Priesterbild und Reformpapsttum im 11. Jahrhundert 9783412313272, 3412054844, 9783412054847


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German Pages [348] Year 1985

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Priesterbild und Reformpapsttum im 11. Jahrhundert
 9783412313272, 3412054844, 9783412054847

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BEIHEFTE ZUM A R C H I V F Ü R K U L T U R G E S C H I C H T E IN VERBINDUNG MIT KARL ACHAM, GÜNTER

BINDING, WOLFGANG

BRÜCKNER,

KURT

WOLFGANG HARMS, GÜNTER JOHANNES HENZ, GUSTAV ADOLF HERAUSGEGEBEN VON

EGON BOSHOF HEFT 22

DÜWELL, LEHMANN

PRIESTERBILD UND REFORMPAPSTTUM IM 11. JAHRHUNDERT

VON JOHANNES LAUDAGE

® 1984

BÖHLAU

VERLAG

KÖLN

WIEN

D 38 Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort GmbH, Goethestraße 49, 8000 München 2

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Laudage, Johannes: Priesterbild und Reformpapsttum im 11 .Jahrhundert / von Johannes Laudage. - Köln ; Wien : Böhlau, 1984. (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte ; H. 22) ISBN 3-412-05484-4 N E : Archiv für Kulturgeschichte / Beihefte

Copyright © 1984 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Alle Rechte vorbehalten Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk unter Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in irgendeiner Weise zu verarbeiten und zu verbreiten. Insbesondere vorbehalten sind die Rechte der Vervielfältigung - auch von Teilen des Werkes - auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiedergabe, des Vortrags, der Funk- und Fernsehsendung, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, der Ubersetzung und der literarischen oder anderweitigen Bearbeitung. Gesamtherstellung: Druckerei Locher GmbH, Köln Printed in Germany ISBN 3-412-05484-4

INHALT

Einleitung: Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums. Ein Forschungsbericht 1. 2. 3. 4. 5.

I.

Das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium Die Rolle von Adel und kommunaler Bewegung Die Bedeutung des Kirchenrechts Das Ordenswesen Die Streitschriften-Literatur und die Anfänge des scholastischen Denkens

1 2 24 32 36 47

Erste kirchenrechtliche Reformversuche während der Amtszeit Papst Benedikts VIII

52

1. Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms 2. Die Collectio canonum in V libris 3. Die Synoden von Pavia und Seligenstadt

56 78 84

II. Die Wiederbelebung der kanonikalen Lebensform und die Ausformung neuer priesterlicher Ideale in der Hagiographie 1. Die priesterliche Erneuerung im Schöße der deutschen Reichskirche 2. Die Neuordnung des priesterlichen Lebens in Frankreich und Italien III. Priesterbild und Reformpapsttum in den Anfängen der Kirchenreform 1. Vorboten einer neuen Auffassung vom Priestertum in Lothringen und Burgund 2. Das Synodalgeschehen der Jahre 1046/47 und der Pontifikat Leos IX

90 90 115

123 123 151

IV. Das Priesterbild der beiden führenden Theoretiker des Reformpapsttums 1. Humbert de Silva Candida 2. Petrus Damiani V. Die Definition des neuen Amtsverständnisses auf der Lateransynode von 1059 1. Die Frage des Laieneinflusses bei der Besetzung kirchlicher Amter 2. Die Reform des priesterlichen Lebens und der Schutz der sakramentalen Heilsvermittlung VI. Die Bedeutung des Priesterideals im weiteren Verlauf der Kirchenreform 1. Die Konsequenzen für das Verhältnis von Papsttum und Kaisertum 2. Die Übernahme ins Kirchenrecht: Päpstliche Reformsynoden und kanonistische Sammlungen 3. Die Auswirkungen auf die politisch-theologische Traktatliteratur und das hagiographische Schrifttum 4. Der Einfluß auf das Ordenswesen: Kanonikerreform und Vita apostolica

169 169 185

207 207 235

251 251 267 274 285

Schluß: Reformpapsttum und priesterliche Erneuerung

304

Quellen-und Literaturverzeichnis

319

Register:

328

VORWORT

Die folgende Untersuchung, die in der hier vorliegenden Form im Sommersemester 1983 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Inauguraldissertation angenommen wurde, entstand unter der Leitung meines verehrten akademischen Lehrers, Herrn Professor Dr. Odilo Engels. Ihm, der meine Arbeit in allen Phasen der Entstehung mit kritischem Rat und wohlwollender Förderung betreut hat, verdanke ich mehr als die Grundlagen meiner wissenschaftlichen Ausbildung. Er sorgte darüber hinaus mit der Übertragung einer Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die äußeren Voraussetzungen, die es mir erlaubten, dieses Buch frei von materiellen Sorgen schreiben zu können. Zu größtem Dank verpflichtet bin ich auch dem zweiten Gutachter meiner Doktorarbeit, Herrn Professor Dr. Erich Meuthen, der stets bereit war, mir durch seine Förderung weiterzuhelfen. Für wichtige Hinweise und Anregungen danke ich meinen Gesprächspartnern innerhalb wie außerhalb der Universität. Namentlich Frau Professor Dr. Hanna Vollrath, Herrn Dr. Ludwig Vones, Herrn Professor Dr. Stefan Weinfurter und Herrn Privatdozent Dr. Heinz Wolter bin ich für ihre Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit sehr verpflichtet. Meinen Freunden und Kollegen, Herrn Dr. Rolf Große und Herrn Helmuth Kluger, danke ich herzlich für die unermüdliche Geduld, mit der sie mir geholfen haben. Den Leitern und Mitarbeitern der benutzten Archive und Bibliotheken bin ich für ihr Entgegenkommen und ihre tatkräftige Unterstützung meiner Anliegen dankbar. Die bischöfliche Studienförderung Cusanuswerk hat mich während meines Studiums, dann auch im Rahmen eines Promotionsstipendiums materiell wie ideell sehr gefördert; ihr weiß ich mich in besonderem Maße verbunden. Die Drucklegung der Arbeit wurde ermöglicht durch einen namhaften Zuschuß des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der Verwertungsgesellschaft Wort. Für weitere finanzielle Hilfen möchte ich mich bei meinen Eltern, meinen Schwiegereltern und bei meiner Großmutter bedanken. Dem Herausgeber des Archivs für Kulturgeschichte, Herrn Professor Dr. Egon Boshof, sowie dem Leiter des Böhlau-Verlags in Köln, Herrn

VIII

Vorwort

Dr. Günter Johannes Henz, bin ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Beihefte in Dankbarkeit verpflichtet. Frau Dr. Ursula Risse, die mein Buch als Lektorin betreute, danke ich für die gute Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Danken möchte ich aber vor allem meiner Frau Pia. Für meinen Werdegang hat sie viele, keineswegs immer leichte Opfer auf sich genommen. Ihr und unseren Kindern Anna, Benedikt und Dominik sei das vorliegende Buch gewidmet. Meinen Eltern und Schwiegereltern schließlich möchte ich Dank sagen für ihre tatkräftige Sorge um unsere junge Familie. Köln, im September 1984

JohannesLaudage

EINLEITUNG D i e K i r c h e im Z e i t a l t e r des R e f o r m p a p s t t u m s Ein

Forschungsbericht

Die tiefe Zäsur, die die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts und der mit ihr verbundene Investiturstreit bedeutete, ist schon im Hochmittelalter deutlich empfunden worden 1 . Bereits Otto von Freising meinte im historischen Rückblick, daß man nun - weniger der eigenen Einsicht als vielmehr dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend - den Begriff ecclesia als Summe der kirchlichen Personen definieren müsse 2 . Und sein Zeitge1 Vgl. dazu J. S p ö r l , Wandel des Welt- und Geschichtsbildes im 12. Jahrhundert?, in: Unser Geschichtsbild Bd. 1 (München 1955) S. 99-114, etwas veränderter Nachdruck in: Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter, hrsg. v. W. L a m m e r s = WdFBd. 21 (Darmstadt 1965)S. 278-297;ferner:K. J o r d a n , Das Zeitalter des Investiturstreites als politische und geistige Wende des abendländischen Hochmittelalters, in: GWU 23 (1972) S. 513-522, Nachdruck in: ders., Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters = Kieler Historische Studien Bd. 29 (Stuttgart 1980) S. 11—20; J. St ab er, Gregor VII. und der Investiturstreit im Urteil der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: Konzil und Papst. Festgabe für H. T ü c h l e , hrsg. v. G. S c h w a i g e r (München/Paderborn/Wien 1975) S. 103-145 und zuletzt O. E n g e l s , Die Zeit der hl. Hildegard, in: Hildegard von Bingen. 1179-1979, hrsg. v. A. Ph. Β r ü c k = Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte Bd. 33 (Mainz 1979) S. 1. 2 Vgl. Ottonis episcopi Frisingensis chronicon sive historia de duabus civitatibus, ed. A. H o f m e i s t e r , in: MG Script, rer. Germ. 45 (Hannover/Leipzig 1912), Prologus libri septimi, S. 309f.,bes.S. 310, Z. 1-3: Porro ecclesiam ecclesiasticaspersonas, id est sacerdotes Christi eorumque sectatores, tarn ex usu locutionis quam consideratione potioris partis diximus . . .; zur Interpretation dieser Stelle vgl. W. K a m i a h , Christentum und Geschichtlichkeit. Untersuchungen zur Entstehung des Christentums und zu Augustins „Bürgerschaft Gottes" (Stuttgart/Köln 21951) S. 139. Daß seine nicht unangefochtene Übersetzung von ecclesia mit „Priesterkirche" richtig ist, zeigt der einleitende Satz des entsprechenden Absatzes des Prologus libri septimi (S. 309, Ζ. 18-21), der der Definition des Kirchenbegriffs als Antithese vorangeht: Nemo autem propter haec verba nos Christianum imperium ab ecclesia separare putet, cum duae in ecclesia Deipersonae, sacerdotalis et regalis, esse noscantur . . .

2

Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

nosse Gerhoh von Reichersberg vertrat die Ansicht, mit der Epoche Gregors VII. habe der eschatologische Endkampf begonnen, weil hier der Geist der Frömmigkeit erstmals offen gegen das Mysterium der Gottlosigkeit aufgestachelt worden sei 3 . T r o t z dieser frühen Einsicht in die fundamentale Bedeutung der Kirchenreform ist die Frage nach Herkunft und Charakter der Reformvorstellungen in der historischen Forschung bis heute nicht eindeutig beantwortet. Je nachdem, welches Element die verschiedenen Wissenschaftler als ausschlaggebend betrachteten, versuchten sie, dem Problem gerecht zu werden, so daß ein sehr facettenreiches Bild der Kirchenreform entstand.

1.

Das Verhältnis von Imperium und

Sacerdotium

Ein Teil der Forschung sah wie O t t o von Freising und Gerhoh von Reichersberg das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Gewalt als entscheidend für die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts an. Hier mag es

3 Vgl. Libellus de ordine donorum Sancti Spiritus, ed. P. C l a s s e n , in: Gerhohi praepositi Reichersbergensis opera inedita Bd. 1, hrsg. v. P. O. van den E y n d e und A. R i j m e r s d a e l = Spicilegium Pontificii Athenaei Antoniani 8 (Rom 1955) S. 85, Z. 2 7 - S . 86, Z. b:Seda tempore beatissimae recordations papae Gregorii VII, qui primus percussit caput de domo impii, quando regem Heinricum excommunicavit pro symortiis et sacrilegiis suis tamquam publicum venditorem episcopatuum et abbatiarum et aliarum ecclesiasticarum dignitatum, contra mysterium inpietatis excitatus est spiritus pietatis . . .; dazu: E. M e u t h e n , Kirche und Heilsgeschichte bei Gerhoh von Reichersberg = Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, hrsg. v. J . K o c h , Bd. 6 (Leiden/Köln 1959) S. 127undS. 135-145, bes. S. 1 3 8 . - V g l . auch Libellus de ordine donorum Sancti Spiritus, ed. P. C l a s s e n , S. 109, Z. 21-24; dazu: E. M e u t h e n , Der Geschichtssymbolismus Gerhohs von Reichersberg, Bearbeitung des Kapitels „Geschichtstheologie" aus: d e r s . , Kirche und Heilsgeschichte . . ., in: Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter, hrsg. v.W. L a m m e r s = WdFBd. 21 (Darmstadt 1965) S. 229 f. A. 120; zu Sinn und Intention der Schrift über die sieben Gaben des Heiligen Geistes: P. C l a s s e n , Gerhoch von Reichersberg. Eine Biographie (Wiesbaden 1960) S. 108-114 und E. M e u t h e n (WdF) S. 213-219.

Das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium

3

genügen, die Weltgeschichte Leopolds von Ranke 4 zu erwähnen, um herauszustellen, welch zentrale Rolle dieser Aspekt bereits in der älteren F o r schung spielte. Zwar hat Rudolf Schieffer 5 in jüngster Zeit mit Recht darauf hingewiesen, daß der Investiturstreit im engeren Sinn erst vor dem Hintergrund des preußisch-deutschen Kulturkampfes stärker in den Blickpunkt der Forschung rückte. Aber auch die Tatsache einer nur etwa hundert Jahre alten wissenschaftlichen Tradition macht es nicht leichter, einen Uberblick über die Wege der Forschung zu vermitteln. Es sei deshalb gestattet, auf eine ausführliche Dokumentation 6 zu verzichten und die Diskussion über das Gewaltenverhältnis im Spiegel ihrer Brennpunkte zu verfolgen. Besonders heftig entzündete sich die Kontroverse an der Person des Bischofs W a z o von Lüttich. Seine zugespitzte Äußerung über den Unter-

4 Vgl. L. v o n R a n k e , Weltgeschichte Siebenter Theil (Leipzig 4 1893) S. 250-348; ähnlich: d e r s., Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten Bd. 1 (1834) = Sämtliche Werke Bd. 37 (Leipzig 4 1874) S. 16-22. Vgl. außerdem die bei R. S c h i e f f e r, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König = Schriften derMGH Bd. 28 (Stuttgart 1981) S. 3 A. 8 angeführten Arbeiten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; ferner: A. F. G f r ö r e r , Papst Gregorius VII. und sein Zeitalter, 7 Bde. (Schaffhausen 1859-61); O. M e i t z e r , Papst Gregor VII. und die Bischofswahlen. Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche (Dresden 2 1876); W. v o n G i e s e b r e c h t , Die Gesetzgebung der römischen Kirche zur Zeit Gregors VII., in: Münchener Historisches Jahrbuch für 1866, S. 91-193; E. B e r n h e i m , Zur Geschichte des Wormser Konkordates (Göttingen 1878); I. I b a c h , Der Kampf zwischen Papstthum und Königthum von Gregor VII. bis Calixt II. (Frankfurt a. M. 1884); W. M a r t e n s , Gregor VII., sein Leben und Wirken (Leipzig 1894) und schließlich G. M e y e r v o n Κ η ο η a u, Jahrbücher des deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V., Bd. 1-7 (Leipzig 1890-1909). 5 Vgl. R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 3 f. 6 Eine ausführliche Orientierung über den heutigen Forschungsstand bereitet R. S c h i e f f e r unter dem Titel „Kirchenreform und Investiturstreit" in der von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft betreuten Reihe „Erträge der Forschung" vor, außerdem ist für die Reihe „Wege der Forschung" ein Band von J . F l e c k e n s t e i n angekündigt unter der Uberschrift „Der Investiturstreit". Die bisher beste Übersicht bietet: W. K ö l m e l , Regimen Christianum. Weg und Ergebnisse des Gewaltenverhältnisses und des Gewaltenverständnisses (Berlin 1970) S. 107-204, der den Investiturstreit im weitgespannten Rahmen vom 8. bis 14. Jahrhundert behandelt. Außerdem jetzt: U . - R . B l u m e n t h a l , Der Investiturstreit (Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1982).

4

Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

schied zwischen Herrscherwürde und Bischofsamt, die durch Kapitel 63 7 der um 1056 entstandenen Gesta episcoporum

Leodiensium8

überliefert

ist, und andere ähnliche Formulierungen des Lütticher Diözesanen 9 haben in der Forschung recht unterschiedliche Wertungen erfahren, so daß man, glaube ich, von einem ersten „ B r e n n p u n k t " sprechen kann. W ä h rend Theodor Schieffer meinte, die oft besprochenen Stellen der Gesta bedeuteten „ n u r situationsbedingte Zuspitzungen traditioneller Prinzipie n " 1 0 , und Gerd Teilenbach befand, daß W a z o „ n o c h weit entfernt davon war, ein entschlossener Revolutionär zu sein und es auf die Stellung der Laien in der Kirche überhaupt abgesehen zu h a b e n " 1 1 , betonten A . Cauchie 1 2 , Philipp F u n k 1 3 , Ernst Hoerschelmann 1 4 und Hartmut Hoff7 Vgl. Anselmi Gesta episcoporum Leodiensium, ed. R. K o e p k e , in: MG SS 7, c. 63, S. 228, Z. 7-10: Interim nichilominus meminisse debemus, quod nos qui episcopi dicimur gladium in ordinatione quod est saecularis potentiae non accipimus, ideoque non ad mortificandum sedpocius ad vivificandum auctore Dei inungimur. 8 Ein sicherer terminus post quem für die Endredaktion der Gesta ist, wie H. S p r o e m b e r g , Die Bischöfe von Lüttich im 11. Jahrhundert (Diss. Berlin 1914) S. 41 bemerkt, erst mit dem Jahr 1054 gegeben, da in c. 31 der Gesta epp. Leod., wie Anm. 7, S. 206 ein Exzerpt aus der 1054 vollendeten Vita Balderici eingearbeitet ist. Als terminus ante quem ist der Tod Anselms anzusehen, der nach dem Monat März 1056 eintrat, wie die Vorrede der Gesta epp. Leod., wie Anm. 7, S. 161 f. zeigt. Hieraus geht hervor, daß Anselm noch lebte, als Anno II. von Köln zum Metropoliten aufstieg. Aufgrund der gegen das Sakralkönigtum gerichteten Tendenz des von Anselm verfaßten Werkes ist zu vermuten, daß die Schrift erst nach dem Tod Heinrichs III. (5.10.1056) fertiggestellt wurde, sicher ist dieses jedoch nicht. 9 Gemeint sind in diesem Zusammenhang insbesondere zwei Stellen: Gesta epp. Leod., wie Anm. 7, c. 58, S. 224, bes. Z. 21-26 und ebd. c. 66, S. 229f.,bes. S. 230, Z. 4-7. 1 0 Th. S c h i e f f e r , Wazo von Lüttich, in: LThK Bd. 10 ( 2 1965) Sp. 971. 1 1 G. T e i l e n b a c h , Libertas. Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreites = Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte Bd. 7 (Stuttgart 1936) S. 124. 1 2 Vgl. A. C a u c h i e , La quereile des investitures dans les dioceses de Liege et deCambraiBd. 1 (Louvain 1890)S. L X X X V I I I : „Wasonestlevraiprecurseurde Gregoire". 1 3 Vgl. Ph. F u n k , Pseudo-Isidor gegen Heinrichs III. Kirchenhoheit, in: H J b 56 (1936) S. 305-330, bes. S. 316-323. 1 4 Vgl. E. H o e r s c h e l m a n n , Bischof Wazo von Lüttich und seine Bedeutung für den Beginn des Investiturstreites = Diss. Frankfurt a. M. 1955 (Düsseldorf 1955) S. 84: „Jedenfalls kann man mit Recht Wazo als Beginn des Investiturstreites bezeichnen."

Das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium

5

mann 15 eher die Kontinuität zur gregorianischen Reform. Oskar Köhler warnte davor, in den Ansichten des Lütticher Oberhirten „einen prinzipiellen Ausbruch aus der Ottonischen Reichskirche sehen zu wollen" 1 6 , wohingegen Egon Boshof darauf bestand, daß Wazos ,,die weltliche Gewalt abwertender Vergleich" gerade „auf die grundsätzlichen Positionen des Verhältnisses von regnum und sacerdotium" 17 abzielte. Trotz der lebhaften Diskussion, in der es letztlich um den Beginn der allgemeinen Kirchenreform des 11. und 12. Jahrhunderts ging, wurde die Herkunft der Vorstellungen Wazos nicht zum Gegenstand einer eigenen Untersuchung. Diese Tatsache ist um so erstaunlicher, als schon Philipp Funk 18 die pseudoisidorischen Vorlagen der Sätze aus Anselms Gesta herausarbeitete und Gerd Teilenbach 19 auf eine mögliche Benutzung des Decretum Bischof Burchards von Worms hinwies. Dieses um 1010 kompilierte Rechtsbuch wurde aber nur von einem Teil der Forschung als Ausgangsbasis der oft untersuchten Reformgedanken zu Königtum und Episkopat betrachtet, die sich am Regierungsausgang Heinrichs III. immer stärker verbreiteten 20 . Die von Horst Fuhrmann und Gerd Teilenbach repräsentierte Mehrheit war dagegen der Meinung, die Rechtssammlung sei das Werk „eines auf Recht und Ordnung bedachten Reichsbischofs" 21 und ganz „im Geiste der staatskirchlichen Periode bearbeitet" 22 . So stand Max Kerner ziemlich isoliert da, als er die Ansicht 1 5 Vgl. H. H o f f m a n n , Von Cluny zum Investiturstreit, in: A K G 45 (1963) S. 182-185, um einen Nachtrag aus dem Jahre 1974 erweiterter Wiederabdruck in: Cluny. Beiträge zu Gestalt und Wirkung der cluniazensischen Reform, hrsg. v. H. R i c h t e r = WdF Bd. 241 (Darmstadt 1975) S. 341-345. 1 6 Ο. Κ ö h 1 e r, Die Ottonische Reichskirche, in: Adel und Kirche. Gerd Τ e 1 l e n b a c h zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hrsg. v. J. F l e c k e n s t e i n und K. S c h m i d (Freiburg i. Br./Basel/Wien 1968) S. 191. 1 7 E. B o s h o f , Das Reich in der Krise. Überlegungen zum Regierungsausgang Heinrichs III., in: HZ 228 (1979) S. 284. 1 8 Vgl. Ph. F u n k , wie Anm. 13, S. 316-320. 1 9 Vgl. G. T e i l e n b a c h , wie Anm. 11, S. 125. 2 0 Zur Situation am Ende der Amtszeit Heinrichs III. jetzt vor allem: E. B o s h o f , wie Anm. 17, S. 265-287 und d ers., Lothringen, Frankreich und das Reich in der Regierungszeit Heinrichs III., in: RhVjbl 42 (1978) S. 63-127; zur Datierung des Wormser Dekretes siehe H. F u h r m a n n , Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen, Bd. 2 = Schriften derMGH Bd. 24,2 (Stuttgart 1973) S. 452. 2 1 H. F u h r m a n n , wie Anm. 20, S. 485. 2 2 G. T e l l e n b a c h , wie Anm. 11, S. 123.

6

Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

vertrat, „daß im burchardischen Dekret ein erster, vorsichtiger und noch unausgeglichener Vorstoß gegen das Königsrecht innerhalb der Kirche zu finden" 2 3 sei. Welche historische Bedeutung dem Entwurf Burchards für die Entwicklung der Kirchenreform nun wirklich zukommt, wird noch zu erörtern sein; an diesem Punkt genügt es, daraufhinzuweisen, daß das Wormser Dekret auch heute in der Regel nicht als Grundlage der kirchlichen Erneuerungsbewegung interpretiert wird, obwohl es längst Gemeingut der Burchard-Forschung geworden ist, daß die Sammlung des Wormser Bischofs das am meisten verbreitete Rechtsbuch der vorgratianischen Epoche darstellt 24 . Der nächste „Brennpunkt" der Forschung zum Gewaltenverhältnis ist die Synode von Sutri, der seit jeher zentrale Bedeutung beigemessen wird. Diese Wertung hat weniger die Resonanz in den frühen Streitschriften herbeigeführt, als vielmehr die dominierende Stellung Kaiser Heinrichs III. Es ist daher wenig verwunderlich, daß man in der 1046 einberufenen Bischofsversammlung vor allem einen Beweis für die unangefochtene Kirchenhoheit des deutschen Königs gesehen hat 2 5 . Die Relativierung dieser 2 3 Μ . Κ e r n e r , Studien zum Dekret des Bischofs Burchard von Worms (Diss, phil. Aachen 1969) S. 201. Kerner griff mit dieser Beurteilung einen Gedanken auf, den P. F o u r n i e r , Le Decret de Burchard de Worms, ses caracteres, son influence, in: R H E 12 (1911) S. 456 und d e r s . / G . l e B r a s , Histoire des collections canoniques en Occident depuis les Fausses Decretales jusqu'au Decret de Gratien Bd. 1 (Paris 1931) S. 3 8 5 f . vor ihm geäußert hatten. 2 4 Vgl. zur handschriftlichen Tradition des Wormser Dekretes vor allem: O . M e y e r , Uberlieferung und Verbreitung des Dekretes des Bischofs Burchard von Worms, in: Z R G K A 2 4 (1935) S. 1 4 1 - 1 8 3 ; G . F r a n s e n , La tradition manuscrits de Decret de Burchard de W o r m s , une premiere orientation, in: Ius sacrum. Kl. M ö r s d o r f zum 60. Geburtstag, hrsg. v. A. S c h e u e r m a n n und G . M a y (München/Paderborn/Wien 1969) S. 1 1 1 - 1 1 8 und d e r s., Le Decret de Burchard de Worms. Valeur du texte de l'edition. Essai de classement des manuscrits, in: Z R G K A 63 (1977) S. 1 - 1 9 ; zur Wirkungsgeschichte resümierend H . F u h r m a n n , wie Anm. 2 0 , S. 4 5 0 - 4 6 1 . 2 5 Vgl. E . S t e i n d o r f f , Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich I I I . , Bd. 1 (Leipzig 1874, Nachdruck Darmstadt 1963) S. 3 1 3 f . , S. 4 5 6 - 5 1 0 , bes. S. 5 0 0 - 5 0 6 ; A. H a u c k , Kirchengeschichte Deutschlands Bd. 3 (Leipzig 3 4 1920) S. 5 8 8 - 5 9 0 ; H . K r o m a y e r , Ü b e r die Vorgänge in R o m im Jahre 1045 und die Synode von Sutri 1046, in: H V S 10 (1907) S. 1 8 3 - 1 9 5 ; G . Β . Β ο r i η o , L'elezione ela deposizione di Gregorio V I , in: Archivio dellaR. Soc. R o m . di storiapatria39 (1916) S. 5 - 1 2 9 , bes. S. 1 0 3 f f . ; d e r s . , „Invitus ultra montes cum domno papa Gregorio abii" Gregorius V I I , Reg V I I , 14 a, in: Stud Greg 1 (1947) S. 3-^16, bes. S. 11 f.; H . Z i m m e r m a n n , Papstabsetzungen des Mittelalters (Graz/

Das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium

7

These ist das wichtigste Ergebnis des 1979 erschienenen Aufsatzes von Franz-Josef Schmale 2 6 . Seine Untersuchung wies nach, daß im Mittelpunkt der Zusammenkunft von Sutri nicht die Machtstellung des deutschen Königs stand, sondern der Simonievorwurf gegen Gregor VI. selbst. Fraglich blieb freilich, ob der Papst wirklich aus eigener Einsicht seine Inthronisation für ungültig erklärte oder durch Heinrich III. zur Selbstabsetzung gezwungen wurde. Für diese zweite Hypothese und gegen die Vermutung Schmales von der freiwilligen Resignation Gregors 2 7 sprechen in erster Linie drei oft zitierte Quellenstellen: eine Äußerung Wazos von Lüttich in Zusammenhang mit der Frage der Wiedereinsetzung Gregors VI. im Jahre 104 8 2 8 , ein berühmter Satz aus dem Register Gregors V I I . 2 9 und eine Passage aus dem politisch-theologischen Traktat De ordinandopontifice: tus confiteretur30.

(Gregorius V I . ) . . . coactus est, ut tristis et invi-

Selbst wenn man einmal von der an sich völlig eindeuti-

Wien/Köln 1968) S. 125-132; H. H e r r m a n n , Fragen zu einem päpstlichen Amtsverzicht, in: ZRG KA 56 (1970) S. 107f.; Η . V ο 11 r a t h, Kaisertum und Patriziat in den Anfängen des Investiturstreits, in: ZKG 85 (1974) S. 11-44, bes. S. 14ff. und S. 40. 2 6 Vgl. F . - J . S c h m a l e , Die „Absetzung" Gregors VI. in Sutri und die synodale Tradition, in: AHC 11 (1979) S. 55-103. 2 7 Vgl. ebd. S. 100-103. 2 8 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 7, c. 65, S. 2 2 8 f . ; d a z u E . Hoerschelm a n n , wie Anm. 14, S. 61-63 und F . - J . S c h m a l e , wie Anm. 26, S. 92f., dem es freilich nicht gelingt, die Schwierigkeiten auszuräumen, die sich aus dieser Stelle für seine Interpretation ergeben. Denn die Tatsache, daß Wazo nicht von einer Selbstverurteilung spricht, sondern von einer erzwungenen Absetzung durch ein Gremium, gewinnt durch den Umstand an Gewicht, daß der Lütticher Bischof nach dem Zeugnis des Nekrologs von S. Savino wahrscheinlich Augenzeuge des Synodalgeschehens in Sutri war; vgl. K. S c h m i d, Heinrich III. und Gregor VI. im Gebetsgedächtnis von Piacenza des Jahres 1046, in: Verbum et Signum, hrsg. v. M. F r o m m , W. H a r m s undU. R u b e r g (München 1975) S. 80 A. 3 und ebd. die Reproduktion von fol. 42 r der Verbrüderungsliste in Abb. 3 (linke Spalte). Zum älteren Nekrolog von S. Savino jetzt: F. Ν e is k e, Das ältere Necrolog des Klosters S. Savino in Piacenza = Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 36 (München 1979), der eine genaue Beschreibung der Gesamthandschrift bietet. 2 9 Das Register Gregors VII., ed. E. C a s p a r , in: MG Epp. Sei. 11,1 (Berlin 1920) VII, 14 a, S. 483. 3 0 Der Traktat ist jetzt neu ediert bei Η. H. A n t o n , Der sogenannte Traktat „De ordinando pontifice". Ein Rechtsgutachten in Zusammenhang mit der Synode von Sutri (1046) = Bonner Historische Forschungen Bd. 48 (Bonn 1982) S. 73-83; das Zitat findet sich ebd. S. 82, Z. 245f.; zur Interpretation siehe ebd. S. 52.

Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

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gen Quellenaussage der zuletzt erwähnten Schrift absieht, so besteht die Aporie der These von der freiwilligen Selbstabsetzung Gregors VI., die sich vor allem auf den Bericht Bonizos von Sutri31 zu stützen versucht, immer noch darin, folgende Fragen nicht beantworten zu können: Wieso erinnerte Wazo von Lüttich den Kaiser an den Rechtssatz Prima sedes a nemine iudicetur32, und warum bezeichnete ein so entschiedener Gegner der Simonie wie Gregor VII. seinen Amtsvorgänger Gregor VI. noch im Jahre 1080 als legitimen Papst33? So erscheint die Versammlung von Sutri im Rückblick weder als bloße Machtdemonstration königlicher Kirchenhoheit noch als Schauplatz einer freiwilligen Erklärung Gregors VI., daß er das päpstliche Amt nie erlangt habe. Sie verkörpert eher die erste große Reformsynode der Regierungszeit Heinrichs III., der es gelang, gestützt auf die Autorität des Königs, den Kampf gegen die Simonie wirksam zu eröffnen. Man sollte die oberitalienische Synode als Voraussetzung für den Pontifikat Leos IX., des ersten großen Reformpapstes, begreifen und hierin ihre entscheidende Bedeutung sehen. Der Kampf gegen die Simonie erreichte nämlich in Sutri wieder die seit der Amtszeit Benedikts VIII. verlorengegangene universalkirchliche Ebene einer Kaiser-Papstsynode. Und diese Entwicklung sollte weder unter Clemens II. 3 4 noch unter Leo IX. 3 5 rückgängig gemacht werden.

3 1 Vgl. Bonizonis episcopi Sutrini liber ad amicum, ed. E . D ü m m 1 e r , in: M G l . d . l . 1 , S . 5 8 4 - 8 6 , bes. S. 585, Z. 4 3 - S . 586, Z. 3; außerdem: F . - J . S c h m a l e , wie Anm. 26, S. 88f. 3 2 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 7, c. 65, S. 229, Ζ. 1. 3 3 In der in Anm. 29 zitierten Registerstelle, die wörtlich lautet: invitus ultra monies cum domno papa Gregorio abii. Die hier vorgebrachten Argumente gegen die Auslegung Schmales sind in der Forschung zum großen Teil schon erörtet worden; vgl. dazu: H . Z i m m e r m a n n , wie Anm. 25, S. 1 2 8 - 1 3 9 . 3 4 Clemens II. bedrohte auf einer Anfang Januar 1047 abgehaltenen Synode die simonistische Vermittlung kirchlicher Ämter ganz grundsätzlich mit dem Anathem (vgl. M G Const. I, N r . 49, S. 95), wobei er allerdings gewisse Einschränkungen machte, wie aus: Die Briefe des Petrus Damiani, Teil 1, ed. K. R e i n d e l = M G H Briefe der deutschen Kaiserzeit Bd. IV, 1 (München 1983) N r . 40, S. 499, Z. 8 - 1 2 hervorgeht: . . . decrevisse dementem ut,quicumque asymoniaco consecratus esset, in ipso ordinationis suae tempore non ignorans symoniacum, cui se optulerat promovendum, quadraginta nunc dierum penitentiam ageret et sie in accepti ordinis officio ministraret. 35

Vgl. unten Kap. 111,2.

Das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium

9

Der Pontifikat dieses letztgenannten Papstes ist das nächste Thema, dem wir uns zuwenden. Nicht nur die einflußreiche Position Humberts de Silva Candida während der Regierungszeit Leos IX. 3 6 , sondern zugleich die vor allem von Hans-Walter Klewitz herausgearbeiteten Ansätze zur Reform des Kardinalkollegiums 37 und die völlig neuartige Synodalpolitik des Papstes 38 haben die Forschung zu höchst unterschiedlichen Bewertungen geführt. Die Einschätzung der Reimser Synode von 1049 39 , auf der Leo als Kanon 1 verkünden ließ, niemand solle ohne Wahl von Klerus und Volk in ein regimen ecclesiasticum gelangen 40 , wurde dabei zum entscheidenden Indiz dafür, wie man das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium zur Zeit Leos IX. beurteilte. Während Carl Mirbt 41 und

36 Bezeugt durch Lanfranci Cantuariensis archiepiscopi De corpore et sanguine Domini adversus Berengarium Turonensem, in: MIGNE PL 150, c. 2, Sp. 410: (Humbertus) . . . conciliis et consiliis semper aderat et praeerat. 37 Vgl. H.-W. K l e w i t z , Die Entstehung des Kardinalkollegiums, in: ZRG KA 25 (1936) S. 115-221, Nachdruck in: d ers., Reformpapsttum und Kardinalkolleg (Darmstadt 1957) S. 9-134; O. K a r e s , Die Kardinäle des 11. Jahrhunderts (996-1143). Statistisch-chronologische Studien (Füssen 1949). Über den heutigen Forschungsstand orientieren: K. G a n z e r , Das römische Kardinalkollegium, in: Le istituzioni ecclesiastiche della, ,societas Christiana" dei secoli XI - XII. Papato, cardinalato ed episcopato = Miscellanea del Centro di Studi Medioevali Bd. 7 (Mailand 1974) S. 156ff. und R. H ü l s , Kardinäle, Klerus und Kirchen Roms 1049-1130 = Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bd. 48 (Tübingen 1977) S. l f . und 45 ff. 38 Vgl. etwa: G. T a n gl, Die Teilnehmer an den allgemeinen Konzilien des Mittelalters (Weimar 1932, Nachdruck Köln/Wien 1969) S. 132ff. und unten Kap. 111,2. 39 Vgl. dazu zuletzt: O. C a p i t a n i , Immunitä vescovili ed ecclesiologia in eta „pregregoriana" e „gregoriana". L'awio alla ,,restaurazione" = Biblioteca degli „StudiMedievali" Bd. 3 (Spoleto 1966) S. 149ff. undU.-R. B l u m e n t h a l , Ein neuer Text für das Reimser Konzil Leos IX. (1049) ?, in: DA 32 (1976) S. 23^18. 40 Vgl. Concilium Remense, in: MANSI, Conciliorum collectio Bd. 19, Sp. 741, c. 1.: Ne quis sine electione cleri & populi ad regimen ecclesiasticum proveberetur. Der Beschluß lautet in der von U.-R. B l u m e n t h a l , wie Anm. 39, S. 29-36 edierten Textgestalt von fol. 63 r - 66 ν des Codex Reginensis Latinus 711/11: Electio episcopalis sit in communi assensu cleri et populi viduate diocesis. Die Zuordnung dieser Version, in der der Beschluß über die Bischofswahl als c. 25 überliefert ist, zur Reimser Synode von 1049 ist allerdings nicht ganz zweifelsfrei. 41 Vgl. C. M i r b t , Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. (Leipzig 1894) S. 475.

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

Anton Scharnagl 4 2 den Beschluß als erstes päpstliches Investiturverbot charakterisierten und Hartmut Hoffmann unter Verweis auf M G Const. 1, N r . 51 betonte, der Kanon sei auch gegen die eigenkirchliche Investiturpraxis des deutschen Königs gerichtet gewesen 4 3 , meinten Paul Schmid 4 4 , Gerd Teilenbach 4 5 , Alfons Becker 4 6 , Giovanni B. Borino 4 7 und Uta-Renate Blumenthal 4 8 - allerdings mit unterschiedlicher Akzentsetzung - , der Papst habe die königliche Nominierung erlaubt, solange die Zustimmung von Klerus und Volk gewährleistet sei. In jüngster Zeit griff Rudolf Schieffer 4 9 die Diskussion wieder auf, indem er sich der zweiten These anschloß und darauf aufmerksam machte, daß das Postulat Leos IX. „in der deutschen Reichskirche - durchweg - als erfüllt gelten" 5 0 dürfe. O b er damit den Schlüssel zum richtigen Verständnis der Wahlvorschrift gefunden hat, ist schwer zu entscheiden, da die Kanones der zwei Wochen später in Mainz abgehaltenen Synode nicht überliefert sind. Fest steht jedoch, daß der Papst es bevorzugte, eine echte kanonische Wahl vor den eigentlichen Investiturakt zu legen 5 1 . Man ist geneigt, hierin eine gedankliche Vorwegnahme der Approbationspraxis zu sehen, die sich nach

4 2 Vgl. A. S c h a r n a g l , Der Begriff der Investitur in den Quellen und der Literatur des Investiturstreites = Kirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 56 (Stuttgart 1908) S. 13f. 4 3 Vgl. H . H o f f m a n n , wie Anm. 15, S. 190ff., Nachdruck S. 351ff. 4 4 Vgl. P. S c h m i d , Der Begriff der kanonischen Wahl in den Anfängen des Investiturstreites (Stuttgart 1926) S. 83 ff. 4 5 Vgl. G . T e l l e n b a c h , wie Anm. 11, S. 122. 4 6 Vgl. A. B e c k e r , Studien zum Investiturproblem in Frankreich. Papsttum, Königtum und Episkopat im Zeitalter der gregorianischen Kirchenreform (1049-1119) = Schriften der Universität des Saarlandes (Saarbrücken 1955) S. 39. 4 7 Vgl. G . B . B o r i n o , L'investitura laica dal decreto di Nicolö II al decreto di Gregorio VII, in: Stud Greg 5 (1956) S. 345ff. 4 8 Vgl. U . - R . B l u m e n t h a l , wie Anm. 39, S. 47f. 4 9 Vgl. R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 33f. 5 0 Ebd. S. 33. 5 1 Vgl. Gesta epp. Tullensium, ed. G. W a i t z , in: M G SS 8, c. 41, S. 645, Z. 20-23; dazu: A. S c h a r n a g l , wie Anm. 42, S. 14; G . B . B o r i n o , wie Anm. 47, S. 345; H . H o f f m a n n , wie Anm. 15, S. 192, Nachdruck s . 352f.; H . G. K r a u s e , Über den Verfasser der Vita Leonis I X papae, in: D A 32 (1976) S. 73 f. und R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 34.

Das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium

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dem Wormser Konkordat einspielte 52 . Aber die Quellenbasis ist zu schmal, als daß man aus den verstreuten Nachrichten über die Erhebung U d o s von Toul im Jahre 1 0 5 1 5 3 und über die Papstwahl von 1 0 4 9 5 4 etwas Sicheres entnehmen könnte. So bleibt man besser zurückhaltend und beschränkt sich darauf, die entscheidenden Wandlungen des Gewaltenverhältnisses unter L e o I X . in der Reform der internen Kirchenverfassung zu sehen. D e r erste große Reformpapst trat nicht in offenen Gegensatz zum deutschen Kaiser, aber er beförderte die libertas

ecclesiae

durch seine

Neuordnung der kirchlichen Institutionen. Konzil, Kurie 5 5 und Kardinalkollegium sind hier die in der Forschung allseits anerkannten Stichwor-

5 2 Zur Interpretation des Wormser Vertragswerkes vor allem: P. C l a s s e n , Das Wormser Konkordat in der deutschen Verfassungsgeschichte, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, hrsg. v. J . F l e c k e n s t e i n = Vorträge und Forschungen Bd. 17 (Sigmaringen 1973) S. 411-460. 5 3 Vgl. dazu die in Anm. 51 zitierte Literatur. 5 4 Vgl. Leonis I X vita ab ipsius in ecclesia Tullensi archidiacono Wiberto conscripta, nach der Textausgabe von Mabillon ediert von I. M. W a t t e r i c h , in: Pontificum Romanorum vitae, Bd. 1 (Leipzig 1862) Lib. II, 2, S. 149-152, bes. S. 150: coactus suscepit iniunctum officium, praesentibus legatis Romanorum, ea conditione, si audiret totius cleri ac Romanipopuli communem esse sine dubio consensum. Uber die verschiedenen Textausgaben der Vita siehe: H . - G . K r a u s e , wie Anm. 51, S. 49 Α. 1. Zur Interpretation der eben zitierten Stelle, die in Bonizonis . . . liber ad amicum, wie Anm. 31, lib. V, S. 587f. eine zeitgenössiche Parallele findet, vgl. u. a. : P. S c hm id, wie Anm. 44, S. 7 0 - 8 3 ; H . T r i t z , D i e h a giographischen Quellen zur Geschichte Papst Leos IX., in: Stud Greg 4 (1952) S. 257-259 und F. Κ e m ρ f, Die Kirche im Zeitalter der Gregorianischen Reform, in: Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. v. H. J e d i n , Bd. III, 1 (Freiburg i. Br./Basel/Wien 1966) S. 405. Die Historizität der Passage hängt dabei nicht unbedingt von der von H. H o f f m a n n , wie Anm. 15, S. 203-209, Nachtrag in der Neufassung, S. 369 zu Anm. 104, H. H o e s c h , Die kanonischen Quellen im Werk Humberts von Moyenmoutier. Ein Beitrag zur Geschichte der vorgregorianischen Reform = Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht Bd. 10 (Köln/Wien 1970) S. 243ff. und H . - G . K r a u s e , wie Anm. 51, S. 49-77 erörterten Verfasserfrage oder der von H. T r i t z , a. a. O . S. 219-226, bes. S. 226 vorgeschlagenen Datierung der Vita auf die Zeit zwischen 1058 und 1066 ab. 5 5 Vgl. insbesondere K. J o r d a n , Die Entstehung der römischen Kurie, in: ZRG KA 28 (1939) S. 104-107 und die bei U . - R . B l u m e n t h a l , wie Anm. 6, S. 117 aufgeführte Literatur.

Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

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te, mit denen sich die Bedeutung der Amtszeit Leos I X . am besten umschreiben läßt 5 6 . Der Pontifikat Nikolaus II. hat in der Forschung eine nicht weniger kontroverse Beurteilung gefunden als der des ehemaligen Touler Bischofs. Insbesondere die Bewertung der Lateransynode von 1059 ist hier der Maßstab, an dem sich die unterschiedlichen Auffassungen ablesen lassen. Nicht erst seit dem bahnbrechenden Buch von Hans-Georg K r a u s e " , sondern spätestens seit Paul Scheffer-Boichorsts Studie über

„Die

Neuordnung der Papstwahl durch Nikolaus I I . " 5 8 aus dem Jahre 1879 rückte das auf der Synode verabschiedete Papstwahldekret in das Blickfeld der Historiker 5 9 . Und die Auseinandersetzung um die Deutung des

Eine Ubersicht über den älteren Forschungsstand zur Geschichte Leos IX. vermittelt: L. S a n t i f a l l e r , Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchensystems = Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.- Hist. Kl. Bd. 229,1 (Wien 2 1964) S. 209-214. Eine kurze Übersicht über die wichtigsten Arbeiten bieten die Studien von U.-R. B l u m e n t h a l , wie Anm. 39, S. 23 Α. 1 und dies., wie Anm. 6, S. 116; ein ausführliches Resümee über die seit 1960 erschienene Literatur ist zu erwarten von H . H . K a m i n s k y , Damasus II. (1048), Leo IX. (1049-1954) und Viktor II. (1055-1057), ein Buch, das für die Reihe „Päpste und Papsttum" angekündigt ist. 5 7 Vgl. H.-G. K r a u s e , Das Papstwahldekret von 1059 und seine Rolle im Investiturstreit = Stud Greg Bd. 7 (Rom 1960). 5 8 Vgl. P. S c h e f f e r - B o i c h o r s t , Die Neuordnung der Papstwahl durch Nikolaus II. Texte und Forschungen zur Geschichte des Papstthums im 11. Jahrhundert (Straßburg 1879). 5 9 Einen weiteren Einschnitt in der Forschungsdiskussion über das Papstwahldekret bedeutete das Buch von A. M i c h e l , Papstwahl und Königsrecht oder das Papstwahl-Konkordat von 1059 (München 1936), in dem die Auffassung vertreten wird, der Text des Decretum electionispontificiae stamme von Humbert, stelle ein zwischen der Kurie und dem deutschen Königshof abgeschlossenes Konkordat dar und sichere dem deutschen König ein Bestätigungsrecht bei der Papstwahl zu, das nicht aus dem stadtrömischen Patriziat abzuleiten sei, sondern direkt aus dem honor regius (vgl. bes. S. 222-224). A. M i c h e l modifizierte diese Thesen noch etwas in seinem Aufsatz: Das Papstwahlpactum von 1059, in: HJb 59 (1939) S. 291-351, wobei er unter anderem die Möglichkeit erwog, daß auch die sogenannte päpstliche Fassung des Papstwahldekrets eine verunechtete Textgestalt darstelle (vgl. ebd. S. 333-338). Da er bei dieser Annahme jedoch von der unhaltbaren Voraussetzung ausging, „daß der sogenannte Königsparagraph zu den Bestimmungen über die anormale Wahl gehöre" (H.-G. K r a u s e , wie Anm. 57, S. 15 A. 19, vgl. auch ebd. S. 75 und S. 114ff.), gelangte H.-G. K r a u s e , wie Anm. 57, S. 22 f. zu der Auffassung, das wichtigste Ergebnis der Studien Michels bestehe in der Widerlegung der „Anschauung, daß das Papstwahldekret ein Schlag s6

Das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium 6. Kanons des Synodalschreibens Vigilantia

universalis60

13 begann eben-

falls bereits im vorigen Jahrhundert . 61

Beginnt man mit der Diskussion um das Papstwahldekret, so ist hierbei zunächst die Kontroverse um die Auslegung des sogenannten Königsparagraphen zu berücksichtigen. Sie ist auch in jüngster Zeit nicht zum Stillstand gekommen, wie die einander widersprechenden Arbeiten von Kempf62,

Alberigo 6 3 ,

Wollasch 6 4 ,

Stürner 6 5 ,

Grundmann66,

Häger-

des Reformpapsttums gegen den deutschen König gewesen sei" (ebd. S. 22). Diese Sichtweise kann freilich nicht als communis opinio der neueren Forschung gelten, wie der von W. S t ü r n e r erstellte Literaturbericht: Der Königsparagraph im Papstwahldekret von 1059, in: Stud Greg 9 (1972) S. 37-52 belegt, und so zeichnet sich der heutige Forschungsstand nicht gerade durch Ubereinstimmung in den Grundaussagen aus; vgl. dazu auch: H . - G . K r a u s e , wie Anm. 57, S. 11-23 und V. M a r c o l i n o , Ο decreto de 1059 sobre a eleigäo do papa, in: Didaskalia 6 (1976) S. 69-94. 6 0 Vgl. Das Synodalschreiben Vigilantia universalis, ed. R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 208-225, hier c. 6, S. 222f. (diese Edition ersetzt die unter dem Titel „Nicolai II. synodica generalis" erschienene ältere Textausgabe von L. W e i l a n d , in: M G Const. I, Nr. 384, S. 546-548, hier, c. 6, S. 547, Z. 33 f . ) - Z u der in der Forschung geführten Diskussion, ob man den sechsten Rechtssatz der Enzyklika Nikolaus II. als Kanon im eigentlichen Sinn des Wortes betrachten dürfe, vgl. vor allem: G. B. B o r i n o , wie Anm. 47, S. 346f. und R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 77-79. 6 1 Vgl. u.a. : W . v o n G i e s e b r e c h t , wie Anm. 4 , S . 118 f. u n d O . M e i t z e r , wie Anm. 4, S. 44. 6 2 Vgl. F. K e m p f , Pier Damiani und das Papstwahldekret von 1059, in: Α Η Ρ 2 (1964) S. 73-89. 6 3 Vgl. G. A l b e r i g o , Cardinalato ed collegialitä (Florenz 1969) S. 28-36. 6 4 Vgl. J . W o 11 as c h, Die Wahl des Papstes Nikolaus II., in: Adel und Kirche. Gerd T e i l e n b a c h zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hrsg. v. J . F l e c k e n s t e i n und K. Sc h m id (Freiburg i. Br./Basel/Wien 1968) S. 205-220, Nachdruck in: II monachesimo e la riforma ecclesiastica (1049-1122) = Miscellanea del Centro di Studi Medioevali Bd. 6 (Mailand 1971) S. 54-73. 6 5 Vgl. W. S t ü r n e r , „Salvo debito honore et reverentia". Der Königsparagraph im Papstwahldekret von 1059, in: Z R G KA 54 (1968) S. 1-56; d e r s . , wie Anm. 59, S. 37-52 und d e r s . , D a s Papstwahldekret von 1059 und die Wahl Nikolaus II., in: Z R G KA 59 (1973) S. 417-19. 6 6 Vgl. H. G r u n d m a n n , Eine neue Interpretation des Papstwahldekrets von 1059, in: D A 25 (1969) S. 234-236.

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

mann 6 7 , Woody 6 8 und Vollrath 6 9 beweisen, kann aber bis heute nicht als endgültig entschieden bezeichnet werden. Es ist immer noch umstritten, ob der Königsparagraph und damit das gesamte Papstwahldekret das dem Kaiser zustehende „Gewohnheitsrecht (honor) bei der Papstwahl in keiner Weise angetastet" 7 0 ließ, wie Hans-Georg Krause und (modifizierend) Hanna Vollrath 7 1 annahmen, oder ob sich die neue Wahlordnung doch gegen die bei der Wahl Viktors II. zuletzt durchgeführte herrscherliche Nominierungspraxis 72 richtete. Auf welche Rechtsgrundlage sich die kaiserliche Einflußnahme auf die Papstwahl stützen konnte, soll hier unberücksichtigt bleiben. Denn für unseren Zusammenhang ist vor allem die Erkenntnis wichtig, daß die. Diskussion um den Königsparagraphen nur einen Ausschnitt des komplexeren Problems bildet, ob sich die Lateransynode ausschließlich gegen den Einfluß des römischen Laienadels oder auch gegen die in der theokratischen Herrschervorstellung wurzelnde Kirchenhoheit des deutschen Königs wendete. Die Tatsache, daß die Einschätzung der Synode in diesem Punkt sehr umstritten ist, versteht sich nach dem bisher Gesagten von selbst. Ähnlich wie bei der Beurteilung der Wahlabsprache zwischen Leo I X . und Heinrich III. anläßlich der Inthronisation dieses Papstes zerfällt die historische Forschung in zwei klar voneinander geschiedene Gruppen 7 3 . Die eine Seite, die unter anderem durch P. Scheffer-Boichorst 7 4 ,

6 7 Vgl. D . H ä g e r m a n n , Untersuchungen zum Papstwahldekret von 1059, in: Z R G K A 5 6 ( 1 9 7 0 ) S. 1 5 7 - 1 9 3 und d e r s . , Zur Vorgeschichte des Pontifikats Nikolaus II., in: Z K G 81 (1970) S. 3 5 2 - 3 6 1 . 6 8 Vgl. Κ. M. W o o d y , Sagena piscatoris: Peter Damiani and the Papal Election Decree of 1059, in: Viator 1 (1970) S. 3 3 - 5 4 . 6 9 Vgl. Η . V o l l r a t h , wie Anm. 25, S. 1 1 ^ 4 . 7 0 H . - G . K r a u s e , wie Anm. 57, S. 142. 7 1 Vgl. H . V o l l r a t h , wie Anm. 2 5 , S. 41 f. 7 2 Zur königlichen Einflußnahme auf die Papstwahl unter Heinrich III. zusammenfassend: N . G u s s o n e , Thron und Inthronisation des Papstes von den Anfängen bis zum 12. Jahrhundert = Bonner Historische Forschungen Bd. 41 (Bonn 1978) S. 2 1 5 f . mit Verweis a u f L . S a n t i f a l l e r , wie Anm. 56, S. 2 0 7 - 2 1 6 und P. S c h m i d , wie Anm. 4 4 , S. 6 7 - 8 3 . 7 3 Vgl. dazu besonders die Kontroverse zwischen Η . V o l l r a t h , wie Anm. 2 5 , S. 1 1 - 4 4 und H . F u h r m a n n , Rez. in: D A 31 (1975) S. 2 8 4 f . 7 4 Vgl. P. S c h e f f e r - B o i c h o r s t , wie Anm. 58.

Das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium

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H . Hoffmann 7 5 , G. Tellenbach 76 , G. Alberigo 77 und N . Gussone 78 vertreten wird, betont, ,,daß die Kardinäle das Erbe des Herrschers als Vorwähler angetreten 79 " hätten, und verweist darauf, daß die Erhebungen seit Leo IX. nur eine nachträgliche Anerkennung der Wahl durch den deutschen König kannten 80 . Der Königsparagraph bezieht sich in dieser Sicht nur auf den Ehrenvorrang des Kaisers, als vornehmster Laie den bei jeder kanonischen Wahl notwendigen Konsens des Kirchenvolkes in besonderer Form auszudrücken, ist aber keine Garantieerklärung für eine weitgehende Einflußnahme des Königs auf die Papstwahl. Überspitzt formuliert läuft diese These darauf hinaus, daß die in der Idee des sakralen Königtums begründete Verfügungsgewalt des deutschen Königs über die Kirche schon unter Heinrich III. in ihren Fundamenten erschüttert wurde, aber erst auf der Lateransynode von 1059 eine gültige kanonistische Formulierung erfahren habe. Demgegenüber ist die zweite Gruppe der Ansicht, das Papstwahldekret sei nur gegen den Einfluß des römischen Laienadels auf die Inthronisation des Papstes vorgegangen 81 ; „eine bewußte Tendenz gegen die in jenen Tagen noch feste theokratische Herrschaftsform" 8 2 fehle völlig; auch der berühmte Kanon 6 der Synode (utper laicos quilibet clericus autpresbiter nullo modo optineat ecclesiam nec gratis necprecio)83 sei nur auf die vom Adel beherrschten Niederkirchen zu beziehen: eine Wendung gegen die in der Reichskirche übliche königliche Investiturpraxis sei damit auszu-

75 Vgl. H. H o f f m a n n , Rez. z u H . - G . K r a u s e , wie Anm. 57, in: ZKG 74 (1963) S. 160f. 76 Wie Anm. 63. 77 Vgl. G. T e l l e n b a c h , wie Anm. 11, S. 133f. 78 Vgl. N. G u s s o n e , wie Anm. 72, S. 228-238. 79 Ebd. S. 238. 80 Vgl. ebd., S. 230; anders H.-G. K r a u s e , wie Anm. 57, S. 48-69. 81 So besonders H.-G. K r a u s e , wie Anm. 57, S. 76-143. 82 Ebd. S. 143. 83 Vgl. Das Synodalschreiben Vigilantia universalis, ed. R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, c. 6, S. 222f., Z. 153-157; im Haupttext zitiert in der Textgestalt von Vieh, Arxiu Capitular Codex 46.

Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

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schließen 84 . Diese Meinung, die unter anderem von Hans-Georg Krause 8S , Rudolf Schieffer 86 und Giovanni B. Borino 8 7 vorgetragen wurde, wird noch ausführlich zu erörtern sein. Hier reicht es aus, auf den Punkt hinzuweisen, an dem die weiter unten vorgebrachte Kritik am Argumentationsgang der zuletzt von Rudolf Schieffer vertretenen Auffassung ansetzen wird: auf die methodische Bedenklichkeit eines Beweisganges, der lediglich der Wirkungsgeschichte der Lateransynode nachgeht 88 , die dem Synodalschreiben Vigilantia universalis

zugrunde liegende Idee vom

Herrscher als vornehmem Laien aber weitgehend außer acht läßt 8 9 . Freilich ist zu bedenken, daß der sogenannte Kanon 6 von 1059 auf den Legatensynoden von Vienne und Tours (31. 1. und 1. 3. 1060) nur auf die

8 4 So vor allem die Wertungen von P. I m b a r t de la T o u r , Les elections episcopales dans l'eglise de France du IXe au Xlle siecle. Etude sur la decadence du principe electif (814-1150) (Paris 1891) S. 392; G . B . B o r i n o , wie Anm. 47, S. 345-359; A. B e c k e r , wie Anm. 46, S. 185A. 72 und R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 48-84, bes. S. 79 ff.; vgl. jedoch auch: Μ. Μ i n n i n g e r , Von Clermont zum Wormser Konkordat = Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J . F . B ö h m e r , Regesta Imperii Bd. 2 (Köln/Wien 1978), die vermutet,,, daß der vollständige Kanon 6 des voraufgegangenen päpstlichen Konzils (1059) nicht gegen die Investitur, sondern gegen ein ausschließliches Ernennungsrecht der Laien gerichtet war" (ebd. S. 80). Diese Annahme steht im Gegensatz zu den Wertungen von A. S c h a r n a g l , wie Anm. 42, S. 20f. und F. K e m p f , wie Anm. 54, S. 417 mit A. 8.

