der Periode P und der Impulsbreite W existieren (bei Verlangsamung der Rotation muß W offensichtlich anwachsen); 2. kurzen Perioden P müssen junge Objekte entsprechen; 3. Pulsare sind am wahrscheinlichsten dort zu finden, wo das Aufleuchten von überdichten Sternen beobachtet wurde; 4. die Perioden müssen sich wegen der Abbremsung der Rotation (die durch Energieverluste bedingt ist) verlängern. Alle diese Schlußfolgerungen werden durch Beobachtungsdaten bestätigt. , Wenn man im Krebsnebel wirklich einen Baryonenstern beobachtet, dann erhalten wir mit einer Masse M = 1 M e , einem Radius R na 7 km und einer Winkelgeschwindigkeit von 30 s _ 1 (P s» 0.331 s) für die Rotationsenergie größenordnungsmäßig 1049 erg. Gleichzeitig erlaubt die beobachtete Verlangsamung der Rotation dP ( — = 36.518 ns/Tag, das bedeutet die Verringerung um eine Umdrehung in di

190

3. Theorie überdichter

Himm^skörper

2400 Jahren), die Größe des Energieverlustes abzuschätzen. Sie beträgt ungefähr 2 • 1038 erg/s, was den oben genannten Daten für den Gesamtstrahlungsstrom des Pulsars im Krebsnebel nicht widerspricht. Es wäre vollkommen unvernünftig, anzunehmen, daß diese intensive Strahlung durch Elektronen bedingt sein könnte, die sich chaotisch in einem Magnetfeld bewegen, weil dann Teilchen mit Energien von 1021 eV nötig wären. Vielmehr müssen in der Atmosphäre des Baryonenkerns kohärente Strahlungsmechanismen existieren, wobei die Strahlung infolge der korrelierten Bewegung einer größeren Zahl von Teilchen entsteht (dabei wird die Intensität proportional dem Quadrat der Teilchenzahldichte sein). Man vermutet, daß ein Baryonenstern immer ein sehr starkes Magnetfeld besitzt, dessen Feldstärke an der äußersten Oberfläche 1012 Gauß oder noch mehr beträgt. GOLD nimmt an, daß die ausgedehnte Magnetosphäre des Sterns zusammen mit ihm rotiert. Die radiale Ausdehnung des Plasmas in der Magnetosphäre wird durch die Größe r m clco bestimmt, wobei a> die Winkelgeschwindigkeit der Rotation ist. Die Teilchenkomplexe bewegen sich spiralförmig längs der Kraftlinien zum Rand der Magnetosphäre. An der Stelle, wo die Geschwindigkeit an die Lichtgeschwindigkeit herankommt (o « c), wird der Teilchenstrahl aus der Oberfläche der Magnetosphäre herausgeschleudert. Bei diesem Auswurf entsteht sowohl sichtbare Strahlung wie auch Röntgenstrahlung. Der Hauptteil der Radiostrahlung entsteht jedoch bereits vor dem Auswurf des relativistischen Gases tangential zur Rotationsbewegung. Das Fehlen einer axialen Symmetrie des Magnetfeldes (schiefer Rotator) oder des Energienachschubs der Teilchen ruft — zusammen mit der scharf gebündelten Strahlung, die von dem relativistisch bewegten Teilchenstrahl ausgeht — gerade die Pulserscheinung hervor. Es wird auch die Meinung vertreten, daß die Strahlung durch einen Lasermechanismus entsteht. Dabei nimmt man an, daß die von der Oberfläche kommende Strahlung beim Durchgang durch ein Plasma verstärkt wird. Das erfolgt auf Kosten der Anregungsenergie des Plasmas infolge induzierter Übergänge. Es gibt noch weitere theoretische Erklärungsmöglichkeiten, auf die wir aber hier nicht eingehen können. Uns scheint, daß die Vorstellungen GOLDS über die Existenz eines Stroms von schnellen Teilchen der Wahrheit am nächsten kommen. I n allen verschiedenartigen Theorien müssen aber starke Magnetfelder im Plasma um den Stern eine Rolle spielen. Die Anwesenheit eines solchen Magnetfeldes ist notwendig, um die Polarisation der Strahlung erklären zu können. Jetzt wollen wir erörtern, wie man die Entfernung der Pulsare bestimmen kann. Wir wiesen bereits darauf hin, daß nur der Pulsar N P 0531 optisch identifiziert ist und daher seine Entfernung unmittelbar bekannt ist (2.02 kpc). Für andere, optisch nicht identifizierbare Objekte, bestimmt man die Entfernung aus der Größe der Dispersion der Radiowellen. Der Brechungsindex für Radiowellen im Plasma ist