Wie Anm. 81. Vgl. R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 48ff. 8 7 Vgl. G . B . B o r i n o , wie Anm. 47, S. 345ff. 8 8 Vgl. etwa H.-G. K r a u s e , wie Anm. 57, S. 43: ,,Die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts stand im Zeichen der kirchlichen Reformbewegung. Von ihrer Beurteilung hängt weitgehend die Beurteilung des Pwd von 1059 ab"; M. M i n n i n g e r , wie Anm. 84, S. 80 und R. S c h i e f f e r , wie Anm.4, S. 61-84. 8 9 Eine gewisse Ausnahme bildet die folgende Bemerkung von R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 59: „Die Möglichkeit ist demnach nicht von der Hand zu weisen, da&per laicos im 6. Kanon - zumindest nach der Vorstellung des Papstes und seiner Umgebung - grundsätzlich auch auf den König Bezug gehabt hätte." Da Schieffer jedoch diese Beobachtung im unmittelbar anschließenden Satz unter Hinweis darauf als wertlos verwirft, „daß die von Humbert so deutlich angegriffene Investitur mit Ring und Stab (48) in dem Kanon nicht zur Sprache" (ebd. S. 59) komme, muß der im Haupttext gegen seine Sichtweise der Dinge geäußerte Vorwurf aufrecht erhalten werden. 85

86

Das Verhältnis von Imperium und Sacerdotium

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Niederkirchen angewendet wurde 9 0 und daß die eigenkirchenrechtliche Investiturpraxis in Deutschland auch nach der Lateransynode fortdauerte 9 1 . Aber darf man aus diesen Fakten wirklich auf ein Investiturverbot rückschließen, das sich von seiner Intention her nur auf Niederkirchen bezog? Dieser Frage nachzugehen, wird die Aufgabe eines späteren A b schnittes sein; wenden wir uns nun dem unbestrittenen Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen den beiden mittelalterlichen Gewalten zu: den Ereignissen zwischen 1074 und 1078. Die Vorgänge von W o r m s , Tribur und Canossa haben die Beurteilung der Kirchenreform geprägt wie kein anderes Phänomen 9 2 . Trotzdem konnte Rudolf Schieffer in seinem im letzten Jahr erschienenen Buch die Leitfrage stellen, ob die Investitur „überhaupt von Seiten der Kirche ver9 0 Dazu: W. S c h w a r z , Der Investiturstreit in Frankreich (I. Teil), in: ZKG 42 (1923) S. 269f.; Th. S c h i e f f e r , Die päpstlichen Legaten in Frankreich vom Vertrage von Meersen (870) bis zum Schisma von 1130 = Historische Studien Bd. 263 (Berlin 1935) S. 62 f. ; R . S o m e r v i l l e , Cardinal Stephan of St. Grisogono: Some Remarks on Legates and Legatin Councils in the Eleventh Century, in: Law, Church and Society. Essays in Honor of St. K u t t n e r , hrsg. v. K. P e n n i n g t o n und R. S o m e r v i l l e (University of Pennsylvania Press 1977) S. 157-166, bes. S. 160ff. und zuletzt R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 80-84. 9 1 Belege hierfür bei R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 96A. 217. 9 2 Aus der überreichen Literatur zu dieser Thematik seien hier nur einige Titel genannt, die einen raschen Einstieg in die Forschungsprobleme ermöglichen: L.L. G h i r a r d i n i , Chi a victo a Canossa? (Bologna 1970); E. H l a w i t s c h k a , Zwischen Tribur und Canossa, in: H J b 94(1974)S. 2 5 - 4 5 ; R . S c h i e f f e r , Von Mailand nach Canossa, in: DA 28 (1972) S. 359-370; d ers., Gregor VII. - Ein Versuch über die historische Größe, in: H J b 97/98 (1978) S. 96-99; M . C . de M a t t e i s , La riconziliazione di Canossa: tra „Dictatus Papae" e „Auctoritates Apostolicae Sedis", in: Studi Medievali, 3. Serie, 19 (1978) S. 682-699; U . - R . B l u m e n t h a l , Canossa and Royal Ideology in 1077: Two Unknown Manuscripts of De penitentia regis Salomonis, in: Manuscripta 22 (1978) S. 91-96 und der stattliche Aufsatzband: Studi Matildici. Atti e memorie del III Convegno di Studi Matildici = Deputazione di storia patria per le antiche provincie modenesi, Biblioteca-N. S. Bd. 44 (Modenal978), deru. a. eine zusammenfassende Studie v o n O . C a p i t a n i , Canossa: Una lezione da meditare, S. 3-23 enthält, die ihrerseits auch in der Rivista di storia della chiesa in Italia 32 (1978) S. 359-381 publiziert ist. Weitere Literaturhinweise finden sich bei U . - R . B l u m e n t h a l , wie Anm. 6, S. 1 4 4 f . ; H . F u h r m an n, Deutsche Geschichte im hohen Mittelalter = Deutsche Geschichte, hrsg. v. J . L e u s c h n e r , Bd. 2 (Göttingen 1978) S. 218f. und J . V o g e l , Gregor VII. und Heinrich IV. nach Canossa. Zeugnisse ihres Selbstverständnisses = Arbeiten zur Frühmittelalterforschung, hrsg. v. K. H a u c k , Bd. 9 (Berlin/New York 1983).

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boten" war, „als der deutsche König und sein Episkopat im Januar 1076 beschlossen, dem Papst den Gehorsam aufzukündigen" 93 . Auch heute ist unser Wissen um die Auseinandersetzung zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. also längst nicht so gesichert, wie es nach dem Druck der zusammenfassenden Monographien von Christian Schneider 94 und Harald Zimmermann 95 den Anschein hatte. Eine Gesamteinschätzung hängt nach wie vor vom Standort des Historikers ab. Allerdings machen die grundlegenden Beurteilungen von Josef Fleckenstein 96 , Helmut Beumann 9 7 und Rudolf Schieffer 9 8 eine Bewertung leichter. Aber die zentrale Frage, wie weit der reformerische Kampf gegen den Laieneinfluß vorangeschritten war, ob er im Januar 1076 die Ebene eines prinzipiellen päpstlichen Investiturverbots schon längst erreicht hatte oder ob diese Plattform erst im November 1078 beschritten wurde, als Gregor VII. und die von ihm einberufene Lateransynode die Laieninvestitur grundsätzlich untersagten 99 , ist gegenwärtig noch nicht entschieden. Dieses Problem wird erst dann gelöst sein, wenn in der Forschung Einhelligkeit über „ D i e Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König" beR. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 6. Vgl. Chr. S c h n e i d e r , Prophetisches Sacerdotium und heilsgeschichtliches Regnum im Dialog 1073-1077. Zur Geschichte Gregors VII. und Heinrichs IV. = Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 9 (München 1972). Als Anschlußarbeit dazu ist die in Anm. 92 erstmals zitierte Monographie von J. V o g e l zu betrachten. 95 Vgl. H. Z i m m e r m a n n , Der Canossagang von 1077. Wirkungen und Wirklichkeit = Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz, Abh. der geistes- und sozialwiss. Kl. Bd. 5 (Wiesbaden 1975), zweite erweiterte italienische Ausgabe unter dem Titel: Canossa 1077. Storia e attualitä (Corregio/Emilia 1977). 9 6 Vgl- J- F l e c k e n s t e i n , Heinrich IV. und der deutsche Episkopat in den Anfängen des Investiturstreites, in: Adel und Kirche. Gerd T e i l e n b a c h zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern (Freiburg i. Br./Basel/Wien 1968) S. 221-236 und d e r s . , Hofkapelle und Reichsepiskopat unter Heinrich IV., in: Investiturstreit und Reichsverfassung, hrsg. v. J. F l e c k e n s t e i n = Vorträge und Forschungen Bd. 17 (Sigmaringen 1973) S. 117-140. 9 7 Vgl. H. B e u m a n n , Tribur, Rom und Canossa, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, hrsg. v. J. F l e c k e n s t e i n = Vorträge und Forschungen Bd. 17 (Sigmaringen 1973) S. 33-60. 9 8 Vgl. R. S c h i e f f e r , Canossa, wie Anm. 92, S. 359-70 und d e r s . , Gregor VII., wie Anm. 92, S. 96-99. 99 Den Forschungsstand zu diesem Problem referiert: R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 114—176, der sich ebd. S. 171 ff. für eine Spätdatierung des ersten päpstlichen Investiturverbots auf den November 1078 einsetzt. 93

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steht. Eine solche Einmütigkeit ist jedoch trotz des gleichnamigen Buches von Rudolf Schieffer 1 0 0 im Augenblick nicht in Sicht. Aus diesem Grund muß sich eine konsensfähige Bewertung des Verhältnisses zwischen Papsttum und Kaisertum während des Pontifikates Gregors VII. darauf beschränken, das den heutigen Forschungsstand resümierende Urteil Horst Fuhrmanns zum Dictatus papae zu bestätigen und das zentrale Anliegen Gregors VII. in der Betonung derpropriae auctoritates der römischen Kirche und ihres Bischofs zu erkennen 1 0 1 . Eine solche Wertung führt sicherlich auf eine Grundthese des Libertas-Buches von Gerd Teilenbach zurück, dem es darum gegangen war, die zentrale Bedeutung des Libertas-Begriffes im Denken Gregors VII. nachzuweisen 1 0 2 . D o c h darf man die lebhafte Diskussion um die Ereignisse zwischen 1074 und 1078 deshalb nicht als unfruchtbar ansehen, auch wenn eine grundsätzliche Klärung nur von einer tieferen Erforschung des kirchlichen Selbstverständnisses im Zeitalter der gregorianischen Reform zu erwarten ist 1 0 3 . Der Pontifikat Gregors VII. war unbestritten einer der größten der Kirchengeschichte 1 0 4 , aber gerade in den weitreichenden Konsequenzen der Amtszeit des ehemaligen Archidiakons liegen die

So der in Anm. 4 erstmals zitierte Titel eines Buchs von R. S c h i e f f e r . Vgl. H. F u h r m a n n „Quod catholicus non habeatur, qui non concordat Romanae ecclesiae". Randnotizen zum Dictatus Papae, in: Festschrift für H. B e u m a n n zum 65. Geburtstag, hrsg. v. K . U . J ä s c h k e und R. W e n s k u s (Sigmaringen 1977) S. 263-287, bes. S.273; H. M o r d e k , Proprie auctoritates apostolice sedis. Ein zweiter Dictatus papae Gregors VII. ?, in: DA 28 (1972) S. 105-132undF. K e m p f , Ein zweiter Dictatus Papae? Ein Beitrag zum Depositionsanspruch Gregors VII., in: ΑΗΡ 13 (1975) S. 119-135. 1 0 2 Vgl. G. T e i l e n b a c h , wie Anm. 11, S. 175-198, bes. S. 195ff. 1 0 3 Wegweisend sind in diesem Zusammenhang: K. G a n z e r , Das Kirchenverständnis Gregors VII., in: Trierer Theologische Zeitschrift 78 (1969) S. 95-109; W. G o e z , Papa qui et episcopus. Zum Selbstverständnis des Reformpapsttums im 11. Jahrhundert, in: ΑΗΡ 8 (1970) S. 27-59 und Y. C o n g a r . D e r Platz des Papsttums in der Kirchenfrömmigkeit der Reformer des 11. Jahrhunderts, in: Sentire ecclesiam. Festschrift für H. R a h n e r (Freiburg i. Br. 1961) S. 196-217. Aus jüngster Zeit sind zu nennen: J . V o g e l , wie Anm. 92, und d e r s . , Gregors VII. Abzug aus Rom und sein letztes Pontifikatsjahr in Salerno, in: Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, hrsg. v. N. K a m p und J . W o l l a s c h (Berlin/New York 1982) S. 341-349. 1 0 4 Vgl. hierzu den neuen Wertungsversuch von R. S c h i e f f e r , Gregor VII. Ein Versuch über die historische Größe, in: H J b 97/98 (1978) S. 87-107. 100 101

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

Schwierigkeiten einer heute mehr und mehr als Desiderat erscheinenden, historischen Biographie dieses Papstes. In Canossa hat Heinrich IV. die priesterliche Bußgewalt akzeptiert und sich damit zum gewöhnlichen Laien degradiert 1 0 5 . Die faktisch endgültige rechtliche Anerkennung seiner Zugehörigkeit zum Laienstand vollzog jedoch erst Heinrich V., als er sich am 23. September 1122 zum Abschluß des sogenannten Wormser Konkordats bereit erklärte 1 0 6 . Zwischen beiden Ereignissen lag das, was Eduard Gervais im Jahre 1841 noch als Inve : stiturstreit bezeichnen konnte: der „ K a m p f Heinrich's V. mit der Kirche" 1 0 7 . Uber diese Auseinandersetzung ist in der historischen Forschung viel geschrieben worden 1 0 8 ; hier sei nur auf die wichtigsten Ergebnisse hingewiesen. Entscheidend war nach heutigem Verständnis vor allem die Periode zwischen der Synode von Clermont (1095) und dem Wormser Konkordat (1122), wobei der von Monika Minninger behandelte Lehnsnexus zwischen König und Bischöfen eine zentrale Rolle spielte 1 0 9 . O b das von Urban II. auf dem Kreuzzugskonzil erlassene Verbot der Klerikerkommendation und der damit verbundenen laikalen Temporalieninvestitur wirklich nur „ a u f dem Hintergrund der französischen Kirchenverhältnisse, der Kreuzzugs- und Gottesfriedensverkündigung, der

1 0 5 Vgl. unter anderem: W. v o n d e n S t e i n e n , Canossa. Heinrich IV. und die Kirche (München 1957); J. S p ö r l , Gregor VII. und das Problem der Autorität, in: Reformata Reformanda. Festgabe für Η . J e d i η, Bd. 1, hrsg. ν. Ε. I s e r l o h und K. R e p g e n = Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Supplementbd. I, 1 (Münster 1965) S. 5 9 - 7 3 ; R . S c h i e f f e r , VonMailandnach Canossa, in: D A 28 (1972) S. 361 ff.; H . Z i m m e r m a n n , wie Anm. 9 5 ; U . - R . B l u m e n t h a l , wie Anm, 92, S. 91-96; M . C . d e M a t t e i s , wie Anm. 92, S. 682-699 und O . C a p i t a n i , wie Anm. 92, S. 3-23, bzw. S. 359-381. 1 0 6 Zur Interpretation des Vertragstextes: vgl. P. C l a s s e n , wie Anm. 52, S. 411—460; J . F r i e d , Der Regalienbegriff im 11. und 12. Jahrhundert, in: D A 29 (1973) S. 450-528, bes. S. 515 und 525; M. M i n n i n g e r , wie Anm. 84, S. 1 8 9 - 2 0 9 u n d O . E n g e l s , wie Anm. 1, S. 3 f.; vgl. ferner: I. O t t , D e r Regalienbegriff im 12. Jahrhundert, in: Z R G K A 35 (1948) S. 234-304 und H . H o f f m a n n , Ivo von Chartres und die Lösung des Investiturproblems, in: D A 15 (1959) S. 3 9 3 - 4 4 0 . 1 0 7 E. G e r v a i s , Kaiser Heinrich V. (Leipzig 1841) S. 27. 1 0 8 Vgl. etwa das Buch von A. W a a s , Heinrich V., Gestalt und Verhängnis des letzten salischen Kaisers (München 1967). 1 0 9 Vgl. M. M i n n i n g e r , wie Anm. 84, bes. S. 84-209; dazu orientierend die Rez. von St. W e i n f u r t e r , in: H Z 232 (1981) S. 399f.

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Interessen des Papsttums, der von der Vasallität betroffenen Reformanliegen und besonders der Geschehnisse im anglonormannischen Lehnss t a a t " 1 1 0 erklärbar ist, wie Monika Minninger schreibt, wird freilich erst die weitere Forschungsdiskussion zeigen. Zu bedenken bleibt vor allem, wie stark der Einfluß des von Urban II. vorgebrachten Arguments zu beurteilen ist, die keusche Priesterhand werde bei der Kommendation durch die Berührung mit der unreinen Hand des Königs herabgewürdigt 1 1 1 . Handelte es sich bei diesem Beweisgang wirklich nur um „eine drittrangige, wenig überzeugende B e g r ü n d u n g " 1 1 2 , oder verbarg sich hinter diesem Gedanken nicht eher eine Vorstellung, die den prinzipiellen Vorrang des Priestertums besonders betonte? In diese Richtung weisen jedenfalls die zahlreichen Urkunden, die Urban II. zur Förderung der Kanonikerreform ausstellte 1 1 3 . Hier sei es jedoch genug, auf das Problem hinzuweisen. Eine ganz ähnliche Frage wie auf der Synode von Clermont stellte sich anläßlich der Ausgleichsverhandlungen des Jahres 1111. Wie 16 Jahre zuvor ging es um die Abschaffung des vom König vorgenommenen Investituraktes, der kirchlicherseits als laikale Einflußnahme interpretiert wurde.

M. M i n n i n g e r , wie Anm. 84, S. 275; ähnlich ebd. S. 84ff. Die Begründung wird in den von R. So m e r v i l l e edierten Decreta Claromontensia, in: The Councils of Urban II Bd. l,hrsg. v. W. B r a n d m ü l l e r u n d R. B ä u m e r = Suppl. I zum Annuarium Historiae Conciliorum (Amsterdam 1972) nur in zwei Handschriften erkennbar: Paris, Bibliotheque Nationale Ms. Lat. 10 402 und Florenz, Biblioteca Laurenziana Cod. XVI. 15 (vgl. M. M i n n i n g e r , wie Anm. 84, S. 85 A. 32). Die im Februar 1096 abgehaltene Provinzialsynode von Rouen enthält den u. a. auf die Synode von Quierzy (vgl. MG Cap. II = Legum Sectio 11,2, Nr. 297, S. 439, Z. 3 6 ^ 0 ) zurückführbaren Gedankengang aber so deutlich (vgl. Concilium Rotomagense, c. 8, in: MANSI, Conciliorum collectio Bd. 19, Sp. 925f.), daß man an der Historizität der Argumentation nicht zweifeln kann, zumal auch der Bericht Eadmers über die römische Synode Urbans II. im Jahre 1099 in die gleiche Richtung weist (vgl. Eadmer, Historia Novorum in Anglia, ed. M. R u l e , in: Rer. Brit. med. aevi scriptores Bd. 81, London 1884, S. 104). 1 1 2 M. M i n n i n g e r , wie Anm. 84, S. 276, vgl. auch ebd. S. 84-103. 1 1 3 Vgl. hierzu vor allem: Ch. D e r e i n e , L'elaboration du Statut canonique des chanoines reguliere, specialement sous U r b a i n l L , in: R H E 46 (1951) S. 534-564; J . M o i s , Das Stift Rottenbuch in der Kirchenreform des X I . - X I I . Jahrhunderts = Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte Bd. 19, N . F . Bd. 6 (München 1953) und d e r s . , in: Rottenbuch. Das Augustinerchorherrenstift im Ammergau, hrsg. v. H. P ö r n b a c h e r (Weißenhorn 1980) S. 9-25 (der Aufsatz war mir nicht zugänglich). 110

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Zwar hatten sich die Verhältnisse inzwischen grundlegend gewandelt, aber das Reformpapsttum strebte nach wie vor das Ideal der Vita apostolica an 114 und bestand deshalb auf einer Befreiung der Kirche aus der eigenkirchenrechtlichen Abhängigkeit, die sich im Investiturakt ausdrückte. Man wird deshalb die vor allem in der älteren Literatur 115 vertretene Meinung in Frage stellen müssen, Heinrich V. habe den Gedanken des Regalienverzichts von vornherein für undurchführbar gehalten. Allerdings hatte der König beide Möglichkeiten, das Scheitern und das Gelingen des Plans, ins Auge gefaßt, wie Adolf Waas gezeigt hat 116 . Aber nach den neueren Untersuchungen von Johannes Fried 1 1 7 , Uta-Renate Blumenthal 118 , Monika Minninger 119 und Carlotto Servatius 120 sollte man nicht mehr bezweifeln, daß beide Seiten prinzipiell verhandlungsbereit waren. Der entscheidende Punkt, an dem die Verhandlungen wohl gescheitert sein dürften, war das unterschiedliche Verständnis des Begriffes regalia. Als Heinrich V. merkte, daß der Papst „statt in der Provenienz ,vom König' in der Pertinenz ,zum Reiche' das definierende Moment" 1 2 1 für den Regalienbegriff erkannte, also das königliche Recht am Kirchengut erheblich einschränken wollte, nutzte er den Tumult in der Peterskirche und setzte den Papst und die Kardinäle gefangen 122 . Mit diesem Vorgehen glückte es der kaiserlichen Seite, die Gewichte zu ihren Gunsten zu Vgl. O . E n g e l s , wie Anm. 1, S. 8-13. Vgl. etwa: F. K o l b e , Erzbischof Adalbert I. von Mainz und Heinrich V. (Diss. Heidelberg 1872) S. 34; G . P e i s e r , Der deutsche Investiturstreit unter Heinrich V. bis zum päpstlichen Privileg vom 13. April 1111 (Diss. Leipzig 1883) S. 71; C . G e r η an d t , Die erste Romfahrt Heinrichs V. (Diss. Heidelberg 1890) S. 31 f. und G . S c h n e i d e r , Der Vertrag von Santa Maria de Turri und dessen Folgen (Diss. Rostock 1881) S. 12, 30-32. 1 1 6 Vgl. A. W a a s , wie Anm. 108, S. 54f. 1 1 7 Vgl. J . F r i e d , wie Anm. 106, S. 450-528. 1 1 8 Vgl. U . - R . B l u m e n t h a l , Patrimonia and Regalia in 1111: Some Notes, in: Law, Church and Society. Essays in H o n o r of St. K u t t n e r , hrsg. v. K. P e n n i n g t o n und R. S o m e r v i l l e (University of Pennsylvania Press 1977) S. 9-20. 1 1 9 Vgl. M. M i n n i n g e r , wie Anm. 84, S. 159-176. 1 2 0 Vgl. C . S e r v a t i u s , Paschalis II.: 1099-1118. Studien zu seiner Person und seiner Politik = Päpste und Papsttum Bd. 14 (Stuttgart 1979) S. 214-252. 1 2 1 J . F r i e d , wie Anm. 106, S. 472. 1 2 2 Zu den Vorgängen: C . S e r v a t i u s , w i e A n m . 120,S. 223-252; zum unterschiedlichen Regalienverständnis beider Seiten: J . F r i e d , wie Anm. 106, S. 477-480. 114

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verschieben; eine de facto endgültige Lösung sollte aber erst das Wormser Vertragswerk mit sich bringen. Das Wormser Konkordat wurde schon in der älteren Forschung als Abschluß des Investiturstreites betrachtet. Eine solche Wertung übersah gewöhnlich, daß das Abkommen nur für die Lebenszeit Heinrichs V. galt, also provisorischen Charakter trug 1 2 3 , hatte aber trotzdem eine gewisse Berechtigung, weil der in Worms geschlossene Vertrag durch die konservative kirchenpolitische Haltung Lothars von Supplinburg zu dauerhafter Gültigkeit gelangte. In der Tat blieb nach 1122 „der sakrale Anteil an der Besetzung kirchlicher Ämter . . . ausschließlich der Kirche vorbehalten; das Kaisertum hatte im Grunde anerkannt, dem Laienstand anzugehören" 1 2 4 . Außerdem gab das Konkordat, wie vor allem Peter Classen 125 und Monika Minninger 126 nachgewiesen haben, „den Weg frei, alle Temporalien der Kirche nach rein weltlichem Recht, und das bedeutete nun nach Lehnrecht, zu begreifen, damit zugleich auch das persönliche Verhältnis der Kirchenfürsten, die Regalien besaßen, zum Kaiser oder König lehnrechtlich zu interpretieren" 127 . Zwar verwendete der Text mit dem Regalienbegriff eine „geeignete Kompromißformel, die noch bestehende unterschiedliche Auffassungen verdecken konnte" 1 2 8 ; aber die Tragfähigkeit der Ubereinkunft konnte auch durch diesen ungezündeten Sprengstoff nicht mehr erschüttert werden, so daß man mit Recht im Wormser Konkordat eine tiefe Zäsur erblickt hat. Die Vereinbarung besaß freilich auch eine Konsequenz, die 1122 noch gar nicht in ihrer vollen Tragweite erfaßt wurde. Die lehnrechtliche Deutung der Temporalienvergabe und der damit verknüpfte Lehnseid, den der Prälat dem König leisten mußte, schufen die Voraussetzung dafür, daß die Königsgewalt sich

1 2 3 Vgl. H . S t o o b , Zur Königswahl Lothars von Sachsen im Jahre 1125, in: Historische Forschungen für W . S c h l e s i n g e r , hrsg. v. H . Beumann (Köln/Wien 1974) S. 4 3 8 - 4 6 1 und zuletzt: L . S p e e r , Kaiser Lothar III. und Erzbischof Adalbert I. von Mainz. Eine Untersuchung zur Geschichte des deutschen Reiches im frühen zwölften Jahrhundert = Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte Bd. 3 (Köln/Wien 1983) bes. S. 135ff. 1 2 4 O . E n g e l s , wie Anm. 1, S. 3. 1 2 5 Vgl. P. C l a s s e n , wie Anm. 52, S. 4 1 1 - 4 6 0 . 1 2 6 Vgl. M. M i n n i n g e r , wie Anm. 84, S. 189-209. 1 2 7 P. C l a s s e n , wie Anm. 52, S. 459. 1 2 8 J . F r i e d , wie Anm. 106, S. 516 A. 2 2 2 ; vgl. auch Μ. M i n n i n g e r , wie Anm. 84, S. 195.

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

zum alleinigen Lehnsherren des gesamten kirchlichen Besitzes entwickelte 1 2 9 : halfen also den bestimmenden Einfluß des Adels bei der kirchlichen Ämterbesetzung zurückzudrängen, der sich im Laufe des späten 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts mehr und mehr herausgeprägt hatte 1 3 0 . In dieser Hinsicht verkörperte das Wormser Konkordat eine Garantie für die Machtstellung des Königtums, während es in bezug auf das Herrschaftsverständnis den König zum gewöhnlichen Laien herabwürdigte. Versucht man, aus dem bisher Gesagten ein kurzes Fazit zu ziehen, ergibt sich folgender Eindruck: Nicht so sehr die Konsequenzen des Kampfes zwischen Imperium und Sacerdotium haben in der Forschung unterschiedliche Wertungen ausgelöst, sondern vielmehr das Problem, wie weit der reformerische Kampf gegen den Laieneinfluß zu den verschiedenen Zeitpunkten schon vorangeschritten war. Ein Teil der Forschung sah bereits in Burchards Decretorum libriviginti erste Anzeichen eines Protestes gegen den geistlich-weltlichen Synergismus und meinte, auf der Lateransynode von 1059 sei diese Gesinnung voll zum Durchbruch gekommen. Eine andere Gruppe betonte, erst unter Gregor VII. sei der Kampf zwischen den beiden gelasianischen Gewalten offen ausgebrochen; bis dahin sei die theokratische Herrschaftsform im großen und ganzen unerschüttert geblieben. Den meisten Arbeiten gemeinsam war eine weitgehend isolierte Betrachtung des kirchenpolitischen Bereichs. Das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Gewalt wurde dabei in der Regel als ausschlaggebend für den Gang der Kirchenreform angesehen; ein Pauschalurteil ist freilich nicht möglich.

2.

D i e R o l l e von Adel und k o m m u n a l e r

Bewegung

Unternimmt man den Versuch, die Rolle, die Adel und kommunale Bewegung während der Kirchenreform gespielt haben, anhand des heutigen Forschungsstandes 131 herauszuarbeiten, so fällt auf, daß ein ZusamVgl. insbesondere P. C l a s s e n , wie Anm. 52, S. 427. Vgl. O . E n g e l s , wie Anm. 1, S. 3 A. 8 mit Verweis auf J. F l e c k e n s t e i n , Hofkapelle und Reichsepiskopat unter Heinrich IV., wie Anm. 96, S. 128-140 u n d O . E n g e l s , Grundlinien der rheinischen Verfassungsgeschichte im 12. Jahrhundert, in: RhVjbl 39 (1975) S. 8f. 1 3 1 Repräsentativ für den heutigen Forschungsstand ist der Aufsatzband: Inve129 130

Die Rolle von Adel und kommunaler Bewegung

25

menhang zwischen beiden Kräften und der kirchlichen Erneuerungsbewegung im Reich erst nach dem Tode Heinrichs III. deutlich erkennbar i s t 1 3 2 : also zu einem Zeitpunkt, als die Kirchenreform in ihrer ideellen stiturstreit und Reichsverfassung, hrsg. v. J . F l e c k e n s t e i n = Vorträge und Forschungen Bd. 17 (Sigmaringen 1973). Er enthält eine Reihe von grundlegenden Aufsätzen mit einer Fülle von bibliographischen Hinweisen, die einen raschen Einstieg in die Forschungsdiskussion ermöglichen (vgl. insbesondere: H. J a k o b s , Rudolf von Rheinfelden und die Kirchenreform, ebd. S. 97-99 mit A. 52, der die wichtigsten Arbeiten zum Verhältnis von Adel und Kirchenreform in Deutschland verzeichnet). Einen Gesamtüberblick über die neuere Adelsforschung mit reichhaltigen Literaturangaben vermittelt: K. F. W e r n e r , Art. „Adel (A)", in: Lex d. MA Bd. 1 (München/Zürich 1980) Sp. 118-128. Vgl. außerdem aus jüngster Zeit vor allem die Untersuchungen von O. E n g e l s , Vorstufen der Staatwerdung im Hochmittelalter - Zum Kontext der Gottesfriedensbewegung, in: HJb 97/98 (1978) S. 71-86; J . F r i e d , Laienadel und Papst in der Frühzeit der deutschen und französischen Geschichte, in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter, hrsg. v. H. B e u m a n n u n d W . S c h r ö d e r = Nationes Bd. 1 (Sigmaringen 1978) S. 392 ff. und J . F r i e d , Der päpstliche Schutz für Laienfürsten = Abh. der Heidelberger Ak. d. Wiss., Phil.-Hist. Kl. Jahrgang 1980, Abh. 1 (Heidelberg 1980) S. 37-103. - Für den Zusammenhang zwischen Kirchenreform und kommunaler Bewegung sind als Einführung in den heutigen Forschungsstand in erster Linie folgende Arbeiten aufzuführen: der das mittelalterliche Städtewesen in salischer Zeit behandelnde Aufsatzband: Beiträge zum hochmittelalterlichen Städtewesen, hrsg. v. B. D i e s t e l k a m p = Städteforschung, Reihe A, Bd. 11 (Köln/Wien 1982), sowie die Einzelstudien von: B. S c h w i n e k ö p e r , Königtum und Städte bis zum Ende des Investiturstreites = Vorträge und Forschungen, Sonderband 11 (Sigmaringen 1977); R. K o t t j e , Zur Bedeutung der Bischofsstädte für Heinrich IV., in: H J b 97/98 (1978) S. 131-157; H. K e l l e r , Einwohnergemeinde und Kommune: Probleme der italienischen Stadtverfassung im 11. Jahrhundert, in: HZ 224 (1977) S. 561-579, etwas veränderter Nachdruck in dem gerade zitierten Sammelband „Beiträge zum hochmittelalterlichen Städtewesen" unter dem Titel: Der Übergang zur Kommune: Zur Entwicklung der italienischen Stadtverfassung im 11. Jahrhundert, S. 55-72; d e r s., Adelsherrschaft und städtische Gesellschaft in Oberitalien (9.-12. Jh.) = Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bd. 52 (Tübingen 1979); G. T a b a c c o , Vescovi e comuni in Italia e Germania nel Medioevo = Annali dell'Istituto storico italo-germanico, Quaderno 3 (Bologna 1979) S. 253-282 undE. W e r n e r , Stadt und Geistesleben im Hochmittelalter = Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte Bd. 30 (Weimar 1980) S. 41 ff. 1 3 2 Für das Forschungsgebiet Adel und Kirchenreform arbeitete dies am Beispiel des östlichen Niedersachsen L. F e n s k e , Adelsopposition und kirchliche Reformbewegung im östlichen Niedersachsen = Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte Bd. 47 (Göttingen 1977) heraus. Für Lothringen sind jetzt vor allem die zusammenfassenden Studien von E. B o s h o f , wie Anm. 17, S. 265-285 und d e r s . , wie Anm. 20, S. 63-127 heranzuziehen.

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

Konzeption bereits weitgehend abgeschlossen w a r 1 3 3 . Dennoch wird niemand behaupten, das Zusammengehen sei etwas völlig Unvorhersehbares gewesen; gab es doch einen Interessenkonsens zwischen beiden Gruppen, der in der Beschränkung der Gewalt des theokratischen Königtums bestand 1 3 4 . Allerdings waren ebenso unbestritten Gegensätze vorhanden: Laienadel und Stadtkommune waren bestrebt, die Kirchenhoheit des Herrschers durch ihre eigene Verfügungsgewalt zu ersetzen 1 3 5 , während die Reformer sich bemühten, sich von der Grundlage des frühmittelalterlichen Eigenkirchenwesens möglichst weit zu entfernen 1 3 6 . Daß hierin kein unüberwindbares Hindernis lag, zeigt die geschichtliche Entwicklung: die Reform begann in den Klostergründungen des Adels 1 3 7 und den Gemeinden der heranwachsenden K o m m u n e n 1 3 8 und Zu dieser Wertung: vgl. unten Kap. V. Den Interessenkonsens zwischen Adel und kirchlichen Reformen erkannte schon die ältere Forschung; als typisches Beispiel sei ein Zitat aus der 1834 entstandenen Schrift von L. v o n R a n k e , Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten Bd. 1 = Sämtliche Werke Bd. 37 (Leipzig 1874) angeführt: „Es stimmt sehr gut zusammen, daß der Papst Deutschland für eine Wahlreich erklärte . . . und daß die Fürsten so wenig dawider hatten . . . Selbst bei dem Investiturstreit ging ihr Vorteil Hand in Hand: der Papst war noch weit entfernt, die Bischöfe selbst ernennen zu wollen: er überließ die Wahl den Capiteln, auf welche der höhere deutsche Adel den größten Einfluß ausübte. Mit einem Wort: der Papst hatte die aristokratischen Interessen auf seiner Seite" (ebd. S. 20). 1 3 5 Belege hierfür finden sich u. a. bei: O. E n g e l s , wie Anm. 131, S. 71-86 und H. K e l l e r , Einwohnergemeinde, wie Anm. 131, S. 561-579, Neufassung S. 55-72. 1 3 6 So verzichtete man beispielsweise im Kloster Hirsau ab 1075 völlig auf eine eigenkirchenrechtliche Absicherung; vgl. H. J a k o b s , Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung im Zeitalter des Investiturstreites = Kölner Historische Abhandlungen Bd. 4(Köln/Graz 1961)S. 79ff.undS. 152ff.;außerdem:H. B ü t t n e r , Abt Wilhelm von Hirsau und die Entwicklung der Rechtsstellung der Reformklöster im 11. Jahrhundert, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 25 (1966) S. 321 ff. 1 3 7 Vgl. dazu ζ. B. Th. M a y e r , Gregor VII. und das Eigenkirchenrecht. Die ältesten Urkunden von Hirsau, in: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 28 (1948) S. 145ff.; d e r s . , Fürsten und Staat. Studien zur Verfassungsgeschichte des deutschen Mittelalters (Weimar 1950) S. 50ff. und (aus heutiger Sicht) K. S c h m i d , Adel und Reform in Schwaben, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, wie Anm. 131, S. 298. 1 3 8 Ein besonders wichtiges Beispiel für die Beziehung von Stadtkommune und Reform bilden die von H. K e l l e r , Pataria und Stadtverfassung, Stadtgemeinde und Reform: Mailand im „Investiturstreit", in: Investiturstreit und Reichsverfas133

134

Die Rolle von Adel und kommunaler Bewegung

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breitete sich von dort über ganz Europa aus, obwohl sie den Kampf gegen den Laieneinfluß auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Um diesen (scheinbaren) Widerspruch zu erklären, hat die ältere Adelsforschung im wesentlichen vier Antworten in Betracht gezogen: 1. der Adel sei von der religiösen Erneuerungsbewegung mitgerissen worden 1 3 9 , 2. die Gründung von adeligen Hausklöstern habe sich gegen das bestehende Reichskirchensystem gerichtet 140 , 3. die Träger der Reform, Mönche und Priester, hätten der gleichen adeligen Gesellschaftsschicht angehört, eine Allianz mit dem Adel sei also ständisch bedingt gewesen 141 , und 4. der Kampf zwischen Imperium und Sacerdotium habe dem Adel die einmalige Chance gegeben, durch Kooperation mit dem Papsttum eigene Herrschaftsansprüche über Klöster und Kirchen zu begründen 1 4 2 . In jüngster Zeit hat Karl Schmid 143 diesen Lösungsmöglichkeiten eine weitere hinzugefügt, die sich ebenfalls auf das Verhältnis Adel und Kirchenreform bezieht. Er wies darauf hin, daß ,,die stärker objektivierte, mit königlicher Bannleihe versehene, in der Individualsukzession übertragene Erbvogtei" 1 4 4 dem Adel eine einmalige Möglichkeit eingeräumt habe, auf die Eigenkirchenherrschaft zu verzichten - also der notwendigen „Entflechtung der geistlichen und weltlichen Komponente in der Herrschaft" 1 4 5 Rechnung zu tragen - und dennoch der eigenen, autogenen Adelsherrschaft ein Rückgrat zu geben. „Die an den Inhaber einer Burg gebundene Erbvogtei" 1 4 6 habe „zur Formierung einer Familienfolge, eines Adelsgeschlechtes, nicht unwesentlich" 147 beigetragen; der Versung, wie Anm. 131, S. 3 2 1 - 3 5 0 analysierten Mailänder Ereignissse und Entwicklungen. 1 ? 9 Vgl. K. S c h m i d , wie Anm. 137, S. 299. 1 4 0 Vgl. K. S c h m i d , wie Anm. 137, S 299. 1 4 1 Vgl. ebd. S. 299. 1 4 2 Vgl. ebd. S. 299. 1 4 3 Vgl. ebd. S. 2 9 5 - 3 1 9 ; ähnlich schon: H . J a k o b s , wie Anm. 136, 5. 153-170, bes. S. 162. 1 4 4 K. S c h m i d , wie Anm. 137, S. 318. 1 4 5 Ebd. S. 318. 1 4 6 Ebd. S. 318. 1 4 7 Ebd. S. 318.

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

zieht auf die Eigenklosterherrschaft habe dem Adel damit nicht geschadet, sondern sei ihm im Gegenteil sehr nützlich gewesen. Aus diesem Grund seien viele Argumente der älteren Forschung 148 abzulehnen, die von falschen Axiomen ausgegangen seien 149 . In dieselbe Richtung weisen auch die neuesten Untersuchungen von Odilo Engels 150 und Johannes Fried 151 . Sie machen dabei vor allem auf die recht unterschiedlichen Voraussetzungen aufmerksam, mit denen die karolingischen Nachfolgereiche in die Epoche der Kirchenreform hineingingen. Während im Westen der Verfall der karolingischen Grafschaftsverfassung und die Schwäche des Königtums dazu geführt hätten, daß der Adel sich schon vor Beginn der gregorianischen Reform mit Hilfe des Papstschutzes königliche Rechte angeeignet und Hoheitsfunktionen auch ohne königlichen Auftrag wahrgenommen habe 152 , sei eine solche Entwicklung im Ostreich nicht vor dem ausgehenden 11. Jahrhundert möglich gewesen 153 . Dies sei vor allem an der zunehmenden Patrimonialisierung des Grafenamtes nachweisbar, die sich im Reich zuerst in Oberlothringen feststellen lasse 154 . Ein zweiter Beleg ergebe sich aus der Tatsache, daß unmittelbare Beziehungen zwischen Laienadel und Papst im Reich vor 1050 so gut wie gar nicht bestanden, während in Frankreich direkte Verhandlungen über den Kopf des Königs hinweg schon im 9. Jahrhundert begannen 155 . Diese unterschiedliche Ausgangsposition sei der eigentliche Grund dafür, daß die Kirchenreform nur in Deutschland eine starke Politisierung erfahren habe 156 . Das Westreich habe außerdem den Territorialisierungsprozeß um mehr als zweihundert Jahre vorwegge-

1 4 8 Zu den Gedankengängen der älteren Forschung vgl. vor allem: G. S c h r e i b e r , Kurie und Kloster im 12. Jahrhundert Bd. 1 = Kirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 65 (Stuttgart 1910) S. 1 7 f . 1 4 9 Vgl. K. S c h m i d , wie Anm. 137, S. 3 1 7 f . 1 5 0 Vgl. O . E n g e l s , Schutzgedanke und Landesherrschaft im östlichen Pyrenäenraum ( 9 . - 1 3 . Jh.) = Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, 2. Reihe, Bd. 14 (Münster 1970) und d e r s . , wie A n m . 131, S. 7 1 - 8 6 . 1 5 1 Vgl. J . F r i e d , Laienadel, wie Anm. 131, S. 367-406, bes. S. 3 9 2 f f . 1 5 2 Vgl. ebd. S. 3 7 6 - 3 7 8 und O . E n g e l s , wie Anm. 131, S. 71 f. 1 5 3 Vgl. ebd. S. 74 f. 1 5 4 Vgl. ebd. S. 74. 1 5 5 V g l . J . F r i e d , Laienadel, wie A n m . 131, bes. S. 3 9 4 - 3 9 9 u n d S . 369-379. 1 5 6 V g l . J . F r i e d , wie A n m . 131, S. 403 f. und O . E n g e l s , wie Anm. 1 , S . 2 u n d S . 21 ff.

Die Rolle von Adel und kommunaler Bewegung

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n o m m e n 1 5 7 : Der Adel sei hier also mit einer ganz anderen Position in die Kirchenreform gegangen, als dies im Osten der Fall war. Die Gottesfriedensbewegung habe im Westreich unter anderem die Funktion erfüllt, eine auf die Fläche bezogene Landesherrschaft zu ermöglichen; sie sei wegen der anderen Gegebenheiten in Deutschland nicht zum Zuge gekommen158. Formuliert man aus diesen Beobachtungen ein Ergebnis, so scheint besonders beachtenswert, daß der Adel in beiden Teilen Mitteleuropas zu einem wichtigen Träger der Reform wurde: daß es aber wegen der unterschiedlichen verfassungsgeschichtlichen Voraussetzungen nur im Osten zu einer starren kirchenpolitischen Frontstellung zwischen Adel, Königtum und Reichskirche kam. Im Westen hatte der Adel schon viel früher mit Hilfe des Papsttums beträchtlichen Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten gewonnen. Und mit dieser Tatsache erklärt sich der Umstand, daß die Kirchenreform in Frankreich nicht dieselbe starke Politisierung erfuhr wie in Deutschland. Die Rolle der Stadtkommunen wurde bisher nur beiläufig gestreift. Sie ist erst in jüngster Zeit verstärkt auf das Interesse der Forschung 1 5 9 gestoßen, sollte aber deshalb nicht völlig vernachlässigt werden. Modellcharakter für die italienische Entwicklung kam den Geschehnissen in Mailand zu; es sei darum gestattet, das Verhältnis von Stadtgemeinde und Reform exemplarisch an der Beziehung zwischen der Mailänder Kommune und der Patariabewegung zu verdeutlichen. Dabei soll es nicht an vergleichenden Seitenblicken auf die Verhältnisse in anderen Städten fehlen, den Ausgangspunkt bilde jedoch die oberitalienische Gemeinde. Hagen Keller hat die Entwicklung in Mailand in einer gründlichen Studie behandelt 1 6 0 . Seine Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß die Stadtgemeinde „ u m ihre Autonomie in allen Entscheidungen, die das Stadtregiment und die innere Ordnung betrafen" 1 6 1 , gerungen habe. Hierbei habe „sie sich in gleicher Weise gegen Eingriffe des Königs und des Papstes" 1 6 2 gestellt: es sei ihr also nur in zweiter Linie um die Förderung der Reformbestrebun-

157 158 159 160 161 162

Vgl. O . E n g e l s , wie Anm. 131, S. 76ff. Vgl. ebd. S. 8 3 - 8 6 . Vgl. dazu die in Anm. 131 aufgeführten Arbeiten. Vgl. H . K e l l e r , wie Anm. 138, S. 3 2 1 - 3 5 0 . Ebd. S. 347. Ebd. S. 347.

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

gen gegangen; primär habe sie sich um die Ausübung der öffentlichen Gewalt bemüht. In dieser Hinsicht sei Mailand eine typische italienische Stadtgemeinde des 11. Jahrhunderts, da sich alle bedeutenden Kommunen Italiens um die Wahrnehmung jener Hoheitsfunktionen gekümmert hätten, „die vom Königtum nicht mehr in eigener Regie wahrgenommen, aber auch nicht eindeutig einem anderen Herrschaftsträger überlassen" 163 worden seien. Versuche man eine Generallinie zu skizzieren, so ließen sich im wesentlichen zwei Phasen der italienischen Stadtentwicklung im 11. Jahrhundert voneinander abheben: die erste sei „gekennzeichnet durch die Auseinandersetzung um das Verhältnis der Bürgerschaft zur öffentlichen Gewalt" 1 6 4 , also „um den Anteil der Gemeinden an den sie betreffenden Entscheidungen" 165 . In der zweiten Entwicklungsstufe, die sich mit der ersten überschneide, dominiere die „Auseinandersetzung um die Herrschaftsordnung innerhalb der Stadtgemeinde selbst, um das Zusammenleben ihrer unterschiedlichen Interessengruppen" 166 . In diese zweite Phase sei auch das Verhältnis der italienischen Kommune zur kirchlichen Reformbewegung einzuordnen. Die „religiöse Idee" habe „die Umwandlung der Stadtgemeinde zur Kommune eingeleitet" 167 , sei aber dort auf ihre Grenzen gestoßen, wo sie nur noch die Interessen einer bestimmten Gruppe vertreten habe 168 . „Die Grundidee der Kommune" habe es nicht erlaubt, „einen Dissens zwischen einzelnen Gruppen anzuerkennen" 169 ; und deswegen sei es in Mailand zum Bruch zwischen Stadtgemeinde und Reform gekommen, als die Pataria den Autonomieanspruch der Kommune in kirchlichen Angelegenheiten nicht anerkennen, sondern im Bunde mit dem Reformpapsttum an einer hierarchischen Kirchenverfassung festhalten wollte 170 . 163 164

H. K e l l e r , Einwohnergemeinde, wie A n m . 131, S. 569. Ebd. S. 576; etwas anders in der Neufassung des Aufsatzes, wie A n m . 131,

S. 69. Wie Anm. 164. H. K e l l e r , Einwohnergemeinde, wie Anm. 131, S. 576; in der in A n m . 131 ebenfalls zitierten Neubearbeitung, S. 69. 1 6 7 Wie Anm. 164. 1 6 8 Als Beispiel kann auch der von H. K e l l e r , wie Anm. 138, S. 344 ff. untersuchte Bruch zwischen Pataria und Stadtgemeinde angeführt werden. 1 6 9 H. K e l l e r , Einwohnergemeinde, wie A n m . 131, S. 576; Neufassung, wie Anm. 131, S. 70; vgl. auch: d e r s . , Die Entstehung der italienischen Stadtkommunen als Problem der Sozialgeschichte, in: FMST 10 (1976) S. 1 6 9 - 2 1 1 . 1 7 0 Vgl. H. K e l l e r , wie Anm. 138, S. 3 4 7 f . 165

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Gegenüber der kommunalen Bewegung in Italien, die in bezug auf die Wahrnehmung von Hoheitsfunktionen ähnliche Ziele verfolgte wie der Adel des Westreiches 1 7 1 , blieb die Entwicklung in Deutschland weit zurück. Zwar hat die Forschung mit Recht darauf hingewiesen, daß der älteste städtische Freiheitsbrief, der überliefert ist, für das wallonische H u y in der Diözese Lüttich ausgestellt w u r d e 1 7 2 : die erste Einschränkung der im Auftrag des Königs ausgeübten Friedewahrung auf kommunalem Boden also bereits im Jahre 1066 einsetzte 1 7 3 . Aber die wallonische Stadt kann kaum als repräsentativ für das gesamte Reich gelten. Typisch waren eher die unter anderem von Heinrich Büttner 1 7 4 und Ursula Lewald 1 7 5 untersuchten Vorgänge in Worms und Köln (1074), bei denen kennzeichnend war, daß die Bürger ihren Rückhalt beim Kaiser suchten. Raymund Kottje hat „ D i e Bedeutung der Bischofsstädte für Heinrich I V . " 1 7 6 im allgemeinen untersucht. Sein zusammenfassender Aufsatz kam zu folgenden E r gebnissen: Der Salier bevorzugte offenkundig vor allem jene Städte, in denen die „führenden Kräfte in Opposition zum Bischof als Stadtherren standen" 1 7 7 , die also schon von sich aus an einer Beziehung zum König in1 7 1 Zum Zusammenhang zwischen kommunaler Idee und Gottesfriedensbewegung: H. K e l l e r , Einwohnergemeinde, wie Anm. 131, S. 573ff.; Neufassung, wie Anm. 131, S. 66ff. Vgl. M. M a r t e n s , Recueil des textes d'histoire urbainebeige des origines au milieu de X l l l e siecle, in: Elenchus fontium historiae urbanae, hrsg. v. C. van de K i e f t u n d J . F . N i e r m e i j e r , Bd. 1 (Leiden 1967) S. 229f., eine leicht zugängliche Textausgabe des Freiheitsbriefes, die auf der Grundlage der bis heute maßgeblichen Edition von A. J ο r i s in dessen Buch La ville de Huy au moyen äge = Bibliotheque de la Faculte de Philosophie et Lettres de l'Universite de Liege Bd. 152 (Paris 1959) S. 479-484 erstellt wurde. 1 7 3 Zur Interpretation des in Anm. 172 zitierten Freiheitsbriefs vgl. vor allem: A. J o r i s , wie Anm. 172, S. 107-127 und d e r s . , j - I u y et sa charte de franchise 1066 (Brüssel 1966), wo der Autor seine Ausführungen zu der berühmten Bischofsurkunde in etwas erweiterter Form noch einmal gesondert publiziert hat. Außerdem zuletzt: J . - L . K u p p er, Liege et l'eglise imperiale. Xle-XIIesiecles = Bibliotheque de la Faculte de Philosophie et Lettres de l'Universite de Liege Bd. 228 (Paris 1981) S. 442 ff. 1 7 4 Vgl. H. B ü t t n e r , Die Bischofsstädte von Basel bis Mainz in der Zeit des Investiturstreites, in: Investiturstreit und Reichsverfasssung, wie Anm. 131, S. 351-361. 1 7 5 Vgl. U. L e w a l d , Köln im Investiturstreit, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, wie Anm. 131, S. 373-393. 1 7 6 So der Titel des in Anm. 131 erstmals zitierten Aufsatzes von R. K o t t j e . 1 7 7 R. K o t t j e , wie Anm. 131, S. 154.

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

teressiert waren. Das aus dieser Situation resultierende Zweckbündnis war allerdings nicht Teil eines herrscherlichen Programms, sondern eher eine Verbindung, die aus der Not geboren wurde. Die Entwicklung in die Stadtfreiheit erfolgte in Deutschland gegenüber Italien mit erheblicher Verzögerung; sie wurde dabei „entscheidend nicht durch wirtschaftliche, sondern durch politische Gegebenheiten ausgelöst und gefördert" 178 . Am Ende des Prozesses stand in Deutschland die durch königliche Freibriefe sanktionierte Städteautonomie, während in Italien die kommunale Selbstverwaltung im Gegensatz zur Königsgewalt verharrte. Von hierher erklärte sich auch das unterschiedliche Verhältnis der Kommunen zur Kirchenreform. In Deutschland waren die Städte meist reformfeindlich eingestellt, wohingegen sie sich in Italien zur wichtigen Stütze der religiösen Erneuerungsbewegung entwickelten.

3. D i e B e d e u t u n g d e s K i r c h e n r e c h t s Der starke Einfluß des Kirchenrechts auf die allgemeine Reform des 11. Jahrhunderts ist in der Forschung schon früh erkannt worden. Dabei wurde der Frage der Pseudoisidorrezeption schon von Anfang an viel Gewicht zugemessen 179 , auch wenn es hier des öfteren zu folgenschweren Fehleinschätzungen kam. So meinte noch Johannes Haller 180 in Anlehnung an Charles de Smedt 181 und Paul Fournier 182 , um Pseudoisidor habe man sich in Rom seit dem Ende des neunten Jahrhunderts nicht mehr gekümmert; erst die Franzosen und Lothringer, die mit Leo IX. herübergekommen seien, hätten ihn aus ihrer Heimat mitgebracht und dafür ge-

Ebd. S. 156. Vgl. etwa: A . T h e in e r , Disquisitiones criticae in praecipuas canonum et decretalium collectiones (Rom 1838). 1 8 0 V g l . J . H a l l e r , Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit, Bd. 2 : Der Aufbau (Stuttgart 2 1 9 5 1 ) S. 232. 1 8 1 Vgl. Ch. d e S m e d t , Les FaussesDecretales, l'episcopatfranc et lacour de Rome du IXe au X l e siecle, in: Etudes relig., hist, et litt, par des peres de la C o m pagnie de Jesus, IV, ser. 6 (1870) S. 7 7 - 1 0 1 . 1 8 2 Vgl. P. F o u r n i e r , Etude sur les Fausses Decretales, in: RHE 8 (1907) S. 4 9 f f . , bes. S. 56 und d e r s . / G . l e B r a s , Histoire des collections canoniques en Occident depuis les Fausses Decretales jusqu'au Decret de Gratien, Bd. 1 (Paris 1931) S. 2 2 8 f f . 178

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Die Bedeutung des Kirchenrechts

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sorgt, daß er bekannt wurde 1 8 3 . Diesem krassen Fehlurteil entgegengetreten zu sein, ist eines der Verdienste des grundlegenden Buches von Horst Fuhrmann 184 . Seine Untersuchung wies nach, daß die falschen Dekretalen kontinuierlich seit ihrer Entstehungszeit in Rom benutzt wurden, wobei sie freilich betonte, daß „nun nach ca. 1050 in ,römischen', das heißt päpstlichen Dokumenten Leos IX. den Sätzen und dem Recht Pseudoisidors besondere Bedeutung eingeräumt" 185 worden seien. Fuhrmann formulierte die These, nicht Pseudoisidor, sondern die Kirche sei im Zuge der gregorianischen Reform neu entdeckt worden 186 , und umschrieb damit die Tatsache, daß es nicht darum ging, „das fast vergessene Recht Pseudoisidors aufzuwärmen" 1 8 7 , sondern darum, im Rückgriff auf die karolingische Sammlung das neue Selbstverständnis der Kirche kanonistisch zu definieren 188 . Die falschen Dekretalen wurden also wie andere Rechtssammlungen auch von den Reformern als eine Art Steinbruch benutzt, aus dem man sich das für die Erneuerung Notwendige herausbrach. Daß es dabei zu Modifizierungen der Idealvorstellungen kam, versteht sich von selbst. Pseudoisidor kam dabei freilich den Bedürfnissen der Kurie nach Verfestigung des päpstlichen Jurisdiktionsprimates 189 und Kampf gegen Simonie, Nikolaitismus und Laieneinfluß in besonderer Weise entgegen, andererseits zeigt die Rezeption der Dekretalen durch Regino von Prüm 1 9 0 und Burchard von Worms 191 zur Genüge,

1 8 3 Vgl. J . H a l l e r , wie A n m . 180, S. 232; ähnlich die Wertung in: d e r s . , Pseudoisidors erstes Auftreten im deutschen Investiturstreit, in: Stud Greg 2 (1947) S. 9 1 - 1 0 1 . 1 8 4 Vgl. H. F u h r m a n n , Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen, Bd. 2 = Schriften d e r M G H Bd. 2 4 , 2 (Stuttgart 1973) S. 2 9 0 - 3 5 3 . 1 8 5 Ebd. S. 340. 1 8 6 Vgl. ebd. S. 3 4 6 - 3 5 3 . 1 8 7 Ein im Hinblick auf das Dekret des Bischofs Burchard von Worms geschriebenes Zitat aus A . F . G f r ö r e r , Untersuchung über Alter, Ursprung, Zweck der Dekretalen des falschen Isidorus (Schaffhausen 1848) S. 2 1 3 . 1 8 8 Vgl. H. F u h r m a n n , wie A n m . 184, S. 606. 1 8 9 Vgl. ebd. S. 3 3 9 - 3 4 5 und S. 605. 1 9 0 Zu den Pseudo-Isidor-Zitaten Reginos jetzt vor allem: H. F u h r m a n n , wie A n m . 184, S. 4 3 5 - 4 4 1 , der ebd. S. 436 A . 31 daraufhinweist, daß alle Stellen in der bis heute gültigen Edition: Reginonis libri duo de synodalibus causis et disciplinis ecclesiasticis, ed. F . G . A . W a s s e r s c h i e b e n (Leipzig 1840) verifiziert sind. 1 9 1 Vgl. H. F u h r m a n n , wie Anm. 184, S. 4 4 2 - 4 8 5 .

Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

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daß die papale Tendenz der pseudoisidorischen Fälschung selbst nur eine untergeordnete Rolle spielte. Wichtiger war zweifellos die enorme Verbreitung der Sammlung, die sei es als fons mediatus oder immediatus - praktisch überall bereit lag 1 9 2 . Sie bewirkte gemeinsam mit dem neuen kirchlichen Selbstverständnis, daß das Kirchenrecht im allgemeinen und die pseudoisidorischen Dekretalen im besonderen als maßgebliche Autorität in allen kirchlichen Streitfragen anerkannt w u r d e n 1 9 3 . N u r so ist die starke Intensivierung überzeitlicher Formulierungen in den Synodalbeschlüssen des 11. Jahrhunderts 1 9 4 zu erklären: die große Synode wurde zwar immer noch als bischöfliches Gericht aufgefaßt, gleichzeitig aber auch als an den kirchenrechtlichen B ü chern orientiertes Organ des neuen ekklesiologischen Selbstverständnisses. Insbesondere das päpstliche Generalkonzil 1 9 5 und die Rechtssammlungen 1 9 6 erhielten damit eine Funktion, die sie vorher de facto nicht besessen hatten. Sie waren nicht mehr nur Maßstab kirchlicher Disziplinarverfahren, sondern zugleich rechtmäßige Instanz zur kanonistischen Formulierung des Reformprogramms. Vgl. ebd. S. 349f. Erste Ansätze zur Steigerung des Ansehens der falschen Dekretalen in der Regierungszeit Heinrichs III. arbeitete schon die grundlegende Studie von Ph. F u n k , wie Anm. 13, S. 305-330 heraus. Einen breiteren Uberblick geben H. F u h r m a n n , Das Reformpapsttum und die Rechtswissenschaft, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, wie Anm. 131, S. 175-203, bes. S. 201 ff. und H. Z i m m e r m a n n , Römische und kanonische Rechtskenntnis und Rechtsschulung im früheren Mittelalter, in: La Scuola nell'occidente latino dell'alto medioevo Bd. 1 = Settimanedi studio del CentroItalianodiStudisull'alto Medioevo Bd. 19 (Spoleto 1972) S. 767-794. 1 9 4 Dazu Näheres unten, bes. in Kap. V und VI. 1 9 5 Zur Funktion der Synoden vor dem Zeitalter des Investiturstreits vgl. den Überblick von: I. S c h r ö d e r , Die westfränkischen Synoden von 888 bis 987 und ihre Überlieferung = Μ GH Hilfsmittel Bd. 3 (München 1980). 1 9 6 Auf diese Akzentverschiebung im Charakter der grundsätzlich freilich nach wie vor als Bischofsgericht verstandenen päpstlichen Synode machte schon A. H a u c k , wie Anm. 25, S. 600ff. und d e r s . , Die Rezeption und Umbildung der allgemeinen Synode im Mittelalter, in: HVS 10 (1907) S. 465ff. aufmerksam. Seine Ansicht ist zwar in vielen Einzelaspekten modifiziert worden, hat sich aber im großen und ganzen durchgesetzt. Aus jüngerer Zeit sind in diesem Zusammenhang vor allem folgende Titel zu nennen: F. Κ. Η app e, Die Geschichte der Konzilstheorie von 1046-1123 (Diss, masch. Münster 1948), bes. S. 3ff.; H. F u h r m a n n , Das ökumenische Konzil und seine historische Grundlage, in: GWU 12 (1961) S. 672-695, bes. S. 680-686; G. F r a n s e n , Papes, conciles generaux et oe192 193

Die Bedeutung des Kirchenrechts

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Hier liegen die Hauptergebnisse der jüngeren kirchenrechtlichen Forschung 1 9 7 : das Kirchenrecht war in erster Linie ein Instrument der kirchlichen Erneuerungsbewegung; erst in zweiter Hinsicht entwickelte es eine den Gang der Reform verändernde Eigendynamik 198 . Man muß diese Generallinie verstehen, um die Einzelergebnisse richtig einzuordnen. Wenn Karl Bosl trotzdem schreibt, „auf der Suche nach einer neuen Ordnung" seien die pseudoisidorischen Dekretalen „ z u r Richtschnur für die Neugestaltung der kirchlichen Verfassung" 1 9 9 geworden, so verkehrt er damit Ursache und Wirkung. Nicht die falschen Dekretalen bildeten die Norm der kirchlichen Erneuerungsbewegung, sondern Pseudoisidor kam zur Anwendung „wegen einer außerhalb der Fälschung ausgebildeten Kirchenvorstellung, die der römischen Kirche normativen Rang zuerkannte" 2 0 0 . Mit diesen Worten Horst Fuhrmanns ist die Bedeutung Pseudoisidors und gleichzeitig des gesamten Kirchenrechts treffend charakterisiert. Man sollte deshalb die „weitgehenden Übereinstimmungen päpstlicher A n schauungen mit denen der Reformkanonisten" 2 0 1 vor allem mit „einer cumeniques, in: Le istituzioni ecclesiastiche della „societas Christiana" dei secoli XI-XII. Papato, cardinalato ed episcopato = Miscellanea del Centro di Studi Medioevali Bd. 7 (Mailand 1974) S. 203-228; G. A l b e r i g o , Regime sinodale e chiesa romana tra l'XI e il XII secolo, in: Le istituzioni, a.a.O. S. 229-271; sowie F.-J. S c h m a l e , Synodus - synodale concilium - concilium, in: A H C 8 (1970) S. 80-102, bes. S. 88ff. 197 Zum Strukturwandel der kanonistischen Sammlungen während der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts vgl. ζ. B. P. F o u r n i e r , Les Collections canoniques Romaines de l'epoque de Gregoire VII, in: Memoires de l'Institut National de France. Academie des Inscriptions et Beiles Lettres 41 (1920)S. 273 ff.; d e r s . , Un Tournant de l'histoire du droit 1060-1140, in: Nouv. Rev. Hist. Droit Franf, 41 (1917) S. 129-180; H. F u h r m a n n , wieAnm. 184, S. 486ff.; d e r s . , wie Anm. 193, S. 175-203; J. G i l c h r i s t , The Reception of Pope Gregory VII into the Canon Law (1073-1141), in: ZRG KA 59 (1973) S. 35-82 (I) und ZRG KA 66 (1980) S. 192-229 (11); d e r s . , Gregory VII and the Juristic Sources of his Ideology, in: Studia Gratiana 12 = Collectanea St. K u t t n e r Bd. 2 (Rom 1967) S. 1 - 3 7 und I.S. R o b i n s o n , Authority and Resistance in the Investiture Contest. The Polemical Literature of the Late Eleventh Century (Manchester 1978) S. 39ff. 198 Vgl. hierzu insbesondere: Η. F u h r m a n n , wie Anm. 184, S. 606. 199 K. B o s l , in: B. G e b h a r d t , Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1 (Stuttgart 9 1970) S. 774. 2 0 0 H. F u h r m a n n , wie Anm. 184, S. 606. 2 0 1 H. F u h r m a n n , wie Anm. 193, S. 202.

Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

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gemeinsamen, auch außerhalb R o m s vertretenen Ekklesiologie" 2 0 2 erklären. Die Handlungen der Reformpäpste können nämlich keineswegs als bloße Durchführung kirchenrechtlicher N o r m e n interpretiert werden, auch wenn sich Gestalten wie L e o I X . , Nikolaus II. und Gregor VII. durchaus der Bedeutung der Kanonistik bewußt w a r e n 2 0 3 . Nicht das Kirchenrecht bestimmte das Erneuerungsprogramm, sondern der sich ausbreitende Reformwille benutzte es als rechtliche F o r m , um seine Idealvorstellungen zu definieren.

4.

Das

Ordenswesen

Die Geschichte des Ordenswesens während der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts ist seit langem Gegenstand der Forschung. Als Ernst Sackur sein grundlegendes Werk über die Cluniazenser schrieb 2 0 4 , rückte der monastisch-zönobitische Bereich in den Blickpunkt, und seitdem steht die Geschichte des burgundischen Klosterverbandes im Zentrum der ordensgeschichtlichen Untersuchung der gregorianischen

Reform205.

Dennoch sind Vorbehalte am Platz, was die Arbeit Sackurs betrifft. Sie verarbeitete zwar als erste das verstreute Quellenmaterial zur Geschichte Ebd. S. 202. Vgl. H. F u h r m a n n , wie Anm. 193, S. 187ff. Die von J. G i l c h r i s t in seinem Aufsatz: Canon Law Aspects of the Eleventh Century Gregorian Reform Programme, in: J E H 13 (1962) S. 21-38 erstmals vertretene Anschauung, die Handlungsweise Gregors VII. habe sich stark am Kirchenrecht orientiert, braucht dieser Wertung nicht unbedingt zu widersprechen, da das Problem der Rechtskenntnis des Reformpapstes in diesem Zusammenhang nicht von entscheidender Bedeutung ist, zumal in seiner unmittelbaren Umgebung Rechtsgelehrte ersten Ranges zu finden sind. Vgl. jedoch die Kontroverse Gilchrists mit H. F u h r m a n n , Über den Reformgeist der 74-Titel-Sammlung (Diversorum Patrum Sententiae), in: Festschrift für Η. H e i m p e l z u m 70. Geburtstag Bd. 2 = Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte Bd. 36,2 (Göttingen 1972) S. 1101-1120; d e r s . , wie Anm. 101, S. 266f. A. 8. 202 203

2 0 4 Vgl. E. S a c k u r , Die Cluniacenser in ihrer kirchlichen und allgemeingeschichtlichen Wirksamkeit bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, 2 Bde. (Halle a. S. 1892/94). 2 0 5 Vgl. dazu die Auswahlbibliographien von H. R i c h t e r , in: Cluny. Beiträge zu Gestalt und Wirkung der cluniazensischen Reform, hrsg. v. H. R i c h t e r = W d F B d . 241 (Darmstadt 1975) S. 401-414 und K. S. F r a n k , Art. Cluny, in: T R E Bd. 8 (1981) S. 132.

Das Ordenswesen

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Clunys von den Anfängen bis zum Tode Abt Odilos im Jahre 1048, gab aber gleichzeitig zu vielen vorschnellen Wertungen und Vereinfachungen Anlaß. So machte Theodor Schieffer 206 mit Recht auf drei Hauptfehlerquellen der von Sackur geprägten älteren Forschung aufmerksam, die ihm besonders wichtig erschienen: „die einebnende Subsumierung aller klösterlichen Erneuerungskräfte des 10./11. Jahrhunderts unter dem Sammelbegriff ,cluniazensisch'; die vom Investiturstreit aus rückschließende verfrühte kirchenpolitische Fragestellung; die globale, geradezu kurzschlüssige und ebenfalls durch den steten Blick auf den Investiturstreit beeinflußte rechtsgeschichtliche Interpretation" 207 . Er votierte damit zugleich für eine Erforschung Clunys ,,νοη innen her, aus der Perspektive des monastischen Lebens" 2 0 8 und sah diesen Weg mit Kassius Hallingers großangelegter Detailstudie 209 über die interne Differenzierung der verschiedenen benediktinischen Reformrichtungen endlich beschritten. In der Tat war hier erstmals der Nachweis geführt worden, „daß das Reichsmönchstum, konservativ in der Tradition Benedikts von Aniane stehend, einen eigenen, über St. Maximin nach Gorze als Ausgangspunkt zurückführbaren, aber von Cluny unabhängigen Reformkreis gebildet hat" 2 1 0 . Und ebenso sicher hatte Kassius Hallinger die Erforschung der Spiritualität der beiden großen benediktinischen Reformbewegungen an-

2 0 6 Th. S c h i e f f e r , Rez. zu: Neue Forschungen über Cluny und die Cluniacenser. Von J. W o l l a s c h , H . - E . M a g e r und H. D i e n e r , hrsg. v. G. T e i l e n b a c h (Freiburg i. Br. 1959), in: H Z 195 (1962) S. 644-650. 2 0 7 Ebd. S. 645. 2 0 8 Ebd. S. 645. 2 0 9 Vgl. Κ. Η a H i n g er, Gorze-Kluny. Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter, 2 Bde. = Studia Anselmiana Bd. 22/25 (Rom 1950/51); dazu orientierend: Th. S c h i e f f e r , Cluniazensische oder gorzische Reformbewegung? (Bericht über ein neues Buch), in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 4 (1952) S. 24-44, Nachdruck in: Cluny, hrsg. v. H. R i c h t e r , wie Anm. 205, S. 60-90; eine Ubersicht über die verschiedenen Rezensionen, die das Werk Hallingers erfahren hat, bietet J. Sem ml er, Die Klosterreform von Siegburg = Rheinisches Archiv Bd. 53 (Bonn 1959) S. 31A. 3. 2 1 0 Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 209, S. 43, Nachdruck S. 89.

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D i e Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

gebahnt 2 1 1 . Aber die Frage nach dem Verhältnis der monastischen Bewegung zur allgemeinen Kirchenreform des 11. Jahrhunderts wurde dabei nur beiläufig gestreift: weniger um ihrer selbst willen, als vielmehr zur Beleuchtung des Kontrastes zwischen Cluny und dem gorzischen Reichsmönchtum 2 1 2 . Aus diesem Grund ist die Kritik der sogenannten Freiburger Schule 213 als sehr fruchtbar zu werten, obwohl sie gar nicht auf die Grundthese von „ G o r z e - K l u n y " 2 1 4 abzielte, sondern vielmehr auf ein Problem, das bei Hallinger eine eher periphere Rolle spielte: „das Verhältnis Clunys zu Eigenkirche, Adel und Episkopat" 2 1 5 . Der Freiburger Ansatz löste nämlich die Betrachtungsweise Clunys aus der überzogenen Einengung auf den innerklösterlichen Bereich wieder heraus, die durch Hallingers Buch entstanden war, und stellte damit die Synthese mit den Fragestellungen der älteren Forschung her. Dabei kam es unter anderem durch die Einbeziehung der vergleichenden Nekrologforschung zu mehreren wichtigen Korrekturen an der pauschalen These Hallingers vom ,,Antifeudalismus Klunys": Insbesondere die Meinung, die Cluniazenser wären von Beginn an dem Eigenkirchenwesen konse-

2 1 1 Erste Ansätze hierzu waren freilich auch in der älteren Forschung gegeben; vgl. etwa: H . T a l b o t , Cluniac Spirituality, in: The Life of T h e Spirit (Blackfriars 1945) S. 9 7 - 1 0 1 , hier benutzt im deutschsprachigen Nachdruck, in: Cluny, hrsg. v. H . R i c h t e r , wie Anm. 2 0 5 , S. 4 3 ^ 9 (unter dem Titel: Die cluniazensische Spiritualität); J . Η ο u r 1 i e r, Cluny et la notion d'ordre religieux, in: Α Cluny. Congres scientifique (Dijon 1950) S. 2 1 9 - 2 2 6 ; deutsch unter der Überschrift: Cluny und der Begriff des religiösen Ordens, in: Cluny, hrsg. v. H . R i c h t e r , wie Anm. 2 0 5 , S. 5 0 - 5 9 ; zum heutigen Forschungsstand: H . R i c h t e r , Zur Persönlichkeitsdarstellung in cluniazensischen Abtsviten (Diss. Erlangen 1972) und Κ . Η a i l i n g e r , Das Phänomen der liturgischen Steigerungen Klunys (10./11. J h . ) , in: Studia Historico-ecclesiastica. Festgabe für L. G . S p ä t l i n g , hrsg. v. I. V a z q u e z = Biblioteca Pontificii Athenaei Antoniani Bd. 19 ( R o m 1977) S. 1 8 3 - 2 3 6 . 2 1 2 Zu dieser Wertung: T h . S c h i e f f e r , wie Anm. 2 0 6 , S. 646. 2 1 3 Vgl. hierzu vor allem den in Anm. 206 erwähnten Sammelband „ N e u e F o r schungen über Cluny und die Cluniacenser" und G . T e i l e n b a c h , Zum Wesen der Cluniacenser, in: Saeculum 9 (1958) S. 3 7 0 - 3 7 8 , Nachdruck in: Cluny, hrsg. v. H . R i c h t e r , wie Anm. 205, S. 1 2 5 - 1 4 0 . 2 1 4 Wie Anm. 2 0 9 . 2 1 5 T h . S c h i e f f e r , wie A n m . 2 0 6 , S. 646; vgl. auch: G . T e i l e n b a c h , Einführung zur Erforschung Clunys und der Cluniacenser, in: Neue Forschungen über Cluny und die Cluniacenser, wie Anm. 2 0 6 , S. 3 - 1 6 .

Das Ordenswesen

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quent entgegengetreten, wurde schlüssig widerlegt 216 . Darüber hinaus entwickelte die Gruppe um Teilenbach neue Fragestellungen und Methoden 217 und schuf durch Rückbesinnung auf die Grundlinien der damaligen Cluny-Forschung eine bis dahin noch nicht gewonnene Klarheit des Gesamtbildes. Im einzelnen ist hier vor allem ein Aufsatz Gerd Tellenbachs zu nennen 218 , der die Voraussetzungen für die anschließende Diskussion über den Stellenwert Clunys im Rahmen der allgemeinen Kirchenreform des 11. Jahrhunderts überhaupt erst begründete. Tellenbach betonte, daß ein so großer klösterlicher Verband wie Cluny gar nicht isoliert in einer breiten religiösen Erneuerungsbewegung dastehen konnte 219 , und sorgte damit für eine weitgehende Entkrampfung der starken Polarisierung, die die ältere Forschung bestimmt hatte. Sein Aufsatz über das Wesen der Cluniazenser verdeutlichte zugleich Richtung und Methoden, mit denen das komplizierte Verhältnis des von Cluny bestimmten Verbandes zur Außenwelt angegangen werden muß. Er wurde damit für einen Teil der Forschung geradezu zu einem Programm, mit dessen Hilfe man die Beziehungen zur gregorianischen Reform systematisch zu erfassen suchte. Namentlich die Arbeiten von Wol-

2 1 6 Vgl. H.-E. M a g e r , Studien über das Verhältnis der Cluniacenser zum Eigenkirchenwesen, in: Neue Forschungen über Cluny und die Cluniacenser, wie Anm. 206, S. 1 6 7 - 2 1 7 gegen entsprechende Formulierungen bei Κ. Η a i l i n g e r , wie A n m . 209, Bd. 1, S. 582 u. ö. 2 1 7 Dazu programmatisch: G . T e i l e n b a c h , wie Anm. 215, S. 3 - 1 6 ; siehe auch: J. W o l l a s c h , Die Uberlieferung cluniacensischen Totengedächtnisses, in: FMST 1 (1967) S. 3 8 9 - 4 0 1 ; d e r s . , Mönchtum des Mittelalters zwischen Kirche und Welt = Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 7 (München 1973) S. 1 4 5 f f . und K. S c h m i d / J . W o l l a s c h , Societas et Fraternitas (Berlin 1975), auch abgedruckt in: FMST 9 (1975) S. 1 ^ 8 . 2 1 8 Gemeint ist: G . T e l l e n b a c h , wie Anm. 213, S. 370-378, Nachdruck, S. 1 2 5 - 1 4 0 ; vgl. auch: d e r s . , II monachesimo riformato ed i laici nei secoli XI e XII, in: I laici nella „Societas Christiana" dei secoli XI e XII = Miscellanea del Centro di Studi Medioevali Bd. 5 (Mailand 1968) S. 1 1 8 - 1 4 2 , deutsch unter dem Titel: Das Reformmönchtum und die Laien im elften und zwölften Jahrhundert, in: Cluny, hrsg. v. H. R i c h t e r , wie A n m . 205, S. 3 7 1 - 4 0 0 . 2 1 9 Vgl. G . T e l l e n b a c h , wie A n m . 213, Nachdruck S. 1 3 5 f .

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lasch 2 2 0 , M a g e r 2 2 1 , Schmid 2 2 2 , Diener 2 2 3 , Mehner 2 2 4 , Teske 2 2 5 , Bulst 2 2 6 und C o w d r e y 2 2 7 waren diesem Ansatz verpflichtet, wohingegen die U n tersuchungen von H o f f m a n n 2 2 8 , Th. Schieffer 2 2 9 , Violante 2 3 0 und Fecht e r 2 3 1 eine von Tellenbach unabhängige Stellung einnahmen. Als c o m m u nis opinio der Forschung zeichnet sich in jüngster Zeit ab, daß der cluniazensische Verband ebensowenig wie das gorzische Reichsmönchtum oder andere monastische Bewegungen die vorantreibende Rolle während der Kirchenreform spielte, die Erneuerung der Gesamtkirche in kritischen Si-

2 2 0 Vgl. vor allem: J . W ο 11 a s c h, Königtum, Adel und Klöster im Berry während des 10. Jahrhunderts, in: Neue Forschungen über Cluny und die Cluniacenser, wieAnm. 206, S. 19-165; ders.,MönchtumdesMittelalters, wie Anm. 217, S. 145ff. und d e r s . , Reform und Adel in Burgund, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, wie Anm. 131, S. 277-293. 2 2 1 Vgl. insbesondere H.-E. M a g e r , wie Anm. 216, S. 167-217. 2 2 2 Vgl. K. S c h m i d , wie Anm. 137, S. 295-319 und d e r s . / J . Wollasch, wie Anm. 217. 2 2 3 Vgl. H. D i e n e r , Das Verhältnis Clunys zu den Bischöfen vor allem in der Zeit des Abtes Hugo (1049-1109), in: Neue Forschungen über Cluny und die Cluniacenser, wie Anm. 206, S. 221-352. 2 2 4 Vgl. J . Μ ehn e, Das Verhältnis der Cluniacenser zum Papsttum und zum Episkopat im Spiegel des cluniacensischen Totengedächtnisses (Diss. Freiburg i.Br. 1974) und d e r s . , Cluniacenserbischöfe, in: FMST 11 (1977) S. 241-287. 2 2 5 Vgl. W. T e s k e , Laien, Laienmönche und Laienbrüder in der Abtei Cluny, in: FMST 10 (1976) S. 248-322 (I) und FMST 11 (1977) S. 288-339 (II). 2 2 6 Vgl. N. B u l s t , Untersuchungen zu den Klosterreformen Wilhelms von Dijon (962-1031) = Pariser Historische Studien Bd. 11 (Bonn 1973). 2 2 7 V g l . H . E . J . C o w d r e y , The Cluniacs and the Gregorian Reform (Oxford 1970) und d e r s . , Two Studies in Cluniac History (1049-1126), in: Stud Greg 11 (1978) S. 5-298. 2 2 8 Vgl. H. H o f f m a n n , wie Anm. 15, S. 165-203, Nachdrucks. 319-370. 2 2 9 Vgl. Th. S c h i e f f e r , Cluny et la quereile des investitures, in: Revue Historique 225 (1961) S. 47-72, deutsch unter dem Titel „Cluny und der Investiturstreit" nachgedruckt in: Cluny, hrsg. v. H. R i c h t e r , wie Anm. 205, S. 226-253. 2 3 0 Vgl. C. V i o l a n t e , Ii monachesimo Cluniacense di fronte al mondo politico ed ecclesiastico (secoli X e XI), in: Convegni del Centro di Studi sulla spiritualitä medievale Bd. 2 (Todi I960) S. 155-242; Nachdruck in: d e r s . , Studi sulla Christianita medievale (Mailand 1972) S. 3 - 6 7 ; deutsch unter dem Titel: Das cluniazensische Mönchtum in der politischen und kirchlichen Welt des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Cluny, hrsg. v. H. R i c h t e r , wie Anm. 205, S. 141-225. 2 3 1 Vgl. J . F e c h t e r , Cluny, Adel und Volk. Studien über das Verhältnis des Klosters zu den Ständen 910-1156 (Diss. Tübingen 1966).

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tuationen aber immer wieder ausschlaggebend beeinflußte 2 3 2 . So ist sowohl der übertrieben scharfen Trennung von cluniazensischer und gregorianischer Reform zu widersprechen, die Augustin Fliehe 2 3 3 und Johannes Haller 2 3 4 vornahmen, als auch der allzu starken Ineinssetzung beider Bewegungen, wie sie uns etwa bei Hallinger begegnet, der einen Konsens im gemeinsamen Antifeudalismus beider Strömungen vermutete 2 3 5 . Man wird vielmehr einen Mittelweg in der Beurteilung Clunys einschlagen müssen, wie er etwa in den Arbeiten von H o f f m a n n 2 3 6 , Schieffer 2 3 7 und C o w d r e y 2 3 8 beschritten wird. Die Stellung der cluniazensischen Bewegung zur allgemeinen Kirchenreform muß dabei sehr differenziert betrachtet werden. J e nachdem, welchem Reformkreis die einzelnen cluniazensischen Klöster angehörten, ergibt sich ein anderes Bild 2 3 9 . Entscheidend war sicherlich die unter anderem von J . Leclercq 2 4 0 , Helmut Richter 2 4 1 und Kassius Hallinger 2 4 2 herSo etwa die Wertung von K.S. F r a n k , wie Anm. 205, S. 126-152, bes. S. 130f.; ähnlich auch: H . E . J . C o w d r e y , The Cluniacs, wie Anm. 227, und d e r s . , Two Studies, wie Anm. 227, bes. S. 21 f. 2 3 3 Vgl. A. F l i e h e , La reforme gregorienne, Bd. 1: La formation des idees gregoriennes = Spicilegium Sacrum Lovaniense Bd. 6 (Paris 1924) S. 39-60. 2 § 4 Vgl. J . Η a 11 e r, Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit, Bd. 2: Der Aufbau (Stuttgart 2 1951 ) S . 613; ähnlich: L . M . S m i t h , Cluny and Gregory VII,in:English Historical Review 26 (1911) S. 20-33, deutsch unter dem Titel: „Cluny und Gregor V I I . " nachgedruckt in: Cluny, hrsg. v. H . R i c h t e r , wie Anm. 205, S. 22-12. 2 3 5 Vgl. K. H a l l i n g e r , w i e Anm. 209,Bd. 1,S. 582;Bd. 2 , S . 745u. ö.;vgl. auch: d e r s . , Zur geistigen Welt der Anfänge Klunys, in: DA 10 (1954) S. 417-445, Nachdruck in: Cluny, hrsg. v. H. R i c h t e r , wie Anm. 205, S. 91-124. Dieser Aufsatz erschien in etwas erweiterter Fassung auch in französischer und englischer Sprache. Französisch unter dem Titel: Le climat spirituel des premiers temps de Cluny, in: Revue Mabillon 46 (1956) S. 117-140; englisch in: Cluniac Monasticism in the Central Middle Ages, hrsg. ν. Ν. H u n t (London 1971) S. 29-55. 2 3 < i Wie Anm. 228. 2 3 7 Wie Anm. 229. 2 3 8 Wie Anm. 227. 2 3 9 Belege hierfür bei Ν. Β uls t, wie Anm. 226, bes. S. 11 ff. und S. 206-219. 2 4 0 Von seinen zahlreichen Untersuchungen sei hier nur die jüngste aufgeführt: J . L e c l e r c q , Nouveaux aspects de la vie clunisienne ä propos des monasteres de Lombardie, in: Studia Monastica 22 (1980) S. 29-42, ebd. weitere Literaturhinweise. 2 4 1 Vgl. H. R i c h t e r , wie Anm. 211. 2 4 2 Vgl. K. H a l l i n g e r , wie Anm. 211 und d e r s . , wie Anm. 235. 232

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ausgearbeitete Ubereinstimmung in den geistlichen Idealen. Wenn es überhaupt eine direkte Verbindung zur gregorianischen Reform gibt, so ist sie in der starken Betonung der sakramentalen Heilsvermittlung243 zu suchen, die den Kampf gegen Simonie, Nikolaitismus und Laieneinfluß vielleicht ausgelöst hat. Auch die Behandlung der Grundanliegen der gregorianischen Reform durch die ältere cluniazensische Tradition 244 erleichterte den Fortgang der gesamtkirchlichen Bewegung doch entscheidend. Man sollte daher der Schlußfolgerung H . E . J . Cowdreys 245 zustimmen und den Satz ,,eadem enim via eodem sensu eodem spiritu ambulamus"246, den Gregor VII. in einem Brief an Alfons VI. von Kastilien und Leon über seine Einstellung zu Abt Hugo von Cluny formulierte, als kennzeichnend für das Verhältnis zwischen Cluny und der Kirchenreform verstehen. Die Ubereinstimmung in den geistlichen Idealen war das gemeinsame Fundament, das die Differenzen überbrücken half, und hierin sollte die Bedeutung Clunys für die gregorianische Reform erkannt werden. Das Verhältnis der von Cluny weitgehend unabhängigen monastischen Zentren zur allgemeinen Kirchenreform hat in der Forschung weit weniger Beachtung gefunden als die Geschichte des cluniazensischen Verbandes. Dies ist um so bedauerlicher, als man sich heute darüber einig ist, daß die Ausstrahlungskraft von Klöstern wie Gorze 2 4 7 , Monte Cassino 248 , La Diese wurde im Bemühen um die feierliche Ausgestaltung der Liturgie besonders deutlich; dazu zuletzt: K. H a l l i n g e r , wie Anm. 2 1 1 , S. 183ff. 2 4 4 Ausführliche Belege hierfür finden sich in der deutschsprachigen Version des in Anm. 2 3 5 erstmals zitierten Aufsatzes von K. H a l l i n g e r ; die französische bzw. englische Neufassung ist in diesem Punkte etwas knapper. 2 4 5 Vgl. H . E . J . C o w d r e y , The Cluniacs, wie Anm. 2 2 7 , S. 2 6 6 f . 2 4 6 R e g . , w i e Anm. 29, VIII, 3 , S . 52 0 , Ζ . 19 f.; vgl. dazu H . E . J . Cowdrey, The Cluniacs, wie Anm. 227, S. 147. 2 4 7 Zu der auf das Kloster Gorze zurückführbaren monastischen Reformbewegung vgl. vor allem: K. H a l l i n g e r , wie Anm. 2 0 9 ; zum Reformgegensatz zwischen Gorze und Dijon neuerdings N . B u l s t , wie Anm. 2 2 6 , S. 8 0 - 1 1 4 , bes. S. 106 ff. 2 4 8 Zur Geschichte Montecassinos ist jetzt in erster Linie das Buch von H . D ο r m e i e r, Montecassino und die Laien im 11. und 12. Jahrhundert = Schriften der M G H Bd. 2 7 (Stuttgart 1979) heranzuziehen, das einen einleitenden Beitrag von H . H o f f m a n n , Zur Geschichte Montecassinos im 11. und 12. Jahrhundert, S. 1 - 2 0 enthält. Die wichtigste Quelle zur Geschichte des Klosters liegt jetzt in einer Neuedition vor: Chronicon monasterii Casinensis, ed. H . H o f f m a n n , in: M G SS 34 (1980). 243

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Cava de'Tirrenni 249 , St. Viktor in Marseille 250 , Camaldoli 2 5 1 , Vallombrosa 2 5 2 , Hirsau 2 5 3 und Citeaux 2 5 4 auf die religiöse Erneuerung keineswegs gering einzustufen ist. Immerhin ist die wissenschaftliche Untersuchung schon so weit vorangeschritten, daß sich einige Grundlinien nachzeichnen lassen. Historisch bedeutsam waren in der Anfangsphase vor allem Camaldoli, Vallombrosa, La Cava und Monte Cassino 2 5 5 . Camaldoli und Vallombrosa gaben dabei den spirituellen Impuls zur Neubesinnung auf den monastisch-kanonikalen Grundkonsens in der geistlichen Lebensführung 2 5 6 , wohingegen La Cava und Monte Cassino die gregoriani2 4 9 Zu La Cava immer noch: P. Gu i l l au me, Essai historique sur l'abbaye de Cavad'apres des documents inedits (Cavade'Tirreni 1877) und L. M a t t e i C e r a s ο 1 i, La Badia di Cava e i monasteri greci della calabria superiore, in: Archivio storico per la Calabria e la Lucania 8 (1938) S. 167-185, S. 265-285 und 9 (1939) S. 279-318. 2 5 0 Zu St. Viktor in Marseille vgl. P. S c h m i d , Die Entstehung des Marseiller Kirchenstaates, in: AUF 10(1928)S. 176-207und AUF 11 (1930)S. 138-152und den Sammelband 16 der Provence Historique (Marseille 1966). 2 5 1 Vgl. W. F r a n k e , Romuald von Camaldoli und seine Reformtätigkeit zur Zeit Ottos III. = Historische Studien Bd. 107 (Berlin 1913); G. T a b a c c o , Romualdo di Ravenna e gli inizi dell'eremitismo Camaldolese, in: L'eremitismo in occidente nei secoli XI e XII = Miscellanea del Centro di Studi Medioevali Bd. 4 (Mailand 1965) S. 73-121; W. K u r z e , Campus Malduli, Die Frühgeschichte Camaldolis, in: QFIAB 44(1964)S. 1-34 und d er s., Zur Geschichte Camaldolis im Zeitalter der Reform, in: II monachesimo e la riforma ecclesiastica (1049-1122) = Miscellanea del Centro di Studi Medioevali Bd. 6 (Mailand 1971) S. 399-415. 2 5 2 Zu Vallombrosa: S. B o e s c h G a j a n o , Storia e tradizione vallombrosane, in: Bulletino dell'Istituto Storico Italiano per il medio evo 76 (1964) S. 99-215 und F.F. T a r a n i , L'ordine vallombrosano. Note storico-cronologiche (Rom 1921). 253 Vgl. insbesondere: H. J a k o b s , wie Anm. 136. 2 5 4 Die Literatur zu Citeaux und den Zisterziensern ist inzwischen fast unübersehbar geworden. Den heutigen Forschungsstand repräsentiert ζ. B. der von K. E l m , P. J o e r i s s e n und H. R o t h herausgegebene Sammelband: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit = Schriften des Rheinischen Museumsamtes Bd. 10 (Bonn 1980). 255 Vgl. dazu den kurzen Überblick von U.-R. B l u m e n t h a l , wie Anm. 6, S. 9-38, bes. S. 28ff. 2 5 6 Vgl. die in Anm. 251 f. zitierte Literatur und zur Wirkung der klösterlichen Erneuerung auf die Kirchenreform vor allem den Sammelband: Ii monachesimo e la riforma ecclesiastica (1049-1122) = Miscellanea del Centro di Studi Medioevali Bd. 6 (Mailand 1971); sowie die Einzelstudie von Η. -P. L a q u a, Traditionen und Leitbilder bei dem Ravennater Reformer Petrus Damiani. 1042-1052 = Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 30 (München 1976) bes. S. 103ff.

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sehe Reform in erster Linie durch konsequente Inbesitznahme von laikalen Eigenkirchen und -klöstern unterstützten 2 5 7 . Später beeinflußten insbesondere Hirsau und Citeaux den weiteren Gang der Kirchenreform: Hirsau, weil es in seinen 1080 abgefaßten Constitutiones erstmals alle eigenkirchlichen Rechtsgrundlagen fallen ließ 2 5 8 , und das 1098 gegründete Citeaux wegen seines ideellen Rückgriffs auf das Vorbild der Wüstenväter bei gleichzeitiger Befolgung der wörtlich auszulegenden Benediktregel 2 5 9 . Beide Reformansätze mündeten in der Bewegung der vita apostolica, die ihre Ursprünge bereits im 11. Jahrhundert hatte, sich aber erst zu Beginn des 12. Jahrhunderts explosionsartig ausbreitete 2 6 0 . Auch die priesterliche Erneuerung sollte schließlich ein Bestandteil des auf die Urkirche zurückgreifenden Reformansatzes werden. Ihre U r sprünge reichen streng genommen bis in die Karolingerzeit z u r ü c k 2 6 1 , auslösend für die Reform des 11. Jahrhunderts waren aber namentlich die „ottonisch-salische Kanonikerreform im Schöße der deutschen Reichsk i r c h e " 2 6 2 und die verschiedenen Erneuerungsbestrebungen im oberitalienischen R a u m 2 6 3 . Entscheidende Bedeutung gewann dabei die Lateran-

Vgl. H. D o r m e i e r , wie Anm. 248, S. 99. Vgl. H. J a k o b s , wie Anm. 136, S. 104ff. 2 5 9 Vgl. O. E n g e l s , wie Anm. 1, S. 10. 2 6 0 Vgl. ebd. S. 8-13. 2 6 1 Vgl. dazu resümierend: R. S c h i e f f er, Die Entstehung von Domkapiteln in Deutschland = Bonner Historische Forschungen, Bd. 43 (Bonn 1976) S. 2 3 2 260. 2 6 2 Ebd. S. 259; zur Charakterisierung dieser kanonikalen Erneuerungsbewegung vgl. auch: J . S i e g w a r t , Die Chorherren- und Chorfrauengemeinschaften in der deutschsprachigen Schweiz vom 6. Jahrhundert bis 1160 = Studia Friburgensia, N . F . Bd. 30 (Freiburg/Schweiz 1962) S. 95-230. 2 6 3 Gedacht ist in diesem Zusammenhang vor allem an die Wiederbelebung des Kanonikertums in S. Lorenzo d'Oulx und an den Domkapiteln in Lucca und Cesena, sowie an die Kanonikerreform in Fano. Vgl. hierzu u. a . : M . A . B e n e d e t to, LacollegiatadiS. Lorenzo d'Oulx, in:Monasteriin alta Italia dopo leinvasioni saracene e magiare (sec. X - X I I ) (Pinerolo 1966) S. 103-118; E. K i t t e l , Der Kampf um die Reform des Domkapitels in Lucca im 11. Jahrhundert, in: Festschrift A. B r a c k m a n n dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, hrsg. v. L. S a n t i f a l l e r (Weimar 1931) S. 207-247; M. G i u s t i , Le canoniche della citta e diocesi di Lucca al tempo della riforma gregoriana, in: Stud Greg 3 (194 8) S. 321 - 3 67; d e r s., Notizie sulle canoniche lucchesi, in: La vita comune del clero nel secoli X I e XII, Bd. 1 = Miscellanea del Centro di Studi Medioevali Bd. 111,1 (Mailand 1962) S. 434-454; A. S a m a r i t a n i , Gebeardo di Eichstätt, 257

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synode von 1059. Sie faßte die verstreuten Ansätze zur Reform des Klerus zusammen, wobei erstmals seit 816 das Ideal der kanonikalen vita communis zum Gegenstand einer großen Synode erklärt w u r d e 2 6 4 . 1059 wurden in R o m auf höchster Ebene Beschlüsse gefaßt, die sich gegen die großzügigen Bestimmungen über den Eigenbesitz in der Aachener Regel richteten 2 6 5 . U n d diese Tatsache ist schon deshalb als fundamentaler Neuansatz zu kennzeichnen, weil durch Punkt 4 des von Rudolf Schieffer neu edierten Synodalschreibens Vigilantia universalis266

das Reformideal der

vita apostolica in die Rechtstradition der römischen Kirche einging 2 6 7 . Es ist deshalb nötig, am zentralen Stellenwert der Kanones von 1059 festzuhalten, obwohl T . Schmid 2 6 8 und A . Fliehe 2 6 9 das Gewicht der Synode für die Kanonikerreform zu relativieren suchten. Karl E g g e r 2 7 0 und R u dolf Schieffer 2 7 1 haben deutlich gemacht, welchen Einfluß die Lateran-

arcivescovo di Ravenna (1027-1044) e la riforma imperiale della chiesa in Romagna, in: Analecta Pomposiana 3 (1967) S. 109-140;G. M i c c o l i , PierDamianie la vita comune del clero, in: Lavita comune del clero, a. a. O. Bd. 1, S. 192 ff., Nachdruck in: d e r s . , Chiesa gregoriana. Ricerche sulla riforma del secolo X I (Florenz 1966) S. 81 ff. und H.-P. L a q u a , wie Anm. 256, S. 90-103. 2 6 4 Vgl. F. P o g g i a s p a l l a , La vita comune del clero dalle origini alla riforma gregoriana = Uomini e Dottrine Bd. 14 (Rom 1968) S. 158ff. und G. B a r d y , Saint Gregoire VII et la reforme canoniale au X l e siecle, in: Stud Greg 1 (1947) S. 47-64. 2 6 5 Die gegen die Eigentumsbestimmungen der Aachener Regel gerichtete Tendenz wird besonders deutlich in jener Protokollaufzeichnung nach Art synodaler Gesta, die A. W e r m i n g h o f f , Die Beschlüsse des Aachener Concils im Jahre 816, Anhang IV: Bruchstück aus den Verhandlungen der Lateransynode im Jahre 1059, in: NA 27(1902) S. 669-675 ediert hat. Vgl. dazu: G. M i c c o l i , „Ecclesiae primitivae forma", in: Studi Medievali, Serie terza, 1 (1960) S. 470-498, bes. S. 470f.; Nachdruck in: d e r s . , Chiesa gregoriana, wie Anm. 263, S. 255-303, bes. S. 255f. 2 6 6 Vgl. das Synodalschreiben Vigilantia universalis, ed. R. S c h i e f f e r , wie Anm. 4, c. 4, S. 2 2 0 f „ Z. 137-144. 2 6 7 Vgl. Ch. D e r e i n e , La ,,Vita Apostolica" dans l'ordre canonial du IXe au X I siecles, in: Revue Mabillon 51 (1961) S. 47-53. 2 6 8 Vgl. T. S c h m i d t , Die Kanonikerreform in Rom und Papst Alexander II. (1061-1073), in: Stud Greg 9 (1972) S. 201-221, bes. S. 205f. 2 6 9 Vgl. A. F l i e h e , wie Anm. 233, S. 337. 2 7 0 Vgl. K. E g g e r , Die Lateransynode vom Jahre 1059, in: In unum congregati 6 (1959) S. 46. 2 7 1 Vgl. R. S c h i e f f e r , Gregor VII., wie Anm. 92, S. 90.

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synode auf die priesterliche Reform ausübte, und man sollte ihrem Urteil uneingeschränkt beipflichten. Allerdings muß man konzedieren, daß die Ausbreitung der Reforminitiative durch die starke Politisierung der Kirchenreform erheblich verzögert wurde; doch zeigen die Entwicklungen in Mailand 2 7 2 , Lucca 2 7 3 , R o m 2 7 4 und Passau 275 zu Genüge, daß der Beschluß der Lateransynode einem breiten Erneuerungsbedürfnis entgegenkam, in dessen Mittelpunkt die Reform des kirchlichen Amtes stand. Aus diesem Verlangen nach geistlicher Erneuerung erklärt sich auch die von Papst Urban II. betriebene priesterliche Reformpolitik 2 7 6 . Sie erlebte bekanntlich eine schriftliche Fixierung durch jenes Urkundenformular, das 1092 in Rottenbuch

2 7 2 Vgl. dazu den allerdings etwas lückenhaften Forschungsüberblick von J. S i e g w a r t , Die Pataria des 11. Jahrhunderts und der heilige Nikolaus von Patara, in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 71 (1977) S. 30-92, bes. S. 30-44; H. K e l l e r , wie Anm. 138, S. 321-350; C. V i o l a n t e , La pataria milanese e la riforma ecclesiastica, Bd. 1: Le premesse (1045-1057) = Studi Storici 11-13 (Rom 1955) mit den kritischen Hinweisen in der Rezension von F.-J. S c h m a l e , in: HZ 187 (1959) S. 376-385 und H. E.J. C ο w d r e y , The Papacy, the Paterens and the Church of Milan, in: Transactions of the Royal Historical Society, 5th ser. 18 (1968) S. 24-48. 273 Vgl. hierzu die in Anm. 263 zitierten Untersuchungen von Ε. K i t t e l und Μ. G i u s t i ; außerdem vor allem: H.-E. F e i n e , Kirchenreform und Niederkirchenwesen. Rechtsgeschichtliche Beiträge zur Reformfrage vornehmlich in Lucca im 11. Jahrhundert, in: Stud Greg 2 (1947) S. 505-524; H. S c h w a r z m e i e r , Lucca und das Reich bis zum Ende des 11. Jahrhunderts = Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bd. 41 (Tübingen 1972) bes. S. 377ff. und zuletzt T. S c h m i d t, Alexander II. (1061-1073) und die römische Reformgruppe seiner Zeit = Päpste und Papsttum Bd. 11 (Stuttgart 1977) S. 44ff. 2 7 4 Vgl. K. E g g e r , Die lateranensische Chorherren-Kongregation, in: In unum congregati 3(1956)S. 59-63 undT. S c h m i d t , wie Anm. 268,S. 201-221. 2 7 5 Vgl. dazu jetzt zusammenfassend: E. B o s h o f , Bischof Altmann, St. Nikola und die Kanonikerreform. Das Bistum Passau im Investiturstreit, in: Tradition und Entwicklung. Gedenkschrift für J. R i e d e r e r , hrsg. v. K.-H. P o l l o k = Schriften der Universität Passau (Passau 1981) S. 317-345. 2 7 6 Vgl. A. B e c k e r , Urban II. und die deutsche Kirche, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, wie Anm. 131, S. 241-275.

Die Streitschriften-Literatur

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erstmals zur Anwendung gelangte 2 7 7 und den Kanonikern einen genau definierten Platz in der Kirche zuwies. Das Privileg stellte die kanonikale vita communis

gleichrangig neben die monastische Lebensweise, indem es

daran erinnerte, daß es seit den Anfängen der Kirche zwei Gruppen der nach der vita beata strebenden Menschen gebe: den Stand der Mönche und den O r d o der Kanoniker 2 7 8 . Es zementierte damit die 1059 gelegte Grundlage und schuf zugleich die Voraussetzung für jene schlagartige Verbreitung der kanonikalen Lebensform, die während der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts das Mönchtum traditioneller Prägung in die Defensive drängte 2 7 9 . Die Lebensweise der Urgemeinde in Jerusalem wurde nun zum Ziel aller geistlichen Gemeinschaften, die reguliert leben wollten: die vita apostolica zum Leitbild der fortschreitenden Kirchenreform.

5.

D i e S t r e i t s c h r i f t e n - L i t e r a t u r und die A n f ä n g e des s c h o l a s t i s c h e n

Denkens

Die Anfänge scholastischen Argumentierens und das Entstehen einer politisch-theologischen Traktatliteratur größeren Ausmaßes, so vermerkt die heutige Forschung, waren im 11. Jahrhundert eng miteinander verknüpft 2 8 0 . Zwar sind Begriffe wie kirchliche Publizistik 2 8 1 und StreitDruck unter der Uberschrift „Bulla confirmationis Urbani II. P. M. Anno 1092", in: MonumentaBoicaBd. 8 (München 1767) S. 8-11, Nachdrucku. a. in: J . Μ ο i s, Das Stift Rottenbuch in der Kirchenreform des X I . - X I I . Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Ordens-Geschichte der Augustiner-Chorherren = Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte, III. Folge Bd. 19 (N. F. Bd. 6) (München 1953) S. 76f. (mit einer Textkorrektur ebd. S. 76 mit A. 94: vita beata statt iter beatae). Bei J. M o i s , ebd. S. 75-93 findet sich auch eine eingehende historische Würdigung des Privilegs. 2 7 8 Vgl. Bulla Confirmationis, wie Anm. 277, S. 10, Nachdruck S. 76. 2 7 9 Vgl. O. E n g e l s , wie Anm. 1, S. 8. 2 8 0 Vgl. ebd. S. 16-21; ferner Η. F u h r m a n n , Deutsche Geschichte im hohen Mittelalter = Deutsche Geschichte, hrsg. v. J . L e u s c h n e r , Bd. 2 (Göttingen 1978) S. 83-87; J . Z i e s e , Historische Beweisführung in Streitschriften des Investiturstreites = Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung Bd. 8 (München 1972); K . J . L e y s er, The Polemics of the Papal Revolution, in: Trends in Medieval Political Thought, hrsg. v. B. S m a l l e y (Oxford 1965) S. 42-64 und I.S. R o b i n s o n , Authority and Resistance in the Investiture Contest. The Polemical Literature of the Late Eleventh Century (Manchester 1978). 2 8 1 Vgl. C. M i r b t , Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. (Leipzig 1874) und A. F a u s e r , Die Publizisten des Investiturstreites (Würzburg 1935). 277

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

Schriften 2 8 2 äußerst unglücklich gewählt, da viele dieser Texte nur in wenigen Handschriften überliefert sind: also eine breite Öffentlichkeit wohl kaum erreicht haben 2 8 3 . Aber die starke Streuung von Autorennamen und die Vielfalt der Titel verraten doch, daß die geistige Aktivität während des 11. Jahrhunderts sprunghaft z u n a h m 2 8 4 . U n d die in Vorformen schon bei Humbert de Silva Candida 2 8 5 , Berengar von T o u r s 2 8 6 , Petrus Damiani 2 8 7 und Bernold von K o n s t a n z 2 8 8 greifbare Argumentationsweise des dialek-

Derz. B. in der in Anm. 280 zitierten Arbeit von J . Ζ i es e verwendete Begriff , .Streitschriften" wird seit dem 19. Jahrhundert gebraucht und hat seit der in den Jahren 1891-1897 erfolgten Veröffentlichung der „Libelli de lite imperatorum et pontificum saeculis X I . et X I I . conscripti" durch die Monumenta Germaniae Historica allgemeine Anerkennung erfahren. 2 8 3 Dies belegt schon ein kurzer Blick in die in Anm. 282 zitierte dreibändige Quellensammlung der M G 1. d. 1., die als grundlegend anzusehen ist. 2 8 4 Diese Tatsache darf wohl als allgemein anerkannte historische Einsicht bezeichnet werden; vgl. etwa: H. F u h r m a n n , wie Anm. 280, S. 83ff. 2 8 5 Vgl. Humberti cardinalis libri tres adversus Simoniacos, ed. F. T h a n e r , in: M G I . d. 1. 1, S. 95-253, eine schwer zugängliche Neuedition des Werkes (auf der Grundlage von Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. X I X cod. 34, saec. XI) liegt vor von E . G . R ο b i s ο n, Humberti Cardinalis Libri Tres Adversus Simoniacos. A Critical Edition with an Introductory Essay and Notes (Diss. Princeton 1972). In Deutschland ist diese Textausgabe über Fernleihe nicht zu besorgen, ein Exemplar des Buches befindet sich allerdings in der Münchener Staatsbibliothek. Wegen der besseren Benutzbarkeit sollte man den Text also auch künftig nach der MGH-Ausgabe zitieren, zumal die Neuedition nur die Florentiner Handschrift, nicht aber die gesamte handschriftliche Überlieferung herangezogen hat (in der irrigen Annahme, es handele sich bei dem Laurentianus um das Autograph; vgl. dazu: R . S c h i e f f e r , wie Anm. 4, S. 43). Die Literatur zu Berengar von Tours ist inzwischen kaum noch zu überblikken; vgl. einführend: J. de M o n t c l o s , Art. Berengar, in: T R E Bd. 5 (1980) S. 598-601; d e r s . , Lanfranc et Berenger. La controverse eucharistique du X l e siecle = Spicilegium Sacrum Lovaniense Bd. 37 (Louvain 1971); dazu allerdings kritisch: O. C a p i t a n i , L',,affaire berengarienne" owero dell'utilitä delle monografie, in: Studi Medievali, Serie terza 16 (1975) S. 353-378; zuletzt auch: E. W e r n e r , Stadt und Geistesleben im Hochmittelalter = Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte Bd. 30 (Weimar 1980) S. 53-73. 2 8 7 Vgl. etwa Petri Damiani disceptatio synodalis, ed. L. v o n H e i n e m a n n , in: M G 1. d. 1. 1, S. 76-94. 2 8 8 Zur Arbeitsweise Bernolds zuletzt: L S . R o b i n s o n , Zur Arbeitsweise Bernolds von Konstanz und seines Kreises. Untersuchungen zum Schlettstädter Codex 13, in: DA 34 (1978) S. 51-122; ergänzend: H . - J . S i e b e n , Konzilien in der Sicht des Gregorianers Bernold von Konstanz (f 1100), in: AHC 11 (1979) S. 104-141. 282

Die Streitschriften-Literatur

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tischen Abwägens deutet darauf hin, daß die zahlreichen Traktate eine literarische Ausdrucksform der Frühscholastik darstellten 289 . Das rational begründete Pro und Contra wurde für die Streitschriften ebenso kennzeichnend wie die im Grunde ahistorische Beweisform, die geschichtliche Ereignisse nur noch als Präzedenzfälle benutzte, ohne sich um deren eigentlichen Sinn zu kümmern 290 . In diese Richtung weist auch die Wiederaufnahme des im 9. Jahrhundert ausgebrochenen Abendmahlstreites, bei dem es im wesentlichen um die Frage ging, ob sich der eucharistische Leib Christi von seinem geschichtlichen unterscheide oder mit diesem der Substanz nach, wie es Lanfranc von Le Bec und dessen Schüler Guitmund nun formulierten, identisch sei. Es ist unmöglich, die reichhaltige theologische Literatur, die zu diesem Thema erschienen ist, auch nur in den Grundkontroversen vorzustellen - verwiesen sei hierzu auf die neueren Uberblicke von Jean de Montclos 291 , Erwin Iserloh 292 und Ovidio Capitani 293 - , wichtig ist für unseren Zusammenhang nur, daß die hauptsächlich zwischen Berengar von Tours, Humbert de Silva Candida und Lanfranc von Le Bec ausgefochtene Auseinandersetzung den Weg für jene scholastische Transsub-

2 8 9 Vgl. W. H a r t m a n n , Manegold von Lautenbach und die Anfänge der Frühscholastik, in: D A 26 (1970) S. 47-149; P. C l a s s e n , Zur Geschichte der Frühscholastik in Österreich und Bayern, in: MIÖG 67 (1959) S. 249-277; H. F u h r m a n n , „Volkssouveränität" und „Herrschaftsvertrag" bei Manegold von Lautenbach, in: Festschrift für H. K r a u s e , hrsg. v. St. G a g n e r , H. S c h l o s s e r u n d W . W i e g a n d (Köln/Wien 1975) S. 2 1 - 4 2 ; A . F a u s e r , w i e A n m . 281; M. G r a b m a n n , Die Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 1 (Freiburg i. Br. 1909) S. 215—339; J. Κ ο c h, Von der Bildung der Antike zur Wissenschaft des Mittelalters, in: d e r s . , Kleine Schriften Bd. 1 (Wiesbaden 1973) S. 115-132 und O. E n g e l s , wie Anm. 1, S. 16-21. 2 9 0 Vgl. dazu J. Z i e s e , wie Anm. 280, und R. S c h i e f f er, Von Mailand nach Canossa, wie Anm. 92, S. 361 ff. 2 9 1 Vgl. J. de M o n t c l o s , Lanfranc et Berenger, wie Anm. 286; vgl. außerdem: M. G i b s o n , Lanfranc of Bec (Oxford 1978) und R. S o m e r v i l l e , The case against Berengar of Tours, in: Stud Greg 9 (1972) S. 53-75. 2 9 2 Vgl. E. I s e r l o h , Art. Abendmahl 111,2: Mittelalter, in: TRE Bd. 1 (1977) S. 89-106, bes. S. 90ff. 2 9 3 Vgl. O. C a p i t a n i , Art. Berengar von Tours, in: Lexd. MA Bd. 1 (1980) Sp. 1937-1939 und d e r s . , wie Anm. 286, S. 353-378.

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Die Kirche im Zeitalter des Reformpapsttums

stantiationslehre ebnete, die in der katholischen Kirche bis heute die Grundlage des Eucharistieverständnisses bildet 294 . Die Mitte des 11. Jahrhunderts ausgetragene Kontroverse um die Abendmahleauffassung markiert damit einerseits den entscheidenden Durchbruch in der abendländischen Sakramentenlehre, andererseits Verdeutlicht sie, worum es in der Streitschriftenliteratur in erster Linie ging: um die liturgisch-sakramentale Heilsvermittlung und die mit ihr verbundenen Fragen des kirchlichen Amtes. Hier liegt meines Erachtens ein wichtiges Forschungsproblem, das bis heute nicht ganz gelöst ist. Zwar fehlt es nicht an Uberblicken, die eine Bestandsaufnahme über die Inhalte der wichtigsten Traktate vornehmen: genannt seien nur die Arbeiten von Halfmann 295 , Ziese 296 , Mirbt 297 , Fauser 298 , Jordan 299 und Robinson 300 . Aber die Frage nach dem zugrundeliegenden Motiv für die Entstehung der „Publizistik" des Investiturstreites ist damit noch nicht in wünschenswerter Klarheit beantwortet. Allerdings hat schon C. Mirbt 301 die Bedeutung der Sakramentenspendung durch simonistische und verheiratete Priester nachdrücklich betont, und zahlreiche Studien sind ihm gefolgt 302 . Dennoch wird man Vorbehalte anmelden müssen, was die Einordnung dieser Erkenntnisse in den Gesamtzusammenhang der Kirchenreform betrifft. Denn bis heute mangelt es an Darstellungen, die die gregorianische Reform als genuin religiöse Erneuerungsbewegung verstehen und die kir-

2 9 4 Dazu grundlegend: H. J o r i s s e n , Die Entfaltung der Transsubstantiationslehre bis zum Beginn der Hochscholastik = Münstersche Beiträge zur Theologie Bd. 28,1 (Münster 1965). 2 9 5 Vgl. H. H a l f m a n n , Cardinal Humbert, sein Leben und seine Werke mit besonderer Berücksichtigung seines Traktates: Libri tres adversus Simoniacos (Diss. Göttingen 1883). 2 9 6 Vgl. J. Z i e s e , wie Anm. 280. 2 9 7 Vgl. C. M i r b t , wie Anm. 281. 2 9 8 Vgl. A. F a u s e r , wie Anm. 281. 2 9 9 Vgl. K. J o r d a n , Die Stellung Wiberts von Ravenna in der Publizistik des Investiturstreites, in: MIÖG 62 (1954) S. 155-164, Nachdruck in: d e r s . , Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters = Kieler Historische Studien Bd. 29 (Stuttgart 1980) S. 75-84. 3 0 0 Vgl. LS. R o b i n s o n , wie Anm. 280. 3 0 1 Vgl. C. M i r b t , wie Anm. 281, S. 372-462, bes. S. 375-377. 3 0 2 Darunter zuletzt: J. Z i e s e , Wibert von Ravenna. Der Gegenpapst Clemens III. (1084-1100) = Päpste und Papsttum, Bd. 20 (Stuttgart 1982) bes. S. 194-200 und S. 278A. 47-^9.

Die Streitschriften-Literatur

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chenpolitische Frontstellung als notwendige, aber zunächst ungewollte Konsequenz erscheinen lassen 303 . Eine neue, gründliche Durchmusterung der Streitschriften-Literatur wird hier erst dann eine prinzipielle Korrektur bringen, wenn es zugleich gelingt, die Traktate vor dem Hintergrund der Gesamtentwicklung der Reform auszulegen, statt sie - wie bisher meist geschehen - nur von ihrem konkreten, zeitgeschichtlichen Kontext her zu interpretieren 304 . Solange sich dies nicht ändert, wird die starke Dynamik letztlich unverständlich bleiben, die die Reform auch dann entwickelte, wenn die Durchsetzung ihrer Ideale zur Utopie zu werden drohte. Die Beurteilung der Traktatliteratur erhält damit einen ganz ähnlichen Stellenwert wie die Untersuchung des kirchenrechtlichen Materials. Sie beruht einmal auf einer geeigneten Quellenbasis für das reformerische Selbstverständnis, dann gibt sie wichtige Hinweise auf die Lösung jenes Problems, das im Mittelpunkt unserer Arbeit steht: welche Rolle das Verhältnis zwischen Priesterbild und Reformpapsttum im 11. Jahrhundert gespielt hat. Diese Frage, bei der es in erster Linie um die vom Papsttum unterstützte Reform des Priesteramtes und deren Konsequenzen geht, soll einen Beitrag dazu leisten, die Dynamik der kirchlichen Erneuerungsbewegung zu erklären. Zugespitzt auf eine einfache Alternative lautet die Problemstellung: War die Neubesinnung auf den „Charakter des kirchlichen Amtes" 3 0 5 wirklich eines der auslösenden Momente für die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts, oder stellte sie nur das - eher beiläufige - Ergebnis kirchenpolitischer Spannungen dar, die von der durch das Reformpapsttum und seine Anhänger aufgeworfenen Machtfrage ausgingen, ,,ob ein weltlicher Herrscher an der Amtseinsetzung mitwirke oder die Kirche über die Bestellung ihrer Amtsträger allein bestimme" 3 0 6 ?

3 0 3 Allerdings sind Tendenzen in diese Richtung in der jüngeren Forschung unverkennbar; vgl. etwa das 1982 erschienene Buch von U . - R . B l u m e n t h a l , wie Anm. 6. 3 0 4 Vgl. ζ. B. J . B e u m a n n , Sigebert von Gembloux und der Traktat de investitura episcoporum = Vorträge und Forschungen, Sonderband 2 0 (Sigmaringen 1976) oder J . K r i m m - B e u m a n n (dies.), Der Traktat „ D e investitura episcoporum" von 1109, in: D A 33 (1977) S. 3 7 - 8 3 . 3 6 5 O . E n g e l s , wie Anm. 1, S. 2. 3 0 6 Ebd. S. 2 .

I.

ERSTE KIRCHENRECHTLICHE REFORMVERSUCHE W Ä H R E N D DER AMTSZEIT PAPST B E N E D I K T S VIII.

Als Papst Benedikt VIII. im Hochsommer des Jahres 1022 die Synode von Pavia eröffnete 1 , konnte er bereits auf eine gewisse Tradition zurückblicken, was die Reform des priesterlichen Lebens und der sakramentalen Heilsvermittlung anging. Denn schon auf der Koblenzer Bischofsversammlung von 1012 war der Vollzug der Eucharistiefeier mit der persönlichen Integrität des Zelebranten in Verbindung gebracht worden 2 , und seitdem hatte man sich immer wieder mit den Fragen des priesterlichen Dienstes beschäftigt. Das kirchliche Amt war sozusagen in den Blickpunkt der reformerischen Kräfte in der Kirche gerückt, und diese Entwicklung sollte für das 11. und 12. Jahrhundert von zentraler Bedeutung werden. Den Auftakt machte eine von Papst Benedikt VIII. persönlich geleitete Doppelsynode, deren Statuten sich dank einer eigenhändigen Marginalie

1 Vgl. Heinrici II. et Benedict! VIII. Synodus et leges Papienses de clericis ecclesiarum servis, ed. L . W e i l a n d , in: M G Const. I (Legum Sectio IV,1), N r . 34, S. 7 0 - 7 8 . 2 Vgl. die eigenhändige Marginalie Thietmars auf fol. 135r des Msc. Dresd. R 147 der Sächsischen Landesbibliothek, die hier nicht nach dem Original, sondern nach der Textausgabe Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon, ed. R . H o l t z m a n n , in: M G Script, rer. Germ. N . S . 9 (Berlin 1935) Lib. VI,87, S. 378 wiedergegeben wird: Η nie in eodem condlio ab omnibus episcopis ibidem convenientibus interdictum est, ut ante purgacionem missam non caneret. Über die am 11. November 1012 tagende Bischofsversammlung vgl. ansonsten: Annales Quedlinburgenses ad annum 1012, ed. G . H . P e r t z , in: M G SS 3, S. 81 und J . F . B ö h m e r , Regesta Imperii, 11,4: Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich II. 1 0 0 2 - 1 0 2 4 , neubearbeitet von T h . G r a f f (Wien/Köln/Graz 1971) N r . 1764 c, S. 984.

Papst Benedikt V I I I .