3.3. Pulsare

191

Dabei ist v02 = wee2/(jrme) die Plasniafrequenz, ne die Elektronendichte im interstellaren Raum längs der Ausbreitungsrichtung der Strahlen. Die Wellen breiten sich mit der Gruppengeschwindigkeit do>

aus, wenn k = — = v

die Wellenzahl und v = — die Phasengeschwindigkeit

c

n

der Wellen ist. Wenn wir die angegebene Beziehung für den Brechungsindex benutzen, erhalten wir da)

vg

c

dco/

\

c \

v2 /

c

\

2v2/

Für die Ankunftszeit eines monochromatischen Signals gilt:

0

0

Dabei ist s der Abstand der Strahlungsquelle vom Empfänger. Wie wir sehen, hängt die Laufzeit eines Signals von der Frequenz ab; sie wächst mit abnehmender Frequenz. Daraus erhalten wir für die Differenz zwischen den Ankunftszeiten zweier Signale mit den Frequenzen vj und v2: s t{vx)

-

t(v2) = —^— I 2jimec J o

n j —

-) ds.

\v,2

v2 /

s

Das Integral Jw e ds ist die Zahl der Elektronen in dem Zylinder zwischen Pulsar o und Erde mit der Grundfläche von 1 cm2. Dieses Integral wird Dispersionsmaß genannt {DM). Somit gilt: r , 2.4 • 10-4[f(vi) — DM = J nt ds = o V!2

L

(3.71)

V22

Hier wird die Zeit in Sekunden, die Entfernung in Parsec (1 pc = 3.086 • 1018 cm) und die Frequenz in Megahertz angegeben. Aus der Beziehung (3.71) ersieht man, daß man das Dispersionsmaß für jeden Pulsar unmittelbar erhalten kann, wenn man die Ankunftszeiten der Wellen bei verschiedenen Frequenzen mißt. Wenn uns dann die mittlere Dichte der Elektronen längs der Sichtlinie bekannt ist, können wir die Entfernung bis zu der Quelle

192

3. Theorie iiberdichter

Himmelskörper

berechnen : s

=

2.4 • l O ^ f i K ) -

t(v2)]

DM

«e

(3.72)

Die mittleren Werte für die Elektronendichte sind nicht bei allen Pulsaren gleich. Die Elektronendichte ist größer, wenn die Sichtlinie ein Gebiet mit erhöhter Ionisation durchdringt (Wolken ionisierten Wasserstoffs, die wir H II-Gebiete nennen), oder ein Gebiet, in dem sich Sterne früher Spektralklassen befinden. Blaue Überriesen sind in der Lage, den sie umgebenden Wasserstoff bis zu sehr großen Entfernungen zu ionisieren. Der Radius der Sphäre, in der der Wasserstoff ionisiert ist, kann zum Beispiel für einen Stern der Spektralklasse 0 5 bis zu 1000 pc betragen. Für eine mehr oder weniger genaue Entfernungsbestimmung der Pulsare ist es also notwendig, daß man in jedem Fall die Objekte genau untersucht, die in der Nähe der Sichtlinie liegen. Wenn diese Analyse nicht durchgeführt wird, können die aus dem Dispersionsmaß bestimmten Entfernungen in einzelnen Fällen mit großen Fehlern behaftet sein. Die für alle Quellen gemittelte Elektronendichte ist in der Tabelle 6 angegeben. Sie beträgt ungefähr 0.045 cm" 3 [49]. Wir weisen darauf hin, daß ein Teil des Dispersionsmaßes durch die Quelle selbst bedingt ist. Betrachten wir z. B. den Krebsnebelpulsar, für den das Dispersionsmaß den Wert DM = 57 pc cmr 3 hat. Der Nebel um diesen Pulsar N P 0531 besitzt die Masse M «s 0.3 M 0 , einen Radius R «a 0.5 pc und eine mittlere Elektronendichte nt sa 40 cm - 3 . Daher beträgt der Beitrag des Krebsnebels selbst zum Dispersionsmaß 20 pc cm -3 . Heute sind die technischen Möglichkeiten so weit entwickelt, daß man Pulsare mit einem Dispersionsmaß DM