53

Thietmars von Merseburg in der von ihm verfaßten Chronik 3 und dank der Uberlieferung der vielleicht in Farfa entstandenen Collectio canonum in Vlibris4 genau überblicken lassen. Die Kanones der Anfang des Jahres 1014 in Ravenna und Rom tagenden Versammlungen haben in der Forschung seit langem viel Beachtung gefunden5. Insbesondere italienische

Es handelt sich um die Synoden von Ravenna und R o m im Jahre 1014. Vgl. hierzu: Thietmari Chronicon, wie A n m . 2 , Lib. V I I , 2 , S. 3 9 8 , Z. 1 9 - 2 5 . Die ursprünglich etwa zwölf Zeilen umfassende Randnotiz befand sich nach R . H o l t z m a n n zunächst auf dem linken Rand von fol. 142 ν des in Anm. 2 erwähnten Msc. Dresd. R 147 und ist als eigenhändiger Nachtrag des Merseburger Bischofs zu seiner Chronik anzusehen. Sie wurde wegen ihrer schlechten Lesbarkeit von späterer Hand ausradiert und am unteren Ende von fol. 142 ν und fol. 1 4 3 r wörtlich wiederholt. 4 Diese Rechtssammlung ist nur in einer unzulänglichen Teiledition zugänglich, die unter dem Titel Collectio canonum in V libris (I—III), e d . M . F o r n a s a r i = C C C o n t . Med. Bd. 6 (Turnhout 1970) erschienen ist. Dieser D r u c k , der in seiner Numerierung der Beschlußtexte ζ. T . erheblich von der Kapitelzählung der Handschriften abweicht, ist in der Forschung zu Recht auf lebhafte Kritik gestoßen; vgl. etwa: H . F u h r m a n n , in: D A 2 7 ( 1 9 7 1 ) S . 221 f.; G . F r a n s e n , Principes d'edition des collections canoniques, in: R H E 66 (1971) S. 1 2 5 - 1 3 6 und H . M o r d e k , in: Z R G K A 60 (1974) S. 4 7 7 f . D i e Bestimmungen sollten allerdings nicht mehr als Synodus Ravennas, ed. L . W e i l a n d , in: M G Const. I (Legum Sectio I V , 1 ) N r . 3 0 , S. 61 f. zitiert werden, weil dort nur eine von bisher drei bekanntgewordenen Handschriften der Rechtssammlung, nämlich C o d . Vat. Lat. 1339 der Biblioteca Apostolica Vaticana, berücksichtigt wurde und der fünfte Kanon ausgelassen ist. So müssen m. E . die aus den drei ersten Büchern der Collectio canonum in V libris stammenden Statuten nach der oben zitierten Teiledition der Libri I—III zitiert werden, während man für die beiden anderen überlieferten Beschlüsse der Synode auf die Edition von M . F o r n a s a r i , Enrico II e Benedetto V I I I e i canoni del presunto concilio di Ravenna del 1014, in: Rivista di Storia della Chiesain Italia 18 (1964) S. 4 6 - 5 5 , bes. S. 4 7 - 4 9 zurückgreifen sollte. Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang freilich die schon oben angesprochene Tatsache, daß Fornasari die Durchnumerierung der kanonistischen Texte gegenüber der handschriftlichen Uberlieferung erheblich verändert hat. Diese Erkenntnis verdanke ich Herrn Prof. D r . Vittorio Peri (Rom), der C o d . Vat. Lat. 1339 eigens daraufhin durchgesehen hat und mir entsprechende Mikrofilmaufnahmen zukommen ließ. 3

5 Vgl. etwa: S. H i r s c h , Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich I I . , Bd. 2 (vollendet von Η . Ρ a b s t ) (Berlin 1864) S. 4 1 7 f f . und Α . Η a u c k , Kirchengeschichte Deutschlands Bd. 3 (Leipzig 3 " 1 9 0 6 ) S. 521 ff.; aus jüngerer Zeit: J . F . B ö h m e r / T h . G r a f f , wie Anm. 2 , N r . 1794a, S. 999 und N r . 1802a, S. 1 0 0 2 f . und J . F . B ö h m e r , Regesta Imperii 11,5: Papstregesten 9 1 1 - 1 0 2 4 , bearbeitet von H . Z i m m e r m a n n ( W i e n / K ö l n / G r a z 1969) N r . 1123, S. 4 4 0 ;

54

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

Arbeiten 6 beschäftigten sich noch in jüngerer Zeit mit den Reformbeschlüssen der im Umfeld der Kaiserkrönung Heinrichs II. anzusiedelnden Synoden, wobei freilich die kritische Einschränkung zu machen ist, daß Mario Fornasari bei seiner im Jahre 1964 besorgten Edition der Kanones 7 die falsche Handschrift als Hauptgrundlage seiner Textgestaltung verwendete und obendrein die Variante Thietmars nur am Rande berücksichtigte. Außerdem vergaß er nachzuprüfen, ob die von ihm gedruckten Passagen einer älteren kanonistischen Tradition gefolgt waren, beziehungsweise in jüngeren kanonistischen Sammlungen ebenfalls überliefert sind 8 . Die Interpretation stößt damit bereits bei der Frage nach dem richtigen Text auf erhebliche Schwierigkeiten, die die geplante Neuedition in den Monumenta Germaniae Historica 9 als dringend notwendig erscheinen lassen. Trotz dieser Hindernisse lassen sich die Grundaussagen der Synodalbeschlüsse klar bestimmen. Die Fragen der simonistischen Ordination 10 ,

N r . 1129, S. 442f. und N r . 1144, S. 4 4 8 f . , der von zwei Ravennater Synoden ausgeht, was jedoch unwahrscheinlich ist, da in den durch die Collectio canonum in V libris, wie Anm. 4, überlieferten Beschlußtexten noch der Königstitel für Heinrich II. benutzt wird. 6 Vgl. vor allem M . F o r n a s a r i , Enrico II, wie Anm. 4, S. 4 6 - 5 5 und O . C a p i t a n i , Immunitävescoviliedecclesiologiainetä„pregregoriana" e,,gregoriana". L ' a w i o alla restaurazione (Spoleto 1966) S. 75ff. 7 Vgl. M . F o r n a s a r i , Enrico II, wie Anm. 4, S. 4 7 - 4 9 . 8 Vgl. dazu G . F r a n s e n , wie Anm. 4, S. 1 2 5 - 1 3 6 . 9 Sie wird voraussichtlich in der Reihe M G Concilia erscheinen. Wie aus dem Vorwort von R . S c h i e f f e r , Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König = Schriften der M G H Bd. 28 (Stuttgart 1981) hervorgeht, existiert bei den M G H bereits eine umfangreiche Materialsammlung zur Uberlieferung der Synoden im 11. Jahrhundert. 1 0 Vgl. Coli ectio, wie Anm. 4, Lib. 1,72, S. iti-.Siquisperpecuniamepiscopum aut presbyterum vel diaconum aut quantumlibet sacri ordinis consecraverit, anathema sit, et ordinator deiciatur. Außerdem Collectio, wie Anm. 4, Lib. 1,178, S. 115: Si quis per pecuniam ecclesiam consecraverit, anathema sit.

Papst Benedikt VIII.

55

des kanonisch festgesetzten Weihealters 1 1 und der Ehrfurcht vor liturgischem Gerät und priesterlicher Kleidung 1 2 standen im Mittelpunkt des Interesses. Man war also in erster Linie darum bemüht, die Mißstände im Klerus zu beseitigen. Was die Kanones v o n 1014 im historischen Rückblick denkwürdig macht, sind allerdings weniger die zeitlos anmutenden Formulierungen, als vielmehr die Reaktion, die sie auslösten: Bischof Thietmar v o n Merseburg sprach v o n einer prinzipiellen Erneuerung der allgemein vernachlässigten Aussagen der Kirchenväter in sacris bus13,

ordini-

die Provinzialsynoden v o n Ravenna (1014) 1 4 und Aquileja (1015) 1 5

sind geradezu als U m s e t z u n g der auf der päpstlichen D o p p e l s y n o d e erlassenen Richtlinien in die synodale Praxis anzusprechen, und die Zusam-

11

Vgl. ebd. Lib. 1,90, S. (>9i.:SiquisepiscopusanteXXXannumpresbyterum consecraverit, vel diaconus ante XXVannum, anathema sit, et ordinator deiciatur usque adpraefinitam aetatem, nisi summa compellat necessitas. Quod si inevitabilis causa advenerit, permittamuspresbyterum consecrari in legitima aetate dtaconorum, subdiaconus ante XII annum nullatenus fiat. Vgl. auch die in Anm. 3 erwähnte Randnotiz in Thietmari Chronicon, wie Anm. 2, Lib. VII,2, S. 398, Ζ. 19-25: Sanctorum instituta patrum in sacris ordinibus ibidem et apud nos diu, pro dolor! neclecta cum excommunicatione redintegrata renovavit. Probibent namque canones, ut ante XXV annos diaconus, presbiter autem et episcopus ante XXX annos nequaquam ordinetur. Hoc quia non servavimus, miseri prevaricatores sumus excommunicationemque incidimus. 12 Vgl. Collectio canonum in V libris, Lib. IV,283, ed. M. F o r n a s a r i , Enrico II, wie Anm. 4, S. 48: Quicumque aliquid in pignus vel donum acceperit de utensilibusp omamentis sanctae Romanae Ecclesiae vel aliarum ecclesiarum, dator et acceptor sit anathema, et quamdiu tenet, communione privetur. Bei ρ handelt es sich um eine zwischen 1014 und 1023 entstandene Glosse mit dem Text: id est rebus vel vestimentis vel suppelectile, que utuntur in ecclesia (ed. M. F ο r η a s a r i, Enrico II, wie Anm. 4, S. 48), die sich nach den Angaben ihres Editors sowohl in Cod. Vat. Lat. 1339 der Biblioteca Apostolica Vaticana als auch in Cod. 125 der Biblioteca dell* abbazia Monte Cassino finden läßt. Die Datierung ergibt sich nach M. F o r n a s a r i , Collectio, wie Anm. 4, S. IX aus der durch Chronica monasterii Casinensis, ed. H . H o f f m a n n , in: M G SS 34, Lib. 11,52, S. 262 - 2 6 4 zu erschließenden Tatsache, daß der Text von Monte Cassino, Cod. 125 wahrscheinlich eine im Jahre 1023 entstandene Abschrift des Cod. Vat. Lat. 1339 darstellt. 13 Vgl. dazu die in Anm. 11 wörtlich zitierte Passage aus Thietmari Chronicon, wie Anm. 2, Lib. VII,2, S. 398, Z. 19ff. 14 Vgl. Synodus Ravennatensis, in: M A N S I 1 9 , Sp. 361 f. 15 Vgl. Synodus Aquilejensis II, in: MANSI 19, Sp. 365-368.

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

56

menkünfte von Nijmwegen ( 1 0 1 8 ) 1 6 und Goslar (1019) 1 7 dokumentieren, daß die in R o m und Ravenna aufgeworfene Frage des Priesteramtes nicht nur in Italien auf lebhaftes Interesse stieß.

1.

D a s D e k r e t des B i s c h o f s B u r c h a r d v o n

Worms

Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man die beiden großen kirchenrechtlichen Sammlungen der Zeit Benedikts VIII. untersucht: das Dekret des Bischofs Burchard von W o r m s 1 8 und die zwischen 1014 und 1023 ent1 6 Vgl. zu dieser Synode: J. F. B ö h m e r / T h . G r a f f , wie Anm. 2, Nr. 1923 a, S. 1057f. Wichtigste Quelle ist in unserem Zusammenhang Thietmari Chronicon, wie Anm. 2 , L i b . VIII,7,S. 500,Z. 2 9 - 3 l : I b i constitutum est antique exemplare perlecto, ut corpus Dominicum [ad sinistram]R, ad dexteram partem calix poneretur. Auch dieser Beschluß ist uns durch eine eigenhändige Marginalie des Bischofs überliefert, die von späterer Hand ausradiert und in besser lesbarer Schrift auf fol. 179v in Msc. Dresd. R 147 wiederholt wurde. Dabei kam es versehentlich zur Auslassung des in der Edition durch eckige Klammern gekennzeichneten ad sinistram. Die Nachricht des Merseburger Bischofs kann als unverdächtig gelten, da er nach dem Bericht der Annales Quedlinburgenses ad annum 1018, ed. G . H . P e r t z , in: MG SS 3, S. 84 einer der Teilnehmer der Synode war. 1 7 Vgl. J . F. B ö h m e r / T h . G r ä f f , w i e A n m . 2 , N r . 1942a, S. 1066 und Sententia Goslariensis de coniugio clericorum servilis conditionis, ed. L. W e i l a n d , in: MG Const. I (Legum Sectio IV,1) Nr. 31, S. 62f. - Zur Einordnung dieser Sentenz in die kirchliche Verfahrenspraxis im allgemeinen : B . S c h i m m e l p f e n nig, Zölibat und Lage der „Priestersöhne" vom 11. bis 14. Jahrhundert, in: HZ 227 (1978) S. 1-44 und G . D e n z l e r , Das Papsttum und der Amtszölibat Bd. 1 = Päpste und Papsttum Bd. 5,1 (Stuttgart 1973) S. 47ff. 1 8 Vgl. Burchardi Wormaciensis ecclesiae episcopi Decretorum libri viginti, in: M I G N E PL 140, Sp. 537-1058. Zur Datierung dieser Rechtssammlung vgl. vor allem: H . F u h r m a n n , Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen Bd. 2 = Schriften der M G H Bd. 24,2 (Stuttgart 1973) S. 452f. und S. 4 6 2 - 4 6 6 , der mit Recht darauf hinweist, daß ein sicherer terminus ante quem erst mit der Synode von Seligenstadt (1023) gegeben ist (ebd. S. 452), da die von P. F o u r n i e r / G . le B r a s , Histoire des collections canoniques en Occident depuis les Fausses Decretales jusq'au Decret de Gratien Bd. 1 (Paris 1931) S. 366f. A. 2 als Indiz für eine Entstehung zwischen 1008 und 1012 angeführte Mitarbeit Olberts von Gembloux nicht allzu hoch veranschlagt werden dürfe (vgl. H . F u h r m a n n , a . a . O . S . 462 - 4 6 6 , bes. S. 465 A. 106 mit Verweis auf Α. Β ο ut e m y , Un grand abbe du Xle siecle: Olbert de Gembloux, in: Annales de la Societe archeologique de Namur 42 (1934), S. 43ff., bes. S. 57ff. und d e r s . , En lisant Sigebert de Gembloux I: Le canoniste Burchard de Worms etudial-t-il en Lotharingie?, in: Revue beige de philologie et d'histoire 15 (1936) S. 987ff.).

Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms standeneCollectio canonum

in Vlibris19.

57

Vor allem das Wormser Rechts -

buch war einer der Ausgangspunkte für die reformerischen Gedanken über Königtum, Priesteramt und Episkopat, die sich in der Zeit des Tuskulanerpapsttums und der ersten Reformpäpste immer weiter verbreiteten und mit W a z o von Lüttich einen gewissen Höhepunkt erreichten 2 0 . Bereits in den vierziger Jahren des 11. Jahrhunderts genoß das Dekret in Deutschland ein so hohes Ansehen, daß Bischof Eberhard I. von K o n stanz ( 1 0 3 4 - 1 0 4 6 ) als Grund für die Anfertigung einer heute noch erhaltenen Burchard-Abschrift anführte, die vielen aus dem Umfang des bischöflichen Amtes erwachsenen Streitfälle seien ohne die auctoritas

der

Wormser Rechtssammlung kaum zu lösen 2 1 . Auch in Italien fand das D e kret in kürzester Zeit Verbreitung. Für die Mitte des 11. Jahrhunderts sind Handschriften in Nonantula, Modena, Parma, Novara und Monte

Vgl. Collectio, wie Anm. 4; zur Datierung ebd. S. XVII. Vgl. unten Kap. 111,1. 2 1 Der in roter Schrift verfaßte Eintrag befindet sich auf fol. 311 va von Hs. 7 der Freiburger Universitätsbibliothek, einer zwischen 1034 und 1046 entstandenen Dekrethandschrift, die zuletzt von W. H a g e n m a i e r , Die lateinischen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau (Hs. 1-230) = Kataloge der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, hrsg. v. W. K e h r , Bd. 1,1 (Wiesbaden 1974) S. 7 - 1 0 ausführlich beschrieben wurde. Die nur schwer zu entziffernde, fast völlig verblaßte Notiz hat folgenden Wortlaut: Christi favente dementia. Ego Eberhardus in sancta Constantiensi ecclesia dei famulus sub nomine episcopi peccatis meis et neglegentiae aliquid remedii invenire cogitanspropter spem sempiternae misericordiae ubicumquepotui velpretio velpetitione libros congregavi et acquisivi ad servitium domini et sanctae dei genitricis. Inter quos hunc librum in nostra ecclesia maxime necessarium elaboravi, quia pro amplitudine episcopatus saepe oriuntur inter nos synodales controversiae e quibus emergi non est facile absque huius libri auctoritate; praeterea ut nostri cooperatores pro intuitu canonicae institutionis non pro arbitrio propriae deliberationis iudicium, iura ac instructionem subiectis suis tribuere valeant (der Eintrag ist gedruckt bei O . M e y e r , Uberlieferung und Verbreitung des Dekrets des Bischofs Burchard von Worms, in: Z R G KA 24 (1935) S. 153 A.2). Zur Interpretation der Passage vgl. ebd. S. 153 f.; J . Au t h e n r i e t h, The Canon Law Books of the Curia episcopalis Constantiensis from the Ninth to the Fifteenth Century, in: Proceedings of the Second International Congress of Medieval Canon Law = Monumenta Iuris Canonici, Series C, Subsidia 1 (1965) S. 10 und zuletzt H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 460. 19

20

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

58

Cassino anzunehmen 2 2 . Es ist daher keineswegs richtig, mit Carlo Guido M o r 2 3 von einer zurückhaltenden Reaktion auf das Dekret in Italien vor der gregorianischen Reform auszugehen. Man wird eher mit H o r s t Fuhrmann 2 4 und Gerard Fransen 2 5 von einer auffällig raschen Rezeption der Rechtssammlung sprechen müssen, zumal die jüngsten Untersuchungen zur handschriftlichen Uberlieferung des Dekretes 2 6 ergeben haben, daß nur ein Teil der ältesten Manuskripte heute noch namhaft zu machen ist. Das Wormser Dekret war dabei nicht jene kanonistische Formulierung einer insgesamt stabil erscheinenden innerkirchlichen Ordnung,

die

Theodor Schieffer in ihm erblicken wollte , sondern enthielt soviel re27

formerisches Gedankengut, daß man es als eines der Fundamente der gregorianischen Erneuerungsbewegung ansprechen kann. Betrachtet man nämlich die Veränderungen, die Burchard an seinen drei Hauptvorlagen der Collectio Anselmo dedicata28,

dem Sendhandbuch Reginos 2 9 und den

Vgl. H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 453 mit A. 81, der die wichtigsten Untersuchungen zur handschriftlichen Uberlieferung des Wormser Dekretes berücksichtigt. Aus jüngerer Zeit ist vor allem zu nennen: G . F r a n s e n , Le Decret de Burchard de Worms. Valeur du texte de l'edition. Essai de classement des manuscrits, in: ZRG KA 63 (1977) S. 1-19. 2 3 Vgl. C. G. Μ ο r, La reazione al „Decretum Burchardi" in Italia avanti la Riforma Gregoriana, in: Stud Greg 1 (1947) S. 197-206. 2 4 Vgl. H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 4 5 0 - 4 6 1 , bes. S. 452. 2 5 Vgl. G . F r a n s e n , wie Anm. 22, S. 1-19 und d e r s . , La tradition manuscrits du Decret de Burchard de Worms, une premiere orientation, in: Ius sacrum. Kl. M ö r s d o r f zum 60. Geburtstag, hrsg. v. A. S c h e u e r m a n n und G. M a y (Paderborn 1969) S. 111-118. 2 6 Zu dieser Wertung vgl. H. F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 453. Die älteren Arbeiten zur handschriftlichen Uberlieferung des Dekrets sind erfaßt bei M. K e r n e r , Studien zum Dekret des Bischofs Burchard von Worms (Diss. Aachen 1969) Teil 1: Text, S. 4 - 6 mit den Α. 11 - 3 2 , die in Teil 2 : Anmerkungen, S. 6 - 8 abgedruckt sind. 2 7 Vgl. Th. S c h i e f f e r , §154: Rechtsordnung und geistliches Leben, in: Handbuch der Europäischen Geschichte, Bd. 1, hrsg. v. T h . S c h i e f f e r (Stuttgart 1976) S. 1036. 2 8 Zur Charakterisierung dieser bis heute nicht voll edierten Rechtssammlung siehe vor allem: H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 42 5 - 4 3 5, der ebd. S. 425 f. A.7 auf die Editionsproblematik näher eingeht. 2 9 Vgl. Reginonis abbatis Prumiensis Libri duo de synodalibus causis et disciplinis ecclesiasticis, ed. F . W . H . W a s s e r s c h i e b e n (Leipzig 1840) bes. S. 4 9 7 - 5 1 6 (Tabula synoptica) und H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 4 3 5 - 4 4 1 . 22

Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms

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pseudoisidorischen Dekretalen 30 - vornahm 31 , so stellt man rasch fest, daß dem Wormser Oberhirten durchaus die Spannungen bewußt waren, die zwischen den von ihm fixierten kirchenrechtlichen Bestimmungen und dem geistlich-weltlichen Synergismus des ottonischen Reichskirchensystems bestanden. Ja es läßt sich sogar nachweisen, daß Burchard bei der Bearbeitung seiner Quellen die feinen Risse im Gefüge des frühmittelalterlichen Königsrechtes gegenüber der Kirche eher noch verstärkte, als daß er ihnen die gegen die königliche Kirchenhoheit gerichtete Spitze nahm. So dokumentieren die von Max Kerner 32 herausgearbeiteten Veränderungen der Vorlagen Burchards, daß es dem Wormser durchaus darauf ankam, die Autorität des Kirchenrechts gegenüber dem im civile aufzuwerten. Und dieses Urteil wird bestätigt durch eine Untersuchung der Bücher I (Deprimatu ecclesiae)33, II (De sacris ordinibus)34, III (De ecclesiis)35 und XV (De laicis)36 des Dekretes. Ganz deutlich wird diese Tendenz etwa in einer Passage, die Burchard dem pseudoisidorischen Clemensbrief (direkt oder in der Vermittlung der Collectio Anselmo dedicata) entnahm. Hier ist von einer Gehorsamspflicht aller Fürsten der Erde gegenüber den Bischöfen die Rede, die deshalb bestehe, damit sich alle gleichermaßen als Getreue und Mitarbeiter der lex Dei erweisen könnten 37 . Diese Stelle findet in Buch XV, 10 eine Ergänzung, wo es heißt, das Kai30 Vgl. Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, ed. P . H i n s c h i u s (Leipzig 1863). 31 Zur Textbehandlung Burchards am Beispiel der in Anm. 2 8 - 3 0 erwähnten Vorlagen vgl. vor allem: P. F ο u r η i e r, fitudes critiques sur le Decret de Burchard de Worms, in: Nouvelle Revue Historique de Droit Framjais et Etranger 34 (1910) bes. S. 4 5 - 5 5 und S. 58 - 63, sowie M. K e r n e r , wie Anm. 26, S. 105-144 (1) und H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 4 6 6 - 4 8 5 . 32 Vgl. M. K e r n e r , wie Anm. 26, S. 105-144 (1), bes. ebd. S. 105 und S. 142 ff. 33 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. I: D e primatu ecclesiae, in: M I G N E PL 140, Sp. 549 - 618. 34 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. II: D e sacris ordinibus, in: M I G N E PL 140, Sp. 625 - 666. 35 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. I I I : D e e c c l e s i i s , i n : M I G N E P L 140, Sp. 6 7 3 - 7 2 6 . 36 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. XV, in: M I G N E PL 140, Sp. 8 9 5 - 9 0 8 . 37 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. 1,124, in: M I G N E PL 140, Sp. 586; zu den kanonistischen Vorlagen dieser Stelle: Μ. Κ e r η e r, wie Anm. 26, S. 77 A. 46 (2).

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Erste kirchenrechtliche Reformversuche

serrecht stehe nicht über dem Gesetz Gottes, sondern darunter 38 . Sie steht außerdem nicht gänzlich isoliert im Rahmen der Epoche Heinrichs II. und Benedikts VIII. da, sondern besitzt in der Chronik Thietmars eine interessante Parallele 39 . Als Eckpfeiler der Vorstellungen Burchards von der Herrscherwürde muß die eindeutige Zuordnung der Könige und Fürsten zum Laienstand betrachtet werden 4 0 . Der Wormser Bischof rückt damit automatisch in eine Reihe mit Friedrich von Mainz, dem bekannten Antipoden des entstehenden Reichskirchensystems 4 1 . Seine Position darf deshalb nicht als

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Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. XV,10, in: MIGNE PL 140, Sp. 896 D: Lex imperatorum non est supra legem Dei, sed subtus. Dazu: Μ. Κ e r η e r, wie Anm. 26, S. 77f. A. 48 (2). 39 Vgl. Thietmari Chronicon, wie Anm. 2, Lib. IV,73 S. 216, Z. 14-17: Si in hac provincia aliquid valeret lex divina, non sie insaniret secularis potencia. Dico enimpresentibus atque futuris, quod non potest haec causa senescere velsine sacerdotali districcione finiri legitime. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die von H . L i ρ ρ e 11, Thietmar von Merseburg. Reichsbischof und Chronist = Mitteldeutsche Forschungen Bd. 72 (Köln/Wien/Graz 1973) S. 127-129 herausgearbeitete Tatsache, daß Thietmar das Prinzip der kanonischen Wahl gegen das königliche Besetzungsrecht verteidigte. 0 Sie kommt eindeutig zum Ausdruck durch die Uberschrift, die Burchard dem Buch XV seines Dekretes gab. Sie lautet in einer der ältesten Burchard-Handschriften, dem Msc. Can. 6 (alt P. I. 5), saec. XI der Bamberger Staatsbibliothek wörtlich: Incipit Liber Quintus Decimus. De imperatoribus. De prineipibus. De reliquis laicis . . . (fol. 211 ra). Da dieser Befund auch durch den bei M I G N E PL 140, Sp. 541 f. abgedruckten entsprechenden Passus des Index singulorum librorum des Wormser Dekrets und durch die Freiburger Handschrift 7 bestätigt wird und außerdem durch die Zuordnung der Kanones über Kaiser, Könige und Fürsten zu Buch XV veranschaulicht wird, kann an dieser Wertung kein Zweifel geäußert werden. 41 Zur Auffassung Friedrichs von Mainz vgl. insbesondere: H . B ü t t n e r , Die Mainzer Erzbischöfe Friedrich und Wilhelm und das Papsttum des 10. Jahrhunderts, in: Geschichtliche Landeskunde 3 = Festschrift J. B ä r m a n n (Wiesbaden 1966) S. 1-26; W. N o r d e n , Erzbischof Friedrich von Mainz und Otto der Große. Zur Entstehung des deutschen Staatsgedankens in der Ottonenzeit = Historische Studien Bd. 103 (Berlin 1912); H . S c h r ö r s, Erzbischof Friedrich von Mainz und der Priester Gerhard, in: N A 40 (1916) S. 419-426 und F. L o 11 e r, Der Brief des Priesters Gerhard an den Erzbischof Friedrich von Mainz. Ein kanonistisches Gutachten aus frühottonischer Zeit = Vorträge und Forschungen, Sonderband 17 (Sigmaringen 1975), wo eine weitere Untersuchung mit dem Titel „Erzbischof Friedrich von Mainz (937-954). Untersuchungen zu Herkunft und politischem Standort" angekündigt wird. Ein weiteres Beispiel von Kritik am geistlich-weltli-

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prinzipieller Neuansatz mißverstanden werden, sondern sollte durchaus in einer gewissen Tradition gesehen werden, die zur Kirchenhoheit des sächsischen Herrscherhauses und dem Gedanken des regale sacerdotium in unauflöslicher Spannung stand und das ottonische Herrschaftsgefüge grundsätzlich in Frage stellte. Geprägt war diese Haltung im Dekret des Bischofs von Worms vor allem durch den Rückgriff auf die kirchenrechtlichen Sammlungen der Karolingerzeit und ein neues priesterliches Selbstverständnis. Pseudoisidorische Sätze wieLaicis, quamvis religiosis, nullo modo de ecclesiasticis facultatibus aliquid disponendi unquam attribuatur facultas42, Formulierungen wie Laid in synodo praesentibus clericis, nisi ipsis jubentibus, docere non audeant43 oder die Zitation des 31. apostolischen Kanons (Si quis episcopus saecularibus potestatibus usus, Ecclesiam per ipsas optineat, deponatur, et segregetur, omnesque qui illi communicant)44 rüttelten dabei an den Fundamenten des laikalen Eigenkirchenwesens und der königlichen Kirchenhoheit. Sie erinnern zugleich an jene scharfe Rede Papst Nikolaus II. auf der Lateransynode von 1059, die sich ausdrücklich gegen die „laikale" Einflußnahme Kaiser Ludwigs des Frommen auf die Aachener Regel von 816 richtete und damit eine Reform des kanonikalen Lebens auf gesamtkirchlicher Ebene in die Wege leitete45. Die gerade zitierten Stellen aus der Wormser Rechtssammlung dürfen zwar nicht als kompromißlose Wendung gegen den geistlich-weltlichen

chen Synergismus ottonischer Prägung findet sich in der Vita Radbodi episcopi Traiectensis, ed. O. H o l d e r - E g g e r , in: M G SS 15,1, c.9, S. 571b, Z. 5 - 1 0 : Iustum est, inqu.it, sublimioribus obedire potestatibus; sed et episcopalis iuris non esse secularium se implicare negociis, ad milites Christi, sub cuius castris militant, pertinere quis ambigit, ut ecclesiasticis induti spiritualiter armispro regispopulique salute et pacis stabilitate cum suis debeant Deum interpellare precibus assiduis, animarum quaerere lucra, non sectari terrena? Milites ergo regni miliciare cingulo precincti beneficiisque cumulati id, ut aequum est, exerceant negocii. 4 2 Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. X V , 3 5 , Sp. 904 B; zur kanonistischen Tradition dieser Stelle vgl. H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, Bd. 3 (Stuttgart 1974) S. 806 Nr. 43. 4 3 Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. X V , 1 2 , Sp. 897 A. 4 4 Ebd. Lib. 111,109, Sp. 695 A ; zur kanonistischen Tradition dieses Rechtssatzes: R . S c h i e f f e r , wie Anm. 9, S. 3 4 - 3 6 , der die Zitation der Bestimmung durch Burchard allerdings als Beleg „für die Unbeholfenheit des früheren Mittelalters" bewertet, „in der geheiligten Tradition der kirchlichen Rechtssätze die zeitgenössische Wirklichkeit auszumachen" (ebd. S. 36). 4 5 Vgl. dazu unten Kap. V,1.

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Synergismus der Ottonenzeit überinterpretiert werden, sie markieren aber doch einen verhaltenen Protest gegen die weitgehende Einbeziehung kirchlicher Angelegenheiten in die Gewalt von Königtum und Laienadel. Der Herrscher wurde als Verteidiger und Beschützer der Kirche angesehen, er sollte sich aber nach der Auffassung Burchards nicht anmaßen, seine Würde als priesterähnliches Amt zu verstehen. Allerdings ging Burchard in seinen Bestrebungen nicht so weit, die königliche Kirchenhoheit auf Reichsversammlungen öffentlich in Frage zu stellen - jedenfalls sind keine solchen Proteste überliefert. Aber seine fast unmerklichen Veränderungen der kanonistischen Vorlagen46 zeigen doch, daß er der ottonischen Reichskirche kritischer gegenüberstand, als es sein betont gutes Verhältnis zu Heinrich II. ahnen läßt. In diese Richtung weist auch eine Passage aus dem Widmungsbrief an Dompropst Brunicho von Worms, der in den Handschriften dem Text der Rechtssammlung meist vorangestellt ist 47 . Die Formulierung cura mundalium rerum ad imperialia mandata pertinentium, quae studentis et ad supenora ten-

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Vgl. oben Anm. 31 und 32. Der Widmungsbrief wird hier natürlich in der Fassung der älteren Burchardhandschriften zitiert, die bei M I G N E PL 56, Sp.321-324 und ebd. 140, Sp. 499-502 abgedruckt ist. Den Nachweis, daß diese Version der Epistola dedicatoria und nicht die bei M I G N E PL 140, Sp. 537-540 abgedruckte Textgestalt als authentisch zu betrachten ist, führten schon die Brüder Ballerini (vgl. dazu: H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 446 A. 62 und S. 466f. A. 112 gegen G. T h e u e r k a u f , Burchard von Worms und die Rechtskunde seiner Zeit, in: F M S T 2 (1968) S. 144-161, bes. S. 153ff.). Zur Überprüfung des bei M I G N E PL 140, Sp. 499-502 wiedergegebenen Wortlauts habe ich Msc. Can. 6 (früher: P . I . 5) der Staatsbibliothek Bamberg fol. 1 r - 2 ν und Hs. 7 der Universitätsbibliothek Freiburg fol. 1 ν - 3 r herangezogen, weil diese Handschriften dem Archetypus des Dekretes sehr nahekommen (vgl. dazu: M. K e r n er, wie Anm. 26, S. 15f. (1) und S. 15f. A. 94 - 98 (2) und die in Anm. 25 zitierten Aufsätze von G . F r a n s e n ) . Zu den kanonistischen Vorlagen des Widmungsbriefes an Brunicho vgl. G . F r a n s e n , Les sources de la Preface du Decret de Burchard de Worms, in: Bulletin of Medieval Canon Law, N . S. 3 (1973) S. 1 - 7 . 47

Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms

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dentis animum valde obtundunt*6 verrät eindeutig, daß Burchard die Erfüllung weldicher Aufgaben durch geistliche Würdenträger innerlich ablehnte. Sie belegt zugleich die starke innere Distanz, die er zum Reichsdienst bewahrte. Die ihm aufgetragene Sorge um weltliche Dinge erschien dem Wormser Oberhirten nicht als ebenso unvermeidlich wie die verschiedenen kirchlichen Notwendigkeiten, denen er Rechnung tragen müsse, sondern eher als eine lästige Verpflichtung, die den Geist eines nach höheren Dingen strebenden Menschen zum Abstumpfen bringe. Es ist deshalb verfehlt, wenn man den Wormser Bischof einseitig als einen typischen „Vertreter der ottonisch-frühsalischen Reichskirche" 4 9 bezeichnet, weil eine solche Wertung außer acht läßt, wieviel reformerisches Gedankengut in den Aussagen der Wormser Rechtssammlung enthalten ist. Gerade die bei Burchard zu konstatierende Aufwertung der liturgisch-sakramentalen Heilsvermittlung durch Bischöfe und Priester führte in direkter Linie bis in die allgemeine Kirchenreform der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, und man sollte den Wormser Bischof deshalb besser nicht als Repräsentanten einer vorgregorianischen Kirchenordnung ansprechen, die noch ganz dem frühmittelalterlichen Eigenkirchendenken verhaftet war. Burchard stand an einem Wendepunkt der Kirchengeschichte. Wenn man an die im 10. Jahrhundert sich abzeichnende Vereinheidichung des rituell-sakramentalen Stils der Messe denkt, wie sie sich etwa im Sakramentar von Fulda 50 oder dem Mainzer Pontificate Romano-Germanicum51 ausdrückt, wird man ihn als Ab4 8 M I G N E P L 140, Sp. 500 B ; entspricht bis auf kleine Abweichungen in der Orthographie: Freiburg, Universitätsbibliothek Hs. 7, fol. 2 ra, lin. 8 - 1 2 und Bamberg Staatsbibliothek Msc. Can. 6 , f o l . I v a , l i n . 4 - 7 . Das volle Zitat lautet in der Textgestalt von M I G N E P L 140, Sp. 500 Β (entspricht: Hs. 7, lin. 5 - 1 4 und Msc. Can. 6,lin. 1-9): scilicet propter variaset inevitabilesecclesiasticas necessitates, quae quotidie more fluctuum emergunt; et insuper cura mundalium rerum ad imperialiamandatapertinentium, quae studentis et adsuperiora tendentis animum valde obtundunt; quia animus cujusque, dum dividitufper plura, minor fit ad singula. Wie stark Burchard an dieser Stelle seine kanonistische Vorlage veränderte, zeigt G . F r a n s e n , Les sources, wie Anm. 4 7 , S. 5.

H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 442. Vgl. Sacramentarium Fuldense, ed. G . R i c h t e r und A . S c h ö n f e l d e r (Fulda 1912). 5 1 Vgl. Le pontifical Romano-Germanique du dixieme siecle, ed. C . V o g e l und R . E l z e Bd. 1 und 2 = Studi e Testi Bd. 2 2 6 / 2 2 7 (Rom 1963, Nachdruck 1966). 50

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schluß eines bis in die Karolingerzeit zurückreichenden Prozesses ansehen. Betrachtet man hingegen die zentrale Rolle, die das Eintreten gegen den Laieneinfluß im Denken der gregorianischen Reform spielte, so wird man Burchard eher mit Reformern vom Schlage Humberts de Silva Candida oder Petrus Damiani in Verbindung bringen. Was das Dekret Burchards in der Rückschau des Historikers so bemerkenswert erscheinen läßt, sind jedoch nicht nur die latent vorhandenen Tendenzen zur Beseitigung des theokratischen Königsgedankens. Ebenso bedeutsam für die weitere Entwicklung war sicherlich die enorme Beachtung, die der Bischof von Worms den Fragen des priesterlichen Dienstes ganz grundsätzlich schenkte. Zwar kann man nicht behaupten, daß diese besondere Wertschätzung in der kanonistischen Literatur ganz ohne historische Parallelen wäre. Insbesondere im Schrifttum Hinkmars von Reims lassen sich zahlreiche Entsprechungen finden 52 . Aber die durchdachte Einarbeitung eines zukunftsweisenden Priesterbildes in das Konzept der Wormser Rechtssammlung war für die kirchliche Erneuerung des 11. Jahrhunderts von so großer Wichtigkeit, daß Reformer wie Petrus Damiani in kontrovers diskutierten Problemen des priesterlichen Amtes immer wieder auf die Decretorum libri viginti Burchards zurückgriffen 53 , und deshalb ist es gerechtfertigt, die Vorstellungen des Wormser Bischofs einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Von großem Interesse ist in diesem Zusammenhang zunächst einmal jene Synodaladmonitio, die bereits in den ältesten erhaltenen BurchardHandschriften auftaucht 54 , in den jüngeren Exemplaren der Rechtssamm-

5 2 Vgl. dazu etwa: J . D e v i s s e , Hincmar, Archeveque de Reims 8 4 5 - 8 8 2 , 3 Bde. = Travaux d'histoire ethico-politique 2 9 (Genf 1975/76). 5 3 Vgl. J . J . R y a n , Saint Peter Damiani and his Canonical Sources = Pontifical Institute of Mediaeval Studies. Studies and Texts Bd. 2 (Toronto 1956) bes. S. 1 8 8 - 1 9 0 . 5 4 Als Beispiele seien hier nur die beiden in Anm. 47 zitierten Dekret-Handschriften genannt, die mir aufgrund der freundlichen Unterstützung der Staatsbibliothek in Bamberg und der Universitätsbibliothek in Freiburg zugänglich waren: Bamberg, Msc. Can. 6 (früher: P. I. 5) fol. 3 r a - 4 v a und Freiburg, Hs. 7 fol. 309vb - 311 rb. Zu beiden Codices existieren Handschriftenbeschreibungen, einmal: F. L e i t s c h u h , Katalog der Handschriften der königlichen Bibliothek zu Bamberg, Bd. 1,1 (Bamberg 1906 S. 862 f.) und zum zweiten: W . H a g e n m a i e r , wie Anm. 2 1 , S. 7 - 1 0 , hier bes. S. 9.

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lung weite Verbreitung fand 5 5 und in einer dem Archetypus nahekommenden Fassung in der Editio princeps des Dekretes aus dem Jahre 1548 erstmals abgedruckt ist 5 6 . Das Schreiben stellt eine auf die Karolingerzeit zurückgehende Auswahl kanonistischer Formulierungen zum Priesteramt dar 57 , die zuweilen auch unter dem T i t e l H o m i l i a Leonis (IV.)58 überliefert ist, und entspricht in vielen Einzelheiten den 96 Fragen, die Regino von Prüm seinen Libri duo de synodalibus causis vorangesetzt hatte 5 9 . D e n n o c h wäre es falsch, die zeitgeschichtliche Bedeutung, die das D o kument in der Textgestalt der Burchard-Handschriften besaß, zu unterschätzen. Wie man unter anderem einem Eintrag in Codex 7 der Freiburger Universitätsbibliothek 6 0 entnehmen kann, sollte die Admonitio nämlich auf jeder Synode den anwesenden Pfarrgeistlichen vorgelesen werden 6 1 , sie gewann also bereits in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts authentisches Ansehen. Hieraus kann man freilich nicht folgern, daß das Mahnschreiben gewissermaßen als Programmschrift einer am karolingi-

55 Vgl. dazu: R . A m i et, Une „Admonitio Synodalis" de l'epoque carolingienne. Etude critique et fidition, in: Mediaeval Studies 26 (1964) S. 12-82, der allerdings nicht alle Handschriften erfaßte. Eine Neuedition der Admonitio auf breiterer handschriftlicher Grundlage und mit Berücksichtigung weiterer Burchard-Handschriften ist in Vorbereitung. Sie soll im Rahmen der Capitula episcoporum in den M G H erscheinen und wird von P . B r o m m e r besorgt (vgl. W. H a g e n m a i e r , wie Anm. 21, S. 9). 56 Vgl. Burchardi Wormaciensis Ecclesiae Episcopi Decretorum Libri XX . . . Opus nunc primumexcusum, ed. Bertholdus Q u e s t e n b u r g h ( K ö l n l 5 4 8 ) . Der Text findet sich in dieser Kölner Inkunabel auf den noch nicht durchnumerierten fol. (XV ν - XVI r) vor dem Beginn der durchgezählten Seiten, die mit dem Liber primus des Wormser Dekretes beginnen. 57 Zur Datierung: R. A m i e t , Anm. 55, S. 74ff. und zuletzt: F . L o t t e r , Ein kanonistisches Handbuch über die Amtspflichten des Pfarrklerus als gemeinsame Vorlage für den Sermo synodalis ,,Fratres presbyteri" und Reginos „ D e synodalibus causis", in: ZRG KA 62 (1976) S. 1-57, bes. S. 29. 58 Vgl. P . W . F i n s t e r w a l d e r , Die sogenannte Homilia Leonis IV., ihre Bedeutung für Hinkmars Capitula und Reginos Inquisitio, in: ZRG Κ A 27 (1938) S. 639- 664. 59 Vgl. De synodalibus causis, wie Anm. 29, Lib. I, Notitia, S. 19-26. 60 Vgl. Freiburg, Universitätsbibliothek Hs. 7, fol. 309vb, lin. 20-22; ähnlich: Bamberg, Staatsbibliothek Msc. Can. 6, fol. 3ra, lin. 2 - 4 . 61 Dies geht aus der Formulierung der Rubrik in Hs. 7, fol. 309 vb, lin. 20-22 hervor: Sermo synodalis qui in singulis synodis parrochianis prespiteris est enuntiandus.

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Erste kirchenrechtliche Reformversuche

sehen Vorbild orientierten priesterlichen Reform im Schöße der deutschen Reichskirche verstanden wurde. Andererseits darf man aber auch nicht außer acht lassen, daß sich sämtliche in der Admonitio niedergelegten Gedanken in etwas veränderter Form im Text der Decretorum libri viginti wiederfinden lassen und daß sich der Reformversuch Burchards wie jede echte kirchliche Erneuerung aus der Retrospektive entwickelte. So wird man das kurze Schreiben vor allem als einen von der Synodalpraxis bestimmten Versuch interpretieren müssen, die wichtigsten Bestimmungen zum Priesteramt unter pastoralen Gesichtspunkten noch einmal zusammenzufassen. Hier liegt der zukunftsweisende Charakter der kurzen Schrift, und man sollte sie deshalb nicht als zufällig tradiertes Relikt der Karolingerzeit behandeln, das für die kommende Entwicklung ohne Konsequenzen blieb. Die weit verzweigte handschriftliche Tradition der Admonitio synodalis während des 11. Jahrhunderts 6 2 weist im Gegenteil darauf hin, daß den hier überlieferten Vorstellungen über das Priesteramt durch die kirchliche Erneuerungsbewegung hohe Autorität zugesprochen wurde. Sie ist zugleich ein erster Beleg für die Tatsache, daß die Fragen des priesterlichen Dienstes im Denken der Reformer einen ganz zentralen Platz einnahmen. Unternimmt man nun den Versuch, einen kurzen Uberblick über die wichtigsten Gedanken der Admonitio synodalis zu geben, so fällt eine Tatsache sofort ins Auge: die starke episkopalistische Tendenz des Schreibens. Denn gleich zu Beginn verweist das auch unter dem Titel Sermo synodalis qui in singulis synodis parrochianis presbyteris est ennunciandus63 überlieferte Schriftstück darauf, daß die Bischöfe gewissermaßen den Platz Aarons eingenommen hätten 6 4 , also nach der Auslegung von Dekret II, 5 am Ausgangspunkt des Priesteramtes ständen, da Aaron bekanntlich als erster das sacrificium nicht aus spontanem Entschluß, sondern sacerdotali auetoritate dargebracht habe 6 5 . In scharfem Kontrast

6 2 Vgl. R. A m i et, wie Anm. 55, S. 1 3 - 4 0 und P . B r o m m er, Die bischöfliche Gesetzgebung Theodulfs von Orleans, in: Z R G K A 60 (1974) S. 35 A.221 und S. 119f. N r . 16. 6 3 Wie Anm. 60; das Zitat nach der Bamberger Handschrift. Der Wortlaut des Freiburger Codex wurde in Anm. 61 wiedergegeben. 6 4 Vgl. Admonitio synodalis, e d . R . A m i et, wie Anm. 55, c. 2, S. 41, linke Spalte. 6 5 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. 11,5, Sp. 626 B.

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dazu verkörpern die einfachen Priester nach Ansicht des Textes eher Eleazar und Ithamar, die beiden zum Dienst am Heiligtum berufenen Söhne Aarons 66 . Sie seien - neutestamentlich gesehen - an die Stelle der siebzig Jünger Jesu getreten, wohingegen die Bischöfe als Nachfolger der Apostel eingesetzt worden seien 67 . Wie die Bischöfe als geistliche Hirten der Priester über diese bei Christus Rechenschaft ablegen müßten 68 , so müßten sich die Priester ihrerseits als pastores animarum commissarum vor den Bischöfen verantworten69. Deshalb seien sie aufgerufen, die kirchenrechtlichen Vorschriften über daä Priesteramt genau zu beachten und die Sätze der Admonitio synodalis gut im Gedächtnis zu behalten70. Diese Bestimmungen sind offensichtlich in erster Linie mit der Absicht entworfen, das geistige und geistliche Niveau des Landklerus zu heben 71 . Unter den verschiedenen Aspekten, die von der Admonitio berücksichtigt werden, kommt dabei den Mahnungen zur vollkommenen Integrität der Lebensführung72, zur gewissenhaften curα animarum73 und zum ehrfürchtigen Dienst an den heiligen Sakramenten74 besondere Bedeutung zu, während die Warnung vor allzu großer Anpassung an die laikale Umwelt des Priesters75 eher im Hintergrund zu stehen scheint. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem die besondere Beachtung, die den Fragen der sakramentalen Heilsvermittlung geschenkt wird. Der Dienst an den Sakramenten wird augenscheinlich als Hauptaufgabe des Priesteramtes angesehen und scheint das alles beherrschende Thema des Synodalschreibens zu bilden. Gleich die vierte Ermahnung bezieht sich auf den gottesfürchtigen Vollzug der Liturgie, die fünfte Vorschrift schärft ein, daß Leib und Blut des Herrn cum timore et reverentia zu behandeln seien, und von nun an reißt die Kette der Aussagen über die ord-

Wie Anm. 64. Vgl. Admonitio, wie Anm. 64, c . 3 , S. 4 1 , linke Spalte. 6 8 Vgl. ebd. cc. 4 - 5 , S. 4 1 , linke Spalte. 6 9 Vgl. ebd. c. 4 , S. 4 1 , linke Spalte. 7 0 Vgl. ebd. c. 7, S. 4 2 , linke Spalte. 7 1 Vgl. dazu die nachgetragene Überschrift auf fol. 31 Or von Hs. 7 der Freiburger Universitätsbibliothek: Sermo sinodalis, in quo scriptum est, quodparrochianis presbiteris agendum et quod sit vitandwn. 7 2 Vgl. bes. Admonitio, wie Anm. 64, c. 8, S. 4 3 , zweite Spalte von links. 7 3 Wie Anm. 68. 7 4 Vgl. Admonitio, wie Anm. 64, cc. 1 1 - 2 7 , S. 4 3 - 4 7 u . ö . 7 5 Vgl. ebd. cc. 3 7 - 3 9 , S. 5 0 f . ; c. 4 5 , S. 53 und c. 67, S. 60. 66 67

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Erste kirchenrechtliche Reformversuche

nungsgemäße Spendung der Sakramente nicht mehr ab 76 . Es würde zu weit führen, alle Ermahnungen im einzelnen aufzuzählen, wichtig scheint mir aber die Feststellung, daß in vielen Sätzen ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der persönlichen Lebensführung der Priester und der Ausübung ihres Amtes hergestellt wird 77 . Gerade weil die sakramentale Heilsvermittlung nach Ansicht des Autors der Admonitio synodalis ausschließlich dem Klerus vorbehalten ist 78 , muß dieser auch durch pastorales Engagement dafür Sorge tragen, daß alle ihm anvertrauten Seelen Zugang zum ewigen Leben finden können 79 , und aus demselben Grund darf er sich nicht durch persönliche Verfehlungen schuldig machen80. Die untadelige Lebensführung und die Verpflichtung zur Seelsorge werden hier aufs engste mit der allen Priestern anvertrauten Sakramentenvermittlung verknüpft, und in dieser Verbindung muß eine der wichtigsten spirituellen Anregungen für das Wormser Dekret gesehen werden. Der Text des Sermo synodalis dokumentiert freilich auch eine Entwicklungslinie ganz anderer Art. Sätze wit Nullus per potestatem secularium ecclesiam obtineat81 waren ebenso wie die schon erwähnte Uberlieferung des sogenannten 31. apostolischen Kanons in Dekret III, 109 82 dazu geeignet, eine erste Abgrenzung des im Dienste der Sakramentenvermittlung stehenden Priesterstandes von jenen laikalen Gewaltenträgern einzu-

7 6 Die Ermahnungen werden im Haupttext durchgezählt ab dem Satz: Imprimis admonemus . . . (in der in Anm. 64 zitierten Edition: c. 8, S. 43). Den beiden erwähnten Vorschriften entsprechen in der Edition: cc. 1 1 - 1 2 , S. 4 3 . 7 7 Vgl. etwa: Admonitio, wie Anm. 64, c. 14, S. 4 4 : Nullus cantet missam nisi ieiunus. 7 8 Vgl. ebd. c. 3 3 , S. 4 9 , linke Spalte: Et nulluspraesumat tradere communionem laico aut feminae ad deferendum infirmo. 7 9 Vgl. ebd. c. 3 5 , S. 50, linke Spalte: Videte utper neglegentiam vestram nullus infans sine baptismo moriatur. (entspricht: Freiburg, Universitätsbibliothek Hs. 7, fol. 3 1 0 r , lin. 3 0 - fol. 3 1 0 v , lin. 1). 8 0 Wie Anm. 72. 8 1 Vgl. Admonitio, wie Anm. 64, c. 50, S. 55. Der Rechtssatz wurde hier zitiert in der Textgestalt von Freiburg, Universitätsbibliothek H s . 7, fol. 310va, lin. 3 0 - 3 1 0 v b , lin. 2 ; Bamberg, Staatsbibliothek Msc. Can. 6, fol. 3 v b , lin. 2 2 - 2 4 überliefert den gleichen Wortlaut. Die in der in Anm. 64 zitierten Edition der Admonitio den Burchard-Handschriften zugewiesene Variante (Nullus sine licentia episcopt per potestatem saecularium ecclesiam obtineat) repräsentiert damit eine später redigierte Fassung. 82

Vgl. Anm. 44.

Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms

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leiten, die die kirchlichen Angelegenheiten im Zuge des Eigenkirchenwesens und des ottonischen Reichskirchensystems so weitgehend beeinflußten. Auch wenn beide Passagen zur Entstehungszeit des Wormser Dekretes sicherlich noch nicht auf konkrete kirchenpolitische Spannungen bezogen waren und sich nur indirekt gegen die königliche Einsetzungspraxis richteten, so sind sie dennoch als Ausdruck eines grundsätzlichen Protestes gegen die Vergabe kirchlicher Ämter durch Laienhand zu bewerten. In den Wortlaut des Wormser Dekretes gingen damit Formulierungen ein, die in letzter Konsequenz zu dem vor allem von Humbert de Silva Candida verfochtenen Gedanken führen mußten, daß auch die Mitwirkung des gesalbten Herrschers bei der Bischofsweihe als unerlaubte Einmischung eines Laien in die Sakramentenvermittlung zu betrachten sei83. Allerdings war es bis zu einer solchen Argumentationsweise noch ein weiter Weg, aber die ersten Ansätze zur Entsakralisierung des Königtums waren - wie wir oben gesehen haben - mit Buch XV der Decretorum libri viginti schon gegeben84, so daß man nun die Frage stellen muß, ob sich nicht auch andere Verbindungslinien zwischen der Rechtssammlung des Wormser Bischofs und den Zielen und Methoden der sogenannten gregorianischen Reformbewegung aufzeigen lassen. Richten wir zur Beantwortung dieser Frage unser Augenmerk zunächst auf den an den Wormser Propst Brunicho adressierten Brief, den Burchard seinem Rechtsbuch beifügte, so wird klar, wo ein erster Zusammenhang zwischen der Arbeitsweise Burchards und dem Vorgehen der gregorianischen Erneuerungsbewegung zu suchen ist: im entschiedenen Rückgriff auf die autoritative Norm der Urkirche85. Der sich angeblich in den alten Rechtssammlungen widerspiegelnde Zustand der ecclesia primitiva aus apostolischer und patristischer Zeit wurde von Burchard als verbindlich für das priesterliche Leben der Gegenwart betrachtet und deshalb zur Richtschnur einer jeden Neubesinnung auf das Wesen des kirchlichen Amtes erklärt. Kein Priester dürfe die Kanones ignorieren, nieVgl. unten Kap. IV,1. Vgl. a u c h : A . M . Κ ο e n i g e r , Burchard I. von Worms und die deutsche Kirche seiner Zeit ( 1 0 0 0 - 1 0 2 5 ) . Ein kirchen- und sittengeschichtliches Zeitbild = Veröffentlichungen aus dem kirchenhistorischen Seminar München, II. Reihe Bd. 6 (München 1905) bes. S. 3 9 - 4 2 . 8 5 Vgl. Widmungsbrief, wie Anm. 4 7 , in: M I G N E P L 140, Sp. 4 9 9 - 5 0 2 , bes. Sp. 502. 83

84

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Erste kirchenrechtliche Reformversuche

mand etwas gegen die Vorschriften der Kirchenväter unternehmen, heißt es etwa in Dekret II, 160 8 6 , und diese Formulierung findet eine Analogie in Dekret I, 61, wo die Priester dazu aufgefordert werden, bei der Auslegung der Heiligen Schrift den Interpretationen der Kirchenväter zu folgen 87 . Die Wiederbelebung des apostolischen Zeitalters und seiner geistlichen Lebensformen war das Ziel der an Leitbildern aus der Karolingerzeit orientierten Reformbemühungen des Wormser Bischofs. Aus diesem Grund schenkte Burchard den kirchenrechtlichen Sammlungen des 8. bis 10. Jahrhunderts so große Beachtung. Der Ursprung des priesterlichen Standes wurde dabei nach pseudoisidorischem Vorbild in apostolische Zeit verlegt. Die in Mt 16 beschriebene Berufung Petri erschien nun als der neutestamentliche Beginn des Priesteramtes 88 . Der Apostel habe als erster die (priesterliche) Binde- und Lösegewalt, die Gnade Gottes und die Kraft der Verkündigung empfangen, und damit sei ihm gewissermaßen der erste Pontifikat der Kirchengeschichte anvertraut worden 89 . Die Dekretale Anaklets I. über die Zweiteilung des priesterlichen Standes entnahm Burchard ebenfalls der pseudoisidorischen Vorlage 90 . Wir wissen zwar nicht, ob er sie nur durch die Vermittlung der Collectio Anselmo dedicata91 kannte oder sie direkt Pseudoisidor entlehnte. Aber der am Kirchenrecht ausgerichtete Rückgriff auf die Zeit des Neuen Testaments zeigt eindeutig, daß Burchard die in den beiden erwähnten kanonistischen Sammlungen überlieferte Interpretation der biblischen Unterscheidung von Aposteln und Jüngern, die uns ja auch in der Admonitio begegnet, als normativ empfand. Sie war für ihn genauso verpflich-

Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. 11,160, Sp. 652. Vgl. ebd. Lib. 1,61, Sp. 564; aufschlußreich ist auch ebd. Lib. 111,2, Sp. 673f., weil dort der Zustand der Urkirche als Leitbild propagiert wird. 8 8 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. 1,1, Sp. 549. 8 9 Vgl. ebd. Lib. 1,1, Sp. 549: In Novo autem Testamente post Christum dominum nostrum, a Petro sacerdotalis coepit ordo, quia ipsiprimopontificatus in Ecclesia Christi datus est . . . Hie ergo ligandi solvendique potestatem primus accepit α Domino, primusque ad fidem populum Dei gratia, et virtute suaepraedicationis adduxit. Zur kanonistischen Vorlage: H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, Bd. 3 (Stuttgart 1974) S. 862 f. N r . 181. 86 87

9 0 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. 1,4, Sp. 550f. und zur kanonistischen Tradition: H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, Bd. 3 (Stuttgart 1974) S. 950f. N r . 354. 9 1 Vgl. dazu: ebd. S. 950 N r . 354.

Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms

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tend wie jene kirchenrechtliche Auslegung der vita communis der Urkirche, die in Dekret III, 2 vorgenommen wird 92 . Diese Passage geht möglicherweise ebenfalls über die Vermittlung der Collectio Anselme dedicata auf die pseudoisidorischen Dekretalen zurück und knüpft an die Beschreibung des Gemeinschaftslebens der ersten Gemeinden in der Apostelgeschichte an 93 . Die Jünger Jesu hätten in der Geburtsstunde der Kirche in unum congregati ohne persönlichen Besitz mit der Vielzahl der Gläubigen zusammengelebt, liest man bei Burchard, und diese Lebensweise habe nicht nur die Völker, sondern auch die römischen Kaiser zum Glauben und zum Empfang des Taufsakraments geführt 94 . Der Verzicht auf Privateigentum und dievita communis nach neutestamentlichem Vorbild scheint für den Wormser Bischof geradezu das Muster priesterlicher Lebensführung abzugeben. Vor diesem Hintergrund wird einsichtig, warum Burchard die Kanonikerreform im Schöße der deutschen Reichskirche so energisch unterstützte. Wie in karolingischer Zeit wurde das Zusammenleben von Priestern als Erneuerung der Kirche im Geiste der Urkirche empfunden, aber nun trat der Gedanke der asketischen Selbstheiligung noch stärker in den Vordergrund, als dies schon in den Bestimmungen der Aachener Regel von 816 der Fall war. Es sollte zwar noch eine Weile dauern, bis der Widerspruch zwischen den von Burchard propagierten Reformgedanken und den Eigentumsbestimmungen der Institutio canonicorum von 816 95 offen zutage trat. Aber die Anfänge dieser Entwicklung, die auf der Lateransynode von 1059 auf gesamtkirchlicher Ebene einen ersten Höhepunkt erleben sollte, lagen durchaus bei Burchard, dessen kanonistische Rückschau viel fortschrittlicher war, als es zunächst den Anschein hat.

Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. 111,2, Sp. 673 f. Vgl. H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, Bd. 3 (Stuttgart 1974) S. 884f. Nr. 226. 9 4 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. 111,2, Sp. 6 7 3 f . : . . . in principio nascentis Ecclesiae, discipuli in unum congregati sunt cum multitudine credentium, in quibus erat cor unum et anima una, quique, vendentes praedia et possessiones suas, adferebant pretia, et dividebatur singulis prout cuique opus erat . . . utnon solum gentes, sed etiam Romaniprincipes, qui bene totius orbis monarchiam tenebant, ad fidem Christi et ad baptismi sacramentum concurrerent. 9 5 Vgl. Institutio Canonicorum Aquisgranensis, ed. A . W e n n i n g h o f f , in: M G Concilia Bd. 11,1 (Legum Sectio III, Bd. 11,1) (Hannover/Leipzig 1906) cc. 115, 116 und 120, S. 3 9 7 - 4 0 0 und unten Kap. V unserer Arbeit. 92

93

72

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

In Anbetracht dieser Tatsache scheint das zweite auf der Admonitio synodalis aufbauende Element der Reformbestrebungen Burchards, die starke Betonung der liturgisch-sakramentalen Heilsvermittlung, auf den ersten Blick mehr traditionellen Gesichtspunkten verpflichtet. Gewiß gewann die Sorge für das Seelenheil der Gläubigen während der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts besonderen Stellenwert, doch wirkt die von Burchard vollzogene Aufwertung der Sakramentenvermittlung zunächst eher als zeitloses Ergebnis eines pastoralen Sendungsbewußtseins des Wormser Bischofs denn als der Beginn eines Reformansatzes zur Erneuerung des priesterlichen Lebens. Führt man sich aber die enge Verknüpfung von priesterlicher Lebensweise und ordnungsgemäßer Vermittlung der Sakramente vor Augen, auf die wir noch zu sprechen kommen müssen, und bedenkt die Tatsache, daß die an die Vermittlung gültiger Sakramente gebundene Sorge für das Seelenheil der Gläubigen in Dekret I, 1 zum Ausgangspunkt des Priesteramtes gemacht wird 9 6 , so drängt sich doch eher der Eindruck auf, daß mit dem Dekret des Bischofs Burchard von Worms ein erster Anstoß zur Neubesinnung auf den Charakter des kirchlichen Amtes gegeben war. Die Wiederaufnahme der in der Admonitio geäußerten Gedanken zeigt sich nun ebensowenig als das Ergebnis eines Uberlieferungszufalls, wie man den Umstand, daß Buch IV und V der Wormser Sammlung ausschließlich der Taufe und dem Altarssakrament gewidmet sind, als bloße Folge eines Bemühens um gute Benutzbarkeit des Dekretes interpretieren möchte 97 . Die zwischen der persönlichen Integrität des Priesters und der den Normen des kanonischen Rechts genügenden Sakramentenvermittlung gezogene Verbindung erscheint dabei in erster Linie als Folge einer starken Intensivierung aus der Karolingerzeit übernommener Leitbilder, sie sollte aber nicht als gedankenlose Rezeption zufällig tradierter Bestimmungen verstanden werden 9 8 . Daß der im Dekret Burchards wiederentdeckte Zusammenhang zwischen der Lebensweise der kirchlichen Amtsträger und der Weitergabe gültiger Sakramente sich einmal zum theologischen Problem entwickeln würde, mag sich im historischen Rückblick als unvermeidbare Notwendigkeit darstellen. Tatsächlich bedurfte es dazu jedoch einer religiösen

96 97 98

Wie A n m . 88. Vgl. Burch. Decr., wie A n m . 18, Lib. IV-V, Sp. 7 2 7 - 762. Vgl. zu dieser Wertung etwa: H . F u h r m a n n , wie A n m . 18, S. 4 7 9 f f .

Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms

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Neubesinnung, in der es vor allem um die Wirkung jener Sakramente ging, die von unwürdigen Priestern vermittelt wurden. Sie erlebte offenkundig in der Wormser Rechtssammlung eine erste kanonistische Fixierung, die nicht mehr - wie die meisten der zeitgenössischen Synodalbeschlüsse - ihren Ausgang von konkreten situationsbezogenen Streitfragen nahm, sondern von der grundsätzlichen Überlegung, wie man den Zugang zum ewigen Leben für möglichst alle Gläubigen sicherstellen kön99

ne . Es fällt allerdings nicht ganz leicht, das Gewicht richtig zu bestimmen, das die Vorschriften über den priesterlichen Lebenswandel in bezug auf die Frage der Sakramentenvermittlung besitzen. Zwar veranschaulichen Stellen wie Dekret I, 16100 oder II, 1-3 und II, 9-22 101 , daß es nach Ansicht des Wormser Bischofs gewisser Voraussetzungen bedurfte, um eine optimale Heilsvermittlung zu gewährleisten, aber das theologische Problem, unter welchen Umständen ein Sakrament als gültig anzusehen sei, ist damit noch nicht befriedigend gelöst. Diese Frage wird erst dann teilweise beantwortet, wenn man die Behandlung der Themenkreise Simonie und Nikolaitismus im Gesamtrahmen des Dekretes untersucht. Dabei zeigt sich, daß die Simonie als das bei weitem schwerere Übel angesehen wird, weil sie als Sünde gegen den Heiligen Geist interpretiert wird. Im Rückgriff auf Gregor den Großen betont Burchard, bei dieser Häresie verwandele sich die benedictio in eine maledictio und das Priestertum gehe zugrunde 102 . Daher treffe sowohl den Spender als auch den Empfänger einer solchen Weihe für Geld die Verdammung des Simon 103 , aus der niemand erlöst werden könne. Wer durch simonistischen Handel den Bischofsstuhl erlangt habe, solle als gewöhnlicher Laie betrachtet werden und bis an sein Lebensende vom Altarsakrament ausgeschlossen bleiben 104 . Die Gnade des Heiligen Geistes könne nämlich nicht verkauft werden, also entstehe auch keine priesterliche Amtsgewalt aus simonistischer Ordination 105 . 99

Diese pastorale Intention wird besonders gut faßbar in dem in Anm. 47 zitierten Widmungsbrief, in: M I G N E PL 140, Sp. 499f. 100 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. 1,16, Sp. 553. 101 Vgl. ebd. Lib. 11,1-3, Sp. 625f. und ebd. Lib. 11,9-22, Sp. 627f. 102 Vgl. ebd. Lib. 1,21, Sp. 555. 103 Vgl. ebd. Lib. 1,22, Sp. 555. 104 Vgl. ebd. Lib. 1,19, Sp. 554; ähnlich ebd. Lib. 11,1, Sp. 625. 105 Vgl. ebd. Lib. 1,112, Sp. 583.

74

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

Im Unterschied zu dieser prinzipiellen Wendung gegen die Gültigkeit simonistisch gespendeter Sakramente, die in H u m b e r t de Silva Candida und Papst Leo IX. Gesinnungsgenossen finden sollte, urteilt Burchard, was die Priesterehe anbetrifft, wesentlich milder. Der seit der Spätantike in der lateinischen Kirche vorgeschriebene Zölibat wurde zwar einerseits als Gebot herausgestellt, dem sich alle Priester zu unterwerfen hätten 1 0 6 . Andererseits jedoch wurde der Verstoß gegen die kanonistische N o r m , den man nach Apok 2, 6. 14ff. als Nikolaitismus bezeichnete, von Burchard keineswegs als unverzeihbare Sünde gegen den Heiligen Geist gedeutet. Der Wormser Oberhirte verstand ihn vielmehr als ein schweres, von der Priesterwürde ausschließendes Vergehen, von dem man sich durch strenge Buße reinigen müsse 1 0 7 . Der im Konkubinat lebende Priester unterschied sich damit grundlegend vom simonistisch Geweihten, weil die Verfehlung des Nikolaitismus den Amtsträger nur vom priesterlichen Dienst ausklammerte, nicht aber verhinderte, daß der mit einer Frau zusammenlebende Geistliche nach tätiger Reue wieder Zugang zu den heiligen Sakramenten finden könne. Die Frage der Gültigkeit von Sakramenten, die durch nikolaitische Priester vermittelt worden seien, stellte sich für Burchard offenbar gar nicht, woraus man schließen kann, daß sie für ihn längst nicht ein so großes Problem bildete wie der simonistische H a n del mit Sakramenten, Ämtern und Weihen. Die Simonie wurde dagegen in Anlehnung an Gregor den Großen selbst dann als Sünde gegen den Heiligen Geist verstanden, die nach Mt 12, 31 nicht vergeben werden könne, wenn es sich nicht um eine Geldzuwendung (munus α manu), sondern um eine Dienstleistung (munus ab obsequio) oder eine Begünstigung durch Fürsprache (munus a lingua) handelte 1 0 8 . Sie machte den Priester zum Häretiker und Schloß ihn auf Dauer aus der kirchlichen Gemeinschaft aus. Ein dritter mit der Admonitio übereinstimmender Aspekt des Priesterideals, der für Burchard eine wichtige Rolle spielte, läßt sich in dem Bestreben erkennen, das priesterliche Amt in eine weitgehend episkopalisti-

106 Vgl. etwa: ebd. Lib. 1,195, Sp. 607f.; ebd. Lib. 11,108-118, Sp. 645f.; ebd. Lib. 11,148, Sp. 650 und ebd. Lib. 11,157, Sp. 651. 107 Vgl. ebd. Lib. 11,108, Sp. 645 und ebd. Lib. 1,195, Sp. 607f. 108 Vgl. ebd. Lib. 1,113, Sp. 583 und ebd. Lib. 1,22, Sp. 555.

Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms

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sehe Kirchenordnung einzubinden 109 . Die bischöfliche Gewalt wurde zu diesem Zweck als Grundlage und Ausgangspunkt des Priesteramtes herausgestellt. Burchard ging sogar soweit, das Papsttum auf eine durch den Sitz in Rom begründete Vorrangstellung zu beschränken, die sich nicht qualitativ vom Amt der anderen Bischöfe abheben lasse 110 . An die Priester gerichtete Forderungen wie die der stabilitas loci111, der Enthaltsamkeit von weltlichen Geschäften 112 und das Verbot, Waffen zu tragen 113 , erscheinen vor diesem Hintergrund in erster Linie als Maßnahmen zur Sicherung der bischöflichen Gewalt, deren besondere Betonung schon dadurch sinnenfällig wird, daß das erste Buch der Rechtssammlung in Msc. can. 6 der Bamberger Staatsbibliothek, einer der ältesten Dekrethandschriften, mit dem Titel De episcopatu überschrieben ist 114 und die Priester in der Admonitio als bloße cooperatores ordinis nostri115 bezeichnet werden, die den Bischöfen über ihre Amtsführung Rechenschaft abzulegen hätten. Burchard ist in dieser Hinsicht wirklich als typischer Vertreter des Reichsepiskopats ottonisch-frühsalischer Prägung zu bezeichnen, wobei allerdings der laikalen Verfügungsgewalt über kirchliche Angelegenheiten entgegenstehende Tendenzen nicht zu verleugnen sind. Ein vierter Gesichtspunkt, die Ermahnung zur gewissenhaften Seelsorge , scheint dagegen weniger zeitgebunden. Er erweist sich eher als unaufgebbarer Grundbestand kirchlicher Forderungen an das Priesteramt, der sich seit der Aussendung der Apostel wie ein roter Faden durch die Geschichte des Priestertums zieht. Gute Kenntnis von Schrift und Liturgie, Verpflichtung zum Kerygma und Unterweisung in den wichtigsten 116

109

Vgl. zu dieser Wertung z . B . M. K e r n e r , wie Anm. 26, S. 45ff. (1) und H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 4 4 7 - 4 5 0 , der einen Uberblick über den Gang der Forschung in dieser Frage vermittelt. 110 Vgl. Burch. Decr., wie Anm. 18, Lib. 1,3, Sp. 550: Ut primae sedis episcopus non appelletur prineeps sacerdotum, aut summus sacerdos, aut aliquid hujusmodi, sed tantum primae sedis episcopus. 111 Vgl. ebd. Lib. 11,80, Sp. 640 und ebd. Lib. II,97f., Sp. 643. 112 Vgl. ebd. Lib. 11,145, Sp. 649. 113 Vgl. ebd. Lib. 11,211, Sp. 661. 114 Als Kurzüberschrift auf den Recto-Seiten von Lib. I - erstmals in Bamberg, Staatsbibliothek Msc. Can. 6 auf fol. 11 r - wird dieser Titel durchgehend gebraucht. 115 Vgl. Admonitio, wie Anm. 64, c. 1, S. 41, linke Spalte. 116 Vgl. besonders Decr. Burch., wie Anm. 18, Lib. 11,55, Sp. 635f.

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

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Gebeten der Kirche haben zu allen Zeiten zu den Aufgaben der Geistlichen gehört und sollten deshalb nicht als spezifische Reformforderungen Burchards angesehen werden. Versucht man aus unseren Beobachtungen zum Priesterbild des Wormser Bischofs ein kurzes Fazit zu ziehen und sie mit den von Max Kerner 1 1 7 und Horst Fuhrmann 118 besprochenen Interpretationsansätzen der Forschung zu vergleichen, ergeben sich folgende Eindrücke: Gegenüber der von Horst Fuhrmann, Theodor Schieffer und Oskar Köhler repräsentierten Forschungsansicht 119 , die im Dekret Burchards vor allem eine praxisbezogene Äußerung „eines auf Recht und Ordnung bedachten Reichsbischofs" 1 2 0 erkennt, darf betont werden, daß sich das Interesse des Wormser Bischofs durchaus auch auf ekklesiologische Fragen richtete. Aufbauend auf den Ergebnissen Theuerkaufs 121 , Koenigers 122 und Kerners 123 zeichnet sich ab, daß die Wormser Rechtssammlung keineswegs bloß eine kanonistische Formulierung einer insgesamt stabil erscheinenden innerkirchlichen Ordnung 1 2 4 war, sondern auch ein erster Reformansatz, der über die angeblich von den Kirchenvätern vorgegebene kanonische Norm eine Erneuerung der priesterlichen Lebensweise und der mit ihr zusammenhängenden sakramentalen Heilsvermittlung erstrebte. Dabei kam es einerseits zu einer Wiederaufnahme der Reflexion über den Zusammenhang zwischen dem Lebenswandel des geistlichen Amtsinhabers und der

Vgl. M . K e r n e r , wie Anm. 26, S. 3 6 - 3 8 (1) und S. 2 6 A . 193 - 2 0 4 (2). Vgl. H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 4 4 7 - 4 5 0 . 1 1 9 Vgl. ebd. S. 4 4 2 - 4 8 5 ; Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 2 7 , S. 1036 und O . K ö h l e r , Die Ottonische Reichskirche. Ein Forschungsbericht, in: Adel und Kirche. G . T e i l e n b a c h zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hrsg. v. J . F l e c k e n s t e i n und K . S c h m i d (Freiburg i . B r . 1968) S. 187 mit Verweis auf A . K u p p e r , Beiträge zum Problem der Simonie im 11. Jahrhundert (Diss. Mainz 1954) S. 33. 1 2 0 H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 4 8 5 . 1 2 1 Vgl. G . T h e u e r k a u f , wie Anm. 4 7 , S. 1 4 4 - 1 6 1 , der im Geistlichen bei Burchard vor allem einen Träger der Rechtskenntnis erblickt. 1 2 2 Vgl. A . M . K o e n i g e r , wie Anm. 84. 1 2 3 Vgl. M . K e r n e r , wie Anm. 26. 1 2 4 Vgl. Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 2 7 , S. 1036. Ähnlich ist eine Formulierung v o n O . K ö h l e r , wie Anm. 119, S. 187: „ D a s Decretum Burchards von Worms repräsentiert genau die Verfassung der Ottonischen Reichskirche, in der das alte kirchliche Recht mitgeführt wird, ohne daß jemand auf den Gedanken kommen konnte, es der Realität der Reichskirche anzupassen ( 2 3 3 ) . " 117

118

Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms

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Spendung gültiger Sakramente, andererseits zu einer deutlichen Abgrenzung der sacri ordines gegenüber dem Laienstand. Die Einbeziehung geistlicher Ämter, Güter und Weihen in die Verfügungsgewalt des Königs wurde als störend empfunden, der Herrscher eindeutig als Laie identifiziert 1 2 5 . Wie umwälzend die Gedanken Burchards trotz ihrer starken Orientierung an älteren Vorlagen waren, zeigt ein kurzer Blick auf die Ende des 10. Jahrhunderts entstandene Collectio canonum Abbos von Fleury 1 2 6 . Zwar vertritt diese Sammlung genau wie das Rechtsbuch Burchards den Standpunkt, simonistisch vermittelte Sakramente seien unwirksam 127 , und ermahnt zur untadeligen priesterlichen Lebensführung 128 . Auch ist hier derselbe Rückgriff auf die patristische Norm zu beobachten, der bei Burchard als eines der Grundmotive für die Erstellung des Dekretes gelten kann 1 2 9 . Aber schon bei der Frage nach der priestergleichen Stellung des Königs zeigt sich, daß der Wormser Bischof von ganz anderen Voraussetzungen ausging als der gelehrte Mönch aus Fleury. Während Abbo bemüht war, den gesalbten König 1 3 0 gewissermaßen in eine Ebene mit Bischöfen und Äbten zu ziehen, um ihm damit eine geistliche Qualität zu verleihen 131 , versuchte Burchard der königlichen Verfügungsgewalt über die Reichskirche die ideellen Grundlagen zu entziehen. Die Kanonessammlung des cluniazensischen Mönchs aus Fleury diente der Stabilisierung des französischen Königtums, das Dekret Burchards einer religiösen Neubesinnung, die zu einer theoretischen Abgrenzung von Priesteramt und Königs würde führte. Führt man sich dazu noch den Umstand vor Augen, daß die Betonung von Priesteramt und Eucharistiefeier bei Abbo ein Ergebnis seiner traditionsgebundenen cluniazensischen Spiritualität war, während sie bei BurVgl. Anm. 4 0 , 44 und 84. Vgl. Sancti Abbonis Floriacensis abbatis Collectio canonum, in: M I G N E P L 139, Sp. 4 7 1 - 5 0 8 . 1 2 7 Vgl. ebd. c. 13, Sp. 483 f., bes. Sp. 484 A . 1 2 8 Vgl. ebd. c. 3 9 , Sp. 4 9 5 f . 1 2 9 Vgl. ebd. c. 8, Sp. 481 f. 1 3 0 Vgl. ebd. c. 4 , Sp. 478 C : ordinatus rex. 1 3 1 Vgl. ebd. c. 4 , Sp. 4 7 8 f . , bes. Sp. 478 B. Vgl. dazu etwa: G . A . B e z z o l a , Das ottonische Kaisertum in der französischen Geschichtsschreibung des 10. und beginnenden 11. Jahrhunderts = Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Bd. 18 (Graz/Köln 1956) S. 152. 125

126

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Erste kirchenrechtliche Reformversuche

chard den Beginn eines Bemühens um Reform des priesterlichen Amtes aus der Perspektive eines bedeutenden Bischofs des deutschen Reichs war, dann liegt klar auf der H a n d , wie unterschiedlich die Grundabsichten beider Rechtsgelehrten war. Man sollte deshalb dem Wormser Dekret großen Einfluß auf die kommende Entwicklung der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts zuerkennen und die Sammlung nicht mehr als kanonistische Festschreibung einer innerkirchlichen O r d n u n g ansprechen, die noch ganz dem Frühmittelalter verpflichtet gewesen sei.

2.

D i e C o l l e c t i o c a n o n u m in V l i b r i s

Ähnliches gilt auch für die zweite kanonistische Sammlung der Zeit Papst Benedikts VIII.: die sogenannte Collectio canonum in Vlibris132. Sie entstand, wie man unter anderem an der handschriftlichen Uberlieferung der Synodalstatuten von 1014 erkennen kann, im unmittelbaren Umkreis des Tuskulanerpapsttums und sollte schon in Anbetracht dieser Tatsache nicht als ein für die monastische Praxis bestimmtes Zeugnis vorgregorianischer Spiritualität abgetan werden, das für die Kirchenreform nicht von Belang war 1 3 3 . Genau wie das Rechtsbuch Burchards in der Bischofsversammlung von Seligenstadt (1023) ein synodales Echo fand 1 3 4 , erweckte auch die in Italien entstandene Fünfbüchersammlung vielleicht schon auf dem päpstlichen Generalkonzil von Pavia (1022) das Interesse der Reformer. Diese Aufmerksamkeit ließ auch während der allgemeinen Kirchenreform nicht nach, wie man an der - allerdings erst fragmentarisch erschlossenen - Rezeptionsgeschichte 1 3 5 des Werkes sehen kann, und so

132

Vgl. Collectio, wie Anm. 4; zu der bereits in Anm. 4 angesprochenen Tatsache, daß die Anzahl der Einzelkapitel in der Edition weitaus größer ist, als es dem handschriftlichen Befund von Cod. Vat. Lat. 1339 der Biblioteca Apostolica Vaticana entspricht, ist noch ein Aufsatz nachzutragen, der sich mit diesem Problem beschäftigt: H . H e e s , Die Collectio Farfensis, in: Bulletin of Medieval Canon Law, N . S . 3 (1973) S. 1 1 - 4 9 , bes. S. 11-13. 133 Zur handschriftlichen Uberlieferung der Synodalbeschlüsse von 1014 durch die in Anm. 4 zitierte Collectio canonum in V libris vgl. vor allem: Μ. F ο r η a s a ri, Enrico II, wie Anm. 4, S. 4 6 - 5 5 . 13 f Vgl. dazu zuletzt: H . F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 452 A. 77. Vgl. H . H e e s , wie Anm. 132, S. 11 ff. und A . T h e i n e r , wie Anm. 150, S. 304 ff.

Die Collectio canonum in V libris

79

verdient der Umstand Beachtung, daß Benedikt VIII. auf der Synode von Pavia einen Gedanken zitierte, der möglicherweise aus der Präfatio der Collectio canonum in V libris entlehnt wurde 1 3 6 . Darüber hinaus ist sehr interessant, daß zwischen den Kanones der päpstlichen Synoden von 1014 und 1022 einerseits und den Schwerpunkten der italienischen Rechtssammlung andererseits eine auffallende Ubereinstimmung besteht. In beiden Fällen geht es vor allem um die Reform des priesterlichen Lebens, so daß die Vermutung nicht ganz abwegig scheint, der Verfasser der Rechtssammlung sei möglicherweise ein Vertreter derselben Reformbewegung, die auch auf den Synoden wirksam wurde. Natürlich darf man den Einfluß der Fünfbüchersammlung schon angesichts ihrer schmalen handschriftlichen Uberlieferung nicht überbewerten, dennoch war es für die sich allmählich abzeichnenden Veränderungen der bestehenden Kirchenstruktur nicht ohne Bedeutung, daß der Autor des Rechtsbuches in fast allen wichtigen Reformanliegen eine ähnliche Position bezog wie Burchard von Worms. Schon ein kurzer Blick auf die vierteilige Präfatio des ersten Buchs verdeutlicht, wie weit die Ubereinstimmung in der Grundtendenz ging: Gleich zu Beginn von Buch I der italienischen Sammlung heißt es nämlich, der Geistliche würde Kleriker genannt, weil er von der Art jenes Matthäus sei, der nach Apg 1 als erster durch die Apostel geweiht worden sei 137 . Der griechische Ausdruck Cleros bedeute lateinisch sors oder haereditas: in der Bezeichnung Kleriker komme also zum Ausdruck, daß die Geistlichen de sorte Domini seien 138 . Die Priester würden sacerdotes genannt, weil sie das sacrum darbrächten. Ähnlich wie der Königsname sich a regendo herleite, sei der priesterliche Name a sacrificando entstanden 139 . Der Ursprung der Priesterwürde rühre alttestamentlich von Aaron her, der als erster mit Talar und Stola als Abzeichen seiner Priesterwürde bekleidet worden sei. Der Hohepriester des Alten Bundes verkörpere deshalb den ersten Bischof, während seine Söhne den Platz des einfachen Priesters eingenommen hätten 140 . Neute-

136 137 138 139

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

unten Anm. 168-170. Collectio, wie Anm. 4, ebd. Lib. 1,1, S. 21, Z. ebd. Lib. 1,1, S. 22, Z. ebd. Lib. 1,4, S. 25, Z.

Lib. 1,1, S. 21, Z. 5f. 7-9. 41-43. 2-8.

80

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

stamentlich beginne der bischöfliche Ordo mit dem Apostel Petrus und mit Jakobus, dem Bischof der Bischöfe141. Die Aufgaben der verschiedenen Glieder des Klerus seien teils identisch, teils verschieden: Jedem Priester sei es aufgetragen, die Eucharistie zu feiern, zu predigen und zu taufen142, dem Bischof sei die Ordination der Kleriker und eine gewisse Oberaufsicht vorbehalten143. Allen Priestern gemeinsam sei jedoch die Verpflichtung zur Unterweisung der Völker und das Predigeramt144. Verglichen mit Burchard zeigen diese Gedanken ein hohes Maß an Ubereinstimmung. Sowohl das Bestreben, eine biblische Begründung für das Priesteramt zu finden, als auch der Versuch, das sacerdotale officium durch die Aufgabe der sakramentalen Heilsvermittlung zu definieren, erinnern uns an das Wormser Dekret. Lediglich das nachdrückliche Interesse für die Etymologie von Begriffen wie clerus, sacerdos, episcopus und presbyter unterscheidet den vielleicht mit der griechischen Welt in Berührung gekommenen Anonymus von Burchard von Worms. Ansonsten sind bei ihm der nämliche Rückgriff auf die autoritative Norm der Urkirche zu beobachten, dieselbe Aufwertung des Bischofsamtes und die gleiche Vorliebe für die in den kanonistischen Sammlungen überlieferten Vätertexte 145 . Auch die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen priesterlicher Lebensführung und Sakramentenvermittlung wird ganz genauso angegangen wie in der Wormser Sammlung. An die Stelle der Admonitio tritt hier zwar ein Epilog Qualiter clerici vivere debeant, der in den Text der Kanonessammlung integriert wurde146. Aber Zweck und Intention dieses mehrere Seiten umfassenden Abschnittes unterscheiden sich kaum von denen des synodalen Mahnschreibens der Burchard-Handschriften, lediglich der Aspekt der Selbstheiligung tritt etwas stärker in den Vordergrund. Er ist jedoch verbunden mit Aufforderungen zur Seel-

Vgl. Vgl. 1 4 3 Vgl. S. 21 f., Z. 1 4 4 Vgl. 1 4 5 Vgl. 1 4 6 Vgl. 141

142

ebd. Lib. ebd. Lib. ebd. Lib. 27-32. ebd. Lib. ebd. Lib. ebd. Lib.

1,4, S. 2 5 , Z. 9 - 1 1 . 1,2, S. 2 4 , Z. 9 - 1 1 und ebd. Lib. 1,3, S. 2 5 , Z. 3 - 5 . 1,36, S. 3 8 ; ebd. Lib. 1,5, S. 2 5 , Z. 2 - 6 und ebd. Lib. 1,1, 1,36, S. 38, Z. 3 - 7 . 11,1, S. 179. 11,12, S. 1 8 5 - 1 8 8 .

Die Collectio canonum in V libris

81

sorge 147 , zur Pflege der vita communis148 und zum ehrfürchtigen Vollzug der Liturgie 149 , so daß man trotz der Annäherung an monastische Leitbilder nicht von einer einfachen Monachisierung des Priesterideals sprechen kann. Man wird die Aussageabsicht des Epilogs eher mit den Leitvorstellungen der Kanonikerreform im Schöße der deutschen Reichskirche vergleichen können, wobei freilich zu berücksichtigen ist, daß der in der Collectio canonum in V libris überlieferte Wortlaut aus der im 10. Jahrhundert entstandenen Collectio Vallicelliana übernommen wurde 1 5 0 , die ihrerseits auf ältere Vorlagen zurückging 151 . Versucht man, einen Uberblick über die wichtigsten Aussagen der Fünfbüchersammlung zum priesterlichen Amt zu geben und begnügt sich nicht mit einer Analyse des kurzen Epilogs über die Lebensweise des Klerus, dann fällt auf, daß den mit der Sakramentenvermittlung zusammenhängenden Fragen besondere Beachtung geschenkt wird. Sowohl die Abhandlung der Themenkreise Simonie und Nikolatismus 152 als auch die scharfen Strafbestimmungen für Vergehen gegen das Altarsakrament 153 dürften wohl durch eine Neubesinnung auf die heilsvermittelnde Funktion der Sakramente hervorgerufen worden sein; der breite Raum, den die Aussagen über die richtige Lebensführung der Priester einnehmen 154 ,

147

Vgl. ebd. Lib. 11,12, S. 186. Vgl. ebd. Lib. 11,12, S. 187. 149 Vgl. ebd. Lib. 11,12, bes. S. 187. 150 Vgl. Α. Τ h e i η e r, Disquisitiones criticae in praecipuas canonum et decretalium collectiones seu Sylloges Gallandianae dissertationum de vetustis canonum collectionibus continuatio (Rom 1838) S. 286f. 151 Vgl. dazu die in der Einleitung der Collectio, wie Anm. 4 , S . XIII A. ^ z i tierte Literatur, insbesondere P . F o u r n i e r , D e l'influence de la collection canonique irlandaise sur la formation des collections canoniques, in: Nouvelle Revue historique de droit franjais et etranger 23 (1899) S. 2 7 f f . 152 Vgl. ebd. Lib. 1 , 4 9 - 5 6 , S. 4 3 - 4 7 ; ebd. Lib. 1,59-Lib. 1,70, S. 50 - 64 (zur Simonie); ferner: ebd. Lib. 1,121-138, S. 8 8 - 9 6 und ebd. Lib. 11,16-79, S. 1 8 9 - 2 2 8 (zum Nikolaitismus). 153 Vgl. etwa: ebd. Lib. IV,324: De eucharistia neglecta, hier zitiert nach Cod. Vat. Lat. 1339 der Biblioteca Apostolica Vaticana, fol. 223 ra, lin. 3 0 - 2 2 3 rb, lin. 16, da der Kanon bisher noch nicht ediert wurde und mir die beiden anderen bekannten Handschriften der Rechtssammlung (vgl. Anm. 12) nicht zugänglich waren. Ähnlich scharf sind die Bestimmungen in ebd. Lib. IV,325 fol. 223 rb, lin. 1 6 - 2 2 3 va, lin. 31. 154 Vgl. etwa: Collectio, wie Anm. 4, Lib. 11,11-103, S. 1 8 4 - 2 4 2 . 148

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

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deutet in die gleiche Richtung. Kennzeichnend für den Autor der Rechts Sammlung ist dabei eine auf eine starke Intensivierung des kanonistischen Wissens gestützte Zuwendung zu einer Reformierung des priesterlichen Lebens. Dieses ausgeprägte Interesse für alle Fragen des priesterlichen Amtes besaß zwei in die Zukunft weisende Schwerpunkte: die Erörterung der Problemkreise Simonie und Nikolaitismus. Dabei bildet der in Buch I tradierte 155 Konzilsbeschluß von 1014.De his quiperpecuniam sunt ordinati einen zentralen Rechtssatz in jener langen Reihe von Bestimmungen, die sich auf den simonistischen Handel mit Ämtern und Sakramenten beziehen. Die diesem Statut vorangestellten Texte dienen seiner kirchenrechtlichen Legitimierung und stehen dabei auf hohem theologischem Niveau. Denn Autoritäten wie Hieronymus, Augustinus und Gregor der Große werden ebenso bemüht wie das Konzil von Chalzedon; die Vielfalt der eingesetzten Zitate aus der Heiligen Schrift verrät den geübten Exegeten. Dennoch wird die Frage der Gültigkeit simonistisch gespendeter Sakramente nicht so eindeutig beantwortet wie im Wormser Dekret. Zwar dokumentiert die Formulierung, bei simonistischer Ordination könne man nur den priesterlichen Namen, nicht aber die Amtsgewalt empfangen 1 5 6 , daß dem Kompilator das Problem bewußt war. Aber es stand im Unterschied zur Wormser Sammlung nicht im Vordergrund, sondern war nur ein - eher beiläufiges - Ergebnis der Frage, wie man das Vorgehen gegen die Simonie biblisch und kanonistisch begründen könne. Die auf Gregor den Großen zurückgehende Distinktion von drei verschiedenen Formen der Simonie war dabei genauso wichtig wie die Zitation der neutestamentlichen Belegstellen 157 . Der Handel mit kirchlichen Ämtern wurde in erster Linie als verdammenswerte Sünde gegen den Heiligen Geist angesehen, die sich aus ihm ergebenden Konsequenzen für das Seelenheil der Gläubigen klingen nur in wenigen Passagen an 1 5 8 .

Vgl. Vgl. 1 5 7 Vgl. aufgeführt S. 50 - 64. 1 5 8 So Z. 8f.: . . 155 156

ebd. Lib. 1,72, S. 63. ebd. Lib. 1,69, S. 61, Z. 3 - 5 . etwa: ebd. Lib. 1,60, S. 51; die neutestamentlichen Belegstellen sind im kritischen Apparat der in Anm. 4 zitierten Edition der Collectio, heißt es etwa in Collectio, wie Anm. 4, Lib. 1,61, . quia ruina populi maxime ex culpa sacerdotum fuit . . .

S. 52,

Die Collectio canonum in V libris

83

Im Gegensatz dazu wurde der Zölibatsfrage ganz andere Bedeutung zuerkannt. Insbesondere der in Buch I inserierte Kanon Quales debent esse ministri altaris159 zeigt, daß die enthaltsame Lebensführung des Klerus als unverzichtbare Rahmenbedingung für den Dienst am Altar betrachtet wurde, und ein Vergleich mit anderen Aussagen der Rechtssammlung bestätigt diese Beobachtung. Bemerkenswert ist außerdem die Tatsache, daß einige dem Problem des Amtszölibats gewidmete Formulierungen der Collectio canonum in V libris wörtliche Ubereinstimmungen mit jenem von Leo von Vercelli redigierten Schreiben Papst Benedikts VIII. aufweisen, das sich mit den Beratungen und Ergebnissen der päpstlichen Synode von Pavia (1022) beschäftigt 160 . Diese Parallelen legen die Vermutung nahe, daß zwischen der kanonistischen Sammlung und dem Synodalgeschehen in Pavia eine enge Verbindung bestanden habe 1 6 1 . Welcher Art dieser Zusammenhang gewesen sein könnte, läßt sich freilich nicht genau klären, doch läßt die handschriftliche Uberlieferung des Rechtsbuches in Codex Vaticanus Latinus Nr. 1339 immerhin erkennen, daß unsere Annahme nicht ganz abwegig ist. So scheint es angebracht, einen kurzen Blick auf die von Papst Benedikt VIII. persönlich geleitete Versammlung zu werfen, um zu ermessen, welchen Stellenwert die Frage des Nikolaitismus im zeitgeschichtlichen Umfeld der Fünfbüchersammlung besaß, und um die Einstellung des Tuskulanerpapstes zum Amtszölibat näher zu beleuchten.

Vgl. ebd. Lib. 1,136, S. 95. Vgl. unten Anm. 1 6 8 - 1 7 0 . 1 6 1 Daß die Sammlung ihrerseits als Ergebnis der Synode von 1022 anzusehen ist, scheidet als Möglichkeit ziemlich sicher aus, da die Beschlüsse der Synode von Pavia in der Collectio, wie Anm. 4, nicht überliefert werden. Ziemlich wahrscheinlich ist dagegen aufgrund der von K . - J . H e r r m a n n , Das Tuskulanerpapsttum ( 1 0 1 2 - 1 0 4 6 ) = Päpste und Papsttum Bd. 4 (Stuttgart 1973) S. 1 0 - 1 5 herausgearbeiteten engen Beziehungen zwischen Benedikt VIII. und Farfa, daß der vermutlich in Farfa entstandene C o d . Vat. Lat. 1339 (vgl. M . F o r n a s a r i , U n manoscritto e una collezione canonica del secolo X I proveniente da Farfa, in: Benedictina 10 [1956] S. 1 9 9 - 2 1 0 ) dem Papst zugänglich war. 159 160

84

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

3. Die S y n o d e n von P a v i a und S e l i g e n s t a d t Die Synode von Pavia hat in der Forschung wegen ihrer bahnbrechenden Beschlüsse über die unehelichen Nachkommen im Konkubinat lebender Priester seit langem reges Interesse gefunden 162 . Zuletzt haben Georg Denzler 163 , Klaus-Jürgen Herrmann 164 und Bernhard Schimmelpfennig 165 die Synode in Hinblick auf ihre Bedeutung für das Zölibatsproblem untersucht, doch ist die Forschungsdiskussion damit sicherlich noch nicht abgeschlossen, auch wenn die Grundlinien der Interpretation schon abgesteckt sind. Ein erster Gesichtspunkt, der für eine Untersuchung der Beschlüsse von Pavia von Belang ist, liegt in der äußeren Form, in der uns die Synodalakten überliefert sind. Denn mit Actum-Vermerk und Schlußdatierung, mit der wörtlichen Wiedergabe der Rede Benedikts VIII. und der Entgegnung Heinrichs II., mit der Insertion der Beschlußtexte und mit den Unterschriften der wichtigsten Teilnehmer weist der durch einen Druck aus der frühen Neuzeit tradierte Text deutliche Züge einer nur geringfügig redigierten Protokollaufzeichnung nach Art synodaler Gesta auf, wie sie für das 11. Jahrhundert nur durch wenige Beispiele belegt ist 166 . Die stilistische Angleichung an das Urkundenschema ist deutlich erkennbar, ebenso das Motiv, aus dem heraus diese formale Gestaltung erfolgt sein dürfte; man wollte offenkundig die grundlegende Bedeutung der

1 6 2 Die Beurteilung der Synode war dabei von Anfang an umstritten. Während S . H i r s c h , wie A n m . 5, Bd. 3 (hrsg. u. vollendet von H . B r e s s l a u ) (Berlin 1875), S. 221 f., A . H a u c k , Kirchengeschichte Deutschlands Bd. 3 (Leipzig 3 4 1906) S. 528f. und H . L . M i k o l e t z k y , Kaiser Heinrichll. und die Kirche (Wien 1946) die in Pavia gefaßten Beschlüsse als Auftakt zu einer durchgreifenden Kirchenreform würdigten, betonten Th. S c h i e f f e r , H e i n r i c h l l . und Konrad II., Die Umprägung des Geschichtsbildes durch die Kirchenreform des 1 1 . Jahrhunderts, in: D A 8 (1951) S. 404 und C. V i o l a n t e , La societä milanese nell etäprecomunale (Bari 1953) S. 1 6 0 f . in Anlehnung an R. H o l t z m a n n , Geschichte der sächsischen Kaiserzeit (München 1941) S. 478 f. die praktischen Konsequenzen der neuen Vorschriften.

Vgl. G . D e n z l e r , wie Anm. 17, S. 4 7 f . Vgl. K . - J . H e r r m a n n , wie Anm. 1 6 1 , S. 3 6 f . 1 6 5 Vgl. B . S c h i m m e l p f e n n i g , wie Anm. 17, S. 11 f. 1 6 6 Vgl. dazu die in A n m . 1 zitierte Edition von L. W e i l a n d , S. 7 0 - 7 8 und die bei R. S c h i e f f e r , wie Anm. 9, S. 61 angeführten Parallelfälle. 163 164

Die Synoden von Pavia und Seligenstadt

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in Pavia beschlossenen Kanones besonders betonen und ihren verbindlichen Charakter herausstellen. Daß man sich der weitreichenden Konsequenzen der Bestimmungen durchaus bewußt war, läßt sich auch noch an einer anderen Tatsache ablesen: dem für die Konziliengeschichte nicht ganz alltäglichen Vorgang, daß die von der Synode verabschiedeten Bestimmungen auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes von Kaiser Heinrich II. bestätigt, bekräftigt und unter die weltlichen Rechte aufgenommen wurden 167 . Zwar läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob die Formulierung der Vorschriften wirklich auf eine Initiative Benedikts VIII. hin erfolgte, wie es uns der Text nahelegt, andererseits aber gibt es auch keine Gründe, der Aussage des Synodalprotokolls zu mißtrauen, zumal die von Leo von Vercelli redigierte Rede des Papstes deutliche Analogien zu einigen Gedankengängen der Collectio canonum in Vlibris enthält. Vor allem an der Stelle des Textes, an der Benedikt VIII. das Isaias-Wort canes muti non valentes latrare168 zitiert, werden die Parallelen deutlich erkennbar. Denn hier stimmen Bibelzitat und Kontext fast wörtlich mit der vom Autor der Fünfbüchersammlung aus dem Poenitentiale Pseudo-Gregorii III. 1 6 9 entlehnten Präfatio II des ersten Buches überein 170 , die Gedankenführung entspricht völlig dem Argumentationsgang der kanonistischen Vorlage. Aus dieser Beobachtung allein könnte man vielleicht noch nicht auf eine Benutzung der Collectio canonum in V libris zurückschließen, aber die Vielzahl kirchenrechtlicher Belegstellen in der von Leo von Vercelli protokollierten Rede des Papstes weist in die gleiche Richtung. Und die Tatsache, daß zwar die Kanones der 1014 abgehaltenen Doppelsynode Benedikts VIII. in die Fünfbüchersammlung aufgenommen wurden, die Beschlüsse von 1022 jedoch nicht, spricht ebenfalls dafür, auch wenn sie für sich allein genommen nicht viel besagt. Aller Wahrscheinlichkeit nach kann man also davon ausgehen, daß die Bestimmungen von 1022 durch

167

Vgl. Synodus et leges Papienses, wie Anm. 1, S. 76, Z. 40 - S. 77, Z. 2. Ebd. S. 74, Z. 9f. 169 Vgl. Poenitentiale Pseudo-Gregorii III., Praefatio, ed. F . W . W a s s e r s c h i e b e n , Die Bußordnungen der abendländischen Kirche nebst einer rechtsgeschichtlichen Einleitung (Halle 1851, nachgedruckt in Graz 1958) S. 535 - 53 7, bes. S. 536. 170 Vgl. Collectio, wie Anm. 4, Lib. I, Praephatio II, S. 1 4 - 1 6 , bes. S. 15, Z. 30f. 168

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Erste kirchenrechtliche Reformversuche

das kanonistische Programm der Collectio canonum in V libris beeinflußt wurden, ein positiver Beweis läßt sich jedoch nicht führen. Die synodale Tradition zum Problem der unehelichen Nachkommen nikolaitischer Priester bildet ein weiteres Moment für die richtige Auslegung der Beschlüsse von 1022. Bernhard Schimmelpfennig171 ist diesem Aspekt zwar erst in jüngster Zeit nachgegangen, doch sind seine Ausführungen durch den Hinweis zu ergänzen, daß der zentrale Beratungsgegenstand der Synode von Pavia an die Entscheidungen der Goslarer Versammlung des Jahres 1019 anknüpfte172. Benedikt VIII. sah sich durch die Bestimmungen der Synode von Goslar offenkundig veranlaßt, das Problem der Klerikerkinder auf gesamtkirchlicher Ebene grundsätzlich zu klären. Und diese Klärung erfolgte in der Form von sieben ausführlichen Kanones173, die von Heinrich II. in etwas veränderter Textgestalt als kaiserliche Constitutio promulgiert wurden174. Nimmt man nun diese beiden Beschlußversionen, die kaiserliche und die päpstliche, etwas genauer in Augenschein, so fallen zwei Dinge, die schon von Harry Bresslau175 herausgestellt wurden, besonders auf: einmal die Tatsache, daß die Beschlüsse von einem prinzipiellen Verbot der Priesterehe ihren Ausgang nahmen176, andererseits, daß die meisten Kanones sich mit dem rechtlichen Status der Nachkommen von Kirchenhörigen befassen177, daß die Hauptanliegen der Synode also in der Einschärfung des Zölibats und in der Sicherstellung des kirchlichen Besitzstandes zu suchen sind. Beide Aspekte müssen sich keineswegs widersprechen, und so erscheint die Forschungskontroverse über den reformerischen oder konservativen Charakter der Versammlung von Pavia letztlich unfruchtbar. Die Synode verkörpert in heutiger Sicht gewiß so etwas wie ei-

1 7 1 Vgl. B. S c h i m m e l p f e n n i g , wie Anm. 17, S. 1 - 4 4 und G . D e n z l e r , wie Anm. 17, S. 47ff. 1 7 2 Vgl. Sententia Goslariensis, wie Anm. 17, S. 62 f. 1 7 3 Vgl. Synodus et leges Papienses, wie Anm. 1, Decretum domni papae B(enedicti), cc. 1-^7, S. 75f. 1 7 4 Vgl. ebd., Edictum augusti, cc. 1 - 7 , S. 77f. 1 7 5 Vgl. H . B r e s s l a u in seiner Bearbeitung der von S . H i r s c h begonnenen Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich II., Bd. 3 (Berlin 1875) S. 221 f. 1 7 6 Vgl. Synodus et leges Papienses, Decretum domni papae B(enedicti), cc. 1 - 2 , S. 75, Z. 3 2 - 4 0 . 1 7 7 Vgl. ebd., Decretum domni papae B(enedicti), cc. 3 - 7 , S. 75f.

Die Synoden von Pavia und Seligenstadt

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nen programmatischen Auftakt zur Erneuerung des klerikalen Lebens, doch man sollte darüber nicht übersehen, daß sie sich völlig in den Bahnen des geistlich-weltlichen Synergismus ottonisch-frühsalischer Prägung bewegte und die Autorität des Kaisers auch in kirchlichen Angelegenheiten voll respektierte. Es ist eben nicht zu verkennen, daß die priesterliche Reformbewegung, die auf der Synode von Pavia wirksam wurde, alle ihre Ziele in voller Übereinstimmung mit König Heinrich II. verfolgte. Und man sollte hierin ein erstes Indiz dafür erkennen, daß die spätere kirchenpolitische Frontstellung der Reform eine zwar notwendige, aber zunächst nicht beabsichtigte Folge einer religiösen Neubesinnung auf den Charakter des priesterlichen Amtes darstellte. Diese Annahme erfährt eine gewisse Bestätigung, wenn man die 1023 auf der Mainzer Provinzialsynode in Seligenstadt beschlossenen Kanones zum Vergleich heranzieht. Zwar fällt es nicht ganz leicht, die Tendenz dieser Bestimmungen klar zu umreißen, weil der zuletzt in den Constitutiones der Monumenta Germaniae Historica 178 edierte Wortlaut auf den ersten Blick recht uneinheitlich wirkt. Zieht man aber die in der Edition der Monumenten nur lückenhaft berücksichtigte handschriftliche Tradition der Synodalbeschlüsse179 zu Rate und berücksichtigt die den Synodalakten beigegebene Teilnehmerliste180, so wird schnell erkennbar, wo die Leitintention der Kanones zu finden ist: in einer Reform des priesterlichen Lebens nach der Vorlage des Wormser Dekretes, die nicht frei von episkopalistischen Tendenzen war 181 . Der mit einem Kanon De abstinentia corporis et sanguinis in subscriptis temporibus einsetzende Text der Seli-

178 Vgl. Concilium Seligenstadense, ed. L. W e i l a n d , in: MG Const. I (Legum Sectio IV,1), Nr. 437, S. 633 - 639. 179 Es fehlt Bamberg, Staatsbibliothek Msc. Can. 6, fol. 4 v b - 5 vb: eine Handschrift, die den Text des Concilium Seligenstadense, wie Anm. 178, bis c. 19, S. 638, Z. 39 {de loco ad locum non migret) überliefert und zu den ältesten Zeugen für den Wortlaut zu rechnen ist. Da dieser Codex zu den ältesten Handschriften des Wormser Dekrets zählt (vgl. Anm. 47), darf man mit J. Η art tun g, Beiträge zur Geschichte Heinrichs II., in: Forschungen zur deutschen Geschichte 16 (1876) S. 587-593 und H. F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 452 von einer direkten Beziehung zwischen der Synode und der Rechtssammlung Burchards ausgehen. 180 Vgl. Concilium Seligenstadense, wie Anm. 178, S. 635, Z. 25, wo Burchard als Teilnehmer der Synode genannt wird, und J . H a r t t u n g , wie Anm. 179, S. 589. 181 Vgl. besonders: Concilium Seligenstadense, cc. 13, 16 und 18, S. 638.

88

Erste kirchenrechtliche Reformversuche

genstädter Versammlung 182 weist allerdings nicht nur die in der Forschung seit langem herausgearbeiteten Analogien zum Wortlaut des Wormser Dekretes auf 1 8 3 , sondern enthält auch eine ganze Reihe von Parallelen zu der ebenfalls in den Burchard-Handschriften überlieferten Admonitio synodalis184, die in Msc. Can. 6 der Bamberger Staatsbibliothek den auch hier tradierten Kanones von 1023 unmittelbar vorangestellt ist 1 8 5 . Diese Ubereinstimmungen, die sich auf insgesamt fünf Beschlüsse der Synode von Seligenstadt beziehen 186 , können als Hinweis dafür gewertet werden, daß die von Erzbischof Aribo von Mainz geleitete Zusammenkunft maßgeblich durch den als Teilnehmer sicher bezeugten Bischof Burchard von Worms beeinflußt wurde. Wie im Dekret des Wormser Bischofs läßt sich als Hauptabsicht der an den gewöhnlichen Klerus gerichteten Ermahnungen der Provinzialsynode die Gewährleistung einer ordentlichen Sakramentenvermittlung herausarbeiten. Wie dort wird ein direkter Zusammenhang zwischen der Lebensführung der Priester und dem Vollzug und Empfang der heiligen Sakramente gesehen. Wie dort stärken die Vorschriften auch hier die Stellung des Bischofs als geistlichem Oberhirten des Klerus. Die Synode von Seligenstadt ist deshalb als erstes synodales Echo auf die kanonistische Tätigkeit Burchards zu bewerten; sie erscheint heute - im Gegensatz zum 19. Jahrhundert - freilich nicht mehr als Zeugnis antipäpstlicher Strö-

Vgl. ebd. c. 1, S. 636. Vgl. dazu: J . H a r t t u n g , wie Anm. 179, bes. S. 590ff. und zuletzt H. F u h r m a n n , wie Anm. 18, S. 452 A. 77, der ebd. einen Uberblick über die ältere Forschung vermittelt. 1 8 4 Vgl. Concilium Seligenstadense, wie Anm. 1 78, cc. 4, 13 und20 und Admonitio, wie Anm. 64, c. 14, S. 44; ebd. c. 50, S. 55 und ebd. c. 58, S. 57. Ähnlich deutlich sind auch die Analogien zwischen Concilium, cc. 1 - 2 , S. 636 und Admonitio, cc. 62 - 65, S.58f. 1 8 5 Auf fol. 3 r a - 4 va; es folgt von anderer, jedoch zeitgleicher Hand der Wortlaut des Konzilsprotokolls von Seligenstadt, der am Schluß von fol. 5vb unvermittelt bei c. 19 abbricht (vgl. Anm. 179), da das ursprünglich vorhandene, folgende Halbblatt herausgeschnitten und durch ein Doppelblatt ersetzt worden ist, das mit der Rubrik Incipiunt Capitula Primi Libri (fol. 6ra) beginnt (vgl. F. L e i t s c h u h , wie Anm. 54, S. 862 f.). 1 8 6 Vgl. Anm. 184. 182 183

Die Synoden von Pavia und Seligenstadt

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mungen im Reichsepiskopat 187 , sondern eher als Ausdruck einer nur langsam einsetzenden Reform der Mißstände in der Kirche, die ihren Ausgang von der Frage nach dem Zusammenhang von Priesteramt und Sakramentenvermitdung nahm. Die Beschlüsse der Versammlung passen damit ganz harmonisch in ihren zeitgeschichtlichen Kontext und sollten deshalb als repräsentativ für ein Streben nach religiöser Erneuerung bezeichnet werden, das sich im Schöße der deutschen Reichskirche vollzog. Auch wenn einer der wichtigsten Teilnehmer der Synode von Seligenstadt, Bischof Burchard von Worms, bereits an den Fundamenten des Reichskirchensystems rüttelte, indem er die sakrale Stellung des Herrschers prinzipiell in Frage stellte, so befand sich die Kirchenreform aufs Ganze gesehen am Ende der Regierungszeit Heinrichs II. und Benedikts VIII. noch in den allerersten Anfängen und war weit davon entfernt, in eine Auseinandersetzung mit der höchsten weltlichen Gewalt einzutreten.

So besonders nachdrücklich: J . H a r t t u n g , wie Anm. 179, S. 5 8 7 - 5 9 8 , bes. S. 5 8 7 - 5 9 0 . 187

II. DIE W I E D E R B E L E B U N G LEBENSFORM

UND

DER

KANONIKALEN

DIE AUSFORMUNG

PRIESTERLICHER

IDEALE

IN

NEUER

DER

HAGIOGRAPHIE

1.

D i e p r i e s t e r l i c h e E r n e u e r u n g im der d e u t s c h e n

Schöße

Reichskirche

Versucht man, einen Uberblick über die kanonikale Erneuerung im Rahmen der ottonisch-frühsalischen Reichskirche zu geben, so betritt man relativ sicheren Boden. Denn spätestens seit den grundlegenden U n tersuchungen von Josef Siegwart 1 und Rudolf Schieffer 2 ist man sich in der

1 Die bei Gilles-Gerard Meersseman angefertige Disssertation von J . STegw a r t, Die Chorherren- und Chorfrauengemeinschaften in der deutschsprachigen Schweiz vom 6. Jahrhundert bis 1160. Mit einem Uberblick über die deutsche Kanonikerreform des 10. und 11. Jahrhunderts = Studia Friburgensia, N . F. Bd. 30 (Freiburg/Schweiz 1962) ging bei ihrer Darstellung der kanonikalen Erneuerung des 10. und beginnenden 11. Jahrhunderts von einer Beobachtung aus, die G. S c h r e i b e r , Gemeinschaften des Mittelalters. Recht, Verfassung, Kult und Frömmigkeit = d e r s . , Gesammelte Abhandlungen Bd. 1 (Münster i. W. 1948) S. 400 gemacht hatte: daß sich das Chorherrentum im 10. Jahrhundert festigte und die Kollegiatstifte damals schneller wuchsen als die Klöster. Ausgehend von dieser der herrschenden Forschungsmeinung widersprechenden Ansicht stellte J . S i e g w a r t , a.a.O. S. 95 ff. die Frage, wie die bisherige Geschichtsschreibung von einem Verfall des kanonikalen Lebens im 10. und 11. Jahrhundert sprechen konnte, und kam dabei zu einer verblüffend einfachen Antwort: „weil niemand die Quellenbelege gesammelt hat, die dagegen zeugen" (ebd. S. 97). Er versuchte deshalb, diesem Mangel abzuhelfen, und modifizierte dadurch den bis dahin vor allem von Ch. D e r e i n e , Chanoines (Des Origines aux XHIe s.), in: D H G E Bd. 12 (1953) Sp. 353-405 repräsentierten Forschungsstand erheblich. 2 Die der Kanonikerbewegung gewidmeten Passagen des Buches von R. S c h i e f f e r , Die Entstehung von Domkapiteln in Deutschland = Bonner Historische Forschungen Bd. 41 (Bonn 1976) S. 232-260 bauten auf den Ergebnissen von J . S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 65-230, bes. S. 99ff. auf, schafften aber durch die

Die Erneuerung in der deutschen Reichskirche

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Forschung einig darüber, welche Zielsetzung und Verbreitung diese priesterliche Reformbewegung besaß, was sie mit den Erneuerungsansätzen der gorzischen Klosterreform gemeinsam hatte und wie ihre Stellung zum deutschen Königtum zu bewerten ist. Fragt man jedoch nach der Bedeutung des Priesterbildes für die nach den Bestimmungen der Aachener Regel von 816 zusammenlebenden Klerikergemeinschaften, so lassen sich die Konturen noch etwas schärfer zeichnen, als dies in der bisherigen Forschung geschehen ist. Zwar ist bereits seit langem bekannt, daß das monastische Ideal der Selbstheiligung im Verlaufe des späten 10. und frühen 11. Jahrhunderts auch für die deutsche Kanonikerreform immer mehr an Bedeutung gewann 3 . Aber das hagiographische Umfeld der priesterlichen Erneuerung wurde bisher noch nicht zum Gegenstand einer eigenen Untersuchung. Hier anzusetzen, ist das Ziel des folgenden Abschnittes; doch sei es gestattet, die wichtigsten Forschungsergebnisse vorher noch einmal kurz ins Gedächtnis zu rufen: Kennzeichnend für die im wesentlichen dem kanonikalen Ideal der Karolingerzeit verpflichtete priesterliche Erneuerungsbewegung im Schöße der deutschen Reichskirche war eine relativ große „Königsnähe", die einen sichtbaren Ausdruck darin fand, daß die dem sächsischen Herrscherhaus eng verbundenen Domstifte von Hildesheim und Bamberg geradezu zu Prototypen der reformierten Lebensweise wurden 4 . In diesem Punkte entsprachen die reguliert lebenden Kanonikergemeinschaften vollkommen den von Gorze beeinflußten monastischen Kongregationen, wie auch im Bereich der geistlichen Ideale auffal-

Frage nach der historischen Bedeutung der Aachener Institutio canonicorum von 816 eine neue Klarheit des Gesamtbildes, obwohl sie sich im Unterschied zu den etwas älteren Monographien von F. P o g g i a s p a l l a , La vita comune del clero dalle origine alia riforma gregoriana = Uomini e Dottrine Bd. 14 (Rom 1968) S. 125ff. und C. D. F o n s e c a , Medioevo canonicale = Pubblicazioni dell'Universita cattolica del S. Cuore, Serie terza, Scienze storiche Bd. 12 (Mailand 1970) S. 75 ff. auf die Erforschung der Wirkungsgeschichte der Aachener Regel bei Klerikergemeinschaften an deutschen Domkapiteln beschränkten. 3 Vgl. J. Siegwart,\wie Anm. 1, S. 156-162 undR. S c h i e f f e r , wie Anm. 2, S. 255 ff. 4 Vgl. O. E n g e l s , Orden, Ordenswesen, in: Sacramentum Mundi, Bd. 3: (Freiburg i. Br. 1969) Sp. 891-897, wiederabgedruckt in: Herders Theologisches Taschenlexikon Bd. 5 (Freiburg i. Br. 1973) S. 273-294, hier S. 279; J. S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 151-169 und R. S c h i e f f e r , wie Anm. 2, S. 259.

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Kanonikale Lebensform und priesterliche Ideale

lende Parallelen zu beobachten sind 5 . Das Kanonikerwesen der Zeit der Ottonen und frühen Salier trug nämlich die Merkmale einer fast monastischen Observanz, die Vorschriften der Aachener Regel gaben hierzu die allgemeine Richtung an 6 . Zwar ist das Ausmaß dieser Erneuerung des gemeinsamen Lebens auf der Grundlage der Institutio

canonicorum

von 816 nur schwer zu bestim-

men, aber die große Häufung von Testimonien für ein Leben nach den karolingischen Bestimmungen ist andererseits so auffällig, daß man wohl von einer das ganze Reich erfassenden Reform ausgehen kann, zumal die Zeugnisse nicht auf den Umkreis der Hochstifte beschränkt bleiben 7 . Ihren unbestrittenen Höhepunkt erreichte die Wiederbelebung der kanonikalen Lebensform sicherlich unter Heinrich II., der das neu gegründete Domstift Bamberg neben Hildesheim zum bedeutendsten Reformzentrum des deutschen Reiches ausbaute 8 . Die durch die Fundatio

ecclesiae

Hildensemensis bezeugte klösterliche Strenge(districtio monachica)9, der sich die Hildesheimer Kanoniker zu unterwerfen hatten, wurde dabei zum Idealtyp für die von Bamberg ausgehende kanonikale Erneuerung, das in Lüttich zu verzeichnende Streben nach Gelehrsamkeit zum Vorbild der voranschreitenden Klerusreform 1 0 . Die Beantwortung der Frage, inwieweit sich die neuen Gedanken im Reich auch wirklich durchsetzen ließen, bedarf freilich noch genauerer

Vgl. J . S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 156-169. Concilium Aquisgranense A . 816, A : Institutio canonicorum Aquisgranensis, in: M G Concilia Bd. 11,1 (Legum Sectio III, Bd. 11,1) (Hannover/Leipzig 1906) S. 3 0 8 - 4 2 1 ; zur Interpretation vgl. u . a . : A. W e r m i n g h o f f , Die Beschlüsse des Aachener Concils im Jahre 816, in: N A 2 7 (1902) S. 605-675; J . S e m m l e r , Die Beschlüsse des Aachener Konzils im Jahre 816, in: Z K G 74 (1963) S. 15-82; J . F . Α. M. v a n W a e s b e r g h e , De Akense regels voor canonici en canonicae uit 816. Een antwoord aan Hildebrand-Gregorius VII en zijn geestverwanten = Van Gorcum's Historische Bibliotheek Bd. 83 (Assen 1967); zuletzt resümierend: R. S c h i e f f e r , wie Anm. 2 , S. 232-241. 7 Vgl. dazu zuletzt: R. S c h i e f f e r , wie Anm. 2 , S. 2 4 2 - 2 5 2 . 8 So die Wertung von J . S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 151-156; ihm folgend: R. S c h i e f f e r , wie Anm. 2 , S. 2 5 5 - 2 5 7 . 9 Vgl. Fundatio ecclesiae Hildensemensis, ed. A. H o f m e i s t e r , in: M G SS 3 0 , 2 , c. 4, S. 944. 1 0 Vgl. ebd. c. 4, S. 945. 5

6

Die Erneuerung in der deutschen Reichskirche

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Detailstudien, doch zeigen die von Siegwart 11 , Denzler 12 und Schieffer 13 angeführten Beispiele, daß es sich um eine ganz Deutschland erfassende Reform mit klar formulierten Leitlinien handelte. Trotz dieser einheitlichen Grundtendenz gab es jedoch auch regional verschiedene Entwicklungen. So wurden ,,im Süden Bestrebungen erkennbar, die generationenlange Verflechtung der Kanoniker mit dem Mönchtum zugunsten einer klaren rechtlichen und wirtschaftlichen Unterscheidung zu lösen" 1 4 , während man in anderen Teilen Deutschlands noch bemüht war, eine Regelobservanz der Kanoniker überhaupt erst einzuführen, um auf diese Weise das Reichskirchensystem institutionell zu verfestigen 15 . Dies geschah, wie Gerhard Kallen 16 und Josef Siegwart 17 gezeigt haben, weil „nur die Hildesheimer Observanz volle Gewähr bot, daß kein Kanoniker durch Verleihungen, Pfründenerteilungen und eigenkirchliche Erbansprüche das Reichsgut veräußern konnte" 1 8 . Wenn Heinrich II. nur jenen Bischöfen Grafschaften übertrug, deren Domkapitel eine Kanonikerreform nach Hildesheimer und Bamberger Muster vollzogen hatten, so entsprach diese Handlungsweise völlig seiner Reformpolitik im monastischen Bereich, die darauf ausgerichtet war, durch Tafelteilung von Konvents- und Abtsvermögen eine Entfremdung von Reichsgut zu verhindern 19 . Die Kanonikerreform erfuhr auf diese Weise eine politisch motivierte Unterstützung durch den deutschen König; hier ist eine der Hauptursachen für ihren raschen und durchgreifenden Erfolg zu suchen.