1, k(r) -> k0. Aus der Forderung, daß die verallgemeinerte Gravitationstheorie für große Entfernungen mit der gewöhnlichen Gravitationstheorie zusammenfallen muß, ergibt sich der Schluß, daß £0 die NEWTONsche kosmische Gravitationskonstante ist. Wenn wir fordern, daß die HECKMANNsche Lösung für hinreichend große E n t fernungen asymptotisch in Lösungen nach SCHWAEZSCHILD und NEWTON übergehen soll, finden wir r0 = 2hBrg;

ß =—1—;

|F| ^

30.

Eine Beschränkung für den Wert |f| erhalten wir, wenn wir fordern, daß die abgeänderte Theorie in den Grenzen der Meßgenauigkeit die drei bekannten Effekte der allgemeinen Relativitätstheorie erklären soll [57], In Anlehnung an JOEDAN wurde in den Arbeiten [ 6 4 — 6 9 ] f = — 3 0 angenommen. Der Fall £ > 0 führt in der nichtrelativistischen Variante (verallgemeinerte NEWTONSCHE Gravitationstheorie, siehe erste (russische) Ausgabe dieses Buches, Kap. III, § 3) zu einer Divergenz. Daher wurde dieser Fall nicht untersucht. In Übereinstimmung damit gilt für die Konstanten in der HEOKMANNSchen Lösung: h = 0 . 5 1 2 3 4 , B = 0 . 9 6 8 2 5 , r„u = 0 . 9 9 2 5 , r„ ^

'

' » D =

.

•3.4. Verallgemeinerte Gravitationstheorie

199

Wir müssen noch auf den sehr wichtigen Umstand hinweisen, daß die äußere Lösung für eine Punktmasse in der verallgemeinerten Variante der Gravitationstheorie keine Besonderheit besitzt, wie sie in der ScHWABZSCHüDschen Lösung vorkommt. Dieser Umstand gibt die Möglichkeit, Modelle von statischen überdichten Konfigurationen mit beliebig großen Massen zu konstruieren. Die innere Lösung für die Gleichung (3.81) wurde in den Arbeiten [64—69] gefunden. In [67] wurden Konfigurationen berechnet, die aus einem idealen Gas (siehe die Zustandsgieichung (3.42), (3.43)) und einem realen Baryonengas be-

Abb. 3-9. Masse und Radius als Funktion des Druckes im Zentrum statischer sphärischer Konfigurationen, die aus realem Baryonengas bestehen. Die Zustandsgleichung wurde der Arbeit [18] entnommen. Nach der EiNSTEiNschen Theorie (Kurve 1) ist die Masse der Konfiguration von der Größenordnung der . Sonnenmasse, während der zentrale Druck beliebige Werte annehmen kann. Nach der verallgemeinerten Gravitationstheorie (Kurve 2) ist der Druck P nach oben begrenzt, während für die Masse beliebige Werte erlaubt sind. Für P0 —> 7.52 gilt M —> oo. Die Zahlen an den Punkten geben die Werte des Parameters qB = PJo0