Vgl. J . S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 151 ff. Vgl. G . D e n z l e r , Die Kanonikerbewegung und die gregorianische Reform im 11. Jahrhundert, in: Stud Greg 9 (1972) S. 2 3 0 f . 1 3 Vgl. R . S c h i e f f e r , wie Anm. 2, S. 2 5 7 . 1 4 Ebd. S. 2 5 7 f . 1 5 Vgl. ebd. S. 257 und J . S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 153-155. 1 6 Vgl. G. K a l l e n , Kaiser Heinrich II. und Würzburg, in: Herbipolis jubilans. 1200 Jahre Bistum Würzburg. Festschrift zur Säkularfeier der Erhebung der Kiliansreliquien = Würzburger Diözesangeschichtsblätter 14/15 (1952/53) S. 141-146, bes. S. 143. 11 12

1 7 Vgl. J . S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 1 5 3 - 1 5 5 ; außerdem: H . J . Diefenb a c h , Die renovatio regni Francorum durch Heinrich II. (Diss, masch. Köln 1952) S. 62-145. 1 8 J . S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 154. 1 9 Vgl. H . J . D i e f e n b a c h , wie Anm. 17, S. 6 2 f f . ; G. K a l l e n , wie Anm. 16, S. 143 und J . S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 153.

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Kanonikale Lebensform und priesterliche Ideale Ein anderer Grund für die seit der Jahrtausendwende einsetzende

enorme Intensivierung des kanonikalen Lebens lag in der Ausformung eines reformerischen Verständnisses vom Priesteramt, das sich besonders gut in der Vitenliteratur des frühen 11. Jahrhunderts fassen läßt. Drei hagiographische Quellen sind in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse: die älteren Teile der Vita Bernwardi20, Kleriker

verfaßte

Lebensbeschreibung

die von einem Wormser

des Bischofs

Burchard

von

W o r m s 2 1 und die von Berno redigierte Fassung der Vita des heiligen U l rich 2 2 . Die Bernwardsvita ist zunächst insofern von Bedeutung, als sie uns einen unmittelbaren Eindruck von den Leitbildern der Hildesheimer O b servanz vermittelt. Darüber hinaus gibt sie Aufschluß über das im frühen 11. Jahrhundert vertretene Priesterideal reformerischer Prägung und ist deshalb für unsere Fragestellung besonders wichtig. Schon die recht ansehnliche handschriftliche Uberlieferung 2 3 verdient deshalb unsere Auf-

2 0 Die Vita Bernwardi episcopi Hildesheimensis auctore Thangmaro, ed. G. H. P e r t z , i n : M G S S 4 , S . 754-782stammtentgegenderAnsichtihresEditors nur zu einem Teil aus dem frühen 11. Jahrhundert; vgl. dazu die weiter unten formulierte Erörterung des Problems der Entstehungszeit und die dazugehörigen Anmerkungen 27—46. 2 1 Vgl. Vita s. Burchardi episcopi Wormatiensis, ed. Η. Β ο ο s, in: Monumenta Wormatiensia. Annalen und Chroniken = Quellen zur Geschichte der Stadt Worms (Berlin 1893) S. 97-126. Wegen der besseren Benutzbarkeit sind die Seitenzahlen der älteren Ausgabe der Vita Burchardi episcopi, ed. G. W a i t z , in: MG SS 4, S. 829-846 im folgenden ebenfalls vermerkt. 2 2 Vgl. Vita sancti Udalrici episcopi Augustensis auctore Bernone abbate Augiensi, in: M I G N E PL 142, Sp. 1183-1204. Der der Vita beigegebene Widmungsbrief an Abt Fridebold von St. Ulrich und Afra ist gesondert ediert bei: F . - J . S c h m a l e , Die Briefe des Abtes Bern von Reichenau = Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A (Quellen) Bd. 6 (Stuttgart 1961) Nr. 15, S. 47-49; zu diesem Brief: F.-J. S c h m a 1 e, Zu den Briefen Berns von Reichenau, in: ZKG 68 (1957) S. 80f. - Eine Anfang des 13. Jahrhunderts entstandene Ubersetzung der Vita ins Mittelhochdeutsche ist ediert bei: K.-E. G e i t h , Albert von Augsburg, Das Leben des heiligen Udalrich (Berlin/New York 1971) S. 23-78. 2 3 Die wichtigsten Angaben zur mittelalterlichen Überlieferung der Vita Bernwardi finden sich schon in der in Anm. 20 erstmals zitierten kritischen Textausgabe von G. H. P e r t z , S. 754-757. Weitere Wendepunkte in der Erforschung der handschriftlichen Tradition der Bernwardsvita bedeuteten: J . R. D i e t e r i c h , Uber Thangmars Vita Bernwardi episcopi, in: NA 25 (1900) S. 427-451 und R. D r ö g e r e i t , Die Vita Bernwardi und Thangmar, in: Unsere Diözese in Ver-

Die Erneuerung in der deutschen Reichskirche

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merksamkeit. Betrachtet man als erstes das ehemals im Hildesheimer St. Michaelskloster befindliche, einzige vollständige Exemplar der Vita, das heute unter der Signatur Ms. F 5 (fol. l v - 4 0 v ) zum Bestand des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs in Hannover zählt 2 4 , so fällt sofort ins Auge, wie ungewöhnlich die künstlerische Ausstattung der Bischof Bernward von Hildesheim gewidmeten Lebensbeschreibung ausgefallen ist. Nicht nur die schöne Buchschrift 2 5 , die den Übergang von der karolingischen Minuskel zur gotischen Textura in der Vertikalstreckung der Buchstabenkörper dokumentiert 2 6 , sondern auch die kostbare Illumination in Gold, Silber und verschiedenen Farben und der mit Edelsteinen verzierte Bucheinband deuten darauf hin, daß es sich um ein einmaliges Zeugnis mittelalterlicher Heiligenbeschreibung handelt, das auch für spätere Generationen von Belang war. Die handschriftliche Tradition der Bernwardsvita gibt freilich auch einen Fingerzeig ganz anderer Art. Denn die Tatsache, daß der von Georg Heinrich Pertz 2 7 fälschlicherweise ins 11. Jahrhundert datierte Wortlaut von Ms. F 5 des niedersächsischen Archivs als der einzige brauchbare Textzeuge für große Teile der Vita gelten m u ß 2 8 , legt die Möglichkeit

gangenheitund Gegenwart28,2 = FestschriftfürK. A l g e r m i s s e n (Hildesheim 1959) S. 2-46. 2 4 Eine ausführliche Beschreibung dieser Handschrift, die den Text der Lebensbeschreibung Bernwards auf fol. 1 ν - 40 ν überliefert, findet sich bei R. D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. 8-10. Der Codex enthält außer der Vita u.a. noch die von anderer Hand geschriebenen Miracula s. Bernwardi (fol. 41 r - 46 r), ed. G. H. P e r t z , in: M G SS 4, S. 782-786 und eine Reihe von Urkundenkopien für St. Michael in Hildesheim. Eine neuere Handschriftenbeschreibung von Ms. F 5 existiert nach Auskunft des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs in Hannover nicht. 2 5 Sie wird von R. D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. 9 als „typisch frühgotische Schrift" gekennzeichnet. 2 6 Vgl.R. D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. 9 f. und die Abbildung in der in Anm. 20 zitierten Textausgabe der Vita Bernwardi, nach S. 754. 2 7 Vgl. G. H. P e r t z , in: Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde 7 (1839) S. 428ff. und d e r s . in seiner Edition der Vita Bernwardi, wie Anm. 20, S. 755. 2 8 Nämlich für cc. 1-11, 23-27, 40-42, 46-47 und 49-57; vgl. dazu die vorzügliche Übersetzung von H. K a l i f e l z , Lebensbeschreibungen einiger Bischöfe des 10. -12. Jahrhunderts = Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe), hrsg. v. R. B u c h n e r , Bd. 22 (Darmstadt 1973) S. 263-361, der die entsprechenden Einschnitte im Text der Vita aufgrund seiner Handschriften-Studien genau verzeichnet.

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Kanonikale Lebensform und priesterliche Ideale

nahe, daß nur die in Msc. Dresd. J 206 (einer Quarthandschrift der Sächsischen Landesbibliothek) 29 ebenfalls überlieferten Abschnitte der Lebensbeschreibung auf das verlorengegangene Autograph Thangmars zurückzuführen sind: also im wesentlichen diejenigen Kapitel, die sich mit dem Gandersheim er Streit beschäftigen. Geht man mit Richard Drögereit 30 von dieser Hypothese aus, so erweist sich die Version des Dresdener Codex unbekannter Provenienz, dem 1945 schwere Wasserschäden zugefügt wurden 31 , als die einzige Textgestalt der Bernwardsvita Thangmars, die als authentisch gelten darf. Selbst wenn man die übrigen bekannten Handschriften, die die Lebensbeschreibung tradieren 32 , in die Überlegungen zu deren Archetypus einbezieht, ändert sich dieses Bild nicht, da alle diese Manuskripte erst um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert für Bischof Siegfried II. von Hildesheim (1279-1310) angefertigt wurden und gegenüber dem Hannoveraner Codex nur eine weitere Stufe der Depravierung darstellen 33 . Erst nach Beantwortung der Frage, in welchen nicht durch das Dresdener Manuskript bezeugten Abschnitten eine Tendenz zugunsten des Hildesheimer St. Michaelsklosters zu beobachten ist, gewinnt die von J . M. Kratz 3 4 , H. Seeland 35 und K. Algermissen 36 geäußerte, aber auf andere Indizien gestützte Ansicht an Wahrscheinlichkeit, daß, abgesehen

2 9 Der Text der Vita Bernwardi, wie Anm. 20, reicht in Msc. Dresd. J 206 von fol. 1 ν - 19 v ; der Codex ist beschrieben in der in Anm. 20 zitierten Textausgabe der Vita Bernwardi, S. 755-757 und bei R. D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. lOf. 3 0 Vgl. R . D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. 12-46, bes. S. 37ff. 3 1 Vgl. H . K a l i f e l z . , wie Anm. 28, S. 269. 3 2 Vgl. Vita Bernwardi, wie Anm. 20, S. 756f. 3 3 Die älteren Drucke der Vita Bernwardi folgen trotz der erheblich schlechteren Uberlieferungsqualität der Textversion dieser späten Handschriften, darunter auch die von J . M a b i l l o n besorgte Ausgabe in A A SS, Bd. 6, p. 1, S. 202ff. 3 4 J . M. K r a t z konnte die in seinem Manuskript zum ersten Band der Geschichte des Hildesheimer Domes niedergelegten Gedanken nicht mehr veröffentlichen. Die Kenntnis seiner Forschungsergebnisse verdanken wir H . S e e l a n d , Was wissen wir von der Bennoburg bei Hildesheim? Hat St. Bernward sich Bischof von Bennopolis genannt?, in: Unsere Diözese in Vergangenheit und Gegenwart 20 (Hildesheim 1951) S. 58-73.

Vgl. H . S e e l a n d , wie Anm. 34, S. 58-73, bes. S. 68. Vgl. K. A l g e r m i s s e n , Persönlichkeit und Charakter des Bischofs Bernward von Hildesheim, in: Unsere Diözese in Vergangenheit und Gegenwart 27 (Hildesheim 1958) S. Iff. 35

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Die Erneuerung in der deutschen Reichskirche

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von dem in Msc. Dresd. J 206 überlieferten Wortlaut, nur diejenigen Teile nicht von Thangmar stammen, die über das Jahr 1002 hinaus berichten 37 , nicht aber die für das Priesterideal zentralen Kapitel 1-11 des Werkes 38 . Dem stehen freilich die von Drögereit 39 vorgebrachten Bedenken gegenüber, daß auch in den ersten elf Kapiteln der Vita Stellen zu finden seien, die schwerlich von einem Zeitgenossen Bernwards geschrieben sein könnten. Lediglich die Denkschrift über den Gandersheimer Streit erweise sich zweifelsfrei als Werk Thangmars, und auch diese vielleicht nur bis zum Jahre 1002, in dem Thangmar zum letzten Male als Lebender erwähnt werde 40 . So muß der Interpret der Bernwardsvita sich stets vergegenwärtigen, daß das in den Kapiteln 1-11 faßbare Priesterideal eventuell auf Vorstellungen des 12. Jahrhunderts zurückgeht, auch wenn ein überzeugender Beweis für diese These noch nicht geführt ist. Gegen eine solche Möglichkeit spricht nämlich paradoxerweise gerade die in der Forschung allseits anerkannte Uneinheitlichkeit des Textes, denn ein „Dichterkreis von St. Michael" 41 aus dem 12. Jahrhundert hätte wohl kaum die ersten elf Kapitel der Vita vorwiegend in der Ich-Form abgefaßt, um dann ab Kapitel 12 konsequent in die unpersönlichere Erzählung in der dritten Person zu wechseln. Die stilistische Abfassung der Anfangskapitel weist wohl eher in das literarische Umfeld der älteren Vita Godehardi 42 , in der die gleichen Stilelemente zu beobachten sind: die grundsätzliche Vorliebe für die Ich-Form und der gelegentliche Wechsel in die dritte Person. Eine solche Annahme wird zusätzlich gestützt durch auffallende sachliche Parallelen zu der um 1035 entstandenen Vita Godehardi prior*3 und den Umstand, daß ein dem Autor der Lebensbeschreibung Godehards nahestehender Schreiber des 11. Jahrhunderts den auf

3 7 Also ζ. B. cc. 46, 47 und 49-57 mit Ausnahme einer kurzen Passage von Vita Bernwardi, wie Anm. 20, c. 54, S. 781, Z. 1-8. 3 8 Vgl. Vita Bernwardi, wie Anm. 20, cc. 1-11, S. 758-762. 3 9 Vgl. R. D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. 12-16. 4 0 Vgl. ebd. S. 39-46; die im Haupttext unserer Arbeit erwähnte Stelle, aus der sich ein Lebenszeugnis für Thangmar ableiten läßt, steht in der Vita Bernwardi, wie Anm. 20, c. 36, S. 774 f. 4 1 H. S e e l a n d , wie Anm. 34, S. 72. 4 2 Vgl. Vita Godehardi episcopi prior, ed. G. H. P e r t z , in: MG SS 11, S. 167-196. 4 3 Vgl. dazu die Beobachtungen von J. R. D i e t er ich, wie Anm. 23, S. 427-439 und R. D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. 14f.

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Kanonikale Lebensform und priesterliche Ideale

fol. 1 r bis 20 r des Msc. Dresd. J 206 überlieferten Text interpolierte 44 und vor dem Jahre 1038 eine Continuatio vitae Bernwardi45 verfaßte, die auf fol. 20 ν bis 23 r derselben Handschrift überliefert ist. Aus diesen Gründen scheint es angebracht, die These von Richard Drögereit 46 etwas zu modifizieren und zumindest die ersten Kapitel einem Autor des 11. Jahrhunderts zuzuschreiben. Wenn aber die Entstehung der elf Anfangskapitel in der Zeit zwischen 1030 und 1040 durch diese Argumentation relativ wahrscheinlich gemacht werden kann, so betritt die Deutung des der Lebensbeschreibung Bernwards zugrundeliegenden Priesterbildes verhältnismäßig sicheren Boden, die von Drögereit 47 angemerkten Unstimmigkeiten mit anderen Quellenaussagen finden eine natürliche Erklärung. Unser Eindruck bestätigt sich, wenn man den Inhalt einer genaueren Analyse unterzieht. Während das erste Kapitel noch ganz in den traditionellen Bahnen der Hagiographie verhaftet bleibt 48 , verlagern sich schon ab dem zweiten Kapitel die Akzente, weil nun das priesterliche Amt in das Zentrum der Darstellung gerückt wird 49 . Jetzt geht es nicht mehr ausschließlich um die persönliche Heiligkeit Bernwards, sondern auch darum, am Beispiel des Hildesheimer Bischofs eine Idealvorstellung von Bischofswürde und Priesteramt aufzuzeigen. Die Nähe zum monastischen Leitbild der Askese wird dabei im Verlauf der Vita immer deutlicher 50 ;

4 4 Vgl. dazu die Bemerkungen von G. H . P e r t z in seiner Edition der Vita Bernwardi, wie Anm. 20, S. 755, die allerdings nicht ganz unbestritten sind. So hat J . R. D i e t e r i c h , wie Anm. 23, S. 427-439 gezeigt, daß die verschiedenen Zusätze, die zu dem Wortlaut der Dresdener Handschrift der Bernwardsvita hinzugefügt wurden, also auch die sogenannte Continuatio vitae Bernwardi nicht mit Sicherheit dem Autor der Vita Godehardi prior zugewiesen werden können, auch wenn Wolfherius entweder fol. 1 r - 23 r des Msc. Dresd. J 206 oder eine genaue Abschrift davon benutzt haben müsse. 4 5 Vgl. Continuatio vitae Bernwardi, ed. G. H . P e r t z , in: M G SS 11, S. 165-167. 4 6 Wie Anm. 30. 4 7 Vgl. R. D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. 12-16. 4 8 Vgl. Vita Bernwardi, wie Anm. 20, c. 1, S. 7 5 8 f . ; die Traditionsgebundenheit dieses Kapitels besteht in dem Topos, daß Bernward (als Heiliger) ähnlich wie Daniel eigentlich keine Persönlichkeitsentwicklung erfahren habe, sondern von Jugend an weise gewesen sei. 4 9 Vgl. ebd. cc. 2ff., S. 759ff. 5 0 Vgl. bes. ebd. c. 5, S. 759f.

Die Erneuerung in der deutschen Reichskirche

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doch verraten zahlreiche Textstellen, daß der Verfasser primär daran interessiert war, ein neues Priesterbild herauszuarbeiten, wobei er freilich Vorstellungen aus dem Mönchtum in den kanonikalen Bereich miteinbezog 5 1 . Nicht die monastische Selbstheiligung an sich, sondern in Verbindung mit der Ausübung des priesterlichen Dienstes erscheint als Norm, an der sich der Leser orientieren soll. Diese Intention entspricht durchaus den Tendenzen, die sich zur Entstehungszeit der Lebensbeschreibung im Ordenswesen andeuteten. Denn die Zahl der Priestermönche hatte seit langem stark zugenommen 5 2 . Dennoch bedeutete es einen fundamentalen Neubeginn, wenn der Autor der Lebensbeschreibung Bernwards den Versuch unternahm, die Lebensweise der Apostel zum Leitbild der Klerikerreform zu erheben. Denn er übertrug Elemente aus der spezifisch monastischen Spiritualität auf das Kanonikertum, ohne die Bedeutung der eigentlichen Aufgaben des Priesteramtes zu vernachlässigen. Damit war erstmals in der deutschen Hagiographie eine Reflexionsstufe erreicht, die es ermöglichte, eine wirkliche Neubesinnung auf den Charakter des kirchlichen Amtes in die Wege zu leiten. Die Konsequenzen dieses Denkens werden schon bei einer bloß kursorischen Lektüre der Anfangsabschnitte der Vita erkennbar. So heißt es etwa in c. 2 der Vita, Willigis von Mainz habe Bernward erst dann zum Diakon geweiht, als er wegen dessen hone stas morum undprobitas vitae einen Fortschritt in der Frömmigkeit habe feststellen können 5 3 . Wenig später sei Bernward auch zur Ehre des Priesteramtes (honorpresbyterii)5* erhoben worden. In c. 4 wird kurz darauf betont, Bernward sei durch die einstimmige, kanonische Wahl aller zum Bischof erhoben worden 5 5 . Diese Aussage ist zwar nur schwer mit den übrigen Nachrichten zur Bi-

Siehe dazu unten Anm. 59-64. Vgl. O . N u ß b a u m , Kloster, Priestermönch und Privatmesse. Ihr Verhältnis im Westen von den Anfängen bis zum hohen Mittelalter = Theophaneia Bd. 14 (Bonn 1961). 5 3 Vgl. Vita Bernwardi, wie Anm. 2 0 , c. 2, S. 759, Z. 7 f . : . . . cum propter morum honestatem ac vitae probitatem religionisprofectum in illo sentiret, diaconum illum ordinavit. 5 4 Vgl. ebd. c. 2, S. 759, Z. 9: . . . presbiterii eum honore sublimavit. 5 5 Vgl. ebd. c. 4, S. 759, Z. 4 5 : . . . Bemwardus votis omnium adpontificatum eligitur. 51

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schofserhebung des Heiligen in Einklang zu bringen 5 6 , doch findet sie eine zeitgenössische Parallele in der von Berno redigierten Textgestalt der Ulrichsvita, w o ebenfalls von einer einmütigen Wahl von Klerus und Volk der Augsburger Diözese die Rede ist und dem König lediglich ein K o n sensrecht zugestanden wird 5 7 . Auf diese Stelle werden wir später noch einmal zurückkommen, betrachten wir nun die weiteren Passagen der Bernwardsvita, an denen sich das Priesterbild des Verfassers ablesen läßt. Der erste Abschnitt, der hierbei berücksichtigt werden muß, ist das berühmte Kapitel über die von Bernward praktizierte kanonikale Lebensf o r m 5 8 , das die Sittenstrenge und asketische Gesinnung des Bischofs besonders betont 5 9 . Hier liest man, daß strenges Fasten und häufiges Gebet für den Heiligen ebenso selbstverständlich gewesen seien wie die regelmäßige Feier der heiligen Messe oder die Mildtätigkeit gegenüber den A r men 6 0 . Zusammen mit dem Domkapitel habe er sich unter strenge Zucht gestellt und damit gewissermaßen reguliert gelebt 6 1 . Ein Kennzeichen dieser kanonikalen vita communis

sei die gemeinsame Mensa aller und die

5 6 Vgl.dazu R. D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. 1 4 A . 3 6 a, der darauf hinweist, daß alle anderen zeitgenössischen Quellen nur von Bernwards Nachfolge oder Einsetzung, nicht aber von einer kanonischen Wahl berichten. 5 7 Vgl. Vita Udalrici, wie Anm. 22, c. 4, Sp. 1188 a; zu dieser Stelle: W. W o l f , Von der Ulrichsvita zur Ulrichslegende. Untersuchungen zur Uberlieferung und Wandlung der Vita Udalrici als Beitrag zu einer Gattungsbestimmung der Legende (Diss. phil. München 1967) S. 79 A. 26; siehe auch unten Anm. 118 und 121. 5 8 Vgl. Vita Bernwardi, wie Anm. 20, c. 5, S. 759f. 5 9 Vgl. ebd. c. 5, bes. S. 759, Z. 50ff. 6 0 Vgl. ebd. c. 5, S. 760, Z. Iff. 6 1 Vgl. ebd. c. 5, S. 759, Z. 52f. und S. 760, Z. 8 f . : . . . quasi regulanter sub disciplina constitutus, capitulum cum fratribus qui secum conversabantur adiit. Der Modellcharakter der Hildesheimer Lebensform ist vor allem bei der Gründung von Bistum und Domkapitel in Bamberg faßbar. Die Fundatio ecclesiae Hildensemensis, wie Anm. 9, c. 4, S. 945 berichtet nämlich: Hunc ergo statum claustri Heinrico ... in tantumplacuisse, ut... suae Bavenbergensi ecclesiae cum studio LeodicensioptaretetiamrigoremHildensemensisclaustri (vgl. R. S c h i e f f e r , wie Anm. 2, S. 256 mit A. 144). Die Motivation für die Anknüpfung an das Hildesheimer Vorbild lag wohl darin, daß Heinrich II. während seiner Jugend selbst in Hinblick auf eine geistliche Karriere die canonicatus regulam in Hildesheim kennengelernt hatte (vgl. Fund. eccl. Hild., wie Anm. 9, c. 4, S. 945; dazu: R. S c h i e f f e r , wie Anm. 2, S. 256 A. 141 mit zusätzlichem Verweis auf MG D H U . Nr. 256 a; siehe auch: J . S i e g w a r t , wie Anm. 1, S. 151 f.).

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damit verbundene Schriftlesung gewesen62, ein anderes das von allen besuchte Stundengebet nach monastischem Vorbild 63 . Als Hauptanliegen der Gemeinschaft lasse sich die Verwirklichung der in der Bibel beschriebenen Lebensform der Urkirche bestimmen, Bernward habe nach dem Vorbild von 1 Cor 9, 22 darauf geachtet, allen alles zu sein, um alle in Christus zu gewinnen 64 . Es fällt leicht, die richtungsweisende Bedeutung dieses Neuansatzes für die allgemeine Kirchenreform des 11. und 12. Jahrhunderts zu erkennen. So zu leben wie die Apostel, wurde bekanntlich im Zuge der gesamtkirchlichen Erneuerung zum Leitbild der sogenannten Vita-Apostolica-Bewegung, die in Hildesheim ausgebildete, fast monastisch anmutende Observanz zum Vorbild für die Lebensform der Regularkanoniker 65 . Dennoch ist es angebracht, gewisse Vorbehalte anzumelden, da es angesichts der handschriftlichen Uberlieferung der Bernwardsvita nicht ganz ausgeschlossen ist, daß der Wortlaut des berühmten fünften Abschnittes auf einen Autor des 12. Jahrhunderts zurückgeht. Zieht man allerdings die Tatsache in Betracht, daß uns die districtio monachica des reguliert lebenden Hildesheimer Domkapitels 66 durch die Fundatio ecclesiae Hildensemensis ebenso bezeugt ist wie das Zusammenleben nach der Institutio canonicorum von 81 6 67 , und berücksichtigt man den Umstand, daß auch die im Chronicon Hildesheimense enthaltenen Nachrichten über das Verhältnis Aerfratres zu ihrem Bischof 68 mit dem Bericht der Bernwardsvita übereinstimmen, dann wird man die Möglichkeit einer Entstehung von c. 5 der Lebensbeschreibung während des 12. Jahrhunderts zwar nicht völlig von der Hand weisen können, aber doch für relativ unwahrscheinlich halten. Jedenfalls scheint der Text einen 62

Vgl. Vita Bernwardi, wie Anm. 20, c. 5, S. 760, Z. 19-22. Vgl. ebd. c. 5, S. 760, Z. 5ff. 64 Vgl. ebd. c. 5, S. 760, Z. 24f.: Ita quippe iuxta apostolum omnia omnibus esse desiderabat, ut omnes in Christo lucrifaceret. 65 Vgl. dazu den Überblick von O. E n g e l s , Die Zeit der hl. Hildegard, in: Hildegard von Bingen. 1179-1979, hrsg. v. Ph. A. B r ü c k = Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte Bd. 33 (Mainz 1979) S. 1-29, bes. S. 8-13. 66 Vgl. Fund. eccl. Hild., wie Anm. 9, c. 4, S. 944, Z. 25. 67 Vgl. ebd. c. 4, S. 945, Z. 8. 68 Vgl. Chronicon Hildesheimense, ed. G. H. P e r t z , in: MG SS 7, c. 4-13, S. 851 f. 63

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historischen Zustand wiederzugeben, der durchaus in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts angesiedelt werden darf; und man sollte deshalb bei aller Wertschätzung der Quellenkritik die Aussagen der Bernwardsvita in diesem Punkt als glaubwürdig beurteilen. Auch die folgenden Teile der Vita scheinen durchaus aus dem 11. Jahrhundert zu stammen. In c. 7 wird berichtet, Sachsen sei zur Zeit Bernwards durch die tierische Wildheit von Piraten und anderen Barbaren entvölkert worden (pyratorum caeterorumque barbarorum feritate depopulata)69, und deshalb habe der Hildesheimer Bischof als vigilantissimus Dei pontifex70, erfüllt von der Sorge um die ihm anvertraute Gemeinde, darüber nachgedacht, wie er das Volk Gottes vor der Wut der Barbaren retten könne. Mit der Tatkraft eines Priesters Christi (industria Christi sacerdotis)71 habe der überaus wachsame Hirte der göttlichen Herde sich schließlich wie der Herr selbst den Feinden der Kirche siegreich entgegengeworfen und auf diese Weise den Frieden wiederhergestellt. Diese Aussagen passen vorzüglich in den zeitgeschichtlichen Kontext des frühen 11. Jahrhunderts; denn sowohl die im Auftrag des Königs ausgeübte Funktion der bewaffneten Friedewahrung und Grenzsicherung als auch deren Ausdeutung als Kampf des wachsamen Priesters Gottes gegen die Grausamkeit der Barbaren zur Rettung des Volkes Gottes gehören eher in die Zeit des ottonisch-frühsalischen Reichskirchensystems als in die Epoche des ausgehenden 12. Jahrhunderts, in der man die Sicherung der Reichsgrenze wohl kaum als eine pastorale Aufgabe des Priesteramtes angesehen hätte. Vor allem der zweimalige Vergleich der Barbaren mit wilden Tieren 72 ist kaum in Ubereinklang zu bringen mit jenen naturrechtlichen Vorstellungen, die in dem wahrscheinlich aus dem späten 12. Jahrhundert stammenden c. 51 der Bernwardsvita73 zu fassen sind. Vgl. Vita Bernwardi, wie Anm. 20, c. 7, S. 760, Z. 4 6 f . Vgl. ebd. c. 7, S. 761, Z. 5 f.: vigilantissimus Dei pontifex cur am sibi commissae plebis agens, quomodo populum Dei de saevicia barbarorum enperet. 7 1 Ebd. c. 7, S. 761, Z . 1 2 f . 7 2 Vgl. ebd. c. 7, S. 760, Z. 46 und S. 761, Z. 10f. 7 3 Vgl. ebd. c. 5 1 , S . 779 f.; zur Datierung zuletzt: R. D r ö g e r e i t , wie Anm. 23, S. 32-37 gegen W . v o n d e n S t e i n e n , Bernward von Hildesheim über sich selbst, in: D A 12 (1956) S. 331-362, bes. S. 337ff. und eine Formulierung im U r kundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe Bd. 1, ed. K. J a n i c k e = Publicationen aus den Preußischen Staatsarchiven Bd. 65 (Berlin 1896) S. 58 f. 69 70

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Dort heißt es mit Bezug auf die Schöpfungsordnung, jede menschliche Kreatur habe iuxta ritum naturae eher das Bedürfnis, dem Schöpfer als seinen Geschöpfen zu dienen 74 : - eine Bemerkung, die mit den in c. 5 gemachten Aussagen über die Barbaren nur schwer zu vereinbaren ist. Die an c. 5 anschließenden Abschnitte 8-11 7 5 verdeutlichen ebenfalls die vorbildliche Lebensführung des Hildesheimer Oberhirten 76 . Als wichtigste Merkmale der ihm zugeschriebenen Spiritualität lassen sich dabei eine stark ausgeprägte Eucharistiefrömmigkeit und Kreuzesverehrung sowie eine intensive Betonung der aus dem Apostolat abgeleiteten pastoralen Aufgabe des Bischofsamtes bestimmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang zunächst die in c. 8 überlieferte Nachricht, Bernward habe für die feierliche Gestaltung der Liturgie mehrere mit Gold und Edelsteinen verzierte Evangelienbücher und Meßkelche anfertigen lassen, darunter einen zwanzig Pfund schweren Kelch aus reinem Gold, der bei der Ausübung des priesterlichen Dienstes während der Eucharistiefeier benutzt werden sollte 77 . Diese Schilderung findet eine Ergänzung in der im Chronicon Hildesheimense überlieferten Notiz, der Bischof habe einen kostbaren Kelch und eine sehr schöne Patene hergestellt78, sowie dem auf fol. 16v überlieferten bildlichen Zeugnis des Bernwardsevangeliars79.

7 4 Vgl. Vita Bernwardi, wie Anm. 2 0 , c. 51, S. 779, Z. 2 8 f.: Omnis creatura homo nomine ideo a sua condita est Creatore, ut iuxta ritum naturae potius suo serviat creatori quam creaturae. Zur Interpretation und Einordnung dieser Stelle vgl. jetzt auch: O . E n g e l s , Mission und Friede an der Reichsgrenze im Hochmittelalter, in: Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für F. K e m p f zu seinem 75. Geburtstag und 50jährigen Doktorjubiläum, hrsg. v. H . M o r d e k (Sigmaringen 1983) S. 2 0 1 - 2 2 4 , bes. S. 2 2 0 . 7 5 Vgl. ebd. cc. 8-11, S. 761 f. 7 6 Vgl. insbesondere c. 11, S. 762, Z. 2 6 ff. 7 7 Vgl. c. 8, S. 761, Z. 4 6 f . 7 8 Vgl. Chron. Hild., wie Anm. 68, c. 13, S. 852. 7 9 Das prachtvolle Evangeliar Bischof Bernwards, das als Hs. 18 heute ein Bestandteil des Hildesheimer Domschatzes ist, weist auf fol. 16 ν und 17 r eine doppelseitige Widmungsdarstellung auf, die auf der linken Seite (fol. 16 v) Bischof Bernward bei der Dedikation des Evangelienbuchs portraitiert und auf der rechten Seite (fol. 17 r) die thronende Muttergottes mit Christus auf ihrem Schoß zeigt; vgl. dazu die Farbabbildungen bei V. Η . Ε1 b e r η, D o m und Domschatz in Hildesheim (Königstein im Taunus 1979) S. 66f. Deutlich sind auf fol. 16 ν Korporale, Kelch und Patene vom Grün der Altarplatte abgehoben. Sie sind wie die priesterliche Gewandung Bernwards in Gold gearbeitet; die Verwendung dieses kost-

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Darüber hinaus sind zwei andere Stellen der Vita besonders hervorzuheben: c. 9-10, wo die besondere Verehrung des lebenspendenden Kreuzes Christi zum Ausdruck kommt 8 0 , und c. 11, wo es heißt, daß Bernward als Oberhirte der Hildesheimer Kirche immer bemüht gewesen sei, seinem Amt als Apostel der Völker Ehre zu machen 81 . Alle drei Stellen der Lebensbeschreibung Bernwards dokumentieren eine intensive Religiosität und sollten deshalb nicht einfach als hagiographisches Beiwerk abgetan werden. Sie dürfen vielmehr als Ausdruck einer neuartigen christozentrischen Spiritualität interpretiert werden, die den soteriologischen Aspekt besonders betonte und vielleicht den Anstoß zur Reflexion über den Charakter des priesterlichen Amtes gegeben hat. Jedenfalls weist der Kontext, in den sie eingebettet sind, in diese Richtung, und man sollte aus diesem Grund die Reformtätigkeit Bernwards als bedeutsamen Neuansatz ansehen, der für die kommende Entwicklung von großer Tragweite war. Einen ganz ähnlichen Eindruck vermittelt die von einem unbekannten Wormser Kleriker des frühen 11. Jahrhunderts verfaßte Vita Burchardi82. Sie kann zwar nicht als gleichwertiges Zeugnis einer neuen priesterlichen Spiritualität betrachtet werden, markiert aber wie die Vita Bernwardi einen echten Wendepunkt der Kirchengeschichte. Von besonderer Aussagekraft sind dabei die cap. 2 und 16, in denen die kanonikale vita communis zum Leitbild einer umfassenden Klerusreform erhoben wird 83 . In c. 2 wird berichtet, Burchard habe in Mainz mit Hilfe des dortigen Erzbischofs Willigis und Kaisers Otto III. ein Kanonikerstift zu Ehren des heiligen Viktor errichtet 84 , und in c. 16, daß er später das Domkapitel in

baren Materials verweist auf die hohe Bedeutung, die Bernward dem priesterlichen Dienst zuerkannte. 8 0 Vgl. Vita Bernwardi, wie Anm. 20, cc. 9-10, S. 762. 8 1 Vgl. ebd. c. 11, S. 762, Z. 3 7 - 3 9 : . . . secundum illud Pauli: Quamdiu gentium apostolus sum, ministerium meum honorificabo, quoadusque aecclesiae Christi pastoris vice praefuit, episcopatus sui iura in proprii honoris statu conservari summa sollicitudine procuravit ... 8 2 Wie Anm. 21. 8 3 Zu diesen Stellen zuletzt: R. S c h i e f f e r , wie Anm. 2, S. 257 A . 149. 8 4 Vgl. Vita Burchardi, ed. H . B o o s , w i e A n m . 2 1 , S . 1 0 3 ; e d . G . Waitz,wie Anm. 21, S. 833.

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Worms im Sinne der Aachener Regel reorganisiert habe 85 . Zwar werden diese Aussagen, die eine deutliche Präferenz des Wormser Bischofs für das Kanonikertum erkennen lassen, in gewisser Weise relativiert, wenn dem Bischof in c. 17 die Worte in den Mund gelegt werden: Nolo vos ignorare,

fratres, quod omnis, qui timet Deum et operatur iustitiam, acceptus est Uli, non solum monachus, sed et canonicus, etiam et laicus86. Aber diese Relativierung wird sofort aufgehoben, wenn man sich den Kontext der Passage näher ansieht. Dort heißt es, wer Kanoniker sei, möge sein Stift pro monastica vita nicht ohne Erlaubnis verlassen, sondern mit seinen Brüdern weiter in Gemeinsamkeit arbeiten. Und wenn er eine strengere Lebensform anstrebe, dann solle er innerhalb seines Stiftes Gott durch wohlgefällige Werke dienen und sich schlechter Taten enthalten 87 . Burchard wollte also nach dem Zeugnis seiner Lebensbeschreibung auf jeden Fall verhindern, daß in sich gekehrte Geistliche sich vom Priestertum abwenden und der vita monastica anschließen würden. Deshalb äußerte er ein so entschiedenes Votum für die kanonikale vita communis nach der Institutio

canonicorum von 81 6 88 . Die Sätze aus der Vita Burchardi verdeutlichen jedoch nicht nur die Einstellung Burchards, sondern auch die richtungsweisende Bedeutung der Kanonikerbewegung im Schöße der deutschen Reichskirche. Sie erscheint nun geradezu als Bindeglied zwischen den in der Karolingerzeit zu verzeichnenden Reformbestrebungen und der sich im Verlaufe des 11. und 12. Jahrhunderts immer mehr ausbreitenden Bewegung der Vita apostolica89, die das benediktinische Mönchtum traditioneller Prägung mit seiner vergleichsweise geringen Außenwirkung und seiner strengen Verpflichtung zur stabilitas loci fast völlig in die Defensive drängte. Man sollte aus diesem Grund die dem Kanonikertum gewidmeten Ab-

8 5 Vgl. ebd. c. 16, ed. H. B o o s , S.Wk-.cunctiscanoniceordinatisomnes fratres secundum regulam victu cottidiano refici ad refectorium simulpraecepit. (Ed. G. W a i t z , S. 840). 8 6 Vgl. ebd. c. 17, ed. H. B o o s , S. 117; ed. G. W a i t z , S. 840. 8 7 Vgl. ebd. c. 17, ed. H. B o o s , S . 117·. Ergo qui canonicus sit, pro monastica vita de monasterio suo sine licentia non exeat, sed cumfratribus in commune laboret; et si distnctiori vita vivere desideret, intra monasterium suum operibus Deo placentibus inserviat et de malis se sustineat... (Ed. G. W a i t z , S. 840). 8 8 Vgl. ebd. c. 17, ed. H. B o o s , S. 116; ed. G. W a i t z , S. 840, Z. 19ff. 8 9 Wie Anm. 65.

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schnitte der Lebensbeschreibung Burchards in eine Reihe mit jenen zukunftsweisenden Stellen des Wormser Dekretes stellen, in denen das neue Priesterbild eine umfassende kanonistische Fixierung erlebte. Freilich erreichte die Neubesjnnung auf den Charakter des priesterlichen Amtes in der Vita nicht dieselbe hohe Reflexionsstufe wie in der von Bischof Burchard selbst kompilierten kanonistischen Sammlung90, doch beweist der hagiographische Text immerhin, daß das Wirken Burchards nicht ohne Resonanz in seinem Bistum blieb91. Diese Tatsache kann man sicherlich auch aus anderen Passagen der nur in der Editio princeps des Wormser Dekretes aus dem Jahre 1548 92 vollständig tradierten Lebensbeschreibung ableiten, eine eingehende Analyse dieser Stellen erübrigt sich aber, weil viele der hier fixierten Nachrichten aus der von Alpert von Metz verfaßten Schrift De diversitate temporum93 entlehnt sind, also als höchst unselbständig betrachtet werden müssen. Von anderem Stellenwert ist da schon die von Berno von Reichenau redigierte Fassung der Vita Udalrici94, deren handschriftliche Tradition ei9 0 Vgl. W. W a t t e n b a c h , R. H o l t z m a n n , Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Die Zeit der Sachsen und Salier Bd. 1, neu hrsg. von F . - J . S c h m a l e (Darmstadt 1967) S. 212. 9 1 Von außerordentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang vor allem der dem eigentlichen Wortlaut der Vita vorangestellte Prologus der Vita Burchardi, ed. H. B o o s , wie Anm. 21, S. 97-102, ed. G. W a i t z , wie Anm. 21, S. 830-832, der in der Textgestalt der Cronica civitatis Wormatiensis per monachum quendam Kirsgartensem descripta, ed. H . B o o s , wie Anm. 21, S. 1-95 nicht überliefert ist (vgl. auch Anm. 92). 9 2 Die Vita Burchardi, wie Anm. 21, wurde nur zum Teil in den Text der in Anm. 91 zitierten Kirschgartener Chronik inseriert. Die restlichen Abschnitte der Lebensbeschreibung sind nur durch die Editio princeps der Decretorum libri X X Bischof Burchards von Worms, die von Berthold Q u e s t e n b u r g h (Köln 1548) besorgt wurde, überliefert. Die Vita Burchardi ist ebd. auf den nicht numerierten Seiten (IX v-XVI r) dem Text des Wormser Dekretes vorangestellt. Zur Uberlieferung der Vita vgl. allgemein: H. B o o s , wie Anm. 21, S. X X V I f . 9 3 Vgl. Μ. Μ a n i t i u s , Zu deutschen Geschichtsquellen des 6. und 11. Jahrhunderts. Ueber die Vita Burchardi episcopi Wormatiensis, in: NA 13 (1888) S. 197-202 und die Angaben in der Edition der Vita Burchardi durch H. B o o s , wie Anm. 21, S. 103-126. Der Text des von Alpert von Metz entworfenen Schreibens De diversitate temporum, das in der Regel nach der Ausgabe von G. H . P e r t z , in: M G SS4, S. 700-723 zitiert wird, ist jetztneu ediert worden: Alpertus Mettensis, De diversitate temporum et Fragmentum de Deoderico primo episcopo Mettensi, ed. H. v a n R i j (Amsterdam 1980). 9 4 Wie Anm. 22.

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nen selten glücklichen Fall darstellt. N o c h heute erhalten ist nämlich ein nicht ganz vollständiges Exemplar der Lebensbeschreibung, das aus der Reichenau stammt und sich heute als Grundstock von Codex 573 unter den Beständen der österreichischen Nationalbibliothek befindet 9 5 . In breiter karolingischer Minuskel auf der Reichenau zwischen 1020 und 1030 niedergeschrieben 9 6 , weist die Handschrift neben zwei großen goldenen Spaltleisteninitialen, die mit Ranken verziert sind 9 7 , eine ganzseitige Miniatur auf, die den heiligen Ulrich inmitten der Äbte Berno von Reichenau und Fridebold von St. Ulrich und Afra abbildet und dem Text der Vita vorangestellt ist 9 8 . Dieses ganzseitige Bild ist für unsere Interpretation von größtem Interesse, weil es in chiffrierter F o r m an das berühmte Wunder während einer von Ulrich zelebrierten Messe am Ostersonntag erinnert 9 9 - ganz ähnlich übrigens wie in einer anderen, ebenfalls aus dem frühen 11. Jahrhundert stammenden Darstellung, die uns in einer Handschrift der von Dompropst Gerhard von Augsburg zwischen 983 und 993 verfaßten älteren Ulrichsvita begegnet 1 0 0 . Beide Abbildungen dokumen-

9 5 Er reicht von fol. 26 ν bis 104 ν und umfaßt neben dem in Anm. 22 zitierten Widmungsbrief an Abt Fridebold von St. Ulrich und Afra (fol. 27 r-29 v) fast den gesamten Wortlaut der Vita Udalrici; der Schluß der Lebensbeschreibung ist auf fol. 105 r-107 r von einer Hand des 12. Jahrhunderts nachgetragen worden. 9 6 Die folgenden Angaben sind der jüngsten Handschriftenbeschreibung von Cod. 573 der österreichischen Nationalbibliothek in Wien entnommen, die bei O . M a z a l , Byzanz und das Abendland (Graz 1981) S. 489-491 abgedruckt wurde. 9 7 Die beiden verzierten Initialen befinden sich auf fol. 27 r und 37 r von Cod. 573 der österreichischen Nationalbibliothek in Wien. 9 8 Das auf fol. 26 ν überlieferte Bild ist in Originalgröße farbig wiedergegeben bei O. M a z a l , wie Anm. 96, Abb. 29. 9 9 Vgl. dazu die einleuchtende Interpretation von K. H a u p t , Die Ulrichsvita in der mittelalterlichen Malerei, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben 61 (1955) S. 17-20. 1 0 0 Nämlich Einsiedeln, Stiftsbibliothek Cod. 261, fol. 140 r; vgl. K. H a u p t , wie Anm. 99, S. 21 f. und Abb. 2, S. 122. Das Werks Gerhards wurde erstmals von M. V e l s e r u s , Opera Historica et Philologica, Sacra et Profana (Nürnberg 1682) S. 505 ff. ediert. Diese Ausgabe besitzt selbständigen Quellenwert, da sie auf drei heute verlorenen Handschriften von St. Ulrich von Afra beruht, von denen eine möglicherweise ein Autograph war. Der Druck von Velserus wurde daher in der heute maßgeblichen Edition der Vita s. Oudalrici episcopi Augustani auctore Gerhardo, ed. G. W a i t z , in: MG SS 4, S. 377-419 berücksichtigt. Weitere von Waitz allerdings nicht herangezogene Handschriften der Ulrichsvita in der Textgestalt Gerhards nennt W. W o l f , wie Anm. 57, S. 12-26.

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tieren die besondere Ehrfurcht, die man zu dieser Zeit dem Sakrament der Eucharistie entgegenbrachte. Sie verdeutlichen zugleich die große Bedeutung, die man dem priesterlichen Dienst zuerkannte. Sie können deshalb ebenso wie Buch V des Wormser Dekretes 1 0 1 als unverdächtiges Zeugnis für einen seit der Jahrtausendwende deutlich erkennbaren Wandel in der eucharistischen Frömmigkeit gedeutet werden, an dessen Ende das Wiederaufleben des Abendmahlstreits der Karolingerzeit und eine generelle Reform des priesterlichen Amtes standen. Dieser Eindruck erfährt eine nachdrückliche Bestätigung, wenn man den Inhalt der beiden für unsere Fragestellung wichtigsten Versionen der Ulrichsvita vergleichend untersucht 1 0 2 . Hatte schon Gerhard in c. 2 seiner Vita die besondere Ehrfurcht herausgestellt, die Bischof Ulrich dem Sakrament der Eucharistie gegenüber zum Ausdruck brachte 1 0 3 , so steigerte Berno von Reichenau diese Heraushebung der Bedeutung des Altarsakraments für den Augsburger dadurch, daß er sie in c. 8 seiner Lebensbeschreibung dramatisch ausgestaltete 104 . Zwar folgt seine Schilderung des am Ostersonntag geschehenen Wunders, daß die dexter a Dei während der Wandlung neben der rechten H a n d des Bischofs segnend sichtbar wurde, weitgehend dem Bericht Gerhards, obwohl auch hierbei durch die stärkere Betonung des Priesteramtes gegenüber der älteren Redaktion eine Akzentverschiebung zu verzeichnen ist 105 . Aber das nochmalige Erscheinen der Rechten Gottes während einer zweiten Messe, die Ulrich mit eini-

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Vgl. Burchardi Wormaciensis ecclesiae episcopi Decretorum libri Viginti, Lib. V: De sacramento corporis et sanguinis Domini, in: MIGNE PL 140, Sp. 751-762. 102 Die dritte, auf Bischof Gebhard von Augsburg (996-1000) zurückgehende Version der Lebensbeschreibung kann in diesem Zusammenhang weitgehend unberücksichtigt bleiben; doch weisen die der Ulrichsmesse gewidmeten Passagen in die gleiche Richtung. Vgl. Vita s. Udalrici auctore Gebhardo episcopo, in: M. Velserus, wie Anm. 100, S. 591-595, bes. S. 594: Quadam namque dominicae resurrectionis die inter sacramentorum solennia, ad quae, sifierripoterrat, plus solita devotione fervebat, cuidam presbytero apparuit quasi dextera, quae sacrosancta mysteria una cum tanto pontifice videbatur benedicere. 103 Vgl. Vita Oudalrici, wie Anm. 100, c. 2, S. 388. 104 Vgl. Vita Udalrici, wie Anm. 22, c. 8, Sp. 1191. 105 So gebraucht Berno ebd. c. 8, Sp. 1191 Α den Ausdruck sanctus sacerdos, wo Gerhard unbestimmter die Kennzeichnung religiosus vir benutzt hatte; vgl. Vita Oudalrici, wie Anm. 100, c. 2, S. 388, Z. 27.

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gen von ihm ausgewählten Priestern feierte, entstammt völlig der Konzeption des Reichenauer Abtes, dem daran gelegen war, das Mysterium der Eucharistie besonders zu betonen, was wir auch aus seinem Libellus de quibusdam rebus ad missae officium pertinentibus106 und einigen Stellen seines Briefwechsels wissen107. Nimmt man diese zweite Wundererzählung näher in Augenschein und vergleicht sie anschließend mit den Hauptgedanken des gewöhnlich unter dem Kurztitel De officio missae zitierten Traktates, dann lassen sich die Vorstellungen Bernos von der Bedeutung des Eucharistiegeheimnisses klar herausarbeiten: Am Anfang steht die demütige und dankbare Haltung des Priesters und Bischofs Ulrich, der es eingedenk seiner eigenen Unzulänglichkeit (fragilitatis) vermeidet, durch die Gunst des menschlichen Lobes in den Abgrund der Selbsterhöhung zu fallen, und Gott ständig für sein unsagbar großes Geschenk Dank sagt108. Durch diese Tugenden gelangt er zu der noch höheren Gnade, daß ihm und denen, die ihm sonntags beim Zelebrieren der heiligen Messe assistieren, die Rechte Gottes ein zweites Mal erscheint109. Die Beschreibung dieses Ereignisses ist ganz von dem Bemühen geprägt, einen Zusammenhang zwischen der Würdigkeit des Priesters und der Manifestation des eucharistischen Wunders herzustellen110. Nur den dazu Würdigen111 ist es vorbehalten, die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi sinnenfällig mitzuerleben ; nur diese Auserwählten sehen, wie die dextera Dei zusammen mit dem Bischof die göttlichen Sakramente durch das Kreuzzeichen konsekriert. Nur wenig anders ist der Gedankengang in De officio missae112. In die1 0 6 Gewöhnlich wird diese Schrift unter dem Kurztitel De officio missae zitiert. Sie ist gedruckt bei M I G N E P L 142, Sp. 1055-1080. 1 0 7 V g l . F . - J . S c h m a l e , Die Briefe, wie Anm. 22 und d e r s . , Zu den Briefen, wie Anm. 22, S. 69-95. 1 0 8 Vgl. Vita Udalrici, wie Ahm. 2 2 , c. 8, Sp. 1191 B : Vir autem Dei memor suae fragilitatis cavebat favorem humanae laudis, ne caderet in praecipitium elationis, semper gratias agens Deo super inenarrabili ejus dono ... 1 0 9 Vgl. ebd. c. 8, Sp. 1191 C D . 1 1 0 Vgl. ebd. c. 8, Sp. 1191 A - D . 1 1 1 Vgl. ebd. c. 8, Sp. 1191 C : . . . qui ad videndum digni erant ... 112 V g l . Berno von Reichenau, Libellus de quibusdam rebus ad missae officium pertinentibus, in: M I G N E P L 142, Sp. 1045-1080 (Kurztitel: De officio missae; vgl. Anm. 106).

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ser Schrift geht es freilich primär um die liturgische Gestaltung des Kirchenjahrs, doch fällt auf, daß Berno auch hier durch den Rückgriff in exordio nascentis Ecclesiae113 eine theozentrische Deutung der Feier der heiligen Messe vornimmt. Der Priester erscheint nicht als selbständig handelnde Person, denn nach dem Zeugnis Papst Alexanders I. mischt sich das Leiden des Herrn selbst in das Gebet der Priester, wenn diese die Messe feiern 114 , der Herr selbst wird sakramental gegenwärtig. Derselbe Rekurs auf die apostolische und patristische Norm, der in dem der Messe gewidmeten Traktat Bernos zu erkennen ist, erweist sich auch in der Vita Udalrici als charakteristisches Merkmal seiner Arbeitsweise. Schon der von Franz-Josef Schmale auf breiter handschriftlicher Grundlage neu edierte Widmungsbrief an Abt Fridebold von St. Afra 115 , der unter anderem auf fol. 27r-29v im Wiener Codex 573 überliefert ist 116 , zeigt diese Tatsache ganz deutlich an: nihil de propriis addam preter exemplar antiquorum patrum atque Sanctarum scriptuarum lautet der entsprechende Passus des Briefes 117 . Als Hauptverdienst seiner Arbeit an der Lebensbeschreibung des Augsburger Bischofs bezeichnete Berno also die Ausschmückung des Werkes mit Bibel- und Väterzitaten, die sich in der Heiligen Schrift und den Werken der Kirchenväter widerspiegelnde Norm wurde damit zum Maßstab seiner Redaktionstätigkeit. Daß dieses Kriterium mit einer strengen Orientierung am geltenden Kirchenrecht verbunden war, beweist der in c. 4 der Vita tradierte Abschnitt über die Erhebung Ulrichs zum Bischof von Augsburg 118 . Nicht die bei Gerhard bezeugte Investitur secundum regis edictum119, auch

Vgl. ebd. c. 1, Sp. 1055 D . Vgl. ebd. c. 1, Sp. 1057 A : Hiepassionem Domini miseuit in precatione sacerdotum, quando missae celebrantur. 1 1 5 Vgl. Anm. 22. 1 1 6 Vgl. Wien, österreichische Nationalbibliothek Cod. 573, fol. 27 r - 29 v; dazu: F . - J . S c h m a l e , Die Briefe, wie Anm. 22, S. 48 und d e r s ., Zu den Briefen, wie Anm. 22, S. 80f. 1 1 7 F . - J . S c h m a l e , Die Briefe, wie Anm. 22, N r . 15, S. 49. 1 1 8 Vgl. Vita Udalrici, wie Anm. 22, c. 4, Sp. 1188 A. 1 1 9 Vgl. Vita Oudalrici, wie Anm. 100, c. 1, S. 387, Z. 26f. secundum regis edictum potestativa manu vestituram episcopatus sibi perfecerunt; einige Codices des 11. Jahrhunderts überliefern an dieser Stelle der Lebensbeschreibung statt vestituram auch investituram. Der Investiturbegriff ist hier natürlich nicht als kennzeichnender Terminus des Reichskirchenrechts im Sinne der von R. S c h i e f f e r , 113 114

Die Erneuerung in der deutschen Reichskirche

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nicht die von Gebhard von Augsburg berichtete Übertragung durch Heinrid Regis munificentia, imo coelestis Imperatoris gratia120, sondern die einmütige Wahl von Klerus und Volk wurden von Berno als das eigentlich konstitutive Element für den Episkopat Ulrichs angesehen, die Mitwirkung des Königs auf einen bloßen Konsens zum Votum der Diözesanen reduziert121. Man könnte angesichts der Intention dieser Passage an eine nachträgliche Interpolation aus der Zeit des Investiturstreits denken, doch schließt die handschriftliche Überlieferung dieser Stelle in dem zwischen 1020 und 1030 verfaßten Wiener Codex 573 eine solche Möglichkeit absolut sicher aus 122 . So muß es bei der der herrschenden Forschungsansicht123 widersprechenden Feststellung bleiben, daß die Kritik an der herrscherlichen Prärogative bei der Wahl ins Bischofsamt schon in den zwanziger Jahren des 11. Jahrhunderts lebendig war. Der Investiturstreit kann demnach wohl kaum als das Ergebnis einer situationsbedingten Zuspitzung des Verhältnisses der beiden gelasianischen Gewalten in der Zeit nach dem Canossagang Heinrichs IV. angesehen werden124, sondern muß eher als Folge eines sich nur langsam vollziehenden Wandels der Spiritualität bewertet

Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König = Schriften der M G H Bd. 28 (Stuttgart 1981) S. 13 f. A . 27 angeführten Testimonien gebraucht, sondern als Ausdruck für die Besitzeinweisung im älteren Sinne, im Rahmen der Inthronisation. Vgl. dazu zuletzt: Μ. Μ i n n i n g e r , Von Clermont zum Wormser Konkordat. Die Auseinandersetzungen um den Lehnsnexus zwischen König und Episkopat = Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J . F. B ö h m e r , Regesta Imperii Bd. 2 (Köln/Wien 1978) S. 25 A. 108. 1 2 0 Vgl. Vita Udalrici auctore Gebhardo, wie Anm. 102, S. 592: Heinrici Regis munificentia, imo coelestis Imperatons gratia, Domino Udalrico Augustae sedis cessit regenda monarchia. 1 2 1 Vgl. Vita Udalrici, wie Anm. 22, c. 4, Sp. 1188 A : . . . totius cleri acpopuli voto in unurn concurrente, et Henrici regis voluntate in idipsum consentiente, idem vir Dei sanctus in cathedram episcopalem hanc in urbe est sublimatus. 1 2 2 Vgl. O . M a z a l , wie Anm. 96, S. 489-491. 1 2 3 Vgl. etwa das in Anm. 119 zitierte Buch von R. S c h i e f f e r , das als repräsentativ für die heute überwiegende Meinung gelten kann. 1 2 4 Für eine solche Interpretation der Vorgänge sind zuletzt eingetreten: R . S c h i e f f e r , wie Anm. 119, S. 129ff. und J . V o g e l , Gregor VII. und Heinrich IV. nach Canossa. Zeugnisse ihres Selbstverständnisses = Arbeiten zur Frühmittelalterforschung Bd. 9 (Berlin/New Y o r k 1983) S. 2 und 96ff.

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Kanonikale Lebensform und priesterliche Ideale

werden, in dessen Verlauf der Unterschied zwischen Herrscherwürde und Priesteramt immer deutlicher zutage trat. Es gehörte nicht die rigorose Entschlossenheit einer Persönlichkeit wie Humbert de Silva Candida dazu, die königliche Einsetzungspraxis grundsätzlich in Frage zu stellen. Bereits die schlichte Orientierung an den Normen des kanonischen Rechts, wie sie uns in den Werken Burchards von Worms und Bernos von Reichenau begegnen, führten zu einem Gedankengang, der den geistlich-weltlichen Synergismus des Reichskirchensystems ganz prinzipiell für problematisch erklärte. Im Vergleich zu dem gerade besprochenen Bericht über die Bischofserhebung Ulrichs wirken die übrigen Abschnitte der von Berno redigierten Vita des Augsburger Oberhirten weit weniger zukunftsweisend, doch sind auch Tendenzen zur besonderen Betonung des priesterlichen Amtes zu beobachten, die weit über die von Dompropst Gerhard von Augsburg erstellte Vorlage hinausgehen. Schon in c. 2 werden diese Bestrebungen ganz klar erkennbar, wenn Berno die wundersame Entwöhnung Ulrichs mit der Isaaks vergleicht und mit seiner späteren Tätigkeit als Priester in Beziehung setzt 1 2 5 . Das Wunder der Genesung Ulrichs erscheint nun als prophetisches Zeichen für den priesterlichen Werdegang, den der Knabe später nehmen sollte, während es bei Gerhard nur als Beweis für die außergewöhnliche Begnadung des Knaben dient 126 . Ganz ähnlich fallen auch die Veränderungen aus, die Berno an anderen Teilen der Vita vornimmt. Während in der Fassung Gerhards einfach berichtet wird, Ulrich habe auf den Rat der Klausnerin Wiberat die Abkehr vom Mönchtum vollzogen 127 , malt Berno das asketische Leben der frommen Einsiedlerin mit vielen Einzelheiten aus 1 2 8 . Im Unterschied zu seiner Vorlage betont Berno an anderer Stelle, allein die sittliche Lebensführung Ulrichs und seine Vollkommenheit in den drei christlichen Kardinaltugenden Glaube, Hoffnung und Liebe habe Bischof Adalbero be-

1 2 5 Vgl. Vita Udalrici, wie Anm. 22, c. 2, Sp. 1186 A : Hie itaque mysteriorum "Dei dispensator futurus jam solido cibo opus habebat confortari, ut in mensa altaris Christi, velut ad coelestem convivium quandoque consistens, posset in tempore suo tritici mensuram dare conservis suis. Vgl. W . W o l f , wie Anm. 57, S. 77. 1 2 6 Vgl. Vita Oudalrici, wie Anm. 100, c. 1, S. 385f. 1 2 7 Vgl. ebd. c. 1, S. 386. 1 2 8 Vgl. Vita Udalrici, wie Anm. 22, c. 3, Sp. 1186f.