stehen. Für ein reales Gas wurde die durch die Beziehungen (3.42), (3.43) und (3.46) bis (3.49) gegebene Zustandsgieichung benutzt. An der Oberfläche des Modells wurde die innere Lösung des Systems (3.81) stetig an die äußere Lösung (3.82) angeschlossen. Wir erwähnten bereits, daß diese Lösung für hinreichend große Abstände durch geeignete Wahl der Konstanten mit der SCHWARZSCHILDschen Lösung zusammenfällt. Wir betrachten jetzt die Ergebnisse für ein Modell, bestehend aus einem realen Baryonengas (s. Tabelle 3-7 und Abbildung 3-9). In Abbildung 3-9 ist die Abhängigkeit von Masse M und Radius R vom Druck P0 im Zentrum des Modells dargestellt. An einigen Punkten p der Kurven sind die Werte des sogenannten relativistischen Parameters q0 —

notiert. (o0 ist die Energiedichte im Zentrum.) Die beiden Qo

14 Ambarzumjan

200

3. Theorie überdichter Himmelskörper

unteren mit 1 gekennzeichneten Kurven stellen den Verlauf M(P0) und R{P0) dar. Wie wir bereits aus 3.2. wissen, können in diesem Fall statische Baryonenkonfigurationen mit beliebigem zentralem Druck nur für begrenzte Werte von Masse und Radius oo oszilhert die Masse M{P0) mit abnehmender Amplitude und nähert sich dabei einer Grenze, Tab. 3-7. Einige der wichtigsten Eigenschaften der Konfigurationen, die aus einem realen Baryonengas bestehen und nach der verallgemeinerten relativistischen Gravitationstheorie berechnet wurden p

?o

R

M

w

0.00223 0.0159 0.239 1.64 2.34 3.05 4.55 5.73 6.93 7.39 7.48 7.49 7.51 7.52 7.52 7.52 7.52

0.04 0.11 0.37 0.67 0.72 0.75 0.81 0.84 0.86 0.87 0.87 0.87 0.88 0.88 0.88 0.88 0.88

0.930 0.827 0.651 0.500 0.489 0.490 0.552 0.610 0.972 2.20 3.91 16.9 74.9 327 1420 6180 2.68 • 104

0.050 0.122 0.185 0.180 0.188 0.200 0.232 0.290 0.491 1.17 2.12 9.51 43.7 197 890 4010 1.81 • 104

0.054 0.148 0.284 0.366 0.385 0.407 0.445 0.474 0.510 0.533 0.543 0.563 0.583 0.604 0.626 0.648 0.671

M0

1 0

-58

_

_

0.136 0.254 0.342

0.143 0.236 0.251





0.485

0.310



1.22 3.73 21.5

N



0.658 1.89 10.7





1.36 • 103 2.63- 104 5.11 • 105 9.95- 106 1.92 • 108 3.71 • 10"

6.72 • 102 1.30 • 104 2.52 • 105 4.91 • 10« 9.46 • 107 1.83 • 109

k(R) 0.998 0.995 0.987 0.980 0.978 0.975 0.969 0.961 0.945 0.920 0.902 0.862 0.823 0.785 0.747 0.716 0.684

P0 P0 und Q0 sind Druck und Energiedichte im Zentrum, q0 = —, R ist der Radius, M ist die e M ° Masse der Konfiguration, vi = —, Ma ist die Eigenmasse (Masse ohne Berücksichtigung der R Gravitation), N ist die Zahl der Baryonen in der Konfiguration und k(R) bedeutet den Gravitationsskalar an der Oberfläche. Masse und Radius sind in den Einheiten p = k0 = 1, 1 Kn = — gegeben. Wenn man die Masse in Einheiten der Sonnenmasse und den Radius in 4ji Kilometern erhalten will, muß man die Tabellenwerte mit 9.29 bzw. mit 13.7 multiplizieren.