Die Erneuerung in der deutschen Reichskirche

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wogen, den Jüngling in seine Dienste zu nehmen129. Er verschweigt damit die eher weltlichen Vorzüge, die Gerhard aufzählt: nobilitas parent um, bona indoles und formositas1*0. Wo Gerhard die ersten Maßnahmen Ulrichs als Bischof von Augsburg bis in die letzten Details anschaulich vergegenwärtigt131, listet Berno einen langen Tugendkatalog auf, dessen Axiomatik durch das Neue Testament bestimmt ist 132 . Er geht vom Priesterideal aus, nicht vom Leben. Der heilige Ulrich dient ihm dabei lediglich als Beispiel für eine vorbildliche priesterliche Lebensführung. Die Persönlichkeit des Augsburger Bischofs verblaßt deshalb zum stilisierten Idealtypus, der fast überhaupt keine individuellen Charaktermerkmale aufweist. Fast zwangsläufig ergeben sich aus dieser Reduzierung der persönlichen Elemente in der Gestalt Ulrichs allgemeine Aussagen über das Wesen des Priester- und Bischofsamtes. Der Augsburger Oberhirte wird in erster Linie als Repräsentant einer neuen Idealvorstellung vom kirchlichen Amt gesehen, in deren Mittelpunkt der Zusammenhang zwischen der persönlichen Heiligung und dem priesterlichen Dienst an den Sakramenten steht. Das nächtliche Gebet wird somit zum Pendant der Eucharistiefeier am Tage 133 , die Verbindung von priesterlichem Dienst und monastischer Spiritualität wird mit den Worten zusammengefaßt: Et, ut brevitatis compendio uter, sic exterior gerebat officium sacerdotis, ut interius non omitteret religionem monasticae conversationis134. Neben diesen Grundgedanken der Annäherung von monastischem und klerikalem Leben treten jedoch auch andere Leitbilder: vor allem eine starke Betonung des pastoralen Aspekts des Priestertums und ein energisches Eintreten gegen den simonistischen Handel mit kirchlichen Ämtern

Vgl. ebd. c. 3, Sp. 1187B. Vgl. Vita Oudalrici, wie Anm. 100, c. 1, S. 386, Z.43-387, Ζ. 1 :Ipse vero propter nobilitatem parentum et bonam eius indolem et formositatem laeto animo suseipiens ... Vgl. ebd. cc. 1 - 8 , S. 387-396. 1 3 2 Vgl. Vita Udalrici, wie Anm. 22, c. 5, Sp. 1188B. 1 3 3 Vgl. ebd. c. 6, Sp. 1189A: et node quidem in oratione pervigil, seipsum in ara cordis per orationis studio, mactavit: die vero super altare visibilem ac salutarem hostiam Domino immolavit, quo ejus sacrificium Redemptori omnium esset gratum et aeeeptum. 1 3 4 Ebd. c. 6, Sp. 1189C. 129 130

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Kanonikale Lebensform und priesterliche Ideale

und Weihen135. Simoniacorum haeresin quasi perniciosam pestem devitandam esse heißt es in c. 10 der Vita 136 , und in c. 14 wird selbst der Kampf Ulrichs gegen die Ungarn noch als pastorale Aufgabe der Auseinandersetzung mit der civitas diaboli ausgedeutet 137 . Das Priestertum erscheint in der Ulrichsvita Bernos als der höchste Kulminationspunkt christlicher Lebensweisen, vorausgesetzt, daß mit der gewissenhaften Erfüllung der spezifischen Aufgaben des priesterlichen Dienstes eine monastische Form der Frömmigkeit einhergeht. Diese Synthese von officium sacerdotis und religio monasticae conversations138 nach biblischem Vorbild bildet für den Reichenauer Abt das geistliche Ideal; und angesichts der auffallenden Parallelen zu den Leitbildern der Kanonikerbewegung im Schöße der deutschen Reichskirche wird deutlich, wieso die von Berno überarbeitete Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich in das hagiographische Umfeld der priesterlichen Reform Kaiser Heinrichs II. gehört. Die Erneuerung des kanonikalen Lebens, so kann man das Fazit unserer Untersuchung der drei Bischofsviten formulieren, darf nicht als isolierte Entwicklung interpretiert werden, sondern sie muß vielmehr als wesentlicher Bestandteil eines sich nur langsam vollziehenden Wandels der Spiritualität aufgefaßt werden, in dessen Zentrum neben dem Rückgriff auf die Urkirche mittels des Kirchenrechts eine starke Aufwertung der priesterlichen Aufgabe der Sakramentenvermittlung bei gleichzeitiger Annäherung an ursprünglich monastische Vorstellungen der Selbstheiligung zu lokalisieren ist. Nicht die Initiative des deutschen Königs war der ausschlaggebende Grund für die Reform des priesterlichen Lebens, sondern eine aus dem ottonischen Reichskirchensystem organisch erwachsende Reflexion über den Charakter des kirchlichen Amtes war der Ausgangspunkt der Entwicklung. Die Maßnahmen Heinrichs II. veränderten freilich für kurze Zeit die Stoßrichtung dieses Prozesses, sie konnten ihm aber nicht die aus der spirituellen Neubesinnung resultierende Eigendynamik nehmen, die schließlich zusammen mit anderen Erneuerungsansätzen in die

Vgl. ebd. c. 10, Sp. 1192D-1193B. Ebd. c. 10, Sp. 1193 A. 1 3 7 Vgl. ebd. c. 14, Sp. 1195CD,bes. Sp. 1 1 9 5 D : . . . Hungan, qui erant civitas diaboli ... 1 3 8 Vgl. ebd. c. 6, Sp. 1 1 8 9 C : . . . sic exteHus gerebat officium sacerdotis, utinterius non omitteret religionem monasticae conversations. 135

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allgemeine Kirchenreform des 11. Jahrhunderts einmündete. Die Kanonikerbewegung muß als Ausschnitt einer umfassenden religiösen Neubesinnung angesehen werden, an einer solchen Perspektive ist nach dem bisher Gesagten nicht mehr zu zweifeln.

2 . D i e N e u o r d n u n g d e s p r i e s t e r l i c h e n L e b e n s in Frankreich und Italien Etwas anders als in Deutschland, wo sich die Wiederbelebung der kanonikalen Lebensform im Schöße des ottonischen Reichskirchensystems vollzog, entwickelte sich der kanonikale Neubeginn in Italien und Frankreich. Zwar sind auch hier ganz ähnliche Veränderungen im Bereich der Spiritualität zu konstatieren - insbesondere im Ordenswesen kann man von sofort ins Auge fallenden Analogien sprechen. Aber die einheitsstiftende Kongruenz von politischer und religiöser Ordnung war hier viel weniger ausgeprägt als im deutschen Reichsgebiet: in Frankreich, weil die königliche Landeskirche nur ein Drittel der vorhandenen Bistümer umfaßte 139 , im feudal zersplitterten Nord- und Mittelitalien, weil es den sächsischen Herrschern schwerfiel, die nicht zu einer eigenen Landeskirche zusammengewachsenen Metropolitanverbände in die eigene Kirchenordnung zu integrieren 140 . Erst Heinrich II. gelang es, zumindest die nordöstlichen Landschaften Italiens durch konsequente Personalpolitik bei der Besetzung vakanter Bischofsstühle schrittweise in die Reichskirche

1 3 9 Die Zahl ist dem Beitrag von F. Κ e m ρ f , Abendländische Völkergemeinschaft und Kirche von 900 bis 1046, in: Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. v. H. J e d i n , Bd. 3, 1 (Freiburg i. Br./Basel/Wien 1966) S. 222 entnommen, der darauf aufmerksam macht, daß die Kapetinger zur Zeit des Investiturstreits „von den insgesamt 77 zählenden Bistümern bloß über 25" verfügen konnten. Einen weitgespannten Überblick über die Entwicklung in Frankreich liefert jetzt: R. K a i s e r , Bischofsherrschaft und Fürstenmacht = Pariser Historische Studien Bd. 17 (Bonn 1981) bes. S. 624-633. 1 4 0 Zur Situation in Nord- und Mittelitalien vgl. die einführenden Bemerkungen von F. K e m p f , wie Anm. 139, S. 224-228 und Th. Schief fer, in: Handbuch der Europäischen Geschichte, hrsg. v. Th. S c h i e d e r , Bd. 1 (Stuttgart 1976) S. 1046f. Außerdem vgl. jetzt auch: R. P a u l e r , Das Regnum Italiae in ottonischer Zeit = Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bd. 54 (Tübingen 1982).

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Kanonikale Lebensform und priesterliche Ideale

einzubeziehen. U n d es ist gewiß kein Zufall, daß gerade von diesem Raum die kanonikale Neuordnung des Landes ihren Ausgang nahm 1 4 1 . Vor allem die zuletzt von Antonio Samaritani 1 4 2 und Hans-Peter Laqua 1 4 3 eingehend besprochene Klerikerreform des Ravennater Suffraganbischofs Johannes von Cesena, die dieser zusammen mit seinem Metropoliten Erzbischof Gebhard (1027-1044) durchführte, ist zum Teil auf die Italienpolitik der deutschen Könige zurückzuführen. Denn Konrad II. hatte mit der Berufung Gebhards von Eichstätt zum Erzbischof von Ravenna eine wichtige Voraussetzung geschaffen, auch wenn man zugeben muß, daß die Reforminitiative von 1042 sich nicht direkt an der kanonikalen Erneuerungsbewegung des deutschen Reiches orientierte. Ohne sich auf die Aachener Regel von 816 zu berufen, griff der neue Reformansatz nämlich wieder unmittelbar auf das neutestamentliche Leitbild vom Gemeinschaftsleben der Apostel zurück 1 4 4 und überwand damit die von der Karolingerzeit geprägte Ideenwelt des Kanonikertums. Nicht mehr der Gedanke der wirtschaftlichen Versorgung nachgeborener Kinder sollte beim Eintritt ins Kanonikerstift den Ausschlag geben, sondern die priesterliche Lebensform selbst sollte den Kandidaten motivieren, einer Klerikergemeinschaft beizutreten. Diese genuin religiöse Intention des Cesenater Reformansatzes wird ganz besonders deutlich, wenn man die wichtigste Quelle, eine im Original überlieferte Bischofsurkunde des Johannes von Cesena vom 2. Juni 1042 1 4 5 , einer genaueren Analyse unterwirft: Das Schriftstück, das sich

1 4 1 Einen Uberblick über die wichtigsten kanonikalen Reformzentren vermitteln folgende Bücher und Aufsätze: F. P o g g i a s p a l l a , wie Anm. 2, S. 144ff.; A. S a m a r i t a n i , Gebeardo di Eichstätt, arcivescovo diRavenna(1027-1044) ela riforma imperiale della Chiesa in Romagna, in: Analecta Pomposiana 3 (1967) S. 109-140 und die Aufsatzsammlung: L a vita comune del clero nei secoli X I e X I I , 2 Bde. = Miscellanea del Centro di Studi Medioevali Bd. 3,1-2 (Mailand 1962). 1 4 2 Vgl. A. S a m a r i t a n i , wie Anm. 141, S. 109-140. 1 4 3 Vgl. H . - P . L a q u a , Traditionen und Leitbilder bei dem Ravennater Reformer Petrus Damiani 1042-1052 = Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 30 (München 1976) S. 90-103. 1 4 4 Vgl. ebd. S. 91. 1 4 5 Ed. A. S a m a r i t a n i , wie Anm. 141, S. 136-140 (mit Abbildung der Urkunde).

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heute im Archivio del monastero del Monte (Cesena) befindet 146 , faßt die Idealvorstellungen des Reformversuchs programmatisch zusammen und bietet dabei gegenüber den spärlichen literarischen Nachrichten - etwa der Vita Romualdi - den unschätzbaren Vorteil, die Ziele der Bewegung aus dem Blickwinkel des wichtigsten Akteurs zu erläutern. Eine neue ekklesiologische Grundanschauung wird hier zum maßgeblichen Kriterium für die anstehende Klerusreform, die paulinische Lehre von den verschiedenen Gliedern des einen Leibes Christi zum normativen Ausgangspunkt der als Beispiel gedachten priesterlichen Erneuerung. Bereits die ausführliche Arenga enthält dabei eindeutige Tendenzen zugunsten des Priestertums: Während den Mönchen die Kreuzesnachfolge in vita propria aufgetragen sei und die Laien sich mit weltlichen Dingen und Geschäften auseinanderzusetzen hätten, bilde dievita clericorum den Mittelweg zwischen beiden Formen des Lebenswandels (conversationis species), der höher einzustufen sei als die beiden anderen, weil er sich der Lebensführung des Herrn am meisten annähere147. Die Kleriker würden gewissermaßen die allen übergeordneten Augen der Kirche verkörpern, weil sie das Leben aller beobachten würden und den speziellen Auftrag hätten, alle zu weiden148. Gerade sie folgten damit dem Vorbild der Apostel, weil sie von Christus zu Hirten der Kirche bestellt und in die Welt gesandt worden seien, um zu predigen und alle zu den Freuden des ewigen

1 4 6 Unter dem Bestand des Archivio dei Canonici della Cattedrale di Cesena, pergamena n. 4. 4 7 Vgl. dazu den Text der Bischofsurkunde des Johannes von Cesena, ed. A. S a m a r i t a n i , wie Anm. 141, S. 137f.: Monachi quippe omnibus, quae mundi sunt, renuntiantes seipsos abnegant et post crucifixum Jesum (?) suam crucem portant et dum ab aliis penitus removentur, non aliorum, sed vitam proprium curant. Laid vero dum de transitoriis inerent rebus temporalibus utunturpossessionibus, dum conugia excolunt, dum filios nutriunt cumque secularibus negotiis applicantur qui apicem mundanae concupiscentie contingunt, ab ea necessarie coinquinantur. Sed inter has duas conversationis species media est vita clericorum, qui quanto in ecclesia oportuniores existunt, tanto ipso Domino, qui ecclesie caput est conciniores esse creduntur. 1 4 8 Ebd. S. 138, direkt anschließend an die in Anm. 147 zitierte Stelle heißt es: Si enim sunt ecclesie oculi qui omnium vitas super omnespositi inspiciunt, etspeciali mandato universes pascunt ...

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Kanonikale Lebensform und priesterliche Ideale

Königreichs zu führen 149 . Deshalb sei ihnen, denen die pastorale Bindeund Lösegewalt anvertraut worden sei, auch aufgetragen, nach dem Vorbild der Apostel 150 alles gemeinsam zu besitzen. Denn, wenn die Kleriker den Stand der Apostel imitieren wollten, müßten sie sich deren Lebensform (mores) aneignen, um nicht nur dem Namen nach, sondern auch in der Handlungsweise mit jenen übereinzustimmen151. Dieses in der Arenga ausformulierte Idealbild des priesterlichen Lebens entsprach nun keineswegs - wie ein Blick auf die Narratio belegt 152 - den tatsächlichen Zuständen in der Cesenater Kirche. Aus diesem Grund versuchte der in der Dispositio dokumentierte Reformanstoß, den Klerus der Kathedralkirche bindend auf eine priesterliche vita communis zu verpflichten, damit er immer zum liturgischen Dienst bereitstehe153. Die feierliche Gestaltung der divina officio.154 bildete nach Ansicht des Bischofs von Cesena die zentrale Aufgabe der Domkleriker und nur deshalb schien ihm eine großzügige materielle Ausstattung der Bischofskirche gerecht-

149 Vgl. ebd. S. 138 den unmittelbaren Anschluß: . . . pascunt, nimirum ipsi apostolicam immaginem retinent quia α Christo ecclesiepastores effecti in mundum predicaturi missi sunt, ut eius oves passcerent (!) et solum se, sed etiam universas gentespredicationis verbo instructas et exempli imitatione formatas ad eterni regni gaudia ducerent qui acepta potestate in animas ligandi atque solvendi dominicum passebant gregem omnes unanimiter sentientes omnia comuniter possidentes, et sicut uniusfidei erant cultores unius Dominipredicatores, ita comuniter tamquam nicbil abentes omnium erant possessores. 150 Gemeint ist Act 4,32 ff.; zur Wirkungsgeschichte dieser Bibelstelle vgl. die bei H.-P. L a q u a , wie Anm. 143, S. 95 A. 200 zitierte Literatur. 151 Auf die in Anm. 149 wiedergegebene Passage der Bischofsurkunde, ed. A. S a m a r i t a n i , wie Anm. 141, S. 138 folgt der Satz: Debent itaque clerici qui eorum ordinem imitantur, eorum mores assumere quatenus quibus concordant in nomine, non penitus discrepent in actione. 152 Vgl. ebd. S. 138; die Passage ist wörtlich zitiert bei H.-P. L a q u a , wie Anm. 143, S. 96 A. 202. 153 Der entscheidende Passus der Bischofsurkunde, ed. A. S a m a r i t a n i , wie Anm. 141, S. 138 lautet:... aliquantes sacerdotes nec non et diacones ceterosque ecclesiastici status inunum collegimus qui ad onorem Dei et sancti Johannis Baptiste comuniter in uno loco conveniant ubi vescantur et dormiant ad serviendum Deo sine intermissione consistant, et ut solummodo divino cultui mancipentur, apopulari conversatione remoti fiant. 154 Vgl. ebd. S. 139: Quo eo quia in ecclesianostriepiscopatussine intermissione divina officia celebrare debeatis, id est matutina et vespertina, missarumque officio,, ceteraque quae in ecclesia pro vivis et defunctis regulariter sunt agenda.

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fertigt 1 5 5 . Die Forderung der persönlichen Besitzlosigkeit der Domkanoniker war also für Johannes von Cesena nicht Selbstzweck, sondern diente den Aufgaben des priesterlichen Amtes. Sie wurde damit zum Kernstück einer an patristischen und apostolischen Vorstellungen orientierten Reform, die ihrerseits von einer Neubesinnung auf den Charakter des kirchlichen Amtes ausging. Die Reflexion über das Ideal der priesterlichen Lebensführung wurde damit zum eigentlichen Motor der Reformbestrebungen. Die historische Bedeutung dieses Neuansatzes bestand darin, daß er über Petrus Damiani indirekt auf die Vorstellungen Hildebrands und N i kolaus II. einwirkte 1 5 6 . Auf der päpstlichen Lateransynode von 1059 sollte sich die in Cesena angeregte Wiederbelebung der augustinischen Tradition im Kanonikertum 1 5 7 auf universalkirchlicher Ebene erstmals durchsetzen, die Grundidee des mönchischen Klerikats 1 5 8 wurde dabei zum Leitbild der vom Reformpapsttum gesteuerten priesterlichen Erneuerung. Auch wenn einzelne Gedanken der Bischofsurkunde von 1042 - wie das in der Dispositio ausformulierte asketische Motiv des militare Deo159 - nur langsam und über viele Stationen 1 6 0 Eingang in das Reformprogramm des aufstrebenden Papsttums fanden, der entscheidende Impuls zur Neuordnung des priesterlichen Lebens durch die Kurie ging von dem unbedeutenden Suffraganbistum Ravennas aus. Freilich bedurfte es der gestaltenden Tatkraft eines Petrus Damiani, um eine solche Entwicklung möglich zu machen, aber einer der Grundsteine der wegweisenden Beschlüsse der päpstlichen Generalsynode von 1059 wurde in Cesena gelegt. Vgl. dazu die Interpretation von H.-P. Laqua, wie Anm. 143, S. 97f. Vgl. ebd. S. 101 A. 216 mit Hinweis auf den persönlichen Kontakt zwischen Johannes von Cesena und Petrus Damiani. 1 5 7 Dazu grundlegend: G. B. Ladner, Die mittelalterliche Reformidee und ihr Verhältnis zur Idee der Renaissance, in: MIÖG 60 (1952) S. 51-55 und d e r s., The Idea of Reform. Its Impact on Christian Thought and Action in the Age of the Fathers (Cambridge/Mass. 1959) S. 365ff. 1 5 8 Vgl. G. B. Ladner, Reformidee, wie Anm. 157, S. 59 A. 128. 1 5 9 Vgl. die folgende Stelle der Bischofsurkunde des Johannes von Cesena, ed. A. Samaritani, wie Anm. 141,S. 138: Nam sicut ait apostolus: qui militat Deo non implicat se negotiis secularibus qui ut sine mumuratione possint degere, necessariosque sibi sumptos abere in digentibus etiam elemosinam dare ... 1 6 0 Eine dieser Wegmarken bildet Petrus Damiani, Op. 24: Contra clericos reguläres proprietaries, in: MIGNE PL 145, c. 6, Sp. 489f. 155

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Verschwindend gering ist demgegenüber der Einfluß der 1039 gegründeten Kanonikergemeinschaft von S. Ruf in Avignon in der Anfangsphase der Kirchenreform einzustufen 161 , doch ist es angesichts der späteren Breitenwirkung dieses Reformstiftes angebracht, seine Anfänge wenigstens schlaglichtartig zu beleuchten. Von ähnlichem asketischem Geist beseelt wie Johannes von Cesena suchte Bischof Benedikt von Avignon die in der Dotationsurkunde vom 1. Januar 1039 namentlich aufgezählten Kleriker zu unterstützen, die nach einer Kirche verlangt hatten ut religiose illic viverent162. Die kleine Gemeinschaft verfolgte anfangs zwar sicherlich noch das eremitische Ideal der Weltflucht 163 , aber als der in der zweiten Schenkungsurkunde164 Benedikts von Avignon erwähnte Petrus Balde, der Propst des Domkapitels, zum Dekan des Stiftes von S. Ruf gewählt wurde, änderte sich diese Situation grundlegend, weil der neue Leiter der Gemeinschaft daran interessiert sein mußte, eine enge Bindung an die Bischofskirche herbeizuführen. Positiven Bescheid über die nun geltenden Leitbilder des später so berühmten Reformstiftes geben uns die Quellen allerdings nicht, so daß man sich auf Mutmaßungen beschränken muß. Etwas mehr Klarheit gewinnt man dagegen, wenn man versucht, ein Gesamtbild der kanonikalen Erneuerung in Frankreich zu zeichnen. Eine

1 6 1 Über den Reformkreis von S. Ruf bereitet Frau U. V o n es eine Untersuchung vor, die mir in das Manuskript ihrer Arbeit dankenswerterweise Einsicht gewährte. Von den bisherigen Arbeiten sind hervorzuheben: Ch. D e r e i n e , Saint-Ruf et ses coutumes aux Xle et Xlle siecles, in: Rev. Ben. 59 (1949) S. 161-182; Α. H. D up arc, Un joyau de l'Eglise d Avignon, in: La vita comune, wie Anm. 141, Bd. 2, S. 115-128; B. B l i g n y , L'Eglise et les ordres religieux dans le roy aume de Bourgogne aux Xle siecles (Grenoble 1960); Y. L e b r i g a n d , L'ordre de Saint-Ruf en France (1039-1774) = These de l'ficole des Chartes (masch.) (Paris 1956) und J. C h a t i 11 ο n, La crise de l'Eglise aux Xle e Xlle siecles et les origines des grands federations canoniales, in: Revue d'histoire de la spiritualite 53 (1977) S. 3 ^ 5 . 1 6 2 Codex diplomaticus Ordinis sanctiRufi Valentiae, ed. U. J. Ch e v a l i e r = Collection des cartulaires dauphinois, Bd. 9 (Valence 1891) Nr. 1, S. 1. 1 6 3 Vgl. ebd. Nr. 1, S. 1: Divino amore tacti, pro oblitibus carnis. 1 6 4 Zur Datierung vgl. demnächst Kap. 1, III A. 29 der in Anm. 161 erwähnten Disssertation von U. V o n es. Als Eckdaten bestimmt Frau Vones die letzte Erwähnung Bischof Benedikts in Avignon (1043/44) und den Amtsantritt von dessen Nachfolger Rostagmus im Jahre 1050.

Die Neuordnung in Frankreich und Italien

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Musterung der von Charles Dereine 165 zusammengestellten Dokumente, die sich auf die französische Kanonikerreform zwischen 975 und 1059 beziehen, führt nämlich zu dem Ergebnis, daß die priesterliche Erneuerung hier ähnlich energisch betrieben wurde wie im Gebiet des deutschen Reiches. Dies geschah, obwohl eine nennenswerte Förderung durch das Königtum nicht existierte. Die Reform blieb dabei nicht auf den Rahmen der königlichen Landeskirche beschränkt, sondern erfaßte fast alle Gebiete Frankreichs. Allerdings sind hier nicht dieselben gegen die Aachener Regel gerichteten Tendenzen zu beobachten wie in Cesena 166 , auch fehlt es an hagiographischem Material, wie es in Deutschland vorhanden war. Dennoch wäre es verfehlt, das Eigengewicht der französischen Kanonikerreform herunterzuspielen, auch wenn die Spiritualität des Landes durch das Wirken des cluniazensischen Verbandes vorwiegend monastisch bestimmt war. Die priesterliche Erneuerungsbewegung entwickelte sich nämlich - ganz ähnlich wie die Wiederbelebung der kanonikalen Lebensform an den Kathedralkapiteln und Kollegiatskirchen in Katalonien 167 - organisch aus der unter Ludwig dem Frommen begonnenen Reform und erhielt einen gewaltigen Auftrieb, als Erzbischof Adalbero von Reims im Jahre 975 sein Kathedralkapitel im Sinne der Aachener Regel reformierte 168 und damit der gesamten französischen Landeskirche ein Beispiel gab. Zwar war die Wirkung dieses Neuansatzes auf die sich nur langsam in Bewegung setzende Kirchenreform des 11. Jahrhunderts nicht so groß

1 6 5 Vgl. Ch. D e r e i η e, Vie comune, regle de Saint Augustin et chanoines reguliere au X l e siecle, in: RHE 41 (1946) S. 3 6 6 - 3 7 3 . 1 6 6 Zu Cesena siehe oben Anm. 149 und 150. 1 6 7 Vgl. etwa den bei Ch. D e r e i n e , wie A n m . 165, S. 369, Nr. 14 auszugsweise zitierten Bericht über die Reform des Domkapitels Seo in Urgel im Jahre 1 0 1 0 ; außerdem: J . J . B a u e r , Die vita canonica an den katalanischen Kollegiatkirchen im 10. und 1 1 . Jahrhundert, in: Spanische Forschungen. Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 21 (1963) S. 59 f.; d e r s . , Die vita canonica der katalanischen Kathedralkapitel vom 9. bis zum 11. Jahrhundert, in: Homenaje a Johannes V i n c k e Bd. 1 (Madrid 1962/63) S. 1 0 3 f . und O. E n g e l s , Episkopat und Kanonie im mittelalterlichen Katalonien, in: Spanische Forschungen. Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 21 (1963) S. 92 A . 4 1 . Interessant ist auch der bei Ch. D e r e i n e , wie Anm. 1 6 5 , S . 369, Nr. 13 zitierte Passus über die Restauration des Kathedralkapitels in Barcelona im Jahre 1009. 1 6 8 Vgl. Ch. D e r e i n e , wie Anm. 165, S. 366, Nr. 1.

122

Kanonikale Lebensform und priesterliche Ideale

wie die der kanonikalen Zentren Ober- und Mittelitaliens (Cesena, Fano, Ravenna, Oulx/Ulzio, Lucca und Fiesole) 169 . Aber die Kanonikerbewegung Frankreichs schuf ebenso wie der cluniazensische Klosterverband wichtige spirituelle Voraussetzungen für den Erfolg des Reformpapsttums und sollte deshalb als wichtiger Baustein der Neuordnung des priesterlichen Lebens angesehen werden. Nicht so sehr der gestaltende Einfluß auf den Gang der Kirchenreform, sondern vielmehr die Bereitstellung eines geistlichen Nährbodens war das Ergebnis dieser Bewegung, die Initiative zur allgemeinen Kirchenreform ging vor allem von Deutschland und Italien aus.

169

Wie Anm. 141.

III. PRIESTERBILD UND REFORMPAPSTTUM A N F Ä N G E N DER 1.

IN

DEN

KIRCHENREFORM

Vorboten einer neuen Auffassung vom in L o t h r i n g e n u n d

Priestertum

Burgund

Die Tatsache, daß die unter Benedikt VIII. und Heinrich II. vorsichtig begonnene R e f o r m des priesterlichen Lebens und der sakramentalen Heilsvermittlung erst unter Heinrich III. energisch wiederaufgenommen w u r d e , ist schon in der älteren Forschung stark betont w o r d e n 1 . A l l e r dings haben T h e o d o r Schieffer 2 und Klaus-Jürgen Herrmann 3 diese Sichtweise erheblich relativiert: der eine, indem er auf die Kontinuität der Kirchenpolitik K o n r a d s II. zu der seines Vorgängers hinwies, der andere, indem er das allzu negative Bild des Tuskulanerpapsttums korrigierte. Dennoch w i r d man der Ansicht A . Haucks 4 , H . - J . Vogts 5 und F . - J . 1 Von den Veröffentlichungen, die bereits im 19. Jahrhundert erschienen, seien hier nur die wichtigsten genannt: W . A. v a n Η e n g e l , Keizer Hendrik de derde (Leiden 1844); F. S t e i n h o f f , Das Königthum und Kaiserthum Heinrichs III. (Göttingen 1865); W . v o n G i e s e b r e c h t , Geschichte der deutschen Kaiserzeit (Braunschweig 4 1875) S. 405—431 und S. 452-167; E. S t e i n d o r f f , Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich III., 2 Bde. (Leipzig 1874/81) und in komprimierter Form: d e r s . , Heinrich III., der Kaiser, in: ADB Bd. 11 (Leipzig 1880) S. 384-399, bes. S. 390ff.; außerdem: P. B r u c k e r , L'Alsace et l'Eglise au temps du pape Leon IX., 2 Bde. (Straßburg 1889). 2 Vgl. Th. S c h i e f f e r , Heinrich II. und Konrad II. Die Umprägung des Geschichtsbildes durch die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts, in: D A 8 (1951) S. 384-439; nachgedruckt als Monographie = Libelli Bd. 285 (Darmstadt 1969) S. 1-59. 3 Vgl. K . - J . H e r r m a n n , D a s T u s k u l a n e r p a p s t t u m ( 1 0 1 2 - 1 0 4 6 ) = Päpsteund Papsttum Bd. 4 (Stuttgart 1973). Vgl. A. H a u c k , Kirchengeschichte Deutschlands Bd. 3 (Leipzig 3 4 1 9 0 6 ) S. 544 ff. und S. 568 ff. 5 Vgl. H . - J . V o g t , Konrad II. im Vergleich zu Heinrich II. undHeinrich III. Ein Beitrag zur kirchenpolitischen wie religiös-geistlichen Haltung der drei Kaiser (Diss, masch. Frankfurt 1957).

124

Die Anfänge der Kirchenreform

Schmales 6 zustimmen müssen, ,,daß Heinrich . . . die Belange der Kirche stärker berücksichtigte als Konrad" 7 und daß die größten Schwierigkeiten der innerkirchlichen Erneuerung in R o m selbst lagen 8 . Betrachtet man nämlich die Beratungsthemen der zwischen 1024 und 1 0 3 9 einberufenen Synoden, so stellt man fest, daß die unter Benedikt VIII. und Heinrich II. angeschnittenen Reformfragen mit Sicherheit nicht im Mittelpunkt der königlichen oder päpstlichen Kirchenpolitik standen 9 . Vielmehr dienten die Synoden vornehmlich als Entscheidungsinstanzen in besitzrechtlichen Streitfällen und Problemen der episkopalistischen Kirchenverfassung, ohne grundsätzliche Gravamina wie das der Mißstände im Klerus zielstrebig in Angriff zu nehmen 1 0 . Daß diese Situation sich unter Heinrich III. völlig änderte, mag im Rückblick als historische Notwendigkeit erscheinen. Tatsächlich bedurfte es hierzu jedoch nicht nur der Gelehrsamkeit von Mönchen wie Berno von Reichenau 1 1 , sondern v o r allem des Scharfblicks und der Kühnheit von

6 Vgl. F.-J. S c h m a l e , Die Briefe des Abtes Berns von Reichenau = Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe Α Bd. 6 (Stuttgart 1961) S. I f f . 7 Ebd. S. 3. 8 Vgl. A. H a u c k , wie Anm. 4, S. 568ff. 9 Während der Regierungszeit Konrads II. fanden fünf deutsche Synoden in Anwesenheit des Herrschers statt: in Grona 1025, Frankfurt 1027, Pöhlde 1028, Tribur 1036 und Limburg 1038. Den besten Uberblick über deren Beratungsgegenstände und den Einfluß des deutschen Königs auf ihren Verlauf vermittelt H . - J . V o g t , wie Anm. 5, S.27-40. Uber die päpstliche Synodalpolitik orientieren: K.-J. Η e r r m a n n , wie Anm. 3, S. 78ff. u . ö . und speziell zu Benedikt IX L . L . G h i r a d i n i ; II papa fanciullo Benedetto IX (1032-1048) (Parma 1980). 10 Eine gewisse Ausnahme bildet freilich die u.a. von H . - J . V o g t , wie Anm. 5, S. 36-38 analysierte Synode von Tribur (1036). Die Versammlung steht freilich im Rahmen der Regierungszeit Konrads II. so isoliert, daß sie nicht als typisch angesehen werden kann. Die Beschlüsse der Synode sind ediert unter dem Titel: Concilium Triburiense, ed. L. W e i l a n d , in: MG Const. 1, Nr. 44, S. 88f. 11 Die Vielseitigkeit der Gelehrtentätigkeit Bernos geht schon aus seinen bei MIGNE PL 142, Sp. 1055-1218 gesammelten Schriften hervor. Die einflußreiche Stellung des Reichenauer Abtes verdeutlicht sich, wenn man den von F . - J . S c h m a l e , wie Anm. 6, edierten Briefwechsel untersucht. Eine biographische Würdigung von Persönlichkeit und Werk Bernos findet sich ebd. S. 1-8, außerdem bei: Κ. Β e y e r l e, Von der Gründung bis zum Ende des freiherrlichen Klosters, in: Die Kultur der Abtei Reichenau Bd. 1 (München 1925, Nachdruck Aa-

Vorboten in Lothringen und Burgund Persönlichkeiten

ganz

eigentümlicher

Prägung.

Gemeint

125 sind

jene

lothringischen und burgundischen Reformer, die als Opponenten gegen die in der Umgebung Heinrichs III. ausgeprägte theokratische Herrschervorstellung 1 2 anzusprechen sind. Man wird diese Gruppe sicherlich nicht

len 1970) S. 112/26-S. 117; C. E r d m a n n , Forschungen zur politischen Ideenwelt des Frühmittelalters, aus dem Nachlaß hrsg. v. F. B a e t h g e n (Berlin 1951) S. 112-119 und zuletzt F . - J . S c h m a l e , Bern (Berno), in: Lex d. MA Bd.l (München 1980) Sp. 1970f., der auch über die verschiedenen Quellenausgaben der Werke Bernos eingehend informiert. 1 2 Zur Königsidee Heinrichs III. vor allem: K. S c h n i t h , Recht und Friede. Zum Königsgedanken im Umkreis Heinrichs III., in: H J b 81 (1962) S. 22-57; C. E r d m a n n , wie Anm. 11, S. 112ff.; J . S p ö r l , Pierexcaesarquefuture!, in:Unterscheidung und Bewahrung. Festschrift für H. K u n i s c h (1961) S. 331 ff.; H. B e u m a n n , Das Imperium und die Regna bei Wipo, in: Aus Geschichte und Landeskunde. Festschrift für F. S t e i n b a c h (Bonn 1960) S. 11 ff.; d ers ., Die Historiographie des Mittelalters als Quelle für die Ideengeschichte des Königtums, in: HZ 180 (1955) S. 468ff.; Th. S c h i ef f er, Kaiser Heinrich III. 1017-1056, in: Die großen Deutschen Bd. 1 (1956) S. 52-69; d e r s . , wie Anm. 2, S. 384-439, Nachdrucks. 1-59; H. V o l l r a t h , Kaisertum und Patriziat in den Anfängen des Investiturstreits, in: Z K G 85 (1974) S. 11 —44-; E. B o s h o f , Lothringen, Frankreich und das Reich in der Regierungszeit Heinrichs III., in: RhVjbl 42 (1978) S. 63-127; d e r s . , Das Reich in der Krise. Überlegungen zum Regierungsausgang Heinrichs I I I . , i n : H Z 228(1979)S. 265-87undM. M i n n i n g e r , Heinrichs III. interne Friedensmaßnahmen und ihre etwaigen Gegner in Lothringen, in: Westdeutsches Jahrbuch für Landesgeschichte 5 (1979) S. 33-52. Das in der Forschung immer wieder zur Interpretation des Selbstverständnisses Heinrichs III. herangezogene Königskanonikat braucht hier nicht berücksichtigt zu werden, da es sich bei diesem nur um eine besondere Form von Gebetsverbrüderung handelte. Vgl. dazu M. G r o t e n , Von der Gebetsverbrüderung zum Königskanonikat. Zur Vorgeschichte und Entwicklung der Königskanonikate an den Dom- und Stiftskirchen des deutschen Reiches, in: H J b 103 (1983) S. 1-34 gegen A. S c h u l t e , Deutsche Könige, Kaiser und Päpste als Kanoniker an deutschen und römischen Kirchen in: H J b 54 (1934) S. 137-177, nachgedruckt als Monographie = Libelli, Bd. 70 (Darmstadt 1960) und J . F l e c k e n s t e i n , Rex canonicus. Uber Entstehung und Bedeutung des mittelalterlichen Königskanonikats, in: Festschrift für P . E . S c h r a m m Bd. 1 (Wiesbaden 1964) S. 57-71 und d e r s . , Die Hofkapelle der deutschen Könige, Bd. 2: Die Hofkapelle im Rahmen der ottonisch-salischen Reichskirche = Schriften der M G H Bd. 16,2 (Stuttgart 1966) S. 230-233. Durch diesen Aufsatz von Μ. G r o t e n erscheint auch die von Α. S t e l z m a n n , Kaiser und Papst als Kanoniker am Kölner Dom, in: Kölner Domblatt 8/9 (1954) S. 132 A. 12 und A. S c h u l t e , a . a . O . , S. 161 analysierte „Verleihung des Ehrenkanonikats" an Heinrich III. am 29.6.1049 in neuem Licht, da der Kaiser nun nicht mehr als canonicus der Kölner Domkirche bezeichnet werden kann.

126

Die Anfänge der Kirchenreform

als monolithischen Block ansehen dürfen, der die kirchliche Reformbewegung des 11. Jahrhunderts allein ins Rollen brachte, doch scheint es mir auch verfehlt, die zeitgeschichtliche Bedeutung ihrer Äußerungen allzusehr abzuwerten 1 3 . Richtig ist meines Erachtens dagegen, wenn man die lothringischen Kleriker einerseits nicht zu einer ganzen Reformbewegung emporstilisiert, andererseits aber doch anerkennt, daß ihr Gedankengut schon während des Pontifikats Leos I X . erheblichen Einfluß bekam. Es ist eben nicht zu übersehen, daß mit Friedrich von Lothringen (dem späteren Papst Stephan I X . ) , Brun von Toul (dem späteren Papst L e o I X . ) , Humbert de Moyenmoutier (dem nachmaligen Kardinalbischof von Silva Candida) und H u g o Candidus (Mönch aus Remiremont) 1 4 führende

13 Die These von der lothringischen Herkunft der gregorianischen Reform wurde vor allem von A. F l i e h e , La reforme gregorienne, Bd. 1: La formation des idees gregoriennes = Spicilegium Sacrum Lovaniense Bd. 6 (Louvain/Paris 1924) und J. Η all er, Pseudoisidors erstes Auftreten im deutschen Investiturstreit, in: Stud Greg 2 (1947) S. 91-1 Ol vertreten, ist aber in dieser Überspitzung vorwiegend auf Ablehnung gestoßen. Vgl. dazu G. T e i l e n b a c h , Libertas. Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreites = Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte Bd. 7 (Stuttgart 1936) S. 123ff. und H. F u h r m a n n , Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen Bd. 2 = Schriften der M G H Bd. 24,2 (Stuttgart 1973) S. 463 ff. Einen der Auffassung von A. Fliehe und J. Haller extrem entgegengesetzten Standpunkt, der die zeitgeschichdiche Bedeutung der lothringischen Gegner des Reichskirchensystems allzu sehr herunterspielt, trugen H. H o e s c h , Die kanonischen Quellen im Werk Humberts von Moyenmoutier. Ein Beitrag zur Geschichte der vorgregorianischen Reform = Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht Bd. 10 (Köln/Wien 1970) S. 176ff. und Th. S c h i e f f e r , § 156: Reformbewegungen, in: Handbuch der Europäischen Geschichte Bd. 1 (Stuttgart 1976) S. 1061 vor, doch scheint sich heute eher eine mittlere Linie durchzusetzen, die durch die Arbeiten von H. H o f f m a n n , Von Cluny zum Investiturstreit, in: A K G 45 (1963) S. 165-203, um einen Nachtrag erweiterter Nachdruck in: Cluny. Beiträge zu Gestalt und Wirkung der cluniazensischen Reform, hrsg. v. H. R i c h t e r =WdF Bd. 241 (Darmstadt 1975) S. 319-370 und E. B o s h o f , Lothringen, wie Anm. 12, S. 63-127, sowie d e r s . , Das Reich, wie Anm. 12, S. 265-287 repräsentiert wird. 14 Zu Kardinalpriester Hugo Candidus, der in unserer Arbeit nur am Rande berücksichtigt wird: H. H o l t k o t t e , Hugo Candidus, ein Freund und Gegner Gregors VII. (Diss. Münster i. W. 1903); B. G af f r e y , Hugo der Weiße und die Opposition im Kardinalskollegium gegen Gregor VII. (Diss. Greifswald 1914); F. L e r n e r , Kardinal Hugo Candidus = Beiheft 2 der HZ (München/Berlin 1931);G.B. B o r i n o , Quando il cardinaleUgo Candido e Guiberto arcivescovo

Vorboten in Lothringen und Burgund

127

Repräsentanten der vorgregorianischen Reformbewegung dem lothringischen Raum entstammten, auch w e n n man sich davor hüten muß, eine kontinuierliche, in sich h o m o g e n e Reformtradition Lothringens zu k o n struieren. So sind Spekulationen über eine Lütticher Kanonistenschule, in der die Ideen der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts schon vorweggen o m m e n worden seien und welche die Gedankenwelt der Reformer entscheidend geprägt hätte, in der Forschung zu Recht zurückgewiesen w o r den 1 6 . Aber man darf auch nicht unberücksichtigt lassen, daß der spätere Papst Stephan IX. als Archidiakon v o n Lüttich engen Kontakt z u m dortigen Bischof W a z o hatte, daß er durch diesen wahrscheinlich mit Pseudo-Isidor konfrontiert w u r d e 1 7 und daß neben W a z o Männer w i e Anselm

di Ravenna furono insierre scomunicati, in: Stud Greg 4 (1952) S. 456—466; R. H ü l s , Kardinäle, Klerus und Kirchen Roms 1049-1130 = Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom Bd. 49 (Tübingen 1977) S. 111,158-160 und J. Z i e s e , Wibert von Ravenna. Der Gegenpapst Clemens III. (1084-1100) = Päpste und Papsttum Bd. 20 (Stuttgart 1982) S. 248ff. u . ö . 15 Diese Spekulationen gehen auf die Arbeit von A. B i t t n e r , Wazo und die Schulen von Lüttich (Diss. Bresslau 1879) zurück. Ihm folgten E. S a c k u r , Die Cluniacenser in ihrer kirchlichen und allgemeingeschichtlichen Wirksamkeit bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, Bd. 2 (Halle 1894) S. 310 und A. F l i e h e , wie Anm. 13, S. 113, der die Thesen Bittners sogar noch erweiterte und in Rather von Verona einen frühen Zeugen für Lütticher Kanonistik erblicken wollte. Ch. D e r e i n e , L'ecole canonique liegoise e la Reforme Gregorienne, in: Miscellanea Tornacensia. Annale du Congres archeologique et historique de Tournai 1949, Bd. 1 (1951) S. 79-94 modifizierte die Aussagen von Fliehe, trat aber wie E. H o e r s c h e l m a n n , Bischof Wazo von Lüttich und seine Bedeutung für den Beginn des Investiturstreites (Diss. Frankfurt 1955, erschienen in Düsseldorf 1955) S. 15 und S. 38 weiterhin für die Existenz einer Lütticher Kanonistenschule ein, die er allerdings auf den Zeitraum zwischen 1030 und 1130 beschränkt wissen wollte. Vgl. Ph. F u n k , Pseudo-Isidor gegen Heinrichs III. Kirchenhoheit, in: H J b 56 (1936) S. 305-330, bes. S. 322; G. T e l l e n b a c h , wie Anm.13, S. 124 A. 15; H . F u h r m a n n , wie Anm. 13, Bd. 1 (Stuttgart 1972) S. 52 f. m i t A . 123, ebd. Bd. 2 (Stuttgart 1973) S. 463^166, bes. S. 463 f. m i t A . 102; d e r s., Das Reformpapsttum und die Rechtswissenschaft, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, hrsg. v . J . F l e c k e n s t e i n = Vorträge und Forschungen Bd. 17 (Sigmaringen 1973) S. 189f. und zuletzt E. B o s h o f , Das Reich, wie Anm. 12, S. 285 A. 83. 17 Vgl. G. D e s p y , La carriere lotharingienne du pape fitienne IX, in: Revue belgedephil. etd'hist. 31 (1953)S. 955ff.;E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 81 und H . F u h r m a n n , wie Anm. 13, Bd. 2, S. 340f. A. 120.

128

Die Anfänge der Kirchenreform

von Lüttich 1 8 , Siegfried von Gorze 1 9 , Lietbert von Cambrai 2 0 und der anonyme Verfasser des Traktates De ordinando pontifice21

durchaus als

1 8 Vgl. E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 6-14; G. W a i t z , Über Anselms Gesta episcoporum Leodiensium, in: NA 7 (1882) S. 27ff.; R. G o r g a s , Uber den kürzeren Text von Anselms Gesta pontificum Leodiensium (Diss. Halle 1890) und R. H u y s m a n s , Wazo van Luik in den ideenstrijd zijner dagen (Nijmwegen/Utrecht 1932) S. 3-36. Vgl. H. T h o m a s , Abt Siegfried von Gorze und die Friedensmaßnahmen Heinrichs III. vom Jahre 1043, in: Chronik des Staatlichen Regino-Gymnasiums Prüm(1976)S. 125-137; d er s ., Zur Kritik an der Ehe Heinrichs III. mit Agnes von Poitou, in: Festschrift für H. Be um an η zum 65. Geburtstag, hrsg. v. K.-U. J ä s c h k e und R. W e n s k u s (Sigmaringen 1977) S. 224-235 und E. B o s h o f , Lothringen, wie Anm. 12, S. 122f. 2 0 Vgl. E. B o s h o f , Lothringen, wie Anm. 12, S. 124 A. 305 und ebd. S. 104 A. 207, der auf Gesta episcoporum Cameracensium, ed. L . C . B e t h m a n n , in: MG SS 7 (Gesta Lietberti, c. 12), S. 493 hinweist, wo Heinrich III. von seiten Lietberts Mißachtung der lex patriae vorgeworfen wird. 2 1 Die lothringische Herkunft dieses Traktates, der gemeinhin als De ordinando pontifice auctor Gallicus, ed. E. D ü m m l e r , in: MG 1.d.i. 1, S. 8-14 zitiert wird und der jüngst von Η. H. A n t o n , Der sogenannte Traktat „De ordinando pontifice". Ein Rechtsgutachten in Zusammenhang mit der Synode von Sutri (1046) = Bonner Historische Forschungen Bd. 43 (Bonn 1982) S. 73-83 neu ediert wurde (diese Edition wird von nun an als De ordinando, wie Anm. 21, zitiert), ist allerdings nicht unumstritten. Vgl. zur Frage der Provenienz: G. T e i l e n b a c h , wie Anm. 13,S. 126A. 16;F. P e l s ter, Der Traktat,,De ordinando pontifice" und sein Verfasser Humbert von Moyenmoutier (Humbertus a Silva Candida), in: HJb 61 (1941) S. 88-115; A. M i c h e l , Die folgenschweren Ideen des Kardinals Humbert und ihr Einfluß auf Gregor VII., in: Stud Greg 1 (1947) S. 87f., der die Autorschaft Humberts mit guten Gründen bezweifelt; E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 75—80; F.—J. S c h m a l e , Nachträge zu Teil II, in: W. W a t t e n b a c h , R. H o l t z m a n n , Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, Bd. 3, neu hrsg. von F . - J . S c h m a l e (Darmstadt 1971) S. 126* und zuletzt Η. H. A n t o n , a. a. O., S. 63-70, der dafür eintritt, daß der Verfasser des Traktats ein französischer Bischof gewesen sei, dessen Sitz „außerhalb der ,Francia' und des Machtbereichs des Grafen Gottfried Martell von Anjou" (ebd. S 70) gelegen habe. Dazu ist zu bemerken, daß die ebd. S. 63-68 aus De ordinando, a. a. O., S. 75, Z. 9f. abgeleitete Schlußfolgerung, daß der Verfasser des Rechtsgutachtens ein Bischof gewesen sein müsse und somit kein Lothringer in Frage komme, nicht absolut zwingend ist, auch wenn sie wesentlich plausibler als die ebd. S. 21 behandelte ältere Interpretation dieser Quellenstelle erscheint.

Vorboten in Lothringen und Burgund

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Zeugen für ein geschärftes Rechtsbewußtsein gewertet werden müssen 2 2 , das eine gegen die Kirchenhoheit Heinrichs III. gerichtete Tendenz annehmen konnte 2 3 . Ein Urteil über die Situation in Lothringen, das sich fast ausschließlich auf die Betrachtung der von Cluny und Gorze ausgehenden monastischen Bewegung stützt, ist jedenfalls ebenso anfechtbar wie die These Augustin Fliches, der in Lothringen die geistige Heimat der gregorianischen R e form vermutete 2 4 : und zwar vor allem deshalb, weil eine solche Bewertung die Eigenständigkeit des priesterlichen Bereichs zu wenig beachtet 2 5 . Man wird vielmehr von einem differenzierten Bild ausgehen müssen, in dem deutlich zu sehen ist, daß es in Lothringen zu dieser Zeit bereits einen Pluralismus konkurrierender Anschauungen gab, die eine einheitliche Beurteilung nicht zulassen. Ich möchte daher bewußt von Vorboten eines

Ein anderes Urteil fällt Η. H o e s c h , wie Anm. 13,S. 176-194, der die Ansicht vertritt, daß Pseudo-Isidor in Lothringen keine Verbreitung gefunden habe. Seine Argumentation, die sich vor allem auf ein Studium der mittelalterlichen Bibliothekskataloge im Lothringer Raum zu stützen sucht, überzeugt mich jedoch nicht, da im Umkreis Bischof Wazos von Lüttich eine Verbreitung der pseudoisidorischen Dekretalen bezeugt ist, auch wenn man diese nicht überbewerten darf. Vgl. dazu Anselm von Lüttich, Liber secundus Gestorum pontificum Tungrensis, Traiectensis sive Leodicensis aecclesiae ( = Anselmi Gesta episcoporum Leodiensium), ed. R. K o e p k e , i n : M G SS 7, S. 189-234 und zuletzt H . H . A n t o n , wie Anm. 21, S. 69 A. 244. 2 3 Vgl. Ph. F u n k , wie Anm. 16, S. 305-330. Der von Ch. D e r e i n e , wie Anm. 15, S. 85 und P. F o u r n i e r , Le Decret de Burchard de Worms. Ses caracteres, son influence, in: R H E 12 (1911) S. 462 angeführte Olbert von Gembloux kann allerdings nicht in diese Reihe aufgenommen werden, da Olberts Rechtskenntnis nicht allzu hoch veranschlagt werden darf. A. B o u t e m y , Un grand abbe du X l e siecle, Olbert de Gembloux, in: Annales de la Societe Archeologique de Namur 41 (1934) S. 43-87 und H. F u h r m a n n , wie Anm. 13, Bd. 2, S. 462—466 haben die Behauptungen Dereines und Fourniers doch erheblich erschüttert und nachgewiesen, daß man nicht davon sprechen kann, Burchard von Worms habe bei Olbert in Lobbes die Kanonistik erlernt. 2 4 Vgl. oben Anm. 13. 2 5 Hier scheint mir die Schwäche der Argumentation von Th. Schieffer, Cluny et la querelle des Investitures, in: Revue Historique 225 (1961) S. 47-72, deutsch unter dem Titel: Cluny und der Investiturstreit, in: Cluny, hrsg. von H. R i c h t e r , wie Anm. 13, S. 226-253; d er s., Cluniazensische oder gorzische Reformbewegung? (Bericht über ein neues Buch), in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 4(1952) S. 24^t4, nachgedruckt in: Cluny, a . a . O . , S. 60-90 und d e r s . , wie Anm. 13, S. 1054-1067 zu liegen. 22

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Die Anfänge der Kirchenreform

neuen Priesterideals sprechen, um zum Ausdruck zu bringen, daß es sich noch nicht um eine geschlossene Tradition handelte, sondern um eine lose zusammenhängende Gruppe von Einzelpersönlichkeiten, die nur selten miteinander Kontakt aufnahmen. Der erste Vorbote dieser neuen Sichtweise der priesterlichen Aufgaben war Bischof Gerhard I. von Cambrai (1012-1051 ) 2 6 . E r war wie Burchard von W o r m s ein Mitarbeiter Heinrichs I I . 2 7 und lavierte nach dem Regierungsantritt der Salier zwischen dem König und dem Herzog von Niederlothringen 2 8 . Kirchenpolitisch ist bei ihm sicherlich mit Theodor Schieffer eine enge Verbundenheit mit dem Reich zu konstatieren 2 9 , obwohl sein Bistum ein Suffragan der französischen Erzdiözese Reims war; doch ist darüber hinaus zu beachten, daß im Umkreis Gerhards I. bereits ein Gedanke aufkam, der an den „Grundlagen des laikalen Eigenkirchen rechts" 3 0 rüttelte, auf denen die Kirchenhoheit des deutschen Königs letztlich basierte, und daß Gerhard selbst die Friedewahrung als Aufgabe der weltlichen Gewalt und nicht der geistlichen betrachtete, in der Seelsorge aber die spezifische Funktion des Priestertums erblickte 31 . Ange-

2 6 Zur Person Gerhards : T h . S c h i e f f e r , Ein deutscher Bischof des 11. Jahrhunderts: Gerhard I. von Cambrai (1012-1051), in: DA 1 (1937), S. 323-360; H. S p r o e m b e r g , Gerhard I., Bischof von Cambrai, in: Mittelalterund demokratische Geschichtsschreibung = Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte Bd. 7 (Berlin/Ost 1971) S. 103-118; Μ. Η. Κ ο y e n, De praegregorianse hervorming te Kamerijk, 1012-1067 (1953) S. 48ff.; H. H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 182, Nachdruck S . 3 4 0 f . ; E . B o s h of, Das Reich, wie Anm. 12,S. 283 f.; d e r s . , L o thringen, wie Anm. 12, S. 121 undS. 123f. undM. M i n n i n g e r , wie Anm. 12, S. 47ff. 2 7 Vgl. Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 26, S. 331 ff. 2 8 Vgl. ebd. S. 345ff. 2 9 Vgl. ebd. S. 345. 3 0 H. H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 182, Nachdruck S. 341. 3 1 Dies geht aus einem nur fragmentarisch erhaltenen Brief Gerhards an Heinrich III. (Gesta epp. Camer., wie Anm. 20, liber III, c. 60, S. 488f.) hervor, der vermutlich aus den Jahren 1042/43 stammt (vgl. M. M i n n i n g e r , wie Anm. 12, S. 47ff.). Das entscheidende Zitat lautet ebd., liber III, c. 60, S. 488,Z. 36-39 -.Et sicut liberalitas vestra sacellarium habet, qui causis supervenientibus cotidianas expensas faciat, ita et ego sacellarius eorum sum, ut dilatio mortis, ne dicam vitae requies eorum qui mecum sunt acquiri valeat, quod virga disciplinae vestrae habuerat facere. Diese Passage erscheint vordergründig nur als Abgrenzung gegen die von Burgund kommende Gottesfriedensbewegung. Bei näherem Hinsehen entpuppt sie sich jedoch zugleich als Protest gegen die ottonischen Vorbildern fol-

Vorboten in Lothringen und Burgund

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sichts solcher Vorstellungen kann man wohl kaum davon sprechen, daß Gerhards Gedankenwelt nicht wesentlich gegen das ottonische Reichskirchensystem gerichtet w a r 3 2 , sondern muß davon ausgehen, daß Gerhard vielleicht noch unreflektiert - die Fundamente des zu seiner Zeit bestehenden „geistlich-weltlichen Synergismus" 3 3 in Frage stellte. Ähnliche Tendenzen gegen die Einbeziehung geistlicher Ämter in das salische Imperium dokumentiert die Eidverweigerung Halinards von Saint-Benigne in Dijon aus dem Jahre 1 0 4 6 3 4 . Als dieser zum Erzbischof von L y o n erhoben werden sollte und Heinrich III. ihm den üblichen Eid abverlangte, wies Halinard diese Forderung zurück mit der Begründung, daß Bibel und Regula s. Benedicti das Schwören verböten und letztere vorschreibe, von weltlichen Dingen abzulassen 3 5 . In diesem oft behandelten Vorfall hat man meist „die unpolitische Haltung eines strenggesinnten Mönchs gesehen und ihr keinerlei Bedeutung für die Entwicklung der Li-

gende Friedensidee Heinrichs III., da der Bischof es ablehnt, nach dem Muster Bruns von Köln die Funktion der Friedewahrung im Auftrag des König wahrzunehmen. Vgl. zu diesem Schreiben: Ph. F u n k , wie Anm. 16, S. 314-316, Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 26, S. 347f.; M . H . K o y e n , wie Anm. 26, S. 48f.; H. H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 182, Nachdrucks. 3 4 0 f . ; H . S p r o e m b e r g , wie Anm. 26, S. 1 1 7 ; E . Β os ho f, Lothringen, wie Anm. 12, S. 123 f. und M. M i n n i n g e r , wie Anm. 12, S. 47ff.; zur Beurteilung des Gottesfriedens zuletzt: O. E n g e l s , Vorstufen der Staatwerdung im Hochmittelalter - Zum Kontext der Gottesfriedensbewegung, in: HJb 97/98 (1978) S. 71-86 und d e r s ., Die Zeit der hl. Hildegard, in: Hildegard von Bingen. 1179-1979, hrsg. von A. Ph. B r ü c k = Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte Bd. 33 (Mainz 1979) S. 2. 3 2 Anders Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 26, S. 351 f. 3 3 Th. S c h i e f f e r , Ottonische Kirchenpolitik, in: LThK 2 Bd. 7, Sp. 1312. 3 4 Vgl. A. R o n y , Halinard de Sombernon, archeveque de Lyon. 1046-1052, in: Bulletin historique du diocese de Lyon (1926) S. 188-201 und S. 281-92 und ebd. (1927) S. 13-21 und S. 78-85; B. de V r e g i l l e , Dijon, Cluny, Lyon et Rome. A propos de deux documents sur Halinard de Sombernon, in: Annales de Bourgogne 31 (1959) S. 5-24 und H. H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 178-81, Nachdruck S. 336-339. 3 5 Vgl. Chronicon s. Benigni, ed. G. W a i t z , in: M G SS 7, S. 236: Si regis aeterni et regulae quam iureiiurando promisi praecepta postposuero, que mihi fides erit, ut imperatoris iuramentum custodire debeamf Dominus dicit in evangelio, non iurare omnino. Et regula patris Benedicti praecepit monacho non iurare et a saeculi actibus se facere alienum.

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bertas-Idee beigemessen" 3 6 . Gegenüber dieser Auffassung, die u. a. durch Gerd Teilenbach 3 7 repräsentiert wird, hat aber schon Hartmut Hoffmann mit Recht darauf bestanden, daß Halinard „sich der politischen Konsequenzen des geforderten Eides voll bewußt war und daß er eben nicht durch die Übernahme des Erzbistums in die Reichsgeschäfte verwickelt werden w o l l t e " 3 8 , weil er sich nicht nur auf das Schwurverbot der Benedikt-Regel berufen habe, „sondern ebenso auf das Gebot, von weltlichen Handlungen abzulassen" 3 9 . Zwar ist darauf hingewiesen w o r den, daß Heinrichs III. Constitutio de iuramento

clericorum

vom 3. April

1 0 4 7 4 0 das Schwurverbot Geistlicher vor Gericht neu einschärfte, und man hat daraus den Schluß gezogen, daß die Eidverweigerung Halinards wahrscheinlich keine offene Rebellion dargestellt habe, sondern sogar nachträglich sanktioniert 4 1 worden sei, aber diese These ist leicht zu entkräften, da der Mönch einen Treueeid und keinen Gerichtseid leisten sollte 4 2 . Wesentlich weiter als die Auffassungen Halinards gingen die Wazos

H. H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 178f.mit A. 69, Nachdruck S. 336 mit A. 69. 3 7 Vgl. G. T e i l e n b a c h , wie Anm. 13, S. 121. 3 8 H. H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 179, Nachdruck S. 337. 3 9 Ebd. S. 179, Nachdruck S. 337. Die Interpretation Hoffmanns wird gestützt durch einen ähnlichen Fall aus dem Kreis um Wilhelm von Dijon: dem des Bischofs Adalbero II. von Metz. Diesem war der Reichsdienst so zuwider, daß er sich davon loskaufte (vgl. H. H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 179, A. 72, Nachdruck S. 338 mit Verweis auf Constantin.Vita Adalberonis, c. 25, in: MG SS 4, S. 464). Trotzdem hat N. B u l s t, Untersuchungen zu den Klosterreformen Wilhelms von Dijon (962-1031) = Pariser Historische Studien Bd. 11 (Bonn 1973) S. 203-205 ihr widersprochen, allerdings ohne neue Argumente beibringen zu können. Die von ihm ebd. S. 203 A. 96 angeführten Weigerungen der Floriazenser Äbte Abbo und Gouzlin, dem Bischof von Orleans den Obödienzeid zu leisten, können ebenso wenig wie die Proteste der Äbte Serion und Roger von Evroult (vgl. ebd. S. 203 A. 96) mit der Eidverweigerung Halinards verglichen werden, da sie das Verhältnis zwischen Regnum und Sacerdotium gar nicht berührten. 36

Vgl. MG D . H . III. Nr. 191. Soetwa:C. V i o l a n t e , Lapatariamilaneseelariformaecclesiastica, Bd. 1: Le premesse (1045-1057) = Studi Storici 11-13 (Rom 1955) S. 55. 4 2 Vgl. Ph. F u n k , wie Anm. 16, S. 314 mit A. 18. 40

41

Vorboten in Lothringen und Burgund

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von Lüttich 4 3 sowie die des anonymen Verfassers 4 4 des Traktats De ordinandopontifice45.

Dabei ist in bezug auf W a z o die Einschränkung zu ma-

chen, daß wir über seine Vorstellungswelt nur durch die Gesta seines Schülers Anselm (gest. nach März 1 0 5 6 ) 4 6 informiert sind und sich nicht immer sicher entscheiden läßt, welche dem Bischof zugeschriebenen Gedanken und Äußerungen wirklich historisch sind 4 7 .

4 3 Aus der umfangreichen Literatur zu Wazo von Lüttich und seinem Biographen sei hier nur auf die Arbeiten von E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 1 5 ; H . H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 182-185, Nachdruck S. 341-345 und L. B o s c h en, Die Annales Prumienses. Ihre nähere und weitere Verwandtschaft (Düsseldorf 1972) S. 235-241 verwiesen. Dort und in den Lexikonartikeln von Th. S c h i e f f e r , Wazo von Lüttich, in: LThK 2 Bd. 10, Sp. 970f. und E. A m a n n , Wazon de Liege, in: Dictionaire de Theologie Catholique Bd. 15 (Paris 1950), Sp. 3 520-3524 findet sich die ältere Literatur. Repräsentativ für den heutigen Forschungsstand sind: E. Β ο sh o f , Lothringen, wie Anm. 12, S. 121; d e r s . , D a s Reich, wie Anm. 12, S. 284f.; J . - L . K u p p e r , Liege et l'Eglise imperiale. X l e - X I I e siecles = Bibliotheque de la Faculte de Philosophie et Lettres de l'Universite de Liege Bd. 228 (Paris 1981) bes. S. 512-517, S. 384ff. u. d e r s . , Leodium (Liege/Luik), in: Series episcoporum Ecclesiae Catholicae occidentalis, hrsg. von O. E n g e l s und St. W e i n f u r t e r , Series V Bd. 1: Archiepiscopatus Coloniensis (Stuttgart 1982) S. 71 f.

Vgl. oben Anm. 21. Zur handschriftlichen Uberlieferung des in Anm. 21 voll zitierten Traktates: siehe unten Anm. 80 und 100. 4 6 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 39, S. 210 bis c. 74, S. 234. Ein sicherer terminus post quem für die endgültige Redaktion der Gesta ist nur mit dem Tod Wazos von Lüttich am 8. Juli 1048 gegeben (vgl. J . - L . Κ up ρ er, Liege, wie Anm. 43, S. 503 A. 25); die Analogie von c. 31 der Gesta, a. a. O . , S. 206 mit der Vita Balderici ist kein sicheres Datierungselement (vgl. F . - J . S c h m a l e , wie Anm. 21, S. 52*). Als terminus ante quem ist der Tod Anselms anzusehen, der nach dem Monat März 1056 eintrat, wie die Vorrede der Gesta epp. Leod., a. a. O., S. 161 f. zeigt. Aus dieser Stelle geht hervor, daß Anselm noch lebte, als Anno II. von Köln inthronisiert wurde. Aufgrund der gegen das Sakralkönigtum gerichteten Tendenz des Werkes ist zu vermuten, daß die Schrift vielleicht erst nach dem Tod Heinrichs III. (5.10.1056) fertiggestellt wurde, doch muß dies eine reine Spekulation bleiben. 4 7 E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15,S. 11-14 hat die Wahrheitsliebe Anselms damit zu begründen versucht, daß er auf die königstreue Haltung des Biographen Wazos hinwies. Die Gesta Anselms ist aber gar nicht so königstreu. Die von E. H o e r s c h e l m a n n , a . a . O . , S. 12 A. 41 und A. 43 angeführten Stellen dokumentieren zwar, daß Anselm für eine Anbindung Lothringens an das Reich und Treue gegenüber dem König eintrat, ein Beleg für eine positive Einstellung 44

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Die Anfänge der Kirchenreform

Schenkt man der Gesta indes Glauben, so ergibt sich ein für die Zeit Heinrichs III. erstaunliches Bild, das Forscher wie Cauchie und H o e r schelmann dazu verleitet hat, in W a z o den wahrhaften Vorläufer Gregors VII. und den Beginn des Investiturstreits zu sehen 4 8 . Diese Auffassung ist wohl zu Recht, wenn auch überspitzt, von Theodor Schieffer 49 zurückgewiesen worden; aber es bleibt doch eine Spur, die von W a z o über A n selm und Friedrich von Lothringen in die Gedankenwelt der gregorianischen Kirchenreform führt. Fragt man nämlich nach dem historischen Kern der Erzählung Anselms über Wazos Auffassung vom Priestertum und Herrscheramt, so lassen sich mehrere Erzählabschnitte herausschälen, die in der Tat Gedankengut enthalten, das man erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts vermuten würde 5 0 . Zwar muß mit Fug und Recht bezweifelt werden, ob die dramatischen Zuspitzungen in cap. 58, 65 und 66 der Gesta Anselms Historizität beanspruchen können 5 1 , aber

zur theokratischen Herrscheridee läßt sich aber in der Gesta epp. Leod. nirgendwo finden. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß der Autor der Gesta bemüht war, an der Person Wazos das Ideal der vita canonica zu veranschaulichen. Dies belegt der panegyrische Stil von Gesta epp. Leod., a . a . O . , cc. 68ff., S. 230-234, besonders von ebd. c. 71, S. 233,Z. 40f., wo Wazo als coro««* c/encorum bezeichnet wird. Hieraus kann wohl gefolgert werden, daß die in der Gesta geschilderten Ereignisse nicht immer Historizität beanspruchen können. 4 8 Vgl. A. C a u c h i e , La quereile des investitures dans les dioceses de Liege et de Cambrai, Bd. 1 (Louvain 1890) S. L X X X V I I I : „Wason est le vrai precurseur de Gregoire" und E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 84: „Jedenfalls kann man mit Recht Wazo als Beginn des Investiturstreites bezeichnen". 4 9 Vgl. Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 43, Sp. 970f., bes. Sp. 971: „Diese oft zitierten Stellen verraten, daß auch die ,vorgregorianische' Ordnung sich nicht als spannungslose Harmonie verstand, doch bedeuten sie nur situationsbedingte Zuspitzungen traditioneller Prinzipien und dürfen nicht als revolutionäre Vorwegnahme gregorianischer Grundsätze überinterpretiert werden." 5 0 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 58, S. 224, bes. Z. 21-26; ebd. c. 65, S. 228f., bes. S. 228, Z. 46-S. 229, Z. 3 und ebd. c. 66, S. 229f., bes. S. 229, Z. 46-S. 230, Z. 7. 5 1 Insbesondere die Geschichtlichkeit des oft zitierten Wortwechsels zwischen Wazo und Heinrich III. auf der Gerichtssitzung gegen den Bischof (vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 66, S. 229f.) scheint mir sehr fragwürdig. Meine Zweifel stützen sich auf die wörtlichen Ubereinstimmungen mit dem Brief Wazos an Bischof Roger II. von Chälons und die innere Unstimmigkeit der Episode, die schon H. H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 184 A. 91, Nachdruck S. 344 A. 91 angemerkt hat. In der Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 63, S. 228, Z. 7-10, dem

Vorboten in Lothringen und Burgund der

inserierte

Brief

Wazos

an

Bischof

Roger

135 II.

von

Chälons

( 1 0 4 3 - 1 0 6 2 ) S 2 zeigt doch, daß Anselm die Anschauungen Wazos sinngemäß richtig wiedergibt 5 3 . Die erste Episode, die uns über Wazos Verständnis der Beziehung von Imperium und Sacerdotium Aufschluß gibt, ist der Fall des Ravennater Bischofs Widger 5 4 . Dieser ehemalige Kölner Kanoniker 5 5 war im Jahre 1044 von Heinrich III. investiert worden, hatte aber in vollem episkopalen Ornat die Liturgie gefeiert, ohne vorher zum Bischof geweiht worden zu sein s 6 . Wegen dieses Vergehens im Mai 1046 vom König zur Rechenschaft gezogen, verteidigte er sich mit den Worten, der Ravennater Kirche sei dies durch die Autorität der heiligen Väter gestattet, und so wurde eine Bischofssynode zum Schiedsspruch angerufen 5 7 . Als eine Reihe von Bischöfen schon ihr Urteil abgegeben hatte, wurde auch W a z o um seine Meinung ersucht. Dieser wehrte aber mit dem Hinweis ab, ein italischer Bischof

Brief an Roger, heißt es nämlich: Interim nichilominus meminisse debemus, quod nos qui episcopi dicimur, gladium in ordinatione quod est secularis potentiae non accipimus, ideoque non ad mortificandum sedpocius ad vivificandum auctore Dei inungimur. Dasselbe Bild kehrt dann ebd. c. 66, S. 230, Z. 4 - 7 wieder: Alia, inquiens, et longe a sacerdotali differens vestra haec quam asseritis unctio, quia per earn vos ad mortificandum, nos auctore Deo ad vivificandum ornati sumus; unde quantum vita morte praestantior, tantum nostra vestra unctione sine dubio est excellentior. Zu dieser Parallele tritt folgende Widersprüchlichkeit: Die königliche potestas imperandi war durch die Bitte Wazos um einen Stuhl noch gar nicht angetastet (vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 66, S. 229, Z. 4 6 ^ 9 ) , aber trotzdem reagiert der König sehr unbeherrscht (vgl. ebd. S. 230, Z. 1-2). Diese Reaktion ist umso erstaunlicher, als der das Sakralkönigtum abwertende Vergleich Wazos erst noch folgt (vgl. ebd. S. 230, S. 4-7). 5 2 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 63, S. 227f. 5 3 Zu dieser Wertung: E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 14 und Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 43, Sp. 970. 5 4 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 58, S. 224, Z. 10-27; dazu: E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 60f.; H. H o f f m a n n , wie Anm. 13, S. 182f., Nachdruck S. 341 f. und S. 368 (Nachtrag); G. T e l l e n b a c h , wie Anm. 13, S. 125; Ph. F u n k , wie Anm. 16, S. 3 1 8 f . ; R . L . B e n s o n , The Bishop-Elect. Α Study in Medieval Ecclesiastical Office (Princeton N . J . 1968) S. 207-209 und O. C a p i t a n i , Immunitä vescovili ed ecclesiologia in etä „pregregoriana" e „gregoriana". L'awio alla ,,restaurazione" = Biblioteca degli Studi Medievali Bd. 3 (Spoleto 1966) S. 21 ff., bes. A. 44. 5 5 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 58, S. 224, Z. 10. 5 6 Vgl. ebd. c. 58, S. 224, Z. 10-13. 5 7 Vgl. ebd. c. 58, S. 224, Z. 15-17.

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Die Anfänge der Kirchenreform

dürfe nicht von einem Amtskollegen einer Diözese diesseits der Alpen abgeurteilt werden 5 8 . Dieser Satz ist von entscheidender Bedeutung. Der Lütticher Bischof berief sich damit nämlich auf eine Stelle in den pseudoisidorischen Dekretalen 59 und stellte im Grunde die Kompetenz Heinrichs III. in Frage, Widger zur Rechenschaft zu ziehen. Daß diese Interpretation richtig ist, dokumentiert der nächste Ausspruch des Bischofs. Vom König zum Gehorsam ermahnt, sagt er: Summo ... pontifici oboedientiam, vobis autem debemus fidelitatem. Vobis de secularibus, Uli rationem reddere debemus de his quae ad divinum officium attinere videntur . . . 6 0 Auch wenn dieser Satz in der dramatischen Einkleidung Anselms vermutlich nicht historisch ist, so belegt er dennoch, daß Wazo für eine libertas sacerdotii gegenüber dem regnum eintrat und dem König die Kirchenhoheit bestritt 61 . Die zweite für das Priesterbild Wazos relevante Stelle der Gesta Anselms sind die Kapitel 62-63 6 2 . Hier behandelt Anselm eine Anfrage BiVgl. ebd. c. 58, S. 224, Ζ. 18f.: . . . Italicum episcopum nequaquam a se cisalpino debere iudicari... Vgl. Epistola Viginii prima, in: Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, ed. P. H i n s c h i u s (Leipzig 1863) S. 114, c. III:Necno» etperegrina negotia et iuditiaprohibemus, quia indignum est utab externis iudicentur qui provintiales et α se electos debent habere iudices. Vgl. E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 60. 6 0 Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 58, S. 224, Z. 21-23. Der Gedanke stellt natürlich eine Variation der gelasianischen Gewaltenlehre dar, allerdings in der erst für die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts charakteristischen Umdeutung. Zum historischen Sinn der Gewaltenlehre des Gelasius neuerdings: W. U l l mann, Der Grundsatz der Arbeitsteilung bei Gelasius I., in: HJb 97/98 (1978) S. 41-70 und d e r s . , Gelasius I. (492-496). Das Papsttum an der Wende der Spätantike zum Mittelalter = Päpste und Papsttum Bd. 18 (Stuttgart 1981). Zum Gewaltenverständnis im 11. Jahrhundert: W. K ö l m e l , Regimen Christianum. Weg und Ergebnisse des Gewaltenverhältnisses und des Gewaltenverständnisses (Berlin 1970) S. 69-204, der auf S. 196 auch Wazo behandelt und mir unter den monographischen Untersuchungen zu dieser Frage besonders wichtig erscheint. 6 1 Der Ausspruch darf jedoch nicht als Stellungnahme gegen die weltliche Herrschaft Heinrichs III. bewertet werden. Dies ergibt sich aus zwei kurzen Passagen der Gesta epp. Leod., wie Anm. 22: c. 58, S. 224, Z. 21 f. (vobis autem debemus fidelitatem) und c. 60, S. 225, Z. 10-12 (Nemo mihi.. aliud quam quod suades animo esse credat Domino imperatori secundum scire et posse meum, nemo me fidelem esse quomodocumque ab eo trader diffidat.). 6 2 Vgl. ebd. c. 62f., S. 226-228; außerdem: E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 35-38. 58

Vorboten in Lothringen und Burgund

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schof Rogers II. von Chälons und die Antwort Wazos darauf. Der Kontext der Korrespondenz ist für uns von untergeordneter Bedeutung - es geht um die Frage, ob man gegen manichäische Ketzer mit dem Schwert der weltlichen Gerechtigkeit vorgehen dürfe 63 , aber der Brief Wazos enthält einige Passagen, die seine Vorstellung vom Priesteramt beleuchten. Bischof Roger hatte nämlich argumentiert, die Irrlehre dieser Sekte sei eine Sünde wider den Heiligen Geist, die nach Mt 12,31 nicht vergeben werden könne 64 ; und auf diese Argumentation antwortet Wazo mit einem Gedankengang, der deutlich erkennen läßt, daß für ihn diec«ra animarum auch für die schlechten Seelen eine Hauptaufgabe des Priestertums ist 65 . Er hält es für besser, die Sünder zur Buße zu führen, als sie zu töten 66 , und verweist darauf, daß die Bischöfe ihre Weihe nicht wie die weltliche Gewalt zum Töten, sondern vielmehr zum Lebendigmachen erhalten hätten 67 . Diese letzte Passage verdeutlicht die Anschauung des Lüttichers von der weltlichen Gewalt: Ein weltlicher Herrscher besitzt für ihn keine priesterähnliche Stellung; er hat nur das Schwert empfangen, und dieses ist ein Zeichen des Tötens, nicht des Lebendigmachens. Der entscheidende Unterschied zwischen Herrscherwürde und Bischofsamt besteht nach dieser Anschauung in der sakramentalen Heilsvermittlung, die nur dem Priester vorbehalten ist und es dem König nicht gestattet, eigene Maßnahmen als priestergleiche Handlungen zu interpre-

63

Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 62, S. 226, Z. 48 - S. 227, Z. 2. Vgl. ebd. c. 62, Z. 226, Ζ. 34-41. 65 Vgl. etwa: Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 63, S. 227, Z. 42^4: Ad herum profecto servorum vos pertinere numerum, ardens in pectore vestro pro animabus diabolo frattde deceptis spiritualis zeli fervor indicat, quo tie a malis boni corrumpantur, iuditiisarculo triticeam segetemzizaniispurgare queritis. Vgl. auch ebd. c. 67, S. 230, Z. 14ff. 66 Vgl. ebd. c. 62, S. 227, bes. Z. 4 7 f . : . . . rton vult mortempeccatorum, nec laetatur inperditione moriencium, sedperpacientiam et longanimitatem suam novit peccatores ad paenitentiam reducere. ώ Vgl. ebd. c. 63, S. 228, Z. 7-10. 64

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tieren 6 8 . Diese Sichtweise verdeutlicht Anselm in jenem berühmten wahrscheinlich fingierten - Dialog zwischen Heinrich III. und W a z o von Lüttich, der in Kapitel 66 seiner Gesta überliefert ist 6 9 . Hier soll der Bischof gegenüber dem Herrscher darauf bestanden haben, daß die Königssalbung sich von der Priesterweihe dadurch unterscheide, daß sie zum T ö ten, jene aber zum Lebendigmachen führe 7 0 . U m wieviel höher aber das Leben als der Tod einzustufen sei, um soviel höher stehe die Priesterweihe über der des Herrschers, heißt es in der entsprechenden Passage des T e x tes 7 1 . Ein anderes von Anselm geschildertes Ereignis, welches das Priesterbild und Kirchenverständnis Wazos veranschaulicht, dreht sich um die Frage

6 8 Daß Heinrich sein Herrschertum als priestergleiche Aufgabe ansah, ergibt sich zwar nicht aus dem Königskanonikat (vgl. oben Anm. 12), aber die durch die Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 66, S. 230, Z. l f . bezeugte Herrscherweihe, die dem Ritus der Bischofsordination nachgebildet war, weist in diese Richtung. Vgl. dazu: E. E i c h m a n n , Königs- und Bischofsweihe, in: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl., 6. Abh. (1928) S. 3-71, bes. S. 44ff. Auch die verschiedenen von Heinrichiii. erlassenen Indulgenzen sind als Indizien dafür zu betrachten, daß der König sich das Recht zusprach, ähnlich wie ein Priester Sünden zu vergeben (vgl. dazu vor allem: M. M i n n i n g e r , wie Anm. 12, S. 33-35 und S. 39f. und K. S c h n i t h , wie Anm. 12, S. 41 f.); und die Arengen seiner Urkunden deuten darauf hin, daß der Herrscher neben seiner weltlichen Königswürde auch das regimen ecclesiasticum beanspruchte (vgl. etwa MG D . H . III. Nr. 122, S. 153, Z. \Si.: Quia regiae dignitatis et ecclesiastici regiminis nomen divino munere collatum accepimus . . . ) . So muß man mit Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 12, S. 58 davon ausgehen, daß Heinrich III. „die weit über den weltlichen Bereich hinausgreifende, priesterlich-theokratische Würde des Königtums" besonders betonte, ohne dabei in einen Gegensatz zu den Anschauungen seiner Vorgänger zu geraten (ähnlich sind übrigens auch die Wertungen von E. B o s h o f , Das Reich, wie Anm. 12, S. 274 und O . Κ ö h 1 e r, Die Ottonische Reichskirche. Ein Forschungsbericht, in: Adel und Kirche. G. T e i l e n b a c h zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hrsg. v. J. F l e c k e n s t e i n und K. S c h m i d (Freiburg i.Br./Basel/Wien 1968) S. 188ff.). 6 9 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 66, S. 229f. und oben Anm. 51. 7 0 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 66, S. 230, Z. 4-6 und E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 57ff. 7 1 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 66, S. 230, Z. 6f.

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der kaiserlichen Einflußnahme auf Wahl und Absetzung eines Papstes 7 2 . N a c h dem T o d des in Sutri eingesetzten Papstes Clemens II. (gest. 9. 10. 1047) waren bei Heinrich III. nämlich angesichts starker gegen den deutschen Papst gerichteter Tendenzen 7 3 Zweifel aufgetaucht, wen er an seine Stelle setzen sollte. E r richtete deshalb eine Anfrage an W a z o von Lüttich, der das Problem kirchenrechtlich klären sollte 7 4 . Dieser untersuchte die Angelegenheit, indem er die gesta Romanorum,

pontificum

die päpstlichen Dekrete und die authenticos canones sorg-

fältig prüfte 7 5 . Diese schon an sich für die Bedeutung der Kanonistik im Zeitalter Heinrichs III. hochinteressante Tatsache gewinnt für die Frage nach dem Priesterbild noch an Gewicht durch das Ergebnis, zu dem W a z o gelangte. E r meinte nämlich, die Absetzung Gregors VI. sei unrechtmäßig

7 2 Vgl. ebd. c. 65, S. 228f. Aus dieser Stelle haben A. F l i e h e , wie Anm. 13, S. 116ff.undE. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 78f. geschlossen, daß der Traktat De ordinando pontifice aus dem Umkreis Wazos, nicht aber von diesem selbst stamme. Die Parallelen bleiben jedoch sehr vage, so daß man besser nicht von einer direkten Beziehung ausgeht. R. H u y s m a n s , wie Anm. 18, S. 97 hat auf die Unterschiede zwischen den durch die Gesta Anselms überlieferten Ansichten Wazos und den Anschauungen des anonymen Autors von De ordinando pontifice zu Recht hingewiesen. Das Gegenargument, der Satz der Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 65, S. 229, Ζ. 1 \summumpontificemaneminenisiasoloDeodiiudicari debere tauche in De ordinando pontifice, wie Anm. 21, S. 80, Z. 188f. leicht modifiziert ebenfalls auf, ist wenig überzeugend, da diese Wendung pseudoisidorisches Gedankengut widerspiegelt, das weit verbreitet war. Vgl. dazu: Ph. F u n k , w i e A n m . 16,S. 3 2 0 f . u n d A . M . K o e n i g e r , Primasedes anemine iudicatur, in: Beiträge zur Geschichte des christlichen Altertums. Festgabe für A. E h r h a r d (Bonn 1922) S. 273-300. 7 3 Vgl. Die Briefe des Petrus Damiani, Teil 1, ed. K. R e i n del = MG Briefe der deutschen Kaiserzeit Bd. IV, 1 (München 1983) Nr. 26, S. 239-242.; H . - P . L a q u a, Traditionen und Leitbilder bei dem Ravennater Reformer Petrus Damiani. 1042-1052 = Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 30 (München 1976) S. 297; F. D r e s s l e r , Petrus Damiani. Leben und Werk = Studia Anselmiana, Bd. 34 (Rom 1954) S. 91 f. und C. V i o l a n t e , wie Anm. 41, S. 73. 7 4 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 65, S. 228, Z. 35-37; E. Hoers c h e l m a n n , wie Anm. 15, S. 61-63 und F . - J . S c h m a l e , Die „Absetzung" Gregors VI. in Sutri und die synodale Tradition, in: AHC 11 (1979) S. 55-103, bes. S. 92f. 7 5 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 65, S. 228, Z. 37—40; aus dieser kurzen Passage eine Kanonistenschule herauszulesen, halte ich für eine Uberinterpretation. Anders Ε. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15,S. 38;vgl. dazu aber die in Anm. 16 aufgeführte Literatur.

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gewesen, da es niemandem außer Gott zukomme, den Papst zu richten 76 , und berief sich dabei auf eine Stelle in den pseudoisidorischen Dekretalen 7 7 . Damit stellte er das Kirchenrecht über den sakralen Führungsanspruch des Kaisers, der sich den kanonischen Normen unterwerfen müsse, und bestritt dem Herrscher die aus dem Gedanken des königlichen Priestertums resultierende Kirchenhoheit. Faßt man die Gedanken Wazos über das Sacerdotium zusammen, so ergibt sich folgender Eindruck: Der Bischof verkörperte eine Position der grundsätzlichen Kritik am Gedanken des regale sacerdotium, die durchaus als Vorform eines neuen Priesterideals zu verstehen ist, wenn auch nicht als revolutionäre Antizipation gregorianischer Prinzipien 78 . Diese Vorform war Bestandteil eines neuen Kirchenverständnisses, das schließlich die Kirche nicht mehr als Einheit von Regnum und Sacerdotium ansah, sondern als die Summe der kirchlichen Personen, wie es Otto von Freising viel später definieren sollte 79 . Nicht mehr die christianitas, sondern die ecclesiasticae personae bildeten nach diesem Verständnis die eigentliche ecclesia; die priesterliche Aufgabe der sakramentalen Heilsvermittlung stand im Mittelpunkt dieses Begriffs. Sein Hauptkennzeichen war ein verstärktes Bewußtsein für das Kirchenrecht und die dort vollzogene Unterscheidung von Herrscherwürde und Bischofsamt. Die Geschichte der Päpste, die Dekretalen und die Kanones der großen Konzilien wurden zur Norm, an der sich alle Gläubigen zu orientieren hatten. Von diesem Denken war es nur noch ein Schritt bis zu jener Betrachtungsweise des Priestertums, die durch die Blüte der Kanonistik im 11. und 12. Jahrhundert aufkommen sollte. Wazo stand am Anfang des großen Emanzipa-

7 6 Vgl. Gestaepp. Leod., wie Anm. 22, c. 65, S. 228, Z. 46-48: Recogitet, inquit, serenitas vestra, ne forte summi pontificis sedes depositi a quibus non oportuit ipsi divinitus sit reservata, cum is quem vice eius ordinari iussistis defunctus, cessisse videatur eidem adhuc superstiti; außerdem ebd. c. 65, S. 229, Z. \-.summumpontificem a nemine nisi a solo Deo diiudicari debere ... 7 7 Vgl. Ph. F u n k , wie Anm. 16, S. 320 mit A. 26 und A . M . K o e n i g e r , w i e Anm. 72, S. 298. 7 8 Vgl. Anm. 49. 7 9 Vgl. Ottonis episcopi Frisingensis Chronicon sive historia de duabus civitatibus, ed. A. H o f m e i s t e r , in: M G Script, rer. Germ. 45 (Hannover/Leipzig 1912) Prologus libri septimi, S. 310, Z. 1 - 3 : Porro ecclesiam ecclesiasticaspersonas, id est sacerdotes Christi eorumque sectatores, tarn ex usu locutionis quam consideratione potioris partis diximus ... (Vgl. dazu: oben Einleitung, Anm. 2).

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tionsprozesses der Kirche aus dem Imperium und ist insofern als Vorläufer der kommenden Entwicklung zu betrachten, auch wenn man nicht von gradliniger Kontinuität sprechen kann. Ganz ähnliche Tendenzen gegen die kaiserliche Kirchenhoheit finden sich bei dem anonymen Verfasser des kurzen Traktates De pontifice,

ordinando

dessen Herkunft und Entstehungszeit bis heute noch nicht völ-

lig geklärt sind. Die handschriftliche Uberlieferung des Textes in einem C o d e x der Leidener Universitätsbibliothek, der während des 11. J a h r hunderts geschrieben w u r d e 8 0 , weist freilich darauf hin, daß das Schriftstück aus Lothringen s t a m m t ; doch sind in der Forschung auch Stimmen laut geworden, die aus der Wendung Episcopi nec dedere

consensum81

Franciae

nec invitati

sunt

auf eine französische Provenienz rückschließen

8 0 Es handelt sich um Codex Vossianus Latinus Q Nr. 10 der Universitätsbibliothek in Leiden, die mir freundlicherweise eine Photographie dieser u. a. von Κ. A. de M e y i e r , Codices Vossiani Latini. Codices in quarto = Bibliotheca Universitatis Leidensis, Codices manuscripti Bd. 14 (Leiden 1975) S. 25-27 beschriebenen Quarthandschrift überließ. Der uns interessierende Traktat findet sich in Cod. Voss. Lat. Q Nr. lOauffol. 94r,lin. 15 bis fol. 98v,lin. 8(nachder älteren Paginierung auf fol. 92 r-96v). Der Wortlaut der Handschrift wird heute meist nach der in Anm. 21 zitierten Edition von Ε. D ü m m 1 e r zitiert, die auf die ältere Ausgabe von K. B e y e r , Ein Aktenstück zur Geschichte der römischen Kirche unter Kaiser Heinrich III., in: Forschungen zur deutschen Geschichte 20 (1880) S. 570-586 (Textabdruck, S. 577ff.) zurückgeht. Beide Textausgaben beruhen auf einer Abschrift, die in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts im Auftrag des Leidener Conservators V. Cl. d u R i e u angefertigt wurde. Die bei E. D ü m m l e r angegebene Foliierung des Textes (fol. 94r-99r) stimmt allerdings nicht ganz mit der Handschrift überein, da der Text schon auf fol. 98 ν in der Mitte von lin. 8 unvermittelt abbricht. Der Rest der Seite enthält einige Federproben, eine von spätmittelalterlicher Hand verfaßte, nur verstümmelt überlieferte Bemerkung über die Piatontexte im Hauptteil des Codex und am linken Rand, eine Zeile tiefer als der „Schluß" des Traktates, also auf lin. 9, eine Marginalie: Andreas de Bucial (Der Ortsname ist nicht ganz zweifelsfrei zu lesen). Weitere Angaben zur handschriftlichen Uberlieferung des Traktates finden sich bei Η. H. A n t o n , wie Anm. 21, S. 9 Α. 1, dessen ebd. S. 73-83 abgedruckte Edition im folgenden zugrundegelegt wird (zitiert als De ordinando, wie Anm. 21, S. 73-83). 8 1 De ordinando, wie Anm. 21, S. 79, Z. 146 in der Leidener Handschrift Cod. Voss. Lat. Q Nr. 10, fol. 96v, lin. 3 f.

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wollen 8 2 . Eine letzte Gewißheit läßt sich nicht gewinnen, zumal der Text auf fol. 98 ν unvermittelt abbricht 83 : der Schluß des Traktats also nicht überliefert ist. Dennoch besteht Klarheit darüber, daß der A n o n y m u s jedenfalls in jene Bewegung einzuordnen ist, deren Hauptziel eine von der als laikal angesehenen weltlichen Gewalt losgelöste, reine Kirche war, die sich an den N o r m e n des Kirchenrechts ausrichten sollte 8 4 . Eine nähere Bestimmung der Provenienz ist allerdings nicht möglich, weil wir in fol. 94 r - 98 ν des Leidener Codex Vossianus Latinus Q N r . 10 ganz offenkundig eine Abschrift vorliegen haben, die auf den letzten, freien Blättern des Buches eingetragen wurde und die die Adresse des als Rescriptio85 konzipierten Schriftstücks nicht überliefert. So muß es bei der allgemeinen Bestimmung bleiben, daß das D o k u m e n t eine frühe Stellungnahme

82 Vgl. etwa: K. B e y e r , wie Anm. 80, S. 574;G.B. B o r i n o , „Invitus ultra montes cum domno papa Gregorio abii" (Gregorius VII., Reg. VII, 14 a), in: Stud Greg 1 (1947) S. 8 A. 10 und S. 30ff.; Α. Β e c k e r , Studien zum Investiturproblem in Frankreich. Papsttum, Königtum und Episkopat im Zeitalter der gregorianischen Kirchenreform (1049-1119) = Schriften der Universität des Saarlandes (Saarbrücken 1955) S. 142f. und zuletzt H . H . A n t o n , wie Anm. 21, S. 63-70. 83 Mit den Worten: id est qui vivente episcopo usurpat ministerium suum (De ordinando, wie Anm. 21, S. 83, Z. 282f.; Cod. Voss. Lat. Q Nr. 10 fol. 98v, lin. 7f.). 84 Die Orientierung an der Kanonistik kommt in zahlreichen Stellen zum Ausdruck, in denen sich der Verfasser des Traktates gegen die Einmischung von Laien in weltliche Angelegenheiten wendet und sich dabei zur Abstützung seiner Ansichten ausgewählter Sätze aus kirchenrechtlichen Sammlungen bedient. Hier seien nur einige Beispiele aufgeführt: De ordinando, S. 80, Z. 187f. geht zurück auf die Praefatio concilii Nicaeni, in: Decretales, wie Anm. 59, S. 256; De ordinando, wie Anm. 21, S. 80, Z. 191-194 auf Concilium Toletanum XII, in: Decretales wie Anm. 59, S. 411; De ordinando, S. 81, Z. 213 f. auf Epistola Clementis prima, in: Decretales, wie Anm. 59, S. 33 und De ordinando, S. 81, Z. 220-222 auf Epistola Stephani secunda, c. 12, in: Decretales, wie Anm. 59, S. 186.Weitere Belegstellen für die am Kirchenrecht ausgerichtete Arbeitsweise des Anonymus finden sich in der in Anm. 21 zitierten Edition von H . H . A n t o n . 85 Daß es sich bei dem Traktat um einen Antwortbrief handelt, zeigt der erste Satz von De ordinando, wie Anm. 21, S. 75, Ζ. 1 i.:Ad consultum vestrae inquisitionis ex instanti necessitate et inquietudine temporis excusamus tarditatem nostrae rescriptionis (entspricht fol. 94 r, lin. 15f. von Cod. Voss. Lat. Q Nr. 10, der allerdings nostrae inquisitionis überliefert).

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aus Frankreich oder Lothringen bildet 86 , die die Investitur- und Nominationspraxis Heinrichs III. kritisiert und die Bischofs- und Papstwahl in die Hände von Geistlichen gelegt wissen möchte. Die Datierung des Textes stellt uns vor ganz ähnliche Probleme. Zwar ist unbestritten, daß das Antwortschreiben nach dem Ableben Clemens II. (9. Oktober 1047) und Gregors VI. (104 7/104 8) 8 7 abgefaßt wurde. Auch kann als gesichert gelten, daß mit nunc habet improba Romanorum provectio88 die erneute Erhebung Benedikts I X . am 8. November 1047 gemeint ist 89 . Aber schon bei der Frage, ob die Schrift vor oder nach der Ernennung Damasus II. durch Kaiser Heinrich III. in Pöhlde am 25. Dezember 104 7 9 0 fertiggestellt wurde, ergeben sich grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten. Während Franz-Josef Schmale 91 davon ausgeht, von Damasus sei in dem ganzen Traktat nicht die Rede, der Text müsse vor der Nomination in Pöhlde entstanden sein, weil nur zu diesem Zeitpunkt das Problem der Wiedereinsetzung eines noch lebenden, ehemaligen Papstes akut gewesen sei, ist die Mehrheit der Forschung der Ansicht, das Antwortschreiben könne auch 1048 verfaßt worden sein 92 . Gegen die Datierung Schmales läßt sich vor allem folgendes Argument anführen: die Entschuldigung des Verfassers, er habe das Antwortschreiben wegen der anstehenden Notwendigkeit und der Unsicherheit

8 6 Eine Identifizierung des Autors mit Siegfried von Gorze scheidet jedenfalls angesichts der antifranzösischen Einstellung dieses Abtes sicherlich aus; vgl. dazu F. P e l s t e r , wie Anm. 21, S. 97f. und H . T h o m a s , Abt Siegfried, wie Anm. 19, S. 1 2 5 - 1 3 7 und d e r s . , Zur Kritik, wie Anm. 19, S. 2 2 4 - 2 3 5 . 8 7 Vgl. dazu zuletzt: H . H . A n t o n , wie Anm. 21, S. 4 3 ^ 9 . 8 8 D e ordinando, wie Anm. 21, S. 76, Z. 49 f. (Cod. Voss. Lat. Q N r . 10, fol. 9 5 r , lin. l f . ) . 8 9 So schon K. B e y e r , wie Anm. 80, S. 572. 9 0 Zur Nomination Damasus II. in Pöhlde: vgl. u.a. P. S c h m i d , Der Begriff der kanonischen Wahl in den Anfängen des Investiturstreits (Stuttgart 1926) S. 67f. und L . S a n t i f a l l e r , Zur Geschichte des ottonisch-salischen Reichskirchensystems = österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte Bd. 2 2 9 , 1. Abhandlung (Wien 2 1 9 6 4 ) S. 2 0 7 - 2 0 9 .

Vgl. F . - J . S c h m a l e , wie Anm. 74, S. 70 mit A. 64. Repräsentativ für diese Ansicht sind die Arbeiten von K. B e y e r , wie Anm. 80, S. 572 f . ; E . S a c k u r , Die Cluniacenser in ihrer kirchlichen und allge-. meingeschichtlichen Wirksamkeit bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, Bd. 2 (Halle a.S. 1894) S. 3 0 5 ; A. F l i e h e , wie Anm. 13, S. 1 1 6 f . ; F . P e l s t e r , wie Anm. 2 1 , S. 88f. und A. B e c k e r , wie Anm. 82, S. 142f. 91

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der Zeit nur langsam erstellen können 9 3 . Diese Bemerkung ist angesichts der Fülle von kanonistischen Belegen 94 und historischen Präzedenzfällen 95 , die der Text enthält, sehr glaubwürdig, so daß man kaum annehmen möchte, das Dokument sei in der knappen Zeit zwischen dem Bekanntwerden der Erhebung Benedikts I X . (ca. Anfang Dezember 1047) und der Nomination Damasus II. entstanden. Außerdem spricht gegen die von Schmale vorgenommene Frühdatierung, daß Gregor VI. im Traktat als schon Verstorbener erwähnt wird, nach dem Bericht der Gesta episcoporum Leodiensium Ende des Jahres 1047 aber noch lebte 96 . Das Motiv der Anfrage bei unserem Anonymus lag wohl in der kanonistischen Klärung des Problems, ob einer der drei Bewerber um das päpstliche Amt (Gregor VI., Benedikt I X . oder Damasus II.) seine Ansprüche zu Recht erhebe: es ging also vor allem darum, die kirchenrechtlichen Voraussetzungen für die Erlangung des Papats zu prüfen. Der Umstand, daß Gregor VI. und Benedikt I X . in die Untersuchung miteinbezogen wurden, deutet nun darauf hin, daß die Anfrage noch zu Lebzeiten Gregors VI. und vor der endgültigen Vertreibung Benedikts I X . gestellt wurde: vermutlich unmittelbar nach dem Ableben Papst Clemens II. am 9. Oktober 1047. Wann jedoch das Antwortschreiben verfaßt wurde, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich fällt seine Entstehung in die Zeit, bevor die Nachricht von der am 17. Juli 1048 erfolgten Inthronisation Damasus II. 9 7 in Frankreich und Lothringen eintraf; ein sicherer terminus ante quem ist freilich erst mit der Wahl Leos I X . im Dezember 1048 gegeben 98 .

Vgl. dazu die in Anm. 85 zitierte Quellenpassage. Vgl. oben Anm. 84. 9 5 Vgl. unten Anm. 102 ff. 9 6 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 65, S. 228, Z. 4 6 - 4 8 . 9 7 Diese Vermutung kann sich freilich nur auf ein argumentum e silentio berufen: daß nach dem Bekanntwerden der Inthronisation Papst Damasus II. die in Anm. 88 zitierte Nachricht, Benedikt I X . sei nunc erhoben worden, etwas merkwürdig klingen würde, weil Benedikt zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in R o m residierte (vgl. K. B e y e r , wie Anm. 80, S. 572f.). 9 8 Auch diese Datierung, die sich auf die Tatsache stützt, daß das römische Schisma mit der Erhebung Leos I X . endgültig beendet war, läßt sich nur indirekt erschließen. Man betritt hier jedoch erheblich festeren Boden, da die Wahl des Bischofs von Toul zum neuen Papst allgemein akzeptiert wurde. Vgl. dazu etwa: P. S c h m i d , wie Anm. 90, S. 70-91 und L . S a n t i f a l l e r , wie Anm. 90, S. 2 0 9 - 2 1 4 . Allerdings ist eine Entstehung des Traktates in der zweiten Jahres93

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Man muß daher mit einer ungefähren Datierung auf das Jahr 1048 vorlieb nehmen; eine nähere Eingrenzung ist nicht möglich. Genauere Feststellungen lassen sich dagegen über den Inhalt des Traktates machen. E r ist in der Forschung schon häufig behandelt w o r d e n " , so daß man sich darauf beschränken kann, die wichtigsten mit dem Priesterideal zusammenhängenden Aspekte herauszuarbeiten. Schon der von Ernst D ü m m l e r 1 0 0 in die Diskussion eingeführte Titel des Traktates De ordinandopontifice

zeigt an, worum es dem Verfasser eigentlich geht: um

die kanonisch gültige F o r m der Papsteinsetzung. Zeitgeschichtlich zugespitzt lauten die Themen des Schreibens: Gibt es nach dem Tode Clemens II. eine Persönlichkeit, die auf eine den kirchenrechtlichen N o r m e n Rechnung tragende Weise das päpstliche A m t beanspruchen kann? W a r die Ernennung Clemens II. durch Heinrich III. rechtens, und - wenn nicht - wie müßte die kanonisch ordnungsgemäße Bestimmung eines Papstes aussehen? Zur Beantwortung dieser Fragen holt der Autor weit aus und streift dabei so grundsätzliche Fragen wie die der Simonie und des Laieneinflusses in kirchlichen Angelegenheiten. Dennoch wäre es verfehlt, das Schriftstück unter einen anderen Titel stellen zu wollen 1 0 1 , denn den Leitfaden hälfte des Jahres 1048 relativ unwahrscheinlich, da man aus De ordinando, wie Anm. 21, S. 79, Z. 148f. ableiten kann, daß der Traktat wahrscheinlich Anfang bis Mitte des Jahres 1048 fertiggestellt wurde. Vgl. dazu zuletzt Η. H. A n t o n , wie Anm. 21, S. 48, der sich für Januar 1048 als ungefähren terminus ante quem ausspricht. 9 9 Vgl. vor allem: K. B e y e r , wie Anm. 80, S. 570-577; F. P e l s t e r , wie Anm. 21, S. 92-95; G . B . B o r i n o , wie Anm. 82, S. 30ff.; A. B e c k e r , wie Anm. 82, S. 142f.; H. Z i m m e r m a n n , Papstabsetzungen des Mittelalters (Graz/Wien/Köln 1968) S. 136-139; F . - J . S c h m a l e , wie Anm. 74, S. 70-75 und zuletzt Η. Η. A n t o n , wie Anm. 21, S. 20-56, der ebd. S. 9-19 eine Ubersicht über den heutigen Forschungsstand bietet. 1 0 0 Vgl. den Titel der in Anm. 21 zitierten Edition von E. D ü m m l e r . Ausdrücklich zu erwähnen ist der Umstand, daß dieser Titel nicht der handschriftlichen Überlieferung entspricht. Weder das auf fol. 1 r des Cod. Voss. Lat. Q Nr. 10 stehende mittelalterliche Inhaltsverzeichnis der Sammelhandschrift, noch der Beginn des Traktates (ebd. fol. 94 r) überliefern irgendeine Uberschrift. 1 0 1 Vor allem die von F . - J . S c h m a l e , wie Anm. 74,S. 71 in Anlehnung an Ο. C a p i t a n i , wie Anm. 55, S. 28ff. vorgeschlagenen Titel „ D e iudicando episcopos", „ D e iudicatis episcopis" und „ D e episcopis depositis" sind irreführend, da es in dem Traktat um die kanonistischen Voraussetzungen einer gültigen Papstwahl geht.

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der Darstellung bildet immer die Frage der Besetzung des päpstlichen Stuhls. Die prinzipielle Verurteilung der Simonie und die versteckte Kritik an der Investiturpraxis Heinrichs III. erscheinen nicht als selbständige Themen, sondern sind gewissermaßen Nebenprodukte der Überlegungen zur Vergabe des höchsten kirchlichen Amtes. Wendet man sich trotzdem zunächst diesen Nebenaspekten zu, so wird erkennbar, wie der anonyme Verfasser des Traktates seine Argumente gegen die zur Diskussion stehenden Bewerber um das päpstliche Amt gewinnt: durch eine historische Beweisführung, die geschichtliche Ereignisse einfach als Präzedenzfälle verwendet, und eine abstrakte, durchaus ahistorisch zu nennende Deduktion aus kanonistischen Prinzipien. Als Beispiele seien zwei auf die Kirchenhoheit Heinrichs III. abzielende Stellen des Antwortschreibens aufgeführt102. In der ersten Stelle geht es darum, Kaiser Heinrich III. durch die Anführung von Zeugen aus seinem Stande nachzuweisen, daß er in Sutri seine Hand nicht gegen einen Priester erheben durfte103. Hierzu wird als historischer Präzedenzfall Kaiser Konstantin der Große bemüht, der auf dem Konzil von Nicäa über die Bischofswürde gesagt habe: Vos... a nemine diiudicare potestis quia Dei solius iuditio reservamini; dii etenim vocati estis, idcirco non potestis ab hominibus iudicari104. Auch die zweite Stelle beschäftigt sich mit dem gleichen Problem. Nur wird die Schlußfolgerung hier nicht aus einem geschichtlichen Beispiel gezogen, sondern aus einem abstrakt formulierten, kirchenrechtlichen Grundsatz: Laicis, quamvisreligiosisint, de ecclesiasticis facultatibusaliquid disponendi unquam attributapotestas105. Daß diese wörtlich zitierte Passage aus den pseudoisidorischen Dekretalen106, die im Dekret Burchards als eigener Kanon überliefert ist 107 , auf der Lateransy-

1 0 2 Vgl. De ordinando, wie Anm. 21, S. 80, Z. 183-189 (Cod. Voss. Lat. Q Nr. 10 fol. 97r, lin. 8 - 1 6 ) und ebd. S. 81 f., Z. 2 2 0 - 2 2 6 (fol. 97v, lin. 14-19). 1 0 3 Vgl. De ordinando, wie Anm. 21, S. 80, Z. 183-185 (Cod. Voss. Lat. Q Nr. 10 fol. 97r, lin. Si{.):Sileat ergo, sileatvaniloquium nostrum, veniat Imperator ille nequissimus ad iudiäum, introducantur testes ex ordine suo, qui eum convincant, in sacerdotem eum non debuisse mittere manum. 1 0 4 De ordinando, wie Anm. 21, S. 80, Z. 188f. 1 0 5 Ebd. S. 80, Z. 188f. (Cod. Voss. Lat. fol 97v, lin. 14f.); die Edition bringt vor unquam die Konjektur nulla. 1 0 6 Epistola Stephani secunda, wie Anm. 84, c. 12, S. 186. 1 0 7 Vgl. Burchardi Wormaciensis ecclesiae episcopi Decretorum libri viginti, in: M I G N E P L 140, Lib. X V , 35, Sp.904.

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node von 1059 gesamtkirchliche Aktualität gewann 1 0 8 , belegt ihre große zeitgeschichtliche Bedeutung. Wenn der Anonymus sie unmittelbar im Anschluß an seine Zitation als kanonistischen Beleg gegen die königliche Kirchenhoheit verwendet 1 0 9 , um daraufhin die Einflußnahme Heinrichs III. auf die Bischofswahl zu kritisieren 1 1 0 , so muß seine Aussage als repräsentatives Zeugnis eines neuen kirchlichen Selbstbewußtseins verstanden werden, das seinen Ausgang vom lothringisch-französischen Raum nahm und sich in erster Linie gegen die auf den theokratischen Herrschergedanken und das Eigenkirchenrecht gestützte Kirchenhoheit Heinrichs III. richtete. Der Verfasser von De ordinando

pontifice

war bestrebt,

durch kirchenrechtliche und historische Beweisführung das Vergehen des Herrschers in Sutri und damit zugleich die Investitur- und Nominationspraxis des Saliers als laikale Einflußnahme zu entlarven und damit für unrechtmäßig zu erklären 1 1 1 . Eine solche Arbeitsmethode kann durchaus als

Dazu unten Kap. V. Vgl. De ordinando, wie Anm. 21, S. 81 f., Z. 222-226 (Cod. Voss. Lat. Q Nr. lOfol. 97v,lin. \b-\9)\sivero non de facultatibus, neccerte concedendum est de gradibus. Nec illud ad hoc noceat, quodpraelibatum est, libertas reprehendi vel iudicandi, si vero episcopus non est. Non enim earn annuimus laicis, sed qui in aecclesiastica dispositione auctoritatem habent, videlicet episcopis et clencis. 1 1 0 Vgl. ebd. S. 82, Z. 226ff. (fol. 97v, l b . 19ff.). 1 1 1 Vgl. Ph. F u n k , wie Anm. 16, S. 320f.; E. H o e r s c h e l m a n n , wie Anm. 15,S. 64-75 u n d F . - J . S c h m a l e , wie Anm. 74, S. 69-75. Als Quellenbelege können die in Anm. 84 zitierten Stellen angeführt werden. Diese und weitere Aspekte zur Einstellung und Arbeitsweise des Autors von De ordinando pontifice finden sich jetzt auch bei H . H . A n t o n , wie Anm. 21, S. 20-70, bes. S. 50-56. Daß diese Arbeit für die Interpretation des Traktates in Zukunft ständig herangezogen werden muß, steht außer Frage. Zu überlegen ist jedoch, ob das Rechtsgutachten, das nach H . H . A n t o n , a. a. O . , S. 57 als Antwortschreiben auf das ,,inceptum" (vgl. De ordinando, wie Anm. 21, S. 75, Z. 12) einiger in der Francia ansässiger Bischöfe zu betrachten ist, wirklich als Zeugnis einer Spiritualität zu bewerten ist, die sich größtenteils im Rahmen des traditionellen, vorgregorianischen Kirchenverständnisses bewegt und nur bei der Behandlung Heinrichs III. ,,eine Vorstufe gregorianischer Gesinnung" (ebd. S. 54) erkennen läßt. Eine solche Sichtweise nimmt vielleicht eine allzu pointierte Scheidung zwischen vorgregorianischer und gregorianischer Ekklesiologie vor und setzt sich damit der Gefahr aus, die Bedeutung der geistesgeschichtlichen Kontinuität zwischen der Gedankenwelt des Autors von De ordinando pontifice und den Reformideen des späten 11. Jahrhunderts zu unterschätzen. Eine historische Beweisführung, die geschichtliche Ereignisse wie die Wiedereinsetzung des Papstes Liberius unter Kaiser Konstan108

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Die Anfänge der Kirchenreform

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„gregorianisch" bezeichnet w e r d e n 1 1 2 ; der Traktat trägt jedenfalls die Merkmale des frühscholastischen Denkens und sollte deshalb nicht als zufällig überlieferte Stimme grundsätzlicher Kritik am Handeln Heinrichs III. abgetan werden, die zwar in der historischen Rückschau interessant erscheine, zeitgeschichtlich aber nicht ins Gewicht falle 1 1 3 . E r verkörpert vielmehr einen für die Regierungszeit Heinrichs III. hochbrisanten Versuch, die Kirchenhoheit des deutschen Königs kategorisch in Frage zu stellen, und verdient deshalb die eingehende Betrachtung des Historikers. Nicht nur der in der Forschung schon häufig herausgestellte Protest gegen die Einsetzungspraxis Heinrichs III., sondern auch die grundsätzliche Kritik an den kirchlichen Zuständen machen den Traktat zu einem wichtigen geistesgeschichtlichen Zeugnis des reformerischen Selbstbewußtseins. Der anonyme Verfasser meint, der allgemeine Zustand der Kirche müsse reformiert werden 1 1 4 , und rückt mit dieser Äußerung in die Nähe Humberts de Moyenmoutier, der seine Zeit ähnlich scharf verurteilt 1 1 5 . Vor allem das Problem der Simonie steht in De ordinando Mittelpunkt

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pontifice

im

, während es etwa bei W a z o von Lüttich eine untergeord-

nete Rolle spielt 1 1 7 . Die Simonie wird als Sünde wider den Heiligen Geist

tius II. (vgl. De ordinando, wie Anm. 21, S. 76) als Präzedenzfälle benutzt, und eine juristische Beweisführung, die Anklänge an die französische Frühscholastik erkennen läßt (vgl. ebd. S. 75, Z. 30-35), weisen jedenfalls ebenso wie eine ausführliche Erörterung der Simonieproblematik und eine Aufwertung des priesterlichen Amtes gegenüber dem Laienstand darauf hin, daß die Ideen der Kirchenreform nicht mit einem Paukenschlag da waren, sondern sich allmählich aus einer religiösen Neubesinnung entwickelten. 1 1 2 Vgl. dazu die Beobachtungen von A. B e c k e r , wie Anm. 82, S. 142f.; J . Z i e s e , Historische Beweisführung in Streitschriften des Investiturstreites = Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung Bd. 8 (München 1972) und R. S c h i e f f e r , Von Mailand nach Canossa, in: DA 28 (1972) S. 363ff., sowie d e r s . , Gregor VII. - Ein Versuch über die historische Größe, in: H J b 97/98 (1978) S. 98ff. 1 1 3 So die Wertung von Th. S c h i e f f e r , wie Anm. 13, S. 1061. 1 1 4 Vgl. De ordinando, wie Anm. 21, S. 75, Z. 2f. (Cod. Voss. Lat. Q Nr. 10 fol. 94r, lin. 17f.): Sed cum res, unde quaeritur, generalem statum inperturbatione aecclesiae cupiat reformari ... 1 1 5 Vgl. Humberti cardinalis Libri tres adversus Simoniacos, ed. F. T h a n er, in: MG l.d.l. 1, S. 95-253 und unten Kap. IV. 1 1 6 Vgl. De ordinando, wie Anm. 21, S. 75, Z. 1-S. 80, Z. 182 (Cod. Voss. Lat. Q Nr. 10 fol. 94r, lin. 15-fol. 97r, lin. 8). 1 1 7 Vgl. Gesta epp. Leod., wie Anm. 22, c. 67, S. 230, bes. Z. 22-35.

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gedeutet, die nach M t 12,31 nicht vergeben werden könne 1 1 8 . Als bona pars clericorum wird folgerichtig nur der Teil der Geistlichen angesehen, der nicht versucht, die Gaben des Heiligen Geistes für Geld zu erwerben 1 1 9 . Faßt man die wichtigsten mit dem Priesterideal zusammenhängenden Gedanken des Schriftstückes zusammen, so lassen sich drei Grundideen skizzieren: 1. daß bei passiver oder aktiver Simonie die Ausübung eines kirchlichen Amtes grundsätzlich ausgeschlossen sei 1 2 0 , 2. daß die Einsetzung der höchsten Priester nur durch die kanonische Wahl des Klerus erfolgen könne 1 2 1 , nicht jedoch durch das Kirchenvolk, und 3. daß Laien grundsätzlich keine Verfügungsgewalt über kirchliche Weihegrade zustehe, sondern nur Bischöfen und Klerikern 1 2 2 . Aus diesen drei Hauptvorstellungen werden in bezug auf das päpstliche Amt folgende zeitgeschichtliche Konsequenzen gezogen: Gregor V I . und Benedikt I X . können keine legitimen Ansprüche auf die höchste kirchliche Würde stellen, denn sie haben sich beide der Simonie schuldig gemacht 1 2 3 , aus der es nach dem Zeugnis der Schrift keine Erlösung gebe 1 2 4 . Wenn Gregor V I . inzwischen gestorben ist, so ist damit nur der Ruf des Todes dem Urteil der Verdammung vorangeeilt; eine Vergebung seiner

1 1 8 Vgl. De ordinando, wie Anm. 2 1 , S. 77, Z. 7 8 - 8 0 (Cod. Voss. Lat. Q N r . 10 fol. 95v, lin. 1 - 3 ) und ebd. S. 79, Z. 1 5 5 - 1 5 7 (fol. 9 6 v , lin. 13-15). 1 1 9 Vgl. ebd. S. 76, bes. Z. 4 0 und 4 5 (fol. 94 v, lin. 24 und 30). 1 2 0 Vgl. ebd. S. 77, bes. Z. 7 8 - 8 0 (fol. 95 v, lin. 1 - 3 ) : Pecuniam habuit, male dandoperdidit, donum Spiritus sanctiillicite appetitum ipse sibiabstulit, anathema maranatha a se ipso recepit. 1 2 1 Vgl. ebd. S. 82, Z. 2 2 6 - 2 2 8 (fol. 97v, lin. 1 9 - 2 2 ) : Quia secundum Anacletum eiectionem summorum sacerdotum sibi Dominus reservavit, licet electionem eorum bonis sacerdotibus et spiritualibus populis concessisset. Non tarnen populis sine sacerdotibus sedpost sacerdotale iuditium convenientibuspopulis et ipsis spiritualibus ... Vgl. in Hinsicht auf die Bischofswahl auch ebd. S. 79, Z. 140 (fol. 96 r, lin. 31): . . . non licet populo electionem facere ... 1 2 2 Vgl. ebd. S. 81 f., Z. 2 2 2 - 2 2 6 (fol. 97v, lin. 1 5 - 1 9 ) . 1 2 3 Vgl. ebd. S. 78, Z. 101-103 (fol. 95 v, lin. 2 7 - 2 9 ) . 1 2 4 Vgl. ebd. S. 79, Z. 1 5 5 - 1 5 7 (fol. 96v, lin. 1 3 - 1 5 ) .

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Schuld nach abgeleisteter Buße gibt es deshalb nicht 125 . Bereits seine Inthronisation widersprach den kanonischen Normen. Denn zur gültigen Bestimmung eines neuen Papstes hätte es der Gegenwart und Zustimmung aller Bischöfe bedurft; die Bischöfe der Francia sind aber weder eingeladen worden, noch haben sie ihren Konsens erteilt 126 . Auch die Ernennung eines Papstes durch den Kaiser steht nicht im Einklang mit dem Kirchenrecht: sagt dieses doch, Laien hätten grundsätzlich keine Verfügungsgewalt de ecclesiasticis facultatibus127. Wenn ihnen aber schon keine Entscheidung über kirchliche/