die bei einer Sonnenmasse liegt. Die oberen Kurven (2) entsprechen der verallgemeinerten relativistischen Gravitationstheorie. Sowohl aus der Tabelle wie auch aus der Abbildung geht hervor, daß sich die Ergebnisse der neuen Theorie bei kleinen Werten von q0 nur wenig von den Werten der EiNSTEiN-Theorie unterscheiden. Eine wesentliche Abweichung tritt erst bei 1040 bis 1041 erg. Wenn man die Albedo der Planeten zur Zeit des Maximums des Vulkanismus bedenkt, so ist es sehr wahrscheinlich, daß nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Sonnenenergie an der Erzeugung innerer Prozesse teil hatte. Für die inneren Planeten spielte offenbar die Gezeitenkraft der Sonne eine entscheidende Rolle, die eine Steigerung und Entwicklung der eruptiven Prozesse bewirkte. Die Gezeitenkraft des Jupiter hat auch die eruptiven Prozesse auf seinen Begleitern beschleunigt, was die Dichteverteilung der GAULEischen Begleiter erklärt. Wo kommen die Energiequellen her, die den kosmischen Vulkanismus auf den Planeten speisen? Am natürlichsten ist es, von einer ursprünglich stellaren Energie innerhalb der Planeten auszugehen, weil es immer deutlicher wird, daß die Planeten von stellaren Objekten ausgingen. Man kann sich die Planeten als Zerfallsprodukte einer stellaren Masse vorstellen, die bis zur Ausbildung einer molekularen und später mineralischen Hülle keine vollständige Dissipation und Desintegration durchgemacht haben. Offensichtlich entwichen bereits in diesem Stadium Wasserstoff, Helium und andere leichte Elemente in einem gewissen Grade; die Temperatur sank und ermöglichte die Synthese von komplizierten Verbindungen und Mineralen. Der gesamte Vorrat an Wärmeenergie reichte sicher aus, um im Kern der Planeten exotherme Reaktionen über einige hundert Millionen und Milliarden Jahre aufrechtzuerhalten. Man darf dabei Reste von Kernprozessen in einigen Gebieten der Planetenkörper nicht ausschließen. Die Wärmeenergie im Innern eines Planeten, bezogen auf ein Gramm Materie, ergibt sich aus folgender Beziehung:

-

ß

-

r

-

i"

wo E die Gaskonstante, fj, das Molekulargewicht, ö die Dichte, Tm die mittlere Temperatur des Planeteninneren, a die Strahlungsdruckkonstante (7.6- 10 _15 ergg) und J die Ionisationsenergie bedeuten. Für Tm = 106 K, [i c» 40 und J — 12 eV (zu 2 • 10 -11 erg) — dies gilt für komplizierte Moleküle — erhalten wir für die Protoerde (9Jt = 1028— 10 29 g) eine Gesamtenergie von E = 1041—1042 erg. Dieser Wert ist von der gleichen Größenordnung (oder sogar noch ein bißchen größer) wie der Energieverlust von Erde (oder Venus) im Laufe ihrer Existenz. Diese gute Übereinstimmung legt es nahe, diese Frage detaillierter zu betrachten. Die mittlere Dichte des Saturn. Äußerst interessant ist das Problem der mittleren Dichte von Saturn. Sie beträgt gc = 0.71. Die Bedeutung des Saturnproblems besteht auch darin, daß diese ungewöhnliche Ausnahme (wie auch die des Pluto, wenn sich der Wert g c = 5 bis 10 bestätigt) den Weg für ein konkreteres Verständnis der Natur der Planetenkörper eröffnet. Wenn man ein Jahrhundert lang und besonders im letzten Jahrzehnt diese Anomalie nicht beachtet hat, so unterstreicht das nur die mangelnde Überzeugungskraft der verbreiteten kosmogonischen Vorstellungen.

262

4. Kosmogonie des Sonnensystems

Die Vorstellungen über einen anomal hohen Anteil von Wasserstoff, und Helium bei Saturn entspricht nicht seiner mittleren Lage unter den Riesenplaneten und der Zusammensetzung seiner Atmosphäre, die der Atmosphäre von Jupiter, Uranus und Neptun ähnlich ist. Eine natürliche und vermutlich die einzige Erklärung ist die Vorstellung, daß sich die Atmosphäre ungewöhnlich hoch über die Planetenoberfläche erhebt. Diese Besonderheit muß irgendwie mit den anderen auffälligen Merkmalen des Saturnsystems zusammenhängen, wie z. B. dem Ring aus Kometen-Meteoriten-Material und der gasförmigen Atmosphäre auf Titan, dem großen Saturnmond. Diese Überlegungen führen zu folgender Arbeitshypothese. Der gegenwärtige Zustand ist das Ergebnis einer verhältnismäßig jungen, starken eruptiven Aktivität auf dem Planeten und im System der Monde. Dabei wurden von der erstarrten Oberfläche Magmamassen von über 1025 g ausgestoßen. Über der Oberfläche bildeten sich glühende Magmaseen und Schichten heißer vulkanischer Gase, die Wärme gespeichert hielten. Die glühenden Massen auf der Oberfläche sind die Ursache, daß die anomal hohe Saturnatmosphäre aufrecht erhalten wird. Gigantische Naturkatastrophen auf diesem Planeten regten die vulkanische Aktivität auf den Begleitern an, indem Bruchstücke auf deren Oberfläche fielen und sie sprengten. Die Größe dieser Naturkatastrophen kann offensichtlich aus der Zeitdauer, die der Saturnring für den Übergang aus einem diffusen in den heutigen verdichteten Zustand benötigte, sowie aus der thermodynamischen Entwicklung der Atmosphäre abgeschätzt werden. Wenn wir für den Radius der sichtbaren Planetenscheibe den Wert Rc— 58 000km und für das Verhältnis der beobachteten mittleren Dichte-zu der des Planetenkörpers ohne Atmosphäre Qc/QP = 0.71/1.3 annehmen, so erhalten wir, wenn wir noch die Masse der Atmosphäre vernachlässigen, für den Radius des Planeten: Rp = ^Ööö • 5.8 • 104 km = 47500 km und f ü r die Höhe der Wolkengrenzen 10500 km über der festen (oder hauptsächlich aus schwimmenden Massen bestehenden) Oberfläche. Dieser Wert erscheint außergewöhnlich. F ü r das vulkanische Modell spricht auch der verhältnismäßig kleine Albedowert. E r zwingt dazu, verhältnismäßig große Mengen von Ascheteilchen in der oberen Atmosphäre zu postulieren. Das gleiche folgt aus der Radiostrahlung der Riesenplaneten. Sie spricht für eine starke Wärmeeigenstrahlung bei Jupiter und Saturn. Die hohe Aktivität bestätigen auch starke Schwankungen der integralen Planetenhelligkeit. Sie erreichen bei Jupiter 0.4 mag und bei Saturn 0.7 mag [77]. Wenn wir für die Saturnatmosphäre eine Masse 95l„ von 1027 g (0.002 der Planetenmasse) und eine Dichte auf der Oberfläche von Q0 = 0.3 g/cm 3 annehmen, erhalten wir für die Höhe der homogenen Atmosphäre H = 3RJqqS [S = 3 • 1020 cm 2 ist die Oberfläche des Saturn) einen Wert von 107 cm. Eine so ausgedehnte Atmosphäre könnte durch die Oberflächentemperatur T0 bedingt sein, entsprechend der Beziehung kT0 = mgH (m: Molekulargewicht, g: Schwerebeschleunigung

4.5. Eruptive Entwicklung planetarer Körper

263

sa 103 cm/s8 auf der Saturnoberfläche). Aus der Beziehung 1 QoQH = — c c pl v -

1

R m — QOT0 /